HRI II – Handbuch Restrukturierung in der Insolvenz: Eigenverwaltung und Insolvenzplan 9783814558714

Mit Inkrafttreten des ESUG und des SanInsFoG ist das Insolvenzrecht zu einem modernen Sanierungsinstrument umgebaut word

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HRI II – Handbuch Restrukturierung in der Insolvenz: Eigenverwaltung und Insolvenzplan
 9783814558714

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Kübler/Bork/Prütting (Hrsg.) HRI II – Handbuch Restrukturierung in der Insolvenz

HRI II Handbuch Restrukturierung in der Insolvenz Eigenverwaltung und Insolvenzplan

4. Auflage

herausgegeben von Dr. Bruno M. Kübler Professor Dr. Reinhard Bork Professor Dr. Hanns Prütting

bearbeitet von Dr. Hubert Ampferl, Dr. Helmut Balthasar, Dr. Florian Becker, Axel W. Bierbach, Dr. Frank Burmeister, Dr. Volker von Danckelmann, Prof. Dr. Martin Dreschers, Prof. Dr. Lucas F. Flöther, Dr. Michael C. Frege, Arndt Geiwitz, Dr. Andree Gossak, Severin Haneke, Dr. Matthias Hofmann, Prof. Dr. habil. Gerrit Hölzle, Burkhard Jung, Dr. Günter Kahlert, Dr. Steffen Koch, Dr. Sandra Körner, Dr. Stephan Kolmann, Dr. Bruno M. Kübler, Prof. Dr. Stephan Madaus, Dr. Peter C. Minuth, Prof. Dr. Rolf-Dieter Mönning, Prof. Dr. Anette U. Neußner, Prof. Dr. Matthias Nicht, Prof. Dr. Christian Pleister, Dr. Dietmar Rendels, Dr. Jens M. Schmidt, Dr. Thilo Schultze, Detlef Specovius, Dr. Jasper Stahlschmidt, Dr. Martin Tasma, Dr. Ingo Theusinger, Prof. Dr. Christoph Thole, Dr. Lars Westpfahl, Karsten Zabel

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG ˜ Köln

Zitierempfehlung: Verfasser in: Kübler/Bork/Prütting, HRI II, § … Rz. …

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2023 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG Postfach 27 01 25, 50508 Köln E-Mail: [email protected], Internet: http://www.rws-verlag.de Das vorliegende Werk ist in all seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der Übersetzung, des Vortrags, der Reproduktion, der Vervielfältigung auf fotomechanischem oder anderen Wegen und der Speicherung in elektronischen Medien. Satz und Datenverarbeitung: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt Druck und Verarbeitung: CPI books GmbH, Leck

Vorwort Seit der im Jahr 2018 erschienenen 3. Auflage des „Handbuch Restrukturierung in der Insolvenz – Eigenverwaltung und Insolvenzplan“ (HRI) hat sich die Sanierungslandschaft erheblich verändert. In Umsetzung der europäischen Richtlinie für Restrukturierung und Insolvenz (Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019) hat der deutsche Gesetzgeber am 22. Dezember 2020 als Art. 1 des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG, BGBl. I 2020, 3256) das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz – StaRUG) verabschiedet, mit dem die vorinsolvenzliche Sanierung eine gesetzliche Regulierung erfahren hat. Neben die auf der Grundlage der InsO erfolgende Restrukturierung in der Insolvenz ist also die auf der Basis des StaRUG erfolgende Restrukturierung vor der Insolvenz getreten. Die Herausgeber der nunmehr 4. Auflage des HRI – zu dem bisherigen alleinigen Herausgeber Dr. Bruno M. Kübler sind als weitere Herausgeber Prof. Dr. Reinhard Bork und Prof. Dr. Hanns Prütting hinzugetreten – haben sich deshalb entschieden, das HRI künftig zweibändig anzulegen. Der bisherige (nun: zweite) Band zur Restrukturierung im Insolvenzverfahren wird um einen ersten Band ergänzt, der sich mit der vorinsolvenzlichen Sanierung nach dem StaRUG befasst. Hierzu wurden die allgemeinen, für beide Krisenstadien gültigen Kapitel (namentlich die bisherigen §§ 2 – 5 zu Chancen und Risiken von Restrukturierungsverfahren, zur Restrukturierungsfähigkeit, zu Finanzierungsoptionen sowie zu Kommunikation und Verhandlung) in den ersten Band vorgezogen. Im Übrigen sind die einzelnen Kapitel des ersten Bandes personell vollständig neu besetzt worden, während die meisten Autorinnen und Autoren des bisherigen Handbuchs ihre Arbeit im zweiten Band fortgesetzt haben. Es hat dabei einige wenige personelle Veränderungen gegeben, was die Herausgeber zum Anlass nehmen, sich bei den Ausgeschiedenen dafür zu bedanken, dass sie mit ihrer hervorragenden Arbeit zum Gelingen des Werks beigetragen haben. Unser ganz besonderer Dank gilt Markus Sauerwald, dem Verlagsleiter des RWS Verlags, für sein großes Engagement und seine bewundernswerte Geduld. Ebenso danken wir Iris Theves-Telyakar, die das HRI gewohnt professionell lektoriert und dadurch mit dazu beigetragen hat, dass es zum jetzigen Erscheinungstermin auf den Markt kommen konnte. Verlag, Herausgeber sowie Autorinnen und Autoren hoffen, dass die Leserschaft mit dem „HRI“ auch in seiner neuen Konzeption einen informativen und kompetenten Ratgeber findet. Wir ermuntern – zugleich im Namen aller Autorinnen und Autoren – zum Zweck der ständigen Weiterentwicklung des Handbuchs zu konstruktiver Kritik. Hamburg/Dresden/Köln, im März 2023

Bruno M. Kübler Reinhard Bork Hanns Prütting

V

Inhaltsübersicht Seite Vorwort .................................................................................................................................. V Inhaltsverzeichnis ................................................................................................................ XI Autorenverzeichnis ....................................................................................................... XXIII Literaturverzeichnis ....................................................................................................... XXXI Abkürzungsverzeichnis .................................................................................................. XLIII

Einführung §1

Der Sanierungsgedanke im deutschen Insolvenzrecht – Eigenverwaltung und Insolvenzplan als Instrumente der Restrukturierung (Kübler) ................................. 1

§2

Kommunikation und Verhandlung in der Insolvenz (Frege/Nicht) ......................... 8

1. Teil Eigenverwaltung A. Eröffnungsverfahren §3

Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalt (Neußner) ................. 35

§4

Vorläufige Eigenverwaltung (Hofmann) .................................................................. 86

§5

Schutzschirmverfahren (Koch/Jung) ....................................................................... 166

§6

Vorläufiger Gläubigerausschuss (Ampferl) ............................................................ 213

B. Eröffnetes Verfahren §7

Anordnungsvoraussetzungen und nachträgliche Anordnung (Neußner/Flöther) .... 268

§8

Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners (Bierbach) ..................................... 283

§9

Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters (Minuth) ...................................... 327

§ 10 Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung (Specovius) ............................................................................................................... 371 § 11 Mitwirkung des Gläubigerausschusses (Ampferl) .................................................. 405 § 12 Forderungsanmeldung, Forderungsprüfung und Verteilung (Hofmann) ............ 420 § 13 Vorbereitung und Ablauf der Gläubigerversammlung (Hofmann) ....................... 433 § 14 Aufhebung der Eigenverwaltung (Flöther) ............................................................. 447 § 15 Haftung, Liquiditätsplanung, Masseunzulänglichkeit (Flöther) ........................... 461

VII

Inhaltsübersicht

C. Konzern § 16 Eigenverwaltung im nationalen Konzern (Kübler) ................................................ 481 § 17 Eigenverwaltung im internationalen Konzern (Kübler) ......................................... 508

D. Eigenverwaltung und EuInsVO § 18 Grenzüberschreitende Eigenverwaltung (Dreschers) ............................................. 524

2. Teil Insolvenzplan A. Planvorbereitung und Planinitiative § 19 Planvorbereitung (Rendels) ..................................................................................... 557 § 20 Planinitiativrecht (Körner/Rendels) ........................................................................ 574

B. Inhalt des Insolvenzplans § 21 Darstellender Teil des Insolvenzplans (Geiwitz/v. Danckelmann) ...................... 587 § 22 Gestaltender Teil des Insolvenzplans (Balthasar) .................................................. 606 § 23 Plananlagen (Zabel) .................................................................................................. 666

C. Einzelaspekte des darstellenden und gestaltenden Teils § 24 Gruppenbildung (Haneke) ....................................................................................... 716 § 25 Absonderungsberechtigte Gläubiger, Eingriffe (Hölzle) ....................................... 741 § 26 Anteilsinhaber, Eingriff in Anteilsrechte (Hölzle) ................................................. 761 § 27 Der Kreditrahmen im Insolvenzplan (Frege/Nicht) ............................................... 799 § 28 Umwandlungen im Planverfahren (Madaus) .......................................................... 811 § 29 Vergleichsrechnung (J. Schmidt) ............................................................................. 845

D. Verfahrensablauf § 30 Vorprüfung durch das Insolvenzgericht, Niederlegung (Stahlschmidt) ............... 896 § 31 Gläubigerausschuss (Ampferl) ................................................................................. 914 § 32 Ladung und Terminvorbereitung (Stahlschmidt) ................................................... 930 § 33 Prüfungs-, Erörterungs- und Abstimmungstermin (Stahlschmidt) ...................... 938 § 34 Planänderungen (Pleister/Theusinger) .................................................................... 947 § 35 Stimmrechte im Planverfahren (Kolmann) ............................................................. 959

VIII

Inhaltsübersicht § 36 Obstruktionsverbot (Becker) .................................................................................. 981 § 37 Planbestätigung (Westpfahl) ................................................................................. 1007 § 38 Minderheitenschutz, Rechtsmittel (Burmeier/Tasma) ........................................ 1030 § 39 Aufhebung des Insolvenzverfahrens (J. Schmidt) ............................................... 1084 § 40 Vollstreckungsschutz und besondere Verjährungsfrist (J. Schmidt) .................. 1105 § 41 Wirkungen des bestätigten Plans (Th. Schultze) .................................................. 1127 § 42 Planüberwachung und Planerfüllung (Mönning) ................................................. 1169

E. Konzern § 43 Insolvenzplan im nationalen Konzern (Pleister/Theusinger) .............................. 1226 § 44 Insolvenzplan im internationalen Konzern (Pleister/Theusinger) ...................... 1270

F. Formulare § 45 Musterinsolvenzplan und Planrechnungen mit Erläuterungen (Rendels/ Zabel) ...................................................................................................................... 1304

3. Teil Arbeitsrecht § 46 Arbeitsrechtliche Sanierungsmaßnahmen (Gossak) ............................................. 1393

4. Teil Steuerrecht § 47 Steuerfolgen der Sanierung durch Insolvenzplan (Kahlert) ................................ 1435

5. Teil Evaluierung des ESUG § 48 Die Ergebnisse der ESUG-Evaluation und deren Umsetzung mit dem SanInsFoG – Weitere Zukunftsperspektiven der Restrukturierung in der Insolvenz – (Thole) ..................................................................................... 1523 Stichwortverzeichnis ........................................................................................................ 1537

IX

Inhaltsverzeichnis*) Seite Vorwort.................................................................................................................................... V Inhaltsübersicht .................................................................................................................. VII Autorenverzeichnis ......................................................................................................... XXIII Literaturverzeichnis......................................................................................................... XXXI Abkürzungsverzeichnis....................................................................................................XLIII

Einführung §1

Der Sanierungsgedanke im deutschen Insolvenzrecht – Eigenverwaltung und Insolvenzplan als Instrumente der Restrukturierung ..............................................1

I.

Die Entwicklung eines modernen Insolvenzrechts für Unternehmen .......................1

II.

Eigenverwaltung und Insolvenzplan als Instrumente der Restrukturierung ..............3

III.

Aktuelle Entwicklungen.................................................................................................5

IV.

Schlussfolgerungen.........................................................................................................7

§2

Kommunikation und Verhandlung in der Insolvenz ...............................................8

I.

Einleitung........................................................................................................................9

II.

Kommunikations- und Verhandlungssituationen im Eröffnungsverfahren .............13

III.

Kommunikations- und Verhandlungssituationen im eröffneten Insolvenzverfahren und ihre Besonderheiten .............................................................................23

IV.

Fazit...............................................................................................................................34

1. Teil Eigenverwaltung A. Eröffnungsverfahren §3

Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalt.................................35

I.

Neuregelung der Eigenverwaltung durch das Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) ...............................................................37

II.

Wahl des passenden Restrukturierungswegs ..............................................................38

III.

Krisenstadium und Verfahrenseinstieg .......................................................................42

IV.

Krisenbedingte Sonderregelungen für die Eigenverwaltung......................................47

V.

Systematik Eigenverwaltungsplanung, Eigenverwaltungswürdigkeit und Anordnung....................................................................................................................50

VI.

Anlagen Eigenverwaltungsplanung .............................................................................57

___________ *)

Ausführliche Inhaltsverzeichnisse finden sich zu Beginn eines jeden Paragraphen.

XI

Inhaltsverzeichnis VII. Erklärungen des Schuldners (§ 270a Abs. 2 InsO).....................................................75 VIII. Einbindung des Gerichts vor Antragstellung (§ 10a InsO) .......................................79 IX.

Förmliche Einleitung des Verfahrens ..........................................................................82

§4

Vorläufige Eigenverwaltung ......................................................................................86

I.

Bedeutung des Eröffnungsverfahrens für den Verfahrensverlauf..............................88

II.

Vorläufige Eigenverwaltung im Eröffnungsverfahren................................................88

III.

Stellung von Schuldner und vorläufigem Sachwalter nach § 270a InsO....................95

IV.

Betriebsfortführung bei vorläufiger Eigenverwaltung..............................................133

V.

Weitere vorläufige Maßnahmen nach § 270c Abs. 3 Satz 1 InsO und § 21 InsO......154

VI.

Auswirkungen der vorläufigen Eigenverwaltung auf laufende Rechtsstreite..........158

VII. Haftung für Rechtshandlungen des Schuldners in der vorläufigen Eigenverwaltung ...................................................................................................................159 VIII. Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung (§ 270e InsO)...................................162 §5

Schutzschirmverfahren.............................................................................................166

I.

Einleitung ....................................................................................................................167

II.

Antrag..........................................................................................................................170

III.

Prüfung durch das Gericht.........................................................................................186

IV.

Beschluss (§ 270d InsO) ............................................................................................188

V.

Rechtsmittel ................................................................................................................198

VI.

Betriebsfortführung im Schutzschirmverfahren .......................................................199

VII. Aufhebung der Maßnahmen durch das Gericht .......................................................208 VIII. Haftung der Organe des Schuldners .........................................................................208 IX.

Haftung des Schuldners .............................................................................................210

X.

Eröffnung des Insolvenz(plan)verfahrens.................................................................210

§6

Vorläufiger Gläubigerausschuss ..............................................................................213

I.

Verortung der Gläubigermitwirkung.........................................................................214

II.

Gläubigerbeteiligung in der Praxis.............................................................................216

III.

Kein präsumtiver Gläubigerausschuss – Vorgespräch gemäß § 10a InsO...............216

IV.

Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses.................................................217

V.

Beteiligung des vorläufigen Gläubigerausschusses bei der Bestellung des vorläufigen Sachwalters........................................................................................249

VI.

Beteiligung des vorläufigen Gläubigerausschusses bei der Bestellung des endgültigen Sachwalters – erneute Anhörung ....................................................260

VII. Beteiligung bei Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung .................................261 VIII. Erneute Anhörung bei Anordnung der Eigenverwaltung ........................................266 IX.

XII

Allgemeine Rechte und Pflichten des vorläufigen Gläubigerausschusses ...............266

Inhaltsverzeichnis

B. Eröffnetes Verfahren §7

Anordnungsvoraussetzungen und nachträgliche Anordnung............................268

I.

Anknüpfung an die Voraussetzungen einer vorläufigen Eigenverwaltung .............268

II.

Anspruch auf Anordnung ..........................................................................................269

III.

Entscheidung des vorläufigen Gläubigerausschusses im Graubereich ....................272

IV.

Graubereich und Gesamtwürdigung des Gläubigerinteresses .................................273

V.

Nachträgliche Anordnung .........................................................................................276

§8

Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners.......................................................283

I.

Grundsätzliche Problemstellung und dogmatische Einordnung der Rechtsstellung des Schuldners ..............................................................................................284

II.

Übersicht zur Aufgabenverteilung ............................................................................286

III.

Die Rechte und Aufgaben des Schuldners im Einzelnen .........................................288

IV.

Informations- und Mitwirkungspflichten.................................................................320

V.

Konsequenzen von Verstößen und Kompetenzüberschreitungen..........................321

VI.

Stellung der Organe des Schuldners ..........................................................................321

VII. Der Berater des Schuldners........................................................................................325 §9

Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters......................................................327

I.

Einführung ..................................................................................................................328

II.

Die Aufsicht des Sachwalters als Reaktion auf die Missbrauchsanfälligkeit ..........329

III.

Die Bestellung des Sachwalters..................................................................................332

IV.

Auskunfts- und Zutrittsrechte bei Aufnahme der Tätigkeit ...................................336

V.

Prüfungs- und Überwachungspflichten ...................................................................337

VI.

Begründung von Verbindlichkeiten im Geschäftsbetrieb ........................................340

VII. Kassenführungsrecht des Sachwalters .......................................................................342 VIII. Besondere Zustimmungserfordernisse......................................................................344 IX.

Schuldnerrechte im Einvernehmen mit dem Sachwalter..........................................350

X.

Schuldnerunterstützung durch den Sachwalter auf Anordnung des Insolvenzgerichts ........................................................................................................................353

XI.

Redepflichten..............................................................................................................353

XII. Die Geltendmachung von Gesamtschäden und der Gesellschafterhaftung............355 XIII. Anfechtung .................................................................................................................356 XIV. Das Tabellenverfahren................................................................................................357 XV. Verzeichnisse, Schlussrechnung, Verteilung ............................................................358 XVI. Planüberwachung im Insolvenzplanverfahren ..........................................................361 XVII. Der Sachwalter unter der Aufsicht des Insolvenzgerichts .....................................361

XIII

Inhaltsverzeichnis XVIII. Beendigung der (vorläufigen) Sachwaltertätigkeit mit Aufhebung der (vorläufigen) Eigenverwaltung ........................................................................363 XIX. Besonderheiten in der Konzerninsolvenz .................................................................366 XX. Praktische Zusammenarbeit .......................................................................................368 § 10 Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung ......371 I.

Einleitung ....................................................................................................................371

II.

Zusammenspiel im Eröffnungsverfahren ..................................................................373

III.

Zusammenspiel im eröffneten Insolvenzverfahren ..................................................377

IV.

Konfliktpotenzial und Lösungen...............................................................................388

V.

Kommunikation mit dem Insolvenzgericht ..............................................................390

VI.

Kommunikation mit der Gläubigerversammlung .....................................................390

VII. Checklisten .................................................................................................................391 VIII. Anhang: Geschäftsordnung (Muster) .......................................................................400 § 11 Mitwirkung des Gläubigerausschusses....................................................................405 I.

Grundlagen der Tätigkeit des Gläubigerausschusses................................................405

II.

Verhältnis des Gläubigerausschusses zu den anderen Verfahrensbeteiligten..........411

III.

Die Anwendung des § 69 InsO bei der Eigenverwaltung ........................................412

IV.

Verfahrensrechtliche Maßnahmen bei fehlender Ausrichtung des Verfahrens am Gläubigerinteresse ................................................................................................414

V.

Mitwirkungserfordernis bei Rechtshandlungen von besonderer Bedeutung (§ 276 InsO)................................................................................................................415

VI.

Haftungsfragen ...........................................................................................................418

§ 12 Forderungsanmeldung, Forderungsprüfung und Verteilung .............................420 I.

Funktionen des Forderungsprüfungs- und Verteilungsverfahrens .........................420

II.

Entgegennahme von Forderungsanmeldungen durch den Sachwalter ....................421

III.

Tabellenführung durch den Sachwalter .....................................................................422

IV.

Forderungsprüfung.....................................................................................................423

V.

Verteilung der Insolvenzmasse ..................................................................................428

VI.

Abstimmung zwischen Sachwalter und Schuldner bei Forderungsprüfung und Verteilung ............................................................................................................431

VII. Besonderheiten in Verfahren mit großer Gläubigerzahl ..........................................431 § 13 Vorbereitung und Ablauf der Gläubigerversammlung ........................................433 I.

Rechtsstellung der Gläubigerversammlung...............................................................433

II.

Einberufung.................................................................................................................434

III.

Vorbereitung ...............................................................................................................436

XIV

Inhaltsverzeichnis IV.

Durchführung .............................................................................................................439

V.

Beschlussfassung.........................................................................................................442

§ 14 Aufhebung der Eigenverwaltung ............................................................................447 I.

Aufhebung der Anordnung der Eigenverwaltung (§ 272) .......................................447

II.

Aufhebung durch Beendigung des Insolvenzverfahrens..........................................460

§ 15 Haftung, Liquiditätsplanung, Masseunzulänglichkeit .........................................461 I.

Haftung des Schuldners .............................................................................................461

II.

Haftung des Sachwalters ............................................................................................473

C. Konzern § 16 Eigenverwaltung im nationalen Konzern ..............................................................481 I.

Allgemeines.................................................................................................................481

II.

Voraussetzungen der Eigenverwaltung im Konzern ................................................483

III.

Rechtsfolgen der Anordnung der Eigenverwaltung im Konzern ............................488

IV.

Koordinierung der Verfahren über mehrere Konzerngesellschaften ......................492

V.

Haftung .......................................................................................................................505

§ 17 Eigenverwaltung im internationalen Konzern......................................................508 I.

Europäisches und internationales Insolvenzrecht unter Berücksichtigung des Konzerninsolvenzrechts ......................................................................................508

II.

Allgemeine Grundfragen der europäischen und internationalen Konzerninsolvenz .....................................................................................................................510

III.

Eigenverwaltung im Konzern nach der EuInsVO....................................................514

D. Eigenverwaltung und EuInsVO § 18 Grenzüberschreitende Eigenverwaltung ................................................................524 I.

Das Rechtsinstitut der Eigenverwaltung im internationalen Vergleich ..................525

II.

Die Eigenverwaltung unter dem Regime der EuInsVO...........................................537

III.

Die grenzüberschreitende Eigenverwaltung im präventiven Restrukturierungsverfahren .....................................................................................................................556

2. Teil Insolvenzplan A. Planvorbereitung und Planinitiative § 19 Planvorbereitung.......................................................................................................557 I.

Mandatsinhalte und Dokumentation ........................................................................557

XV

Inhaltsverzeichnis II.

Taktisches Herangehen an den Insolvenzplan..........................................................562

III.

Checklisten zur Planvorbereitung .............................................................................567

§ 20 Planinitiativrecht.......................................................................................................574 I.

Überblick; Verhältnis von Schuldner- und Gläubigerschutz ...................................574

II.

Zeitpunkt der Planvorlage..........................................................................................577

III.

Initiativrecht des Schuldners......................................................................................579

IV.

Initiativrecht des Insolvenzverwalters.......................................................................583

V.

Auftrag des vorläufigen Gläubigerausschusses oder der Gläubigerversammlung (§ 284 Abs. 1 InsO)....................................................................................................584

VI.

Arbeitnehmer/Betriebsrat ..........................................................................................585

VII. Wirkungen der Planvorlage ........................................................................................585 VIII. Planrücknahme............................................................................................................586

B. Inhalt des Insolvenzplans § 21 Darstellender Teil des Insolvenzplans ....................................................................587 I.

Aufbau des Insolvenzplans.........................................................................................587

II.

Grundsätzliche Ziele, Art und Regelungsstruktur des Insolvenzplans ...................589

III.

Gruppenbildung..........................................................................................................589

IV.

Befriedigungsaussicht und Berechnung der Quote bei der Regelabwicklung ohne Insolvenzplan.....................................................................................................590

V.

Umgestaltungskonzept ..............................................................................................592

VI.

Steuerrechtliche Verhältnisse .....................................................................................603

VII. Geheimhaltungserfordernisse und Auswirkung auf den Insolvenzplan..................605 § 22 Gestaltender Teil des Insolvenzplans......................................................................606 I.

Überblick.....................................................................................................................607

II.

Funktionen des Insolvenzplans .................................................................................608

III.

Beteiligte......................................................................................................................609

IV.

Gruppenbildung..........................................................................................................617

V.

Verfügungen................................................................................................................618

VI.

Gesellschafterleistungen und Leistungen Dritter .....................................................633

VII. Gestaltung der Insolvenzquote..................................................................................633 VIII. Bedingungen und Befristungen..................................................................................644 IX.

Verfahrensregelungen und sonstige Regelungen ......................................................652

X.

Exkurs: Haftung des Insolvenzverwalters bei Scheitern des Plans..........................665

§ 23 Plananlagen ................................................................................................................666 I. XVI

Vorbemerkungen ........................................................................................................667

Inhaltsverzeichnis II.

Allgemeine Plananlagen .............................................................................................668

III.

Verzeichnis der Gläubiger..........................................................................................669

IV.

Plananlagen nach §§ 153, 229 InsO ..........................................................................678

V.

Plananlagen nach § 226 InsO.....................................................................................703

VI.

Plananlagen nach § 230 InsO.....................................................................................705

VII. Stellungnahmen zum Insolvenzplan (§ 232 InsO)...................................................713

C. Einzelaspekte des darstellenden und gestaltenden Teils § 24 Gruppenbildung........................................................................................................716 I.

Einführung in die Grundsätze der Gruppenbildung ................................................717

II.

Obligatorische Gruppenbildung nach § 222 Abs. 1 InsO .......................................723

III.

Fakultative Gruppenbildung nach § 222 Abs. 2 und Abs. 3 InsO...........................730

IV.

Sonderfälle der (obligatorischen) Gruppenbildung..................................................738

§ 25 Absonderungsberechtigte Gläubiger, Eingriffe ....................................................741 I.

Grundsätzliche Bedeutung von Absonderungsrechten im Insolvenzplanverfahren .....................................................................................................................741

II.

Eingriffe in Absonderungsrechte und Zustimmungserfordernisse .........................744

III.

Rangverhältnis zwischen absonderungsberechtigten und ungesicherten Gläubigern?.................................................................................................................752

IV.

Einstweiliger Verwertungsstopp (§ 233 InsO).........................................................754

V.

Präklusion von für den Ausfall festgestellten Forderungen im Insolvenzplan.......754

VI.

Das Verhältnis von absonderungsberechtigten Gläubigern zu Gesellschaftern des Schuldners im Fortführungsplan.........................................................................754

VII. Drittsicherheiten ........................................................................................................760 § 26 Anteilsinhaber, Eingriff in Anteilsrechte ..............................................................761 I.

Anteilsinhaber als Gläubigergruppe ..........................................................................761

II.

Rechtfertigung des Eingriffs in Anteilsrechte ..........................................................763

III.

Insolvenzspezifische Gestaltungsfreiheit: Katalog der gesellschaftsrechtlich zulässigen Maßnahmen ..............................................................................................768

IV.

Sonderfall: Debt Equity Swap....................................................................................781

V.

Mitwirkungs- und Zustimmungserfordernisse der Alt-Gesellschafter...................795

VI.

Formerfordernisse ......................................................................................................797

VII. Kollision mit schuldrechtlichen Vertragsklauseln ....................................................797 § 27 Der Kreditrahmen im Insolvenzplan......................................................................799 I.

Regelungsinhalt der §§ 264 ff. InsO und Bedeutung für die Unternehmenssanierung .....................................................................................................................800

II.

Tatbestandsmerkmale für eine Privilegierung von Darlehen ...................................804 XVII

Inhaltsverzeichnis III.

Rechtliche Grenzen für den Darlehensvorrang ........................................................807

IV.

Notwendige Vereinbarung mit den Darlehensgebern und Bestätigung durch den Insolvenzverwalter ....................................................................................808

V.

Behandlung von Gesellschafterdarlehen ...................................................................808

VI.

Umfang der Privilegierung .........................................................................................809

VII. Zeitpunkt der Privilegierung ......................................................................................809 VIII. Öffentliche Bekanntmachung ....................................................................................810 § 28 Umwandlungen im Planverfahren..........................................................................811 I.

Die Zulässigkeit einer Umwandlung in der Insolvenz der Gesellschaft..................813

II.

Die mit Umwandlungsmaßnahmen erreichbaren Sanierungseffekte ......................817

III.

Die Nutzung der Wirkungsmacht eines Insolvenzplans für Umwandlungen ........822

IV.

Die einzelnen Umwandlungsarten als Plangegenstand ............................................828

§ 29 Vergleichsrechnung ..................................................................................................845 I.

Einführung ..................................................................................................................846

II.

Gesetzliche Regelungen zur Vergleichsrechnung.....................................................848

III.

Sinn und Zweck der Vergleichsrechnung ..................................................................853

IV.

Adressaten und Prüfung der Vergleichsrechnung ....................................................853

V.

Formelle Anforderungen an die Vergleichsrechnung...............................................864

VI.

Materielle Anforderungen an die Vergleichsrechnung.............................................867

VII. Vergleichsmaßstab ......................................................................................................872 VIII. Besonderheiten der Vergleichsrechnung bei selbstständig tätigen Personen .........894

D. Verfahrensablauf § 30 Vorprüfung durch das Insolvenzgericht, Niederlegung ......................................896 I.

Funktionelle Zuständigkeit ........................................................................................896

II.

Vorprüfung durch das Gericht...................................................................................898

III.

Niederlegung des Insolvenzplans ..............................................................................913

§ 31 Gläubigerausschuss....................................................................................................914 I.

Vorbemerkungen ........................................................................................................914

II.

Auftrag zur Ausarbeitung eines Insolvenzplans (§§ 284 Abs. 1 Satz 2 InsO) .......915

III.

Beratende Mitwirkung bei der Planerstellung (§ 218 Abs. 3 InsO) ........................915

IV.

Zustimmungsrechte ....................................................................................................919

V.

Informationsrechte .....................................................................................................921

VI.

Haftungsfragen ...........................................................................................................929

XVIII

Inhaltsverzeichnis § 32 Ladung und Terminvorbereitung ...........................................................................930 I.

Beteiligungsverfahren.................................................................................................930

II.

Terminvorbereitung ...................................................................................................932

§ 33 Prüfungs-, Erörterungs- und Abstimmungstermin..............................................938 I.

Ablauf des Termins ....................................................................................................938

II.

Verbindung von Terminen.........................................................................................939

III.

Gesonderter Abstimmungstermin.............................................................................939

IV.

Verbindung mit dem Prüfungstermin .......................................................................940

V.

Erörterung des Insolvenzplans ..................................................................................941

VI.

Das Abstimmungsverfahren ......................................................................................942

VII. Änderung des Insolvenzplans....................................................................................944 VIII. Weitere Verfahrensschritte ........................................................................................945 § 34 Planänderungen.........................................................................................................947 I.

Bedeutung ...................................................................................................................947

II.

Inhaltliche Reichweite der Änderungen....................................................................947

III.

Zeitpunkt der Änderungen ........................................................................................952

IV.

Berechtigung zur Planänderung.................................................................................955

V.

Mitwirkung des Gerichts; erneute Prüfung nach § 231 InsO..................................955

VI.

Abgrenzung zu Planänderungen nach rechtskräftiger Bestätigung ........................956

VII. Abgrenzung von Planberichtigung und Planänderung ............................................957 § 35 Stimmrechte im Planverfahren ...............................................................................959 I.

Überblick ....................................................................................................................959

II.

Voraussetzungen des Stimmrechts............................................................................961

III.

Stimmliste (§ 239 InsO) ............................................................................................976

IV.

Ablauf des Abstimmungsverfahrens .........................................................................977

§ 36 Obstruktionsverbot...................................................................................................981 I.

Zweck und Hintergrund ............................................................................................982

II.

Vergleichsrechnung ....................................................................................................984

III.

Angemessenheit der Beteiligung ...............................................................................992

IV.

Zustimmung der Mehrheit der Gruppen ................................................................1001

V.

Einschränkung für Inhaber von gruppeninternen Drittsicherheiten ....................1002

VI.

Salvatorische Klausel im Plan...................................................................................1003

VII. Verfahren und Rechtsmittel.....................................................................................1005

XIX

Inhaltsverzeichnis § 37 Planbestätigung .......................................................................................................1007 I.

Funktion der Bestätigung.........................................................................................1008

II.

Formelle Voraussetzungen für die Bestätigung ......................................................1008

III.

Materieller Prüfungsumfang ....................................................................................1012

IV.

Gerichtliche Entscheidung .......................................................................................1026

§ 38 Minderheitenschutz, Rechtsmittel ........................................................................1030 I.

Minderheitenschutz..................................................................................................1031

II.

Rechtsmittel ..............................................................................................................1056

§ 39 Aufhebung des Insolvenzverfahrens.....................................................................1084 I.

Allgemeines ...............................................................................................................1084

II.

Voraussetzungen der Verfahrensaufhebung (§ 258 Abs. 1 InsO).........................1086

III.

Verfahren zur Aufhebung ........................................................................................1101

IV.

Wirkungen der Aufhebung (§ 259 InsO) ...............................................................1103

§ 40 Vollstreckungsschutz und besondere Verjährungsfrist ......................................1105 I.

Einführung ................................................................................................................1105

II.

Vollstreckungsschutz durch § 259a InsO ...............................................................1113

III.

Besondere Verjährung (§ 259b InsO) .....................................................................1123

§ 41 Wirkungen des bestätigten Plans...........................................................................1127 I.

Rechtsmittel, Rechtskraft (§ 253 InsO)..................................................................1128

II.

Durchbrechung der Rechtskraft ..............................................................................1130

III.

Allgemeine Wirkungen des Insolvenzplans (§ 254 InsO) .....................................1131

IV.

Geltung für Nachzügler, Präklusionsklauseln (§ 254b InsO) ...............................1152

V.

Drittsicherheiten (§ 254 Abs. 2 InsO) ....................................................................1154

VI.

Endgültige Mehrbefriedigung eines Gläubigers (§ 254 Abs. 3 InsO) ...................1157

VII. Behandlung von strittigen und Ausfallforderungen (§ 256 InsO) ........................1158 VIII. Wiederaufleben; Nichterfüllung des Plans (§ 255 InsO).......................................1161 IX.

Vollstreckungswirkung (§ 257 InsO)......................................................................1165

§ 42 Planüberwachung und Planerfüllung ...................................................................1169 I.

Einleitung ..................................................................................................................1170

II.

Formen der Überwachung .......................................................................................1172

III.

Anordnung der Überwachung .................................................................................1173

IV.

Gegenstand der Überwachung.................................................................................1176

V.

Überwachung durch Insolvenzverwalter.................................................................1186

VI.

Überwachung durch den Sachwalter .......................................................................1196

XX

Inhaltsverzeichnis VII. Gläubigerausschuss...................................................................................................1199 VIII. Aufsicht des Insolvenzgerichts................................................................................1202 IX.

Erweiterung der Überwachung durch Zustimmungsvorbehalte ...........................1206

X.

Andere Formen der Überwachung..........................................................................1208

XI.

Kreditaufnahme während der Überwachung ..........................................................1210

XII. Der gescheiterte Insolvenzplan ...............................................................................1211 XIII. Überwachung des Restrukturierungsplans .............................................................1223 XIV. Fazit...........................................................................................................................1224

E. Konzern § 43 Insolvenzplan im nationalen Konzern .................................................................1226 I.

Die Insolvenz im Konzern.......................................................................................1227

II.

Forderungen und Verbindlichkeiten zwischen Konzernunternehmen.................1254

III.

Sicherheiten für Gläubiger durch Konzerngesellschaften......................................1265

§ 44 Insolvenzplan im internationalen Konzern.........................................................1270 I.

Einführung ................................................................................................................1271

II.

Zuständigkeit ............................................................................................................1273

III.

Haupt-, Sekundär- und Partikularinsolvenzverfahren ...........................................1280

IV.

Anerkennung von Insolvenzplänen.........................................................................1284

F. Formulare § 45 Musterinsolvenzplan und Planrechnungen mit Erläuterungen........................1304

3. Teil Arbeitsrecht § 46 Arbeitsrechtliche Sanierungsmaßnahmen ...........................................................1393 I.

Einführung ................................................................................................................1394

II.

Arbeitsrechtliche Sanierungserleichterungen im eröffneten Insolvenzverfahren ...................................................................................................................1395

III.

Durchführung einer Betriebsänderung (§§ 111 ff. BetrVG) .................................1402

4. Teil Steuerrecht § 47 Steuerfolgen der Sanierung durch Insolvenzplan...............................................1435 I.

Einleitung..................................................................................................................1437

II.

Grundzüge der Besteuerung im (vorläufigen) Insolvenzverfahren.......................1442

XXI

Inhaltsverzeichnis III.

Steuerfolgen von Sanierungsmaßnahmen im Insolvenzverfahren .........................1475

IV.

Steuerfolgen nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens ........................................1513

V.

Steuerhaftung ............................................................................................................1517

5. Teil Evaluierung des ESUG § 48 Die Ergebnisse der ESUG-Evaluation und deren Umsetzung mit dem SanInsFoG – Weitere Zukunftsperspektiven der Restrukturierung in der Insolvenz – ....................................................................................................1523 I.

Grundlagen................................................................................................................1523

II.

Allgemeine Ergebnisse der Evaluation ....................................................................1524

III.

Wesentliche Ergebnisse der strukturierten Befragung ...........................................1525

IV.

Ergebnisse der rechtswissenschaftlichen Analyse...................................................1527

V.

Umsetzung der Evaluationsergebnisse im SanInsFoG...........................................1532

VI.

Weitere Reformperspektiven ...................................................................................1534

Stichwortverzeichnis.........................................................................................................1537

XXII

Autorenverzeichnis Dr. Hubert Ampferl, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht sowie Diplom-Betriebswirt (FH), ist Partner der Kanzlei Dr. Beck & Partner GbR. Als Insolvenzverwalter und als Sachwalter bei Eigenverwaltungen ist er spezialisiert auf operative sowie finanzwirtschaftliche Restrukturierungen mittelständischer Unternehmen. Er verfügt über langjährige Erfahrungen in der Fortführung insolventer Unternehmen und der Entwicklung branchenspezifischer Sanierungskonzepte. Er ist Mitherausgeber des Handbuches „Praxis der Insolvenz“ und Mitautor im „Bankenkommentar zum Insolvenzrecht“ (hrsg. von Cranshaw/ Paulus/Michel). Dr. Helmut Balthasar, Diplom-Kaufmann, Rechtsanwalt, ist Partner der Sozietät GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB und schwerpunktmäßig im Gesellschafts- und Restrukturierungsrecht tätig. Neben der Beratung übernimmt er auch operative Verantwortung. Er ist Mitautor im Kommentar Nerlich/Römermann „Insolvenzordnung“. Dr. Florian Becker, Rechtsanwalt, ist Partner bei Noerr PartG mbB in London und in München und schwerpunktmäßig im Gesellschafts- und Insolvenzrecht tätig. Er berät seit Jahren Insolvenzverwalter und Investoren in Restrukturierungssituationen, vor allem bei Transaktionen aus der Insolvenz. Axel W. Bierbach, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenzrecht, ist Partner der überörtlichen Insolvenzkanzlei Müller-Heydenreich Bierbach & Kollegen. Er wird seit 1998 an verschiedenen Gerichten, vor allem in München und Oberbayern sowie in Südthüringen als Insolvenzverwalter bestellt. In zahlreichen, auch internationalen Verfahren, mit und ohne Eigenverwaltung, konnte er Unternehmen durch Betriebsfortführungen und Insolvenzplanverfahren erfolgreich sanieren. Im Verband Insolvenzverwalter Deutschlands e. V. (VID) ist er seit 2015 Mitglied des Vorstands, leitet den Ausschuss „Internationales“, übernimmt die Interessenvertretung der Verbandsmitglieder in Brüssel und vertritt den VID im europäischen Dachverband nationaler Insolvenzverwaltervereinigungen, EIP. Er ist außerdem Mitglied des Gravenbrucher Kreises, Mitglied der ARGE Insolvenzrecht und Sanierung im Deutschen Anwaltverein (DAV) und dort Beirat in der Europagruppe. Dr. Frank Burmeister, Rechtsanwalt und Notar, ist Partner im Frankfurter Büro der Kanzlei Hengeler Mueller Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB. Er ist schwerpunktmäßig in den Bereichen Gesellschaftsrecht sowie M&A tätig. Er ist u. a. Mitherausgeber des „Münchener Vertragshandbuchs Gesellschaftsrecht“ und berät regelmäßig Investoren bei Käufen aus der Insolvenz und in insolvenznahen Transaktionen. Dr. Volker von Danckelmann, Rechtsanwalt, ist seit 2009 bei SGP Schneider Geiwitz Wirtschaftsprüfer Steuerberater am Standort Stuttgart. Er ist im Bereich der gerichtlichen und außergerichtlichen Sanierung und Restrukturierung tätig. Er flankiert die finanz- und ertragswirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen in den rechtlichen Themenkomplexen und begleitet operative Maßnahmen in Insolvenzverfahren. Gemeinsam mit WP Arndt Geiwitz ist er Mitautor mehrerer Fachbücher und Kommentare zur gerichtlichen und außergerichtlichen Sanierung. Prof. Dr. Martin Dreschers, Rechtsanwalt, ist Partner der überregionalen Sozietät DENS Insolvenzverwalter und wird regelmäßig von den Insolvenzgerichten Aachen, Köln und Mönchengladbach in Verfahren aller Branchen und Größenordnungen zum Sachverständigen, Treuhänder, Sachwalter und Insolvenzverwalter bestellt. Er ist Fachanwalt für Insol-

XXIII

Autorenverzeichnis venzrecht und verfügt über eine mehrjährige Erfahrung im Umgang mit grenzüberschreitenden Insolvenzen. Neben einer umfassenden Vortragstätigkeit im In- und Ausland ist er Autor diverser Fachveröffentlichungen zu allen Bereichen des Insolvenzrechts. Prof. Dr. Lucas F. Flöther zählt seit Jahren zu den führenden Sanierungs- bzw. Restrukturierungsexperten und Insolvenzverwaltern in Deutschland. Prof. Dr. Lucas F. Flöther ist Gründungs- und Namens-Partner der Rechtsanwaltskanzlei FLÖTHER & WISSING. Prof. Dr. Lucas F. Flöther bringt viel Erfahrung mit: Seit 1999 wird er regelmäßig in verschiedenen Sanierungs- und Restrukturierungskonstellationen sowohl von Unternehmen als auch Gerichten beauftragt. Er betreut regelmäßig namhafte Groß- bzw. Konzernverfahren wie z. B. Air Berlin, Condor, Niki Luftfahrt, Unister oder Mifa. Prof. Dr. Lucas F. Flöther referiert und veröffentlicht zu verschiedenen Aspekten des Restrukturierungs-, Sanierungs- sowie Insolvenzrechts. Er ist Sprecher des Gravenbrucher Kreises und seit 2012 Honorarprofessor für Bürgerliches Recht und Insolvenzrecht an der Martin-LutherUniversität Halle-Wittenberg. Dr. Michael C. Frege, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Insolvenzverwalter und Wirtschaftsmediator, ist Partner der Kanzlei CMS Hasche Sigle. Seinen beruflichen Schwerpunkt hat er in der Insolvenzverwaltung, insbesondere von international tätigen Konzernunternehmen und Kreditinstituten. Er ist Autor zahlreicher Fachbeiträge und Fachbücher, u. a. Frege/Riedel, „Schlussbericht und Schlussrechnung“, Frege/Keller/Riedel, „HRP Handbuch der Rechtspraxis Insolvenzrecht“, Frege, „Verhandlungserfolg in Unternehmenskrise und Sanierung“ und Frege, „Der Sonderinsolvenzverwalter“. Arndt Geiwitz ist Geschäftsführender Gesellschafter des Kanzleiverbundes SGP Schneider Geiwitz. Er studierte an der Universität Passau, ist Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und seit mehr als 25 Jahren im Bereich der Restrukturierung tätig. Als Wirtschaftsprüfer berät er insbesondere mittelständische Unternehmen sowie börsennotierte Unternehmen und Konzerne in den Gebieten Risikomanagement, Strategie, Nachfolgeregelung und M&A. Er begleitet zahlreiche außergerichtliche Restrukturierungen und berät als Generalbevollmächtigter Gesellschaften in großen Insolvenzverfahren. Seit 2000 wird er als Insolvenzverwalter und seit 2012 als Sachwalter bestellt. Arndt Geiwitz ist (Mit-)Autor zahlreicher Veröffentlichungen und Handbücher, Mitherausgeber des „Beck`schen Online Kommentar InsO“ und Autor im „WP-Handbuch“. Er ist u. a. Mitglied im Gravenbrucher Kreis und im Verband Insolvenzverwalter Deutschlands e. V. (VID). Dr. Andree Gossak, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei GOSSAK Rechtsanwälte, berät seit über 20 Jahren Unternehmen und Insolvenzverwalter in arbeitsrechtlichen Restrukturierungsfällen, häufig an der Schnittstelle zu Krise und Insolvenz. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt im Insolvenzarbeitsrecht, zu dem er regelmäßig veröffentlicht und referiert. Dr. Andree Gossak ist zudem geprüfter ESUG-Berater (DIAI). Severin Haneke, Rechtsanwalt und Partner bei Müller-Heydenreich Bierbach & Kollegen, Rechtsanwälte für Sanierung und Insolvenz. Er leitet dort die überörtliche Rechts- und Prozessführungsabteilung. Er begleitet mit seinem Team die Insolvenzverwalter der Kanzlei bei allen Fragestellungen im Insolvenzrecht und in angrenzenden Rechtsgebieten und berät externe Mandanten zu Gläubigerrechten oder in M&A-Transaktionen. Er ist Mitautor im „Beck’schen Onlinekommentar Insolvenzrecht“ (hrsg. von Fridgen/Geiwitz/Göpfert). Dr. Matthias Hofmann, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht, ist Partner der Kanzlei POHLMANN HOFMANN Insolvenzverwalter Rechtsanwälte Partnerschaft, die im süddeutschen Raum in der Unternehmensinsolvenzverwaltung und in der Begleitung von Eigenverwaltungen tätig ist. Er wurde seit 2007 in rund 1.000 Unter-

XXIV

Autorenverzeichnis nehmensinsolvenzverfahren als Gutachter, (vorl.) Insolvenzverwalter oder (vorl.) Sachwalter bestellt und war zudem bereits als Restrukturierungsbeauftragter in Verfahren nach dem StaRUG tätig. Darüber hinaus ist er mit einer Veranstaltung zum Thema „Eigenverwaltung“ Lehrbeauftragter des Masterstudiengangs Unternehmensrestrukturierung und Insolvenzmanagement der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen. Mit dem Thema „Eigenverwaltung“ hat sich Dr. Matthias Hofmann bereits i. R. seiner Dissertation sowie i. R. mehrerer Veröffentlichungen befasst. Er ist Alleinautor eines Praxisbuchs zur „Eigenverwaltung“, Mitautor des „InsO“-Kommentars von Graf-Schlicker, des „StaRUG“Kommentars von Jacoby/Thole und Verfasser zahlreicher insolvenzrechtlicher Aufsätze und Urteilsanmerkungen. Zudem ist er Mitglied des Vorstands der Gesellschaft für Restrukturierung – TMA Deutschland e. V. Prof. Dr. habil. Gerrit Hölzle, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Fachanwalt für Steuerrecht sowie Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, ist Partner der überregionalen Sozietät GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB. Er ist im Schwerpunkt als Insolvenzverwalter tätig; in einer Vielzahl auch großer Eigenverwaltungen hat er Organverantwortung übernommen und Unternehmenssanierungen in zum Teil auch sehr komplexen Insolvenzplanverfahren gestaltet. Er hat sich im Jahr 2011 an der Universität Bremen mit der venia legendi für Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht, Insolvenzund Steuerrecht habilitiert und ist seither dort als Privatdozent tätig. Prof. Dr. habil. Gerrit Hölzle ist durch eine Vielzahl von Publikationen im Insolvenzrecht sowie dem insolvenznahen Gesellschafts- und Steuerrecht ausgewiesen. Er ist Mitautor des „InsO“-Kommentars von Karsten Schmidt, gemeinsam mit Reinhard Bork Herausgeber des „Handbuchs Insolvenzrecht“ und Alleinautor des bereits in zweiter Auflage erschienenen „Praxisleitfaden ESUG“. Burkhard Jung ist als Partner bei Deloitte im Bereich Turnaround & Restructuring tätig. Er verfügt über seit 1990 in zahlreichen Beratungsmandaten und Insolvenzverfahren erworbene, umfassende Erfahrungen in der außergerichtlichen Sanierung, in der Sanierung in der Insolvenz (Regel-, Eigenverwaltungs- oder Schutzschirmverfahren) und im Bereich Distressed M&A. Dabei übernimmt er auch häufig die operative Verantwortung im Unternehmen als Sanierungsgeschäftsführer (CRO). Burkhard Jung ist Vorsitzender des Fachverbandes Sanierungs- und Insolvenzberatung des Bundesverbandes Deutscher Unternehmensberater BDU e. V. Dr. Günter Kahlert, Rechtsanwalt und Steuerberater, Flick Gocke Schaumburg, Hamburg. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit ist die Beratung und Vertretung von Unternehmen, Geschäftsführungsorganen und Insolvenzverwaltern an der Schnittstelle Insolvenzrecht/Steuerrecht. Dr. Günter Kahlert ist Vorsitzender des Hamburger Kreis für Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht e. V., Gastdozent an der Bundesfinanzakademie, Mitglied im Fachausschuss Sanierung und Insolvenz (FAS) des Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V. und Mitglied des Herausgeberbeirats der „ZIP“. Er veröffentlicht und referiert regelmäßig zu Themen an der Schnittstelle Insolvenzrecht/Steuerrecht. Dr. Steffen Koch, Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter, ist Partner im Hamburger Büro und Standortleiter für die Büros in Bielefeld, Hannover und Kassel von hww wienberg wilhelm, einer bundesweit agierenden Kanzlei für Insolvenzverwaltung und Sanierungsberatung. Darüber hinaus hat er für hww wienberg wilhelm in den letzten Jahren ein weltweites Netzwerk von Restrukturierungsspezialisten aufgebaut, das als „hww insolvency cooperation partners“ grenzüberschreitende Fragestellungen abbildet. Er ist u. a. aktives Mitglied von ABI, IBA, INSOL International sowie deutscher Vertreter im Council von INSOL Europe. Dr. Sandra Körner, Rechtsanwältin, Dipl.-Rechtspflegerin (FH) ist Partnerin der RST Rendels Körner & Partner mbB in Köln und seit dem Jahr 2011 im Insolvenz- und SanieXXV

Autorenverzeichnis rungsrecht tätig. Sie verfügt aufgrund ihrer Erfahrung aus der Abwicklung im Insolvenzverwalterbereich über umfassende Expertise in der Beratung und Prozessführung sowohl auf Gläubiger- als auch auf Schuldnerseite. Als vormalige Rechtspflegerin ist sie mit allen Bereichen der Justiz vertraut. Zu ihren Interessenschwerpunkten gehören außerdem das Handels- und Gesellschaftsrecht sowie das Sachen- und Kreditsicherungsrecht. Sie veröffentlicht regelmäßig als Fachautorin u. a. in „ZRI“ und „EWiR“. Dr. Stephan Kolmann, Rechtsanwalt, ist in der Restrukturierungs- sowie insolvenzrechtlichen Beratung von KJK Kolmann Jakobs Kramer in München und Regensburg als Partner tätig. Seine Veröffentlichungen umfassen u. a. die Kapitel „Internationales Insolvenzrecht“ und „Die GmbH in der Insolvenz“ im Insolvenzrechtshandbuch (hrsg. von Gottwald/Haas), die Kommentierung der „Gesellschafterfremdfinanzierung“, der „krisenbezogenen Geschäftsführerpflichten und -haftungsrisiken“ im Handkommentar GmbHG (hrsg. von Saenger/ Inhester) sowie das ZIP-Praxisbuch „Schutzschirmverfahren“. Er referiert regelmäßig zum Wirtschafts- und Insolvenzrecht. Dr. Bruno M. Kübler, Rechtsanwalt in Köln und Dresden (KÜBLER RIS) mit langjähriger Erfahrung als Insolvenzverwalter. Er war mehrere Jahre Präsident von INSOL Europe sowie Mitgründer und langjähriger Sprecher des Gravenbrucher Kreises. Er ist Mitherausgeber und -autor des „InsO“-Kommentars von Kübler/Prütting/Bork und Geschäftsführender Herausgeber der Zeitschriften „ZRI“ und „ZfIR“. Prof. Dr. Stephan Madaus ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Zivilprozessund Insolvenzrecht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Er ist Mitherausgeber der „NZI“ und Autor zahlreicher Veröffentlichungen mit Schwerpunkt zum Recht der Unternehmenssanierung in Deutschland und Europa. Er ist Mitglied in der Expert Group on Restructuring and Insolvency der Europäischen Kommission, Mitbegründer der Conference of European Restructuring an Insolvency Law (CERIL) sowie Mitglied des International Insolvency Institute, dessen Academic Committee er 2018–2021 gemeinsam mit Louise Gullifer leitete. Gemeinsam mit Bob Wessels (Leiden University) führte er das European Law Institute‘s Project on Rescue of Business in Insolvency Law und erstellte als Mitglied der Bietergemeinschaft für das BMJV den Bericht zur „ESUG Evaluierung“. Dr. Peter C. Minuth, Rechtsanwalt, M.A. Econ. (USA), wechselt zum Jahresbeginn 2023 zur ADKL-Gruppe in Düsseldorf. Er wird seit mehr als 15 Jahren regelmäßig zum Treuhänder, Sachwalter und Insolvenzverwalter bestellt. Darüber hinaus wirkte er in zahlreichen, auch international bekannten Insolvenzverfahren mit und betreute verschiedene Mandate in der Sanierungsberatung. Dr. Peter C. Minuth referierte und veröffentlichte u. a. zum Insolvenzplanverfahren, zum ESUG und zur Eigenverwaltung. Er ist auch Autor zu Fragen des amerikanischen Insolvenzrechts. Prof. Dr. Rolf-Dieter Mönning, Rechtsanwalt, war Gründer und Seniorpartner der 1980 mit Stammsitz in Aachen errichteten Sozietät Mönning & Georg. Ab 1.7.2017 vereinigten sich Prof. Dr. Rolf-Dieter Mönning und Udo Feser in der überregional tätigen Sozietät Mönning Feser Partner, die sich auf die professionelle Abwicklung von Insolvenzverfahren sowie Sanierungsberatung spezialisiert hat. Er wird seit 1979 mit der Abwicklung von Konkurs-, Vergleichs-, Gesamtvollstreckungs- und Insolvenzverfahren beauftragt und hat bis heute über 3.000 Verfahren unterschiedlicher Größenordnungen mit Schwerpunkt Fortführung und Sanierung bearbeitet. Prof. Dr. Rolf-Dieter Mönning veröffentlicht und referiert regelmäßig im In- und Ausland zu insolvenzrechtlichen Themen und ist Herausgeber des im RWS Verlags erscheinenden Handbuchs „Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz“. Bis zu seiner Emeritierung war er ordentlicher Professor für Unternehmensrecht an der Fachhochschule Aachen. XXVI

Autorenverzeichnis Prof. Dr. Anette U. Neußner, LL.M. oec., Rechtsanwältin, Wirtschaftsmediatorin und Legal Coach, ist seit mehr als 20 Jahren mit komplexen insolvenzrechtlichen Rechtsfragen und Vertragsgestaltungen, insbesondere in Sanierungskonstellationen, sowie mit Fragen der Geschäftsführerhaftung innerhalb und außerhalb einer Insolvenz befasst. Sie berät bei der Einleitung und in Insolvenzverfahren wie auch Investoren beim Erwerb aus der Insolvenz. Seit ESUG konzentriert sich ihre Tätigkeit auf Eigenverwaltungsverfahren und die Erstellung von Insolvenzplänen. Nach vielen Jahren in einer bundesweit tätigen, führenden deutschen Insolvenzkanzlei hat sich Prof. Dr. Anette Neußner der Kanzlei BREITENBÜCHER angeschlossen. Zu ihren Veröffentlichungen gehören insbesondere das Sonderrecht für Gesellschafterleistungen in der Insolvenz im Graf-Schlicker, „Kommentar zur InsO“, sowie die Mitautorenschaft im „Kölner Kommentar zur Insolvenzordnung“. Prof. Dr. Anette Neußner referiert regelmäßig zu insolvenzrechtlichen Themen. An der Universität Erfurt hat sie eine Honorarprofessur inne. Prof. Dr. Matthias Nicht, Hochschullehrer, war er über mehrere Jahre als Rechtsanwalt bei der CMS Hasche Sigle Insolvenzberatung und -verwaltung tätig, zuletzt in der Position eines Counsel. Sein Arbeitsschwerpunkt lag in der Insolvenzverwaltung international tätiger Konzernunternehmen. Daneben war er mit der insolvenzspezifischen Beratung und Vertragsgestaltung befasst, insbesondere im Kontext von Finanzierungsverträgen. Seit 2016 ist er als Professor für Bürgerliches Recht, Vollstreckungs- und Insolvenzrecht, Registerrecht tätig. In diesem Rahmen ist er vornehmlich für die theoretische Ausbildung von Rechtspflegern für die Amtsgerichte zuständig. Er ist Autor u. a. im „Handbuch Konzerninsolvenzrecht“ (hrsg. von Wilhelm), „Handbuch Konzerninsolvenzrecht“ (hrsg. von Flöther), „Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts“ (hrsg. von Theiselmann). Er kommentiert Vorschriften der InsO im „Online-Kommentar zur InsO“ des C.H.Beck-Verlages und im „Kölner Kommentar zur InsO“ und Vorschriften des ZVG im bekannten „Kommentar zum Zwangsversteigerungsrecht“ von Stöber. Prof. Dr. Christian Pleister, Rechtsanwalt, Partner bei Noerr PartGmbB in Berlin und Frankfurt am Main. Er leitet das Corporate Team von Noerr, zu dem auch die Beratung in Restrukturierung, Distressed M&A und Insolvenzrecht zählt. Er berät schwerpunktmäßig Gläubiger, Unternehmen, Insolvenzverwalter und Investoren im Gesellschafts- und Insolvenzrecht, insbesondere bei Restrukturierungen und Transaktionen. Prof. Dr. Christian Pleister war Sachverständiger bei der Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags zum ESUG und ist regelmäßig Referent zum Gesellschafts- und Insolvenzrecht. Dr. Dietmar Rendels, Rechtsanwalt, ist Partner der RST Rendels Körner & Partner mbB in Köln. Er ist seit über 25 Jahren schwerpunktmäßig als Berater und Prozessanwalt im Sanierungs- und Insolvenzbereich tätig. Er referiert regelmäßig zum Sanierungs- und Insolvenzrecht und veröffentlicht als Fachautor u. a. in „ZRI“ und „EWiR“. Er ist Mitautor des ZIP-Praxisbuches „Insolvenzplan“ (gemeinsam mit Karsten Zabel; 2. Aufl., 2015). Dr. Dietmar Rendels war im Gesetzgebungsverfahren zum ESUG Sachverständiger i. R. einer Sachverständigenanhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages. Dr. Jens M. Schmidt, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht sowie Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Mediator, ist geschäftsführender Partner der Sozietät RUNKEL Rechtsanwälte. Er wird regelmäßig als Insolvenzverwalter und Sachwalter durch Amtsgerichte in Nordrhein-Westfalen bestellt. Seine Tätigkeitsschwerpunkte liegen über die Insolvenzverwaltung hinaus in der Sanierungsberatung und Vertretung von Unternehmen und Organen in der Krise und Restrukturierung. Er ist Mitherausgeber des „Anwaltshandbuchs Insolvenzrecht“ sowie Autor verschiedener Publikationen zum Thema Insolvenzrecht. Darüber hinaus referiert er regelmäßig zu Themen des Insolvenz- und Gesellschafts-

XXVII

Autorenverzeichnis rechts. Dr. Jens M. Schmidt ist Mitglied im Gravenbrucher Kreis und Beirat des Verbands Insolvenzverwalter Deutschlands e. V. (VID). Dr. Thilo Schultze ist Rechtsanwalt und Partner im Stuttgarter Büro der Kanzlei Grub Brugger & Partner. Er ist u. a. Mitautor des „Bankenkommentars zum Insolvenzrecht“, Herausgeber der „Deutschen Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht“ und war viele Jahre Herausgeber des „Forderungspraktikers“. Er begleitet seit über 15 Jahren sowohl Unternehmen in der Krise und Insolvenz als auch deren Organe, Gesellschafter und Gläubiger. Damit verbunden sind regelmäßig M&A-Transaktionen und Poolführungen. Als (doppelnütziger) Treuhänder übernimmt er auch operative Verantwortung für die erforderlichen Sanierungsmaßnahmen. Detlef Specovius, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, ist Partner der Kanzlei Schultze & Braun in Achern und hat eine 30-jährige Erfahrung als Insolvenzverwalter und Restrukturierer. Neben der Beratung in insolvenznahen Beratungsmandaten übernimmt er auch operative Verantwortung. Er ist u. a. Mitautor des Braun, „Kommentar zur InsO“. Darüber hinaus referiert er regelmäßig zu Themen des Insolvenzrechts. Dr. Jasper Stahlschmidt, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht, Zertifizierter Sanierungsmoderator und Restrukturierungsbeauftragter (DIAI), ist geschäftsführender Gesellschafter der Buchalik Brömmekamp Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Düsseldorf. Er ist dort mit der Sanierungsberatung insbesondere der Begleitung von Unternehmen in Eigenverwaltungsverfahren befasst. In diesem Rahmen nimmt er auch Funktionen als Interimsgeschäftsführer wahr. Daneben wird er auch regelmäßig zum Insolvenzverwalter bestellt und ist als Restrukturierungsbeauftragter gelistet. Seit Beginn seiner Tätigkeit hat er sich auf das Insolvenzrecht spezialisiert. Er veröffentlicht zu diesem Themengebiet u. a. in der „EWiR“ und hält regelmäßig Fachvorträge und Seminare. Dr. Martin Tasma ist Rechtsanwalt und Partner im Berliner Büro der Kanzlei Hengeler Mueller Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB. Sein Schwerpunkt ist die Beratung von Mandanten im Zusammenhang mit finanziellen Krisensituationen. Gegenstand seiner Beratungspraxis sind insbesondere Finanzrestrukturierungen, Distressed M&A-Transaktionen – auch aus der Insolvenz heraus – sowie Rechtsstreitigkeiten im Krisen- bzw. Insolvenzkontext. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf komplexen Multi-StakeholderKonstellationen. Er ist Mitautor des „Handbuchs Unternehmensrestrukturierungen“. Dr. Ingo Theusinger ist Rechtsanwalt und Partner der international tätigen Sozietät Noerr PartGmbB in Düsseldorf. Die Schwerpunkte seiner Beratung liegen im Kapitalgesellschaftsrecht (einschließlich der Schnittstellen zum Insolvenzrecht) und im Konzernrecht sowie im Bereich Compliance. Er verfügt insbesondere über umfassende Erfahrung bei der gesellschaftsrechtlichen Aufarbeitung von Insolvenzen. Dr. Ingo Theusinger veröffentlicht regelmäßig in Fachpublikationen und hält Vorträge zum Gesellschaftsrecht. Prof. Dr. Christoph Thole ist Universitätsprofessor an der Universität zu Köln und Direktor des dortigen Instituts für Verfahrensrecht und Insolvenzrecht sowie des Instituts für Internationales und Europäisches Insolvenzrecht. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zum deutschen und europäischen Insolvenz- und Restrukturierungsrecht sowie u. a. Mitherausgeber des „Heidelberger Kommentars zur InsO“ und des „Handbuchs Insolvenzplan“. Er war Teil des Forscherteams bei der vom BMJV beauftragten Evaluierung des ESUG. Dr. Lars Westpfahl ist Rechtsanwalt und Partner im Hamburger Büro der internationalen Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer PartG mbB. Er hat die deutsche Restrukturierungs- und Insolvenzpraxis bei Freshfields gegründet und leitet diese seitdem.

XXVIII

Autorenverzeichnis Sie wird regelmäßig ebenso wie Lars Westpfahl selbst als marktführend beschrieben. Ein Schwerpunkt der Tätigkeit von Dr. Lars Westpfahl liegt auf der Beratung von deutschen Unternehmen bei ihrer finanziellen Restrukturierung, häufig in komplexen Konstellationen wie etwa bei börsennotierten Unternehmen mit vielschichtigen Finanzierungsstrukturen. Er berät aber auch Kreditgeber bei der finanziellen Restrukturierung ihrer Kreditnehmer. Über die Jahre war Dr. Lars Westpfahl an den meisten jener Mandate beteiligt, die die deutsche Sanierungs- und Insolvenzlandschaft geprägt haben. Karsten Zabel, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, ist geschäftsführender Gesellschafter der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft RST HANSA GmbH in Essen. Vorrangig befasst er sich mit der Erstellung und Beurteilung von Sanierungskonzepten, Insolvenzplänen und integrierten Planungsrechnungen. Daneben erstellt er regelmäßig Bescheinigungen nach § 270d InsO i. R. eines Schutzschirmverfahrens. Er verfügt über umfassende Erfahrungen in der Prüfung und Beratung von Unternehmen in der Krise und beschäftigt sich zudem regelmäßig mit handels- und steuerrechtlichen Fragen im Sanierungs- und Insolvenzbereich. Daneben unterstützt er Insolvenzverwalter bei der Fortführung und Restrukturierung von Unternehmen und referiert regelmäßig zu ausgewählten Themen des Sanierungs- und Insolvenzrechts. Er ist Mitautor des ZIP-Praxisbuches „Insolvenzplan“ (gemeinsam mit Dietmar Rendels; 2. Aufl., 2015) und Mitglied im Herausgeberbeirat der „ZRI“.

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Literaturverzeichnis*) Achsnick/Opp, Die doppelnützige Treuhand in der Sanierung, 3. Aufl., 2021 (zit.: Die doppelnützige Treuhand) Adler/Capkun/Weiss, Destruction of Value in the New Era of Chapter 11, 2013 Adler/Düring/Schmalz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl., 1998 Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenzrecht, 4. Aufl., 2020 (zit.: Bearbeiter in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR) Altmeppen, GmbHG, Kommentar, 10. Aufl., 2021 (zit.: Bearbeiter in: Altmeppen, GmbHG) Ampferl, Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter in der Unternehmensinsolvenz, 2002 (zit.: Ampferl, Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter) Andres/Leithaus, InsO, Kommentar, 4. Aufl., 2018 (zit.: Bearbeiter in: Andres/Leithaus, InsO) Ascheid/Preis/Schmidt, I., Großkommentar zum Kündigungsrecht, 6. Aufl., 2021 (zit.: Bearbeiter in: Ascheid/Preis/I. Schmidt, Großkomm-Kündigungsrecht) Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, 2. Aufl., 1999 Basedow/Drobnig/Ellger/Hopt/Kötz/Kulms/Mestmäcker, Aufbruch nach Europa, 2001 Baumbach/Hopt siehe Hopt Baumbach/Hueck siehe Noack/Servatius/Haas Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle, ZPO, Kommentar, 79. Aufl., 2021 (zit.: Bearbeiter in: Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle, ZPO) Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung, 2017 Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, 3. Aufl., 2017 Becker, Kooperationspflichten in der Konzerninsolvenz, 2012 Beck’scher BilanzKommentar, hrsg. v. Förschle/Grottel/Schmidt et al., 12. Aufl., 2020 (zit.: Bearbeiter in: Beck’scher Bilanz-Kommentar) Beck’scher Online-Kommentar Arbeitsrecht, hrsg. v. Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/ Udsching, Stand: 65. Ed. 9/2022 (zit.: Bearbeiter in: BeckOK-ArbR) Beck’scher Online-Kommentar BVerfGG, hrsg. v. Walter/Grünewald, Stand: 1. Ed. 11/2016 (zit.: Bearbeiter in: BeckOK-BVerfGG) Beck’scher Online-Kommentar Insolvenzrecht, hrsg. v. Fridgen/Geiwitz/Göpfert, Stand: 30. Ed. 15.1.2023 (zit.: Bearbeiter in: BeckOK-InsR) Beck’scher Online-Kommentar StaRUG, hrsg. v. Skauradszun/Fridgen, Stand: 7. Ed. 1/2023 (zit.: Bearbeiter in: BeckOK-StaRUG) Beck’sches Formularbuch Bürgerliches, Handels- und Wirtschaftsrecht, hrsg. v. Gebele/Scholz, 14. Aufl., 2022 (zit.: Bearbeiter in: Beck’sches FormB BHW) Beck’sches Mandatshandbuch Arbeitsrecht, hrsg. v. Regh/Fanselow/Jakubowski/Kreplin, 3. Aufl., 2022 (zit.: Bearbeiter in: Beck’sches Mandatshdb. ArbR) ___________ *) Themenspezifische Literatur sowie Zeit- und Festschriftenbeiträge siehe die Literaturübersichten zu Beginn der einzelnen Paragraphen.

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Literaturverzeichnis Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 5. Aufl., 2021 Bernsau/Höpfner/Rieger/Wahl, Handbuch der übertragenden Sanierung, 2002 (zit.: Bernsau/Höpfner/Rieger/Wahl, Hdb. der übertragenden Sanierung) Binz, Konkurrierende Insolvenzpläne, 2001 Binz/Sorg, Die GmbH & Co. KG, 12. Aufl., 2018 Blersch/Goetsch/Haas, Berliner Kommentar Insolvenzrecht, Loseblatt, Stand: 79. EL 11/2022 (zit.: Bearbeiter in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR) Blomeyer/Rolfs/Otto, BetrAVG, Kommentar, 7. Aufl., 2018 (zit.: Bearbeiter in: Blomeyer/Rolfs/Otto, BetrAVG) Blümich, EStG/KStG/GewStG, Kommentar, Loseblatt, Stand: 162. EL 5/2021 (zit.: Bearbeiter in: Blümich, EStG/KStG/GewStG) Bönner, Unternehmerisches Ermessen und Haftung des Insolvenzverwalters im Vergleich, 2009 Borchardt/Frind, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, 3. Aufl., 2017 Bork, Sanierungsrecht in Deutschland und England, 2011 Bork/Hölzle, Handbuch Insolvenzrecht, 2. Aufl., 2019 (zit.: Bearbeiter in: Bork/Hölzle, Hdb. Insolvenzrecht) Bork/Wiese, Die Rechtsstellung des Insolvency Practitioners, 2011 Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, 161. Aufl., 2022 (zit.: Bearbeiter in: Brandis/Heuermann, EStR) Braun, Die vorinsolvenzliche Sanierung von Unternehmen, 2015 Braun, InsO, Kommentar, 8. Aufl., 2020, 9. Aufl., 2022 (zit.: Bearbeiter in: Braun, InsO) Braun, Insolvenzrecht und Unternehmenssanierung, Jahrbuch 2020 Braun, StaRUG, Kommentar, 1. Aufl., 2021 (zit.: Bearbeiter in: Braun, StaRUG) Braun/Uhlenbruck, Muster eines Insolvenzplans, 1998 Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, 1997 Brühl/Göpfert, Unternehmensrestrukturierung, Strategien, Konzepte und Praxiserfahrungen, 2. Aufl., 2014 Bruhn, Kommunikationspolitik – Systematischer Einsatz der Kommunikation für Unternehmen, 8. Aufl., 2015 Brüning, Gesellschafter und Insolvenzplan, 2006 Brünkmans, Die Koordinierung von Insolvenzverfahren konzernverbundener Unternehmen nach deutschem und europäischem Insolvenzrecht, 2009 Brünkmans/Thole, Handbuch Insolvenzplan, 2. Aufl., 2020 (zit.: Bearbeiter in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan) Bühring-Uhle/Eidenmüller/Nelle, Verhandlungsmanagement, 2. Aufl., 2017 Bunjes, UStG, Kommentar, 20. Aufl., 2021 (zit.: Bearbeiter in: Bunjes, UStG) Bunte/Zahrte, AGB-Banken/AGB-Sparkassen/Sonderbedingungen: AGB-Banken, 5. Aufl., 2019 Bürgers/Körber/Lieder, AktG, Kommentar, 5. Aufl., 2021 (zit.: Bearbeiter in: Bürgers/Körber/Lieder, AktG) Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, 5. Aufl., 2022 XXXII

Literaturverzeichnis Cadmus, Die Haftung der GmbH und ihres Geschäftsführers in der Eigenverwaltung, KTS Schriften zum Insolvenzrecht, Bd. 51: 2016 (zit.: Cadmus, Haftung in der Eigenverwaltung) Cranshaw/Paulus/Michel, Bankenkommentar zum Insolvenzrecht, 3. Aufl., 2016 (zit.: Bearbeiter in: Cranshaw/Paulus/Michel, Bankenkommentar) Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, 6. Aufl., 2021 Davydenko/Franks, Do Bankruptcy Codes Matter?, 2006 Deubert/Förschle/Störk, Sonderbilanzen, 6. Aufl., 2021 (zit.: Bearbeiter in: Deubert/Förschle/Störk, Sonderbilanzen) Diem/Jahn, Akquisitionsfinanzierungen, 4. Aufl., 2019 Dietrich, Die Eigenverwaltung als Sanierungsweg nach dem neuen Insolvenzrecht, 2002 (zit.: Dietrich, Die Eigenverwaltung als Sanierungsweg) Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, Kommentar, Loseblatt, Stand: 108. EL 2022 (zit.: Bearbeiter in: Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG) Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Kommentar, 2002 (zit.: Bearbeiter in: Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO) Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 3. Aufl., 2019 Ehricke, Das abhängige Konzernunternehmen in der Insolvenz, 1998 Eidenmüller, Alternative Streitbeilegung, 2011 Eidenmüller, Finanzkrise, Wirtschaftskrise und das Deutsche Insolvenzrecht, 2009 Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, 1999 Ellenberger/Bunte, Bankrechts-Handbuch, 6. Aufl., 2022 (zit.: Bearbeiter in: Ellenberger/Bunte, Bankrechts-Hdb.) Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 9. Aufl., 2019 (zit.: Bearbeiter in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht) Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, hrsg. v. Müller-Glöge/Preis/Schmidt, 21. Aufl., 2021 (zit.: Bearbeiter in: ErfK) Ernst/Schneider/Thielen, Unternehmensbewertungen erstellen und verstehen, 5. Aufl., 2012 Finch, Corporate Insolvency Law: Perspectives and Principles, 2009 Fischer, Die unternehmerischen Mitwirkungsrechte der Gläubiger in der Überwachungsphase des Insolvenzplans, 2002 Fisher/Ury/Patton, Das Harvard-Konzept, 6. Aufl., 2018 Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG Handkommentar, 30. Aufl., 2020 (zit.: Bearbeiter in: Fitting u. a., BetrVG) Flessner, Sanierung und Reorganisation – Insolvenzverfahren für Großunternehmen in rechtsvergleichender und rechtspolitischer Untersuchung, 1982 Flöther, Handbuch zum Konzerninsolvenzrecht, 2. Aufl., 2018 (zit.: Bearbeiter in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht) Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, 2005 Frank, Die Überwachung der Insolvenzplanerfüllung, 2002 Frege, Der Sonderinsolvenzverwalter, 2. Aufl., 2012 XXXIII

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XXXVII

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XXXVIII

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XL

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XLI

Abkürzungsverzeichnis a. A. ABl. abl. abw. AEAO AEntG AEUV a. F. AFG AFRG AG AGB-Bk AGG AGInsO AHB ähnl. AktG allg. Alt. AnfG Anh. Anm. AnwBl. AnwK AO AP ArbG ArbGG AuA ausf. Ausschuss R/V

anderer Ansicht Amtsblatt der Europäischen Union ablehnend abweichend Anwendungserlass zur Abgabenordnung Arbeitnehmer-Entsendegesetz Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Arbeitsförderungsgesetz Arbeitsförderungs-Reformgesetz Aktiengesellschaft (auch Zeitschrift); Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen der Banken Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Ausführungsgesetze der Länder zur InsO Anwaltshandbuch ähnlich Aktiengesetz allgemein Alternative Anfechtungsgesetz Anhang Anmerkung Anwaltsblatt Anwaltskommentar Abgabenordnung Arbeitsrechtliche Praxis Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbeit und Arbeitsrecht ausführlich Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (des Deutschen Bundestages)

BA BaFin BAG BAGE BAKred BAnz BayObLG BB BBiG Begr. BetrAVG BetrVG BFH

Bundesanstalt für Arbeit; Bundesagentur für Arbeit Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen Bundesanzeiger Bayerisches Oberstes Landesgericht Betriebs-Berater Berufsbildungsgesetz Begründung Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung Betriebsverfassungsgesetz Bundesfinanzhof

XLIII

Abkürzungsverzeichnis BFH/NV BFHE BFuP BG BGB BGBl. BGH BGHZ BilMoG BMF BNotO BörsG BRAO BR-Drucks. BSG BSHG bspw. BStBl. BT-Drucks. BUrlG BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE bzw. CCZ COMI COREP COVAbmildG COVGesMG

COVInsAG

DAV DB DBW d. h. diff. DiskE DJT

XLIV

Sammlung nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis Bundesgericht (Schweiz) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz Bundesministerium der Finanzen Bundesnotarordnung Börsengesetz Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesratsdrucksache Bundessozialgericht Bundessozialhilfegesetz beispielsweise Bundessteuerblatt Bundestagsdrucksache Bundesurlaubsgesetz Bundesverfassungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts beziehungsweise Corporate Compliance Zeitschrift centre of main interests Common Solvency Ratio Reporting Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz (COVID-19Insolvenzaussetzungsgesetz – COVInsAG) Deutscher Anwaltverein Der Betrieb Die Betriebswirtschaft das heißt differenzierend Diskussionsentwurf Deutscher Juristentag

Abkürzungsverzeichnis DNotZ DÖV DRiZ Drucks. DStR DStZ DZWIR DZWIR

Deutsche Notar-Zeitschrift Die Öffentliche Verwaltung Deutsche Richterzeitung Drucksache Deutsches Steuerrecht Deutsche Steuer-Zeitung Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht (seit 1.1999) Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

EFZG EG EGAktG EGBGB EGInsO EGV ErfK ErwG EStG ESUG

Entgeltfortzahlungsgesetz Europäische Gemeinschaften Einführungsgesetz zum Aktiengesetz Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht Erwägungsgrund/-gründe Einkommensteuergesetz Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen EU Europäische Union EuGVVO Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen EuInsVO Europäische Insolvenzverordnung (VO (EU) 2015/848) EuInsVO a. F./2000 Europäische Insolvenzverordnung (VO (EG) Nr. 1346/2000) EUV Vertrag über die Europäische Union EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EWiR Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht EWIV Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung EWR Europäischer Wirtschaftsraum EzA Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht f./ff. FA FG FGO FinDAG FMSA FMStBG

FMStErgG FMStFG FMStG Fn. FR FSB

folgende/folgenden Finanzausschuss (des Deutschen Bundestages) Finanzgericht Finanzgerichtsordnung Gesetz über die integrierte Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung des Erwerbs von Anteilen an sowie Risikopositionen von Unternehmen des Finanzsektors durch den Finanzmarktstabilisierungsfonds Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz Finanzmarktstabilisierungsgesetz Fußnote Finanz-Rundschau Financial Stability Board

XLV

Abkürzungsverzeichnis GBO GebrMG ggf. GenG GesO GewO GewStG GewStR GG GK GKG GmbH GmbHG GmbHR GmbH-StB GrS GrStG GRUR GVG GWR

Grundbuchordnung Gebrauchsmustergesetz gegebenenfalls Genossenschaftsgesetz Gesamtvollstreckungsordnung Gewerbeordnung Gewerbesteuergesetz Gewerbesteuer-Richtlinien Grundgesetz Gemeinschaftskommentar Gerichtskostengesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbH-Gesetz GmbH-Rundschau GmbH-Steuerberater Großer Senat Grundsteuergesetz Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gerichtsverfassungsgesetz Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht

Hdb. HFR HGB HintO HK-InsO h. M. HRV HWK

Handbuch Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung Handelsgesetzbuch Hinterlegungsordnung Heidelberger Kommentar zur InsO herrschende Meinung Handelsregisterverfügung Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar

i. d. R. IDW IFG Insg-DA

InsVV InsVZ InVo IPRax i. F. d./v. i. H. i. R. i. S. i. Ü. i. V. m.

in der Regel Institut der Wirtschaftsprüfer Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes Durchführungsanweisungen der Bundesanstalt für Arbeit zum Insolvenzgeld Verordnung zu öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren im Internet Insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung Zeitschrift für Insolvenzverwaltung und Sanierungsberatung Insolvenz und Vollstreckung Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts in der Fassung des/vom in Höhe im Rahmen im Sinne im Übrigen in Verbindung mit

JBl. JMBlNW

Justizblatt/Juristische Blätter Justizministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen

InsNetV

XLVI

Abkürzungsverzeichnis JVEG JW JZ

Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz Juristische Wochenschrift Juristenzeitung

KAGG KG KGaA KO KostO KPB KraftStG KredReorgG krit. KSchG KStG KStH KTS

Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Konkursordnung Kostenordnung Kübler/Prütting/Bork, InsO-Kommentar Kraftfahrzeugsteuergesetz Gesetz zur Reorganisation von Kreditinstituten kritisch Kündigungsschutzgesetz Körperschaftsteuergesetz Körperschaftsteuer-Hinweise Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen, ab 1989: Zeitschrift für Insolvenzrecht Kreditwesengesetz

KWG LAG LAGE lit. LM LSG MaComp

MaIR MaRisk MDR MitbestG MoMiG MoPeG m. w. N. n. F. NJW n. rkr. n. v. NWB NZA NZA-RR NZG NZI NZM

Landesarbeitsgericht Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte littera Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, von: Lindenmaier/ Möhring Landessozialgericht Mindestanforderungen an Compliance und die weiteren Verhaltens-, Organisations- und Transparenzpflichten nach §§ 31 ff. WpHG für Wertpapierdienstleistungsunternehmen Mindestanforderungen für die Interne Revision Mindestanforderungen an das Risikomanagement Monatszeitschrift für Deutsches Recht Mitbestimmungsgesetz Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz) mit weiteren Nachweisen neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift nicht rechtskräftig nicht veröffentlicht Neue Wirtschafts-Briefe für Steuer- und Wirtschaftsrecht Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht Rechtsprechungsreport Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung Neue Zeitschrift zum Miet- und Wohnungsrecht XLVII

Abkürzungsverzeichnis oHG OLG OLGE OLGR OT OVG OWiG

Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte OLG-Report Ohne Tarifbindung Oberverwaltungsgericht Ordnungswidrigkeitengesetz

PatG PfandBG PK-InsO PS PSVaG

Patentgesetz Pfandbriefgesetz PräsenzKommentar zur InsO Prüfungsstandard (IDW) Pensions-Sicherungs-Verein auf Gegenseitigkeit

RA Rechtsausschuss (des Deutschen Bundestages) RBerG Rechtsberatungsgesetz RdA Recht der Arbeit RefE Referentenentwurf RegE Regierungsentwurf Restrukturierungsrichtlinie Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 RFH Reichsfinanzhof RFHE Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Reichsfinanzhofs RG Reichsgericht RGRK Reichsgerichtsräte-Kommentar RGSt Entscheidungen des Reichsgericht in Strafsachen RGZ Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen RIW Recht der internationalen Wirtschaft rkr. rechtskräftig RL Richtlinie Rpfleger Der Deutsche Rechtspfleger RPflG Rechtspflegergesetz Rspr. Rechtsprechung RStruktFG Gesetz zur Errichtung eines Restrukturierungsfonds RStruktG Restrukturierungsgesetz RVG Rechtsanwaltsvergütungsgesetz Rz. Randzahl s./s. a. SanInsFoG SanInsKG SchKG SchVG SchwbG SGb SGB SGG

XLVIII

siehe/siehe auch Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz) Gesetz zur vorübergehenden Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Abmilderung von Krisenfolgen Schweizerisches Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs Schuldverschreibungsgesetz Schwerbehindertengesetz Die Sozialgerichtsbarkeit Sozialgesetzbuch Sozialgerichtsgesetz

Abkürzungsverzeichnis Slg.

StBerG Stbg StGB

Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften und des Gerichts erster Instanz Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung so genannt Sozialplangesetz Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz) Steuerberatungsgesetz Steuerberatung Strafgesetzbuch

TVG TzBfG

Tarifvertragsgesetz Teilzeitbefristungsgesetz

u. a. U.S.C. Ubg UG UmwG UNCITRAL u. U. UR UrhG UStAE UStG UWG

unter anderem United States Code Die Unternehmensbesteuerung Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) Umwandlungsgesetz United Nations Commission in International Trade Law unter Umständen Umsatzsteuerrundschau Urheberrechtsgesetz Umsatzsteuer-Anwendungserlass Umsatzsteuergesetz Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb

v. a. VAG VerbrKrG VersR VG VGH VglO VGR

vor allem Versicherungsaufsichtsgesetz Verbraucherkreditgesetz Versicherungsrecht Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof Vergleichsordnung Wissenschaftliche Vereinigung für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht e. V. Verordnung Versicherungsvertragsgesetz Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz

SoFFin sog. SozPlG StaRUG

VO VVG VwGO VwVfG WM WP WPg WpHG WPO WpÜG WuB

Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht (vormals WertpapierMitteilungen) Wirtschaftsprüfer Die Wirtschaftsprüfung Wertpapierhandelsgesetz Wirtschaftsprüferordnung Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht

XLIX

Abkürzungsverzeichnis z. B. ZBB ZfA ZfgK ZGR ZHR ZInsO ZIP ZKW ZPO zust. ZVG ZVI ZZP

L

zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen Zivilprozessordnung zustimmend Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht Zeitschrift für Zivilprozess

Einführung §1 Der Sanierungsgedanke im deutschen Insolvenzrecht – Eigenverwaltung und Insolvenzplan als Instrumente der Restrukturierung Kübler

I.

Die Entwicklung eines modernen Insolvenzrechts für Unternehmen ............... 1 1. Entwicklung des Sanierungsrechts bis zum Inkrafttreten des ESUG ...................... 1 2. Gesetz zur Sanierung von Konzernunternehmen ................................................ 4 II. Eigenverwaltung und Insolvenzplan als Instrumente der Restrukturierung ....... 7

1.

Erhöhte Restrukturierungsaussichten durch Eigenverwaltung? .............................. 7 2. Erhöhte Restrukturierungsaussichten durch Insolvenzplanverfahren? ................. 10 III. Aktuelle Entwicklungen .......................... 14 1. EU-Ebene ................................................... 14 2. Nationale Ebene ......................................... 16 IV. Schlussfolgerungen................................... 17

I.

Die Entwicklung eines modernen Insolvenzrechts für Unternehmen

1.

Entwicklung des Sanierungsrechts bis zum Inkrafttreten des ESUG

„Der Konkurs ist ein Wertvernichter schlimmster Art und obendrein das teuerste Schul- 1 dentilgungsverfahren. Je größer das ihm verfallene Unternehmen ist, je weitere Wirtschaftskreise der Zusammenbruch in Mitleidenschaft zieht, desto erwünschter muss es sein, wenn Schuldner und Gläubiger durch Vereinbarung eines Ausgleichs dem Konkurs vorbeugen.“1) Diese Aussage Jaegers aus dem Jahr 1932 hat heute nach wie vor Brisanz. Das Insolvenzrecht hat nach § 1 Satz 1 Halbs. 2 InsO – auch – einen Sanierungsauftrag. Dazu gehört es, eine starke, funktionale und praxistaugliche Sanierungs- und Restrukturierungssystematik zu entwickeln und zu offerieren.2) Mit Einsetzung der Kommission für Insolvenzrecht im Jahre 1978 stand das Sanierungs- 2 recht auf der rechtspolitischen Tagesordnung.3) Die Kommission war u. a. auch mit dem Auftrag betraut, sich über die Gestaltung eines Sanierungsverfahrens zu beraten, das in Unternehmenskrisen den Konkurs besser abwenden kann, als es die zur Verfügung stehenden Verfahren ermöglichen. Anregungen zum Ausbau des Sanierungsrechts bot das Ausland. So war in den USA das Insolvenzrecht im Jahr 1978 grundlegend novelliert worden. Dabei stellten die Regelungen des Reorganisationsverfahrens in Chapter 11 Bankruptcy Code den für die Wirtschaft beachtlichsten Teil dar. Doch auch die Reformbestrebungen verschiedener europäischer Staaten hatten die Intention, Verfahren zur Sanierung zu schaffen. Die Neuorientierung spiegelte sich vor allem in der Einführung des sog. Insolvenzplanverfahrens wider. Der Plan trat an die Stelle des gerichtlichen Vergleichs und des Zwangsvergleichs, §§ 173 ff. KO, gestaltete die bisherigen Verfahren grundlegend um und sollte nach dem Willen des Gesetzgebers den Beteiligten einen Rahmen für die einvernehmliche Bewältigung der Insolvenz in Gestalt von Verhandlungen geben.4) War der Zweck des Vergleichsverfahrens und des Zwangsvergleichs im Konkurs auf die finanzielle Sanierung des Schuldners durch Schuldenregulierung ausgerichtet, beabsichtigte das Insolvenzplanverfahren in erster Linie die finanzielle und wirtschaftliche Sanierung des Unternehmens. Ent___________ 1) 2) 3) 4)

Jaeger, Lehrbuch des deutschen Konkursrechts, 8. Aufl., 1932, S. 216. Henckel, ZIP 1981, 1296. Bundesjustizminister Vogel in seiner Ansprache bei der Konstituierung der Kommission. Begr. RegE, BR-Drucks. 1/92, S. 90.

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scheidend war dabei, dass das Insolvenzplanverfahren nicht nur für die Sanierung, sondern auch für Liquidationsverfahren zur Verfügung stehen sollte. Zusätzlich gab es das Instrument der Eigenverwaltung, wonach der Schuldner beantragen konnte, dass Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis bei ihm verbleiben und ihm zur Aufsicht ein Sachwalter beigeordnet wird. Der Gesetzgeber hoffte – trotz der vielfach erhobenen Kritik –, mit der Eigenverwaltung einen Anreiz zur frühzeitigen Insolvenzantragstellung geschaffen zu haben.5) Insgesamt war jedoch festzustellen, dass sich die Hoffnung, Eigenverwaltung und Insolvenzplanverfahren würden sich zu einem wirksamen Restrukturierungsrecht entwickeln, bislang nicht erfüllt hat. Da sich die vorhandenen Sanierungsoptionen nicht nachhaltig durchsetzen konnten, nutzten Schuldner verstärkt die Gestaltungsmöglichkeiten ausländischen Rechts – etwa im Wege der Verlagerung des COMI (Centre of Main Interests) nach Großbritannien oder durch das dortige Betreiben des Scheme of Arrangement-Verfahrens. Ein Vergleich der verschiedenen Rechtsordnungen zeigt, dass der Einfluss von Schuldner und Gläubigern auf den Ablauf des Verfahrens vielfach größer ist als in Deutschland. Der Wettbewerb der Insolvenzrechte war daher einer der Gründe für die abermals notwendige Reform des Restrukturierungsrechts.6) 3 Mit dem ESUG hat der Gesetzgeber Voraussetzungen für einen anderen Umgang mit krisenbefangenen Unternehmen geschaffen. Es findet eine feinere Differenzierung zwischen den Interessen aller Beteiligten statt. Durch Stärkung des Gläubigereinflusses auf die Auswahl des Insolvenzverwalters, durch Optimierung des Insolvenzplanverfahrens und Erleichterung des Zugangs zur Eigenverwaltung soll die Sanierung von Unternehmen einfacher möglich sein.7) Die Sanierung i. R. der Insolvenz kann somit zu einer strategischen Alternative werden, der Vollstreckungsgedanke tritt mehr in den Hintergrund. Gleichzeitig bestand die Erwartung, sowohl ein Umdenken in der Öffentlichkeit zu erreichen als auch das negative Bild vom Stigma des Insolvenzverfahrens zu verändern und dieses als Sanierungsmöglichkeit gesellschaftsfähig zu machen. Um eine stetige Anpassung an die Erfordernisse der Praxis zu gewährleisten, hatte der Bundestag der Bundesregierung aufgegeben, nach fünf Jahren eine Evaluation durchzuführen.8) Zu den Ergebnissen der Expertengruppe siehe ausführlich unten Thole, HRI II, § 48.9) 2.

Gesetz zur Sanierung von Konzernunternehmen

4 Im Rahmen der dritten Reformstufe ist das Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, das am 21.4.2018 in Kraft getreten ist, erlassen worden.10) Das Gesetz baut auf dem mit dem ESUG verfolgten Konzept unter Berücksichtigung der Besonderheiten von konzernverbundenen Schuldnern auf. Die neuen Regelungen sollen helfen, Reibungsverluste bei Liquidation und Sanierung von Unternehmensgruppen, bei denen verschiedene Rechtsträger eine wirtschaftliche Einheit bilden, zu vermeiden, ohne dabei die maßgeblichen Grundsätze des Insolvenzrechts infrage zu stellen.11) Die Vorschriften greifen nicht grundlegend in das Gesellschaftsrecht ein und tasten die Unabhängigkeit der einzelnen Gesellschaften im Insolvenzkontext nicht an. ___________ 5) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 108, 225 f. 6) Eidenmüller, ZHR 175 (2011) 11, 13. 7) Dennoch sollte die (vorläufige) Eigenverwaltung auch nach den Überlegungen des Gesetzgebers zum ESUG nicht der Regelfall sein, sondern ein Sanierungsinstrument für geeignete Ausnahmefälle ermöglichen: Graf-Schlicker, 2. Dt. Gläubigerkongress v. 5.6.2013, INDat Report 4/2013, S. 52, 53. 8) S. http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/075/1707511.pdf. 9) Dazu auch Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, 2018, S. 55. 10) Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, v. 13.4.2017, BGBl. I 2017, 865. 11) Graf-Schlicker, ZInsO 2013, 1765, 1768.

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Der Sanierungsgedanke im deutschen Insolvenzrecht

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Zu den Neuerungen gehören ein zentraler Gruppengerichtsstand mit Verweisungsmög- 5 lichkeiten, ein Insolvenzverwalter für alle Verfahren und ein Koordinationsverfahren mit Verfahrenskoordinator und Koordinationsplan. Gerichtstands- und Verweisungsregelungen erlauben es den Schuldnern und Insolvenzverwaltern, die Verfahren über die einzelnen Konzerngesellschaften an einem Insolvenzgericht zu konzentrieren. Die Bundesländer sollen in den OLG-Bezirken ausschließlich zuständige Insolvenzgerichte für Gruppengerichtsstände etablieren und am angerufenen Gericht soll derselbe Richter für das Gruppenverfahren zuständig sein. Eine solche Konzentration lässt den Abstimmungsbedarf zwischen den Gerichten entfallen. Im Rahmen des neuen Koordinationsverfahrens spielt der Verfahrenskoordinator, dem 6 die Aufgabe zukommt, mögliche Friktionen zwischen den parallel anhängigen Insolvenzverfahren über die einzelnen Konzerngesellschaften zu minimieren, eine zentrale Rolle.12) Er darf nicht aus dem Kreis der Insolvenzverwalter der gruppenangehörigen Schuldner stammen, sondern soll von diesen unabhängig sein. Schließlich – und das ist in Ansehung der Regelungen des ESUG besonders bedeutsam – wurde eine Vorschrift zur Eigenverwaltung bei gruppenangehörigen Schuldnern eingefügt. Mit dem Gesetz soll das Ziel einer angemessenen Bewältigung von Unternehmensinsolvenzen erreicht und die Umsetzung solcher Insolvenzbewältigungsstrategien ermöglicht werden, die den Gesamterlös für alle Gläubiger im Vergleich zur Einzelabwicklung verbessern, ohne Gläubiger der einzelnen Gesellschaften schlechterzustellen.13) II.

Eigenverwaltung und Insolvenzplan als Instrumente der Restrukturierung

1.

Erhöhte Restrukturierungsaussichten durch Eigenverwaltung?

Das ESUG hat die Sanierungskultur in Deutschland zweifellos gestärkt. Die Vorausset- 7 zungen für einen Zugang zur Eigenverwaltung und für deren Aufrechterhaltung sind günstiger geworden. Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass die Eigenverwaltung zum Schlüssel des Sanierungserfolgs geworden ist und das „normale“ Regelinsolvenzverfahren verdrängt hat. Der Anteil der Insolvenzverfahren, die in Eigenverwaltung durchgeführt werden, ist seit Jahren im niedrigen einstelligen Bereich geblieben. Dass sich die Eigenverwaltung als Restrukturierungsinstrument nicht im erwarteten Maß etablieren konnte, liegt weniger an einer fehlenden Sanierungskultur in der deutschen Insolvenzpraxis als an fehlendem Vertrauen in eine Eigenverwaltungsstrategie.14) Die Praxis zeigt, dass die Eigenverwaltung eher bei Großverfahren beantragt, in Bezug 8 auf klein- und mittelständische Unternehmen (KMU), die dieser Verfahrensweg insbesondere ansprechen sollte, dagegen unverändert selten genutzt wird.15) Das liegt zum einen an der Skepsis der kreditgebenden Banken, zum anderen an den teilweise hohen Beraterkosten, die einer potenziell sinnvollen Sanierung in Eigenverwaltung entgegenstehen. Zudem ist der Zeitpunkt der Einleitung von Sanierungsmaßnahmen bei KMUs ein sensibler Faktor.16) Hier ist es v. a. Aufgabe der Geschäftsführung, rechtzeitig aktiv zu werden.17) Die Anforderungen an die Geschäftsführung sind in der Eigenverwaltung außerordentlich ___________ 12) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 269e InsO-E, BRDrucks. 663/13, S. 35 (ursprünglich lautete die Bezeichnung Koordinationsverwalter). 13) So bereits Eidenmüller, ZHR 169 (2005) 528, 550 f. 14) Madaus, KTS 2015, 115, 142. 15) Zu den Gründen Hammes, NZI 2017, 233, 239. 16) Paul/Rudow, NZI 2016, 385, 387 f.; Kranzusch, ZInsO 2016, 1077. 17) Paul/Rudow, NZI 2016, 385, 392.

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hoch. Die schuldnerischen Vertretungsorgane müssen juristische und betriebswirtschaftliche Kenntnisse haben, um eine Eigensanierung lenken zu können.18) 9 Nach wie vor gibt es Nachbesserungsbedarf,19) der durch das SanInsFoG20) mit einer systematischen Überarbeitung der Eigenverwaltung umgesetzt wurde (siehe auch Rz. 1).21) Die durch den Gesetzgeber beabsichtigte Erleichterung der Unternehmenssanierung bedarf dringender Berichtigungen insbesondere der Regelungen zu Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren. Denn die vergleichsweise geringe Regelungsdichte des Eigenverwaltungsrechts führt zu überraschenden und divergierenden gerichtlichen Entscheidungen, die eine geordnete Sanierung erschweren.22) Noch immer entscheiden die Instanzgerichte die Frage, ob der Schuldner im Eigenverwaltungseröffnungsverfahren ohne Schutzschirm Masseverbindlichkeiten23) begründen darf und, wenn ja, in welchem Umfang und auf welche Art und Weise, völlig unterschiedlich.24) Vielfach werden der Abbau von Rechtsmitteln, insbesondere in der Eigenverwaltung,25) wie auch fehlende Haftungsregelungen für Bescheiniger (im Schutzschirmverfahren) beklagt. 2.

Erhöhte Restrukturierungsaussichten durch Insolvenzplanverfahren?

10 Mit dem ESUG ist auch das Instrument des Insolvenzplans (dazu umfassend unten §§ 23 ff.) stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Die Eingriffsmöglichkeiten des Insolvenzplanverfahrens sind erweitert und die Verfahrenshindernisse auf dem Kurs zur Planumsetzung beseitigt worden. Das ESUG ermöglicht für das Insolvenzplanverfahren durch die Einführung des § 225a InsO die Einbeziehung der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte, insbesondere eröffnet es die Möglichkeit, i. R. von Sanierungsmaßnahmen Forderungen der Gläubiger in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte am Schuldner umzuwandeln (siehe dazu umfassend Hölzle, HRI II, § 26). 11 Das Insolvenzplanverfahren wirft allerdings insbesondere dann Fragen und Probleme auf, wenn es anscheinend als taktisches Mittel der Kontroverse zwischen Gesellschaftern genutzt wird.26) So sollte es mit der Intention eines Sanierungsverfahrens nicht vereinbar sein, wenn Gesellschafter versuchen, sich gegenseitig im Wege der einstweiligen Verfügung ein bestimmtes Abstimmungsverhalten zu ge- oder verbieten.27) 12 Detailfragen haben sich in den letzten Jahren bei der Abwicklung von Insolvenzplanverfahren i. R. der Vergleichsrechnung,28) die als Herzstück des Insolvenzplans bezeichnet ___________ 18) Hammes, NZI 2017, 233. 19) Pleister/Kunkel, ZIP 2017, 153. 20) Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256. 21) Allg. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 84; Sämisch/Noffz/Haug, ZRI 2021, 741. 22) Pleister/Kunkel, ZIP 2017, 153, 161. 23) Meller-Hannich, KTS 2017, 309, 312. 24) Vgl. Meller-Hannich, KTS 2017, 309, 312; der BGH konnte sich dazu bislang nicht äußern, weil hinsichtlich Erteilung oder Versagung einer solchen Ermächtigung keine Rechtsmittel vorgesehen sind; AG Hannover v. 1.7.2016 – 908 IN 460/16, juris; AG Köln v. 26.3.2012 – 73 IN 125/12, ZIP 2012, 788, dazu EWiR 2012, 359 (Hofmann); AG Hamburg v. 4.4.2012 – 67g IN 74/12, ZIP 2012, 787, dazu EWiR 2012, 361 (Zipperer); AG Fulda v. 12.3.2012 – 93 IN 9/12, ZIP 2012, 1471; LG Duisburg v. 29.11.2012 – 7 T 185/12, ZIP 2012, 2453; ausführlich Pape, ZInsO 2013, 2129, 2134 f. 25) Meller-Hannich, KTS 2017, 309, 330; Pape, ZIP 2013, 2285, 2293; LG Dessau-Roßlau v. 2.5.2012 – 1 T 116/12, juris. 26) Suhrkamp GmbH & Co. KG; vgl. Pape, ZInsO 2013, 2129, 2136. 27) OLG Frankfurt/M. v. 1.10.2013 – 5 U 145/13 (Suhrkamp), ZIP 2013, 2018, 2019, dazu EWiR 2013, 753 (Bähr/Schwartz). 28) S. hierzu eingehend unten J. Schmidt, HRI II, § 29.

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Der Sanierungsgedanke im deutschen Insolvenzrecht

§1

wird, ergeben.29) Die unvollkommenen gesetzlichen Vorgaben zu Gliederung und Inhalten der Vergleichsrechnung und betriebswirtschaftliche und juristische Schwächen bei der Aufstellung zeigen, dass es oft große Erfassungs- und Konkretisierungsprobleme bei einzelnen Punkten der Vergleichsrechnung gibt.30) Es war in etlichen ESUG-Fällen zu beobachten, dass i. R. der Vergleichsrechnung für die Regelinsolvenz bei den Aktiva niedrige und bei den Passiva hohe Vergleichswerte ausgewiesen wurden. Zudem wurde behauptet, dass der Geschäftsbetrieb im Regelverfahren eingestellt werden müsse.31) Um Missbrauchsfällen entgegenzuwirken, wird vorgeschlagen, entsprechende „Kontrollinstanzen“ ausdrücklich gesetzlich zu regeln.32) Schließlich hat die Entscheidung des BFH33) zum sog. Sanierungserlass des BMF34) die 13 bisherige Insolvenzrechtspraxis ausgebremst und zu großer Verunsicherung geführt (siehe dazu Kahlert, HRI II, § 47 Rz. 170 ff.). Zwar hat der deutsche Gesetzgeber das mit der InsO abgeschaffte gesetzliche Steuerprivileg für Sanierungsgewinne wieder eingeführt, doch bedurfte diese Regelung der Genehmigung der EU-Kommission.35) Ob die von der EUKommission in einem bei Redaktionsschluss noch unveröffentlichten sog. Comfort Letter vertretene Auffassung, sie gehe davon aus, dass die beabsichtigte gesetzliche Regelung des Sanierungserlasses nicht gegen europäisches Beihilferecht verstößt, Rechtssicherheit erzeugt, ist fraglich (Einzelheiten siehe unten Kahlert, HRI II, § 47 Rz. 185 f.). III.

Aktuelle Entwicklungen

1.

EU-Ebene

Sowohl die Kommissionsempfehlung von 201436) als auch der Aktionsplan von 201537) 14 beinhalten das Ziel einer frühzeitigen Restrukturierung für wirtschaftlich gesunde Unternehmen mit finanziellen Schwierigkeiten. Zugleich geht es darum, eine Kapitalmarktunion auf EU-Ebene zu schaffen und die Insolvenzgesetze der Mitgliedstaaten zu harmonisieren. Am 22.11.2016 hat die EU-Kommission den Richtlinienentwurf über einen „präventiven Restrukturierungsrahmen“ veröffentlicht (siehe dazu auch Rz. 19).38) Mit diesem will sie einerseits nationale funktionierende Sanierungsverfahren nicht beeinträchtigen, andererseits aber einen einheitlichen Handlungsrahmen für effektive Restrukturierungen ___________ 29) Kübler/Rendels in: FS Prütting, 2018, S. 697. 30) Harmann in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 6 Rz. 217; Kübler/Rendels in: FS Prütting, 2018, S. 697. 31) Kübler/Rendels in: FS Prütting, 2018, S. 697, 701. 32) Brinkmann/Denkhaus/Horstkotte u. a., ZIP 2017, 2430; Kübler/Rendels in: FS Prütting, 2018, S. 697, 704 ff. 33) BFH v. 28.11.2016 – GrS 1/15, ZIP 2017, 338, dazu EWiR 2017, 149 (Möhlenkamp). 34) BMF-Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6 – S 2140-8/03, BStBl I 2003, 240 = ZIP 2003, 690 (ergänzt durch BMF-Schreiben v. 22.12.2009 – IV C 6 – S 2140/07/10001-01, BStBl. I 2010, 18 = ZIP 2010, 104). 35) Entsprechend dem BMF-Schreiben v. 29.3.2018 – IV C 6-S 2140/13/10003, BStBl. I 2018, 588, sollte für Schuldenerlasse bis einschließlich zum 8.2.2017 aus Vertrauensschutzgründen weiterhin nach dem sog. Sanierungserlass zu verfahren sein. Mit Beschluss v. 16.4.2018 hat der BFH dieser Verwaltungsauffassung jedoch eine Absage erteilt und seine bisherige Rspr. bestätigt, wonach die von der Finanzverwaltung vorgesehene weitere Anwendung des Sanierungserlasses auf Altfälle aufgrund des Fehlens einer entsprechenden gesetzlichen Übergangsregelung mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit nicht vereinbar ist (BFH v. 16.4.2018 – X B 13/18, ZIP 2018, 1360). 36) EU-Kommission, Empfehlung für einen neuen Ansatz im Umgang mit unternehmerischem Scheitern und Unternehmensinsolvenzen, COM(2014) 1500 final v. 12.3.2014. 37) EU-Kommission, Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion, COM(2015) 468 final v. 30.9.2015. 38) EU-Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, COM(2016) 723 final v. 22.11.2016.

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bewirken. Der Richtlinienentwurf überlässt allerdings den Mitgliedstaaten an den entscheidenden Stellen eigene Ausgestaltungen, sodass die Uneinheitlichkeit der Umsetzung vorprogrammiert ist.39) 15 In Deutschland hat sich dazu eine kontroverse Diskussion v. a. im Hinblick auf die Auswirkungen auf die deutsche Sanierungspraxis entwickelt. So strebt die Kommission die Harmonisierung vorinsolvenzlicher Sanierungsmechanismen an, die es in den meisten europäischen Staaten (wie in Deutschland) nicht oder (wie in Frankreich) noch nicht seit längerem gibt. Einen Harmonisierungseffekt verspricht man sich auch von der Person des „Restrukturierungsverwalters“. Der Restrukturierungsrahmen bezweckt Insolvenzprävention im weitesten Sinne. Nach überwiegender Auffassung wurde das Schutzschirmverfahren mit Planverfahren diesem Ziel nicht mehr gerecht.40) Der Schuldner bzw. sein Management soll frühzeitig mithilfe von Früherkennungsmechanismen feststellen, dass aufgrund finanzieller Schwierigkeiten eine Insolvenzmöglichkeit besteht, und infolgedessen Verhandlungen mit seinen Gläubigern aufnehmen. Ob das schuldnerische Unternehmen sanierungsfähig ist, sollen nach dem Richtlinienentwurf nicht die Insolvenzgerichte, sondern die Gläubiger entscheiden. 2.

Nationale Ebene

16 Die Insolvenzverwaltung respektive die Sanierungsbranche in Deutschland befinden sich in einem Umbruch.41) Zum einen sind die Zahlen der Unternehmensinsolvenzen stark rückläufig.42) Zum anderen haben die veränderte Vergabepraxis infolge des ESUG und die Professionalisierung der Vorbereitung größerer Verfahren dazu geführt, dass es zu einer „Vorstrukturierung“ dieser Verfahren kommt.43) Gläubiger und deren Berater nehmen stärkeren Einfluss auf die Verteilung der Verfahren und damit letztlich auf die Auswahl des Insolvenz- bzw. Sachwalters. Diese Entwicklung heizt auch die seit Jahren bestehende Forderung nach einer Berufsordnung für Insolvenzverwalter an, von der man sich nicht zuletzt Qualitätssicherung und die Professionalisierung der Insolvenzverwalter erhofft.44) Gegenstimmen halten den Beruf des Insolvenzverwalters für ein „Auslaufmodell“.45) Der BGH hat sich in einigen jüngeren Entscheidungen zum Anforderungsprofil der Insolvenzverwalter positioniert.46) Zahlreiche Insolvenzgerichte haben infolgedessen in den letzten Jahren Fragenkataloge entwickelt, mit denen von potenziellen Insolvenzverwaltern, die auf die Vorauswahllisten aufgenommen werden möchten, zahlreiche Informationen und Nachweise gefordert werden.47) Vielfach wird eine bundesweite einheitliche Vorauswahlliste gefordert,48) um die Informationen über die Verwalter zu bündeln.

___________ 39) 40) 41) 42) 43) 44)

45) 46) 47) 48)

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Meller-Hannich, KTS 2017, 309, 323. Madaus, NZI 2017, 329. INDat Report 4/2017, S. 11. Tendenzen bei Beissenhirtz, ZInsO 2018, 281, 290. Pape in: FS Vallender, 2015, S. 363, 372; Hammes, NZI 2017, 233. Vallender, NZI 2017, 641; s. a. VID, Berufsordnung für Insolvenzverwalter, Eckpunktepapier v. 30.10.2009, abrufbar unter https://www.vid.de/initiativen/berufsordnung-fuer-insolvenzverwalter-videckpunktepapier/ (Abrufdatum: 16.1.2023); Prütting in: FS Vallender, 2015, S. 455, 457 ff.; Römermann, ZIP 2018, 1757. Frind, ZInsO 2017, 2146, 2151. BGH v. 17.3.2016 – IX AR (VZ) 1/15, ZIP 2016, 876, dazu EWiR 2016, 377 (Eckardt). Ausführlich Bork, ZIP 2017, 2173, sowie Bork, ZIP 2017, 2173, und Thole, ZIP 2017, 2183. Pollmächer/Siemon, NZI 2017, 93; krit. Ganter, NZI 2018, 137.

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Der Sanierungsgedanke im deutschen Insolvenzrecht IV.

§1

Schlussfolgerungen

Das Insolvenzrecht unterliegt in Deutschland seit langem einem stetigen Wandel. Besonders 17 deutlich wird die Entwicklung bei den jahrzehntelangen Bemühungen, das Insolvenzverfahren nicht allein als Vollstreckungshandhabe, sondern vielmehr als Sanierungsmöglichkeit zu gestalten und zu propagieren. Die Neubelebung der Eigenverwaltung und die weitere Ausformung des Insolvenzplanverfahrens sollten den betroffenen Schuldnern Antrieb geben, die Sanierung rechtzeitig in Angriff zu nehmen. Der Einsatz dieser Restrukturierungsinstrumente ist für den jeweiligen Fall sorgfältig zu prüfen. Gut sechs Jahre nach dem Inkrafttreten befindet sich das ESUG auf dem Prüfstand. Die Expertenkommission zur Evaluierung des ESUG hat ihre Arbeit abgeschlossen, die Ergebnisse der Kommission durften nach Maßgabe des BMJV von den Gutachtern erst ab November 2018 der Fachwelt umfassend vorgestellt werden.49) Die Erfahrungen aus der Anwendung des ESUG lehren, dass zum einen nicht innerhalb 18 kürzester Zeit nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung mit einem Bewusstseinswandel der Akteure zu rechnen ist.50) Zum anderen zeigt die Praxis, dass aufgrund der Stärkung der Gläubiger- und Schuldnerrechte die Verfahrensabwicklung teilweise eine Dynamik erfahren hat, die der Gesetzgeber in dieser Form sicher nicht beabsichtigt hatte. Hinzu kommt, dass noch immer nicht alle Insolvenzrichter den Sanierungsinstrumenten Eigenverwaltung und Insolvenzplan offen gegenüberstehen. Aber: Der Markt ist ständig in Bewegung und Professionalisierung ist ein Wesenselement der heutigen Zeit. Daher soll nach dem Koalitionsvertrag nunmehr eine Berufsordnung für Insolvenzverwalter realisiert werden.51) Nur so könne den Missständen, die sich in den letzten Jahren offenbart haben, entgegengetreten werden.52) Die Richtlinie53) zum präventiven Restrukturierungsrahmen beabsichtigt wie das ESUG 19 und das SanInsFoG die Etablierung einer Sanierungskultur. Der Gesetzgeber hat mit der weitgehenden Umsetzung der ESUG-Evaluation und der Stärkung der Eigenverwaltung durch das SanInsFoG hierzu den richtigen Weg beschritten, der durch das vorinsolvenzliche Verfahren des StaRUG54) sinnvoll ergänzt wird. Die Praxis der nächsten Jahre wird zeigen, ob und ggf. in welcher Form Nachbesserungen der genannten Verfahren erforderlich sind. ___________ 49) Der „Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen mit der Anwendung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) vom 7. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2582)“ ist seit Oktober 2018 abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/News/Artikel/ 101018_Bericht_BReg_Evaluierung_ESUG.pdf;jsessionid=2B4F7C40E1760ED70F0920CA9B64B3EA.2_ cid297?__blob=publicationFile&v=1 (Abrufdatum: 16.1.2023). S. hierzu die mit dem Erscheinen der 3. Auflage des HRI-Handbuchs Anfang November 2018 für die Veröffentlichung „frei“ gewordene komprimierte Darstellung unten Kahlert, HRI II, § 48. 50) Vallender, NZI 2010, 838, 844. 51) Koalitionsvertrag 2018, Zeile 6195 ff.: „Wir werden gesetzliche Rahmenbedingungen für die Berufszulassung und -ausübung von Insolvenzverwalterinnen und Insolvenzverwaltern sowie Sachwalterinnen und Sachwaltern regeln, um im Interesse der Verfahrensbeteiligten eine qualifizierte und zuverlässige Wahrnehmung der Aufgaben sowie effektive Aufsicht zu gewährleisten.“ Abrufbar unter https://www.bundesregierung.de/ Content/DE/StatischeSeiten/Breg/koalitionsvertrag-inhaltsverzeichnis.html (Abrufdatum: 16.1.2023). 52) U. a. Ganter, NZI 2018, 137, 144; Vallender, NZI 2017, 641. 53) Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. 54) Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz – StaRUG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256 (= Art. 1 des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts [Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG], v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256).

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§2 Kommunikation und Verhandlung in der Insolvenz Frege/Nicht

I. Einleitung .................................................... 1 II. Kommunikations- und Verhandlungssituationen im Eröffnungsverfahren .......................... 16 1. Einleitung ................................................... 16 2. Die Einleitung des Insolvenzverfahrens durch die Insolvenzschuldnerin ................ 24 2.1 Vorbereitende Maßnahmen .......... 24 2.2 Stellung des Insolvenzantrags durch die Insolvenzschuldnerin ... 31 2.3 Stellung des Antrags auf Anordnung der Eigenverwaltung durch die Insolvenzschuldnerin ... 33 2.4 Vorlage eines vorbereiteten Insolvenzplans ............................... 34 3. Zusammenarbeit zwischen Insolvenzgericht und vorläufigem Gläubigerausschuss .................................... 35 3.1 Die Mitwirkung des vorläufigen Gläubigerausschusses an der Auswahl des Insolvenzverwalters ................ 37 3.2 Die Beteiligung des vorläufigen Gläubigerausschusses vor der Anordnung der Eigenverwaltung ..................... 40 4. Die Zusammenarbeit des vorläufigen Insolvenzverwalters oder Sachwalters mit dem vorläufigen Gläubigerausschuss .... 45 5. Kommunikation und Verhandlungen des vorläufigen Insolvenzverwalters oder der Insolvenzschuldnerin mit Kreditinstituten, Erwerbsinteressenten, Lieferanten und Auftraggebern................. 46 6. Zusammenfassung ..................................... 50 III. Kommunikations- und Verhandlungssituationen im eröffneten Insolvenzverfahren und ihre Besonderheiten.......................... 52 1. Einleitung ................................................... 52 2. Kommunikation im Regelinsolvenzverfahren..................................................... 56 2.1 Die Zusammenarbeit des Insolvenzverwalters mit dem Gläubigerausschuss ........ 58 2.2 Die Zusammenarbeit des Insolvenzverwalters mit dem Insolvenzgericht ............. 60

2.3

Kommunikation zwischen dem Insolvenzverwalter und der Insolvenzschuldnerin und deren Organen und Angestellten ... 61 2.4 Kommunikation und Verhandlungen des Insolvenzverwalters mit Kreditinstituten, Erwerbsinteressenten, Lieferanten und Auftraggebern ............................... 64 3. Kommunikation im Eigenverwaltungsverfahren.................. 65 3.1 Einleitung....................................... 65 3.2 Zusammenarbeit zwischen Insolvenzschuldnerin und Sachwalter ..................................... 68 3.3 Zusammenarbeit zwischen Insolvenzschuldnerin und Gläubigerausschuss ....................... 71 3.4 Kommunikation und Verhandlungen der Insolvenzschuldnerin mit Kreditinstituten, Erwerbsinteressenten, Lieferanten und Auftraggebern ............................... 73 3.5 Verhandlungen über den Insolvenzplan................. 74 3.6 Zusammenfassung......................... 76 4. Kommunikation in der Konzerninsolvenz ........................... 77 4.1 Kommunikationsbeziehungen zwischen den Insolvenzgerichten ........................................ 80 4.1.1 Ermittlung der Gerichtszuständigkeit............. 80 4.1.2 Verfahrenskoordination durch formalisierte Absprachen der Gerichte................................... 84 4.2 Kommunikationsbeziehungen zwischen den Insolvenzverwaltern ...................................... 86 4.3 Kommunikationsbeziehungen auf der Ebene der Gläubigerorgane............................................. 90 4.4 Grenzüberschreitende Konzerninsolvenz ......................... 94 IV. Fazit............................................................ 96

Literatur: Berger/Frege/Nicht, Unternehmerische Ermessensentscheidungen im Insolvenzverfahren – Entscheidungsfindung, Kontrolle und persönliche Haftung, NZI 2010, 321; Busch/Remmert/Rüntz/

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Frege/Nicht

Kommunikation und Verhandlung in der Insolvenz

§2

Vallender, Kommunikation zwischen Gerichten in grenzüberschreitenden Insolvenzen – Was geht und was nicht geht, NZI 2010, 417; Erbe, Das Eigenverwaltungsverfahren nach der Gesetzesreform, NZI 2021, 753; Frege, Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses im Eröffnungsverfahren?, in: Festschrift für Martin Peltzer, 2001, S. 109; Frege/Nicht, Die Anwendung der Business Judgment Rule auf unternehmerische Ermessensentscheidungen des Insolvenzverwalters, in: Festschrift für Jobst Wellensiek, 2011, S. 291; Frege/Nicht, Informationserteilung und Informationsverwendung im Insolvenzverfahren, InsVZ 2010, 407 = ZInsO 2012, 2217; Göpfert, In re Maxwell Communications – ein Beispiel einer „koordinierten“ Insolvenzverwaltung in parallelen Verfahren, ZZPInt 1 (1996) 269; Hammes, Keine Eigenverwaltung ohne Berater?, NZI 2017, 233; Paulus, „Protokolle“ – ein anderer Zugang zur Abwicklung grenzüberschreitender Insolvenzen, ZIP 1998, 977; Paulus/Hörmann, Emotionale Kompetenz im Insolvenzverfahren, NZI 2013, 623; Thole, Die Reform der Eigenverwaltung: Eine Umsetzung der ESUG-Evaluation?, NZI Beilage z. Heft 5/2021, S. 90; Vallender, Gerichtliche Kommunikation und Kooperation bei grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren im Anwendungsbereich der EuInsVO – eine neue Herausforderung für Insolvenzgerichte, KTS 2008, 59.

I.

Einleitung

„Man kann nicht nicht kommunizieren“ lautet eine der Grundregeln der modernen Kom- 1 munikationswissenschaft.1) Auch wer nichts sagt, sich still verhält, sich zurückzieht, die öffentliche Wahrnehmung zu meiden versucht, der kommuniziert. Dies dürfte insbesondere dann gelten, wenn die Beteiligten von einer Person oder einem Unternehmen eine ausdrückliche Entscheidung, Information, Prognose oder Anleitung erwarten oder sogar ausdrücklich fordern. Wer in einem solchen Fall passiv bleibt und nicht die der Situation angemessenen – aktiven – 2 Kommunikationsstrategien entwickelt und durchführt, kann im für ihn günstigen Fall nur seinen Einfluss auf die (wirtschaftlichen) Geschehnisse und Entwicklungen verlieren,2) im ungünstigen Fall kann er infolge seiner Zurückhaltung empfindlichen Schaden für seine Person oder sein Unternehmen verursachen, denn der Verlust an Vertrauen,3) Glaubwürdigkeit und Ansehen infolge mangelnder oder mangelhafter Handlungsbereitschaft und Kommunikation kann dazu führen, dass sich Mitarbeiter,4) Geschäftspartner und Investoren5) – insbesondere in der Krise und Restrukturierung – (endgültig) von der Person oder dem Unternehmen abwenden.6) In Krise, Restrukturierung und Insolvenz ist die Situation häufig gegeben, dass Mitarbeiter 3 und Gewerkschaften, Geschäftspartner (Zulieferer und Kunden) sowie Investoren und Gläubiger eine aktive – auf hinreichende Transparenz, Information und Beteiligung gerichtete – Unternehmenskommunikation von der Geschäftsleitung erwarten.7) Das Unternehmen und insbesondere seine externen Bezugsgruppen – Kreditinstitute, Lieferanten, Kunden, Bundesagentur für Arbeit, Steuer- und Finanzbehörden, politische Institutionen – stehen unter sehr hohem Zeit-, Handlungs- und nicht zuletzt Erfolgsdruck. Das Unternehmen befindet sich in einer wirtschaftlich ernst zu nehmenden, aber – dies ist dem Begriff der

___________ 1) S. umfassend Watzlawick/Beavin/Jackson, Menschliche Kommunikation – Formen, Störungen, Paradoxien, S. 58 ff., 84 ff.; hierzu auch Frege, Verhandlungserfolg, Teil 1 B., S. 18 Rz. 38; Voskuhl in: Mönning, Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz, § 15 Rz. 3. 2) Vgl. Durst in: Pfannenberg, Veränderungskommunikation, 2009, S. 34 ff., 42. 3) S. Kraus in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 4 Rz. 39. 4) S. zur Kommunikation i. R. der Mitarbeiterführung Kraus in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 4 Rz. 39, 40; Breitsohl in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 13 Rz. 1; Voskuhl in: Mönning, Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz, § 15 Rz. 34 ff. 5) S. zur Reaktion von Banken Kraus in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 4 Rz. 40. 6) S. a. Jung/Weniger in: Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 303 f., 305, 306. 7) Hess, Sanierungshandbuch, S. 438 f.; Kraus in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 4 Rz. 39, 40.

Frege/Nicht

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§2

Einführung

Unternehmenskrise immanent8) – nicht ausweglosen Lage und wird versuchen, durch geeignete Sanierungsmaßnahmen den Weg zurück in die Erfolgsspur zu finden. Hierzu reichen die unternehmensinterne Entwicklung eines Leitbildes für das sanierte Unternehmen und eines tauglichen Sanierungsplans9) durch die Geschäftsführung – ggf. unter Einschaltung eines externen Sanierungsberaters – im Regelfall allein nicht aus, denn das zu sanierende Unternehmen ist als einem wirtschaftlichen Zweck gewidmete Sach- und Personalgesamtheit in ein komplexes Beziehungsgeflecht mit unterschiedlichen internen Bezugsgruppen (Anteilseigner, Geschäftsführung, Aufsichtsrat, Belegschaft, Betriebsrat, verbundene Konzernunternehmen) und externen Bezugsgruppen (Kreditinstitute, Lieferanten, Kunden, Bundesagentur für Arbeit, Steuer- und Finanzbehörden, politische Institutionen) eingebunden. 4 Beim Auftreten von Krisensymptomen kommt es hier in Abhängigkeit von der jeweiligen wirtschaftlichen Betroffenheit und dem individuellen Näheverhältnis zum Krisenunternehmen zu unterschiedlichen (und teils irrationalen) Reaktionen. Verunsicherung und Zukunftssorgen können zu Abwanderungen führen, weil Beteiligte versuchen, sich dem Druck der Krise zu entziehen. Verschiedene Gläubiger können bestrebt sein, ihre wirtschaftlichen und persönlichen Interessen gegenüber der Unternehmensleitung durchzusetzen oder zumindest angemessen zu sichern. Diese materiellen und persönlichen Positionen können im Einzelfall gegensätzlich sein. Da manche Beteiligte zu opportunistischem Verhalten neigen, können Verteilungskämpfe die Folge sein. Kommt es hier zu einer Verhärtung von gegensätzlichen Positionen, kann dies den ohnehin schwierigen Sanierungsprozess empfindlich stören. Das kann grundsätzlich nicht im Interesse der Unternehmensleitung sein.10) 5 Fehlende oder mangelhafte Kommunikation kann in einer solchen Situation zur Folge haben, dass die Krisenmeldungen eine verstärkende Kraft entfalten. Es besteht die Gefahr, dass die Leistungsträger das Unternehmen verlassen und die Niederlegung der Arbeit durch die Belegschaft den Produktionsprozess behindert. 6 Es liegt nahe, dass potenzielle Kunden angesichts des drohenden Zusammenbruchs auf Konkurrenzprodukte und Konkurrenzdienstleistungen zurückgreifen bzw. Aufträge stornieren. Die Kündigung der Kreditversorgung durch die finanzierenden Banken würde den endgültigen Zusammenbruch und Werteverfall zur Folge haben. 7 Deshalb sollte die Unternehmensleitung im Blick haben, dass eine erfolgreiche Sanierung – innerhalb oder außerhalb eines Insolvenzverfahren – in aller Regel voraussetzt, dass sämtliche Interessenträger in den verschiedenen Bezugsgruppen inhaltlich und auch kommunikativ adäquat in den Sanierungsprozess eingebunden und ggf. geführt werden müssen.11) Hierzu sind besondere persönliche Fähigkeiten und Fertigkeiten der Handelnden12) im Bereich der Unternehmenskommunikation erforderlich, aber auch die Kenntnis der Methoden und Konzepte für Kommunikation und für Verhandlungsführung in schwierigen

___________ 8) Zum Krisenbegriff Wilden in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 2 Rz. 1 ff., und Kraus in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 4 Rz. 4 ff.; Moldenhauer in: Crone/ Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 131. 9) Zur Entwicklung eines Leitbildes des sanierten Unternehmens als Bestandteil des Insolvenzplans s. Frege/ Nicht in: Theiselmann, Praxishdb. Restrukturierungsrecht, Kap. 18 D. I. 6., Rz. 127 – 148, sowie Hess, WPg 2009, 299, 300, und Kraus in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 4 Rz. 11 ff.; Crone in: Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 107ff. 10) Vgl. auch Voskuhl in: Mönning, Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz, § 15 Rz. 1 ff. 11) Kraus in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 4 Rz. 39 f.; Jung/Weniger in: Crone/ Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 303 ff. 12) S. auch Stapper in: Mönning, Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz, § 16 Rz. 1 ff.

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Kommunikation und Verhandlung in der Insolvenz

§2

Situationen, die sofort eingesetzt werden müssen.13) „Unternehmenskrisen gehen oft mit Kommunikationskrisen einher.“ heißt es wohl nicht ganz zu Unrecht im Schrifttum.14) Die Bedeutung der Kommunikation für die Bewältigung von Krise und Insolvenz zeigt sich 8 ferner, wenn von den Beteiligten schwierige Entscheidungen i. R. des Sanierungsprozesses erwartet werden, d. h., wenn es die Unternehmensleitung nicht selbst in der Hand hat, die erforderlichen Sanierungsmaßnahmen umzusetzen, weil z. B. Eigenkapitalzuführungen,15) Kreditgewährungen und Stundungen,16) Forderungsverzichte17) oder Vertragsanpassungen erforderlich werden. Denn hier orientieren sich Beteiligte häufig an einer wirtschaftsrechtlichen Grundregel, wonach unternehmerische Ermessensentscheidungen auf unsicherer Tatsachen- und Entscheidungsgrundlage – und um solche Sachverhalte und Entscheidungen wird es in der Unternehmenssanierung im leistungswirtschaftlichen und im finanzwirtschaftlichen Bereich gehen – von den Entscheidern nur auf der Grundlage angemessener Information getroffen werden dürfen (vgl. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG).18) Dies können sein:

9



Kreditvergabeentscheidungen von Banken und Lieferanten bzw. Entscheidungen über die Beendigung bzw. Nichtbeendigung von laufenden Krediten,19)



Entscheidungen über die Gewährung von Eigenkapital oder Darlehensverzicht durch die Gesellschafter des Unternehmens,



Entscheidungen über den Umtausch von Forderungen gegen Übernahme von Gesellschaftsanteilen (Debt Equity Swap),



Entscheidungen über den Weiterbezug oder die Weiterbelieferung durch Kunden und Lieferanten,20)



Entscheidungen über Forderungsverzichte durch sämtliche Forderungsinhaber,



Entscheidungen über öffentliche Zuwendungen durch Verwaltungsträger.21)

Die angemessene Information der Entscheidungsträger setzt einen Kommunikations- 10 prozess zwischen beiden Seiten – z. B. in Form der Erläuterung von Sanierungsplan und Finanzplan – voraus, der die Übermittlung von entscheidungserheblichen Inhalten zum Gegenstand hat. Hier wird die Unternehmensleitung regelmäßig bestrebt sein, den Ent___________ 13) Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, S. 79 ff.; Frege, Verhandlungserfolg, Teil 1 B., S. 17 ff.; Homuth, Wirksame Krisenkommunikation, S. 18 ff.; Hering/Schuppener/Schuppener, Kommunikation in der Krise, 3.3, S. 40 ff.; Salewski, Die Kunst des Verhandelns, S. 117 ff.; Saner, Verhandlungstechnik, S. 13 ff.; Schranner, Teure Fehler, S. 169 ff.; Schranner, Verhandeln im Grenzbereich, S. 99 ff.; Jung/ Weniger in: Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 303 ff.; Stapper in: Mönning, Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz, § 16 Rz. 5 ff.; Voskuhl in: Mönning, Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz, § 15 Rz. 82 ff.; Wachs, Faktor V – Die fünf Phasen erfolgreichen Verhandelns, S. 21 ff.; Weisbach/Sonne-Neubacher, Professionelle Gesprächsführung, S. 107 ff. 14) Hering/Schuppener/Schuppener, Kommunikation in der Krise, 3.4, S. 41. 15) Hierzu Crone/Kreide in: Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 247. 16) Crone/Kreide in: Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 223f. 17) Crone/Kreide in: Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 248. 18) Zur unternehmerischen Ermessensentscheidung im Insolvenzumfeld Kebekus/Zenker in: FS Maier-Reimer, 2010, S. 319 ff.; zu unternehmerischen Ermessensentscheidungen des Insolvenzverwalters Frege/Berger, ZIP 2008, 204 ff., und Berger/Frege/Nicht, NZI 2010, 321 ff.; Frege/Nicht in: FS Wellensiek, 2011, S. 291 ff.; Uhlenbruck in: FS K. Schmidt, 2009, S. 1603 f.; Jungmann, NZI 2009, 80 ff.; monographisch Bönner, Unternehmerisches Ermessen und Haftung des Insolvenzverwalters im Vergleich, S. 104 ff.; Oldiges, Die Haftung des Insolvenzverwalters unter der Business Judgment Rule, S. 114 ff., 135 ff. 19) Zur Kommunikation mit Banken und Lieferanten s. a. Hess, Sanierungshandbuch, S. 423 f. 20) Zur Kommunikation mit Kunden s. a. Hess, Sanierungshandbuch, S. 443. 21) Zur Kommunikation mit Behörden u. a. s. a. Hess, Sanierungshandbuch, S. 444.

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§2

Einführung

scheidungsvorgang bei der Gegenseite im Unternehmensinteresse bereits mitzugestalten, denn Kommunikation wird im Lichte einer vorgegebenen Zielsetzung ablaufen.22) 11 Dies vorausgesetzt sollte zwingend – und besonders im aufgeheizten Klima23) einer Unternehmenskrise – beachtet werden, dass Kommunikation nicht lediglich auf der sachlichen Ebene der objektiven Zahlen, Daten und Fakten (sog. „Sachebene“, die überwiegend mit sog. digitalen Informationen besetzt ist) stattfindet.24) Die konkrete Art und Weise der Informationserteilung, ihr Umfang und ihre sprachliche Ausgestaltung, die Form und Übermittlungsart und die zeitliche Einordnung lassen vielfältige Schlüsse auf die Persönlichkeit, die Struktur und Organisation des Absenders zu (sog. „Selbstoffenbarungsebene“),25) des Weiteren auf sein Verständnis von der personalen Beziehung zum Informationsempfänger (sog. „Beziehungsebene“)26) und schließlich auf seinen Erwartungshorizont im Hinblick auf das zukünftige Verhalten des Informationsempfängers und weiterer Beteiligter (sog. „Appellebene“).27) Kommunikation ist deshalb qualitativ weitaus mehr als der Transport von entscheidungserheblichen Daten und Fakten, weil besonders im personalen Bereich zahlreiche wichtige Inhalte auch auf den drei anderen Nachrichtenebenen übermittelt werden. 12 Die zögerliche, wichtige Informationen zurückhaltende und sich in den Details teilweise widersprechende Kommunikation des Betroffenen hat zu einem schweren Glaubwürdigkeits- und Ansehensverlust des Betroffenen geführt, der auch durch ein späteres Fernsehinterview in den öffentlich-rechtlichen Sendern ARD und ZDF nicht kompensiert werden konnte. Insbesondere die Anrufe in der Redaktion und beim Vorstand des Verlagshauses haben in der öffentlichen Wahrnehmung zu einer massiven Beschädigung des öffentlichen Ansehens des Amtsträgers geführt. Insbesondere der – auf der Mailbox aufgezeichnete – Anruf bei dem Chefredakteur der Tageszeitung wurde später nahezu ausschließlich auf der Selbstoffenbarungsebene, der Beziehungsebene und besonders auf der Appellebene wahrgenommen und medial und politisch ausgewertet. Hieraus wurde vielfach der Schluss auf die fehlende persönliche und fachliche Eignung für die Übernahme des Staatsamtes abgeleitet. Diese Gefahr droht für Unternehmensvorstände und Geschäftsführer gerade auch i. R. eines Eigenverwaltungsverfahrens in gleicher Art und Weise. 13 In Krise und Insolvenz sind die Kommunikationsprozesse nicht auf Informationserteilungen beschränkt, wenngleich die angemessene Information der Beteiligten eine wichtige Grundlage für eine erfolgreiche Einbindung in den Sanierungsplan bilden dürfte.28) Die Planverwirklichung ist im Grundsatz nur im Konsens möglich.29) 14 Neben der Informationserteilung ist die Unternehmensleitung damit befasst, Meinungen, Einstellungen und Erwartungen d. h. Umstände, die einer objektiven Verifizierung nicht zugänglich sind und damit in hohem Maße der persönlichen subjektiven Wahrnehmung unterliegen zu beeinflussen und zu steuern, ferner verschiedene wirtschaftliche Entschei___________ 22) S. die Definition bei Bruhn, Kommunikationspolitik, 1.1, S. 3: „Kommunikation bedeutet die Übermittlung von Informationen und Bedeutungsinhalten zum Zweck der Steuerung von Meinungen, Einstellungen, Erwartungen und Verhaltensweisen bestimmter Adressaten gemäß spezifischer Zielsetzungen.“ 23) Vgl. Stapper in: Mönning, Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz, § 16 Rz. 1 ff.; Voskuhl in: Mönning, Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz, § 15 Rz. 83 ff. 24) Schulz von Thun, Miteinander reden, Bd. 1, S. 44 ff., 47 f. 25) Hierzu i. E. Schulz von Thun, Miteinander reden, Bd. 1, S. 44 ff., 54 f. 26) Hierzu i. E. Schulz von Thun, Miteinander reden, Bd. 1, S. 44 ff., 51 f. 27) Hierzu i. E. Schulz von Thun, Miteinander reden, Bd. 1, S. 44 ff., 58 f. 28) Zum Informationsumfang im darstellenden Teil des Insolvenzplans Frege/Nicht in: Theiselmann, Praxishdb. Restrukturierungsrecht, Kap. 18 D. I. 6., Rz. 127 ff.; Mai, Insolvenzplanverfahren, Teil 2, J., S. 187 ff.; Rendels/Zabel, Insolvenzplan, C. II., Rz. 121 ff. 29) Zu den Anforderungen an die Annahme eines Insolvenzplans Frege/Nicht in: Theiselmann, Praxishdb. Restrukturierungsrecht, Kap. 18 D. III., Rz. 230 ff.; Mai, Insolvenzplanverfahren, Teil 3, D. – N., S. 293 ff.

12

Frege/Nicht

Kommunikation und Verhandlung in der Insolvenz

§2

dungen – die mit sehr weitreichenden Zugeständnissen verbunden sein können – vorzubereiten, zu verhandeln, inhaltlich auszugestalten, umzusetzen und zu vermitteln. In diese Kategorie von wirtschaftlichen Entscheidungen fallen die originären geschäftlichen Entscheidungen der Unternehmensleitung (z. B. die Anpassung des Mitarbeiterstamms, die Vornahme gesellschaftsrechtlicher Umstrukturierungen durch Übertragung von Geschäftsanteilen etc.), aber auch die Entscheidungen externer Beteiligter (z. B. Forderungsverzichte der Gläubiger i. R. eines Insolvenzplans etc.), die in das Kommunikationskonzept des Unternehmens integriert werden müssen. Die nachfolgenden Darstellungen geben dem Praktiker einen Überblick zu Kommunika- 15 tionsbeziehungen im Eröffnungsverfahren und im eröffneten Insolvenzverfahren. Es wird versucht, sachgerechte Vorschläge für eine gute und gelungene Verfahrenskommunikation auf der Grundlage des Verfahrensrechts einerseits und der Erkenntnisse der Kommunikationspsychologie andererseits zu entwickeln. In jüngerer Zeit hat sich gezeigt, dass auch Konzernunternehmen von der Insolvenz erfasst werden können. Da das deutsche und europäische Insolvenzrecht kein konsolidiertes Konzerninsolvenzverfahren kennt, ist die Eröffnung parallel verlaufender Insolvenzverfahren über die Vermögen der beteiligten Konzernunternehmen die regelmäßige Folge. Insoweit werden Teile eines Unternehmens in rechtlich eigenständigen Insolvenzverfahren verwaltet, was bei fehlender Koordination dieser Verfahren zu einem materiellen Wertverlust führen kann. Eine große Herausforderung besteht neben der verfahrensmäßigen und wirtschaftlichen Koordination30) in der Abstimmung der Unternehmenskommunikation, die im besten Fall über eine zentrale Konzerngesellschaft bzw. deren Insolvenzverwalter gesteuert werden sollte. II.

Kommunikations- und Verhandlungssituationen im Eröffnungsverfahren

1.

Einleitung

Der Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wird vom Unternehmen gestellt, sofern 16 ein Eröffnungsgrund gemäß §§ 17 bis 19 InsO vorliegt, d. h. wenn die tatsächliche oder drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung das Unternehmen zur Antragstellung ermächtigt (§ 15 InsO) oder gemäß § 15a Abs. 1 InsO verpflichtet. Das Unternehmen befindet sich demnach bereits in einem fortgeschrittenen Stadium der Krise31) (Erfolgskrise oder Liquiditätskrise) und kann den Eröffnungsantrag – so sehen es § 1 Satz 1 und 2, § 270d Abs. 1 InsO ausdrücklich vor – stellen, um mit den besonderen „Sanierungswerkzeugen“ des Insolvenzrechts, insbesondere aufgrund der Verwendung eines Insolvenzplans, den Erhalt des Unternehmens zu erreichen und sich zu entschulden (vgl. § 225 Abs. 1 und § 227 Abs. 1 InsO). Unter dem Gesichtspunkt der guten Unternehmenskommunikation werden in dieser 17 Phase die Maßgaben und Handlungsempfehlungen zu beachten sein, die in etwas verallgemeinerter Form für die Kommunikation in Veränderungslagen und Krisensituationen erläutert wurden: 

Die Kommunikation muss vom Unternehmen aktiv betrieben werden,



sie muss konsistent, glaubwürdig und reflektierend sein,

___________ 30) S. Becker, Kooperationspflichten in der Konzerninsolvenz, S. 184 ff.; Nicht, Konzernorganisation und Insolvenz, S. 137 ff.; Verhoeven, Die Konzerninsolvenz, S. 134 ff.; Rendels/Zabel, Insolvenzplan, F. V. – IX., Rz. 431 – 498. 31) Zur Entstehung und Entwicklung von Unternehmenskrisen Kraus in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 5 II. 2, S. 137 f.

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§2 

Einführung Perspektiven sollen aufgezeigt, der vom Schuldner vorgelegte Insolvenzplan als Chance zum Neubeginn32) erläutert werden.

18 Die der Antragstellung vorausliegende Existenzkrise des Unternehmens weist zudem die Besonderheit auf, dass der bereits eingetretene Zustand viele – insbesondere externe – Beteiligte unmittelbar zur Bewertung ihrer Positionen und ggf. zum Handeln zwingt: 

Die finanzierenden Banken müssen die Kündigung der Kreditlinien und den Widerruf eventueller Verfügungsermächtigungen über Sicherungsgut erwägen, um das eigene und das zur Sicherheit übertragene Vermögen zu schützen,



Lieferanten kommen ihren vertraglichen Pflichten häufig nur noch gegen Vorkasse nach, um ihren vertraglichen Leistungsanspruch auch tatsächlich durchzusetzen,



qualifizierte Mitarbeiter suchen oftmals nach neuen Perspektiven außerhalb des Unternehmens, um ihren Lebensstandard zu sichern,



Kunden wählen Konkurrenzprodukte aufgrund unsicherer Gewährleistungsrechte und ungewisser zukünftiger Ersatzteilversorgung.33)

19 Der Eintritt des Insolvenzfalls ist insoweit mit erheblichen negativen Gefühlen und enttäuschten Erwartungen verbunden. Will die Unternehmensleitung in dieser ernsten Situation ein Sanierungskonzept erfolgreich durchsetzen, muss sie diesen Emotionen und den geschilderten Bestrebungen (Verhaltenstendenzen) entgegenwirken.34) Sie wird hierbei nicht um den Versuch umhin kommen, bei den Beteiligten aktiv für ihr Sanierungskonzept zu werben und um Vertrauen und Mitwirkung zu bitten.35) Insoweit ist die Unternehmensleitung im Insolvenzfall gut beraten, wenn sie mit einem schlüssigen und auf Vertrauensgewinn gerichteten Kommunikationskonzept geradlinig auf die Beteiligten zugeht und die strategische Zukunftsplanung nachvollziehbar vermittelt. 20 Gerade in der Krise dominieren insbesondere bei den externen Beteiligten die Grundbedürfnisse nach 

Orientierung (Was passiert im Moment und was kann/sollte ich tun?),



Stabilität (Wie können Rechtspositionen bestmöglich gesichert werden?),



Sicherheit (Welche hoheitlichen Sicherungsinstrumente greifen?),



Mitwirkungs- bzw. Einflussnahmemöglichkeit (Wie kann ich selbst Einfluss auf den Geschehensablauf nehmen?).

21 Belässt man die Beteiligten hingegen im Zustand der Desorientierung, Unsicherheit und dem als negativ empfundenen Gefühl, den Gang der Ereignisse nicht mit beeinflussen zu können, kommt es zu der geschilderten Abwendung vom Unternehmen und zu gefährlichen (zerstörerischen) Gegenreaktionen. Dies dürfte regelmäßig zum Scheitern der Sanierungsversuche führen. 22 Es sollten umgehend Betriebsversammlungen einberufen werden, um den Mitarbeitern den aktuellen Stand des Unternehmens und die Perspektiven zu erläutern. Es dürfen keine Gerüchte, Halbwahrheiten und Spekulationen in Umlauf sein, die zur Verunsicherung beitragen. Die Rechtswirkungen der Insolvenzantragstellung müssen zutreffend und umfassend erläutert werden. Die Belegschaft muss wissen, was auf sie „zukommen kann“ und nach Ansicht der Unternehmensleitung „zukommen soll“. Auch Kunden und Kreditinstitute sind entsprechend – nach Möglichkeit im persönlichen Gespräch – zu informieren. ___________ 32) 33) 34) 35)

14

S. a. Paulus, ZGR 2005, 309 ff.: „Die Insolvenz als Sanierungschance – ein Plädoyer“. S. a. Kraus in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 5 II. 2., S. 139. S. zu den dazu erforderlichen emotionalen Kompetenzen Paulus/Hörmann, NZI 2013, 623 ff. So in der Sache auch Kraus in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 5 II. 2., S. 139.

Frege/Nicht

Kommunikation und Verhandlung in der Insolvenz

§2

Schließlich ist zu beachten, dass infolge des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens 23 weitere Adressaten in das Kommunikationsverhalten einzubeziehen sind. Im Bereich des für die Bearbeitung des Insolvenzantrags zuständigen Amtsgerichts – Insolvenzgerichts – sind dies zunächst der Insolvenzrichter, später der Rechtspfleger (vgl. § 18 RPflG). § 10a Abs. 1 InsO sieht nunmehr einen gesetzlichen Anspruch auf ein Vorgespräch mit dem Insolvenzrichter vor, soweit zwei der drei Voraussetzungen des § 22a Abs. 1 InsO einschlägig sind. Unterhalb dieser Schwelle besteht ein Anspruch auf sachgerechte Ermessensausübung des Insolvenzgerichts hinsichtlich eines solchen Vorgesprächs. Zudem begründen die Einleitung und später die Eröffnung neue Zuständigkeiten für weitere insolvenzrechtliche Verfahrensorgane in Gestalt von Gläubigerausschuss (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, §§ 22a, 67 ff. InsO) und -versammlung (§§ 74 ff. InsO), Insolvenzverwalter (§§ 56, 56a InsO) oder Sachwalter (§§ 274 ff. InsO). Das Kommunikationskonzept muss auf diese Erweiterung des betroffenen Personenkreises abgestimmt werden, indem anhand der rechtlichen Rahmenbedingungen der InsO36) und ansonsten nach dem Modus „Inside-Out“ und „TopDown“ festgelegt wird, wann wer angesprochen wird. 2.

Die Einleitung des Insolvenzverfahrens durch die Insolvenzschuldnerin

2.1

Vorbereitende Maßnahmen

Die Einleitung des Insolvenzverfahrens durch Antragstellung beim Insolvenzgericht ist ein 24 Vorgang, der – sofern Sanierungshindernisse möglichst weitgehend beseitigt werden sollen – im Hinblick auf die Unternehmenskommunikation besondere Festlegungen und Maßnahmen erfordert: 

Wann und in welcher Weise werden die Hauptgläubiger angesprochen? (siehe auch §§ 10a Abs. 2, 22a Abs. 2 InsO);



Wann und in welcher Weise wird das Insolvenzgericht angesprochen? (siehe auch § 10a Abs. 1 InsO);



Wann und in welcher Weise werden die Belegschaft und ggf. der Betriebsrat informiert?



Wie sieht ggf. die Kommunikation mit verbundenen Konzerngesellschaften aus? (siehe auch §§ 3a – 3e, 56b, 269a ff. InsO);



Sind mehrere Insolvenzanträge in der Unternehmensgruppe zu kombinieren oder zumindest abzustimmen? (siehe auch §§ 3a – 3e, 56b, 269a ff. InsO);



Sind gesellschaftsrechtliche Maßnahmen zu ergreifen? (Neubesetzung der Vertretungsorgane, Satzungsänderungen, Sitzverlegung);37)



Sind Behörden und politische Institutionen einzubeziehen?



Ist eine Insolvenzgeldvorfinanzierung vorzubereiten?

Infolge der Reform der InsO durch das ESUG38) haben sich die Anforderungen an die 25 Unternehmensleitung vergrößert, denn die vom Gesetz vorgesehene Stärkung der Gläubigerbeteiligung im Eröffnungsverfahren erfordert weiteren Handlungs- und Kommu___________ 36) S. zu den Informationsrechten und Informationspflichten der Beteiligten nach der InsO ausführlich Frege/Nicht, InsVZ 2010, 407 ff. = ZInsO 2012, 2217 ff. 37) S. zu den gesellschaftsrechtlichen Fragen die Entscheidungen der Gerichte im Fall des Suhrkamp-Verlages: BVerfG v. 18.12.2014 – 2 BvR 1978/13 (Suhrkamp), ZIP 2015, 80, dazu EWiR 2015, 49 (Bähr); BVerfG v. 4.12.2014 – 2 BvR 1978/13 (Suhrkamp), DRiZ 2015, 133; BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14 (Suhrkamp), BGHZ 202, 133 = ZIP 2014, 1442, dazu EWiR 2014, 521 (Madaus). 38) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), v. 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2582.

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nikationsbedarf, um die geeigneten Maßnahmen für die Umsetzung des Sanierungskonzepts treffen zu können. 26 Dies kann z. B. ein Antrag auf Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses gemäß § 22a Abs. 2 InsO sein. In diesem Antrag müssen die möglichen Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses benannt und deren Einverständnis mit der Bestellung mitgeteilt werden. Dies setzt voraus, dass das Unternehmen im Vorfeld die geeigneten Kandidaten ermittelt und sich ihrer Mitwirkung versichert hat. Soweit ein Insolvenzverfahren nicht in Eigenverwaltung, sondern als Regelinsolvenzverfahren durchgeführt werden soll, ist zu überlegen, wer als Insolvenzverwalter in Betracht kommen könnte, denn auch insoweit haben die im Insolvenzantrag gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 InsO kenntlich zu machenden Hauptgläubiger ein Mitspracherecht (vgl. § 56 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 und 2 und § 56a Abs. 1 und 2 InsO).39) 27 Im eröffneten Verfahren ist die Umwandlung von Forderungen der Gläubiger in Eigenkapital i. R. eines Insolvenzplans zulässig (§ 225a Abs. 2 InsO). Hierdurch können die Mitgliedschaftsrechte der Gesellschafter berührt werden (vgl. §§ 217, 225a Abs. 5, §§ 238a, 246a InsO). Auch besteht die Möglichkeit, dass die Gesellschafter sich freiwillig im Insolvenzplan gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen unterwerfen (vgl. §§ 228, 230 InsO). Soweit demnach ein Insolvenzplanverfahren unter Einbeziehung der Gesellschafter angestrebt wird, sind die Gesellschafter im Wege vorbereitender Kommunikation einzubeziehen. 28 Im Vorfeld des Insolvenzantrags muss die Unternehmensleitung – sollte sie ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung mit Insolvenzplan in Erwägung ziehen – die Gesellschafter ansprechen und Vorbereitungen für eine Entschuldung treffen. Hier sind Rangrücktritte – sofern nicht bereits geschehen – zu verhandeln und Anteilsübertragungen i. R. eines denkbaren Debt Equity Swaps vorzunehmen bzw. vorzubereiten. Dies setzt voraus, dass sich Altgesellschafter aus dem Unternehmen zurückziehen möchten und Gläubiger zur Umwandlung ihrer Forderungen in Eigenkapital bereit sind. 29 Es kann aus Sicht des betroffenen Unternehmens sinnvoll sein, beim zuständigen Insolvenzgericht ein Vorgespräch (§ 10a InsO) zu beantragen, in dessen Rahmen mit dem Insolvenzrichter Fragen zur Gläubigerbeteiligung, aber auch zu sonstigen, das Verfahren betreffenden Gegenständen erörtert werden können. 30 Zwar haben nach § 10a Abs. 1 Satz 1 InsO nur Unternehmen, die zwei der drei Voraussetzungen des § 22a Abs. 1 InsO erfüllen einen Anspruch, ein solches Gespräch durchführen zu können. Kleineren Unternehmen ist der Weg zum Vorgespräch jedoch nicht vollständig versperrt, da in diesem Fall das Angebot eines solchen Gesprächs im Ermessen des Gerichts liegt (§ 10a Abs. 1 Satz 2). 2.2

Stellung des Insolvenzantrags durch die Insolvenzschuldnerin

31 Der notwendige Inhalt eines Eröffnungsantrags ist in § 13 Abs. 1 InsO beschrieben. Eine umfangreiche Ergänzung für Eröffnungsanträge verbundener Unternehmen liegt in § 13a InsO vor. Hieraus ergibt sich, welche Pflichtangaben zu erfolgen haben und welche Unterlagen beim Insolvenzgericht einzureichen sind. Hierzu gehören bei nicht eingestelltem Geschäftsbetrieb eine Forderungsaufstellung und die Kenntlichmachung verschiedener besonders bedeutsamer Forderungen gemäß § 13 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 bis 5 InsO. Zudem müssen Angaben zur Bilanzsumme, zu den Umsatzerlösen und zu den Arbeitnehmerzahlen gemacht werden, soweit der Geschäftsbetrieb noch nicht eingestellt ist. Dies dient der Prüfung, ob die Merkmale des § 22a Abs. 1 InsO erfüllt sind. Die Angaben sind verpflichtend, soweit der Schuldner Eigenverwaltung beantragt hat, die Merkmale des § 22a Abs. 1 InsO ___________ 39) S. bereits AG Hamburg v. 18.11.2011 – 67g IN 459/11 (Sietas-Werft), ZIP 2011, 2372.

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erfüllt oder die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses beantragt hat. Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 6 Nr. 3 InsO i. V. m. § 22a Abs. 2 InsO kann ein vorläufiger Gläubigerausschuss mit dem Eröffnungsantrag mit beantragt werden. Angesichts der Bedeutung der zu treffenden Maßnahmen und des absehbaren organisatorischen Aufwands ist zu empfehlen, bereits vor der förmlichen Antragstellung die Abstimmung mit dem Insolvenzgericht (§ 10a Abs. 1 Satz 1 InsO) und den Hauptgläubigern zu suchen. Bei Konzerninsolvenzen kann es darüber hinaus geboten sein, weitere Gesellschaften der 32 Unternehmensgruppe und ggf. weitere Insolvenzgerichte – u. U. auch ausländische Gerichte40) – einzubinden, auch um Zuständigkeitsfragen bereits vorab zu klären.41) 2.3

Stellung des Antrags auf Anordnung der Eigenverwaltung durch die Insolvenzschuldnerin

Dem Antrag auf Anordnung der (vorläufigen) Eigenverwaltung hat das Insolvenzgericht 33 zu entsprechen, wenn dem Antrag gemäß § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO eine vollständige und schlüssige Eigenverwaltungsplanung beigefügt wurde und keine Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass diese auf unzutreffenden Tatsachen beruht. Mit dem durch das SanInsFoG eingeführten Erfordernis einer Eigenverwaltungsplanung (§ 270a Abs. 1 InsO) reagiert der Gesetzgeber auf den Befund der ESUG-Evaluation,42) dass der Zugang zur Eigenverwaltung begrenzt werden soll.43) Zur Anordnungsentscheidung des Gerichts ist der vorläufige Gläubigerausschuss nunmehr nach § 270b Abs. 3 InsO in den Fällen des Absatz 2 der Vorschrift zu hören. Diesem vorläufigen Gläubigerausschuss muss eine angemessene Entscheidungsgrundlage vorgelegt werden, die sich inhaltlich und strukturell an den Grundsätzen der Business Judgement Rule orientieren könnte.44) 2.4

Vorlage eines vorbereiteten Insolvenzplans

Mit dem Eröffnungsantrag kann das Unternehmen gemäß § 218 Abs. 1 Satz 2 InsO einen 34 vorbereiteten Insolvenzplan einreichen.45) Da mit diesem Insolvenzplan in die Rechte der gesicherten und ungesicherten Gläubiger und der Anteilseigner des Unternehmens eingegriffen werden kann und auch regelmäßig eingegriffen wird (vgl. §§ 223, 223a, 224, 225, 225a InsO), ist es zweckmäßig, den Planentwurf zumindest mit den Hauptgläubigern – die gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 InsO im Eröffnungsantrag benannt werden müssen – und mit den Gesellschaftern inhaltlich und im Hinblick auf das avisierte Verfahren abzustimmen. Eine für die Beteiligten überraschende und inhaltlich nicht vorabgestimmte Vorlage kann sich negativ auf die Bereitschaft auswirken, aktiv und ggf. unter empfindlichen Einschnitten an der Sanierung mitzuwirken. Die Aufgabe der Unternehmensleitung besteht darin, die Beteiligten von dem Sanierungskonzept, das in der Regel den Kern des Insolvenzplans bilden wird, zu überzeugen und deren Mitwirkungsbereitschaft zu erlangen. Hierzu muss kommunikativ aktive Überzeugungsarbeit geleistet werden. Gegenüber den Hauptgläubigern und ___________ 40) Zur Kommunikation der Insolvenzgerichte s. Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417 ff. 41) Zur Problematik des Gerichtsstands vgl. LG Berlin v. 8.1.2018 – 84 T 2/18, ZIP 2018, 140, dazu EWiR 2018, 85 (J. Schmidt); AG Charlottenburg v. 13.12.2017 – 36n IN 6433/17, ZIP 2018, 43. 42) Abrufbar unter: www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/News/Artikel/101018_Gesamtbericht_Evaluierung_ESUG.pdf (Abrufdatum: 14.2.2023). 43) Allg. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/241181, S. 84. 44) Berger/Frege/Nicht, NZI 2010, 321 ff.; Kühne in: Borchardt/Frind, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Kap. 5 D., S. 233 ff., Kap. 17 C., S. 626 ff. 45) Zum Vorlagezeitpunkt Frege/Nicht in: Theiselmann, Praxishdb. Restrukturierungsrecht, Kap. 18 D. I., Rz. 92 ff.

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Gesellschaftern ist die Verwendung verobjektivierter, ggf. digitaler Informationen angemessen, z. B. durch Vorlage eines dem IDW S 646) entsprechenden Sanierungsgutachtens. 3.

Zusammenarbeit zwischen Insolvenzgericht und vorläufigem Gläubigerausschuss

35 Die Gläubigermitbestimmung insbesondere im Eröffnungsverfahren führt insbesondere im Eröffnungsverfahren dazu, dass der Insolvenzrichter, der vorläufige Insolvenzverwalter bzw. der eigenverwaltende Schuldner, der vorläufige Sachwalter und die Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses häufig miteinander in Kontakt treten – miteinander kommunizieren – müssen. Es sind verschiedene wirtschaftliche und verfahrensrechtliche Entscheidungen zu treffen, an denen die Beteiligten in unterschiedlicher Weise mitwirken. 36 Dem Insolvenzgericht obliegen hierbei die formale Verfahrensdurchführung (z. B. durch die Prüfung des Insolvenzantrags auf dessen Zulässigkeit und die Anordnung von Sicherheitsmaßnahmen gemäß §§ 21, 22 InsO) und die Rechtmäßigkeitsaufsicht in Bezug auf das Handeln des vorläufigen Insolvenzverwalters und des vorläufigen Gläubigerausschusses, während die wirtschaftlichen Zweckmäßigkeitsfragen vom vorläufigen Insolvenzverwalter bzw. dem eigenverwaltenden Schuldner, dem vorläufigen Sachwalter und dem vorläufigen Gläubigerausschuss bearbeitet werden.47) Vom Insolvenzrichter wird verlangt, dass er auch in den wesentlichen Verfahrensfragen dem vorläufigen Gläubigerausschuss Gehör verschafft bzw. den Ausschuss aktiv in die Entscheidungsfindung wie folgt einbezieht: 3.1

Die Mitwirkung des vorläufigen Gläubigerausschusses an der Auswahl des Insolvenzverwalters

37 Das Gesetz sieht in § 56a Abs. 1 InsO vor, dass die Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses sich zu den Anforderungen und zur Person des Insolvenzverwalters oder vorläufigen Sachwalters äußern sollen, soweit das nicht innerhalb von zwei Werktagen offensichtlich zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage des Schuldners führt. Gemäß § 56a Abs. 2 InsO darf das Insolvenzgericht von einem einstimmigen Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses nur abweichen, wenn die vorgeschlagene Person für das Amt nicht geeignet ist, wobei es hinsichtlich der Eignung auf die Kriterien in § 56 Abs. 1 InsO ankommt. Insbesondere ist ein potenzieller Insolvenzverwalter hiernach nicht ungeeignet, wenn er vom schuldnerischen Unternehmen vorgeschlagen wurde und/oder das schuldnerische Unternehmen vor dem Eröffnungsantrag in allgemeiner Form über den Ablauf eines Insolvenzverfahrens und dessen Folgen beraten hat. Es bietet sich daher für das Unternehmen an, aktiv kommunizierend an die Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses heranzutreten und ggf. im Verhandlungswege den bevorzugten Kandidaten – soweit keine Eigenverwaltung gemäß §§ 270 f. InsO beantragt werden soll – bei den Ausschussmitgliedern zu etablieren. Hierbei können die Hinweise in der Literatur zu einer angemessenen Argumentation i. R. schwieriger Verhandlungen beachtet werden.48) Die Unternehmensleitung verfügt in dieser Lage des Eröffnungsverfahrens noch über eine Mittlerposition und über den Zugang zu verschiedenen Interessengruppen (z. B. Gesellschafter, ___________ 46) IDW Standard, Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten (IDW S 6), Stand: 16.5.2018, IDW Life 8/2018, S. 813 ff. 47) S. bereits Frege in: FS Peltzer, 2001, S. 109, 114 f. 48) S. insbesondere Saner, Verhandlungstechnik, S. 41 ff., 85 ff.; Schranner, Verhandeln im Grenzbereich, S. 101 ff., und Schranner, Teure Fehler, S. 93 ff.; im Ansatz mediativ Salewski, Die Kunst des Verhandelns, S. 117 ff.; Fisher/Ury/Patton, Das Harvard-Konzept, S. 41 ff.; Bühring-Uhle/Eidenmüller/Nelle, Verhandlungsmanagement, S. 57 ff. und S. 97 ff.; Wachs, Faktor V – Die fünf Phasen erfolgreichen Verhandelns, S. 75 ff., 123 ff., 165 ff.

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Investoren, Lieferanten) und sollte diese Stellung in den Verhandlungen einsetzen, um einen geeigneten Insolvenzverwalter durchzusetzen. Hierzu muss die Unternehmensleitung im Hinblick auf die verschiedenen Beteiligten die 38 Einigungsoptionen, die Nichteinigungsalternativen und mögliche Kooperationsgewinne herausarbeiten,49) die jeweils vorliegenden Interessen der verschiedenen Gruppen analysieren (z. B. Erhalt und Sanierung des Unternehmens, Übertragung an Finanzinvestoren und ggf. Aufteilung des Unternehmens, Verwertung der Sicherungsrechte etc.) und auf dieser Basis die eigenen Argumente aufbereiten und vortragen.50) Das Mitspracherecht der Hauptgläubiger bei der Auswahl des Insolvenzverwalters ist einer der Kernpunkte der Reform des Insolvenzrechts durch das ESUG gewesen. Es beruht auf der Erkenntnis, dass diese Beteiligten, deren Vermögenswerte infolge der Insolvenz unmittelbar bedroht sind, ein rechtlich nunmehr geschütztes wirtschaftliches Interesse an der Auswahl der natürlichen Person bzw. Personen haben, die mit der Bewirtschaftung des insolventen Unternehmens betraut sein sollen. Insoweit sollte die Unternehmensleitung die Handlungsmotive und Positionen dieser Beteiligten zunächst zur Kenntnis nehmen und dann ein Kommunikationskonzept entwickeln, in dem der Nutzen des vom Unternehmen empfohlenen Insolvenzverwalters für die Gläubiger betont wird.51) In Vorbereitung des Eröffnungsantrags wird die Unternehmensleitung – soweit nicht ein 39 Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung angestrebt wird – einen sehr erfahrenen Insolvenzverwalter vorschlagen, wenn große Industrieinsolvenzen mit hoher Mitarbeiteranzahl zu betreuen sind. Es ist abzusehen, dass die übertragende Sanierung von Betriebsteilen eine Verfahrensoption sein kann, aber auch die Verhandlung mit Bietern i. R. von Übertragungsprozessen kommt in Betracht. Parallel muss das Unternehmen vom Insolvenzverwalter fortgeführt werden. Deshalb muss eine entsprechend leistungsstarke Insolvenzverwaltung angesprochen werden, die eine solche qualitativ und quantitativ anspruchsvolle Verfahrensdurchführung bewältigen kann. 3.2

Die Beteiligung des vorläufigen Gläubigerausschusses vor der Anordnung der Eigenverwaltung

In Insolvenzsituationen, die hinreichende Aussicht auf eine erfolgreiche Sanierung des Un- 40 ternehmens versprechen, kann ein vorbereiteter Sanierungs-Insolvenzplan gemeinsam mit dem Eröffnungsantrag und dem Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung beim Insolvenzgericht vorgelegt werden. In einem solchen Fall wird gemäß § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO kein vorläufiger Insolvenzverwalter, sondern ein vorläufiger Sachwalter bestellt, wenn die Eigenverwaltungsplanung des Schuldners vollständig und schlüssig ist (Nr. 1) und keine Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass die Eigenverwaltungsplanung in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruht (Nr. 2). Liegen die Voraussetzungen des § 270a InsO vor, so hat der Schuldner einen Anspruch auf Anordnung der Eigenverwaltung.52) Den Gläubigern kommt in diesem Fall kein Mitspracherecht zu, das ihnen die Möglichkeit verschafft, die Eigenverwaltung abzuwenden. Konnten die Gläubiger nach der alten Gesetzeslage noch über das für die Anordnung der 41 Eigenverwaltung maßgebliche Kriterium der Gläubigerbenachteiligung (§ 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO a. F.) disponieren, so urteilt nun der Insolvenzrichter über das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Gläubigerbenachteiligung, indem er insbesondere den nach § 270 Abs. 1 Nr. 5 ___________ 49) 50) 51) 52)

Bühring-Uhle/Eidenmüller/Nelle, Verhandlungsmanagement, S. 28 ff. und S. 59 ff. Schranner, Verhandeln im Grenzbereich, S. 101 ff.; Frege, Verhandlungserfolg, Teil 2 C., S. 197 ff. Zur argumentativen Überzeugung s. nochmals Schranner, Verhandeln im Grenzbereich, S. 101 ff. Thole, NZI Beilage z. Heft 5/2021, S. 90, 93.

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InsO zu erstellenden Kostenvergleich einer Prüfung unterzieht. Ist das Eigenverwaltungsverfahren nämlich kostenintensiver als das Regelverfahren, so ist eine Benachteiligung der Gläubigerschaft gegeben.53) Der vorläufige Gläubigerausschuss ist damit nur noch im Fall des § 270b Abs. 3 Satz 1 InsO hinsichtlich der Anordnung der Eigenverwaltung zu konsultieren. 42 Die Stellung des vorläufigen Gläubigerausschusses wird jedoch insofern gestärkt, als dass dessen einstimmige, den Schuldnerantrag unterstützende, Beschlüsse (§ 270b Abs. 3 Satz 3 InsO) nunmehr das Insolvenzgericht binden. Eine derartige Stärkung der Mitwirkung des vorläufigen Gläubigerausschusses ist im Insolvenzrecht neu. 43 Für das insolvente Unternehmen, welches gemäß §§ 270 ff. InsO ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung – ggf. unter Neubesetzung oder Ergänzung der Geschäftsführungspositionen – anstrebt, stellt sich deshalb im Vorfeld die Aufgabe, mögliche Bedenken der im vorläufigen Gläubigerausschuss repräsentierten Hauptgläubiger gegen die geplante Eigenverwaltung zu zerstreuen. Insoweit ist es von Bedeutung, zunächst den allgemeinen Vorbehalten, die gegen das Rechtsinstitut der Eigenverwaltung erhoben wurden („Es werde der Bock zum Gärtner gemacht“), zu begegnen. Sofern berechtigte Zweifel an der Eigenverwaltungsfähigkeit aufgrund des Vorliegens eines in § 270b Abs. 2 InsO genannten Defizits bestehen, wäre darzulegen, dass der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubiger auszurichten. Die Eigenverwaltung in der Insolvenz kann als ein Kooperationsmodell zwischen dem insolventen Unternehmen und seinen Gläubigern verstanden werden, weshalb es wichtig ist, den Antrag hinsichtlich der Anordnung der Eigenverwaltung mit der Darstellung der möglichen Kooperationsgewinne für die Beteiligten zu verbinden.54) Hierzu reicht es nicht aus, wenn in allgemeiner Form auf die Nutzung der branchenspezifischen Kenntnisse der Schuldnerin etc. verwiesen wird. Vielmehr muss auch hier die Unternehmensleitung die Entscheidungsberechtigten, d. h. die Hauptgläubiger, von ihren Argumenten für die Eigenverwaltung überzeugen. Sie muss innere und äußere Widerstände bei den Beteiligten überwinden, indem sie die Bedenken und Befürchtungen aufgreift, reflektiert und offensiv beantwortet. Man kann sich den Eigenverwaltungsantrag als besondere Form einer integrativen Verhandlung mit den Gläubigern vorstellen, bei der es im Gegensatz zur distributiven Verhandlung nicht um die Wertverteilung geht, sondern zunächst um eine gemeinsame Wertschaffung, die durch die Verbindung der Zugeständnisse der Gläubiger mit der Einbringung der Kompetenzen der Insolvenzschuldnerin erfolgt.55) 44 Es wurde bereits gezeigt, dass bei Kunden und Lieferanten und bei Mitarbeitern typische Vorurteile hinsichtlich des möglichen Krisenbewältigungsverhaltens des Unternehmens vorliegen können, nämlich die negative Erwartung, das Unternehmen werde zu sehr mit sich selbst beschäftigt sein und den wirtschaftlichen Umschwung nicht bewältigen können. Ferner kann die Befürchtung entstehen, es werde die berechtigten Belange der Lieferanten, Kunden, Kreditgeber und der Belegschaft unterdrücken oder nicht hinreichend adressieren. Diese typischen Vorurteile drücken die Bedürfnisse nach Kontinuität, nach Sicherheit, nach Übernahme von Verantwortung, nach Mitnahme und Orientierung und nach Gestaltungseinfluss aus. Diese Bedürfnisse müssen vom Unternehmen befriedigt werden. Im Rahmen der Krisenkommunikation werden die Bedürfnisse angemessen gespiegelt und überzeugend beantwortet. Dies kann dazu führen, dass mögliche Bedenken gegen die Anordnung der Eigenverwaltung fallengelassen werden. Das Unternehmen muss sich reflektierend zeigen ___________ 53) Hammes, NZI 2017, 233, 235. 54) Zur Bedeutung von Kooperationsgewinnen für die Verhandlung Bühring-Uhle/Eidenmüller/Nelle, Verhandlungsmanagement, S. 59 ff. 55) S. zur integrativen Verhandlung insbesondere Saner, Verhandlungstechnik, S. 85 ff.

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und die erwartete konkrete Stimmungslage der vorhandenen Beteiligten verarbeiten und hierauf reagieren. 4.

Die Zusammenarbeit des vorläufigen Insolvenzverwalters oder Sachwalters mit dem vorläufigen Gläubigerausschuss

Soweit keine vorläufige Eigenverwaltung stattfindet, kann hinsichtlich der Zusammenarbeit 45 des vorläufigen Insolvenzverwalters mit dem vorläufigen Gläubigerausschuss grundsätzlich auf die Maßgaben zum eröffneten Verfahren verwiesen werden (vgl. §§ 67 ff. InsO). Auch der vorläufige Gläubigerausschuss hat die Aufgabe, die Amtsführung des vorläufigen Insolvenzverwalters zu überwachen und zu unterstützen. Zu wichtigen geschäftlichen Entscheidungen ist der vorläufige Gläubigerausschuss in Anlehnung an die §§ 160 ff. InsO hinzuzuziehen. Wichtig für die Art und Weise der Kommunikation zwischen dem vorläufigen Gläubigerausschuss und dem vorläufigen Insolvenzverwalter ist die Feststellung, dass die Beteiligten regelmäßig unter hohem Zeit- und Handlungsdruck stehen, oftmals aber nicht über die umfangreichen Informationen verfügen (können), die an sich erforderlich wären, um eine umfassend abgewogene unternehmerische Entscheidung zu treffen. Dies kann zu einem Gefühl der Desorientierung und Schutzlosigkeit führen. Hieraus kann sich angesichts der drohenden persönlichen Haftung (§§ 60, 61, 71 InsO) eine Entscheidungsschwäche entwickeln, die das Verfahren lähmen kann. Dies ist insbesondere im Eröffnungsverfahren nicht gewollt. In diesem Stadium soll durch schnelles und entschlossenes Handeln der Entscheidungsträger versucht werden, die Vermögenssituation des Unternehmens gegen nachteilige Veränderungen zu schützen. Hierzu bedarf es Entscheidungsfreude, Entschlusskraft und Durchsetzungsstärke.56) Grundsätzlich ist zu empfehlen, durch eine Formalisierung der Entscheidungsabläufe bei den Beteiligten das Gefühl der Orientierung und Sicherheit herzustellen. Der vorläufige Insolvenzverwalter – oder bei Eigenverwaltung die Insolvenzschuldnerin selbst – kann dies erreichen, indem er bzw. sie fortlaufende Entscheidungsvorlagen erstellt, die in ihrem Aufbau und Inhalt den Maßgaben der Business Judgement Rule entsprechen.57) 5.

Kommunikation und Verhandlungen des vorläufigen Insolvenzverwalters oder der Insolvenzschuldnerin mit Kreditinstituten, Erwerbsinteressenten, Lieferanten und Auftraggebern

Während des Eröffnungsverfahrens ist das Augenmerk zunächst auf eine Sicherung des Ver- 46 mögens und die Stabilisierung des Geschäftsbetriebs gerichtet. Darüber hinaus werden finanz-58) und leistungswirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen überprüft und deren Umsetzung vorbereitet. Von besonderer Bedeutung sind in dieser Phase die Verhandlungen mit 

Kreditgebern über die Fortführung der Finanzierung,



Gesellschaftern über die Bereitstellung von Haftkapital bzw. über Rangrücktritte oder die Bereitstellung von Anteilen zur Durchführung eines Debt Equity Swaps,



Zulieferern über die Weiterbelieferung mit Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen,



Abnehmern der hergestellten und angebotenen Waren und Dienstleistungen.

___________ 56) S. a. Hess, Sanierungshandbuch, S. 440. 57) Frege/Berger, ZIP 2008, 204 ff.; Berger/Frege/Nicht, NZI 2010, 321 ff.; Frege/Nicht in: FS Wellensiek, 2011, S. 291 ff.; Uhlenbruck in: FS K. Schmidt, 2009, S. 1603 f.; Jungmann, NZI 2009, 80 ff.; monographisch Bönner, Unternehmerisches Ermessen und Haftung des Insolvenzverwalters im Vergleich, S. 104 ff.; Oldiges, Die Haftung des Insolvenzverwalters unter der Business Judgment Rule, S. 114 ff., 135 ff. 58) Vgl. Crone/Kreide in: Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, S. 217 ff.

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47 Diese Gruppen sind durch unterschiedliche Interessen gekennzeichnet.59) Hervorzuheben ist das Bedürfnis nach angemessener Kreditsicherung, um dem drohenden Ausfall der Forderungen aus Kredit- und Lieferverträgen im Fall der Verfahrenseröffnung vorzubeugen. Gesicherte Gläubiger nehmen aufgrund ihrer Privilegierung im Insolvenzverfahren (vgl. §§ 165 ff. InsO) in den Verhandlungen typischerweise eine – auf die Zukunft bezogen – risikoaverse Position ein, denn ihre Nichteinigungsoption ist die Durchsetzung eines Absonderungsrechts i. R. des Insolvenzverfahrens. Damit können sie regelmäßig eine weitreichende Befriedigung erreichen. Sie sind folglich in einer starken Verhandlungsposition. In vielen Fällen dürfen die gesicherten Gläubiger nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Absonderungsgut sogar selbst verwerten (vgl. § 166 InsO). 48 Kommunikationspsychologisch von Bedeutung ist die Frustrationserfahrung der Gläubiger. Bei ihnen ist das Vertrauen auf die Leistungsfähigkeit der Insolvenzschuldnerin enttäuscht worden. Angesichts einer statistischen Befriedigungschance zwischen 5 und 20 %, d. h. einem sehr weitgehenden Ausfallrisiko, ist die Mitwirkungsbereitschaft der Gläubiger eher gering. Sie haben sich häufig emotional von dem Unternehmen abgewendet. Insoweit ist das insolvente Unternehmen in erster Linie gefordert, den Vertrauensverlust durch Sanierungshandlungen in der Sache und durch entsprechende Kommunikation zu kompensieren, um überhaupt auf der Sachebene Lösungen verhandeln zu können. Hierzu ist es erforderlich, durch vollständige, verständliche und – bezogen auf die Person des Kommunikators – glaubwürdige Information auf die Gläubiger zuzugehen.60) 49 Dies gilt insbesondere im Falle der Anordnung eines Zustimmungsvorbehaltes i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270c Abs. 3 Satz 2 InsO. Der Umstand, dass hier faktisch eine vorläufige Insolvenzverwaltung vorliegt führt dazu, dass das Schuldnerunternehmen und der (wie ein vorläufiger Insolvenzverwalter agierende) vorläufige Sachwalter ihr Handeln koordinieren müssen, um Irritationen auf Gläubigerseite zu vermeiden.61) Soll zudem ein Insolvenzplan durchgeführt werden, der finanzielle Zugeständnisse von den Gläubigern voraussetzt (z. B. Forderungsverzichte), kann neben dem individuellen Nutzen für die einzelnen Beteiligten kommuniziert werden, dass die Befriedigungsquoten i. R. von Insolvenzplanverfahren statistisch gesehen deutlich höher liegen als in Regelinsolvenzverfahren.62) 6.

Zusammenfassung

50 Wirtschaftlich ist in der Krise die Kommunikation mit den Banken und Gläubigern wichtig; sie ist zugleich störungsanfällig, denn das Kommunikationsklima ist durch den Vertrauensverlust und das Gefühl der Unsicherheit und Bedrohung belastet. Es liegt in den Händen der Unternehmensleitung, durch schnelle, klare und glaubwürdige Botschaften das Unternehmensumfeld anzusprechen und hiermit ein positives Sanierungsklima herzustellen, das für Eigenverwaltung und Insolvenzplan grundlegende Voraussetzung ist. 51 Durch das ESUG wurde die Kommunikation während des Eröffnungsverfahrens im Hinblick auf die Gläubigerbeteiligung ausgebaut und in Teilen formalisiert. Diese gesetzgeberische Tendenz hat sich nun mit dem SanInsFoG insoweit fortgesetzt, als dass mit der Einführung der Eigenverwaltungsplanung primär ein erhöhtes Kommunikationsbedürfnis zwischen Insolvenzgericht und Schuldnerin entstanden ist. Die Stellung des vorläufigen ___________ 59) Frege, Verhandlungserfolg, Teil 4 B. und C., S. 258 f.; zur Bedeutung der Interessen Bühring-Uhle/ Eidenmüller/Nelle, Verhandlungsmanagement, S. 5 ff. 60) S. nochmals Frege, Verhandlungserfolg, Teil 4 B. und C., S. 258 f. 61) S. Erbe, NZI 2021, 753, 760. 62) Kranzusch, ZInsO 2007, 804, 806; Paffenholz/Kranzusch, Insolvenzplanverfahren – Sanierungsoption für mittelständische Unternehmen, S. 101 ff.; ferner Ehlers, ZInsO 2010, 257, 259.

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§2

Gläubigerausschusses hat sich hinsichtlich seiner Aufgaben und Kompetenzen (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO, §§ 69 bis 73 InsO) nicht geändert. Weil dem Insolvenzrichter jedoch nach der neuen Gesetzeslage die Prüfung der Schlüssigkeit der Eigenverwaltungsplanung als zentrale Entscheidungsgrundlage für die Anordnungsentscheidung obliegt, bildet die Person des Insolvenzrichters die zentrale Position. Die Gläubiger, die nur noch begrenzt auf die Anordnung der Eigenverwaltung Einfluss nehmen können, sind zur Wahrung ihrer Interessen auf ihr Recht zum Antrag auf Aufhebung des Eröffnungsverfahrens verwiesen, das für die vorläufige Eigenverwaltung nunmehr in § 270e Abs. 2 InsO geregelt wurde.63) Hierfür muss ein absonderungsberechtigter Gläubiger oder Insolvenzgläubiger die Aufhebung beantragen und glaubhaft machen, dass die Voraussetzungen für eine Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung nicht vorliegen und ihm durch die Eigenverwaltung erhebliche Nachteile drohen. III.

Kommunikations- und Verhandlungssituationen im eröffneten Insolvenzverfahren und ihre Besonderheiten

1.

Einleitung

Im Hinblick auf die Kommunikation mit den Beteiligten während des Insolvenzverfahrens 52 ist in der Sache zu unterscheiden zwischen Information, Rechtsausübung und Verhandlung. Die Informationserteilung durch die das Insolvenzverfahren leitenden Personen ist darauf 53 gerichtet, rechtlich bestehende Informationsansprüche, z. B. der Gläubiger, zu bedienen.64) Hierdurch werden die Beteiligten in die Lage versetzt, ihre jeweiligen Verfahrensrechte etc. bestmöglich wahrzunehmen. Das jeweilige Maß und die Art und Weise der gebotenen Informationserteilung lassen sich im Zusammenhang mit den verschiedenen gesetzlichen Informationsansprüchen herleiten (vgl. nur §§ 58, 69, 79, 151 ff., 156, 160 ff., 167 f. InsO).65) Rechtsausübung findet statt, wenn der Insolvenzverwalter – oder im Fall der Eigenverwal- 54 tung die Insolvenzschuldnerin bzw. der Sachwalter – Rechtshandlungen gegenüber den Beteiligten vornimmt, z. B. Erklärungen gemäß § 103 oder §§ 165 ff. InsO abgibt oder die Insolvenzanfechtung gemäß §§ 129 ff. InsO geltend macht. Über die konkrete Art und Weise der Ansprache der Erklärungsempfänger entscheidet derjenige, der die Erklärung abzugeben hat. Der Inhalt der Erklärung ergibt sich aus den verschiedenen Rechtstiteln der InsO. Verhandlungen können im Insolvenzverfahren in verschiedenster Gestalt geführt werden. 55 Hervorzuheben sind Verhandlungen mit Massegläubigern hinsichtlich der Weiterbelieferung des Unternehmens oder der Abnahme der angebotenen Dienstleistungen, des Weiteren Verhandlungen mit Investoren über die Übernahme des insolventen Unternehmens in seiner Gesamtheit oder in Teilen.66) Diese Verhandlungen sind nach kaufmännischen Maßgaben zu führen. Sie führen im Fall der Einigung der Verhandlungspartner zu kaufmännischen Ermessensentscheidungen, die auf der Grundlage der Business Judgement Rule zu treffen und auch zu kommunizieren sind: 

Benennung des Entscheidungsgegenstands,



Darstellung der Entscheidungsalternativen,



Darstellung der verwendeten Informationsquellen,



Darstellung der Ermessensabwägung.

___________ 63) 64) 65) 66)

S. Frind, NZI 2020, 865, 869. Ausführlich Frege/Nicht, InsVZ 2010, 407 ff. = ZInsO 2012, 2217 ff. Frege/Nicht, InsVZ 2010, 407 ff. = ZInsO 2012, 2217 ff. Frege, Verhandlungserfolg, Teil 4 D., S. 259 f.

Frege/Nicht

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§2 2.

Einführung Kommunikation im Regelinsolvenzverfahren

56 Im Regelinsolvenzverfahren werden die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Kommunikation zwischen den Beteiligten durch die Bestellung des Insolvenzverwalters gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1, § 56 InsO und das Hinzutreten der Verfahrensorgane Gläubigerausschuss (vgl. §§ 67 ff. InsO) und Gläubigerversammlung (vgl. §§ 74 ff. InsO) und die Zuordnung entsprechender Rechte und Pflichten verändert. 57 Der Insolvenzverwalter erhält gemäß § 80 Abs. 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das schuldnerische (haftende) Vermögen. Er wird deshalb zum zentralen Ansprechpartner für die verschiedenen Gläubiger und Mitarbeiter, die Geschäftsleitung und für das Insolvenzgericht und die Verfahrensorgane. Er führt Gespräche mit der Insolvenzschuldnerin zur Ermittlung der Rechts-, Geschäfts- und Vermögensverhältnisse (vgl. §§ 97 ff. InsO), berichtet gegenüber dem Insolvenzgericht i. R. der Verfahrensaufsicht (vgl. § 58 Abs. 1 Satz 2 InsO), berichtet gegenüber dem Gläubigerausschuss (vgl. § 69 Satz 1 und 2, §§ 160 ff. InsO) und innerhalb der Gläubigerversammlung (vgl. § 79 Satz 1 InsO); die Insolvenzschuldnerin hat Auskunftsrechte gegenüber dem Insolvenzverwalter aufgrund ihrer Eigentümerstellung, die Absonderungsberechtigten können Auskünfte gemäß §§ 167 f. InsO verlangen.67) Der Insolvenzverwalter führt darüber hinaus die Verhandlungen mit Gläubigern, Kreditinstituten und mit Investoren, die am Erwerb von Vermögensgegenständen aus der Insolvenzmasse oder dem Unternehmen insgesamt interessiert sind.68) Zumeist ist der Insolvenzverwalter Ausgangspunkt und Initiator von Kommunikationsprozessen. Dies gilt insbesondere bei Unternehmensfortführungen in der Insolvenz, da der Insolvenzverwalter hier faktisch in die Rolle der Geschäftsleitung eintritt.69) 2.1

Die Zusammenarbeit des Insolvenzverwalters mit dem Gläubigerausschuss

58 Der Insolvenzverwalter arbeitet gemäß § 69 Satz 1 InsO mit dem Gläubigerausschuss zusammen und wird von diesem bei seiner Amtsführung überwacht. Die ordnungsgemäße Zusammenarbeit und Überwachung setzt voraus, dass der Gläubigerausschuss vom Insolvenzverwalter zutreffend und umfassend informiert wird. Der Gläubigerausschuss kann Entschlüsse nur auf sachlich angemessener Informationsgrundlage treffen. Es hat sich als zweckmäßig erwiesen, den Gläubigerausschuss nicht auf sein Einsichtsrecht gemäß § 69 Satz 2 InsO zu verweisen, sondern mit Beschlussvorlagen zu versorgen, die der wirtschaftlichen Bedeutung in Art und Umfang entsprechen. Bei unternehmerischen Ermessensentscheidungen kann sich der Vorlageersteller an der Business Judgement Rule orientieren.70) Hierdurch wird eine Formalisierung des Entscheidungsvorgangs bewirkt, die den Beteiligten Sicherheit und Orientierung verschafft. Die formale und inhaltliche Grundstruktur der Entscheidungsvorlage könnte wie folgt aussehen:  Benennung von Sachbearbeiter, Ort, Zeit und Datum,  Benennung des Entscheidungsgegenstands und Themengebiets,  Darstellung der denkbaren Entscheidungsalternativen und deren Folgen,  Darstellung der denkbaren und der konkret verwendeten Informationsquellen,71)  Darstellung der konkreten Ermessensabwägung und Entschlussvorschlag. ___________ 67) Ausführlich Frege/Nicht, InsVZ 2010, 407 ff. = ZInsO 2012, 2217 ff. 68) Zur Durchführung von Unternehmenstransaktionen in der Insolvenz Kühne in: Borchardt/Frind, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Kap. 11, S. 461 ff., Kap. 17 C., S. 626 ff. 69) Zur Zusammenarbeit des Insolvenzverwalters mit den Gläubigerorganen bei Betriebsfortführungen Kühne in: Borchardt/Frind, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Kap. 17 C., S. 626 ff. 70) Ausführlich Berger/Frege/Nicht, NZI 2010, 321 ff. 71) Zur Informationsbeschaffung und -verarbeitung i. R. der Business Judgment Rule Frege/Nicht in: FS Wellensiek, 2011, S. 291 ff.

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Frege/Nicht

Kommunikation und Verhandlung in der Insolvenz

§2

Unabhängig hiervon kann der Gläubigerausschuss als Verfahrensorgan ohne Rückgriff auf 59 die Vorarbeiten des Insolvenzverwalters beraten und Beschlüsse treffen. Da im Gläubigerausschuss – insbesondere, wenn er nach dem Repräsentationsschema des § 67 Abs. 2 InsO zusammengesetzt ist – verschiedene wirtschaftliche Interessen und Positionen hinsichtlich der Verfahrensdurchführung zusammentreffen können, kann es im Einzelfall geboten sein, dass der Insolvenzverwalter als unabhängiger Amtswalter in mediativer Art und Weise zwischen den entgegengesetzten Positionen vermittelt.72) 2.2

Die Zusammenarbeit des Insolvenzverwalters mit dem Insolvenzgericht

Der Insolvenzverwalter wird vom Insolvenzgericht eingesetzt und überwacht (§ 27 Abs. 1 60 Satz 1, §§ 56, 56a, 58 InsO). Das Insolvenzgericht ist für die Rechtmäßigkeit der Verfahrensdurchführung verantwortlich. Der Insolvenzverwalter ist verpflichtet, gegenüber dem Insolvenzgericht – zuständig ist gemäß § 18 RPflG der Rechtspfleger – regelmäßig Bericht zu erstatten, damit das Gericht seiner Überwachungsaufgabe angemessen nachkommen kann. Hinsichtlich der Art und Weise der Berichterstattung haben sich in der Praxis der Insolvenzverwaltung verschiedene Standards etabliert, die vom Insolvenzverwalter beachtet werden sollten.73) Eine gesetzliche Vorschrift zur formalen und inhaltlichen Ausgestaltung des Berichtswesens existiert nicht (vgl. aber § 66 Abs. 2 InsO). Bei besonderen Anlässen kann der Insolvenzverwalter auch mündlich oder fernmündlich berichten. 2.3

Kommunikation zwischen dem Insolvenzverwalter und der Insolvenzschuldnerin und deren Organen und Angestellten

Inhalt und Umfang der Kommunikation mit der Insolvenzschuldnerin können je nach stra- 61 tegischer Verfahrensausrichtung und individueller Mitwirkungsbereitschaft der Beteiligten unterschiedlich ausfallen. Bei einer Betriebsfortführung wird der Insolvenzverwalter eng mit der Geschäftsleitung 62 und der Belegschaft zusammenwirken.74) Die Kommunikationsstrategie des Insolvenzverwalters kann hier darauf gerichtet sein, den Beteiligten den Eindruck der Wertschätzung, Anerkennung und Unterstützung zu vermitteln.75) Auch die Grundbedürfnisse der Beteiligten nach Sicherheit, Orientierung und persönlicher Gestaltungsbefugnis sollten in der Kommunikation mit den Beteiligten angemessen berücksichtigt werden. Keinesfalls sollten falsche Vorstellungen über die möglichen Perspektiven erzeugt werden, um z. B. die Mitarbeiter zu motivieren. Das Kommunikationskonzept muss glaubhaft und konsistent, der Kommunikator muss glaubwürdig sein. Es kann Fälle geben, in denen ein obstruktives Schuldnerunternehmen den Insolvenz- 63 verwalter in eine konfrontative Rolle nötigt. Der Insolvenzverwalter kann hierauf reagieren, indem er Auskünfte etc. gemäß §§ 97 ff. InsO von den Geschäftsleitern unter Mithilfe des Insolvenzgerichts erzwingt. Der Insolvenzverwalter muss in die Lage versetzt werden, auf einer angemessenen Tatsachengrundlage die Insolvenzverwaltung durchzuführen. Soweit es zu einer zwangsweisen Durchsetzung der Auskunfts- und Mitwirkungspflichten kommt, ist es zu empfehlen, die Vernehmungssituation entsprechend den Erkenntnissen der Aussage- und Vernehmungspsychologie vorzubereiten.76) Der Insolvenzverwalter sollte mit ___________ 72) Frege in: Eidenmüller, Alternative Streitbeilegung, S. 89, 109 ff. 73) Vgl. umfassend Frege/Riedel, Schlussbericht und Schlussrechnung; Zimmer, Insolvenzbuchhaltung. 74) Vgl. auch Borchardt in: Borchardt/Frind, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Kap. 4 C., D., S. 162 ff. 75) S. a. Hess, Sanierungshandbuch, S. 440 ff. 76) Vgl. insbesondere Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, passim; Wendler/Hoffmann, Technik und Taktik der Befragung, passim; Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, passim.

Frege/Nicht

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§2

Einführung

den Mitteln der Kommunikationspsychologie die Glaubwürdigkeit der Aussagenden und die Glaubhaftigkeit der Aussagen überprüfen, um sicherzustellen, dass er zutreffend und vollständig informiert worden ist. 2.4

Kommunikation und Verhandlungen des Insolvenzverwalters mit Kreditinstituten, Erwerbsinteressenten, Lieferanten und Auftraggebern

64 Hinsichtlich der Kommunikation mit (potenziellen) Vertragspartnern und Investoren gelten die zum Eröffnungsverfahren angestellten Überlegungen. Der Insolvenzverwalter befindet sich in Verhandlungssituationen mit Beteiligten, deren Motivation oftmals darin besteht, zur Durchsetzung eigener finanzieller Interessen einen hohen Verhandlungsdruck aufzubauen. Der Insolvenzverwalter ist strukturell in einer unterlegenen Verhandlungssituation. Die Verhandlungspartner sind sich oftmals bewusst, dass sie mit ihrer Entscheidung für oder gegen einen Vertragsschluss einen weitergehenden Einfluss auf die Entwicklung des Unternehmens nehmen können. In der Tendenz liegt es für sie nahe, diesen möglichen Effekt in die Verhandlung einzubringen und für die eigenen Ziele zu nutzen. Deshalb sollte der Insolvenzverwalter im Vorfeld der Verhandlung die möglichen Einigungsoptionen und Nichteinigungsalternativen der Beteiligten sehr sorgfältig ermitteln und bewerten. Sodann ist es sinnvoll, mögliche Kooperationsgewinne zu ermitteln und über deren Verteilung zu befinden. Die individuelle Verhandlungstaktik ist anhand der bestehenden Reaktionsmöglichkeiten festzulegen. Von besonderem taktischen Nutzen kann hierbei der Genehmigungsvorbehalt zugunsten von Gläubigerausschuss und Gläubigerversammlung gemäß §§ 157, 158, 160 ff. InsO sein. Der Insolvenzverwalter kann die Zuständigkeit dieser Gläubigergremien i. R. seiner Verhandlungstaktik nutzen. 3.

Kommunikation im Eigenverwaltungsverfahren

3.1

Einleitung

65 Der Gesetzgeber hat sich mit dem ESUG das Ziel gesetzt das Eigenverwaltungsverfahren in seiner praktischen Bedeutung zu stärken und mit dem Insolvenzplanverfahren zu verbinden. Hierzu sind in den §§ 270, 270a, 270d InsO Mechanismen vorgesehen, die zu einem Eigenverwaltungsverfahren führen, wenn die Sanierungsfähigkeit des Unternehmens nicht offensichtlich abgelehnt wird. Zwar wurden an der grundsätzlichen Idee und Konzeption der Eigenverwaltung sowie den Kompetenzen von Eigenverwalterin, Sachwalter und Gläubigerorganen keine wesentlichen Änderungen vorgenommen. Die aus der ESUG-Evaluation gewonnenen Erkenntnisse haben den Gesetzgeber jedoch dazu veranlasst, die Anforderungen an den Zugang zum Verfahren neu zu regeln. 66 Nach §§ 270 ff. InsO ist im Eigenverwaltungsverfahren die Insolvenzschuldnerin für die Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse zuständig. Der Sachwalter wirkt nach Maßgabe der §§ 274, 275, 277, 279 Satz 2, §§ 280, 281 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2, § 283 Abs. 1, § 284 Abs. 1, § 285 InsO hieran mit; der Gläubigerausschuss ist gemäß § 276 InsO einzubeziehen. Aus den vorgenannten Vorschriften ergibt sich die Notwendigkeit einer angemessenen Zusammenarbeit der Beteiligten im Lichte des Insolvenzzwecks (§ 1 InsO). 67 In Schrifttum und Rechtspraxis wurde schon früher eine Kombination aus Eigenverwaltung und Insolvenzplanverfahren als taugliche Konzeption zur Unternehmenssanierung angesehen.77) Durch die Regelung in § 270d Abs. 1 Satz 1 InsO n. F., wonach das Insolvenzgericht bei einem eigenen Eröffnungsantrag der Insolvenzschuldnerin wegen drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung und Eigenverwaltungsantrag sowie bei grundsätz___________ 77) S. nur Frege/Nicht in: Theiselmann, Praxishdb. Restrukturierungsrecht, Kap. 18 C. II., Rz. 57 ff.; Spies, ZInsO 2005, 1254 f.

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Frege/Nicht

Kommunikation und Verhandlung in der Insolvenz

§2

licher Sanierungstauglichkeit eine Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans zu bestimmen hat, ist dieses Kombinationsmodell seit dem ESUG gesetzlich anerkannt. Dies bedeutet, dass das Kommunikationskonzept des Unternehmens für das Eigenverwaltungsverfahren auch Inhalte und Maßnahmen im Hinblick auf die Vorlage und Durchsetzung eines Insolvenzplans enthalten muss. 3.2

Zusammenarbeit zwischen Insolvenzschuldnerin und Sachwalter

Der Erfolg des Eigenverwaltungsverfahrens wird maßgeblich von der möglichst reibungs- 68 losen Zusammenarbeit zwischen Insolvenzschuldnerin und Sachwalter abhängen. Insbesondere sollten Kompetenzkonflikte vermieden und Kooperationspotenziale genutzt werden. Problematisch können hierbei die verschiedenen „Soll-Vorschriften“ in den §§ 270 ff. InsO 69 sein: 

Gemäß § 275 Abs. 1 Satz 1 InsO sollen Verbindlichkeiten, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, nur mit Zustimmung des Sachwalters eingegangen werden.



Gemäß § 279 Satz 2 InsO soll die Insolvenzschuldnerin ihre Rechte im Hinblick auf gegenseitige Verträge nur mit Zustimmung des Sachwalters ausüben.



Gemäß § 282 Abs. 2 InsO soll die Insolvenzschuldnerin ihr Verwertungsrecht nur mit Zustimmung des Sachwalters ausüben.

Prinzipiell kann und darf die Insolvenzschuldnerin in diesen Situationen allein entscheiden, 70 sie soll jedoch im Einvernehmen mit dem Sachwalter handeln. Um dieses Einvernehmen herzustellen, sind gegenseitige Information und inhaltliche Abstimmung zu gewährleisten. Sobald es zu Spannungen zwischen der Insolvenzschuldnerin und dem Sachwalter kommt und die Gläubiger dies registrieren, kann dies zur Ablehnung der Eigenverwaltung führen, denn die Gläubiger haben kein Interesse daran, dass interne Zuständigkeitskonflikte die Verfahrensdurchführung behindern. 3.3

Zusammenarbeit zwischen Insolvenzschuldnerin und Gläubigerausschuss

Die Kommunikation zwischen Insolvenzschuldnerin und Gläubigerausschuss im Eigenver- 71 waltungsverfahren erfolgt grundsätzlich anhand der oben skizzierten Leitlinien. Hierbei ist auf sachangemessene, d. h. inhaltlich zutreffende und umfassende, Information der Ausschussmitglieder zu achten. Die Beteiligung des Gläubigerausschusses gemäß § 276 InsO bringt es mit sich, dass die In- 72 solvenzschuldnerin bzw. ihre Geschäftsleitung unmittelbar mit den Vertretern der Hauptgläubiger in Kontakt gerät. Hierbei kann es – insbesondere, wenn die Geschäftsleitung nicht neu besetzt oder ergänzt wurde – aufgrund vorheriger Frustrationserfahrungen zum Aufbrechen alter Konflikte und zur Störung der Zusammenarbeit kommen. Dies kann im Einzelfall sogar so weit führen, dass die Aufhebung der Eigenverwaltung gemäß § 272 InsO beantragt wird. Aus der Perspektive der Insolvenzschuldnerin ist deshalb eine Konfliktvermeidung geboten. 3.4

Kommunikation und Verhandlungen der Insolvenzschuldnerin mit Kreditinstituten, Erwerbsinteressenten, Lieferanten und Auftraggebern

Hinsichtlich der Kommunikation und Verhandlung der Insolvenzschuldnerin mit den ex- 73 ternen Beteiligten gelten die oben skizzierten Maßgaben mit der Besonderheit, dass die Geschäftsleitung der Insolvenzschuldnerin gegenüber einem Insolvenzverwalter den Vorteil für sich in Anspruch nehmen kann, das Unternehmen im Zweifel länger und besser zu kennen als der Insolvenzverwalter und über mehr branchenspezifisches Know-how zu verfügen. Die strukturelle Unterlegenheit gegenüber Verhandlungspartnern in der Insolvenz Frege/Nicht

27

§2

Einführung

kann hierdurch in geringem Umfang kompensiert werden. Gleichzeitig könnten sich neue Problemfelder daraus ergeben, dass z. B. die Gläubiger und Kreditinstitute persönliche Abneigungen gegen die Geschäftsleitung aufgebaut haben. Diese können sich negativ in einem Vertrauensverlust ausdrücken, der umgehend argumentativ abgebaut werden muss. Sollte diese Frustration erst i. R. der laufenden Verhandlungen bemerkt werden, könnte eine angemessene Reaktion darin bestehen, die Verhandlungen zunächst zu unterbrechen und das Verhandlungsteam neu zu besetzen. Hierdurch könnte eine Entpersonalisierung und Versachlichung erreicht werden.78) Ansonsten ist der Einsatz eines neutralen und unabhängigen Mediationsspezialisten zu erwägen.79) 3.5

Verhandlungen über den Insolvenzplan

74 Schließlich kann im Eigenverwaltungsverfahren die Abstimmung über einen Insolvenzplan (vgl. §§ 235 ff. InsO) eine besondere Rolle einnehmen. Die Insolvenzschuldnerin steht bei einem selbst vorgelegten Insolvenzplan vor der Aufgabe, die erforderlichen Mehrheiten in den Abstimmungsgruppen zu organisieren (vgl. §§ 243, 244 InsO). 75 Hierbei ist es die Aufgabe der Unternehmensleitung und ggf. des Insolvenzverwalters, bereits im Vorfeld der Erörterung und Abstimmung Einzelverhandlungen mit den Beteiligten durchzuführen. Vorbereitet werden diese Verhandlungen durch sorgfältige Analyse der bestehenden Nichteinigungsoptionen und Aufbereitung der möglichen Kooperationsgewinne. Die Gläubiger müssen von der Sanierungsfähigkeit und der Sanierungswürdigkeit des Unternehmens überzeugt werden, denn sonst sind sie nicht bereit bzw. nicht berechtigt, Zugeständnisse einzugehen (vgl. § 224 InsO). Von den Unternehmensleitern wird vorliegend verlangt, dass sie ihre Gesprächspartner genau analysieren und eine angemessene Gesprächsstrategie vorbereiten. Hierzu ist zu fragen, 

wer an den Gesprächen teilnimmt,



wie ggf. eine Gruppe zusammengesetzt ist,



wer die Entscheidungen trifft,



welche Ziele, Motive und Interessen die Beteiligten verfolgen,



welche internen Genehmigungsvorbehalte bestehen,



welche Einigungsoptionen und Nichteinigungsalternativen gegeben sind.

3.6

Zusammenfassung

76 Das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung ist in der Regel geprägt durch die personelle Kontinuität, denn im Gegensatz zum Regelinsolvenzverfahren wird keine neutrale und unbefangene Person mit der Verwaltung und Verwertung des Vermögens betraut. Der Gesetzgeber erwartet, dass durch die Weiternutzung des Knowhow der Insolvenzschuldnerin und der geschäftlichen Kontakte bessere Ergebnisse für die Beteiligten erzielt werden können. Damit sich diese Erwartung erfüllt, muss sichergestellt sein, dass die Gläubiger Vertrauen in das Rechtsinstitut und in das konkrete Vorhaben entwickeln. Hierzu ist es regelmäßig erforderlich, dass die Beteiligten den handelnden Personen bei der Insolvenzschuldnerin vertrauen. Auf die Begründung dieses Vertrauens muss die Entwicklung des Kommunikationskonzepts zugeschnitten sein.

___________ 78) Vgl. auch Frege, Verhandlungserfolg, Teil 3 B. III., S. 242 ff. 79) Zur Mediation im Insolvenzverfahren s. Frege in: Eidenmüller, Alternative Streitbeilegung, S. 89 ff.

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Frege/Nicht

Kommunikation und Verhandlung in der Insolvenz 4.

§2

Kommunikation in der Konzerninsolvenz

Der Kommunikationsumfang, die Kommunikationsdichte und die Kommunikationsqualität 77 erhöhen sich nochmals, wenn die Insolvenzschuldnerin Bestandteil einer Unternehmensgruppe80) ist und wenn mehrere Glieder dieser Unternehmensgruppe in die Krise und ggf. Insolvenz geraten. Da es im deutschen und europäischen Insolvenzrecht weder die Möglichkeit einer materiellen (substanziellen) Konsolidierung nach dem Vorbild der „Substantive Consolidation“ des US-Rechts noch einer gemeinsamen Verwaltung von Konzernvermögen in einem konzentrierten Insolvenzverfahren nach dem Vorbild der „Joint Administration“ des US-Rechts gibt, werden in Konzerninsolvenzen verschiedene Einzelverfahren über die Vermögen der verbundenen Rechtsträger eröffnet. Es gilt de lege lata der insolvenzrechtliche Grundsatz „Eine Person, ein Vermögen, ein Verfahren“. Damit die Verbundvorteile der Unternehmensgruppe auch nach Eintritt von Krise und Insolvenz weiterhin im Interesse der unterschiedlichen Verfahrensbeteiligten genutzt werden können, ist es geboten, die verschiedenen Einzelverfahren bestmöglich zu koordinieren und nach Möglichkeit zu harmonisieren. Das Ziel besteht darin, den Zerfall des vormals einheitlichen Konzernunternehmens aufgrund der Verfahrenseröffnungen und damit einen Werteverfall zu verhindern. Hierzu wurde bereits in der Vergangenheit erwogen, sämtliche Insolvenzverfahren über 78 gruppenangehörige Insolvenzschuldner an einem einheitlichen Konzerngerichtsstand zu eröffnen (vgl. nunmehr §§ 3a bis 3e InsO) und bestenfalls einem einheitlichen Insolvenzverwalter zu unterstellen, wobei die Problematik der teilweisen Inkompatibilität durch die Bestellung von Sonderinsolvenzverwaltern gelöst werden sollte.81) Auch die (teilweise) personenidentische Besetzung von Gläubigerausschüssen kann grundsätzlich ein Element zu einer harmonisierten Insolvenzverwaltung im Konzern sein. Für den Fall, dass die Vereinheitlichung auf personeller Ebene – Konzerngerichtsstand, Konzerninsolvenzverwalter, Konzerngläubigerausschuss – aus Rechtsgründen nicht zulässig oder anderweitig undurchführbar ist, wird erwogen, nicht formalisierte Koordinationsmittel einzusetzen wie Insolvenzverwaltungsverträge oder die sog. Protocols82), die insbesondere im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr zum Einsatz gekommen sind. Zudem wurde in den §§ 269a ff. InsO ein spezielles Konzernkoordinationsrecht eingeführt mit entsprechenden Informationsund Beteiligungspflichten und dem neuen Instrument des Verfahrenskoordinators. Sämtliche Koordinationsmaßnahmen und die dazugehörigen Koordinationsinstrumente sind 79 gekennzeichnet durch eine Intensivierung der Kommunikationsbeziehungen. Es ist für eine erfolgreiche Insolvenzverwaltung im Konzern – ungeachtet der Branchenzugehörigkeit und Größe des Unternehmens und des konkreten Verfahrensziels – von entscheidender Bedeutung, dass sich Insolvenzgerichte, Insolvenzverwalter und Gläubigerorgane im Interesse der Optimierung der Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmassen inhaltlich, personell und zeitlich abstimmen und auch im Außenauftritt kontrolliert und koordiniert vorgehen. ___________ 80) Rechtlicher Anknüpfungspunkt Konzerninsolvenzen betreffender Regelungen in der InsO ist nicht der Konzernbegriff in § 18 Abs. 1 Satz 1 AktG, sondern die eigenständige Definition einer Unternehmensgruppe in § 3e Abs. 1 InsO. Hintergrund ist die Vorstellung des Gesetzgebers, dass die konzerninsolvenzrechtlichen Vorschriften bereits dann eingreifen sollen, wenn die Möglichkeit zur Ausübung von Konzernleitungsmacht besteht, und nicht erst wenn – wie bei § 18 Abs. 1 Satz 1 AktG – von der Leitungsmacht bereits Gebrauch gemacht wurde, um die beteiligten Gesellschaften zu einem Konzernunternehmen zusammenzufassen. 81) S. AG Duisburg v. 1.9.2002 – 62 IN 167/02, ZIP 2002, 1636 ff.; AG Köln v. 1.2.2008 – 73 IN 682/07, ZIP 2008, 982 ff., dazu EWiR 2008, 595 (K. Müller); AG Essen v. 1.9.2009 – 166 IN 119/09, ZIP 2009, 1826 ff., dazu EWiR 2009, 679 (Brünkmans). 82) S. Eidenmüller, ZZP 114 (2001) 3 ff.; Göpfert, ZZPInt 1 (1996) 269 ff.; Paulus, ZIP 1998, 977 ff.

Frege/Nicht

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§2 4.1

Einführung Kommunikationsbeziehungen zwischen den Insolvenzgerichten

4.1.1 Ermittlung der Gerichtszuständigkeit 80 Ein erhöhter Abstimmungsbedarf ist bereits gegeben, wenn es auf der Ebene der angerufenen Insolvenzgerichte – national und/oder international – darum geht, die nach § 3 InsO, Art. 3 EuInsVO zutreffende gerichtliche Zuständigkeit für die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen und die Verfahrenseröffnung zu ermitteln.83) Die Zuständigkeit richtet sich auch bei verbundenen Unternehmen einer Unternehmensgruppe primär nach dem Satzungssitz und bei abweichenden tatsächlichen Verhältnissen nach dem Mittelpunkt der hauptsächlichen geschäftlichen Interessen.84) Insbesondere bei – satzungsmäßigen oder effektiven – Sitzverlegungen im Vorfeld der Insolvenz kann es hier zu Unklarheiten kommen, die die Insolvenzgerichte im Wege der Amtsermittlung beseitigen sollen. Hierzu ist es erforderlich und geboten, dass sich die beteiligten Insolvenzgerichte im Hinblick auf die zuständigkeitsbegründenden Merkmale85) austauschen und ggf. eine gemeinsame Rechtsbewertung vornehmen.86) Insbesondere im europäischen Zivilprozessrecht gelten die Grundsätze des wechselseitigen Vertrauens und der Harmonisierung der Zivilrechtspflege, auf deren Basis eine Abstimmung zweckmäßig und geboten ist, um das Konzernvermögen zu schützen (vgl. auch Art. 42 und 57 EuInsVO). 81 Auf nationaler Ebene weist § 3a InsO die Möglichkeit aus, für den insolventen Konzern einen sog. Gruppengerichtsstand zu bilden, wenn 

ein zulässiger Eröffnungsantrag vorliegt,



eine Verfahrenskonzentration beim angerufenen Gericht im gemeinsamen Interesse der Gläubiger liegt und



der Antragsteller nicht offensichtlich von untergeordneter Bedeutung für die Unternehmensgruppe ist.

82 Bei kollidierenden Anträgen an mehreren Gerichtsorten ist die größere Bilanzsumme maßgebend (§ 3a Abs. 1 InsO). Es besteht nach § 3d InsO ferner die Möglichkeit, einen Eröffnungsantrag an das Gruppeninsolvenzgericht zu verweisen. Gerade wenn mehrere Insolvenzgerichte angerufen werden, ist es unerlässlich, dass sich die beteiligten Insolvenzrichter und ggf. Insolvenzrechtspfleger vor dem Erlass von Maßnahmen miteinander in Verbindung setzen, um frühestmöglich die Verfahren zu koordinieren. 83 Kommt es zur Eröffnung von sog. Gruppen-Folgeverfahren an dem Gruppengerichtsstand, ist gemäß § 3c InsO der Richter für sämtliche Gruppen-Insolvenzverfahren zuständig, der für dasjenige Verfahren zuständig ist, welches den Gruppengerichtsstand begründet hat. Insoweit kommt es hier zu einer internen Zuständigkeitskonzentration, die den Abstimmungsbedarf reduziert und dazu beitragen kann, Gesamtlösungen über die Grenzen der beteiligten juristischen Personen hinweg zu befördern. 4.1.2 Verfahrenskoordination durch formalisierte Absprachen der Gerichte 84 Im Hinblick auf die weitere Koordination der gruppenangehörigen Insolvenzverfahren ist ein wechselseitiger Austausch der Insolvenzgerichte im Grundsatz erwünscht, jedoch recht___________ 83) LG Berlin v. 8.1.2018 – 84 T 2/18 (NIKI), ZIP 2018, 140; AG Charlottenburg v. 13.12.2017 – 36n IN 6433/17, ZIP 2018, 43. 84) Vgl. AG Köln v. 19.2.2008 – 73 IE 1/08, ZIP 2008, 423, dazu EWiR 2008, 531 (Paulus); AG Köln v. 1.2.2008 – 73 IN 682/07, ZIP 2008, 215; AG Essen v. 1.9.2009 – 166 IN 119/09, ZIP 2009, 1826 ff. 85) Zusammenfassung hinsichtlich Art. 3 EuInsVO bei Kübler in: FS Gerhardt, 2004, S. 527 ff. 86) Vgl. AG Köln v. 1.2.2008 – 73 IN 682/07, NZI 2008, 254 ff.; AG Köln v. 19.2.2008 – 73 IE 1/08, NZI 2008, 257 ff.; Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417 ff.; Vallender, KTS 2008, 59 ff.

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Frege/Nicht

Kommunikation und Verhandlung in der Insolvenz

§2

lich nicht unbedenklich. Das Insolvenzverfahren ist nach Maßgabe von § 4 InsO, § 299 ZPO nicht öffentlich bzw. lediglich parteiöffentlich (beteiligtenöffentlich). Die Weitergabe vertraulicher Verfahrensinformationen an andere Insolvenzgerichte kann dazu führen, dass diese Informationen in andere Verfahren einfließen und dort an Verfahrensbeteiligte übermittelt werden. Hierdurch würde der Grundsatz der lediglich begrenzten Öffentlichkeit unterlaufen werden. Gleichwohl wird es in bestimmten Grenzen für zulässig gehalten, dass hiesige Insolvenzgerichte mit anderen nationalen oder internationalen Insolvenzgerichten zum Zweck der Verfahrensabstimmung kommunizieren und dies auch durch Abschluss einer Vereinbarung (Protocol) rechtlich formalisieren dürfen.87) Hierbei ist zu beachten, dass die Regelungsgehalte nationaler Verfahrensvorschriften nicht unterlaufen werden. Im nationalen Kontext bietet § 269b InsO eine Koordinationsregel an, die den Informa- 85 tionsaustausch zwischen verschiedenen Insolvenzgerichten legitimiert und die entsprechenden Koordinationsinhalte vorgibt. Hiernach werden die in Konzerninsolvenzen beteiligten Insolvenzgerichte verpflichtet, Informationen auszutauschen, soweit diese für das jeweils andere Insolvenzverfahren eines gruppenangehörigen Schuldners von Bedeutung sind. Dies gilt insbesondere für: 

die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen,



die Eröffnung von Insolvenzverfahren,



die Bestellung von Insolvenzverwaltern,



wesentliche verfahrensleitende Entscheidungen,



den Umfang der Insolvenzmasse,



die Vorlage von Insolvenzplänen,



Maßnahmen zur Beendigung des Insolvenzverfahrens.

4.2

Kommunikationsbeziehungen zwischen den Insolvenzverwaltern

Es ist offenkundig, dass sich die in der Konzerninsolvenz bestellten Insolvenzverwalter 86 wechselseitig informieren und ihre Handlungen miteinander koordinieren sollten, wenn der im Konzernunternehmen gebundene spezifische Mehrwert auch in der Insolvenz gesichert und für die Gläubiger realisiert werden soll. Dies gilt sowohl mit Blick auf das Aktivvermögen der gruppenangehörigen Insolvenzschuldner als auch im Hinblick auf die Verbindlichkeiten. Oft bestehen im Konzern enge wirtschaftliche und rechtliche Verflechtungen, die eine isolierte Verwaltung und Verwertung des Vermögens einer Konzerngesellschaft erschweren oder unmöglich machen. Dies betrifft bereits die richtige Vermögenszuordnung, ferner die koordinierte Verwaltung und Verwertung, den Umgang mit Kreditsicherheiten, die Behandlung von Gläubigern, die in Rechtsverhältnisse zu mehreren Konzerngesellschaften involviert sind, und schließlich die Vermögensverteilung (z. B. bei Anwendung von § 44a InsO im Konzern)88). Die Verständigung der Insolvenzverwalter kann informell oder auf rechtlich formalisierter 87 Grundlage erfolgen, wobei gewisse rechtliche Schranken für die Informationsüberlassung zu beachten sind (z. B. der Grundsatz der Parteiöffentlichkeit des Insolvenzverfahrens). Hierzu kann der Insolvenzverwalter mit Zustimmung des Gläubigerausschusses einem sog. International Protocol beitreten, welches die Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen Insolvenzverwaltern im Konzern formalisiert.89) Die darin enthaltenen Abstimmungs- und ___________ 87) Busch/Remmert/Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417 ff. 88) S. Frege/Nicht/Schildt, ZInsO 2012, 1961 ff. 89) S. Eidenmüller, ZZP 114 (2001) 3 ff.; Wittinghofer, Der nationale und internationale Insolvenzverwaltungsvertrag.

Frege/Nicht

31

§2

Einführung

Informationsgebote sind im Regelfall jedoch rechtlich grundsätzlich nicht durchsetzbar. Im Schrifttum wird es für zulässig gehalten, dass der Insolvenzverwalter auch verbindliche vertragliche Zusagen im Hinblick auf die Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse abgibt, die im Konzern zu einer Harmonisierung der Verwertungsstrategien beitragen können.90) 88 In der InsO ist nunmehr eine Koordinationsvorschrift für die beteiligten Insolvenzverwalter in § 269a InsO enthalten. Hiernach sollen sich die Insolvenzverwalter der gruppenangehörigen Schuldner untereinander unterrichten und zusammenarbeiten, soweit hierdurch nicht die Interessen der Beteiligten des jeweiligen Insolvenzverfahrens beeinträchtigt werden. Insbesondere sind die beteiligten Insolvenzverwalter rechtlich verpflichtet, auf Anordnung sämtliche Informationen unverzüglich mitzuteilen, die für ein anderes Insolvenzverfahren der Unternehmensgruppe von Bedeutung sein können. Hiermit ist eine sehr weitreichende Informationspflicht eingeführt worden, deren Grenzen noch nicht vollständig erfasst sind. Die Informationspflicht ist eine insolvenzspezifische Pflicht gemäß § 60 Abs. 1 InsO, deren Verletzung zu Sanktionen gegen den Insolvenzverwalter führen kann. 89 Soweit es zu der Einleitung eines sog. Koordinationsverfahrens gemäß der neuen Regelung in den §§ 269d ff. InsO kommt und zur Auswahl eines sog. Verfahrenskoordinator, strukturiert und organisiert dieser besondere Insolvenzverwalter die Insolvenzbewältigung im Konzern. Der Verfahrenskoordinator ist nach den Regelungen des neuen Konzerninsolvenzrechts aus dem Kreis der in der Konzerninsolvenz beteiligten Insolvenzverwalter auszuwählen und soll für eine abgestimmte Verfahrensabwicklung sorgen, soweit diese im Interesse der Gläubiger liegt (§ 269f Abs. 1 InsO). Hierzu soll er einen Koordinationsplan entwickeln und diesen in den Einzelverfahren vorlegen. Die anderen Insolvenzverwalter arbeiten zu diesem Zweck mit ihm zusammen und liefern ihm die Informationen, die für die zweckentsprechende Ausübung der Tätigkeit benötigt werden (§ 269f Abs. 2 InsO). Insoweit ist ein Daten- und Informationsfluss zwischen den beteiligten Insolvenzverwaltungen erforderlich, der gesetzlich zulässig ist, soweit nicht der Geheimnisschutz im jeweiligen Verfahren überwiegt. 4.3

Kommunikationsbeziehungen auf der Ebene der Gläubigerorgane

90 Auf der Ebene der Gläubigerorgane war im Hinblick auf Kommunikationsvorgänge zwischen insolventen Konzernunternehmen bislang die Frage zu beachten, wie weit die Befugnis zur Weitergabe von vertraulichen Verfahrensinformationen reicht, die die Gläubiger in ihrer Eigenschaft als Mitglieder des Gläubigerausschusses oder als Teilnehmer einer Gläubigerversammlung erhalten haben. 91 Der BGH sieht im Hinblick auf die Weitergabe von Informationen durch Mitglieder des Gläubigerausschusses dort eine Begrenzung, wo diese Weitergabe zur Verfolgung eigener Sondervorteile erfolgt und die Insolvenzmasse hierdurch einen Schaden erleiden kann.91) Insoweit gilt auch in Konzernlagen, dass bei Ausschussdoppelmandaten, die nach der BGHRechtsprechung grundsätzlich zulässig sein dürften, ein Informationsverwendungsverbot besteht, wenn das betroffene Gläubigerausschussmitglied Sonderinteressen verfolgt und gegen das gemeinsame Interesse der Insolvenzgläubiger in einem Verfahren verstößt, in dem es das Organamt innehat. ___________ 90) Eidenmüller, ZZP 114 (2001) 3 ff.; Wittinghofer, Der nationale und internationale Insolvenzverwaltungsvertrag. 91) S. BGH v. 22.4.1981 – VIII ZR 34/80, ZIP 1981, 1001 ff.; BGH v. 24.1.2008 – IX ZB 222/05, ZInsO 2008, 323 ff. = ZIP 2008, 652, dazu EWiR 2008, 473 (Runkel/J. M. Schmidt); BGH v. 24.1.2008 – IX ZB 223/05, ZInsO 2008, 604 ff = ZIP 2008, 655.

32

Frege/Nicht

Kommunikation und Verhandlung in der Insolvenz

§2

Hinsichtlich der Grenzen für die Weitergabe von Informationen, die Gläubiger in Gläu- 92 bigerversammlung erhalten haben, existiert – soweit ersichtlich – keine einschlägige Rechtsprechung und kaum Literatur.92) In der Rechtspraxis werden insbesondere bei detaillierteren Berichten des Insolvenzverwalters in der Gläubigerversammlung entsprechende Vertraulichkeitserklärungen durch Gläubiger abgefordert, um die Vertraulichkeit und begrenzte Parteiöffentlichkeit des Insolvenzverfahrens abzusichern. Zutreffend dürfte es darüber hinaus sein, unter dem Gesichtspunkt des insolvenzspezifischen Schädigungsverbots eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht anzunehmen.93) In der InsO ist nunmehr eine Koordinationsvorschrift für die beteiligten Gläubigerausschüs- 93 se in § 269c InsO enthalten. Hiernach soll das für die Gruppeninsolvenz zentral zuständige Insolvenzgericht auf Antrag eines Gläubigerausschusses eines gruppenangehörigen Schuldners einen Gruppengläubigerausschuss bilden, der mit Mitgliedern der Einzelausschüsse besetzt werden soll. Dieser Gruppengläubigerausschuss soll die einzelnen Gläubigerausschüsse in den gruppenangehörigen Insolvenzverfahren unterstützen, um eine abgestimmte Abwicklung in allen Verfahren zu erleichtern. Diese Vorschrift setzt einen ungehinderten Informationsfluss zwischen dem Gruppengläubigerausschuss und den Einzelausschüssen voraus bzw. legitimiert diesen. Damit ist die gesetzliche Verschwiegenheitspflicht der Mitglieder der Gläubigerausschüsse mit Blick auf die Gruppeninsolvenz aufgehoben. Dies kann durch den Gesetzgeber lediglich mit der paradigmatischen Annahme begründet werden, dass der Informationsaustausch und die darauf beruhende Koordination der Einzelverfahren sowohl im wirtschaftlichen Interesse des Konzerns als auch seiner Einzelgesellschaften und deren Gläubiger liegen. 4.4

Grenzüberschreitende Konzerninsolvenz

Auch auf europäischer Ebene sind Regeln zur Bewältigung grenzüberschreitender Konzern- 94 insolvenzen eingeführt worden (Art. 56 bis 77 EuInsVO). Dort sind verschiedene Kooperations- und Kommunikationsbefugnisse und -pflichten geregelt. Die Neuregelung zielt auf eine Verbesserung der Zusammenarbeit der beteiligten Insolvenzgerichte und Insolvenzverwalter bei transnationalen Unternehmensgruppen. Nach den neuen Regelungen in der EuInsVO müssen sich die verschiedenen Insolvenz- 95 verwalter im Konzern wechselseitig informieren und zusammenarbeiten, soweit dies für die beteiligten Verfahren von Bedeutung ist und keine erkennbaren Nachteile für die Insolvenzmassen verursacht. Das Gleiche gilt im Grundsatz für die Insolvenzgerichte. Nach Art. 56, 57, 58 EuInsVO haben Insolvenzverwalter im Konzern sogar einen Anspruch auf Zusammenarbeit und Informationsaustausch gegenüber Insolvenzgerichten, die nicht für ihr eigenes Insolvenzverfahren zuständig sind, sondern für ein anderes Insolvenzverfahren im Konzern. Schließlich können Insolvenzverwalter im Konzern nach Maßgabe des Art. 58 EuInsVO in Insolvenzverfahren von verbundenen Unternehmen beteiligt werden oder die Verfahrensaussetzung in einem anderen Konzernverfahren beantragen oder dort einen Sanierungsplan vorlegen. Diese zuletzt genannten Befugnisse sind sehr weitgehend und es ist fraglich, ob sie mit der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes vereinbar sind. In den Art. 61 ff. EuInsVO wurde ein Koordinationsverfahren neu eingeführt, welches dem Verfahren der InsO nach §§ 269d ff. InsO vergleichbar und nachgebildet ist.

___________ 92) S. aber Frege/Nicht, InsVZ 2010, 407 ff. = ZInsO 2012, 2217, 2222 ff. 93) Frege/Nicht, InsVZ 2010, 407 ff. = ZInsO 2012, 2217, 2227 ff.

Frege/Nicht

33

§2 IV.

Einführung Fazit

96 Die InsO enthält in zahlreichen Vorschriften Regeln, die eine Kommunikation zwischen den Beteiligten des Insolvenzverfahrens untereinander oder mit externen Dritten entweder anordnen oder voraussetzen. Durch das ESUG und die hiermit verbundene Stärkung der Gläubigerrechte wurde der Kommunikationsaufwand angehoben. Aus den Regeln ergab sich, dass umfangreiche Kommunikationsprozesse stattzufinden haben; nicht geregelt wurde, wie diese Kommunikationsprozesse auszuformen sind. Hier setzt das SanInsFoG an, indem es den Ablauf der Eigenverwaltungsanordnung in weiten Teilen formalisiert und so weniger Spielräume für eine freie Kommunikation zwischen den Verfahrensbeteiligten gewährt. Gleichwohl kann die Anwendung der Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Bereich der Kommunikationswissenschaft im Einzelfall neben der betriebswirtschaftlich-technischen und der juristischen Aufbereitung der Sachverhalte zu Verhandlungserfolgen und zu erfolgreicher Unternehmenskommunikation, im Ergebnis zu einer Verbesserung der Verwaltung und Verwertung des Vermögens der Insolvenzschuldnerin führen.94)

___________ 94) Zur Rolle der Unternehmenskommunikation für die Wertschöpfung im Unternehmen s. Pfannenberg/ Zerfaß, Wertschöpfung durch Kommunikation.

34

Frege/Nicht

1. Teil Eigenverwaltung A. Eröffnungsverfahren §3 Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalt Neußner

I.

1. 2. II. 1. 2. 3. III. 1.

2.

IV. 1. 2. 3. 4.

V.

1.

Neuregelung der Eigenverwaltung durch das Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) ................................................ 1 Anbindung an den Verfahrenszweck .......... 1 Erfolgskriterien als Zugangsvoraussetzung und Kontraindikatoren .................. 5 Wahl des passenden Restrukturierungswegs................................................... 10 Der neue Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen ....................................... 10 Schutzschirmverfahren .............................. 18 Vorläufige Eigenverwaltung ...................... 25 Krisenstadium und Verfahrenseinstieg.... 30 Drohende Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung ........................................... 30 1.1 Unterschiedliche Prognosezeiträume........................................ 30 1.2 Erfolgsaussichten der in Aussicht genommenen Sanierung ....... 35 Innergesellschaftliches Kompetenzgefüge bei erst drohender Zahlungsunfähigkeit.................................................. 40 2.1 Unternehmensinteresse versus Gläubigerinteresse ......................... 40 2.2 Bindung an Beschlüsse und Weisungen...................................... 44 2.3 Strategische Insolvenzen............... 51 Krisenbedingte Sonderregelungen für die Eigenverwaltung........................... 56 COVInsAG und Eigenverwaltung a. F. ..... 56 COVInsAG und erleichterter Zugang zum Schutzschirmverfahren...................... 60 Aktivierung von Corona-Finanzhilfen ..... 63 Sanierungs- und insolvenzrechtliches Krisenfolgenabminderungsgesetz (SanInsKG) ................................................ 64 Systematik Eigenverwaltungsplanung, Eigenverwaltungswürdigkeit und Anordnung ................................................ 66 Gefilterter Zugang zur Ausklammerung ungeeigneter Verfahren..................... 66

2.

Vertrauensvorschuss in eigenverwaltungstaugliche Verfahren........................... 71 2.1 Eigenverwaltungsplanung und Eigenverwaltungswürdigkeit......... 71 2.2 Vollständigkeit und Schlüssigkeit der Eigenverwaltungsplanung........................................... 75 2.3 Plausibilitätsprüfung durch das Gericht..................................... 77 3. Problem Kontraindikatoren ...................... 84 3.1 Gesetzlich definierter Graubereich ............................................ 84 3.2 Finanzierung und Mehrkosten einer Eigenverwaltung................... 86 3.3 Zweifel an der Eigenverwaltungswürdigkeit ....................... 88 3.4 Gläubigerinteresse, Ermittlung und Gesamtwürdigung.................. 91 4. Einstimmiges Votum des vorläufigen Gläubigerausschusses............................... 103 VI. Anlagen Eigenverwaltungsplanung ..... 106 1. Vorbereitung des Eigenverwaltungsantrags....................................................... 106 2. Einstweilige Anordnung mit Frist zur Nachbesserung................................... 111 3. Finanzplan (§ 270a Abs. 1 Nr. 1)............ 116 3.1 Fortführung und Verfahren durchfinanziert (§ 270b Abs. 1 InsO) ................................ 116 3.1.1 Plausible Liquiditätsplanung....... 116 3.1.2 Sechs-Monats-Zeitraum.............. 126 3.1.3 Fortführung, Kosten des Verfahrens und Finanzierungsquellen .......................................... 133 3.2 Fehlende Durchfinanzierung...... 145 4. Konzept für die Durchführung des Verfahrens (§ 270a Abs. 1 Nr. 2 InsO) .... 148 4.1 Ziel der Eigenverwaltung ............ 148 4.2 Sanierungskonzept, Inhalt und Darstellungstiefe ......................... 152 5. Darstellung des Stands der Verhandlungen (§ 270a Abs. 1 Nr. 3 InsO) ......... 162

Neußner

35

§3 6.

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

Erfüllung insolvenzrechtlicher Pflichten (§ 270a Abs. 1 Nr. 4 InsO) .................... 170 6.1 Notwendige Expertise ................ 170 6.2 Berater, Generalbevollmächtigte, Organmitglied ............................. 173 7. Darstellung etwaiger Mehr- oder Minderkosten (§ 270a Abs. 1 Nr. 5 InsO) .............................................. 176 7.1 Mehrkosten einer Eigenverwaltung als Nachteil der Eigenverwaltung a. F. ........................... 176 7.2 Kostenvergleich Eigenverwaltung Fremdverwaltung .......... 182 7.2.1 Schwierigkeiten und begrenzte Aussagekraft ................................ 182 7.2.2 Begründete Darstellung und Gegenüberstellung ...................... 189 7.2.3 Beraterkosten............................... 194 7.3 Graubereich ................................. 206 7.3.1 Wesentliche Mehrkosten ............ 206 7.3.2 Gläubigerinteresse....................... 211 VII. Erklärungen des Schuldners (§ 270a Abs. 2 InsO) ............................... 218 1. Beurteilung der Eigenverwaltungswürdigkeit................................................. 218

2.

Graubereich .............................................. 224 2.1 Kritische Umstände .................... 224 2.2 Prognose und Gläubigerinteresse ....................................... 228 3. Zahlungsrückstände gegenüber bestimmten Gläubiger ............................. 233 4. Inanspruchnahmen sanierungsrechtlicher Verfahrenshilfen ............................ 247 5. Einhaltung handelsrechtlicher Offenlegungspflichten............................. 250 VIII. Einbindung des Gerichts vor Antragstellung (§ 10a InsO) .......... 256 1. Vorabstimmung mit dem zuständigen Gericht...................................................... 256 2. Anspruch auf ein Vorgespräch................ 257 3. Ermessensentscheidung des Gerichts .... 259 4. Anhörungen, Begründung der Zuständigkeit ....................................................... 261 IX. Förmliche Einleitung des Verfahrens .. 267 1. Zuständiges Gericht................................. 267 2. Antragsbefugnis, Anlagen und Erklärungen .............................................. 275 3. Vorläufiger Gläubigerausschuss und vorläufiger Sachwalter ............................. 286

Literatur: Ballmann/Illbruck, Unternehmenssanierung in der Eigenverwaltung: Gesteigerte Anforderungen durch das SanInsFoG, DB 2021, 1450; Bernsau/Weniger, Ein Plädoyer für den Erhalt und die Stärkung der Eigenverwaltung, BB 2020, 2571; Blankenburg, Reform der Eigenverwaltung durch das SanInsFoG aus gerichtlicher Sicht, ZInsO 2021, 753; Brückner, „Auf gute Zusammenarbeit“ – Vorbereitung und Durchführung eines insolvenzrechtlichen Großverfahrens, ZInsO 2017, 2498; v. Buchwaldt, Die „Insolvenz in Eigenverwaltung“ – auf die richtige Vorbereitung kommt es an, BB 2015, 3017; Erbe, Das Eigenverwaltungsverfahren nach der Gesetzesreform – Auswirkungen auf die Praxis für Eigenverwaltung und Sachwaltung, NZI 2021, 753; Fehrenbach, Die Beteiligung der Gesellschafter beim Eigenantrag der Gesellschaft auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, ZIP 2020, 2370; Frind, Neuregelung der Eigenverwaltung gemäß SanInsFoG: Mehr Qualität oder „sanierungsfeindlicher Hürdenlauf“?, ZIP 2021, 171; Hammes, Keine Eigenverwaltung ohne Berater? – Zu Risiken und Nebenwirkungen einer scheinbaren Selbstverständlichkeit, NZI 2017, 233; Harig/Höfer/Reus, Voraussetzungen und Ablauf eines Eigenverwaltungsverfahrens nach dem SanInsFoG, NZI 2021, 993; Henssler, Die Rechts- und Pflichtenstellung des GmbH-Geschäftsführer nach Einführung der Insolvenzordnung, ZInsO 1999, 121; Laroche/Pruskowski/Schöttler/Siebert/Vallender (Die Kölner Insolvenzrichter), 30 Monate ESUG – eine Zwischenbilanz aus insolvenzrichterlicher Sicht, ZIP 2014, 2153; Leinekugel/ Skauradszun, Geschäftsführerhaftung bei eigenmächtig gestelltem Insolvenzantrag wegen bloß drohender Zahlungsunfähigkeit, GmbHR 2011, 1121; Rendels/Zabel/Körner, Nur drohend zahlungsunfähig oder überschuldet? – Anforderungen an die Fortbestehensprognose, ZRI 2021, 653; Schäfer, Muss die Hauptversammlung einem Schutzschirmverfahren zustimmen?, ZIP 2020, 1950; Scholz, Die Krisenpflichten von Geschäftsleitern nach Inkrafttreten des StaRUG, ZIP 2021, 219; Thole, Die Reform der Eigenverwaltung: Eine Umsetzung der ESUG-Evaluation?, NZI Beilage z. Heft 5/2021, S. 90; Thole, Managerhaftung für Gesetzesverstöße, ZHR 173 (2009) 504; Westpfahl, Das StaRUG-Verfahren hat erheblich an Attraktivität eingebüßt, INDat Report 1/2021, S. 66; Wortberg, Holzmüller und die Stellung eines Insolvenzantrags wegen drohender Zahlungsunfähigkeit, ZInsO 2004, 707.

36

Neußner

Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalt I.

Neuregelung der Eigenverwaltung durch das Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG)

1.

Anbindung an den Verfahrenszweck

§3

Die Evaluation der Eigenverwaltung in der Fassung des ESUG1) hat aufgezeigt, dass an 1 maßgeblichen Stellen weiterer Fortentwicklungsbedarf besteht.2) Der Gesetzgeber des SanInsFoG3) hat dies zum Anlass genommen, sowohl den Zugang zur (vorläufigen) Eigenverwaltung, als auch das vorläufige Eigenverwaltungsverfahren grundlegend und neu zu regeln. Aus den bisherigen, knappen und in den Formulierungen sehr offenen Regelungen zu den Zugangsvoraussetzungen in den §§ 270 und 270a InsO a. F. ist mit den neuen §§ 270 bis 270f InsO ein umfassendes und dezidiertes Regelwerk geworden. Das vorläufige Eigenverwaltungsverfahren mit vorläufigem Sachwalter wird erstmals auch als solches im Gesetz benannt und in § 270b Abs. 1 InsO und in § 270c InsO besonders ausgestaltet (siehe dazu Hofmann, HRI II, § 4). Die Zugangsvoraussetzungen sind nun klar an die Zwecke der Eigenverwaltung im All- 2 gemeinen und im konkreten Verfahren sowie die Interessen der Gläubiger angebunden.4) Mit dem Eigenverwaltungsantrag ist nach neuem Recht eine Eigenverwaltungsplanung vorzulegen, die insbesondere darüber Auskunft gibt, ob und auf welche Weise die Unternehmensfortführung und das Eigenverwaltungsverfahren in den nächsten sechs Monaten durchfinanziert sind und welches Konzept der Restrukturierung durch den Schuldner im gerichtlichen Verfahren zugrunde liegt. Ebenso wie die Instrumente des neuen Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens soll 3 die Eigenverwaltung dem Schuldner nur dann für sein Sanierungs- bzw. Restrukturierungsvorhaben zur Verfügung stehen, wenn dieses gut vorbereitet ist und wenn das Unternehmen während des Verfahrens fortgeführt werden kann.5) Die (vorläufige) Eigenverwaltung ist dabei weiterhin nicht zwingend an eine Rechtsträger- 4 sanierung bzw. an ein Insolvenzplanverfahren gebunden. Eine übertragende Sanierung kann unkompliziert und zügig allerdings auch durch einen Insolvenzverwalter im Regelverfahren umgesetzt werden, so dass das Interesse an einer Eigenverwaltung doch typischerweise auch weiterhin mit komplexeren Planlösungen verbunden sein wird. 2.

Erfolgskriterien als Zugangsvoraussetzung und Kontraindikatoren

Im Fokus der ESUG-Evaluierung stand vor allem das Herausarbeiten der Erfolgsfaktoren 5 einer Eigenverwaltung. Ergebnis der Befragungen ist erwartungsgemäß, dass eine gründlich vorbereitete, d. h. mit einem klaren Sanierungskonzept und entsprechender Stakeholderunterstützung beim vorinformierten Gericht beantragte Eigenverwaltung die größten Erfolgsaussichten hat, zugelassen zu werden und das angestrebte Verfahrensziel am Ende auch zu erreichen.6) ___________ 1) 2) 3) 4)

5) 6)

Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), v. 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2582. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 297; ausführlich zu den Ergebnissen insgesamt s. Thole, HRI II, § 48. Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 2; Liquidation als Ausnahmefall dann allerdings auf S. 204; zur Entwicklung der Eigenverwaltung seit ihrer Einführung vgl. Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, Vor §§ 270 ff. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 1. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 56.

Neußner

37

§3

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

6 Nicht nur die Zulässigkeit der Einbindung der Gerichte bereits im Vorfeld einer förmlichen Insolvenzantragstellung, sondern auch ein Anspruch auf ein Vorgespräch über die Voraussetzungen für eine Eigenverwaltung, die Eigenverwaltungsplanung, die Besetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses, die Person des vorläufigen Sachwalters, etwaige Sicherungsanordnungen und die Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten sind nun im neuen § 10a InsO festgeschrieben. Diese ausdrückliche Normierung schafft Klarheit und ist sowohl aus Sicht der Berater und der Unternehmen wie auch der Gerichte zu begrüßen. 7 Neben den Erfolgskriterien einer Eigenverwaltung hat die Evaluierung weiter vor allem auch kritische Sachverhalte in den Fokus genommen. Diese haben nun als „Kontraindikatoren“ bei den Zugangsvoraussetzungen wie auch i. R. der Aufhebungsgründe Eingang in das Gesetz gefunden (§§ 270b Abs. 2, 270e InsO). Dreh- und Angelpunkt werden gerade bei kleineren und mittleren Unternehmen sicherlich in vielen Fällen die Mehrkosten einer Eigenverwaltung im Vergleich zum Regelverfahren aufgrund der notwendigen Einbindung von Insolvenz- und Restrukturierungsexperten sein (§§ 270a Abs. 1 Nr. 5, 270b Abs. 2 InsO). Hat sich die Krise bereits vertieft, kann auch schon die Durchfinanzierung der Eigenverwaltung für die ersten sechs Monate zur Hürde werden (§§ 270a Abs. 1 Nr. 1, 270b Abs. 2 InsO). 8 Weiter geht es um Umstände, die Zweifel an der Eigenverwaltungswürdigkeit des Schuldners bzw. seiner Geschäftsleiter aufkommen lassen könnten, also an seiner Fähigkeit und seinem Willen, die Eigenverwaltung an den Interessen der Gläubiger auszurichten.7) Der Schuldner hat für eine Beurteilung durch das Gericht nun bei Einleitung des Verfahrens Erklärungen zu Zahlungsrückständen gegenüber bestimmten Gläubigern, zu früheren Vollstreckungsschutzanträgen sowie zur Wahrung der Offenlegungspflichten in Bezug auf seine Rechnungslegung (§§ 270a Abs. 2, 270b Abs. 2 InsO) abzugeben. 9 Auch ohne ausdrückliche Normierung haben manifestierte Verletzungen von Insolvenzantragspflichten, erkennbare objektive Verletzungen von Buchführungspflichten und Bilanzierungspflichten, nicht gezahlte Sozialversicherungsbeiträge und damit einhergehende Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken schon bisher gegen die Eignung des Schuldners und seiner inneren Organisation zur Führung eines gerichtlichen Restrukturierungsverfahrens im Interesse der Gläubigergesamtheit gesprochen.8) Dass dies nun zu Beginn abgefragt wird, bringt somit in der Sache nichts Neues, dem Schuldner aber ggf. mehr Klarheit und Einsicht in Bezug auf die Aussichtslosigkeit einer Krisenbewältigung außerhalb eines Regelinsolvenzverfahrens. II.

Wahl des passenden Restrukturierungswegs

1.

Der neue Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen

10 Durch das SanInsFoG ist nicht nur die (vorläufige) Eigenverwaltung neu und umfassend geregelt worden, sondern vor allem auch und an erster Stelle das von der EU geforderte präventive Restrukturierungsverfahren zur Abwendung einer Insolvenz für das deutsche Recht mit dem Unternehmensstabilisierungs- und –restrukturierungsgesetz, dem StaRUG9), ausgestaltet und eingeführt worden. ___________ 7) 8) 9)

38

Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 56. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 71. Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz – StaRUG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256 (= Art. 1 des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts [Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG], v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256).

Neußner

Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalt

§3

Die parallele Umsetzung der EU-Restrukturierungsrichtlinie10) und der Neufassung der 11 Eigenverwaltungsvorschriften hat zu einem abgestimmten Restrukturierungsrecht geführt. Kurz gesagt muss jede Restrukturierung, zur Abwendung einer Insolvenz und in der Insolvenz, gut vorbereitet sein und das Unternehmen während des Verfahrens fortgeführt werden können.11) Dies ist jeweils zu belegen durch ein Konzept für die Restrukturierung, einen Finanzplan, durch Informationen zum Stand der Verhandlungen mit Gläubigern und weiteren Beteiligten und durch die Beauftragung geeigneter Restrukturierungsberater. Auf den ersten Blick scheint es weiter auch einen Gleichlauf beim Zugang im Hinblick auf 12 das Krisenstadium zu geben. Auch das neue Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG knüpft an eine drohende Insolvenz im Sinne der Insolvenzordnung an.12) Unterhalb dieser Schwelle sind Verfahrenshilfen zum Eingriff in die Rechte dissentierender Gläubiger noch nicht gerechtfertigt.13) Dabei darf allerdings zum einen nicht übersehen werden, dass die drohende Zahlungsun- 13 fähigkeit mit ihrem neuen Prognosezeitraum von in der Regel 24 Monaten (§ 18 Abs. 2 InsO) ganz unterschiedliche Krisenstadien abdeckt. Das Spektrum kann von einem erst in zwei Jahren zu erwartenden Zahlungsausfall bis hin zu einer unmittelbar bevorstehenden Zahlungsunfähigkeit reichen.14) Mit einer schon innerhalb der nächste zwölf Monate drohenden Zahlungsunfähigkeit kann 14 und wird auch künftig typischerweise eine Überschuldung (§ 19 Abs. 2 Satz 1 InsO) einhergehen, die den Weg in das StaRUG versperrt (§§ 31 Abs. 4 Nr. 3, 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG) und bei haftungsbeschränkten Rechtsträgern, juristischen Personen und atypischen Personengesellschaften, stattdessen zur Insolvenzantragstellung zwingt (§ 15a InsO). Wie sehr sich die Krise im konkreten Fall bereits vertieft hat, wird weiter vorgeben, welche 15 Maßnahmen zu ihrer Bewältigung notwendig sind. An dieser Stelle unterscheiden sich dann auch die Verfahrensordnungen ganz wesentlich. Die Instrumente des StaRUG verstehen sich als Verfahrenshilfen für einen im Kern noch 16 außergerichtlichen Sanierungsprozess.15) Es bleibt im Restrukturierungsverfahren beim Eigenverwaltungsgrundsatz, ggf. unter der Aufsicht eines Restrukturierungsbeauftragten.16) Eine Einschränkung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ist mangels materieller Insolvenz nicht angezeigt bzw. begründbar.17) Geschlossen wird lediglich die Lücke zwischen dem Bereich der freien, dafür aber auf den Konsens aller Beteiligten angewiesenen Sanierung einerseits und einer Sanierung in der Insolvenz mit notwendiger Beteiligung sämtlicher Gläubiger.18) Ermöglicht werden vom Mehrheitsprinzip getragene Lösungen über einen Restrukturierungsplan, der teilkollektiven Charakter hat.19) Hier wird es regelmäßig um fi___________ 10) Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. 11) RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 1. 12) Allg. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 90. 13) Allg. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 88. 14) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 105. 15) Allg. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 93. 16) Allg. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 93. 17) Allg. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 93. 18) RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 1. 19) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 129.

Neußner

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§3

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

nanzielle Restrukturierungen, insbesondere von Anleihen oder von Verbindlichkeiten professioneller Gläubiger, gehen.20) 17 Eingriffsrechte für eine leistungswirtschaftliche Sanierung stellt das StaRUG dagegen nicht zur Verfügung. So ist insbesondere das zunächst vorgesehene Vertragsbeendigungsrecht (§§ 51 ff. SanInsFoG-E)21) am Ende nicht Gesetz geworden. Nur im gerichtlichen Gesamtverfahren stehen die insolvenzrechtlichen Sanierungstools zur Verfügung, um die Fortführung des operativen Betriebs zu stützen, insbesondere auch Hilfen für die Umund Durchsetzung personalwirtschaftlicher Restrukturierungsmaßnahmen. Auch auf das Insolvenzgeld kann nur im Insolvenzverfahren, nicht dagegen in einem StaRUG-Verfahren, zurückgegriffen werden.22) 2.

Schutzschirmverfahren

18 Neben der vorläufigen Eigenverwaltung als „Basisverfahren“ oder Grundtyp steht dem Schuldner weiterhin auch das Schutzschirmverfahren zur Vorbereitung einer Restrukturierung in der Insolvenz mittels Insolvenzplan zur Verfügung (§ 270d InsO); siehe ausführlich Koch/Jung, HRI II, § 5. Dem Vorschlag des Forscherteams in der ESUG-Evaluierung, diese spezielle Variante des eigenverwaltenden Eröffnungsverfahrens abzuschaffen, da sie die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt habe, ist der Gesetzgeber nicht gefolgt.23) 19 Blickt man nun auf die neuen Anforderungen für die Einleitung einer vorläufigen Eigenverwaltung in Gestalt des Basisverfahrens nach § 270a InsO, könnte dies dem Schutzschirmverfahren unter dem Gesichtspunkt von Aufwand und Nutzen sogar Aufschwung verleihen. Eine umfangreiche Vorbereitung und Darstellung der angestrebten Restrukturierung und ihrer Erfolgsaussichten und insoweit die Einbindung von Beratern verlangt nun auch schon der Antrag auf Anordnung des Basisverfahrens.24) Hier wird die zusätzliche Voraussetzung der Bescheinigung der Sanierungschancen durch einen Experten ggf. kaum noch ins Gewicht fallen, beachtet man weiter auch das durchaus positive Image des Schutzschirmverfahrens in der öffentlichen Wahrnehmung. 20 Bei den Zugangsvoraussetzungen ist das Schutzschirmverfahren allerdings zum einen beschränkt auf die Eröffnungsgründe der drohenden Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung (§ 270d Abs. 1 InsO). Dass noch keine Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist und die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos erscheint, muss sich aus der Experten-Bescheinigung ergeben. 21 Umsetzungsinstrument für die Restrukturierung im eröffneten Eigenverwaltungsverfahren muss zudem ein Insolvenzplan sein. Für dessen Ausarbeitung ist eine maximale Dauer des Schutzschirmverfahrens von drei Monaten festgelegt (§ 270d Abs. 1 Satz 2 InsO). In Großverfahren mit professioneller und optimaler Vorbereitung wird der Insolvenzplan aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung eines zügigen Durchlaufens des Insolvenzverfahrens bei Verfahrenseinleitung regelmäßig schon vorabgestimmt sein mit den wesentlichen Beteiligten oder gar als Pre-Packaged Plan fertig ausgearbeitet. 22 Anders als bei der vorläufigen Eigenverwaltung kann der Schuldner dem Gericht einen verbindlichen Vorschlag zur Person des vorläufigen Sachwalters mit Beantragung des Schutzschirmverfahrens unterbreiten (§ 270d Abs. 2 Satz 3 InsO). Diese Möglichkeit, den Sach___________ 20) 21) 22) 23) 24)

40

Westpfahl in: INDat Report 1/2021, S. 66, 67; Harig/Höfer/Reus, NZI 2021, 993. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, §§ 51 – 55. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 115. Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 270d Rz. 3. Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 270d Rz. 7.

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Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalt

§3

walter im Schutzschirmverfahren mitzubringen, wurde in der ESUG-Befragung besonders von den Schuldner- und Unternehmensberatern wie auch den Geschäftsleitern als sinnvoll und wichtig erachtet.25) Deutliche Vorteile dürften sich allerdings durch dieses bindende eigene Vorschlagsrecht 23 des Schuldners für die Praxis nicht ergeben. Ein bindendes Vorschlagsrecht zur Person des vorläufigen Sachwalters hat bei der Einleitung einer vorläufigen Eigenverwaltung anstelle des Schuldners der vorläufige Gläubigerausschuss, der vor jeder Verfahrenseinleitung mit ins Boot geholt werden muss (§§ 270b Abs. 1, 274 Abs. 1, 56a Abs. 1 und 2 InsO). Denn sowohl eine vorläufige Eigenverwaltung als auch ein Schutzschirmverfahren wären aufzuheben, wenn der vorläufige Gläubigerausschuss dies beantragen würde (§ 270e Abs. 1 Nr. 4 InsO). Eine Aufhebung auf Antrag des vorläufigen Gläubigerausschusses kann auch weiterhin mangels ausdrücklicher Zulassung im Gesetz nicht mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden.26) Da nun auch die Befugnis zur Begründung von Masseverbindlichkeiten zugunsten von 24 Fortführungsgläubigern im Eröffnungsverfahren „verfahrensneutral“ und einheitlich in § 270c Abs. 4 InsO geregelt ist, ist auch dieser wichtige Faktor für die Gläubigerunterstützung und Unternehmensfortführung bei der Entscheidung zwischen Schutzschirmverfahren und vorläufiger Eigenverwaltung obsolet geworden.27) 3.

Vorläufige Eigenverwaltung

Auch der Weg in die vorläufige Eigenverwaltung (§ 270b InsO) sollte selbstredend nicht 25 erst unter dem Druck einer bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit gegangen werden. Dennoch schließt eine aktuell eingetretene Zahlungsunfähigkeit eine vorläufige Eigenverwaltung nicht generell aus. Dies ergibt sich gerade aus einem Umkehrschluss zur ausdrücklichen und besonderen Regelung für das Schutzschirmverfahren in § 270d Abs. 1 InsO, das nur zur Verfügung steht, wenn noch keine Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist. Hätte der Gesetzgeber die vorläufige Eigenverwaltung auch außerhalb des Schutzschirmverfahrens kraft Gesetzes auf die Eröffnungsgründe der drohenden Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung beschränken wollen, wäre dies bei der Neufassung der Vorschriften i. R. des SanInsFoG deutlich zum Ausdruck zu bringen gewesen. Auch nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit stellt der Gesetzgeber in § 15a Abs. 1 InsO 26 noch eine Antragsfrist von bis zu drei Wochen zur Verfügung, soweit Sanierungschancen noch bestehen. Solange außergerichtliche Sanierungschancen weiter genutzt werden dürfen, muss aber auch eine Vorbereitung und Fortsetzung der danach noch fristgemäß beantragten Restrukturierung im Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung unter Aufsicht zulässig bleiben. Zur Neuregelung der Antragsfrist im Falle der Überschuldung führt die Gesetzesbegründung ausdrücklich aus, dass die Verlängerung auf sechs Wochen neben der Beseitigung der Überschuldung auch dem Zweck der Vorbereitung eines Eigenverwaltungsverfahrens dient.28) Für das bereits im Interesse des Gläubigerschutzes kürzere Zeitfenster der Zahlungsunfähigkeit muss das jedenfalls auch gelten. Die Entscheidung über die Zulassung der vorläufigen Eigenverwaltung ist dabei anhand 27 der Gläubigerinteressen im Einzelfall zu treffen. Eine Insolvenzverschleppung spricht jedenfalls gegen eine Eigenverwaltungswürdigkeit des Schuldners, wie schon die neue Erklärungs___________ 25) Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 31. 26) BGH v. 27.1.2022 – IX ZB 41/21, ZRI 2022, 214. 27) Klinck, ZIP 2021, 1189; zur nach altem Recht unklaren Rechtslage zu Masseverbindlichkeiten vgl. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 21. 28) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 193.

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§3

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

pflicht des Schuldners zu Zahlungsrückständen und Vollstreckungsschutz (§ 270a Abs. 2 InsO) zeigt. Zahlungsrückstände können allerdings auch auf Stundungsvereinbarungen beruhen und den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit in der Vergangenheit und damit auch eine Insolvenzverschleppung ausgeschlossen haben, so dass der Antrag frist- und pflichtgemäß gestellt ist. 28 Es wird also jedenfalls darauf ankommen, spätestens unverzüglich nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und vor Ablauf der Höchstfrist für die Antragstellung den Weg ins Verfahren zu gehen. Es ist dann Sache des Schuldners darzulegen und die Gläubiger mit der vorzulegenden Planung zu überzeugen, dass die angestrebte Eigenverwaltung und Restrukturierung in ihrem Interesse liegt und vor allem auch trotz bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit realisierbar erscheint. Von großer Bedeutung wird an dieser Stelle für die Gläubiger der vorzulegende Finanzplan für die nächsten sechs Monate sein, der insbesondere auch die weiteren Beraterkosten enthalten muss. Völlig ausgeschlossen ist die Deckung künftig anfallender Beraterkosten sowie der Kosten der Fortführung aufgrund von Insolvenzgeld und der Rückstufung von Zahlungsverbindlichkeiten zu Insolvenzforderungen jedenfalls nicht. Und selbst bei Deckungslücken und sonstigen negativen Indikatoren belässt es das Gesetz in § 270b Abs. 2 InsO bei der Gläubigerautonomie. Diese Wertung und die Bindung an ein einstimmiges Votum des vorläufigen Gläubigerausschusses für oder gegen die vorläufige Eigenverwaltung in § 270b Abs. 3 Satz 3 und 4 InsO, sprechen ebenfalls gegen einen generellen Ausschluss zahlungsunfähiger Schuldner vom Anwendungsbereich des Basisverfahrens. 29 Vor allem bislang geführte und weit fortgeschrittene Absprachen mit den wesentlichen Beteiligten können gegen einen Abbruch der Restrukturierungsbemühungen in der Hand des Schuldners und für eine (vorläufige) Eigenverwaltung auch in der zugespitzten Krise sprechen. Optimal und nach dem Leitbild des Gesetzes ohne weiteres eigenverwaltungsgeeignet ist jedoch der vom Schuldner möglichst frühzeitig auf die nächste Stufe der Restrukturierung im gerichtlichen Verfahren gebrachte Sachverhalt. III.

Krisenstadium und Verfahrenseinstieg

1.

Drohende Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung

1.1

Unterschiedliche Prognosezeiträume

30 Die Aufnahme des neuen präventiven Restrukturierungsverfahrens zur Abwendung einer drohenden Insolvenz i. S. von § 18 InsO hat es gleichzeitig notwendig gemacht, diesen fakultativen Sanierungseröffnungsgrund von der Überschuldung mit Antragspflicht (§§ 15a, 19 InsO) abzugrenzen und – zumindest in einem ferneren Zeitfenster oder unter bestimmten Bedingungen – alleine zu stellen.29) Umgesetzt hat der Gesetzgeber dies durch die Aufnahme unterschiedlicher Prognosezeiträume in den Eröffnungstatbeständen. 31 Drohend zahlungsunfähig ist ein Schuldner, wenn er voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen (§ 18 Abs. 2 Satz 1 InsO). Der entsprechenden Liquiditätsplanung und -betrachtung ist nun ein Prognosezeitraum von in aller Regel 24 Monaten zugrunde zu legen (§ 18 Abs. 2 Satz 2 InsO). 32 Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich (§ 19 Abs. 2 Satz 1 InsO). ___________ 29) Allg. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 91; zur Fortführungsprognose nach dem SanInsFoG Rendels/Zabel/Körner, ZRI 2021, 653 ff.

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Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalt

§3

Eine drohende Zahlungsunfähigkeit bedeutet regelmäßig das Fehlen einer positiven Fort- 33 bestehensprognose i. R. der Überschuldungsprüfung. An dieser Stelle zeigt sich der Überschneidungsbereich von drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung. Ist die Überschuldungsbilanz eines Unternehmens negativ, könnte nur eine Liquiditätsbetrachtung noch die Überschuldung und Antragspflicht ausschließen. Das Unternehmen müsste dazu in einer Weise durchfinanziert sein, die die Fortführung der Geschäftstätigkeit in den nächsten zwölf Monaten nach den Umständen als überwiegend wahrscheinlich erscheinen lässt (§ 19 Abs. 2 Satz 1 InsO). In diesem Zeitfenster von zwölf Monaten kann es somit zu einer Überlappung von drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung kommen über die dann negative Fortbestehensprognose. Eine Überschuldung liegt somit umgekehrt nicht vor, wenn die drohende Zahlungsunfähig- 34 keit erst ab Monat 13 eintreten wird, das Unternehmen also in den nächsten zwölf Monaten noch durchfinanziert ist. 1.2

Erfolgsaussichten der in Aussicht genommenen Sanierung

Eine Überlappung von drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung liegt auch im 35 Prognosezeitraum von zwölf Monaten zwar regelmäßig, aber nicht notwendigerweise vor. Der Gesetzgeber verweist hierzu auf die unterschiedliche Bedeutung Erfolg versprechender Sanierungsvorhaben i. R. der Prüfung der Eröffnungsgründe.30) Solange die Erfolgsaussichten einer in Aussicht genommenen Sanierung überwiegend wahr- 36 scheinlich sind, scheidet eine Überschuldung aus.31) Die Erfolgsaussichten bzw. Sanierungsmaßnahmen und Sanierungsfolgen können somit bei der Prüfung des Überschuldungstatbestands bereits „eingepreist“ werden.32) Dies gilt dagegen nicht für die drohende Zahlungsunfähigkeit.33) Das Ziel der allein fakul- 37 tativen Zugangsmöglichkeit zu einem Restrukturierungsverfahren würde verfehlt, wenn der hierfür notwendige Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit dem sanierungswilligen Schuldner deshalb nicht zur Verfügung steht, weil die von ihm in Aussicht genommene Sanierung Aussicht auf Erfolg hat.34) Sobald die Erfolgsaussichten der angestrebten Sanierung nicht mehr in diesem Sinne überwiegend wahrscheinlich sind, hat der Schuldner bzw. dessen Geschäftsleitung die Reißleine zu ziehen. Diese fortwährende Bewertung steht daher im Fokus, um eine Überschuldung rechtzeitig zu erkennen und der Antragspflicht fristgerecht nachzukommen. Die Antragshöchstfrist bei Überschuldung hat der Gesetzgeber mit dem SanInsFoG gleich- 38 zeitig von drei Wochen auf sechs Wochen verlängert (§ 15a Abs. 1 Satz 2 InsO). Zur Beseitigung einer Überschuldung soll dem Schuldner dieser nun längere Zeitraum zur Verfügung stehen, damit laufende Sanierungsbemühungen außergerichtlich noch zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden können oder eben eine Sanierung im präventiven Restrukturierungsverfahren oder in einem Eigenverwaltungsverfahren noch ordentlich und gewissenhaft vorbereitet werden kann.35) Im Übrigen bleibt es aber dabei, dass der Insolvenzantrag unverzüglich zu stellen ist, wenn 39 eine Überschuldung eingetreten ist. Die Höchstfrist steht nicht zur Verfügung, wenn zu einem früheren Zeitpunkt schon feststeht, dass eine nachhaltige Beseitigung der Überschul___________ 30) 31) 32) 33) 34) 35)

Allg. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 91. Allg. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 91. Allg. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 91. Allg. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 91. Allg. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 91. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 193.

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§3

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

dung nicht mehr zu erwarten ist.36) Der Verhandlungsstand bzw. die Entwicklung der Sanierungsbemühungen kann daher jederzeit das Fristende auslösen und zu einer umgehenden Antragstellung zwingen.37) 2.

Innergesellschaftliches Kompetenzgefüge bei erst drohender Zahlungsunfähigkeit

2.1

Unternehmensinteresse versus Gläubigerinteresse

40 Erst der Eintritt von drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung löst bei antragspflichtigen Gesellschaften die gesetzliche Handlungspflicht der Geschäftsleiter zur Stellung des Insolvenzantrags für die Gesellschaft aus (§ 15a Abs. 1 InsO). Die Antragspflicht macht entgegenstehende Weisungen der Gesellschafter unbeachtlich.38) Ein Einverständnis der Gesellschafter mit dem Übergang in das insolvenzrechtliche Restrukturierungsverfahren ist dann nicht erforderlich.39) 41 Bei einer alleine auf drohende Zahlungsunfähigkeit gestützten und damit noch freiwilligen Einleitung des gerichtlichen Restrukturierungsverfahrens stellt sich dagegen die Frage, ob hier nicht den Gesellschaftern der Schuldnerin das letzte Wort zukommen muss. Im Gesetzgebungsverfahren zum SanInsFoG war zunächst angedacht, eine Sonderregelung zu den Pflichten der Geschäftsleiter bei drohender Zahlungsunfähigkeit aufzunehmen (§ 2 StaRUG-E).40) Referentenentwurf wie auch Regierungsentwurf gingen bereits in diesem frühen Krisenstadium von einem sog. Shift of Duties aus.41) Mit Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit wären die Geschäftsleiter verpflichtet gewesen, die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren. Die Mitglieder der Überwachungsorgane hätten ihre Aufsichtspflicht auf diese Wahrung des Gläubigerinteresses zu richten gehabt. Beschlüsse und Weisungen der Überwachungsorgane und anderer Organe wären dann unbeachtlich gewesen, wenn sie einer gebotenen Wahrung der Gläubigerinteressen entgegengestanden hätten (§ 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 StaRUG-E). Staunen, Entsetzen und große Sorge hat dieser völlig unerwartete Entwurf eines Eingriffs in das gesellschaftsrechtliche Gefüge im Vorfeld einer materiellen Insolvenz ausgelöst. 42 Es sei an dieser Stelle dahingestellt, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen dieser Shift of Duties tatsächlich die Geschäftsleiter im Einzelfall im Interesse der Gläubiger zur Einleitung eines präventiven Restrukturierungsverfahrens oder gar eines insolvenzrechtlichen Restrukturierungsverfahren verpflichtet hätte, mit der Folge, dass entgegenstehende Weisungen einer Gesellschafterversammlung unbeachtlich gewesen wären. Wie in der Gesetzesbegründung ausgeführt, deckt der Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit aufgrund des langen Prognosezeitraums von 24 Monaten ganz unterschiedliche Krisenstadien ab, zu deren Bewältigung auch ganz unterschiedliche Gegenmaßnahmen in Betracht kommen.42) 43 Am Ende ist die Pflichtenbindung der Geschäftsleiter an das Gläubigerinteresse bei erst drohender Zahlungsunfähigkeit nicht Gesetz geworden. Im Rechtsausschuss wurden die ___________ 36) 37) 38) 39) 40)

Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 193. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 193. Bremen in: Graf-Schlicker, InsO, § 15a Rz. 7. Bremen in: Graf-Schlicker, InsO, § 15a Rz. 7. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181; RefE SAnInsFoG, abrufbar unter https://www.bmjv.de/ SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 16.1.2023). 41) RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181; RefE SAnInsFoG, abrufbar unter https://www.bmjv.de/ SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (Abrufdatum: 16.1.2023). 42) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 105.

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Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalt

§3

Vorschriften in letzter Minute ersatzlos gestrichen.43) Im Krisenstadium der erst drohenden Zahlungsunfähigkeit ohne gleichzeitiger Überschuldung werden sich die Geschäftsleiter daher auch künftig nicht auf eine gesetzliche Pflicht berufen können, ein Eigenverwaltungsverfahren zur Wahrung von Sanierungschancen im Interesse der Gläubigergesamtheit einleiten zu müssen und zu dürfen. Einer Unternehmensleitung im Gläubigerinteresse im Vorfeld der Insolvenz hat der Gesetzgeber ausdrücklich eine Absage erteilt.44) 2.2

Bindung an Beschlüsse und Weisungen

Für die Einleitung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung zum Zwecke der Restruk- 44 turierung der Gesellschaft bleibt somit alles beim Alten. Die Entscheidung des Gesetzgebers im StaRUG-Gesetzgebungsverfahren gegen einen Shift of Duties bei erst drohender Zahlungsunfähigkeit stützt alleine die h. M., die schon bisher von einer Bindung der Geschäftsleiter an die Entscheidung der Gesellschafterversammlung ausgegangen ist.45) Auch wenn die erst drohende Zahlungsunfähigkeit in ein Insolvenzverfahren führen kann 45 und der Gesetzgeber seit Jahren Anreize für eine derart frühe Einleitung eines gerichtlichen Sanierungswegs schaffen will, ist sie fakultativer Eröffnungsgrund geblieben. Eine im Einzelfall aus dem Gläubigerinteresse folgende Pflicht – und damit weiter auch Berechtigung –, diese frühe Chance unter allen Umständen und insbesondere auch gegen das Votum der Gläubigerversammlung zu nutzen, hat der Geschäftsleiter nicht auferlegt bzw. umgekehrt nicht an die Hand bekommen. Ein Gläubigerinteresse kann in diesem frühen Krisenstadium ein Handeln ohne bzw. gegen den Willen der Gesellschafter somit nicht legitimieren. Die Entscheidung obliegt den Gesellschaftern. Die Ausrichtung auf das Gläubigerinteresse vollzieht sich nach wie vor erst mit der ma- 46 teriellen Insolvenz. Und gerade dieser Shift of Duties im Insolvenzverfahren muss auch der erste Grund sein, die Entscheidung über die Einleitung, soweit eben noch fakultativ, in das Ermessen der Gesellschafter zu stellen. Auch wenn eine Eigenverwaltung angestrebt wird und im konkreten Fall aussichtsreich erscheint, ändert sich nichts daran, dass das Verfahren bzw. der Eigenverwalter bei der Krisenbewältigung, genauso wie ein Insolvenzverwalter, dem Gläubigerinteresse verpflichtet ist.46) Der Übergang in das gerichtliche Verfahren zur Fortsetzung der Restrukturierung in Eigenverwaltung mit Hilfe der schlagkräftigen Sanierungstools der InsO ist schon deshalb als Grundlagenentscheidung zu qualifizieren. Dass sowohl die GmbH wie auch die AG nach den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens aufgelöst wird (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG), bestätigt dies. Grundlagenentscheidungen wie die Auflösung, Zweckänderung und Anbindung an das Gläubigerbefriedigungsinteresse sind nicht nur bei der GmbH, sondern auch bei der AG Sache der Gesellschafter- bzw. Hauptversammlung.47) Zudem kann seit ESUG gerade auch ein Restrukturierungsverfahren mit dem Ziel des Er- 47 halts des Unternehmensträgers den Interessen der Gesellschafter diametral entgegenlaufen. Durch die Einbeziehung auch der Anteilsrechte in das Planverfahren (§ 225a InsO) laufen sie Gefahr, am Ende nicht mehr Herr im eigenen Haus zu sein. Auch ihre Anteile können in den Plan einbezogen werden (§ 225a InsO). Mit der Einbeziehung der Anteilsrechte ___________ 43) Beschlussempfehlung d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25303, S. 15 f. 44) Scholz, ZIP 2021, 219, 231. 45) OLG München v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, ZIP 2013, 1121, 1124 (GmbH); Schäfer, ZIP 2020, 1950, 1953 (GmbH und AG) m. w. N. zum Meinungsstand; a. A. Fehrenbach, ZIP 2020, 2370, 2377, ebenfalls m. umf. N. zum Meinungsstand. 46) BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, Rz. 20, NZI 2018, 519. 47) Schäfer, ZIP 2020, 1950, 1952.

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§3

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

in den Plan verbunden ist die Möglichkeit ihrer Majorisierung durch die Gläubiger über das Obstruktionsverbot (§ 245 InsO). So kann die von den Gläubigern favorisierte Strategie für eine Krisenbewältigung bspw. darin liegen, die Gesellschaftsanteile an einen finanzstarken Investor zu übertragen oder auch über einen Debt Equity Swap selbst zu übernehmen (§ 225a Abs. 2 und 3 InsO). 48 Und selbst für die Beschlussfassung innerhalb einer Gesellschaftergruppe stellt das Insolvenzrecht durch die reine Anbindung an die Kapitalbeteiligung vom Gesellschaftsrecht abweichende Vorgaben auf (§§ 238a, 244 Abs. 3 InsO). 49 Den Geschäftsführern einer GmbH wie auch den Vorständen einer AG muss somit daran gelegen sein, einen zustimmenden Beschluss der Gesellschafter zu einer Insolvenzantragstellung wegen erst drohender Zahlungsunfähigkeit herbeizuführen, wollen sie sich nicht Schadensersatzansprüchen wegen eines zu früh gestellten Insolvenzantrags aussetzen.48) Sprechen sich die Gesellschafter gegen einen fakultativen Insolvenzantrag und für die Fortsetzung der außergerichtlichen Sanierung aus, sind die Geschäftsleiter hieran gebunden. Ein Zuwiderhandeln stellt eine Pflichtverletzung dar.49) Auf die Business Judgement Rule oder gar eine Legalitätspflicht könnten sie sich in einem Haftungsprozess nicht berufen.50) 50 Letztere greift erst, wenn die drohende Zahlungsunfähigkeit mit einer Überschuldung einhergeht. Zu dieser Überlappung kann es nach wie vor im abgekürzten zwölfmonatigen Prognosezeitraum für eine Überschuldung kommen. Auch dies spricht gegen eine dringende Notwendigkeit, den Geschäftsleitern alleine wegen des Eintritts einer erst drohenden Zahlungsunfähigkeit schon „freie Hand“ bei der Einleitung eines Sanierungsinsolvenzverfahrens zu lassen. Die Überschuldung zu dokumentieren wird somit weiterhin der Weg und die Aufgabe der Geschäftsleiter sein. 2.3

Strategische Insolvenzen

51 Umgekehrt kann an dieser Stelle weiter Ungemach für Gesellschafter drohen, aus deren Sicht es bei der Antragstellung und Vorbereitung eines Planverfahrens nicht um eine notwendige Restrukturierung in der Insolvenz geht, sondern um die Lösung gesellschaftsrechtlicher Konflikte. Das Suhrkamp-Insolvenzverfahren hat aufgezeigt, dass hier ein Insolvenzplan mit der Möglichkeit des Eingriffs in die Gesellschafterstellung (§ 225a InsO) sehr wohl Mittel zum Zweck sein kann.51) 52 Obgleich die ESUG-Evaluierung strategische Insolvenzen als „heute etabliert“ bezeichnet und eine Reaktion des Gesetzgebers angeregt hat,52) hat das SanInsFoG keine spezifischen Regelungen und keinen insolvenzverfahrensrechtlichen Schutz vor vermeintlich missbräuchlichen Anträgen gebracht. Vorgeschlagen waren insbesondere eine unabhängige Begutachtung des Schuldnerunternehmens bzw. des „missbrauchsanfälligen“ Eröffnungsgrundes der Überschuldung sowie ein auf Gesellschafter erweiterter Rechtsschutz gegen die Eröffnungsentscheidung des Gerichts wie auch gegen die Auswahl des Gutachters im Er___________ 48) OLG München v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, ZIP 2013, 1121; OLG München v. 4.2.2015 – 7 U 2177/14, ZIP 2015, 826, dazu EWiR 2015, 439 (Beck), zu dem gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht verstoßenden Insolvenzantrag des Gesellschafters einer GbR; Leinekugel/Skauradszun, GmbHR 2011, 1121, 1128; H.-F. Müller in: Jaeger, InsO, § 18 Rz. 19; Mock in: Uhlenbruck, InsO, § 18 Rz. 71; Wortberg, ZInsO 2004, 707, 711. 49) Henssler, ZInsO 1999, 121, 126. 50) Jakobs/Hoffmann, EWiR 2013, 483, 484 (Urteilsanm.); a. A. Thole, ZHR 173 (2009) 504, 521 ff. 51) Brünkmans/Übele, ZInsO 2014, 265; Brinkmann, ZIP 2014, 197; Lang/Muschalle, NZI 2013, 953; Fölsing, ZInsO 2013, 1325; Eidenmüller, NJW 2014, 17; Zipperer, ZIP 2015, 2002. 52) Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 177.

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Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalt

§3

öffnungsverfahren.53) Effektiver wäre freilich ein Schutz bereits gegen den Insolvenzantrag als solchen. Dessen Zulassung kann weiterhin nicht mit förmlichen Rechtsbehelfen angegriffen werden. Ist die Hürde ins Eröffnungsverfahren aber erst einmal genommen, wird die Dynamik des Verfahrens nachfolgend kaum mehr zu stoppen sein. In der Praxis kann die nun umfangreich verlangte Eigenverwaltungsplanung dem Gesell- 53 schafter die Chance bieten, das Gericht für eine missbräuchliche Antragstellung im Vorfeld sensibel zu machen und gegenzuhalten. Regelmäßig wird eine strategische Insolvenz mit einer angestrebten Eigenverwaltung einhergehen. Einem „Überfall“ des Gerichts wie auch des (Mit)Gesellschafters mit einem Insolvenz- und Eigenverwaltungsantrag ist aufgrund der Anforderungen an die vorzulegenden Unterlagen i. V. m. der Verlängerung der Antragsfrist bei Überschuldung auf sechs Wochen zur Vorbereitung derselben etwas die Luft genommen. Wenn zur Eigenverwaltungsplanung nach § 270a Abs. 1 Nr. 3 InsO nun auch die Darstellung des Stands von Verhandlungen mit den am Schuldner beteiligten Personen gehört, wird deren Bereitschaft zu Sanierungsmaßnahmen jedenfalls anzufragen und eine Rückmeldung innerhalb der Antragsfrist abzuwarten sein. Dass ein Gesellschafter die Entscheidung über die Ausreichung eines Sanierungsdarlehens oder einen sonstigen Sanierungsbeitrag nicht ohne Vorlage der für die drohende Zahlungsunfähigkeit maßgeblichen Liquiditätsplanung für 24 Monate, einer Überschuldungsprüfung sowie dem Sanierungskonzept der Geschäftsleiter nebst eingeholter Sanierungsgutachten externer Berater treffen kann und muss, liegt auf der Hand. Die Zielrichtung und Strategie kann damit im besten Fall bereits vor der Einreichung des Antrags bei Gericht anhand der Eigenverwaltungsplanung, insbesondere des Konzepts für einen Insolvenzplan mit Eingriffen in Gesellschafterrechte aufgedeckt werden. (Gegen-)Vorbringen zur Rechtsmissbräuchlichkeit und Insolvenzzweckwidrigkeit eines erwarteten Insolvenzantrags kann auf dieser Grundlage konkret i. R. einer Schutzschrift an das zuständige Gericht adressiert werden. Für einen effektiven Schutz vor strategischen und insolvenzzweckwidrigen Insolvenzan- 54 trägen, ist stattdessen schon bei der Antragsbefugnis und der Zulässigkeit des Insolvenzantrags anzusetzen. Das Antragsrecht nach § 15 Abs. 1 und 2 InsO ist dem Vertreter abzusprechen, wenn ein kollusives Zusammenwirken zum Nachteil eines Gesellschafters erkennbar oder sonst der Missbrauch der Vertretungsmacht zu insolvenzzweckwidrigen Zwecken evident ist und das Gegenvorbringen weiter geeignet ist, die Überschuldung und eine Antragspflicht zu widerlegen. In jedem Fall aber ist bei einem derartigen Gegenvorbringen die Glaubhaftmachung des 55 verpflichtenden Eröffnungsgrundes der Überschuldung durch den Antragsteller entsprechend § 15 Abs. 2 InsO besonders in den Fokus zu nehmen. Erscheint dem Gericht aufgrund der Gegenglaubhaftmachung allenfalls eine drohende Zahlungsunfähigkeit überwiegend wahrscheinlich und weiter anhand des Gegenvorbringens in Verbindung mit der vorgelegten Eigenverwaltungsplanung eine Rechtsmissbräuchlichkeit bzw. Insolvenzzweckwidrigkeit evident, darf das Insolvenzrecht nach seinem Verfahrenszweck gemäß § 1 Satz 1 InsO nicht zur Verfügung stehen. IV.

Krisenbedingte Sonderregelungen für die Eigenverwaltung

1.

COVID-19-Pandemie und Eigenverwaltung

Das zügige Inkrafttreten der neuen Restrukturierungstools war getrieben von der COVID- 56 19-Pandemie, die viele Unternehmen völlig unerwartet und hart getroffen hat oder schon angelaufene Erfolgskrisen beschleunigt und in Richtung Zahlungsunfähigkeit vertieft hat. Die Anforderungen an die Vorbereitung und Beantragung einer vorläufigen Eigenverwal___________ 53) Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 177.

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§3

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

tung sind gleichzeitig umfangreich geworden, was sich ohne Zweifel unter den gegenwärtigen Krisenbedingungen und insbesondere für mittlere und kleine Unternehmen als Hemmnis für den Zugang zu den Verfahren erweisen kann.54) So wurde von Praktikern vielfach für mittlere und kleine Unternehmen und Unternehmer ein praktikables „Schutzschirmverfahren light“ gefordert. Dem ist der Gesetzgeber allerdings nur insoweit nachgekommen, als die Erschwerungen beim Zugang zur vorläufigen Eigenverwaltung für einen Übergangszeitraum für solche Unternehmen nicht gelten sollten, deren Insolvenz auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruhte.55) 57 Dementsprechend waren nach § 5 Abs. 1 COVInsAG, jetzt § 5 Abs. 1 SanInsKG, bei bis zum 31.12.2021 gestellten Anträgen auf Eigenverwaltung weiterhin die früheren Regelungen anzuwenden, wenn die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Schuldners auf die Pandemie zurückzuführen war. 58 Letzteres konnte durch Vorlage einer den Vorgaben von § 5 Abs. 2 COVInsAG, jetzt § 5 Abs. 2 SanInsKG, entsprechenden Bescheinigung dargelegt werden. Anstelle der Bescheinigung konnte der Schuldner nach im Eröffnungsantrag darlegen und versichern, dass keine Verbindlichkeiten bestehen, die am 31.12.2019 bereits fällig und zu diesem Zeitpunkt noch nicht bestritten waren (§ 5 Abs. 3 COVInsAG, jetzt § 5 Abs. 3 SanInsKG).56) In beiden Varianten galt die Insolvenz als pandemiebedingt.57) 59 Bei einer derartigen pandemiebedingten Insolvenz und Antragstellung im Jahr 2021 war somit für die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung eine Eigenverwaltungsplanung gesetzlich nicht verlangt.58) Ebenso wenig war gesetzlich festgeschrieben, dass Rückstände bei Arbeitnehmern, dem Fiskus, der Sozialversicherung oder bei Lieferanten, Vollstreckungsund Verwertungssperren in den letzten drei Jahren und die Verletzung handelsrechtlicher Offenlegungspflichten in diesem Zeitraum zwangsläufig zu Zweifeln an der Eigenverwaltungswürdigkeit führen.59) Die eingetretene Zahlungsunfähigkeit konnte dem Zugang zur Eigenverwaltung an dieser Stelle eindeutig nicht entgegenstehen, wie die Öffnung des Schutzschirmverfahrens für Fälle der pandemiebedingten Zahlungsunfähigkeit zeigt. 2.

COVID-19-Pandemie und erleichterter Zugang zum Schutzschirmverfahren

60 Der Zugang zum Schutzschirmverfahren sollte nicht bereits daran scheitern, dass nicht nur drohende Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung, sondern bereits Zahlungsunfähigkeit vorlag, wenn diese auf der COVID-19-Pandemie beruhte und der Antrag im Jahr 2021 gestellt wurde.60) Dahinter stand der Gedanke, dass in den besonders hart betroffenen Branchen Unternehmen in Zahlungsunfähigkeit gerieten, die, denkt man die Pandemie und deren wirtschaftliche Verwerfungen weg, nicht in Insolvenz geraten wären.61) In diesen Fällen einer pandemiebedingten Zahlungsunfähigkeit sollte diese somit kein Indiz für ein unsachgemäßes Krisenmanagement sein, das geeignet ist, das Vertrauen in die Bereitschaft und Fähigkeit des Schuldners in Frage zu stellen, die Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigerschaft auszurichten.62) ___________ 54) 55) 56) 57) 58) 59) 60) 61) 62)

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Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 15. Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 15. Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 16. Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 16. Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 270 Rz. 24. Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 270 Rz. 24. Begr. RegE SanInsFoG z. COVInsAG, BT-Drucks. 19/24181, S. 218. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 218. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 218.

Neußner

Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalt

§3

Für den erleichterten Zugang zum Schutzschirmverfahren war erforderlich, dass in der 61 Bescheinigung nach § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO a. F. (jetzt § 270d Abs. 1 Satz 1 InsO) bestätigt wurde, dass 

der Schuldner zum 31.12.2019 nicht zahlungsunfähig war,



er im letzten vor dem 1.1.2020 abgeschlossenen Geschäftsjahr ein positives Ergebnis aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit erwirtschaftet hatte und



im Jahr 2020 einen erheblichen Einbruch des Umsatzes zu verzeichnen hatte, der sich auf mindestens 30 % des Vorjahresumsatzes belief (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 – 3 COVInsAG, jetzt § 6 SanInsKG).

Der erleichterte Zugang war zudem für solche Fälle geöffnet, die die beiden letztgenann- 62 ten Voraussetzungen nicht oder nicht vollständig erfüllen, wenn sich anhand der konkreten oder branchenspezifischen Relationen zeigen lies, dass es sich dennoch um eine pandemiebedingte Zahlungsunfähigkeit handelte.63) 3.

Aktivierung von Corona-Finanzhilfen

Für die bilanzielle Betrachtung ist auf die IDW-Stellungnahme vom 6.4.2021 zu Zweifels- 63 fragen zu den Auswirkungen der Ausbreitung des Coronavirus auf die Rechnungslegung und deren Prüfung hinzuweisen.64) Danach können Corona-Zuwendungen, auf die kein Rechtsanspruch besteht, im handelsrechtlichen Abschluss bzw. im IFRS-Abschluss dann unter dem Bilanzposten „sonstige Vermögensgegenstände“ als Anspruch (im bilanziellen Sinne) aktiviert werden, wenn der Bilanzierende die sachlichen Voraussetzungen zum Abschlussstichtag erfüllt hat und zum Zeitpunkt der Beendigung der Aufstellung des Abschlusses der erforderliche Antrag gestellt ist oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gestellt werden wird. Dies muss nach dem Zweck der Fördermittel wie auch der Überschuldungsbilanz und der Vorgabe, sämtliche Vermögensgegenstände mit ihrem „wahren“ Wert anzugeben, für § 19 InsO erst recht gelten. 4.

Sanierungs- und insolvenzrechtliches Krisenfolgenabmilderungsgesetz (SanInsKG)

Auch wenn die gesetzlichen Reaktionen auf die COVID-Pandemie in Gestalt der Ausset- 64 zung der Insolvenzantragspflicht (§ 1 COVInsAG, jetzt § 1 SanInsKG) und der Erleichterungen beim Zugang zur vorläufigen Eigenverwaltung und zum Schutzschirmverfahren (§§ 5 und 6 COVInsAG, jetzt §§ 5 und 6 SanInsKG) zwischenzeitlich ausgelaufen sind, dauern die Härten für viele Branchen und Unternehmen doch an. Zu den Aus- und Nachwirkungen der Pandemie kommen nun die Folgen des Krieges in der Ukraine, vor allem die rapide Steigerung bei den Gas- und Ölpreisen, die die wirtschaftliche Situation weiter verschlechtern. Auf diese neuen Planungsunsicherheiten hat der Gesetzgeber mit einer temporären Anpas- 65 sung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften reagiert. Das COVInsAG wurde umbenannt und enthält nun als sanierungs- und insolvenzrechtliches Krisenfolgenabmilderungsgesetz (SanInsKG)65) Hilfen für im Kern gesunde Unternehmen. Zum einen soll die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags wegen Überschuldung abgemildert werden. Zu diesem Zweck wird durch § 4 Abs. 2 SanInsKG im Zeitraum vom 9.11.2022 bis ein___________ 63) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SansInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 16. 64) IDW, Zweifelsfragen zu den Auswirkungen der Ausbreitung des Coronavirus auf die Rechnungslegung und deren Prüfung (Teil 3, 5. Update 4/2021), abrufbar unter https://www.idw.de/blob/ 124230/4d0cde868d61cb6ab0bead999861372e/down-corona-idw-fachlhinw-relepruefung-teil3-update5data.pdf (Abrufdatum 16.1.2023). 65) Gesetz zur vorübergehenden Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Abmilderung von Krisenfolgen (Sanierungs- und insolvenzrechtliches Krisenfolgenabmilderungsgesetz – SanInsKG), v. 27.3.2020, BGBl. I 2020, 569.

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49

§3

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

schließlich 31.12.2023 der Prognosezeitraum für die positive Fortbestehensprognose von zwölf auf vier Monate verkürzt. Dies gilt auch für Unternehmen, die vor dem 9.11.2022 bereits überschuldet waren, wenn die Antragsfrist nach § 15a Abs. 1 InsO noch nicht abgelaufen war, sie sich also noch nicht in der Insolvenzverschleppung befanden. Weiter wird die Höchstfrist für die Insolvenzantragstellung wegen Überschuldung im Zeitraum vom 9.11.2022 bis einschließlich 31.12.2023 von sechs Wochen (§ 15a Abs. 1 InsO) auf acht Wochen verlängert gemäß § 4a SanInsKG. In Bezug auf den Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit gibt es keine Erleichterungen. Hier bleibt es im Interesse des Gläubigerschutzes bei den strengen Regelungen der InsO. Erleichterungen für eine Restrukturierung zur Abwendung einer Insolvenz nach StaRUG sowie für die Restrukturierung in Eigenverwaltung in der Insolvenz enthält § 4 SanInsKG in Absatz 2 Nr. 2 und 3 für den Zeitraum vom 9.11.2022 bis einschließlich 31.12.2023. Der mit dem Antrag auf Eigenverwaltung i. R. der nun verlangten Eigenverwaltungsplanung vorzulegende Finanzplan muss abweichend von § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO nur einen von sechs auf vier Monate verkürzten Zeitraum abdecken. Dasselbe gilt für den Finanzplan nach § 50 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG. Diese temporären Erleichterungen des SanInsKG setzen nach dem Wortlaut der vorgenannten Vorschriften keinen vom Unternehmen darzulegenden oder zunächst gesetzlich vermuteten Zusammenhang zwischen einer bestimmten Krisenursache und der Insolvenzreife bzw. Insolvenzgefahr voraus. V.

Systematik Eigenverwaltungsplanung, Eigenverwaltungswürdigkeit und Anordnung

1.

Gefilterter Zugang zur Ausklammerung ungeeigneter Verfahren

66 Wichtiges Ziel der Fortentwicklung des Rechts der Eigenverwaltung ist die Ausklammerung ungeeigneter Verfahren.66) Die stärkere Begrenzung des Zugangs zur Eigenverwaltung soll dabei nicht erst für das eröffnete Verfahren greifen, sondern bereits für das Eröffnungsverfahren.67) 67 Zu diesem Zweck wurde der frühere, unbestimmte Nachteilsbegriff (§ 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO a. F.) als Schranke gestrichen und stattdessen der Zugang zur (vorläufigen) Eigenverwaltung vereinheitlicht.68) Unabdingbare Voraussetzung für die Zulassung der vorläufigen Eigenverwaltung sind nun die Vorlage einer Eigenverwaltungsplanung (§ 270a Abs. 1 InsO) sowie die Abgabe von Erklärungen zur „Eigenverwaltungswürdigkeit“ des Schuldens (§ 270a Abs. 2 InsO).69) Der Gesetzgeber hat sich damit für die in der ESUG-Evaluierung vorgeschlagene Variante eines „gefilterten“ Zugangs zur Eigenverwaltung entschieden.70) 68 Verschärft wurde die Rechtsunsicherheit für den Schuldner nach der alten Rechtslage durch Unklarheiten bei der Darlegungs- und Amtsermittlungspflicht in Bezug auf die tatsächlichen Umstände, die zu Nachteilen einer Eigenverwaltung für die Gläubiger führen können. Das Gesetz formulierte hier negativ, „dass keine Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird“. Feststellungen hierzu waren aufgrund der Erkenntnisse und Berichte des vorläufigen Sachwalters i. R der vorläufigen Eigenverwaltung möglich, wenn es um die Entscheidung über die Anordnung der Eigenverwaltung für das eröffnete Verfahren geht. Die Weichen für eine erfolgreiche Eigenverwaltung werden aber faktisch wesentlich früher, bei der Zulassung der vorläufigen Eigenverwaltung, gestellt. Auch schon bei diesem Einstieg in das Verfahren ___________ 66) 67) 68) 69) 70)

50

Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 79. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 79. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 79. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 80. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 71.

Neußner

Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalt

§3

kam es über die Anknüpfung an die Anordnungsvoraussetzungen bei Eröffnung auf den unbestimmten Nachteilsbegriff an, da das Gericht keine vorläufige Insolvenzverwaltung anordnen sollte, wenn der Antrag auf Eigenverwaltung „nicht offensichtlich aussichtslos“ war (§ 270a Abs. 1 InsO a. F.). Umstritten war, inwieweit das Gericht zunächst noch Ermittlungen anstellen durfte, um 69 die Frage der Nachteilsprognose zu entscheiden (§ 5 InsO).71) Eine vorläufige Eigenverwaltung kam nach der gesetzlichen Formulierung in Betracht, wenn der Antrag auf Eigenverwaltung „nicht offensichtliche aussichtslos“ war (§ 270a Abs. 1 Satz 1 InsO a. F.). Hieraus wurde wohl mehrheitlich geschlossen, dass nur eine kursorische Prüfung vorzunehmen und keine umfangreiche Sachverhaltsaufklärung erforderlich war.72) Von einer einheitlichen Handhabung durch die Gerichte kann allerdings nicht gesprochen werden. So wurde teilweise auch zunächst ein Sachverständiger beauftragt, der kurzfristig Stellung zu den vom Gericht anzuordnenden Sicherungsmaßnahmen nehmen sollte.73) Ein wichtiger Ansatz und Intention der Neuregelung ist es daher auch, die Notwendigkeit 70 einer separaten Sachverständigenbestellung vor der Zulassung der vorläufigen Eigenverwaltung durch verlässliche Voraussetzungen zu ersetzen.74) 2.

Vertrauensvorschuss in eigenverwaltungstaugliche Verfahren

2.1

Eigenverwaltungsplanung und Eigenverwaltungswürdigkeit

Mit der nun verlangten umfassenden Eigenverwaltungsplanung als Anlage zum Eigenver- 71 waltungsantrag und den weiter vom Schuldner geforderten Erklärungen zur Beurteilung seiner Eigenverwaltungswürdigkeit soll nun ein rechtssicherer Zugang zum vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren verbunden sein. Anhand der festgelegten konkreten Kriterien sollen die Gerichte nun geeignete Verfahren von eigenverwaltungsuntauglichen Sachverhalten abgrenzen.75) Die Voraussetzungen für die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung (§ 270b InsO) und mittelbar auch für die Eigenverwaltung im eröffneten Verfahren (§ 270f InsO) knüpfen unmittelbar an die Antragsanlagen und Erklärungen an.76) Im Grundsatz soll die vorläufige Eigenverwaltung nun angeordnet werden, wenn die für eine erfolgreiche Eigenverwaltung im Rahmen der ESUG-Evaluierung für maßgeblich erkannten und entsprechend in § 270a InsO normierten Kriterien ein positives Bild zeichnen.77) Zur „Eigenverwaltungsplanung“ gehören die in § 270a Abs. 1 InsO bezeichneten, mit dem 72 Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung vorzulegenden Unterlagen.78) Die Eigenverwaltungsplanung macht allen Beteiligten transparent, zu welchem Zweck die Eigenverwaltung beantragt wird, welches Ziel im Verfahren erreicht werden soll für die Gläubiger, welche Maßnahmen dazu geplant sind und mit welcher Unterstützung und Kosten dies umsetzbar sein kann. Im Einzelnen umfasst die Eigenverwaltungsplanung gemäß § 270a Abs. 1 InsO folgende Unterlagen bzw. Dokumentationen: 

Finanzplan für sechs Monate (Nr. 1),

 Restrukturierungskonzept (Nr. 2), ___________ Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 64 m. w. N. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 65 m. w. N. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 69 sowie Fallstudie 4, S. 253, 254. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 69, 70. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 77, 79. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 203. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 77; Thole, NZI Beilage z. Heft 5/2021, S. 90, 93. 78) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204. 71) 72) 73) 74) 75) 76) 77)

Neußner

51

§3

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren



Darstellung Verhandlungsstand (Nr. 3),



Sicherstellung insolvenzrechtlicher Pflichtenerfüllung (Nr. 4),



Kostenvergleich Eigenverwaltungs- und Regelinsolvenzverfahren (Nr. 5).

73 Dem Gericht und auch einem vorläufigen Gläubigerausschuss belastbar aufzuzeigen sind somit an erster Stelle die konkrete Verfahrens- und Sanierungsplanung einschließlich Liquiditätsplanung und Haltung der Stakeholder zu dem Vorhaben.79) Weiter muss die notwendige insolvenzrechtliche Expertise sichergestellt sein.80) In unmittelbarem Zusammenhang mit der Einbindung insolvenzrechtlicher Expertise steht natürlich die Kostenfrage.81) 74 Die Eigenverwaltungswürdigkeit eines Schuldners macht das Gesetz in § 270a Abs. 2 InsO daran fest, dass 

keine Zahlungsrückstände bestehen bei Arbeitnehmern, Fiskus, Sozialversicherungsträgern und Lieferanten (Nr. 1),



der Schuldner in den letzten drei Jahren keine sanierungsrechtlichen Verfahrenshilfen in Anspruch genommen hat (Nr. 2),



seinen Offenlegungspflichten in den letzten drei Jahren nachgekommen ist (Nr. 3).

2.2

Vollständigkeit und Schlüssigkeit der Eigenverwaltungsplanung

75 Das Gericht hat die Eigenverwaltungsplanung vor der Entscheidung über die vorläufige Eigenverwaltung lediglich auf Vollständigkeit und Schlüssigkeit hin zu prüfen, wie nun ausdrücklich im Gesetz formuliert (§ 270b Abs. 1 Nr. 1 InsO).82) Wie bereits ausgeführt, gehören zur Eigenverwaltungsplanung nur die in § 270a Abs. 1 Nr. 1 – 5 InsO genannten Anlagen, die sich auf das künftige Verfahren beziehen, nicht dagegen die weiter vom Schuldner zur Darlegung seiner Eigenverwaltungswürdigkeit verlangten, auf die Vergangenheit bezogenen Erklärungen. Vollständig ist die Eigenverwaltungsplanung somit, wenn sämtliche in § 270 Abs. 1 Nr. 1 – 5 InsO aufgelisteten Unterlagen vorhanden sind.83) 76 Weiter dürfen keine Umstände bekannt sein, aus denen sich ergibt, dass die Eigenverwaltungsplanung in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruht (§ 270 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Die Beschränkung auf „wesentliche“ Punkte zeigt auf, dass diese geeignet sein müssen, die Aussichten des Eigenverwaltungskonzepts in Frage zu stellen. Zudem muss es sich um unzutreffende „Tatsachen“ handeln, die der Eigenverwaltungsplanung zugrunde gelegt wurden. Eine abweichende Beurteilung der Chancen und der Durchführbarkeit des Konzepts sind damit nicht ausreichend. Dies ergibt sich nochmals aus einem Umkehrschluss zu § 270c Abs. 1 Nr. 1 InsO, der die Beurteilung der Durchführbarkeit erst dem vorläufigen Sachwalter im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren zur Aufgabe macht. 2.3

Plausibilitätsprüfung durch das Gericht

77 Das Gericht darf die dem Antrag beigefügten Anlagen und Erklärungen vor der Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung einer eigenen Plausibilitätsprüfung unterziehen.84) Der Gesetzgeber ist damit der Forderung der ESUG-Evaluierung nachgekommen, nicht nur die gerichtlichen Prüfungsgrundlagen, sondern vor allem auch die Prüfungsbefugnisse sowie ___________ 79) 80) 81) 82) 83) 84)

52

Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 80. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 80. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 80. Thole, NZI Beilage z. Heft 5/2021, S. 90, 93. Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 759; Frind, ZIP 2021, 171, 175. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 77.

Neußner

Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalt

§3

das Beweismaß konkret festzulegen, um unterschiedliche Gerichtspraktiken einzudämmen.85) Auf diese Weise soll dem Schuldner der Zugang zur vorläufigen Eigenverwaltung in geeigneten, eigenverwaltungstauglichen Verfahren nun verlässlich gewährt werden.86) Eine Amtsermittlung ist an dieser Stelle nicht angezeigt.87) Vorgeschaltete Sachverständigengutachten sollten nun der Vergangenheit angehören.88) Die Plausibilitätsprüfung umfasst auch die Frage, ob die Planung von vernünftigen An- 78 nahmen ausgeht, wie sich aus § 270b Abs. 1 Nr. 2 InsO ergibt.89) Gegebenenfalls können hier kurzfristig einholbare Stellungnahmen wesentlicher Gläubiger sachdienlich sein.90) Bei kleineren Gerichten wird es gerade auch über die Einbindung eines vorläufigen Gläubigerausschusses häufig Sache der professionellen Gläubiger sein, Anträge mit überoptimistischen Annahmen der Berater zu identifizieren.91) Die Ermittlung, ob die Planungen auch von den erkannten und erkennbaren tatsächlichen 79 Gegebenheiten ausgeht, schlüssig ist und durchführbar erscheint, ist dagegen nun ganz klar in das gestartete vorläufige Eigenverwaltungsverfahren verwiesen und Aufgabe des vorläufigen Sachwalters, § 270c Abs. 1 Nr. 1 InsO (siehe ausführlich zur vorläufigen Eigenverwaltung inkl. Aufhebung Hofmann, HRI II, § 4 Rz. 57 ff.). Sollte der vorläufige Sachwalter feststellen, dass der Schuldner die Eigenverwaltungsplanung in wesentlichen Punkten auf unzutreffende Tatsachen gestützt hat, wird die vorläufige Eigenverwaltung aufgehoben (§ 270e Abs. 1 lit. a InsO). Der Schuldner, der eine vollständige und in sich schlüssige Eigenverwaltungsplanung vor- 80 legt, die ein für die Gläubiger nur positives Bild vom künftigen Verfahren liefert, soll also nun solange mit der Anordnung der Eigenverwaltung rechnen können, wie nicht offenkundig ist, dass die Planung in wesentlichen Punkten nicht von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht oder ein Fall von § 270b Abs. 2 InsO vorliegt.92) Der zum alten Recht diskutierte Anspruch auf Anordnung der Eigenverwaltung in ge- 81 eigneten Fällen ist mit diesem neuen Regelungsansatz verwirklicht.93) Der Vertrauensvorschuss betrifft allerdings nur optimale Sachverhalte, wie sich aus § 270 82 Abs. 2 InsO ergibt. Spielt sich das Verfahren in einem Graubereich ab, wie er nun in § 270b Abs. 2 InsO gesetzlich definiert ist, verbleibt es bei den bisherigen Problemen und Unsicherheiten. Der frühere unbestimmte Nachteilsbegriff ist dann lediglich ersetzt durch die ebenfalls vage Formulierung, dass zu erwarten sein muss, dass der Schuldner trotz vorliegender Kontraindikatoren bereit und in der Lage sein muss, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubiger auszurichten.94) Es steht zu befürchten, dass künftig weniger der Vertrauensvorschuss in optimale Sachver- 83 halte der Eigenverwaltung einen zusätzlichen Schub verleiht, sondern eher die gesetzliche Fixierung von Kontraindikatoren ein Hemmnis sein könnte, gerade für mittlere und kleinere Unternehmen. Denn große Restrukturierungsverfahren mit ausreichend Liquidität für Berater und Spielraum für Planlösungen waren auch bisher gut vorbereitet, konnten die Gerichte und die Gläubiger überzeugen und im Ergebnis auch wie geplant laufen. ___________ 85) 86) 87) 88) 89) 90) 91) 92) 93) 94)

Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 79. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 79. Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 759. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 73. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 72. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 73. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 73. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205. Ellers in: BeckOK-InsR, § 270b InsO Rz. 5; Thole, NZI Beilage z. Heft 5/2021, S. 90, 93. Thole, NZI Beilage z. Heft 5/2021, S. 90, 92.

Neußner

53

§3

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

3.

Problem Kontraindikatoren

3.1

Gesetzlich definierter Graubereich

84 Tatsächlich greift also der Blick auf § 270b Abs. 1 InsO mit seiner Festlegung von Prüfungsgegenstand und Prüfungsumfang für einen rechtssicheren Zugangs zur vorläufigen Eigenverwaltung zu kurz. Sachverhalte, die nach dem neuen Recht prima facie den Schluss nahelegen, dass die Eigenverwaltung nicht im Interesse der Gläubiger sein könnte, nennt und regelt weiter § 270b Abs. 2 InsO.95) 85 Derartige Kontraindikatoren für eine vorläufige Eigenverwaltung können sich nach § 270b Abs. 2 InsO sowohl aus der Eigenverwaltungsplanung ergeben als auch aus den vom Schuldner beigefügten Erklärungen zu seiner Eigenverwaltungswürdigkeit. 3.2

Finanzierung und Mehrkosten einer Eigenverwaltung

86 Zweifel daran, dass die beantragte Eigenverwaltung im konkreten Fall tatsächlich auch im Interesse der Gläubiger ist, können sich an erster Stelle aus dem nach der Dokumentation des Schuldners zu erwartenden Verfahrensablauf ergeben. 87 Macht die vom Schuldner vorgelegte Eigenverwaltungsplanung deutlich, dass 

die Kosten der Eigenverwaltung und der Fortführung des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs nach dem übermittelten Finanzplan nicht für sechs Monate ab Antragstellung durchfinanziert sind oder



die i. R. der Gegenüberstellung von Eigenverwaltung und Fremdverwaltung ausgewiesenen voraussichtlichen Kosten der Eigenverwaltung diejenigen eines Regelverfahrens in wesentlicher Weise übersteigen

geht es nicht um den in § 270b Abs. 1 InsO gemeinten, mit einem Vertrauensvorschuss ausgestatteten Restrukturierungsfall, den der Schuldner nun ohne jeden Zweifel im gerichtlichen Verfahren im Interesse der Gläubiger weiterverfolgen darf. 3.3

Zweifel an der Eigenverwaltungswürdigkeit

88 Zweifel an einem an den Interessen der Gläubiger ausgerichteten und erfolgreichen Verlauf eines Restrukturierungsverfahrens in der Hand des Eigenverwalters können sich weiter aus den Erklärungen des Schuldners zu seinem bisherigen Krisenmanagement ergeben. 89 Die gemäß § 270a Abs. 2 InsO vom Schuldner eingereichten Erklärungen werfen Zweifel an seiner Eigenverwaltungswürdigkeit auf, wenn dieser mitgeteilt hat, dass 

Zahlungsrückstände gegenüber Arbeitnehmern oder erhebliche Zahlungsrückstände gegenüber den weiteren in § 270a Abs. 1 Nr. 5 InsO genannten Gläubigern bestehen,



zugunsten des Schuldners in den letzten drei Jahren vor der Stellung des Eigenverwaltungsantrags Vollstreckungs- oder Verwertungssperren (InsO oder StaRUG) angeordnet worden sind oder



der Schuldner in einem der letzten drei Jahre vor der Antragstellung gegen die Offenlegungspflichten, insbesondere nach den §§ 325 bis 328 oder § 339 HGB verstoßen hat.

90 Diese Auflistung geht zurück auf die Kriterien, die i. R. der ESUG-Evaluierung herausgearbeitet wurden, um die Zuverlässigkeit und Eignung des Schuldners zur Lösung der Krise im Interesse der Gläubiger anhand seines bisherigen Krisenmanagements festzustellen und die auch bisher als „greifbare Umstände“ Eigenverwaltungen grundsätzlich entgegenstanden. ___________ 95) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205.

54

Neußner

Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalt 3.4

§3

Gläubigerinteresse, Ermittlung und Gesamtwürdigung

Ergeben sich nun aus der Eigenverwaltungsplanung oder den Erklärungen des Schuldners 91 kritische Umstände, die den Antrag in den Graubereich verweisen, kann nach § 270b Abs. 2 InsO die vorläufige Eigenverwaltung nur angeordnet werden, wenn trotz dieser Umstände zu erwarten ist, dass der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubiger auszurichten. An dieser Stelle bedarf es nun einer Gesamtwürdigung sämtlicher für und gegen die Eig- 92 nung des Verfahrens als Restrukturierungsverfahren in Eigenverwaltung und des Schuldners als Eigenverwalter sprechender Umstände.96) Das Gericht ist im Graubereich gehalten, sämtliche relevante Umstände zu ermitteln 93 und diese seiner Entscheidung zugrunde zu legen.97) Die Beschränkungen der Grundlagen der richterlichen Entscheidung auf bekannte Umstände gilt nur für § 270b Abs. 1 InsO, nicht dagegen für Sachverhalte mit einer „Kontraindikation“.98) Die Eigenverwaltung soll nur angeordnet werden, wenn eine Gesamtwürdigung des Sach- 94 verhalts ergibt, dass die Eigenverwaltung trotz des Vorliegens der aufgezeigten Kontraindikatoren im Interesse der Gläubiger ist.99) Eine vorläufige Eigenverwaltung soll also nicht allein aufgrund der Feststellung ausgeschlossen sein, dass es nicht um den nach der Eigenverwaltungsplanung und den Erklärungen des Schuldners optimal geeigneten Sachverhalt geht. Es kommt allerdings nun auf eine Beurteilung und vor allem auf Umstände an, anhand derer aufgezeigt werden kann, dass der Schuldner bzw. dessen Geschäftsleitung bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung nun im Verfahren an den Interessen der Gläubiger auszurichten. Bei den Kriterien für die Eigenverwaltungswürdigkeit wird sicherlich eine Rolle spielen müs- 95 sen, wie es zu den Zahlungsrückständen kam. Insbesondere wird bei den Kontraindikatoren in § 270b Abs. 2 Nr. 1 InsO kein Verzug vorausgesetzt. Hat der Schuldner Stundungsabreden mit den Gläubigern getroffen, sind Zweifel an seiner Zuverlässigkeit nicht angebracht. Ein wichtiger Umstand ist auch die Haltung und Unterstützung der betroffenen Gläubiger zum Restrukturierungsvorhaben in Eigenverwaltung durch den Schuldner. Das Gläubigerinteresse kann vor allem auch dadurch gewahrt werden, dass der Schuldner 96 durch personelle und organisatorische Maßnahmen sicherstellt, dass Bedenken gegen seine Zuverlässigkeit in Bezug auf die Erfüllung künftiger Pflichten ausgeräumt werden.100) Letztlich ist das Gläubigerinteresse vor allem in Bezug auf die Zukunft und das erwartete Ergebnis eines Eigenverwaltungsverfahrens im Vergleich zu einem Regelinsolvenzverfahren zu sehen. Dieser Aspekt muss auch für die Bedeutung der Mehrkosten einer Eigenverwaltung gelten. 97 Wichtig ist an dieser Stelle der Hinweis des Gesetzgebers, dass Mehrkosten der Eigenverwaltung durch erwartbare Vorteile einer Eigenverwaltung, die sich die Kenntnisse und Erfahrungen der bisherigen Geschäftsführung zunutze machen kann, kompensiert werden können.101) Es kann also nicht nur um die prognostizierten Kosten beider Verfahrensarten gehen. Im 98 Fokus muss vor allem das über eine Eigenverwaltung – insbesondere i. V. m. einem Re___________ 96) 97) 98) 99) 100) 101)

Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205. Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 759; Erbe, NZI 2021, 753, 754. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 206.

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§3

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

strukturierungsplan – angestrebte und voraussichtlich nach aktuellem Stand der Planung erreichbare Ziel stehen. Jede Planlösung wird mit dem Anspruch gestrickt, Gläubiger nicht schlechterzustellen als im Regelverfahren und Anreize für eine Unterstützung zu setzen. 99 Mehrkosten der Eigenverwaltung sind dann kein Hindernis, wenn sie durch Beiträge ausgeglichen werden, die nur im Planverfahren für die Gläubiger zur Verfügung stehen. Zu nennen sich insbesondere künftige Erträge des Unternehmens, die der Schuldner zur Verteilung an die Gläubiger im Insolvenzplan anbietet. Ergibt sich bei der Quote aber voraussichtlich keine Schlechterstellung der Gläubiger, können die Mehrkosten auch der Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung nicht den Riegel vorschieben. 100 Eine fehlende Durchfinanzierung für sechs Monate kann z. B. dann ohne negative Auswirkung sein, wenn nach dem Konzept und Ziel der Eigenverwaltung eine kurzfristige Veräußerung des Unternehmens vorgesehen ist, bevor es zu Liquiditätsschwierigkeiten in Bezug auf die Fortführung und Kostendeckung kommt. 101 Im Ergebnis bleibt es allerdings wohl in allen Fällen mit Kontraindikatoren, die nun auch noch ausdrücklich im Gesetz festgeschrieben sind, bei den bisherigen Unsicherheiten und der Bedeutung eines vorläufigen Gläubigerausschusses und seines einstimmigen Votums für den verlässlichen Zugang zur vorläufigen Eigenverwaltung.102) 102 Einen erleichterten Zugang zur vorläufigen Eigenverwaltung wird die Neuregelung dem Gros der Unternehmen in der Praxis wohl nicht bringen.103) Der Aufwand ist weit größer, was sich unweigerlich in den zu stemmenden Kosten widerspiegeln wird. Der daraus folgende Gewinn an Rechtssicherheit ist vernachlässigbar. Große Unternehmen mit ausreichender Liquidität und Professionalität nehmen die Hürden, für alle anderen Unternehmen dürfte die neue „Liste“ an Zugangsfaktoren dagegen eher eine abschreckende Wirkung haben. 4.

Einstimmiges Votum des vorläufigen Gläubigerausschusses

103 Für eine Chance auf Eigenverwaltung und die notwendige Planungssicherheit wird nach wie vor die Einbindung und Unterstützung des Schuldners durch den vorläufigen Gläubigerausschuss der maßgebliche Weg sein. 104 Sein einstimmiges Votum bindet das Gericht nach § 270a Abs. 3 InsO.104) Der Gesetzgeber geht bei einem einstimmigen Votum des vorläufigen Gläubigerausschusses für eine vorläufige Eigenverwaltung wie bisher schon davon aus, dass die Gläubigerinteressen hinreichend gewahrt sind.105) 105 Dabei wird die Mitwirkungsmöglichkeit für den vorläufigen Gläubigerausschuss im neuen Recht weiter gestärkt.106) Seine Einbindung kann nur noch unterbleiben, wenn die dadurch bedingten Verzögerung offensichtlich innerhalb von zwei Werktagen zu einer nachteiligen Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners führt, die sich nur durch Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters abwenden lässt (§ 270b Abs. 3 Satz 2 InsO); siehe ausführlich zum vorläufigen Gläubigerausschuss Ampferl, HRI II, § 6 Rz. 224 ff. Neu ist die ausdrückliche Regelung, dass auch ein einstimmiges Votum des vorläufigen Gläubigerausschusses gegen eine vorläufige Eigenverwaltung das Gericht bindet (§ 270b Abs. 3 Satz 3 InsO). In der Praxis dürfte auch bislang kein Gericht gegen die maßgeblichen Gläubiger entschieden haben. ___________ 102) Thole, NZI Beilage z. Heft 5/2021, S. 90, 92 f. 103) Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, Vor §§ 270 ff. Rz. 1; Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 755. 104) Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 77; Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 206; Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 759. 105) Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 270b Rz. 35. 106) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 206.

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Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalt VI.

Anlagen Eigenverwaltungsplanung

1.

Vorbereitung des Eigenverwaltungsantrags

§3

Der Schuldner hat dem Antrag auf Eigenverwaltung seine Eigenverwaltungsplanung bei- 106 zufügen. Diese verlangt eine sorgfältige Vorbereitung und sichert gleichzeitig die ordentliche Dokumentation. Die gründliche Befassung mit Ziel, Weg, Ressourcen und ggf. Unwägbarkeiten gibt dem Schuldner und den Beteiligten nochmals Gelegenheit zu reflektieren, ob und unter welchen Voraussetzungen das Eigenverwaltungsvorhaben sinnvoll und realisierbar erscheint.107) An erster Stelle geht es um eine konkrete Verfahrens- und Sanierungsplanung einschließ- 107 lich der Notwendigkeit der Erarbeitung einer belastbaren Liquiditätsplanung (§ 270a Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO).108) Weiter muss der Schuldner die notwendige insolvenzrechtliche Expertise sichergestellt bzw. beigezogen haben und eine Stakeholderunterstützung nach aktuellem Meinungsbilds hinreichend aussichtsreich sein (§ 270a Abs. 1 Nr. 3 und 4 InsO).109) In unmittelbarem Zusammenhang mit der Einbindung insolvenzrechtlicher Expertise steht dann natürlich die Kostenfrage (§ 270a Abs. 1 Nr. 5 InsO).110) Auch wenn der Finanzplan in § 270a Abs. 1 InsO in Nr. 1 genannt ist und erst nachfolgend 108 in Nr. 2 das Eigenverwaltungskonzept, wird es sich doch anbieten, der Eigenverwaltungsplanung das Sanierungskonzept voranzustellen, um dann nachfolgend die nach den geplanten Sanierungsmaßnahmen erwarteten Liquiditätseffekte im Finanzplan plausibel darzustellen.111) Ein bestimmter Aufbau oder ein bestimmtes Format, Textform, Anlagen, Tabellen, sind im Gesetz nicht vorgegeben. Dem Schuldner steht es frei, die Eigenverwaltungsplanung selbst zu erstellen, sich bei der 109 Anfertigung einzelner Anlagen unterstützen zu lassen oder auch die Unterlagen zur Gänze durch Dritte erstellen zu lassen.112) Zwingend verlangt wird die Einbindung eines Beraters an dieser Stelle nicht113) und ebenso wenig eine bestimmte Qualifikation des Erstellers.114) Praktisch wird es regelmäßig ohne in der Materie speziell ausgewiesene Berater nicht gehen, sind doch an vielen Stellen die rechtlichen Folgen eines Insolvenzverfahrens einzupreisen bzw. im Vergleich der Kosten einer Eigenverwaltung gegenüber einer Fremdverwaltung abzuschätzen. Die Eigenverwaltungsplanung ist sowohl für den Start ins Verfahren von maßgeblicher Be- 110 deutung wie auch für das Durchlaufen des vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens bis zur Eröffnungsentscheidung und im eröffneten Verfahren. Der Schuldner muss sich im weiteren Verfahren an seinen Angaben messen lassen.115) So nehmen die Aufhebungsgründe konsequenterweise wieder Bezug auf die Eigenverwaltungsplanung und auf die der Planung zugrunde gelegten Unterlagen und Tatsachen (§§ 270e, 272 InsO). Der Exit aus dem (vorläufigen) Eigenverwaltungsverfahren kann damit an den Angaben des Schuldners, insbesondere zum Finanzplan, zum Konzept für die Durchführung des Insolvenzverfahrens und zu den Kostenauswirkungen der Eigenverwaltung festgemacht werden.116) Das Bekanntwer___________ 107) 108) 109) 110) 111) 112) 113) 114) 115) 116)

Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 203, 204. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 80. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 80. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 80. Harig/Höfer/Reus, NZI 2021, 993, 994. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204; Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 755. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204. Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 755. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 203, 204. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 203, 204.

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§3

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

den nicht offengelegter Umstände, eine Sprengung des Rahmens der Kostenschätzung oder nicht nachvollziehbare Änderungen im verfolgten Konzept sind wie schon bisher äußerst kritisch zu sehen und geeignet, dem Gericht Anknüpfungspunkte für eine Beendigung der (vorläufigen) Eigenverwaltung zugunsten einer Insolvenzverwaltung zu liefern (zur Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung siehe Hofmann, HRI II, § 4 Rz. 294 ff.).117) 2.

Einstweilige Anordnung mit Frist zur Nachbesserung

111 Weist die Eigenverwaltungsplanung zunächst noch behebbare Mängel auf, „kann“ das Gericht eine vorläufige Eigenverwaltung dennoch anordnen und dem Schuldner eine Frist zur Behebung der Mängel setzen.118) Die dem Schuldner zur Nachbesserung der Eigenverwaltungsplanung eingeräumte Frist darf 20 Tage nicht übersteigen (§ 270b Abs. 1 Satz 2 InsO). Zur Sicherung der Masse kann das Gericht für diesen Zeitraum anordnen, dass Verfügungen des Schuldners der Zustimmung durch den vorläufigen Sachwalter bedürfen (§ 270c Abs. 3 Satz 2 InsO). 112 Die Einräumung einer Chance zur Nachbesserung wird insbesondere bei Anträgen kleinerer Unternehmen sachgerecht sein, geht es doch um sehr umfangreiche und neue Anforderungen, die nun an die Antragsanlagen bei Einleitung eines Eigenverwaltungsverfahrens gestellt werden. 113 Auch wenn sich anhand der vorgelegten Unterlagen bereits Kontraindikatoren i. S. von § 270b Abs. 2 InsO zeigen, die das Verfahren in den Graubereich verweisen, sollte dies einer Nachfristsetzung zur Ergänzung ggf. fehlender Unterlagen oder Angaben nicht generell entgegenstehen. Gerade die Insolvenzen kleinere Unternehmen, bei denen sich in der Praxis eher ein Nachbesserungsbedarf bei der Eigenverwaltungsplanung ergeben wird, werden sich auch häufiger im Graubereich des § 270b Abs. 2 InsO wiederfinden. 114 Gegebenenfalls war bei der Einleitung des Verfahrens mit Blick auf die Dynamik der Krisenentwicklung und eine Antragspflicht besondere Eile geboten. Ist das Verfahren nun vom Schuldner eingeleitet, können die Gläubigerinteressen in der einstweiligen vorläufigen Eigenverwaltung über einen Zustimmungsvorbehalt des vorläufigen Sachwalters gesichert werden, siehe oben Rz. 111. Droht an dieser Stelle durch die Nachfrist kein Schaden, sollte gerade kleinen Unternehmen und Unternehmern die Chance zur Vorlage einer nachgebesserten Planung als Entscheidungsgrundlage für den vorläufigen Gläubigerausschuss und für das Gericht gegeben werden. 115 Wichtiger als die Nachbesserung der Eigenverwaltungsplanung scheint allerdings die nun auch gesetzlich abgesicherte Möglichkeit des Schuldners bzw. seiner Berater, das Vorgespräch mit dem Gericht über die Chancen einer geplanten Eigenverwaltung zu suchen, womit Mängel der Eigenverwaltungsplanung bzw. Bedenken im besten Falle noch vor Antragstellung behoben werden können (§ 10a InsO). 3.

Finanzplan (§ 270a Abs. 1 Nr. 1)

3.1

Fortführung und Verfahren durchfinanziert (§ 270b Abs. 1 InsO)

3.1.1 Plausible Liquiditätsplanung 116 Ohne eine noch hinreichende Liquidität kann eine (vorläufige) Eigenverwaltung kaum gelingen.119) Zur Eigenverwaltungsplanung gehört dementsprechend gemäß § 270a Abs. 1 Nr. 1 ___________ 117) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204. 118) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205. 119) v. Buchwaldt, BB 2015, 3017.

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Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalt

§3

InsO eine Liquiditätsplanung i. S. einer prospektiven Betrachtung der Unternehmensentwicklung, die dem Gericht schon mit Antragstellung vorzulegen ist.120) Die Eigenverwaltung ist somit jedenfalls mittelbar an das Verfahrensziel Sanierung bzw. Re- 117 strukturierung angebunden. Nur bei einem bei Eintritt in das Verfahren noch laufenden Geschäftsbetrieb bestehen entsprechende Erfolgsaussichten und soll eine Eigenverwaltung überhaupt in Betracht kommen.121) Weiter muss die Fortführung im Eröffnungsverfahren sowie in den ersten Monaten des eröffneten Verfahrens durchfinanziert sein. Zu den Kosten für die Fortführung des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs kommen dabei die für die Krisenbewältigung in diesem Zeitraum anfallenden Kosten einer Eigenverwaltung.122) Die Plausibilitätsprüfung in Bezug auch auf die Kostenseite soll Berater davon abhalten, mit überoptimistischen Annahmen zu arbeiten.123) Grundlage für die Entscheidung des Gerichts über die Anordnung der vorläufigen Eigen- 118 verwaltung ist der vom Schuldner vorgelegte Finanzplan. Das Gericht hat diesen bei der Einleitung des Verfahrens auf Plausibilität hin zu prüfen und dabei auch nur bekannte Umstände kritisch in die Betrachtung einzubeziehen, wie sich aus dem Wortlaut von § 270b Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO ergibt (zum Umfang der gerichtlichen Prüfung siehe Rz. 77 ff.). Eine Erklärung des Schuldners zur Vollständigkeit und Richtigkeit verlangt das Gesetz nicht, auch nicht in Bezug auf die der Planung zugrunde liegende Finanzbuchhaltung. Sind Umstände bekannt, aus denen sich ergibt, dass die Liquiditätsplanung in wesentlichen 119 Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruht, kommt eine vorläufige Eigenverwaltung nicht in Betracht. Zu den wesentlichen Punkten gehören sicherlich die in § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO besonders hervorgehobenen „Finanzierungsquellen“. Eine Nachfristsetzung zur Mängelbeseitigung wird bei einer schon durch das Gericht i. R. 120 der Plausibilitätsprüfung festgestellten unzutreffenden Tatsachengrundlage kaum in Betracht kommen, geht es an diesem Punkt doch um das Vertrauen in die Zuverlässigkeit des Schuldners. Selbst in den Graubereich des § 270b Abs. 2 InsO ist dieser Verstoß gegen § 270b Abs. 1 Nr. 2 InsO nicht verwiesen, was dafür spricht, dass die Zuverlässigkeit und Seriosität derart in Frage steht, dass das Verfahren bzw. der Schuldner ungeeignet für eine Eigenverwaltung erscheinen. Geht es dagegen prima facie um einen eigenverwaltungstauglichen Sachverhalt, wird der vor- 121 läufige Sachwalter regelmäßig beauftragt werden, die Planung zu prüfen, insbesondere, ob diese von den erkannten und erkennbaren tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht, schlüssig ist und durchführbar erscheint (§ 270c Abs. 1 Nr. 1 InsO). Sollte der vorläufige Sachwalter feststellen, dass der Finanzplan in wesentlichen Punkten 122 auf unzutreffenden Tatsachen gestützt wurde oder dass der Schuldner seiner Informationspflicht nicht nachgekommen ist, sobald sich nachträglich Abweichungen ergeben haben, hat das Gericht die vorläufige Eigenverwaltung im Gläubigerinteresse zu beenden (§ 270e Abs. 1 Nr. 1 lit. a InsO). Der Finanzplan, an dem sich der Schuldner nachfolgend messen lassen muss, sowie seine 123 Rechnungslegung und Buchführung als Grundlage der Planung stehen somit in der (vorläufigen) Eigenverwaltung im Fokus der Betrachtung. Die Rechnungslegung und Buchführung des Schuldners muss vollständig und aktuell sein, 124 um eine taugliche Grundlage für die Planung bilden zu können. Ob sie dazu geeignet ist, ___________ 120) 121) 122) 123)

Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204; Gutmann, NZI 2022, 457. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 72. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 73.

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§3

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

wird ebenfalls erst i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung vom vorläufigen Sachwalter geprüft. Das Gericht kann und wird den vorläufigen Sachwalter mit dieser Prüfung regelmäßig beauftragen gemäß § 270c Abs. 1 Nr. 2 InsO. 125 Sollte sich herausstellen, dass schon die Rechnungslegung und Buchführung so unvollständig oder mangelhaft ist, dass sie keine Beurteilung des Finanzplans ermöglicht, stellt auch dies einen Aufhebungsgrund für das vorläufige Eigenverwaltungsverfahren dar gemäß § 270e Abs. 1 Nr. 1 lit. b InsO. 3.1.2 Sechs-Monats-Zeitraum 126 Die Durchfinanzierung muss durch einen Finanzplan belegt werden, der den Zeitraum von sechs Monaten ab Antragstellung abdeckt. Die in diesem Zeitraum verfügbaren oder verfügbar zu machenden liquiden Mittel müssen die Fortführung des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs in den sechs Monaten ermöglichen und zugleich die Deckung der in diesem Zeitfenster anfallenden Kosten des Verfahrens zur Krisenbewältigung sicherstellen.124) 127 Für die Aufstellung der Liquiditätsrechnung gelten die allgemeinen betriebswirtschaftlichen Grundsätze.125) Kodifiziert sind derartige Grundsätze für eine Planungsrechnung allerdings nicht.126) Herausgebildet haben sich lediglich Standards ohne verbindlichen Charakter wie insbesondere diejenigen des IDW. Diese richten sich an Unternehmen ab einer gewissen Größenklasse und können schon deshalb nicht als genereller Maßstab verlangt werden, auf der anderen Seite allerdings als Orientierungshilfe dienen. Für den nun in § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO geforderten Finanzplan kann in diesem Sinne auf die Ausführungen des IDW-Standards S 9 n. F.127) verwiesen werden. Die geforderte Liquiditätsrechnung muss jedenfalls auch für kleine und mittlere Unternehmen mit angemessenem Aufwand machbar sein. Je überschaubarer die Geschäftsvorfälle, desto einfacher wird sich auch die Darstellung in einer Liquiditätsbetrachtung gestalten dürfen. Die erforderliche Detailtiefe ist mit Augenmaß jeweils am Einzelfall festzumachen. 128 Der Finanzplan schließt nahtlos an Liquiditätspläne an, die i. R. der Pflicht zur Krisenfrüherkennung und der Prüfung von Insolvenzantragspflichten gefordert werden (§ 1 StaRUG, § 18 InsO). Basis für die Erstellung der Kapitalflussrechnung sind die aktuellen Daten der Finanzbuchhaltung, aus denen die handelsrechtlichen Monatsabschlüsse abgeleitet werden (siehe Zabel, HRI II, § 23 Rz. 141).128) 129 Die Planungsrechnung muss mindestens auf Monatsbasis erstellt werden (siehe Zabel, HRI II, § 23 Rz. 148).129) Bei einer vertieften Krise und auch wegen der Auswirkungen der Verfahrenseinleitung und der Dynamik der weiteren Entwicklung können ggf. auch kürzere Zeitintervalle, also eine Planung auf Wochenbasis, für die Zeit unmittelbar nach Antragstellung für eine belastbare Information und Darlegung der Durchfinanzierung zweckmäßig sein.130) 130 Der Finanzplan ist laufend mit den Ist-Daten der Finanzbuchhaltung abzugleichen (siehe Zabel, HRI II, § 23 Rz. 148). Ergeben sich bei dem Vergleich wesentliche Abweichungen, ___________ 124) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204; Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 755. 125) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204; Kreutz/Ellers in: BeckOK-InsR, § 270a InsO Rz. 12. 126) Gutmann, NZI 2022, 457, 459. 127) IDW, Bescheinigung nach § 270d InsO und Beurteilung der Anforderungen nach § 270a InsO (IDW S 9), Stand: 18.8.2022, Rz. 28 ff. des IDW ES9, IDW Life 11/2022, S. 1054 ff. 128) Kreutz/Ellers in: BeckOK-InsR, § 270a InsO Rz. 12. 129) Gutmann, NZI 2022, 457, 460. 130) Kreutz/Ellers in: BeckOK-InsR, § 270a InsO Rz. 12a.

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Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalt

§3

sind diese unverzüglich dem Gericht und dem vorläufigen Sachwalter mitzuteilen (§ 270c Abs. 2). Gegebenenfalls müssen die Prämissen des Liquiditätsplans aufgrund der Abweichungen angepasst werden (siehe Zabel, HRI II, § 23 Rz. 148). Der Sechs-Monats-Zeitraum dürfte an die Dauer eines Eröffnungsverfahrens unter Nutzung 131 des Insolvenzgeldzeitraums zzgl. des Zeitfensters für die späteste Terminierung des Berichtstermins im eröffneten Verfahren (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 InsO) angelehnt sein. Ist nach dem Konzept eine kurzfristige Lösung im Verfahren angestrebt und nach dem Ver- 132 handlungsstand aussichtsreich, insbesondere eine Planlösung auf Basis eines Pre-Packaged Plan oder eine übertragende Sanierung unmittelbar nach Eröffnung und danach die Eigenverwaltung auf Antrag des Schuldners aufzuheben, sollte der Planungszeitraum jedenfalls mit Aufhebung der Eigenverwaltung enden. Dies wäre mit dem Gericht zu besprechen, um keine Zweifel an der Vollständigkeit der Eigenverwaltungsplanung aufkommen zu lassen (§ 270b Abs. 1 Nr. 1 InsO). 3.1.3 Fortführung, Kosten des Verfahrens und Finanzierungsquellen Die Fortführung des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs sowie die Deckung der Kosten des 133 Sanierungsverfahrens müssen im Planungszeitraum sichergestellt sein. Die Kostendeckung ist ganz klar auf die zukünftigen Kosten der Fortführung des Geschäftsbetriebs bezogen und nicht auf bereits entstandene Verbindlichkeiten.131) Es ist die Geschäftstätigkeit im Planungszeitraum zugrunde zu legen, wie sie aus dem 134 Konzept für die Eigenverwaltung und Sanierung für diese sechs Monate abzuleiten ist. So können sich auf dem Weg zum Bild des sanierten Unternehmens schon Zwischenschritte auch in einem frühen Zeitraum ergeben und z. B. Mieten für defizitäre und zu schließende Filialen nicht mehr zu zahlen sein. Zudem sind die Sondereffekte aufgrund der Überleitung in das gerichtliche Verfahren zu 135 berücksichtigen.132) Änderungen auf der Kostenseite ergeben sich mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund des für alle Insolvenzgläubiger angeordneten „Automatic Stay“. Sie sind mit ihren Insolvenzforderungen auf die Verteilung im Verfahren verwiesen. Aber auch für die Dauer des Eröffnungsverfahrens ist im Einzelnen zu prüfen, ob bzw. 136 welche Verbindlichkeiten nicht mehr zu bedienen sind. Hier spielt insbesondere der Vorrang der Massesicherungspflicht vor steuerrechtlichen Zahlungspflichten eine Rolle (§ 15b Abs. 8 InsO) eine Rolle. Weiter kann eine zeitweise Aussetzung von Mietzahlungen möglich sein, ohne eine Kündigung fortführungsnotwendiger Miet- oder Leasingverhältnisse zu riskieren (§ 112 InsO). Auf der Ausgabenseite sind insbesondere die Kosten des (vorläufigen) Eigenverwaltungs- 137 verfahrens von Bedeutung, zu denen vor allem auch die Beraterkosten zählen.133) Der Begriff der „Kosten des Verfahrens“ in § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO ist nach der Gesetzesbegründung ganz klar nicht identisch mit den Verfahrenskosten im engeren Sinne des § 54 InsO. Abgebildet werden im Finanzplan die im Sechs-Monats-Zeitraum fällig werdenden Beraterkosten.134) Ob diese auch schon im Eröffnungsverfahren aufgrund einer gerichtlichen Ermächtigung als Masseverbindlichkeiten zu qualifizieren sind (§ 270c Abs. 4 InsO) oder über eine bargeschäftliche Abwicklung (§ 142 InsO) insolvenzfest gezahlt werden sollen, ist unerheblich. Mit welchen Beraterkosten im Verfahren insgesamt gerechnet werden ___________ 131) 132) 133) 134)

Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 755. Kreutz/Ellers in: BeckOK-InsR, § 270a InsO Rz. 12c. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

muss, ist dann Gegenstand der Darstellung der voraussichtlichen Mehrkosten des Eigenverwaltungsverfahrens im Vergleich zu einem Regelinsolvenzverfahren (§ 270a Abs. 1 Nr. 5 InsO).135) 138 Gerichtskosten sowie die Vergütung des (vorläufigen) Sachwalters und der Mitglieder des (vorläufigen) Gläubigerausschusses wären nur zu berücksichtigen, wenn sie in dem maßgeblichen Zeitraum die Liquidität belasten. Ansonsten spielen auch diese alleine bei der Gegenüberstellung der Kosten eines Regelinsolvenzverfahrens und des Eigenverwaltungsverfahrens eine Rolle.136) 139 Aus der Geschäftstätigkeit können geringere Einnahmen zu erwarten sein aufgrund des Verlusts von Kunden (siehe Zabel, HRI II, § 23 Rz. 147). Regelmäßig muss bei Lieferanten mit einer Umstellung auf Vorkasse oder auf kürzere Zahlungsziele gerechnet werden und dies entsprechend in der Planung umgesetzt werden.137) 140 Bei den verfügbaren Mitteln für die nächsten sechs Monate dürfen auch solche Mittel eingeplant werden, deren Zugang noch nicht sicher feststeht, aber mit „überwiegender Wahrscheinlichkeit“ zu erwarten ist.138) Für eine überwiegende Wahrscheinlichkeit genügt wie auch i. R. der Überschuldungsprüfung und Fortführungsprognose eine Wahrscheinlichkeit von über 50 %.139) Eine höhere Wahrscheinlichkeit kann hier schon deshalb nicht verlangt werden, weil die gesamte Planung des Verfahrensablaufs auf einem „wahrscheinlichen Szenario“ beruht.140) 141 Einen wichtigen Beitrag zur Fortführung und zum Erhalt der Sanierungschancen liefert die Insolvenzgeldvorfinanzierung. Weiter können unechte und echte Massekredite eine Rolle spielen, deren Abschluss noch unter dem Vorbehalt der Begründung von Masseverbindlichkeiten durch den Schuldner steht (§ 270c Abs. 4 InsO).141) Für das neue Recht ist in § 270c Abs. 4 InsO zum einen ausdrücklich klargestellt, dass auch der Schuldner im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren ermächtigt werden kann, Masseverbindlichkeiten zu begründen. Diese müssen grundsätzlich schon im Finanzplan berücksichtigt sein. Soll sich die Ermächtigung auf Verbindlichkeiten erstrecken, die im Finanzplan nicht berücksichtigt sind, bedarf dies einer besonderen Begründung (§ 270c Abs. 4 Satz 2 InsO). Anfechtungs- und Haftungsansprüche werden in der Kürze der Zeit regelmäßig nicht zu realisieren sein und können dann auch nicht berücksichtigt werden. 142 Die Quellen der liquiden Mittel und insbesondere Finanzierungsquellen müssen so fundiert dargestellt werden, dass dem Gericht eine Plausibilitätsprüfung möglich ist.142) An dem Begriff „fundiert“ dürfen keine überhöhten Anforderungen festgemacht werden. Wichtig ist es darzulegen, wer oder welche Maßnahmen die nach der Planung für die Fortführung und Kostendeckung notwendige Liquidität einspielen soll. 143 Außerdem soll ausgeschlossen werden, dass die Fortführung durch eine nicht nachhaltige Veräußerung von Anlagevermögen finanziert wird.143) So werden Factoring oder Sale-and___________ 135) 136) 137) 138) 139) 140) 141) 142) 143)

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Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205. Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 756. Harig/Höfer/Reus, NZI 2021, 993, 994. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204; Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 755; Harig/Höfer/Reus, NZI 2021, 993, 994. Zur Fortführungsprognose z. B. Wolfer in: BeckOK-InsR, § 19 InsO Rz. 15. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 72. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204; Kreutz/Ellers in: BeckOK-InsR, § 270a InsO Rz. 12b. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204; Kreutz/Ellers in: BeckOK-InsR, § 270a InsO Rz 12b.

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Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalt

§3

Lease-Back-Gestaltungen häufig in der Krise noch aufgesetzt, um kurzfristig etwas Luft zu bekommen. Mit dem Verweis auf ein Geheimhaltungsinteresse kann die Vorlage zum Zwecke der In- 144 formation des Gerichts und Transparenz nicht abgelehnt werden. Es könnte auf Anlagen verwiesen werden, die dann vom Gericht in einen Sonderband zu nehmen sind und von einer Akteneinsicht ausgenommen wären.144) 3.2

Fehlende Durchfinanzierung

Sind Fortführung und Verfahrenskosten nach dem vorgelegten Finanzierungskonzept schon 145 nicht durchfinanziert im Sechs-Monats-Zeitraum, geht es nicht um den über die neuen Zugangsvoraussetzungen in den §§ 270a, 270b InsO beschriebenen optimalen Eigenverwaltungssachverhalt. Der Schuldner hat dann keinen Anspruch darauf, dass die beantragte vorläufige Eigenverwaltung ohne weiteres aufgrund der vorgelegten Planung angeordnet wird. Der Sachverhalt spielt dann im Graubereich des § 270b Abs. 2 InsO. Allerdings wird es beim 146 Fehlen ausreichender Liquidität für das geplante Verfahren schon in den ersten sechs Monaten kaum möglich sein, eine Eignung des Sachverhalts für eine (vorläufige) Eigenverwaltung aufgrund sonstiger Umstände festzustellen. Fehlt es an Liquidität, wird wohl auch kein einstimmiges Votum eines vorläufigen Gläubiger- 147 ausschusses zu erzielen sein, das das Verfahren über diese Hürde trägt (§ 270b Abs. 3 InsO). Sind einzelne Gläubiger bereit, die Eigenverwaltung zu unterstützen, wird sich das bereits im Finanzplan auswirken, insbesondere ein Massekredit angesetzt werden können, mit dessen Hilfe dann die Durchfinanzierung steht. 4.

Konzept für die Durchführung des Verfahrens (§ 270a Abs. 1 Nr. 2 InsO)

4.1

Ziel der Eigenverwaltung

Zur Eigenverwaltungsplanung gehört weiter ein Konzept für die Durchführung des Insol- 148 venzverfahrens. Ausgehend von der Darstellung der Art, des Ausmaßes und der Ursachen der Krise ist das Ziel der Eigenverwaltung zu beschreiben und weiter mit welchen Maßnahmen dieses erreicht werden soll, welche Maßnahmen daher in Aussicht genommen werden.145) Dieses Konzept kann der Schuldner, wie sämtliche Elemente der Eigenverwaltungsplanung, selbst erarbeiten oder, was der Regelfall sein wird, durch einen externen Berater ausarbeiten lassen.146) Die Eigenverwaltung steht im Zusammenhang mit dem Verfahrensziel der Sanierung. Re- 149 gelmäßig wird somit dem Gericht das Zukunftsbild des sanierten Unternehmens aufzuzeigen sein. Die Möglichkeit und Chance einer Rechtsträgersanierung besteht über eine Entschuldung im Planverfahren. Dennoch ist die Eigenverwaltung als Verfahrensoption durch den Gesetzgeber nicht auf das Ziel einer Restrukturierung des Rechtsträgers beschränkt worden.147) Nach wie vor sind Eigenverwaltung und Insolvenzplan nur im Schutzschirmverfahren zwingend verbunden (§ 270d Abs. 1 Satz 1 InsO). Und selbst in einem Planverfahren kann eine übertragende Sanierung eine Rolle spielen. ___________ 144) Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 755; Bernsau/Weniger, BB 2020, 2571, 2573. 145) Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 756. 146) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204; Kreutz/Ellers in: BeckOK-InsR, § 270a InsO Rz. 13; Frind, ZIP 2021, 171, 172. 147) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204.

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§3

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

150 Aber auch wenn von vorneherein kein Insolvenzplan, sondern eine „einfache“ übertragende Sanierung und damit im Grunde die Verwertung des Unternehmens angestrebt wird, steht das einem Eigenverwaltungsverfahren nicht zwangsläufig entgegen.148) Die Zulassung der (vorläufigen) Eigenverwaltung hat Signalwirkung bei den Geschäftspartnern und im Markt. Sie kann zudem Zeit- und Reibungsverluste durch den Wechsel des Ansprechpartners verhindern, so dass sie dem Erhalt notwendiger Geschäftsbeziehungen wie auch der Preisfindung beim Verkauf dienlich sein kann. 151 Trotz der grundsätzlichen Anbindung der Eigenverwaltung zumindest an das Ziel der Fortführung der Geschäftstätigkeit hat sich der Gesetzgeber weiter auch nicht dazu durchgerungen, die Liquidation als Verfahrensziel generell auszuschließen. Hier muss die Betonung allerdings eindeutig auf der Qualifikation als Ausnahmefall liegen, wenn in der Gesetzesbegründung ausgeführt wird, dass das Konzept auch eine übertragende Sanierung oder „in Ausnahmefällen auch eine Liquidation des Schuldners“ vorsehen kann.149) Gegebenenfalls kann die Liquidation einzelner Gesellschaften i. R. einer Konzernsanierung eine Rolle spielen und dabei eine besondere Abstimmung notwendig sein, die dem Eigenverwalter nicht aus Rechtsgründen aus der Hand genommen sein soll. Es bedürfte jedenfalls einer Darlegung, was gegen das Regelverfahren und für die Eigenverwaltung zum Zwecke einer Liquidation spricht.150) 4.2

Sanierungskonzept, Inhalt und Darstellungstiefe

152 Grundlage des an das Ziel der Eigenverwaltung anknüpfenden Sanierungskonzepts ist eine Bestandsaufnahme. Diese muss Art, Ausmaß und Ursachen der Krise umfassen. Die tatsächlichen Gegebenheiten beim Schuldnerunternehmen sind maßgeblich und im Konzept darzustellen.151) Wie zum Aufhebungsgrund für eine vorläufige Eigenverwaltung formuliert, darf die Eigenverwaltungsplanung und damit auch das Konzept nicht in wesentlichen Punkten auf unzutreffende Tatsachen gestützt sein (§ 270e Abs. 1 Nr. 1 lit. a InsO). Zur Orientierung kann auch an dieser Stelle auf den IDW-Standard S 9 n. F. verwiesen werden152) sowie aufgrund der weitgehenden Deckungsgleichheit der Anforderungen des StaRUG für den Antrag auf eine Stabilisierungsanordnung auch auf den IDW-Standard S 15.153) 153 Der BGH hat sich in Fällen der Vorsatzanfechtung (§ 133 InsO) sowie im Zusammenhang mit dem Sanierungsprivileg des § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO mit Anforderungen an Sanierungskonzepte zu befassen. Die dort in anderem Zusammenhang und im Falle gescheiterter Sanierungen gemachte Ausführungen und rechtlichen Vorgaben des BGH liegen dem IDWStandard für Sanierungskonzepte, IDW S 6, zugrunde, der diese weiter betriebswirtschaftlich unterfüttert und daher einen umfassenden Überblick und Orientierung bietet.154) 154 Wesentlich für jede nachhaltige Sanierung ist die „ehrliche“ Analyse der Krisenursachen und der Chancen der weiteren Geschäftstätigkeit im Markt. Möglicherweise hat sich ein früheres Erfolgsmodell durch technische Entwicklungen komplett überholt. Ein Sanieren um des ___________ 148) 149) 150) 151)

Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204. Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 756. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204; Kreutz/Ellers in: BeckOK-InsR, § 270a InsO Rz. 13. 152) IDW, Bescheinigung nach § 270d InsO und Beurteilung der Anforderungen nach § 270a InsO (IDW S 9), Stand; 18.8.2022, Rz. 28 ff. des IDW ES 9, IDW Life 11/2022, S. 1054 ff. 153) IDW, Anforderungen an die Bescheinigung nach § 74 Abs. 2 StaRUG und Beurteilung der Voraussetzungen der Stabilisierungsanordnung (§ 51 StaRUG) (IDW S 15), Stand: 18.8.2022, Rz. 27 ff. des IDW ES 15, IDW Life 11/2022, S. 1062 ff. 154) Steffan, ZIP 2018, 1767.

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Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalt

§3

Sanierens willen ist nicht Zweck des Eigenverwaltungsverfahrens. Das Zukunftsbild des sanierten Unternehmens muss eine wirtschaftliche Perspektive haben, sollen nun Sanierungsbeiträge der Gläubiger eingeworben bzw. mit gerichtlicher Unterstützung in einem Planverfahren diesen abverlangt werden. Maßgeblich für die Beurteilung des Sanierungskonzepts und der vorgesehenen Maßnahmen 155 ist insbesondere, ob die Krise lediglich aus Problemen auf der Finanzierungsseite resultiert oder ob der Betrieb in seiner derzeitigen Ausrichtung unwirtschaftlich, insbesondere nicht kostendeckend oder sonst mit Verlusten arbeitet und welche Umstände hierfür verantwortlich sind.155) Ist als Maßnahme bspw. nur eine Entschuldung über Forderungsverzichte der Gläubiger vorgesehen, kann dies nur ausreichend sein, wenn die Krise alleine auf Finanzierungsproblemen beruht, etwa dem Ausfall von Forderungen.156) Arbeitet das Unternehmen dagegen selbst mit Verlust, kann eine bloße Reduzierung der gegenwärtigen Schuldenlast ein Sanierungskonzept nicht tragen.157) Verlangt die Entschuldung komplexe rechtliche Gestaltungen, ist nicht zu verlangen, dass 156 der Weg rechtlich risikolos erscheint.158) Gerade bei noch nicht geklärten rechtlichen Fragestellungen muss der Berater eine im Allgemeinen und im speziellen Fall vertretbare Position einnehmen und verfolgen dürfen. Die Unwägbarkeiten dürfen allerdings einer Durchführbarkeit des Restrukturierungskonzepts nicht schon unter zeitlichen Gesichtspunkten entgegenstehen. Ist der nun eingeschlagene Sanierungsweg das Eigenverwaltungsverfahren, wird regelmäßig 157 eine Sanierung auch im leistungswirtschaftlichen, operativen Bereich anstehen. Zur Erreichung des Ziels der Eigenverwaltung sind dann geeignete Umstrukturierungsmaßnahmen notwendigerweise in Aussicht zu nehmen. Darzustellen sind die geplanten operativen Maßnahmen wie auch die rechtlichen Instru- 158 mente im Verfahren, mittels derer die Maßnahmen umgesetzt werden sollen.159) Vorgaben zur Darstellungstiefe und zum Darstellungsgrad macht der Gesetzgeber nicht. 159 Ein IDW S 6-Gutachten wird schon nicht für das Schutzschirmverfahren verlangt und erst recht nicht für den Einstieg in eine vorläufige Eigenverwaltung.160) Darstellungstiefe und Detailierungsgrad der Darstellung müssen und dürfen sich an der Größe und den konkreten Verhältnissen des Unternehmens orientieren.161) Auf der Grundlage der Bestandsaufnahme muss das Ziel mit Hilfe der dargestellten Maßnahmen erreichbar sein. Diese Plausibilisierung muss dem Gericht anhand der Darstellung möglich sein.162) Ganz klar unterscheidet auch das StaRUG bei der Einleitung eines präventiven Restruktu- 160 rierungsverfahrens zur Abwendung einer drohenden Insolvenz zwischen der Möglichkeit der Vorlage des Entwurfs eines Restrukturierungsplans und der Vorlage eines Konzepts für die Restrukturierung (§ 31 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG). Dies macht auch für die Eigenverwaltungsplanung deutlich, dass hier keine zu hohen Anforderungen an die Ausarbeitung gestellt werden dürfen. Das Konzept muss sich insbesondere noch nicht in einen Insolvenz___________ BGH v. 12.5.2016 – IX ZR 65/14, Rz. 35, NZI 2016, 636; Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 755. BGH v. 12.5.2016 – IX ZR 65/14, NZI 2016, 636. BGH v. 12.5.2016 – IX ZR 65/14, Rz. 29, NZI 2016, 636. BGH v. 3.3.2022 – IX ZR 78/20, Rz. 86, ZRI 2022, 267 = NZI 2022, 385. Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 756. Bitzer in: Kindler/Nachmann/Bitzer, Hdb. InsR in Europa, Rz. 195 f. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204; Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 270a Rz. 11; Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 756; Kreutz/Ellers in: BeckOK-InsR, § 270a InsO Rz. 13. 162) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204; Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 270a Rz. 11; Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 756; Kreutz/Ellers in: BeckOK-InsR, § 270a InsO Rz. 13. 155) 156) 157) 158) 159) 160) 161)

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§3

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

plan übersetzen lassen. Ein Pre-Packaged Plan für eine zügige Bewältigung des Verfahrens kommt bei Großunternehmen in Betracht und kann der wirtschaftlichen Bedeutung einer schnellen Lösung entsprechen. Bei kleineren und mittleren Unternehmen wird sich eine entsprechende Kostenlast im Vorfeld nicht darstellen lassen und das Konzept regelmäßig erst auf den Weg gebracht sein. 161 Es darf sich daher zunächst noch um ein Grobkonzept handeln, soweit dieses nicht im Abstrakten verhaftet bleibt, sondern konkret auf den Schuldner und dessen tatsächliche Gegebenheiten und Chancen heruntergebrochen ist. In diesem Sinne darf es dann auch erst im Zug der geplanten Anstrengungen und Verhandlungen zu einem Vollkonzept werden. Aus dem Grobkonzept muss allerdings hervorgehen, wie die angestrebte Sanierung konzeptionell und finanziell erreicht werden soll und kann unter Darstellung der hierfür wesentlichen Maßnahmen. Auch ein grober Zeitplan ist darzustellen.163) Für eine Plausibilitätsprüfung kann es auch notwendig werden, wesentliche Hindernisse einer außergerichtlichen Sanierung aufzuzeigen, die nun durch die im Insolvenzverfahren eröffneten Sanierungstools oder auch über einen Insolvenzplan voraussichtlich überwunden werden können. 5.

Darstellung des Stands der Verhandlungen (§ 270a Abs. 1 Nr. 3 InsO)

162 Wesentlicher Erfolgsfaktor für das Gelingen einer Eigenverwaltung ist die Unterstützung durch für die Betriebsfortführung wesentliche Gläubiger.164) Der Nachweis der Stakeholderunterstützung wird aus diesem Grund als positives Kriterium für die vorläufige Eigenverwaltung herangezogen (§ 270a Abs. 1 Nr. 3 InsO).165) Eine entsprechende Wertung ergibt sich auch aus der schon im bisherigen Recht normierten und nun zur Stärkung der Gläubigerautonomie weiter ausgebauten Bindung des Gerichts bei der Entscheidung über die vorläufigen Eigenverwaltung an ein einstimmiges Votum des vorläufigen Gläubigerausschusses (§ 270b Abs. 3 Satz 3 InsO n. F., § 270 Abs. 3 InsO a. F.); ausführlich hierzu siehe Ampferl, HRI II, § 6 Rz. 236 ff.166) 163 Zur Eigenverwaltungsplanung gehört damit nach neuem Recht eine Darstellung des Stands der Verhandlungen mit den Beteiligten.167) Wurden noch keine Verhandlungen geführt, ist dies in der Eigenverwaltungsplanung zu vermerken.168) Mit dieser Gesetzesbegründung ist klargestellt, dass eine Pflicht zur Aufnahme von Verhandlungen im Vorfeld der Antragstellung nicht inzident eingeführt werden sollte. Der Antragsvorbereitung vorausgehende Verhandlungen mit den an einer Sanierung und Restrukturierung maßgeblich Beteiligten sind allerdings typisch.169) Eine Planung „ins Blaue hinein“ macht wenig Sinn. 164 Bei einer angestrebten Sanierung in der Insolvenz steht schon aufgrund des notwendigen Krisenstadiums typischerweise kein Überfall eines einzelnen oder einzelner Gläubiger im Raum. Missbrauchsfälle wurden eher diskutiert im Verhältnis von Gesellschaftern untereinander, wenn festgefahrene Streitigkeiten zwischen diesen „im Graubereich der existenzbedrohenden Krise“ mittels Insolvenzplan mit Mehrheitsentscheid einer Lösung zugeführt wurden (siehe hierzu ausführlich Rz. 51 ff.).170) Ausführungen zu den Verhandlungen mit ___________ Ballmann/Illbruck, DB 2021, 1450, 1452. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 76. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 76. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 76. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205; Kreutz/Ellers in: BeckOK-InsR, § 270a InsO Rz. 17. 169) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204. 170) Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 182. 163) 164) 165) 166) 167) 168)

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Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalt

§3

den Gesellschaftern und zu deren Positionierung zu einer Restrukturierung in der Insolvenz sollte das Gericht also in jedem Fall einfordern, um insolvenzzweckwidrige bzw. rechtsmissbräuchliche Anträge erkennen zu können. Soweit die Restrukturierung in der Insolvenz nur Plan B oder Plan C war für den Fall des 165 Scheiterns einer IDW S 6-Sanierung oder einer teilkollektiven StaRUG-Restrukturierung, sind notwendigerweise bereits Verhandlungen geführt worden. Wie intensiv und wie lange hier schon bzw. noch Verhandlungen geführt wurden, hängt vom Krisenstadium und den Erfolgsaussichten von Sanierungsbeiträgen nach den Gesprächen mit den maßgeblichen Beteiligten ab. Gegebenenfalls bestand hier auch mit Blick auf eine Antragspflicht und eine eher ablehnende Haltung wesentlicher Gläubiger nicht mehr allzu viel Zeit. Sind nach Konstellation und Restrukturierungskonzept Gesellschafterbeiträge oder Zuge- 166 ständnisse in irgendeiner Form notwendig, werden auch diese sich im Vorfeld positioniert haben zur Restrukturierung in der Insolvenz. Auch Dritte können maßgebliche Player sein, sei es, dass bereits Investoren ihren Einstieg und eine Finanzierung zugesagt haben, oder notwendige Lizenzen und Genehmigungen fortführungsnotwendig sind. Der mit Gläubigern, Gesellschaftern und Dritten zu den in Aussicht genommenen Maß- 167 nahmen erzielte Verhandlungsstand ist darzustellen.171) Es wird somit mehr verlangt als die bloße Benennung der Beteiligten, mit denen bereits Gespräche stattgefunden haben. Vermittelt werden muss dem Gericht ein erster Eindruck vom aktuellen Verhandlungs- 168 stand.172) Das Gericht soll eine erste Einschätzung erhalten, ob und welchen Rückhalt das Restrukturierungsvorhaben hat und mit welchen Widerständen ggf. zu rechnen ist, die durch gerichtliche Anordnungen im Eröffnungsverfahren zu bewältigen sein werden oder auch im Rahmen einer Insolvenzplanlösung.173) Die Darstellung muss keine Details enthalten, insbesondere keine Bezifferung von in 169 Aussicht genommenen oder bereits zugesagten Sanierungsbeiträgen.174) Die Angabe derartiger Details könnte ggf. die weiteren Verhandlungen erschweren und wird aus diesem Grund nicht verlangt.175) Diese klare Aussage in der Gesetzesbegründung ist sehr zu begrüßen. Die Gerichte haben damit eine klare Vorgabe. Gleichzeitig wird damit auch an dieser Stelle einer unterschiedlichen Gerichtspraxis entgegengewirkt. Auch ein Geheimhaltungsinteresse sollte nicht einer grundsätzlichen Darstellung des Verhandlungsstands entgegenstehen. Ggf. käme auch an dieser Stelle ein Verweis auf Anlagen in Betracht, die dann zu einem Sonderband genommen werden und so von einer Akteneinsicht ausgenommen sind.176) 6.

Erfüllung insolvenzrechtlicher Pflichten (§ 270a Abs. 1 Nr. 4 InsO)

6.1

Notwendige Expertise

Dass eine Eigenverwaltung nicht ohne qualifizierte insolvenzrechtliche Restrukturie- 170 rungsberatung eingeleitet und durchgeführt werden kann, war schon bisher klar und ist nun mit § 270a Abs. 1 Nr. 4 InsO auch offen ausgesprochen. Der Schuldner muss Vorkehrungen getroffen haben, damit er seine insolvenzrechtlichen Pflichten als vorläufiger Eigen___________ 171) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204. 172) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204, 205. 173) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 135 – zur Anzeige eines Restrukturierungsvorhabens nach StaRUG. 174) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205; Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 756; Kreutz/Ellers in: BeckOK-InsR, § 270a InsO Rz. 14; Ballmann/Illbruck, DB 2021, 1450, 1452. 175) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205. 176) Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 756.

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§3

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

verwalter und als Eigenverwalter im eröffneten Verfahren erfüllen kann. Wie sich in der Vergangenheit deutlich gezeigt hat, setzt dies die Einholung insolvenzrechtlicher Expertise notwendigerweise voraus.177) 171 Bleibt der Schuldner in der (vorläufigen) Eigenverwaltung am Steuer, hat er bzw. haben die Mitglieder des Vertretungsorgans sämtliche insolvenzrechtlichen Pflichten zu wahren und in der InsO dem Verwalter besonders gewährte Rechte auszuüben (zur Abgrenzung der Zuständigkeiten und Mitwirkung des [vorläufigen] Sachwalters i. E. siehe Hofmann, HRI II, § 4 Rz. 32 ff.; Minuth, HRI II, § 9 sowie Bierbach, HRI II, § 8). Es bedarf auf Seiten des Schuldners damit zwangsläufig des Know-hows eines Insolvenzpraktikers und der personellen, sachlichen und technischen Infrastruktur einer Verwalterkanzlei, die nach ihrer Größe für ein Insolvenzverfahren entsprechenden Zuschnitts geeignet wäre. 172 Für Eigenverwaltung und Insolvenzplanverfahren bedarf es weiter der Expertise gerade im Bereich der Restrukturierung mit Hilfe der neu zur Verfügung gestellten bzw. fortentwickelten Restrukturierungstools. Hier ist die richtige Wahl zu treffen, der bestmögliche Einstieg zu finden und die Umsetzung zu gestalten unter wirtschaftlichem Druck und mittels rechtlich komplexer Vorgaben. Gerade auch im Interesse der Gläubiger sind Expertenwissen und Integrität ohne Zweifel unverzichtbar, damit die Chancen, die dem Schuldner durch eine Eigenverwaltung, verbunden mit einer individuell gestalteten Planlösung, eingeräumt werden, auch in verantwortungsvoller Weise genutzt werden. 6.2

Berater, Generalbevollmächtigte, Organmitglied

173 Der Schuldner hat deshalb in der Eigenverwaltungsplanung darzulegen, wie er für das vorläufige und das eröffnete Eigenverwaltungsverfahren die Erfüllung seiner insolvenzrechtlichen Pflichten sichergestellt hat.178) Er kann die erforderliche Expertise entweder in sein Leitungsorgan holen und dieses um einen Insolvenz- und Restrukturierungsexperten als Chief Restructuring Officer (CRO) erweitern, um die Pflichten damit quasi im eigenen Hause erfüllen zu können.179) In der Praxis kommt gleichermaßen die Erfüllung der insolvenzrechtlichen Pflichten durch Generalbevollmächtigte und externe Berater in Betracht.180) 174 Welcher Weg hier eingeschlagen wird, ob der Experte in die Organstellung geht oder alleine aufgrund eines Beratungsvertrags tätig wird, bleibt der Gestaltung des Schuldners und der von ihm beauftragten Restrukturierungsexperten überlassen.181) Die Entscheidung kann abhängig sein von der Größe des Unternehmens, der Komplexität des Restrukturierungvorhabens sowie dem Umfang der Begleitung. Beide Wege genügen jedenfalls den Anforderungen des Gesetzes an eine Sicherstellung der Erfüllung der insolvenzrechtlichen Pflichten. 175 Gleichzeitig sollte dem Vorwurf, der Schuldner sei nicht eigenverwaltungstauglich, wenn er bei der Erfüllung der ihm obliegenden Pflichten umfassend auf die von ihm selbst ausgewählten Berater zurückgreift, und dem beklagten Bild einer faktischen Fremdverwaltung ohne gerichtlicher Kontrolle,182) nun ebenfalls der Boden entzogen sein. ___________ 177) BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, Rz. 81, NZI 2016, 963. 178) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205. 179) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205; Kreutz/Ellers in: BeckOK-InsR, § 270a InsO Rz. 18. 180) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205; BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, Rz. 81, NZI 2016, 963; Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 756; Kreutz/Ellers in: BeckOK-InsR, § 270a InsO Rz. 18. 181) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205; BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, Rz. 81, NZI 2016, 963. 182) Hammes, NZI 2017, 233, 240.

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Neußner

Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalt 7.

Darstellung etwaiger Mehr- oder Minderkosten (§ 270a Abs. 1 Nr. 5 InsO)

7.1

Mehrkosten einer Eigenverwaltung als Nachteil der Eigenverwaltung a. F.

§3

In unmittelbarem Zusammenhang mit der Notwendigkeit fachkundiger und spezialisierter 176 Beratung und Begleitung im Eigenverwaltungsverfahren steht das Thema der Mehrkosten gegenüber einem Regelverfahren mit Insolvenzverwalter. Klar ist, dass die Eigenverwaltung alleine deswegen, weil der Sachwalter nur einen Teil der 177 Verwaltervergütung erhält (§ 12 InsVV sowie jetzt § 12a InsVV für den vorläufigen Sachwalter), nicht günstiger wird. Zu Buche schlagen die Beraterkosten, die für die Begleitung des Schuldners anfallen.183) An den zu erwartenden oder schon aufgelaufenen Mehrkosten eines Eigenverwaltungsver- 178 fahrens gegenüber einer Fremdverwaltung durch einen Insolvenzverwalter haben die Gerichte zum bisherigen Recht einen Nachteil für die Gläubiger festgemacht, der zur Versagung oder Beendigung der (vorläufigen) Eigenverwaltung geführt hat. Musste von den Mehrkosten einer Eigenverwaltung auf eine Reduzierung der für die Gläu- 179 biger zur Verfügung stehenden Teilungsmasse geschlossen werden, wurde dies als Nachteil i. S. von § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO a. F. gewertet.184) Weitere zu erwartende Nachteile für die Gläubiger neben dieser negativen Auswirkung auf das Schuldnervermögen wurden nicht zur Voraussetzung gemacht.185) Gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen werden die Zusatzkosten meist nicht 180 aus den Erlösen erwirtschaftet werden können.186) Es wird Liquidität entzogen, was schon zu Problemen bei der Fortführung des Geschäftsbetriebs führen kann, jedenfalls aber den Spielraum für eine Quote im Cash-out Plan stark einschränkt. Das AG Freiburg hat erhebliche Nachteile einer Eigenverwaltung für die Gläubiger dann 181 prognostiziert, wenn die voraussichtlichen Kosten um mehr als 30 % über den Kosten eines Regelinsolvenzverwalters liegen würden.187) Nach dem mitgeteilten Sachverhalt ging es im entschiedenen Fall allerdings nicht um eine Restrukturierung, sondern um „Verkaufsbemühungen“, die zudem zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bereits kaum noch realistisch erschienen, so dass „letztlich eine Verwertung der Vermögensgegenstände“ anstand. In dieser Konstellation konnte ein Mehrwert durch eine Eigenverwaltung, und sei es nur aufgrund ihrer positiven Signalwirkung im Markt, nicht in Rede stehen. 7.2

Kostenvergleich Eigenverwaltung Fremdverwaltung

7.2.1 Schwierigkeiten und begrenzte Aussagekraft Die Evaluation des ESUG kam zum Ergebnis, dass die Eigenverwaltung tendenziell stets 182 teurer sei als ein Regeverfahren oder jedenfalls die Neigung dazu bestehe.188) Schon aus diesem Grund ging die Empfehlung dahin, den Zugang zur (vorläufigen) Eigenverwaltung nicht an die Kostenfrage zu knüpfen.189) Schließlich kann es nicht Ziel der Neuregelung sein, einen Filter zu setzen, der nicht praktikabel, da zu engmaschig ist. ___________ 183) Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, ESUG-Evaluierung, S. 56. 184) AG Köln v. 15.11.2017 – 74 IN 103/16, ZInsO 2018, 743, 744. 185) Laroche/Pruskowski/Schöttler/Siebert/Vallender, ZIP 2014, 2153, 2162; Madaus, NZI 2015, 606, 607 (Urteilsanm). 186) Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 62. 187) AG Freiburg v. 1.5.2015 – 58 IN 37/15, ZIP 2015, 2238 = NZI 2015, 604 m. Anm. Madaus, NZI 2015, 606. 188) Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 80. 189) Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 80; Thole, NZI Beilage z. Heft 5/2021, S. 90, 92.

Neußner

69

§3

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

183 Zusätzlich steht die Praktikabilität auch in Frage aufgrund der erheblichen Prognoseunsicherheiten i. R. der Vergleichsbetrachtung. Beide Parameter der Vergleichsbetrachtung können zu Beginn des Verfahrens nur grob geschätzt werden. Weder der Zeitaufwand für die Begleitung der Eigenverwaltung, noch die voraussichtliche Vergütung für den (vorläufigen) Verwalter lässt sich mit hinreichender Sicherheit im Voraus kalkulieren.190) Bei einer Abrechnung nach Aufwand liegt es in der Natur der Sache, dass die Kosten im Vorfeld nie exakt zu prognostizieren sind.191) 184 Schwer messbar kann weiter der gegenüberzustellende, ausgleichende Mehrwert der Eigenverwaltung sein. 185 Der Gesetzgeber hat die Kostenfrage dennoch nicht bei der Einleitung des Verfahrens außen vorgelassen und weicht somit von der Empfehlung der Evaluierung teilweise ab.192) Als Element der Eigenverwaltungsplanung ist dem Eigenverwaltungsantrag nunmehr eine begründete Darstellung etwaiger Mehr- oder Minderkosten, die i. R. der Eigenverwaltung im Vergleich zu einem Regelverfahren und im Verhältnis zur Insolvenzmasse voraussichtlich anfallen werden, beizufügen (§ 270a Abs. 1 Nr. 5 InsO). 186 An dieser Stelle geht es sicherlich auch um Transparenz in Bezug auf die Vergabe von Aufträgen aus Mitteln der Masse.193) 187 Dass alleine die Mehrkosten über die Einordnung des Verfahrens als eigenverwaltungstauglich entscheiden sollen, erscheint allerdings nicht plausibel. Letztlich ist für das Gläubigerinteresse das prognostizierte Verfahrensziel maßgeblich im Eigenverwaltungsverfahren im Vergleich zum Regelverfahren. So können Mehrkosten gerade im Rahmen einer Planlösung neutralisiert werden durch Beiträge zur Masse, die sonst nicht zur Verteilung zur Verfügung stünden. Mit Blick auf das Gläubigerinteresse erscheint somit der Ansatz des Planverfahrens bzw. des Obstruktionsverbots der zweckmäßigere, der das Verfahrensergebnis in den Fokus stellt (§ 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Entsprechend verlangt auch die Vergleichsrechnung als Element des darstellenden Teils des Insolvenzplans, dass die Auswirkungen des Plans auf die voraussichtliche Befriedigung der Gläubiger dargestellt werden, § 220 Abs. 2 Satz 2 InsO. 188 Wenn die Gläubiger durch die Eigenverwaltung voraussichtlich nicht schlechtergestellt werden als im Regelverfahren, sollte dies genügen, das Verfahren als schon prima facie eigenverwaltungstauglich und mit Anspruch auf Anordnung unter § 270b Abs. 1 InsO einzugruppieren. 7.2.2 Begründete Darstellung und Gegenüberstellung 189 Zur Eigenverwaltungsplanung gehört nun eine „begründete“ Darstellung der Kostensituation der beantragten Eigenverwaltung im Vergleich zum Regelverfahren sowie zur Insolvenzmasse. Anders als beim Finanzplan geht es also nicht zunächst um die Betrachtung eines ersten Zeitraums des Verfahrens, sondern um die Prognose der Kosten für das gesamte Verfahren in der einen oder anderen Variante sowie im Verhältnis zu der ebenfalls nur zu prognostizierenden Insolvenzmasse. 190 Die Darlegung von Minderkosten oder sonstigen Vorteilen in der Eigenverwaltungsplanung ist nicht zwingend vorgeschrieben.194) Von zwingendem Interesse sind lediglich die voraus___________ 190) 191) 192) 193) 194)

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Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 756. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 62. Thole, NZI Beilage z. Heft 5/2021, S. 90, 92. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 56. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205.

Neußner

Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalt

§3

sichtlichen Mehrkosten. Im eigenen Interesse wird der Schuldner allerdings im Falle erheblicher Mehrkosten sämtliche erwartete Vorteile gegenüberstellen, um das Gläubigerinteresse an der beantragten Verfahrensart darzulegen. Die Kalkulation der voraussichtlichen Kosten der (vorläufigen) Eigenverwaltung muss zum 191 einen zum dargestellten Konzept und den geplanten Umsetzungsmaßnahmen bzw. dem hierfür voraussichtlichen Beratungsaufwand passen und zum anderen zum erwarteten Umfang der weiter notwendigen Verhandlungen. Die Aufgabenbeschreibung und der Umfang der voraussichtlich anfallenden Stunden haben sich daran zu orientieren und sind in der Kalkulation anzugeben. Die prognostizierten Kosten der Eigenverwaltung sind den weiter zu prognostizierenden 192 Kosten eines Regelverfahrens gegenüberzustellen. Fallen auch im Regelverfahren mit Insolvenzverwalter Beraterkosten an, z. B. in einem angestrebten M&A-Verfahren, sind auch diese zusätzlich zu den Verfahrenskosten für Gericht, Verwalter und Gläubigerausschuss aufzunehmen.195) Für beide Verfahrensarten kann es sich zu diesem frühen Zeitpunkt dabei naturgemäß nur 193 um eine grobe Schätzung handeln.196) Weder ist der zeitliche Umfang für die Berater derart genau absehbar, noch stehen zu Beginn des Verfahrens die Parameter für die Berechnung einer Verwaltervergütung nach dem InsVV fest.197) 7.2.3 Beraterkosten Darzustellen sind sämtliche Beraterkosten, die ab Antragstellung bis zur Beendigung des 194 Beratungsauftrags anfallen werden. Der Gesetzgeber hält ausdrücklich in der Begründung der Neuregelung fest, dass sämtliche Beraterkosten dargelegt werden müssen, also auch diejenigen, die aufgrund einer späteren Fälligkeit nicht in dem sechsmonatigen Finanzplan abgebildet werden.198) Eine Regelung zur Abrechnungsbasis oder Höhe der Vergütung von Restrukturierungs- 195 beratern enthält das Gesetz nicht. Diese unterliegt der Vereinbarung der Parteien. Auch eine Festsetzung der Vergütung durch das Insolvenzgericht kommt nicht in Betracht. Vom Gericht festgesetzt wird in Eigenverwaltungsverfahren lediglich die Vergütung des Sachwalters sowie die Vergütung des vorläufigen Sachwalters, deren Bemessung nun im neuen § 12a InsVV geregelt ist. In der Vergangenheit wurde die Vergütung der Berater teilweise i. S. einer Höchstvergütung 196 an die Vergütung eines (vorläufigen) Insolvenzverwalters angebunden. Diese sog. Deckungsmethode kann Sinn machen, wenn es darum geht, eine wesentliche Überschreitung der Kosten eines Regelverfahrens zu verhindern.199) Davon abzugrenzen ist das „leistungsunabhängige Mindestpauschalhonorar“, das nicht 197 Ergebnis einer pauschalierten Vergütungsvereinbarung sein darf.200) Auch das StaRUG sieht für die Vergütung des Restrukturierungsberaters neben der Ab- 198 rechnung auf Stundenbasis eine Vergütung nach anderen Gesichtspunkten, insbesondere eine Bemessung auf Grundlage des Wertes der in den Restrukturierungsplan einbezogenen Forderungen gegen den Schuldner oder des Unternehmensvermögens, in Betracht. ___________ 195) 196) 197) 198) 199) 200)

Kreutz/Ellers in: BeckOK-InsR, § 270a InsO Rz. 19. Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 270a Rz. 17. Thole, NZI Beilage z. Heft 5/2021, S. 90, 92. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205. Brünkmans in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 270 Rz. 21. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 80.

Neußner

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§3

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

199 Für die Vergütung der Tätigkeit des Insolvenzverwalters ist eine solche Ausrichtung an der verwalteten Insolvenzmasse typisch bzw. Ausgangspunkt. Der Regelsatz wurde an dieser Stelle ebenfalls durch das SanInsFoG zum 1.1.2021 erhöht. Dem besonderen Umfang bzw. Anspruch der Tätigkeit wird über Zuschläge Rechnung getragen. 200 Typisch und Praxis im Wirtschaftsrecht ist schon mit Blick auf die Angemessenheit und Kontrolle durch den Auftraggeber die Abrechnung auf Stundenbasis. Dementsprechend hat der Gesetzgeber auch für den Restrukturierungsbeauftragten als Regelvergütung ein Honorar vorgesehen, das nach Stundensätzen bemessen ist und sich so nach dem Zeitaufwand des Restrukturierungsbeauftragten und der von ihm eingesetzten qualifizierten Mitarbeiter richtet.201) Er hat dabei die im Wirtschaftsrecht übliche Anknüpfung des angemessenen Stundensatzes an die Schwierigkeit und den Umfang der Tätigkeit sowie die Qualifikation des Handelnden aufgegriffen für die Vergütung des Restrukturierungsbeauftragten und seiner qualifizierten Mitarbeiter im präventiven Restrukturierungsverfahren. 201 Kriterien für die Angemessenheit sind die Unternehmensgröße, Art und Umfang der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Schuldners und die Qualifikation des Restrukturierungsbeauftragten und der qualifizierten Mitarbeiter. Eine höhere Vergütung ist insbesondere dann gerechtfertigt, wenn eine Vielzahl von Gläubigern oder auch die Gesellschafter in das Verfahren einbezogen werden sollen. Dasselbe gilt, wenn kein geeigneter Berater zu finden ist, der die Aufgabe zu einem niedrigeren Stundensatz übernimmt. 202 Die Kostenkalkulation hängt bei einer Berechnung auf Basis eines Stundensatzes maßgeblich vom erwarteten Stundenbudget ab.202) Entsprechend sieht das StaRUG vor, dass nicht nur der Stundensatz festgesetzt wird, sondern auch ein Stundenbudget bestimmt wird, das dem voraussichtlichen Aufwand des Restrukturierungsbeauftragten und seiner qualifizierten Mitarbeiter angemessen Rechnung trägt. Eher selten wird im Zeitpunkt der Bestellung hinreichend klar vorhersehbar sein, welchen zeitlichen Aufwand die Erfüllung der Aufgaben des Restrukturierungsbeauftragten verursachen werden. Aus diesem Grund kann der Restrukturierungsbeauftragte eine Budgetanpassung beantragen, wenn er den Erhöhungsbedarf hinreichend begründen kann. 203 Anders als der Restrukturierungsbeauftragte steckt der Berater auf der einen Seite bereits tief im Mandat, wenn er den Eigenverwaltungsantrag mit Eigenverwaltungsplanung vorlegt. Damit kann sein Bild von den künftigen Aufgaben klarer sein. Auf der anderen Seite ist sein Tätigkeitsgebiet ungleich umfangreicher und die Zahl der Beteiligten um ein Vielfaches größer. Stets tun sich neue tatsächliche und rechtliche Fragestellungen i. R. des Verfahrens auf. Unzählige Verhandlungen müssen geführt werden. Es kann also auch bei ihm nur um eine Schätzung gehen, die zwangsläufig einer Prognoseunsicherheit unterliegt. Entsprechend spricht der Gesetzgeber in § 270a Abs. 1 Nr. 5 InsO auch von den Mehrkosten, die „voraussichtlich“ anfallen. 204 Der vorläufige Sachwalter wird typischerweise beauftragt werden, die Vergütungshöhe und Kostenkalkulation als Element der Eigenverwaltungsplanung zu prüfen. Dabei wird es sowohl um die Angemessenheit des Stundensatzes wie auch um die Kalkulation des Stundenbudgets gehen. 205 Wesentliche Änderungen der Eigenverwaltungsplanung sind dem Gericht und dem Sachwalter unverzüglich mitzuteilen (§ 270c Abs. 2 InsO). Hierunter kann auch eine Budgetanpassung fallen, wenn sie in diesem Sinne wesentlich ist. Angelehnt an den Ausgangspunkt in § 270a Abs. 1 Nr. 5 InsO kommt es für die Wesentlichkeit auf das Verhältnis ___________ 201) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 176. 202) Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 756.

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Neußner

Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalt

§3

zur ursprünglichen Kalkulation an sowie auf die sich daraus ergebende Abweichung zur Vergütung eines Insolvenzverwalters sowie auf das Verhältnis zur Insolvenzmasse. 7.3

Graubereich

7.3.1 Wesentliche Mehrkosten Der Gesetzgeber des SanInsFoG hat den prima facie eigenverwaltungstauglichen Sachver- 206 halt mit Anspruch auf Anordnung der Eigenverwaltung vom Graubereich in § 270b Abs. 2 InsO danach abgegrenzt, ob die Kosten der Eigenverwaltung die Kosten eines Regelverfahrens im wesentlicher Weise übersteigen. Wie i. R. der Eigenverwaltungsplanung formuliert, geht es hier nicht um absolute Werte. 207 Bezugsgröße ist vielmehr die Insolvenzmasse, wie die Formulierung in § 270a Abs. 1 Nr. 5 InsO ausdrücklich vorgibt, so dass es um relative Werte geht.203) In kleinen und mittleren Verfahren wird die Kostenlast damit schneller durchschlagen und diese unwirtschaftlich machen können. Gesetz und Gesetzesbegründung schweigen allerdings dazu, welche Abweichung hier noch 208 als unkritisch zu betrachten ist. Vorgeschlagen wird hier von ersten Stimmen zum neuen Recht als Richtgröße ein Schwellenwert von 10 %.204) Dieser Schwellenwert erscheint an dieser Stelle allerdings viel zu niedrig angesetzt. Die 10%-Grenze wendet der BGH an bei der Abgrenzung von Zahlungsfähigkeit und Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO.205) Eine Liquiditätslücke von weniger als 10 % der fälligen Gesamtverbindlichkeiten bedeutet noch keine Zahlungsunfähigkeit. Auch wenn der Bezugsgrund und der Zweck der Festlegung dieser Größe ein anderer sind, sollte doch nicht unberücksichtigt bleiben, dass sowohl der Gesetzgeber der InsO als auch der BGH bis zur Schwelle von 10 % von einer „ganz geringen bzw. geringfügigen Liquiditätslücke“ spricht.206) Einen niedrigeren Schwellenwert als 10 % versteht er bereits als zu starke Annäherung an ein rigoroses „Null-Toleranz-Prinzip“. Der vom Gesetzgeber gewollte Spielraum könnte praktisch keine Wirkung mehr entfalten.207) Wenn nun § 270b Abs. 2 InsO ausdrücklich eine Überschreitung der voraussichtlichen 209 Kosten des Regelverfahrens „in wesentlicher Weise“ verlangt, sollte diese sich daher eher an der früheren Rechtsprechung und Literatur zum Nachteilsbegriff orientieren.208) Wie ausgeführt hatte das AG Freiburg bei einer Überschreitung von mehr als 30 % konkrete Anhaltspunkte für erhebliche Nachteile für die Gläubiger angenommen.209) Das AG Aachen hatte sich mit Mehrkosten von über 24 % zu befassen und Nachteile für die Gläubiger gesehen, vor allem auch unter dem Aspekt unzureichender Darlegungen zur Finanzierung der Beraterkosten.210) Wie schwer schon überhaupt die Kalkulation und Gegenüberstellung der voraussichtlichen Kosten einer Eigen- oder Fremdverwaltung sind, zeigt die Entscheidung des AG Köln, das sich mit einer Kostenüberschreitung von „15 bis 52 %“ zu befassen hatte.211) ___________ 203) 204) 205) 206) 207) 208) 209) 210) 211)

Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 760; Ellers in: BeckOK-InsR, § 270b InsO Rz. 22. Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 760; Ellers in: BeckOK-InsR, § 270b InsO Rz. 22. BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, NZI 2005, 547. BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, NZI 2005, 547, 550; Begr. RegE z. § 20 und § 21 InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 114. BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, NZI 2005, 547, 550. Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 270b Rz. 21. AG Freiburg v. 1.5.2015 – 58 IN 37/15, NZI 2015, 604. AG Aachen v. 1.12.2017 – 92 IN 187/17, Rz. 8, BeckRS 2017, 140125. AG Köln v. 15.11.2017 – 74 IN 103/16, NZI 2018, 210, 211.

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§3

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

210 Letztlich wird es schon bei der Toleranz und nicht erst bei den sonstigen, in die Bewertung des Gläubigerinteresses einzubeziehenden Umständen auf den jeweiligen Einzelfall ankommen. Ein strengerer „Richtwert“ als nach bisheriger Praxis ist jedoch nach der Gesetzesformulierung auf keinen Fall angezeigt. 7.3.2 Gläubigerinteresse 211 Die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung setzt im Graubereich die Prüfung und Feststellung voraus, dass trotz wesentlicher Mehrkosten einer Eigenverwaltung zu erwarten ist, dass der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubiger auszurichten, § 270b Abs. 2 InsO a. E. 212 Wichtig ist an dieser Stelle der Hinweis des Gesetzgebers, dass Mehrkosten der Eigenverwaltung durch erwartbare Vorteile einer Eigenverwaltung, die sich die Kenntnisse und Erfahrungen der bisherigen Geschäftsführung zunutze machen kann, kompensiert werden können.212) 213 Positive Effekte der Eigenverwaltung sind somit von erheblicher Relevanz und unbedingt in die Darstellung aufzunehmen, auch wenn keine Pflicht hierzu besteht. Der Gesetzgeber nennt an dieser Stelle ausdrücklich „etwaige erwartete mittelbare werterhaltende Effekte eines Eigenverwaltungsverfahrens“.213) 214 Einen größeren Spielraum werden sicherlich in Großverfahren die zur Verfügung stehenden unterschiedlichen und komplexeren Restrukturierungswege geben. Eine besondere Gestaltbarkeit nach Wert des Unternehmens und Interesse der Beteiligten kann zu einem Mehrwert der Eigenverwaltung führen, der im Regelverfahren nicht erzielbar wäre. 215 Gegebenenfalls werden schon die Mehrkosten der Eigenverwaltung durch neue Beteiligungen kompensiert, ggf. geht es aber auch um künftige Erträge, die nur im Planverfahren zur Verteilung an die Gläubiger zur Verfügung stehen oder den Erhalt von Geschäftsbeziehungen. 216 Ein bloßer Vergleich der Kosten ohne Blick auf das Verfahrensergebnis wäre jedenfalls, wie bereits ausgeführt, zu kurz gegriffen. Für die Gläubiger von Interesse und in § 1 InsO als Ziel eines Insolvenzverfahrens herausgestellt, ist die bestmögliche Gläubigerbefriedigung. Wie im Planverfahren muss am Ende der Vergleich des Ergebnisses für die Beteiligten im Eigenverwaltungs- und im Regelverfahren den Ausschlag geben können. Sind die Kosten auch höher, ist aber nur über eine Eigenverwaltung mit Insolvenzplan ein besonderes Verfahrensergebnis erzielbar, das einen Mehrwert für die Gläubiger mit sich bringt, darf diesem Weg nicht beim Zugang zum Verfahren der Weg abgeschnitten werden durch einen isolierten Blick auf die Kosten. Dass nicht nur die Quote das Interesse der Gläubiger bestimmt, zeigt ebenfalls das Planverfahren mit seinen Gestaltungsmöglichkeiten und Vorgaben für die Einteilung der Gläubiger in unterschiedliche Abstimmungsgruppen anhand unterschiedlicher wirtschaftlicher Interessen. 217 Es wird in der Praxis regelmäßig Sache des vorläufigen Gläubigerausschusses sein, die Chancen des Konzepts für die Eigenverwaltung zu bewerten. Unterstützt der vorläufige Gläubigerausschuss die vorläufige Eigenverwaltung einstimmig und bringt damit das Gläubigerinteresse an der Anordnung zum Ausdruck, ist sie auch im Graubereich ohne weitere gerichtliche Prüfung anzuordnen gemäß § 270b Abs. 3 InsO. Dies wird auch künftig der Weg ins Verfahren sein für den Schuldner im Falle voraussichtlich wesentlich höherer Kosten einer Eigenverwaltung gegenüber einer Insolvenzverwaltung. ___________ 212) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 206. 213) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205.

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Neußner

Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalt

§3

VII. Erklärungen des Schuldners (§ 270a Abs. 2 InsO) 1.

Beurteilung der Eigenverwaltungswürdigkeit

Nicht mehr Bestandteil der Eigenverwaltungsplanung sind die weiter nach § 270a Abs. 2 218 InsO mitzuliefernden Erklärungen des Schuldners. Hat sich die Eigenverwaltungsplanung auf die Zukunft bezogen, also das Ziel des Verfahrens und seine Durchführung, geht es bei den weiter notwendigen Angaben um einen Blick zurück zur Beurteilung der Eigenverwaltungswürdigkeit des Schuldners.214) Die Umstände müssen allerdings weiter auch für die Zukunft Relevanz haben in dem Sinne, dass aus ihnen eine Prognose in Bezug auf die Eignung des Schuldners und auf sein Verhalten in einem Eigenverwaltungsverfahren abgeleitet werden kann. Da die Prüfung der Zugangsvoraussetzungen zur vorläufigen Eigenverwaltung nunmehr an 219 die Erklärungen zu den genannten Sachverhalten in § 270b Abs. 2 InsO anknüpft,215) sind die Erklärungen zunächst Zulässigkeitsvoraussetzung des Antrags auf Anordnung der Eigenverwaltung.216) Sie ergänzen bzw. überschneiden sich teilweise mit Verzeichnissen, die § 13 InsO beim Eigenantrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vom Schuldner verlangt. Bei der Eigenverwaltungs(un)würdigkeit geht es

220



um erkennbare objektive Verletzungen von Buchführungs- und Bilanzierungspflichten (§ 270a Abs. 2 Nr. 3) sowie



um Rückstände bei bestimmten Gläubigern, namentlich gegenüber Arbeitnehmern (Lohn und Pensionszusagen), dem Fiskus, den Sozialversicherungsträgern und den Lieferanten (§ 270a Abs. 2 Nr. 1).217)

Weiter ist mit Blick auf die gesetzliche Insolvenzantragspflicht und eine ggf. bereits mani- 221 festierte Verletzung und Insolvenzverschleppung in der Vergangenheit zu erklären, ob und in welchen Verfahren Vollstreckungs- oder Verwertungssperren nach InsO oder StaRUG angeordnet wurden (§ 270a Abs. 2 Nr. 2).218) Aus diesen Sachverhalten können sich typischerweise Zweifel an der Eigenverwaltungs- 222 würdigkeit des Schuldners ergeben. Die geforderten Erklärungen bzw. Sachverhalte knüpfen an die bisherige Praxis sowie Forderungen der Praktiker und insbesondere auch an rechtspolitische Vorschläge der Verbände an.219) Ergeben die Erklärungen des Schuldners, dass keiner der genannten Tatbestände erfüllt 223 ist, er somit alle Pflichten in der Vergangenheit erfüllt hat, spricht auch unter dem Aspekt der Eignung des Schuldners i. S. einer Eigenverwaltungswürdigkeit nichts gegen einen Anspruch, die Restrukturierung und Sanierung im gerichtlichen Verfahren in Eigenverwaltung fortzusetzen. 2.

Graubereich

2.1

Kritische Umstände

Bei erheblichen Zahlungsrückständen gegenüber bestimmten Gläubigern wie Arbeitneh- 224 mern und Lieferanten, im Falle der Verletzung handelsrechtlicher Offenlegungspflichten ___________ 214) 215) 216) 217) 218) 219)

Erbe, NZI 2021, 753, 754. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 65. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 80. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 80. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 65 ff.

Neußner

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§3

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

und bei Inanspruchnahmen sanierungsrechtlicher Verfahrenshilfen in der jüngeren Vergangenheit kann nach Auffassung des Gesetzgebers nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass der Schuldner seine Geschäftsführung am Interesse der Gläubiger auszurichten bereit oder in der Lage ist.220) Der Erfolg einer Restrukturierung hängt maßgeblich von der frühzeitigen Einleitung des Verfahrens ab. Bei einer „vertieften Insolvenz“, wie durch die Zahlungsrückstände dokumentiert, sind die Fortführungsaussichten in aller Regel nicht oder nur unter günstigen Umständen gegeben.221) 225 In Verstößen gegen handelsrechtliche Offenlegungspflichten manifestiert sich zudem nach Ansicht des Gesetzgebers ein unternehmerisches Verständnis, das wenig von der Rücksichtnahme auf Gläubigerinteressen geprägt ist.222) 226 Die wiederholte Inanspruchnahme von sanierungsrechtlichen Verfahrenshilfen wertet der Gesetzgeber als Indiz dafür, dass es in der Vergangenheit nicht gelungen ist, die Krise nachhaltig zu bewältigen.223) Dass ein vorausgegangenes StaRUG Verfahren zu einem „negativen Image“ führen soll, scheint allerdings nicht bzw. nicht in dieser Absolutheit nachvollziehbar. 227 Geht es beim Schuldner in diesem Sinne um Zahlungsrückstände, die ggf. auch strafbewehrt sind, Verstöße gegen Offenlegungspflichten sowie einen wiederholten Einbruch des Unternehmens, ist eine vorläufige Eigenverwaltung dennoch nicht von vornherein gänzlich ausgeschlossen. Diese Umstände verweisen den Sachverhalt allerdings in den Graubereich des § 270b Abs. 2 InsO. 2.2

Prognose und Gläubigerinteresse

228 Die vorläufige Eigenverwaltung wird dann nur angeordnet, wenn eine Gesamtwürdigung aller Umstände ergibt, dass der Schuldner trotz des Vorliegens dieser Umstände bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubigerschaft auszurichten, § 270 Abs. 2 InsO.224) 229 Auch wenn Kontraindikatoren vorliegen, können diese ihre Bedeutung verlieren, wenn der Schuldner sichergestellt hat für die Zukunft, dass Verstöße gegen gesetzliche Pflichten und gegen das Gläubigerinteresse durch personelle und organisatorische Maßnahmen nunmehr ausgeschlossen sind. Die Einbindung von spezialisierten Beratern oder Ergänzung der Geschäftsleitung durch einen CRO, die das Verfahren begleiten bzw. steuern, kann hier Zweifel an einer Eigenverwaltungswürdigkeit beseitigen.225) 230 Der Schuldner soll nicht für Verstöße in der Vergangenheit „abgestraft“ werden. Es geht vielmehr nach dem Zweck der Regelung um die Frage, ob aus dem bisherigen Verhalten auf ein gleichlaufendes künftiges Verhalten geschlossen werden kann. Es muss also eine negative Prognose in Bezug auf seine Eignung und seine Bereitschaft, das Verfahren im Gläubigerinteresse zu führen, überhaupt aus den in der Vergangenheit liegenden Sachverhalten weiter ableitbar sein. 231 Eine Rolle muss weiter auch spielen, aufgrund welcher Umstände und in welchem Umfang der Schuldner einen der kritischen Sachverhalte verwirklicht hat in der Vergangenheit, ___________ 220) 221) 222) 223) 224)

Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204; Kreutz/Ellers in: BeckOK-InsR, § 270a InsO Rz. 21. 225) Harig/Höfer/Reus, NZI 2021, 993, 995.

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Neußner

Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalt

§3

welche Aussagekraft dem Umstand als solchen somit überhaupt zukommt in Bezug auf die Zuverlässigkeit des Schuldners und Orientierung am Gläubigerinteresse. In der Praxis wird es aufgrund der nun ausdrücklich im Gesetz festgeschriebenen Beden- 232 ken darum gehen, die Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses zu überzeugen, dass eine (vorläufige) Eigenverwaltung vom Schuldner an den Interessen seiner Gläubiger ausgerichtet werden wird. Stimmen diese einstimmig für die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270b Abs. 3 InsO, hat das Gericht diese zuzulassen. 3.

Zahlungsrückstände gegenüber bestimmten Gläubiger

Der Schuldner hat nach § 270a Abs. 2 Nr. 1 InsO zu erklären, ob und in welchem Umfang 233 er sich mit der Erfüllung von Verbindlichkeiten aus Arbeitsverhältnissen, Pensionszusagen, Steuerforderungen, Sozialversicherungsforderungen sowie gegenüber Lieferanten „in Verzug“ befindet. Diese Formulierung weicht von derjenigen bei den Zugangsvoraussetzungen in § 270b 234 Abs. 2 Nr. 1 InsO ab. Dort ist lediglich von „Zahlungsrückständen die Rede“, die einen Schuldner bei den Anordnungsvoraussetzungen in den Graubereich verweisen. Auf einen Verzug kommt es nach der Formulierung nicht an. Die gesetzlichen Regelungen sind somit an dieser Stelle nicht ausreichend abgestimmt. Fraglich ist, ob sich die Erklärungspflicht mit Blick auf die Anordnungsvoraussetzungen 235 auf sämtliche Zahlungsrückstände gegenüber den genannten Gläubigern beziehen soll, unabhängig von einem eingetretenen Verzug, oder erst ein Verzug im technischen Sinne (§ 286 BGB) die Erklärungspflicht auslöst.226) Die Gesetzesbegründung spricht dafür, die geforderte Erklärung zum Antrag auf Eigen- 236 verwaltung im Lichte der Zugangsvoraussetzung bzw. Kontraindikatoren zu verstehen. Nach der Begründung des Gesetzgebers muss sich der Schuldner zu den Sachverhalten erklären, an die sich nach § 270b Abs. 2 InsO eine umfassende Prüfung der Zugangsvoraussetzungen anschließt.227) Dort nennt das Gesetz aber nur ohne weitere Qualifizierung die Zahlungsrückstände gegenüber Arbeitnehmern und den weiteren in § 270a Abs. 2 Nr. 1 InsO genannten Gläubigern. Auf die Feststellung eines Verzugs als Voraussetzung der Erklärungspflicht zu verzichten, 237 vermeidet auch strittige Fragen in Bezug auf den Ausschluss eines Verzugs aufgrund konkludenter Stundungen oder sonstiger Umstände. Liegt tatsächlich aufgrund von Stundungsvereinbarungen und sonstigen Absprachen kein 238 Verzug vor, ist dies i. R. der Bewertung der Zahlungsrückstände und des Schlusses auf das voraussichtliche künftige Verhalten des Schuldners im Verfahren zu berücksichtigen. Hat der Schuldner eine Vereinbarung mit seinem Gläubiger getroffen, kann vom Zahlungsrückstand nicht auf ein mangelndes Krisenmanagement und eine Eigenverwaltungsunwürdigkeit geschlossen werden. Erklärt sich der Schuldner dem Wortlaut des § 270a Abs. 2 Nr. 1 InsO entsprechend zu- 239 nächst nur zu Zahlungsrückständen, mit denen er sich seiner Ansicht nach auch in Verzug befindet, ist ihm entsprechend § 270b Abs. 1 InsO eine Nachfrist einzuräumen zur Ergänzung, soweit noch weitere Rückstände gegenüber den spezifizierten Gläubigern im Raum stehen, die für die Beurteilung seiner Eigenverwaltungswürdigkeit nach der weiteren Formulierung des § 270b Abs. 2 InsO relevant sind. ___________ 226) So Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 270a Rz. 21; a. A. Thole, NZI Beilage z. Heft 5/2021, S. 90, 92; Kreutz/Ellers in: BeckOK-InsR, § 270a InsO Rz. 22. 227) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204.

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§3

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

240 Die Erklärungspflicht bezieht sich nach dem eindeutigen Wortlaut in § 270a Abs. 1 Nr. 1 und § 270b Abs. 2 Nr. 1 InsO nur auf folgende Gläubiger 

Arbeitnehmer,



Fiskus,



Sozialversicherungsträgern,



Lieferanten.

241 Weiter differenziert das Gesetz bei den Anordnungsvoraussetzungen dahingehend, dass es sich gegenüber dem Fiskus, den Sozialversicherungsträgern und den Lieferanten um erhebliche Zahlungsrückstände handeln muss. Es muss sich somit um einen mehrmonatigen Zahlungsrückstand oder einen großen Betrag handeln, der offen geblieben ist.228) 242 Dagegen sind nach dem Wortlaut des § 270b Abs. 1 Nr. 2 InsO Verbindlichkeiten aus Arbeitsverhältnissen einschließlich der Pensionsverpflichtungen auch unterhalb dieser Schwelle negativ zu bewerten. 243 Fraglich ist, wie der Begriff der Lieferanten zu verstehen ist. Nach dem Wortsinn geht es in jedem Fall um Warenlieferanten.229) Darüber hinaus könnte es auch um die Versorger gehen, die immerhin unkörperliche Gegenstände dem Schuldner geliefert haben. Dagegen könnte allerdings sprechen, dass der Begriff des Lieferanten im Sprachgebrauch doch eher an den Sachbegriff des BGB in § 90, also an körperliche Gegenstände, anknüpft. Zudem sind die Versorger nicht derart eng an das konkrete Unternehmen und seinen Geschäftsgegenstand gebunden. Jedenfalls sollten Dienstleister und Vermieter nicht unter den Begriff des Lieferanten subsumiert werden, um diesem nicht jede Kontur zu nehmen.230) Ein Abstellen auf die Bilanzposition Lieferungen und Leistungen würde in jedem Fall zu weit gehen, da praktisch nur die Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten ausgenommen wären.231) 244 Ein Verzeichnis sämtlicher Gläubiger hat der Schuldner zudem schon nach § 13 Abs. 1 InsO seinem Eröffnungsantrag beizufügen. 245 Bestehen Rückstände, hat der Schuldner eine entsprechende Liste einzureichen, die jeweiligen Gläubiger zu benennen sowie die Art der Forderung und die Höhe der Forderung und des Verzugs.232) Nach hier vertretener Ansicht sind auch die Gläubiger und Forderungen zu benennen, mit denen der Schuldner in Rückstand ist, ohne dass ein Verzug vorliegt. 246 Bestehen keine Rückstände bei den genannten Gläubigern, hat der Schuldner dies ebenfalls mit dem Eigenverwaltungsantrag zu erklären. 4.

Inanspruchnahmen sanierungsrechtlicher Verfahrenshilfen

247 Der Schuldner hat weiter zu erklären, ob und in welchen Verfahren (Gericht und Aktenzeichen), zu seinen Gunsten innerhalb der letzten drei Jahre vor dem Antrag Vollstreckungs- oder Verwertungssperren nach der Insolvenzordnung oder nach dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen angeordnet wurden (§ 270a Abs. 2 Nr. 2 InsO). Die Anordnung kann auf § 21 InsO oder § 49 StaRUG gestützt gewesen sein. 248 Gerade frühere Vollstreckungs- und Verwertungssperren nach dem StaRUG zeugen nicht von einem fehlenden Krisenmanagement des Schuldners.233) Generell sollte es bei der Be___________ 228) 229) 230) 231) 232) 233)

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Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 270b Rz. 17. Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 761. Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 761; a. A. Kreutz/Ellers in: BeckOK-InsR, § 270a InsO Rz. 22a. Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 761; a. A. Kreutz/Ellers in: BeckOK-InsR, § 270a InsO Rz. 22a. Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 756. Harig/Höfer/Reus, NZI 2021, 993, 995.

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Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalt

§3

wertung früherer Restrukturierungs- und Sanierungsversuche mit gerichtlicher Unterstützung darauf geschaut werden, aus welchem Grund diese nicht nachhaltig waren, welche Umstände zwischenzeitlich ggf. unvorhersehbar wieder in eine Krise geführt haben. Für die Prognose der Bereitschaft und Eignung des Schuldners, die Krise nunmehr nach- 249 haltig zu überwinden, sollte es vorwiegend auf das aktuelle Restrukturierungskonzept ankommen. Wie bei den Aufhebungsgründen klarer formuliert muss maßgeblich sein, ob das Eigenverwaltungsziel, die angestrebte Sanierung aussichtsreich erscheint (§ 270e Abs. 1 Nr. 3 InsO) oder ob der Schuldner voraussichtlich auf Kosten der Gläubiger nur das endgültige Aus seines Unternehmens hinauszögern wird. 5.

Einhaltung handelsrechtlicher Offenlegungspflichten

Weiter hat der Schuldner zu erklären, ob er für die letzten drei Geschäftsjahre seinen Offen- 250 legungspflichten, insbesondere nach den §§ 325 bis 328 oder 339 HGB nachgekommen ist (§ 270a Abs. 2 Nr. 3 InsO). Die in Bezug genommenen Vorschriften regeln die Offenlegungspflichten für Kapitalge- 251 sellschaften und Genossenschaften. § 264a HGB erstreckt die Offenlegungspflichten auf Personengesellschaften, bei denen keine natürliche Person als Gesellschafter oder als mittelbarer Gesellschafter persönlich haftet. Aus der beispielhaften Formulierung, „insbesondere“, folgt, dass auch die Verletzung jeg- 252 licher sonstiger Offenlegungspflicht transparent zu machen ist.234) Hat der Schuldner die Offenlegungspflicht zwischenzeitlich erfüllt, insbesondere mit Blick 253 auf die Einleitung des Verfahrens und aufgrund der hierzu eingeholten Beratung, sind die Verstöße dennoch zunächst mitzuteilen.235) Auch bei den Offenlegungspflichten kann es objektive bzw. nachvollziehbare Gründe geben, 254 weshalb es hier zu einer Verzögerung gekommen ist und eine negative Bewertung der Zuverlässigkeit des Schuldners somit nicht angezeigt ist. So kann z. B. ein aufgestellter Jahresabschluss für das der Antragstellung vorangehende Jahr wegen einer noch nicht abgeschlossenen Prüfung nicht fristgerecht offengelegt worden sein.236) In diesem Fall spricht nichts gegen die Fähigkeit und den Willen des Schuldners, seinen gesetzlichen Pflichten nachzukommen und die Gläubigerinteressen in einem Restrukturierungsverfahren zu wahren.237) Zugunsten des Schuldners spricht weiter das Nachholen der versäumten Pflichten vor Antragstellung.238) Mit der Vorbereitung des Eigenverwaltungsantrags getroffene Maßnahmen personeller und 255 organisatorischer Art werden auch hier der wichtigste Aspekt sein, den früheren Pflichtverletzungen die Tragfähigkeit für eine negative Beurteilung zu nehmen.239) VIII. Einbindung des Gerichts vor Antragstellung (§ 10a InsO) 1.

Vorabstimmung mit dem zuständigen Gericht

Als maßgeblichen Erfolgsfaktor haben die i. R. der ESUG-Evaluierung Befragten die Vor- 256 abstimmung der Antragstellung mit dem Insolvenzgericht genannt.240) Die Gerichte stan___________ 234) 235) 236) 237) 238) 239) 240)

Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 762. Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 762. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 22.

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§3

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

den einer Vorbesprechung schon bisher meist aufgeschlossen gegenüber.241) Schließlich will niemand von größeren und umfangreichen Verfahren überrascht werden und erst recht nicht von einem Antrag auf Eigenverwaltung.242) Aber auch in kleinen Verfahren ist es wichtig, die Motivation des Schuldners zu verstehen und in einem ersten Schritt einen Überblick über den Sachverhalt und die Schlüsselthemen zu gewinnen. Wenn zudem der neue § 270b Abs. 1 Satz 2 InsO bei behebbaren Mängeln der Eigenverwaltungsplanung die Möglichkeit einer einstweiligen Anordnung der Eigenverwaltung vorsieht mit Fristsetzung für eine Nachbesserung von bis zu 20 Tagen, machte es natürlich Sinn bzw. ist es nur konsequent, auch schon eine vorgelagerte Abstimmung vorzusehen. 2.

Anspruch auf ein Vorgespräch

257 Der Gesetzgeber hat in § 10a InsO deshalb erstmals einen Anspruch des Schuldners auf ein Vorgespräch geregelt. Anspruch auf ein Vorgespräch haben Schuldner, wenn aufgrund der Größenkriterien des § 22a Abs. 1 InsO grundsätzlich ein vorläufiger Gläubigerausschuss einzusetzen wäre. Ausreichend für einen Muss-Gläubigerausschuss und damit den Anspruch auf ein Vorgespräch mit dem Gericht ist nach § 22a Abs. 1 und § 10a InsO, dass der Schuldner zwei der maßgeblichen Größenkriterien erfüllt. 258 Damit das Gericht den Anspruch des Schuldners auf ein Vorgespräch prüfen kann, muss dargelegt werden, um welches Unternehmen es sich handelt, dass das Gericht örtlich zuständig ist und dass das Unternehmen mindestens zwei der drei Merkmale des § 22a Abs. 1 InsO erfüllt.243) 3.

Ermessensentscheidung des Gerichts

259 Das Gesetz stellt weiter klar, dass das Gericht Vorgespräche nach eigenem Ermessen auch führen kann, wenn die Größenkriterien für einen Pflicht-Gläubigerausschuss nicht erfüllt sind (§ 10a Abs. 1 Satz 2 InsO).244) In Eigenverwaltungssachverhalten wird der Schuldner regelmäßig einen Antrag auf Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses stellen nach § 22a Abs. 2 InsO und Mitglieder benennen. Auch in dieser Konstellation bedarf es der Abstimmung mit dem Gericht. 260 Ausdrücklich hat der Gesetzgeber die Gläubigerautonomie in Gestalt der Einbindung und Entscheidungsfindung des vorläufigen Gläubigerausschusses bei der Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung (§ 270b Abs. 3 InsO) nochmal gestärkt. Ohne Äußerung des vor-vorläufigen Gläubigerausschusses darf eine Entscheidung über die vorläufige Eigenverwaltung nur ergehen, wenn seit der Antragstellung zwei Werktage vergangen sind oder wenn offensichtlich mit nachteiligen Veränderungen zu rechnen ist, die sich nicht anders als durch Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters abwenden lassen. Dieses kurze Zeitfenster ist dann gut zu wahren und eine schnelle Einsetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses nach Antragstellung möglich, wenn von der Möglichkeit des Vorgesprächs Gebrauch gemacht wurde.245) Mit Zustimmung des Schuldners kann das Gericht nämlich bereits nach dem Vorgespräch und schon vor der formalen Antragstellung Gläubiger anhören und mit diesen insbesondere auch ihre Bereitschaft für eine Mitgliedschaft in einem vorläufigen Gläubigerausschuss erörtern (§ 22a Abs. 2 InsO). ___________ 241) 242) 243) 244) 245)

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Laroche/Pruskowski/Schöttler/Siebert/Vallender, ZIP 2014, 2153, 2157. Brückner, ZInsO 2017, 2498. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 192. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 192. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 193.

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Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalt 4.

§3

Anhörungen, Begründung der Zuständigkeit

Das Vorgespräch dient der Vorbereitung eines etwaigen gerichtlichen Restrukturierungs- 261 verfahrens in Eigenverwaltung. Gegenstand der Erörterung mit dem Gericht können alle für die Vorbereitung und Durchführung relevanten Gegenstände sein. Die Aufzählung im Gesetzeswortlaut ist nicht abschließend, wie schon die Formulierung „insbesondere“ zum Ausdruck bringt.246) Beispielhaft sind benannt 

die Voraussetzungen für eine Eigenverwaltung,



die Eigenverwaltungsplanung,



die Besetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses,



die Person des (vorläufigen) Sachwalters,



etwaige Sicherungsanordnungen und



die Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten (§ 10a Abs. 1 Satz 1).

Allerdings fixiert das Vorgespräch keine inhaltliche Bindung des Gerichts und auch keinen 262 Anspruch des Schuldners auf eine bestimmte Entscheidung.247) (Nur) mit Zustimmung des Schuldners kann das Gericht Gläubiger anhören, nicht nur 263 um deren Bereitschaft für eine Mitgliedschaft in einem vorläufigen Gläubigerausschuss zu erörtern. Beim Gericht hinterlegte Schutzschriften von Gläubigern werden wohl weiter Bedeutung haben.248) Durch ein Muss-Vorgespräch wird für sechs Monate die Zuständigkeit der Abteilung be- 264 gründet, der der gesprächsführende Richter angehört (§ 10a Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 InsO). Der Gesetzgeber hat an dieser Stelle nicht alleine an den gesprächsführenden Richter angeknüpft, sondern an die Abteilung, um möglicherweise auftretenden Problemen z. B. bei Vertretungsfällen aufzufangen.249) Das Vorgespräch kann allerdings keine örtliche Zuständigkeit begründen.250) Diese muss nach den §§ 3 ff. InsO vorliegen, was auch Gegenstand des Vorgesprächs und der Abklärung mit dem Gericht sein kann. Lagen die Voraussetzungen des § 10a Abs. 1 Satz 1 InsO nicht vor, bestand also nicht 265 schon aufgrund der Größenkriterien und eines daran geknüpften Muss-Gläubigerausschusses, ein Anspruch auf ein Vorgespräch, ist § 10a Abs. 3 InsO nach seinem Wortlaut nicht anwendbar. Die Regelung der Bindung nur des gesprächsführenden Richters oder der gesamten Abteilung obliegt dem Gericht. Es bietet sich jedoch eine einheitliche Handhabung dahingehend an, dass bei allen Vorgesprächen die Zuständigkeit der Abteilung des gesprächsführenden Richters für ein späteres Eigenverwaltungsverfahren begründet wird. Die Begründung der Zuständigkeit sämtlicher Richter der Abteilung impliziert eine Be- 266 teiligung sämtlicher Richter oder jedenfalls auch desjenigen, der im Vertretungsfäll tätig werden würde, am Vorgespräch. Mit Blick auf den Anteil von Großverfahren, aber auch Eigenverwaltungsverfahren insgesamt, wird die Einbindung von mindestens zwei Richtern einer Abteilung auch bei Restrukturierungen von Unternehmen unterhalb der Schwelle des § 22a Abs. 1 InsO sicherlich nicht zu einer übermäßigen Belastung der Insolvenzabteilungen führen.

___________ 246) 247) 248) 249) 250)

Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 193. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 193. Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 270 Rz. 8. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 193. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 193.

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§3

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

IX.

Förmliche Einleitung des Verfahrens

1.

Zuständiges Gericht

267 Eine Gerichtskonzentration für präventive Restrukturierungsverfahren zur Abwendung einer drohenden Insolvenz ist ein für die Praxis wichtiger Bestandteil des StaRUG. Die ausschließliche sachliche Zuständigkeit für diese Restrukturierungssachen liegt bei den neuen Restrukturierungsgerichten, die für die Oberlandesgerichtsbezirke zu schaffen sind (§ 34 StaRUG); siehe ausführlich hierzu Graf-Schlicker, HRI I, § 8 Rz. 4 ff. Aufgrund der funktionalen und inhaltlichen Ähnlichkeit von Restrukturierungs- und Insolvenzsachen hat sich der Gesetzgeber für eine Anbindung an die Amtsgerichte entschieden, die auch als Insolvenzgerichte zuständig sind.251) Ist das Amtsgericht am Sitz des Oberlandesgerichts nicht für Insolvenzsachen zuständig, tritt an dessen Stelle das für diesen Bezirk zuständige Insolvenzgericht (§ 34 Abs. 1 Satz 2 StaRUG). Von diesen Zuständigkeitszuweisungen können die Landesregierungen für einen Oberlandesgerichtsbezirk abweichen und ein anderes, aber nicht ein zusätzliches Insolvenzgericht als Restrukturierungsgericht bestimmen (§ 34 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG).252) Auf freiwilliger Basis ist Ländern mit mehreren Oberlandesgerichten eine noch stärkere, die Grenzen der Oberlandesgerichtsbezirke transzendierende Zuständigkeitskonzentration anheimgestellt.253) Mehrere Länder können zudem ein gemeinsames Restrukturierungsgericht errichten (§ 34 Abs. 2 Satz 3 StaRUG). 268 Für Unternehmensinsolvenzverfahren ist, entgegen der Empfehlung des Forschungsberichts zur ESUG-Evaluierung254), eine Konzentration der Zuständigkeit bislang nicht gelungen. Auch wenn Ziel des einzuleitenden Verfahrens nach den gestellten Anträgen und dem nun mitgelieferten Konzept für das Gericht erkennbar die Restrukturierung des schuldnerischen Unternehmens ist, regeln die §§ 270 ff. InsO doch keine besondere Zuständigkeit, insbesondere nicht generell die Zuweisung an das Restrukturierungsgericht. 269 Nur wenn der Schuldner in den letzten sechs Monaten vor der Antragstellung Stabilisierungs- und Restrukturierungsinstrumente (§ 29 StaRUG) in Anspruch genommen hat, ist auch das Gericht örtlich zuständig, das als Restrukturierungsgericht mit diesen Maßnahmen befasst war, § 3 Abs. 2 InsO. Der Schuldner hat dann die Wahl zwischen dem allgemeinen Gerichtsstand und dem Weg zum bereits zuvor mit dem Restrukturierungsvorhaben befassten Restrukturierungsgericht. 270 Wieviel StaRUG-Verfahren hier Voraussetzung ist für die Zuständigkeitsbegründung des Restrukturierungsgerichts und wann genau der Fristlauf für deren Beendigung ausgelöst ist, lässt der Wortlaut des § 3 Abs. 2 InsO offen. Eine „ernsthafte“ Anzeige nach § 31 StaRUG und ein auf eine der Verfahrenshilfen gerichteter Antrag werden in jedem Fall Voraussetzung sein. Für das „Auslaufen“ der Zuständigkeit sollte mit Blick auf die in der Gesetzesbegründung angeführten Effizienzerwägungen auf die letztmalige Befassung des Restrukturierungsgerichts mit den Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens abgestellt werden (siehe Graf-Schlicker, HRI I, § 8 Rz. 33).255) 271 Außerhalb dieser Zuständigkeitsverknüpfung über das StaRUG verbleibt es dagegen bei der ausschließlichen örtlichen Zuständigkeit der Insolvenzgerichte nach § 3 Abs. 1 InsO. Diese knüpft in Satz 1 an den allgemeinen Gerichtsstand an (§§ 13 – 19a ZPO), wobei dieser nach Satz 2 dann nicht maßgeblich ist, wenn der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit an einem anderen Ort liegt. ___________ 251) 252) 253) 254) 255)

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Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 141. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 141. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 141. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 239. Kexel in: Graf-Schlicker, InsO, § 3 Rz. 11.

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Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalt

§3

Eine gesetzliche Definition des Mittelpunkts der wirtschaftlichen Tätigkeit gibt es weder in 272 der InsO noch im Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen. Maßgebend muss sein, wo die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung in laufende Geschäftsführungsakte nach außen erkennbar umgesetzt werden (siehe ausführlich und m. w. N. zu den vertretenen Ansichten sowie Beispielen Graf-Schlicker, HRI I, § 8 Rz. 20 ff.). Bei der Eigenverwaltung im Konzern sind weiter zur Aufrechterhaltung einer einheitli- 273 chen Leitung und Koordinierung die Vorschriften zur verfahrensmäßigen Konsolidierung der Verfahren über den Gruppen-Gerichtsstand (§§ 3a ff. InsO) von Bedeutung (siehe ausführlich hierzu Kübler, HRI II, § 16 Rz. 30 ff. sowie Graf-Schlicker, HRI I, § 3 Rz. 42 ff.). Eine gerichtsinterne Zuständigkeit kann vorab über ein Vorgespräch (§ 10a InsO), wie 274 vorstehend dargestellt, begründet werden. 2.

Antragsbefugnis, Anlagen und Erklärungen

Strebt der Schuldner eine Restrukturierung im gerichtlichen Verfahren in Eigenverwaltung 275 an, hat er zwei Verfahrensanträge zu stellen.256) Es geht nun um die Einleitung eines Insolvenzverfahrens, für das im Eröffnungsbeschluss die Eigenverwaltung angeordnet werden soll (§ 270 Abs. 1 InsO) sowie vorgeschaltet für das Eröffnungsverfahren um eine vorläufige Eigenverwaltung nach § 270b InsO. Für den Insolvenzantrag sind die allgemeinen Voraussetzungen zu beachten. An dieser 276 Stelle sei nochmals für die Entscheidung über den Übergang und die Fortsetzung der Restrukturierung in einem Insolvenzverfahren auf die gesellschaftsinterne Kompetenzverteilung verwiesen. Nach hier mit der h. M. vertretenen Ansicht liegt diese bei einer nur auf drohende Zahlungsunfähigkeit gestützten Antragstellung bei der Gesellschafter- bzw. Hauptversammlung (siehe hierzu sowie auch zu rechtsmissbräuchlichen und insolvenzzweckwidrigen Anträgen ausführlich unter Rz. 44 ff.). Eine Vertretung im Außenverhältnis wäre zwar dennoch wirksam, allerdings verbunden mit der Gefahr einer Haftung aufgrund verfrühter Antragstellung. In Bezug auf die Vertretungsmacht der Geschäftsleiter ist weiter zu beachten, dass das 277 insolvenzrechtliche Antragsrecht, das § 15 InsO jedem Mitglied des Vertretungsorgans alleine zuweist, bei erst drohender Zahlungsunfähigkeit nicht greift. Hier bleibt es nach der Regelung des § 18 Abs. 3 InsO bei der gesellschaftsrechtlichen Vertretungsregelung bzw. Befugnis. Überlappen sich drohende Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung, löst letztere bei 278 haftungsbeschränkten Rechtsträgern einschließlich der atypischen Personengesellschaften die Antragspflicht des § 15a InsO aus. Die Geschäftsleiter werden hierdurch intern weisungsfrei gestellt aufgrund ihrer Legalitätspflicht und unabhängig von einer gesellschaftsrechtlichen Vertretungsbefugnis über das Antragsrecht des § 15 InsO handlungsfähig. Nach § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO haben sie zur Vermeidung ihrer persönlichen Haftung und Strafbarkeit, nunmehr rechtsformneutral zusammengeführt und in den Zusammenhang gesetzt in § 15b InsO, ohne schuldhaftes Zögern einen Eröffnungsantrag zu stellen. Nur für den Eröffnungsgrund der Überschuldung hat der Gesetzgeber des SanInsFoG dabei 279 die Antragsfrist auf bis zu sechs Wochen verlängert. Als Höchstfrist darf diese allerdings nach wie vor nur ausgeschöpft werden, wenn tatsächlich noch Sanierungsaussichten bestehen, die noch weiter verhandelbar erscheinen und gewahrt werden sollen. Nach der neuen Regelung der Prognosezeiträume für die drohende Zahlungsunfähigkeit und die Über___________ 256) Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 270a Rz. 6; Kreutz/Ellers in: BeckOK-InsR, § 270a InsO Rz. 9.

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§3

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

schuldung bleibt es bei dieser typischen Überschneidung der Eröffnungsgründe über die negative Fortbestehensprognose im Zeitfenster von zwölf Monaten (§ 18 Abs. 2 Satz 2, § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO); siehe hierzu ausführlich unter Rz. 50). 280 Die Anordnung der Eigenverwaltung setzt einen Antrag voraus, der nur vom Schuldner gestellt werden kann und im neuen § 270a InsO, wie dargestellt, umfassend geregelt ist. Die Antragsbefugnis des Geschäftsleiters richtet sich nach der gesellschaftsvertraglichen Vertretungsregelung.257) Eine hiervon abweichende Regelung ist nicht getroffen und kann auch aus einer Pflichtenbindung der Geschäftsleiter und damit insbesondere auch aus einer Analogie zu § 15 InsO nicht abgeleitet werden.258) Umgekehrt würde auch das grundsätzliche Postulat einer Gesamtvertretung durch alle Mitglieder des Vertretungsorgans zu weit gehen.259) Wertungsmäßig ist dieser Antrag vielmehr der fakultativen Insolvenzantragstellung wegen erst drohender Zahlungsunfähigkeit vergleichbar, für die es § 18 Abs. 3 InsO bei der gesellschaftsrechtlichen Regelung belässt und weder eine Verschärfung noch eine Erleichterung für die Überleitung der Krisenbewältigung in ein gerichtliches Verfahren anordnet. 281 Ein Dissens zwischen Gesellschafter und Geschäftsleitung oder auch innerhalb des Vertretungsorgans ist jedenfalls ein Aspekt, der i. R. der Eigenverwaltungsplanung mitzuteilen wäre. Je nach Ausprägung und Bedeutung für die nun angestrebte Restrukturierung und die notwendigen Maßnahmen, kann die fehlende Übereinstimmung schon im Rahmen des Konzepts für das Eigenverwaltungsverfahren eine Rolle spielen oder aber beim mitzuteilenden Verhandlungsstand.260) 282 Sollte ein Gläubiger dem Schuldner mit einem Fremdantrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zuvorgekommen sein, was bei einer frühzeitig und gut vorbereiteten Eigenverwaltung praktisch nicht in Betracht kommen sollte, schließt dies eine (vorläufige) Eigenverwaltung nicht zwangsläufig aus. Schon der ESUG-Gesetzgeber hat dem Gläubigerantrag seine absolute Blockademöglichkeit genommen und die Zustimmung des Antragstellers als Voraussetzung für die Anordnung einer Eigenverwaltung gestrichen. 283 Dem Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung sind die Eigenverwaltungsplanung sowie die Erklärungen des Schuldners, wie in § 270a Abs. 1 und 2 InsO nun verlangt und vorstehend im Einzelnen dargestellt, beizufügen. Der Antrag ist schon aufgrund dieser Anforderungen schriftlich zu stellen.261) 284 Umfassend ergänzt werden damit die Angaben und Anlagen die der Schuldner bereits nach § 13 InsO seinem schriftlichen Insolvenzantrag beizufügen hat. 285 Eigenverwaltungsantrag und Insolvenzantrag sind Prozesshandlungen und dürfen nicht an Bedingungen geknüpft werden, wie z. B. an die Bestellung einer bestimmten Person zum Sachwalter.262) Der Insolvenzantrag darf z. B. auch nicht unter der Bedingung gestellt werden, dass das Gericht die Eigenverwaltung zulässt.263) Zwar gilt auch hier, dass eine bloße ___________ 257) Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 270a Rz. 6, § 270 Rz. 6; Kreutz/Ellers in: BeckOK-InsR, § 270a InsO Rz. 4; Kern in: MünchKomm-InsO, § 270 Rz. 31; Haas in: Gottwald/Haas, InsR-Hdb., § 85 Rz. 20; Brünkmans in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 270 Rz. 11; Ringstmeier in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 270 InsO Rz. 8. 258) A. A. Riggert in: Nerlich/Römermann, InsO, § 270 Rz. 19. 259) So Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 270 Rz. 41. 260) Kreutz/Ellers in: BeckOK-InsR, § 270a InsO Rz. 5. 261) Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 270a Rz. 6; Kreutz/Ellers in: BeckOK-InsR, § 270a InsO Rz. 6. 262) Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 270 Rz. 5; Kreutz/Ellers in: BeckOK-InsR, § 270a InsO Rz. 7. 263) Kreutz/Ellers in: BeckOK-InsR, § 270a InsO Rz. 8; a. A. AG Mannheim v. 21.2.2014 – 4 IN 115/14, NZI 2014, 412, 414.

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Neußner

Anordnungsvoraussetzungen, Antragsrecht, Antragsinhalt

§3

innerprozessuale Bedingung unschädlich ist264), d. h. der Antrag hilfsweise für den Fall zur Entscheidung gestellt werden kann, dass ein bestimmtes innerprozessuales Ereignis eintritt, z. B. das Gericht seine Zuständigkeit bejaht oder ein Hauptantrag abgewiesen wird. Einer derartigen Konstellation erscheint die Kombination von Insolvenz- und Eigenverwaltungsantrag aber nicht vergleichbar. Es geht hier nicht wie im Falle eines hilfsweisen Antrags um ein Vor- und Nachrangverhältnis. Vielmehr kann die Eigenverwaltung nur auf einen zulässigen und begründeten Insolvenzantrag hin angeordnet werden. 3.

Vorläufiger Gläubigerausschuss und vorläufiger Sachwalter

Mitzuliefern sind schon nach § 13 InsO alle Angaben, die für die Einsetzung und Besetzung 286 eines vorläufigen Gläubigerausschusses von Bedeutung sind (siehe ausführlich hierzu Ampferl, HRI II, § 6 Rz. 140 ff.). Erfüllt der Schuldner nicht mindestens zwei der in § 22a Abs. 1 InsO genannten Merkmale bzw. Größenklassen bei der Bilanzsumme, den Umsatzerlösen oder der Zahl der Arbeitnehmer, ist ein Antrag auf Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses zu stellen, der die Eigenverwaltung unterstützt (§ 22a Abs. 2 InsO). Für den Antrag auf Einsetzung eines Soll-Ausschusses zwingend vorgeschrieben (§ 22a Abs. 2 InsO), beim Pflichtausschuss gleichermaßen von überragender Bedeutung ist dabei die Benennung von Personen, die als Mitglieder in Betracht kommen und die Beifügung der entsprechenden Einverständniserklärungen und Kontaktdaten. Der vorläufige Gläubigerausschuss bzw. seine Besetzung sind von ausschlaggebender Be- 287 deutung für die Planbarkeit des Verfahrens. Aufgrund der Gläubigerautonomie obliegt ihm nicht nur die das Gericht bindende Entscheidung über die Anordnung oder Ablehnung einer vorläufigen Eigenverwaltung (§ 270b Abs. 3 InsO), sondern weiter auch über die Person des vorläufigen Sachwalters (§ 56a Abs. 2 und 3 InsO i. V. m. §§ 270b Abs. 1, 274 Abs. 1); siehe ausführlich hierzu Ampferl, HRI II, § 6 Rz. 195. Von einem einstimmigen Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses zur Person des vorläufigen Sachwalters darf das Gericht nur abweichen, wenn die vorgeschlagene Person nicht geeignet ist.

___________ 264) Kreutz/Ellers in: BeckOK-InsR, § 270a InsO Rz. 7.

Neußner

85

§4 Vorläufige Eigenverwaltung Hofmann

I.

Bedeutung des Eröffnungsverfahrens für den Verfahrensverlauf ......................... 1 II. Vorläufige Eigenverwaltung im Eröffnungsverfahren ............................ 3 1. Wesen der vorläufigen Eigenverwaltung........................................... 8 2. Voraussetzungen der vorläufigen Eigenverwaltung......................................... 10 3. Bestellung eines vorläufigen Sachwalters ................................................. 12 3.1 Anforderungen an den vorläufigen Sachwalter........................ 13 3.2 Vorschläge des Schuldners bzw. von Gläubigern ..................... 19 3.3 Auswahlverfahren und Gläubigerbeteiligung ..................... 28 III. Stellung von Schuldner und vorläufigem Sachwalter nach § 270a InsO........ 32 1. Grundlagen der Aufgabenverteilung zwischen Schuldner und vorläufigem Sachwalter................................................... 33 2. Stellung des Schuldners in der vorläufigen Eigenverwaltung .......................... 35 2.1 Verfügungsmacht des Schuldners ............................... 35 2.2 Insolvenzgerichtliche Beschränkungen und Erweiterungen der Verfügungsmacht des Schuldners ............................... 37 2.3 Mitteilungspflicht nach § 270c Abs. 2 InsO bei wesentlichen Änderungen der Eigenverwaltungsplanung ................................. 38 2.4 Insolvenzspezifische Pflichten des Schuldners in der vorläufigen Eigenverwaltung und insolvenzgerichtliche Anordnungen zu den Aufgaben des Schuldners gemäß § 21 Abs. 1 InsO bzw. analog § 22 Abs. 2 InsO................ 47 2.5 Einschränkung der Kompetenzen von gesellschaftsrechtlichen Aufsichtsorganen im Eröffnungsverfahren .............................. 52 3. Rechtsstellung und Aufgaben des vorläufigen Sachwalters....................... 57 3.1 Rechtsstellung des vorläufigen Sachwalters .................................... 58

86

Hofmann

3.2

Aufgaben und Pflichten des vorläufigen Sachwalters .......... 60 3.2.1 Aufsichtsfunktion des vorläufigen Sachwalters .......... 62 3.2.1.1 Umfang der Aufsicht .................... 63 3.2.1.2 Mitwirkungsbefugnisse des vorläufigen Sachwalters entsprechend § 275 Abs. 1 InsO.... 68 3.2.1.3 Informationsrechte des vorläufigen Sachwalters und korrespondierende Pflichten des Schuldners ............................... 75 3.2.1.4 Konten-/Kassenführungsrecht entsprechend § 275 Abs. 2 InsO.... 80 3.2.1.4.1 Bedeutung der Kassenführung in der vorläufigen Eigenverwaltung ................................. 81 3.2.1.4.2 Inanspruchnahme der Kassenführung durch den vorläufigen Sachwalter.................................. 83 3.2.1.4.3 Beschränkung des vorläufigen Sachwalters auf reine Aufsicht im Zusammenhang mit der Ausführung von Zahlungen ..... 86 3.2.1.4.4 Modifizierte Kassenführung durch vorläufigen Sachwalter bei mittleren und größeren Unternehmen ............................ 93 3.2.1.5 Anzeigepflicht bei Feststellung nachteiliger Umstände und Antrag auf Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung ...... 100 3.2.2 Beratende Begleitung der Eigenverwaltung durch den vorläufigen Sachwalter...................... 107 3.2.3 Berichterstattung gemäß § 270c Abs. 1 InsO als besondere Aufgabe im Interesse der Gläubiger ... 110 3.2.3.1 Gerichtlicher Auftrag.................. 112 3.2.3.2 Art und Weise der Berichterstattung..................................... 113 3.2.3.3 Einzelbereiche der Berichterstattung..................................... 114 3.2.4 Unterstützung des Schuldners bei der Verfahrensabwicklung .... 119 3.2.4.1 Unterstützung gemäß § 274 Abs. 2 Satz 2 InsO ...................... 120

§4

Vorläufige Eigenverwaltung 3.2.4.2 Vorbereitung eines Insolvenzplans bei Beauftragung durch den vorläufigen Gläubigerausschuss gemäß § 284 Abs. 1 Satz 2 InsO .................................. 123 3.3 Haftung des vorläufigen Sachwalters................................... 127 3.4 Vergütung des vorläufigen Sachwalters................................... 133 4. Beschränkungen der Verfügungsmacht des Schuldners in der vorläufigen Eigenverwaltung....................................... 144 4.1 Grundsatz: Unzulässigkeit von allgemeinen Verfügungsbeschränkungen gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung ............ 145 4.2 Ausnahme: Vorläufiger Zustimmungsvorbehalt gemäß § 270c Abs. 3 Satz 2 InsO ........... 148 4.3 Zulässigkeit besonderer Zustimmungsvorbehalte gemäß § 21 Abs. 1 InsO.......................... 151 4.3.1 Zustimmungsvorbehalte im eröffneten Verfahren.............. 152 4.3.2 Zulässigkeit von Zustimmungsvorbehalten im Eröffnungsverfahren gemäß § 21 Abs. 1 InsO ............................................. 153 4.3.3 Praxishinweise.............................. 160 5. Ermächtigung des Schuldners zur Begründung von Masseverbindlichkeiten gemäß § 270c Abs. 4 InsO....................... 161 5.1 Einzelermächtigung des Schuldners zur Begründung von Masseverbindlichkeiten........ 162 5.2 Zulässigkeit von Globalermächtigungen und „starker“ vorläufiger Eigenverwaltungen in Ausnahmefällen ....................... 172 5.3 Zustimmungsvorbehalte gemäß § 21 Abs. 1 InsO im Zusammenhang mit der Begründung erheblicher Masseverbindlichkeiten..... 178 IV. Betriebsfortführung bei vorläufiger Eigenverwaltung ..................................... 180 1. Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen Schuldner, vorläufigem Sachwalter und wesentlichen Gläubigern....... 181 2. Information der wesentlichen Beteiligten................................................. 190 3. Befriedigung und Sicherung von Lieferanten ........................................ 194 3.1 Problemstellung in der vorläufigen Eigenverwaltung ........... 195

Sicherung durch Begründung von Masseverbindlichkeiten........ 196 3.3 Treuhandmodelle......................... 200 3.4 Exkurs: Anfechtbarkeit bzw. Insolvenzfestigkeit von Handlungen des Schuldners bzw. des vorläufigen Sachwalters im Stadium der vorläufigen Eigenverwaltung .......................... 209 4. Insolvenzgeldvorfinanzierung................. 216 5. Fortführungsfinanzierung ....................... 223 6. Umgang mit Steuerverbindlichkeiten und Sozialversicherungsbeiträgen i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung............. 229 6.1 Anfechtungslösung: Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen in anfechtbarer Weise .................. 233 6.2 Kassenführungslösung ................ 237 6.3 Zustimmungsvorbehaltslösung: Besonderer Zustimmungsvorbehalt hinsichtlich Zahlungen an Sozialversicherungsträger und Fiskus.................................... 242 6.4 Hinweise zur Handhabung in der Praxis ................................. 245 7. Vorbereitung von Sanierungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren: Eigensanierung vs. Dual-Track-M&AProzess...................................................... 247 8. Steuerliche Fragen der vorläufigen Eigenverwaltung....................................... 257 V. Weitere vorläufige Maßnahmen nach § 270c Abs. 3 Satz 1 InsO und § 21 InsO .................................................. 259 1. Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO) ........................................................ 266 2. Einstellung der Zwangsvollstreckung (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO) .............. 267 3. (Keine) Vorläufige Postsperre (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 InsO)................... 270 4. Verbot der Verwertung von Aus- und Absonderungsgut (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO i. V. m. § 270c Abs. 3 Satz 1 InsO) ........................................................ 271 5. Sonstige Maßnahmen............................... 275 VI. Auswirkungen der vorläufigen Eigenverwaltung auf laufende Rechtsstreite ............................................ 276 VII. Haftung für Rechtshandlungen des Schuldners in der vorläufigen Eigenverwaltung ..................................... 281 1. Haftung des Schuldners........................... 282 2. Insolvenzrechtliche Haftung der Geschäftsleiter bzw. Vertretungsorgane ..... 283

Hofmann

3.2

87

§4 3.

4.

5.

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren Gesellschaftsrechtliche Haftung nach § 43 GmbHG bzw. §§ 92, 93 AktG und Masseschmälerungshaftung nach § 15b InsO.......................................................... 286 Außenhaftung handelnder Personen wegen Inanspruchnahme besonderen Vertrauens (c. i. c.)................................... 289 Haftung der Geschäftsleiter nach der AO und nach § 823 Abs. 2 BGB, § 266a StGB .............................................. 290

VIII. Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung (§ 270e InsO) ............ 294 1. Voraussetzungen...................................... 295 1.1 Aufhebung von Amts wegen...... 296 1.2 Aufhebung auf Antrag ................ 297 2. Verfahren der Aufhebung nach § 270e InsO und Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters ................................. 298 3. Rechtsmittel ............................................. 302

Literatur: Blankenburg, Reform der Eigenverwaltung durch das SanInsFoG aus gerichtlicher Sicht, ZInsO 2021, 753; Buchalik/Kraus, Die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen im Eigenverwaltungseröffnungsverfahren, ZInsO 2014, 2354; Frind, Neuregelung der Eigenverwaltung gemäß SanInsFoG: Mehr Qualität oder „sanierungsfeindlicher Hürdenlauf“?, ZIP 2021, 171; Frind, Umgang mit sanktionsbewehrten öffentlich-rechtlichen Forderungen in der vorläufigen Eigenverwaltung, ZInsO 2015, 22; Harig/Höfer/Reus, Voraussetzungen und Ablauf eines Eigenverwaltungsverfahrens nach dem SanInsFoG, NZI 2021, 993; Hofmann, Die Haftung der Geschäftsleiter in der Eigenverwaltung der Gesellschaft, ZIP 2018, 1429; Klinck, Die Begründung von Masseverbindlichkeiten im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren nach dem SanInsFoG, ZIP 2021, 1189; Kübler/Rendels, Aspekte des M&A-Prozesses in der (vorläufigen) Eigenverwaltung, ZIP 2018, 1369; Schluck-Amend, Voraussetzungen für die Betriebsfortführung und Absicherung der Vertragspartner durch Begründung von Masseverbindlichkeiten im Eröffnungsverfahren, ZRI 2021, 913; Undritz/Schur, Das Recht des (vorläufigen) Sachwalters zur Kassenführung, ZIP 2016, 549.

I.

Bedeutung des Eröffnungsverfahrens für den Verfahrensverlauf

1 Das Eröffnungsverfahren, also der Zeitraum zwischen Insolvenzantragstellung und der Entscheidung über den Eröffnungsantrag, ist in der Praxis oftmals die entscheidende Phase für Wohl oder Wehe eines insolventen Unternehmens. Die wesentlichen Weichenstellungen für eine Restrukturierung des Unternehmens und den weiteren Verfahrensverlauf können – und müssen zum Teil – unmittelbar nach Insolvenzantragstellung getroffen werden oder werden eben genau in dieser Phase unterlassen. Dies gilt letztlich unabhängig davon, ob eine Restrukturierung über einen Insolvenzplan oder i. R. einer übertragenden Sanierung vollzogen werden soll, und ob das Verfahren durch einen Insolvenzverwalter oder in Eigenverwaltung abgewickelt werden soll. 2 Auch ist bereits unmittelbar nach Verfahrenseinleitung eine an das jeweilige Verfahren angepasste Kommunikation unumgänglich, um den wesentlichen Beteiligten – insbesondere Betriebsrat und Mitarbeitern, Lieferanten und Dienstleistern, Gläubigern und Kunden – Vertrauen in die agierenden Personen und in das Verfahren zu vermitteln (siehe hierzu bereits Frege/Nicht, HRI II, § 2 Rz. 46 ff.). Abhängig von der öffentlichen Bedeutung und Wahrnehmung des Verfahrens wird auch eine Information der (Fach-)Presse oftmals notwendig sein. Die handelnden Personen – Schuldner, Berater, Insolvenzgericht und Sachwalter – sind daher dazu berufen, im Eröffnungsverfahren die Bedeutung der hier getroffenen Entscheidungen sowie die Bedeutung des Unterlassens von Entscheidungen jederzeit zu beachten. II.

Vorläufige Eigenverwaltung im Eröffnungsverfahren

3 Während die InsO bis zum Inkrafttreten des ESUG1) im Jahr 2012 eine vorläufige Eigenverwaltung bzw. die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters nicht vorsah, spielt die vor___________ 1)

88

Vor Inkrafttreten des ESUG war eine „vorläufige Eigenverwaltung“ weder gesetzlich vorgesehen noch anderweitig zugelassen; so z. B. Huhn, Eigenverwaltung, Rz. 517 ff.; ebenso Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 340; für die Möglichkeit der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters bereits vor Inkrafttreten des ESUG Ehricke, ZIP 2002, 782, 786. Vgl. zur Kritik an der damaligen Lücke bzw. am Fehlen einer „vorläufigen Eigenverwaltung“ z. B. Undritz, ZGR 2010, 201, 212; Jung/Wienberg, Kreditwesen 2011, S. 610, 611.

Hofmann

§4

Vorläufige Eigenverwaltung

läufige Eigenverwaltung in der insolvenzrechtlichen Praxis inzwischen eine erhebliche Rolle. Bei der vorläufigen Eigenverwaltung handelte es sich dabei um eines der Kernstücke der Insolvenzrechtsreform des ESUG. Das am 1.1.2021 in Kraft getretene SanInsFoG hat insbesondere den Zugang zur vorläufigen Eigenverwaltung stärker formalisiert (siehe hierzu bereits Neußner, HRI II, § 3 Rz. 67 ff.) und das Regelwerk zur vorläufigen Eigenverwaltung in §§ 270a bis 270e InsO völlig neu geregelt, wobei § 270d InsO nunmehr die Regelungen zum Schutzschirmverfahren enthält, die sich zuvor in § 270b InsO a. F. fanden. Gerade in mittleren und größeren Unternehmensinsolvenzen sind vorläufige und endgül- 4 tige Eigenverwaltung gerade wegen der seit dem ESUG in § 270a InsO vorgesehenen vorläufigen Eigenverwaltung aus der Insolvenz- und Sanierungspraxis nicht mehr wegzudenken. Der vorläufigen Eigenverwaltung kommt daher – auch in Zusammenschau mit dem Schutzschirmverfahren des § 270d InsO als besondere Art der vorläufigen Eigenverwaltung – erhebliche Bedeutung für den Verlauf des gesamten Eigenverwaltungs- bzw. Insolvenzverfahrens zu, zumal gerade im Eröffnungsverfahren die „Weichen“ des Verfahrens gestellt werden. §§ 270b, 270c InsO normieren für den Fall eines Eigenverwaltungsantrags bei Vorlage einer 5 hinreichenden Eigenverwaltungsplanung i. S. von § 270a Abs. 1 InsO die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters sowie den Verzicht auf umfassende Verfügungsbeschränkungen als Regelfall, wobei sich letzteres aus einem Umkehrschluss aus § 270c Abs. 3 Satz 2 InsO ergibt. Die in §§ 270a, 270b InsO vorgesehenen Regelungen zum Zugang zur vorläufigen Eigen- 6 verwaltung zielen dabei auf einen sinnvollen Ausgleich zwischen den Interessen des antragstellenden Schuldners einerseits und den Interessen der nach § 1 Satz 1 InsO im Fokus des Verfahrens stehenden Gläubiger andererseits unter besonderer Berücksichtigung der Interessenlagen im Eröffnungsverfahren ab. Trotz aller gesetzgeberischen Anreize für eine Eigensanierung bleibt gerade auch in Eigenverwaltungsfällen die bestmögliche gemeinschaftliche Gläubigerbefriedigung das von § 1 InsO vorgegebene Kernziel des Insolvenzverfahrens. Folgerichtig knüpft der Gesetzgeber daher gerade in Zweifelsfällen und auch im Bereich der Aufhebungsgründe an die Prüfung an, ob „der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubiger auszurichten“ (vgl. z. B. § 270b Abs. 2 InsO oder § 270e Abs. 1 Nr. 1 InsO). Andererseits soll die mit dem SanInsFoG erfolgte Neuregelung der Zugangsvoraussetzun- 7 gen in §§ 270a, 270b InsO die zuvor mit Blick auf die teils schwer prognostizierbare Nachteilsprognose (vgl. § 270 Abs. 1 Nr. 2 InsO a. F.) bestehenden Rechtsunsicherheiten vermeiden; dem Schuldner soll durch die neuen Zugangsregelungen eine „rechts- und planungssichere Option für den Zugang zum Verfahren“ der Eigenverwaltung geboten werden.2) Die neuen Zugangshürden werden nach der Einschätzung und den ersten Erfahrungen des Verfassers sicherlich dafür sorgen, dass völlig unzureichend vorbereitete Eigenverwaltungsanträge der Vergangenheit angehören, wobei derartigen Konstellationen auch vor Inkrafttreten des SanInsFoG in aller Regel beizukommen war. Ob das Ziel des Gesetzgebers, mehr Planungs- und Rechtssicherheit für Unternehmen in der Krise zu schaffen, erreicht wurde, bleibt gleichwohl abzuwarten, da die dem Gericht i. R. des § 270b Abs. 1 InsO auferlegte Schlüssigkeitsprüfung ggf. auch zum Einfallstor für neue, weiterhin uneinheitliche Standards werden könnte. 1.

Wesen der vorläufigen Eigenverwaltung

Bei der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters steht der Sicherungscharakter der 8 gerichtlichen Anordnung im Vordergrund, so dass in aller Regel auch Verfügungsbeschrän___________ 2)

Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 202.

Hofmann

89

§4

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

kungen gegen den Insolvenzschuldner angeordnet werden. Damit werden bestimmte, einzelne Wirkungen der Verfahrenseröffnung bereits in das Eröffnungsverfahren verlagert. 9 Demgegenüber will die aus der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters folgende, in §§ 270b, 270c InsO vorgesehene vorläufige Eigenverwaltung letztlich insbesondere den Weg zu einer späteren Anordnung der Eigenverwaltung i. R. der Verfahrenseröffnung ebnen. Im Vordergrund steht letztlich der Fortbestand der Verfügungsbefugnis des Schuldners unter der Aufsicht eines (vorläufigen) Sachwalters. Dies ist insbesondere bei der Klärung der Rechte und Pflichten von Schuldner und vorläufigem Sachwalter und auch bei der Frage nach der Zulässigkeit weiterer Sicherungsmaßnahmen zu beachten. 2.

Voraussetzungen der vorläufigen Eigenverwaltung

10 In formeller Hinsicht setzt die vorläufige Eigenverwaltung bzw. – wie die InsO inzwischen die „vorläufige Eigenverwaltung“ auch in § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO definiert – die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters, 

die Stellung eines Insolvenzantrags und zudem



die Beantragung der Anordnung der Eigenverwaltung voraus.

11 Zudem hat das Gericht gemäß § 270b Abs. 1 InsO die Eigenverwaltungsplanung des § 270a InsO auf Vollständigkeit und Schlüssigkeit sowie dahingehend zu prüfen, ob sie in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruht; in den Fällen des § 270b Abs. 2 InsO prüft das Gericht zudem, ob trotz festgestellter abstrakter Negativmerkmale zu erwarten ist, dass der Schuldner seine Geschäftsführung und die Abwicklung des Verfahrens an den Gläubigerinteressen ausrichten wird (siehe hierzu umfassend Neußner, HRI II, § 3 Rz. 91 ff.). 3.

Bestellung eines vorläufigen Sachwalters

12 Bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen sieht § 270b Abs. 1, Abs. 2 InsO die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters vor, wobei diese Bestellung des vorläufigen Sachwalters in § 270a Abs. 1 InsO ausdrücklich als „vorläufige Eigenverwaltung“ definiert wird. Der gerichtlichen Bestellungsentscheidung kommt damit in zweierlei Hinsicht grundlegende Bedeutung zu: zum einen hinsichtlich der gerichtlichen Entscheidung über die Verfahrensart für das Eröffnungsverfahren, und zum anderen natürlich hinsichtlich der Person des vorläufigen Sachwalters. 3.1

Anforderungen an den vorläufigen Sachwalter

13 Für die Anforderungen an die Person des vorläufigen Sachwalters gelten über § 270b Abs. 1 Satz 1 und § 274 Abs. 1 InsO die Regelungen des § 56 InsO für den Insolvenzverwalter. Demnach ist zum (vorläufigen) Sachwalter eine „für den jeweiligen Einzelfall geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige natürliche Person zu bestellen.“ 14 Das Amt des (vorläufigen) Sachwalters stellt an seinen Inhaber ähnliche Anforderungen wie das Amt des Insolvenzverwalters im Regelinsolvenzverfahren. 15 Für die Eignung des (vorläufigen) Sachwalters gelten damit die vielfältigen Ausführungen betreffend die Auswahl des Insolvenzverwalters entsprechend: So sind im konkreten Fall insbesondere organisatorische oder fachliche Anforderungen an die Durchführung des jeweiligen Insolvenzverfahrens zu berücksichtigen, wie bspw. besondere Sprachkenntnisse bei Verfahren mit Auslandsbezug, Branchenkenntnisse oder Kenntnisse in speziellen, einschlä-

90

Hofmann

§4

Vorläufige Eigenverwaltung

gigen Rechtsgebieten.3) Auch die aktuelle Auslastung des in Betracht kommenden vorläufigen Sachwalters und seiner Kanzlei können für dessen Eignung eine gewichtige Rolle spielen, da gerade die Begleitung von Betriebsfortführungen – auch i. R. vorläufiger Eigenverwaltung – entsprechende personelle Kapazitäten in der Kanzlei des Sachwalters voraussetzt.4) Daneben kommt aus Sicht des Verfassers insbesondere der Persönlichkeit des Sachwalters 16 erhebliche Bedeutung zu. Gerade das Amt des (vorläufigen) Sachwalters erfordert die Fähigkeit, vermittelnd auf die Beteiligten einzuwirken, einerseits auf den unter seiner Aufsicht agierenden Schuldner und andererseits auf die Gläubiger bzw. ggf. verschiedene Gläubigergruppen. Insolvenzverwalter, die für eine kooperative und kommunikative Ausübung des Verwalteramts bekannt sind, dürften sich daher eher für das Amt des (vorläufigen) Sachwalters eignen als Verwalter, deren Arbeitsstil eher autoritär geprägt ist.5) Unerlässlich ist insoweit jedenfalls ein hinreichendes Rollenverständnis betreffend die Rolle des (vorläufigen) Sachwalters, die sich naturgemäß erheblich von derjenigen eines (vorläufigen) Insolvenzverwalters unterscheidet.6) Hinsichtlich der Unabhängigkeit sind an die Person des (vorläufigen) Sachwalters dieselben 17 hohen Maßstäbe anzulegen wie an die Person des Insolvenzverwalters.7) Dies gilt auch dann, wenn eine Person von Schuldner, Gläubigern oder ggf. auch einstimmig von einem vorläufigen Gläubigerausschuss vorgeschlagen wird. Ungeeignet sind damit insbesondere Personen, die in der Vergangenheit anwaltlich oder gutachterlich für den Schuldner tätig waren8) oder die einer Anwaltssozietät angehören, die laufend Mandate eines Großgläubigers erhält.9) Gerade im Falle früherer bzw. aktueller Tätigkeit für Schuldner und/oder Großgläubiger sind insbesondere deren Dauer, deren Aktualität und deren wirtschaftliche Bedeutung für die vorgeschlagene Person zu berücksichtigen.10) Auch dauerhafte Geschäftsbeziehungen bzw. Kooperationen zwischen Beratern und Sachwaltern können Zweifel an der Unabhängigkeit des (vorläufigen) Sachwalters begründen.11) Hatte der Schuldner im Vorfeld des Insolvenzverfahrens eine Restrukturierungssache nach 18 dem StaRUG eingeleitet, so lässt § 56 Abs. 1 Satz 2 InsO (i. V. m. §§ 270b Abs. 1 Satz 1, 274 Abs. 1 InsO) eine Bestellung einer zuvor als Restrukturierungsbeauftragter oder Sanierungsmoderator tätigen Person zum vorläufigen Sachwalter ausdrücklich zu, sofern der vorläufige Gläubigerausschuss zustimmt. Liegen die Voraussetzungen des § 22a Abs. 1 ___________ 3) Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, §§ 56, 56a Rz. 83. 4) Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, §§ 56, 56a Rz. 83. 5) Insoweit ist freilich zu berücksichtigen, dass ein großer Teil der berufsmäßigen Insolvenzverwalter – gerade bei Betriebsfortführungen und Sanierungsversuchen – bereits jetzt einen kooperativen Stil pflegt. Dass im Einzelfall auch die Autorität des Verwalteramts auszuspielen ist, darf hier nicht den falschen Schluss auf einen autoritären Arbeitsstil zur Folge haben. Bei entsprechenden Bewertungen der Arbeitsweise von Insolvenzverwaltern und Sachwaltern ist daher Vorsicht geboten. 6) Vgl. hierzu auch Paulus/Hörmann, NZI 2013, 623, 629, sowie BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 1592, 1598, dazu EWiR 2016, 499 (J. Beck) wonach zu den Aufgaben des (vorl.) Sachwalters insbesondere auch die beratende Begleitung der Eigenverwaltung gehört. 7) Hofmann, NZI 2010, 798, 803. 8) Lüke in: KPB, InsO, § 56 Rz. 49b – 49d (auch für Fälle langjähriger Beratung oder vorinsolvenzlicher Sanierungsversuche); Bork, ZIP 2006, 58 f. 9) Vgl. BGH v. 22.4.2004 – IX ZB 154/03, ZIP 2004, 1113, 1114, dazu EWiR 2004, 925 (Berg-Grünewald/ Keller). 10) Muscheler/Bloch, ZIP 2000, 1474, 1479; ebenso wohl BGH v. 22.4.2004 – IX ZB 154/03, ZIP 2004, 1113, 1114. 11) Zutreffend insoweit auch AG Stendal v. 31.8.2012 – 7 IN 164/12, ZIP 2012, 1875, dazu EWiR 2012, 705 (Schulte-Kaubrügger), zu einem Fall umfangreicher Geschäftsbeziehungen zwischen dem dort vorgeschlagenen Sachwalter und dem zum Sanierungsgeschäftsführer bzw. CRO berufenen Berater.

Hofmann

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§4

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

InsO nicht vor, so dass kein vorläufiger Gläubigerausschuss zu bestellen ist, so liegt die Entscheidung, den früheren Restrukturierungsbeauftragten oder Sanierungsmoderator zum vorläufigen Sachwalter bestellen, nach der Gesetzesbegründung allein in den Händen des Insolvenzgerichts.12) Nach der zutreffenden Einschätzung des Gesetzgebers ist der Weg in die Eigenverwaltung nach einer vorangegangenen Restrukturierungssache in vielen Fällen vergleichbar mit dem Wechsel von einem Eigenverwaltungs- in ein Regelinsolvenzverfahren, wobei insoweit § 272 Abs. 3 InsO die Bestellung des bisherigen Sachwalters zum Insolvenzverwalter zulässt, was in der Praxis auch die Regel darstellt; insbesondere in Fällen, in denen das Scheitern einer Restrukturierung nach dem StaRUG von Faktoren abhängt, die nicht in der Sphäre des Restrukturierungsbeauftragten liegen, besteht letztlich kein Anlass für eine Annahme von Interessenkonflikten, so dass in der Praxis die Bestellung des bisherigen Restrukturierungsbeauftragten zum (vorläufigen) Sachwalter durchaus den Regelfall darstellen dürfte.13) Die Entscheidung hierüber liegt nach dem ausdrücklichen Willen gleichwohl allein in den Händen des vorläufigen Gläubigerausschusses bzw. des Insolvenzgerichts.14) 3.2

Vorschläge des Schuldners bzw. von Gläubigern

19 Wie § 56 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 InsO klarstellt, wird die erforderliche Unabhängigkeit einer als Insolvenzverwalter vorgeschlagenen Person nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass die Person vom Schuldner oder von einem Gläubiger vorgeschlagen worden ist.15) Dies gilt nicht nur für die Person des (vorläufigen) Insolvenzverwalters, sondern über § 270b Abs. 1 Satz 1, § 274 Abs. 1 InsO auch für den (vorläufigen) Sachwalter. Vorschläge zur Person des zu bestellenden (vorläufigen) Insolvenzverwalters bzw. Sachwalters sind somit von § 56 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 InsO ausdrücklich zugelassen. 20 Im Grundsatz ist das Insolvenzgericht an Vorschläge des Schuldners bzw. einzelner Gläubiger zur Person des vorläufigen Sachwalters nicht gebunden. Lediglich im Fall des Schutzschirmverfahrens sieht § 270d Abs. 2 Satz 3 InsO eine beschränkte Bindung des Gerichts an den Vorschlag des Schuldners vor (siehe hierzu Koch/Jung, HRI II, § 5 Rz. 131 ff.). Demnach kann das Gericht in diesem Fall nur bei offensichtlicher Nichteignung der vorgeschlagenen Person von dem Vorschlag abweichen, was es zudem zu begründen hat. Insoweit hat das Gericht auch i. R. von § 270d Abs. 2 Satz 3 InsO das Vorliegen der Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 InsO, insbesondere die Eignung und die Unabhängigkeit der vorgeschlagenen Person, zu prüfen. 21 Offensichtlich ungeeignet i. S. von § 270d Abs. 2 Satz 3 InsO kann ein vorgeschlagener (vorläufiger) Sachwalter insbesondere in folgenden Fällen sein: 

Fehlen jeglicher praktischer Erfahrung als Sachwalter bzw. Insolvenzverwalter in Unternehmensinsolvenzverfahren;



insolvenzrechtliche Beratung bzw. Sanierungsberatung des Schuldners im Vorfeld des Insolvenzantrags.

___________ 12) 13) 14) 15)

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Begr. RegE-SanInsFoG z. Nr. 13 (Änderung von § 56 InsO), BT-Drucks. 19/24181, S. 197. Ähnlich Begr. RegE-SanInsFoG z. Nr. 13 (Änderung von § 56 InsO), BT-Drucks. 19/24181, S. 197. Begr. RegE-SanInsFoG z. Nr. 13 (Änderung von § 56 InsO), BT-Drucks. 19/24181, S. 197. Während in Rspr. und Literatur auch vor Inkrafttreten des ESUG bereits anerkannt war, dass allein der Umstand, dass eine Person von einem Gläubiger oder vom Schuldner als (vorläufiger) Insolvenzverwalter vorgeschlagen worden wurde, keine indiziellen Zweifel an der Unabhängigkeit der vorgeschlagenen Person begründete, bestanden in der insolvenzgerichtlichen Praxis teils feststellbare Vorbehalte gegenüber vorgeschlagenen Insolvenzverwaltern, was letztlich Hintergrund der gesetzlichen Klarstellung war; vgl. hierzu auch Begr. RegE ESUG z. Nr. 8 (Änderung von § 56 InsO), BT-Drucks. 17/5712, S. 26.

Hofmann

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Vorläufige Eigenverwaltung

Wollen Schuldner oder Gläubiger die Auswahl des vorläufigen Sachwalters i. R. ihres Vor- 22 schlagsrechts beeinflussen, ist ihnen bzw. ihren Beratern aus Sicht des Verfassers Folgendes anzuraten: Die Eignung des vorgeschlagenen vorläufigen Sachwalters sollte – soweit sie nicht gerichts- 23 bekannt ist – kurz begründet werden. Die Unabhängigkeit vorgeschlagener Personen sollte hohen Anforderungen genügen. Im 24 Vorfeld getroffene Absprachen zwischen dem vorgeschlagenen Sachwalter und dem Schuldner bzw. einzelnen Gläubigern bzw. der bloße Eindruck des Bestehens entsprechender Absprachen verringern nicht nur die Chancen, dass die vorgeschlagene Person bestellt wird, sondern vernichten zudem wichtiges Vertrauen in die agierenden Personen, das sowohl seitens des Gerichts als auch seitens der weiteren Verfahrensbeteiligten benötigt wird. Frühere (anwaltliche) Berater scheiden als vorläufige Sachwalter somit aus; dies gilt insbesondere auch für den Ersteller eines sog. Pre-Packaged-Insolvenzplans, selbst wenn dieser unter Einbindung der wesentlichen Gläubiger vorbereitet wurde.16) Auch zu enge bzw. zu dauerhafte Geschäftsverbindungen bzw. Kooperationen zwischen Beratern des Schuldners und dem vorgeschlagenen Sachwalter gilt es zu vermeiden;17) auch hierdurch kann das Vertrauen des Gerichts und der Gläubiger in eine transparente und unabhängige Erfüllung der Aufgaben des (vorläufigen) Sachwalters gefährdet sein. Vorschläge zur Person des vorläufigen Sachwalters sollten zudem berücksichtigen, dass die 25 Entscheidung über die Person des vorläufigen Sachwalters – auch angesichts der in § 56a InsO vorgesehenen Gläubigerbeteiligung und der Bindung an nicht offensichtlich ungeeignete Vorschläge gemäß § 270d Abs. 2 Satz 3 InsO – letztlich vom Insolvenzgericht zu treffen ist. Da der zuständige Richter für seine Entscheidung – ggf. auch unter Amtshaftungsgesichtspunkten – verantwortlich bleibt, wird er einem Vorschlag umso eher folgen, als er der vorgeschlagenen Person Vertrauen entgegenbringt. Besonders geeignet als vorgeschlagene Sachwalter sind somit Personen, die bei dem zuständigen Gericht auch zuvor bereits als Insolvenzverwalter bzw. Sachwalter bestellt wurden und vor diesem Hintergrund offensichtlich das Vertrauen des Gerichts genießen.18) Personen, die beim zuständigen Insolvenzgericht nicht in die Vorauswahlliste i. S. von § 56 26 Abs. 1 Satz 1 a. E. InsO eingetragen sind, sollten aus Sicht des Verfassers nur in begründbaren Einzelfällen19) vorgeschlagen werden, da insoweit die Gefahr besteht, dass die vorgeschlagene Person – mangels Erfüllung der Voraussetzungen gemäß § 270b Abs. 1 Satz 1, § 274 Abs. 1, § 56 Abs. 1 Satz 1 a. E. InsO – als ungeeignet nicht bestellt wird. Ob eine entsprechend begründete Ablehnung einer vorgeschlagenen Person – gerade in mittelgroßen und großen Verfahren – vom Willen des Gesetzgebers, das Vorschlagsrecht zu stärken, ___________ 16) Während der RegE ESUG in § 56 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 InsO-E noch vorgesehen hatte, dass die Erstellung eines Insolvenzplans unter Einbindung von Schuldner und Gläubigern die Unabhängigkeit des Planerstellers nicht per se ausschließt, wurde die entsprechende Regelung nach Beratung im Rechtsausschuss – m. E. zu Recht – fallengelassen. 17) Vgl. hierzu z. B. AG Stendal v. 31.8.2012 – 7 IN 164/12, ZIP 2012, 1875, dazu EWiR 2012, 705 (SchulteKaubrügger). 18) Im Internet finden sich Datenbanken, in denen die Bestellungspraxis der Insolvenzgerichte statistisch erhoben wird. Die (jüngere) Bestellungspraxis der einzelnen Insolvenzgerichte kann bspw. auf der Internetseite www.indat.info der WBDat GmbH, Köln, oder auf der Internetseite www.insolvenz-portal.de der STP Portal GmbH, Karlsruhe, recherchiert werden. Zudem kann insoweit auch auf die regelmäßig erscheinenden Statistikhefte des INDat-Reports zurückgegriffen werden, welche ebenfalls einen guten Überblick über die Akzeptanz von Verwaltern und Kanzleien seitens einzelner Gerichte bieten. 19) Als Beispiel dürfte ein großes Insolvenzverfahren im Zuständigkeitsbereich eines kleineren Insolvenzgerichts zu nennen sein, bei dem kein für Verfahren dieser Größenordnung geeigneter Insolvenzverwalter „gelistet“ ist.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

gedeckt wäre, bleibt bis zu ersten judikativen Auseinandersetzungen mit dieser Frage zunächst offen. 27 In der Praxis der Verfahrensvorbereitung erscheint insoweit eine rechtzeitige Kontaktaufnahme mit dem Insolvenzgericht bereits im Vorfeld der eigentlichen Antragstellung sinnvoll, um entsprechende Anforderungen, die das Gericht im Einzelfall an die Person des (vorläufigen) Sachwalters stellt, in Erfahrung zu bringen. Gegebenenfalls können auch mögliche Vorschläge hinsichtlich der Person des (vorläufigen) Sachwalters bereits mit dem Gericht abgestimmt werden. Den nötigen Rahmen für entsprechende Abstimmungen mit dem Gericht bietet insoweit seit Inkrafttreten des SanInsFoG das Vorgespräch gemäß § 10a InsO. 3.3

Auswahlverfahren und Gläubigerbeteiligung

28 Unabhängig von möglichen Vorschlägen zur Person des (vorläufigen) Sachwalters erfolgt die Auswahl des vorläufigen Sachwalters letztlich durch das zuständige Insolvenzgericht, dem insoweit ein weites Auswahlermessen zusteht.20) Dabei ist freilich zu berücksichtigen, dass der Ermessensspielraum des Insolvenzgerichts in Fällen einstimmiger Vorschläge des vorläufigen Gläubigerausschusses (§ 56a Abs. 2 Satz 1 InsO) und im Fall von Vorschlägen des Schuldners im Schutzschirmverfahren (§ 270d Abs. 2 Satz 3 InsO) eingeschränkt ist. 29 Insbesondere gilt für die Auswahl des vorläufigen Sachwalters durch das Insolvenzgericht über die Verweise der §§ 270b Abs. 1 Satz 1, 274 Abs. 1 InsO auch das in § 56a InsO geregelte Verfahren der Gläubigerbeteiligung in Gestalt eines vorläufigen Gläubigerausschusses. Demnach ist einem bereits bestellten vorläufigen Gläubigerausschuss gemäß § 56a Abs. 1 InsO Gelegenheit zur Äußerung zu den Anforderungen an den (vorläufigen) Sachwalter im konkreten Einzelfall sowie zur Person des (vorläufigen) Sachwalters zu geben; hiervon kann und muss gemäß § 56a Abs. 1 a. E. InsO dann abgesehen werden, wenn dies offensichtlich zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage des Schuldners führen würde. In Fällen, in denen die Insolvenzantragstellung bereits öffentlich oder gegenüber wichtigen Geschäftspartnern bekannt geworden ist, wird regelmäßig ein Zuwarten mit der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters bestehende Fortführungs- und Sanierungsmöglichkeiten beeinträchtigen, so dass insoweit eine nachteilige Veränderung der Vermögenslage zu besorgen ist.21) In derartigen Fällen, kommt daher eine Anhörung eines vorläufigen Gläubigerausschusses nur dann in Betracht, wenn sie innerhalb weniger Stunden erfolgen kann. 30 Schlägt der vorläufige Gläubigerausschuss einstimmig eine Person als vorläufigen Sachwalter vor, so darf das Insolvenzgericht hiervon gemäß § 56a Abs. 2 InsO nur abweichen, wenn die vorgeschlagene Person ungeeignet ist.22) Hat das Insolvenzgericht gemäß § 56a Abs. 1 a. E. InsO wegen der Eilbedürftigkeit der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters von einer Anhörung des vorläufigen Gläubigerausschusses abgesehen, so hat das Gericht dies gemäß § 56a Abs. 3 Satz 1 InsO schriftlich zu begründen. Der vorläufige Gläubigerausschuss kann in diesem Fall gemäß § 56a Abs. 3 Satz 2 InsO in seiner ersten Sitzung einstimmig eine andere Person als die bestellte zum vorläufigen Sachwalter wählen. In analoger Anwendung von § 56a Abs. 2 Satz 1, § 57 Satz 2 InsO hat das Gericht die gewählte Person zum vorläufigen Sachwalter zu bestellen, sofern diese nicht ungeeignet zur Übernahme des Amts ist. ___________ 20) Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, §§ 56, 56a Rz. 82. 21) Ebenso bereits Hofmann, NZI 2010, 798, 803. 22) Eine „einfache“ Nichteignung der vorgeschlagenen Person genügt im Zusammenhang mit dem Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses gemäß § 56a Abs. 2 InsO, während eine Ablehnung des vom Schuldner im Fall des Schutzschirmverfahrens gemäß § 270d InsO vorgeschlagenen Sachwalters nur im Fall offensichtlicher Nichteignung in Betracht kommt (vgl. § 270d Abs. 2 Satz 3 InsO).

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Vorläufige Eigenverwaltung

Eine Anfechtung der Nichtbestellung des vorgeschlagenen vorläufigen Sachwalters findet 31 nicht statt, da eine sofortige Beschwerde in § 56a InsO – anders als z. B. im Fall des § 57 InsO (vgl. Satz 3 der Vorschrift) – gerade nicht zugelassen wurde.23) III.

Stellung von Schuldner und vorläufigem Sachwalter nach § 270a InsO

Für die Praxis der „vorläufigen Eigenverwaltung“ spielen v. a. die Aufgabenstellung der maß- 32 gebenden Personen, d. h. des Schuldners und des vorläufigen Sachwalters, und die zwischen diesen bestehende Kompetenzverteilung eine bedeutende Rolle. 1.

Grundlagen der Aufgabenverteilung zwischen Schuldner und vorläufigem Sachwalter

Die Aufgabenverteilung zwischen Schuldner und vorläufigem Sachwalter im Eröffnungs- 33 verfahren orientiert sich maßgeblich an derjenigen zwischen Schuldner und Sachwalter im eröffneten Verfahren bei Anordnung von Eigenverwaltung gemäß §§ 270, 270f InsO. Dies ergibt sich maßgeblich vor allem aus dem Verweis des § 270b Abs. 1 InsO auf die für den (endgültigen) Sachwalter vorgesehenen Regelungen der §§ 274, 275 InsO zu dessen Rechtsstellung und Kompetenzen. Der Schuldner führt hierbei die laufenden Geschäfte führt, während der (vorläufige) Sachwalter die Geschäftsführung kontrolliert, unterstützt und beratend begleitet sowie die Aufgaben übernimmt, die dem Insolvenzverwalter in erster Linie im Interesse der Gläubiger übertragen sind.24) Das Amt des vorläufigen Sachwalters ist – wie dasjenige des Sachwalters im eröffneten In- 34 solvenzverfahren – maßgeblich geprägt von der Aufsichtspflicht des § 274 Abs. 2 Satz 1 InsO. Ähnlich dem – in der Praxis kaum üblichen – isolierten vorläufigen Insolvenzverwalter ohne Anordnung flankierender Verfügungsbeschränkungen hat der vorläufige Sachwalter hierbei im Grundsatz25) keinerlei Möglichkeiten, den Schuldner in seiner Verfügungsbefugnis zu beschränken. Hinter den gemäß § 24 Abs. 1, §§ 81, 82 InsO dinglich wirkenden Befugnissen eines schwachen oder gar eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters bleibt die Rechtsstellung des vorläufigen Sachwalters somit deutlich zurück. Dies ist gerade in Zusammenhang mit der Kompetenzverteilung zwischen Schuldner und vorläufigem Sachwalter stets zu berücksichtigen. 2.

Stellung des Schuldners in der vorläufigen Eigenverwaltung

2.1

Verfügungsmacht des Schuldners

Die dogmatische Begründung der Verfügungsmacht des Schuldners nach Anordnung der 35 Eigenverwaltung im eröffneten Insolvenzverfahren ist bereits seit Inkrafttreten der InsO Gegenstand verschiedener Literaturmeinungen. Nach zutreffender h. M. handelt der Schuldner i. R. einer Eigenverwaltung im Insolvenzverfahren nicht auf Grundlage seiner ureigenen, ihm belassenen Verfügungsmacht,26) sondern vielmehr als Amtswalter in eigenen Angelegenheiten.27) Für das eröffnete Insolvenzverfahren lässt sich diese zutreffende Auffassung mit den vielfachen, insolvenzrechtlich geprägten Befugnissen des Schuldners, z. B. dem von ___________ 23) Auch eine Zulassung der sofortigen Beschwerde in analoger Anwendung von § 57 Satz 3 InsO kommt nach Auffassung des Verfassers nicht in Betracht, da zum einen keine unbewusste Regelungslücke vorliegen dürfte und zum anderen die Fälle des § 56a Abs. 2, 3 InsO nicht mit der nicht umgesetzten Verwalterneuwahl durch die erste Gläubigerversammlung vergleichbar sind. 24) So ausdrücklich Begr. RegE-SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 208. 25) Ausnahmen gelten nur für in besonderen Fällen zulässige Zustimmungsvorbehalte, s. unten Rz. 151 ff. 26) So aber Huhn, Eigenverwaltung, Rz. 603. 27) BGH v. 22.11.2018 – IX ZR 167/16, ZIP 2018, 2488, 2489; ebenso bereits Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 49 m. w. N.

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ihm auszuübenden Erfüllungsablehnungswahlrecht gemäß § 103 Abs. 2 InsO, und durch den gerichtlichen Anordnungsakt begründen.28) 36 Demgegenüber findet im Eröffnungsverfahren gerade keine Anordnung einer vorläufigen Eigenverwaltung statt, auf welche sich eine besondere, insolvenzrechtlich geprägte Verfügungsmacht des Schuldners stützen könnte. Auch hat der Schuldner im Eröffnungsverfahren nach Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters keine über seine bisherige Rechtsmacht hinausgehenden Rechte, die letztlich eine insolvenzrechtliche Rechtsmachtzuweisung erfordern würden. Dem Schuldner steht daher i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung – anders als bei angeordneter Eigenverwaltung im eröffneten Verfahren – die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis aus eigenem Recht, d. h. aufgrund seiner Privatautonomie, zu.29) Die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters gemäß § 270b InsO begründet demnach letztlich nicht neue Verfügungsmacht eigener Art; vielmehr beinhaltet die vorläufige Eigenverwaltung letztlich nur – vorbehaltlich zusätzlicher Anordnungen – den Verzicht auf insolvenzrechtliche Beschränkungen der Verfügungsmacht. 2.2

Insolvenzgerichtliche Beschränkungen und Erweiterungen der Verfügungsmacht des Schuldners

37 Ausgehend hiervon kommen insolvenzrechtliche Beschränkungen oder Erweiterungen der Verfügungsmacht des Schuldners letztlich nur in Fällen entsprechender gerichtlicher Anordnungen in Betracht. Einschränkungen kann die Verfügungsbefugnis des Schuldners im Fall von Zustimmungsvorbehalten erfahren, die in § 270b Abs. 2 Satz 2 InsO teils ausdrücklich vorgesehen, aber in beschränktem Umfang auch in anderen Fällen zulässig sind (siehe hierzu ausführlich Rz. 144 ff.). Erweitert wird die Rechtsstellung des Schuldners insbesondere durch die nunmehr in § 270c Abs. 4 InsO vorgesehene Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten (siehe hierzu ausführlich Rz. 161 ff.). Der Begründung von Masseverbindlichkeiten kommt dabei vor allem i. R. der Fortführung insolventer Betriebe erhebliche Bedeutung zu. 2.3

Mitteilungspflicht nach § 270c Abs. 2 InsO bei wesentlichen Änderungen der Eigenverwaltungsplanung

38 Seit Inkrafttreten des SanInsFoG verpflichtet § 270c Abs. 2 InsO den Schuldner, dem Insolvenzgericht und dem vorläufigen Sachwalter wesentliche Änderungen mitzuteilen, welche die Eigenverwaltungsplanung betreffen. Ziel der mit dem SanInsFoG geschaffenen Neuregelung ist es, das Gericht und den vorläufigen Sachwalter in die Lage zu versetzen, über eine Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270e InsO bzw. ein Hinwirken hierauf zu entscheiden.30) 39 Da die Eigenverwaltungsplanung gemäß § 270a Abs. 1 InsO mehrere Elemente umfasst, greift die Mitteilungspflicht nicht nur in Fällen, in denen sich die Zahlen der Finanzplanung des § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO infolge der Entwicklungen während der vorläufigen Eigenverwaltung ändern, sondern insbesondere auch in Fällen, in denen sich das Verfahrensdurchführungskonzept (§ 270a Abs. 1 Nr. 2 InsO) und damit die Verfahrensstrategie oder auch der Kostenvergleich zum Regelinsolvenzverfahren (§ 270a Abs. 1 Nr. 5 InsO) ändern. 40 Wenngleich die Mitteilungspflicht des § 270c Abs. 2 InsO nur für wesentliche Änderungen greift, empfiehlt es sich, insbesondere den vorläufigen Sachwalter zur Ermöglichung einer hinreichenden Aufsicht gemäß § 274 Abs. 2 InsO (i. V. m. § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO) über ___________ 28) Vgl. Kern in: MünchKomm-InsO, § 270 Rz. 141. 29) Ebenso BGH v. 22.11.2018 – IX ZR 167/16, ZIP 2018, 2488, 2489. 30) So ausdrücklich Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 206.

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Vorläufige Eigenverwaltung

jegliche Änderung unterrichtet zu halten. Auf diesem Wege können der Schuldner und seine Berater auch Zweifelsfälle in Rücksprache mit dem vorläufigen Sachwalter klären, um zu entscheiden, ob eine wesentliche Änderung vorliegt. Zugleich kann auf diesem Weg einem etwaigen späteren Streit über die Wesentlichkeit einer Änderung und damit einem Vorwurf der Verletzung der Pflicht des § 270c Abs. 2 InsO vorgebeugt werden. Die Art und Weise der Mitteilung des § 270c Abs. 2 InsO ist gesetzlich nicht geregelt. 41 Die entsprechende Mitteilung an den vorläufigen Sachwalter wird in der Praxis vielfach i. R. der laufenden Berichterstattung und des laufenden Austauschs zwischen Schuldner, Beratern und vorläufigem Sachwalter mündlich oder anhand des Austauschs von Unterlagen, z. B. wöchentlich aktualisierten Finanzplanungen, erfolgen; gleichwohl sollte gerade auf gravierende Änderungen insoweit ausdrücklich hingewiesen werden, um ein Übersehen entsprechender Änderungen zu vermeiden. Wenngleich auch für das Gericht keine besondere Form vorgesehen ist, empfiehlt sich bereits 42 zu Dokumentationszwecken eine schriftliche Mitteilung an das Insolvenzgericht; zugleich erscheint es äußerst empfehlenswert, die Mitteilung der wesentlichen Änderungen um die Hintergründe der entsprechenden Änderungen sowie ggf. eingeleitete Maßnahmen zur Beseitigung möglicher Risiken zu ergänzen, um hierdurch dem Insolvenzgericht ausreichende Informationen zu verschaffen, welche belegen, dass der Schuldner die Verfahrensabwicklung weiterhin am Interesse der Gläubiger ausrichten wird. Insbesondere bei Änderungen der Verfahrensstrategie – im Extremfall bei der Änderung des Verfahrensziels weg von einem zunächst beabsichtigten Insolvenzplan hin zu einer Abwicklung des Unternehmens – sollten die Ausführungen hierbei so ausführlich sein, dass sich das Gericht auch ein Bild davon machen kann, ob die (vorläufige) Eigenverwaltung weiterhin den Interessen der Gläubiger entspricht. Betreffen die wesentlichen Änderungen den Finanzplan gemäß § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO, 43 sollte zudem ein aktualisierter Finanzplan vorgelegt werden. Dieser bildet – sofern nicht ggf. wegen der Mitteilung der Änderungen eine Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270e InsO erfolgt – künftig die Grundlage für Entscheidungen des Insolvenzgerichts über Einzelermächtigungen gemäß § 270c Abs. 4 Satz 1 InsO (siehe hierzu Rz. 164). Die vom Schuldner gemäß § 270c Abs. 3 InsO mitgeteilten Änderungen der Eigenver- 44 waltungsplanung sind vom Gericht nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern i. R. einer entsprechenden Prüfung des Insolvenzgerichts dahingehend zu würdigen, ob die Eigenverwaltungsplanung unter Berücksichtigung der mitgeteilten Änderungen weiterhin die Anforderungen des § 270b Abs. 1 InsO erfüllt. Insbesondere muss das Gericht von der Vollständigkeit und Schlüssigkeit der geänderten Eigenverwaltungsplanung ausgehen (vgl. § 270b Abs. 1 Nr. 1 InsO) und es dürfen keine Tatsachen bekannt sein, aus denen sich ergibt, dass die geänderte Eigenverwaltungsplanung in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruht (vgl. § 270b Abs. 1 Nr. 2 InsO). Gelangt das Gericht i. R. seiner Prüfung zu der Einschätzung, dass die Voraussetzungen der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270b Abs. 1 InsO nicht mehr vorliegen, so hat es dem Schuldner die entsprechenden Einwände analog § 270b Abs. 1 Satz 2 InsO mitzuteilen und ihm eine Frist zur Beseitigung der entsprechenden Mängel zu setzen. Kann der Schuldner die Mängel nicht beseitigen, so kann das Insolvenzgericht die vorläufige Eigenverwaltung analog § 270e Abs. 1 Nr. 2 InsO aufheben (siehe hierzu auch Rz. 296). Da die InsO für den Fall nachträglicher Änderungen der Eigenverwaltungsplanung keine 45 konkrete Verfahrensweise vorsieht, andererseits aber kein Grund dazu besteht, eine vorläufige Eigenverwaltung fortzusetzen, die – falls die Änderung der Eigenverwaltungsplanung ggf. noch vor der Entscheidung des Gerichts nach § 270b Abs. 1 InsO erfolgt wäre – gar nicht anzuordnen wäre, müssen insoweit die Anforderungen an die Fortdauer der vorläuHofmann

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figen Eigenverwaltung dieselben sein wie im Fall der ursprünglichen Anordnung; dies rechtfertigt bzw. erfordert die analoge Anwendung der §§ 270b Abs. 1 Satz 2, 270e Abs. 1 Nr. 2 InsO. 46 Kommt der Schuldner seiner Pflicht nach § 270c Abs. 2 InsO nicht nach, so kann allein dies Anlass zu einer Prüfung des Gerichts geben, ob eine schwerwiegende Pflichtverletzung vorliegt, die i. S. von § 270e Abs. 1 Nr. 1 InsO eine Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung rechtfertigt. Bereits vor diesem Hintergrund sollten Schuldner und Berater die Mitteilungspflicht durchaus ernst nehmen. 2.4

Insolvenzspezifische Pflichten des Schuldners in der vorläufigen Eigenverwaltung und insolvenzgerichtliche Anordnungen zu den Aufgaben des Schuldners gemäß § 21 Abs. 1 InsO bzw. analog § 22 Abs. 2 InsO

47 Wenn sich die Verfügungsmacht des Schuldners – wie zuvor dargestellt – in der vorläufigen Eigenverwaltung nicht von einer gerichtlichen Anordnung, sondern nach wie vor aus dessen eigener privatautonomer Rechtsmacht ableitet, stellt sich letztlich indes die Frage nach der insolvenzrechtlichen Pflichtenstellung des Schuldners in der vorläufigen Eigenverwaltung. 48 Hierbei ist insbesondere aus Sicht der beteiligten Gläubiger und Drittrechtsinhaber der Vergleich zum Regelinsolvenzverfahren zu ziehen: Der Kern der Aufgaben des starken vorläufigen Insolvenzverwalters wird gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 1 InsO von dessen Pflicht zur Sicherung und Erhaltung des Vermögens des Schuldners determiniert. Auch schwachen vorläufigen Insolvenzverwaltern werden die entsprechende Sicherungs- und Vermögenserhaltungspflichten regelmäßig durch gerichtliche Anordnung gemäß § 22 Abs. 2 InsO auferlegt, um die Gläubiger i. S. von § 21 Abs. 1 InsO zu schützen. Die entsprechende Sicherungspflicht zielt dabei – über den bloßen Wortlaut des § 22 Abs. 1 InsO hinaus – nicht nur auf den Schutz des Schuldnervermögens im Interesse des Schuldners und der Gemeinschaft der Insolvenzgläubiger ab, sondern umfasst auch und gerade die Wahrung und Sicherung von Vermögenswerten zugunsten Aus- und Absonderungsberechtigter.31) Beispielsweise ist der vorläufige Insolvenzverwalter vor diesem Hintergrund verpflichtet, sicherungszedierte Forderungen nur unter Achtung von deren Rechten einzuziehen und das hieraus entstehende Kontoguthaben zu separieren, um die Rechte des Sicherungszessionars zu wahren.32) Die Sicherungspflicht des vorläufigen Insolvenzverwalters und die hierzu ergangene Rechtsprechung sind damit insbesondere für die Interessen von Banken, Lieferanten und anderen gesicherten Gläubigern von höchster Bedeutung. 49 Demgegenüber sieht die InsO für die vorläufige Eigenverwaltung entsprechende Sicherungspflichten des Schuldners nicht von Gesetzes wegen vor. Insbesondere können derartige Pflichten m. E. nicht allein aus der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters gemäß § 270b Abs. 1 InsO abgeleitet werden, da diese gerichtliche Maßnahme – über die hiervon ausgehende Aufsicht durch den vorläufigen Sachwalter hinaus – eben keine unmittelbare Aussage zum Pflichtenkreis des Schuldners trifft. Gleichwohl setzt die InsO – jedenfalls seit Inkrafttreten des SanInsFoG – voraus, dass der Schuldner auch in der vorläufigen Eigenverwaltung insolvenzrechtlichen Pflichten unterliegt: So hat er die Ziele der Eigenverwaltung in der Eigenverwaltungsplanung gemäß § 270a Abs. 1 Nr. 2 InsO festzuhalten und – zur Vermeidung einer Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270e Abs. 1 Nr. 3 InsO sein Verhalten gerade an diesen Zielen auszurichten; zudem hat der Schuldner bei seiner Geschäftsführung die Interessen der Gläubiger zu berücksichtigen, da ___________ 31) Vgl. hierzu z. B. BGH v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739, 742, dazu EWiR 2010, 395 (Knof). 32) BGH v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739, 742.

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Vorläufige Eigenverwaltung

er sonst auch in diesem Fall eine Aufhebung der Eigenverwaltung gemäß § 270e Abs. 1 Nr. 1 InsO riskieren würde.33) Zudem stellt § 276a Abs. 2, Abs. 3 InsO für die Insolvenz juristischer Personen klar, dass die Geschäftsleitung i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung demselben Haftungsregime unterliegt wie ein vorläufiger Insolvenzverwalter, was ebenfalls insolvenzspezifische Pflichten voraussetzt (siehe eingehend zur Haftung der Geschäftsleitungsorgane in der vorläufigen Eigenverwaltung Rz. 283 ff.). Über diese vom Gesetz letztlich vorausgesetzten Pflichten hinaus ist das Insolvenzgericht 50 auch im Fall vorläufiger Eigenverwaltung gemäß § 21 Abs. 1 InsO berechtigt und ggf. sogar gehalten,34) diejenigen „Maßnahmen zu treffen, die erforderlich erscheinen, um bis zur Entscheidung über den Antrag eine den Gläubigern nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten“. In diesem Rahmen kann das Insolvenzgericht nach Auffassung des Verfassers35) gemäß § 21 Abs. 1 InsO bzw. analog § 22 Abs. 2 InsO parallel zur Bestellung eines vorläufigen Sachwalters gemäß § 270b InsO auch eine an den Schuldner gerichtete Anordnung treffen, die dem Schuldner Sicherungspflichten auferlegt, die an diejenigen des vorläufigen Insolvenzverwalters angelehnt sind.36) Durch entsprechende insolvenzgerichtliche Aufgabenbestimmung wird dem Schuldner – über etwaige rein schuldrechtliche Verpflichtungen aus Sicherungsabreden hinaus – eine insolvenzrechtliche Pflicht auferlegt, Aus- und Absonderungsrechte zu wahren.37) Unabhängig hiervon obliegt es auch dem vorläufigen Sachwalter, i. R. seiner Aufsicht 51 über den Schuldner darauf hinzuwirken, dass die Rechte sämtlicher Gläubiger – sei es einfacher Insolvenzgläubiger, sei es Aus- oder Absonderungsberechtigter – durch den Schuldner gleichermaßen gewahrt werden, wie dies im Fall einer Sicherung des Schuldnervermögens i. R. einer vorläufigen Insolvenzverwaltung der Fall wäre.38) 2.5

Einschränkung der Kompetenzen von gesellschaftsrechtlichen Aufsichtsorganen im Eröffnungsverfahren

Für die Mitwirkungsbefugnisse von Aufsichtsrat, Gesellschafterversammlung und anderen 52 entsprechenden Gesellschaftsorganen sieht § 276a Abs. 1 Satz 1 InsO – insoweit inhaltsgleich mit § 276a Satz 1 InsO a. F. – für die Eigenverwaltung im eröffneten Insolvenzverfahren eine Suspendierung jeglichen Einflusses auf die Geschäftsleitung von juristischen Personen und Personengesellschaften vor; gleich knüpft § 276a Abs. 1 Satz 2 InsO die Wirksamkeit der Abberufung und Neubestellung von Mitgliedern der Geschäftsleitung in eröffneten Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung an die Zustimmung des Sachwalters.39) Seit Inkrafttreten des SanInsFoG sieht § 276a Abs. 3 InsO ausdrücklich die entsprechende 53 Anwendung von § 276a Abs. 1 InsO auch während der vorläufigen Eigenverwaltung

___________ 33) So bereits Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 270c Rz. 32. 34) Vgl. zur Pflicht zur Anordnung von Sicherungsmaßnahmen den insoweit eindeutigen Wortlaut des § 21 Abs. 1 InsO („[…] hat alle Maßnahmen zu treffen […]“) sowie i. Ü. z. B. auch Haarmeyer/Schildt in: MünchKomm-InsO, § 21 Rz. 2. 35) Ebenso bereits Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 344. 36) Vgl. zu einem entsprechenden Formulierungsvorschlag Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 619 (dort Ziff. 3 des Muster-Beschlusses). 37) Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 344 f. 38) So auch Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 345. 39) Vgl. zur Kritik an dieser durch das ESUG normierten Beschränkung des Einflusses von Gesellschaftsorganen z. B. Hofmann, NZI 2010, 798, 804 f.; Desch, BB 2011, 841, 845; K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1607; grundlegend bereits Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 149 ff.

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vor. Hierdurch wurde der zuvor bestehende Meinungsstreit40) über die Anwendung der Regelungen des § 276a InsO a. F. im Eröffnungsverfahren im Interesse der Rechtssicherheit gelöst. 54 Gemäß § 276a Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 InsO haben Aufsichtsrat, Gesellschafterversammlung oder andere Gesellschaftsorgane ab Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270b InsO oder bereits zuvor ab Anordnung von Maßnahmen nach § 270c Abs. 3 InsO – insbesondere also auch bereits ab Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses – jegliche Einflussnahme auf die Geschäftsführung des Schuldners zu unterlassen. Kommt es unter Verstoß gegen § 276a Abs. 1, Abs. 3 InsO zu Maßnahmen oder Beschlüssen von Gesellschaftsorganen, so sind diese unwirksam und entfalten damit keine Bindungswirkung im Verhältnis zur Geschäftsleitung der Schuldnerin.41) 55 Gemäß § 276a Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 InsO setzt darüber hinaus die wirksame Abberufung oder Neubestellung von Mitgliedern des Geschäftsleitungsorgans die Zustimmung des vorläufigen Sachwalters voraus. Im Ergebnis sollen hierdurch missbräuchliche Wechsel in der Geschäftsleitung, welche den Gläubigerinteressen entgegenstehen, von vornherein unterbunden werden; zudem soll die Unabhängigkeit der Geschäftsleitung gegenüber den Aufsichtsorganen über die Regelung des § 276a Abs. 1 Satz 1 InsO hinaus gestärkt werden.42) Der vorläufige Sachwalter hat gemäß § 276a Abs. 1 Satz 3 InsO seine Zustimmung zu personellen Veränderungen in der Geschäftsleitung zu erteilen, wenn die entsprechende Maßnahme nicht zu Nachteilen für die Gläubiger führt. 56 Völlig unabhängig von der nunmehr in § 276a InsO klargestellten Überlagerung der gesellschaftsrechtlichen Kompetenzverteilung durch die vorläufige Eigenverwaltung sollten in der Praxis in Fällen ernsthafter Sanierungsversuche sämtliche Handlungen des insolventen Unternehmens im Eröffnungsverfahren und letztlich sogar schon in der im Vorfeld laufenden Vorbereitungsphase vorrangig an den Gläubigerinteressen ausgerichtet sein. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass eigennütziges Handeln der insolventen Gesellschaft nicht nur das Vertrauen der beteiligten Stakeholder vernichten, sondern auch die Sanierungschancen gefährden könnte. 3.

Rechtsstellung und Aufgaben des vorläufigen Sachwalters

57 Für Rechtsstellung und Aufgaben des vorläufigen Sachwalters gelten gemäß § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO die für den Sachwalter im eröffneten Verfahren maßgeblichen Vorschriften der §§ 274, 275 InsO entsprechend; auf die weitergehenden Vorschriften der §§ 276, 276a, 277 InsO verweist § 270a InsO demgegenüber nicht.43) Zudem sieht § 270c Abs. 1 InsO eine Erweiterung der Aufgaben des vorläufigen Sachwalters hinsichtlich der Berichterstattung gegenüber dem Insolvenzgericht vor. 3.1

Rechtsstellung des vorläufigen Sachwalters

58 Aufgaben- und Pflichtenstellung des vorläufigen Sachwalters sind damit – wie diejenigen des Sachwalters im eröffneten Insolvenzverfahren – von der Aufsicht über den Schuldner ___________ 40) Zur Rechtslage vor Inkrafttreten des § 276a Abs. 3: Gegen eine analoge Anwendung von § 276a InsO a. F. im Eröffnungsverfahren Hofmann, NZI 2010, 798, 804, Fn. 55; Desch, BB 2011, 841, 845; Zipperer, ZIP 2012, 1492, 1494 f.; Klöhn, NZG 2013, 81, 84; a. A. (analoge Anwendung von § 276a InsO a. F. in vorläufiger Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren): Brinkmann, DB 2012, 1369, Fn. 50; Ströhmann/Längsfeld, NZI 2013, 271, 274; diff. Hölzle, ZIP 2012, 2427, 2429, 2431, der § 276a InsO im Schutzschirmverfahren, nicht hingegen in der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270a Abs. 1 InsO für analog anwendbar hielt. 41) Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, § 276a Rz. 5. 42) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 42. 43) Undritz/Schur, ZIP 2016, 549, 550 f.

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Vorläufige Eigenverwaltung

geprägt, wobei sich seine Aufgaben hierin nicht beschränken. Denn der (vorläufige) Sachwalter ist dazu berechtigt und letztlich im Interesse der Gläubigergemeinschaft auch verpflichtet, die Eigenverwaltung beratend zu begleiten (siehe hierzu i. E. Rz. 107 ff.).44) Zudem sind ihm – wenngleich in einem im Gegensatz zum Sachwalter im eröffneten Verfahren45) deutlich überschaubarerem Umfang – bestimmte Aufgaben in eigener Zuständigkeit zugewiesen, insbesondere die Berichterstattung gemäß § 270c Abs. 1 InsO (siehe hierzu Rz. 110 ff.). Auf den vorläufigen Sachwalter sind hierbei gemäß § 270a Satz 2 InsO die Vorschriften 59 der §§ 274, 275 InsO entsprechend anzuwenden. Entsprechend § 274 Abs. 1 InsO gelten somit für seine Bestellung, für die Aufsicht des Insolvenzgerichts und für die Haftung (siehe Rz. 127) und Vergütung (siehe Rz. 133) die den Insolvenzverwalter betreffenden Vorschriften der §§ 54 Nr. 2, 56 – 60, 62 – 65 InsO entsprechend. 3.2

Aufgaben und Pflichten des vorläufigen Sachwalters

Die Aufgaben und Pflichten des vorläufigen Sachwalters lassen sich – wie auch diejenigen 60 des Sachwalters im eröffneten Verfahren – im Kern in drei Bereiche unterteilen:46) 

die Kontrolle über die Geschäftsführung,



die beratende Begleitung der Eigenverwaltung und



besondere Aufgaben, die dem (vorläufigen) Sachwalter in erster Linie im Interesse der Gläubiger übertragen sind.

Darüber hinaus sieht die InsO in § 274 Abs. 2 Satz 2 InsO (i. V. m. § 270b Abs. 1 Satz 1 61 InsO) vor, dass das Gericht eine Unterstützung des Schuldners in bestimmten Bereichen der Verfahrensabwicklung zulassen kann. 3.2.1 Aufsichtsfunktion des vorläufigen Sachwalters Hauptaufgabe des vorläufigen Sachwalters ist die Aufsicht über den Schuldner. Gemäß § 270b 62 Abs. 1 Satz 1, § 274 Abs. 2 Satz 1 InsO hat der vorläufige Sachwalter die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu prüfen und die Geschäftsführung sowie die Ausgaben für die Lebensführung zu überwachen. Ergänzt wird diese Aufsichtspflicht um verschiedene Mitwirkungsbefugnisse gemäß §§ 275, 270b Abs. 1 Satz 1 InsO. 3.2.1.1

Umfang der Aufsicht

Die Pflicht des vorläufigen Sachwalters zur Überprüfung der wirtschaftlichen Lage des 63 Schuldners dient im Eröffnungsverfahren des § 270c InsO n. F. der Vermeidung von Nachteilen für die Gläubiger. Die Aufsicht des vorläufigen Sachwalters beinhaltet daher insbesondere auch die laufende Prüfung, ob es eines Hinwirkens auf eine Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270e InsO bedarf; zudem dient die Aufsicht auch der Vorbereitung einer Stellungnahme des vorläufigen Sachwalters zu den Voraussetzungen der Anordnung der Eigenverwaltung bei Verfahrenseröffnung gemäß § 270f InsO. Auch in den Fällen, in denen dem vorläufigen Sachwalter die Berichtspflicht des § 270c Abs. 1 InsO nicht gesondert auferlegt wurde, hat er dem Gericht gegenüber Stellung zu nehmen, sofern seine Feststellungen Widersprüche zu den Angaben des Schuldners zu dessen wirtschaftlicher Lage ergeben. ___________ 44) So grundlegend BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981, dazu EWiR 2016, 763 (Körner/Rendels). 45) Vgl. insbesondere § 280 InsO. 46) So auch Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 208.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

64 Die in § 270b Abs. 1 Satz 1, § 274 Abs. 2 InsO niedergelegte Aufsichtspflicht betreffend die laufende Geschäftsführung des Schuldners ist dabei i. S. einer permanenten Überwachung zu verstehen.47) Der vorläufige Sachwalter im Eröffnungsverfahren hat hierbei insbesondere zu überwachen, ob Verbindlichkeiten nur in dem erforderlichen Umfang begründet werden und ob Ausgaben des Schuldners auch im Eröffnungsverfahren noch sorgfaltsgemäß sind. Als Maßstab hierfür kann letztlich der Sorgfaltsmaßstab dienen, der an den vorläufigen Insolvenzverwalter anzulegen wäre. Besonderes Augenmerk wird der vorläufige Sachwalter hierbei auf die Befriedigung von Altverbindlichkeiten aus der Zeit vor der Insolvenzantragstellung richten, wobei entsprechende Zahlungen nur in Ausnahmekonstellationen als sorgfaltsgemäß einzustufen sein dürften.48) Da Gegenstand der Aufsicht die Überwachung der Geschäftsführung des Schuldners ist, genügt der vorläufige Sachwalter seinen Pflichten nicht, wenn er lediglich aus ex-post-Sicht die Buchführung bzw. die Geschäftsvorfälle der Vergangenheit einer Prüfung unterzieht.49) Vielmehr hat er sich laufend beim Schuldner über den aktuellen Geschäftsgang zu informieren und insbesondere die vom Schuldner zu führende Liquiditätsplanung zu kontrollieren.50) Der vorläufige Sachwalter hat insoweit stets dafür Sorge zu tragen, dass er einen vollständigen Überblick über die Geschäftsführung des Schuldners hat.51) 65 Die Aufsicht beschränkt sich insoweit nicht nur auf den Bereich der operativen Geschäftstätigkeit des insolventen Unternehmens, sondern erfasst gerade auch die für die Gläubiger relevanten Fragen, insbesondere die Verfahrensstrategie und den gewählten Weg der Sanierung.52) Da eine nur nachlaufende Aufsicht gerade insoweit untauglich wäre, die Interessen der Gläubiger zu schützen, muss der vorläufige Sachwalter sich bereits frühzeitig in die Erarbeitung der entsprechenden Konzepte einbinden lassen und die (vorläufige) Eigenverwaltung beratend begleiten (siehe hierzu eingehend Rz. 107). 66 Zuletzt ist der vorläufige Sachwalter im Eröffnungsverfahren über das Vermögen natürlicher Personen oder von Personengesellschaften verpflichtet, die Ausgaben für die Lebensführung zu überwachen. Insoweit sind der Schuldner bzw. die persönlich haftenden Gesellschafter des Schuldners analog § 278 InsO auch im Eröffnungsverfahren berechtigt, die zu einer bescheidenen Lebensführung benötigten Mittel dem Schuldnervermögen zu entnehmen, was der vorläufige Sachwalter zu überwachen hat. 67 Zielrichtung der Aufsichtspflichten des vorläufigen Sachwalters ist – auch ausgehend von der Zielrichtung der Pflicht des Gerichts zur Anordnung von Sicherungsmaßnahmen gemäß § 21 InsO53) – der Schutz der Gläubiger und der Aus- und Absonderungsberechtigten. Der vorläufige Sachwalter hat daher seine Aufsicht daran auszurichten, dass der künftigen Insolvenzmasse gerade aus Sicht der Gläubigergemeinschaft, zugleich aber auch aus Sicht rechtlich besonders geschützter Gläubiger, insbesondere der Aus- und Absonderungsberech___________ 47) Holzer in: KPB, InsO, § 274 Rz. 73. 48) Beispiele sorgfaltsgemäßer Zahlungen auf Altverbindlichkeiten sind insbesondere die Befriedigung voll besicherter Forderungen zum Zweck des Freiwerdens der Sicherheit sowie Zahlungen auf Altverbindlichkeiten, deren Gläubiger über Leistungsverweigerungsrechte Druck auf den Schuldner ausübt und dessen weitere Leistungserbringung für die Betriebsfortführung unerlässlich ist oder nur mit erheblichem Aufwand ersetzt werden könnte. Hinsichtlich letztgenannter Druckzahlungen des Schuldners wird in der Regel nach Verfahrenseröffnung eine Anfechtung gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO in Betracht kommen (s. hierzu auch unten Rz. 209 ff.). 49) Holzer in: KPB, InsO, § 274 Rz. 73. 50) Holzer in: KPB, InsO, § 274 Rz. 73. 51) Holzer in: KPB, InsO, § 274 Rz. 75. 52) So auch BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1598 – zur Überwachung und Überprüfung der Sanierungspläne der Eigenverwaltung. 53) Vgl. hierzu z. B. Böhm in: Braun, InsO, § 21 Rz. 1.

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Vorläufige Eigenverwaltung

tigten, aus der Geschäftsführung und Verfahrensabwicklung durch den Schuldner keine Nachteile entstehen. Er hat daher i. R. seiner Aufsicht aus Sicht des Verfassers gerade auch zu überprüfen, ob das insolvente Unternehmen und seine Berater Vorsorge dafür treffen, dass die Rechte absonderungsberechtigter Gläubiger gewahrt werden. In der Praxis wird es hierbei regelmäßig insbesondere um Fälle von Sicherungsübereignungen, um Globalzessionen und um Eigentumsvorbehalte gehen. Stellt der vorläufige Sachwalter fest, dass entsprechende Maßnahmen zur Wahrung der Gläubigerrechte nicht getroffen wurden, so hat er hierauf i. R. seiner beratenden Begleitung der Eigenverwaltung hinzuwirken oder andernfalls gemäß § 270b Abs. 1 Satz 1, § 274 Abs. 3 InsO Nachteilsanzeige zu erstatten. 3.2.1.2

Mitwirkungsbefugnisse des vorläufigen Sachwalters entsprechend § 275 Abs. 1 InsO

Zur effektiven Durchsetzung der Aufsicht des (vorläufigen) Sachwalters über die Geschäfts- 68 führung des Schuldners sieht die InsO in § 275 InsO verschiedene Mitwirkungsbefugnisse vor. Gemäß § 270b Abs. 1 Satz 1, § 275 Abs. 1 InsO soll der Schuldner nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehörende Verbindlichkeiten nur mit Zustimmung des vorläufigen Sachwalters und auch Verbindlichkeiten i. R. des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs nicht gegen den Widerspruch des vorläufigen Sachwalters eingehen. Die in § 275 Abs. 1 InsO in Bezug genommenen „Verbindlichkeiten“ erfassen nicht nur Zahlungsverpflichtungen, die der Schuldner eingeht, sondern auch Liefer- und Herstellungsverpflichtungen; die Norm gilt unabhängig davon, ob die Abwicklung i. R. eines Bargeschäfts oder auf Ziel erfolgt.54) § 275 Abs. 1 InsO dient damit auch im Eröffnungsverfahren der abgestuften Ausgestaltung 69 der vertrauensvollen Kooperation zwischen Schuldner und vorläufigem Sachwalter. Im Fall außergewöhnlicher Geschäfte ist der Schuldner demnach gehalten, die Einwilli- 70 gung, d. h. die vorherige Zustimmung,55) des vorläufigen Sachwalters einzuholen. Andernfalls liefe der Zweck des Zustimmungserfordernisses, außergewöhnliche Rechtsgeschäfte eben nur in Abstimmung mit dem (vorläufigen) Sachwalter abzuschließen, leer.56) In Eilfällen, die im Fall außergewöhnlicher Geschäfte eher selten sein dürften, darf der Schuldner ohnehin angesichts der Ausgestaltung als Soll-Vorschrift ausnahmsweise ohne vorherige Zustimmung handeln. Außergewöhnliche Geschäfte57) sind insbesondere 

die Veräußerung und Belastung von Grundeigentum,



die Aufnahme von Darlehen,



der Verzicht auf Forderungen,



Geschäfte außerhalb des eigentlichen Unternehmensgegenstands und



besonders schwerwiegende Geschäfte, die nach Art und Umfang die bisherige unternehmerische Tätigkeit übersteigen,



gleichermaßen aber auch gerade wegen der Insolvenzsituation anfallende Rechtsgeschäfte wie z. B. der Abschluss von Beraterverträgen betreffend die Begleitung im Insolvenzverfahren sowie die Auslobung von Bleibeprämien an Arbeitnehmer.

___________ 54) 55) 56) 57)

Kern in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 7. Kern in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 15. Kern in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 15. Vgl. hierzu auch Kern in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 10.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

71 Begründung und Beendigung von Arbeitsverhältnissen fallen in der Regel in den Bereich der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit und unterliegen somit dem Widerspruchsrecht des § 275 Abs. 1 Satz 2 InsO.58) 72 Der Begründung von Verpflichtungen i. R. des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs muss der vorläufige Sachwalter nicht ausdrücklich zustimmen, vielmehr gewährt ihm § 275 Abs. 1 Satz 2 InsO insoweit ein Widerspruchsrecht. 73 Sowohl bei der Erteilung von Zustimmungen wie auch bei der Ausübung seines Widerspruchsrechts hat sich der vorläufige Sachwalter maßgeblich am Zweck der Verfahrensabwicklung im Eröffnungsverfahren zu orientieren, d. h. insbesondere am Interesse der Gläubiger, das Vermögen des Schuldners bis zur Entscheidung über den Eröffnungsantrag zu sichern. Er darf daher in der Regel einem außergewöhnlichen Geschäft insbesondere dann nicht zustimmen bzw. hat einem gewöhnlichen Geschäft regelmäßig insbesondere dann zu widersprechen, wenn 

das beabsichtigte Geschäft die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs oder die Sanierungsalternativen gefährdet, z. B. im Fall des Verkaufs wesentlicher Betriebsgrundlagen oder im Fall der unzweckmäßigen Aufzehrung der vorhandenen liquiden Mittel,



das Geschäft einen Gläubiger im Widerspruch zum Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung ohne hinreichenden Grund bevorzugt,



Leistung und Gegenleistung nicht in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen oder



die Erfüllung der einzugehenden Verpflichtung – insbesondere im Fall der Begründung von Masseverbindlichkeiten gemäß § 270c Abs. 4 InsO (siehe hierzu Rz. 161 ff.) – nicht hinreichend sichergestellt erscheint.

74 Schließt der Schuldner ein Geschäft ohne die gemäß § 275 Abs. 1 Satz 1 InsO erforderliche Zustimmung des vorläufigen Sachwalters oder gegen dessen Widerspruch gemäß § 275 Abs. 1 Satz 2 ab, so handelt er pflichtwidrig. An der Wirksamkeit des Geschäfts im Außenverhältnis ändert der Verstoß – auch im Fall der Kenntnis des Vertragspartners – im Grundsatz nichts.59) Ausnahmsweise kann ein Rechtsgeschäft, das der Schuldner im Eröffnungsverfahren unter Verstoß gegen § 275 Abs. 1 InsO abschließt, jedoch gemäß § 138 Abs. 1 BGB wegen kollusiven Zusammenwirkens mit dem Vertragspartner zum Nachteil seiner Gläubiger nichtig sein.60) 3.2.1.3

Informationsrechte des vorläufigen Sachwalters und korrespondierende Pflichten des Schuldners

75 Damit der vorläufige Sachwalter seine Aufsichtspflichten entsprechend § 274 Abs. 1 InsO sinnvoll erfüllen und entsprechend § 275 Abs. 1 Satz 2 InsO der Begründung von Ver___________ 58) Kern in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 10. 59) Holzer in: KPB, § 275 Rz. 22; Kern in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 18. 60) Die höchstrichterliche Rspr. zur Nichtigkeit insolvenzzweckwidriger Geschäfte des Insolvenzverwalters, die auf Geschäfte des eigenverwaltenden Schuldners im eröffneten Verfahren anwendbar ist (so z. B. Kern in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 18; OLG Karlsruhe v. 14.6.2016 – 8 U 44/15, ZIP 2016, 1649, 1650, dazu EWiR 2016, 639 [Stahlschmidt/Schmitt]), lässt sich nach Auffassung des Verfassers nicht uneingeschränkt auf Geschäfte im Eröffnungsverfahren übertragen. Insbesondere ist das Schuldnervermögen im Eröffnungsverfahren gerade noch nicht in Gestalt des Insolvenzbeschlags haftungsrechtlich den Gläubigern zugewiesen. Eine Nichtigkeit nach allg. Grundsätzen wegen kollusiven Zusammenwirkens kommt freilich in Betracht. Etwas anderes dürfte nach Auffassung des Verfassers dann gelten, wenn das Gericht dem Schuldner gemäß § 21 Abs. 1 InsO bzw. analog § 22 Abs. 2 InsO bestimmte Pflichten bzw. Aufgaben auferlegt und Handlungen des Schuldners dem Zweck dieser gerichtlichen Aufgabenbestimmung offensichtlich zuwiderlaufen.

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Vorläufige Eigenverwaltung

bindlichkeiten i. R. des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs ggf. widersprechen kann, ist er auf laufende und aktuelle Informationen aus dem schuldnerischen Unternehmen angewiesen. Hierzu sieht die InsO Informationspflichten des Schuldners und hiermit korrespondierende Informationsrechte des vorläufigen Sachwalters vor. Gemäß § 270a, § 274 Abs. 2 Satz 3, § 22 Abs. 3 InsO ist der Schuldner insbesondere verpflichtet, 

die Betretung seiner Geschäftsräume durch den vorläufigen Sachwalter sowie dessen Nachforschungen zu dulden,



dem vorläufigen Sachwalter Einsicht in seine Bücher und Geschäftspapiere zu gestatten, und



ihm alle erforderlichen Auskünfte zu erteilen und ihn bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen.

Den Schuldner trifft damit eine umfassende Informations- und Unterstützungspflicht 76 gegenüber dem vorläufigen Sachwalter. Der Schuldner ist letztlich – auch ohne entsprechende Nachfrage des vorläufigen Sachwalters – verpflichtet, den vorläufigen Sachwalter jeweils über die aktuelle Geschäftslage, über die künftig zu prognostizierende Geschäftslage und über wesentliche Änderungen der Geschäftslage zu informieren. Die gemäß § 22 Abs. 3, § 98 InsO mögliche zwangsweise Durchsetzung der Pflichten des 77 Schuldners dürfte in der Praxis bereits deshalb kaum relevant sein, weil im Fall der vorläufigen Eigenverwaltung der Schuldner im Hinblick auf die noch nicht getroffene gerichtliche Entscheidung über den Eigenverwaltungsantrag vorbehaltlos kooperieren dürfte; sollte dies nicht der Fall sein, hätte das Insolvenzgericht – ggf. neben der Anordnung von Zwangsmaßnahmen – die Notwendigkeit der Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung unter Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters gemäß § 270e InsO zu prüfen, um nachteilige Veränderungen des Schuldnervermögens zu verhindern (siehe hierzu Rz. 296). Für die Praxis der vorläufigen Eigenverwaltung empfiehlt sich zur reibungslosen und trans- 78 parenten Aufsicht über die Betriebsfortführung, dass der vorläufige Sachwalter nach seiner Bestellung festlegt bzw. mit dem Schuldner abstimmt, über welche Vorgänge er zu welchem Zeitpunkt unterrichtet werden soll und welche Unterlagen ihm jeweils vorgelegt werden sollen. Im Einzelnen sollten insbesondere folgende Punkte abgestimmt bzw. festgelegt werden: 

Art der beabsichtigten Geschäfte i. R. des gewöhnlichen Geschäftsgangs, über die der vorläufige Sachwalter – möglichst rechtzeitig – im Voraus informiert werden will, um ggf. entsprechend § 275 Abs. 2 Satz 2 InsO widersprechen zu können;61) hierbei bietet sich in der Regel das betragsmäßige Auftragsvolumen des abzuschließenden Geschäfts als Abgrenzungskriterium an;



Art und Umfang der Geschäfte, die der Schuldner ohne vorherige Information des Sachwalters eingehen kann;



Unterlagen, die dem vorläufigen Sachwalter regelmäßig – z. B. täglich, wöchentlich, zweiwöchentlich oder monatlich – vorzulegen sind; hierzu dürften insbesondere Kontoauszüge, Liquiditäts-, Ertrags- und Finanzplanung, betriebswirtschaftliche Auswertungen, Auftragseingänge u. Ä. gehören.

Insoweit bietet sich aus Sicht des Verfassers auch an, den Umfang der genehmigten Ge- 79 schäfte ggf. anhand der Finanzplanung im Vorfeld zukunftsorientiert abzustimmen, so dass die insoweit geplanten Geschäfte – insbesondere im Bereich der Material- und Dienstleis___________ 61) So auch Kern in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 13.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

tungsbeschaffung – i. R. der Planung bereits vom vorläufigen Sachwalter geprüft und sodann freigegeben werden. 3.2.1.4

Konten-/Kassenführungsrecht entsprechend § 275 Abs. 2 InsO

80 Das in § 275 Abs. 2 InsO geregelte Konten- und Kassenführungsrecht ist in der Praxis der Eigenverwaltung eines der wesentlichen Instrumente zur Aufsicht über den Schuldner einerseits und zur Erlangung des Vertrauens der Verfahrensbeteiligten andererseits.62) Gemäß § 270b Abs. 1 Satz 1, § 275 Abs. 2 InsO kann auch der vorläufige Sachwalter vom Schuldner verlangen, dass alle eingehenden Gelder nur von ihm entgegengenommen und Zahlungen nur von ihm geleistet werden. Wenngleich die Inanspruchnahme der Kontenbzw. Kassenführung in der Praxis der (vorläufigen) Eigenverwaltung nach den Erfahrungen des Verfassers eher die Ausnahme darstellen wird, kommt allein dem entsprechenden Recht des (vorläufigen) Sachwalters disziplinierende Wirkung zu. 3.2.1.4.1 Bedeutung der Kassenführung in der vorläufigen Eigenverwaltung 81 Der Übernahme des Zahlungsverkehrs gemäß § 270b Abs. 1 Satz 1, § 275 Abs. 2 InsO i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung kommt nach Einschätzung des Verfassers in der Regel deutlich höhere Bedeutung zu als im Fall der Eigenverwaltung im eröffneten Insolvenzverfahren. Zum einen werden die Verfahrensbeteiligten – insbesondere diejenigen, die nicht ohnehin in die Vorbereitung der Verfahrenseinleitung einbezogen wurden – den Sanierungsbemühungen des Schuldners und der Aufsicht durch einen unabhängigen vorläufigen Sachwalter höheres Vertrauen entgegenbringen, wenn der vorläufige Sachwalter tatsächlich das Barvermögen des Schuldners verwaltet und sichert. Zum anderen kommt dem Kassenführungsrecht des vorläufigen Sachwalters im Eröffnungsverfahren auch deswegen erhebliche Bedeutung zu, weil der vorläufige Sachwalter ggf. auch ein eigenes Ermessen im Zusammenhang mit der Leistung von Zahlungen hat, während der Sachwalter im eröffneten Verfahren faktisch nur Zahlstelle des Schuldners ist (hierzu sogleich). 82 Indes darf der von der Inanspruchnahme des Kassenführungsrechts ausgehende Schutz nicht überschätzt werden, da die Kassenführung gemäß § 275 Abs. 2 InsO – gleich, ob im Eröffnungs- oder im Insolvenzverfahren – im Außenverhältnis nicht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners in diesem Bereich beseitigt.63) 3.2.1.4.2 Inanspruchnahme der Kassenführung durch den vorläufigen Sachwalter 83 Wie auch im Fall der Eigenverwaltung im eröffneten Insolvenzverfahren64) steht die Übernahme der Kassenführung gemäß § 275 Abs. 2 InsO im pflichtgemäßen Ermessen des vorläufigen Sachwalters. Da die Kassenführung durch den (vorläufigen) Sachwalter gerade auch dem Gewinn des Vertrauens der Gläubiger dienlich sein soll, ist ein konkreter Grund i. S. einer Besorgnis des Missbrauchs der Kassenführung durch den Schuldner nicht erforderlich.65) Die Übernahme des Zahlungsverkehrs selbst erfolgt durch Erklärung des vorläufigen Sachwalters gegenüber dem Schuldner. Eine gerichtliche Anordnung der Übernahme des Zahlungsverkehrs gemäß § 270b Abs. 1 Satz 1, § 275 Abs. 2 InsO sieht die InsO

___________ 62) Riggert in: Braun, InsO, § 275 Rz. 14. 63) Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 275 Rz. 9; Kern in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 26; Undritz/Schur, ZIP 2016, 549, 552. 64) Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 275 Rz. 8. 65) Kern in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 22.

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Vorläufige Eigenverwaltung

demgegenüber weder für das Eröffnungsverfahren noch für das eröffnete Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung vor.66) Übernimmt der vorläufige Sachwalter gemäß § 270b Abs. 1 Satz 1, § 275 Abs. 2 InsO die 84 Kassenführung, so hat dies keine Auswirkungen auf die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners; insbesondere geht gerade nicht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis oder die Befugnis zur Einziehung von Forderungen auf den vorläufigen Sachwalter über. Vielmehr wird der vorläufige Sachwalter durch die Inanspruchnahme der Kassenführung im Bereich des Zahlungsverkehrs letztlich gesetzlicher Vertreter des Schuldners,67) wobei der Schuldner selbst auch weiterhin wirksam im Außenverhältnis handeln kann. Die Vertretungsmacht des (vorläufigen) Sachwalters beschränkt sich dabei jedoch ausdrücklich auf die Entgegennahme und Ausführung von Zahlungen.68) Ob der vorläufige Sachwalter vom Schuldner die Kassenführung beansprucht, wird in der 85 Praxis vom jeweiligen Einzelfall und letztlich auch von den agierenden Personen abhängen. Oftmals erweist es sich nach den Erfahrungen des Verfassers als ausreichend, wenn der vorläufige Sachwalter mit dem Schuldner und dessen insolvenzrechtlichen Beratern – sozusagen als milderes Mittel – eine interne Einbindung in den Zahlungsverkehr verabredet. In derartigen Fällen wird der Schuldner seinen gesamten Zahlungsverkehr oder ggf. nur (wesentliche) Teile hiervon dem vorläufigen Sachwalter jeweils vorab zur Freigabe zuleiten. Nach teils vertretener Auffassung soll hierin bereits ein Fall der Kassenführung i. S. von § 275 Abs. 2 InsO zu sehen sein.69) 3.2.1.4.3 Beschränkung des vorläufigen Sachwalters auf reine Aufsicht im Zusammenhang mit der Ausführung von Zahlungen Da der eigenverwaltende Schuldner im eröffneten Insolvenzverfahren durch seine Hand- 86 lungen Masseverbindlichkeiten begründet, ist der (endgültige) Sachwalter, der die Kassenführung beansprucht hat, ggf. vorbehaltlich einer etwaigen Masseunzulänglichkeit zur Ausführung entsprechender Zahlungen verpflichtet (siehe Minuth, HRI II, § 9 Rz. 52).70) Demgegenüber begründet der Schuldner im Fall der vorläufigen Eigenverwaltung – abge- 87 sehen von Ermächtigungen gemäß § 270c Abs. 4 InsO – grundsätzlich eben keine Masseverbindlichkeiten. Eine Vielzahl der Zahlungspflichten, die insbesondere für Zwecke der Sicherstellung der Betriebsfortführung i. R. des Eröffnungsverfahrens zu begleichen sind, bestehen daher insolvenzrechtlich nur im Rang einer Insolvenzforderung gemäß § 38 InsO. Anders als zuvor an gleicher Stelle noch vertreten71) darf der vorläufige Sachwalter auch im 88 Fall der Inanspruchnahme seines Kassenführungsrechts über die Ausführung von Zahlungen nicht nach eigenem (pflichtgemäßen) Ermessen entscheiden. Die Einräumung eines Ermessens, welche Zahlungen geleistet und welche zurückgehalten werden, würde die Grenzen des Kassenführungsrechts des § 275 Abs. 2 InsO (i. V. m. § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO) deutlich überschreiten; insbesondere handelt es sich beim Kassenführungsrecht des (vorläufigen) Sachwalters – wie bereits ausgeführt (siehe Rz. 80) – um ein Instrument der Aufsicht über ___________ Ebenso Undritz/Schur, ZIP 2016, 549, 551. Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 275 Rz. 9; anders Undritz/Schur, ZIP 2016, 549. So auch FG Düsseldorf v. 12.3.2021 – 14 K 3658/16 H(L), ZIP 2021, 1410, 1412 m. w. N. Undritz/Schur, ZIP 2016, 549, 552 f., sehen hierin eine „verdeckte“ Übernahme der Kassenführung. Zutreffend weisen Undritz/Schur, ZIP 2016, 549, 556 f., darauf hin, dass der (vorläufige) Sachwalter die Ausführung einer Zahlung zurückweisen darf (und muss), sofern diese offensichtlich dem Insolvenzzweck zuwiderläuft. 71) Vgl. Hofmann in: Kübler, HRI, § 7 Rz. 68 ff., wonach der vorläufige Sachwalter nach Beanspruchung der Kassenführung – ähnlich wie der sog. schwache vorläufige Insolvenzverwalter – über die Ausführung von Zahlungen nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden können sollte.

66) 67) 68) 69) 70)

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

die Geschäftsführung des Schuldners und gerade nicht um ein Instrument, um unternehmerische Ermessensentscheidungen vom Schuldner auf den (vorläufigen) Sachwalter zu transferieren. Soweit i. R. des Zahlungsverkehrs Entscheidungsspielräume bestehen, hat der vorläufige Sachwalter die entsprechenden Ermessensentscheidungen des Schuldners zu überwachen und im Fall sachgerechter Ermessensausübung zu akzeptieren. Beim vorläufigen Sachwalter liegt damit – wie auch i. R. der Mitwirkungsbefugnisse nach § 275 Abs. 1 InsO – die Kontrolle der Ermessenausübung des Schuldners. 89 Für den Zahlungsverkehr im Fall der Inanspruchnahme der Kassenführung durch den vorläufigen Sachwalter bedeutet dies, dass der vorläufige Sachwalter gerade nicht selbst darüber entscheiden kann, welche Zahlungen erfolgen; vielmehr ist er insoweit auf die Zahlungsvorschläge bzw. die Zahlungsanweisungen des Schuldners angewiesen, wobei er diese auf ihre insolvenzrechtliche Zulässigkeit zu überprüfen hat. Schuldner und vorläufiger Sachwalter müssen sich i. R. des Zahlungsverkehrs maßgeblich von der Sicherstellung der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs und der Sanierungsmöglichkeiten einerseits und der Sicherung des Schuldnervermögens andererseits leiten lassen. Dieser Maßstab gilt dabei sowohl für die Ermessensausübung durch den Schuldner, als auch für die Kontrolle der Ermessensentscheidungen durch den vorläufigen Sachwalter; der gleiche Maßstab muss i. Ü. auch im Fall der Nichtübernahme des Zahlungsverkehrs durch den vorläufigen Sachwalter vom Schuldner eingehalten werden, um eine Masseschmälerung zu verhindern. Im Einzelnen bedeutet dies: 90 Eine Bezahlung von Altverbindlichkeiten, d. h. von solchen Verpflichtungen des Schuldnerunternehmens, die Zeiträume vor Bestellung des vorläufigen Sachwalters betreffen, wird in aller Regel nicht in Betracht kommen, es sei denn, die beglichene Forderung ist derart am Schuldnervermögen besichert, z. B. durch einen Eigentumsvorbehalt, dass durch die Zahlung das entsprechende Vermögen letztlich frei wird. In anderen Fällen liefe die Begleichung von Altverbindlichkeiten dem von § 1 Satz 1 InsO normierten verfahrensleitenden Grundsatz der par conditio creditorum zuwider. Weist der Schuldner den vorläufigen Sachwalter gleichwohl zur Leistung entsprechender unzulässiger Zahlungen an, so verletzt er seine Pflichten und setzt sich zudem – bei vorsätzlichem Handeln – des Verdachts einer (versuchten) Untreuestrafbarkeit (§ 266 StGB) aus; in diesem Fall steht dem kassenführenden vorläufigen Sachwalter ein Zahlungsverweigerungsrecht zu, da er sich andernfalls selbst der Haftung oder gar der Strafbarkeit ausgesetzt sähe. Wie auch im Fall der vorläufigen Insolvenzverwaltung kann die Begleichung von Altverbindlichkeiten ausnahmsweise dann i. R. des Ermessens des Schuldners zulässig sein, wenn ein Geschäftspartner des Schuldners seine weitere Leistungserbringung von der Bezahlung noch offener Rechnungen abhängig macht und eine Bezahlung der Altverbindlichkeiten vor diesem Hintergrund zur Aufrechterhaltung des Schuldnerunternehmens unerlässlich erscheint.72) 91 Lieferungen und Leistungen an das Schuldnerunternehmen während der vorläufigen Eigenverwaltung werden regelmäßig zu bezahlen sein. Dies gilt insbesondere für solche Verpflichtungen, die der Schuldner in Abstimmung mit dem vorläufigen Sachwalter eingegangen ist und die somit einer Prüfung der Angemessenheit durch den unabhängig im Gläubigerinteresse tätigen vorläufigen Sachwalter standgehalten haben. Vom Schuldner unabgestimmt, insbesondere außerhalb des Finanzplans gemäß § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO eingegangene Verpflichtungen hat der vorläufige Sachwalter besonders sorgfältig zu prüfen, wobei er auch solche Zahlungen jedenfalls dann auszuführen hat, wenn die entsprechende Zahlungspflicht aufgrund einer Anordnung gemäß § 270c Abs. 4 InsO im eröffneten Verfahren ___________ 72) Zur Anfechtbarkeit der in diesen Fällen geleisteten Zahlungen vgl. BGH v. 15.12.2005 – IX ZR 156/04, ZIP 2006, 431, dazu EWiR 2006, 349 (Homann), sowie unten Rz. 209 ff.

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Vorläufige Eigenverwaltung

den Rang einer Masseverbindlichkeit hätte oder wenn sich aus anderen Gründen ergibt, dass die entsprechenden Leistungen i. R. des Geschäftsbetriebs benötigt und auch in Anspruch genommen wurden. Sollten sich hierbei Zweifel ergeben, muss der vorläufige Sachwalter entsprechende Zahlungen ggf. vorübergehend zurückhalten, um dem Schuldner Gelegenheit zu geben, Zweifel an der Sorgfaltsgemäßheit der Begründung entsprechender Zahlungspflichten auszuräumen. Allein die Übernahme des Zahlungsverkehrs gemäß § 270b Abs. 1 Satz 1, § 275 Abs. 2 InsO dient insoweit der Intensivierung der Aufsicht über das insolvente Unternehmen und sollte den Schuldner dazu veranlassen, bereits die Begründung von Verpflichtungen dem Umfang nach eng mit dem vorläufigen Sachwalter abzustimmen. Hinsichtlich der Begleichung der laufenden Entgeltforderungen aus Nutzungsüberlas- 92 sungsverhältnissen steht dem Schuldner – ähnlich wie auch einem vorläufigen Insolvenzverwalter – ein gewisser Einschätzungsspielraum im Einzelfall zu, da der Vertragspartner seine Gegenleistung letztlich auch für den Fall der Nichtbezahlung nicht einseitig zurückhalten kann. In Anlehnung an die Regelung des § 279 Satz 2 InsO zu den insolvenzrechtlichen Sonderrechten des Schuldners im eröffneten Verfahren sollte der Schuldner entsprechende Einschätzungsspielräume i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung im Einvernehmen mit dem vorläufigen Sachwalter ausüben. Dabei ist insbesondere auch zu beachten, dass der Bestand für die Betriebsfortführung wichtiger Vertragsbeziehungen, z. B. zu Vermietern oder Leasinggebern, nicht gefährdet wird. Der Schuldner wird daher regelmäßig gehalten sein, Mieten bzw. Leasingraten jedenfalls insoweit zu begleichen, als anderenfalls – auch unter Berücksichtigung von § 112 InsO – ein Kündigungsrecht des Vermieters oder Leasinggebers entstünde.73) 3.2.1.4.4 Modifizierte Kassenführung durch vorläufigen Sachwalter bei mittleren und größeren Unternehmen Während bei kleineren Unternehmen die Übernahme des gesamten Zahlungsverkehrs durch 93 den vorläufigen Sachwalter durchaus sinnvoll und auch im Hinblick auf die alltägliche Abwicklung machbar erscheint, stellt die Abwicklung des Zahlungsverkehrs mittlerer und größerer Unternehmen Schuldner und vorläufigen Sachwalter vor organisatorische Herausforderungen.74) Will der vorläufige Sachwalter – auch unter Berücksichtigung weiterer, die Fortführung begleitender Mitarbeiter aus seiner Kanzlei – nicht nur ihm vom Schuldner vorgelegte Zahlungslisten „abnicken“, was für den Fall der Inanspruchnahme der Kassenführung nicht sachgerecht erschiene, so würde die entsprechende Prüfung zu zeitlichen Verzögerungen führen, was wiederum für die Fortführung des schuldnerischen Unternehmens zum Problem werden kann. Indes lässt § 275 Abs. 2 InsO den Beteiligten auch Raum zu modifizierten Lösungen. Nach Auffassung des Verfassers kann sich daher in der Praxis – gerade bei Fortführung 94 mittlerer und größerer Unternehmen – folgende zwischen dem vorläufigen Sachwalter und dem Schuldner abzustimmende Vorgehensweise der Konten- und Kassenführung gemäß § 275 Abs. 2 InsO empfehlen:75) 

Der vorläufige Sachwalter verlangt vom Schuldner, dass eingehende Gelder – soweit es sich nicht um Barzahlungen handelt – ausschließlich von ihm entgegengenommen werden dürfen. Insbesondere für Zwecke des Forderungseinzugs ist in diesem Fall vom Schuldner ausschließlich das Anderkonto des vorläufigen Sachwalters zu nutzen.

___________ 73) Vgl. hierzu auch Sinz/Hiebert, ZInsO 2011, 798, 799 f. 74) Ähnlich Riggert in: Braun, InsO, § 275 Rz. 15. 75) Ebenso inzwischen Undritz/Schur, ZIP 2016, 549, 552.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren



Zudem verlangt der vorläufige Sachwalter vom Schuldner bzw. vereinbart mit ihm, dass Zahlungen ab einer bestimmten Größenordnung im Einzelfall oder ab einem bestimmten täglichen/wöchentlichen Volumen nur vom vorläufigen Sachwalter bzw. nach vorheriger Freigabe durch den vorläufigen Sachwalter geleistet werden.



Im Übrigen belässt der vorläufige Sachwalter dem Schuldner die Konten- und Kassenführung und stattet ihn entsprechend der Liquiditätsplanung und -lage mit entsprechenden Beträgen aus, über welche der Schuldner auf eigenen Konten verfügt. Insoweit stimmen Schuldner und vorläufiger Sachwalter den Umfang der zugelassenen Zahlungen im Vorfeld in allgemeiner Art, insbesondere unter insolvenzrechtlichen Wertungen ab (siehe auch Rz. 88 ff.).



Den entsprechenden Zahlungsverkehr kontrolliert der vorläufige Sachwalter (nachträglich) i. R. der Prüfung der ihm vorzulegenden laufenden Buchhaltung. Zudem kommt auch hinsichtlich des dem Schuldner belassenen Zahlungsverkehrs eine interne Einbindung des vorläufigen Sachwalters in Betracht (siehe hierzu bereits Rz. 85).

95 Eine modifizierte Kassenführung kommt in nochmals deutlich simplerer Form auch dergestalt in Betracht, dass der vorläufige Sachwalter schlichtweg relevante Liquiditätsüberschüsse, die der Schuldner für Zwecke der Fortführungsfinanzierung nicht benötigt, vom Schuldner auf ein vom vorläufigen Sachwalter eingerichtetes Treuhandkonto anfordert und dort verwahrt, bis die entsprechenden Beträge i. R. der Finanzplanung des Schuldners operativ benötigt, i. R. des eröffneten Verfahrens an die Gläubiger ausgeschüttet oder nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens an den Schuldner ausbezahlt werden. 96 Diese vorgeschlagenen, mit dem Schuldner jeweils abzustimmenden bzw. vom vorläufigen Sachwalter festzulegenden Vorgehensweisen bieten den Vorteil, dass einerseits der Schuldner im Tagesgeschäft im Wesentlichen frei und ohne Zeitverlust agieren und andererseits trotzdem der vorläufige Sachwalter das Barvermögen des Schuldners weitestgehend sichern kann. Hierdurch kann – insbesondere in Fällen höherer Liquiditätsbestände – auch das Vertrauen skeptischer Gläubiger in die (vorläufige) Eigenverwaltung regelmäßig gestärkt werden. Zudem lassen sich die Abläufe der Abstimmung zwischen Schuldner und vorläufigem Sachwalter auf diese Weise effizient und praktikabel gestalten. 97 Risiken birgt die vorgeschlagene modifizierte Kassenführung gegenüber der vollumfänglichen Inanspruchnahme der Kassenführung in zweierlei Hinsicht, wobei diese Risiken ggf. auch folgendermaßen minimiert werden können: 98 Zum einen kann naturgemäß nicht ausgeschlossen werden, dass der Schuldner entgegen der mit dem vorläufigen Sachwalter erfolgten Abstimmung auch Zahlungen leistet, die im Widerspruch zu den Gläubigerinteressen stehen. Dies betrifft z. B. masseschmälernde Zahlungen auf Altverbindlichkeiten. Indes sollte dieses Risiko bereits angesichts der Kooperation zwischen Schuldner und vorläufigem Sachwalter und der stets erforderlichen insolvenzrechtlichen Beratung des Schuldners nur theoretischer Art sein; zudem werden entsprechende Zahlungen – Kenntnis des Zahlungsempfängers vom Insolvenzantrag vorausgesetzt – im eröffneten Insolvenzverfahren auch der Kongruenzanfechtung gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO unterliegen. 99 Zum anderen besteht für Empfänger der vom Schuldner geleisteten Zahlungen selbst dann das Risiko der Anfechtbarkeit gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO, wenn sich der Schuldner hierbei an die mit dem vorläufigen Sachwalter getroffenen Absprachen gehalten hat (siehe hierzu noch eingehender Rz. 213 f.). Insoweit besteht letztlich insbesondere Rechtsunsicherheit dahingehend, dass zur Anfechtbarkeit von Rechtshandlungen des Schuldners unter der Aufsicht des vorläufigen Sachwalters noch keine (höchstrichterliche) Rechtsprechung vorliegt. Eine Anfechtbarkeit lässt sich letztlich nur dann vollends ausschließen, wenn die

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Vorläufige Eigenverwaltung

Grenzen unanfechtbarer Bargeschäfte i. S. von § 142 InsO gewahrt bleiben oder wenn eine Zahlung auf eine Masseverbindlichkeit erfolgt. 3.2.1.5

Anzeigepflicht bei Feststellung nachteiliger Umstände und Antrag auf Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung

Den Schuldner disziplinierender Bestandteil der Aufsichtspflicht des vorläufigen Sachwalters 100 ist dessen Pflicht zur Nachteilsanzeige nach § 274 Abs. 3 InsO (i. V. m. § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO). Hiermit in engem Zusammenhang steht das Recht des vorläufigen Sachwalters, gemäß § 270e Abs. 1 Nr. 4 InsO mit Zustimmung des vorläufigen Gläubigerausschusses einen Antrag auf Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung zu stellen. Stellt der vorläufige Sachwalter Umstände fest, die erwarten lassen, dass eine Fortsetzung 101 der (vorläufigen) Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird, so trifft ihn gemäß § 270b Abs. 1 Satz 1, § 274 Abs. 3 InsO eine Pflicht, dies i. R. einer Nachteilsanzeige gegenüber dem Insolvenzgericht und dem vorläufigen Gläubigerausschuss bzw. den Gläubigern mitzuteilen. Fälle solcher nachteiligen Umstände können insbesondere sein: 

Unkooperatives Verhalten des Schuldners, insbesondere in Gestalt der Verletzung seiner Informations- und Unterstützungspflichten gegenüber dem vorläufigen Sachwalter oder dem Gericht gemäß § 270b Abs. 1 Satz 1, § 274 Abs. 2 Satz 3, § 22 Abs. 3 InsO;



Verstoß des Schuldners gegen seine Pflicht, wesentliche Änderungen der Eigenverwaltungsplanung nach § 270c Abs. 2 InsO dem Gericht und dem vorläufigen Sachwalter anzuzeigen;



Verstoß gegen § 270b Abs. 1 Satz 1, § 275 Abs. 1 InsO, insbesondere Abschluss außergewöhnlicher Geschäfte ohne Zustimmung oder gewöhnlicher Geschäfte gegen den Widerspruch des vorläufigen Sachwalters;



Verletzung gesetzlicher Pflichten, insbesondere handels- und steuerrechtlicher Buchhaltungs- und Rechnungslegungspflichten;



Feststellung wesentlicher, allgemeiner Geschäftsführungsmängel;



Feststellung der Nichtwahrung von Gläubigerrechten, insbesondere auch im Zusammenhang mit im eröffneten Verfahren als Aus- und Absonderungsrechten zu berücksichtigender Sicherungsrechte;



Verfolgung nicht zielführender Sanierungswege oder Vernachlässigung besserer Handlungsalternativen, wobei der vorläufige Sachwalter insoweit zunächst i. R. seiner Verpflichtung zur beratenden Begleitung auf eine Verfolgung gangbarer Wege hinzuwirken hat;



intransparente oder irreführende Information von Gläubigern über verfahrensrelevante Entwicklungen.

Bei der Anzeigepflicht handelt es sich letztlich um das „scharfe Schwert“ des (vorläufigen) 102 Sachwalters, das als ultima ratio zum Einsatz kommt. Der vorläufige Sachwalter wird die Anzeigepflicht daher im Wege der Androhung auch dazu einsetzen können und müssen, den Schuldner im Falle bestehender Meinungsverschiedenheiten über den Umfang der Pflichten des Schuldners, über die Art und Weise der Kooperation zwischen Schuldner und vorläufigem Sachwalter oder sonst über die Art und Weise der Verfahrensabwicklung zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten. Stellt der vorläufige Sachwalter indes entsprechende Umstände für drohende Nachteile fest, 103 so ist er zur Anzeige verpflichtet. Ist ein vorläufiger Gläubigerausschuss bestellt, so ist die Anzeige neben dem Insolvenzgericht an den Ausschuss zu richten (vgl. § 274 Abs. 3 Satz 1 InsO). Ist ein vorläufiger Gläubigerausschuss nicht bestellt, so sind entsprechend § 274 Hofmann

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

Abs. 3 Satz 2 InsO alle dem vorläufigen Sachwalter bekannten Gläubiger und Absonderungsberechtigten zu unterrichten. In Ermangelung von Forderungsanmeldungen im Eröffnungsverfahren ist der Kreis der Gläubiger, denen gegenüber im Fall des § 274 Abs. 3 Satz 2 InsO die Unterrichtung zu erfolgen hat, noch nicht abschließend bekannt. Aus diesem Grund kann nach Auffassung des Verfassers zudem eine öffentliche Bekanntmachung der Anzeige analog § 277 Abs. 3 Satz 1 InsO erfolgen, sofern ein vorläufiger Gläubigerausschuss nicht bestellt ist.76) 104 Der Inhalt der Anzeige sollte sich – insbesondere i. R. der Anzeige an das Gericht und den vorläufigen Gläubigerausschuss entsprechend § 274 Abs. 3 Satz 1 InsO – vom Zweck der Anzeigepflicht leiten lassen, dem Gericht und dem vorläufigen Gläubigerausschuss die Einleitung entsprechender Maßnahmen zu ermöglichen. Reaktionsmöglichkeit des Insolvenzgerichts dürfte im Eröffnungsverfahren insbesondere die Prüfung einer Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung von Amts wegen gemäß § 270e Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 oder Nr. 3 InsO sein. Der vorläufige Gläubigerausschuss wird seinerseits auf Grundlage der Nachteilsanzeige prüfen, welche Handlungsmöglichkeiten er ergreifen will, wobei auch insoweit dem Recht zum Aufhebungsantrag nach § 270e Abs. 1 Nr. 4. Alt. 2 InsO besondere Bedeutung zukommt. Die Anzeige sollte daher unbedingt sämtliche maßgebliche Grundlagen der entsprechenden Einschätzung des vorläufigen Sachwalters enthalten; ggf. sollte der vorläufige Sachwalter auch entsprechende Unterlagen beifügen. 105 Zudem hat der vorläufige Sachwalter natürlich die Möglichkeit, Anregungen hinsichtlich angezeigter Maßnahmen an das Insolvenzgericht bzw. den vorläufigen Gläubigerausschuss zu richten. Ist kein vorläufiger Gläubigerausschuss bestellt, so ist dem vorläufigen Sachwalter ein Spielraum dahingehend einzuräumen, die an die bekannten Gläubiger und Absonderungsberechtigten zu übermittelnde Anzeige verkürzt darzustellen und weitere Informationen bzw. Unterlagen ggf. auf entsprechende Anforderung oder i. R. eines OnlineInformationsdiensts zur Verfügung zu stellen. Auch die analog § 277 Abs. 3 Satz 1 InsO in diesem Fall angezeigte öffentliche Bekanntmachung kann deutlich verkürzt erfolgen; insoweit ist ein Hinweis darauf aufzunehmen, dass die vollständige Anzeige in der Geschäftsstelle des Gerichts zur Einsichtnahme der Gläubiger und Absonderungsberechtigten – gegen entsprechenden Berechtigungsnachweis – zur Verfügung steht. 106 Über die Anzeige hinaus, zu welcher der vorläufige Sachwalter gemäß §§ 270b Abs. 1 Satz 1, 274 Abs. 3 InsO verpflichtet ist, steht ihm das Recht zu, nach pflichtgemäßem Ermessen gemäß § 270e Abs. 1 Nr. 4 Alt. 1 InsO mit Zustimmung des vorläufigen Gläubigerausschusses Antrag auf Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung zu stellen (zur Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung siehe auch Rz. 294 ff.). 3.2.2 Beratende Begleitung der Eigenverwaltung durch den vorläufigen Sachwalter 107 Die gesetzlich normierten Aufgaben des (vorläufigen) Sachwalters beziehen sich – abgesehen von den ihm im Gläubigerinteresse übertragenen besonderen Aufgaben – ausschließlich auf die Aufsicht über den Schuldner. Würde sich der (vorläufige) Sachwalter dabei auf eine nachlaufende Kontrolle der Handlungen des eigenverwaltenden Schuldners beschränken, so gewährleistete dies keinen angemessenen Schutz der Gläubigerinteressen. Der vorläufige Sachwalter darf sich daher nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht darauf beschränken, vom eigenverwaltenden Schuldner und dessen Beratern vorgelegte und abgeschlossen erarbeitete Konzepte nachträglich zu billigen oder i. R. seiner Überwachungstätigkeit zu verwerfen, da dies dem Sanierungsprozess schwerwiegend schaden würde und mit der Eil___________ 76) Für eine Zulässigkeit einer entsprechenden Bekanntmachung auch im Fall des eröffneten Verfahrens bei hoher Gläubigerzahl: Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 274 Rz. 14 m. w. N.

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Vorläufige Eigenverwaltung

bedürftigkeit des Verfahrens unvereinbar wäre.77) Aufgabe des (vorläufigen) Sachwalters ist vielmehr die beratende Begleitung der Eigenverwaltung. Der vorläufige Sachwalter muss sich dazu frühzeitig in die Erarbeitung der Sanierungskonzepte einbinden lassen, damit er rechtzeitig kommunizieren kann, welche Sanierungsmaßnahmen nach seiner Auffassung möglich und gangbar sind.78) Der vorläufige Sachwalter ist insoweit im Interesse der Gläubigergemeinschaft berechtigt und im Ergebnis sogar verpflichtet, Handlungsalternativen aufzuzeigen, wobei es denknotwendig allein dem eigenverwaltenden Schuldner zusteht, diese aufzugreifen und umzusetzen. Gerade die beratende Begleitung der Eigenverwaltung durch den vorläufigen Sachwalter ermöglicht es letztlich, neben dem Sanierungs-Know-how der Berater des eigenverwaltenden Schuldners auch das entsprechende Know-how des (vorläufigen) Sachwalters für den Sanierungsprozess nutzbar zu machen. Voraussetzung hierfür ist eine laufende intensive Kommunikation zwischen der Eigenverwaltung und dem (vorläufigen) Sachwalter. Zur Ermöglichung der laufenden beratenden Begleitung der Eigenverwaltung ist der (vor- 108 läufige) Sachwalter – wie auch vom BGH klargestellt – zudem zur Teilnahme an Verhandlungen berechtigt.79) Dies gilt bspw. für Verhandlungen mit Banken80) und anderen Gläubigern, aber gleichermaßen für Verhandlungen mit Investoren i. R. eines M&A-Prozesses. Der vorläufige Sachwalter darf gerade i. R. der für den Verfahrensfortgang wesentlichen Fragen nicht auf eine nur nachlaufende Aufsicht verwiesen werden oder sich auf eine solche beschränken,81) so dass sein Teilnahmerecht an den entsprechenden Gesprächen und Verhandlungen zwingende Voraussetzung dafür ist, dass er seine Aufsichtsfunktion im Interesse der Gläubiger wahrnimmt. In welchem Umfang der vorläufige Sachwalter von seinem Teilnahmerecht Gebrauch macht, liegt letztlich in seinem pflichtgemäßen Ermessen; hierbei hat er nach hier vertretener Auffassung insbesondere zutage tretende Widerstreite zwischen den Interessen der auf Seiten des eigenverwaltenden Schuldners agierenden Personen und den Interessen der Gläubigergesamtheit zu berücksichtigen.82) Die Grenzen der beratenden Begleitung der Eigenverwaltung liegen in der grundlegenden 109 Kompetenzverteilung i. R. der (vorläufigen) Eigenverwaltung, welche dem Schuldner die Geschäftsführung belässt. Der (vorläufige) Sachwalter darf daher in keinem Fall den Sanierungsprozess anstelle des Schuldners und seiner Berater lenken.83) Auch darf er nicht als Vertreter oder Verhandlungsführer des Schuldners auftreten.84) Die begleitende Beratung des vorläufigen Sachwalters darf sich damit im Ergebnis nur auf Felder beziehen, in welchen ___________ 77) 78) 79) 80) 81) 82)

BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1598. BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1598. BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981, 1985. So im Fall des BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981, 1985. So bereits BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1598. Handelt es sich bei dem eigenverwalteten Unternehmen bspw. um ein Familienunternehmen und ist i. R. der Eigenverwaltung eine Lösung angestrebt, in welcher die Unternehmerfamilie – ggf. unter Hinzunahme eines Co-Investors – weiterhin maßgeblich am Unternehmen beteiligt bleiben soll, so stehen sich im Einzelfall das Interesse der Unternehmerfamilie am Erhalt ihres Einflusses und an der möglichst niedrigen Ausgestaltung eines finanziellen Sanierungsbeitrags einerseits und das Interesse der Gläubigergemeinschaft an einem bestmöglichen Ergebnis, d. h. an einer hohen Quotenausschüttung, diametral gegenüber. Gerade in derartigen Fällen wird der (vorläufige) Sachwalter dazu verpflichtet sein, sich sehr eng in die Verhandlungen einbinden zu lassen. Ist von Seiten der Eigenverwaltung demgegenüber von vornherein ein ergebnisoffener M&A-Prozess angedacht, der von einem professionellen M&A-Beratungsunternehmen begleitet wird, so kann sich der (vorläufige) Sachwalter auf die Teilnahme an wichtigen Verhandlungsterminen beschränken oder sogar auf eine Teilnahme ganz verzichten, sofern entsprechendes Vertrauen in die agierenden Personen besteht. 83) BGH v. 21.7.2016 – IX ZR 70/14, ZIP 2016, 1592, 1598. 84) BGH v. 22.9.2016 – IX ZR 71/14, ZIP 2016, 1981, 1985 und 1986 (auch zur Unzulässigkeit der Übernahme von Verhandlungen mit Betriebsräten durch den vorläufigen Sachwalter).

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

der eigenverwaltende Schuldner selbst Verhandlungen führt bzw. Konzepte erarbeitet, welche der vorläufige Sachwalter i. R. seiner Aufgaben laufend zu bewerten hat. 3.2.3 Berichterstattung gemäß § 270c Abs. 1 InsO als besondere Aufgabe im Interesse der Gläubiger 110 Die InsO weist dem Sachwalter im eröffneten Verfahren im Interesse der Gläubiger an einer geordneten und unabhängigen Verfahrensabwicklung verschiedene Aufgaben zu, welche in der Regelinsolvenz der Insolvenzverwalter zu erfüllen hat: dies gilt insbesondere für die Prüfung von Anfechtungs- und Haftungsansprüchen (vgl. § 280 InsO) sowie für die Entgegennahme der Forderungsanmeldungen und die Tabellenführung (vgl. § 270f Abs. 2 Satz 2 InsO). Auch im Eröffnungsverfahren können dem vorläufigen Sachwalter – wenngleich in deutlich untergeordnetem Umfang – besondere Aufgaben übertragen werden, welche im Interesse der Gläubiger ausschließlich er wahrnehmen kann. Seit Inkrafttreten des SanInsFoG sieht § 270c Abs. 1 InsO vor, dass das Insolvenzgericht den vorläufigen Sachwalter beauftragt, Bericht zu erstatten über 

die vom Schuldner vorgelegte Eigenverwaltungsplanung, insbesondere, ob diese von den erkannten und erkennbaren tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht, schlüssig ist und durchführbar erscheint,



die Vollständigkeit und Geeignetheit der Rechnungslegung und Buchführung als Grundlage für die Eigenverwaltungsplanung, insbesondere für die Finanzplanung, und



das Bestehen von Haftungsansprüchen des Schuldners gegen amtierende oder ehemalige Mitglieder der Organe.

111 Bei der entsprechenden Berichterstattung handelt es sich nicht originär um eine Aufsichtsmaßnahme, sondern vielmehr – ähnlich wie im Fall der dem Sachwalter im eröffneten Verfahren gemäß § 280 InsO zugewiesenen Zuständigkeit zur Prüfung von Anfechtungs- und Haftungsansprüchen – um eine Aufgabe, die zur Wahrung der Interessen der Gläubiger ausschließlich der vorläufige Sachwalter wahrnehmen kann. 3.2.3.1

Gerichtlicher Auftrag

112 Grundlage der Berichterstattung durch den vorläufigen Sachwalter gemäß § 270c Abs. 1 InsO ist ein Beschluss des Insolvenzgerichts, wobei die Entscheidung über die Beauftragung oder Nichtbeauftragung gemäß § 270c Abs. 1 InsO im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts steht.85) Die Beauftragung kann dabei gleichzeitig mit der Bestellung des vorläufigen Sachwalters oder auch nachträglich erfolgen, z. B. wenn Zweifel bestehen, ob die vorläufige Eigenverwaltung nach § 270e Abs. 1 Nr. 1 InsO aufzuheben ist.86) In inhaltlicher Hinsicht erscheint es einerseits zulässig, dass vom Gericht auch nur ein eingeschränkter Auftrag erteilt wird, der sich z. B. nur auf die Prüfung der Eigenverwaltungsplanung nach § 270c Abs. 1 Nr. 1 InsO beschränkt; andererseits kann das Gericht – letztlich anstelle von gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 InsO möglichen Sachverständigenaufträgen – die Berichterstattung im Einzelfall ggf. auch auf weitere klärungsbedürftige Punkte erstrecken.87) 3.2.3.2

Art und Weise der Berichterstattung

113 Über die Ergebnisse seiner Prüfungshandlungen hat der vorläufige Sachwalter – nach hier vertretener Auffassung spätestens mit der Vorlage eines in der Regel auch beauftragten ___________ 85) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 206. 86) So ausdrücklich Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 206. 87) Vgl. hierzu auch Frind, ZIP 2021, 171, 177.

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Vorläufige Eigenverwaltung

Insolvenzgutachtens zur Prüfung der Eröffnungsgründe und der Verfahrenskostendeckung – Bericht zu erstatten. Die Berichterstattung wird dabei in aller Regel schriftlich erfolgen. 3.2.3.3

Einzelbereiche der Berichterstattung

Die Bereiche, auf welche sich die vom Gericht beauftragte Berichterstattung in aller Regel 114 beziehen wird, sind in § 270c Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 InsO aufgeführt: Die Prüfung der Eigenverwaltungsplanung (§ 270c Abs. 1 Nr. 1 InsO) durch den vorläufi- 115 gen Sachwalter geht dabei deutlich über die summarische Prüfung der Eigenverwaltungsplanung durch das Gericht gemäß § 270b Abs. 1 InsO hinaus, zumal insbesondere auch die tatsächlichen Grundlagen der Eigenverwaltungsplanung und deren Durchführbarkeit vom vorläufigen Sachwalter zu bewerten sind. Die Prüfung der Vollständigkeit und Aussagekraft der Rechnungslegung und Buchfüh- 116 rung des Schuldners (§ 270c Abs. 1 Nr. 2 InsO) soll insbesondere eine Beurteilung ermöglichen, ob die Rechnungslegung eine geeignete Grundlage der hieraus regelmäßig entwickelten Finanzplanung gemäß § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO darstellt. Der vorläufige Sachwalter hat sich daher i. R. seiner Prüfung ein Bild davon zu machen, auf welchem Stand sich die Buchhaltung des Schuldners befindet, ob diese Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung entspricht und ob die Buchführung inhaltlichen Bedenken unterliegt. Über eine Prüfung von Buchhaltungsauswertungen, insbesondere betriebswirtschaftlichen Auswertungen, Summen-/ Saldenlisten und Buchungsjournalen, hinaus sollte der vorläufige Sachwalter in der Regel ggf. wenigstens für einen vollständigen Buchhaltungsmonat auch Einsicht in sämtliche Kontoauszüge und Belege nehmen. Die in § 270c Abs. 1 Nr. 3 InsO aufgeführte Prüfung des Bestehens von Haftungsansprü- 117 chen gegen amtierende oder ehemalige Organmitglieder hat sich insbesondere mit Bestehen und möglichem Umfang von Haftungsansprüchen gemäß § 15b InsO und damit auch mit der Frage des Vorliegens einer Insolvenzverschleppung auseinanderzusetzen; zudem sind jedoch auch andere Haftungstatbestände, z. B. eine Haftung gemäß § 43 GmbHG, zu prüfen. Mit Blick darauf, dass das bloße Bestehen von Haftungsansprüchen nicht per se gegen eine (vorläufige) Eigenverwaltung spricht, sollte der vorläufige Sachwalter sich insoweit i. R. seiner Berichterstattung auch dazu äußern, ob Umstände vorliegen, die i. S. von § 270e Abs. 1 Nr. 1 lit. c InsO auf eine Erschwerung der Durchsetzung der Ansprüche i. R. einer Eigenverwaltung hindeuten. Da neben Haftungsansprüchen oftmals gerade auch Anfechtungsansprüche gegen nahe- 118 stehende Personen, z. B. solche gemäß § 135 InsO, im Raum stehen können, erscheint es ggf. empfehlenswert, den Prüfungsauftrag auch um das Bestehen von (künftigen) Anfechtungsansprüchen gegen Geschäftsführer und Gesellschafter zu erweitern. Eine frühzeitige Prüfung des (Nicht-)Bestehens entsprechender Ansprüche dürfte dabei nicht zuletzt auch im Interesse des Schuldners liegen, da das Nichtbestehen von Anfechtungsansprüchen oftmals eine wesentliche Vorfrage für die Vorlage eines Insolvenzplans darstellt. 3.2.4 Unterstützung des Schuldners bei der Verfahrensabwicklung Über die bislang dargestellten Aufgaben des vorläufigen Sachwalters hinaus ist in sehr engem 119 Rahmen auch eine Wahrnehmung von originär dem Schuldner zugewiesenen Aufgaben durch den vorläufigen Sachwalter vorgesehen. Insbesondere die neu geschaffene Regelung des § 274 Abs. 2 Satz 2 InsO lässt in bestimmten Fällen ausdrücklich Unterstützungsleistungen des (vorläufigen) Sachwalters zu. Darüber hinaus war für den Fall der Vorbereitung von Insolvenzplänen bereits zuvor in eng definierten Ausnahmekonstellationen eine Übernahme

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

von Tätigkeiten durch den vorläufigen Sachwalter höchstrichterlich anerkannt (siehe hierzu Rz. 123). 3.2.4.1

Unterstützung gemäß § 274 Abs. 2 Satz 2 InsO

120 Mit Inkrafttreten des SanInsFoG hat der Gesetzgeber in § 274 Abs. 2 Satz 2 InsO (i. V. m. § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO) dem Insolvenzgericht die Möglichkeit eingeräumt, anzuordnen, dass der vorläufige Sachwalter den Schuldner i. R. der Insolvenzgeldvorfinanzierung, der insolvenzrechtlichen Buchführung und der Verhandlungen mit Kunden und Lieferanten unterstützen kann.88) Nach der gesetzgeberischen Begründung der Norm soll hierdurch gerade keine Durchbrechung der grundsätzlichen Kompetenzverteilung ermöglicht werden; vielmehr sollen sich entsprechende Unterstützungsleistungen des (vorläufigen) Sachwalters auf Bereiche beschränken, bei denen keine Beeinträchtigung der Unabhängigkeit und der Überwachung drohen.89) Hintergrund der Norm dürfte vor allem die vergütungsrechtliche Problematik sein, dass der (vorläufige) Sachwalter nur für solche Tätigkeiten einen Zuschlag i. S. von § 3 InsVV beanspruchen kann, die auch zu seinen auf Grundlage der InsO vorgesehenen Aufgaben gehören (siehe hierzu Rz. 140 f.). Sinn und Zweck der Norm fordern daher – zur Vermeidung einer Aushöhlung der Kompetenzverteilung in der (vorläufigen) Eigenverwaltung – einen einschränkenden Umgang mit der Zulassung entsprechender Unterstützungsleistungen. 121 In der Sache eröffnet § 274 Abs. 2 Satz 2 InsO insbesondere eine Unterstützung der Eigenverwaltung durch den (vorläufigen) Sachwalter bzw. dessen Kanzlei im Bereich der Insolvenzgeldvorfinanzierung (siehe hierzu Rz. 216) sowie im Bereich der Gespräche mit Kunden und Lieferanten (siehe hierzu Rz. 192). Zudem kann das Gericht eine Unterstützung i. R. der insolvenzrechtlichen Buchführung zulassen; die Unterstützung kann in diesem Bereich sehr unterschiedlich ausgestaltet werden – angefangen von der Anleitung und Schulung von Buchhaltungsmitarbeitern des schuldnerischen Unternehmens durch Mitarbeiter des (vorläufigen) Sachwalters bis hin zur vollumfänglichen Vorbereitung der insolvenzrechtlichen Buchführung durch die Kanzlei des (vorläufigen) Sachwalters, welche sich der Schuldner sodann zu eigen machen muss. 122 Hat das Gericht die entsprechende Unterstützung durch die Anordnung gemäß § 274 Abs. 2 Satz 2 InsO zugelassen, so ist der (vorläufige) Sachwalter nach pflichtgemäßem Ermessen berechtigt, den Schuldner in den betreffenden Bereichen zu unterstützen. Demgegenüber statuieren § 274 Abs. 2 Satz 2 InsO bzw. entsprechende Anordnungen des Gerichts keine Verpflichtung des (vorläufigen) Sachwalters, in einem konkreten Umfang zu unterstützen; vielmehr steht die Unterstützung im Ermessen des (vorläufigen) Sachwalters.90) Damit kann sich der Schuldner angesichts der ratio des § 274 Abs. 2 Satz 2 InsO auch nicht darauf berufen, dass Versäumnisse in der Verfahrensabwicklung auf der nicht hinreichenden Unterstützung durch den (vorläufigen) Sachwalter beruhen. 3.2.4.2

Vorbereitung eines Insolvenzplans bei Beauftragung durch den vorläufigen Gläubigerausschuss gemäß § 284 Abs. 1 Satz 2 InsO

123 Einen weiteren, bereits zuvor durch die Rechtsprechung des BGH91) zugelassenen Fall der Unterstützung des Schuldners stellt die nunmehr auch in § 284 Abs. 1 Satz 2 InsO vorge___________ 88) Zur systematischen Kritik an der Zulassung von Unterstützungsleistungen Frind, ZIP 2021, 171, 177, der die Regelung des § 274 Abs. 2 Satz 2 InsO zu Recht als „dogmatischen Systembruch“ kritisiert. 89) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 208 f. 90) Ebenso z. B. Fiebig in: HambKomm-InsO, § 274 Rz. 15. 91) BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981, 1987.

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§4

Vorläufige Eigenverwaltung

sehene Vorbereitung eines Insolvenzplans durch den vorläufigen Sachwalter dar. Das Insolvenzplanverfahren ist Teil des eröffneten Insolvenzverfahrens; ein Planvorlagerecht des Insolvenzverwalters besteht daher im Regelinsolvenzverfahren gemäß § 218 Abs. 1 Satz 1 InsO erst nach Verfahrenseröffnung; eine Planvorlage durch den vorläufigen Insolvenzverwalter scheidet demgegenüber aus.92) Indes sehen die Regelungen der §§ 218 Abs. 1 Satz 2 und 270d InsO vor, dass der Schuldner bereits im Eröffnungsverfahren einen Insolvenzplan vorlegen bzw. vorbereiten kann. Auch für den vorläufigen Insolvenzverwalter ist anerkannt, dass er berechtigt ist, vorbereitende Maßnahmen zur frühzeitigen Vorlage eines Insolvenzplans nach Verfahrenseröffnung zu ergreifen.93) Der rechtzeitigen Erstellung und Vorlage des Insolvenzplans kann insoweit im Einzelfall erhebliche Bedeutung zukommen, insbesondere wenn die langfristige Fortführung und Sanierung des Unternehmens erheblichen Liquiditätsbedarf auslöst, der erst über einen Investor i. R. eines Insolvenzplans gedeckt werden kann. Im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung ist insoweit auf Grundlage der Kompetenz- 124 verteilung zwischen Schuldner und vorläufigem Sachwalter originär der Schuldner zur Vorbereitung eines Insolvenzplans berufen, sofern dessen frühzeitige Vorlage im konkreten Fall erforderlich erscheint. Der vorläufige Sachwalter ist im Grundsatz nicht zur Vorbereitung eines Insolvenzplans berechtigt, zumal auch der Sachwalter im eröffneten Insolvenzverfahren kein originäres Planvorlagerecht hat.94) Allerdings kann der vorläufige Sachwalter durch Beschluss des vorläufigen Gläubigerausschusses gemäß § 284 Abs. 1 Satz 2 InsO mit der Vorbereitung eines Insolvenzplans beauftragt werden; eine vom BGH95) vor Inkrafttreten des § 284 Abs. 1 Satz 2 InsO noch geforderte Zustimmung des Schuldners ist nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht erforderlich. Vielmehr hat es der Gesetzgeber ausdrücklich ausschließlich in die Hände des vorläufigen Gläubigerausschusses gegeben, ob dieser den Schuldner selbst oder aber den vorläufigen Sachwalter „als neutrale Vertrauensperson“ mit der Vorbereitung eines Insolvenzplans betrauen.96) Sofern im betreffenden Verfahren kein vorläufiger Gläubigerausschuss bestellt ist, kommt 125 nach hier vertretener Auffassung eine Beauftragung des vorläufigen Sachwalters mit der Vorbereitung eines Insolvenzplans durch das Insolvenzgericht analog §§ 270b Abs. 1 Satz 1, 274 Abs. 2 Satz 2 InsO in Betracht, sofern dies i. S. von § 21 InsO zur Sicherung der Gläubigerinteressen erforderlich erscheint;97) ein derartiger Auftrag ist dabei – da es sich in diesem Fall um eine reine Unterstützungsleistung handelt – nur mit Zustimmung des Schuldners zulässig.98) Der Praxis ist ein zurückhaltender Umgang mit der Möglichkeit, den vorläufigen Sach- 126 walter mit der Vorbereitung eines Insolvenzplans zu betrauen, zu empfehlen. Gerade im Bereich der für die Gläubigerbefriedigung maßgeblichen Vorbereitung des Insolvenzplans droht ein Verschwimmen zwischen den aufsichtsorientierten Pflichten des (vorläufigen) Sachwalters und der Steuerung des Sanierungsprozesses. Vorzugswürdig erscheint daher die Vorbereitung des Insolvenzplans durch den Schuldner und die enge beratende Begleitung durch den vorläufigen Sachwalter gemäß § 284 Abs. 1 Satz 3 InsO. ___________ 92) Beck/Pechartschek in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 4 Rz. 20. 93) Beck/Pechartschek in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 4 Rz. 20; ebenso Hofmann in: Wimmer/ Dauernheim/Wagner/Gietl, Hdb. des FAInsR, Kap. 13 Rz. 22. 94) Ebenso BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981, 1987. 95) So BGH v. 22.9.2016 – IX ZR 71/14, ZIP 2016, 1981, 1987. 96) Begr. RegE-SanInsFoG z. Nr. 42, BT-Drucks. 19/24181, S. 210. 97) Offengelassen vom BGH v. 22.9.2016 – IX ZR 71/14, ZIP 2016, 1981, 1987. 98) Vgl. BGH v. 22.9.2016 – IX ZR 71/14, ZIP 2016, 1981, 1987.

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§4 3.3

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren Haftung des vorläufigen Sachwalters

127 Für die Haftung des vorläufigen Sachwalters gilt gemäß § 270b Abs. 1 Satz 1, § 274 Abs. 1 InsO die Haftungsnorm des § 60 InsO. Der vorläufige Sachwalter haftet demnach gegenüber sämtlichen Beteiligten für die Erfüllung der ihm nach der InsO obliegenden Pflichten. Er hat entsprechend § 60 Satz 2 InsO für die Sorgfalt eines ordentlichen Sachwalters einzustehen. 128 Maßgebliche Pflichten, deren Verletzung eine Haftung des vorläufigen Sachwalters auslösen kann, sind dessen Aufsichtspflicht entsprechend § 274 Abs. 2 InsO einschließlich seiner Pflicht zur beratenden Begleitung der Eigenverwaltung sowie die Pflicht zur Anzeige nachteiliger Umstände entsprechend § 274 Abs. 3 InsO. Insbesondere das pflichtwidrige Unterlassen der Anzeige entsprechend § 274 Abs. 3 InsO birgt erhebliche Haftungsrisiken.99) Dabei ist vor allem zu beachten, dass der vorläufige Sachwalter – wie auch der Sachwalter im eröffneten Insolvenzverfahren – letztlich mittelbar für Verfehlungen des Schuldners zur Verantwortung gezogen werden kann, soweit diese im Fall pflichtgemäßen Verhaltens des vorläufigen Sachwalters verhindert worden wären. Der Frage der haftungsausfüllenden Kausalität kommt hierbei im jeweiligen Einzelfall naturgemäß erhebliche Bedeutung zu. 129 Soweit im Falle angeordneter Zustimmungsvorbehalte (siehe hierzu Rz. 148 ff.) der Schuldner mit Zustimmung des vorläufigen Sachwalters Masseverbindlichkeiten begründet, trifft den vorläufigen Sachwalter zudem analog § 61 InsO eine Haftung im Fall der Nichterfüllung der Masseverbindlichkeit. Der Haftungsmaßstab ist in diesem Fall dahingehend angepasst, dass sich der vorläufige Sachwalter durch die Finanz- und Liquiditätsplanung des Schuldners exkulpieren kann, soweit diese eine Erfüllbarkeit der entsprechenden Forderung bei Fälligkeit ausgehend vom Zeitpunkt seiner Zustimmung belegt und er die Planung i. R. seiner Aufsichtspflichten entsprechend § 274 Abs. 2 InsO sorgfaltsgemäß überwacht hat.100) Zugleich hat indes die Liquiditätsplanung auch das Risiko einer Masseunzulänglichkeit auszuschließen, da andernfalls ein Ausfall später fälliger Masseverbindlichkeiten ja bereits absehbar wäre.101) 130 Soweit der vorläufige Sachwalter lediglich im Innenverhältnis entsprechend § 275 Abs. 2 InsO der Begründung einer Masseverbindlichkeit zugestimmt hat, trifft ihn demgegenüber keine Haftung analog § 61 InsO.102) Hat er seine Zustimmung indes pflichtwidrig erteilt bzw. pflichtwidrig der Begründung einer Masseverbindlichkeit nicht widersprochen, so haftet er bereits gemäß § 270b Abs. 1 Satz 1, § 274 Abs. 1, § 60 InsO für den insoweit der Gläubigergesamtheit entstehenden Schaden. 131 Abgesehen von der insolvenzrechtlichen Haftung der §§ 60, 61 InsO wird der vorläufige Sachwalter stets auch zu beachten haben, dass persönliche Zahlungszusagen oder Zahlungsgarantien, die er gegenüber Lieferanten erteilt, ggf. eine persönliche, verschuldensunabhängige Haftung im Fall der späteren Nichterfüllbarkeit begründen können.103) Zahlungszusagen sollten daher in der Regel vermieden werden. 132 Übernimmt der vorläufige Sachwalter i. R. der Konten- und Kassenführung gemäß § 270b Abs. 1 Satz 1, § 275 Abs. 2 InsO den Zahlungsverkehr, so wird er insoweit – wie bereits oben (siehe Rz. 84) dargestellt – (weiterer) gesetzlicher Vertreter des Schuldners, was für ___________ Vgl. hierzu bereits Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 135. Holzer in: KPB, InsO, § 274 Rz. 61 und § 277 Rz. 23. Bäuerle/Miglietti in: Braun, InsO, § 55 Rz. 82 – für den starken vorläufigen Insolvenzverwalter. Ebenso bereits Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 136; a. A. Huhn, Eigenverwaltung, Rz. 688 ff. – Haftung analog § 277 Abs. 1 Satz 3, § 61 InsO. 103) So z. B. OLG Celle v. 21.10.2003 – 16 U 95/03, NZI 2004, 89, dazu EWiR 2004, 445 (Undritz); Wallner/ Neuenhahn, NZI 2004, 63 ff.

99) 100) 101) 102)

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Vorläufige Eigenverwaltung

ihn zusätzliche Haftungsrisiken bedeuten kann. Jedenfalls eine abgabenrechtliche Haftung gemäß §§ 69, 35 AO als Verfügungsberechtigten trifft den vorläufigen Sachwalter indes nach zutreffender Auffassung nicht,104) wobei insoweit eine Klärung durch den BFH noch aussteht. 3.4

Vergütung des vorläufigen Sachwalters

Der vorläufige Sachwalter hat gemäß § 270b Abs. 1 Satz 1, § 274 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 133 InsO Anspruch auf Vergütung für seine Geschäftsführung und auf Erstattung angemessener Auslagen.105) Seit Inkrafttreten des SanInsFoG ist die Vergütung des vorläufigen Sachwalters in § 12a InsVV ausdrücklich geregelt. Bis zum Inkrafttreten des SanInsFoG hatte insbesondere das ESUG die Vergütung des 134 vorläufigen Sachwalters ungeregelt gelassen, so dass sämtliche Fragen zur Vergütung des vorläufigen Sachwalters bis zu einer Klärung durch den BGH im Jahr 2016 überaus streitig waren.106) Der entsprechende Beschluss des BGH vom 21.7.2016107) hat dabei für Altfälle aus der Zeit vor Inkrafttreten des SanInsFoG nach wie vor entsprechende Bedeutung (siehe zur Vergütung des vorläufigen Sachwalters in Altfällen die Vorauflage, Hofmann in HRI, 3. Aufl., 2019, § 7 Rz. 93 ff.). Nach § 12a Abs. 1 Satz 1 InsVV hat der vorläufige Sachwalter Anspruch auf eine gesonderte 135 Vergütung; insbesondere erfolgt somit keine einheitliche Festsetzung mit der Vergütung des Sachwalters im eröffneten Insolvenzverfahren.108) Die konkrete Ausgestaltung dieses Vergütungsanspruchs in § 12a InsVV orientiert sich dabei in ihrer Struktur an den Vergütungsregelungen für den vorläufigen Insolvenzverwalter.109) Der Regelsatz der Vergütung des vorläufigen Sachwalters beträgt gemäß § 12a Abs. 1 Satz 2 136 InsVV 25 % der Vergütung des Sachwalters, so dass sich der Regelsatz auf 15 % der Regelvergütung des Insolvenzverwalters gemäß § 2 Abs. 1 InsVV beläuft. Die Berechnungsgrundlage für die Vergütung des vorläufigen Sachwalters knüpft gemäß 137 § 12a Abs. 1 InsVV an das Vermögen an, auf das sich seine Tätigkeit während des Eröffnungsverfahrens erstreckt. Vermögen, an welchem Aus- oder Absonderungsrechte bestehen, werden dieser Berechnungsgrundlage nach § 12a Abs. 1 Satz 4 InsVV hinzugerechnet, falls sich der vorläufige Sachwalter in erheblichem Umfang mit ihnen befasst hat; nur aufgrund eines Besitzüberlassungsvertrags genutzte Gegenstände bleiben dabei – wie auch im Fall der Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters – gemäß § 12a Abs. 1 Satz 5 InsVV unberücksichtigt. Unerheblich für die Anwendung des § 12a Abs. 1 Satz 4 InsVV ist dabei, ob sich der vor- 138 läufige Sachwalter mit dem belasteten Gegenstand selbst oder aber mit den an ihm bestehenden Rechten Dritter in erheblichem Umfang befasst.110) Eine erhebliche Befassung wird dabei insbesondere in Fällen vorliegen, in denen der vorläufige Sachwalter Verhandlungen mit Sicherungsgläubigern, z. B. Banken oder einem Lieferantenpool, beratend begleitet ___________ 104) FG Düsseldorf v. 12.3.2021 – 14 K 3658/16 H(L), ZIP 2021, 1410, dazu EWiR 2021, 728 (Hofmann). 105) Ebenso bereits BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1596. 106) Vgl. zum Streitstand vor der Entscheidung des BGH z. B. Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 584 ff., oder Schur, ZIP 2014, 757 ff. 107) BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592. 108) Anders hatte dies noch der BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, gelöst, der die Tätigkeit des vorläufigen Sachwalters als vergütungserhöhend i. R. der Vergütungsfestsetzung des endgültigen Sachwalters berücksichtigte. 109) Begr. RegE SanInsFoG z. InsVV, BT-Drucks. 19/24181, S. 213. 110) Vgl. hierzu eingehend Büttner in: HambKomm-InsO, § 12a InsVV Rz. 65.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

hat oder in denen gerade auch mit Blick auf ein Sanierungs- bzw. Insolvenzplankonzept das Bestehen von Sicherungsrechten an wesentlichen Vermögensbestandteilen des Schuldners eine relevante Vorfrage darstellt, mit der sich auch der vorläufige Sachwalter i. R. seiner Aufsicht und beratenden Begleitung auseinanderzusetzen hat.111) 139 Für den Zeitpunkt der Bewertung des entsprechenden Vermögens knüpft § 12a Abs. 1 Satz 3 InsVV – auch insoweit unter strukturellem Gleichlauf mit den Regelungen des § 11 InsVV zur Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters – an den Zeitpunkt der Beendigung der vorläufigen Eigenverwaltung oder den (früheren) Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Schuldnervermögen an. Zugleich normiert § 12a Abs. 2 InsVV eine Hinweispflicht bei späteren Wertabweichungen.112) 140 Nach § 12a Abs. 3 InsVV sind Art, Dauer und Umfang der Tätigkeit des vorläufigen Sachwalters bei der Festsetzung der Vergütung zu berücksichtigen. Die Vergütung des vorläufigen Sachwalters für dessen Tätigkeit ist dabei durch entsprechende Zuschläge gemäß § 3 Abs. 1 InsVV (i. V. m. § 10 InsVV) an den Umfang des konkreten Verfahrens anzupassen, wenn der Arbeitsaufwand im konkreten Verfahren die gesetzlichen Aufgaben des (vorläufigen) Sachwalters im durchschnittlichen Eigenverwaltungsverfahren übersteigt oder die Verfahrensbearbeitung des (vorläufigen) Sachwalter besonders in Anspruch genommen hat.113) Hierbei ist jedoch zu beachten, dass nur solche Tätigkeiten eine Vergütung und somit auch einen Zuschlag rechtfertigen können, die dem (vorläufigen) Sachwalter von der InsO, vom Insolvenzgericht oder von den Verfahrensbeteiligten auf Grundlage der InsO übertragen worden sind; nimmt der (vorläufige) Sachwalter Aufgaben in Überschreitung seiner ihm gesetzlich zukommenden Aufgaben wahr, so sind diese nicht zu vergüten.114) Zuschläge hinsichtlich der Tätigkeit des vorläufigen Sachwalters dürften in der Praxis insbesondere in folgenden Fällen denkbar sein: 

Beauftragung des vorläufigen Sachwalters mit der Berichterstattung gemäß § 270c Abs. 1 InsO;115)



Anordnung von Zustimmungsvorbehalten gemäß § 270c Abs. 3 Satz 2 InsO oder gemäß § 21 Abs. 1 InsO, soweit die Befassung mit zustimmungsbedürftigen Rechtshandlungen ein gewisses Gewicht hat;



Unterstützung des Schuldners auf Grundlage entsprechender Anordnung des Insolvenzgerichts gemäß §§ 270b Abs. 1 Satz 1, 274 Abs. 2 Satz 2 InsO, z. B. i. R. der Insolvenzgeldvorfinanzierung, der insolvenzrechtlichen Buchführung oder der Gespräche mit Kunden und Lieferanten;116)



aufwändige Überwachung und Begleitung der Betriebsfortführung, wobei ein Zuschlag nur dann in Betracht kommt, wenn der (vorläufige) Sachwalter in überdurchschnittlichem Umfang in Anspruch genommen wird; da es dem durchschnittlichen Eigenverwaltungsverfahren entspricht, dass laufender Geschäftsbetrieb besteht, kommt dann

___________ 111) Die krit. Einschätzung von Lissner, ZInsO 2021, 1602, 1605, wonach eine erhebliche Befassung mit drittrechtsbelastetem Vermögen den Aufgaben des vorläufigen Sachwalters häufig widersprechen soll, erscheint insoweit nach hier vertretener Auffassung unzutreffend. Gerade die Zuordnung von Vermögen als Sicherungsgut zugunsten einzelner Gläubiger ist eine für das Insolvenzverfahren und die Gläubigergesamtheit überaus relevante Frage, der sich gerade auch der vorläufige Sachwalter zu widmen hat, um i. R. seiner Aufsicht eine Bevorzugung einzelner (Sicherungs-) Gläubiger zulasten der Gläubigergemeinschaft auszuschließen. 112) Ausführlich hierzu z. B. Büttner in: HambKomm-InsO, § 12a InsVV Rz. 71 ff. 113) So bereits vor Inkrafttreten des § 12a InsVV BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1596. 114) BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1597. 115) So auch Frind, ZIP 2021, 171, 177. 116) Ebenso Harig/Höfer/Reus, NZI 2021, 993, 996.

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Vorläufige Eigenverwaltung

kein Zuschlag in Betracht, wenn der Schuldner in einem durchschnittlichen Verfahren die Überwachung und Kontrolle jederzeit ermöglicht, die Unterlagen und Daten aufbereitet und vollständig zur Verfügung stellt und jederzeit Auskunft gibt;117) ein Zuschlag dürfte jedoch bei überdurchschnittlicher Größe des Unternehmens oder bei anderen Besonderheiten in Betracht kommen; 

Übernahme der Kassenführung gemäß § 270b Abs. 1 Satz 1, § 275 Abs. 2 InsO oder arbeitsintensive interne Einbindung in den Zahlungsverkehr i. R. eines Freigabesystems (siehe oben Rz. 85);



umfangreiche und über das durchschnittliche Maß hinausgehende beratende Begleitung der vorläufigen Eigenverwaltung, z. B. i. R. der Vorbereitung eines Insolvenzplans oder der Begleitung eines M&A-Prozesses, sowie umfangreiche Teilnahme an Verhandlungsterminen;



umfangreiche beratende Begleitung der vorläufigen Eigenverwaltung im Fall der Vorbereitung eines Wechsels in die Regelinsolvenz;



Konzernstrukturen oder Auslandsbezug, sofern diese zu erhöhtem Überwachungsaufwand führen;118)



erhöhter Überwachungsaufwand angesichts fehlenden insolvenzrechtlichen Know-hows des Schuldners.119)

Keinen Zuschlag rechtfertigen insbesondere die folgenden Tätigkeiten, welche nicht zum 141 Aufgabenbereich des (vorläufigen) Sachwalters gehören: 

Information von Kunden und Lieferanten, es sei denn, es liegt eine entsprechende Anordnung nach §§ 270b Abs. 1 Satz 1, 274 Abs. 2 Satz 2 InsO vor;120)



Abhaltung von Mitarbeiterversammlungen sowie Entwerfen und Versenden von Informationsschreiben für Mitarbeiter;121)



Führen von Verhandlungen mit Kreditgebern;122)



eigenständige Entwicklung von Maßnahmen und Strategien, z. B. hinsichtlich der Behandlung von Umsatzsteuer- und Sozialversicherungsbeitragszahlungen;123)



auch die Kommunikation mit den Gläubigern des Verfahrens soll nach einer zur Vergütung des vorläufigen Sachwalters ergangenen Entscheidung des BGH keinen Zuschlag auslösen können, da sie Aufgabe der Eigenverwaltung und nicht des (vorläufigen) Sachwalters sei;124) ob dies in der vom IX. Zivilsenat ausgedrückten Allgemeingültigkeit so zutrifft, erscheint dem Verfasser indes fragwürdig. Gerade in Fällen, in welchen die Gläubiger einer Eigenverwaltung kritisch gegenüberstehen, ist der vorläufige Sachwalter durchaus dazu berufen, unmittelbar mit den Gläubigern des Schuldners in Kontakt zu treten, um insoweit nicht ausschließlich auf die von Seiten des Schuldners erlangten Informationen angewiesen zu sein. Andernfalls bestünde der erste (zulässige) Kontakt des vorläufigen Sachwalters mit den Gläubigern in der Nachteilsanzeige gemäß §§ 270b Abs. 1 Satz 1, 274 Abs. 3 InsO.

___________ 117) BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1597. 118) BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981, 1985. 119) Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 591, wobei sich insoweit regelmäßig die Frage stellen wird, ob in derartigen Fällen überhaupt eine vorläufige Eigenverwaltung in Betracht kommt. 120) BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1598. 121) BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1598. 122) BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981, 1985. 123) BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981, 1985. 124) BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981, 1987.

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§4

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

142 Darüber hinaus kommen auch im Fall der Vergütung des vorläufigen Sachwalters Abschläge gemäß § 3 Abs. 2 InsVV in Betracht.125) Sie werden insbesondere in Fällen sehr großer Insolvenzmassen und zugleich geringer Anforderungen an die Tätigkeit des vorläufigen Sachwalters (vgl. § 3 Abs. 2 lit. d InsVV) oder in Fällen einer sehr kurzen Tätigkeit als vorläufiger Sachwalter in Betracht kommen. Zudem kann – insoweit in Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 3 Abs. 2 Nr. 1 InsVV – ein Abschlag angezeigt sein, wenn der vorläufige Sachwalter zuvor bereits in nicht nur unerheblichem zeitlichen Umfang als Restrukturierungsbeauftragter oder Sanierungsmoderator tätig war und aufgrund dieser Vorbefassung der Einarbeitungsaufwand deutlich reduziert wurde. Bei der Höhe möglicher Abschläge ist jeweils zu berücksichtigen, dass die von § 12a Abs. 1 InsVV vorgesehene Regelvergütung des vorläufigen Sachwalters mit nur 15 % der Insolvenzverwaltervergütung insbesondere in Fällen mit Insolvenzmassen von weniger als 1 Mio. € ohnehin eine Regelvergütung von weniger als 10.000 € ergibt, so dass für Abschläge in Fällen überschaubarer Insolvenzmassen eher kein Raum sein wird. Keinen Abschlag rechtfertigt es, wenn auf Seiten des Schuldners insolvenzrechtliche Expertise vorhanden ist, da dies gerade das Leitbild der (vorläufigen) Eigenverwaltung darstellt.126) 143 Neben der Vergütung kann der vorläufige Sachwalter gemäß § 270b Abs. 1 Satz 1, § 274 Abs. 1 Satz 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 InsO die Erstattung angemessener Auslagen beanspruchen. Er kann gemäß §§ 10, 8 Abs. 3 InsVV anstelle der tatsächlich angefallenen Auslagen eine Auslagenpauschale beanspruchen, wobei sich der monatliche Höchstbetrag der Auslagenpauschale gemäß §§ 12a Abs. 5, 12 Abs. 3 InsVV auf netto 175 € beläuft. 4.

Beschränkungen der Verfügungsmacht des Schuldners in der vorläufigen Eigenverwaltung

144 Die Frage nach der Zulässigkeit insolvenzrechtlicher Verfügungsbeschränkungen in der vorläufigen Eigenverwaltung erscheint gerade mit Blick auf die Kompetenzverteilung i. R. der (vorläufigen) Eigenverwaltung sowohl dogmatisch, als auch praktisch von hoher Relevanz. 4.1

Grundsatz: Unzulässigkeit von allgemeinen Verfügungsbeschränkungen gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung

145 Nach § 270a Satz 1 Nr. 1, Nr. 2 InsO a. F. sollte das Gericht im Fall der vorläufigen Eigenverwaltung davon absehen, dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot aufzuerlegen oder einen allgemeinen Zustimmungsvorbehalt anzuordnen. Der Gesetzgeber des ESUG hatte damit Stimmen aus der Literatur127) aufgegriffen, die bereits zuvor bei nicht offensichtlich aussichtslosen Eigenverwaltungsanträgen Verfügungsbeschränkungen für unverhältnismäßig und unzulässig hielten, sofern hierdurch der Schuldner aus seinem Unternehmen gedrängt würde. 146 Der Gesetzgeber des SanInsFoG hat i. R. der Neugestaltung der Regelungen zur vorläufigen Eigenverwaltung hieran nichts geändert. Insbesondere verweist § 270c Abs. 3 Satz 1 InsO hinsichtlich der dem Gericht möglichen vorläufigen Maßnahmen des § 21 Abs. 2 InsO auf die dortigen Nr. 1a und 3 bis 5, während Nr. 1 – betreffend die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters – und Nr. 2 – betreffend die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots bzw. eines (allgemeinen) Zustimmungsvorbehalts bewusst keine Erwähnung finden; die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters wie auch die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots sind – so auch ausdrücklich die Gesetzesbe___________ 125) BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1596. 126) BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1598 f. 127) Huhn, Eigenverwaltung, Rz. 497; Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 339.

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Vorläufige Eigenverwaltung

gründung zu § 270c InsO n. F. – mit dem Erhalt der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners grundsätzlich unvereinbar.128) Damit scheidet insbesondere die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots bei 147 Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung aus, das den Schuldner – völlig im Widerspruch zum Wesen der Eigenverwaltung – von sämtlichen Verfügungen und Entscheidungen ausschließen würde. Auch die Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts ist – wie sich jedenfalls aus einem Umkehrschluss zu § 270c Abs. 3 Satz 2 InsO n. F. ergibt – im Grundsatz ausgeschlossen. Insbesondere stünde auch ein allgemeiner Zustimmungsvorbehalt im Widerspruch zum Grundverständnis der Eigenverwaltung, die den Schuldner gerade ohne die Mitwirkung des (vorläufigen) Sachwalters verfügungsbefugt belässt. Eine ausnahmsweise Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts sieht § 270c Abs. 3 Satz 2 InsO (siehe hierzu Rz. 148 ff.) nur für den Sonderfall der Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung unter Fristsetzung zur Behebung von Mängeln der Eigenverwaltungsplanung gemäß § 270b Abs. 1 Satz 2 InsO vor, was die Gesetzesbegründung ausdrücklich für die konkrete Ausnahmesituation für gerechtfertigt hält, während für andere Konstellationen von der Unzulässigkeit allgemeiner Verfügungsbeschränkungen ausgegangen wird.129) 4.2

Ausnahme: Vorläufiger Zustimmungsvorbehalt gemäß § 270c Abs. 3 Satz 2 InsO

Als einzige Ausnahme von Grundsatz der Unzulässigkeit allgemeiner Verfügungsbeschrän- 148 kungen sieht § 270c Abs. 3 Satz 2 InsO einen Zustimmungsvorbehalt im Fall der einstweiligen Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270b Abs. 1 Satz 2 InsO vor. Mit der einstweiligen Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung setzt das Gericht dem Schuldner eine Frist von höchstens 20 Tagen zur Nachbesserung der Eigenverwaltungsplanung. Während dieser Nachbesserungsfrist hält der Gesetzgeber eine deutliche Einschränkung der Verfügungsmacht des Schuldners für gerechtfertigt, da gerade noch nicht feststeht, ob die vorläufige Eigenverwaltung von Bestand bleiben oder ob es zu einer Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270e Abs. 1 Nr. 2 InsO kommen wird.130) Die Anordnung des Zustimmungsvorbehalts liegt auch insoweit jedoch im pflichtgemäßen Ermessen des Insolvenzgerichts, das von seiner Anordnungskompetenz sowohl durch allgemeinen Zustimmungsvorbehalt, gleichermaßen aber – sozusagen als minus – auch durch inhaltlich beschränkten Zustimmungsvorbehalt Gebrauch machen darf. Ordnet das Insolvenzgericht den Zustimmungsvorbehalt gemäß § 270c Abs. 3 Satz 2 InsO 149 an, so gelten hierfür die Regelungen der §§ 23, 24 InsO entsprechend. Insbesondere hat gemäß § 23 Abs. 1 InsO die öffentliche Bekanntmachung der Verfügungsbeschränkung zu erfolgen. Für unter Verstoß gegen den Zustimmungsvorbehalt vorgenommene Rechtshandlungen gelten gemäß § 24 Abs. 1 InsO die Regelungen der §§ 81, 82 InsO entsprechend; insbesondere sind ohne die Zustimmung des vorläufigen Sachwalters vorgenommene Verfügungen über Vermögenswerte des Schuldners gemäß §§ 24 Abs. 1, 81 InsO unwirksam. Sobald feststeht, dass die Mängel der Eigenverwaltungsplanung fristgerecht beseitigt wur- 150 den, hat von Amts wegen die Aufhebung des Zustimmungsvorbehalts zu erfolgen.131) Gleiches gilt für den Fall, dass die vorläufige Eigenverwaltung nach Ablauf der Frist des § 270b Abs. 1 Satz 2 InsO nicht gemäß § 270e InsO aufgehoben wird, z. B. weil zwischenzeitlich ein einstimmiger, die vorläufige Eigenverwaltung unterstützender Beschluss des vorläufigen Gläubigerausschusses gemäß § 270b Abs. 3 Satz 3 InsO vorliegt. Eine Fortdauer der einst___________ 128) 129) 130) 131)

Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 206. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 206. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 206. So ausdrücklich auch Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 206.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

weiligen Anordnung des Zustimmungsvorbehalts gemäß § 270c Abs. 3 Satz 2 InsO über die Frist des § 270b Abs. 1 Satz 2 InsO hinaus oder gar über die gesamte Dauer der vorläufigen Eigenverwaltung widerspräche offensichtlich dem Ausnahmecharakter der Regelung. 4.3

Zulässigkeit besonderer Zustimmungsvorbehalte gemäß § 21 Abs. 1 InsO

151 Wenngleich die Anordnung eines umfassenden Zustimmungsvorbehalts zugunsten des vorläufigen Sachwalters auf Grundlage von § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO – wie dargelegt (siehe Rz. 147 und Fn. 129) – nicht in Betracht kommt, kann gleichwohl in einzelnen Bereichen ein Bedürfnis für eine intensivere Aufsicht über den Schuldner durch den vorläufigen Sachwalter bestehen. Wenngleich sich weder § 270c InsO, noch die Gesetzesbegründung ausdrücklich zur Anordnung eines isolierten oder inhaltlich beschränkten Zustimmungsvorbehalts äußern, sind derartige beschränkte Zustimmungsvorbehalte – freilich unter Beachtung der grundsätzlichen Kompetenzverteilung zwischen Schuldner und vorläufigem Sachwalter – nach hier weiterhin vertretener Auffassung bereits auf der Grundlage der Sicherungspflicht des Insolvenzgerichts gemäß § 21 InsO zuzulassen (siehe sogleich Rz. 153).132) 4.3.1 Zustimmungsvorbehalte im eröffneten Verfahren 152 Im eröffneten Verfahren trägt ausschließlich § 277 Abs. 1, 2 InsO einem entsprechenden Bedürfnis nach der Zulassung inhaltlich beschränkter Verfügungsbeschränkungen Rechnung; demnach muss das Insolvenzgericht auf Antrag der Gläubigerversammlung (§ 277 Abs. 1 InsO) oder kann es auf Antrag einzelner Gläubiger (§ 277 Abs. 2 InsO) die Zustimmungsbedürftigkeit bestimmter Rechtsgeschäfte des Schuldners anordnen. Während die insolvenzgerichtliche Rechtsprechung133) die Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit von Amts wegen – in analoger Anwendung von § 277 InsO oder § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO – bereits im Eröffnungsbeschluss zulässt, will die wohl h. M. eine Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit von Amts wegen im eröffneten Insolvenzverfahren nicht zulassen.134) Dies wird insbesondere damit gerechtfertigt, dass der Gesetzgeber der InsO für Eilfälle gerade die Möglichkeit der Antragstellung einzelner Gläubiger gemäß § 277 Abs. 2 InsO vorgesehen habe, so dass ein Bedürfnis für eine amtswegige Anordnung nicht bestehe.135) 4.3.2 Zulässigkeit von Zustimmungsvorbehalten im Eröffnungsverfahren gemäß § 21 Abs. 1 InsO 153 Auch im Verfahren der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß §§ 270b, 270c InsO kann im Einzelfall ein mit der Situation im eröffneten Verfahren vergleichbares Bedürfnis entsprechender Anordnungen bestehen. Wenngleich der Gesetzgeber § 277 InsO nicht in die Verweisungen des § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO aufgenommen hat, liegt insoweit jedoch keine Regelungslücke vor, die durch eine analoge Anwendung von § 277 InsO zu füllen wäre.136) Bereits die in jedem Eröffnungsverfahren zu beachtende Generalklausel des § 21 Abs. 1 InsO gebietet dem Insolvenzgericht jedwede Sicherungsmaßnahme, die zur Sicherung der ___________ 132) Im Ergebnis ebenso Fiebig in: HambKomm-InsO, § 270c Rz. 7; a. A. z. B. Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 763. 133) AG Duisburg v. 1.9.2002 – 62 IN 167/02 (Babcock Borsig AG), ZIP 2002, 1636; AG München v. 14.6.2002 – 1502 IN 879/02 (KirchMedia GmbH & Co. KGaA), n. v.; zust. bereits Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 67 ff. 134) Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 277 Rz. 3; Landfermann in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 277 Rz. 4; a. A.: Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 277 Rz. 2; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 277 Rz. 3; Fiebig in: HambKomm-InsO, § 277 Rz. 2. 135) Holzer in: KPB, InsO, § 277 Rz. 13. 136) Anders noch in der 2. Aufl., s. Hofmann, § 7 Rz. 103.

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Vorläufige Eigenverwaltung

Vermögenslage des Schuldners im Gläubigerinteresse erforderlich erscheint.137) Die Regelung des § 270c Abs. 3 Satz 1 InsO schränkt diese in § 21 Abs. 1 InsO normierte Anordnungskompetenz lediglich dahingehend ein, dass das Insolvenzgericht von der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots wie auch eines alle Verfügungen des Schuldners erfassenden allgemeinen Zustimmungsvorbehalts abzusehen hat, sofern nicht der Ausnahmefall des § 270c Abs. 3 Satz 2 InsO vorliegt. Die Anordnung eines – zur Sicherung des Schuldnervermögens i. S. von § 21 Abs. 1 InsO erforderlichen – inhaltlich beschränkten, d. h. eines besonderen Zustimmungsvorbehalts unterbindet § 270c Abs. 3 Satz 1 InsO weder ausweislich seines Wortlauts noch unter systematischen oder teleologischen Gesichtspunkten, sofern hierdurch nicht das Wesen der vorläufigen Eigenverwaltung verändert wird. Insoweit wirkt § 270c Abs. 3 InsO auf die Anordnungskompetenz des Insolvenzgerichts derart ein, dass der Schuldner gerade im Tagesgeschäft weiterhin in eigener Verantwortung handeln können muss. In inhaltlicher Hinsicht kommt die Anordnung eines besonderen Zustimmungsvorbehalts 154 gemäß § 21 Abs. 1 InsO für Rechtsgeschäfte jeglicher Art in Frage. In der Praxis empfehlen sich in Einzelfällen Zustimmungsvorbehalte gemäß § 21 Abs. 1 InsO insbesondere zur Verhinderung von Verfügungen über unbewegliches Vermögen und über sonstiges wesentliches Anlagevermögen oder betreffend die Begründung von Masseverbindlichkeiten in bedeutendem Umfang. Einer der Hauptanwendungsfälle eines besonderen Zustimmungsvorbehalts gemäß § 21 Abs. 1 InsO dürfte in der Praxis der vorläufigen Eigenverwaltung zwischenzeitlich zudem die Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit von Zahlungen auf Sozialversicherungsbeiträge und Steuerverbindlichkeiten sein.138) Da § 21 Abs. 1 InsO die Vermögenssicherung zur ureigenen Aufgabe des Insolvenzge- 155 richts macht, kann die Anordnung eines besonderen Zustimmungsvorbehalts insoweit auf Anregung des Schuldners, auf Anregung des vorläufigen Sachwalters, auf Anregung eines vorläufigen Gläubigerausschusses, auf Anregung einzelner Gläubiger oder auch von Amts wegen erfolgen. Die Anordnung eines besonderen Zustimmungsvorbehalts erfolgt durch insolvenzgericht- 156 lichen Beschluss. Eine obligatorische Anhörung des Schuldners i. S. von § 10 InsO sieht § 21 Abs. 1 InsO zwar nicht vor, gleichwohl sollte das Insolvenzgericht dem Schuldner – letztlich bereits als Ausfluss des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG – gerade in Fällen vorläufiger Eigenverwaltung die Möglichkeit zur Stellungnahme geben. Verzichtbar erscheint dies nur, soweit rechtliches Gehör angesichts akuten Sicherungsbedarfs ausnahmsweise nachträglich erteilt wird oder die Anordnung nicht ohnehin auf einer Anregung des Schuldners beruht. Im Fall der Anordnung eines besonderen Zustimmungsvorbehalts hat zudem eine öffentliche Bekanntmachung der Anordnung analog § 23 Abs. 1 Satz 1 InsO zu erfolgen, um hierdurch die gewünschten Rechtswirkungen analog § 24 InsO, insbesondere die Unwirksamkeit entsprechender, ohne Zustimmung des vorläufigen Sachwalters erfolgter Rechtshandlungen auszulösen.139) Betrifft der Zustimmungsvorbehalt im Grundbuch oder in anderen öffentlichen Registern eingetragene Vermögenswerte, so hat analog § 23 Abs. 3, §§ 32, 33 InsO die Eintragung der Verfügungsbeschränkung im entsprechenden Register zu erfolgen. ___________ 137) So bereits Obermüller, ZInsO 2011, 1809, 1815; diff. Rattunde/Stark, Sachwalter, Rz. 500, die ohne nähere Begründung besondere Zustimmungsvorbehalte nur außerhalb eines Schutzschirmverfahrens gemäß § 270b InsO a. F. für zulässig hielten. 138) S. hierzu auch Rz. 242 ff. m. w. N. sowie grundlegend AG Düsseldorf v. 10.7.2014 – 504 IN 124/14, ZInsO 2014, 2389. 139) Ebenso Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 372.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

157 Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte der Beschluss zudem – wie auch im Fall des Eröffnungsbeschlusses (vgl. § 27 Abs. 2 Nr. 3 InsO) – die Stunde der Anordnung enthalten. Andernfalls dürfte § 27 Abs. 3 InsO analog anzuwenden sein, so dass die Mittagsstunde des Tages, an dem der besondere Zustimmungsvorbehalt angeordnet wurde, als Zeitpunkt der Anordnung gilt. 158 Gegen die Anordnung steht dem Schuldner gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO die sofortige Beschwerde zu. Der Beschluss hat daher gemäß § 4 InsO, § 232 ZPO eine entsprechende Rechtsbehelfsbelehrung zu enthalten. 159 Zustimmungsvorbehalte gemäß § 21 Abs. 1 InsO entfalten – anders als der gesetzliche (interne) Zustimmungsvorbehalt gemäß § 275 Abs. 1 InsO – Wirkung auch im Außenverhältnis. Ohne die erforderliche Zustimmung des vorläufigen Sachwalters abgeschlossene Rechtsgeschäfte sind daher analog § 24 Abs. 1, § 81 InsO unwirksam. Der gute Glaube an die bestehende unbeschränkte Verfügungsbefugnis des Schuldners ist nur i. R. öffentlicher Register (analog § 81 Abs. 1 Satz 2, 3 InsO) geschützt. 4.3.3 Praxishinweise 160 Für die Praxis der vorläufigen Eigenverwaltung empfiehlt sich aus Sicht des Verfassers durchaus ein offener Umgang aller Verfahrensbeteiligten mit inhaltlich beschränkten Zustimmungsvorbehalten gemäß § 21 Abs. 1 InsO. Dies gilt v. a. im Hinblick darauf, dass die Anordnung eines besonderen Zustimmungsvorbehalts das Vertrauen des Gerichts und der Gläubiger in das Verfahren und in die agierenden Personen stärken kann.140) Der Schuldner sollte sich daher letztlich nicht gegen entsprechende, dem Umfang nach angemessene Zustimmungsvorbehalte zur Wehr setzen, sondern vielmehr im Einzelfall aus eigenem Antrieb entsprechende Anordnungen anregen, um insoweit v. a. auf einen angemessenen Umfang von Zustimmungsvorbehalten hinzuwirken.141) Empfehlenswert kann daher ggf. sogar die Anregung entsprechender Zustimmungsvorbehalte bereits i. R. des Insolvenz- und Eigenverwaltungsantrags sein. Dem Umfang nach empfiehlt sich insbesondere die Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit folgender Rechtsgeschäfte: 

Verpflichtungen und Verfügungen über unbewegliches Vermögen und über wesentliche Betriebsgrundlagen, wobei letztere konkret zu benennen sind;



Abschluss von Verträgen, die Zahlungspflichten in verhältnismäßig erheblicher Höhe zur Folge haben, wobei die entsprechende betragsmäßige Grenze konkret zu benennen ist, um das Bestimmtheitserfordernis zu wahren;



Leistung von Zahlungen ab einer bestimmten Höhe.

5.

Ermächtigung des Schuldners zur Begründung von Masseverbindlichkeiten gemäß § 270c Abs. 4 InsO

161 In der insolvenzrechtlichen Praxis besteht bereits im Eröffnungsverfahren – gerade in Fällen von Betriebsfortführungen142) – das Bedürfnis, Verbindlichkeiten zu begründen, die auch nach Verfahrenseröffnung als Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 InsO aus der Insolvenzmasse befriedigt werden dürfen. Vor dem Inkrafttreten des SanInsFoG war die Frage der Zulässigkeit der Begründung von Masseverbindlichkeiten i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270a Abs. 1 InsO a. F. – gerade außerhalb des Schutzschirmverfahrens, für das diese Frage in § 270b Abs. 3 InsO a. F. eine teilweise Regelung erfahren hatte – Ge___________ 140) Vgl. auch Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 371. 141) Ähnlich Fiebig in: HambKomm-InsO, § 270c Rz. 7. 142) Vgl. zur Problematik der Sicherung von Lieferanten im Fall der Betriebsfortführung auch Rz. 94 ff.

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Vorläufige Eigenverwaltung

genstand divergierender insolvenzgerichtlicher Entscheidungen und eines höchst praxisrelevanten Meinungsstreits.143) Wenngleich zuletzt der BGH144) die Zulässigkeit von Einzelermächtigungen in der vorläufigen Eigenverwaltung klargestellt hatte, hat der Gesetzgeber des SanInsFoG die nach wie vor bestehenden Unwägbarkeiten in der Praxis mit der Regelung des § 270c Abs. 4 InsO ausgeräumt. Der Praxis steht mit § 270c Abs. 4 InsO nunmehr eine einheitliche Rechtsgrundlage für eine Ermächtigung des Schuldners zur Begründung von Masseverbindlichkeiten zur Verfügung, die unabhängig davon gilt, ob ein Schutzschirmverfahren nach § 270d InsO n. F. vorliegt. 5.1

Einzelermächtigung des Schuldners zur Begründung von Masseverbindlichkeiten

Im Fall der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters ist die Begründung von Masse- 162 verbindlichkeiten durch diesen im Fall der sog. starken vorläufigen Insolvenzverwaltung i. S. von § 22 Abs. 1 InsO bereits gesetzlich geregelt (vgl. § 55 Abs. 2 InsO) bzw. auch in Fällen sog. schwacher vorläufiger Insolvenzverwaltung in Gestalt sog. Einzelermächtigungen durch die Rechtsprechung zugelassen.145) Für die vorläufige Eigenverwaltung regelt nunmehr § 270c Abs. 4 InsO klar, in welchen Fällen das Insolvenzgericht den Schuldner zur Begründung von Masseverbindlichkeiten zu ermächtigen hat bzw. ihn hierzu ermächtigen kann. Damit klargestellt ist auch, dass zum einen eine Ermächtigung des vorläufigen Sachwalters zur Begründung von Masseverbindlichkeiten nicht in Betracht kommt und zum anderen der Schuldner in der vorläufigen Eigenverwaltung nicht aus eigener Rechtsmacht Masseverbindlichkeiten begründen kann, ohne hierzu gerichtlich ermächtigt zu sein.146) Nach § 270c Abs. 4 InsO erhält der Schuldner die entsprechende rechtliche Befugnis zur Begründung von Masseverbindlichkeiten vielmehr ausschließlich durch gerichtlichen Beschluss i. R. einer sog. Einzelermächtigung.147) Nach dem Wortlaut des § 270c Abs. 4 Satz 1 InsO steht dem Schuldner zunächst ein An- 163 spruch auf Anordnung der Einzelermächtigung zu, da das Insolvenzgericht ihn auf seinen Antrag hin zur Begründung von Masseverbindlichkeiten zu ermächtigen „hat“. Unter Berücksichtigung der Regelung des § 270c Abs. 4 Satz 2 InsO erfährt dies jedoch eine deutliche Einschränkung dahingehend, dass ein Anspruch auf die Ermächtigung nur insoweit besteht, als im Finanzplan berücksichtigte Verbindlichkeiten betroffen sind.148) Für Verbindlichkeiten, die im Finanzplan nicht enthalten sind, sieht § 270c Abs. 4 Satz 2 InsO vor, dass eine Einzelermächtigung in diesem Fall einer besonderen Begründung bedarf. Zugleich besteht für die Anordnung von Einzelermächtigungen zur Begründung von au___________ 143) Vgl. zum Streitstand und zur Auseinandersetzung mit den verschiedenen Auffassungen eingehend auch die Vorauflage, Hofmann in HRI, 3. Aufl., 2019, § 7 Rz. 118 ff., sowie Hofmann, Eigenverwaltung, 2. Aufl. 2016, Rz. 379 ff. 144) BGH v. 22.11.2018 – IX ZR 167/16, ZIP 2018, 2488. 145) Zur Zulässigkeit von Einzelermächtigungen im Fall der Bestellung eines sog. schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters vgl. BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625, dazu EWiR 2002, 919 (Spliedt). 146) So noch zur früheren Rechtslage: AG Montabaur v. 27.12.2012 – 14 IN 282/12, ZIP 2013, 899, 900; AG Hannover v. 30.4.2015 – 909 IN 294/15, ZInsO 2015, 1112 f. = ZIP 2015, 1843, dazu EWiR 2015, 679 (Kraus); ebenso im Ergebnis Oppermann/Smid, ZInsO 2012, 862, 869, sowie wohl auch Frind, ZInsO 2012, 1099, 1101 f., die jeweils eine gesetzliche Befugnis des Schuldners zur Begründung von Masseverbindlichkeiten aus der entsprechenden Anwendung des § 275 Abs. 1 InsO über § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO a. F. ableiten wollten. 147) So bereits zur Rechtslage vor dem SanInsFoG: BGH v. 22.11.2018 – IX ZR 167/16, ZIP 2018, 2488, sowie z. B. Hofmann, EWiR 2012, 359 (Urteilsanm.); ebenso: AG Köln v. 26.3.2012 – 73 IN 125/12, ZIP 2012, 788, dazu EWiR 2012, 359 (Hofmann); AG München v. 27.6.2012 – 1506 IN 1851/12, ZIP 2012, 1470, dazu EWiR 2012, 495 (Vallender); LG Duisburg v. 29.11.2012 – 7 T 185/12, ZIP 2012, 2453 = NZI 2013, 91 m. zust. Anm. Andres; Pape, ZInsO 2013, 2077, 2080 f.; Buchalik/Kraus, ZInsO 2012, 2330, 2332; Buchalik/Kraus, ZInsO 2013, 815, 816 f.; Zipperer, EWiR 2012, 361 (Urteilsanm.). 148) Vgl. bereits Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 206 f.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

ßerhalb des Finanzplans liegenden Verbindlichkeiten ein an den Interessen der Gläubiger auszurichtendes Ermessen des Gerichts.149) 164 Wesentliche Entscheidungsgrundlage i. R. des § 270c Abs. 4 InsO ist damit der vom Schuldner i. R. seiner Eigenverwaltungsplanung vorgelegte Finanzplan gemäß § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO. Hat der Schuldner – was angesichts der jeder Planung und Prognose innewohnenden Risiken auch bei noch so sorgfältiger Vorbereitung der Eigenverwaltung vorkommen kann und wird – seine Planung in wesentlichen Punkten ändern müssen, so dient der gemäß § 270c Abs. 3 InsO vom Schuldner vorgelegte geänderte Finanzplan ab dessen Vorlage bei Gericht als Grundlage für Entscheidungen nach § 270c Abs. 4 InsO. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn die analog § 270b Abs. 1 InsO erforderliche Prüfung des geänderten Finanzplans durch das Gericht zum Ergebnis gelangt ist, dass die Änderung der Eigenverwaltungsplanung zum Wegfall der Voraussetzungen des § 270b Abs. 1 InsO geführt hat; in diesem Fall wäre – nach Anhörung des Schuldners bzw. nach Fristsetzung zur Beseitigung der nunmehr bestehenden Mängel – vielmehr eine Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270e Abs. 1 Nr. 1 InsO bzw. analog § 270e Abs. 1 Nr. 2 InsO angezeigt, womit auch ein etwaiger Anspruch des Schuldners auf Anordnung der Einzelermächtigung entfiele (siehe hierzu bereits Rz. 44). 165 Der Schuldner hat den Inhalt des Antrags auf Anordnung einer Masseverbindlichkeit gemäß § 270c Abs. 4 Satz 1 InsO damit im Wesentlichen daran auszurichten, dass dem Gericht eine Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen ermöglicht wird: Zum einen hat der Antrag damit den Umfang der beantragten Einzelermächtigung hinreichend bestimmt anzugeben; zum anderen muss der Antrag die Tatsachen enthalten, aus denen sich ergibt, dass diese Verbindlichkeiten im Finanzplan enthalten sind. Da der Finanzplan in aller Regel keine einzelnen Gläubiger benennen wird, muss der Schuldner nachvollziehbar darstellen, in welcher Position des Finanzplans die betreffenden Masseverbindlichkeiten enthalten sind. Liegt demgegenüber ein Fall des § 270c Abs. 4 Satz 2 InsO vor, d. h. bewegt sich die beantragte Einzelermächtigung außerhalb des Finanzplans, so hat der Schuldner seinen Antrag um eine Begründung zu ergänzen, welche dem Gericht die für seine Ermessensentscheidung erforderliche besondere Begründung gemäß § 270c Abs. 4 Satz 2 InsO ermöglicht. Erforderlich dürften insbesondere folgende drei Punkte sein: 

Eine Begründung, weshalb die entsprechende Verbindlichkeit sinnvollerweise als Masseverbindlichkeit begründet werden soll,150)



die Gründe, weshalb diese Verbindlichkeit nicht im Finanzplan gemäß § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO enthalten war bzw. ist,151) und



eine Prognose bzw. Planung, welche die Erfüllbarkeit der entsprechenden Verbindlichkeit belegt.152)

166 Fälle, in denen der Schuldner einzelne Verbindlichkeiten bzw. ganze Kategorien an Zahlungspflichten in seiner Finanzplanung schlichtweg übersehen hat, werden eher selten zu Anordnungen nach § 270c Abs. 4 Satz 2 InsO, sondern ggf. eher zu einer Prüfung der Voraussetzungen einer Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung führen. Zudem hat der Schuldner in derartigen Fällen und auch in Fällen, in denen sich angesichts der Dynamik der Sanierung ggf. die Planungsprämissen geändert haben, die Möglichkeit bzw. gemäß § 270c Abs. 3 InsO letztlich sogar die Pflicht, einen geänderten Finanzplan vorzulegen,153) ___________ 149) 150) 151) 152) 153)

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So ausdrücklich Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 207. So auch Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 270c Rz. 24. Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 270c Rz. 24. Ebenso Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 764; Fiebig in: HambKomm-InsO, § 270c Rz. 9. Ähnlich Fiebig in: HambKomm-InsO, § 270c Rz. 9.

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Vorläufige Eigenverwaltung

der nach Prüfung durch das Gericht dann wiederum Einzelermächtigungen nach § 270c Abs. 4 Satz 1 InsO ermöglichen kann (siehe hierzu bereits zuvor Rz. 43 f.). Abgesehen hiervon sind in der Praxis aber vor allem auch folgende typische Fallkonstellationen des § 270c Abs. 4 Satz 2 InsO denkbar, wobei es sich hierbei durchaus um regelmäßig vorkommende Gestaltungen handeln dürfte: 

Begründung einer nicht auf Geld gerichteten Leistungspflicht als Masseverbindlichkeit, z. B. Begründung eines Leistungsanspruchs gegenüber einem Kunden als Masseverbindlichkeit, wenn der Kunde – insbesondere auch zur Vermeidung eines künftigen Erfüllungswahlrechts gemäß §§ 279, 103 ff. InsO – zu seiner Absicherung auf einer entsprechenden Einzelermächtigung besteht;



Begründung von Masseverbindlichkeiten, deren Fälligkeit außerhalb des sechsmonatigen Prognosezeitraums des Finanzplans liegt, z. B. bei Bestellung von Ersatzbeschaffungen im Bereich des Anlagevermögens mit längeren Lieferfristen;



Begründung von Masseverbindlichkeiten aus Beratungsverträgen, wenn die Endabrechnung ggf. erfolgsabhängiger oder an die InsVV angelehnter Vergütungen für Tätigkeiten während der vorläufigen Eigenverwaltung voraussichtlich erst nach Abschluss des Verfahrens bzw. jedenfalls außerhalb des Prognosezeitraums des Finanzplans möglich ist.

Das Insolvenzgericht hat i. R. seiner Prüfung eines Antrags des Schuldners nach § 270c 167 Abs. 4 InsO damit vorrangig zu prüfen, ob es sich bei der beantragten Einzelermächtigung nachvollziehbar um eine i. R. der Finanzplanung liegende Zahlungspflicht handelt; falls ja, hat das Gericht die Einzelermächtigung anzuordnen. Liegt ein Fall des § 270c Abs. 4 Satz 2 InsO vor, so hat das Insolvenzgericht i. R. seiner Ermessensausübung insbesondere die Erforderlichkeit der vom Schuldner beantragten Einzelermächtigung zu prüfen, wobei das Gericht sich hierbei – wie auch i. R. sonstiger vorläufiger Maßnahmen i. S. von § 21 Abs. 1 InsO – von den Interessen der Gläubigergemeinschaft und von den Auswirkungen der Anordnung oder Nichtanordnung auf den Sanierungsprozess leiten lassen wird.154) Letztlich muss die angeregte Ermächtigung – gerade auch unter Berücksichtigung des Interesses der Gläubigergesamtheit an einem Schutz der Insolvenzmasse vor einer Aushöhlung durch überflüssige Masseverbindlichkeiten – erforderlich sein. Kern der Erforderlichkeitsprüfung des Insolvenzgerichts wird regelmäßig die Notwendigkeit der Begründung von Masseverbindlichkeiten zur Sicherung der Betriebsfortführung und der Sanierungschancen sein. Die Erfüllbarkeit der zu begründenden Masseverbindlichkeit hat das Gericht i. R. seiner 168 Entscheidung jedenfalls i. R. des § 270c Abs. 4 Satz 2 InsO zu berücksichtigen.155) Wenngleich der Wortlaut des § 270c Abs. 4 Satz 1 InsO klar eine Pflicht zur Anordnung von Einzelermächtigungen zur Begründung der i. R. des Finanzplans liegenden Verbindlichkeiten zu statuieren scheint, kann diese Pflicht nach Auffassung des Verfassers nicht schrankenlos bestehen. Das Insolvenzgericht kann nicht sehenden Auges verpflichtet sein, zur Begründung von Masseverbindlichkeiten zu ermächtigen, deren Erfüllung auf Grundlage der bereits bekannten Umstände nicht gesichert erscheint. Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen ausweislich des Verfahrensdurchführungskonzepts und des Finanzplans des Schuldners nach Verfahrenseröffnung absehbar Masseunzulänglichkeit eintreten wird oder in denen der Finanzplan ggf. noch künftige Finanzierungslücken aufweist, welche erst noch geschlossen werden sollen. In derartigen Fällen hat eine teleologische Reduktion des § 270c Abs. 4 Satz 1 InsO dahingehend zu erfolgen, dass in solchen Fällen eine Anordnung ebenfalls einer besonderen Begründung bedarf.156) Eine Ermächtigung zur Begründung von Masseverbind___________ 154) So auch Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 270c Rz. 24. 155) So auch Fiebig in: HambKomm-InsO, § 270c Rz. 9. 156) Im Ergebnis ähnlich Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 764.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

lichkeiten dürfte in solchen Fällen nur dann in Betracht kommen, wenn entweder dem Gläubiger das Risiko der Nichterfüllbarkeit bzw. des Eintritts der Masseunzulänglichkeit bekannt ist oder wenn ein Ausfallrisiko durch andere Maßnahmen, z. B. eine Besicherung des betreffenden Gläubigers, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen wurde. 169 Liegen die Voraussetzungen für die Anordnung einer Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten nach § 270c Abs. 4 Satz 1 InsO vor oder hält das Insolvenzgericht diese i. R. seiner Ermessensentscheidung nach § 270c Abs. 4 Satz 2 InsO für erforderlich und hinreichend begründet, so ermächtigt das Gericht den Schuldner durch Beschluss zur Begründung der entsprechenden Masseverbindlichkeiten. Eine öffentliche Bekanntmachung des Beschlusses dürfte insoweit im Ermessen des Insolvenzgerichts liegen, wobei eine solche im Regelfall nicht angezeigt sein wird. Im Tenor des Beschlusses hat das Insolvenzgericht den Umfang der bewilligten Einzelermächtigung(en) hinreichend bestimmt genau zu individualisieren; ein hinreichend bestimmter Umfang der Einzelermächtigung setzt voraus, dass der Rechtsverkehr ohne Berücksichtigung weiterer Unterlagen oder Umstände zweifelsfrei feststellen kann, durch welche Handlungen der Schuldner Masseverbindlichkeiten begründet und durch welche Handlungen er weiterhin Verpflichtungen im Rang von Insolvenzforderungen gemäß § 38 InsO eingeht.157) Ein umfänglicher und nicht bestimmter Verweis auf den Finanzplan i. S. einer Pauschalermächtigung ist damit nicht ausreichend und auch nicht zulässig;158) zulässig sind jedoch – wie auch im Fall der Einzelermächtigung zugunsten eines „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters – sog. Gruppen- oder Projektermächtigungen, wobei auch insoweit die Bestimmtheit der entsprechenden Ermächtigungsbeschlüsse gewahrt bleiben muss. Mit Blick auf die für alle Beteiligten nötige Rechtssicherheit dürfte es vorzugswürdig erscheinen, tatsächlich für jeden einzelnen Geschäftspartner anzugeben, welchen ggf. allgemein wiedergegebenen Gegenstand dessen Leistungen haben und bis zu welcher betragsmäßigen Höhe ihm gegenüber Masseverbindlichkeiten begründet werden können. In umfangreichen Fällen macht insoweit eine Bezugnahme auf Anlagen zu Beschlüssen Sinn, wobei die als Anlagen beizufügenden Listen der entsprechenden Masseverbindlichkeiten regelmäßig vom Schuldner bzw. seinen Beratern bereits als Anlagen zum Antrag nach § 270c Abs. 4 Satz 1 InsO mit vorgelegt wurden. 170 Rechtsfolge der Ermächtigung ist, dass der Schuldner im Umfang der Anordnung Masseverbindlichkeiten begründet. Hierbei steht dem Schuldner kein Wahlrecht dergestalt zu, dass er die Qualität der von ihm begründeten Verpflichtung wählen könnte; vielmehr löst die Ermächtigung in ihrem Geltungsbereich automatisch die Begründung von Verpflichtungen aus, die mit Verfahrenseröffnung zur Masseverbindlichkeit i. S. von § 55 InsO erstarken. Insoweit führt die Anordnung von Einzelermächtigungen gemäß § 270c Abs. 4 Satz 3 InsO zu einer entsprechenden Anwendung von § 55 Abs. 2 InsO. Nach der klaren Intention des Gesetzgebers ist die entsprechende Anwendung des § 55 Abs. 2 InsO jedoch gerade dahingehend zu verstehen, dass es letztlich im Fall von Einzelermächtigungen doch zu einer allumfassenden Begründung von Masseverbindlichkeiten wie im Fall der Bestellung eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters kommt. Vielmehr wird sich die entsprechende Anwendung darauf zu beschränken haben, dass eben nur die im Umfang der Einzelermächtigung begründeten Masseverbindlichkeiten nach Verfahrenseröffnung als Masseverbindlichkeiten zu berücksichtigen sind;159) eine entsprechende Anwendung von § 55 Abs. 2 ___________ 157) Vgl. zu den inhaltlichen Anforderungen an Einzelermächtigungen auch Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 392 f.; vgl. hierzu auch BGH v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, ZIP 2010, 141 – zu Beschlüssen nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO, dazu EWiR 2010, 155 (Voss); ähnlich zur Anordnung von Zustimmungsvorbehalten gemäß § 277 InsO: Holzer in: KPB, InsO, § 277 Rz. 10; Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 277 Rz. 4. 158) A. A. wohl Schluck-Amend, ZRI 2021, 913, 919. 159) So auch Fiebig in: HambKomm-InsO, § 270c Rz. 10.

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§4

Vorläufige Eigenverwaltung

Satz 2 InsO kommt demgegenüber von vornherein aus teleologischen Gründen nicht in Betracht.160) Besonderheiten hinsichtlich des Verfahrens zum Erlass von Einzelermächtigungsbeschlüssen 171 sieht § 270c Abs. 4 InsO nicht vor. Vor der Entscheidung über entsprechende Anträge des Schuldners wird das Insolvenzgericht – sofern eine Stellungnahme des vorläufigen Sachwalters nicht ohnehin bereits in Abstimmung mit dem Schuldner bzw. dessen Beratern parallel zur Antragstellung erfolgt – ggf. nach pflichtgemäßem Ermessen eine Anhörung des vorläufigen Sachwalters durchführen; diese kann in der Praxis auch i. R. eines kurzen telefonischen Austauschs erfolgen, um eine zeitnahe Entscheidung über den Erlass von Einzelermächtigungen zu ermöglichen. Ein Rechtsmittel gegen die Anordnung oder gegen die Ablehnung einer Einzelermächtigung gemäß § 270c Abs. 4 InsO steht dem Schuldner oder anderen Verfahrensbeteiligten gemäß § 6 InsO nicht offen.161) 5.2

Zulässigkeit von Globalermächtigungen und „starker“ vorläufiger Eigenverwaltungen in Ausnahmefällen

In der Phase zwischen Inkrafttreten des ESUG und des SanInsFoG sah § 270b Abs. 3 InsO 172 a. F. für das Schutzschirmverfahren ausdrücklich eine umfassende Ermächtigung des Schuldners vor, Masseverbindlichkeiten zu begründen, welche als Rechtsfolge eine entsprechende Anwendung des § 55 Abs. 2 InsO nach sich zog. Eine entsprechende Globalermächtigung162) war nach der zur alten Rechtslage hier vertretenen Auffassung nicht nur im Schutzschirmverfahren, sondern auch in Fällen „einfacher“ vorläufiger Eigenverwaltung gemäß § 270a InsO zulässig, sofern – was freilich die Ausnahme war – die Voraussetzungen der Erforderlichkeit nach § 21 Abs. 1 InsO vorlagen.163) Da entsprechende Anordnungen von ihren Rechtswirkungen vergleichbar mit denjenigen einer starken vorläufigen Insolvenzverwaltung i. S. von § 22 Abs. 1 InsO wären, könnte diese Konstellation guten Gewissens als „starke“ vorläufige Eigenverwaltung bezeichnet werden. Der Gesetzgeber des SanInsFoG hat sich, was sich zwar nicht aus dem Wortlaut, doch 173 aber aus den Gesetzesmaterialien ergibt, mit der Neuregelung in § 270c Abs. 4 InsO im Grundsatz gegen eine Zulässigkeit von Globalermächtigungen ausgesprochen.164) Da das Gericht bei seiner Entscheidung über die Anordnung von Einzelermächtigungen letztlich an den Finanzplan des Schuldners gemäß § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO gebunden ist, geht der Gesetzgeber des SanInsFoG in seiner Gesetzesbegründung davon aus, dass „künftig sowohl im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren als auch im Schutzschirmverfahren nur noch Einzelermächtigungen in Betracht“ kommen sollen.165) Wenngleich damit der gesetzgeberische Wille klar zum Ausdruck gebracht wurde, stellt 174 sich doch die Frage, ob unter systematischen Gesichtspunkten nicht im Ausnahmefall doch die Anordnung einer Globalermächtigung und damit einer „starken“ vorläufigen Eigenverwaltung zulässig sein muss. Fest steht dabei angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts, dass eine Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten, die im Finanzplan nicht berücksichtigt sind, gemäß § 270c Abs. 4 Satz 2 InsO einer besonderen Begründung bedarf. Wenn sich also eine (Global-) Ermächtigung auf Masseverbindlichkeiten bezieht, die im Vorhinein weder hinsichtlich der Anzahl, noch hinsichtlich des Umfangs der zu ___________ 160) Vgl. zur Kritik am Verweis auf § 55 Abs. 2 InsO auch völlig zutreffend Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 764 f. 161) Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 270c Rz. 28 f. 162) So Klinck, ZIP 2013, 853, 860 f., sowie Hofmann in HRI, 3. Aufl., 2019, § 7 Rz. 129 ff. (Vorauflage). 163) Hofmann, Eigenverwaltung, 2. Aufl. 2016, Rz. 388. 164) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 206 f. 165) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 207.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

begründenden Masseverbindlichkeiten bekannt sind, so müssen sicherlich die Hürden einer entsprechenden Begründung besonders hoch liegen. Zugleich sind dabei systematische Gesichtspunkte zu berücksichtigen: § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO regelt den Grundsatz, dass für das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung die allgemeinen Vorschriften gelten, soweit die §§ 270 ff. InsO nichts anderes bestimmen. Wenn aber im Regelinsolvenzverfahren eine Ermächtigung des vorläufigen Insolvenzverwalters zur umfänglichen Begründung von Masseverbindlichkeiten in den Fällen der starken vorläufigen Insolvenzverwaltung gemäß § 22 Abs. 1 InsO ausdrücklich vorgesehen ist, so erschiene es nach hier vertretener Auffassung systematisch nicht nachvollziehbar, i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung diese Möglichkeit grundsätzlich auszuschließen. 175 Gleichwohl kommt aus Sicht des Verfassers eine Globalermächtigung in der Praxis nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich in Fällen der vorläufigen Eigenverwaltung sehr großer Unternehmen mit einer außergewöhnlich hohen Anzahl an Geschäftspartnern: Nur dann, wenn eine Beantragung und Anordnung von Einzelermächtigungen nach § 270c Abs. 4 Satz 1 InsO aufgrund der bloßen Zahl an Vorgängen aus tatsächlichen Gründen nicht mehr umsetzbar erschiene, darf und muss das Insolvenzgericht daher nach hier vertretener Auffassung den Schuldner ohne Einschränkung ermächtigen, durch seine Rechtshandlungen Masseverbindlichkeiten zu begründen. Würde man auch in derartigen Fällen einer Globalermächtigung eine Absage erteilen, bliebe als Alternative lediglich die Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung und die Bestellung eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters, ohne dass auch nur im Entferntesten einer der Aufhebungsgründe des § 270e InsO vorläge. Auch und gerade in diesem Fall müssen Anregung und Anordnung der Ermächtigung gut begründet sein; insbesondere muss ein Finanzplan vorliegen, der für den Zeitraum bis zur Fälligkeit sämtlicher zu erwartender Masseverbindlichkeiten die Deckung der Verbindlichkeiten und das Nichtvorliegen einer (künftigen) Masseunzulänglichkeit bestätigt. 176 Aufgrund der besonderen Risiken entsprechender Globalermächtigungen sollte zudem vor der Anordnung eine Einbindung des vorläufigen Gläubigerausschusses erfolgen; spricht sich der vorläufige Gläubigerausschuss hierbei für eine entsprechende Globalermächtigung aus, dürfte dies in der Praxis auch für das Insolvenzgericht die Begründung der Entscheidung gemäß § 270c Abs. 4 Satz 2 InsO ggf. erleichtern. Auch der vorläufige Sachwalter ist angesichts der Tragweite der Entscheidung zwingend vom Insolvenzgericht anzuhören, soweit eine Stellungnahme seinerseits nicht bereits parallel zur Anregung des Schuldners eingeht. 177 Die Anordnung einer starken vorläufigen Eigenverwaltung zieht als Rechtsfolge die analoge Anwendung des § 55 Abs. 2 InsO nach sich; dies hat insbesondere die Konsequenz, dass analog § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO auch sämtliche Verpflichtungen aus Dauerschuldverhältnissen aus der Insolvenzmasse zu erfüllen sind, soweit der Schuldner während des Eröffnungsverfahrens die Gegenleistung in Anspruch nimmt. Wenngleich dies zwar gegenüber den Gläubigern der entsprechenden Dauerschuldverhältnisse durchaus gerechtfertigt erscheinen mag, stellt dies angesichts der hiermit verbundenen erheblichen Auswirkungen auf die Liquiditätslage des Schuldners bzw. der (künftigen) Insolvenzmasse eines der größten Risiken von Globalermächtigungen dar. Dass auch sämtliche nach Anordnung der Globalermächtigung begründete Steuerverbindlichkeiten analog § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO im eröffneten Verfahren als Masseverbindlichkeiten zu berücksichtigen wären, erweist sich demgegenüber angesichts der Neufassung des § 55 Abs. 4 InsO nicht mehr als Nachteil zulasten der Insolvenzmasse.166) ___________ 166) Anders verhielt sich dies noch vor Inkrafttreten des SanInsFoG, da § 55 Abs. 4 InsO a. F. Steuerverbindlichkeiten aus der vorläufigen Eigenverwaltung nicht erfasste, vgl. hierzu auch BGH v. 22.11.2018 – IX ZR 167/16, ZIP 2018, 2488.

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Vorläufige Eigenverwaltung 5.3

Zustimmungsvorbehalte gemäß § 21 Abs. 1 InsO im Zusammenhang mit der Begründung erheblicher Masseverbindlichkeiten

Ermächtigt das Gericht den Schuldner gemäß § 270c Abs. 4 InsO zur Begründung von Masse- 178 verbindlichkeiten, so hat dies angesichts des besseren Rangs der von ihm begründeten Verpflichtungen erhebliche Auswirkungen auf die Liquiditätslage und auf die Befriedigungsaussichten der Altgläubiger. Dies gilt insbesondere im Fall des § 270c Abs. 4 Satz 2 InsO, wenn die Ermächtigung also die Begründung von Verbindlichkeiten umfasst, die nicht in dem Finanzplan des § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO enthalten sind. Diesem Risiko kann das Insolvenzgericht in Ausnahmefällen – sofern i. S. von § 21 Abs. 1 InsO erforderlich (!) – dadurch Rechnung tragen, dass es gerade für die Begründung wesentlicher Masseverbindlichkeiten einen besonderen Zustimmungsvorbehalt gemäß § 21 Abs. 1 InsO anordnet (zur Zulässigkeit entsprechender Anordnungen von Amts wegen siehe bereits Rz. 151 ff.).167) Dies gilt insbesondere für Verpflichtungen in betragsmäßig erheblicher Höhe zulasten der künftigen Insolvenzmasse und auch für zeitlich erhebliche Verpflichtungen, insbesondere im Falle mittel- und langfristiger Aufträge und Projekte; insoweit ist zudem zu beachten, dass gerade im Fall der Annahme von Aufträgen im Fall des Scheiterns der Betriebsfortführung auch die Nichterfüllungsansprüche den Rang von Masseverbindlichkeiten einnehmen. Soweit das Insolvenzgericht insbesondere die Vergütung von Beratungsleistungen einer 179 zusätzlichen Kontrolle unterwerfen will, kommt auch die Anordnung eines besonderen Zustimmungsvorbehalts in Betracht, der Vertragsverhältnisse mit Beratern und Dienstleistern im Zusammenhang mit dem Eigenverwaltungsverfahren bzw. die Begründung von Masseverbindlichkeiten aus solchen Vertragsverhältnissen von der Zustimmung des vorläufigen Sachwalters abhängig macht. Sofern das Insolvenzgericht die Begründung von Masseverbindlichkeiten von der Zustimmung des vorläufigen Sachwalters abhängig macht, ist dessen Haftung analog § 61 InsO für die Erfüllbarkeit der entsprechenden Zahlungspflichten zu beachten (siehe bereits Rz. 129). IV.

Betriebsfortführung bei vorläufiger Eigenverwaltung

Sieht man Eigenverwaltung und Insolvenzplan als Instrumente zur Restrukturierung von 180 Unternehmen, so muss nach Insolvenzantragstellung und nach der Bestellung des vorläufigen Sachwalters gemäß § 270b InsO zunächst eine geordnete Betriebsfortführung im Mittelpunkt der Bemühungen aller Beteiligten stehen. Lässt sich das Schuldnerunternehmen nicht fortführen, so sind jegliche Restrukturierungschancen von vornherein vernichtet. 1.

Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen Schuldner, vorläufigem Sachwalter und wesentlichen Gläubigern

Wesentliche Grundvoraussetzung einer geordneten Betriebsfortführung im Stadium der vor- 181 läufigen Eigenverwaltung ist – wie auch im Fall einer sog. schwachen vorläufigen Insolvenzverwaltung – die zielgerichtete und transparente Kommunikation der maßgeblichen Verfahrensbeteiligten, insbesondere 

des Schuldners bzw. der für den Schuldner handelnden Vertretungspersonen,



der Berater des Schuldners,

___________ 167) A. A. Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 270c Rz. 25, welche sich freilich grundsätzlich gegen die Zulässigkeit besonderer Zustimmungsvorbehalte ausspricht.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren



der wesentlichen Gläubiger bzw. Geschäftspartner und ggf. ihrer Berater und



nicht zuletzt des vorläufigen Sachwalters (und seines Teams).168)

182 Abhängig von Größe und Umfang des Verfahrens bzw. Unternehmens wird es sich bei den für das Verfahren entscheidenden Akteuren um einen kleineren oder größeren Personenkreis handeln, so dass auch die Koordination der erforderlichen Kommunikation einen gewissen Aufwand darstellen kann. Nur wenn zwischen diesen Personen von Anfang an eine transparente und vertrauensvolle Kommunikation und Zusammenarbeit stattfindet und insbesondere allseits die jeweilige Sichtweise und ggf. Pflichtenstellung der Akteure bewusst und akzeptiert ist, kann das volle Potenzial der (vorläufigen) Eigenverwaltung für Zwecke der Restrukturierung genutzt werden. 183 In den ersten Tagen nach Bestellung des vorläufigen Sachwalters wird daher der vorläufige Sachwalter gemeinsam mit einem auf das jeweilige Verfahren zugeschnittenen Team sich einen Überblick über die wesentlichen rechtlichen und wirtschaftlichen Grundlagen des Schuldnerunternehmens verschaffen und hierzu – neben der Einsichtnahme in entsprechende Unterlagen – insbesondere Gespräche mit den verantwortlichen Entscheidungsträgern im Schuldnerunternehmen und ggf. auch mit wichtigen Gläubigern und Geschäftspartnern führen. 184 Gerade die Kommunikation zwischen insolventem Unternehmen und dessen Beratern einerseits und dem (vorläufigen) Sachwalter andererseits ist oftmals eine der Schicksalsfragen des Verfahrens. Daher ist es wichtig, dass bereits in den ersten Tagen nach Bestellung des vorläufigen Sachwalters die jeweiligen Ansprechpartner und deren Zuständigkeitsbereiche – sowohl auf Seiten des Schuldners als auch auf Seiten des vorläufigen Sachwalters – festgelegt und den anderen Akteuren kommuniziert werden und dass die Kommunikationsabläufe abgestimmt werden. 185 Damit eine sinnvolle Kommunikation auf fachlich hohem Niveau stattfinden kann, erscheint es aus Sicht des Verfassers insbesondere erforderlich, dass auf allen Seiten fachlich, d. h. insolvenzrechtlich und betriebswirtschaftlich, versierte Personen agieren. Gerade die Geschäftsführung des Schuldnerunternehmens wird oftmals bereits i. R. der Vorbereitung einer Eigenverwaltungsinsolvenz zusätzliche Verstärkung ihres insolvenzrechtlichen Knowhow benötigen. Hierzu und zur Frage der Auswahl eines vorzuschlagenden vorläufigen Sachwalters erscheinen folgende Praxisempfehlungen sachgerecht, wobei die entsprechenden Vorkehrungen zur Sicherstellung insolvenzrechtlichen Know-hows inzwischen bereits i. R. der Eigenverwaltungsplanung (vgl. dort § 270a Abs. 1 Nr. 4 InsO) konkret dargestellt werden müssen: 186 Die Aufnahme eines zusätzlichen Sanierungsgeschäftsführers oder -vorstands, der – z. B. in der Funktion eines Chief Restructuring Officers (CRO) – für die operative Umsetzung und Koordination von Restrukturierungsmaßnahmen im Unternehmen wie auch für die Erfüllung der insolvenzverfahrensspezifischen Aufgaben des insolventen Unternehmens in der Eigenverwaltung zuständig ist, kann aus Sicht des Verfassers in vielen Fällen Sinn machen. Dies gilt insbesondere bei größeren Unternehmen oder dann, wenn dies zur Vertrauensbildung seitens der wesentlichen Gläubiger und Geschäftspartner sinnvoll erscheint. Indes muss im jeweiligen Einzelfall stets bedacht werden, ob der Eintritt eines beratenden ___________ 168) Der vorläufige Sachwalter wird – wie auch der (vorläufige) Insolvenzverwalter – in Sanierungsfällen nicht als Einzelkämpfer in Erscheinung treten, sondern vielmehr ein schlagkräftiges Team aus seinem Mitarbeiterstamm zusammenstellen müssen. Die Vorhaltung eines entsprechenden Mitarbeiterstamms ist damit unabdingbare Voraussetzung der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters bzw. Sachwalters. Ebenso Undritz, ZGR 2010, 201, 204.

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§4

Vorläufige Eigenverwaltung

Sanierungs- und Insolvenzexperten in die Organstellung mit einem Mehrwert gegenüber einem reinen Beratungsmandat verbunden ist. Als Alternative zur Bestellung eines CRO kommt auch die vielfach praktizierte Einsetzung 187 eines (oder mehrerer) Generalbevollmächtigten neben den bisherigen Geschäftsführern in Betracht, wobei die bisherige Geschäftsführung auch nach dem Restrukturierungsprozess die Geschicke des Unternehmens wieder eigenständig leiten soll. Gegenüber der Einsetzung eines Generalbevollmächtigten bietet die Bestellung eines CRO, der als echter Geschäftsführer bzw. Vorstand in die Organrolle schlüpft, indes aus Sicht des Verfassers nennenswerte Vorzüge. Zum einen unterliegt der CRO keinen Weisungen der anderen Geschäftsführer bzw. Vorstände; zum anderen gilt für den CRO insbesondere auch die Vorschrift des § 276a Abs. 1 Satz 2 InsO, so dass dieser nicht mehr ohne Zustimmung des Sachwalters ausgetauscht werden kann. Demgegenüber leitet der Generalbevollmächtigte seine Stellung letztlich lediglich vom Vertretungsorgan ab, das dessen Vollmacht regelmäßig jederzeit widerrufen kann. Unerlässlich ist jedoch – wie inzwischen auch § 270a Abs. 1 Nr. 4 InsO zum Ausdruck 188 bringt – in jedem Fall wenigstens die kompetente insolvenzrechtliche Beratung des insolventen Unternehmens.169) Erst bei Einschaltung versierter Berater wird insbesondere zwischen Schuldner und (vorläufigem) Sachwalter auch eine Kommunikation auf Augenhöhe und eine sinnvolle Zusammenarbeit stattfinden können; andernfalls werden – selbst bei kaufmännisch und organisatorisch noch so erfahrenen Leitungspersonen im Schuldnerunternehmen – das Verständnis und die Akzeptanz hinsichtlich der denknotwendig auch insolvenzrechtlich geprägten Entscheidungen des (vorläufigen) Sachwalters zum Teil nicht oder nur unter erheblichen Mühen und ggf. mit Zeitverlusten vermittelbar sein. Die Auswahl eines vorzuschlagenden vorläufigen Sachwalters sollte nach der Einschätzung 189 des Verfassers insbesondere von Seiten des insolvenzrechtlichen Beraters des Schuldnerunternehmens erfolgen. Insolvenzrechtlich spezialisierte Anwälte kennen den „Markt“ der geeigneten Insolvenzverwalter bzw. Sachwalter sicherlich hinreichend und können insoweit auch eine sachkundige Einschätzung hinsichtlich der Qualität der Tätigkeit in Frage kommender Personen treffen. Mit den Hauptgläubigern sollte der Vorschlag eines vorläufigen Sachwalters nach Möglichkeit abgestimmt sein. Zudem hat sich in der Praxis inzwischen auch eine rechtzeitige Abstimmung mit dem Insolvenzgericht über einen möglichen Vorschlag oder über den Kreis der ggf. geeigneten (vorläufigen) Sachwalter als zielführend erwiesen, um insbesondere eine zügige Bearbeitung des Insolvenzantrags bei Gericht zu ermöglichen, wobei für eine solche Abstimmung insbesondere das gemäß § 10a InsO nunmehr vorgesehene Vorgespräch genutzt werden kann. Maßgebliches Kriterium der Auswahl wird insbesondere die zu erwartende Kommunikation zwischen dem Sachwalter und dem Schuldnerberater sowie der Geschäftsführung des Schuldners sein: Ist die Kommunikation zwischen Schuldnerberater, Gläubigeranwälten und Sachwalter von Konkurrenzdenken oder wechselseitigen Profilierungsversuchen überschattet, so schadet dies letztlich dem gesamten Restrukturierungsprozess. Die Fähigkeit zu zielgerichteter und kollegialer Kommunikation – gerade zwischen den agierenden Anwälten und Beratern einerseits und dem vorläufigen Sachwalter bzw. dessen Team andererseits – ist daher maßgebliches Auswahlkriterium seitens des Schuldners und der Gläubiger, wenn es um die Frage des vorzuschlagenden vorläufigen Sachwalters geht. Dass die vorzuschlagende Person hohe fachliche Eignung besitzen, über eine leistungsfähige Kanzleistruktur verfügen und die Gewähr für absolute Unabhängigkeit von allen Beteiligten bieten muss, ist indes selbstverständlich und damit Grundvoraussetzung für einen entsprechenden Vorschlag. ___________ 169) Hofmann, ZIP 2007, 263.

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§4 2.

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren Information der wesentlichen Beteiligten

190 Einer transparenten Information von Kunden und Lieferanten über die vorläufige Eigenverwaltung kommt – wie auch im Fall der vorläufigen Insolvenzverwaltung – grundlegende Bedeutung zu, da hierdurch insbesondere das Vertrauen der Verkehrskreise erhalten bzw. zurückgewonnen werden kann. Für die Lieferanten gilt dies aus der Erfahrung des Verfassers in jedem denkbaren Fall, für die Kunden des Schuldners v. a. dann, wenn größere laufende Projekte bzw. Aufträge betroffen sind oder wenn die Nachricht von der Insolvenz bereits zu erster Verunsicherung auf Kundenseite geführt hat. 191 Die insolvenzrechtliche Praxis des Regelinsolvenzverfahrens ist davon geprägt, dass nach dem Insolvenzantrag mit dem gerichtlich bestellten vorläufigen Insolvenzverwalter eine neutrale Person wesentlichen Einfluss auf die Geschicke des Schuldnerunternehmens ausübt. Alle interessierten Kreise, d. h. Schuldner, Arbeitnehmer, Gläubiger, Lieferanten und andere Personen, haben somit hohe Erwartungen insbesondere an eine zeitnahe Information gerade durch die Person des vorläufigen Insolvenzverwalters.170) Im Fall der vorläufigen Eigenverwaltung bleibt der Schuldner weiterhin uneingeschränkt verfügungsbefugt. Konsequenterweise erwartet die Praxis im Fall der vorläufigen Eigenverwaltung inzwischen ein entsprechendes Informationsschreiben des Schuldners bzw. seiner Berater. Die Information von Kunden und Lieferanten ist insoweit – ausgehend von der Kompetenzverteilung i. R. der Eigenverwaltung – Aufgabe des eigenverwaltenden Schuldners, nicht hingegen des vorläufigen Sachwalters.171) Eine grundsätzlich denkbare gemeinsame Information durch Schuldner und vorläufigen Sachwalter erscheint in aller Regel verzichtbar, zumal der Rechtsverkehr inzwischen weitgehend die Funktionsweise der Eigenverwaltung nachvollzogen hat.172) Aufgabe des vorläufigen Sachwalters i. R. der Information von Kunden und Lieferanten ist es jedoch, i. R. seiner Überwachungsaufgaben die Vorbereitung der entsprechenden Informationsschreiben beratend zu begleiten, so dass es ihm zusteht, entsprechende Schreiben vor deren Versand zur Kenntnisnahme anzufordern. Eigene Informationsschreiben des vorläufigen Sachwalters widersprechen demgegenüber der Kompetenzverteilung zwischen Schuldner und vorläufigem Sachwalter und sind daher als bedenklich einzustufen.173) 192 Wenngleich im Fall entsprechender gerichtlicher Anordnung nach §§ 270b Abs. 1 Satz 1, 274 Abs. 2 Satz 2 InsO eine Unterstützung des Schuldners durch den vorläufigen Sachwalter i. R. der „Verhandlungen mit Kunden und Lieferanten“ ausdrücklich zugelassen ist, sollte auch hiermit in der Praxis sehr sparsam umgegangen werden; andernfalls besteht die Gefahr, dass die betreffenden Geschäftspartner den (vorläufigen) Sachwalter laufend in Kommunikation und Verhandlungen einbeziehen wollen, was den operativen Vorteil der Eigenverwaltung zunichtemacht, nach außen gerade ohne insolvenzrechtliche Einschränkung handlungsfähig zu sein. 193 Die Information der Lieferanten, Dienstleister und Versorger des insolventen Unternehmens sollte neben der Weitergabe grundlegender Informationen zum Verfahrensstand – z. B. dem Hinweis auf laufende Sanierungsbemühungen – insbesondere auch die weitere Vorgehensweise hinsichtlich der Abwicklung von Altverbindlichkeiten, hinsichtlich der Be___________ 170) 171) 172) 173)

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Undritz, ZGR 2010, 201, 204. BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1597. Anders noch die 2. Aufl., s. Hofmann, § 7 Rz. 136. Da nach außen – abgesehen von Fällen der Zustimmungserteilung des § 21 Abs. 1 InsO – allein der Schuldner handelt, hat sich der (vorläufige) Sachwalter auf die in §§ 274, 275 InsO vorgesehene Aufsicht und Mitwirkung im Innenverhältnis zu beschränken. Einzige gesetzlich vorgesehene Information einzelner Gläubiger ist der Fall des § 274 Abs. 3 Satz 2 InsO, d. h. die Unterrichtung sämtlicher Insolvenzgläubiger und Absonderungsberechtigter über zu erwartende Nachteile bei Fortsetzung der vorläufigen Eigenverwaltung.

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Vorläufige Eigenverwaltung

handlung von Eigentumsvorbehalten und sonstigen Sicherungsrechten sowie hinsichtlich der Sicherstellung neu zu begründender Verpflichtungen erläutern. Empfehlenswert erscheint zudem, dass sich der Schuldner von Lieferanten, die zugleich Gläubiger sind, bestätigen lässt, dass diese auf die Geltendmachung von Zurückbehaltungs- und Pfandrechten für Altforderungen im Zusammenhang mit abzuwickelnden Neuaufträgen verzichten. 3.

Befriedigung und Sicherung von Lieferanten

Eines der wesentlichen, teils unterschätzten Probleme der Betriebsfortführung im Eröff- 194 nungsverfahren ist in der insolvenzrechtlichen Praxis die insolvenzfeste Befriedigung und Sicherung von Lieferanten und Dienstleistern. Schwierigkeiten bereitet hierbei – ausgehend vom praktisch relevantesten Fall einer sog. schwachen vorläufigen Insolvenzverwaltung – der (insolvenzrechtliche) Rang der gegenüber den Lieferanten begründeten Forderungen. Auch wenn der vorläufige Insolvenzverwalter mit der Erteilung eines Auftrags durch den Schuldner ausdrücklich einverstanden ist und hierzu erklärt, dass er eine Bezahlung der insoweit entstehenden Forderungen aus dem von ihm verwalteten Vermögen sicherstellen werde, ändert dies nichts am Rang der Forderung im eröffneten Insolvenzverfahren: Die vom Schuldner begründete Forderung ist eine (einfache) Insolvenzforderung i. S. von § 38 InsO.174) Soweit Lieferanten, Dienstleister oder Versorger daher nicht i. R. von Bargeschäften oder sonst unter Schaffung eines anfechtungsverhindernden Vertrauenstatbestands durch den schwachen vorläufigen Verwalter befriedigt werden können, erscheint eine Sicherung der Begleichung ihrer bei Verfahrenseröffnung noch offenen Forderungen nur im Wege sog. Treuhandmodelle175) oder durch Begründung von Masseverbindlichkeiten auf Grundlage insolvenzgerichtlicher Einzelermächtigungen176) möglich, während persönliche Zahlungszusagen des vorläufigen Verwalters hierfür nicht geeignet sind.177) 3.1

Problemstellung in der vorläufigen Eigenverwaltung

Nachdem für Fälle vorläufiger Insolvenzverwaltung Praxis und Rechtsprechung in langjäh- 195 riger Rechtsentwicklung ausreichende Möglichkeiten geschaffen haben, Lieferanten zu sichern, bedurfte es insoweit in der Praxis der erst seit dem ESUG möglichen vorläufigen Eigenverwaltung noch der Korrekturen der InsO durch den Gesetzgeber des SanInsFoG. § 270c Abs. 4 InsO bietet seither mit der dort vorgesehenen Begründung von Masseverbindlichkeiten eine wesentliche Grundlage zur Schaffung rechtssicherer Verhältnisse auch i. R. vorläufiger Eigenverwaltungen. Gleichwohl bereitet aus Sicht des Verfassers die nur eingeschränkte Übertragbarkeit der für die vorläufige Insolvenzverwaltung gefundenen Lösungsansätze angesichts der fehlenden Vergleichbarkeit der insolvenzrechtlichen Rechtsmacht des vorläufigen Insolvenzverwalters mit der Aufgabenstellung des vorläufigen Sachwalters bzw. des Schuldners im Eröffnungsverfahren weiterhin an der ein oder anderen Stelle besondere Schwierigkeiten.

___________ 174) Im Ergebnis a. A. Stapper/Schädlich, ZInsO 2011, 249 ff., die eine Bezahlung von Verbindlichkeiten aus der Betriebsfortführung während der vorläufigen Insolvenzverwaltung im Falle der Abwicklung des Zahlungsverkehrs über ein Anderkonto oder offenes Treuhandkonto für zulässig halten. Die dogmatische Herleitung dieses Ergebnisses erscheint de lege lata m. E. indes äußerst fraglich. 175) Vgl. hierzu Bork, ZIP 2003, 1421, 1423 f.; Werres, ZInsO 2005, 1233, 1239 ff.; Mönning/Hage, ZInsO 2005, 1185. 176) BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625, 1627; Lienau in: Graf-Schlicker, InsO, § 22 Rz. 16. 177) Hierzu eingehend Beck in: FS Runkel, 2009, S. 3, 29 ff.

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§4 3.2

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren Sicherung durch Begründung von Masseverbindlichkeiten

196 Eine Möglichkeit der Sicherung von Geschäftspartnern des Schuldners im Fall der vorläufigen Eigenverwaltung ist die bereits erwähnte Erhebung der ihnen gegenüber begründeten Verpflichtungen in den Rang von Masseverbindlichkeiten. Hierdurch werden die Geschäftspartner gegen zwei Risiken gesichert: zum einen gegen eine Insolvenzanfechtung erhaltener Gegenleistungen und zum anderen gegen das Risiko, bei Verfahrenseröffnung noch keine Leistung erhalten zu haben und dem Rang nach lediglich eine Insolvenzforderung gemäß § 38 InsO geltend machen zu können. 197 Im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung kommt eine Begründung von Masseverbindlichkeiten auf Grundlage der entsprechenden Neureglung des § 270c Abs. 4 InsO dann in Betracht, wenn der Schuldner hierzu vom Insolvenzgericht ermächtigt wurde (siehe ausführlich Rz. 161 ff.). Entsprechende Anordnungen erlässt das Insolvenzgericht regelmäßig auf begründete Anregung bzw. auf Antrag des Schuldners gemäß § 270c Abs. 4 InsO (siehe zu den Voraussetzungen der Anordnung Rz. 162 ff.). Die vor Inkrafttreten des SanInsFoG außerhalb des Schutzschirmverfahrens, für welches § 270b Abs. 3 InsO a. F. bereits damals eine ausdrückliche Regelung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten enthalten hatte, bestehenden praktischen Schwierigkeiten aufgrund teilweiser Skepsis bzw. Zurückhaltung der Insolvenzgerichte dürfte der Gesetzgeber durch die Neuregelung in § 270c Abs. 4 InsO endgültig aufgelöst haben, nachdem bereits zuvor der BGH die Zulässigkeit von Einzelermächtigungen in der vorläufigen Eigenverwaltung klargestellt hatte.178) 198 Rechtsfolge einer Begründung von Masseverbindlichkeiten ist, dass der Schuldner und im Fall der Kassenführung durch den (vorläufigen) Sachwalter auch der (vorläufige) Sachwalter verpflichtet sind, die Verbindlichkeit bei Fälligkeit aus der Insolvenzmasse bzw. dem Schuldnervermögen zu begleichen. Selbst im Falle der späteren Nichtanordnung der Eigenverwaltung bei Verfahrenseröffnung müsste der sodann bestellte Insolvenzverwalter die entsprechende Verbindlichkeit aus der Insolvenzmasse bedienen. Gegen das Risiko, nach Verfahrenseröffnung in den Rang einer Insolvenzforderung gemäß § 38 InsO zurückgestuft zu werden, sind Vertragspartner somit im Fall der Begründung einer Masseverbindlichkeit ausreichend geschützt. 199 Keinen Schutz bietet die Begründung von Masseverbindlichkeiten indes gegen den späteren Eintritt der Masseunzulänglichkeit i. S. von §§ 208 ff. InsO. In diesem Fall sind die im Eröffnungsverfahren begründeten Masseverbindlichkeiten Altmasseverbindlichkeiten i. S. des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Eine gerichtliche Vorrangermächtigung, d. h. die Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten, die im Fall der Masseunzulänglichkeit den Rang sog. Neumasseverbindlichkeiten i. S. von § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO einnehmen, ist nach zutreffender Auffassung nicht zulässig.179) Ist das Risiko einer Masseunzulänglichkeit absehbar, so besteht die Möglichkeit, Geschäftspartner – neben gebräuchlichen Warenkreditsicherheiten, insbesondere Eigentumsvorbehalten – durch Vorausleistungen vorab zu befriedigen oder im Wege anderer dinglicher Sicherheiten bzw. der Einrichtung von Treuhandmodellen zu sichern.180) ___________ 178) BGH v. 22.11.2018 – IX ZR 167/16, ZIP 2018, 2488. 179) So die zutreffende h. M.: Lüke in: KPB, InsO, § 61 Rz. 17; Hefermehl in: MünchKomm-InsO, § 209 Rz. 20a m. w. N.; a. A. AG Hamburg v. 15.11.2004 – 67g IN 390/04, ZInsO 2004, 1270 f., sowie AG Hamburg v. 20.2.2006 – 67g IN 513/05, ZInsO 2006, 218 f., das die Zulässigkeit einer VorrangErmächtigung mit der Unzumutbarkeit des aus seiner Sicht „rechtlich zweifelhaften Konstruktes“ des Treuhandmodells begründet. 180) Zur Vermeidung einer Strafbarkeit wegen Eingehungsbetrugs sollte in diesem Fall der Vertragspartner ggf. transparent über das Risiko des Eintritts der Masseunzulänglichkeit informiert werden und sollten gemeinsam mit dem Vertragspartner entsprechende sichernde Vorkehrungen getroffen werden.

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§4

Vorläufige Eigenverwaltung 3.3

Treuhandmodelle

Treuhandmodelle haben sich in der Praxis als geeignetes Sicherungsmittel im Fall der Be- 200 triebsfortführung im Eröffnungsverfahren und auch zur Sicherung von Geschäftspartnern im eröffneten Verfahren bei drohender oder bestehender Masseunzulänglichkeit erwiesen.181) Sie verschaffen dem begünstigten Gläubiger das Recht, Befriedigung aus dem Treuhandvermögen zu erhalten. Sie schützen den gesicherten Gläubiger – begrenzt auf die Höhe des Treuhandvermögens – sowohl gegen das Risiko, lediglich Gläubiger einer ungesicherten Insolvenzforderung i. S. von § 38 InsO zu sein, als auch gegen das Risiko der Masseunzulänglichkeit gemäß §§ 208 ff. InsO. Soweit das Treuhandmodell rechtlich sauber und transparent ausgestaltet ist, besteht auch hinreichender Schutz gegen eine Anfechtbarkeit. Treuhandmodelle sind in vielfältigen Ausgestaltungen denkbar, wobei die Einzelheiten zu- 201 lässiger Treuhandmodelle durchaus streitig sind.182) Nach hier vertretener Auffassung ungeeignet sind insbesondere Modelle, die darin bestehen, dass der vorläufige Insolvenzverwalter ein zusätzliches bzw. besonderes Treuhandkonto einrichtet, von dem er – auch nach Verfahrenseröffnung – die für Zwecke der Betriebsfortführung begründeten Verbindlichkeiten bedient. Selbst wenn der als Treuhänder fungierende vorläufige Insolvenzverwalter entsprechende vertragliche Abreden mit dem Schuldner und den zu sichernden Gläubigern trifft, entfalten diese m. E. keine hinreichende Wirkung, da – insbesondere auch im praxisrelevanten Fall der Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts – die Übertragung von Schuldnervermögen auf den Treuhänder der Zustimmung des vorläufigen Verwalters bedürfte, der jedoch angesichts seiner eigenen Beteiligung als Treuhänder gemäß § 181 BGB nicht wirksam an der Vermögensübertragung mitwirken kann.183) Allenfalls die Zustimmung eines vorläufigen Sonderinsolvenzverwalters, nicht hingegen die bloße Genehmigung des nicht verfügungsbefugten Insolvenzgerichts könnten nach zutreffender Auffassung den Mangel der Zustimmung vorläufigen Insolvenzverwalters heilen. Um im Fall vorläufiger Eigenverwaltung ein möglichst rechtssicheres Treuhandmodell ein- 202 zurichten, erscheint aus Sicht des Verfassers die Befolgung folgender Hinweise empfehlenswert: Als Treuhänder sollte ein Dritter, d. h. weder der Schuldner, noch der vorläufige Sachwal- 203 ter, fungieren. Insbesondere der anwaltliche Berater des Schuldners oder ein dessen Kanzlei angehöriger Rechtsanwalt dürfte sich jedoch als Treuhänder eignen, sofern nicht aufgrund berufsrechtlicher Bedenken von vornherein ein außenstehender Treuhänder hinzugezogen wird. Das Selbstkontrahierungsverbot des § 181 BGB verbietet dabei eine Stellung des vorläufigen Sachwalters als Treuhänder immer dann, wenn dessen Zustimmung zur Übertragung des Treuhandvermögens auf die Person des Treuhänders bzw. vorläufigen Sachwalters erforderlich ist. Indes sollte der vorläufige Sachwalter auch in anderen Fällen bereits aus Transparenzgründen nicht als Treuhänder auftreten. Der Treuhandvertrag sollte aus Gründen der Transparenz und der späteren Prüfbarkeit 204 zwingend schriftlich abgeschlossen werden. Parteien des Treuhandvertrags sind jedenfalls der Schuldner und der Treuhänder. Im Fall eines entsprechenden Zustimmungsvorbehalts gemäß § 21 Abs. 1 InsO ist auch der vorläufige Sachwalter am Vertragsschluss zu beteiligen. Demgegenüber ist die gemäß § 270b Abs. 1 Satz 1, § 275 Abs. 1 Satz 1 InsO regelmäßig zur Einrichtung des Treuhandmodells erforderliche Zustimmung des vorläufigen Sachwalters ___________ 181) A. A. Schluck-Amend, ZRI 2021, 913, 920 ff., die die Zulässigkeit von Treuhandverträgen in der Insolvenz bereits im Grundsatz als krit. einstuft. 182) Vgl. hierzu eingehend bereits Ganter, NZI 2012, 433, 434 ff., oder auch Beck in: FS Runkel, 2009, S. 3, 14 ff. 183) A. A. hinsichtlich der Übertragung von Kontoguthaben: Bork, NZI 2005, 530 ff.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

nicht unbedingt in die Vertragsurkunde selbst aufzunehmen. Die zu sichernden Gläubiger können in Fällen umfangreicher besicherter Verbindlichkeiten ebenfalls in den Vertragsschluss einbezogen werden. Im Übrigen empfiehlt sich, den besicherten Gläubigern im Wege eines Vertrags zugunsten Dritter Rechte gegen den Treuhänder einzuräumen. 205 Als Treuhandvermögen eignet sich naturgemäß vorhandenes Barvermögen, welches auf ein vom Treuhänder eingerichtetes Treuhandkonto transferiert wird. Reicht das liquide Vermögen zur Einrichtung des Treuhandmodells nicht aus, so kann auf den Treuhänder auch anderes Vermögen, z. B. Forderungen des Schuldners, übertragen werden. Insoweit ist allerdings zu bedenken, dass der Treuhänder in diesem Fall im eröffneten Verfahren lediglich Inhaber eines Absonderungsrechts i. S. von § 51 Nr. 1 InsO wird. Auch sollten hierbei aufgrund des Prioritätsgrundsatzes vorrangige Abtretungen, z. B. auf Grundlage einer Globalzession, bedacht werden. 206 Soweit die besicherten Verbindlichkeiten der Lieferanten, Dienstleister und sonstigen Geschäftspartner nicht konkret bezeichnet werden können, sollte der Umfang der besicherten Verbindlichkeiten bestmöglich bestimmt werden. Hierzu empfiehlt sich z. B. die Bezugnahme auf besondere Formen der Zustimmung. In der vorläufigen Eigenverwaltung erscheint bspw. denkbar, i. R. des Treuhandvertrags Rechte zur Sicherung solcher Verbindlichkeiten einzuräumen, deren Begründung der vorläufige Sachwalter ausdrücklich und in Schrift- oder Textform zugestimmt hat. 207 Sofern der Treuhandauftrag nicht unentgeltlich abgewickelt werden kann, sollte sich eine Vergütung des Treuhänders in einem angemessenen Rahmen bewegen; unabhängig hiervon dürfen freilich die anfallenden Kosten, z. B. für Kontoführungsgebühren, aus dem Treuhandvermögen bedient werden dürften. Im Gegenzug für einen Vergütungsverzicht oder die Vereinbarung einer nur geringen Pauschalvergütung ist eine Haftungsbegrenzung des Treuhänders auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit als üblich anzusehen. 208 Um das Risiko einer späteren Anfechtbarkeit gemäß §§ 129 ff. InsO zu minimieren, sollte insbesondere die Zustimmung des vorläufigen Sachwalters zur Einrichtung des Treuhandmodells dokumentiert sein. Eine gerichtliche Ermächtigung des Schuldners zur Einrichtung des Treuhandmodells dürfte demgegenüber nicht möglich sein, da es sich bei dem Abschluss des Treuhandvertrags gerade nicht um die Begründung einer erst nach Verfahrenseröffnung zu bedienenden Masseverbindlichkeit handelt. Denkbar bliebe freilich eine deklaratorische Zustimmung durch das Insolvenzgericht i. R. seiner Aufsicht über die vorläufige Eigenverwaltung. 3.4

Exkurs: Anfechtbarkeit bzw. Insolvenzfestigkeit von Handlungen des Schuldners bzw. des vorläufigen Sachwalters im Stadium der vorläufigen Eigenverwaltung

209 Gerade im Zusammenhang mit der Befriedigung und Sicherung von Lieferanten und anderen Vertragspartnern im Eröffnungsverfahren stellt sich die Frage nach der Insolvenzfestigkeit der insoweit vom Schuldner – ggf. mit Zustimmung des vorläufigen Sachwalters – vorgenommenen Rechtshandlungen. Dies gilt gleichermaßen für geleistete Zahlungen – gleich, ob auf Neu- oder Altforderungen –, für die Gewährung von Sicherheiten oder aber für die soeben dargelegte Einrichtung eines Treuhandmodells zur Sicherung entsprechend umschriebener Forderungen. Sämtliche vorgenannte Rechtshandlungen bieten den Geschäftspartnern des Schuldnerunternehmens nur dann hinreichende Sicherheit, wenn nicht nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens die Anfechtung gemäß §§ 129 ff. InsO durch einen Insolvenzverwalter oder Sachwalter droht. 210 Für Rechtshandlungen unter Mitwirkung eines vorläufigen Insolvenzverwalters im RegelInsolvenzeröffnungsverfahren ist die Rechtslage auf Grundlage entsprechender höchstrichterlicher Rechtsprechung weitgehend geklärt. Der BGH geht zunächst davon aus, dass ledig140

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Vorläufige Eigenverwaltung

lich Handlungen eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters i. S. von § 22 Abs. 1 InsO aufgrund der Annäherung an Amt und Verfügungsgewalt eines endgültigen Insolvenzverwalters von vornherein der Anfechtung entzogen sind.184) Ist die Rechtsstellung des vorläufigen Verwalters indes nicht derjenigen eines Insolvenzverwalters angenähert, kommt eine Anfechtbarkeit der unter seiner Mitwirkung erfolgten Rechtshandlungen im Grundsatz gleichwohl in Betracht. Indes muss eine Anfechtung dann ausgeschlossen bleiben, wenn der Empfänger der ggf. anfechtbaren Leistung gerade aufgrund der Mitwirkung des vorläufigen Insolvenzverwalters Vertrauen in die Endgültigkeit einer Leistung gewinnen durfte.185) Demnach besteht insbesondere dann ein schutzwürdiges Vertrauen in die Insolvenzbeständigkeit einer Rechtshandlung, wenn es sich um eine solche des vorläufigen Insolvenzverwalters selbst – z. B. die Zahlung von dem für das Verfahren eingerichteten Konto – oder um eine mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters vorgenommene Rechtshandlung des Schuldners – z. B. auch die Gewährung von Sicherheiten – handelt und die Rechtshandlung zugleich vorbehaltlos und im Zusammenhang mit noch zu erbringenden Leistungen des Vertragspartners erfolgt.186) Eine Anfechtung durch den Insolvenzverwalter kommt allenfalls dann in Betracht, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter entweder bereits unter dem Vorbehalt der Anfechtung gehandelt hat oder aber einen zuvor erklärten Widerstand erst angesichts der Marktmacht des Vertragspartners aufgegeben hat.187) Zur Begründung des auf § 242 BGB gestützten Vertrauenstatbestands verweist der BGH insbesondere auch darauf, dass bei Zulassung einer Kongruenzanfechtung gemäß § 130 InsO regelmäßig eine Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren erschwert bzw. vereitelt würde, was den Zielen des Insolvenzverfahrens zuwiderliefe.188) Demgegenüber ist die Rechtslage für den Fall von Rechtshandlungen während einer vor- 211 läufigen Eigenverwaltung i. S. von § 270a Abs. 1 InsO in Rechtsprechung und Literatur nach wie vor nicht abschließend geklärt. Wenngleich zwischenzeitlich obergerichtliche Rechtsprechung vorliegt,189) steht eine Klärung durch den BGH nach wie vor aus. Ausgehend von den Wertungen der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung sind folgende Konstellationen zu unterscheiden: Rechtshandlungen des zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ermächtigten Schuld- 212 ners, der vom Gericht gemäß § 270c Abs. 4 InsO zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ermächtigt wurde, sind der Insolvenzanfechtung gemäß §§ 129 ff. InsO von vornherein entzogen, soweit sich die Rechtshandlung in der Befriedigung einer (künftigen) Masseverbindlichkeit beschränkt.190) In diesem Fall ist die Rechtsmacht des Schuldners bereits im Eröffnungsverfahren an die Stellung des Schuldners angenähert, die er im eröffneten Verfahren aufgrund der gerichtlichen Anordnung der Eigenverwaltung gemäß § 270 InsO erlangt. Angesichts der Rechtsmacht, die (künftige) Insolvenzmasse zu verpflichten, kommt eine Anfechtung der Rechtshandlungen des Schuldners insoweit nicht in Betracht. Ohne Mitwirkung des vorläufigen Sachwalters vorgenommene Rechtshandlungen des 213 („schwachen“) Schuldners, der nicht zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ermäch___________ Vgl. z. B. BGH v. 9.12.2004 – IX ZR 108/04, ZIP 2005, 314, 315, dazu EWiR 2005, 511 (Marotzke). BGH v. 9.12.2004 – IX ZR 108/04, ZIP 2005, 314, 316. BGH v. 9.12.2004 – IX ZR 108/04, ZIP 2005, 314. BGH v. 15.12.2005 – IX ZR 156/04, ZIP 2006, 431. BGH v. 9.12.2004 – IX ZR 108/04, ZIP 2005, 314, 316. Vertrauensschutz bejahend: OLG Düsseldorf v. 8.11.2018 – 12 U 16/18, NZI 2019, 284 m. Anm. Hofmann, NZI 2019, 287; Vertrauensschutz ablehnend: OLG Köln v. 29.3.2017 – 2 U 45/16, ZInsO 2018, 792. 190) BGH v. 16.6.2016 – IX ZR 114/15, ZIP 2016, 1295, 1299, dazu EWiR 2016, 501 (Hofmann); ebenso bereits zuvor OLG Karlsruhe v. 14.6.2016 – 8 U 44/15, ZIP 2016, 1649, 1652.

184) 185) 186) 187) 188) 189)

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tigt ist, unterliegen demgegenüber – bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen – der Anfechtbarkeit gemäß §§ 129 ff. InsO.191) 214 Rechtshandlungen des vorläufigen Sachwalters können im Grundsatz ebenfalls der Insolvenzanfechtung unterliegen, da der vorläufige Sachwalter letztlich keinerlei eigene – insolvenzverwalterähnliche – Verfügungsgewalt innehat. Dies gilt insbesondere für Zahlungen, die der vorläufige Sachwalter aufgrund des von ihm beanspruchten Konten- und Kassenführungsrechts entsprechend § 275 Abs. 2 InsO leistet. Die vorbehaltlose Mitwirkung bzw. Zustimmung des vorläufigen Sachwalters bzw. die vorbehaltlose Zahlung durch den vorläufigen Sachwalter vermitteln indes nach hier vertretener Auffassung dem Vertragspartner bzw. Leistungsempfänger ein schutzwürdiges Vertrauen in die Rechtsbeständigkeit der erhaltenen Leistung.192) Insoweit gelten letztlich die vom BGH zum vorläufigen Insolvenzverwalter entwickelten Grundsätze.193) Hierfür spricht nach Ansicht des Verfassers insbesondere die Annäherung der Rechtsstellung des vorläufigen Sachwalters an diejenige des (endgültigen) Sachwalters, der im eröffneten Verfahren gerade gemäß § 280 InsO allein zur Prüfung und Geltendmachung von Insolvenzanfechtungsansprüchen berufen ist. Auch die vom BGH herangezogene Aufrechterhaltung von Sanierungspotenzial im Interesse der bestmöglichen Verfahrenszielerreichung spricht gerade unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Wertungen des ESUG offenkundig dafür, auch im Fall der vorläufigen Eigenverwaltung einen anfechtungsausschließenden Vertrauensschutz in Zustimmungen und Mitwirkungshandlungen des vorläufigen Sachwalters anzuerkennen.194) Dies gilt unabhängig davon, ob der spätere Sachwalter oder Insolvenzverwalter personenidentisch mit dem vorläufigen Sachwalter ist oder nicht.195) 215 Gleichwohl ist nach wie vor ein möglichst vorsichtiger Umgang mit der Thematik zu empfehlen, da die maßgebenden Rechtsfragen der Anfechtbarkeit gemäß §§ 129 ff. InsO für Rechtshandlungen im Stadium einer vorläufigen Eigenverwaltung bis zu einer abschließenden Klärung durch den BGH nach wie vor als offen zu betrachten sind. Im Zweifel sollte das insolvente Unternehmen Leistungen daher i. R. von gemäß § 142 InsO unanfechtbaren Bargeschäften erbringen oder – soweit dies nicht möglich ist – dafür Sorge tragen, dass für entsprechende Geschäfte Einzelermächtigungen gemäß § 270c Abs. 4 InsO vorliegen. 4.

Insolvenzgeldvorfinanzierung

216 Ein wesentliches und bewährtes Sanierungsinstrument stellt in der insolvenzrechtlichen Praxis seit langem die sog. Insolvenzgeldvorfinanzierung dar. Dies dient insbesondere der Aufrechterhaltung oder sogar Wiederherstellung eines funktionierenden operativen Geschäftsbetriebs bei zugleich erfolgender Schonung der – oftmals ohnehin nicht bzw. nicht ausreichend vorhandenen – Liquidität. 217 Arbeitnehmer haben nach § 165 SGB III Anspruch auf Insolvenzgeld für Lohn- bzw. Gehaltsrückstände aus den letzten drei Monaten vor einem Insolvenzereignis, d. h. insbesondere auch für die letzten drei Monate vor der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens (§ 165 Abs. 1 Nr. 1 SGB III). Hiermit einhergehend kann der Anspruch des Arbeitnehmers aber auch erst mit Eintritt des Insolvenzereignisses entstehen, so dass im Eröffnungsverfahren noch kein ___________ 191) So auch OLG Dresden v. 18.6.2014 – 13 U 106/14, ZIP 2014, 1294, dazu EWiR 2014, 525 (Rendels); OLG Düsseldorf v. 8.11.2018 – 12 U 16/18, NZI 2019, 284 m. Anm. Hofmann, NZI 2019, 287, und OLG Köln v. 29.3.2017 – 2 U 45/16, ZInsO 2018, 792. 192) So letztlich auch OLG Düsseldorf v. 8.11.2018 – 12 U 16/18, NZI 2019, 284, 285. 193) Ebenso OLG Düsseldorf v. 8.11.2018 – 12 U 16/18, NZI 2019, 284, 285; Thole in: Kayser/Thole, HKInsO, § 129 Rz. 38. 194) BGH v. 9.12.2004 – IX ZR 108/04, ZIP 2005, 314, 316 – für den vorläufigen Insolvenzverwalter. 195) BGH v. 9.12.2004 – IX ZR 108/04, ZIP 2005, 314, 316.

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Vorläufige Eigenverwaltung

Anspruch gegen die Agentur für Arbeit besteht. Um gleichwohl das oftmals nicht zur Deckung sämtlicher Kosten ausreichende Schuldnervermögen von den Lohnkosten zu entlasten und die Arbeitskraft der Mitarbeiter zu erhalten, finanziert i. R. der Insolvenzgeldvorfinanzierung eine Bank die Nettolohnansprüche der betroffenen Arbeitnehmer – bis zur Höhe der künftigen Insolvenzgeldansprüche – über die Einräumung eines Kredits an die Schuldnerin vor; Zug um Zug gegen die Auszahlung der entsprechenden Beträge an die Arbeitnehmer lässt sich die Bank im Gegenzug die Lohnansprüche der Arbeitnehmer abtreten, so dass nach Verfahrenseröffnung die Bank auch die Insolvenzgeldansprüche gemäß § 170 Abs. 1 SGB III erwirbt. Die Rückführung des ausgereichten Vorfinanzierungsdarlehens erfolgt letztlich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch die Agentur für Arbeit. Lediglich die Zinsen und Kosten der Insolvenzgeldvorfinanzierung belasten letztlich das Schuldnervermögen bzw. die Insolvenzmasse. Um missbräuchliche Insolvenzgeldvorfinanzierungen zu verhindern, schränkt § 170 Abs. 4 218 SGB III die Zulässigkeit von Vorfinanzierungen ein. Nach § 170 Abs. 4 Satz 1 SGB III kann der Zessionar einer Lohn- bzw. Gehaltsforderung, dem die Forderung im Zusammenhang mit einer Vorfinanzierung abgetreten wurden, den Anspruch auf Insolvenzgeld nur im Fall der Zustimmung der Agentur für Arbeit zur Vorfinanzierung geltend machen. Die Zustimmung zur Insolvenzgeldvorfinanzierung darf die Agentur für Arbeit dabei gemäß § 170 Abs. 4 Satz 2 SGB III nur dann erteilen, wenn auf Grundlage von Tatsachen der Erhalt eines erheblichen Teils der Arbeitsplätze anzunehmen ist. Ausreichend sind insoweit bereits 10 % der Arbeitsplätze.196) Nähere Einzelheiten zum Zustimmungsverfahren gemäß § 170 Abs. 4 SGB III regeln die Fachlichen Weisungen Insolvenzgeld der Bundesagentur für Arbeit.197) Die in § 170 Abs. 4 SGB III geregelte Insolvenzgeldvorfinanzierung ist auch in der vor- 219 läufigen Eigenverwaltung und im Schutzschirmverfahren möglich (siehe auch Koch/Jung, HRI II, § 5 Rz. 202). Unter den Voraussetzungen des § 170 Abs. 4 Satz 2 SGB III hat die Agentur für Arbeit die Zustimmung zu einer Insolvenzgeldvorfinanzierung zu erteilen, wobei die Anordnung einer vorläufigen Insolvenzverwaltung oder ein insolvenzgerichtlicher Eingriff in die Verfügungsbefugnis gerade nicht Voraussetzung einer Zustimmung gemäß § 170 Abs. 4 SGB III ist. Maßgebende Voraussetzung ist vielmehr auch im Fall der vorläufigen Eigenverwaltung die Prognose, ob ein erheblicher Teil der Arbeitsplätze erhalten werden kann. Der Antrag auf Erteilung der Zustimmung ist insoweit stets durch die finanzierende Bank 220 zu stellen, wobei auch eine Vertretung der Bank in Betracht kommt. Eine Antragstellung wird in der vorläufigen Eigenverwaltung daher – entsprechende Bevollmächtigung durch die vorfinanzierende Bank vorausgesetzt – regelmäßig durch den Schuldner bzw. dessen Berater erfolgen. Dem Schuldner obliegt insoweit überhaupt die Vorbereitung und Abwicklung der Insolvenzgeldvorfinanzierung. Demgegenüber beschränken sich die Aufgaben des vorläufigen Sachwalters im Zusammenhang mit der Insolvenzgeldvorfinanzierung auf die Überwachung und beratende Begleitung des Schuldners,198) es sei denn, dass Gericht hat gemäß §§ 270b Abs. 1 Satz 1, 274 Abs. 2 Satz 2 InsO ausdrücklich angeordnet, dass der vorläufige Sachwalter den Schuldner i. R. der Insolvenzgeldvorfinanzierung unterstützen kann. Der Schuldner bzw. vielmehr dessen Berater haben daher – ggf. unterstützt vom vorläufigen Sachwalter – insbesondere die erforderlichen Prognosen zu bestehenden Sanie___________ 196) Vgl. Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen Insolvenzgeld zu § 170 SGB III, Rz. 170.7, Stand: 20.12.2018, abrufbar unter https://www.arbeitsagentur.de/datei/dok_ba016429.pdf (Abrufdatum: 14.2.2023). 197) Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen Insolvenzgeld, Stand: 20.12.2018. 198) So auch BGH v. 21.7.2016 – IX ZR 70/14, ZIP 2016, 1592, 1598.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

rungsmöglichkeiten und zur Wahrscheinlichkeit eines Arbeitsplatzerhalts gegenüber der Agentur für Arbeit darzulegen. Die Fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit erfordern insoweit letztlich eine Glaubhaftmachung der positiven Prognose des Arbeitsplatzerhalts auf Grundlage entsprechender Tatsachen.199) Eine ergänzende Einschätzung bzw. Stellungnahme des vorläufigen Sachwalters kann im Einzelfall sinnvoll sein, stellt aber nach den Erfahrungen des Verfassers nicht den Regelfall dar. 221 Die Abwicklung der Insolvenzgeldvorfinanzierung warf gerade in der Anfangszeit der vorläufigen Eigenverwaltung nach Inkrafttreten des ESUG erhebliche Schwierigkeiten auf. So waren etliche Kreditinstitute zu einer Vorfinanzierung aufgrund der noch unbekannten Situation und aufgrund der aus Sicht der Banken bestehenden höheren Risiken äußerst zurückhaltend und zur Gewährung von Vorfinanzierungsdarlehen nicht bereit. Andere Banken wiederum bestanden auf einer deutlich stärkeren Einbindung des vorläufigen Sachwalters in die vertragliche Abwicklung, als seiner Rechtsstellung im Verfahren gerecht geworden wäre, was wiederum für die beteiligten vorläufigen Sachwalter mit erheblichen, unangemessenen Haftungsrisiken verbunden gewesen wäre. Inzwischen hat sich die Situation deutlich entspannt, wobei die Kreditwirtschaft nach wie vor das Ausfallrisiko einer Vorfinanzierung im Schutzschirmverfahren bzw. in der vorläufigen Eigenverwaltung höher einschätzt als im Regel-Insolvenzeröffnungsverfahren unter Beteiligung eines vorläufigen Insolvenzverwalters, so dass die vorgeschlagenen Vertragsbedingungen nach wie vor einer genauen Prüfung durch Schuldner und vorläufigen Sachwalter zu unterziehen sind. 222 Die konkrete Vorbereitung und Abwicklung der Insolvenzgeldvorfinanzierung erfolgt in der Praxis in der Regel durch das Schuldnerunternehmen bzw. dessen Berater, im Einzelfall auch – soweit das Gericht die entsprechende Unterstützung gemäß §§ 270b Abs. 1 Satz 1, 274 Abs. 2 Satz 2 InsO zugelassen hat – durch den vorläufigen Sachwalter. Dies betrifft insbesondere die Abstimmung mit der vorfinanzierenden Bank, die Berechnung der Höhe der künftigen Insolvenzgeldansprüche und die Vorbereitung der erforderlichen Abtretungsverträge, wobei auch in den Fällen der Abwicklung durch das Schuldnerunternehmen der vorläufige Sachwalter die Insolvenzgeldvorfinanzierung zu überwachen hat;200) teils ist der vorläufige Sachwalter auch – jedenfalls auf Wunsch der vorfinanzierenden Bank – in die Abwicklung eingebunden. Zur Sicherung der Zins- und Kostenforderungen der vorfinanzierenden Bank bietet sich an, insoweit vereinbarte Vorschüsse zu leisten oder i. R. einer insolvenzgerichtlichen Einzelermächtigung insoweit Masseverbindlichkeiten zu begründen. Die vorfinanzierten Arbeitsentgeltansprüche belasten das Schuldnerunternehmen nach Übergang auf die Bundesagentur für Arbeit nur im Rang von Insolvenzforderungen gemäß § 38 InsO; dies gilt auch im Fall der Ermächtigung des Schuldners zur Begründung von Masseverbindlichkeiten aus Arbeitsverhältnissen, da insoweit § 55 Abs. 3 InsO analog anzuwenden ist. 5.

Fortführungsfinanzierung

223 Wesentliches Problem der Aufrechterhaltung und Fortführung von Betrieben in der Insolvenz – sowohl im Eröffnungs- wie auch im eröffneten Insolvenzverfahren – ist oftmals die Finanzierung der Betriebsfortführung. In einer Vielzahl von Fällen wird bei Insolvenzantragstellung nahezu keine „echte“ Liquidität verfügbar sein. Insoweit ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Schuldner vor Stellung des Insolvenzantrags seine Liquidität oftmals zu einem nennenswerten Teil aus dem Einzug globalzedierter Forderungen oder ___________ 199) Hierzu eingehend: Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen Insolvenzgeld zu § 170 SGB III, Rz. 170.6, Stand: 20.12.2018. 200) BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592, 1598.

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Vorläufige Eigenverwaltung

aus einer ihm zur Verfügung gestellten Kontokorrentkreditlinie schöpft. Beide Finanzierungsmittel stehen unmittelbar nach Einleitung des Insolvenzverfahrens nicht mehr zur Verfügung, da Gläubiger und Banken die Befugnis zur Einziehung sicherungszedierter Forderungen an sich ziehen und Kreditlinien wegen Verschlechterung der Vermögenslage kündigen werden. Wenn zudem bei Lieferanten bereits Zahlungsrückstände bestehen und diese auf Vorkassezahlungen bestehen, kann das Fehlen liquider Mittel letztlich sogar zum unmittelbaren Erliegen des Geschäftsbetriebs führen. Während nach Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung der vorläufige Insolvenz- 224 verwalter sich nach Verschaffung eines ersten Überblicks über die Lage des Geschäftsbetriebs im Falle fehlender Liquidität vorrangig der Liquiditätsplanung und -beschaffung widmen wird, ist dies im Fall der vorläufigen Eigenverwaltung Aufgabe des Schuldners und seiner Berater. Der Schuldner hat hierbei den Vorteil, dass er entsprechende Vorbereitungen bereits im Vorfeld der Insolvenzantragstellung einleiten und insbesondere sicherstellen kann, dass im Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung noch ausreichende Liquiditätsreserven zur Verfügung stehen. Dass die entsprechende Planung bereits erfolgt ist, hat der Schuldner seit Inkrafttreten des SanInsFoG zwingend i. R. der Vorlage seiner Eigenverwaltungsplanung gemäß § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO zu dokumentieren. Das Dilemma der Fortführungsfinanzierung lässt sich dabei nur mittels einer an die Erfor- 225 dernisse des jeweiligen Verfahrens angepassten Finanz- und Liquiditätsplanung lösen. Eine solche Planung ist zudem unabdingbare Voraussetzung dafür, dass der vorläufige Sachwalter – gleich, ob gemäß § 275 Abs. 2 InsO oder gemäß § 277 Abs. 1, Abs. 2 InsO – seine Zustimmung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten oder sonstigen Verpflichtungen erteilen kann. Aufgabe der Liquiditätsplanung ist es dabei, den Liquiditätsbedarf einerseits und die zur Verfügung stehenden liquiden Mittel für jeden Zeitpunkt des Planungszeitraums gegenüberzustellen, um die Erfüllbarkeit einzugehender Verpflichtungen zu belegen und etwaige Finanzierungslücken bzw. zusätzlichen Finanzbedarf aufzudecken. Unter Vorsichtsgesichtspunkten sollte die Planung stets angemessene Puffer bzw. Sicherheitsreserven berücksichtigen. Der zu planende Liquiditätsbedarf kann im Eröffnungsverfahren grundsätzlich aus dem 226 im allgemeinen Geschäftsgang außerhalb einer Insolvenz bestehenden Liquiditätsbedarf unter Berücksichtigung verschiedener insolvenzspezifischer Sondereffekte abgeleitet werden. Zu diesen Sondereffekten gehören zum einen Liquiditätsvorteile, die im Eröffnungsverfahren genutzt werden können und die im normalen Geschäftsgang nicht zur Verfügung stünden; zu nennen sind insbesondere die Nichtbezahlung von Löhnen und Lohnnebenkosten für den Zeitraum einer Insolvenzgeldvorfinanzierung (siehe soeben Rz. 216), das „Einfrieren“ von Zahlungen auf unbesicherte Altverbindlichkeiten aus der Zeit vor der Antragstellung und die nur teilweise Begleichung von Mieten, Leasingraten und ähnlichen Nutzungsentgelten (siehe bereits Rz. 92). Zum anderen wird jedoch auch zusätzlicher bzw. zeitlich früher greifender Liquiditätsbedarf bestehen, da der Insolvenzantrag auf Seiten verschiedener Geschäftspartner zu einer Verkürzung von Zahlungszielen oder zur Umstellung auf Vorkassezahlungen bzw. zur Einforderung von Sicherheitsleistungen führen kann. Wesentliche Liquiditätsquelle im Eröffnungsverfahren ist die Eigen- bzw. Selbstfinanzierung in Gestalt vorhandener liquider Mittel, insbesondere Guthaben auf kreditorisch geführten Konten des Schuldners bei Nichtgläubiger-Banken201) und in Gestalt liquider Mittel aus dem Forderungseinzug oder aus der Veräußerung nicht betriebsnotwendigen Vermögens. ___________ 201) Kontoguthaben bei Banken, die zugleich Kreditgeber des Schuldners sind, sind in der Regel mit Insolvenzantragstellung der Verfügung des Schuldners entzogen, da die Bank in zulässiger Weise ihr AGBPfandrecht gemäß Nr. 14 AGB-Banken geltend machen wird.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

227 Daneben können etwaige Finanzierungslücken im Wege der Fremdfinanzierung in Gestalt echter oder unechter Massekredite gedeckt werden. Als Kreditgeber werden in der Regel insbesondere die bisherigen Gläubigerbanken oder – insbesondere im Fall einer angestrebten Restrukturierung des Schuldnerunternehmens – die bisherigen oder die bereits als solche zur Verfügung stehenden künftigen Gesellschafter in Betracht kommen. Sofern noch freie Sicherheiten vorhanden sind, ist auch an eine Darlehensfinanzierung durch bislang nicht involvierte Kreditgeber zu denken. 228 Im Rahmen der Vorbereitung eines Insolvenz- und Eigenverwaltungsantrags hat der Schuldner – was der Gesetzgeber des SanInsFoG i. R. der Vorgaben zur Eigenverwaltungsplanung auch deutlich zum Ausdruck gebracht hat – auch Überlegungen zur Fortführungsfinanzierung anzustellen. Ohne eine entsprechende vollständige und schlüssige Planung wenigstens für den in § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO genannten Sechs-Monats-Zeitraum kommt eine (vorläufige) Eigenverwaltung nicht mehr in Betracht. Über die Vorgaben des § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO hinaus ist der Schuldner jedoch angehalten, seine Planungen ggf. auch auf spätere Zeiträume zu erweitern, soweit dies insbesondere aufgrund langfristig einzugehender Masseverbindlichkeiten erforderlich erscheint. Andernfalls wäre die Deckung der entsprechenden Verbindlichkeiten nicht nachvollziehbar geklärt, was aus Sicht des Verfassers wiederum die Fähigkeit des Schuldners, seine eigene Insolvenz zu verwalten, in Frage stellen könnte. 6.

Umgang mit Steuerverbindlichkeiten und Sozialversicherungsbeiträgen i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung

229 Von erheblicher praktischer Bedeutung ist in der Praxis die Frage, in welchem Umfang Steuern und Arbeitnehmeranteile des Gesamtsozialversicherungsbeitrags i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung befriedigt werden. In Fällen der „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwaltung können derartige Forderungen zunächst unbeglichen bleiben, um die Liquiditätslage des Unternehmens zu schonen und eine Masseschmälerung zu verhindern, ohne dass sich die agierenden Personen Strafbarkeits- oder Haftungsrisiken aussetzen.202) Demgegenüber ändert die vorläufige Eigenverwaltung nichts an der Rechtsmacht des Schuldners bzw. der Geschäftsleiter des insolventen Unternehmens, so dass deren öffentlichrechtliche Pflichten – einschließlich der an eine Nichtzahlung anknüpfenden Strafbarkeitsund Haftungsrisiken – fortbestehen. Zugleich unterliegen Schuldner bzw. Geschäftsleiter nach zutreffender Auffassung im Eröffnungsverfahren der vorläufigen Eigenverwaltung der insolvenzrechtlichen Vermögenssicherungspflicht.203) Es liegt daher eine Kollision insolvenzrechtlicher Sicherungspflichten und steuer- und sozialversicherungsrechtlicher Zahlungspflichten vor. 230 Wenngleich in der vorläufigen Eigenverwaltung die insolvenzrechtlichen Sicherungspflichten und die Pflicht zur Durchsetzung der Gläubigergleichbehandlung letztlich die straf- und haftungsbewehrten steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Zahlungspflichten überlagern müssen,204) liegt hierzu bislang keinerlei höchstrichterliche Rechtsprechung vor. Aus dieser ungeklärten Rechtslage resultiert für Schuldner bzw. Geschäftsleiter das Dilemma,205) sich ___________ 202) Hierzu ist anzumerken, dass der schwache vorläufige Insolvenzverwalter gerade keiner straf- oder haftungsbewehrten Verpflichtung zur Zahlung der entsprechenden Beträge unterliegt, während die den entsprechenden Pflichten unterliegenden Verantwortlichen des insolventen Unternehmens aufgrund der angeordneten Verfügungsbeschränkungen die Zahlungen gerade nicht mehr leisten dürfen bzw. können; vgl. hierzu auch Frind, ZInsO 2015, 22. 203) Ebenso Frind, ZInsO 2015, 22; Schmittmann/Dannemann, ZIP 2014, 1405, 1406; a. A. wohl (indes ohne nähere Begr.) Buchalik/Kraus, ZInsO 2014, 2354, 2356. 204) Anders indes – jedenfalls im Hinblick auf die entsprechende Argumentationslinie des BFH Schmittmann/ Dannemann, ZIP 2014, 1405, 1409. 205) So auch ausdrücklich Frind, ZInsO 2015, 22.

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Vorläufige Eigenverwaltung

entweder im Fall der Nichtzahlung einer Strafbarkeit und Haftung wegen Verletzung der steuer- bzw. sozialversicherungsrechtlichen Zahlungspflichten ausgesetzt zu sehen oder im Fall der Zahlung eine Beendigung der vorläufigen Eigenverwaltung und eine Haftung wegen Verletzung insolvenzrechtlicher Pflichten zu riskieren.206) Hinsichtlich bestehender Steuerzahllasten hat der Gesetzgeber des SanInsFoG das ent- 231 sprechende Dilemma bereits endgültig aufgelöst: Erfüllt ein Geschäftsleiter Ansprüche aus einem Steuerschuldverhältnis nach Stellung eines Insolvenzantrags nicht oder nicht rechtzeitig, so liegt nach der Regelung des § 15b Abs. 8 InsO keine Verletzung steuerrechtlicher Zahlungspflichten vor. Eine Haftung nach §§ 69, 34 AO scheidet damit aus. Zudem ist die Neufassung des § 55 Abs. 4 InsO zu beachten, so dass diejenigen Umsatz- und Lohnsteuerverbindlichkeiten, die nach Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung begründet werden, ohnehin spätestens nach Verfahrenseröffnung als Masseverbindlichkeiten zu bedienen sind. Demgegenüber kann der Rechtsgedanke des § 15b Abs. 8 InsO angesichts der bewussten 232 Entscheidung des Gesetzgebers für die Regelungen in der Fassung des SanInsFoG nicht durch analoge Anwendung auf die Arbeitnehmersozialversicherungsbeiträge übertragen werden.207) Zur Lösung des Dilemmas und zur Vermeidung einer Strafbarkeit und Haftung der Geschäftsleiter im Zusammenhang mit der Leistung der Arbeitnehmeranteile des Gesamtsozialversicherungsbeitrags bleibt es damit in der Praxis der (vorläufigen) Eigenverwaltung weiterhin bei den hierzu bislang erarbeiteten Vorgehensweisen, deren Zulässigkeit i. E. jedoch umstritten ist. 6.1

Anfechtungslösung: Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen in anfechtbarer Weise

Als vielfach empfohlene Lösung hat sich folgende im jeweiligen Einzelfall zwischen insol- 233 ventem Unternehmen, Beratern und vorläufigem Sachwalter abgestimmte „Anfechtungslösung“208) herausgebildet: 

Der Schuldner bzw. dessen Geschäftsleiter stellen eine Bezahlung der Arbeitnehmeranteile des Gesamtsozialversicherungsbeitrags auch i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung sicher, um eine andernfalls drohende Strafbarkeit gemäß § 266a StGB zu vermeiden. Um im Ergebnis den Abfluss der entsprechenden Mittel gleichwohl i. R. der Insolvenzanfechtung gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO rückgängig machen zu können, ist vor den entsprechenden Zahlungen dafür Sorge zu tragen, dass die beteiligten Sozialversicherungsträger eine Information über die Insolvenzantragstellung erhalten haben; diese Information sollte zudem mit einem Vorbehalt der Insolvenzanfechtung verbunden werden.



Eine Bezahlung der Arbeitgeberanteile des Gesamtsozialversicherungsbeitrags erscheint demgegenüber nicht angezeigt, so dass unter Berücksichtigung des Gläubigergleichbehandlungsgrundsatzes und der Verpflichtung des Schuldners zur Schonung seines Vermögens im Interesse der Gläubigergemeinschaft entsprechende Zahlungen zu unterbleiben haben, was der vorläufige Sachwalter i. R. seiner Aufsicht gemäß § 270b Abs. 1 Satz 1, § 274 Abs. 2 InsO zu überwachen hat.209)

___________ 206) Vgl. hierzu auch Romey/Weber, ZInsO 2021, 2594. 207) Vgl. hierzu z. B: A. Schmidt in: HambKomm-InsO, § 15b Rz. 57; a. A. im Ergebnis Bitter, ZIP 2021, 321. 328. 208) So bereits Hofmann, Eigenverwaltung, 1. Aufl., 2014, Rz. 464; ebenso im Ergebnis: Buchalik/Kraus, ZInsO 2014, 2354 ff., sowie Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 270a Rz. 25; Rattunde/Stark, Sachwalter, Rz. 189 – für Steuerforderungen, und Rz. 194 ff. – für Sozialversicherungsbeiträge. 209) So letztlich auch Buchalik/Kraus, ZInsO 2014, 2354, 2356, dort Fn. 15.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

234 Nachteil der „Anfechtungslösung“ ist der zusätzliche Liquiditätsbedarf i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung, der bei der Liquiditätsplanung und der Fortführungsfinanzierung bereits im Vorfeld der Verfahrenseinleitung zu berücksichtigen ist. 235 Gegen die „Anfechtungslösung“ führen einzelne Stimmen ins Feld, dass diese Handhabung die Interessen der Geschäftsleiter an einer persönlichen Strafbarkeits- bzw. Haftungsvermeidung über die Interessen der Gläubigergemeinschaft stellen würde.210) Zudem wird vereinzelt die – aus Sicht des Verfassers und unter Berücksichtigung entsprechender Praxiserfahrungen eher theoretische – Gefahr gesehen, dass die Anfechtung im eröffneten Verfahren nicht erfolgreich durchgesetzt werden kann.211) Wenngleich auch nach hier vertretener Auffassung die insolvenzrechtlichen Pflichten des Schuldners bzw. der Geschäftsleiter die straf- und haftungsbewehrten sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Zahlungspflichten überlagern, so ist dies gerade noch nicht durch entsprechende Rechtsprechung zu § 266a StGB oder zu § 69 AO bestätigt. Gerade aus dieser rechtlichen Unsicherheit ergibt sich das erwähnte Strafbarkeits- und Haftungsrisiko. Nach Frind212) sollen sich die Geschäftsleiter insoweit „mindestens in der gleichen Pflichtenverhaftung zugunsten der Gläubigergemeinschaft, wie im „normalen“ Insolvenzeröffnungsverfahren der vorläufige Insolvenzverwalter“ befinden. Gerade für den (vorläufigen) Insolvenzverwalter dürfte aber unzweifelhaft sein, dass er sich trotz seiner Pflichten gegenüber den Gläubigern des von ihm betreuten Insolvenzverfahrens keinen persönlichen Strafbarkeits- oder Haftungsrisiken aussetzen muss. Gleiches muss im Ergebnis auch für die Geschäftsleiter einer eigenverwaltenden Schuldnerin gelten. Andernfalls wäre die höchstrichterlich für Fälle der (vorläufigen) Eigenverwaltung noch nicht geklärte Kollision zwischen insolvenzrechtlichen Sicherungspflichten einerseits und sozialversicherungsrechtlichen Zahlungspflichten andererseits nicht auflösbar. 236 Die „Anfechtungslösung“ erscheint damit als gangbarer Weg, das Dilemma zwischen ungeklärter Strafbarkeit und Haftung einerseits und Masseschutz andererseits sachgerecht zu lösen, wenngleich die zwischenzeitlich vielfach praktizierte „Zustimmungsvorbehaltslösung“ (siehe sogleich Rz. 242 ff.) aus Sicht des Verfassers den „Königsweg“ darstellen dürfte. 6.2

Kassenführungslösung

237 Das AG Hamburg213) suchte die Lösung des Dilemmas in einer – ggf. sogar gerichtlich angeordneten – Überleitung der Kassenführung gemäß § 275 Abs. 2 InsO auf den vorläufigen Sachwalter. Demnach soll das Insolvenzgericht – sofern der vorläufige Sachwalter die Kassenführung nicht selbst gemäß § 270a Abs. 1, § 275 Abs. 2 InsO an sich zieht – die Kassenführung durch Beschluss auf den vorläufigen Sachwalter übertragen können.214) Hierdurch sollen eine Masseschmälerung durch Begleichung von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern unterbunden und zugleich eine straf- und haftungsrechtliche Verantwortung der Geschäftsleiter ausgeschlossen werden. 238 Indes verfehlt diese Kassenführungslösung nach Einschätzung des Verfassers jedenfalls teilweise ihr Ziel, da sie die Rechtswirkungen der Übernahme der Kassenführung gemäß § 270b Abs. 1 Satz 1, § 275 Abs. 2 InsO teils verkennt: Nach h. M. wird der vorläufige ___________ 210) Frind, ZInsO 2015, 24. 211) So AG Hamburg v. 14.7.2014 – 67b IN 196/14, ZIP 2014, 2101 = ZInsO 2014, 2390; in diesem Sinne auch Hörmann/Yildiz, NZI 2015, 229. 212) Frind, ZInsO 2015, 22, 24. 213) AG Hamburg v. 14.7.2014 – 67b IN 196/14, ZIP 2014, 2101 = ZInsO 2014, 2390; ergänzend erläutert durch Frind, ZInsO 2015, 22 – 26; ausdrücklich abl. Buchalik/Kraus, ZInsO 2014, 2354 ff. 214) Zur Unzulässigkeit der gerichtlichen Übertragung der Kassenführung vgl. bereits AG Hannover v. 8.5.2015 – 909 IN 264/15, ZIP 2015, 1893, dazu EWiR 2015, 651 (Frind); ebenso Undritz, ZIP 2016, 549, 551.

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Vorläufige Eigenverwaltung

Sachwalter durch Übernahme der Kassenführung zum weiteren gesetzlichen Vertreter der Schuldnerin, ohne die Schuldnerin hierbei von der Verfügungsbefugnis auszuschließen.215) Zudem hat der vorläufige Sachwalter auch im Fall der Übernahme der Kassenführung kein eigenes Ermessen hinsichtlich des Zahlungsverkehrs (siehe hierzu bereits Rz. 88). Konsequenz der bloßen Innenwirkung der Übernahme der Kassenführung ist auch, dass die Geschäftsleiter der Schuldnerin weiterhin rechtlich in der Lage sind, Zahlungen – auch solche an Sozialversicherungsträger und den Fiskus – zu leisten; zudem könnten sie den vorläufigen Sachwalter zu entsprechenden Zahlungen anweisen. Verbleibt der Zahlungsverkehr trotz der im Innenverhältnis gemäß § 275 Abs. 2 InsO übernommenen Kassenführung auf den Konten der Schuldnerin, so können die Geschäftsleiter weiterhin wirksam über die entsprechenden Guthaben verfügen, so dass sie in der Lage wären, die betreffenden strafbewehrten Zahlungen zu leisten. Dass hierdurch die insolvenzrechtlichen Pflichten der Schuldnerin gemäß § 275 Abs. 2 InsO gegenüber dem vorläufigen Sachwalter verletzt werden, ändert hieran letztlich nichts; vielmehr ist der Interessenwiderstreit insoweit im Ergebnis derselbe wie bei Unterbleiben der Übernahme der Kassenführung. Es verbleibt damit in diesem Fall beim Fortbestand des Strafbarkeits- und Haftungsrisikos.216) Sofern der kassenführende vorläufige Sachwalter den Zahlungsverkehr vollständig auf ein 239 auf seinen Namen eingerichtetes Sonder- bzw. Treuhandkonto217) überleitet und zugleich aufgrund des ihm nach hier vertretener Auffassung zustehenden Ermessens218) entsprechende Zahlungen nicht leistet, könnten sich die Geschäftsleiter unter Zugrundelegung der Rechtsprechung zu § 266a StGB allenfalls angesichts faktisch fehlender Zahlungsmöglichkeit von dem Vorwurf des § 266a StGB zu exkulpieren versuchen;219) auch in diesem Fall blieben sie jedoch zu entsprechenden Anweisungen an den vorläufigen Sachwalter berechtigt. Unabhängig hiervon begründet indes die Nichtbegleichung von Arbeitnehmersozialversiche- 240 rungsbeiträgen bei übernommener Kassenführung ggf. ein Strafbarkeitsrisiko des vorläufigen Sachwalters, der nach h. M. als (weiterer) gesetzlicher Vertreter der Schuldnerin anzusehen ist und insoweit gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 3 StGB gerade auch als Täter des Delikts des § 266a StGB in Betracht kommt bzw. jedenfalls nicht von vornherein als Täter ausgeschlossen ist.220) Kommt der vorläufige Sachwalter gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 3 StGB als tauglicher Täter in Betracht, so bestünde letztlich parallel hierzu auch ein zivilrechtliches Haftungsrisiko des vorläufigen Sachwalters gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB, welches ggf. angesichts vorsätzlichen und strafbaren Handelns nicht einmal von einer Vermögensschadenshaftpflichtversicherung gedeckt wäre. Wenngleich die vorgenannten Strafbarkeits- und Haftungsrisiken konstruiert erscheinen 241 mögen, so liegen die hierzu führenden rechtlichen Erwägungen aus Sicht des Verfassers jedenfalls nicht derart fern, dass es einem vorläufigen Sachwalter zuzumuten wäre, eine Zahlung von straf- und haftungsbewehrten Sozialversicherungsbeiträgen zu unterlassen. Solange gefestigte Rechtsprechung zur Überlagerung sozialversicherungs- und steuerrechtlicher Zahlungspflichten in der vorläufigen Eigenverwaltung noch nicht vorliegt, ist ___________ 215) Vgl. Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 260. 216) Ebenso Hunsalzer, ZInsO 2014, 1748, 1749. 217) Für die Zulässigkeit der Einrichtung von Ander- und Treuhandkonten zu Recht: Fiebig in: HambKommInsO, § 275 Rz. 16; a. A. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 275 Rz. 7, der die Überleitung des Zahlungsverkehrs auf Ander- bzw. Treuhandkonten für unzulässig hält. 218) Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 363. 219) So im Ergebnis auch Hunsalzer, ZInsO 2014, 1748, 1750 m. w. N.; vgl. zur strafrechtlichen Rechtsprechung z. B. BGH v. 28.5.2002 – 5 StR 16/02, ZIP 2002, 2143 = NZI 2002, 454, dazu EWiR 2002, 1017 (A. Schmidt). 220) Hierauf geht Hunsalzer, ZInsO 2014, 1748 ff., leider nicht ein.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

im Ergebnis also der vorläufige Sachwalter im Fall der Übernahme der Kassenführung – gleichermaßen wie die Geschäftsleiter im Fall nicht übernommener Kassenführung – gehalten, entsprechende Zahlungen nach Bösgläubigmachung der Zahlungsempfänger zu leisten. Damit wäre mit der Übernahme der Kassenführung letztlich aus Sicht des Verfassers nichts gewonnen. Vielmehr führt die Übernahme oder Übertragung der Kassenführung lediglich zu einer Verlagerung der Strafbarkeits- und Haftungsrisiken von den Geschäftsleitern auf den vorläufigen Sachwalter oder gar zu einer Verdopplung des Strafbarkeits- und Haftungsrisikos, weshalb die „Kassenführungslösung“ im Ergebnis als nicht zur Auflösung des Dilemmas tauglich abzulehnen ist. 6.3

Zustimmungsvorbehaltslösung: Besonderer Zustimmungsvorbehalt hinsichtlich Zahlungen an Sozialversicherungsträger und Fiskus

242 Auf Grundlage eines Beschlusses des AG Düsseldorf221) aus dem Jahr 2014 hat sich bis zum Inkrafttreten des SanInsFoG als weitere und aus Sicht des Verfassers vorzugswürdige Auflösung des Dilemmas die insolvenzgerichtliche Anordnung eines besonderen Zustimmungsvorbehalts hinsichtlich der Zahlungen an Sozialversicherungsträger und Steuergläubiger herausgebildet.222) Teile der Literatur223) und Rechtsprechung224) hielten einen entsprechenden besonderen Zustimmungsvorbehalt demgegenüber seit jeher für unzulässig und verwiesen zur Begründung insbesondere darauf, dass der Gesetzgeber in § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO a. F. (inzwischen § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO) zwar auf die §§ 274, 275 InsO, nicht aber auf § 277 InsO verwiesen habe, welcher die Anordnung besonderer Zustimmungsvorbehalte im eröffneten Eigenverwaltungsverfahren regelt.225) Seit Inkrafttreten des SanInsFoG wird eine Ablehnung der Zustimmungsvorbehaltslösung nunmehr auch auf die vermeintliche Entscheidung des Gesetzgebers gestützt, jegliche Zustimmungsvorbehalte außerhalb der Regelung des § 270c Abs. 3 Satz 2 InsO ausgeschlossen zu haben.226) 243 Demgegenüber verkennt die ablehnende Auffassung m. E. die trotz der Regelungen des § 270c Abs. 3 InsO auch in der vorläufigen Eigenverwaltung uneingeschränkte Geltung der Generalklausel des § 21 Abs. 1 InsO (siehe hierzu bereits Rz. 153): Demnach kann und muss das Insolvenzgericht im Eröffnungsverfahren sämtliche Maßnahmen ergreifen, „die erforderlich erscheinen, um bis zur Entscheidung über den Antrag eine den Gläubigern nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten.“ Die Regelung des § 270c Abs. 3 Satz 1 InsO schränkt diese Anordnungskompetenz lediglich dahingehend ein, dass das Insolvenzgericht von der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots wie auch eines alle Verfügungen des Schuldners erfassenden allgemeinen Zustimmungsvorbehalts abzusehen hat. Die Anordnung eines – zur Sicherung des Schuldnervermögens i. S. von § 21 Abs. 1 InsO erforderlichen – besonderen Zustimmungsvorbehalts unterbindet § 270c Abs. 3 InsO weder ausweislich seines Wortlauts noch unter systematischen oder teleologischen Gesichtspunkten, sofern hierdurch nicht das Wesen der (vorläufigen) Eigenverwaltung verändert wird und der Schuldner gerade im Tagesgeschäft weiterhin in eigener Verantwortung handeln kann. ___________ 221) AG Düsseldorf v. 10.7.2014 – 504 IN 124/14, ZInsO 2014, 2389. 222) Ebenso inzwischen: AG Berlin-Charlottenburg v. 30.10.2014 – 36g IN 124/14, n. v.; AG Amberg v. 26.1.2015 – 163 IN 26/15, n. v.; AG Osnabrück v. 16.4.2015 – 26 IN 14/15, n. v.; AG Reinbek v 8.2.2016 – 1500 IN 267/16, n. v.; AG München v. 27.7.2017 – 1507 IN 2020/17, n. v.; AG Heilbronn v. 23.3.2016 – 12 IN 149/16, ZIP 2016, 782 f.; AG Hamburg v. 19.6.2017 – 67g IN 173/17, ZIP 2017, 1383, dazu EWiR 2017, 537 (Hofmann); zust. auch Buchalik/Kraus, ZInsO 2014, 2354, 2356 f. 223) Frind, ZInsO 2015, 22, 24. 224) AG Hannover v. 8.5.2015 – 909 IN 264/15, ZIP 2015, 1893. 225) AG Hannover v. 8.5.2015 – 909 IN 264/15, ZIP 2015, 1893. 226) So z. B. Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 270c Rz. 17.

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Vorläufige Eigenverwaltung

Sofern gegen einen besonderen Zustimmungsvorbehalt das Argument vorgebracht wird, 244 dass letztlich eine Zustimmung von vornherein nicht erteilt werden wird, so spricht dies weniger gegen die Zulässigkeit eines besonderen Zustimmungsvorbehalts, sondern vielmehr letztlich sogar dafür, dass das Insolvenzgericht sogar ein besonderes Zahlungsverbot anordnen dürfte oder müsste. Da indes der besondere Zustimmungsvorbehalt i. S. von § 21 Abs. 1 InsO demgegenüber das mildere Mittel darstellt, erscheint aus hiesiger Sicht die Anordnung eines besonderen Zahlungsverbots nicht angezeigt. Dies gilt umso mehr, als durchaus Fälle denkbar sind, in denen der vorläufige Sachwalter seine Zustimmung zur Begleichung von Sozialversicherungsbeiträgen erteilt, z. B. im Fall eines Arbeitnehmerüberlassungsunternehmens zur Vermeidung einer Haftung des Entleihers gemäß § 28e SGB IV. 6.4

Hinweise zur Handhabung in der Praxis

Die Vielfalt der vertretenen Lösungen und die hiermit einhergehende ablehnende Haltung 245 gegenüber den jeweils anderen Lösungen verkompliziert die Handhabung in der Praxis bis zu einer abschließenden höchstrichterlichen Klärung in Abhängigkeit von der Haltung der jeweils zuständigen Insolvenzrichterin bzw. des jeweils zuständigen Insolvenzrichters deutlich. Insoweit ist letztlich zu empfehlen, die Vorgehensweise – wie ggf. auch die Frage der Begründung von Masseverbindlichkeiten – bereits im Vorfeld der Insolvenzantragstellung oder spätestens unmittelbar nach Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung mit dem Insolvenzgericht zu klären. Treten Fälligkeiten entsprechender Zahlungen – z. B. für die Sozialversicherungsbeiträge am drittletzten Bankarbeitstag des Monats – bereits kurz nach Insolvenzantragstellung ein, so ist dringend zu empfehlen, entsprechende Anregungen bereits in den Insolvenz- und Eigenverwaltungsantrag aufzunehmen. Inhaltlich erscheint aus Sicht des Verfassers die dargestellte Zustimmungsvorbehaltslösung 246 vorzugswürdig, da sie Liquiditätsabflüsse vermeidet und eine – ggf. aufwändige – Rückforderung anfechtbar geleisteter Sozialversicherungsbeiträge vermeidet. Daher sollte versucht werden, das zuständige Gericht von der Zulässigkeit dieser Lösung zu überzeugen.227) Sollte das Gericht dieser Lösung ablehnend gegenüberstehen, so erscheint aus Sicht des Verfassers die Anfechtungslösung als zweite Wahl ebenfalls gut geeignet. Wichtig ist in diesem Fall, den Nachweis der Bösgläubigmachung der Zahlungsempfänger unter gleichzeitigem Anfechtungsvorbehalt möglichst sowohl durch den Schuldner als auch durch den vorläufigen Sachwalter belastbar zu dokumentieren. Vorläufigen Sachwaltern ist anzuraten, bis zu einer höchstrichterlichen Klärung der Rechtslage die sog. „Kassenführungslösung“ als risikoträchtig abzulehnen. 7.

Vorbereitung von Sanierungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren: Eigensanierung vs. Dual-Track-M&A-Prozess

Einen der grundlegenden Konflikte zwischen Schuldner- und Gläubigerinteressen wird ins- 247 besondere in Fällen inhabergeführter Unternehmen oder von Familienunternehmen die Entscheidung zwischen Restrukturierung auf Grundlage des Restrukturierungskonzepts des Unternehmens mit bereits feststehender Investorenstruktur einerseits und Restrukturierung des Unternehmens unter Nutzung eines ergebnisoffenen M&A-Prozesses andererseits bilden. Dabei ist weniger maßgeblich, ob für die Sanierung des Unternehmens der Weg eines Insolvenzplans oder aber einer übertragenden Sanierung gewählt wird, als vielmehr, ob über bereits vorhandene Investoren bzw. Bestandsgesellschafter hinaus am Markt nach anderen oder weiteren Investoren gesucht werden soll, was ggf. zu besseren Befriedigungsaussichten für die Gläubiger führen könnte. ___________ 227) Vgl. zu einem Muster hinsichtlich einer entsprechenden Anregung Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 621.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

248 Die vorläufige Eigenverwaltung im Eröffnungsverfahren wird in aller Regel – z. B. auch in Gestalt des Schutzschirmverfahrens gemäß § 270d InsO – auf eine Restrukturierung des Schuldnerunternehmens durch einen Insolvenzplan abzielen; der Schuldner hat seine Verfahrensstrategie insoweit nach neuem Recht i. R. der Eigenverwaltungsplanung gemäß § 270a Abs. 1 Nr. 2 InsO klar zu beschreiben. Hat insoweit der Schuldner bzw. haben dessen Gesellschafterkreis Interesse daran, auch nach Abschluss des Verfahrens maßgeblich, evtl. sogar allein am Unternehmen beteiligt zu sein, so liegt auf der Hand, dass das Interesse des Schuldners bzw. der Gesellschafter an diesem Erhalt der eigenen Rechtsposition und an der Minimierung eines ggf. nötigen finanziellen Sanierungsbeitrags einerseits und das Interesse der Gläubiger an einem (wirtschaftlich) bestmöglichen Verfahrensergebnis zuwiderlaufen. 249 Zugleich ist festzuhalten, dass die Entscheidung über den Weg zur Erreichung des Verfahrensziels der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung gemäß § 157 InsO gerade nicht dem (eigenverwaltenden) Schuldner, sondern ausschließlich der Gläubigerversammlung zusteht. Als gleichberechtigte Wege stehen dabei die Sanierung des insolventen Rechtsträgers mit Hilfe eines Insolvenzplans, die übertragende Sanierung und die Liquidation des Schuldnerunternehmens zur Verfügung, wobei letztlich in allen Fortführungsvarianten auch ergebnisoffen ist, wer als Investor einer Plan- oder Übertragungslösung zum Zug kommt.228) Im Regelinsolvenzverfahren ist der vorläufige Insolvenzverwalter daher aufgrund seiner Pflicht zur Sicherung des Schuldnervermögens verpflichtet, i. R. seiner Befugnisse dafür zu sorgen, dass den Gläubigern im eröffneten Insolvenzverfahren die entsprechenden Entscheidungsmöglichkeiten verbleiben.229) Der vorläufige Insolvenzverwalter ist daher sowohl verpflichtet, Bemühungen des Schuldners zur Vorbereitung eines Insolvenzplans beratend zu unterstützen, soweit sachgerecht ggf. eigene entsprechende Maßnahmen zu ergreifen und zudem sämtliche zum Werterhalt des Schuldnerunternehmens angezeigte Maßnahmen zu treffen; dies gilt im Fall einer in Betracht kommenden übertragenden Sanierung insbesondere auch für die frühzeitige Identifizierung möglicher Investoren und die Führung vorbereitender Gespräche mit Investoren und wesentlichen Verfahrensbeteiligten i. R. eines strukturierten M&A-Prozesses.230) 250 Während die entsprechende Pflichtenstellung des vorläufigen Insolvenzverwalters insoweit von § 22 InsO relativ klar durch dessen Sicherungsaufgabe determiniert ist, fehlt für die vorläufige Eigenverwaltung bislang ein entsprechend klares Leitbild. Allerdings hat der Gesetzgeber mit § 276a Abs. 2, Abs. 3 InsO klargestellt, dass Geschäftsleiter i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung in gleichem Umfang haften wie ein vorläufiger Insolvenzverwalter, so dass gerade auch in der vorläufigen Eigenverwaltung sämtliche Sanierungsmaßnahmen vorrangig an den Gläubigerinteressen und am Ziel der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung auszurichten sind. 251 Im Rahmen seiner Pflicht zur beratenden Begleitung der Eigenverwaltung hat dabei auch der vorläufige Sachwalter darauf hinzuwirken, dass sämtliche realistischerweise in Frage kommenden Möglichkeiten der Erreichung der Gläubigerbefriedigung aufrechterhalten bleiben; andernfalls drohte für die Gläubiger jedenfalls der Nachteil, dass ihnen die Entscheidung gemäß § 157 InsO von vornherein aus der Hand genommen würde. Kommen daher neben einer vom Schuldner angestrebten Insolvenzplanlösung auch andere Wege der Gläubigerbefriedigung in Betracht, insbesondere eine übertragende Sanierung, so hat der vorläufige Sachwalter rechtzeitig entsprechende Diskussionen anzustoßen und nötigenfalls darauf hinzuwirken, dass der Schuldner auch insoweit entsprechende Vorbereitungen in die Wege leitet, insbesondere einen M&A-Prozess einleitet. ___________ 228) Hölzle, ZIP 2011, 1889, 1892. 229) Hölzle, ZIP 2011, 1889, 1892. 230) Ähnlich auch Fröhlich/Bächstädt, ZInsO 2011, 985, 990, die indes den frühzeitigen Aufbau von Alternativszenarien v. a. im Fall angebrachter Skepsis gegenüber einem konkreten Insolvenzplanvorhaben empfehlen.

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Vorläufige Eigenverwaltung

Auch im Schutzschirmverfahren gemäß § 270d InsO gelten nach hier vertretener Auffas- 252 sung insoweit keine Besonderheiten. Zwar mag die gesetzgeberische Wertung dafürsprechen, dass während der vom Gericht gemäß § 270d Abs. 1 InsO bestimmten Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans die Restrukturierung des Unternehmens i. R. eines Insolvenzplans als mögliches Verfahrensziel Priorität genießt. Allerdings dürfen anderweitige Bemühungen auch im Fall des § 270d InsO nicht einfach zurückgestellt werden, da die in § 157 InsO vorgesehene Entscheidung der Gläubigerversammlung auch in diesem Fall nicht vereitelt werden darf. Zudem ist es auch im Hinblick auf die Erfolgsaussichten eines Insolvenzplans ggf. empfehlenswert, Alternativüberlegungen anzustrengen, um insbesondere die Angemessenheit der im Insolvenzplan vorgesehenen Quote belegen zu können. Für die Praxis der Verfahrensabwicklung empfiehlt sich daher der offene und transparente 253 Umgang mit der Frage nach der Notwendigkeit eines (Dual-Track-) M&A-Prozesses. Zusammenfassend lassen sich insoweit folgende Empfehlungen aussprechen: Bis zur Entscheidung der Gläubiger gemäß § 157 InsO im Berichtstermin haben sowohl 254 Schuldner wie auch (vorläufiger) Sachwalter sämtliche möglichen Alternativen der Verfahrenszielerreichung als gleichwertig zu verfolgen und zu fördern. Schuldner und vorläufiger Sachwalter haben sich in der Erreichung der bestmöglichen Gläu- 255 bigerbefriedigung so weit wie möglich zu unterstützen. Der vorläufige Sachwalter ist insoweit als im Interesse der Gläubiger bestelltes Aufsichtsorgan – auch entsprechend dem Rechtsgedanken des § 284 Abs. 1 Satz 3 InsO – insbesondere verpflichtet, die Vorbereitung eines Insolvenzplans durch den Schuldner beratend zu begleiten. Der Schuldner ist demgegenüber auch im Fall eines angestrebten Insolvenzplans verpflichtet, Bemühungen um eine übertragende Sanierung oder um einen Investor für eine Planlösung einzuleiten (Dual-Track); ein entsprechender ergebnisoffener M&A-Prozess hat insoweit unter beratender Begleitung des vorläufigen Sachwalters stattzufinden. Erscheint ein M&A-Prozess aus wirtschaftlichen, rechtlichen oder tatsächlichen Gründen231) 256 als verzichtbar, weil solche Gründe klar für eine greifbare Lösung, z. B. die vom Schuldner angestrebte Sanierung über einen Insolvenzplan, sprechen oder lassen solche Gründe eine andere Lösung als nicht sinnvoll erscheinen, sollte zudem auf jeden Fall der (vorläufige) Gläubigerausschuss eine entsprechende verfahrensleitende Entscheidung treffen.232) Auf Grundlage dieser aus der Gläubigerautonomie abgeleiteten Entscheidung haben Schuldner und vorläufiger Sachwalter sodann die entsprechenden Maßnahmen zur Umsetzung zu treffen. Ohne hinreichenden Grund sollte indes auch der (vorläufige) Gläubigerausschuss zurückhaltend darin sein, durch seine Entscheidungen eine Entscheidung der Gläubigerversammlung gemäß § 157 InsO vorwegzunehmen oder zu vereiteln. 8.

Steuerliche Fragen der vorläufigen Eigenverwaltung233)

Die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung bzw. die Bestellung eines vorläufigen Sach- 257 walters bleiben zunächst ohne jegliche Auswirkungen auf die steuerlichen Pflichten des ___________ 231) Verzichtbar erscheint ein M&A-Prozess in der Regel bei kleinen und mittleren Unternehmen, die wegen ihrer starken inhaltlichen Verknüpfung mit den als Gesellschafter und Geschäftsleiter agierenden Personen ohne deren Mitwirkung nicht veräußerbar erscheinen. Da mit einem M&A-Prozess zugegebenermaßen auch hohe Kosten einhergehen können und die Investorensuche angesichts des unklaren Ausgangs auch zu negativen Beeinträchtigungen auf Kunden- und Umsatzseite führen kann, erscheint ein M&A-Prozess nach hier vertretener Auffassung auch dann verzichtbar, wenn im Einzelfall ein bereits weit fortgeschrittenes Insolvenzplankonzept einem Vergleich mit realistischerweise zu erwartenden Kaufangeboten auf Grundlage vorliegender Unternehmensbewertungen ohne weiteres standhält. 232) Ebenso Kübler/Rendels, ZIP 2018, 1375. 233) Zu steuerlichen Fragen der Sanierung s. auch unten Kahlert, HRI II, § 47.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

Schuldners. Insbesondere ist der vorläufige Sachwalter wie auch der Sachwalter im eröffneten Insolvenzverfahren in keinem Fall als Vermögensverwalter i. S. von § 34 Abs. 3 AO anzusehen. 258 Mit der Neufassung des § 55 Abs. 4 InsO durch das SanInsFoG hat der Gesetzgeber nunmehr die zuvor streitige Rechtslage234) geklärt: Umsatzsteuer- und Lohnsteuerverbindlichkeiten, die nach Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung begründet werden, gelten nach Verfahrenseröffnung damit als Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 Abs. 4 InsO. Gleiches gilt für Ein- und Ausfuhrabgaben, bundesgesetzlich geregelte Verbrauchsteuern sowie die Luftverkehr- und Kraftfahrzeugsteuer. Mit § 55 Abs. 4 InsO n. F. sind damit die zuvor bestehenden steuerlichen Vorteile der (vorläufigen) Eigenverwaltung gegenüber der Regelinsolvenz weggefallen. V.

Weitere vorläufige Maßnahmen nach § 270c Abs. 3 Satz 1 InsO und § 21 InsO

259 Zur Sicherung des Schuldnervermögens und zur Vermeidung nachteiliger Veränderungen in der Vermögenslage des Schuldners während des Eröffnungsverfahrens kann und muss das Insolvenzgericht gemäß § 21 Abs. 1 InsO alle erforderlichen Maßnahmen treffen. Dies gilt insbesondere für solche Maßnahmen, die der Stabilisierung der Fortführung des Schuldnerunternehmens oder dem Schutz der vorhandenen Liquidität des Schuldners nützen. In praxi wird das Insolvenzgericht in aller Regel auf Hinweise des vorläufigen Insolvenzverwalters bzw. – im Fall der vorläufigen Eigenverwaltung – des Schuldners und des vorläufigen Sachwalters angewiesen sein, da diese deutlich tiefere Detailkenntnisse der Vermögenssituation des Schuldners und etwaig drohender nachteiliger Veränderungen haben. 260 Hinsichtlich der Zulässigkeit vorläufiger Maßnahmen i. S. von § 21 InsO stellt § 270 Abs. 3 Satz 1 InsO klar, dass insbesondere die in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, 3 bis 5 InsO genannten vorläufigen Maßnahmen auch in Fällen vorläufiger Eigenverwaltung angeordnet werden können. Darüber hinaus verweist § 270 Abs. 3 Satz 1 InsO aber auch auf die Grundnorm des § 21 Abs. 1 InsO, so dass im Grundsatz auch sonst jedwede Maßnahme anzuordnen ist, die zur Sicherung des Schuldnervermögens erforderlich erscheint, solange diese nicht eine Verdrängung des Schuldners bzw. der Leitungsorgane des Schuldners aus dem insolventen Unternehmen zur Folge hätte. Letzteres gilt – so auch ausdrücklich die Gesetzesbegründung – insbesondere für die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO sowie für die Anordnung allgemeiner Verfügungsverbote oder allgemeiner Zustimmungsvorbehalte nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO, weshalb diese Regelungen in § 270c Abs. 3 Satz 1 InsO bewusst nicht in Bezug genommen wurden.235) Auch darüber hinaus ist dieser Gedanke jedoch i. R. der Prüfung der Zulässigkeit entsprechender Maßnahmen zu berücksichtigen. 261 Im Hinblick auf die Anregung entsprechender vorläufiger Maßnahmen ist den Akteuren für eine zügige Umsetzung folgende Praxis anzuraten: 262 Vorläufige Maßnahmen i. S. von § 21 Abs. 1 bzw. Abs. 2 InsO sind i. R. entsprechender an das Insolvenzgericht gerichteter Anregungen möglichst bestimmt zu bezeichnen, damit das Gericht ohne größere Nachfragen hierüber entscheiden kann.236) ___________ 234) Gegen eine analoge Anwendung von § 55 Abs. 4 InsO a. F. auf die vorläufige Eigenverwaltung z. B. Kahlert, EWiR 2015, 709 (Urteilsanm.); a. A. (analoge Anwendung) LG Erfurt v. 16.10.2015 – 8 O 196/15 (Laborchemie Apolda GmbH), ZIP 2015, 2181, dazu EWiR 2015, 709 (Kahlert) – aufgehoben durch OLG Jena v. 22.6.2016 – 7 U 753/15, ZIP 2016, 1741, dazu EWiR 2016, 671 (Haneke/Debus). 235) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 206. 236) Beschlussanregungen i. S. ausdrücklicher Formulierungsvorschläge für entsprechende gerichtliche Anordnungen erscheinen insoweit aus Sicht des Verfassers durchaus empfehlenswert.

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Vorläufige Eigenverwaltung

Die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Hintergründe der angeregten vorläufigen 263 Maßnahme sind dem Insolvenzgericht zur Begründung der Anregung in der Regel schriftlich, im Einzelfall – insbesondere im Fall besonders eiliger Maßnahmen – mündlich darzulegen. Damit das Insolvenzgericht zeitnah über eine entsprechende Anregung entscheiden kann, 264 sollten Anregungen entweder gemeinsam durch Schuldner und vorläufigen Sachwalter erfolgen oder der jeweils andere sollte gegenüber dem Gericht jedenfalls kurz (positiv) Stellung zu der Anregung nehmen. Eine entsprechend abgestimmte Vorgehensweise unterstreicht insbesondere auch nochmals das unerlässliche kooperative Verhältnis zwischen Schuldner und (vorläufigem) Sachwalter. Im Einzelnen kommen insbesondere folgende vorläufige Maßnahmen i. S. von § 21 InsO 265 in Betracht: 1.

Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO)237)

Sofern das Gericht nicht bereits vor der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters gemäß 266 § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, § 22a InsO einen vorläufigen Gläubigerausschuss eingesetzt hat, kann oftmals die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses sinnvoll sein, z. B. um frühzeitig ein Gläubigerorgan an verfahrensleitenden Entscheidungen zu beteiligen. In den Fällen des § 22a InsO ist die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses letztlich sogar obligatorisch. 2.

Einstellung der Zwangsvollstreckung (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO)

Eine wesentliche und in Fällen der Betriebsfortführung regelmäßig anzuordnende vorläu- 267 fige Maßnahme ist die in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO vorgesehene vorläufige Einstellung und Untersagung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. Die Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO dient hierbei insbesondere der Verhinderung von Pfändungen von Barvermögen bzw. von Kontopfändungen, die einer Betriebsfortführung oftmals die erforderliche Liquidität und damit die wesentliche Grundlage zu entziehen drohen. Im Schutzschirmverfahren hat das Gericht gemäß § 270d Abs. 3 InsO Maßnahmen nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO auf Antrag des Schuldners anzuordnen. Auch in allen anderen Fällen der vorläufigen Eigenverwaltung wird das Insolvenzgericht die Einstellung und Untersagung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO entweder bereits bei Bestellung des vorläufigen Sachwalters von Amts wegen oder in der Folge auf entsprechende Anregung des Schuldners bzw. des vorläufigen Sachwalters anordnen. Die Einstellung und Untersagung der Zwangsvollstreckung gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 268 InsO erfasst neben der Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen auch die Herausgabevollstreckung nach §§ 883 ff. ZPO, insbesondere auch die Vollstreckung der Herausgabe und Räumung von Geschäftsräumen.238) In Fällen gekündigter Geschäftsraummietverhältnisse ist die Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO somit ein absolut unerlässliches Instrument zur Aufrechterhaltung der Sanierungschancen, da der Schuldner so während des Eröffnungsverfahrens zusätzliche Zeit zu einer möglichen Einigung mit dem Vermieter bzw. zu einer anderweitigen Lösung der Geschäftsraumproblematik erhält.239) ___________ 237) S. hierzu eingehend unten Ampferl, HRI II, § 6. 238) Lienau in: Graf-Schlicker, InsO, § 21 Rz. 22. 239) Für den Vermieter führt die vorläufige Einstellung der Vollstreckung zu der misslichen Situation, dass ihm – abgesehen von Fällen der Anordnung starker vorläufiger Eigenverwaltung – seine Nutzungsentschädigungsforderung gemäß § 546a BGB nur im Rang einer Insolvenzforderung zusteht. Vor diesem Hintergrund wird auch der Vermieter ggf. Interesse an einer Einigung mit dem Schuldner haben, die letztlich auch die Bezahlung einer neu vereinbarten Miete für die Zeit des Eröffnungsverfahrens und für die Zeit nach Verfahrenseröffnung zum Gegenstand haben kann.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

269 Einzig nicht von der vorläufigen Einstellung und Untersagung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erfasst sind auf Grundlage des insoweit eindeutigen Wortlauts des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO Zwangsvollstreckungen in unbewegliches Vermögen des Schuldners. Zwangsversteigerungs- und Zwangsverwaltungsverfahren i. S. des ZVG werden somit durch die insolvenzgerichtliche Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO nicht suspendiert. Insoweit besteht jedoch gemäß § 30d Abs. 4 ZVG die Möglichkeit der einstweiligen Einstellung der Zwangsversteigerung, wobei im Fall der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters gemäß § 30d Abs. 4 Satz 2 ZVG das Antragsrecht dem Schuldner zusteht.240) 3.

(Keine) Vorläufige Postsperre (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 InsO)

270 Eine vorläufige Maßnahme, die in praxi insbesondere in Fällen mangelnder Erfüllung der Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Schuldners gegenüber dem vorläufigen Insolvenzverwalter zum Einsatz kommt, ist die in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 InsO vorgesehene vorläufige Postsperre. Trotz der in § 270c Abs. 3 Satz 1 InsO für den Fall der vorläufigen Eigenverwaltung ausdrücklichen Nennung der vorläufigen Postsperre (vgl. Wortlaut: „nach § 21 Absatz 1 und 2 Satz 2 Nr. 1a, 3 bis 5“) kommt nach hier vertretener Auffassung gerade eine vorläufige Postsperre i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung bereits vom Grundsatz her nicht in Betracht. Eine vorläufige Postsperre hätte eine Verdrängung des Schuldners bzw. der Leitungsorgane des Schuldners aus dem insolventen Unternehmen bzw. jedenfalls erhebliche Störungen der Betriebsabläufe zur Folge, was mit dem Wesen der vorläufigen Eigenverwaltung nicht in Einklang steht. Sollten demgegenüber die Voraussetzungen einer vorläufigen Postsperre vorliegen, insbesondere der begründete Verdacht des Verleugnens oder Vorenthaltens von Unterlagen oder Vermögenswerten durch den Schuldner besteht oder der Schuldner untergetaucht oder flüchtig ist,241) so dürfte vielfach eine Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270e InsO unter Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters und eben zusätzlich zur Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters die Anordnung einer vorläufigen Postsperre angezeigt sein. Die vorläufige Eigenverwaltung wäre in einem derartigen Fall zu beenden. 4.

Verbot der Verwertung von Aus- und Absonderungsgut (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO i. V. m. § 270c Abs. 3 Satz 1 InsO)

271 Im Rahmen des § 270c Abs. 3 Satz 1 InsO hat der Gesetzgeber des SanInsFoG klargestellt, dass das Verwertungs- und Einziehungsverbot gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO dem Schuldner in jedem vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren grundsätzlich zur Verfügung steht. Diese vorläufige Maßnahme stellt in der insolvenzrechtlichen Praxis ein wichtiges Instrument zur Stabilisierung von Betriebsfortführungen im Eröffnungsverfahren dar. Dies gilt insbesondere für Gegenstände des Anlagevermögens, die im laufenden Betrieb zum Einsatz kommen sollen. Demgegenüber erscheint das Verwertungs- und Einziehungsverbot für Zwecke des Einsatzes von Umlaufvermögen, insbesondere von Eigentumsvorbehaltsware, sicherungsübereigneten Warenbeständen oder globalzediertem Forderungsbestand, nicht zielführend;242) insoweit ist nämlich zu beachten, dass Erlöse aus der Einziehung von Forderungen oder der Veräußerung von Gegenständen auf Grundlage einer Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO gerade nicht für Zwecke der Fortführungsfinanzierung eingesetzt werden dürfen. Entsprechende Erlöse stehen letztlich ausschließlich dem ___________ 240) Zu beachten ist insoweit, dass gemäß § 30e Abs. 1 Satz 2 ZVG zugleich die Auflage anzuordnen ist, dass spätestens ab dem vierten Monat nach der ersten einstweiligen Einstellung dem betreibenden Gläubiger die laufenden Zinsen bezahlt werden. 241) Vgl. z. B. Lienau in: Graf-Schlicker, InsO, § 21 Rz. 25. 242) Vgl. hierzu auch Andres/Hees, NZI 2011, 881 ff.

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Vorläufige Eigenverwaltung

betreffenden aus- bzw. absonderungsberechtigten Gläubiger zu und sind für diesen zu separieren.243) Ein Einsatz liquider Mittel aus der Einziehung sicherungszedierter Forderungen kommt daher letztlich nur im Fall entsprechender vertraglicher Vereinbarungen mit dem jeweiligen Drittrechtsinhaber i. R. eines sog. unechten Massekredits in Betracht. Hinsichtlich der Voraussetzungen der Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO 272 ist zu beachten, dass die Forderungen oder die Gegenstände, die von der Anordnung betroffen sind, zur Fortführung des schuldnerischen Unternehmens von erheblicher Bedeutung sein müssen. Dies sollte das Gericht in seiner Entscheidung jedenfalls kurz bzw. ggf. unter Bezugnahme auf entsprechende Anregungsschriftsätze des Schuldners bzw. des vorläufigen Sachwalters begründen.244) Zu beachten ist zudem, dass auch in Fällen vorläufiger Eigenverwaltung der von der An- 273 ordnung gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO betroffene Ab- bzw. Aussonderungsberechtigte ab der Anordnung Ausgleichsansprüche gegen die Insolvenzmasse, d. h. im Rang von Masseverbindlichkeiten, erwirbt.245) Die Ansprüche richten sich auf Ausgleich des durch die Nutzung des Gegenstands eintretenden Wertverlusts (vgl. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO), so dass sich eine hinreichende Dokumentation des Umfangs entsprechender Nutzung bzw. des Zustands im Zeitpunkt der gerichtlichen Anordnung empfiehlt, um den durch die Nutzung eingetretenen Wertverlust letztlich im weiteren Verfahrensverlauf ermitteln zu können. Zugleich ist zu beachten, dass der durch Nutzung eintretende Wertverlust sich nach zutreffender Auffassung gerade nicht mit einer ggf. vereinbarten Miete, Leasingrate oder anderweitigen Nutzungsentschädigung decken wird;246) vereinbarte Nutzungsvergütungen beinhalten nämlich neben einem Äquivalent für die Nutzung bzw. Nutzungsmöglichkeit auch Bestandteile für Finanzierungskosten und für einen durch bloßen Zeitablauf eintretenden Wertverlust.247) Der Schuldner und seine Berater wie auch – i. R. seiner Aufsichtsaufgabe – der vorläufige Sachwalter haben daher für die entsprechende Dokumentation des Zustands der von einer Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO erfassten Gegenstände Sorge zu tragen, um Nachteile aus einer fehlenden bzw. mangelhaften Dokumentation zu vermeiden. Im Hinblick auf insolvenzgerichtliche Anordnungen nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO 274 sowie im Hinblick auf deren Anregung durch den Schuldner oder den vorläufigen Sachwalter ist zudem zu beachten, dass die betreffenden Gegenstände hinreichend genau individualisiert werden; insbesondere ein pauschales Aufgreifen des Wortlauts von § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen an entsprechende insolvenzgerichtliche Beschlüsse.248) 5.

Sonstige Maßnahmen

Da es sich bei den in § 21 Abs. 2 InsO genannten Maßnahmen lediglich um Regelbeispiele 275 vorläufiger Maßnahmen handelt, lässt § 21 Abs. 1 InsO dem Insolvenzgericht breiten Raum für weitere Anordnungen, welche – wie von § 270c Abs. 3 Satz 1 InsO klargestellt – auch ___________ Vgl. BGH v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739 ff., dazu EWiR 2010, 395 (Knof). BGH v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, ZIP 2010, 141, 142 f. BGH v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, ZIP 2010, 141. Ebenso Sinz/Hiebert, ZInsO 2011, 798, 799, die sogar so weit gehen, lediglich über das gewöhnliche Maß hinausgehende Substanzschädigungen als ersatzpflichtig anzusehen. 247) Besonders signifikant mag dies im Fall neuer Kraftfahrzeuge sein, die – letztlich ohne jegliche Nutzung – allein durch die Zulassung des Fahrzeugs und den Verlust des Status eines „Neuwagens“ einen Wertverlust erleiden, der nach hier vertretener Auffassung nicht als „durch Nutzung eintretender Wertverlust“ i. S. von § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO zu entschädigen ist. 248) BGH v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, ZIP 2010, 141.

243) 244) 245) 246)

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

im Fall der vorläufigen Eigenverwaltung gilt. Hierbei sind letztlich – insbesondere bei Maßnahmen gegen am Verfahren nicht beteiligte Dritte – vor allem verfassungsrechtliche Grenzen zu beachten, so dass insbesondere eine Durchsuchung von Räumen Dritter i. R. einer gerichtlichen Anordnung auf Grundlage der insoweit nicht bestimmten Norm des § 21 Abs. 1 InsO nicht zulässig ist.249) VI.

Auswirkungen der vorläufigen Eigenverwaltung auf laufende Rechtsstreite

276 Im Fall der Anordnung der Eigenverwaltung bei Verfahrenseröffnung tritt – wie im Fall der Bestellung eines Insolvenzverwalters – eine Unterbrechung sämtlicher vermögensrelevanter Rechtsstreite gemäß § 240 Satz 1 ZPO ein.250) Diese Unterbrechung ist letztlich unmittelbare Folge der Verfahrenseröffnung; § 240 ZPO bezweckt dabei, dem Insolvenzverwalter bzw. – im Fall der Eigenverwaltung – dem Schuldner eine hinreichende Überlegungsfrist zu verschaffen, innerhalb derer über das künftige Prozessverhalten entschieden werden kann.251) In der Eigenverwaltung hat sich der Schuldner hierbei insbesondere auch mit dem Sachwalter abzustimmen, was ebenfalls die Verfahrensunterbrechung erfordert bzw. rechtfertigt.252) 277 Im Eröffnungsverfahren statuiert § 240 Satz 2 ZPO ebenfalls eine Unterbrechung anhängiger Zivilprozesse im Fall des Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis einer Partei auf einen starken vorläufigen Insolvenzverwalter i. S. von § 22 Abs. 1 InsO. Die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters ohne gleichzeitige Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots führt indes nicht zur Unterbrechung anhängiger Rechtsstreite.253) 278 Die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters hat keine Regelung in § 240 ZPO erfahren. Ausgehend vom dargelegten Gesetzeszweck der Verfahrensunterbrechung gemäß § 240 ZPO kann die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters nicht die Folgen des § 240 ZPO auslösen. Insbesondere fehlt es an jeglicher Vergleichbarkeit zur Konstellation des § 240 Satz 2 ZPO, da gerade im Fall der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270a Abs. 1 InsO keinerlei Eingriff in die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners erfolgt. Auch wird die Zielrichtung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners durch die bloße Bestellung eines vorläufigen Sachwalters nicht grundsätzlich geändert. 279 Anders verhält es sich ausschließlich im Fall einer hier (siehe oben Rz. 174 f.) für in Ausnahmefällen zulässig gehaltenen umfassenden gerichtlichen Ermächtigung des Schuldners zur Begründung von Masseverbindlichkeiten (sog. starke vorläufige Eigenverwaltung). Hat das Gericht eine entsprechende Anordnung erlassen, so verpflichtet der Schuldner durch sein Handeln die künftige Insolvenzmasse. Die für den starken vorläufigen Insolvenzverwalter i. S. von § 22 Abs. 1 InsO geltende Norm des § 55 Abs. 2 InsO gilt in diesem Fall analog. Verpflichtet der Schuldner jedoch im Fall der „starken“ vorläufigen Eigenverwaltung unmittelbar die künftige Insolvenzmasse, so darf und muss auch er sein weiteres Prozessverhalten ausschließlich an den Gläubigerinteressen ausrichten. Er benötigt insoweit bereits im Stadium der vorläufigen Eigenverwaltung die von § 240 ZPO bezweckte Überlegungsfrist.254) Angesichts der insoweit bestehenden Gesetzeslücke ist § 240 Satz 2 ZPO in diesem Fall unter teleologischen Gesichtspunkten analog anzuwenden. Die Anordnung ___________ 249) 250) 251) 252) 253) 254)

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BGH v. 24.9.2009 – IX ZB 38/08, ZIP 2009, 2068, dazu EWiR 2010, 21 (Frind). BGH v. 7.12.2006 – V ZB 93/06, ZIP 2007, 249, 250, dazu EWiR 2007, 249 (Bähr/Landry). Ebenso BGH v. 7.12.2006 – V ZB 93/06, ZIP 2007, 249, 250. BGH v. 7.12.2006 – V ZB 93/06, ZIP 2007, 249, 250. BGH v. 21.6.1999 – II ZR 70/98, ZIP 1999, 1314 f. Vgl. BGH v. 7.12.2006 – V ZB 93/06, ZIP 2007, 249, 250.

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Vorläufige Eigenverwaltung

einer „starken“ vorläufigen Eigenverwaltung führt damit analog § 240 Satz 2 ZPO zur Unterbrechung anhängiger Zivilprozesse. Für Rechtsstreite in arbeits-, finanz-, verwaltungs- und sozialgerichtlichen Verfahren 280 gilt über die Verweisungsnormen § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, § 155 FGO, § 173 Satz 1 VwGO, § 202 SGG Entsprechendes, so dass auch in diesen Verfahren im Fall einer „starken“ vorläufigen Eigenverwaltung analog § 240 Satz 2 ZPO eine Unterbrechung eintritt. VII. Haftung für Rechtshandlungen des Schuldners in der vorläufigen Eigenverwaltung Während sich die Haftung des vorläufigen Sachwalters (siehe hierzu Rz. 127) gemäß § 270b 281 Abs. 1 Satz 1, § 274 Abs. 1 InsO insbesondere nach der Norm des § 60 InsO richtet, hatten die Haftung des Schuldners und insbesondere die Haftung der für den Schuldner handelnden Geschäftsleiter zunächst keine eigenständige insolvenzrechtliche Regelung erfahren. Die Fragen der Haftung des Schuldners und der Geschäftsleiter eigenverwalteter Gesellschaften waren insoweit lange Zeit umstritten. Auch war das Fehlen eines gesetzlich geregelten Haftungsregimes in der (vorläufigen) Eigenverwaltung lange Zeit ein Kritikpunkt an den Regelungen der Eigenverwaltung.255) Mit seiner Grundsatzentscheidung vom 26.4.2018256) hat der BGH die vorangegangene Diskussion in der Literatur für die Praxis i. S. einer analogen Anwendung der insolvenzrechtlichen Haftungsnormen der §§ 60, 61 InsO beendet. Aussagen zum Haftungsregime in der vorläufigen Eigenverwaltung hatte der BGH im dortigen Fall nicht zu treffen; gleichwohl waren die Erwägungen des BGH auf die vorläufige Eigenverwaltung übertragbar.257) Inzwischen hat der Gesetzgeber i. R. des SanInsFoG die Rechtsprechung des BGH kodifiziert und über die vom BGH angenommene Haftung des Schuldners auch eine Haftung der Geschäftsleiter eigenverwalteter juristischer Personen in § 276a Abs. 2, Abs. 3 InsO geregelt, wobei für diese die für den Insolvenzverwalter maßgeblichen Haftungsnormen der §§ 60, 61 InsO entsprechend zur Anwendung kommen. Im Einzelnen gilt daher nunmehr das nachfolgend dargestellte Haftungsregime: 1.

Haftung des Schuldners

Nach der Rechtsprechung des BGH haftet der Schuldner im eröffneten Eigenverwaltungs- 282 verfahren über die Verweisungsnorm des § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO entsprechend §§ 60, 61 InsO für die Verletzung insolvenzrechtlicher Pflichten.258) Indes erscheint eine derartige Haftung des Schuldners im Ergebnis nicht zielführend, da den Gläubigern ohnehin das gesamte Schuldnervermögen haftet, so dass eine derartige Haftung jedenfalls wirtschaftlich regelmäßig wertlos erscheint.259) In Fällen der Eigenverwaltung natürlicher Personen ergeben sich hieraus für die Gläubiger im Ergebnis Nachteile gegenüber dem Regelinsolvenzverfahren, da dort gerade der (vorläufige) Insolvenzverwalter gemäß § 60 InsO gegenüber sämtlichen Verfahrensbeteiligten für die Verletzung seiner Pflichten haftet. Dieser verminderte Schutz der Verfahrensbeteiligten ist indes im Institut der (vorläufigen) Eigenverwaltung von vornherein angelegt, so dass Schutz gegen entsprechende Risiken letztlich ___________ 255) So hatte auch der Verfasser bereits nach Vorliegen des DiskE ESUG die Schaffung eines insolvenzrechtlichen Haftungstatbestands im System der Eigenverwaltung gefordert, vgl. Hofmann, NZI 2010, 798, 804 f. 256) BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977 m. Anm. Bitter, dazu EWiR 2018, 339 (Thole). 257) Ebenso bereits Bitter, ZIP 2018, 988; Thole, EWiR 2018, 339, 340 (Urteilsanm.); Hofmann, ZIP 2018, 1429, 1430. 258) So BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, Rz. 18 f., ZIP 2018, 977, 978. 259) So auch BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, Rz. 23, ZIP 2018, 977, 979: „(…) wäre damit für die Beteiligten haftungsrechtlich wenig gewonnen (…)“; vgl. hierzu eingehend Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 99 ff.

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§4

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

allein über die Frage nach der Zulassung der (vorläufigen) Eigenverwaltung im konkreten Fall zu suchen ist. 2.

Insolvenzrechtliche Haftung der Geschäftsleiter bzw. Vertretungsorgane

283 Handelt es sich bei dem Schuldner eines Eigenverwaltungsverfahrens um eine Gesellschaft, so wird diese durch ihre Geschäftsleiter bzw. Vertretungsorgane vertreten. Nachdem bereits der BGH eine entsprechende Haftung statuiert hatte,260) hat der Gesetzgeber des SanInsFoG die Haftung der Geschäftsleiter entsprechend §§ 60, 61 InsO nunmehr in § 276a Abs. 2 InsO gesetzlich angeordnet. Geschäftsleiter und Vertretungsorgane haften demnach im eröffneten Eigenverwaltungsverfahren gegenüber den Beteiligten des Insolvenzverfahrens in gleichem Umfang wie ein Insolvenzverwalter. Auch i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung kommt die Haftung nach der Regelung des § 276a Abs. 3 InsO zur entsprechenden Anwendung. Da es sich um eine rein insolvenzrechtliche Haftungsnorm handelt, haften die Geschäftsleiter insoweit ausschließlich im Fall einer Verletzung ihrer insolvenzrechtlichen Pflichten. 284 Da gerade im Eröffnungsverfahren die Weichenstellungen für den gesamten Verfahrensverlauf und damit auch für die Befriedigungsaussichten der Gläubiger und den Erfolg einer angestrebten Sanierung getroffen werden, ergeben sich für das Handeln der Geschäftsleiter i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung erhebliche Haftungsrisiken. Dabei ist zu beachten, dass Kern der Pflichten im Eröffnungsverfahren die Pflicht zur Sicherung der künftigen Insolvenzmasse – einerseits im Interesse der Gläubigergesamtheit, andererseits aber auch im Interesse der Inhaber von Aus- und Absonderungsrechten – ist. Ein wesentliches insolvenzspezifisches Haftungsrisiko dürfte i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung insoweit die Nichtbeachtung von Sicherungsrechten aus- und absonderungsberechtigter Gläubiger darstellen.261) 285 Eine persönliche Einstandspflicht der Geschäftsleiter analog § 61 InsO für nicht bediente Zahlungspflichten aus dem Zeitraum der vorläufigen Eigenverwaltung kommt demgegenüber nur dann in Betracht, wenn das Insolvenzgericht die Schuldnerin gemäß § 270c Abs. 4 InsO zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ermächtigt hat (siehe zur Begründung von Masseverbindlichkeiten i. E. oben Rz. 161 ff.). Nur gegenüber Massegläubigern ist Raum für eine entsprechende insolvenzrechtliche Haftung.262) 3.

Gesellschaftsrechtliche Haftung nach § 43 GmbHG bzw. §§ 92, 93 AktG und Masseschmälerungshaftung nach § 15b InsO

286 In welchem Umfang neben der insolvenzrechtlichen Haftung der Geschäftsleiter gemäß §§ 276a Abs. 2, Abs. 3, 60, 61 InsO Raum für eine gesellschaftsrechtliche Haftung wegen der Verletzung ihrer Organpflichten nach § 43 GmbHG, § 93 AktG bleibt, hat der BGH in seiner Grundsatzentscheidung263) zur Haftung der Geschäftsleiter in der Eigenverwaltung offengelassen. Grundsätzlich dürften die insolvenzspezifischen Pflichten der Geschäftsleiter gegenüber den Beteiligten des Insolvenzverfahrens die Organpflichten gegenüber den Gesellschaftern der Schuldnerin überlagern.264) Eine Ausnahme muss jedoch dann gelten, wenn es um die Wahrnehmung von Verfahrensrechten der Schuldnerin – einschließlich z. B. des Rechts zur Rücknahme des Insolvenzantrags – geht, da diese Rechte ausschließlich den In___________ 260) 261) 262) 263) 264)

160

BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977. Vgl. hierzu und zu Strategien zur Haftungsvermeidung i. E. Hofmann, ZIP 2018, 1429, 1433 f. Hofmann, ZIP 2018, 1429, 1430 f.; Schoppmeyer in: MünchKomm-InsO, § 61 Rz. 33. BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977. Hofmann, ZIP 2018, 1429, 1431 f.

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§4

Vorläufige Eigenverwaltung

teressen der Gesellschaft entspringen. Ein Fortbestand von Pflichten gegenüber den Gesellschaftern dürfte vor allem dann anzunehmen sein, wenn keine Insolvenzantragspflicht besteht oder wenn eine Beseitigung der Insolvenzreife und eine Rücknahme des Insolvenzantrags im Raum stehen.265) Den Geschäftsleitern entsprechender Gesellschaften ist daher zu empfehlen, ihr Handeln insoweit auch mit den zuständigen Aufsichts- oder Gesellschafterorganen abzustimmen.266) Die vom Verfasser früher267) vertretene These, wonach i. R. der (vorläufigen) Eigenverwaltung die Organpflichten i. R. der Haftung gemäß § 43 GmbHG durch den Zweck des Insolvenzverfahrens überlagert würden, erscheint angesichts der nunmehr gesetzlich statuierten Anwendung der §§ 60, 61 InsO nicht mehr haltbar. Vielmehr hat sich die Haftung nach § 43 GmbHG bzw. nach §§ 92, 93 AktG ausschließlich an den Interessen der Gesellschaft zu orientieren. Während – wie soeben dargestellt – Raum für eine Haftung für die Verletzung von Organ- 287 pflichten gegenüber der Gesellschaft bzw. den Gesellschaftern in einem engen Rahmen noch bestehen kann, besteht infolge der inzwischen gesetzlich geregelten insolvenzrechtlichen Haftung der Geschäftsleiter nach §§ 276a Abs. 2, Abs. 3, 60, 61 InsO jedenfalls in der Sache keine Notwendigkeit einer Haftung der Geschäftsleiter unter dem Gesichtspunkt der Masseschmälerungshaftung, die seit Inkrafttreten des SanInsFoG für alle Rechtsformen einheitlich in § 15b InsO geregelt ist. Gegenstand der Masseschmälerungshaftung ist in den Grenzen des § 15b InsO im Grundsatz die Pflicht zur Erstattung sämtlicher nach Eintritt der Insolvenzreife geleisteter Zahlungen, soweit diese nicht auch nach diesem Zeitpunkt noch mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters vereinbar sind. Die Frage, ob für Zahlungen im Stadium der vorläufigen Eigenverwaltung – auch in Ge- 288 stalt des Schutzschirmverfahrens gemäß § 270d InsO – eine Haftung unter dem Gesichtspunkt der Masseschmälerungshaftung des § 15b InsO in Betracht kommt, hatte der BGH bislang nicht zu entscheiden. Wenngleich angesichts der nunmehr in § 276a Abs. 2, Abs. 3 InsO gesetzlich angeordneten entsprechenden Anwendung des § 60 InsO auf die Geschäftsleiter in der vorläufigen Eigenverwaltung eine derartige Haftung im Ergebnis den Gläubigern keinen zusätzlichen Schutz vermitteln würde, kommt § 15b InsO als Haftungsnorm nach dem klaren Wortlaut der Regelung gleichwohl in Betracht.268) Liegt eine Zustimmung des vorläufigen Sachwalters vor, so scheidet eine Haftung nach § 15b Abs. 4 InsO in analoger Anwendung von § 15b Abs. 2 Satz 3 InsO aus.269) In anderen Fällen scheidet eine Haftung auch dann aus, wenn es sich bei den nach Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung geleisteten Zahlungen um solche handelt, die i. S. v. § 15b Abs. 2 Satz 1 InsO „der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs“ dienen. Im Ergebnis dürfte – wenngleich eine solche grundsätzlich denkbar erscheint – der Haftung nach § 15b Abs. 4 InsO keine eigenständige Bedeutung zukommen, da sämtliche denkbare Fälle letztlich bereits über die Haftung nach §§ 276a Abs. 2, Abs. 3, 60 InsO abgedeckt erscheinen.

___________ 265) So bereits Hofmann, ZIP 2018, 1429, 1432, auch unter Verweis auf die Rspr. zur Haftung im Fall der Stellung eines Insolvenzantrags im Stadium drohender Zahlungsunfähigkeit, vgl. OLG München v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, ZIP 2013, 1121, dazu EWiR 2013, 483 (Jakobs/Hoffmann). 266) Vgl. hierzu auch BGH v. 7.4.2003 – II ZR 193/02, ZIP 2003, 945 ff., wonach eine Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG stets dann ausscheidet, wenn das betreffende Geschäftsführerhandeln im Einvernehmen aller Gesellschafter erfolgte, dazu EWiR 2004, 443 (Sinewe). 267) Vgl. z. B. Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 212 f. 268) So wohl auch A. Schmidt in: HambKomm-InsO, § 15b Rz. 13. 269) Im Ergebnis ebenso A. Schmidt in: HambKomm-InsO, § 15b Rz. 13.

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§4 4.

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren Außenhaftung handelnder Personen wegen Inanspruchnahme besonderen Vertrauens (c. i. c.)

289 Im Einzelfall kommt über die insolvenzrechtliche Haftung hinaus auch eine Haftung aus c. i. c. für den Fall der Nichterfüllbarkeit von eingegangenen Verbindlichkeiten in Betracht.270) Eine derartige Haftung gemäß § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 3 Satz 1 BGB kann letztlich neben den zur organschaftlichen Vertretung berufenen Geschäftsleitern auch sonstige Dritte treffen, wobei insoweit die Hürden für das Entstehen eines entsprechenden Schuldverhältnisses sicherlich eher hoch liegen dürften. Indes kann gerade die Einbindung von Insolvenz- und Sanierungsexperten als CRO oder als Generalbevollmächtigter durchaus die Anforderungen des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB erfüllen, da diese Personen ja gerade durch ihre Expertise und Integrität in besonderem Maße das Vertrauen des Rechtsverkehrs für sich in Anspruch nehmen. 5.

Haftung der Geschäftsleiter nach der AO und nach § 823 Abs. 2 BGB, § 266a StGB

290 Zuletzt bestehen im Stadium der vorläufigen Eigenverwaltung im Eröffnungsverfahren – auch im Schutzschirmverfahren gemäß § 270d InsO – Haftungsrisiken der Geschäftsleiter im Hinblick auf die Erfüllung steuerlicher Pflichten wie auch im Hinblick auf die Abführung der Arbeitnehmeranteile des Gesamtsozialversicherungsbeitrags. 291 In steuerlicher Hinsicht unterliegen die Geschäftsleiter als gesetzliche Vertreter i. S. von § 34 Abs. 1 AO der abgabenrechtlichen Haftung gemäß § 69 AO. Soweit Steueransprüche infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung von Erklärungs- oder Zahlungspflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden, haften die hierfür verantwortlichen Geschäftsleiter daher grundsätzlich gegenüber dem Fiskus. Indes stellt § 15b Abs. 8 InsO nunmehr klar, dass es im Insolvenzverfahren zu einer Überlagerung steuerlicher Zahlungspflichten durch ein insolvenzrechtliches Pflichtenregime kommt, so dass eine Haftung wegen der Nichtzahlung von Steuern nur noch hinsichtlich der im Rang von Masseverbindlichkeiten – ggf. gemäß § 55 Abs. 4 InsO – bestehenden Steuern in Betracht kommt. 292 Demgegenüber wird die gemäß § 266a StGB strafbewehrte sozialversicherungsrechtliche Verpflichtung zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen im Eröffnungsverfahren nicht grundsätzlich suspendiert, so dass insoweit eine Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Betracht kommt, sofern die als Schutzgesetz eingestufte Norm des § 266a StGB verletzt wird. 293 Zur Haftungsvermeidung kommen insoweit die bereits oben ausführlich dargestellte Zustimmungsvorbehaltslösung (siehe Rz. 242 ff.) wie auch die sog. Anfechtungslösung (siehe Rz. 233 ff.) in Betracht. VIII. Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung (§ 270e InsO) 294 Seit Inkrafttreten des SanInsFoG hat die Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung in § 270e InsO eine eigenständige Regelung erfahren.

___________ 270) Hierauf hat bereits Brinkmann, DB 2012, 1369, 1370, zutreffend hingewiesen; ähnlich OLG Düsseldorf v. 7.9.2017 – I-16 U 33/17, ZIP 2017, 2211. Angesichts der analogen Geltung von § 61 InsO im Fall der Nichtbegleichung von Masseverbindlichkeiten, bleibt Raum für eine Haftung für Inanspruchnahme von Vertrauen insbesondere in Fällen, in denen keine (Einzel-)Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten vorlag.

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§4

Vorläufige Eigenverwaltung 1.

Voraussetzungen

§ 270e InsO unterscheidet zwischen Fällen, in welchen das Insolvenzgericht die vorläufige 295 Eigenverwaltung von Amts wegen zu beenden hat (vgl. § 270e Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 InsO), und Fällen einer nur auf Antrag einer antragsberechtigten Person erfolgenden Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung (§ 270e Abs. 1 Nr. 4, Nr. 5, Abs. 2 InsO). 1.1

Aufhebung von Amts wegen

Von Amts wegen erfolgt die Aufhebung der Eigenverwaltung in folgenden Fällen, wobei 296 insoweit kein Ermessen des Insolvenzgerichts, wohl aber vielfach ein Einschätzungs- bzw. Bewertungsspielraum bestehen dürfte:271) 

Ein schwerwiegender Verstoß des Schuldners gegen insolvenzrechtliche Pflichten wie auch die Erkenntnis, dass der Schuldner nicht bereit oder in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Gläubigerinteressen auszurichten, führt nach § 270e Abs. 1 Nr. 1 InsO zur Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung. Eine solche Gefährdung der Gläubigerinteressen liegt insbesondere vor, wenn sich ergibt, dass die Eigenverwaltungsplanung in wesentlichen Punkten auf unzutreffende Tatsachen gestützt wurde oder der Schuldner seine Pflicht zur Mitteilung wesentlicher Änderungen verletzt hat, wenn die Rechnungslegung und Buchführung des Schuldners gravierende Mängel aufweist oder wenn Haftungsansprüche bestehen, deren Durchsetzung in der Eigenverwaltung erschwert werden könnte (vgl. § 270e Abs. 1 Nr. 1 lit. a bis c InsO).



Die Nichtbehebung von Mängeln der Eigenverwaltungsplanung innerhalb der vom Gericht nach § 270b Abs. 1 Satz 2 InsO gesetzten Frist zieht ebenfalls stets die Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung nach sich (§ 270e Abs. 1 Nr. 2 InsO). Zugleich kommt eine Aufhebung analog § 270e Abs. 1 Nr. 2 InsO auch dann in Betracht, wenn der Schuldner gemäß § 270c Abs. 3 InsO Änderungen der Eigenverwaltungsplanung mitteilt, das Gericht Mängel der geänderten Eigenverwaltungsplanung feststellt und der Schuldner diese Mängel nicht innerhalb einer analog § 270b Abs. 1 Satz 2 InsO gesetzten Frist beseitigt (siehe hierzu bereits oben Rz. 44).



Auch die Aussichtslosigkeit der Erreichung des Eigenverwaltungsziels führt nach § 270e Abs. 1 Nr. 3 InsO von Amts wegen zur Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung. Während teils vertreten wird, dass sich der Schuldner insoweit strikt an den Zielen seines ursprünglichen Verfahrensdurchführungskonzepts gemäß § 270a Abs. 1 Nr. 2 InsO festhalten lassen muss,272) erscheint nach hier vertretener Auffassung auch eine Auswechslung des Eigenverwaltungsziels zulässig, wobei diese nicht erst auf einen Hinweis des Gerichts, sondern eben i. R. einer Anzeige wesentlicher Änderungen gemäß § 270c Abs. 2 InsO erfolgen sollte. Das Insolvenzgericht hat das neue Eigenverwaltungsziel dabei stets dann zu akzeptieren, wenn auch die geänderte Eigenverwaltungsplanung die Anforderungen an §§ 270a Abs. 1, 270b Abs. 1 InsO erfüllt.

1.2

Aufhebung auf Antrag

Über die dargestellten Fälle einer Aufhebung von Amts wegen hinaus, sieht § 270e InsO 297 drei Fälle vor, in welchen die Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung auf Antrag eines oder mehrerer Beteiligter zu erfolgen hat: 

Nach § 270e Abs. 1 Nr. 4 InsO hebt das Gericht die vorläufige Eigenverwaltung auf, wenn ein hierauf gerichteter Antrag des vorläufigen Sachwalters mit Zustimmung des

___________ 271) So auch Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 270e Rz. 6. 272) So ausdrücklich Fiebig in: HambKomm-InsO, § 270e Rz. 7.

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§4

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren vorläufigen Gläubigerausschusses oder ein Antrag des vorläufigen Gläubigerausschusses vorliegt. Sowohl die Zustimmung als auch der Antrag des vorläufigen Gläubigerausschusses bedürfen jeweils eines Mehrheitsbeschlusses des vorläufigen Gläubigerausschusses.273) Ist kein vorläufiger Gläubigerausschuss bestellt, so dürfte eine Aufhebung auf Grundlage von § 270e Abs. 1 Nr. 4 InsO auf Antrag des vorläufigen Sachwalters nicht in Betracht kommen, da der Gesetzgeber dem vorläufigen Sachwalter zum Schutz der Gläubigerautonomie gerade kein eigenständiges Antragsrecht eingeräumt hat.274)



Auch auf Antrag eines Absonderungsberechtigten oder Insolvenzgläubigers ist die vorläufige Eigenverwaltung gemäß § 270e Abs. 2 InsO aufzuheben, wobei entsprechende Anträge zusätzlich die Glaubhaftmachung des Nichtvorliegens der Voraussetzungen der vorläufigen Eigenverwaltung und des Drohens erheblicher Nachteile erfordern. Die Hürden für entsprechende Anträge dürften in der Regel relativ hoch liegen Sollte der Tatsachenvortrag des Antragstellers im Einzelfall ggf. nicht ausreichen, um die Anforderungen zu erfüllen, so kann er gleichwohl Anlass bieten, dass das Gericht – z. B. auch i. R. eines Auftrags nach § 270c Abs. 1 InsO – prüft, ob nicht ggf. die Voraussetzungen einer Aufhebung von Amts wegen nach § 270e Abs. 1 Nr. 1 InsO vorliegen.275)



Zu guter Letzt ist die vorläufige Eigenverwaltung gemäß § 270e Abs. 1 Nr. 5 InsO auch auf Antrag des Schuldners zu beenden. Wie im Fall des § 272 Abs. 1 Nr. 5 InsO bzw. der Vorgängernorm des § 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO a. F. gilt auch im Eröffnungsverfahren, dass eine Fortsetzung der (vorläufigen) Eigenverwaltung keinen Sinn macht, wenn der Schuldner hierzu nicht (mehr) bereit oder in der Lage ist.

2.

Verfahren der Aufhebung nach § 270e InsO und Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters

298 Für das Verfahren der Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung sieht § 270e InsO insbesondere die Notwendigkeit einer Anhörung des vorläufigen Gläubigerausschusses vor, was den Willen des Gesetzgebers belegt, gerade die Frage der Art und Weise der Verfahrensabwicklung vorrangig der Gläubigerautonomie zu überantworten. Insbesondere in den Fällen des § 270e Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 InsO, d. h. bei beabsichtigter Aufhebung wegen Pflichtverletzungen des Schuldners oder wegen Aussichtslosigkeit der Sanierung, sieht § 270e Abs. 4 Satz 1 InsO vor, dass dem vorläufigen Gläubigerausschuss Gelegenheit zur Äußerung zu geben ist. Nach §§ 270e Abs. 4 Satz 2, 270b Abs. 3 Satz 2 InsO darf das Gericht über eine Aufhebung vor Vorliegen der Äußerung des vorläufigen Gläubigerausschusses nur dann entscheiden, wenn entweder bereits zwei Werktage verstrichen sind oder wenn ein Zuwarten zu offensichtlichen Nachteilen führen würde. In den Fällen des § 270e Abs. 1 Nr. 2, Nr. 5, Abs. 2 InsO ist eine Anhörung des vorläufigen Gläubigerausschusses demgegenüber nicht vorgesehen, da in diesen Fällen die Aufhebung bei Vorliegen der Voraussetzungen zu erfolgen hat, ohne dass eine Äußerung des vorläufigen Gläubigerausschusses insoweit von Belang wäre. 299 Eine Anhörung des Schuldners vor einer Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung sieht nur § 270e Abs. 2 Satz 2 InsO vor. Damit ist eine entsprechende Anhörung im Fall der Aufhebung auf Antrag eines einzelnen Gläubigers oder Absonderungsberechtigten zwingend. In den Fällen der § 270e Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 4 InsO ist eine Anhörung des Schuldners nicht zwingend vorgesehen; um dem Schuldner jedoch ausreichend rechtliches Gehör ___________ 273) Fiebig in: HambKomm-InsO, § 270e Rz. 8. 274) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 207. 275) Fiebig in: HambKomm-InsO, § 270e Rz. 10.

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§4

Vorläufige Eigenverwaltung

zu gewähren, erscheint – sofern nicht offensichtlich ein Sicherungsbedürfnis gegen eine vorherige Anhörung spricht – eine Anhörung des Schuldners sinnvoll. Die Aufhebung selbst erfolgt sodann durch Beschluss des Insolvenzgerichts, wobei § 270e 300 Abs. 1, Abs. 2 InsO ausdrücklich vorsieht, dass die Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung nicht isoliert erfolgt, sondern gerade durch Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters. Gleichwohl erscheint eine zusätzliche Tenorierung gerade der Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung empfehlenswert, um für den Rechtsverkehr die Beendigung der vorläufigen Eigenverwaltung hinreichend klar zu kommunizieren. Eine Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung unter gleichzeitigem Verzicht auf Siche- 301 rungsmaßnahmen lässt § 270e InsO bewusst nicht zu. Eine Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung ohne Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters kommt demnach nur im Fall einer gleichzeitigen Rücknahme des Insolvenzantrags als solchen in Betracht. Wenn das Vorliegen der Aufhebungsvoraussetzungen des § 270e InsO mit der Entscheidungsreife über den Insolvenzantrag zusammenfällt, kann das Gericht auf eine Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung verzichten und sogleich über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unter gleichzeitiger Ablehnung der beantragten Eigenverwaltung entscheiden (vgl. § 270f InsO i. V. m. § 270e InsO). 3.

Rechtsmittel

Gegen die Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung unter Bestellung eines vorläufigen 302 Insolvenzverwalters steht dem Schuldner stets die sofortige Beschwerde zu. Zwar sieht § 270e InsO selbst eine sofortige Beschwerde nur im Fall des § 270e Abs. 2 Satz 3 InsO vor. Da es sich bei der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters jedoch stets um eine den Schuldner belastende vorläufige Maßnahme i. S. von § 21 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 InsO handelt, ist die sofortige Beschwerde bereits gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO zugelassen,276) so dass die gesonderte Zulassung der Beschwerde für den Schuldner in § 270e Abs. 2 Satz 3 InsO letztlich überflüssig erscheint. Das Beschwerdegericht hat dabei i. R. seiner Entscheidung die Voraussetzungen der Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung inzident zu prüfen, da bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen der Aufhebung nach § 270e InsO die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung gemäß § 270c Abs. 3 Satz 1 InsO unzulässig gewesen wäre. Lehnt das Gericht einen Antrag eines einzelnen Gläubigers nach § 270e Abs. 2 InsO ab, 303 so steht auch diesem gemäß § 270e Abs. 2 Satz 3 InsO die sofortige Beschwerde offen.

___________ 276) So auch Fiebig in: HambKomm-InsO, § 270e Rz. 13.

Hofmann

165

§5 Schutzschirmverfahren Koch/Jung

I. II. 1. 2. 3.

Einleitung .................................................... 1 Antrag ........................................................ 13 Antragspflichten ........................................ 15 Entscheidungserheblicher Zeitpunkt........ 22 Antragsausarbeitung .................................. 30 3.1 Vorbereitungen.............................. 30 3.2 Angaben und Anlagen des Antrags .................................... 34 3.3 Eigenverwaltungsplanung gemäß § 270a InsO als Anlage des Eigenverwaltungsantrages ...... 47 4. Bescheinigung ............................................ 49 4.1 Bescheiniger................................... 49 4.1.1 Qualifikation des Bescheinigers ... 49 4.1.2 Unabhängigkeit ............................. 57 4.1.3 Haftung.......................................... 65 4.2 Inhalt der Bescheinigung .............. 76 4.2.1 Ausschluss der Zahlungsunfähigkeit ......................................... 79 4.2.2 Drohende Zahlungsunfähigkeit.... 81 4.2.3 Überschuldung .............................. 84 4.2.4 Keine offensichtliche Aussichtslosigkeit der Sanierung ........ 87 5. Vorläufiger Gläubigerausschuss................ 96 6. Maßnahmen der Zwangsvollstreckung... 100 7. Begründung von Masseverbindlichkeiten ........................................................ 102 8. Antragsrücknahme durch den Schuldner .................................................. 106 III. Prüfung durch das Gericht.................... 109 IV. Beschluss (§ 270d InsO)......................... 119 1. Frist zur Vorlage des Insolvenzplans...... 119 2. Vorläufiger Sachwalter............................. 122 2.1 Person des vorläufigen Sachwalters .......................................... 122 2.2 Abweichung vom Vorschlag des Schuldners ............................. 131 2.3 Antragsgemäße Bestellung ......... 145 2.4 Kompetenzen des vorläufigen Sachwalters .................................. 147 2.5 Haftung des vorläufigen Sachwalters .......................................... 166 3. Anordnung vorläufiger Maßnahmen auf Antrag des Schuldners.............................

(§§ 270d Abs. 3, 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO) .............................................. 171 4. Veröffentlichung des Beschlusses........... 173 V. Rechtsmittel ............................................ 178 1. Gegen die Frist zur Vorlage des Insolvenzplans ................................... 178 2. Gegen die Person des bestellten vorläufigen Sachwalters ........................... 179 3. Gegen die Anordnung vorläufiger Maßnahmen.............................................. 180 4. Gegen die Aufhebung des Schutzschirmverfahrens...................................... 181 VI. Betriebsfortführung im Schutzschirmverfahren...................................... 182 1. Vorbereitung der Betriebsfortführung ... 187 1.1 Unternehmensplanung und Controlling .................................. 187 1.2 Kunden......................................... 190 1.3 Einkauf......................................... 191 1.4 Finanzierung................................ 196 1.5 Anlage- und Umlaufvermögen... 204 1.6 Externe und interne Kommunikation .......................... 208 2. Operative Betriebsfortführung ............... 209 2.1 Aufgaben der Beteiligten ............ 209 2.2 Laufendes Controlling ................ 220 2.3 Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen ................................. 222 2.4 Ausarbeitung eines Insolvenzplans ............................................. 226 2.5 M&A-Prozess.............................. 227 VII. Aufhebung der Maßnahmen durch das Gericht............................................... 228 VIII. Haftung der Organe des Schuldners......................................... 229 IX. Haftung des Schuldners......................... 240 X. Eröffnung des Insolvenz(plan)verfahrens ............................. 242 1. Die gerichtliche Entscheidung bei fristgemäß eingereichten Insolvenzplan ........................................... 243 2. Die gerichtliche Entscheidung bei Fristversäumnis .................................. 247

Literatur: Berner/Köster/Lambrecht, Fallstricke der vorläufigen Eigenverwaltung und des Schutzschirmverfahrens, NZI 2018, 425; Beth, Die gerichtliche Prüfung der Voraussetzungen des Schutzschirmverfahrens nach § 270b InsO, ZInsO 2015, 369; Blankenburg, Reform der Eigenverwaltung durch das SanInsFoG aus gerichtlicher Sicht, ZInsO 2021, 753; Braun/Heinrich, Auf dem Weg zu einer (neuen) Insolvenzplankultur in Deutschland, NZI 2011, 505; Brinkmann, Haftungsrisiken im Schutzschirmverfahren und in der Eigenverwaltung (Teil 1), DB 2012, 1313; Brinkmann/Zipperer, Die Eigenverwaltung nach dem ESUG aus Sicht von Wissenschaft und Praxis, ZIP 2011, 1337;

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Koch/Jung

§5

Schutzschirmverfahren

Buchalik/Kraus, Die Bescheinigung nach § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO als Eintrittsvoraussetzung in das neue Schutzschirmverfahren, KSI 2012, 60; Buchalik/Lojowsky, Vorbesprechungen mit dem Insolvenzgericht – Neue Strategien zur Optimierung der Sanierungschancen von krisenbetroffenen Unternehmen in Eigenverwaltungsverfahren, ZInsO 2013, 1017; Desch, Schutzschirmverfahren nach dem RegE-ESUG in der Praxis, BB 2011, 841; Frind, Bewertung des neuen IDW S 9 (Bescheinigung gem. § 270b InsO) aus gerichtlicher Sicht, ZInsO 2014, 2264; Frind, Der Aufgabenkreis des vorläufigen Sachwalters in der Eigenverwaltung, NZI 2014, 937; Frind, Die Unabhängigkeit des (vorläufigen) Insolvenzverwalters/Sachwalters nach Inkrafttreten des „ESUG“, ZInsO 2014, 119; Frind, Die Bescheinigung gem. § 270b I S. 3 InsO – Wann darf, soll, muss das Insolvenzgericht sie prüfen?, ZInsO 2012, 1546; Frind, Die Praxis fragt, „ESUG„ antwortet nicht, ZInsO 2011, 2249; Frind, Unabhängigkeit – kein Wert mehr an sich?, NZI 2010, 705; Ganter, Zur drohenden Zahlungsunfähigkeit in § 270b InsO, NZI 2012, 985; Ganter, Betriebsfortführung im Insolvenzeröffnungs- und Schutzschirmverfahren, NZI 2012, 433; Graf-Schlicker, Die Entwicklung des ESUG und die Fortentwicklung des Insolvenzrechts, ZInsO 2013, 1765; Gutmann/Laubereau, Schuldner und Bescheiniger im Schutzschirmverfahren, ZInsO 2012, 1861; Haarmeyer/Buchalik/Haase, Befragung der Insolvenzgerichte zu den §§ 270a und 270b InsO-Verfahren, ZInsO 2013, 26; Hammes, Keine Eigenverwaltung ohne Berater?, NZI 2017, 233; Hermanns, Anmerkungen zum Entwurf eines Leitfadens des BDU e. V. zur Struktur eines Grobkonzeptes der Bescheinigung nach § 270b InsO, ZInsO 2014, 922; Hill, Das Eigenverwaltungsverfahren des Diskussionsentwurfs des BMJ im Spannungsfeld zwischen Sanierungsinteresse und Gläubigerschutz, ZInsO 2010, 1825; Hirte, Anmerkungen zum von § 270b RefEInsO ESUG vorgeschlagenen „Schutzschirm“, ZInsO 2011, 401; Hirte/Knof/Mock, Das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (Teil II), DB 2011, 693; Hölzle, Insolvenzplan auf Initiative des vorläufigen Sachwalters im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO?, ZIP 2012, 855; Hölzle, Die „erleichterte Sanierung von Unternehmen” in der Nomenklatur der InsO – ein hehres Regelungsziel des RefE-ESUG, NZI 2011, 124; Hölzle/Pink, Mezzanine-Programme und Gestaltungspotenzial der Sanierungseigenverwaltung im ESUG, ZIP 2011, 360; Hofmann, Die Vorschläge des DiskE-ESUG zur Eigenverwaltung und zur Auswahl des Sachwalters, NZI 2010, 798; Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, Evaluierung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) v. 7.12.2011, (zit.: Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, Kurzbericht), abrufbar unter https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/ News/Artikel/101018_Kurztbericht_Evaluierung_ESUG.pdf;jsessionid=56983FB4A10EA5136EBF 2E9EE609DA86.2_cid334?__blob=publicationFile&v=2 (Abrufdatum: 16.1.2023); Jung/Wienberg, ESUG: grundlegende Verbesserung der Insolvenzordnung für Gläubiger, ZfgK 2011, 610; Köster/ Feil, Insolvenzanfechtung von Sozialversicherungsbeiträgen im Schutzschirmverfahren gem. § 270b InsO, NZI 2016, 763; Kremers/Hoffmann, Insolvenzrechtsreform führt zum Mentalitätswechsel, ZInsO 2013, 289; Loeffelholz/Sanne, Die Bescheinigung nach § 270b InsO, NZI 2015, 583; Madaus, Zustand und Perspektiven der Eigenverwaltung in Deutschland“, KTS 2015, 115; Meier, Zur Strafbarkeit des Missbrauchs des Schutzschirmverfahrens nach § 270b InsO, ZInsO 2016, 1499; MellerHannich, Ausgewählte Probleme der Eigenverwaltung, KTS 2017, 309; Paul/Rudow, Eigenverwaltung und Insolvenzplan bei KMUs, NZI 2016, 385; Rendels, § 270b ESUG-InsO: Nur Listenverwalter als „mitgebrachte“ vorläufige Sachwalter?, INDat Report 8/2011, S. 44; Richter/Pernegger, Betriebswirtschaftliche Aspekte des RegE-ESUG, BB 2011, 876; Schmidt, A./Linker, Ablauf des sog. Schutzschirmverfahrens nach § 270b InsO, ZIP 2012, 963; Schmidt, K., Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht im ESUG-Entwurf, BB 2011, 1603; Schmittmann/Dannemann, Massesicherungs- versus Steuerzahlungspflicht im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO – Einen Tod muss der Geschäftsführer sterben?!, ZIP 2014, 1405; Schröder/Schulz, Schutzschirmbescheinigung nach § 270b InsO: Anforderungen an die Person des Ausstellers, ZIP 2017, 1096; Siemon, Das ESUG und § 270b InsO in der Anwendung, ZInsO 2012, 1045; Smid, Vorprüfung des Insolvenzplans, insbesondere in Schutzschirm- und Eigenverwaltungsverfahren (Teil 1), ZInsO 2016, 61; Smid, Zum Beweisverfahren im Eröffnungsverfahren der §§ 270a, 270b InsO und im eröffneten Eigenverwaltungsverfahren, ZInsO 2013, 209; Steffan/ Solmecke, Die Bescheinigung als Eintrittskarte zum Schutzschirmverfahren – der IDW S 9, ZIP 2014, 2271; Thiele, Die Rechtsfigur des Sanierungsgeschäftsführers, ZInsO 2015, 877; Urlaub, Notwendige Änderungen im Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) zur Verhinderung von Missbräuchen, ZIP 2011, 1040; Vallender, Gerichtliche Erfahrungen mit Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren, DB 2015, 231; Vallender, Insolvenzkultur gestern, heute und morgen, NZI 2010, 838; Westpfahl, Vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren, ZGR 2010, 385; Willemsen/ Rechel, Insolvenzrecht im Umbruch – ein Überblick über den RegE-ESUG, BB 2011, 834; Zabel/Pütz, Beurteilung der Insolvenzeröffnungsgründe nach IDW S 11, ZIP 2015, 912; Zipperer, Die Einflussnahme der Aufsichtsorgane auf die Geschäftsleitung in der Eigenverwaltung – eine Chimäre vom Gesetzgeber, Trugbild oder Mischwesen?, ZIP 2012, 1492.

I.

Einleitung

Das Schutzschirmverfahren gemäß § 270d (vormals § 270b) InsO ist eine der grundle- 1 gendsten Änderungen der InsO durch das ESUG. Mit seiner Einführung ist es insolvenzKoch/Jung

167

§5

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

bedrohten Unternehmen erstmals möglich, in einem kontrollierbaren Verfahren unter gerichtlicher Aufsicht eine „selbstbestimmte“ Restrukturierung als Sanierungsinstrument zu nutzen.1) Auf Grundlage der Ergebnisse einer im Jahr 2018 durchgeführten Evaluation des ESUG wurde das zuvor in § 270b InsO geregelte Schutzschirmverfahren mit Wirkung zum 1.1.2021 durch das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) umgestaltet und ist nun in § 270d InsO normiert. Übergeordnetes Ziel des Gesetzgebers bei der Einführung des Schutzschirmverfahrens war die Schaffung eines Anreizes zur frühzeitigen Antragstellung durch den Schuldner.2) 2 Der Kontrollverlust durch ein (vorläufiges) Insolvenzverfahren, einhergehend mit der mangelnden Vorhersehbarkeit des vom Insolvenzgericht bestellten (vorläufigen) Insolvenzverwalters, dürfte in der Vergangenheit eine nicht unerhebliche Anzahl von Unternehmen davon abgehalten haben, sich frühzeitig in ein Insolvenz(antrags-)verfahren und damit unter den insolvenzbedingten Schutz vor den Gläubigern zu begeben. Das weiterhin vorhandene Stigma der Insolvenz hat, trotz aller Bemühungen und Erfolge i. R. von Insolvenzverfahren, ein Übriges dazu beigetragen, den Gang zum Insolvenzgericht so lange wie nur irgend möglich aufzuschieben.3) 3 Folglich wurden und werden auch noch heute Insolvenzanträge durch Unternehmen regelmäßig erst bei längst eingetretener Zahlungsunfähigkeit gestellt. Dadurch wird die Restrukturierung i. R. des Insolvenzverfahrens erschwert, denn oft genug sind Löhne und Gehälter bereits so lange rückständig, dass der für die Stabilisierung eines Unternehmens wertvolle Insolvenzgeldzeitraum regelmäßig verkürzt oder nicht mehr vorhanden ist. Oft genug ist das gesamte Vermögen des insolvenzreifen Unternehmens in diesen Fällen vollständig aufgezehrt, so dass eine Sanierung, trotz aller in der InsO vorhandenen Instrumente, de facto nahezu ausgeschlossen ist. 4 Mit dem Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO ist es seit Einführung des ESUG möglich, unter Beibehaltung der handelnden Organe eine finanz- und leistungswirtschaftliche Restrukturierung i. R. eines Insolvenzplanverfahrens vorzubereiten, auch wenn die Praxis seitdem zeigt, dass dieses Verfahren gemessen an der Gesamtzahl der Insolvenzen bisher in Deutschland wenig verbreitet ist.4) 5 Verbunden mit der Einführung dieses Sanierungsverfahrens war die Hoffnung des Gesetzgebers, zukünftig auch jene Restrukturierungen zu ermöglichen, die in anderen europäischen Staaten mit einem vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren bewerkstelligt werden.5) Ob dies gelungen ist oder gelingen wird, werden die Evaluation der durch das ESUG eingeführten Instrumente und die wiederbelebte Diskussion über den präventiven Restrukturierungsrahmen zeigen. Dazu hat die Bundesregierung eine Auswertung der Erfahrungen nach dem ESUG in Auftrag gegeben, die alle bekannten Eigenverwaltungsverfahren im Zeitraum vom 1.3.2012 bis 28.2.2017 umfasste. Untersucht wurde u. a. die Frage, ob das neu geschaffene Schutzschirmverfahren den Erwartungen gerecht wurde und ob es insbesondere zu frühzeitigeren Antragstellungen und einer Stärkung der Eigenverwaltung geführt hat.6)

___________ 1) 2) 3) 4) 5) 6)

168

Vgl. K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1606. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 19 und S. 40. Vgl. Westpfahl, ZGR 2010, 385, 392. Boston Consulting Group (BCG), Fünf Jahre ESUG – Wesentliche Ziele erreicht, v. 3/2017, abrufbar unter http://media-publications.bcg.com/Focus-ESUG-Studie-16May17.pdf (Abrufdatum: 16.1.2023). Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 4. Vgl. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, Kurzbericht.

Koch/Jung

§5

Schutzschirmverfahren

Die Ergebnisse der durchgeführten Studie belegen, dass sich das Schutzschirmverfahren 6 nach wie vor nicht auf breiter Front durchgesetzt hat. Mit einem Anteil von lediglich 3,5 % an der Gesamtzahl aller Unternehmensinsolvenzen in Deutschland im Betrachtungszeitraum sind Eigenverwaltungsverfahren weiterhin kein Massenphänomen. Dennoch spielt das Eigenverwaltungsverfahren in der Insolvenzpraxis mittlerweile eine wichtige Rolle, denn insbesondere in den für die Branche besonders bedeutsamen Großverfahren werden die weitreichenden Restrukturierungsmöglichkeiten, die das Schutzschirmverfahren bietet, überproportional häufig genutzt. So lag der Anwendungsbereich des Eigenverwaltungsverfahrens im Betrachtungszeitraum der ESUG-Evaluation vor allem bei Insolvenzen von Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten und ab einem Jahresumsatz von 10 Mio. €.7) Bei den 50 größten Unternehmensinsolvenzen im Jahr 2017 lag der Anteil von Anträgen 7 auf ein Eigenverwaltungs- bzw. Schutzschirmverfahren bei 64 % und hat sich damit schon vor einigen Jahren zum Standard entwickelt. Für das Schutzschirmverfahren i. S. des § 270d InsO im Vergleich zur vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270b (vormals § 270a) InsO gilt dies umso mehr: Während die Antragssteller in Schutzschirmverfahren eine durchschnittliche Umsatzgröße von 17 Mio. € und eine durchschnittliche Mitarbeiteranzahl von 117 aufwiesen, betrug der durchschnittliche Umsatz bei Antragstellern für eine vorläufige Eigenverwaltung nur 12 Mio. € bei durchschnittlich 63 Mitarbeitern. Das zeigt: Das Schutzschirmverfahren kommt gemessen an dem Gesamtumfang der Unternehmensinsolvenzen, der zum ganz überwiegenden Teil kleine und Kleinstunternehmen betrifft, in der Praxis nur für wenige große dafür aber politisch wichtige Unternehmensinsolvenzen infrage.8) In Bezug auf KMUs bestand u. a. eine erhebliche Skepsis der kreditgebenden Banken ge- 8 genüber der Eigenverwaltung. Lediglich 51 % der befragten Kreditinstitute (Volksbanken und Sparkassen) hatten überhaupt Erfahrung mit der Eigenverwaltung. Diese Erfahrungen waren zudem überwiegend negativ oder neutral. Nur 13 % beschrieben die Erfahrungen als „grundsätzlich positiv“ oder „sehr positiv“. Schuldnerseitig wird das Schutzschirmverfahren nach § 270d InsO aufgrund der hohen Eingangshürden im Bereich der KMU nahezu nicht genutzt. Insbesondere schreckt der hohe Vorbereitungs- und Durchführungsaufwand und die damit verbundenen zusätzlichen Kosten externer Beratungsleistungen, die bei einem Schutzschirmverfahren praktisch immer notwendig sind, davon ab, das Schutzschirmverfahren zu beantragen.9) Im Rahmen der ESUG-Evaluierung wurde von den Befragten zudem bemängelt, dass zu 9 viele (vorläufige) Eigenverwaltungsverfahren zwar zunächst angeordnet würden, jedoch später in ein Regelverfahren übergingen, was insbesondere kostenerhöhend wirke. Im Rahmen des SanInsFoG hat der Gesetzgeber infolgedessen die Voraussetzung für die Anordnung einer Eigenverwaltung deutlich verschärft.10) Ein zentrales Anliegen des SanInsFoG ist es dabei, die Einstiegsvoraussetzungen für die 10 Eigenverwaltung stärker an deren Zweck und die Interessen der Gläubiger zu binden.11) Nur wenn der Schuldner das Eigenverwaltungsverfahren rechtzeitig und gewissenhaft vorbereitet, ist der in der Anordnung der Eigenverwaltung liegende Vertrauensvorschuss („Verzicht auf die Bestellung eines Insolvenzverwalters“) gerechtfertigt. Dadurch soll ___________ 7) Vgl. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, Kurzbericht. 8) Vgl. Boston Consulting Group (BCG), Sechs Jahre ESUG – Durchbruch erreicht, v. 4/2018, abrufbar unter https://image-src.bcg.com/Images/Focus-ESUG-study_tcm108-190947.pdf (Abrufdatum: 16.1.2023). 9) Vgl. Paul/Rudow, NZI 2016, 385, 391; Hammes, NZI 2017, 233, 241; Madaus, KTS 2015, 115, 126. 10) Vgl. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, Kurzbericht. 11) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG, v. 16.10.2020, BR-Drucks. 619/20.

Koch/Jung

169

§5

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

mehr Rechts- und Planungssicherheit in Bezug auf die Anordnung von Eigenverwaltungsverfahren geschaffen werden. Auf eine Verschmelzung des Eigenverwaltungsverfahrens gemäß § 270a InsO a. F. mit dem Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO a. F., wie sie noch in der ESUG-Evaluierung vorgeschlagen wurde,12) wurde hingegen verzichtet. 11 Durch die Neufassung der Vorschriften zum Schutzschirmverfahren sollen Schuldner insbesondere angehalten werden, ein Verfahren sorgfältig vorzubereiten, die Vorbereitungen zu dokumentieren und sich dabei selbst der Sinnhaftigkeit und Realisierbarkeit des Vorhabens zu vergewissern. Zudem soll dem Unternehmer ein rechtssicherer Weg in die Eigenverwaltung aufgezeigt werden, und er soll während der Eigenverwaltung an den vorgelegten Angaben gemessen werden können. Handlungen und Maßnahmen, die sich nicht mit dem vorgelegten Konzept vereinbaren lassen, können Anlass für eine Beendigung des Schutzschirmverfahrens sein. 12 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Schutzschirmverfahren vermutlich auch heute noch nicht den Stellenwert erreicht hat, den der Gesetzgeber mit der Einführung des ESUG bezwecken wollte. Nichtsdestotrotz ist das Verfahren insbesondere für größere Unternehmen weiterhin interessant und sollte nicht – wie zum Teil in der Literatur gefordert – abgeschafft werden.13) Gerade wenn der Betrieb i. R. des Verfahrens stabil fortgeführt werden kann und die Instrumente der InsO zur finanziellen, aber auch operativen Restrukturierung (z. B. durch das Insolvenzarbeitsrecht) genutzt werden können, ist das Schutzschirmverfahren das Verfahren der ersten Wahl. II.

Antrag

13 Das Schutzschirmverfahren des § 270d Abs. 1 InsO beginnt bereits im Eröffnungsverfahren. Es gestaltet sich im Vergleich zum üblichen Insolvenzverfahren komplex und setzt zunächst drei grundlegende und notwendige Anträge des Schuldners voraus. Diese sind: 

Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wegen drohender Zahlungsunfähigkeit gemäß § 18 InsO und/oder Überschuldung gemäß § 19 InsO,



Antrag auf (vorläufige) Eigenverwaltung gemäß § 270 Abs. 1 i. V. m. § 270a InsO,



Antrag zur Bestimmung einer Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans durch das Gericht gemäß § 270d Abs. 1 InsO.

14 Daneben besteht die Möglichkeit der Stellung dreier fakultativer Anträge: 

Antrag auf Untersagung von Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gemäß § 270d Abs. 3 i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO (siehe Rz. 100 f.),



Antrag auf Begründung von Masseverbindlichkeiten gemäß § 270c Abs. 4 InsO (siehe Rz. 102 ff.) sowie



Antrag auf Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses gemäß § 22a Abs. 2 InsO (siehe Rz. 96 ff.).

1.

Antragspflichten

15 Anders als die alte Fassung der Normen zur Eigenverwaltung verlangt § 270d InsO dem Wortlaut nach nicht mehr ausdrücklich einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens des Schuldners. Dennoch folgt bereits aus der Tatsache, dass es sich beim Schutz-

___________ 12) Vgl. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, Kurzbericht. 13) Vgl. Madaus, KTS 2015, 115, 117.

170

Koch/Jung

§5

Schutzschirmverfahren

schirmverfahren lediglich um eine Variante der vorläufigen Eigenverwaltung handelt, dass auch weiterhin zwingend ein Eröffnungsantrag des Schuldners vorliegen muss.14) Auf den Antrag auf (vorläufige) Eigenverwaltung des Schuldners wird zudem in § 270a 16 Abs. 1 Satz 1 InsO Bezug genommen. Demnach ist dem Eigenverwaltungsantrag insbesondere eine Eigenverwaltungsplanung beizufügen, welche den Anforderungen des § 270a InsO genügt (siehe dazu Rz. 47 ff.) Auch nach neuer Rechtslage gilt demnach, dass der Eröffnungsantrag ein vom Schuldner 17 selbst eingebrachter Antrag i. S. der §§ 13, 15 InsO (Eigenantrag) ist. Daneben sind sämtliche weiteren Bestimmungen zur Eigenverwaltung einzuhalten. Dazu zählt auch die Einsetzung eines vorläufigen Sachwalters gemäß § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO mit der Modifikation, dass der Schuldner diesen grundsätzlich selbst benennen darf. Weiterhin gelten die speziellen Voraussetzungen des § 270d Abs. 1 Satz 1 InsO. Ein Er- 18 öffnungsantrag für ein Schutzschirmverfahren ist demnach nur bei Vorliegen einer drohenden Zahlungsunfähigkeit gemäß § 18 InsO und/oder Überschuldung gemäß § 19 InsO zulässig. Das Vorliegen einer drohenden Zahlungsunfähigkeit bei gleichzeitiger Überschuldung ist für die Antragsvoraussetzungen daher unschädlich. Unzulässig ist ein Eröffnungsantrag hingegen bei bereits vorliegender Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 InsO. Tritt die Zahlungsunfähigkeit im späteren Verlauf des Schutzschirmverfahrens ein, so ist dies unerheblich.15) Zudem fordert § 270d Abs. 1 Satz 1 InsO, dass die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist. Dazu muss zunächst die Fortführung des Geschäftsbetriebs in dem für die Erstellung des Insolvenzplans notwendigen Zeitraum gewährleistet und eine erhebliche Vermögensminderung ausgeschlossen werden.16) Der Schuldner muss gemäß § 270d Abs. 1 Satz 1 InsO den Nachweis der aufgezeigten 19 Anordnungsvoraussetzungen in Form einer mit Gründen versehenen Bescheinigung erbringen. Da das Schutzschirmverfahren den Antrag des Schuldners auf Eröffnung eines Insolvenz- 20 verfahrens voraussetzt, müssen zusätzlich die Vorschriften zum Antrag gemäß §§ 13, 15 InsO beachtet werden. Wird der Antrag auf Anordnung eines Schutzschirmverfahrens nach § 270d InsO zu- 21 rückgewiesen, kommt unabhängig davon die Anordnung der Eigenverwaltung nach § 270b InsO in Betracht.17) 2.

Entscheidungserheblicher Zeitpunkt

In der Literatur und der Rechtsprechung ist die Frage strittig, auf welchen Stichtag es zur 22 Erfüllung der Antragsvoraussetzungen ankommt. Dieser ist insbesondere für die Frage, wie lange die Zahlungsfähigkeit in Zukunft noch bestehen wird, entscheidend. In Betracht kommt der Zeitpunkt der Einreichung des Antrags bei Gericht oder der Entscheidungszeitpunkt durch das Gericht. In der Literatur wird teilweise auf die Antragstellung als maßgeblichen Zeitpunkt abge- 23 stellt.18) Begründet wird dies sowohl mit einer besseren Planbarkeit des Verfahrens für den Schuldner als auch damit, dass es ansonsten einzelne Gläubiger in der Hand hätten, ___________ 14) Ellers in: BeckOK-InsR, § 270d InsO Rz. 13. 15) Ringstmeier in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 270b InsO Rz. 7; Buchalik in: PK-HWF, InsO, § 270b Rz. 17. 16) Siemon, ZInsO 2012, 1045. 17) AG Ludwigshafen v. 4.7.2014 – 3 f IN 260/14 Ft, ZIP 2014, 1746. 18) Ringstmeier in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 270b InsO Rz. 7 f.

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171

§5

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

durch Fälligstellung ihrer Forderungen vor der Entscheidung über den Antrag die Zahlungsunfähigkeit herbeizuführen und damit das angestrebte Verfahren zu vereiteln. 24 Für den Entscheidungszeitpunkt des Gerichts über den Antrag als maßgeblichen Zeitpunkt spricht hingegen der Wortlaut des § 270d Abs. 1 Satz 1 InsO, wonach der Schuldner eine Bescheinigung vorzulegen hat, „aus der sich ergibt“, dass „keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt“. Der Gesetzgeber verwendet – zumindest auch – das Präsens und verlangt, dass die Bescheinigung auch den Zeitpunkt erfasst, an dem das Gericht über den Antrag entscheidet. Insoweit ist sehr wohl zweifelhaft, was der Gesetzgeber gewollt hat. 25 Auch das Argument der Gesetzesentstehung greift nicht. Zwar ist es richtig, dass der Rechtsausschuss den zwingenden Aufhebungsgrund des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit nach Anordnung des Schutzschirmverfahrens gestrichen hat, weil dies die Missbrauchsmöglichkeit durch die Gläubiger ermöglicht. Jedoch spricht der Rechtsausschuss auch hier nur dann von einem Missbrauch, wenn dies „nach“ der Anordnung erfolgt.19) Auch in seiner weiteren Begründung wird deutlich, dass der Rechtsausschuss davon ausging, dass bei Anordnung des Schutzschirmverfahrens noch keine Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist: „Da beim Schuldner noch keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt, ist es nach Einschätzung des Ausschusses gerechtfertigt, den Beteiligten einen weiten Rechtsrahmen zu eröffnen, um die Verfügungsbefugnis so auszugestalten, wie sie im Interesse einer möglichst optimalen Sanierung am sinnvollsten ist.“20) 26 Insoweit kann auch auf die Rede des Bundestagsabgeordneten Ahrendt (FDP) verwiesen werden, der in der dritten Lesung – also nach den Änderungen im Rechtsausschuss – bekräftigte: „Wer zahlungsunfähig ist, der sollte an diesem Verfahren nicht teilnehmen können.“21) 27 Das AG Ludwigshafen22) und Teile der Literatur23) sehen den Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts über den Antrag des Schuldners als den maßgeblichen Zeitpunkt an und begründen dies damit, dass das Gericht sonst zu einer schwierigen Rekonstruktion der Vermögensverhältnisse bei Antragstellung gezwungen wäre. Jedoch muss berücksichtigt werden, dass das Schutzschirmverfahren von einem wechselseitigen Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnis zwischen Schuldner und Hauptgläubigern geprägt ist, so dass sich aus einem absehbaren Eintritt der Zahlungsunfähigkeit, nämlich zwischen Antragstellung und Anordnung, bereits eine Vermutung der offensichtlichen Aussichtslosigkeit der Sanierung ergeben könnte. 28 Für den Zeitpunkt der Entscheidung durch das Gericht spricht auch, dass der Schuldner bei in der Praxis üblicherweise sehr kurzfristigen Entscheidungen des Gerichts über den Antrag kaum zwischen Stellung eben dieses Antrags und Entscheidung darüber zahlungsunfähig werden dürfte. Passiert dies doch, so kann es zwei Konstellationen geben: Hat ein Gläubiger mit einer kleinen Forderung in der Phase zwischen Antrag und Anordnung diese fälliggestellt und ist dadurch die Zahlungsunfähigkeit eingetreten, war die Differenz zwischen drohender Zahlungsunfähigkeit und Zahlungsunfähigkeit minimal – und somit der Schuldner nicht besonders schützenswert. Ist hingegen ein bedeutender Gläubiger, ___________ 19) Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 37. 20) Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 37. 21) Deutscher Btag, Plenarprotokoll der 136. Sitzung v. 27.10.2011, abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/ dip21/btp/17/17136.pdf#P.16173 (Abrufdatum: 16.1.2023). 22) AG Ludwigshafen v. 4.7.2014 – 3 f IN 260/14 Ft, ZIP 2014, 1746. 23) Kern in: MünchKomm-InsO, § 270b Rz. 29.

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§5

Schutzschirmverfahren

wie z. B. eine Bank, der Fälligsteller, so erscheint die Sanierung bereits aufgrund des offenbar mangelnden Interesses dieses Großgläubigers unwahrscheinlich. Insoweit sprechen auch Sinn und Zweck der Norm gegen den Zeitpunkt der Antragstel- 29 lung, sodass maßgeblich für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anordnung eines Schutzschirmverfahrens der Zeitpunkt der Anordnung durch das Gericht ist. 3.

Antragsausarbeitung

3.1

Vorbereitungen

Die notwendigen Voraussetzungen für einen zulässigen Antrag auf Eigenverwaltung ge- 30 mäß § 270d InsO mitsamt allen notwendigen Anlagen und die komplexe Struktur des Antragsverfahrens erfordern eine intensive Vorbereitung durch den Schuldner und dessen insolvenzerfahrenen Berater. Möglicherweise auftretende Verzögerungen bei der Anordnung der Eigenverwaltung können vermieden werden, indem eine frühzeitige Abstimmung mit dem Gericht bzw. dem zuständigen Richter gesucht wird. Diese strukturierten Vorbesprechungen sind für ein reibungsfreies und letzten Endes erfolgreiches Schutzschirmverfahren in jedem Falle anzuraten.24) Während solche Gespräche vor der Insolvenzrechtsreform durch das SanInsFoG an den 31 Insolvenzgerichten mitunter sehr unterschiedlich gehandhabt wurden, hat ein Schuldner mit der Einfügung von § 10a InsO nun einen gesetzlichen Anspruch auf ein gerichtliches Vorgespräch, sofern er die Anforderungen des § 10a Abs. 1 InsO erfüllt. Inhalte einer solchen gerichtlichen Vorabstimmung können

32



die Einrichtung und Besetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses gemäß § 22a InsO,



die Person des vorläufigen Sachwalters gemäß § 270d Abs. 2 InsO,



die Ausgestaltung und ggf. besondere inhaltliche Anforderungen an die notwendige Bescheinigung gemäß § 270d Abs. 1 InsO und



die Eigenverwaltungsplanung gemäß § 270a InsO sowie



notwendige Anlagen gemäß § 13 Abs. 1 Satz 6 Nr. 1 InsO sein,25)



aber auch ganz pragmatisch die Terminfindung für den Tag des Insolvenzantrags.26)

Daneben ist im direkten Vorfeld der Antragstellung eine intensive Zusammenarbeit und 33 Abstimmung von Schuldner, möglichen Mitgliedern des vorläufigen Gläubigerausschusses und vorläufigem Sachwalter unerlässlich. Die unterlassene Einbeziehung von oder eine intransparente Kommunikation mit allen wesentlichen Verfahrensbeteiligten kann zu einer erheblichen Verzögerung oder im schlimmsten Fall zur Gefährdung des gesamten Prozesses führen. 3.2

Angaben und Anlagen des Antrags

Der schriftlich ausformulierte Eröffnungsantrag muss diverse obligatorische Angaben 34 enthalten. Neben einer laufenden Abstimmung mit den externen Prozessbeteiligten ist die umfassende und korrekte Zusammenstellung der für den Insolvenzantrag geforderten Angaben ein weiterer wesentlicher Bestandteil der Antragsvorbereitung. Nur durch die ___________ 24) Buchalik/Lojowsky, ZInsO 2013, 1017. 25) DIAI, Handlungsempfehlungen für die neue Insolvenzordnung, S. 5, abrufbar unter http:// www.restrukturierungsforum.de/assets/file/Handlungsempfehlungen-fr-die-neue-Insolvenzordnung.pdf (Abrufdatum: 16.1.2023). 26) Dazu auch Forum 270, Grundsätze für Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO) – Überarbeitete Fassung 3/2022, S. 10, abrufbar unter https://www.forum270.de/de/ (Abrufdatum: 16.1.2023).

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

lückenlose und vollständige Darstellung kann eine reibungslose Bearbeitung seitens des Gerichts ohne verzögernde Nachfragen gewährleistet werden. 35 Im Antrag sind zunächst die Gesellschaft, das antragstellende Vertretungsorgan und der Antragsgrund zu benennen. Die Eröffnungsgründe gemäß § 18 oder § 19 InsO sind im Falle des Schutzschirmverfahrens in Form einer mit Gründen versehenen Bescheinigung als Anlage zum Antrag darzulegen. Weiterhin sind bei einer juristischen Person die Gesellschafterstruktur oder bei einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit sämtliche persönlich haftenden Gesellschafter zu benennen. 36 Im Folgenden sind Angaben zur Firmierung, zur Handelsregisternummer, zum Sitz und zu den vertretungsberechtigten Organen notwendig. Diese im schriftlichen Antrag erfassten Informationen sind durch Einreichung eines möglichst aktuellen Handelsregisterauszugs, in welchem die vertretungsberechtigten Organe verzeichnet sind, zu belegen.27) 37 Falls mehrere vertretungsberechtigte Organe bestellt sind, ist es fraglich, ob alle Vertretungsorgane den Antrag unterzeichnen müssen. Die Intention des Gesetzgebers bei Einführung des Schutzschirmverfahrens lässt dies vermuten, da eine Sanierung nur erfolgreich sein wird, wenn sämtliche Vertretungsberechtigten die Sanierung unterstützen. Gemäß § 18 Abs. 3 InsO ist jedoch auch ein nicht von allen vertretungsberechtigten Organen unterzeichneter Eröffnungsantrag nach § 270d InsO zulässig.28) 38 Die Beschreibung der Geschäftstätigkeit bzw. des Gegenstands der Gesellschaft kann den Angaben des Handelsregisterauszugs entsprechen, jedoch im Einzelfall auch von diesen abweichen und ist dann gesondert zu erläutern. Ziel ist es, dem Gericht eine erste Vorstellung vom Tätigkeitsfeld des Unternehmens zu geben. 39 Bei Beantragung eines Schutzschirmverfahrens ist die Angabe der Nichteinstellung des Geschäftsbetriebs obligatorisch. Dies hat zur Folge, dass gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 und 3 InsO ein Gläubigerverzeichnis mit besonderer Kennzeichnung der höchsten Forderung, der höchsten gesicherten Forderung, der Forderungen der Finanzverwaltung, der Forderungen der Sozialversicherungsträger sowie der Forderungen aus betrieblicher Altersversorgung beizufügen ist. 40 Da der Antrag auf Eröffnung eines Schutzschirmverfahrens einen Antrag auf Eigenverwaltung voraussetzt, sind gemäß § 13 Abs. 1 Satz 4 und 5 InsO ebenfalls Angaben zur Höhe der Umsatzlöse, der Bilanzsumme und der Zahl der durchschnittlich beschäftigten Arbeitnehmer des vorangegangenen Geschäftsjahres zu machen und durch Beifügung des aktuellen Jahresabschlusses zu belegen. Für ggf. weitere Prüfungen durch das Insolvenzgericht sind dem Antrag zusätzlich der Jahresabschluss des vorletzten Geschäftsjahres sowie ein aktueller Monatsabschluss des laufenden Geschäftsjahres beizufügen. 41 Die Angaben gemäß § 13 Abs. 1 Satz 4 und 5 InsO sind auch beim Antrag auf Eröffnung des Schutzschirmverfahrens verpflichtend, wenn der Antragsteller die Merkmale des § 22a Abs. 1 InsO erfüllt oder die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses beantragt wurde. 42 Die Richtigkeit und Vollständigkeit der in dem Verzeichnis angegebenen Gläubiger und ihrer Forderungen, der angegebenen Bilanzsumme, der Umsatzerlöse und der durchschnittlichen Zahl der Arbeitnehmer des vorangegangenen Geschäftsjahres muss durch den Antragsteller bzw. die vertretenen Organe bestätigt werden. ___________ 27) Wurde kurz vor Antragstellung ein insolvenzerfahrener Sanierungsgeschäftsführer (CRO, Chief Restructuring Officer) in die Stellung eines vertretungsberechtigten Organs berufen, sind die Anmeldung zur Eintragung in das Handelsregister sowie der Gesellschafterbeschluss zur Bestellung ebenfalls beizufügen. 28) Gutmann/Lauberau, ZInsO 2012, 1861.

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Schutzschirmverfahren

Falls ein vorläufiger Gläubigerausschuss nach § 22a Abs. 1 InsO beantragt wird, ist eine 43 Liste der Personen, die als geeignete Mitglieder in Betracht kommen, mitsamt deren Einverständniserklärungen als Anlage beizufügen. Zuletzt ist dem Gericht ein Vorschlag für die Bestellung des vorläufigen Sachwalters zu 44 unterbreiten. Der Vorschlag muss sich dabei nicht auf eine Person beschränken. Das Vorschlagsrecht liegt nach § 270d Abs. 2 Satz 2 InsO beim Antragsteller. Vom Vorschlag des Schuldners kann das Gericht gemäß § 270d Abs. 2 Satz 3 InsO nur dann abweichen, wenn die vorgeschlagene Person offensichtlich nicht für die Übernahme des Amtes des vorläufigen Sachwalters geeignet ist. In der Praxis hat sich jedoch herausgebildet, dass auch im Fall eines Antrags auf Eröffnung des Schutzschirmverfahrens die Gläubiger bzw. die Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses involviert sind und zum Teil direkt einen mit dem Antragsteller abgestimmten Vorschlag für einen vorläufigen Sachwalter unterbreiten. Bereits ab Beginn des Schutzschirmverfahrens kann so eine intensive Einbindung des vorläufigen Gläubigerausschusses gewährleistet werden. Der Sachwalter muss nicht bei dem zuständigen Insolvenzgericht gelistet sein, jedoch 45 führt der Vorschlag eines erfahrenen und bei diesem Gericht gelisteten sowie regelmäßig bestellten Insolvenzverwalters zu erhöhtem Vertrauen des Gerichts in den laufenden Prozess. Des Weiteren ist dem Antrag des Schuldners gemäß § 270d Abs. 1 InsO ein Antrag auf 46 Anordnung einer Schutzfrist beizufügen, innerhalb derer ein Insolvenzplan vorgelegt werden muss. Die gesetzliche Höchstfrist beträgt drei Monate. 3.3

Eigenverwaltungsplanung gemäß § 270a InsO als Anlage des Eigenverwaltungsantrages

Mit Inkrafttreten des SanInsFoG ist dem Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung eine 47 Eigenverwaltungsplanung gemäß § 270a InsO beizufügen. Mit der Einfügung des Erfordernisses der Vorlage einer Eigenverwaltungsplanung verfolgt der Gesetzgeber drei Ziele. Der Schuldner wird dazu angehalten, die angestrebte Eigenverwaltung ordentlich vorzubereiten, diese Vorbereitung sorgfältig zu dokumentieren und sich selbst der Realisierbarkeit und Sinnhaftigkeit des Eigenverwaltungsvorhabens zu versichern. Des Weiteren soll dem Schuldner durch die sorgfältige Vorbereitung und eine vollständige und schlüssige Planung ein rechtssicherer Weg in die Eigenverwaltung aufgezeigt werden. Darüber hinaus dient die Eigenverwaltungsplanung als Controllinginstrument, an deren Umsetzung sich der Schuldner während der Eigenverwaltung messen lassen muss.29) Zu den Anforderungen an eine vollständige und schlüssige Eigenverwaltungsplanung gemäß 48 § 270a InsO wird an dieser Stelle auf die Ausführungen von Hofmann, HRI II, § 4 verwiesen. 4.

Bescheinigung

4.1

Bescheiniger

4.1.1 Qualifikation des Bescheinigers Wie bereits vorstehend erwähnt ist dem Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung ge- 49 mäß § 270d Abs. 1 InsO neben der Eigenverwaltungsplanung eine mit Gründen versehene Bescheinigung beizufügen, aus der sich ergibt, dass eine drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, aber keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Durch das Inkrafttreten des SanInsFoG wurden die Anforderungen an den Inhalt der Bescheinigung sowie die ___________ 29) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BR-Drucks. 619/20, S. 243.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

Person des Bescheinigers nicht verändert, sodass weiterhin die Grundsätze zu § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO a. F. Anwendung finden. 50 Nach dem Wortlaut des Gesetzes soll der Bescheiniger ein Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwalt oder eine Person mit vergleichbarer Qualifikation sein. In der Gesetzesbegründung zum ESUG finden sich Hinweise auf Steuerbevollmächtigte oder vereidigte Buchprüfer bzw. eine vergleichbare Qualifikation im EU-Ausland.30) 51 Fraglich ist in diesem Zusammenhang u. a., ob neben den im Gesetz genannten Berufsträgern auch Unternehmensberater aus Sicht des Gesetzgebers entsprechend qualifiziert sein können. Hiervon ist nach dem Gesetzeswortlaut und dessen Begründung zunächst nicht zwingend auszugehen. In der Diskussion wird zum Teil die Meinung vertreten, dass die Erstellung der Bescheinigung grundsätzlich Berufsträgern vorbehalten sei.31) Langjährig tätige Unternehmensberater mit entsprechender Spezialisierung, Professionalität und Reputation dürften aber eine Person mit vergleichbarer Qualifikation gemäß § 270d Abs. 1 Satz 1 InsO sein.32) Auch wenn die vorgelegten Bescheinigungen überwiegend durch Berufsträger, mehrheitlich Wirtschaftsprüfer, erstellt werden, ist kein Fall bekannt, in dem die Bescheinigung eines nachweislich erfahrenen Unternehmensberaters allein deshalb abgelehnt wurde, weil er nicht Berufsträger war. 52 Eine besondere Schwierigkeit besteht für die Gerichte darin, das Tatbestandsmerkmal „in Insolvenzsachen erfahren“ zu bestimmen.33) Problemlos dürfte das auf langjährig tätige Unternehmensinsolvenzverwalter zutreffen. Auch regelmäßig im Bereich von Insolvenzen/Restrukturierungen tätigen Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern, Rechtsanwälten und Unternehmensberatern sollte dieser „Insolvenzerfahrungsnachweis“ gelingen, wenn sie entweder gerichtsbekannt sind oder dem Gericht ihre Expertise anhand von in der Vergangenheit betreuten Mandaten, Veröffentlichungen etc. darlegen können. 53 Neben Erfahrung in Insolvenzsachen sollte der Bescheiniger idealerweise über fundierte betriebswirtschaftliche Sanierungskompetenz verfügen und Erfahrung in der Erstellung von Sanierungsgutachten haben. Ist er zudem Verfasser mehrerer Insolvenzpläne, darf an der Qualifikation kein Zweifel mehr bestehen.34) 54 Insofern erscheint die oben erwähnte zum Teil vertretene Begrenzung der Eignung des Bescheinigers ausschließlich auf Berufsträger widersprüchlich, da sämtliche Anforderungen auch durch Unternehmensberater, die langjährig im Insolvenzumfeld tätig sind, umfänglich erfüllt werden können. So sieht auch die Mehrheit der Befragten einer Umfrage der BDO AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zur Schutzschirmbescheinigung Unternehmensberater als geeignete Ersteller an.35) In jedem Falle sollte der Bescheiniger seine Qualifikation dem Gericht schriftlich und substantiiert mitteilen. Den Bescheiniger trifft mithin die Darlegungs- und Beweislast.36) Der Nachweis der Qualifikation ist dabei kein Bestandteil der Bescheinigung. 55 Ob der Bescheiniger eine natürliche Person sein muss oder auch juristische Personen als Bescheiniger in Betracht kommen, ist nicht ausdrücklich geregelt und mithin in der Lite___________ 30) 31) 32) 33) 34) 35) 36)

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Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 40. Exemplarisch Steffan/Solmecke, ZIP 2014, 2271; Buchalik/Kraus, KSI 2012, 60, 61. Loeffelholz/Sanne, NZI 2015, 583, 584; Schröder/Schulz, ZIP 2017, 1096, 1097. Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1344. Buchalik in: PK-HWF, InsO, § 270b Rz. 9. Befragt wurden Mitglieder des BDU, BRSI und TMA. Beth, ZInsO 2015, 369, 373; Frind, ZInsO 2012, 1546. Laut einer Studie der BDO AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zur Schutzschirmbescheinigung, v. 6/2013, befürworten 83 % der Befragten einen schriftlichen Qualifikationsnachweis.

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Schutzschirmverfahren

ratur strittig. Rechtsprechung zu diesem Thema ist bisher nicht ersichtlich. Teilweise wird argumentiert, dass die Insolvenzerfahrung nur für einzelne natürliche Personen festgestellt werden kann, sodass Gesellschaften als Bescheinigungsaussteller ausscheiden.37) Andere Stimmen in der Literatur bejahen die Möglichkeit, eine juristische Person zu beauftragen, hingegen.38) Der Wortlaut der Norm spricht lediglich von einer „Person“ und nicht – wie bei § 56 InsO – von einer natürlichen Person. Der IDW S 9, welcher als Standard für die Erstellung einer Bescheinigung auch von dem Bundesarbeitskreis Insolvenzgerichte e. V. empfohlen wird,39) lässt es insoweit zu, dass auch juristische Personen beauftragt werden. Allerdings kommt es dabei darauf an, dass die konkret befasste Person die entsprechende Sachkunde und Unabhängigkeit mitbringt. Daher ist in der Bescheinigung eben auch die natürliche Person zu nennen, die die Bescheinigung vorgenommen hat. Nur so kann die Qualifikation geprüft werden. Dieser Ansatz erscheint sachgerecht, entspricht dies doch auch der Regelung des § 319 Abs. 1 Satz 1 HGB, nach der, allgemein anerkannt, ein Abschlussprüfer auch eine juristische Person sein kann.40) Ob in der Praxis tatsächlich überwiegend eine juristische oder eine natürliche Person ein- 56 gesetzt wird, unterliegt in der Literatur einer sehr konträren Wahrnehmung.41) 4.1.2 Unabhängigkeit Der Bescheiniger muss gemäß § 270d Abs. 2 Satz 1 InsO personenverschieden vom zu 57 bestellenden vorläufigen Sachwalter sein, um die erforderliche Unabhängigkeit des Sachwalters zu gewährleisten.42) Mit dieser wichtigen Änderung im Gesetzentwurf hat der Gesetzgeber den massiven Bedenken der Praxis Rechnung getragen, die zu Recht befürchtete, dass die Missbrauchsgefahr und die damit einhergehende Möglichkeit der Insolvenzverschleppung durch kollusives Zusammenwirken von Schuldner und Bescheiniger/vorläufigem Sachwalter signifikant steigen würde.43) Darüber hinaus ist zu fordern, dass über eine entsprechende Anwendung von § 45 Abs. 3 BRAO der Bescheiniger und der vorläufige Sachwalter auch nicht aus derselben Sozietät oder in sonstiger Weise zur gemeinsamen Berufsausübung verbundenen oder verbunden gewesenen Berufsträgern stammen dürfen.44) Hierunter müssen auch Bürogemeinschaften subsumiert werden. Ferner löst jeder Anschein einer Interessenkollision oder Interessenverquickung von 58 Bescheiniger und vorläufigem Sachwalter einen Glaubwürdigkeitsverlust für das gesamte Schutzschirmverfahren und das nachfolgende Insolvenzplanverfahren aus und gefährdet dessen Annahme bzw. dessen Erfolg nachhaltig. Demgegenüber ist es – wie auch der IDW S 9 klarstellt – unschädlich, wenn der Bescheiniger vorher beratend für den Antragsteller tätig war.45) Vielmehr kann dies gerade in kleineren Fällen sogar beschleuni___________ 37) 38) 39) 40) 41) 42) 43)

44) 45)

Ellers in: BeckOK-InsR, § 270d InsO Rz. 35 – 46.6; Kern in: MünchKomm-InsO, § 270b Rz. 43. Ausführlich Schröder/Schulz, ZIP 2017, 1096, 1097; Beth, ZInsO 2015, 369, 373. Vgl. Frind, ZInsO 2014, 2264, 2265. Habersack/Schürnbrand in: Staub, Großkomm-HGB, Bd. 7/1, § 319 Rz. 8. Loeffelholz/Sanne, NZI 2015, 583, sehen die juristische Person im Fokus, während Schröder/Schulz, ZIP 2017, 1096, hauptsächlich die natürlichen Personen beauftragt sehen. Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 20, unter Hinweis auf § 270a Abs. 1 Satz 2 i. V. m. §§ 274, 56 InsO. Hölzle/Pink, ZIP 2011, 360, 361; VID, Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, ESUG, Bundestagsdrucksache 17/5712, v. 22.6.2011, S. 3, abrufbar unter https://www.vid.de/stellungnahmen/esug-stellungnahmezur-oeffentlichen-anhoerung-des-rechtsauschusses-am-29-06-2011/ (Abrufdatum 16.1.2023); Hofmann, NZI 2010, 798, 801. Frind, ZInsO 2011, 2249, 2261; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 270b Rz. 29 ff. Schröder/Schulz, ZIP 2017, 1096, 1102; Buchalik in: PK-HWF, InsO, § 270b Rz. 9.

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gend und kostenminimierend sein. Dies ist jedoch gegenüber den in den Prozess eingebundenen Gläubigern sowie dem Gericht transparent darzustellen. 59 Das AG München hingegen hat in einer Entscheidung ähnlich strenge Anforderungen aufgestellt wie bei der Auswahl eines vorläufigen Insolvenzverwalters nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und § 56 Abs. 1 InsO.46) Das Gericht begründet seine Entscheidung mit der teilweise auch in der Literatur gestützten Auffassung, die Bescheinigung entspreche einem insolvenzrechtlichen Gutachten in Kurzform, und führt die Gläubigerinteressen an.47) 60 Zwar ist zuzugeben, dass mit zunehmender Nähe des Bescheinigers zum Schuldner die Zuverlässigkeit der Bescheinigung schwinden könnte;48) dass deshalb der Bescheiniger nicht zuvor beratend tätig werden darf, erscheint jedoch überzogen. 61 Den Gefahren der fehlenden Überzeugungskraft der Bescheinigung wird durch die Einschränkung der Auswahl des Bescheinigers, die Prüfung der Bescheinigung durch das Gericht sowie durch die Haftung des Bescheinigers ausreichend Rechnung getragen. Auch praktische Gründe sprechen für keine allzu streng vorausgesetzte Unabhängigkeit von Bescheiniger und Schuldner. In der Regel ist bereits ein Sanierungsberater eingeschaltet und hat sich in die Zahlenwerke und den Betrieb eingearbeitet. Er kann also zeitnah eine Bescheinigung erteilen, wenn dies aufgrund unvorhergesehener Ereignisse notwendig wird.49) 62 Weder der Wortlaut des § 270d InsO noch die Entstehungsgeschichte der Norm spricht für die Auslegung des AG München, da der Gesetzgeber die Problematik im Allgemeinen erkannt hat. 63 Insoweit ist auch die Meinung in der Literatur abzulehnen, die fordert, dass der Ersteller des Grobkonzepts und der Bescheiniger personenverschieden sein sollen, da er ansonsten gegen das Selbstprüfungsverbot verstoßen würde.50) Zwar ist auch hier der Meinung insoweit zuzustimmen, als eine Trennung meist auch zu mehr Objektivität führt, allerdings ist der Nutzen der Trennung minimal und führt zu weiteren Kosten und zeitlichen Verzögerungen. Bestehen aus Sicht des Insolvenzrichters Zweifel an der Richtigkeit der Bescheinigung, kann das Gericht nach § 5 Abs. 1 InsO die Bescheinigung überprüfen lassen.51) 64 Auch nach dem IDW S 9 soll nicht erforderlich sein, dass das Sanierungskonzept, zu dessen Erfolgsaussichten sich der Aussteller der Bescheinigung äußert, von einer anderen Person erstellt worden ist. Es soll auch zulässig sein, dass der Bescheiniger selbst es für den Schuldner ausgearbeitet hat. In jedem Falle empfiehlt sich auch zu diesem Punkt eine vorherige Abstimmung mit dem Gericht und ggf. sogar mit den in Aussicht genommenen Mitgliedern eines vorläufigen Gläubigerausschusses. 4.1.3 Haftung 65 Eine Haftung des Bescheinigers gegenüber den Gläubigern ermöglichen die Grundsätze des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter.52) Die Gläubiger des Schuldners ___________ 46) AG München v. 29.3.2012 • 1507 IN 1125/12, ZIP 2012, 789 = NZI 2012, 566, dazu EWiR 2012, 465 (Hölzle). 47) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 270b Rz. 23; Pape in: KPB, InsO, § 270b Rz. 45. 48) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 270b Rz. 20. 49) Kern in: MünchKomm-InsO, § 270b Rz. 57. 50) Loeffelholz/Sanne, NZI 2015, 583, 585; Hermanns, ZInsO 2014, 922, 925. 51) AG Erfurt v. 13.4.2012 – 172 IN 190/12, ZInsO 2012, 944; AG München v. 29.3.2012 – 1507 IN 1125/12, ZIP 2012, 789; Hölzle, EWiR 2012, 466 (Urteilsanm.); Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 270b Rz. 22. 52) Ausführlich Brinkmann, DB 2012, 1313, 1314; Brünkmans in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 270b Rz. 31; Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 270b Rz. 16; Undritz in: K. Schmidt, InsO, § 270b Rz. 6; Ellers in: BeckOK-InsR, § 270d InsO Rz. 46.

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Schutzschirmverfahren

sind von dem Schutzschirmverfahren unmittelbar betroffen und aufgrund fehlender eigener Anspruchsgrundlage auch schutzbedürftig. Dies ist für den Bescheiniger erkennbar. Die Haftung des Bescheinigers ist ein wesentliches und wichtiges Korrektiv, um zu verhindern, dass vorsätzlich oder fahrlässig unrichtig ausgestellte Bescheinigungen zu einem Missbrauch des Schutzschirmverfahrens gemäß § 270d InsO führen. Mit der im Gesetzgebungsverfahren erfolgten Korrektur, wonach der Bescheiniger nicht 66 Sachwalter werden kann, ist zumindest die offenkundigste Missbrauchsmöglichkeit ausgeschlossen worden. Folgende wesentliche Fehler bei der Bescheinigung sind gleichwohl denkbar: Zahlungsunfähigkeit: Wenn das antragstellende Unternehmen entgegen der Bescheini- 67 gung zahlungsunfähig ist und der Bescheiniger hiervon Kenntnis hatte bzw. Kenntnis haben musste, ist zu differenzieren, ob eine Insolvenzverschleppung vorliegt oder der Eigenantrag des Schuldners noch innerhalb der gesetzlich normierten Antragsfristen gestellt wurde. Im letzteren Fall dürfte ein Schaden und dementsprechend eine Haftung des Bescheinigers nur dann vorliegen, wenn i. R. der Eigenverwaltung handwerkliche Fehler nachzuweisen sind, die im Falle eines Regelinsolvenzverfahrens mit Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters nicht zu erwarten gewesen wären (z. B. Gläubigerbegünstigung hinsichtlich Altforderungen etc.). Besteht die Zahlungsunfähigkeit schon länger und sind die gesetzlichen Antragsfristen 68 verstrichen, dürfte eine zusätzliche Haftung für den Schaden während der Verschleppung, wie z. B. Quotenschaden und Schaden der Neugläubiger i. R. der üblichen Insolvenzverschleppungshaftung, nicht nur für den Geschäftsführer, sondern auch für den Bescheiniger in Betracht kommen. Stellt der Bescheiniger trotz offensichtlicher Aussichtslosigkeit der Sanierung eine Be- 69 scheinigung gemäß § 270d Abs. 1 InsO aus, kommt ebenfalls eine Haftung in Betracht. Schwierig bleibt die Frage, welcher Grad der Offensichtlichkeit zu fordern ist. Die Offensichtlichkeit i. S. von § 270d Abs. 1 InsO ist sicherlich dann gegeben, wenn bei Erstellung der Bescheinigung bereits bekannt war bzw. bekannt sein musste, dass die Zustimmung wesentlicher Gläubiger zu dem vorzulegenden Insolvenzplan nicht gegeben bzw. auch nicht zu erlangen ist und somit dessen Annahme gemäß § 244 InsO scheitern wird. Hier werden die Gerichte im Einzelfall Sachverständige zu Rate ziehen. Eine Haftung erscheint auch dann möglich, wenn zum Zeitpunkt der Bescheinigung kei- 70 ne ausreichende Sicherheit darüber besteht, dass im Eröffnungsverfahren zu jedem Zeitpunkt ausreichend Liquidität vorhanden ist. Ist die Gefahr der Liquiditätslücken zum Zeitpunkt der Bescheinigung dem Bescheiniger 71 nachzuweisen, käme auch hier, wie im Fall der Zahlungsunfähigkeit ohne Insolvenzverschleppung, eine Haftung für handwerkliche Fehler i. R. der Eigenverwaltung in Betracht, die in einem Regelinsolvenzverfahren und Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters nicht passiert wären. Liegen entgegen der Bescheinigung keine Insolvenzgründe vor und ist auch nicht von einer 72 drohenden Zahlungsunfähigkeit mit einem damit einhergehenden Antragsrecht der Geschäftsführung auszugehen, kommt die übliche Haftung des Bescheinigers, ggf. als Gesamtschuldner mit einem kollusiv zusammenwirkenden Geschäftsführer, sowohl gegenüber den Gesellschaftern/Aktionären als auch gegenüber allen sonstigen Gläubigern inklusive der Arbeitnehmer und Lieferanten in Betracht, sofern ein Schaden entstanden ist. Die haftungsbegründende Kausalität wird im Falle einer Zahlungsunfähigkeit bei An- 73 tragstellung und einer anderslautenden Bescheinigung relativ einfach nachzuweisen sein. Schwieriger wird es bei der haftungsausfüllenden Kausalität. Hier werden ggf. aufwändige

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Ermittlungen notwendig sein, um einen Schaden, der durch Einleitung des Schutzschirmverfahrens statt Einleitung eines Regelinsolvenzverfahrens entstanden sein könnte, auch belegen zu können. In Betracht kommen hier Handlungen des Schuldners, welche gegen die InsO verstoßen, insbesondere die Befriedigung von vor Antragstellung begründeten Altverbindlichkeiten. 74 Handelt der Bescheiniger vorsätzlich, kommt auch eine Haftung nach § 826 BGB und § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. einem Schutzgesetz in Betracht. 75 Daneben haftet der Bescheiniger dem Schuldner als Auftraggeber gegenüber nach allgemeinen vertraglichen Grundsätzen. 4.2

Inhalt der Bescheinigung

76 Aus der Bescheinigung muss sich gemäß § 270d Abs. 1 Satz 1 InsO ergeben, dass drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, aber keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt und die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist. Diese Bescheinigung ist mit Gründen zu versehen.53) Fraglich ist, wie ausführlich die Bescheinigung zu begründen bzw. mit welchen Anlagen sie plausibel zu machen ist. Die Bescheinigung ist kein Gutachten eines gerichtlich bestellten Sachverständigen, sondern ein Parteigutachten, das letztlich einen qualifizierten Parteivortrag darstellt, der gemäß § 286 ZPO der freien richterlichen Würdigung unterstellt ist.54) 77 Eine Bescheinigung, deren Begründung sich im Wesentlichen auf den Wortlaut des Gesetzestextes beschränkt, dürfte nicht ausreichend sein. Vielmehr müssen für das Gericht plausibel und nachvollziehbar die Tatbestandsvoraussetzungen des § 270d Abs. 1 Satz 1 InsO durchgeprüft werden. Dabei sollte die Begründung so umfassend wie möglich sein, um dem Gericht die Prüfung zu erleichtern und so dem Entlastungszweck des § 270d Abs. 1 Satz 1 InsO55) zu genügen (siehe zum Prüfungsumfang des Gerichts Rz. 109 ff.). Sämtliche verwendeten Definitionen und das Zahlenmaterial sind durch den Bescheiniger transparent darzulegen.56) Der Gesetzgeber macht keine Angaben zur notwendigen Aktualität der Bescheinigung, aber unzweifelhaft muss die Bescheinigung zeitnah zum Eröffnungsantrag ausgestellt worden sein.57) 78 Welchen Umfang diese Bescheinigung haben sollte, ist am konkreten Einzelfall festzumachen. Insbesondere wenn z. B. eine Unterdeckung der Liquidität vorliegt, ist eine dezidierte Darlegung notwendig, weshalb bisher noch keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Insoweit ist eine Drei-Wochen-Liquiditätsplanung vorzulegen, aus der sich ergibt, dass es sich lediglich um eine Zahlungsstockung handelt. Liegt hingegen nur eine deutliche Überschuldung vor und ist die Zahlungsfähigkeit hingegen derzeit kein Problempunkt, kann die Bescheinigung in ihrer Begründung weniger detailliert ausfallen. 4.2.1 Ausschluss der Zahlungsunfähigkeit 79 Die Bescheinigung gemäß § 270d Abs. 1 Satz 1 InsO muss zunächst den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit ausschließen. Hier sind die allgemein bekannten Vorgaben des ___________ 53) 54) 55) 56) 57)

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Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 40. Beth, ZInsO 2015, 369, 374. Gutmann/Lauberau, ZInsO 2012, 1861, 1868. Frind, ZInsO 2012, 1546. Ringstmeier in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 270b InsO Rz. 14. Nach Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, S. 120, darf die Bescheinigung max. eine Woche alt sein, nach A. Schmidt/Linker, ZIP 2012, 963, max. drei Tage.

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Schutzschirmverfahren

BGH58) zu beachten. Die Erstellung eines kurzfristigen Finanzplans (drei Wochen) zum Nachweis dafür, dass nicht mehr als 10 % der fälligen Gesamtverbindlichkeiten länger als drei Wochen nicht bezahlt werden können, dürfte erforderlich, aber auch ausreichend sein. Durch eine nachhaltige Stundungsvereinbarung kann die eingetretene Zahlungsunfähig- 80 keit beseitigt werden.59) Zu weiteren inhaltlichen Anforderungen an die Prüfung der Zahlungsfähigkeit siehe Neußner, HRI II, § 3 Rz. 30 ff. und den IDW S 11.60) 4.2.2 Drohende Zahlungsunfähigkeit Eine mögliche Antragsvoraussetzung für das Schutzschirmverfahren gemäß § 270d InsO 81 ist das Vorliegen drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO). Nach der Legaldefinition in § 18 Abs. 2 InsO bedeutet dies, dass der Antragsteller voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten zum Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. Die Zahlungsunfähigkeit droht, wenn anhand eines Finanzplans für das laufende sowie das folgende Geschäftsjahr voraussichtlich, d. h. mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit, die Zahlungsunfähigkeit eintritt. In dem Finanzplan müssen alle zahlungswirksamen Determinanten einschließlich konkret geplanter Ausgleichs- und Anpassungsmaßnahmen, wie z. B. die Zuführung von Eigen- oder Fremdkapital, enthalten sein, sofern deren Realisierung hinreichend wahrscheinlich ist. Die Prüfung muss auf den Zeitpunkt der Antragseinreichung erstellt werden.61) Der Finanzplan inklusive einer summarischen Zusammenfassung sollte der Bescheinigung 82 als Anlage beigefügt werden, damit das Insolvenzgericht die Möglichkeit erhält, die Aussage des Bescheinigers nachzuvollziehen. Der Zulässigkeit des Schutzschirmverfahrens steht es nicht entgegen, wenn der Schuldner 83 zum Zeitpunkt der Prüfung nachgewiesen zahlungsfähig ist, jedoch absehbar unmittelbar, d. h. frühestens einen Tag nach Anordnung des Schutzschirmverfahrens, zahlungsunfähig wird, etwa durch Kündigung von Krediten.62) Dies gilt ebenso für eine absehbare Unterdeckung von mehr als 10 % im Prognosezeitraum sowie auch für eine nur durch ein Moratorium erreichte Zahlungsfähigkeit zum Prüfungszeitpunkt. Dabei darf bei der Verhandlung des Moratoriums kein Gläubiger getäuscht, sondern muss über die geplante Antragstellung informiert worden sein. In jedem Fall muss der Antragsteller dafür Sorge tragen, dass die Finanzierung der Betriebsfortführung während der Schutzschirmphase durch geeignete Maßnahmen gewährleistet ist.63) 4.2.3 Überschuldung Eine weitere mögliche Antragsvoraussetzung ist das Vorliegen der Überschuldung gemäß 84 § 19 InsO. Hier ist ein stichtagsbezogener Überschuldungsstatus zu erstellen, der entsprechend dem gesetzlich festgelegten Überschuldungsbegriff aufgestellt ist. Dies ist der seit dem 1.1.2011 gültige und über den 1.1.2014 hinaus verlängerte neue alte sog. modifizierte zweistufige Überschuldungsbegriff.64) Eine Überschuldung im insolvenzrechtlichen ___________ 58) BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134 = ZIP 2005, 1426, dazu EWiR 2005, 767 (Bruns). 59) Riggert in: Braun, InsO, § 270b Rz. 4. 60) IDW Standard, Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen (IDW S 11), Stand: 23.8.2021, Rz. 93, 57 – 59, IDW Life 1/2022, S. 107 ff.; Zabel/Pütz, ZIP 2015, 912. 61) Frind, ZInsO 2012, 1546. 62) Ganter, NZI 2012, 985; Leib/Rendels, INDat Report 7/2013, S. 66. 63) Ganter, NZI 2012, 985. 64) Pressemitteilung des BMJ v. 9.11.2012 zur Entfristung des Überschuldungsbegriffs; BGH v. 13.7.1992 – II ZR 269/91 (Dornier), BGHZ 119, 201 ff. = ZIP 1992, 1382.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

Sinne wird danach ausgeschlossen, wenn eine positive Fortführungsprognose gemäß § 19 Abs. 2 InsO vorliegt. Oder andersherum: Eine Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinne setzt eine negative Fortführungsprognose voraus und damit im Überschuldungsstatus den Ansatz der Aktiva zu Liquidationswerten. 85 Der aufgestellte Überschuldungsstatus ist dem Insolvenzgericht einschließlich einer summarischen Zusammenfassung als Anlage der Bescheinigung vorzulegen, um die Überprüfung zu ermöglichen. 86 Für den Fall, dass in der Bescheinigung die Überschuldung als Antragsgrund genannt wird, entsteht auf den ersten Blick der folgende Konflikt: Der Überschuldung liegt in aller Regel die negative Fortbestehensprognose zugrunde, also die überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass das Unternehmen eben nicht fortgeführt werden kann. Gleichzeitig muss der Bescheiniger aber bestätigen, dass die Sanierung zumindest nicht offensichtlich aussichtslos ist. Gelöst wird dieser scheinbare Konflikt dadurch, dass ein Schutzschirm- und Insolvenzverfahren und die damit verbundenen Sanierungsmaßnahmen, die nun nicht offensichtlich aussichtlose Sanierung des Unternehmens erst herbeiführen. Gleichwohl sind in diesen Fällen die Grundannahmen des Bescheinigers zu beiden Teilbereichen sowie sein Verständnis der Überschuldung genau zu prüfen.65) In der Praxis zeigt sich allerdings, dass die wenigsten Anträge auf ein Schutzschirmverfahren mit einer Überschuldung begründet werden. 4.2.4 Keine offensichtliche Aussichtslosigkeit der Sanierung 87 Die vom Schuldner angestrebte Sanierung muss in der Bescheinigung als nicht offensichtlich aussichtslos bestätigt werden. Der Gesetzgeber verlangt ausdrücklich kein vollständiges Sanierungskonzept nach formalisierten Standards, da hierdurch mit erheblichen Kosten zu rechnen und damit das Verfahren für kleine und mittelständische Unternehmen versperrt wäre.66) Eine nähere Definition der inhaltlichen Anforderungen an die nicht offensichtliche Aussichtslosigkeit unterließ der Gesetzgeber dagegen. Durch das Wort „offensichtlich“ kann darauf geschlossen werden, dass keine tiefgreifende Analyse und umfangreiche Konzeption erforderlich, sondern vielmehr eine Plausibilitätskontrolle der Sanierungsfähigkeit als materielle Anforderung ausreichend ist.67) Ein bloßer Sanierungswille des Antragstellers reicht jedoch regelmäßig nicht. Ein Grobkonzept zur Sanierung des Unternehmens muss in Ansätzen vorliegen.68) 88 Als offensichtlich aussichtslos ist die Sanierung dementgegen anzusehen, wenn die Finanzierung der Betriebsfortführung nicht gesichert ist, ein nachhaltiger Auftragsmangel besteht, fehlende Mitwirkung durch wesentliche Gläubiger signalisiert wird oder durch die Betriebsfortführung verminderte Befriedigungsaussichten zu erwarten oder aus rechtlichen Gründen gar aussichtslos sind, z. B. weil dem Schuldner eine Genehmigung entzogen wird.69) 89 Zur inhaltlichen Ausgestaltung der Bescheinigung hat das IDW den IDW S 970) entwickelt. Dieser setzt voraus, dass ein Grobkonzept erstellt wird, das grundsätzlich darstellt, ___________ Frind, ZInsO 2012, 1546. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 40. Gutmann/Lauberau, ZInsO 2012, 1861; Buchalik in: PK-HWF, InsO, § 270b Rz. 11. Vgl. BDU, Struktur eines Grobkonzepts im Rahmen der Bescheinigung nach § 270b InsO, 8/2013, abrufbar unter https://www.bdu.de/media/52308/leitfaden_grobkonzept_schlussfassung.pdf (Abrufdatum: 16.1.2023). 69) Frind, ZInsO 2012, 1546; Ringstmeier in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 270b InsO Rz. 18; Siemon, ZInsO 2012, 1045; Gutmann/Laubereau, ZInsO 2012, 1861, 1870. 70) IDW Standard, Bescheinigung nach § 270d InsO und Beurteilung der Anforderungen nach § 270a InsO, Stand: 18.8.2022, IDW Life 2022, S. 1054 ff. 65) 66) 67) 68)

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§5

Schutzschirmverfahren

wie die Sanierung konzeptionell und finanziell erreicht werden kann, ohne dass es einer umfassenden Beurteilung bedarf. Gefordert wird inhaltlich, dass das Ziel der angestrebten Sanierung und die dafür wesentlichen Maßnahmen benannt und etwaige wesentliche Hindernisse der Sanierung aufgezeigt werden. Ferner muss eine Realisierungswahrscheinlichkeit dargelegt werden. Auch die Identifikation von Krisenursachen sollte Bestandteil des Grobkonzepts sein. Eine Liquiditätsunterdeckung im Eröffnungsverfahren stellt insbesondere ein Anzeichen für das Vorliegen einer offensichtlichen Aussichtslosigkeit dar. Der Umfang des Grobkonzepts sollte der Größe des betreffenden Unternehmens ange- 90 passt sein und auf Detaildarstellungen und die Wiedergabe komplizierter Prüfsachverhalte verzichten. Es sollte die im konkreten Einzelfall für die Sanierung erfolgsrelevanten Themenbereiche aufnehmen. Das Grobkonzept kann entweder Textbestandteil der Bescheinigung sein oder bei größerem Umfang der Bescheinigung als Anlage beigefügt werden.71) Ersteller des Grobkonzepts kann der Schuldner oder eine vom ihm beauftragte Person bzw. Unternehmung sein. Erster inhaltlicher Punkt des Grobkonzepts sollte die Beschreibung der aktuellen Krisensi- 91 tuation sein. Dabei ist aber keine detaillierte Analyse wie in einem Sanierungskonzept vorzunehmen, sondern vielmehr die derzeitigen Symptome, die Umsatz- und Ergebnisentwicklung der letzten beiden Jahre, ggf. eine Spartenrechnung sowie typische betriebswirtschaftliche Kennzahlen und wesentliche Verpflichtungen, falls diese zur Krise beigetragen haben, zu erläutern. Weiterhin sollte nachvollziehbar dargestellt werden, warum der bisherige Sanierungsweg und die bereits eingeleiteten Maßnahmen nicht ausreichend waren. Unmittelbar auf diesen Punkt aufbauend sind die Sanierungsmaßnahmen zu nennen, die 92 angedacht sind, um die Krise innerhalb des Schutzschirm- bzw. anschließenden Insolvenzverfahrens zu überwinden. Gegebenenfalls sind die teilweise sehr einschneidenden Maßnahmen, wie Standortschließungen, Sortimentsstraffung, Personalreduzierung, Teilveräußerungen, Lieferantenkredite, Anpassung oder Aussetzung eines Sanierungstarifvertrages, nur in einem Insolvenzverfahren, hier Schutzschirmverfahren, durchführbar oder zumindest wesentlich leichter durchführbar. Sanierungsmaßnahmen mit mittel- und langfristigem Wirkungshorizont sind bei Bedarf lediglich weniger detailliert in das Grobkonzept mit aufzunehmen. Von großer Bedeutung für die spätere Betriebsfortführung ist die Frage, ob der Ge- 93 schäftsbetrieb während des Schutzschirmverfahrens und nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufrechterhalten und finanziert werden kann. Bei seiner Einschätzung sollte der Bescheiniger auf die Besonderheiten des Geschäftsmodells des Schuldners eingehen. Eine idealerweise integrierte Unternehmensplanung (Ertrags-, Liquiditäts- und Bilanzplanung) bis zur Verfahrensaufhebung dokumentiert diese Einschätzung. In den Rahmeninformationen zum Insolvenzplan werden die geplante Einbindung der 94 Gläubiger, der Zeitplan, die angedachte Gruppenstruktur, die Finanzierung des Insolvenzplanverfahrens und ggf. sonstige relevante Regelungen beschrieben. Die voraussichtliche Besserstellung der Gläubiger durch den Insolvenzplan ist ebenfalls 95 (qualitativ) darzustellen. Eine differenzierte Vergleichsrechnung ist i. R. des Grobkonzepts aber noch nicht notwendig. Die Qualifikation und Person des Eigenverwalters und die Eignung des gewünschten Sachwalters sind kritisch zu würdigen. Der Bescheiniger sollte zuletzt eine Einschätzung abgeben, ob offensichtliche Gründe vorliegen, weshalb ___________ 71) BDU, Struktur eines Grobkonzepts im Rahmen der Bescheinigung nach § 270b InsO, 8/2013, abrufbar unter https://www.bdu.de/media/52308/leitfaden_grobkonzept_schlussfassung.pdf (Abrufdatum: 16.1.2023).

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

wesentliche Gläubiger oder Leistungspartner eine Sanierung im Schutzschirmverfahren ggf. nicht mittragen könnten. 5.

Vorläufiger Gläubigerausschuss

96 Gemäß § 22a Abs. 2 InsO kann der Schuldner die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses beantragen. Sofern das Gericht einen vorläufigen Gläubigerausschuss gemäß § 22a InsO bestellt, ist zu klären, welche Rechte dieser i. R. des Schutzschirmverfahrens haben kann. Voraussetzung ist zunächst die Bestellung durch das Insolvenzgericht gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO; sie ist in das Ermessen des Insolvenzgerichts gestellt. Sofern die Voraussetzungen des § 22a Abs. 1 InsO vorliegen, ist das Gericht grundsätzlich zur Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses verpflichtet, wenn nicht die Ausnahmeregelung des § 22a Abs. 3 InsO Anwendung findet. 97 Sofern vom Insolvenzgericht ein Gläubigerausschuss bestellt wird, dürfte dies regelmäßig erst nach dem Beschluss gemäß § 270d Abs. 1 InsO erfolgen. Dies ist grundsätzlich unschädlich, da eine zwingende Gläubigerbeteiligung bei der Bestellung des vorläufigen Sachwalters im Schutzschirmverfahren vom Gesetzgeber nicht vorgesehen ist. 98 Die Gläubiger dürfen sich bei der Auswahl des „mitgebrachten“ Sachwalters72) gemäß §§ 274, 56 Abs. 2 InsO nur zur Person des vorläufigen Sachwalters äußern, wenn seine Bestellung offensichtlich zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage des Schuldners führt. Da regelmäßig eine hohe Eilbedürftigkeit besteht, dürfte die formelle Gläubigerbeteiligung die Ausnahme sein und damit eine potenzielle Gefährdung von Gläubigerinteressen bestehen.73) Dies ist vom Gesetzgeber aber ausdrücklich so gewollt, denn im Schutzschirmverfahren soll gerade der Schuldner entscheidenden Einfluss auf die Bestellung des vorläufigen Sachwalters haben, damit der Antrag frühzeitiger als bisher gestellt wird.74) Die Interessen der Gläubiger sind durch §§ 274, 57 InsO hinreichend gewahrt, da hiernach die Möglichkeit besteht, den Sachwalter nach Verfahrenseröffnung abzuwählen und durch einen anderen zu ersetzen.75) 99 Gleichwohl empfiehlt es sich für den Schuldner bzw. seine Berater, möglichst im Vorfeld mit wesentlichen Gläubigern bzw. den voraussichtlichen Mitgliedern eines Gläubigerausschusses bzgl. der Person des vorläufigen Sachwalters Einvernehmen zu erzielen bzw. sicherzustellen, dass keine Bedenken gegen den ausgewählten vorläufigen Sachwalter bestehen. 6.

Maßnahmen der Zwangsvollstreckung

100 Durch den Antrag auf Untersagung von Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gemäß § 270d Abs. 3 i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO werden bereits eingeleitete Maßnahmen einstweilen eingestellt, soweit nicht unbewegliche Gegenstände betroffen sind. Dieser Antrag ist unerlässlich und sollte in jedem Fall gestellt werden, da ein Sanierungskonzept nur unter Fortsetzung der Geschäftstätigkeit ohne den Zugriff von Gläubigern auf Vermögensgegenstände sinnvoll ausgearbeitet werden kann.76) Ein Antrag auf Anordnung der Untersagung von Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO kann ebenso Bestandteil des Eröffnungsantrags sein. Wird diesem stattgegeben, dürfen mit Ab- oder Aussonderungsrechten belegte bewegliche Gegenstän___________ 72) Buchalik in PK-HWF, InsO, § 270b Rz. 6. 73) Urlaub, ZIP 2011, 1040, 1043, mit Hinweis auf den möglichen Verlust der Unabhängigkeit des vorläufigen Sachwalters. 74) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 40. 75) Hirte, ZInsO 2011, 401, 404. 76) Gutmann/Laubereau, ZInsO 2012, 1861.

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Schutzschirmverfahren

de mit erheblicher Bedeutung für die Betriebsfortführung bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Gläubiger nicht verwertet werden. Für unbewegliches Vermögen gilt § 30d Abs. 1, 4 ZVG analog auch für den Schuldner in 101 Eigenverwaltung, so dass auf Antrag das Gericht die Zwangsversteigerung einstweilen einzustellen hat. 7.

Begründung von Masseverbindlichkeiten

Nach alter Rechtslage hatte ein Schuldner nur i. R. eines Schutzschirmverfahrens gemäß 102 § 270b Abs. 3 InsO a. F. einen Anspruch darauf, zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ermächtigt zu werden. Dieser Anspruch wurde nach der Reform der Vorschriften zum Eigenverwaltungsverfahren in die allgemeinen Vorschriften zur vorläufigen Eigenverwaltung in § 270c InsO umgegliedert, sodass in Bezug auf die Berechtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten nach neuer Rechtsordnung keine Unterschiede mehr zwischen der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270b InsO und dem Schutzschirmverfahren gemäß § 270d InsO bestehen. Ein Antrag auf Begründung von Masseverbindlichkeiten gemäß § 270c Abs. 4 InsO er- 103 scheint in jedem Fall obligatorisch (siehe hierzu auch Rz. 172). Mit dieser Regelung soll vor allem die Möglichkeit einer Betriebsfortführung im Schutzschirmverfahren und damit die Grundvoraussetzung für eine Sanierung überhaupt erst geschaffen werden. Insbesondere gilt es in der kritischen Phase des Eröffnungsverfahrens, das Vertrauen der Geschäftspartner zu erhalten und auf deren Mitwirkung für eine Betriebsfortführung und anschließende erfolgreiche Sanierung hinzusteuern.77) Das Gericht hat dem Antrag des Schuldners stattzugeben, insoweit besteht kein Ermes- 104 sen oder ein materielles Prüfungsrecht des Gerichts. Es darf jedoch nur auf Antrag tätig werden.78) Der Schuldner kann den Umfang der zu begründenden Masseverbindlichkeiten selbst be- 105 stimmen und sowohl eine Einzel-, Gruppen- oder Globalermächtigung beantragen. Unterlässt der Schuldner den Antrag, so kann er keine Masseverbindlichkeiten begründen. Die Rechtmäßigkeit durch den Schuldner zu begründender Masseverbindlichkeiten folgt nicht bereits daraus, dass diesem mangels Einschränkung durch das Insolvenzgericht die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis verbleibt.79) § 55 Abs. 2 InsO gilt entsprechend. 8.

Antragsrücknahme durch den Schuldner

Gemäß § 270c Abs. 5 InsO hat der Schuldner bei einem Insolvenzantrag wegen drohen- 106 der Zahlungsunfähigkeit das Recht, den Eröffnungsantrag zurückzunehmen, wenn das Insolvenzgericht ankündigt, dass gegen den gestellten Antrag Bedenken bestehen. Dieses Recht auf Antragsrücknahme besteht auch im Schutzschirmverfahren, sofern der 107 Insolvenzantrag auf drohende Zahlungsunfähigkeit gestützt wird und keine offensichtliche Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Problematisch ist hier, dass bei drohender Zahlungsunfähigkeit wegen der damit regelmäßig einhergehenden negativen Fortbestehensprognose im Überschuldungsstatus nur noch zu Liquidationswerten bilanziert werden darf, was in vielen Fällen zu einer antragspflichtigen Überschuldung führt; damit wäre eine Antragsrücknahme grundsätzlich ausgeschlossen.80) ___________ 77) 78) 79) 80)

Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 37. BGH v. 24.3.2016 – IX ZR 157/14, ZIP 2016, 831, dazu EWiR 2016, 307 (Dimassi). OLG Köln v. 3.11.2014 – 2 U 82/14, ZIP 2014, 2523. Hölzle, NZI 2011, 124, 130.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

108 Darüber hinaus lässt sich eine insolvenzantragsverpflichtende Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung im Zuge der Rücknahme eines Eigen(verwaltungs)antrags nur vermeiden, wenn dies unmittelbar in zeitlichem Zusammenhang mit der Antragstellung erfolgt und damit eine Veröffentlichung bzw. ein Bekanntwerden des Antrags selbst verhindert werden kann. Dieses Öffentlichwerden hat spätestens durch die dann erfolgende Fälligstellung der Verbindlichkeiten durch die Gläubiger/Banken regelmäßig die Insolvenzreife des antragstellenden Schuldners zur Folge.81) III.

Prüfung durch das Gericht

109 Die Bescheinigung wird vom Gericht überprüft.82) In formeller Hinsicht wird vom Gericht zunächst zu prüfen sein, ob die Bescheinigung von einer Person erstellt worden ist, die die gesetzlichen Anforderungen des § 270d Abs. 1 Satz 1 InsO erfüllt, und ob die Bescheinigung eine Begründung enthält.83) Nicht verlangt wird ein Sanierungsgutachten, das bestimmten formalen Standards, bspw. dem IDW S 6, entspricht.84) 110 Das Gericht wird dann auch inhaltlich zu prüfen haben, ob die Bescheinigung und die mit ihr eingereichten Unterlagen eine Aussage dazu treffen, dass die Bescheinigung auf einer eigenen Einschätzung und eigenen Nachforschungen des Bescheinigungsausstellers basiert. Außerdem muss das Gericht der Bescheinigung die Aussage entnehmen können, dass beim Schuldner eine Überschuldung i. S. des § 19 InsO und/oder eine drohende Zahlungsunfähigkeit i. S. des § 18 InsO, keinesfalls aber eine Zahlungsunfähigkeit i. S. des § 17 InsO vorliegt. Schließlich muss das Gericht der Bescheinigung noch die Feststellung entnehmen können, dass die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist.85) 111 Fraglich ist allerdings, welche Anforderungen an die Prüfungstiefe des Gerichts bestehen.86) Dies hängt zum einen von der Person des Bescheinigers ab. Handelt es sich um einen in Insolvenzsachen gerichtsbekannten, erfahrenen Berufsträger, d. h. Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater, der womöglich selbst bei dem betreffenden oder einem anderen Insolvenzgericht als Insolvenzverwalter gelistet ist und regelmäßig bestellt wird, kann das Insolvenzgericht davon ausgehen, dass die erstellte Bescheinigung grundsätzlich sorgfältig erstellt wurde. Denn bei qualitativ schlechter oder gar dolos verfasster Bescheinigung dürfte sich der Bescheiniger unabhängig von der eigenen Haftung (siehe oben Rz. 65 ff.) auch eines Delistings bei den in Frage kommenden Insolvenzgerichten sicher sein, sei es als Insolvenzverwalter, sei es als Bescheiniger. 112 Bei nicht gerichtsbekannten Berufsträgern oder Nicht-Berufsträgern wie z. B. Unternehmensberatern dürften sich die Insolvenzgerichte deutlich schwerer tun, die Bescheinigung ohne weitere externe Überprüfung anzuerkennen. Zumindest von der in § 270d Abs. 1 Satz 1 InsO vorausgesetzten Erfahrung des Bescheinigers in Insolvenzsachen muss sich das Insolvenzgericht überzeugen. 113 Eine inhaltliche Prüfungsbefugnis des Gerichts könnte sich aus § 5 Abs. 1 InsO ergeben. Die konsequente Anwendung des § 5 Abs. 1 InsO würde allerdings bedeuten, dass das Insolvenzgericht nicht nur zur tiefgreifenden Prüfung, regelmäßig durch Bestellung eines Sachverständigen, befugt, sondern hierzu auch i. R. der Amtsermittlung verpflichtet ___________ 81) 82) 83) 84) 85) 86)

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Hölzle, NZI 2011, 124, 130; Hofmann, NZI 2010, 798, 804. Hölzle, NZI 2011, 124, 130 m. w. N.; a. A. Hill, ZInsO 2010, 1825. Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 170 unter H. IV. 1., Rz. 674. Fiebig in: HambKomm-InsO, § 270b Rz. 12. Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 170 unter H. IV. 1., Rz. 675. Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1344, wonach die Beauftragung eines Sachverständigen ausgeschlossen ist; Meller-Hannich, KTS 2017, 309, 322.

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Schutzschirmverfahren

ist. Weitgehend Einigkeit besteht aber dahingehend, dass zumindest eine Amtsermittlungspflicht nicht besteht.87) Anstatt zur Begründung der Prüfungsbefugnis des Gerichts § 5 Abs. 1 InsO heranzuziehen, ist es überzeugender, den Begriff der Offensichtlichkeit in § 270d Abs. 1 Satz 1 InsO i. S. der Offenkundigkeit des § 291 ZPO zu verstehen. Eine offensichtliche Aussichtslosigkeit liegt demnach nur dann vor, wenn dem Insolvenzrichter aus seiner amtlichen Tätigkeit Tatsachen bekannt sind, die erwarten lassen, dass die angestrebte Sanierung aussichtslos ist.88) Entscheidend dürfte dabei sein, dass das Gericht nach einer Schlüssigkeits- und Plausibili- 114 tätsprüfung der vorgelegten Bescheinigung und unter Berücksichtigung seiner sonstigen Erkenntnisse davon überzeugt ist, dass die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist. Es scheint daher vertretbar, die materielle Prüfungskompetenz der Gerichte89) auf vorhandene, offensichtliche Mängel der Bescheinigung zu beschränken.90) Ein Bedürfnis für eine Amtsermittlung, welche regelmäßig durch die Bestellung eines Sachverständigen erfolgen dürfte, besteht in diesen Fällen gerade nicht, da dann die Bescheinigung bereits inhaltlich unrichtig und somit untauglich ist und in der Konsequenz schon kein zulässiger Antrag nach § 270d InsO vorliegt. Der Antrag kann dann zurückgewiesen oder aber eine Frist zur Vorlage einer berichtigten Bescheinigung gesetzt werden.91) Gegen eine grundsätzliche, tiefgreifende materielle Prüfungsbefugnis durch das Gericht bezogen auf die Bescheinigung ist zudem einzuwenden, dass damit der Zweck des § 270d InsO, dem Schuldner einen weitgehend selbstbestimmten Eintritt in das Insolvenz(antrags)verfahren zu ermöglichen, gefährdet wäre. Andernfalls bestünde zudem die Gefahr, dass die Insolvenzgerichte aus den unterschied- 115 lichsten Motiven jede Bescheinigung von einem Sachverständigen überprüfen lassen und bei abweichenden Auffassungen von Bescheiniger und Gericht/Sachverständigem das Schutzschirmverfahren unnötig verkompliziert, verzögert und damit – gegen den ausdrücklichen Wunsch des Gesetzgebers – wieder „gerichtsdominiert“ wird. Das hätte zur Folge, dass dieses Verfahren an Attraktivität bei Schuldnern verlieren, wenn nicht gar bedeutungslos würde. Auch der Eilcharakter des Verfahrens spricht für eine Beschränkung des Gerichts auf eine Schlüssigkeits- und Plausibilitätsprüfung.92) Eine weitere Standardisierung der Bescheinigung gemäß § 270d InsO dürfte diese Schlüs- 116 sigkeits- und Plausibilitätsprüfung weiter erleichtern. Auch nach der jüngsten im Januar 2018 veröffentlichten ESUG-Studie von Roland Berger besteht aus Sicht der befragten Praktiker ein Bedarf nach einer weiteren Standardisierung der Bescheinigung gemäß § 270d InsO, insbesondere hinsichtlich der Prüfung der Sanierungsaussichten. Der IDW S 9 sowie der vom BDU vorgestellte Leitfaden für die Struktur eines Grobkonzepts i. R. der Bescheinigung nach § 270d InsO werden von der Mehrheit der befragten Praktiker bei der Erstellung der Bescheinigung angewendet.93) Siehe zu weiteren Einzelheiten der ESUGEvaluation die Zusammenfassung des Berichts unten Thole, HRI II, § 48. Es dürfte aus Praktikersicht in jeder Hinsicht sinnvoll sein, dass der Schuldner oder dessen 117 insolvenzerfahrener Berater sich im Vorfeld mit dem Insolvenzgericht hinsichtlich der Per___________ Beth, ZInsO 2015, 369, 371. Beth, ZInsO 2015, 369, 371. Frind, ZInsO 2011, 2249, 2261; Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 270b Rz. 22. Desch, BB 2011, 841; so i. E. auch A. Schmidt/Linker, ZIP 2012, 963, 965; Smid, ZInsO 2013, 209, 216; Meller-Hannich, KTS 2017, 309, 322. 91) Beth, ZInsO 2015, 369, 371. 92) Desch, BB 2011, 841; Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 170 unter H. IV. 1., Rz. 677. 93) Roland Berger/HgGUR, 5 Jahre ESUG – Eine Bestandsaufnahme, v. 1/2018, S. 27, abrufbar unter http://www.hggur.de/pdf/ESUG_Studie_2017.pdf (Abrufdatum: 16.1.2023).

87) 88) 89) 90)

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

son des ins Auge gefassten Bescheinigers zumindest dahingehend abstimmt, ob seitens des Gerichts Bedenken bestehen, um Zeitverzögerungen durch die Beauftragung externer Gutachter durch das Gericht zu vermeiden. 118 In diesem Zusammenhang dürfte es verfahrensökonomisch zweckdienlich sein, eine (evtl. bundesweite) Liste anerkannter und seriöser Bescheiniger zu schaffen, die den Insolvenzgerichten zumindest einen Anhaltspunkt hinsichtlich der Person des Bescheinigers im konkreten Fall geben könnte. Zu klären wären u. a. die Zugangsvoraussetzungen, evtl. erforderliche Zertifizierungen sowie Voraussetzungen für ein Delisting. IV.

Beschluss (§ 270d InsO)

1.

Frist zur Vorlage des Insolvenzplans

119 Die vom Gericht festzulegende Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans beträgt maximal drei Monate gemäß § 270d Abs. 1 Satz 2 InsO. § 270d Abs. 1 Satz 2 InsO entspricht damit der bisherigen Regelung des § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO a. F. Es ist davon auszugehen, dass die Drei-Monats-Frist der Regelfall sein wird, zumal in komplexeren Verfahren schon drei Monate zur Erstellung eines Insolvenzplans knapp bemessen sind. Das Gericht kann selbstverständlich eine kürzere Frist bestimmen, so dass es aus Sicht des Schuldners grundsätzlich ratsam ist, Vorbereitungen zur Erstellung eines Insolvenzplans parallel zur Vorbereitung des Eigenantrags gemäß § 270d InsO zu treffen, um unabhängig von etwaigen Rechtsmitteln genügend zeitliche Reserven für „Unvorhergesehenes“ zu haben. 120 Die Erstellung des Insolvenzplans bzw. die hierdurch verursachten Kosten stellen Maßnahmen des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs im Schutzschirmverfahren dar, dürfen vom schuldnerischen Unternehmen beauftragt bzw. bezahlt werden94) und auch ohne Zustimmung des Sachwalters getätigt werden.95) 121 Auch ist vorstellbar, dass das Gericht zunächst eine kürzere Frist bestimmt und eine etwaige Verlängerung von den Fortschritten bei den Verhandlungen mit den Gläubigern/bei der Erstellung des Insolvenzplans abhängig macht. Das Insolvenzgericht dürfte den vorläufigen Sachwalter regelmäßig als Sachverständigen zumindest hinsichtlich der Eröffnungsvoraussetzungen bestellen, der sein Gutachten zusammen mit den Fristigkeiten des vom Schuldner vorzulegenden Insolvenzplans einreichen wird.96) 2.

Vorläufiger Sachwalter

2.1

Person des vorläufigen Sachwalters

122 Gemäß § 270d Abs. 2 Satz 1 InsO muss der vom Gericht zu bestellende (mitgebrachte) vorläufige Sachwalter personenverschieden von dem Aussteller der Bescheinigung nach § 270d Abs. 1 Satz 1 InsO sein. Darüber hinaus darf der Sachwalter entsprechend § 45 Abs. 3 BRAO in keiner denkbaren (losen) Form mit dem Bescheiniger beruflich verbunden sein. 123 Mit diesem Regulativ soll eine mögliche Verquickung der Interessen des Bescheinigers und des vorläufigen Sachwalters wenn nicht verhindert, so doch deutlich erschwert werden. Es ist davon auszugehen, dass die Insolvenzgerichte auch den Zusammenschluss von Beschei___________ 94) Vgl. hierzu ausführlich Hölzle, ZIP 2012, 855, 860; Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, S. 203 f.; Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 205 unter L. I. 2. 95) Nerlich in: MünchAHB Sanierung und Insolvenz, § 24 Rz. 184; Desch, BB 2011, 841, 842. 96) A. Schmidt/Linker, ZIP 2012, 963, 964. A. A. Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, S. 254 ff., der die Bestellung eines personenverschiedenen Sachverständigen gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 InsO mit Kontrollfunktionen befürwortet.

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Schutzschirmverfahren

niger und vorläufigem Sachwalter zur gemeinsamen Berufsausübung in jedweder Form nicht akzeptieren, sondern Wert darauf legen, dass Bescheiniger und vorläufiger Sachwalter in jeder Hinsicht voneinander (auch wirtschaftlich) unabhängige Personen sind. Die Unabhängigkeit (siehe hierzu auch Rz. 132, 137 ff.) des Sachwalters als des Wahrers 124 der Interessen der Gläubigergesamtheit hat umso größere Bedeutung, wenn der Schuldner „seinen“ Sachwalter auswählen kann. Allein dieses Recht des Schuldners zur Auswahl ist geeignet, das Vertrauen der Gesamtgläubigerschaft in die Unabhängigkeit des vorläufigen Sachwalters zu erschüttern. Der Gefährdung der Glaubwürdigkeit des vorläufigen Sachwalters und damit des gesamten Schutzschirmverfahrens wird man in der Praxis regelmäßig dadurch begegnen können, dass als „mitgebrachter“ vorläufiger Sachwalter ein bei einem Insolvenzgericht gelisteter und regelmäßig bestellter Unternehmensinsolvenzverwalter ausgewählt wird.97) Es ist davon auszugehen, dass die Insolvenzgerichte nur tätige und nachweisbar über einen 125 nennenswerten Erfahrungsschatz bei Unternehmensinsolvenzen/Betriebsfortführungen verfügende Unternehmensinsolvenzverwalter als vorläufige Sachwalter bestellen. Das ist auch sinnvoll, da es sich auch beim Schutzschirmverfahren formal um ein Insolvenz(antrags)verfahren handelt, das umfassende verfahrensrechtliche sowie insolvenzspezifische Kenntnisse verlangt, über die regelmäßig nur ein erfahrener Unternehmensinsolvenzverwalter verfügt. Die Akzeptanz des Insolvenzgerichts dürfte bei einem dort gelisteten Unternehmensin- 126 solvenzverwalter sicherlich am höchsten sein, so dass ein gut beratener Schuldner zunächst in diesem Kreis der Insolvenzverwalter Ausschau halten sollte. Im Rahmen der gesetzlichen Regelung steht nur dem Schuldner ein Vorschlagsrecht im 127 Hinblick auf die Person des vorläufigen Sachwalters zu. Das Gericht kann gemäß § 270d Abs. 2 Satz 3 InsO vom Vorschlag des Schuldners lediglich dann abweichen, wenn die vorgeschlagene Person offensichtlich nicht für die Übernahme des Amtes geeignet ist. Bestehen also nur geringe Zweifel, genügt es regelmäßig nicht, den Vorschlag abzulehnen. Von einer offensichtlichen Ungeeignetheit kann hingegen ausgegangen werden, wenn insbesondere die Unabhängigkeit der vorgeschlagenen Person nicht gewährleistet ist.98) Das AG Stendal sieht einen solchen Fall als gegeben, wenn zwischen dem sanierungsberatenen Geschäftsführer und der vorgeschlagenen Person eine umfangreiche frühere Geschäftsverbindung bestand.99) Ist dies der Fall, kann das Gericht selbst den vorläufigen Sachwalter auswählen, muss dies 128 aber begründen, § 270d Abs. 2 Satz 3 InsO. In der Praxis entsteht im Hinblick auf die insofern reduzierte Gläubigermitbestimmung ein erhebliches Spannungsfeld. Regelmäßig wollen die Gläubiger möglichst frühzeitig in das Verfahren der Sanierung involviert werden. Vor der Eröffnung des Insolvenzplanverfahrens stehen einem vorläufigen Gläubigerausschuss jedoch keine Rechte gemäß § 56a InsO zu. Diese – wohl vom Gesetzgeber gewollte – Lösung erscheint trotz einer in der Literatur auch vertretenen a. A.100) sachgerecht. Vor allem ist an dieser Stelle der gesetzgeberisch angestrebte Zweck des Schutzschirmverfahrens zu berücksichtigen: Der Schuldner sollte gestärkt werden und ihm sollte die Sorge genommen werden, mit dem Eröffnungsantrag die Kontrolle über sein Unternehmen zu verlieren. Anders als in einem Regelinsolvenzverfahren soll dem Schuldner ___________ 97) 98) 99) 100)

So auch Hölzle/Pink, ZIP 2011, 360, 364; Frind, ZInsO 2014, 119, 131. Vallender, DB 2015, 231, 237. AG Stendal v. 31.8.2012 – 7 IN 164/12, ZIP 2012, 1875, dazu EWiR 2012, 705 (Schulte-Kaubrügger). Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56a Rz. 6 f.; Rendels, INDat Report 8/2011, S. 44, 47; Frind, ZInsO 2011, 656, 661.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

in diesem Stadium der Vorbereitung der Sanierung mittels insolvenzrechtlicher Normen seine unternehmerische Freiheit nicht entzogen werden. Dies wurde u. a. im Hinblick auf die Regelung des § 270b Abs. 3 InsO a. F. deutlich. 129 Laut Begründung des Gesetzgebers soll der Schuldner die Sicherheit erhalten, die Sanierung mit einer für ihn vertrauenswürdigen Person vorbereiten zu können. Der Schuldner begibt sich bereits bei nur drohender Zahlungsunfähigkeit unter das Regime des Insolvenzrechtes. Dieses freiwillige Vertrauen würde konterkariert, wenn man einem vorläufigen Gläubigerausschuss die Möglichkeit eröffnete, sich mit dem eigenen vorläufigen Sachwalter durchzusetzen. Aktuelle Beispiele aus der Praxis zeigen, dass selbst eine gesetzlich vorgesehene Mitwirkung der Gläubiger im Stadium der Bestimmung eines endgültigen Sachwalters u. U. bedenklich sein kann. In diesem Zusammenhang ist nochmals der optionale Charakter des Schutzschirmverfahrens von Bedeutung. Die Aussicht auf einen „fremden“ Sachwalter würde die Bereitschaft des Schuldners, freiwillig einen Antrag auf Eröffnung des Schutzschirmverfahrens zu stellen, erheblich einschränken, was auch den Interessen der Gläubiger nicht entspricht. Berücksichtigt man den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Norm des § 56a InsO, scheint ihr Wortlaut, welcher die Erwähnung eines Sachwalters vermeidet, deutlich gegen eine entsprechende Anwendung auf das Verfahren des § 270b InsO a. F. zu sprechen. 130 Aus praktischer Sicht ist dem Schuldner aber dringend anzuraten – um eine Sanierung i. R. der Eigenverwaltung auch und insbesondere über das Eröffnungsverfahren hinaus zu ermöglichen –, sich trotz seines gesetzlichen Vorschlagsrechts bereits im Vorfeld um eine Einigung mit den wichtigsten Gläubigern zu bemühen, um die späteren Sanierungsmöglichkeiten nicht zu erschweren. Auch hier sollten somit die Sanierung des Unternehmens und die vertrauensvolle Zusammenarbeit aller handelnden Personen im Vordergrund stehen. 2.2

Abweichung vom Vorschlag des Schuldners

131 Das Gericht kann gemäß § 270d Abs. 2 Satz 3 InsO vom Vorschlag des Schuldners nur abweichen, wenn es die vorgeschlagene Person für offensichtlich ungeeignet hält. Die Regelung des § 270d Abs. 2 Satz 3 InsO entspricht dem bisherigen § 270b Abs. 2 Satz 2 InsO a. F. Mit dieser Regelung will der Gesetzgeber nachvollziehbar und richtigerweise erreichen, dass grundsätzlich die vertrauenswürdige, gleichzeitig aber auch unabhängige Person zum vorläufigen Sachwalter bestellt wird, mit der der Schuldner die Sanierung i. R. des Schutzschirmverfahrens vorbereiten und dann später im Insolvenzplanverfahren in Eigenverwaltung umsetzen möchte.101) 132 Dieser Spagat von Unabhängigkeit und Vertrauenswürdigkeit ist zwar schwierig zu bewerkstelligen,102) aber machbar. Die Unabhängigkeit des vorläufigen Sachwalters dürfte immer dann zu verneinen sein, wenn über eine allgemeine und idealerweise abstrakte, nicht am konkreten Fall orientierte, erstmalige und einmalige Vorberatung hinaus eine längerfristige Vorberatung stattgefunden hat. 133 Eine offensichtliche Ungeeignetheit dürfte immer dann vorliegen, wenn die vorgeschlagene Person nicht in Insolvenzsachen erfahren, d. h. nicht langjährig und schwerpunktmäßig als Unternehmensinsolvenzverwalter tätig ist. 134 Fraglich ist, ob über die Verweisungskette § 274 Abs. 1, §§ 56, 56a InsO auch § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO generell zur Anwendung kommt.103) Dann wäre der vorläufige Sachwalter aus ___________ 101) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 40; Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 53 unter C. II., Rz. 194. 102) A. A. Hofmann, NZI 2010, 798, 803. 103) Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. ESUG z. § 270b Abs. 2 InsO, BT-Drucks. 17/7511, S. 50; dafür Frind, ZInsO 2014, 119, 130.

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§5

Schutzschirmverfahren

dem Kreis aller zur Übernahme von Insolvenzverwaltungen bereiten Personen auszuwählen. Dafür spricht, dass auch das Schutzschirmverfahren ein (vorläufiges) Insolvenzverfahren 135 ist, welches potenziell in ein „normales“ Regelinsolvenzverfahren übergeht, sei es durch Aufhebung des Schutzschirms gemäß § 270e InsO oder nach Eröffnung des Insolvenz(plan)verfahrens. Ein gelisteter und regelmäßig bestellter Unternehmens-Insolvenzverwalter dürfte theoretisch und praktisch das umfänglichste Wissen und die höchste Qualifikation für das Amt des (vorläufigen) Sachwalters besitzen. Andererseits soll mit dem Vorschlagsrecht des Schuldners dessen Wunsch nach Planbarkeit des Verfahrens mit einer ihm bereits bekannten und vertrauten Person als vorläufigem Sachwalter ermöglicht werden. Bei Abwägung dieser beiden Ausgangspunkte erscheint es vertretbar, über die o. g. Ver- 136 weisungskette § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO als lex specialis zu § 270b Abs. 2 Satz 2 InsO a. F. bzw. zu § 270d Abs. 2 Satz 3 InsO anzusehen.104) Allerdings darf der Schuldner nicht auf die beim jeweils zuständigen Insolvenzgericht gelisteten und bestellten Insolvenzverwalter beschränkt sein. Vielmehr müssen grundsätzlich auch bei anderen Insolvenzgerichten gelistete Insolvenzverwalter vorgeschlagen werden dürfen.105) Die Akzeptanz dürfte natürlich bei Vorschlag eines örtlichen, dem Insolvenzgericht „wohlbekannten“ Insolvenzverwalters als vorläufigen Sachwalter am höchsten sein. Auch die fehlende Unabhängigkeit führt zu einer offensichtlichen Ungeeignetheit.

137

Bei einem „mitgebrachten“ vorläufigen Sachwalter ergibt sie sich aber nicht schon aus dessen 138 gemäß § 56 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 InsO nunmehr möglicher Vorbefassung. § 56 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 InsO kommt über folgende Verweisungskette zur Anwendung, § 270d Abs. 2, § 270b Abs. 1, § 274 Abs. 1, §§ 56, 56a InsO.106) Diese Verweisungskette wurde vom Gesetzgeber ausdrücklich so verwendet.107) Hiernach darf der vorläufige Sachwalter den Schuldner vor Insolvenzantragstellung in allgemeiner Form über den Ablauf eines Insolvenzverfahrens und dessen Folgen beraten haben. Diese Formulierung im Gesetz ist in hohem Maße auslegungsfähig und damit in gleichem Maße auslegungsbedürftig. Beratung, zumal die entgeltliche, hat immer den Zweck des Erkenntnisgewinns für den 139 Beratenen. Sofern der spätere vorläufige Sachwalter in allgemeiner Form den Ablauf eines Schutzschirmverfahrens in Eigenverwaltung und eines sich anschließenden Insolvenzplanverfahrens und dessen allgemeine Folgen erläutert, ist hiergegen wenig einzuwenden. Dies umso mehr, als der „mitgebrachte“ vorläufige Sachwalter ja gerade auch das Vertrauen des Schuldners genießen soll. Dieses lässt sich trotz oder gerade wegen aller moderner Kommunikationstechnik nicht virtuell, sondern nur über eine persönliche Begegnung herstellen. Idealerweise findet diese persönliche Begegnung im Vorfeld unentgeltlich statt. Jeder potenzielle vorläufige Sachwalter dürfte diesen Zeitaufwand problemlos unter Akquisitionskosten verbuchen können und wollen. Hochproblematisch ist eine Beratung über die Folgen des konkreten Insolvenzverfahrens. 140 Hierbei werden regelmäßig auch Gesellschafterfinanzierungsverhältnisse Gegenstand sein, aus denen für den Berater und späteren vorläufigen Sachwalter bzw. Sachwalter verschiedene, teils strafbewehrte Interessenkonflikte resultieren. So ist er z. B. gemäß § 203 StGB gehindert, seine Kenntnisse aus der allgemeinen Beratung vor Antragstellung zu verwenden, wenn diese sich aus den im Unternehmen vorhandenen Daten nicht ohne weiteres ___________ 104) 105) 106) 107)

A. A. Rendels, INDat Report 8/2011, S. 44, 46. Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, S. 252. Frind, ZInsO 2011, 656, 661. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 39.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

ergeben.108) Es ist davon auszugehen, dass das Thema Anfechtung bzw. die damit zusammenhängenden Fristen regelmäßig Gegenstand einer solchen Beratung sind. Durch diese nahezu als Automatismus einer vorinsolvenzlichen Beratung auftretenden Interessenkonflikte werden die auch und gerade für einen „mitgebrachten“ vorläufigen Sachwalter so wichtige Unabhängigkeit sowie dessen Glaubwürdigkeit irreparabel beschädigt.109) 141 Offensichtlich ungeeignet sind nach der o. g. Verweisungskette jedenfalls wohl unstreitig die schon im Vorfeld längerfristig bzw. zeitintensiv tätigen Rechtsberater oder auch die betriebswirtschaftlichen Berater, selbst wenn sie insolvenzerfahren sind.110) Es bleibt Aufgabe aller Verfahrensbeteiligten, das so wichtige Schutzschirmverfahren nicht durch Zweifel an der Unabhängigkeit des vorläufigen Sachwalters, zumal er ja vom Schuldner „mitgebracht“ wird, in seiner notwendigen, breiten Akzeptanz bei allen Gläubigern, Kunden und Lieferanten ernsthaft zu beschädigen. 142 Es ist davon auszugehen, dass die Insolvenzgerichte immer dann von dem Vorschlag des Schuldners abweichen, wenn der vorgeschlagene Sachwalter nicht nachgewiesenermaßen über langjährige Erfahrung in der Insolvenzverwaltung verfügt, zumal beim Scheitern des Schutzschirmverfahrens gemäß § 270d Abs. 4 InsO das Regelinsolvenzverfahren zur Anwendung kommt und der (vorläufige) Sachwalter zum (vorläufigen) Insolvenzverwalter bestellt werden dürfte, um kosten- und verfahrensökonomisch das schuldnerische Vermögen zu schonen. Die auch mögliche Aufrechterhaltung der (vorläufigen) Eigenverwaltung gemäß § 270b InsO111) dürfte bei einem Scheitern des Schutzschirmverfahrens gemäß § 270d Abs. 4 InsO die Ausnahme darstellen. 143 Die Abweichung vom Vorschlag des Schuldners hinsichtlich der Person des vorläufigen Sachwalters ist vom Gericht zu begründen. Die Begründung soll nach der Intention des Gesetzgebers den Gläubigern nach Verfahrenseröffnung als Entscheidungsgrundlage für eine etwaige Neuwahl eines anderen Sachwalters dienen.112) Ein Rechtsmittel gegen die Bestellung des vorläufigen Sachwalters durch das Insolvenzgericht sieht das Gesetz hingegen nicht vor. Auch dann nicht, wenn das Insolvenzgericht vom Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses abweicht.113) 144 Dies eröffnet den Gläubigern die Möglichkeit, nach Eröffnung des Verfahrens, aber auch erst dann,114) gemäß § 274 i. V. m. § 57 InsO die Abwahl des gerichtlich bestellten Sachwalters und die Neuwahl des vorgeschlagenen Sachwalters zu betreiben. 2.3

Antragsgemäße Bestellung

145 Sofern die vom Schuldner vorgeschlagene Person nicht offensichtlich für die Übernahme des Amtes als vorläufiger Sachwalter ungeeignet ist, wird das Gericht die vorgeschlagene Person entsprechend bestellen. Dies dürfte regelmäßig bei bereits langjährig bestellten Insolvenzverwaltern der Fall sein. ___________ 108) Hölzle/Pink, ZIP 2011, 360, 365; Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 514; Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, S. 80. 109) Frind, ZInsO 2011, 373, 380, der sich u. a. auch gegen eine allgemeine Beratung ausspricht; Vallender, NZI 2010, 838, 843. 110) Mit überzeugender Begr. Rendels, INDat Report 8/2011, S. 44, 45 f.; Frind, ZInsO 2014, 119, 130. 111) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 41. 112) Begr. RegE ESUG, BR-Drucks. 127/11, S. 62; Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 173 unter H. V. 2., Rz. 688. 113) Begr. RegE ESUG, BR-Drucks. 127/11, S. 39; AG Hamburg v. 2.7.2013 – 67e IN 108/13, ZInsO 2013, 1533; Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 688 unter H. V. 2. 114) A. A. Hirte/Knof/Mock, DB 2011, 693, 696, wonach auch bei § 270b InsO a. F. eine Gläubigerbeteiligung bei der Bestellung des vorläufigen Sachwalters zuzulassen ist.

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Schutzschirmverfahren

Auch überregional tätige Verwalter dürften bei ortsnaher Infrastruktur in Form von 146 (schon bestehenden!) mit eigenem Personal ausgestatteten Büros bei den Insolvenzgerichten auf wenig Widerstand stoßen. Die Akzeptanz des Insolvenzgerichts dürfte auf jeden Fall weiter erhöht werden, wenn der vorgeschlagene vorläufige Sachwalter die Unterstützung der Gläubiger oder besser – des sich bereits abzeichnenden vorläufigen Gläubigerausschusses – dem Insolvenzgericht nachvollziehbar darlegen kann.115) Grundsätzlich steht das Vorschlagsrecht aber dem Schuldner zu.116) 2.4

Kompetenzen des vorläufigen Sachwalters

Die Einsetzung des vorläufigen Sachwalters ist im Falle der Anordnung der Eigenverwal- 147 tung mit Schutzschirmverfahren zwingend vorgeschrieben. Daraus ergeben sich auch dessen Kompetenzen, die sich wohl am besten mit dem Begriff eines „Schiedsrichters“ umschreiben lassen (siehe hierzu auch Rz. 214 ff.).117) Der vorläufige Sachwalter fungiert im Auftrag des Insolvenzgerichts als eine Art erweiterte 148 insolvenzgerichtliche Kontrolle bzw. als ein „insolvenzgerichtliches“ Kontrollorgan.118) Diese Kontrollfunktion hat der vorläufige Sachwalter im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger auszuüben. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber die Funktion des Sachwalters an dem Rechtsbegriff der Gläubigerbenachteiligung ausgestaltet. Das heißt, die Kompetenz des vorläufigen Sachwalters beschränkt sich i. R. des Schutzschirmverfahrens im Wesentlichen auf die Überwachung des eigenverwaltenden Schuldners – also insbesondere auf die Kontrolle der Geschäftsführung des Schuldners –, damit die Eigenverwaltung nicht zu Nachteilen für die Gläubiger führt. Hierfür ist auch notwendig, dass der vorläufige Sachwalter mit dem eingesetzten vorläufigen Gläubigerausschuss zusammenarbeitet. Neben den verfahrensimmanenten Kompetenzen i. S. der eben beschriebenen erweiterten 149 insolvenzgerichtlichen Kontrolle obliegt dem Sachwalter zudem die Geltendmachung insolvenztypischer Ansprüche – freilich im eröffneten Eigenverwaltungsverfahren –, wie z. B. von Insolvenzanfechtungsansprüchen bzw. Ansprüchen i. R. der §§ 92, 93 InsO. Der Gesetzgeber versteht den vorläufigen Sachwalter in diesem Sinne als eine Art Binde- 150 glied zwischen den Interessen des Schuldners und denjenigen der Gesamtheit der Gläubiger.119) Begründet wird dies damit, dass der Schuldner, der sich i. R. eines Verfahrens nach § 270d InsO sozusagen freiwillig und vor Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit einem insolvenzrechtlichen Regelungsregime unterwirft, im Gegenzug (in der Art von Vorschusslorbeeren)120) das Recht behält, auch weiterhin maßgeblichen Einfluss auszuüben. Um jedoch auch den insolvenzrechtlichen und insbesondere den Gläubigerinteressen Rechnung zu tragen, wird ihm sodann der Sachwalter als Aufsichts- und Überwachungsorgan zur Seite gestellt. Zur Ausübung der ihm obliegenden Kontrollfunktion und -verpflichtung ist der Sachwalter 151 zudem mit besonderen Kompetenzen ausgestattet, die er in eigenem Ermessen ausüben kann. Die Ausübung und dann folgende Ausgestaltung wird immer eine Frage des jeweiligen Verfahrens sein und sich an der Größe des Geschäftsbetriebs, der Arbeitnehmerzahl und ähnlichen Kennzahlen orientieren. Hinsichtlich der Einzelheiten der möglichen Kompetenzen des vorläufigen Sachwalters siehe Hofmann, HRI II, § 4 Rz. 60 ff. ___________ 115) 116) 117) 118) 119) 120)

Richter/Pernegger, BB 2011, 876, 879. Krit. Hofmann, NZI 2010, 798, 804; Frind, NZI 2010, 705, 707. Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 112 unter E. VI. 2., Rz. 425. Berner/Köster/Lambrecht, NZI 2018, 425. Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 112 unter E. VI. 2., Rz. 426. Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 112 unter E. VI. 2., Rz. 426.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

152 In diesem Zusammenhang wird oftmals als schärfstes Schwert des Sachwalters gegenüber dem Schuldner die sog. Kassenführungsbefugnis bzw. deren An-Sich-Ziehen gemäß § 275 Abs. 2 InsO beschrieben. In der Praxis ist tatsächlich die Führung der Kasse ein probates – wenn nicht sogar das einzige wirkliche – Mittel zur tatsächlichen Kontrolle des Schuldners. 153 Gemäß § 275 InsO obliegt es allein dem vorläufigen Sachwalter, die Kassenführungsbefugnis an sich zu ziehen oder diese beim Schuldner zu belassen.121) Der vorläufige Sachwalter kann demnach die Konto- und Kassenführung durch einfache Erklärung gegenüber dem Schuldner an sich ziehen. Dieses Recht gibt ihm zwar nicht die Möglichkeit, einzelne Zahlungen zu verweigern oder selbstständig vorzunehmen, sondern ermöglicht ihm lediglich eine besonders effektive Kontrolle des Schuldners, da mit Übernahme der Kontound Kassenführung grundsätzlich sämtliche Geldeingänge wie auch Geldausgänge über die hierfür eingerichteten Anderkonten laufen. 154 Dabei fungiert der vorläufige Sachwalter als gesetzlicher Vertreter des Schuldners.122) Damit wird der vorläufige Sachwalter in die Lage versetzt, seine Kontrollbefugnisse effektiv auszuüben. Zwar kann er – wenn der Schuldner ihm eine entsprechende Zahlungsanweisung gibt – eine Auszahlung nicht verweigern, allerdings hat die Praxis gezeigt, dass jede Zahlungsaufforderung des Schuldners an den Sachwalter in der Regel begründet ist und der vorläufige Sachwalter bei jeder Zahlung als insolvenzrechtlich versierte Person diese auch einschätzen kann und wird und insofern auch den Schuldner ggf. auf bestimmte insolvenzrechtliche Problematiken hinweisen wird. Auf diese Weise kann der vorläufige Sachwalter recht effektiv mitbestimmen, welche Gläubiger Zahlungen erhalten und welche nicht.123) 155 Allerdings wirken Konto- und Kassenführungsbefugnis nur intern im Verhältnis zwischen vorläufigem Sachwalter und Schuldner, so dass der vorläufige Sachwalter weder eine Zahlung im Ergebnis verweigern, noch verhindern kann, dass der Schuldner – der im Eigenverwaltungsverfahren ja weiterhin die volle Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis besitzt – selber zahlt oder auch schuldbefreiend Zahlungen entgegennimmt.124) In Fällen, in denen es zu Zahlungen kommt, in denen der vorläufige Sachwalter einen Verstoß gegen Normen des Insolvenzrechts sieht bzw. Nachteile für die Gesamtheit der Gläubiger erkennt, bleibt ihm nur die Möglichkeit bzw. Pflicht, diesen „Verstoß“ unverzüglich dem Insolvenzgericht anzuzeigen. In diesen Fällen wird das Insolvenzgericht zunächst prüfen, ob dieser Verstoß des Schuldners zu so schwerwiegenden Nachteilen für die Gläubiger führt, dass die Anordnung der Eigenverwaltung sodann von Amts wegen aufzuheben ist. Diesen Schritt wird der Schuldner – schon aus eigenem Interesse – vermeiden wollen, um weiterhin „sein Unternehmen“ in Eigenverwaltung restrukturieren zu können. Insofern wird der Schuldner bei Einwänden des vorläufigen Sachwalters Zahlungen entweder zurückstellen, neu bewerten oder gemeinsam mit dem vorläufigen Sachwalter insolvenzrechtskonforme Lösungen entwickeln. 156 Die Initiative zur Kassenführung durch den (vorläufigen) Sachwalter kann auch vom Schuldner oder Gläubigerausschuss kommen, um damit gegenüber den Lieferanten, Kunden und Banken notwendiges Vertrauen aufzubauen, ohne freilich einen Anspruch darauf zu haben. 157 In der Praxis hat sich das „Wirtschaftskonten-Modell“ bewährt, welches die Auszahlungen an Lieferanten dem im Schutzschirmverfahren befindlichen Unternehmen überlässt. Der ___________ 121) 122) 123) 124)

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Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 275 Rz. 7; Berner in: Pape/Uhländer, InsR, § 275 InsO Rz. 7. Vgl. Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, Rz. 352 ff., 347 ff. Fiebig in: HambKomm-InsO, § 275 Rz. 12. Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 117 unter E. VI. 2. d) cc), Rz. 443.

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§5

Schutzschirmverfahren

Sachwalter vereinnahmt hierbei sämtliche Zahlungen der Kunden bzw. Auftraggeber des Unternehmens auf ein zu diesem Zwecke eingerichtetes Treuhandkonto. Hiernach ruft das Unternehmen in einem bestimmten Turnus (in der Regel wöchentlich) Liquidität vom Sachwalter auf sog. Wirtschaftskonten ab, von denen dann die fälligen Verbindlichkeiten gegenüber Lieferanten aus der Betriebsfortführung nach Antragstellung beglichen werden. Diese Liquiditätsabrufe werden vom Unternehmen idealerweise mit prüffähigen Unterlagen eines unabhängigen externen Controllers unterlegt. Anhand von Stichproben einzelner Zahlungsvorgänge überprüft der vorläufige Sachwalter dann die Korrektheit der Angaben. Vorteil dieses Models ist die Belassung des Zahlungsausgangsverkehrs im Unternehmen, so dass trotz Übernahme der Konten- und Kassenführungsbefugnis ein schneller und reibungsloser Zahlungsfluss an die Lieferanten gewährleistet wird. Der Gesetzgeber hat i. R. der Eigenverwaltung dem Schuldner jedenfalls im Innenverhält- 158 nis eine weitere Beschränkung auferlegt. So bedarf der Schuldner (im Innenverhältnis) bei der Eingehung von Verbindlichkeiten, die nicht zu seinem gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, der vorherigen Zustimmung des (vorläufigen) Sachwalters. In der Praxis wird dies dergestalt vollzogen, dass der Schuldner entsprechende, begründete Entscheidungsvorlagen an den vorläufigen Sachwalter richtet, die dieser sorgfältig prüft und ggf. mit seiner Zustimmung versieht. Die Anforderungen an die Entscheidungsvorlagen sind stark vom einzelnen Verfahren abhängig. Sind in der schuldnerischen Geschäftsführung Sanierungsgeschäftsführer tätig, die über Fachwissen im Bereich des Insolvenzrechts verfügen bzw. selbst Berufsträger sind, so wird man auch entsprechende juristische und insolvenzrechtliche Anforderungen an den Inhalt der entsprechenden Entscheidungsvorlagen stellen müssen. Insbesondere bei kleineren Unternehmen, in denen die ursprüngliche – nicht juristisch vorgebildete – (kaufmännische) Geschäftsführung weiterhin im Amt ist, wird regelmäßig der vorläufige Sachwalter die spezifische juristische, insbesondere insolvenzrechtliche Prüfung des Sachverhalts vornehmen müssen. In diesen Fällen muss der Schuldner nur dafür Sorge tragen, dass die Entscheidungsvorlage den zugrunde liegenden Sachverhalt vollständig und richtig wiedergibt und dass sämtliche relevanten Unterlagen, wie Verträge, AGBs u. Ä., beiliegen, so dass eine unverzügliche Prüfung durch die Sachwaltung möglich ist (siehe hierzu auch Rz. 214 ff.). Das Gegenstück zu den zustimmungspflichtigen Rechtsgeschäften ist gemäß § 275 Abs. 1 159 Satz 2 InsO der mögliche Widerspruch des vorläufigen Sachwalters gegen die Eingehung von Verbindlichkeiten des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs. In der Praxis wird dies nur erfolgen, wenn mit einzelnen Rechtsgeschäften offensichtlich Nachteile für das Verfahren und die Gesamtheit der Gläubiger verbunden sind. Dies wird in der Regel der Fall sein, wenn die Eingehung dieser Verbindlichkeiten zu Verlusten oder jedenfalls zu erheblichen Risiken für die künftige Insolvenzmasse führen würde, ohne dass diesem Risiko ein adäquater Vorteil für die Masse gegenüberstünde.125) Die Abgrenzung von Rechtsgeschäften des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs und solchen, 160 die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, ist fließend und wird von Verfahren zu Verfahren neu zu bestimmen sein. Abgrenzungskriterien sind die Art und der Umfang des bisherigen Geschäftsbetriebs des Schuldners. Die Praxis zeigt jedoch, dass Schuldner auch bei Rechtsgeschäften, die eindeutig in den 161 Bereich des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs fallen, die Zustimmung des vorläufigen Sachwalters einfordern. Dies ist sinnvoll und gerade gegenüber dritten Vertragspartnern als zusätzliche vertrauensbildende Maßnahme positiv zu bewerten. Denn auch wenn die Zustimmung des vorläufigen Sachwalters bei diesen Rechtsgeschäften keine Rechtsfolge ___________ 125) Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 117 unter E. VI. 2. d) dd), Rz. 444.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

auslöst und nicht notwendig ist, wird regelmäßig der Dritte allein durch die Mitwirkung des objektiven, vom Gericht eingesetzten Sachwalters mehr Vertrauen in die Sanierung des Schuldners durch ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung setzen. Der vorläufige Sachwalter hat nur darauf zu achten, dass dies nicht dazu führt, dass ihm tatsächlich jedes Rechtsgeschäft zur Zustimmung vorgelegt wird, denn dann würde er sich eher in der Rolle eines vorläufigen Insolvenzverwalters wiederfinden. Diese Rolle ist aber bewusst nicht mit der des vorläufigen Sachwalters vergleichbar. Mithin ist eine regelmäßige und gute Kommunikation sowie enge Abstimmung zwischen schuldnerischer Geschäftsführung und vorläufiger Sachwaltung anzustreben. 162 Im Außenverhältnis hat eine fehlende Zustimmung wie auch der Widerspruch des vorläufigen Sachwalters gemäß § 275 Abs. 1 Satz 2 InsO – mit Ausnahme der Grenzen des § 138 BGB – aber keinen Einfluss auf die Rechtswirksamkeit des Rechtsgeschäfts.126) Dies ist u. a. Charakter der Eigenverwaltung, die dem Schuldner ja gerade die gesamte Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis belässt und ihm den vorläufigen Sachwalter „nur“ als Kontrollorgan und erweiterte insolvenzgerichtliche Kontrolle zur Seite stellt. 163 Gemäß § 276a InsO hat der Sachwalter bei der Ab- bzw. Neubestellung von Geschäftsführern durch die Gesellschafter den Beschlüssen (als Wirksamkeitsvoraussetzung) zuzustimmen, wenn darin keine Nachteile für die Gesamtheit der Gläubiger zu erkennen sind. Es ist jedoch umstritten, ob § 276a InsO auch in der vorläufigen Eigenverwaltung anwendbar ist. Nach wohl zutreffender Meinung findet § 276a InsO, der von der Verweisung in § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO ausdrücklich ausgenommen ist, im Eröffnungsverfahren keine Anwendung,127) insofern erstreckt sich die Kompetenz des vorläufigen Sachwalters auch nicht auf die Befugnisse gemäß § 276a InsO. Eine Mitwirkung des Sachwalters bei der wirksamen Ab- und/oder Neubestellung von Mitgliedern der schuldnerischen Geschäftsführung durch die Gesellschafterversammlung ist weder möglich noch notwendig. 164 Last but not least hat auch schon der vorläufige Sachwalter – wie dies auch regelmäßig der vorläufige Insolvenzverwalter tut – sämtliche Voraussetzungen zu schaffen, die er später im eröffneten Verfahren zur Durchsetzung der insolvenzspezifischen Ansprüche, allen voran der Durchsetzung von Insolvenzanfechtungsansprüchen, benötigt. So wird der vorläufige Sachwalter bereits im Eröffnungsverfahren in enger Abstimmung mit der Geschäftsführung des Schuldners dafür Sorge tragen, dass sämtliche Informationen und Unterlagen gesichert und/oder bei Dritten angefordert werden, so dass im eröffneten Verfahren die entsprechenden Voraussetzungen zur Durchsetzung der insolvenzspezifischen Ansprüche gegeben sind. 165 Mit darüberhinausgehenden Kompetenzen hat der Gesetzgeber den vorläufigen Sachwalter nicht ausgestattet. Insbesondere steht dem vorläufigen Sachwalter auch kein Planinitiativrecht zu.128) Denn ein Planinitiativrecht steht im Widerspruch zu dem Grundgedanken des Gesetzgebers, der ausdrücklich anstrebte, dass der Schuldner selbst eine Insolvenzplanlösung erarbeitet.129) Die Alternative würde den vorläufigen Sachwalter aus seiner objektiven Kontrollfunktion herausheben und ihn mehr in die Fortführung des schuldnerischen Geschäftsbetriebs einbinden. Dies wäre mit einer reinen Kontroll- und Aufsichtsfunktion bezüglich des selbstverwaltenden Schuldners kaum vereinbar. ___________ 126) Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 117 unter E. VI. 2. d) dd), Rz. 444. 127) Holzer in: KPB, InsO, § 276a Rz. 3; Desch, BB 2011, 841, 845; Zipperer, ZIP 2012, 1492, 1494; Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 118 unter E. VI. 2. d) ee). 128) Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 119 unter E. VI. 2. d) ff), Rz. 449; a. A.: Hölzle, ZIP 2012, 855, 858; Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, S. 204. 129) Begr. RegE ESUG, BR-Drucks. 127/11, S. 64; Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 119 unter E. VI. 2. d) ff), Rz. 449.

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§5

Schutzschirmverfahren 2.5

Haftung des vorläufigen Sachwalters

Auch wenn das Thema der Haftung des Sachwalters noch nicht gänzlich abschließend ge- 166 klärt sein mag, kann sich diese jedoch nur an den oben beschriebenen Kompetenzen und Verpflichtungen und jeweils ausgeübten Rechten orientieren. Da der Kompetenzbereich des vorläufigen Sachwalters im Vergleich zum (vorläufigen) Insolvenzverwalter eingeschränkt ist, ist trotz der Verweisung des § 274 Abs. 1 InsO auf § 60 InsO letzterer wohl nicht vollumfänglich anwendbar. Die persönliche Haftung wird sich grundsätzlich aus seinem (gesetzgeberisch gewollten) 167 Handeln bzw. der Tätigkeitsbeschreibung des Sachwalters ergeben und sich im Grunde daran festmachen lassen, ob er gemäß § 274 Abs. 3 InsO unverzüglich dem Insolvenzgericht und ggf. dem vorläufigen Gläubigerausschuss mitgeteilt hat, dass eine Fortsetzung der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führt. In diesem Zusammenhang wird auch zu überprüfen sein, ob der vorläufige Sachwalter seine Kompetenzen entsprechend genutzt hat und damit die Frage, ob durch die Eigenverwaltung des Schuldners Nachteile für die Gläubiger zu einem bestimmten Zeitpunkt eintreten, rechtzeitig hat beurteilen können. Will der vorläufige Sachwalter eine persönliche Haftung vermeiden, muss er sämtliche Kompetenzen tatsächlich auszuüben und im Zweifel auf die Führung der Konten und der Kasse bestehen, statt diese (weiterhin) dem Schuldner zu überlassen. Zum Teil wird in Ausnahmefällen auch eine Haftung nach §§ 61, 277 Abs. 1 Satz 3 InsO 168 angenommen, wenn der Sachwalter seine Zustimmung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten erteilt hat.130) Außerdem kann der Sachwalter auch nach den allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen haften, wenn er Lieferanten, Kunden oder Banken entsprechende Zahlungszusagen gemacht hat. Während der (vorläufige) Sachwalter grundsätzlich nicht nach § 69 AO haftet, da er we- 169 der Vertreter noch Vermögensverwalter i. S. des § 34 Abs. 3 AO ist, haftet er, wenn er die Kassenführung gemäß § 275 Abs. 2 InsO übernimmt. In diesem Fall ist er Vertreter des Schuldners nach § 35 AO.131) Gleiches muss dann auch für etwaige Mitwirkungs-, Buchführungs- und Steuererklärungspflichten im Besteuerungsverfahren (z. B. §§ 90 ff., 140 ff. AO, § 5b EStG, § 60 EStDV) gelten. Schließlich ist festzuhalten, dass sich aus dem Schutzschirmverfahren gegenüber einer „nor- 170 malen“ vorläufigen Eigenverwaltung bezüglich der Haftung des vorläufigen Sachwalters keine Unterschiede ergeben.132) Insofern siehe auch Hofmann, HRI II, § 4 Rz. 127 ff. 3.

Anordnung vorläufiger Maßnahmen auf Antrag des Schuldners (§§ 270d Abs. 3, 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO)

Gemäß § 270d Abs. 3 InsO kann der Schuldner den Erlass einer Vollstreckungssperre 171 nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 beantragen, die das Gericht dann zu erlassen hat, soweit nicht unbewegliche Gegenstände betroffen sind. Die bisher in § 270b Abs. 2 Satz 3 InsO a. F. explizit für das Schutzschirmverfahren geregelte Möglichkeit des Gerichts, vorläufige Sicherungsmaßnahmen nach § 21 Abs. 1 und 2 Nr. 1a, 3 bis 5 InsO anzuordnen, ist nunmehr in § 270c Abs. 3 Satz 1 InsO für das gesamte Eigenverwaltungsverfahren geregelt.133) Auf Antrag kann der Schuldner zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ermächtigt 172 werden. Diese Möglichkeit zur Ermächtigung war bisher in § 270b Abs. 3 Satz 1 InsO nur ___________ 130) 131) 132) 133)

Madaus, KTS 2015, 115, 129. Schmittmann/Dannemann, ZIP 2014, 1405, 1408. Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 211 unter L. II. 3., Rz. 863. Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 763.

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§5

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

explizit für das Schutzschirmverfahren normiert. Nun ist diese Möglichkeit in § 270c Abs. 4 Satz 1 InsO für das vorläufige Eigenverwaltungsverfahren im Allgemeinen und somit auch für das Schutzschirmverfahren im Speziellen geregelt (siehe Rz. 102 ff.). 4.

Veröffentlichung des Beschlusses

173 Fraglich ist, ob der Beschluss des Insolvenzgerichts gemäß § 270d Abs. 1 InsO veröffentlicht werden muss. Ausdrückliche Regelungen fehlen im Gesetz.134) 174 Die Frage der Bekanntmachung von Entscheidungen im Verfahren nach § 270d InsO ist nach wie vor umstritten. Einerseits muss man das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Schuldners berücksichtigen. Andererseits besteht die Gefahr eines unzulässigen Informationsvorsprungs einzelner Gläubiger. Es wird außerdem vertreten, dass für eine entsprechende Bekanntmachung i. R. des Schutzschirmverfahrens keine praktische Notwendigkeit bestehe, weil die amtliche Bekanntmachung des sich anschließenden Eröffnungsbeschlusses das Publizitätserfordernis hinreichend wahren sollte. Das AG Göttingen hat sich in diesem Zusammenhang dahingehend geäußert, dass eine Veröffentlichung im pflichtgemäßen Ermessen des Insolvenzgerichts stehe.135) Eine Pflicht zur Veröffentlichung lasse sich aus dem Gesetz nicht herleiten. Die Möglichkeit der Bekanntmachung bestehe jedoch außerhalb des § 23 InsO. Ein Absehen von der Veröffentlichung sei v. a. dann gerechtfertigt, wenn durch diese ein Vertrauensverlust der Kunden/Auftraggeber bewirkt und die Fortführungsmöglichkeit beeinträchtigt würde. Im gegebenen Fall hat das Insolvenzgericht sein Ermessen dahingehend ausgeübt, von einer Veröffentlichung der Anordnung des Schutzschirmverfahrens abzusehen. 175 Im Hinblick auf die Regierungsbegründung zum ESUG scheint diese richterliche Praxis und die in der Literatur vorherrschende Meinung etwas unstimmig zu sein. Die Regierungsbegründung scheint nämlich von einer Bekanntmachung wie selbstverständlich auszugehen, wenn sie davon spricht, dass die Gläubiger ihre Forderungen in Kenntnis drohender Zahlungsunfähigkeit fälligstellen könnten.136) Allerdings fehlen ausdrückliche Regelungen im Gesetz. Eine Klarstellung seitens des Gesetzgebers wäre insoweit wünschenswert. 176 § 23 InsO ist insoweit nicht einschlägig, da ja gerade im Schutzschirmverfahren keine Verfügungsbeschränkungen angeordnet werden.137) 177 Wie bei Maßnahmen nach § 21 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 1a, 3 bis 5 auch, steht die Veröffentlichung im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Da zumindest die Untersagung der Zwangsvollstreckung gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO regelmäßig angeordnet wird, ist auch regelmäßig bei Abwägung der widerstreitenden Interessen von einer Veröffentlichung auszugehen. V.

Rechtsmittel

1.

Gegen die Frist zur Vorlage des Insolvenzplans

178 Bestimmt das Gericht die Frist zur Vorlage des Insolvenzplans innerhalb der maximalen Frist von drei Monaten, scheinen Rechtsmittel hier nicht möglich, denn § 6 InsO lässt die sofortige Beschwerde nur in den Fällen zu, in denen dies im Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist. Dies ist vorliegend nicht der Fall, so dass ein Rechtsmittel gegen die vom Gericht festgelegte Frist zur Vorlage des Insolvenzplans nicht gegeben ist. ___________ 134) 135) 136) 137)

198

Willemsen/Rechel, BB 2011, 834, 837. AG Göttingen v. 12.11.2012 – 74 IN 160/12, ZIP 2012, 2360; Graf-Schlicker, ZInsO 2013, 1765, 1766. Begr. RegE ESUG, BR-Drucks. 127/11, S. 61 f. Desch, BB 2011, 841, 842; a. A. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 270b Rz. 29.

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§5

Schutzschirmverfahren 2.

Gegen die Person des bestellten vorläufigen Sachwalters

Ein Rechtsmittel gegen die Bestellung eines anderen als des vom Schuldner vorgeschlage- 179 nen Sachwalters besteht ebenso wenig wie gegen die antragsgemäße Bestellung des „mitgebrachten“ vorläufigen Sachwalters. Auch der vorläufige Gläubigerausschuss kann nicht entsprechend intervenieren, was dem Normzweck des § 270d InsO entspricht: Der Gesetzgeber will gerade den Schuldner zum Gang in das Insolvenzplanverfahren ermutigen, und dabei ist dessen Vorhersehbarkeit eine wesentliche Komponente, die wiederum maßgeblich von der Person des „mitgebrachten“ vorläufigen Sachwalters abhängt. 3.

Gegen die Anordnung vorläufiger Maßnahmen

Gegen die Anordnung der in § 270c Abs. 3 InsO aufgeführten Maßnahmen steht dem 180 Schuldner gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO die sofortige Beschwerde zu. Insbesondere eine vom Insolvenzgericht angeordnete vorläufige Postsperre gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 InsO ist regelmäßig mit der sofortigen Beschwerde angreifbar. Allerdings ist die Anordnung einer Postsperre nicht mit dem Wesen der Eigenverwaltung in Einklang zu bringen und würde diese konterkarieren. Erscheint die Maßnahme als notwendig, wird man regelmäßig auch darüber entscheiden, ob die Eigenverwaltung die richtige Verfahrensart ist. 4.

Gegen die Aufhebung des Schutzschirmverfahrens

Bisher war die Aufhebung des Schutzschirmverfahrens speziell in § 270b Abs. 4 InsO 181 a. F. geregelt. Nunmehr ist in § 270e InsO eine Norm geschaffen worden, die für die vorläufige Eigenverwaltung generell gilt und somit auch für das Schutzschirmverfahren. In § 270d Abs. 4 Satz 1 InsO ist lediglich zusätzlich geregelt, dass der Schuldner oder der vorläufige Sachwalter dem Gericht den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit unverzüglich anzuzeigen haben. § 270d Abs. 4 Satz 2 InsO bestimmt zudem, dass das Gericht nach Aufhebung der Anordnung nach Absatz 1 oder nach Ablauf der Frist über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens entscheidet. Der Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit im eröffneten Schutzschirmverfahren ist für sich genommen allerdings kein Grund, das Schutzschirmverfahren zu beenden. Das Gericht hat nach Anzeige zu prüfen, ob das Schutzschirmverfahren aufrechterhalten bleiben kann. VI.

Betriebsfortführung im Schutzschirmverfahren

An der Stelle des (vorläufigen) Insolvenzverwalters steht im Schutzschirmverfahren der 182 Eigenverwalter, bei dem auch die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis verbleibt. Ihm wird vom Gericht ein (vorläufiger) Sachwalter an die Seite gestellt (vgl. § 270b Abs. 1 InsO). Im Rahmen der Sanierung des Unternehmens ist die Notwendigkeit der Betriebsfortführung immanent und insbesondere auch im Schutzschirmverfahren unabweisbar.138) Sie unterscheidet sich von einer Betriebsfortführung in der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270b InsO lediglich durch den vom Insolvenzgericht auf Antrag des Schuldners gemäß § 270d Abs. 3 i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO anzuordnenden Vollstreckungsschutz. Dieser ermöglicht es dem Schuldner für den vom Insolvenzgericht angeordneten Zeitraum gemäß § 270d Abs. 1 Satz 2 InsO von maximal drei Monaten, unbehelligt von den Gläubigern die Sanierung über einen Insolvenzplan vorzubereiten.139) Darüber hinaus obliegt dem Management gemäß § 270d Abs. 2 Satz 2 InsO die Auswahl des Sachwalters, von dem das Gericht gemäß § 270d Abs. 2 Satz 3 InsO nur abweichen ___________ 138) Ganter, NZI 2012, 433; Spies in: Mönning, Betriebsfortführung, § 13 Rz. 87. 139) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 40.

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§5

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

kann, wenn die vorgeschlagene Person offensichtlich nicht für die Übernahme des Amtes des (vorläufigen) Sachwalters geeignet ist. 183 Durch die im Schutzschirmverfahren regelmäßig anzuordnende Befugnis des Schuldners, Masseverbindlichkeiten zu begründen (vgl. § 270d Abs. 3 InsO), haben die Lieferanten die Sicherheit, dass ihre Forderungen aus Lieferungen und Leistungen auch nach Insolvenzantragstellung und späterer Eröffnung des Verfahrens befriedigt werden. Bei der Befugnis des Schuldners, Masseverbindlichkeiten zu begründen, handelt es sich um eine Globalermächtigung, die pauschal die nach Antragstellung begründeten Neu-Forderungen der Gläubiger im späteren Insolvenzverfahren in den Rang von Masseverbindlichkeiten stellt. Der Schuldner erhält damit die Rechtsstellung eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters. Anderes gilt für Forderungen, die vor Insolvenzantragstellung vom Schuldner begründet worden sind; sie sind Insolvenzforderungen und dürfen nicht bedient werden. 184 Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung140) sind jedoch bei der gerichtlichen Globalermächtigung i. S. des § 270d Abs. 3 InsO nunmehr auch die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung, soweit die Arbeitsleistung im Antragszeitraum tatsächlich entgegengenommen wurde, Masseverbindlichkeiten i. S. des § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO. Als Folge hieraus erwächst eine Zahlungsverpflichtung. Der Weg über eine etwaige spätere Anfechtung i. S. der §§ 129 ff. InsO, mit dem Ziel einer späteren Rückgewährung, ist damit ausgeschlossen (gleiches gilt in diesem Zusammenhang auch für die im Antragszeitraum anfallenden Steuern). In der Praxis empfiehlt es sich daher, unter Würdigung des jeweiligen Einzelfalls bei Gericht eine entsprechende Einzel- oder hinreichend bestimmte Gruppenermächtigung zu beantragen, die gerade keinen globalen Ermächtigungscharakter hat. 185 Unstrittig ist, dass durch die Antragstellung ein zusätzlicher Liquiditätsbedarf erzeugt wird (siehe auch unten Rendels, HRI II, § 19 Rz. 31),141) sei es bspw. durch Kündigung von bis zum Antrag nicht vollständig genutzten Kreditlinien oder das Umstellen auf Zahlung per Vorkasse bei wichtigen Lieferanten. Der entstehende Liquiditätsdruck und die allgemeinen verfahrensspezifischen Anforderungen bedürfen einer intensiven Vorbereitung der Betriebsfortführung durch den Schuldner. Die möglichen Auswirkungen müssen antizipiert und Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Das dafür notwendige Know-how baut das Unternehmen idealerweise frühzeitig selbst auf oder kauft es in Form eines in Insolvenzsachen erfahrenen Unternehmensberaters ein. 186 Die Praxis zeigt, dass eine gut strukturierte Vorbereitung auf eine Betriebsfortführung essentiell ist für deren geordnete und erfolgreiche Umsetzung. Dies schließt die Erarbeitung eines vorläufigen Sanierungskonzepts sowie die Planung einer entsprechenden Fortführungsfinanzierung ebenso ein, wie die Einbindung wesentlicher Gläubiger/Vertragspartner. Die Entscheidung für einen kompetenten Berater, der weniger die Unternehmensgeschicke im Detail lenkt, als vielmehr gemeinsam mit der Geschäftsleitung das Schutzschirmverfahren als Sanierungslösung andenkt und umsetzt, rundet eine gute und zielgerichtete Vorbereitungsphase ab, sowohl für das Schutzschirmverfahren im Allgemeinen als auch für die Betriebsfortführung im Besonderen. 1.

Vorbereitung der Betriebsfortführung

1.1

Unternehmensplanung und Controlling

187 Aufbauend auf der gemäß § 270a InsO zu erstellenden Eigenverwaltungsplanung ist es unbedingt anzuraten, vor der eigentlichen Antragstellung eine integrierte Unternehmens___________ 140) BGH v. 16.6.2016 – IX ZR 114/15, ZIP 2016, 1295 = NZI 2016, 778, dazu EWiR 2016, 501 (Hofmann); Köster/Feil, NZI 2016, 763. 141) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 40.

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§5

Schutzschirmverfahren

planung unter Berücksichtigung der vielfältigen insolvenzspezifischen Sachverhalte zu erstellen. Der Planungszeitraum sollte dabei das Schutzschirmverfahren („vorläufiges Verfahren“), das eröffnete Verfahren bis zur Planannahme und darüber hinaus mindestens die nächsten zwei regulären Geschäftsjahre beinhalten. Durch die frühzeitige Antizipation der betriebswirtschaftlichen Vorgänge innerhalb des Verfahrens können für ggf. auftretende Liquiditätsunterdeckungen notwendige Gegenmaßnahmen konzipiert werden. Erst durch die umfängliche Darstellung der Liquiditätsentwicklung zeitlich über alle Verfahrensstufen hinweg können Management und Berater die notwendige Sicherheit erlangen, um den vorbereiteten Antrag guten Gewissens einzureichen. Die Buchhaltungs- und Controllingsysteme des Unternehmens sind auf „Insolvenz- 188 kompatibilität“ zu prüfen und ggf. durch eine insolvenzspezifische Nebenbuchhaltung zu ergänzen. Das Controlling ist so auszugestalten, dass insolvenzspezifische Anforderungen, wie z. B. die Erfassung des Verbrauchs von mit Eigentumsvorbehalten belasteter Ware oder der nach Zeiträumen getrennte Forderungseinzug, erfüllt werden können. Weiterhin muss prozessual sichergestellt werden, dass keine durch den Schuldner vor Antragstellung begründeten Verbindlichkeiten bedient werden. Schließlich ist dafür Sorge zu tragen, dass Management und Sachwalter taggenau über die Liquiditätsentwicklung und insbesondere Plan-Ist-Abweichungen informiert werden, um auf diese Weise bei ggf. auftretenden Fehlentwicklungen rechtzeitig eingreifen zu können. Externe Dienstleister, bspw. für die insolvenzspezifische Buchhaltung, die Bewertung von 189 mobilen und immobilen Vermögensgegenständen, arbeitsrechtliche Beratung etc., müssen rechtzeitig hinzugezogen und intern abgestimmt werden. 1.2

Kunden

Wichtigstes Gut eines Unternehmens sind in der Regel die bestehenden Kundenbezie- 190 hungen. Die Bereitschaft zur Erteilung neuer Aufträge ist wesentliche Grundlage für die Aufrechterhaltung und Konsolidierung des operativen Geschäftsbetriebs. Dies gilt auch und gerade im Schutzschirmverfahren und umso mehr darüber hinaus in der angestrebten Sanierung. Je nach Geschäftsmodell können Kunden einen mehr oder weniger deutlichen Einfluss auf den Verfahrensverlauf nehmen. Beispielsweise haben im Fall eines Schutzschirmverfahrens die Automobilhersteller als Hauptkunden der im Vergleich meist deutlich kleineren schuldnerischen Zulieferunternehmen einen erheblichen Einfluss, da sie die Finanzierung der Betriebsfortführung durch rechtzeitige Zahlung ihrer Verbindlichkeiten gegenüber dem schuldnerischen Unternehmen oder Zahlungen für einen ggf. zu vereinbarenden Verlustausgleich sicherstellen. Aber auch in anderen Märkten ist es wichtig, eine frühzeitige Antizipation der Reaktion der Kunden auf den Schutzschirmantrag, die Definition von ggf. erforderlichen Gegenmaßnahmen sowie eine sorgfältige Wahl des Zeitpunkts, ab wann und wie die (Haupt-)Kunden in den Sanierungsprozess eingebunden werden sollen, vorzunehmen. Weiterhin sind Überlegungen anzustellen, inwieweit die Kunden mit in die Finanzierung einbezogen werden können, z. B. durch zu leistende Vorkassen, einen Verlustausgleich oder Beistellungen. 1.3

Einkauf

Im Vorfeld der Antragstellung ist regelmäßig auch das Freigabe- und Bestellwesen für den 191 notwendigen Materialeinkauf bzw. die Beschaffung von erforderlichen Dienstleistungen o. Ä. neu zu organisieren bzw. zu ergänzen. Eine unabhängige Prüfung und Freigabe der auszulösenden Bestellungen sollte installiert werden, um so die bestehenden „eingeschliffenen“ Denkmuster aufzubrechen und eine ständige Überprüfbarkeit auch durch den vorläufigen Sachwalter zu gewährleisten. Dabei zielen Prüfung und Freigabe darauf ab, i. R. der

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§5

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

Betriebsfortführung nur unbedingt notwendige Bestellungen auszulösen. So soll die Liquidität geschont und die in vielen Fällen notwendige Kostenreduktion eingeleitet werden. Bei Lieferanten mit regelmäßigem Bezug oder großen Volumina ist nicht jede einzelne Bestellung zu prüfen, sondern ein monatliches oder wöchentliches Budget mit dem Einkauf zu vereinbaren. Anzuraten ist es hier, eine konkrete Verantwortlichkeit festzulegen, über die alle Bestellvorgänge gesammelt ablaufen und die dem ebenfalls einzurichtenden BestellControlling zuarbeitet. Berücksichtigt werden muss in diesem Zusammenhang auch, dass sich durch die Implementierung eines verfahrensvorgebenden Bestellwesens naturgemäß Zahlungswege verändern und sich die Vorbereitung von Zahlungen verlängert. 192 Noch vor Antragstellung sollten detaillierte Unterlagen zu den wesentlichen Lieferanten zusammengestellt werden. Eventuellen Störungen in der Leistungsbeziehung, wie z. B. Zahlungsstopp oder Nichtlieferung, kann so schneller begegnet werden. 193 Sämtliche Informationen rund um die bestehenden Dauerschuldverhältnisse sollten detailliert aufbereitet werden, um im Fall einer Leistungseinstellung des Vertragspartners schnell reagieren zu können. Gerade bei kritischen betrieblichen Ressourcen, wie Telekommunikation oder Energieversorgung, wäre eine auch nur vorübergehende Störung für den Betriebsablauf enorm schädlich. Wesentliche, für die operative Betriebsfortführung wichtige Verträge, wie z. B. zu beweglichen und unbeweglichen Leasinggegenständen, Miet- und Pachtverträge oder auch Lizenzverträge, sind zumindest griffbereit zu halten. Zu erheben ist in diesem Zusammenhang ebenfalls, inwieweit rückständige Zahlungen aus Dauerschuldverhältnissen existent sind, die möglicherweise den betroffenen Vertragspartnern ein außerordentliches Kündigungsrecht einräumen. 194 Eine kurzfristige Prüfung der mit Speditionen unterwegs befindlichen Güter ist zu empfehlen. Gegebenenfalls sollte darauf geachtet werden, dass am Tag der Antragstellung keine Güter mit Speditionen unterwegs sind (Speditionspfandrecht). Sind Lagerplätze bei Speditionen angemietet, sollte sehr kurzfristig nach Antragstellung Kontakt aufgenommen werden. Anfallende Mehraufwendungen zur Abgeltung der Speditionspfandrechte müssen in die Planung einfließen. 195 Der allgemeine Versicherungsschutz und dessen Bedingungen sollten geprüft und ggf. angepasst werden. Für einen tätig werdenden CRO wird empfohlen, eine D&O-Versicherung, auch Organ-Haftpflichtversicherung genannt, abzuschließen. 1.4

Finanzierung

196 Die eingebundenen (Haus-)Banken werden in der Mehrzahl der Fälle auch im Schutzschirmverfahren die bestehenden Kredite kündigen, über freie Linien nicht mehr verfügen lassen bzw. verfügbare liquide Mittel auf Guthabenkonten i. R. des AGB-Pfandrechts zurückhalten. Mit dem Schutzschirmantrag stehen daher üblicherweise keine liquiden Mittel mehr zur Verfügung, die zur Finanzierung des laufenden Geschäftsbetriebs verwendet werden können. Diesem Umstand ist in geeigneter Weise Rechnung zu tragen. Folgende Möglichkeiten bei der Finanzierung der Betriebsfortführung haben sich als praktikabel herausgestellt: 197 Es ist sicherzustellen, dass das Unternehmen auch unmittelbar nach Antragstellung handlungsfähig bleibt. Dazu kann es ratsam sein, im Vorfeld der Antragstellung ein Guthabenkonto bei einer Nicht-Gläubigerbank einzurichten und mit einer ausreichenden Anfangsliquidität auszustatten. Dies kann mit Mitteln aus dem laufenden Geschäftsbetrieb oder durch Beiträge des Gesellschafters geschehen. Mögliche Finanzierungsbeiträge des Gesellschafters müssen sich nicht ausschließlich auf den Zeitpunkt vor Antragstellung begrenzen, sondern können natürlich auch innerhalb des Verfahrens in Anspruch genommen bzw. zugeführt werden. Wenn ein Teil des Zahlungsverkehrs auf ein Guthaben202

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§5

Schutzschirmverfahren

konto umgeleitet werden soll, ist vorab zu prüfen, ob etwaige Globalzessionen oder sonstige schuldrechtliche Vereinbarungen mit den kreditausreichenden Hausbanken bestehen, die ein derartiges Umleiten schuldrechtlich verbieten. Die beteiligten Hausbanken haben die Möglichkeit, ein echtes Massedarlehen zu gewäh- 198 ren, welches durch die ab Antragstellung erwirtschafteten Forderungen oder die neu beschafften und bezahlten Bestände besichert werden kann.142) Ein sog. unechtes Massedarlehen findet in der Praxis ebenfalls breite Anwendung. Dabei können zedierte, aber vom Unternehmen eingezogene Forderungen ebenso wie sicherungsrechtsbelastete Vorratsvermögenspositionen zur Finanzierung verwendet werden, da Forderungseinzüge und verumsatzte Vorratsverbräuche über einen mit dem jeweiligen Sicherungsgläubiger abgestimmten Zeitraum auf dem Betriebsfortführungskonto verbleiben und erst später, nachdem aus den i. R. der Betriebsfortführung erwirtschafteten Forderungen ein liquider Überschuss erzielt worden ist, ausgekehrt werden. Zu Massedarlehen siehe auch oben Warneke/ Braun, HRI I, § 3. Auf der Kundenseite sind die am häufigsten anzutreffenden Vor-Finanzierungsformen 199 die klassischen Vorkassen und die Beistellung von Material. Beides wirkt unmittelbar liquiditätsschonend und trägt damit zur operativen Stabilisierung des Geschäftsbetriebs bei. Ein ähnlicher, aber nicht unmittelbar Liquidität generierender Effekt kann durch die Verhandlung von kürzeren Zahlungszielen erreicht werden. Eine ggf. vorgelagerte Verlustfinanzierung durch die Kunden ist dagegen seltener anzutreffen. Die einzige Möglichkeit, bei Lieferanten einen positiven Finanzierungseffekt zu errei- 200 chen, ist die Verhandlung von längeren Zahlungszielen. In der Praxis zeigt sich jedoch häufig, dass hier eher Verkürzungen der Zahlungsziele, teilweise auch Vorauszahlungen anzunehmen und einzuplanen sind. Erst im weiteren Verlauf des Verfahrens, wenn sich wieder Vertrauen zwischen Schuldner und Lieferanten aufzubauen beginnt, kann es wieder gelingen, an die ursprünglich vereinbarten Zahlungsziele heranzukommen. Sofern bereits bei Antragstellung ein das Verfahren und die Sanierung finanzierender In- 201 vestor bereitsteht, wird es regelmäßig so sein, dass durch ihn die erforderliche Finanzierung bereitgestellt wird. Dies schon allein deshalb, weil die Gewährung der Finanzierung durch den Investor eine enorm vertrauensbildende Maßnahme darstellt, die alle am Prozess beteiligten Stakeholder für das geplante Verfahren einnimmt. So bleiben mögliche Friktionen aus, die allein aus Misstrauen entstehen. Einschränkend ist jedoch anzumerken, dass derartige Fälle in der Praxis eher selten sind. In der Regel warten auch die vorab eingebundenen Investoren ab, ob das Schutzschirmverfahren und das anschließende Insolvenzverfahren mit einem positiv beschiedenen Insolvenzplan abgeschlossen werden kann, und geben erst dann, wenn die Rahmenbedingungen neu definiert sind, die erforderlichen liquiden Mittel in das Unternehmen. Nicht zuletzt hat der Gesetzgeber mit dem Insolvenzgeld gemäß §§ 165 ff. SGB III ein 202 wirksames Mittel zur Liquiditätsgenerierung innerhalb des Eröffnungsverfahren geschaffen.143) Da das Insolvenzgeld aber erst nach dem Insolvenzereignis, der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, für einen Zeitraum von maximal drei Monaten (vor Eröffnung) rückwirkend ausgezahlt wird, ist es notwendig, diese Phase zu überbrücken. Dies geschieht üblicherweise durch eine Insolvenzgeldvorfinanzierung. Diese finanziert den Zeitraum zwischen Fälligkeit des Entgelts der Arbeitnehmer für die tatsächlich erbrachte und zu vergütende Arbeitsleistung im Drei-Monats-Zeitraum und der Auszahlung des Insolvenzgeldes durch die Agentur für Arbeit nach Verfahrenseröffnung. Die Insolvenzgeld___________ 142) Spies in: Mönning, Betriebsfortführung, § 13 Rz. 113. 143) Spies in: Mönning, Betriebsfortführung, § 13 Rz. 109.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

vorfinanzierung ist damit ein weiteres wichtiges Finanzierungsinstrument für die Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren. Die Genehmigung zur Vorfinanzierung durch die Agentur für Arbeit ist (mit ausführlicher Begründung) zu beantragen, und eine vorfinanzierende Bank muss rechtzeitig gesucht werden. 203 Der Vorteil der Insolvenzgeldvorfinanzierung kann nur dadurch entstehen, dass durch selbige keine Masseverbindlichkeiten ausgelöst werden. Gemäß § 55 Abs. 3 InsO sind Ansprüche der Bundesagentur für Arbeit wegen der Zahlung von Insolvenzgeld immer Insolvenzforderungen. Dies muss auch für das Schutzschirmverfahren gelten.144) 1.5

Anlage- und Umlaufvermögen

204 Alle Vorbereitungen für eine ordentliche Inventur am Tag der Antragstellung müssen bereits vorher abgeschlossen worden sein. Dies ist für die spätere Ermittlung von Aus- und Absonderungsrechten von besonderer Wichtigkeit. In diesem Zusammenhang sind auch die ggf. von der IT zu schaffenden Voraussetzungen für eine aussagekräftige Inventur frühzeitig abzustimmen. Die Inventur ist auf den Tag der Antragstellung zu legen. Untermonatige Stichtaginventuren können in Abhängigkeit vom Umfang der Sicherungsrechte und dem Sicherungsbedürfnis besicherter Gläubiger ebenfalls durchgeführt werden. Zum Abschluss des Schutzschirmverfahrens bzw. mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist auf den jeweiligen Stichtag eine Abschlussinventur durchzuführen. Neben der Erhebung des Mengengerüsts empfiehlt sich auch eine Werterhebung des Vorratsvermögens (Preisgerüst) durch einen sachverständigen Dritten. 205 Das Lagerwesen sollte idealerweise auf insolvenzspezifische Anforderungen, beispielhaft die Möglichkeit der Umstellung von FIFO auf LIFO, eingehen können. Der laufende Verbrauch von Vorräten ist taggenau zu dokumentieren. Eine Lagertrennung (Alt- und Neuware, ggf. noch weitere Zeiträume) sollte, wenn möglich, physisch wie auch im System durchgeführt werden. Ein Bestandscontrolling zu installieren ist in jedem Fall sehr hilfreich bei der späteren Ermittlung möglicher Ab- und Aussonderungsrechte und deren Bezifferung. 206 Gegebenenfalls außenstehende, betriebsnotwendige Vermögensgegenstände Dritter sollten durch das Unternehmen gesichert werden. Weiterhin muss ermittelt werden, welche mit Aus- und Absonderungsrechten belegten Vermögensgegenstände weiterhin benötigt werden. 207 Für die spätere Aufstellung eines Vermögensstatus gemäß § 153 InsO sollten sämtliche Güter des Anlagevermögens (fallweise auch des Umlaufvermögens) in einer detaillierten Aufstellung aufgeführt werden. Diese dient einem späteren Industriesachverständigen bzw. -bewerter als Grundlage seiner Wertermittlung. 1.6

Externe und interne Kommunikation

208 Die Wahrnehmung des Schutzschirms als Sanierungsverfahren durch die Mitarbeiter und die externen Marktpartner ist für den Erfolg des Sanierungsprozesses von höchster Bedeutung. Nur eine aktive, transparente Kommunikation nach innen und außen schafft das notwendige Vertrauen in das Verfahren und die Verfahrensbeteiligten. Der Antragsteller tut gut daran, sich bereits im Vorfeld durch eine professionelle PR-Agentur beraten zu lassen. Die entsprechenden Informationsschreiben für die Marktpartner und eine Pressemitteilung sollten für den Zeitpunkt der Antragstellung vorbereitet sein, um sie dann unmittelbar versenden zu können. Ein persönliches Gespräch kann für die wichtigsten Marktpartner empfehlenswert sein. Nicht zu unterschätzen ist die Wichtigkeit, die ___________ 144) Gutmann/Lauberau, ZInsO 2012, 1861.

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§5

Schutzschirmverfahren

Mitarbeiter einerseits über den Sanierungsprozess informiert zu halten und andererseits für die Mitarbeiter mit Außenkontakt (z. B. Empfang, Vertrieb, Pressestelle, Einkauf) „Sprechzettel“ vorzubereiten, die Antworten auf zentrale Fragen der Marktpartner geben, um damit dafür Sorge zu tragen, dass diese Mitarbeiter i. R. ihrer Kommunikation den eingeschlagenen Sanierungsweg nachhaltig unterstützen. 2.

Operative Betriebsfortführung

2.1

Aufgaben der Beteiligten

Durch die inhärente Komplexität eines Schutzschirmverfahrens ist eine vorgelagerte Aus- 209 einandersetzung mit der Aufgabenverteilung innerhalb des Verfahrens unerlässlich. Die Aufgaben, die in den Verantwortungsbereich des Schuldners fallen, können dabei klar von den Aufgaben des Sachwalters getrennt werden. Der Schuldner hat sein Handeln ausschließlich am Interesse der Gläubigergemeinschaft 210 auszurichten und Individualinteressen zu vernachlässigen. Er behält im Schutzschirmverfahren die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen (§ 270 Abs. 1 Satz 1 InsO) und hat es für die Gläubiger zu erhalten (vgl. § 1 Satz 1 InsO). Neben der Vermögenssorge obliegt dem Schuldner in der Eigenverwaltung die Führung des operativen Geschäftsbetriebs und alle damit verbundenen Aufgabenfelder, wie Einkauf, Vertrieb, Auftragsabwicklung etc. Er nimmt weiterhin die Arbeitgeberstellung gegenüber seinen Angestellten ein und bestimmt Art und Ausmaß der durchzuführenden Sanierungsmaßnahmen. Er hat die massebezogenen Prozesse zu führen und zu entscheiden, ob Prozesse, die nach § 240 ZPO unterbrochen sind, wieder aufzunehmen sind. Insolvenzrechtliche Sonderaufgaben, wie die Erstellung und Vorlage des Verzeichnisses 211 der Massegegenstände gemäß § 151 InsO, des Gläubigerverzeichnisses gemäß § 152 InsO und der Vermögensübersicht gemäß § 153 InsO, darüber hinaus die Erstellung des Berichts zum Berichtstermin gemäß § 156 InsO, fallen ebenfalls in seinen Aufgabenbereich. Zudem kann gemäß § 284 Abs. 1 Satz 1 InsO auch die Erstellung des Insolvenzplans zu seinen Aufgaben gehören. Dem Sachwalter ist regelmäßig über den Fortgang des Verfahrens und den laufenden Geschäftsbetrieb Bericht zu erstatten und Sitzungen des (vorläufigen) Gläubigerausschusses sind vorzubereiten, einzuberufen und durchzuführen. Der Schuldner ist nur dort nicht zuständig, wo das Gesetz die Aufgaben ausdrücklich 212 dem Sachwalter zuordnet (vgl. § 280 InsO). Um diesen zusätzlichen Anforderungen als Schuldner gerecht zu werden, bedarf es in der Geschäftsleitung insolvenzspezifischen Know-hows, das in der Regel durch die Ergänzung der Geschäftsleitung durch einen Chief Restructuring Officer (CRO) verwirklicht wird.145) Zu beachten ist zudem die auch nach Antragstellung weiterlaufende Haftung der Organe, 213 insbesondere bzgl. der abzuführenden Umsatzsteuer sowie der Sozialversicherungsbeiträge. Die Aufgaben des Sachwalters werden weitestgehend durch das Gesetz bestimmt. Er hat 214 die wirtschaftliche Lage des Schuldners laufend zu überwachen und die Zielerreichung des Schutzschirmverfahrens sicherzustellen. Der Sachwalter arbeitet im Hintergrund und lässt zunächst die Geschäftsführung walten. Es gehört nicht zu seinem Arbeitsverständnis, jegliches Handeln zu prüfen. Wie weit die Prüfungspflicht konkret gehen soll, ist vom Einzelfall abhängig und sollte mit dem Insolvenzgericht/Rechtspfleger abgestimmt werden.146) In jedem Fall muss der (vorläufige) Sachwalter beratend in dem Sinne tätig werden, dass er sich rechtzeitig in die Erarbeitung der Sanierungskonzepte einbinden lässt und ___________ 145) Thiele, ZInsO 2015, 877. 146) Frind, NZI 2014, 937, 938.

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§5

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

rechtzeitig zu erkennen gibt, welche erwogenen Maßnahmen nach seiner Auffassung möglich und welche Wege gangbar sind.147) 215 Trotz der beim Schuldner verbleibenden allgemeinen Verfügungsbefugnis ergeben sich zahlreiche Zustimmungserfordernisse durch den Sachwalter.148) Dazu zählen die Zustimmungserfordernisse 

bei Abschluss verpflichtender Leistungsgeschäfte außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs gemäß § 275 Abs. 1 Satz 1 InsO – mit Ausnahme von Bargeschäften –,



bei Handlungen, die dem Schuldner durch gerichtliche Anordnung untersagt bzw. eingeschränkt wurden gemäß § 276 InsO, und



bei Maßnahmen zur Durchführung einer Betriebsänderung i. S. der §§ 120, 122, 126 InsO gemäß § 279 Satz 3 InsO.

216 Bei Ausübung des Wahlrechts i. R. von gegenseitigen Verträgen besteht ein Einvernehmenserfordernis gemäß § 279 Satz 2 InsO. Setzt sich der Schuldner über diese Erfordernisse hinweg und tätigt Rechtsgeschäfte ohne die jeweilige Zustimmung, sind diese im Außenverhältnis gleichwohl wirksam. Dies kann aber zur Aufhebung der Eigenverwaltung gemäß § 272 Abs. 1 Nr. 3, 4 InsO führen. Zur Sicherstellung der Zielerreichung gehören die Gewährleistung des Verfahrensablaufs und die Sicherstellung einer gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung (§ 1 Satz 1 InsO). 217 Daneben obliegen dem Sachwalter umfangreiche Kontroll- und Unterstützungsfunktionen. Gemäß § 274 Abs. 2 Satz 1 InsO ist die wirtschaftliche Lage des Schuldners laufend zu prüfen. Der Sachwalter kann dazu vom Schuldner die Übertragung des Kassenführungsrechts gemäß § 275 Abs. 2 InsO verlangen. Die Überwachung, dass während des gesamten Verfahrens eine kostendeckende Masse vorhanden ist, obliegt ihm ebenfalls. Eine Masseunzulänglichkeit ist gemäß § 285 InsO anzuzeigen. Bei der Erstellung des Insolvenzplans wirkt der (vorläufige) Sachwalter gemäß § 284 Abs. 1 Satz 2 InsO unterstützend mit. Zulässig ist nach dem BGH auch, in entsprechender Anwendung von § 284 Abs. 1 Satz 1 InsO den (vorläufigen) Sachwalter mit der Erarbeitung eines Insolvenzplans zu beauftragen. Voraussetzung ist die Zustimmung des Schuldners und der ausdrückliche Auftrag des vorläufigen Gläubigerausschusses.149) 218 Es ist aber nicht Aufgabe des (vorläufigen) Sachwalters, aus eigener Zuständigkeit als Alternative zum M&A-Prozess einen Insolvenzplan zu erarbeiten.150) Die Planerfüllung ist gemäß § 284 Abs. 2 InsO zu überwachen. Zu den insolvenzspezifischen Aufgaben des Sachwalters zählen die Führung der Insolvenztabelle und die Geltendmachung von Rückgewähransprüchen aus anfechtbaren Handlungen. Die Insolvenzanfechtung obliegt gemäß § 280 i. V. m. §§ 129 ff. InsO allein dem Sachwalter. Stellt er Umstände fest, die erwarten lassen, dass die Fortsetzung der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird, so hat er dies gemäß § 274 Abs. 3 Satz 1 InsO unverzüglich dem Gläubigerausschuss und dem Insolvenzgericht anzuzeigen. Die Teilnahme des Sachwalters am Prüfungstermin ist obligatorisch. 219 In den Aufgabenbereich des Bescheinigers fällt lediglich die Erstellung der Bescheinigung im Vorfeld der Antragstellung. Der Bescheiniger ist in der Regel personen- und kanzleiverschieden zum prozessbegleitenden Berater des Schuldners. Im Rahmen der Betriebsfortführung nach Antragstellung spielt er typischerweise keine Rolle mehr. ___________ 147) BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, Rz. 63, ZIP 2016, 1981 = NZI 2016, 963, dazu EWiR 2016, 763 (Körner/Rendels). 148) Spies in: Mönning, Betriebsfortführung, § 13 Rz. 149. 149) BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, Rz. 77, ZIP 2016, 1981 = NZI 2016, 963. 150) BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, Rz. 62, ZIP 2016, 1981 = NZI 2016, 963.

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§5

Schutzschirmverfahren 2.2

Laufendes Controlling

Nach Antragstellung sind sämtliche vorbereiteten Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des 220 operativen Geschäftsbetriebs umzusetzen und laufend an die aktuellen Anforderungen anzupassen. Zur Überwachung der Geschäftsentwicklung dient das wöchentliche insolvenzspezifische Controlling, welches auch Grundlage dafür ist, am Ende der Betriebsfortführung den Erfolg eben dieser darzulegen. Es sollte damit Grundlage für die diesbezügliche Berichterstattung des Sachwalters an das Insolvenzgericht sein. Im Rahmen des Schutzschirmverfahrens beinhaltet das laufende Controlling zwingend 221 die regelmäßige Überprüfung der Zahlungsfähigkeit. Falls die Zahlungsunfähigkeit eintritt, muss diese dem Gericht umgehend angezeigt werden. Im Rahmen der Liquiditätsüberwachung ist erfahrungsgemäß ein besonderes Augenmerk auf die Steuerung des Einzugs der vor Antragstellung begründeten Forderungen zu richten. 2.3

Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen

Die Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen beginnt mit dem ersten Tag der Betriebsfort- 222 führung, also unmittelbar nach Insolvenzantragstellung bzw. nach Anordnung des Schutzschirmverfahrens. Die umzusetzenden Maßnahmen wurden idealerweise bereits i. R. eines frühzeitig erstellten Sanierungskonzepts definiert und mit internen und externen Stakeholdern abgestimmt. Nach neuer Rechtslage sind die notwendigen Maßnahmen zur Erreichung der angestrebten Ziele der Eigenverwaltung zudem spätestens i. R. der Erstellung der Eigenverwaltungsplanung gemäß § 270a Abs. 1 Nr. 2 InsO zu definieren. Die operative Umsetzung erfordert eine vor Ort installierte Projektorganisation unter 223 Einbindung der intern verantwortlichen Mitarbeiter, der (externen) Berater und der Stakeholder, die bei der Umsetzung der Maßnahmen mitwirken oder zustimmen müssen. Hierzu zählen in der Regel Kunden, Lieferanten, Betriebsrat bzw. Gewerkschaft, Kreditinstitute, Warenkreditversicherer und Factorer, aber auch die Gläubiger, wie z. B. das Finanzamt oder die Sozialversicherungsträger. Das Spektrum der zu avisierenden Sanierungsmaßnahmen ist von Fall zu Fall sehr unter- 224 schiedlich und natürlich von Krisenstadium und -ursachen sowie vom jeweiligen konkreten Geschäftsmodell des Unternehmens abhängig. Grundsätzlich kann zwischen leistungswirtschaftlichen, finanzwirtschaftlichen und verfahrensspezifischen Maßnahmen unterschieden werden. Die leistungswirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen können sämtliche Funktionsbereiche der Wertschöpfungskette betreffen. Dazu gehören die Bereiche Forschung und Entwicklung, Einkauf und Beschaffung, Produktion und Logistik, Vertrieb und Marketing, Finanzen und Controlling, Personalwesen sowie Informationstechnologie. Leistungswirtschaftliche Maßnahmen können bspw. Sortimentsveränderungen, Kosten- 225 senkungen, Personalabbau und Vertragskündigungen sein. Die finanzwirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen gliedern sich in Maßnahmen zur Liquiditätszufuhr in Innen- und Außenfinanzierung sowie bilanztechnische Maßnahmen. In Frage kommen hier bspw. die Reduzierung des Working Capitals, Kreditaufnahmen, Stundungsabreden, Investorenbeiträge oder ein bilanzieller Schuldenschnitt. Zu den verfahrenstypischen Maßnahmen zählen die Vorfinanzierung des Insolvenzgelds, die Eckpunkte des Insolvenzplans oder aber die Initiierung eines M&A-Prozesses. 2.4

Ausarbeitung eines Insolvenzplans

Mit der Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans ist der zeitliche Rahmen zur Erstellung 226 desselben dezidiert i. S. des § 270d Abs. 1 Satz 2 InsO vorgegeben. Der Antrag zur Festsetzung eben dieser Frist ist wesensnotwendig für einen Antrag auf ein Schutzschirmver-

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§5

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

fahren. Der Insolvenzplan muss innerhalb der gesetzten Frist fertiggestellt und bei Gericht eingereicht werden, ansonsten besteht die Gefahr, dass der angedachte Sanierungsprozess scheitert und das Gericht das Schutzschirmverfahren i. S. des § 270e InsO aufhebt und die Anordnung der Eigenverwaltung ablehnt. Die Frist zur Ausarbeitung eines Insolvenzplans ist grundsätzlich angelehnt an die maximale Dauer der Insolvenzgeldfinanzierung von drei Monaten. Im Rahmen der Betriebsfortführung empfiehlt es sich daher, einen sachverständigen Dritten mit der Erarbeitung eines Insolvenzplans zu beauftragen. Bestenfalls besteht zu diesem Zeitpunkt schon ein über wesentliche Grundzüge hinausgehendes Sanierungskonzept, welches als Grundlage für die darstellenden und gestaltenden Elemente des Insolvenzplans herangezogen werden kann. 2.5

M&A-Prozess

227 Wesenskern des Insolvenzplans ist die sog. Vergleichsrechnung. Aus ihr muss hervorgehen, dass die Gläubiger im direkten Vergleich zu einem Regelinsolvenzverfahren besseroder zumindest nicht schlechtergestellt werden. Unter dem Primat einer bestmöglichen Gläubigerbefriedigung wird jedoch in aller Regel parallel zu den Vorbereitungen eines Insolvenzplans ein ordnungsgemäßer, transparenter und ergebnisoffener Investorenprozess zu initiieren sein. Es gilt herauszufinden, ob ein Investorenprozess mit einer sich daran anschließenden übertragenden Sanierung mindestens zu einer wirtschaftlich gleichwertigen Befriedigungsmöglichkeit führt wie die angestrebte Insolvenzplanlösung. Da dieser Prozess jedoch i. R. einer Betriebsfortführung nebst den entsprechenden Insolvenzplanvorbereitungen zu erheblichen Zusatzbelastungen führt, empfiehlt es sich, bereits zu Beginn der Betriebsfortführung ein grundsätzliches Vorgehen mit dem vorläufigen Gläubigerausschuss und dem (vorläufigen) Sachwalter zu erörtern. Allerdings fällt es nicht in die Zuständigkeit des (vorläufigen) Sachwalters, ein Sanierungskonzept zu erarbeiten und einen M&A-Prozess zu initiieren.151) VII. Aufhebung der Maßnahmen durch das Gericht 228 Die Aufhebung des Schutzschirmverfahrens ist nicht mehr nur speziell für das Schutzschirmverfahren in § 270b Abs. 4 InsO geregelt, sondern nun in § 270e InsO generell für das vorläufige Eigenverwaltungsverfahren. Liegen die Voraussetzungen für die Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung und somit auch des Schutzschirmverfahrens vor, wird die Aufhebung vollzogen, indem ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wird, vgl. § 270e Abs. 1 Satz 1 InsO. VIII. Haftung der Organe des Schuldners 229 Von besonderer Bedeutung ist i. R. des Schutzschirmverfahrens die Frage der Haftung der Organe des Insolvenzschuldners. Da das Gesetz keine Regelung für die Organe vorsieht, war in der Literatur bisher höchst strittig, ob und wie die Organe des Insolvenzschuldners haften sollten. 230 Nach einer Ansicht sollten die Normen der § 64 Satz 1, 3 GmbHG, § 92 Abs. 2 AktG teleologisch reduziert werden und die Organhaftung wegfallen. Der Zweck der Haftung für nach Eintritt der Insolvenzreife geleistete Zahlungen bestehe nämlich darin, „Masseverkürzungen im Vorfeld des Insolvenzverfahrens zu verhindern bzw. für den Fall, dass der Geschäftsführer dieser Massesicherungspflicht nicht nachkommt, sicherzustellen, dass das Gesellschaftsvermögen wieder aufgefüllt wird, damit es im Insolvenzverfahren zur ranggerechten und gleichmäßigen Befriedigung aller Gesellschaftsgläubiger zur Verfü___________ 151) BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, Rz. 62, ZIP 2016, 1981 = NZI 2016, 963.

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Schutzschirmverfahren

gung steht.“152) Nach Einleitung des Schutzschirmverfahrens sind die Organe einer etwaigen Antragspflicht jedoch sinngemäß nachgekommen.153) Eine a. A. befürwortete die Anwendbarkeit von § 64 Satz 1, 3 GmbHG, § 92 Abs. 2 AktG und stützte sich dabei auf den Wortlaut der Normen, wonach das Zahlungsverbot unabhängig davon gilt, ob ein Insolvenzantrag gestellt wurde oder nicht. Mit Urteil vom 26.4.2018 hat der BGH154) – entgegen der bisher h. M. in der Literatur155) – 231 im Fall einer Eigenverwaltung entschieden, dass die Organe der Insolvenzschuldnerin analog §§ 60, 61 InsO gegenüber außenstehenden Gläubigern haftbar sein können. Die Analogie begründet der BGH damit, dass die Verweisung des § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO auf §§ 60, 61 InsO die Organe des Schuldners nicht unmittelbar erfasse. Insoweit habe der Gesetzgeber die Unterscheidung zwischen natürlichen und juristischen Personen nicht bedacht. Denn faktisch nähmen die Geschäftsleiter einer Gesellschaft i. R. der Eigenverwaltung weitgehend die Befugnisse wahr, die im Regelverfahren dem Insolvenzverwalter obliegen. Aus Sicht des BGH ist die Anwendung der allgemeinen Organinnenhaftung nicht aus- 232 reichend bzw. angemessen, da nicht hinreichend zum Ausdruck gebracht werde, welche Pflichten im Insolvenzverfahren auch gerade gegenüber außenstehenden Dritten bestehen. Zudem könne es an einem nach § 43 Abs. 2 GmbHG, § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG ersatzfähigen Eigenschaden der Gesellschaft fehlen. Ferner bestehe auch nur über die Insolvenzmasse ein haftungsrechtlicher Umweg auf das Vermögen des Geschäftsführers. Diesen Umweg wollte das Gesetz durch die §§ 60, 61 InsO den Beteiligten gerade ersparen. Der Anwendung der bekannten Haftungsinstitute wie des Vertrags mit Schutzwirkung 233 zugunsten Dritter oder der c. i. c. erteilt der BGH eine Absage. Nach Meinung von Bitter soll die insolvenzrechtliche Lösung nicht nur auf den konkreten 234 Einzelfall verstanden werden, sondern generell gelten.156) Diese Sichtweise erscheint aufgrund der intensiven Auseinandersetzung mit den Lösungswegen der bisher vertretenen Literaturmeinungen nachvollziehbar. Insbesondere betont der BGH in seinem Urteil auch, dass die Befugnisse des Geschäftsleiters in der Eigenverwaltung einer Gesellschaft weitgehend denen des Insolvenzverwalters im Regelverfahren entsprechen, weshalb diese beiden Personengruppen – die Insolvenzverwalter im Regelverfahren und die Organe der Gesellschaft im Eigenverwaltungsverfahren – auch haftungsrechtlich gleichzustellen sind. Insoweit gilt die neue Rechtsprechung ebenfalls für das Schutzschirmverfahren. Spannend ist die sich nun aufdrängende Frage, ob der in der Praxis häufig eingesetzte sog. 235 Chief Restructuring Officer (CRO), der aufgrund möglicher Haftungsrisiken gerade nicht zum Geschäftsführer bestellt wird, sondern als Prokurist oder Generalbevollmächtigter agiert, ebenfalls nach §§ 60, 61 InsO haftbar ist, wenn er unter Verdrängung des eigentlichen Geschäftsführers als sog. „faktischer Geschäftsführer“ handelt. Dagegen wird angeführt, dass eine analoge Anwendung der §§ 60, 61 InsO auf Prokuris- 236 ten und Generalbevollmächtigte systematisch verfehlt wäre, da diese ihre Befugnisse von der Geschäftsleitung ableiten. Auch bei einem regulären Insolvenzverfahren trifft nur den Insolvenzverwalter und nicht den weisungsabhängig handelnden Prokuristen/Generalbevollmächtigten die Haftung. Dann muss auch für die Eigenverwaltung gelten, dass nur die ___________ 152) BGH v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184, 186 = ZIP 2000, 184, dazu EWiR 2000, 295 (Noack). 153) Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, S. 207. 154) BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977, dazu Hofmann, ZIP 2018, 1429, und EWiR 2018, 339 (Thole). 155) Vgl. hierzu die Nachweise bei Bitter, ZIP 2018, 977, 986. 156) Bitter, ZIP 2018, 977, 987.

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§5

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

Organmitglieder analog §§ 60, 61 InsO haften, jedoch – wie der Insolvenzverwalter – auch für Handlungen, welche unter ihrer Führung von anderen vorgenommen werden.157) 237 Für eine analoge Anwendung der §§ 60, 61 InsO könnte indes sprechen, dass im Falle der Einsetzung eines CRO, der als faktischer Geschäftsführer agiert,158) seine Position gerade der des Insolvenzverwalters ähnelt und eben nicht der des formal im Handelsregister eingetragenen Geschäftsführers. In der Regel bringt der CRO die notwendige insolvenzrechtliche Expertise mit und leitet auch die unternehmerischen Geschicke. 238 Andernfalls müsste der verdrängte Geschäftsführer den CRO pedantisch kontrollieren, um nicht selbst in die Haftung genommen zu werden. Da der formale Geschäftsführer in der Regel insolvenzrechtlich unerfahren ist, würde das wiederum bedeuten, dass sich der Geschäftsführer externe Beratung einholen müsste, um sich der Gefahr der persönlichen Haftung zu entledigen. Dies kann hingegen nicht gewollt sein. 239 Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist eine analoge Anwendung der §§ 60, 61 InsO entgegen einer in der Literatur bisher weit verbreiteten Ansicht159) auch auf die Geschäftsleiter während des Schutzschirmverfahrens ernsthaft in Betracht zu ziehen. IX.

Haftung des Schuldners

240 Die Haftung des Schuldners selbst ergibt sich aus § 60 InsO, wenn man diese Regelung als „allgemeine Vorschrift i. S. von § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO“ versteht und zugrunde legt, dass der Schuldner i. R. des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung nicht mehr „nur als Schuldner“, sondern als eine Art Sonderrechtssubjekt, das mit einem Insolvenzverwalter im Regelverfahren vergleichbar ist, handelt. Allerdings wird man auch hier, ähnlich wie bei der Haftung des vorläufigen Sachwalters, Abstriche in der Anwendung der Haftungsnorm des § 60 InsO machen müssen, da der Schuldner nicht als vorläufiger Insolvenzverwalter handelt, sondern Teile des Aufgabenspektrums eines vorläufigen Insolvenzverwalters ja gerade auf den vorläufigen Sachwalter übertragen werden, so dass nicht mehr das volle Aufgabenspektrum eines vorläufigen Insolvenzverwalters beim Schuldner verbleibt; insofern ist es sachgerecht, auch nicht das gesamte Haftungsspektrum des § 60 InsO, das auf den vorläufigen Insolvenzverwalter zugeschnitten ist, anzuwenden. 241 Dem Tatbestand kommt allerdings, mangels „echter Befriedigungsvorteile“ für den Gläubiger, in der Regel keine praktische Relevanz zu. Ausnahmen mögen sich in Bezug auf die wenigen Fällen ergeben, in denen das Scheitern der Eigenverwaltung nicht zum Regelinsolvenzverfahren geführt hat, sondern ein dennoch restrukturiertes, leistungsfähiges Unternehmen erhalten bleibt bzw. aus dem gescheiterten Verfahren hervorgegangen ist. X.

Eröffnung des Insolvenz(plan)verfahrens

242 Sofern der Insolvenzplan in der vom Gericht gesetzten Frist eingereicht wurde, wird das Insolvenzgericht ihn nach einer Vorprüfung gemäß § 231 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 3 InsO entweder zulassen oder zurückweisen (hinsichtlich der Einzelheiten der Vorprüfung eines Schuldnerplans durch das Insolvenzgericht siehe Stahlschmidt, HRI II, § 30 Rz. 7 ff.). Aber auch in den Fällen, in denen der Insolvenzplan vom Schuldner nicht fristgemäß eingereicht wurde, wird das Gericht eine Entscheidung über das weitere Verfahren treffen müssen. Das Gesetz normiert dabei in § 270d Abs. 4 Satz 2 InsO lediglich, dass das Gericht nach Fristablauf über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens entscheidet. Die Frist ___________ 157) Bitter, ZIP 2018, 977, 987. 158) Zu den Voraussetzungen vgl. BGH v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550, dazu EWiR 2005, 731 (Bork); Fleischer in: MünchKomm-GmbHG, § 43 Rz. 220 ff. 159) Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 211 unter L. III. 2. b), Rz. 862.

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§5

Schutzschirmverfahren

zur Vorlage des Insolvenzplans suspendiert insofern die Entscheidung über den Insolvenzantrag.160) Je nachdem, ob der Schuldner fristgemäß einen Insolvenzplan bei Gericht eingereicht hat oder nicht, unterscheiden sich die vom Gericht vorzunehmende Prüfung und die sich daraus abzuleitende Entscheidung. 1.

Die gerichtliche Entscheidung bei fristgemäß eingereichten Insolvenzplan

Für den Fall, dass der Plan vom Schuldner fristgemäß eingereicht wurde und keine Zu- 243 rückweisungsgründe vorliegen, wird das Insolvenzverfahren eröffnet und in einer Gläubigerversammlung über den eingereichten Insolvenzplan abgestimmt. Fraglich erscheint, ob das Gericht seine Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenz- 244 verfahrens ohne weiteres auf die Angaben stützen kann, die der Schuldner in seinem Eigenantrag und der Bescheiniger in der Bescheinigung gemacht haben. Dafür spricht zum einen, dass das Gericht mit der Fristsetzung nach § 270d InsO das Schutzschirmverfahren eingeleitet und damit zum Ausdruck gebracht hat, dass es von der Richtigkeit der Bescheinigung und konkludent auch vom Vorliegen von Eröffnungsgründen ausgeht.161) Hinzu kommt, dass der vorläufige Sachwalter auch i. R. des Schutzschirmverfahrens gemäß § 270 Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 1, § 58 Abs. 1 Satz 2 InsO unter der Aufsicht des Insolvenzgerichts steht und auf dessen Verlangen Einzelfragen zu beantworten sowie Sachstandsberichte einzureichen hat. Auch diese Informationen stehen dem Gericht als weitere Entscheidungsgrundlage zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund erscheint es somit vertretbar, dass es der Bestellung eines Sachverständigen zu den Fragen, ob ein Eröffnungsgrund und eine die Verfahrenskosten deckende Masse vorhanden ist oder nicht, regelmäßig nicht bedarf. Da aber die originäre Prüfung eines Eröffnungsgrunds (§ 16 InsO) sowie der Verfahrenskostendeckung (§ 26 Abs. 1 InsO) und die Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Insolvenzgericht zu verantworten ist, ist es dem Gericht unbenommen, auch einen Gutachter zu beauftragen, der für das Insolvenzgericht bezogen auf den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung diese Voraussetzungen festzustellen hat.162) Sodann wird über den eingereichten Insolvenzplan in einer Gläubigerversammlung ab- 245 gestimmt. Hier kann ein vorläufiger Gläubigerausschuss ggf. von seinen Rechten gemäß § 56a InsO Gebrauch machen und als Insolvenzverwalter bzw. als Sachwalter eine andere Person als die vom Schuldner seinerzeit vorgeschlagene und bestellte, bei Aufhebung der Maßnahmen gemäß § 270e InsO vom vorläufigen Sachwalter zum vorläufigen Insolvenzverwalter ernannte Person auswählen. Wenn der Insolvenzschuldner den Plan zwar fristgemäß einreicht, aber Zurückweisungs- 246 gründe vorliegen, stellt sich die Frage, wie das Gericht das weitere Verfahren organisieren kann. Eine Möglichkeit besteht darin, dass das Schutzschirmverfahren als „reguläres“ Eröffnungsverfahren fortgeführt wird. Möglich ist aber auch, dass das Gericht das Verfahren nach § 270d InsO in ein Verfahren nach § 270b InsO umleitet. Bei dem Verfahren nach § 270d InsO handelt es sich schließlich um einen Sonderfall der (vorläufigen) Eigenverwaltung; es basiert sozusagen auf dem Verfahren nach § 270b InsO, sodass dessen Voraussetzungen ebenfalls vorliegen müssen. Sofern das Insolvenzgericht bei einem Antrag nach § 270d InsO die Voraussetzungen für die Eigenverwaltung für nicht gegeben hält, wird es gemäß § 270c Abs. 5 InsO seine Bedenken dem Schuldner mitteilen und ihm Gelegenheit geben, den Eröffnungsantrag vor Eröffnung des Regelinsolvenzverfahrens zurückzunehmen, wenn der Schuldner den Antrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit ge___________ 160) Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 54 unter C. III, Rz. 197; Smid, ZInsO 2016, 61, 66. 161) Smid, ZInsO 2016, 61, 67. 162) Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 175 unter H. VI. 2. b), Rz. 697.

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§5

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

stellt hat. Sollte dem Antrag nach § 270d InsO zumindest auch der Insolvenzgrund der Überschuldung zugrunde liegen, wäre eine Antragsrücknahme bereits aufgrund der strafrechtlichen Implikation nicht opportun.163) 2.

Die gerichtliche Entscheidung bei Fristversäumnis

247 Auch wenn der Insolvenzschuldner den Plan nicht fristgemäß einreicht, stellt sich die Frage nach der weiteren Organisation des Verfahrens durch das Insolvenzgericht. Eine Möglichkeit besteht auch hier darin, dass das Schutzschirmverfahren als „reguläres“ Eröffnungsverfahren fortgeführt wird. Möglich ist aber auch in diesem Fall, dass das Gericht das Verfahren nach § 270d InsO in ein Verfahren nach § 270b InsO umleitet. Der Transformation des Verfahrens nach § 270d InsO in ein Verfahren nach § 270b InsO steht es nicht entgegen, dass der Insolvenzplan nicht innerhalb der Höchstfrist von drei Monaten eingereicht wird. Dies ergibt sich bereits aus der Unabhängigkeit bzw. Selbstständigkeit der beiden Verfahrensanträge.164) 248 Allein aus dem Umstand, dass der Schuldner den Insolvenzplan nicht innerhalb der Frist von höchstens drei Monaten eingereicht hat, ist zudem nicht zwingend der Rückschluss auf die Aussichtslosigkeit des Reorganisations- und Sanierungskonzepts zu ziehen. Auch der Schluss, dass die Anordnung der Eigenverwaltung für die Gläubiger nachteilig sei, ist nicht zwingend. Die Gründe für die Fristversäumnis können sehr vielfältig sein.165) Von entscheidender Bedeutung wird auch hier die Kommunikationsstrategie des Schuldners sein. Die Überleitung des Schutzschirmverfahrens in ein Eröffnungsverfahren nach § 270b InsO würde dem Schuldner die Möglichkeit geben, das Reorganisations- und Sanierungskonzept weiter auszuarbeiten.166) Nicht ausgeschlossen ist dann auch, dass der Schuldner den zunächst i. R. des Verfahrens nach § 270d InsO einzureichenden Insolvenzplan nach Fristablauf im Verfahren nach § 270b InsO einreicht und das Insolvenzverfahren doch noch, wenn auch mit Verzögerung, wie geplant eröffnet wird. Dieses Procedere dürfte insbesondere in komplexen Fällen relevant werden, wenn sich nämlich die i. R. des Plans zu beantwortenden Fragen als hochkomplex erweisen und in der Folge die Planausarbeitung mehr Zeit verlangt.167) 249 Für den Fall, dass das Insolvenzgericht auch die Voraussetzungen einer Eigenverwaltung als nicht gegeben ansieht und beabsichtigt, das Verfahren als „reguläres“ Eröffnungsverfahren weiterzuführen, muss es dem Schuldner die Möglichkeit zur Antragsrücknahme geben, wenn der Schuldner den Eröffnungsantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit gestellt hat. Für das Verfahren nach § 270b InsO ist dies speziell in § 270c Abs. 5 InsO normiert. Allgemein ergibt sich diese Hinweispflicht aus § 4 InsO i. V. m. § 139 Abs. 1 ZPO.168)

___________ 163) Smid, ZInsO 2016, 61, 67. 164) AG Ludwigshafen v. 4.7.2014 – 3 f IN 260/14 Ft, ZIP 2014, 1746; Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 202 unter K. II. 1. b), Rz. 819. 165) Smid, ZInsO 2016, 61, 66. 166) Smid, ZInsO 2016, 61, 67. 167) Smid, ZInsO 2016, 61, 66. 168) Smid, ZInsO 2016, 61, 67.

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§6 Vorläufiger Gläubigerausschuss Ampferl

I. Verortung der Gläubigermitwirkung ...... 1 II. Gläubigerbeteiligung in der Praxis........... 6 III. Kein präsumtiver Gläubigerausschuss – Vorgespräch gemäß § 10a InsO................. 9 1. Ausgangsbefund ........................................... 9 2. Gesetzliche Regelung in § 10a InsO ......... 11 IV. Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses ............................... 13 1. Obligatorischer Gläubigerausschuss......... 18 1.1 Überschreiten der Schwellenwerte........................ 18 1.1.1 Bilanzsumme.................................. 22 1.1.2 Umsatzerlöse ................................. 25 1.1.3 Anzahl der Arbeitnehmer ............. 31 1.2 Ausnahmen von der Einsetzungspflicht ........... 38 1.2.1 Eingestellter Geschäftsbetrieb...... 41 1.2.2 Unverhältnismäßigkeit im Hinblick auf die zu erwartende Masse .......................... 46 1.2.2.1 Auffassungen in Literatur und Rechtsprechung ............................. 47 1.2.2.2 Stellungnahme ............................... 51 1.2.2.3 Bestimmung der Unverhältnismäßigkeit im konkreten Fall......... 53 1.2.3 Nachteilige Veränderung der Vermögenslage durch die mit der Einsetzung verbundene Verzögerung .................................. 63 1.3 Tatsachenermittlungen zu den Schwellenwerten................ 73 1.3.1 Schuldnerangaben gemäß § 13 InsO ....................................... 74 1.3.1.1 Angaben und Unterlagen.............. 74 1.3.1.2 Genauigkeit der Angaben ............. 77 1.3.1.3 Erklärung zur Richtigkeit und Vollständigkeit............................... 83 1.3.1.4 Rechtsfolgen fehlender oder unvollständiger Angaben .............. 84 1.3.2 Maßnahmen des Gerichts zur Ermittlung der Schwellenwerte............................................... 86 2. Antragsausschuss ....................................... 90 2.1 Zulässigkeitsvoraussetzungen des Antrags .................................... 92 2.1.1 Antragsberechtigung ..................... 92 2.1.2 Einsetzungsantrag durch Schutzschrift vor Insolvenzantrag ........... 97 2.1.3 Benennung geeigneter Personen und Einverständniserklärung ........ 98 2.1.4 Weitere Antragserfordernisse..... 103

Ausnahmen von der Einsetzung beim Antragsausschuss ............... 104 2.3 Gerichtliche Entscheidung über den Antrag........................... 108 3. Fakultativer Gläubigerausschuss ............. 110 4. Zusammensetzung ................................... 114 4.1 Größe ........................................... 117 4.2 Mitglieder..................................... 121 4.2.1 Grundsätzliche Feststellungen ... 121 4.2.2 Gläubigerstellung ........................ 125 4.2.3 Auswahl im Einzelnen................. 126 4.3 Ermittlung der zur Bestellungsentscheidung notwendigen Tatsachen ..................................... 140 4.3.1 Angaben gemäß § 13 Abs. 1 Satz 4 InsO .................................. 143 4.3.2 In § 13 Abs. 1 InsO nicht abgefragte, aber zwingend notwendige Angaben................... 148 4.4 Gerichtliche Maßnahmen zur Vorbereitung der Besetzungsentscheidung ................................ 153 5. Gerichtliches Vorgehen ........................... 156 6. Gerichtliches Recht zur Nachbesetzung .. 160 7. Rechtsbehelfe ........................................... 161 8. Amtsannahme und Amtsdauer................ 163 V. Beteiligung des vorläufigen Gläubigerausschusses bei der Bestellung des vorläufigen Sachwalters................... 169 1. Anhörungspflicht..................................... 174 1.1 Voraussetzung ............................. 174 1.2 Form und Fristsetzung ............... 175 1.3 Ausnahme von der Anhörungspflicht.................................. 177 2. Stellungnahme des Gläubigerausschusses .. 184 2.1 Formelle Aspekte ........................ 184 2.2 Inhalt ............................................ 188 2.2.1 Anforderungsprofil ..................... 188 2.2.2 Vorschlag zur Person .................. 190 3. Auswirkungen für die gerichtliche Entscheidung ............................................ 194 3.1 Keine Äußerung des vorläufigen Gläubigerausschusses .................. 194 3.2 Einstimmiger Beschluss .............. 195 3.3 Mehrheitsbeschluss zur Person des vorläufigen Sachwalters ........ 205 3.4 Mehrheitsbeschluss zum Anforderungsprofil ............. 206

Ampferl

2.2

213

§6

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

4.

Abwahl des bereits bestellten vorläufigen Sachwalters ........................... 207 4.1 Anwendungsbereich des § 56a Abs. 3 InsO zur Neuwahl ................................ 208 4.2 Keine Neuwahl des Verwalters... 213 4.3 Beschlussfassung ......................... 214 4.4 Rechtsfolgen ................................ 215 5. Besonderheiten im Schutzschirmverfahren................................................... 216 VI. Beteiligung des vorläufigen Gläubigerausschusses bei der Bestellung des endgültigen Sachwalters – erneute Anhörung .................................. 218 1. Anhörungspflicht..................................... 220 2. Auswirkungen auf die gerichtliche Bestellungsentscheidung ......................... 222 2.1 Einstimmiger Beschluss zur Person.................................... 222 2.2 Fortdauer der Bindungswirkung für Bestellung des endgültigen Sachwalters .................................. 223 VII. Beteiligung bei Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung ......... 224 1. Anhörungspflicht..................................... 225 1.1 Voraussetzungen ......................... 225

1.2

Zeitpunkt und Form der Anhörung .............................. 227 1.3 Zwei-Tages-Frist und Ausnahmen von der Anhörungspflicht ........................................... 229 2. Stellungnahme des Gläubigerausschusses ............................................... 231 2.1 Form............................................. 231 2.2 Inhaltliche Anforderungen für den Gläubigerausschuss ........ 232 3. Auswirkungen des Votums für die gerichtliche Entscheidung .......... 236 3.1 Zustimmendes Votum zur Anordnung trotz Kontraindikation ... 237 3.2 Ablehnendes Votum ................... 239 4. Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung....................................... 241 VIII. Erneute Anhörung bei Anordnung der Eigenverwaltung .............................. 246 IX. Allgemeine Rechte und Pflichten des vorläufigen Gläubigerausschusses......247 1. Allgemeine Rechte und Pflichten gemäß § 69 InsO...................................... 247 2. Zustimmungsrechte im Antragsverfahren, insbesondere gemäß § 276 InsO................................................ 248

Literatur: Brinkmann, Die Auflösung des Gläubigerausschusses durch die Gläubigerversammlung, ZIP 2019, 241; Frind, Regelung des „präsumtiven“ Gläubigerausschusses de lege ferenda als „Evaluationslösung“, ZIP 2019, 61; Haarmeyer, Musterantrag zur Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses nach § 22a Abs. 2 InsO (Antragsausschuss), ZInsO 2012, 370; Hammes, Das Votum des vorläufigen Gläubigerausschusses zur Frage der Eigenverwaltung und die Ermittlungspflicht des Insolvenzgerichts, ZIP 2017, 1505; Huber/Magill, Der (vorläufige) Gläubigerausschuss: aktuelle praxisrelevante Aspekte aus dem Blickwinkel eines Kreditinstitutes, ZInsO 2016, 200; Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt, H./Thole, Evaluierung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) v. 7.12.2011 (zit.: Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung), abrufbar unter https:// www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/News/Artikel/101018_Gesamtbericht_Evaluierung_ESUG. pdf (Abrufdatum: 14.2.2023); Keller, U., Die Vergütung der Mitglieder des Gläubigerausschusses – Fragen zur praktischen Anwendung des § 17 InsVV, DZWIR 2022, 123; Mock, Gläubigerausschuss: Austritt, Ausschluss, Auflösung, ZInsO 2019, 1991; Obermüller, Der Gläubigerausschuss nach dem „ESUG“, ZInsO 2012, 18; Obermüller, Das ESUG und seine Auswirkungen auf das Bankgeschäft, ZInsO 2011, 1809; Pollmächer/Siemon, Der Ein-Personen-Gläubigerausschuss – so lonely, NZI 2018, 625; Schmidt, N., Die Interessenkollision eines Gläubigerausschussmitglieds, ZInsO 2018, 2457; Smid, Präsumtive vorläufige Gläubigerausschüsse in Insolvenzeröffnungs- und Restrukturierungsverfahren, ZInsO 2020, 1279; Vallender, Rechtsstellung und Aufgaben des Gläubigerausschusses, WM 2002, 2040.

I.

Verortung der Gläubigermitwirkung

1 Das Eigenverwaltungsverfahren erfolgt im Interesse der bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger.1) Drei wesentliche Bausteine zur Sicherstellung der Ausrichtung des Verfahrens am Gläubigerinteresse sind die Zugangskontrolle für das Verfahren durch die Eigenverwaltungsplanung gemäß § 270a Abs. 1 InsO,2) die Haftung der Organe des Schuldners gemäß §§ 276a Abs. 2, 60 InsO und die verfahrensmäßige Beteiligung der Gläubiger durch ihre Organe, insbesondere den Gläubigerausschuss. ___________ 1) 2)

214

Vgl. eingehend: Landfermann in: FS Wimmer, 2017, S. 408. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 202.

Ampferl

§6

Vorläufiger Gläubigerausschuss

Die Ausrichtung des Verfahrens an den Interessen der Gläubiger steht in einem tatsäch- 2 lichen oder nur vermeintlichen Gegensatz zum Bestreben des Schuldners und seiner Organe sowie Gesellschafter nach einer Fortführung eines möglichst entschuldeten Unternehmens. Die einfache Formel könnte lauten: Je größer die Quote für die Gläubiger, desto weniger Liquidität steht für die Unternehmensfortführung zur Verfügung oder anders gewendet: je größer der „Haircut“ für die Gläubiger, desto größer der Erfolg der Sanierung. Der Gesetzgeber hat, insbesondere durch das ESUG,3) die Fortführung von Unternehmen 3 i. R. des Insolvenzverfahrens erleichtert und das Insolvenzrecht als Sanierungsrecht gestärkt.4) Trotz der Ausrichtung auf die Fortführung von Unternehmen war damit ein Paradigmenwechsel nicht verbunden.5) Die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger bleibt maßgebliches Ziel eines jeden Insolvenz- und damit auch Eigenverwaltungsverfahrens.6) Nur so wird das Verfahren dem von Art. 14 Abs. 1 GG gewährten Schutz der Ansprüche der Gläubiger gerecht.7) Zudem enthält das Insolvenzrecht mit der Insolvenzantragspflicht in § 15a InsO ein wesentliches Element des Gläubigerschutzes bei Gesellschaften ohne eine natürliche Person als haftenden Gesellschafter.8) Die Gesellschaftsgläubiger sollen bei Eintritt der materiellen Insolvenz vor einer Verringerung der ihnen zustehenden Haftungsmasse geschützt werden,9) den Gläubigern ist also das Vermögen als Haftungsfonds im Insolvenzverfahren zugewiesen. Der Haftungsfonds ist aber nicht statisch, sondern wird durch Entscheidungen zur Verfahrensart, zu verfahrensführenden Personen und Verwertungswegen stark beeinflusst. Da die Gläubiger – über die Höhe der Quote – der Erfolg oder Misserfolg der Sanierung trifft, sind sie es, die an den grundlegenden Verfahrensentscheidungen zu beteiligen sind.10) Nach der Entscheidung des Gesetzgebers gehören hierzu insbesondere die Bestellung des vorläufigen Sachwalters und die Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung. Eine gut vorbereitete Eigenverwaltung bindet Gläubiger in eigenem Interesse intensiv ein, 4 sorgt für eine ausgewogene Besetzung des Ausschusses und überzeugt die Gläubiger durch das beste Sanierungskonzept. Der Interessengegensatz zwischen Gläubigern und Schuldner wird dahingehend aufgelöst, dass die Sanierung gleichermaßen das Unternehmen nachhaltig erhält und für die Gläubiger die beste Quote bietet. Die gesetzlichen Regelungen zur Gläubigermitwirkung und ihre Umsetzung in der Praxis 5 müssen losgelöst von der vorstehend beschriebenen Best Practice einen Rahmen setzen, der Missbrauch zulasten der Gläubiger verhindert. Konkret bedeutet dies für die Umsetzung der Gläubigermitwirkung: Verhinderung nicht repräsentativer, schuldnergetriebener Zusammensetzungen von Gläubigerausschüssen; Sicherstellung der Einsetzung eines sich für die „Sache“ der Gläubiger engagierenden Sachwalters durch Votum des Ausschusses; Einforderung von Sanierungskonzepten durch den Gläubigerausschuss, die bessere Ergebnisse für alle Beteiligten hervorbringen als nur die Nutzung des Insolvenzgeldes und die Umsetzung eines „Haircuts“ bei einer im übrigen unveränderten Fortführung des Unternehmens ___________ 3) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), v. 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2582. 4) Vgl. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 2; Paulus, NZI 2015, 1001, 1006 – Erhaltung des Unternehmens steht im Vordergrund. 5) Umfassend dazu: Landfermann in: FS Wimmer, 2017, S. 408. 6) Brünkmans in: Kaiser/Thole, HK-InsO, § 270b Rz. 5. 7) BVerfG v. 12.1.2016 – 1 BvR 3102/13, ZIP 2016, 321, dazu EWiR 2016, 145 (Flöther). 8) K. Schmidt/Herchen in: K. Schmidt, InsO, § 15a Rz. 1. 9) Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 55. 10) Grundlegend: Graf-Schlicker in: FS Smid, 2022, S. 133, 134.

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215

§6

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

und Beendigung der Eigenverwaltung, wenn diese nicht an den Interessen der Gläubiger ausgerichtet ist. II.

Gläubigerbeteiligung in der Praxis

6 Ursprünglicher Wille des Gesetzgebers war es, die Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses auch bei kleineren und mittleren Unternehmen zu etablieren.11) Auch bei diesen treffen die wirtschaftlichen Ergebnisse des Verfahrens über die Höhe der Quote die Gläubiger, was ihre Beteiligung durch die Einsetzung eines obligatorischen Gläubigerausschusses rechtfertigen würde. In der Praxis ist es mitunter schwierig, geeignete und mitwirkungsbereite Gläubigerausschussmitglieder zu finden, die eine professionelle Gläubigerausschussarbeit gewährleisten.12) Soll der Ausschuss seinen gesetzlichen Aufgaben ordnungsgemäß nachkommen, erfordert dies eine sorgfältige Auswahl der Mitglieder durch das Gericht, um Missbrauch zu vermeiden. Zudem bedarf es der Bereitschaft der Gläubiger zur Mitwirkung, die erfahrungsgemäß aber erst ab einer bestimmten Unternehmensgröße gegeben ist. Für die Mehrzahl der Insolvenzverfahren kommt damit eine Einsetzung eines Gläubigerausschusses nicht in Betracht;13) der hierzu erforderliche verfahrensmäßige Aufwand steht in keinem Verhältnis zum Umfang des Verfahrens. 7 Selbst bei großen Unternehmen ist festzuhalten, dass insbesondere institutionelle Gläubiger aus Kosten-, Kapazitäts- und Haftungsgründen eine Mitgliedschaft nur ab einer gewissen Verfahrensgröße und bei erheblichen eigenen Forderungen gegen den Schuldner übernehmen.14) Gerade die Ausweitung der Haftung der Gläubigerausschussmitglieder durch den BGH15) führt zu deutlicher Zurückhaltung insbesondere bei den Banken,16) mit der Folge, dass sich in zahlreichen Verfahren eine „Bankenrunde“ etabliert, in der parallel zum Gläubigerausschuss mit den Sicherheitengläubigern Verwertungsentscheidungen besprochen werden. 8 Die Beweggründe für die Mitgliedschaft im Ausschuss gehen nicht selten über das reine Quoteninteresse hinaus. Dies ist zunächst nicht verwerflich. Soweit der Arbeitnehmer Interesse am Erhalt des Arbeitsplatzes oder der Kunde Interesse am Erhalt der Lieferbeziehung hat, entspricht dies der Intention des Gesetzes in § 67 InsO, alle Gläubigergruppen im Ausschuss abzubilden, um deren unterschiedliche Sicht einzubringen. Kritisch wird es, wenn der Ausschuss aufgrund unausgewogener Besetzung für Einzelinteressen eines Gläubigers oder einer Gläubigergruppe instrumentalisiert werden kann oder als „Family & Friends“Ausschuss im Interesse des Schuldners und nicht der Gläubiger handelt.17) III.

Kein präsumtiver Gläubigerausschuss – Vorgespräch gemäß § 10a InsO

1.

Ausgangsbefund

9 Sollen die Gläubiger effektiv an der Einsetzung eines vorläufigen Insolvenz- oder Sachwalters beteiligt werden, ist dies davon abhängig, dass der Insolvenzantrag vom Schuldner umfassend vorbereitet wird. Liefert der Schuldner nicht alle vom Gericht benötigten Informationen und stimmt er die Einsetzung des Ausschusses mit den designierten Mitgliedern ___________ 11) 12) 13) 14) 15) 16)

Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 24. Frind, ZInsO 2011, 373, 377. Frind in: HambKomm-InsO, § 22a Rz. 6. Vgl. dazu: Woltersdorf, INDat Report 1/2018, S. 12. BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977 = NJW 2018, 2125. So sprechen sich eine Mehrzahl der Bankenvertreter bei der ESUG-Evaluation für eine Haftungsbeschränkung aus: Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 226. 17) Eine Entwicklung, wie sie Frind in: HambKomm-InsO, § 22a Rz. 1 sieht, ist flächendeckend nicht festzustellen: Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 226.

216

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§6

Vorläufiger Gläubigerausschuss

sowie dem Gericht nicht ab, laufen die gesetzlichen Regelungen ins Leere.18) Die Umsetzung der Gläubigermitwirkung liegt in der Hand des Schuldners. In der Praxis haben sich Vorgespräche etabliert, in denen die designierten Gläubigeraus- 10 schussmitglieder ihre Voten für die Person des vorläufigen Sachwalters abgegeben. Welche Rechtsqualität ein solcher präsumtiver Gläubigerausschuss hat, hängt vom Einzelfall ab.19) Trotz der Bezeichnung handelt es sich nicht um einen Gläubigerausschuss i. S. der InsO und im Zweifel besteht keine Rechtsverbindlichkeit. Das Gericht ist an die Vorschläge nicht gebunden.20) Es findet sich die gesamte Bandbreite wieder, wie mit diesen Vorschlägen umgegangen wird: teilweise sind Gerichte ihnen unkritisch gefolgt, andere lehnen die Vorschläge per se ab. 2.

Gesetzliche Regelung in § 10a InsO

Angesichts der Ausgangslage war i. R. der ESUG-Evaluation vorgeschlagen worden, einen 11 präsumtiven Gläubigerausschuss zu etablieren.21) Der Gesetzgeber ist dem nicht gefolgt und hat die bislang informellen Vorgespräche mit dem Gericht in § 10a InsO gesetzlich normiert. In Zusammenhang mit der Bestellung des Gläubigerausschusses sind in der Vorschrift zwei Aspekte geregelt:  Der Schuldner kann i. R. des Vorgespräches gemäß § 10a Abs. 1 InsO mit dem Gericht die Besetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses abstimmen, d. h. er kann konkrete Vorschläge machen und das Gericht kann seine Anforderungen definieren. Eine abschließende verbindliche Festlegung hinsichtlich der Mitglieder erfolgt nicht.  Das Gericht kann gemäß § 10a Abs. 2 InsO nach Zustimmung des Schuldners mit Gläubigern in Kontakt treten, um deren Bereitschaft zur Mitwirkung im Ausschuss zu erfragen. Das Gericht hat sich in den Gesprächen aber auch ein Bild von der Gläubigerstruktur zu machen, damit es prüfen kann, ob die geplante Besetzung des Ausschusses die Gläubigerschaft repräsentativ i. S. des § 67 Abs. 2 InsO abbildet. Im Ergebnis ist zu konstatieren, dass die effektive Gläubigerbeteiligung auch mit Einfüh- 12 rung des § 10a InsO von der umfassenden Vorbereitung des Insolvenzantrages durch den Schuldner abhängt. Damit der Schuldner seine Einflussmöglichkeiten nicht missbraucht, bedarf es bei der Besetzung eines entscheidungsbefugten Gläubigergremiums des Korrektivs durch das Gericht. Die Gläubigerbeteiligung stößt damit im Vorfeld der Einleitung eines formalen Verfahrens an ihre Grenzen. Gläubigerautonomie ist aber kein Selbstzweck, sondern dient der bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger. Hierzu bietet aber das Gericht für diesen Fall eine höhere Gewähr für eine Entscheidung im besten Interesse der Gläubiger als eine Bindung an ein schuldner- oder beratergetriebenes missbrauchsanfälliges Gremium. IV.

Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses

In § 270c InsO wird der Kreis möglicher gerichtlichen Maßnahmen bei Anordnung der vor- 13 läufigen Eigenverwaltung definiert. Für das Schutzschirmverfahren als besondere Form der vorläufigen Eigenverwaltung22) trifft § 270d InsO weitere (speziellere) Regelungen zum Katalog gerichtlicher Maßnahmen. Die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses bei Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung und damit auch für das Schutzschirmverfahren wird dem Gericht durch die Verweisung des § 270c Abs. 3 Satz 1 InsO auf § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO ermöglicht. ___________ 18) 19) 20) 21) 22)

Vallender in: Uhlenbruck, InsO, § 22a Rz. 3. Smid, ZInsO 2020, 1279, 1281, spricht sich für ein Auftragsverhältnis aus. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 56a Rz. 7. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 225. Fiebig in: HambKomm-InsO, § 270d Rz. 1.

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§6

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

14 Keinen expliziten Verweis enthält § 270c Abs. 3 Satz 1 InsO auf § 22a InsO. Daher stellt sich die Frage, ob das Gericht einen obligatorischen Gläubigerausschuss bzw. einen Antragsausschuss gemäß § 22a InsO einsetzen muss, wenn die Schwellenwerte überschritten sind bzw. ein Antrag gestellt wird.23) Die Nichtanwendung des § 22a InsO bei Antrag auf Eigenverwaltung würde aber bedeuten, dass gerade bei der risikoträchtigeren Verwaltung der Insolvenzmasse durch den Schuldner die für das Regelverfahren zwingend vorgeschriebene Mitwirkung des Gläubigerausschusses ausgehebelt wäre. Ein solcher Wertungswiderspruch wäre nicht mit den gesetzlichen Regelungen zur Mitwirkung des Gläubigerausschusses bei der Anordnung der Eigenverwaltung (§ 270b Abs. 3 Satz 1 InsO), der Bestellung des vorläufigen Sachwalters (§ 274 Abs. 1 InsO), der Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung (§ 270e Abs. 4 Satz 1 InsO) und bei besonders bedeutsamen Rechtshandlungen gemäß § 276 InsO vereinbar. § 270c Abs. 3 Satz 1 InsO sperrt daher nur die Anordnung weiterer Sicherungsmaßnahmen, nicht aber die Anwendung anderer allgemeiner Vorschriften, so dass für die vorläufige Eigenverwaltung und das Schutzschirmverfahren § 22a InsO über § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO zur Anwendung kommt.24) 15 Gemäß § 22a Abs. 1 InsO hat das Gericht einen Ausschuss einzusetzen, wenn der Schuldner mindestens zwei von drei gesetzlich benannten Schwellenwerten überschreitet („obligatorischer Gläubigerausschuss“)25). § 22a Abs. 2 InsO räumt dem Schuldner, dem vorläufigen Insolvenzverwalter oder jedem Gläubiger das Recht ein, die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses zu beantragen, welcher durch das Gericht daraufhin eingesetzt werden „soll“ bzw. einzusetzen ist („Antragsausschuss“)26). Schließlich kann das Insolvenzgericht gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO einen vorläufigen Gläubigerausschuss einsetzen, wenn es i. R. seiner nach § 21 Abs. 1 InsO zu treffenden Entscheidung zu der Überzeugung gelangt, dass diese Maßnahme erforderlich ist, eine nachteilige Veränderung der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten („fakultativer Gläubigerausschuss“).27) 16 Nach Eingang eines zulässigen Insolvenzantrages ergibt sich für das Gericht folgende zeitliche Abfolge der zu treffenden Anordnungen: 

Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses gemäß §§ 270c Abs. 3 Satz 1, 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, 22a InsO und Anhörung zur Person des vorläufigen Sachwalters gemäß §§ 270b Abs. 1 Satz 1, 274, 56a InsO sowie ggf. gemäß § 270b Abs. 3 InsO zur Anordnung der Eigenverwaltung trotz Kontraindikationen, § 270b Abs. 2 InsO,



Bestellung eines vorläufigen Sachwalters und damit Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung nach Vorliegen des Votums des Gläubigerausschusses zur Person des vorläufigen Sachwalters und zur Anordnung der Eigenverwaltung trotz Kontraindikationen, soweit die Voraussetzungen des § 270b InsO vorliegen.

17 Von dieser Abfolge kann nur abgewichen werden, wenn bereits die Einsetzung des Ausschusses Verzögerungen mit sich bringt, die zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage des Schuldners führen, § 22a Abs. 3 Alt. 3 InsO, oder die Anhörung des Ausschusses innerhalb von zwei Werktagen offensichtlich die Vermögenslage des Schuldners nachteilig verändert, § 56a InsO bzw. § 270b Abs. 3 InsO. ___________ 23) Dafür zur Vorgängerregelung: Undritz in: K. Schmidt, InsO, § 270b Rz. 11; dagegen: Böhm in: Braun, InsO, § 22a Rz. 16 – Schuldner soll Kontrolle über das Unternehmen behalten. 24) Fiebig in: HambKomm-InsO, § 270c Rz. 5. 25) Die Terminologie ist nicht einheitlich; teilweise als originärer Pflichtausschuss bezeichnet. 26) Auch derivativer Pflichtausschuss genannt. 27) Vgl. AG Bremen v. 21.12.2017 – 513 IN 16/17, ZInsO 2018, 193, dazu EWiR 2018, 281 (Henkel) – zur Einsetzung eines Ausschusses als milderes Mittel im Vergleich zur Aufhebung der Eigenverwaltung.

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§6

Vorläufiger Gläubigerausschuss 1.

Obligatorischer Gläubigerausschuss

1.1

Überschreiten der Schwellenwerte

Gemäß § 22a Abs. 1 InsO ist ein vorläufiger Gläubigerausschuss einzusetzen, wenn der 18 Schuldner im vorangegangenen Geschäftsjahr zumindest zwei der drei nachstehenden Leistungsmerkmale erfüllt hat: 

mindestens 6.000.000 € Bilanzsumme nach Abzug eines auf der Aktivseite ausgewiesenen Fehlbetrages i. S. des § 268 Abs. 3 HGB,



mindestens 12.000.000 € Umsatzerlöse in den zwölf Monaten vor dem Abschlussstichtag,



im Jahresdurchschnitt mindestens 50 Arbeitnehmer.

Die Schwellenwerte entsprechen den Merkmalen zur Abgrenzung einer kleinen von einer 19 mittelgroßen Kapitalgesellschaft gemäß § 267 Abs. 1 HGB. Zur Bestimmung kann daher auf die Kommentierungen zu dieser Vorschrift zurückgegriffen werden, nachdem in beiden Normen eine typisierende Einordnung vorgenommen wird.28) Bei der Beurteilung ist gemäß § 22a Abs. 1 InsO auf das vorangegangene Geschäftsjahr 20 abzustellen und nicht auf das zurückliegende Kalenderjahr. Bei einem abweichenden Geschäftsjahr ist also dieses maßgeblich. Es ergibt sich damit folgende Systematik: 

Die Voraussetzungen für die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen gemäß § 21 InsO müssen grundsätzlich im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorliegen.29)



§ 22a Abs. 1 InsO normiert eine Sonderregelung, nach der auf Schwellenwerte des vorangegangenen Geschäftsjahres zurückgegriffen werden kann. Zur Erleichterung der Feststellung der Schwellenwerte ist dies gerechtfertigt. Die typisierende Betrachtungsweise bringt es mit sich, dass Veränderungen des Unternehmens seit dem letzten Abschlussstichtag unbeachtet bleiben. Dies ist angesichts der Tatsache, dass die Einsetzung eines Gläubigerausschusses keinen schwerwiegenden Eingriff in die Rechte des Schuldners darstellt, auch gerechtfertigt. Für die zeitpunktbezogene Höhe der Bilanzsumme und die Anzahl der Arbeitnehmer kann uneingeschränkt auf das vorangegangene Geschäftsjahr abgestellt werden.



Für die Umsatzerlöse – eine zeitraumbezogene Größe – sieht § 22a Abs. 1 InsO vor, dass auf die letzten zwölf Monate vor dem letzten Abschlussstichtag abzustellen ist. Dies entspricht regelmäßig dem vorangegangenen Geschäftsjahr; muss es aber (bei Rumpfgeschäftsjahren) nicht.

Die Höhe der Schwellenwerte wurde von den Befragten der ESUG-Evaluation überwie- 21 gend als angemessen erachtet.30) Der ursprünglichen Kritik an den Schwellenwerten als zu niedrig31) wurde mit ihrer Anhebung durch das BilRUG32) 2015 Rechnung getragen.33)

___________ Vgl. für HGB: Reiner in: MünchKomm-HGB, § 267 Rz. 4. Hölzle in: K. Schmidt, InsO, § 21 Rz. 19. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 221. Pape, ZInsO 2011, 1033, 1037; Steinwachs, ZInsO 2011, 410; Frind, ZInsO 2011, 373, 376; Urlaub, ZIP 2011, 1040, 1042. 32) Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.6.2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates (Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz – BilRUG), BGBl. I 2015, 1245. 33) Frind in: HambKomm-InsO, § 22a Rz. 5. 28) 29) 30) 31)

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§6

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

1.1.1 Bilanzsumme 22 Die Bilanzsumme ist die Summe aller Aktivposten abzüglich eines auf der Aktivseite eventuell ausgewiesenen „Nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrags“ gemäß § 268 Abs. 3 HGB.34) Bei Gesellschaften i. S. des § 264a HGB ohne natürliche Person als persönlich haftenden Gesellschafter, etwa bei der GmbH & Co. KG, ist der Betrag „Nicht durch Vermögenseinlagen gedeckter Verlustanteil persönlich haftender Gesellschafter“ gemäß § 264c Abs. 2 Satz 5 HGB abzuziehen. Gleiches gilt für die KGaA gemäß § 286 Abs. 2 Satz 3 AktG. Entscheidend ist die Bilanzsumme der rechtmäßigen Bilanz.35) Die zulässige Darstellung von Bilanzvermerken im Anhang oder in der Bilanz selbst hat keinen Einfluss auf die Höhe der Bilanzsumme.36) 23 Praxisproblem: Auch bei Gesellschaften mit fristgerechter Bilanzierung liegt – je nach zeitlichem Abstand des Insolvenzantrages zum letzten Bilanzstichtag – noch keine Bilanz vor. So kann im ersten Quartal noch keine vollständige Bilanz des Vorjahres erwartet werden. In diesem Fall sind die Werte zu schätzen (näher zur Schätzung siehe Rz. 80).37) Hierzu können ausgehend von den Vorjahreswerten sachgerechte Zu- und Abschläge vorgenommen werden.38) 24 Offen lässt der Gesetzestext die Bestimmung des Merkmals für den Fall, dass der Schuldner nicht bilanzierungspflichtig ist. Soweit keine Bilanzierungspflicht besteht, weil das Unternehmen keinen nach Art oder Umfang in kaufmännischer Weise eingerichteten Gewerbebetrieb erfordert (§ 1 Abs. 2 HGB), entstehen keine Probleme, weil das Unternehmen bei dieser Konstellation die Schwellenwerte nicht erreichen kann. Problematisch sind die Fälle der Katalogberufe gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG, bei denen keine Bilanzierungspflicht besteht, auch wenn das Unternehmen eine erhebliche Größe erreicht. So ist es denkbar, dass eine Gemeinschaftspraxis von Ärzten die Schwellenwerte des § 22a Abs. 1 InsO übersteigt. Es könnte zunächst daran gedacht werden, dass der Freiberufler seine Bilanzsumme zu schätzen hat. Dies kann aber zu erheblichen Schwierigkeiten führen bei der Bestimmung der Buchwerte beim Anlage- und Umlaufvermögen. Als Ergebnis kann nur gelten: Bei Personen, die nicht bilanzierungspflichtig sind und damit auch keine Bilanzsumme ausweisen, kann diese Angabe nicht eingefordert werden.39) Die Entscheidung zum Pflichtausschuss gemäß § 22a InsO ist anhand der anderen beiden Schwellenwerte zu treffen, die beide vorliegen müssen. Infolgedessen kann es vorkommen, dass bei Freiberuflern kein Gläubigerausschuss eingesetzt wird, wenn das Unternehmen nicht die beiden anderen Schwellenwerte (Umsatzerlöse und Anzahl der Arbeitnehmer) erfüllt. Soweit das Gericht angesichts der Größe eines solchen Verfahrens die Notwendigkeit sieht, kann es aus eigenem Ermessen einen Ausschuss einsetzen, oder die Gläubiger, der vorläufige Insolvenzverwalter oder der Schuldner können die Einsetzung beantragen. 1.1.2 Umsatzerlöse 25 Umsatzerlöse sind als Posten i. R. der Gewinn- und Verlustrechnung gemäß § 275 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 HGB auszuweisen und in § 277 Abs. 1 HGB gesetzlich definiert als „Erlöse aus dem Verkauf und der Vermietung oder Verpachtung von Produkten sowie aus der Erbringung von Dienstleistungen der Kapitalgesellschaft nach Abzug von Erlösschmäle___________ 34) 35) 36) 37) 38) 39)

220

Reiner in: MünchKomm-HGB, § 267 Rz. 6; Merkt in: Hopt, HGB, § 267 Rz. 2. Reiner in: MünchKomm-HGB, § 267 Rz. 6. Reiner in: MünchKomm-HGB, § 267 Rz. 6. AG Essen v. 25.3.2015 – 166 IN 22/15, ZIP 2015, 939 = ZInsO 2015, 754. Hölzle in: K. Schmidt, InsO, § 22a Rz. 17. Haarmeyer/Schildt in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 82.

Ampferl

§6

Vorläufiger Gläubigerausschuss

rungen und der Umsatzsteuer sowie sonstiger direkt mit dem Umsatz verbundener Steuern“. Ob die Erlöse aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit herrühren, ist nicht von Bedeutung. Macht eine Gesellschaft von ihrem Saldierungswahlrecht gemäß § 276 HGB Gebrauch 26 und weist in der GuV lediglich ein „Rohergebnis“ aus, so ist die Höhe der darin enthaltenen Umsatzerlöse separat zu ermitteln.40) Nicht zu den Umsatzerlösen zählen die Bestandsveränderungen i. S. des § 275 Abs. 2 Nr. 2 27 HGB, wie sie in § 277 Abs. 2 HGB gesetzlich definiert sind. Für § 22a Abs. 1 Nr. 2 InsO ist also nicht auf das Gesamtergebnis abzustellen. In zeitlicher Hinsicht stellt § 22a Abs. 1 Nr. 2 InsO für die Bestimmung der Umsatzerlöse 28 als vorrangige spezielle Regelung auf die letzten zwölf Monate vor dem Abschlussstichtag ab und nicht auf das vorangegangene Geschäftsjahr, wie § 22a Abs. 1 InsO für alle drei Schwellenwerte allgemein normiert. Dies entspricht der Regelung des § 267 Abs. 1 Nr. 2 HGB. Relevant wird diese Differenzierung bei einem Rumpfgeschäftsjahr, d. h. einem Geschäftsjahr, das keine zwölf vollen Monate umfasst, bspw. weil das Unternehmen zuletzt einen neuen Abschlussstichtag gewählt hat oder neu gegründet wurde. Bei einem kürzeren vorangegangenen (Rumpf-)Geschäftsjahr sind für die Beurteilung der Umsatzerlöse die tatsächlichen Umsätze des Rumpfgeschäftsjahres und der Monate des dem Rumpfgeschäftsjahr vorausgegangenen Geschäftsjahres heranzuziehen, die den fehlenden Monaten entsprechen. Ist das Rumpfgeschäftsjahr z. B. aufgrund Neugründung oder Umwandlung des Unterneh- 29 mens zugleich das erste Geschäftsjahr und können folglich keine tatsächlichen Umsätze aus dem vorangegangenen Geschäftsjahr herangezogen werden, so könnte man für die Berechnung der Umsatzerlöse lediglich den Zeitraum des Rumpfgeschäftsjahres als Grundlage nehmen.41) Dies führt aber zu dem unbefriedigenden Ergebnis, dass die Erfüllung dieses Leistungsmerkmals je nach Länge des Rumpfgeschäftsjahres letztlich vom Zufall abhinge. Sowohl die handelsrechtliche Regelung des § 267 Abs. 1 Nr. 2 HGB als auch die Vorschrift des § 22a Abs. 1 Nr. 2 InsO sind deshalb dahin gehend auszulegen, dass die im Rumpfgeschäftsjahr erzielten Umsatzerlöse auf ein Jahresergebnis hochzurechnen sind.42) Saisonale Einflüsse auf die jeweiligen Umsätze sind dabei – soweit bekannt – zu berück- 30 sichtigen. Sind solche unbekannt, so sind Ungenauigkeiten aufgrund nicht berücksichtigter Umsatzschwankungen bei der Hochrechnung der Umsatzerlöse hinzunehmen, da die Einordnung allemal näher an der Wirklichkeit sein wird als die Berücksichtigung allein der Umsatzerlöse des (ggf. sehr kurzen) Rumpfgeschäftsjahres.43) 1.1.3 Anzahl der Arbeitnehmer Der Begriff des Arbeitnehmers bestimmt sich nach den arbeitsrechtlichen Grundsätzen 31 unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BAG.44) Arbeitnehmer ist danach jede natürliche Person, die sich anlässlich eines (auch unwirksamen jedoch tatsächlich durchgeführten) privatrechtlichen Vertrags einem anderem gegenüber zur Leistung einer fremdbestimmten Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet hat.45)

___________ 40) 41) 42) 43) 44) 45)

Reiner in: MünchKomm-HGB, § 267 Rz. 7. So für § 267 HGB Joswig, BB 2007, 763, 764. Umfassend Reiner in: MünchKomm-HGB, § 267 Rz. 16; a. A. Joswig, BB 2007, 763, 764. Reiner in: MünchKomm-HGB, § 267 Rz. 16. Vallender in: Uhlenbruck, InsO, § 22a Rz. 19. St. Rspr. des BAG, etwa BAG v. 22.11.2016 – 9 AZB 41/16, Rz. 17, NZA 2017, 581.

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221

§6

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

32 Für § 267 HGB wird erwogen, den Arbeitnehmerbegriff des EuGH46) heranzuziehen.47) Auch wenn sich für § 22a InsO kein Erfordernis einer europarechtlichen Bestimmung ergibt, ist zur Vereinfachung der Handhabung die Anzahl der Arbeitnehmer im Gleichklang mit § 267 HGB zu bestimmen. 33 Nachdem sich die InsO an die Regelung des § 267 HGB anlehnt, ist § 267 Abs. 5 HGB analog anzuwenden.48) Auch bei § 22a Abs. 1 Nr. 3 InsO kommt es auf eine typisierende Einordnung anhand klarer Kriterien an. 34 Bei der Berechnung sind damit entsprechend § 267 Abs. 5 HGB die im Ausland beschäftigten Arbeitnehmer mitzuzählen. Ebenfalls mitzuzählen sind Aushilfskräfte. Teilzeitbeschäftigte sind – wie bei der Ermittlung i. R. des § 267 HGB – voll mitzuzählen und nicht auf Vollzeitarbeitskräfte umzurechnen.49) Eine Umrechnung, wie sie § 23 Abs. 1 Satz 4 KSchG vorsieht, ist nicht erforderlich. Richtigerweise sollte der Schuldner für die Angaben gemäß § 13 Abs. 1 Satz 5 InsO ohne weiteres auf seine Bilanz zurückgreifen können und auch für § 22a InsO sollte auf beim Schuldner vorhandene Daten zurückgegriffen werden können. Trotz des vom BAG vollzogenen Rechtsprechungswandels hinsichtlich der Berücksichtigung der Leiharbeitskräfte bei der Festlegung der Schwellenwerte zur Anwendung des KSchG und bei der Betriebsratswahl50) sind Mitarbeiter, die i. S. des AÜG bei einem dritten Verleiher beschäftigt sind, nicht als Arbeitnehmer i. S. des § 267 HGB des Entleihers anzusehen und daher grundsätzlich dem überlassenden Unternehmen zuzurechnen.51) 35 Keine Arbeitnehmer sind Personen, deren Arbeitsverhältnis ruht,52) etwa Mitarbeiter in Elternzeit. Gemäß § 267 Abs. 5 HGB sind zudem nicht zu berücksichtigen die zur Berufsausbildung Beschäftigten. Weiterhin keine Mitarbeiter sind die Mitglieder der Gesellschaftsorgane.53) 36 Der Jahresdurchschnitt der beschäftigten Arbeitnehmer ist analog § 267 Abs. 5 HGB zu bilden, indem die Summe der Quartalszahlen zum 31.3., 30.6., 30.9. und 31.12. eines Jahres durch vier geteilt wird („arithmetisches Mittel“). 37 Handelt es sich bei dem vorangegangenen Geschäftsjahr um ein Rumpfgeschäftsjahr, so ist entsprechend dem Wortlaut allein dieses zur Bestimmung der durchschnittlichen Arbeitnehmeranzahl heranzuziehen.54) Der Jahresdurchschnitt ist zu bilden, indem die Summe der vorhandenen Quartalszahlen des Rumpfgeschäftsjahres durch deren Anzahl geteilt wird („zeitraumbezogener Durchschnitt“). Enthält das Rumpfgeschäftsjahr keinen einzigen der genannten Stichtage, ist die Arbeitnehmerzahl zum Abschlussstichtag entscheidend.55) 1.2

Ausnahmen von der Einsetzungspflicht

38 Mit Überschreiten der Schwellenwerte ist in der Regel davon auszugehen, dass die Einsetzung eines Gläubigerausschusses geboten ist, weil bei Verfahren dieser Größenordnung ___________ 46) 47) 48) 49) 50) 51) 52) 53) 54) 55)

222

EuGH v. 11.11.2010 – Rs. C-232/09, Rz. 39, ZIP 2010, 2414 = NJW 2011, 2343. Reiner in: MünchKomm-HGB, § 267 Rz. 8. Vallender in: Uhlenbruck, InsO, § 22a Rz. 19. Reiner in: MünchKomm-HGB, § 267 Rz. 8 m. w. N. BAG v. 24.1.2013 – 2 AZR 140/12, ZIP 2013 1442, dazu EWiR 2013, 493 (Fuhlrott); BAG v. 13.3.2013 – 7 ABR 69/11, ZIP 2013, 1489, dazu EWiR 2013, 539 (Korff). Reiner in: MünchKomm HGB, § 267 Rz. 9; Blankenburg in: KPB, InsO, § 22a Rz. 21. Reiner in: MünchKomm-HGB, § 267 Rz. 8. Reiner in: MünchKomm-HGB, § 267 Rz. 8. „Jahresdurchschnitt“ aus § 22a Abs. 1 Nr. 3 InsO bezieht sich insoweit auf das „vorangegangene Geschäftsjahr“ aus § 22a Abs. 1 InsO. Reiner in: MünchKomm-HGB, § 267 Rz. 16.

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§6

Vorläufiger Gläubigerausschuss

nach Ansicht des Gesetzgebers die Gläubiger vermutlich ein Interesse an der Mitwirkung haben und der mit der Einsetzung verbundene kostenmäßige und organisatorische Aufwand angesichts der Verfahrensgröße gerechtfertigt ist. § 22a Abs. 3 InsO regelt drei Ausnahmen von der Verpflichtung zur Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses. Demnach ist ein vorläufiger Gläubigerausschuss nicht einzusetzen, wenn 

der Geschäftsbetrieb des Schuldners eingestellt ist (Var. 1),



die Einsetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses im Hinblick auf die zu erwartende Insolvenzmasse unverhältnismäßig ist (Var. 2) oder



die mit der Einsetzung verbundene Verzögerung zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage des Schuldners führt (Var. 3).

In Bezug auf die beiden ersten Ausnahmetatbestände geht der Gesetzesgeber davon aus, 39 dass die Einsetzung für das gesamte Verfahren nicht zweckmäßig ist.56) Die vom Gesetzgeber gewollte Mitbestimmung der Gläubiger kann zudem mit den sehr kurz- 40 fristigen Handlungserfordernissen im Insolvenzantragsverfahren kollidieren. Im Rahmen von Unternehmensinsolvenzen besteht nahezu ausnahmslos ein Zeitproblem.57) Eine Entscheidung – insbesondere zur Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters/Sachwalters – unter Beteiligung von Gläubigern wird in der Regel einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen als die unverzüglich umsetzbare alleinige Entscheidung des Richters. Das Gesetz löst diesen Konflikt durch die dem Gericht nach Maßgabe des dritten Ausnahmetatbestandes eingeräumte Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen bei einer Verzögerung von der Einsetzungspflicht abzusehen. 1.2.1 Eingestellter Geschäftsbetrieb Auch wenn die Eigenverwaltung in der Regel bei größeren Unternehmen mit Betriebsfort- 41 führung in Betracht kommt, ist sie für Liquidationsverfahren nicht per se ausgeschlossen.58) Ein vorläufiger Gläubigerausschuss ist in diesem Fall nicht einzusetzen, wenn der Geschäftsbetrieb des Schuldners eingestellt ist. Zur Bestimmung dieses Merkmals ist auf die Rechtsprechung zu § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO abzustellen.59) Gegenstand dieser Rechtsprechung war die Frage, wann eine Zuständigkeit des Insolvenzgerichts – abweichend vom Satzungssitz – am Ort der selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit gegeben ist. Im Rahmen von Firmenbestattungen wurde häufig eine Abwicklungstätigkeit fernab des ursprünglichen Wirkungskreises der Gesellschaft behauptet und eine Zuständigkeit des Insolvenzgerichts am Ort dieser Abwicklung in den Raum gestellt.60) Die Gerichte sind dem entgegengetreten und haben als Voraussetzung für die Zuständigkeit gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO eine werbende Tätigkeit angenommen. Eine solche Tätigkeit ist nicht mehr gegeben, wenn der Gewerbebetrieb abgemeldet ist, die bestehenden Arbeitsverhältnisse aufgelöst sind und etwa angemietete Räumlichkeiten zurückgegeben wurden,61) mithin kein Geschäftslokal mehr vorhanden ist. Reine Abwicklungstätigkeiten stellen keine werbende Tätigkeit mehr dar.62) Trotz der Abwicklungsarbeiten ist der Geschäftsbetrieb schon eingestellt. Für § 22a Abs. 3 ___________ 56) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 25. 57) Pape, ZInsO 2011, 1033, 1037; Frind, ZInsO 2011, 757, 758; Steinwachs, ZInsO 2011, 410, 411. 58) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204; anders: AG Hamburg v. 18.12.2013 – 67c IN 410/13, NZI 2014, 269. 59) AG Hamburg v. 26.9.2013 – 67c IN 320/13, ZIP 2013, 2418 = NZI 2014, 31. 60) Grundsätzlich zur Firmenbestattung: Kleindiek, ZGR 2007, 276 ff. 61) OLG Schleswig v. 4.2.2004 – 2 W 14/04, ZIP 2004, 1476 = NZI 2004, 264; BayObLG v. 13.8.2003 – 1Z AR 83/03, ZInsO 2003, 902, 903 = NZI 2004, 90, dazu EWiR 2004, 763 (Pape). 62) OLG Hamm v. 24.6.1999 – 1 Sbd 16/99, ZInsO 1999, 533, 534.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

Alt. 1 InsO ist damit auf die Ausübung einer werbenden Tätigkeit abzustellen. Zur Bestimmung sind die vorgenannten Kriterien, welche für § 3 InsO entwickelt wurden, heranzuziehen. 42 Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung des Merkmals ist die Entscheidungsreife des Einsetzungsbeschlusses. Greift zunächst die temporäre Einsetzungssperre des § 22a Abs. 3 Alt. 3 InsO ein und ist nach deren Wegfall der Betrieb vollständig zusammengebrochen, besteht keine Pflicht zur Einsetzung eines Ausschusses.63) Da sich die Einstellung des Betriebes regelmäßig als Entwicklung verschiedener Parameter darstellt und weniger als einmaliges Ereignis, ergeben sich Abgrenzungsprobleme bezogen auf den zeitlichen Aspekt in drei Fällen: 

zum einen der bei Antragstellung noch werbend tätige Betrieb, dessen Einstellung aber absehbar erscheint,64)



zum anderen der bereits eingestellte Betrieb, dessen Reanimation im Raum steht,65) und



zum dritten der noch werbend tätige Betrieb, der nach der Einsetzung zusammenbricht.

43 Für den ersten Fall ist zunächst festzuhalten, dass praktisch bei einer Vielzahl von Verfahren mit Insolvenzantragstellung eine Betriebseinstellung droht und es die Aufgabe des eigenverwaltenden Schuldners und des vorläufigen Sachwalters ist, den Betrieb zu stabilisieren. Maßgeblich muss es in diesem Fall also sein, dass das Gericht nach seiner Prognose bei Antragstellung es für überwiegend wahrscheinlich hält, dass der Betrieb irreversibel zum Erliegen kommen wird, weil nur dann die Sinnhaftigkeit des Ausschusses nach der Intention des Gesetzgebers nicht mehr gegeben ist.66) 44 Auch für den zweiten Fall hat das Gericht bei Antragstellung eine Prognose abzugeben, wie wahrscheinlich die Wiederaufnahme ist, weil der Gesetzgeber bei der Einsetzungspflicht hauptsächlich diejenigen Fälle erfassen wollte, bei denen es um die Sanierung von Unternehmen und den Erhalt von Arbeitsplätzen geht.67) Nur wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen – etwa die erklärte Bereitschaft des Hauptkunden zur Wiederaufnahme der Warenabnahme –, dann hat das Gericht einen Ausschuss zu bestellen.68) Allein die Hoffnung auf Wiederbelebung kann keine Pflicht zur Einsetzung begründen. 45 Übt der Schuldner bei Antragstellung eine werbende Tätigkeit aus und wird vom Gericht ein Gläubigerausschuss eingesetzt, muss das Unternehmen sodann im weiteren Verlauf des Antragsverfahrens aber eingestellt werden, kann das Gericht den Einsetzungsbeschluss weder aufheben69) noch den Ausschuss auflösen.70) Gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a InsO finden auf den vorläufigen Gläubigerausschuss die Vorschriften der §§ 69 bis 73 InsO Anwendung. Gemäß § 70 InsO kann das Gericht bei einem einmal eingesetzten Ausschuss nur einzelne Mitglieder aus wichtigem Grund entlassen. Die Einstellung des Geschäftsbetriebs ist aber kein wichtiger Grund für die Entlassung aller Mitglieder. Dem Gericht steht damit keine Befugnis zu, den Ausschuss aufzulösen. Mit Eröffnung des Verfahrens endet aber das Amt der Ausschussmitglieder automatisch und das Gericht kann von der (erneuten) Einsetzung des Ausschusses absehen. ___________ 63) 64) 65) 66) 67) 68) 69) 70)

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AG Hamburg v. 26.9.2013 – 67c IN 320/13, ZIP 2013, 2418 = NZI 2014, 31. AG Hamburg v. 3.5.2013 – 67c IN 161/13, ZIP 2013, 1391 = ZInsO 2013, 1804. Vgl. dazu Martini, ZInsO 2013, 1782. Ähnlich Hölzle in: K. Schmidt, InsO, § 22a Rz. 25 – Ausproduktion keine werbende Tätigkeit. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 24. Ähnlich Pape, ZInsO 2013, 2129, 2131 – theoretische Möglichkeit der Wiederaufnahme reicht nicht. So aber Vallender in: Uhlenbruck, InsO, § 22a Rz. 35. Blankenburg in: KPB, InsO, § 22a Rz. 40; a. A. Hölzle in: K. Schmidt, InsO, § 22a Rz. 26.

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Vorläufiger Gläubigerausschuss 1.2.2 Unverhältnismäßigkeit im Hinblick auf die zu erwartende Masse

Nach der Gesetzesbegründung ist ein Gläubigerausschuss nicht einzusetzen, wenn dies 46 einen – bezogen auf das Restvermögen des Schuldners – unverhältnismäßigen Aufwand an Zeit und Kosten verursachen würde.71) Vor diesem Hintergrund ist zu klären, welche Ermittlungen das Gericht zu den Kosten und der Insolvenzmasse vorzunehmen hat und welche Relation der Kosten zur Masse zum Ausschluss führt. 1.2.2.1

Auffassungen in Literatur und Rechtsprechung

Nach der von Frind vertretenen Auffassung hat das Gericht zunächst die freie zur Vertei- 47 lung an die Gläubiger am Ende des Verfahrens zur Verfügung stehende Masse zu prognostizieren.72) Frind stellt entgegen der gesetzlichen Definition in § 35 InsO damit nicht auf die Insolvenzmasse, sondern auf die Verteilungsmasse als Bezugsgröße ab. In einem zweiten Schritt sind die Kosten für den Gläubigerausschuss abzuschätzen unter 48 Berücksichtigung der zu erwartenden Sitzungshäufigkeiten und unter Einbeziehung der notwendigen Kosten für die Versicherung.73) Sodann sind die beiden Werte einem Vergleich zu unterziehen. Frind geht davon aus, dass 49 die ermittelten Kosten den Anteil von 5 % an der freien Masse in kleineren Verfahren und 1 % in größeren Verfahren nicht überschreiten dürfen.74) Da nach dieser Ansicht eine feste Quote der Masse als Schwellenwert zur Unverhältnismäßigkeit angesehen wird, soll diese Theorie hier als Fixquotentheorie bezeichnet werden. Soweit das Gericht diese Ermittlungen nicht vornehmen kann, habe es einen Sachverständigen einzusetzen.75) Das AG Ludwigshafen hat in einem Insolvenzverfahren zunächst einen vorläufigen Insol- 50 venzverwalter eingesetzt und diesen als Sachverständigen damit beauftragt, die Relation von Teilungsmasse und Kosten zu ermitteln. Auf dieser Basis ist es davon ausgegangen, dass jedenfalls bei einem zu erwartenden Anteil von 7 % der Kosten bezogen auf die Teilungsmasse eine Unverhältnismäßigkeit gegeben sei.76) 1.2.2.2

Stellungnahme

Soweit man sich nur am Wortlaut orientiert, erscheint sich daraus die vorstehend darge- 51 stellte rechnerische Ermittlung zu ergeben. Sie ist zu diesem frühen Zeitpunkt des Verfahrens praktisch aber völlig ausgeschlossen.77) Der abschließende Umfang der Insolvenzmasse ist noch nicht bestimmbar, der Bestand an Sicherungsrechten ist unklar, die Masseverbindlichkeiten sind nicht annähernd abschätzbar. Die Kosten für den Gläubigerausschuss können ebenfalls nicht vorhergesehen werden. Pape spricht daher zu Recht von einer unmöglichen Prognose.78) Daraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass das Gericht von der Bestellung 52 aufgrund der mit der Einsetzung verbundenen Verzögerung absieht79) oder gar von einer

___________ 71) 72) 73) 74) 75) 76) 77) 78) 79)

Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 25. Frind in: HambKomm-InsO, § 22a Rz. 26; ebenso Hölzle in: K. Schmidt, InsO, § 22a Rz. 27. Frind in: HambKomm-InsO, § 22a Rz. 27. Frind in: HambKomm-InsO, § 22a Rz. 31. Frind in: HambKomm-InsO, § 22a Rz. 29; Musterbeschluss: Frind, ZInsO 2012, 386, 387. AG Ludwigshafen v. 4.5.2012 – 3f IN 103/12, ZIP 2012, 2310 = NZI 2012, 850. Haarmeyer/Schildt in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 151. Pape, ZInsO 2011, 1033, 1037. Pape, ZInsO 2011, 1033, 1037.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

Unverhältnismäßigkeit ausgeht, bis ihm das Gegenteil nachgewiesen wird.80) Vielmehr ist die Vorschrift ihrem Zweck und ihrer Systematik entsprechend auszulegen. 1.2.2.3

Bestimmung der Unverhältnismäßigkeit im konkreten Fall

53 Die Auslegung des Ausnahmetatbestandes darf nicht an dem – verunglückten – Wortlaut festhalten, sondern hat sich am Telos der Norm zu orientieren. 54 Bei § 22a Abs. 3 Alt. 2 InsO geht es nicht darum, rechnerisch bestimmte Bezugsgrößen zu ermitteln und diese dann in ein Verhältnis zu setzen, weil dies in der praktischen Umsetzung unmöglich ist. Bei der Bestimmung der Unverhältnismäßigkeit im Verhältnis zur Insolvenzmasse ist Folgendes zu beachten: 55 Es besteht ein Regel-Ausnahme-Verhältnis.81) Bei Überschreiten der Schwellenwerte normiert § 22a Abs. 1 InsO die Pflicht zur Bestellung eines Ausschusses. Ein Abweichen kann sich daher nur dann ergeben, wenn sich im Verhältnis zum vorangegangenen Geschäftsjahr bis zur Antragstellung maßgebliche Veränderungen ergeben haben, trotz hoher Bilanzsumme keine Vermögenswerte vorhanden sind oder der Betrieb bis auf einen kleinen Teil (sonst Alt. 1) zusammengebrochen ist. Beim Antragsausschuss (§ 22a Abs. 2 InsO) liegen die Einverständniserklärungen der vorgeschlagenen Gläubigerausschussmitglieder vor. Damit gehen die Gläubiger selbst davon aus, dass für das Verfahren ein Ausschuss sinnvoll ist und dass sie daran teilnehmen würden. Dies spricht damit ebenfalls dafür, dass dann nur im Ausnahmefall davon abzusehen ist. 56 Da das Gesetz davon ausgeht, dass im Regelfall ein Ausschuss in den vorgenannten Fällen einzusetzen ist, muss der Umfang des Amtsermittlungsgrundsatzes des § 5 Abs. 1 InsO wegen Unmöglichkeit einer rechnerischen Ermittlung der Unverhältnismäßigkeit eingeschränkt werden.82) Die Einsetzungsausnahme bezieht sich nur auf für den Richter offensichtliche Fälle. Entgegen der in der Literatur vertretenen rechnerischen Fixquotentheorie ist zur Bestimmung die hier entwickelte Evidenztheorie anzuwenden. Der Richter hat bei seiner Entscheidung die ihm bekannten Tatsachen heranzuziehen und nur bei offensichtlichen Zweifeln an der Unverhältnismäßigkeit der Einsetzung weitere eigene Ermittlungen vorzunehmen.83) Dies entspricht der Intention des Gesetzgebers, der dem Schuldner – wie sich aus § 13 InsO ergibt – keine Pflicht auferlegt hat, für die Feststellung Angaben zu machen, im Gegensatz zu den Schwellenwerten oder möglichen Ausschussmitgliedern. Es gilt auch kein Beibringungsgrundsatz, mit der Konsequenz, dass die Einsetzung so lange unverhältnismäßig wäre, bis dem Gericht das Gegenteil nachgewiesen ist.84) 57 Als Insolvenzmasse ist die Insolvenzmasse gemäß § 35 InsO zu verstehen. Ein teleologisch begründetes Abstellen auf die in der Regel kleinere Verteilungsmasse ist nicht angezeigt. Im Gläubigerausschuss sind auch die absonderungsberechtigten Gläubiger und die Arbeitnehmer vertreten. Ein Abstellen auf die Verteilungsmasse würde zu dem widersinnigen Ergebnis führen, dass bei Masseunzulänglichkeit kein Ausschuss eingesetzt werden dürfte, weil die Kosten höher als diese Masse wären. Ein Verbot der Ausschusseinsetzung bei ab-

___________ 80) Hölzle in: K. Schmidt, InsO, § 22a Rz. 31. 81) Haarmeyer/Schildt in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 150. 82) Haarmeyer/Schildt in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 65; a. A. Beth, ZInsO 2012, 1974, 1979 – Ermittlungspflicht nicht eingeschränkt. 83) Obermüller, ZInsO 2011, 1809, 1810; a. A. Beth, ZInsO 2012, 1974, 1979, der dabei Haftungsgefahren des Insolvenzgerichts sieht. 84) So aber: Hölzle in: K. Schmidt, InsO, § 22a Rz. 31; dagegen auch Beth, ZInsO 2012, 1974, 1979.

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Vorläufiger Gläubigerausschuss

sehbarer Masseunzulänglichkeit wird den Interessen dieser Gruppen auch bei diesen Verfahren nicht gerecht.85) Eine fixe Größe einer zu erwartenden Insolvenzmasse, bei deren Unterschreiten eine Aus- 58 schusseinsetzung unverhältnismäßig ist, kann wegen der Vielfältigkeit der Verfahrenskonstellationen nicht bestimmt werden.86) Zudem ist das Vermögen nicht als statische, sondern als variable Größe zu sehen, die durch das Handeln des vorläufigen Verwalters im Zuge einer Betriebsfortführung gerade erhöht werden soll. Jedenfalls wenn aufgrund der Eigenangaben und bekannten Tatsachen Zweifel daran be- 59 stehen, ob angesichts der noch vorhandenen Masse die Verfahrenskosten gedeckt sind, ist es – um der Ordnungsfunktion des Insolvenzverfahrens gerecht zu werden – nicht zielführend, einen Gläubigerausschuss einzusetzen, der dann zur Abweisung mangels Masse führt.87) Soweit keine Zweifel an der Verfahrenskostendeckung bestehen, ist die Einsetzung dennoch 60 unverhältnismäßig, wenn im konkreten Einzelfall neben einem geringen liquidierbaren Vermögen auch der Geschäftsumfang und damit die zukünftige Wertschöpfung gering sind oder der Erhalt des Unternehmens sehr unwahrscheinlich ist. Als Indizien können eine Ist-Masse bei Antragstellung von weniger als 50.000 €, fünf oder weniger Mitarbeiter, irreversibel gekündigte Betriebsräume oder nicht mehr vorhandene Aufträge herangezogen werden. Angesichts der Einsetzungspflicht schafft die Vorschrift ein Korrektiv, welches dem Richter 61 eine Handhabe eröffnet, mit der er in offensichtlichen und für ihn augenfälligen Fällen nicht zur Bestellung eines Gläubigerausschusses gezwungen sein soll, obwohl er klar erkennt, dass ein Ausschuss bei einem Verfahren dieser aktuell geringen Größenordnung nicht angezeigt ist.88) Praxistipp: Angesichts der erheblichen Rechtsunsicherheit in Bezug auf diesen Einsetzungs- 62 ausschluss ist es dem Berater zu empfehlen, im Insolvenzantrag auch Angaben zum Verhältnis einer möglichen Masse zu den Kosten eines Gläubigerausschusses zu machen.89) 1.2.3 Nachteilige Veränderung der Vermögenslage durch die mit der Einsetzung verbundene Verzögerung Allein eine spätere Einsetzung eines Gläubigerausschusses führt nicht dazu, dass sich die 63 Vermögenslage des Schuldners in der Zwischenzeit verschlechtert. Um festzustellen, wann eine mit der Einsetzung verbundene Verzögerung zu einer nachteiligen Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners führt, muss der Gesamtkontext der Gläubigerausschussbestellung berücksichtigt werden. Zielsetzung der Regelungen ist es, die Gläubiger bei der Auswahl des vorläufigen Sachwalters zu beteiligen. Insbesondere bei Insolvenzverfahren mit laufendem Geschäftsbetrieb besteht aber die Not- 64 wendigkeit, klare und schnelle Entscheidungen zu treffen in Bezug auf Kunden, Lieferanten und Entgeltansprüche der Arbeitnehmer.90) Damit ist eine zügige Entscheidung zur Einsetzung eines vorläufigen Sachwalters erforderlich. Die Mitwirkung des vorläufigen Gläubigerausschusses bei der Bestellung des vorläufigen Sachwalters nimmt aber Zeit in An___________ 85) Die Masseunzulänglichkeit steht der Einsetzung des Ausschusses und seiner weiteren Arbeit nicht entgegen; vgl. Jungmann in: K. Schmidt, InsO, § 208 Rz. 32. 86) Pape, ZInsO 2013, 2129, 2131 – fraglich, ob Quotientenrechnung geeignet und ausreichend. 87) So zumindest auch Frind in: HambKomm-InsO, § 22a Rz. 31. 88) Haarmeyer/Schildt in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 154. 89) Haarmeyer/Schildt in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 156. 90) Vgl. Pechartscheck/Zupancic in: Beck/Depré/Ampferl, Praxis der Insolvenz, § 19 Rz. 3 ff.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

spruch, weil das Gericht gerade nicht alleine entscheiden kann. Wie sich aus dem Regelungszusammenhang der §§ 22a, 56a InsO ergibt, nimmt der Gesetzgeber allerdings bewusst in Kauf, dass die Bestellung des vorläufigen Sachwalters mit Beteiligung des Ausschusses einen längeren Zeitraum beansprucht als eine Bestellung allein durch das Gericht. Diese grundsätzliche Inkaufnahme der Verzögerung durch den Gesetzgeber, wie sie sich ausdrücklich in § 56a InsO widerspiegelt, ist bei der Auslegung von § 22a Abs. 3 InsO zu berücksichtigen. Es ist also weder davon auszugehen, dass bei laufendem Geschäftsbetrieb immer die Ausnahme von der Bestellungspflicht eingreift,91) noch andererseits der Geschäftsbetrieb führungslos tagelang „dahindümpelt“.92) 65 § 22a Abs. 3 Alt. 3 InsO regelt den Fall, dass der Ausschuss nicht zeitnah eingesetzt werden kann und damit keine Bestellung des vorläufigen Sachwalters möglich ist. Nur unter dieser Voraussetzung entbindet die Norm von der Einsetzungspflicht. Davon zu unterscheiden ist der Fall, dass der Ausschuss zwar kurzfristig eingesetzt werden kann, aber seine Anhörung offensichtlich zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage des Schuldners führt.93) Hier kann das Gericht gemäß § 56a Abs. 1 Halbs. 2 InsO von der Anhörung des bereits vorher bestellten vorläufigen Gläubigerausschusses absehen. 66 In einem ersten Schritt ist eine mit der Einsetzung verbundene Verzögerung zu ermitteln. Diese kann aus folgenden Gründen eintreten: 

Zunächst kann Unklarheit bestehen über das Erreichen der Schwellenwerte und die damit einhergehende Einsetzungspflicht, weil der Schuldner entweder die Angaben nach § 13 Abs. 1 Satz 5 InsO nicht erteilt hat oder das Gericht Zweifel an den (lückenhaften) Angaben des Schuldners hat und aus den vorgelegten Unterlagen nicht sicher auf die Werte schließen kann. Im zuerst genannten Fall der fehlenden Angaben ist der Antrag unzulässig.94) Das Insolvenzgericht hat den Schuldner zu unterrichten und auf die Stellung eines zulässigen Antrags hinzuweisen. Im zweiten Fall muss das Gericht abschätzen, wie schnell es die Angaben vom Schuldner erlangen kann. Eine pauschale Aussage verbietet sich, weil in dieser Konstellation eine kurze telefonische Nachfrage Klarheit schaffen kann, in anderen Fällen das Gericht anhand des Antrags i. Ü. erkennen muss, dass eine strukturierte Aussage von den Geschäftsführern kurzfristig nicht zu erlangen sein wird.



Hauptanwendungsfall der Regelung des § 22a Abs. 3 Alt. 3 InsO ist, dass dem Gericht die notwendigen Tatsachen für die Entscheidung über die Besetzung des Ausschusses fehlen. Auch hier ist danach zu differenzieren, ob die Angaben gemäß § 13 Abs. 1 Satz 4 InsO gänzlich fehlen (dann Unzulässigkeit des Insolvenzantrags) oder ob sie unvollständig sind. Darüber hinaus kann das Gericht Zweifel daran haben, ob es mit den Angaben eine korrekte Abbildung der Gesamtgläubigerschaft sicherstellen kann. Weiterhin können dem Gericht schlicht Angaben fehlen zu dem zu bestellenden Arbeitnehmervertreter oder sonstigen Ansprechpartnern der Gläubiger. Wiederum hat das Gericht abzuschätzen, wie lange entsprechende Nachfragen beim Schuldner dauern werden.



Weiterhin ist abzuschätzen, welchen Zeitaufwand Amtsannahme der Mitglieder und Konstituierung des gesamten Ausschusses in Anspruch nehmen. Dies ist kein Problem bei beigefügten Einverständniserklärungen der Bestellten. Kann das Einverständnis mit der Bestellung nicht telefonisch erfragt werden, muss hier ebenfalls zusätzliche Zeit für die Rückmeldung eingerechnet werden.

___________ 91) 92) 93) 94)

228

In diese Richtung: Frind in: HambKomm-InsO, § 22a Rz. 32. So die Befürchtung von Frind, ZInsO 2011, 757, 758. Frind in: HambKomm-InsO, § 22a Rz. 32. So auch Obermüller, ZInsO 2012, 18, 19.

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§6

Vorläufiger Gläubigerausschuss

In einem zweiten Schritt ist festzustellen, ob diese Verzögerungen in Zusammenschau mit 67 der damit verbundenen verzögerten Einsetzung eines vorläufigen Sachwalters zu nachteiligen Veränderungen der Vermögenslage führen. Eine abstrakte Gefahr ist immer vorhanden, hier aber nicht beachtlich. Vielmehr kommt es darauf an, ob konkret Nachteile zu befürchten sind.95) Maßgeblich ist dabei neben der Größe des Unternehmens die Gewähr einer kurzfristigen Fortführung und Sicherung durch die Organe der Gesellschaft und vor allem auch die Publizität der Antragstellung.96) Im Geschäftsverkehr ist nicht jede Antragstellung sofort bekannt.97) Soweit aber in der 68 Öffentlichkeit Kenntnis von der Insolvenzantragstellung herrscht, weil das Unternehmen wegen seiner Börsennotierung etwa eine Ad-hoc-Mitteilung herausgeben muss, erfordert die Sicherung des Vermögens die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters am gleichen Tag. Für die Praxis ist damit davon auszugehen, dass bei einer solchen Gesellschaft konkret begründete Vorschläge zu den Mitgliedern des Ausschusses gemacht werden sowie die Ansprechpartner mit allen verfügbaren Kontaktdaten und Einverständniserklärungen benannt sein müssen. Außerdem muss dem Gericht dargelegt werden, dass der Ausschuss entweder als „mitgebrachter“ Ausschuss direkt im Gericht oder i. R. einer Telefonkonferenz innerhalb weniger Stunden entscheiden kann. Für das Normalverfahren unter Berücksichtigung weitestgehend rechtzeitiger Antragstel- 69 lung ist zunächst davon auszugehen, dass durch die Geschäftsführung kurzfristig im Regelfall für zwei Tage98) – im Ausnahmefall bis zu fünf Tage – die Fortführung des Geschäftsbetriebs und das Vermögen gesichert werden können, soweit der Insolvenzantrag nicht publik gemacht worden ist. Soweit das Gericht also zur Überzeugung kommt, dass innerhalb dieser Frist eine Entscheidung vorliegen wird, hat es den Ausschuss zu bestellen. Ansonsten hat es davon abzusehen und unmittelbar den vorläufigen Sachwalter einzusetzen. Branchenabhängig kann etwas anderes gelten etwa in Geschäftsfeldern, bei denen in größerem Umfang Insolvenzforderungen befriedigt und andererseits neue Forderungen begründet werden.99) Bei einem Antrag auf Eigenverwaltung muss der Schuldner das Unternehmen ohnehin 70 selbst fortführen. Daher kann auch für die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters eine größere Zeitspanne zur Verfügung stehen.100) Praxistipp: Nachdem der Schuldner bei der Eigenverwaltung eine Sanierung in Zusammen- 71 arbeit mit den wesentlichen Gläubigergruppen anstrebt, sollte er bei Überschreiten der Schwellenwerte nicht nur die verpflichtenden Angaben gemäß § 13 Abs. 1 Satz 4 InsO erteilen, sondern zusätzlich die Einsetzung eines Gläubigerausschusses mit den Gläubigern abstimmen und Einverständniserklärungen vorlegen. Dies birgt das Risiko der Manipulation der Zusammensetzung durch den Schuldner.101) Um hier jedem Anschein von Einflussnahme entgegenzutreten, muss der Schuldner die Auswahl der Ausschussmitglieder nachvollziehbar begründen.102) Zur Steuerung des Prozesses ist es notwendig, dass sich der zukünftige vorläufige Gläubigerausschuss bereits vor Insolvenzantragstellung zusammensetzt und Entscheidungen zum Personal- und Profilvorschlag trifft.103) Zu empfehlen ist ___________ 95) 96) 97) 98) 99) 100) 101) 102) 103)

Obermüller, ZInsO 2011, 1809, 1810. Vgl. den Sachverhalt des AG Hamburg v. 26.9.2013 – 67c IN 320/13, ZIP 2013, 2418 = NZI 2014, 31. Krit. dazu Blankenburg in: KPB, InsO, § 22a Rz. 51 – Gerüchte in der Belegschaft. In Parallelität zu § 56a InsO; vgl. auch Blankenburg in: KPB, InsO, § 22a Rz. 51. Vgl. den Fall des AG Hamburg v. 26.9.2013 – 67c IN 320/13, ZIP 2013, 2418 = NZI 2014, 31. Blankenburg in: KPB, InsO, § 22a Rz. 52. Frind in: HambKomm-InsO, § 22a Rz. 1. Vallender in: Uhlenbruck, InsO, § 22a Rz. 44. Haarmeyer/Schildt in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 69, spricht von präsumtiver Beschlussfassung.

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229

§6

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

in jedem Fall auch die vorherige Abstimmung der Insolvenzantragstellung, der Einsetzung des Gläubigerausschusses und der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters mit dem Gericht. Die Möglichkeit hierzu eröffnet § 10a InsO, ausdrücklich auch zur Besetzung des Gläubigerausschusses. 72 Für den Gläubigervertreter bei einer Gesellschaft, die die Schwellenwerte überschreitet, ist zunächst gegenüber dem Schuldner darauf hinzuwirken, dass durch ihn Personen für einen Ausschuss benannt werden. Wenn sich der Schuldner dem verschließt und unklare Angaben gemäß § 13 InsO macht, wird das Gericht im Ergebnis gezwungen sein, § 22 Abs. 3 Alt. 3 InsO anzuwenden.104) 1.3

Tatsachenermittlungen zu den Schwellenwerten

73 Dem Gericht müssen diejenigen Tatsachen mitgeteilt werden, die notwendig sind, um über die Einsetzung eines vorläufigen Ausschusses entscheiden zu können. Dies betrifft sowohl die Schwellenwerte als auch die Besetzung des Ausschusses, weil die Einsetzung zwingend auch die Besetzung bedeutet. 1.3.1 Schuldnerangaben gemäß § 13 InsO 1.3.1.1

Angaben und Unterlagen

74 Die Regelungen des § 13 Abs. 1 Sätze 3 bis 5 InsO sehen für den Schuldner verschiedene Angaben und Unterlagen vor, die er je nach Fallkonstellation erteilen bzw. einreichen muss oder soll, und zwar 

in jedem Fall ein Verzeichnis der Gläubiger mit ihren Forderungen, § 13 Abs. 1 Satz 3 InsO,



bei laufendem Geschäftsbetrieb Kenntlichmachung besonderer Gläubigergruppen, § 13 Abs. 1 Satz 4 InsO, um dem Gericht die Identifikation derjenigen Personen, die zu Gläubigerausschussmitgliedern bestellt werden können, zu ermöglichen (siehe daher genauer Rz. 143), und



Angaben zu den Schwellenwerten, § 13 Abs. 1 Satz 5 InsO, um dem Gericht die tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen für § 22a Abs. 1 InsO zu geben.

75 Die Angaben zu den Schwellenwerten sind bei laufendem Geschäftsbetrieb verpflichtend.105) Nach § 13 Abs. 1 Satz 5 InsO hat der Schuldner „in diesem Fall“ Angaben zu den Schwellenwerten zu machen. Teilweise wird daraus der Schluss gezogen, dass der Schuldner diese Angaben nur zu erteilen hat, wenn die Angaben nach § 13 Abs. 1 Satz 4 InsO verpflichtend sind, was wiederum das Vorliegen der Kriterien des § 13 Abs. 1 Satz 6 InsO voraussetzt.106) Dies ist nicht zutreffend. Die Formulierung „in diesem Fall“ bezieht sich auf das Vorhandensein eines Geschäftsbetriebs, der nicht eingestellt ist, § 13 Abs. 1 Satz 4 InsO.107) Dies ergibt sich aus dem Sinn der Norm. Gemäß § 22a Abs. 1 InsO hat das Gericht bei laufendem Geschäftsbetrieb stets zu prüfen, ob die Schwellenwerte überschritten sind.108) Es benötigt daher in diesem Fall auch die entsprechenden Informationen. 76 Praxistipp: In jedem Insolvenzantrag ist anzugeben, ob der Geschäftsbetrieb noch läuft oder schon eingestellt ist. Wenn der Betrieb noch läuft, müssen Angaben zur Bilanzsumme, zu Umsatzerlösen und zur durchschnittlichen Zahl der Arbeitnehmer gemacht werden. ___________ 104) 105) 106) 107) 108)

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Pape sieht daher erhebliche Manipulationsgefahren, Pape, ZInsO 2011, 1033, 1036. AG Essen v. 25.3.2015 – 166 IN 22/15, ZIP 2015, 939 = ZInsO 2015, 754. Frind in: HambKomm-InsO, § 22a Rz. 8. Wegener in: Uhlenbruck, InsO, § 13 Rz. 107. AG Essen v. 25.3.2015 – 166 IN 22/15, ZIP 2015, 939 = ZInsO 2015, 754.

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§6

Vorläufiger Gläubigerausschuss 1.3.1.2

Genauigkeit der Angaben

Nach Zulassung des Insolvenzantrages hat der Schuldner i. R. seiner Auskunfts- und Mitwirkungspflicht richtige und vollständige Auskünfte zu erteilen.109) Die Verpflichtung zur richtigen und vollständigen Auskunftserteilung bereits bei Stellung des Insolvenzantrages würde die Anforderungen an Zulässigkeit des Antrags so weit erhöhen, dass in der Praxis eine Vielzahl von Anträgen unzulässig wäre. Darüber hinaus bringt die absolute Richtigkeit i. R. des Insolvenzantrages keinen Mehrwert für das Verfahren. Demgemäß ist es für das Gläubigerverzeichnis unschädlich, wenn einzelne Gläubiger oder einzelne Forderungen fehlen. Zwangsläufig gibt es in jedem laufenden Betrieb nachlaufende Rechnungen, die zu einem bestimmten Stichtag nicht eingebucht sind und damit auch in einem Gläubigerverzeichnis fehlen. Die Höhe der Forderungen kann geschätzt werden. Eine vollständige Bezifferung ist nicht erforderlich.110) Für die Schwellenwerte ist Folgendes festzuhalten: Liegt für das vorangegangene Geschäftsjahr ein Jahresabschluss vor, enthält dieser die Bilanzsumme, regelmäßig die Umsatzerlöse111) und auch die Anzahl der Arbeitnehmer.112) Der Schuldner kann die zu beziffernden Angaben dem Jahresabschluss entnehmen und diesen als Beleg dem Gericht vorlegen. Liegt kein Jahresabschluss vor, sind die Angaben vom Schuldner zu schätzen.113) Dazu sind die einzelnen Vermögenspositionen der Aktivseite einer Bilanz entsprechend § 266 HGB zu addieren. Zur Ermittlung der Einzelwerte ist für das Anlagevermögen auf das Anlagenverzeichnis des letzten Abschlusses abzüglich der Abgänge und Abschreibungen und zuzüglich der Zugänge abzustellen. Auf die Passivseite muss nicht eingegangen werden, weil ein negatives Eigenkapital ohnehin abzuziehen ist. Problematisch ist der Fall, wenn die Gesellschaft trotz bestehender Buchführungspflicht keine Buchführung erstellt hat oder – wie in Fällen der Firmenbestattung – keine Unterlagen mehr vorhanden sind. Nachdem gerade auch in diesen Fällen ein zulässiger Antrag geboten ist, um zeitnah Ermittlungen zugunsten der Gläubiger aufnehmen zu können,114) muss bei fehlender Buchhaltung auch die Angabe genügen, dass die Schwellenwerte nicht überschritten sind. Besteht bei Freiberuflern keine Bilanzierungspflicht, können sie nur Angaben zu den Umsatzerlösen und der Arbeitnehmeranzahl erteilen. 1.3.1.3

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Erklärung zur Richtigkeit und Vollständigkeit

Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 7 InsO hat der Schuldner eine Erklärung abzugeben, dass die An- 83 gaben richtig und vollständig sind. Es wird ausdrücklich keine Versicherung an Eides statt verlangt, um für die Antragstellung keine abschreckende Wirkung zu erzeugen und dadurch vielmehr eine frühzeitige Antragstellung zu fördern.115) 1.3.1.4

Rechtsfolgen fehlender oder unvollständiger Angaben

Soweit die gemäß § 13 Abs. 1 InsO zu erteilenden Angaben und beizufügenden Unterlagen 84 als unabdingbarer Bestandteil des Insolvenzantrages anzusehen sind, würde ihr Fehlen zur Unzulässigkeit und als Folge zur Strafbarkeit gemäß § 15a Abs. 4 InsO wegen „nicht richtigem“ Insolvenzantrag führen. Damit ist zwischen hinzunehmenden inhaltlichen Mängeln ___________ 109) 110) 111) 112) 113) 114) 115)

Vgl. § 20 Abs. 1, §§ 97, 98 InsO. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 23. Ausnahmen sind möglich gemäß § 276 HGB. Es handelt sich um eine Pflichtangabe im Anhang gemäß § 285 Nr. 7 HGB. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 23. AG Ludwigshafen v. 2.10.2012 – 3a IN 186/12, ZInsO 2012, 2057; Pape, ZInsO, 2013, 2129, 2131. Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 33.

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§6

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

und so gravierenden Mängeln zu differenzieren, die die Schwelle zur Unzulässigkeit überschreiten.116) Eine Unzulässigkeit des Antrags ist immer verbunden mit einer Verzögerung der Vermögensaufklärung. Zudem verringern sich auch die Sanierungschancen, wenn sich die Einleitung des Verfahrens verzögert, weil das Gericht den Antrag als unzulässig zurückweist. Andererseits gibt das Gericht mit der Zulassung des Insolvenzantrags ein Mittel aus der Hand, den Schuldner zu vollständigen Angaben zu bewegen, weil ihn nur ein zulässiger Antrag von der Insolvenzantragspflicht befreit. 85 Wegen der Sanierungs- und Ordnungsfunktion ist eine Unzulässigkeit des Antrags nur anzunehmen, wenn die Angaben und Unterlagen gänzlich fehlen.117) 1.3.2 Maßnahmen des Gerichts zur Ermittlung der Schwellenwerte 86 In der Literatur ist die Prüfungstiefe für das Gericht bezogen auf die Schwellenwerte umstritten. Nach herrschender Auffassung hat das Gericht das Überschreiten der Schwellenwerte anhand der vom Schuldner vorgelegten Unterlagen zu beurteilen.118) Der Schuldner hat die Pflicht, die erforderlichen Angaben richtig und vollständig zu machen. Soweit die vorgelegten Tatsachen plausibel sind, bedarf es keiner weiteren amtswegigen Überprüfung.119) Nach anderer Auffassung muss zur Überzeugung des Gerichts feststehen, dass die Voraussetzungen für einen Pflichtausschuss vorliegen. Es habe daher Ermittlungen zur Höhe der Bilanzsumme, der Umsatzerlöse und der Arbeitnehmeranzahl vorzunehmen und muss die Angaben des Schuldners verifizieren, weil diese Angaben nur als richtig versichert werden müssen und die Richtigkeit nicht an Eides statt zu versichern ist.120) 87 Zur Bestimmung der Prüfungstiefe sind drei Aspekte von Bedeutung: 

Zum einen werden sich dann keine Probleme ergeben, wenn durch den Schuldner ein Jahresabschluss vorgelegt werden kann. Darüber hinaus besteht für das Gericht jederzeit die Möglichkeit, Bilanzen im Unternehmensregister abzurufen, soweit die Gesellschaft der Veröffentlichungspflicht nachgekommen ist. Soweit ein Jahresabschluss für das vorangegangene Geschäftsjahr noch nicht vorliegt, ist der Jahresabschluss für den vorhergehenden Stichtag vorzulegen und eine Erklärung abzugeben, ob und in welcher Art und Weise sich die wirtschaftlichen Verhältnisse geändert haben.



Die Angaben dienen der gemäß § 22a Abs. 1 InsO zu treffenden Entscheidung. Die Einsetzung des Ausschusses hat nach der Vorstellung des Gesetzgebers sehr schnell zu erfolgen, damit er an der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters/Sachwalters mitwirken kann. Dieses Ziel kann aber nicht erreicht werden, wenn die Schwellenwerte zur Überzeugung des Gerichts entsprechend § 286 ZPO gegeben sein müssen. Es genügt vielmehr, wenn auf Basis der plausiblen Schuldnerangaben durch das Gericht die Überschreitung der Schwellenwerte festgestellt wird.



Entscheidungserheblich ist nur das Vorliegen oder Nichtvorliegen von zwei der drei Schwellenwerte. Soweit das Gericht zwar erkennt, dass die Angaben des Schuldners nicht richtig sind, in jedem Fall aber klar ist, dass die Schwellenwerte nicht erreicht werden, bedarf es keiner weiteren Ermittlungen.121)

___________ 116) Eingehend dazu Wegener in: Uhlenbruck, InsO, § 13 Rz. 133 ff. 117) So auch Linker in: HambKomm-InsO, § 13 Rz. 24 – praxisnah und mit Augenmaß; Pape, ZInsO 2011, 1033, 1035, der eindringlich davor warnt, dass bei „kleinlicher Betrachtungsweise“ Sanierungsmöglichkeiten gefährdet werden. 118) Vallender in: Uhlenbruck, InsO, § 22a Rz. 11. 119) Vallender in: Uhlenbruck, InsO, § 22a Rz. 11; Haarmeyer/Schildt in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 62 – keine „Prüfungsorgie“. 120) Frind in: HambKomm-InsO, § 22a Rz. 11. 121) AG Ludwigshafen v. 2.10.2012 – 3a IN 186/12, ZInsO 2012, 2057.

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§6

Vorläufiger Gläubigerausschuss

Praxistipp: Maßstab für die Entscheidung des Gerichts sind die Angaben des Schuldners 88 i. R. des Insolvenzantrags. Fehlen diese gänzlich (womit der Insolvenzantrag unzulässig ist) oder sind diese nicht schlüssig, kann das Gericht sich zur Prüfung den Jahresabschluss vorlegen lassen oder ergänzende Angaben verlangen. Nur in besonderen Zweifelsfällen könnte auch die Einsetzung eines Sachverständigen gemäß § 5 InsO in Frage kommen, wobei das Gericht dabei zu berücksichtigen hat, dass es damit der Intention des Verfahrensschritts nicht gerecht wird. Kommt das Gericht auf der Basis der Schuldnerangaben und des Jahresabschlusses zum 89 Ergebnis, dass die Schwellenwerte überschritten sind, hat es – um einen Ausschuss einsetzen zu können – festzustellen, welche Mitglieder zu berufen sind. Soweit die Schwellenwerte nicht überschritten sind, wird das Gericht dies mit einem Vermerk in den Akten festhalten. 2.

Antragsausschuss

Das Gericht kann nach pflichtgemäßem Ermessen Sicherungsmaßnahmen anordnen. Um 90 die Einbeziehung der Gläubiger auch in kleinen oder mittleren Insolvenzverfahren zu fördern, sieht § 22a Abs. 2 InsO die Möglichkeit vor, die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses zu beantragen.122) Praxistipp: Auch bei Unternehmen oberhalb der Schwellenwerte ist die Beantragung des 91 Gläubigerausschusses zulässig123) und durchaus empfehlenswert. Vor allem ist es sinnvoll, dem Gericht entsprechend § 22a Abs. 2 InsO Mitglieder für den Ausschuss vorzuschlagen und Einverständniserklärungen beizufügen. Damit ist sichergestellt, dass es nicht zu Verzögerungen kommt, die zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage i. S. des § 22a Abs. 3 Alt. 3 InsO führen.124) 2.1

Zulässigkeitsvoraussetzungen des Antrags

2.1.1 Antragsberechtigung Antragsberechtigt ist der Schuldner. Bei juristischen Personen ist damit jeder organschaft- 92 liche Vertreter mit Alleinvertretungsbefugnis antragsberechtigt. Für eine Anwendung der Schutzvorschrift des § 15 Abs. 2 InsO ist hier kein Bedürfnis. Die Einleitung des Verfahrens bedarf wegen des besonderen Einschnitts in die Vermögenslage besonderer Anforderungen, die für den Antrag auf Einsetzung eines Gläubigerausschusses nicht nötig sind. Bei Führungslosigkeit ist jeder Gesellschafter antragsbefugt, wie aus § 15 Abs. 1 Satz 2 InsO abzuleiten ist.125) Antragsberechtigt ist weiter der vorläufige Insolvenzverwalter. Er wird den Antrag stellen, 93 wenn bereits im Antragsverfahren maßgebliche Entscheidungen zu treffen sind oder zur Abstimmung der Sanierungsmaßnahmen die Einsetzung zweckdienlich und aufgrund der Verfahrensgröße die Gläubigerbeteiligung geboten erscheint. Daneben kann jeder Gläubiger Antrag auf Einsetzung eines Gläubigerausschusses stellen. 94 Erfasst sind damit die Insolvenzgläubiger. Im Gegensatz zur Insolvenzantragstellung126) ___________ 122) Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 33; Musterantrag: Haarmeyer, ZInsO 2012, 370. 123) Vallender in: Uhlenbruck, InsO, § 22a Rz. 20. 124) Obermüller, ZInsO 2012, 18, 20. 125) Str.; für eine Aktivlegitimation Linker in: HambKomm-InsO, § 13 Rz. 14; gegen eine Aktivlegitimation zumindest beim Fremdantrag Schmerbach in: Wimmer, FK-InsO, § 14 Rz. 37. 126) Fälligkeit der Forderung beim Gläubigerantrag: BGH v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07, ZIP 2007, 1666 = ZInsO 2007, 939, 941, dazu EWiR 2007, 665 (Schröder).

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§6

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

ist die Fälligkeit der Forderung nicht notwendig. Wie bei der Insolvenzantragstellung127) ist auch ein Antrag eines nachrangigen Gläubigers möglich.128) Nicht notwendig ist, dass der antragstellende Gläubiger selbst Mitglied werden will bzw. vom Gericht zum Mitglied bestellt wird. Der Antragsteller kann damit das Gericht also nicht in Bezug auf seine eigene Bestellung zum Mitglied präjudizieren. Erforderlich ist aber, dass er für einen ausgewogen besetzten Ausschuss Mitglieder vorschlägt und deren Einverständniserklärungen beifügt. 95 Auch absonderungsberechtigte Gläubiger und spätere Insolvenzgläubiger können den Antrag stellen.129) Für absonderungsberechtigte Gläubiger und spätere Insolvenzgläubiger ist dies zu bejahen, da sie auch zu Mitgliedern bestellt werden können bzw. sollen. Kein Antragsrecht besteht für Massegläubiger. Gesetzlicher Regelfall ist ihre Bezahlung. 96 Ob es sich bei dem Antragsteller tatsächlich um einen Gläubiger handelt, kann zunächst durch Abgleich mit dem vom Schuldner stets einzureichenden Gläubigerverzeichnis abgeklärt werden. Soweit dies, etwa beim Antrag eines (anderen) Gläubigers, nicht möglich ist oder der Antragsteller im Verzeichnis nicht enthalten ist, hat das Gericht einen entsprechenden Nachweis anzufordern. 2.1.2 Einsetzungsantrag durch Schutzschrift vor Insolvenzantrag 97 Insbesondere in Fällen, in denen Gläubiger die Eigenverwaltung abwehren wollen, könnte der Gläubigervertreter als mögliche Maßnahme in Erwägung ziehen, bereits vor Insolvenzantragstellung des Schuldners i. R. einer Schutzschrift auch einen Antrag auf Einsetzung eines Gläubigerausschusses zu stellen.130) Für die Zulässigkeit eines solchen Einsetzungsantrags vor der Stellung des Insolvenzantrags spricht, dass der Gläubiger über die Insolvenzantragstellung nicht unterrichtet wird. Erfährt er von Antrag, ist regelmäßig die Eigenverwaltung angeordnet, ein vorläufiger Sachwalter bestellt und ein Gläubigerausschuss eingesetzt. Wenn die Gläubiger bei der Auswahl des Verwalters mitbestimmen wollen, kommt ihr Antrag auf Einsetzung eines Ausschusses regelmäßig zu spät. Dennoch kann aus verfahrensrechtlichen Gründen ein Antrag immer erst dann gestellt werden, wenn bereits ein Insolvenzantrag vorliegt.131) Dem oder den Gläubigern bleibt damit nur die Möglichkeit, dem Gericht – freilich ohne Bindungswirkung – einen Vorschlag für die Bestellung eines Verwalters vorzulegen, Argumente gegen eine Eigenverwaltung vorzutragen oder eine bestimmte Besetzung des Gläubigerausschusses anzuregen. 2.1.3 Benennung geeigneter Personen und Einverständniserklärung 98 Der Antrag ist nur zulässig, wenn mit ihm Personen benannt werden, die als Mitglieder in Betracht kommen, und entsprechende Erklärungen beigefügt sind, wonach mit der Bestellung Einverständnis besteht. Mit dieser Antragsvoraussetzung soll das Insolvenzantragsverfahren nicht dadurch belastet werden, dass das Gericht zunächst nach geeigneten Mitgliedern suchen und ihr Einverständnis erfragen muss. Diese Verpflichtung obliegt daher nach der Intention des Gesetzgebers demjenigen, der im jeweiligen Verfahren den Ausschuss eingesetzt haben möchte. Beim Gläubigerantrag korrespondiert die weite Antragsberechtigung auf der einen Seite (jeder Gläubiger) mit der hohen Hürde der Benennungspflicht auf der anderen Seite, um damit das zutreffende Maß an Mitwirkungsrecht durch Beantragung eines Gläubigerausschusses herzustellen. Beim Schuldnerantrag besteht damit natür___________ 127) 128) 129) 130) 131)

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BGH v. 23.9.2010 – IX ZB 282/09, ZIP 2010, 2055, dazu EWiR 2010, 819 (Gundlach/Müller). Obermüller, ZInsO 2012, 18, 20. Vallender in: Uhlenbruck, InsO, § 22a Rz. 22. Weiß, InsbürO 2020, 146, 147; Frind in: HambKomm-InsO, § 22a Rz. 15. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 39 – in Schutzschrift enthaltene Anträge sind keine Sachanträge.

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§6

Vorläufiger Gläubigerausschuss

lich ein hohes Gestaltungs- bis hin zum Missbrauchspotential, so dass das Gericht die Schuldnervorschläge sorgfältig zu prüfen hat.132) Der Antragsteller hat die Pflicht, einen vollständigen Gläubigerausschuss unter Beachtung 99 der Vorgaben des § 67 Abs. 2 InsO zu benennen.133) Zu weitgehend ist es aber, den Antrag erst dann als zulässig anzusehen, wenn der Antragsteller die nach Ansicht des Gerichts richtigen Mitglieder vorschlägt. Notwendig aber auch ausreichend für die Zulässigkeit des Antrags ist es, dass der Antragsteller einen repräsentativen Ausschuss vorschlägt. Soweit das Gericht weitere oder andere Mitglieder einsetzen möchte, ist es darin frei, kann aber aus diesem Grunde nicht den Antrag als unzulässig zurückweisen. Der Antrag muss nicht stets zu allen vier Gruppen des § 67 Abs. 2 InsO einen Vorschlag 100 machen, um zulässig zu sein.134) Im Einzelfall könnten auch drei Vorschläge reichen (siehe dazu Rz. 115). Auf der anderen Seite ist der Antrag nicht per se zulässig, wenn zu jeder Gruppe ein Vertreter benannt wurde. Wird als Mitarbeiter die Ehefrau und als Kleingläubiger die Mutter des Schuldners angegeben, wird sich daraus die Unzulässigkeit ergeben, da das Gericht zur Überzeugung gelangt, dass die Gläubigerschaft nicht ausreichend repräsentiert wird. Für die benannten Mitglieder sind die vollständigen Kontaktdaten (Name, Anschrift, E-Mail, Telefonnummer) anzugeben, damit sofortige Kontaktaufnahme durch das Gericht ermöglicht wird.135) Der Antragsteller – auch der Gläubiger – muss sich damit einen Überblick über die gesamte 101 Gläubigerstruktur verschaffen, um entsprechende Vorschläge gegenüber dem Gericht machen zu können. Dies schränkt die Möglichkeit der Antragstellung für den einzelnen Gläubiger stark ein, ist aber hinzunehmen.136) Weiterhin müssen dem Antrag die Einverständniserklärungen der zukünftigen Mitglieder 102 beigefügt sein. Erforderlich ist, dass es sich um eine schriftliche Einverständniserklärung handelt, d. h. eine Erklärung per E-Mail genügt nicht. Teilweise wird gefordert, dass diese im Original oder in beglaubigter Abschrift dem Gericht vorgelegt werden muss.137) Dem ist nicht zu folgen. Gemäß § 131 ZPO sind Urkunden in Urschrift oder in Abschrift beizufügen. Eine Kopie – auch per Telefax – genügt. Eine Originalvorlage ist weder zweckdienlich noch erforderlich. Zum einen würde dadurch bei dem mit der Insolvenzantragstellung verbundenen Antrag auf Einsetzung eines Gläubigerausschusses ein Formerfordernis aufgestellt, was der gesetzlichen Intention der Gläubigerbeteiligung bei der Verwalterbestellung zuwiderläuft. Zum anderen besteht auch keine Notwendigkeit der Originalvorlage. Wenn die Erklärung gefälscht ist, hat das Mitglied keine Amtsannahme erklärt und kann folglich die Annahme ablehnen. Das Gericht hat dann die Möglichkeit, die Bestellung des gesamten Ausschusses wieder aufzuheben. Wesentliche Vorteile wird der „Fälscher“ in der Zwischenzeit nicht erlangen, weil der Ausschuss keine Beschlüsse fasst. Es droht vielmehr die Strafbarkeit wegen Urkundenfälschung.

___________ 132) Hölzle in: K. Schmidt, InsO, § 22a Rz. 36. 133) Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 34; Frind, ZInsO 2011, 2249, 2253; AG Hamburg v. 6.5.2013 – 67c IN 165/13, ZIP 2013, 1135 = NZI 2013, 701; a. A. Römermann, ForderungsPraktiker 2012, 8, 9 – zwei Mitglieder als Untergrenze. 134) A. A. Frind in: HambKomm-InsO, § 22a Rz. 16. 135) Vallender in: Uhlenbruck, InsO, § 22a Rz. 27. 136) A. A. Martini, ZInsO 2013, 1782, 1784. 137) Frind in: HambKomm-InsO, § 22a Rz. 17.

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§6

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

2.1.4 Weitere Antragserfordernisse 103 Der Antrag unterliegt den allgemeinen Voraussetzungen für Prozesshandlungen. Ferner muss der Antragsteller partei- und prozessfähig sowie ordnungsgemäß vertreten sein. Der Antrag ist bedingungs- und befristungsfeindlich, kann also etwa nicht nur gestellt werden unter der Bedingung, dass das Gericht einen Ausschuss mit genau den benannten Personen bestellt. Des Weiteren ist der Antrag schriftlich zu stellen; die Übersendung via Telefax genügt. 2.2

Ausnahmen von der Einsetzung beim Antragsausschuss

104 Die Ausschlusstatbestände des § 22a Abs. 3 InsO gelten gleichermaßen für den obligatorischen Gläubigerausschuss wie für den Antragsausschuss.138) Auf die obigen Ausführungen (siehe Rz. 38) kann damit vollumfänglich verwiesen werden. 105 Gerade für den Antragsausschuss – der auch in Verfahren mit sehr geringen Unternehmensgrößen gestellt werden kann – ist es notwendig, vor der Bestellung zu prüfen, ob der Ausschuss für das konkrete Verfahren sinnvoll ist. Im Regelfall ist dies bei eingestelltem Geschäftsbetrieb gemäß § 22a Abs. 3 Alt. 1 InsO nicht der Fall, so dass die Stilllegung des Unternehmens der Einsetzung eines Gläubigerausschusses trotz Antrag entgegensteht.139) Der Antrag ist damit abzulehnen. Das Gericht wird aber i. R. seiner Ermessensentscheidung gemäß § 21 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1a InsO die vorliegenden Erklärungen der Gläubiger würdigen und einen fakultativen Gläubigerausschuss einsetzen, wenn nicht andere gewichtige Gründe dagegen sprechen. 106 Für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Unverhältnismäßigkeit der Einsetzung im Hinblick auf die zu erwartende Insolvenzmasse (§ 22a Abs. 3 Alt. 2 InsO) ist auch für den Antragsausschuss von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis auszugehen. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll grundsätzlich bei Beantragung ein Ausschuss eingesetzt werden. Das Vorliegen der Unverhältnismäßigkeit stellt die Ausnahme dar, weil sich i. R. der Einverständniserklärungen die Gläubigergruppen gemäß § 67 Abs. 2 InsO für den Ausschuss und seine Sinnhaftigkeit in dem konkreten Verfahren aussprechen. Nur ein solches Verständnis der Norm ermöglicht es dem Gericht, bei Zweifeln an der Verfahrenskostendeckung oder bei geringem liquidierbaren Restvermögen und geringem Geschäftsumfang die Einsetzung trotz Beantragung zu verweigern. Die Schwelle zur Verhältnismäßigkeit darf allerdings nicht zu hoch angesetzt werden. 107 Auch die dritte Alternative des § 22a Abs. 3 InsO ist auf den Antragsausschuss anzuwenden.140) Zwar entstehen bei einem Antrag auf Einsetzung mit begründeten Mitgliedsvorschlägen keine Verzögerungen in der Einsetzung. Es kann allerdings der Fall eintreten, dass das Gericht Zweifel daran hat, ob die vorgeschlagenen Personen die Gesamtgläubigerschaft auch zutreffend abbilden. 2.3

Gerichtliche Entscheidung über den Antrag

108 Nach dem Wortlaut des § 22a Abs. 2 InsO soll das Gericht einen Ausschuss auf Antrag hin einsetzen. Für das Gericht ergibt sich daraus aber kein Ermessen, es muss bei zulässigem Antrag einen Ausschuss einzusetzen.141) Im Ausnahmefall hat es den Antrag abzulehnen. ___________ 138) AG Hamburg v. 6.5.2013 – 67c IN 165/13, ZIP 2013, 1135 = NZI 2013, 701; a. A. Haarmeyer/Schildt in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 144. 139) AG Hamburg v. 6.5.2013 – 67c IN 165/13, ZIP 2013, 1135 = NZI 2013, 701; a. A. Vallender in: Uhlenbruck, InsO, § 22a Rz. 29. 140) Vallender in: Uhlenbruck, InsO, § 22a Rz. 33. 141) Haarmeyer/Schildt in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 102.

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§6

Vorläufiger Gläubigerausschuss

Als Gründe kommen insbesondere rechtsmissbräuchliche Zwecke des Antrags in Betracht, soweit man den Antrag nicht bereits als unzulässig einstuft.142) Das Gericht ist nicht an die Besetzungsvorschläge gebunden und hat selbst zu prüfen, 109 ob der Ausschuss repräsentativ zusammengesetzt ist.143) Zwar birgt dies das Risiko, dass das Gericht wegen Zweifeln an der Repräsentativität der Vorschläge die Einsetzung zurückstellt und ohne Anhörung des Gläubigerausschusses einen vorläufigen Sachwalter bestellt. Um dies auszuschließen ist aber nicht das Besetzungsrecht des Gerichts einzuschränken und eine Bindung des Gerichts an die Vorschläge des Antragstellers zu verlangen.144) Es ist vielmehr Aufgabe des Antragstellers, das Gericht davon zu überzeugen, dass die gemachten Vorschläge die einzig richtige Besetzung i. S. des § 67 Abs. 2 InsO darstellen. Überdies wird davon ausgegangen, dass es zur Umsetzung einer angestrebten Sanierungslösung legitim sei, nur dieses Konzept unterstützende Gläubiger zu benennen, um eine vom Gesetzgeber gewollte verfahrenssichere Gestaltung zu ermöglichen.145) Nachdem die Art und Weise der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung zu Beginn des Verfahrens noch gar nicht feststeht, sind die verschiedenen Interessenlagen durch eine ausgewogene Besetzung im Ausschuss abzubilden,146) der eine Plattform sein muss, auf der gemeinsam die beste Sanierungslösung erstritten wird. 3.

Fakultativer Gläubigerausschuss

Gemäß § 270c Abs. 3 Satz 1 InsO kann das Gericht gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO 110 nach pflichtgemäßem Ermessen einen Gläubigerausschuss einzusetzen. Allein durch die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses kann das Vermögen 111 des Schuldners nicht gesichert werden. Bezogen auf seine unmittelbare Wirkung ist die Einsetzung keine Sicherungsmaßnahme. Das Ermessen i. R. des § 21 Abs. 1 InsO ist erweiternd dahingehend zu verstehen, dass letztendlich durch frühzeitige Einbeziehung der Gläubigergruppen in das Insolvenzverfahren ein hohes Maß an Gewähr für eine bestmögliche Haftungsrealisierung besteht und somit im Ergebnis in diesem Verfahrensstadium eine Vermögenssicherung erfolgt. Damit kann die Einsetzung einem pflichtgemäßen Ermessen entsprechen, wenn die Gesellschaft die Schwellenwerte nur knapp verfehlt und das Gericht einen Ausschuss für die Sanierung und Fortführung des Unternehmens als dienlich erachtet. Vorstellbar ist eine Einsetzung auch in Fällen, in denen sich der Geschäftsumfang erheblich ausgeweitet hat und die Schwellenwerte zum Zeitpunkt der Antragstellung überschritten wären. Eine standardmäßige Einsetzung eines Gläubigerausschusses bei jeder Eigenverwaltung un- 112 abhängig vom Überschreiten der Schwellenwerte oder einer Antragstellung gemäß § 22a Abs. 2 InsO sieht das Gesetz nicht vor.147) Eine Ermessensreduzierung bei der Entscheidung des Gerichts gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1a InsO für eine Einsetzung eines Gläubigerausschusses bei Antrag auf Eigenverwaltung ist nicht geboten. Zwar kann die Einsetzung sinnvoll sein, um den Sanierungsprozess zu befördern.148) Das Funktionieren einer Eigenverwaltung eines kleinen Unternehmens hängt aber nicht von der Einsetzung eines Gläubigerausschusses ab. Die Wahrung der Gläubigerinteressen durch den Schuldner hat der Sachwalter i. R. der ihm gesetzlich zugewiesenen Aufgaben sicherzustellen. ___________ 142) 143) 144) 145) 146) 147) 148)

So: Hölzle in: K. Schmidt, InsO, § 22a Rz. 11. AG Hamburg v. 6.5.2013 – 67c IN 165/13, ZIP 2013, 1135 = NZI 2013, 701. So aber: Haarmeyer/Schildt in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 40 ff. Haarmeyer/Schildt in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 40 ff. So auch Frind in: HambKomm-InsO, § 22a Rz. 21. Zu derartigen Forderungen an den Gesetzgeber: Proske, ZRI 2020, 641, 645. Vallender in: Uhlenbruck, InsO, § 22a Rz. 31.

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§6

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

113 Weiterhin gewinnt die fakultative Einsetzung eines Ausschusses dann einen Anwendungsbereich, wenn der Betrieb bereits eingestellt ist. Ein Pflicht- oder Antragsausschuss kommt dann nicht in Betracht. Die Regelung des § 22a Abs. 3 InsO findet aber auf den fakultativen Gläubigerausschuss keine Anwendung, so dass das Gericht einen Ausschuss einsetzen kann.149) Auch wenn ein Antragsausschuss in diesem Fall nicht in Betracht kommt, hindert dies den vorläufigen Insolvenzverwalter bzw. vorläufigen Sachwalter nicht daran, die Einsetzung anzuregen, wenn es im konkreten Fall sinnvoll erscheinen sollte, die Gläubiger frühzeitig einzubinden. 4.

Zusammensetzung

114 Soweit entweder die Schwellenwerte überschritten sind, ein zulässiger Antrag vorliegt oder das Gericht ohne Antrag einen Ausschuss einsetzen will, müssen die Mitglieder bestimmt werden. Die Entscheidung über die Einsetzung ist gleichzeitig Entscheidung über die Besetzung. 115 § 67 Abs. 2 InsO sieht ein Repräsentationsschema vor, nach dem die absonderungsberechtigten Gläubiger, die Insolvenzgläubiger mit den höchsten Forderungen, die Kleingläubiger und die Arbeitnehmer im Ausschuss vertreten sein sollen. Daraus ist zunächst abzuleiten, dass nach der Vorstellung des Gesetzgebers die wesentlichen Gläubigergruppen zu berücksichtigen sind150) und es nicht etwa darauf ankommt, dass diejenigen zu Mitgliedern bestellt werden, für welche wirtschaftlich das Verfahren die meiste Bedeutung hat. Das Gericht hat nach pflichtgemäßem Ermessen für das konkrete Verfahren einen Ausschuss zu bestellen, der die wesentlichen Gläubigergruppen abbildet.151) 116 Praxistipp: Eine möglichst breite Repräsentationsbasis begründet eine größere Legitimation für die Entscheidungen des Ausschusses, insbesondere in Bezug auf die Eigenverwaltung und die Sachwalterauswahl.152) Berater können nur dringend davor gewarnt werden, einen kleinen Ausschuss mit drei auserlesenen Mitgliedern bei Gericht durchsetzen zu wollen, der alle Entscheidungen mitträgt. Spätestens beim Insolvenzplan braucht man die gesetzlichen Gläubigermehrheiten. Unausgewogene Vorschläge schaffen zudem Misstrauen bei Gericht, die es veranlassen werden, weitere Ermittlungen vorzunehmen und wegen nachteiliger Veränderungen in der Vermögenslage einen vom Gericht ausgewählten Sachwalter zu bestellen. 4.1

Größe

117 Wie bei jedem repräsentativen Gremium besteht ein Spannungsverhältnis, zwischen umfassender Abbildung aller Gläubiger einerseits und der Schaffung eines sehr schnell und flexibel handlungsfähigen Organs andererseits.153) Bei der Bestimmung der Größe ist zum einen zu klären, ob es eine bestimmte Pflicht- oder Regelgröße gibt, und zum anderen, ob es aus praktischen Erwägungen heraus sinnvoll ist, eine bestimmte Anzahl von Mitgliedern zu wählen. 118 Durch die Rechtsprechung ist geklärt, dass ein Gläubigerausschuss aus mindestens zwei Personen bestehen muss.154) Nach ganz h. M. obliegt es darüber hinaus dem Gericht i. R. des vorstehend beschriebenen pflichtgemäßen Ermessens in Bezug auf das konkrete Ver___________ 149) 150) 151) 152) 153) 154)

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AG Hamburg v. 26.9.2013 – 67c IN 320/13, ZIP 2013, 2418 = NZI 2014, 31. Obermüller, ZInsO 2012, 18, 22; Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 9 – „Ausgewogenheit der Besetzung“. Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 67 Rz. 10. Haarmeyer/Schildt in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 47 – „Legitimität durch Repräsentativität“. Vgl. auch Hölzle in: K. Schmidt, InsO, § 22a Rz. 43. BGH v. 5.3.2009 – IX ZB 148/08, ZIP 2009, 727; a. A. Pollmächer/Siemon, NZI 2018, 625, die einen Ein-Personen-Ausschuss für gesetzeskonform halten.

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§6

Vorläufiger Gläubigerausschuss

fahren, wie viele Ausschussmitglieder es bestellt und welche Gläubigergruppen im Ausschuss vertreten sind.155) Dabei ist die Bestellung eines Ausschusses mit drei Mitgliedern in kleineren Verfahren nicht nur zulässig,156) sondern auch praxisgerecht. Soweit in der Literatur eine Regelgröße von fünf Mitgliedern angenommen wird,157) ist dies für größere Verfahren zutreffend, bei kleineren Verfahren bilden aber im Regelfall drei Mitglieder alle Gläubigergruppen ab, da absonderungsberechtigte Gläubiger gleichzeitig Großgläubiger sind und mit einem Vertreter der Lieferanten als Kleingläubiger und dem Arbeitnehmer alle Gruppen repräsentiert sind. Aus praktischen Erwägungen heraus kann es sich anbieten, einen Ausschuss mit ungerader 119 Mitgliederzahl zu bestellen, um damit stets Mehrheitsentscheidungen zu ermöglichen.158) Zwingend ist dies nicht. Praxistipp: Bei der Stellung eines Antrags auf Einsetzung eines Gläubigerausschusses nach 120 § 22a Abs. 2 InsO stellt sich die Frage, wie viele Personen vorgeschlagen werden müssen, damit der Antrag nicht unzulässig ist. Eine generelle Unzulässigkeit des Antrags mit nur drei Mitgliedervorschlägen ist nicht anzunehmen,159) soweit der Antragsteller im konkreten Einzelfall seinen Vorschlag als repräsentative Besetzung darlegen kann. Sicherster Weg für den Antragsteller ist aber, sich an § 67 Abs. 2 InsO zu orientieren und Mitgliedsvorschläge zu allen vier genannten Gruppen vorzulegen und ein weiteres Mitglied zu benennen, um dem Gericht i. R. des eigenen Entscheidungsermessens die Bestellung von fünf Mitgliedern zu ermöglichen.160) 4.2

Mitglieder

4.2.1 Grundsätzliche Feststellungen Zu Mitgliedern des Gläubigerausschusses können natürliche und juristische Personen161) 121 bestellt werden. Um der Gefahr ständig wechselnder Sitzungsteilnehmer zu begegnen, ist im Bestellungsbeschluss ein Ansprechpartner oder regelmäßiger Vertreter der juristischen Person anzugeben.162) Für Behörden wird eine Mitgliedschaft im Gläubigerausschuss zu Recht abgelehnt, soweit 122 die Behörde nicht selbst rechtsfähig ist.163) Statt der Behörde ist vielmehr die juristische Person des öffentlichen Rechts zu bestellen, deren Vertreter die Behörde ist. Die Bestellung des einzelnen Mitarbeiters der Behörde persönlich scheidet ebenfalls aus.164) Soweit für die Bestellung einer Person, deren Unabhängigkeit gefordert wird,165) ist fest- 123 zuhalten, dass es naturgemäß nicht darauf ankommen kann, dass das Mitglied vorher nicht in Geschäftsbeziehung zum Schuldner stand. Es kommt vielmehr auf die Art der Geschäfts___________ 155) Kübler in: KPB, InsO, § 67 Rz. 15; Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 9. 156) A. A. Frind in: HambKomm-InsO, § 67 Rz. 8 – für den Pflichtausschuss; AG Ludwigshafen v. 4.5.2012 – 3f IN 103/12, ZIP 2012, 2310; dagegen wie hier: Pape, ZInsO 2013, 2129, 2131. 157) Vallender in: Uhlenbruck, InsO, § 22a Rz. 58; Frind in: HambKomm-InsO, § 67 Rz. 8. 158) Jungmann in: K. Schmidt, InsO, § 67 Rz. 28. 159) A. A. Frind in: HambKomm-InsO, § 22a Rz. 16 – Antrag mit nur drei benannten Personen ist unzulässig. 160) Vallender in: Uhlenbruck, InsO, § 22a Rz. 26. 161) AG Hamburg v. 6.5.2013 – 67c IN 165/13, ZIP 2013, 1135 = NZI 2013, 701; Kübler in: KPB, InsO, § 67 Rz. 21; Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 67 Rz. 17; Gerhardt in: Jaeger, InsO, § 67 Rz. 26. 162) AG Hamburg v. 6.5.2013 – 67c IN 165/13, ZIP 2013, 1135 = NZI 2013, 701. 163) BGH v. 11.11.1993 – IX ZR 35/93, ZIP 1994, 46, 47, dazu EWiR 1994, 281 (Lüke); Gerhardt in: Jaeger, InsO, § 67 Rz. 27. 164) A. A. noch Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 15 m. w. N. 165) Vallender in: Uhlenbruck, InsO, § 22a Rz. 60; a. A. wie hier: Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 22a Rz. 26.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

beziehung an. Begründet der Gegenstand der Tätigkeit des Dritten ein besonderes Näheverhältnis zum Schuldner oder zu seinen Organen, dann scheidet eine Bestellung zum Ausschussmitglied aus. Einer Bestellung steht auch nicht entgegen, dass das Ausschussmitglied über die Höhe der Quote hinausgehende eigene Interessen im Verfahren hat, die regelmäßig unzweifelhaft vorhanden sind. Im Rahmen der Amtsführung ist es erforderlich, diese eigenen Interessen zurückzustellen und gemeinsam das Ziel der bestmöglichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger zu verfolgen.166) Soweit bei einzelnen Entscheidungen ein konkreter Interessenskonflikt besteht, ist das Mitglied für diesen Fall von Sitzungsteilnahme und Beschlussfassung ausgeschlossen. Nur bei einem strukturellen Interessensgegensatz zur gemeinschaftlichen Gläubigerbefriedigung scheidet die Bestellbarkeit aus.167) 124 Das Gläubigerausschussmitglied muss keine insolvenzrechtliche Sachkunde mitbringen.168) Es erfolgt keine Sachkundeprüfung durch das Insolvenzgericht.169) Die Kenntnis des Betriebes und seiner Schwachstellen durch den Betriebsrat, die Marktkenntnis eines Kundenvertreters oder die Kenntnisse eines Behördenvertreters zu spezialgesetzlichen Regelungen können erheblich zur Unterstützung im Verfahren beitragen. Gerade für das Eigenverwaltungsverfahren muss der (vorläufige) Sachwalter die nötige Expertise zur Prüfung insolvenzrechtlicher Regelungen mitbringen, die Überwachung durch den Gläubigerausschuss hat auch andere Themenfelder einzubeziehen. Zweckmäßig erscheint es, einen Ausschuss aus professionellen Mitgliedern mit insolvenzrechtlicher Expertise und insolvenzrechtlichen Laien mit eingehenden Kenntnissen des konkreten Unternehmens des Schuldners zu bestellen. 4.2.2 Gläubigerstellung 125 Nachdem § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO nunmehr170) auch auf § 67 Abs. 3 InsO verweist, können auch Nichtgläubiger zu Ausschussmitgliedern bestellt werden. Die ursprüngliche Regelung, nach der nur Gläubiger zu Ausschussmitgliedern bestellt werden konnten, wurde i. R. der ESUG-Evaluation kritisiert171) und daraufhin geändert. Insbesondere wird so Gewerkschaftsvertretern die Bestellung ermöglicht.172) 4.2.3 Auswahl im Einzelnen 126 Kein Gläubiger hat einen Anspruch auf Bestellung zum Gläubigerausschussmitglied.173) Ausgehend von § 67 Abs. 2 InsO ergeben sich – je nach konkreter Ausgestaltung des Verfahrens – folgende typischerweise zu bestellende Mitglieder: 127 Als absonderungsberechtigte Gläubiger und als Großgläubiger kommt regelmäßig die Bestellung von Banken in Frage.174)

___________ 166) 167) 168) 169) 170) 171) 172) 173) 174)

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BGH v. 1.3.2007 – IX ZB 47/06, ZIP 2007, 781, dazu EWiR 2007, 403 (Gundlach). Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 16. Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 22a Rz. 26; a. A. Vallender in: Uhlenbruck, InsO, § 22a Rz. 60. A. A. Frind in: HambKomm-InsO, § 22a Rz. 21. Aufgrund der Aufnahme des Verweises auf § 67 Abs. 3 InsO in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO durch das SanInsFoG (BGBl. I 2020, 3256). Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 231. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 197. Frind in: HambKomm-InsO, § 67 Rz. 10; Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 9; Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 67 Rz. 13. Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 9.

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Vorläufiger Gläubigerausschuss

Große Gläubiger eines Verfahrens können institutionelle Gläubiger, wie Finanzämter175) 128 oder Sozialversicherungsträger, sein.176) Als maßgebliche Gläubiger kommen weiter die Bundesagentur für Arbeit oder der Pen- 129 sionssicherungsverein in Betracht.177) Beide sind zum Zeitpunkt der Bestellung des vorläufigen Gläubigerausschusses in der Regel noch keine Gläubiger, werden es aber nach Eröffnung des Verfahrens. Zur Abbildung der verschiedenen Gruppen ist es regelmäßig auch geboten, einen Lieferan- 130 ten in den Ausschuss aufzunehmen.178) In der Praxis erfolgt regelmäßig die Aufnahme eines Kreditversicherers.179) Problematisch ist, dass der Kreditversicherer auch nach Eröffnung des Verfahrens formal nicht als Gläubiger im Verfahren auftritt.180) Wirtschaftlich vom Forderungsausfall betroffen ist aber die Kreditversicherung, so dass deren Aufnahme gerechtfertigt ist. In der Praxis wird zudem der zukünftige Vertreter des Lieferantenpools zum Ausschussmitglied bestellt. In § 67 Abs. 2 InsO wird zwischen absonderungsberechtigten Gläubigern und Insolvenzgläubigern differenziert und damit zum Ausdruck gebracht, dass das Absonderungsrecht i. R. des Repräsentationsschemas dieser Norm gesondert behandelt werden müssen. Mitglied des Ausschusses soll gemäß § 67 Abs. 2 Satz 2 InsO regelmäßig ein Vertreter der 131 Arbeitnehmer sein, unabhängig davon, ob die Mitarbeiter erhebliche Forderungen haben.181) In der Praxis wird als Arbeitnehmervertreter der Vorsitzende des Betriebsrats zu bestellen sein oder – soweit kein Betriebsrat vorhanden – ein Mitarbeiter, der im Unternehmen i. R. der Belegschaft als Führungsperson angesehen wird (z. B. Produktionsleiter). Soweit der Betrieb bereits eingestellt ist, findet § 67 Abs. 2 Satz 2 InsO keine Anwendung mehr. Der Arbeitnehmer kann aber als Kleingläubiger bestellt werden. Aufgrund des Verweises auf § 67 Abs. 3 InsO in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO ist die 132 Bestellung eines Vertreters einer Gewerkschaft, die im Betrieb i. S. des § 2 Abs. 1 und 2 BetrVG vertreten ist, zulässig. Im Rahmen der Unternehmenssanierung bietet es sich regelmäßig an, auch einen Kunden 133 in den Ausschuss mit aufzunehmen, gerade wenn das Unternehmen von bestimmten Aufträgen abhängig ist und – branchenspezifisch – die Kunden starken Einfluss auf ihre Lieferanten und damit auch den insolvenzrechtlichen Sanierungsprozess nehmen. Die Vorschrift des § 67 Abs. 2 InsO sieht die Einbeziehung der Gruppe der Kleingläubiger 134 vor. Naturgemäß haben diese Gläubiger wegen der geringen Höhe ihrer Forderung regelmäßig kein wirtschaftliches Interesse an der Teilnahme am Ausschuss. Hintergrund eines Teilnahmewunsches eines solchen Gläubigers können persönliche Interessen in Bezug auf die handelnden Personen oder am Insolvenzrecht oder der Sanierung sein. Wegen der Vielzahl der möglichen Kleingläubiger ist die Auswahl des Mitglieds zudem stark manipulationsanfällig. Vor diesem Hintergrund wurde angeregt, auf einen Vertreter aus der Gruppe der Kleingläubiger gänzlich zu verzichten.182) Der Gesetzgeber ist dem nicht gefolgt. Neben ___________ 175) Die Finanzämter oder nicht rechtsfähige Behörden können nicht als Gläubigerausschussmitglied eingesetzt werden. Mitglied wird in diesen Fällen regelmäßig der Rechtsträger (Bundesland), welcher dann durch das zuständige Finanzamt im Gläubigerausschuss vertreten wird. 176) Hierzu Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 67 Rz. 20. 177) Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 9. 178) Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 9. 179) Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 9. 180) Trotz des in den Versicherungsbedingungen für Warenkreditversicherungen vorgesehenen Rechtsübergangs gemäß § 86 VVG erfolgt die Forderungsanmeldung durch den Gläubiger selbst. 181) Frind in: HambKomm-InsO, § 67 Rz. 12 f. 182) Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 230.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

den gesicherten Großgläubigern und den am Erhalt des Arbeitsplatzes interessierten Arbeitnehmern besteht ein Bedürfnis dafür, auch die ungesicherten einfachen Insolvenzgläubiger zu beteiligen. 135 Zu bestellen ist – soweit möglich – ein repräsentativer Vertreter der Kleingläubiger, etwa ein Vertreter der Vermieter bei Unternehmen mit Filialgeschäft. Soweit der Schuldner eine Anleihe emittiert hat und nach dem Schuldverschreibungsgesetz ein gemeinsamer Vertreter gewählt wurde, kann dieser zum Gläubigerausschussmitglied bestellt werden, da er im Insolvenzverfahren die Rechte der Anleihegläubiger allein vertritt, § 19 Abs. 3 SchVG. Eine solche Bestellung ist auch dann möglich, wenn der Beschluss zur Wahl des gemeinsamen Vertreters wegen einer anhängigen Anfechtungsklage gemäß § 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG noch nicht vollzogen werden darf.183) Nachdem der gewählte gemeinsame Vertreter i. R. der Wahl die nötigen Mehrheiten erzielt hat, kann das Insolvenzgericht ihn als repräsentativen Vertreter der Anleihegläubiger einsetzen, ohne dass es auf die Vollzugssperre des § 21 Abs. 2 SchVG ankäme. 136 Untaugliche Mitglieder sind der Schuldner sowie seine Organe. Bei Aufsichtsräten wird die Bestellbarkeit abgelehnt, weil sie auf der Interessenseite des Unternehmens stehen, § 111 AktG.184) Diese Ansicht ist zu pauschal und daher nicht zutreffend. So ist beim mitbestimmten Aufsichtsrat die Bestellung des Betriebsratsvorsitzenden natürlich möglich, gleiches gilt für die Bestellung eines Kreditinstituts mit dem Vertreter, der bisher als persönliches Mitglied im Aufsichtsrat vertreten war. 137 Keine tauglichen Mitglieder sind aktuelle Berater des Schuldners oder der Organe. Sie sind zwar ggf. wegen ihrer vorinsolvenzlichen Honoraransprüche Insolvenzgläubiger. Ihre Aufgabe ist es aber, den eigenverwaltenden Schuldner zu unterstützen. Mit dieser Umsetzungsfunktion verbietet sich die Mitgliedschaft in dem Organ, das diese Tätigkeit überwacht. Dies gilt auch für den früheren Berater, soweit eine erneute Tätigkeit für die Schuldnerin im Verfahren nicht ausgeschlossen werden kann.185) In diesem Fall wäre die Beendigung der Tätigkeit nur vorgeschoben. 138 Das Insolvenzverfahren wird im Interesse der Gläubiger und nicht der Gesellschafter durchgeführt. Ihre Rechte sind suspendiert, § 276a InsO. Daher sind Gesellschafter vom Grundsatz her auch keine geeigneten Mitglieder eines Gläubigerausschusses. Soweit der Sanierungsprozess aber maßgeblich von der Mitwirkung des Gesellschafters abhängt, etwa weil er gleichzeitig Vermieter des Betriebsgrundstücks ist, kann eine Mitgliedschaft geboten sein. Ob der Gesellschafter im konkreten Fall Gläubiger ist, kann angesichts der mit § 67 Abs. 3 InsO eröffneten Möglichkeit, Nichtgläubiger zu bestellen, dahinstehen. Soll der Gesellschafter i. R. des Sanierungsprozesses und eines angestrebten Insolvenzplans eine wesentliche Rolle spielen, kann es zweckmäßig sein, ihn i. R. des Gläubigerausschusses einzubinden. Soweit damit aber eine Vorfestlegung auf einen bestimmten Sanierungsweg verbunden ist, liegt ein struktureller Interessenkonflikt vor, der eine Bestellung des Gesellschafters ausschließt. 139 Es können mehrere Vertreter einer Gruppe bestellt werden. Insgesamt hat das Gericht i. R. seines pflichtgemäßen Ermessens darauf zu achten, dass bei späteren Abstimmungen nicht einzelne Gruppen die Mehrheitsentscheidungen dominieren.

___________ 183) In diese Richtung auch: AG Hamburg v. 2.8.2017 – 67g IN 173/17 (Rickmers Holding II), ZIP 2017, 2213, dazu EWiR 2018, 185 (Paulus). 184) H. M., vgl. nur Jungmann in: K. Schmidt, InsO, § 67 Rz. 19. 185) A. A. AG Hamburg v. 2.8.2017 – 67g IN 173/17 (Rickmers Holding II), ZIP 2017, 2213.

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§6

Vorläufiger Gläubigerausschuss 4.3

Ermittlung der zur Bestellungsentscheidung notwendigen Tatsachen

Dem Gericht liegen in diesem frühen Verfahrensstadium keine Erkenntnisse zu Gläubigern 140 und zur Gläubigerstruktur vor. Zudem gibt es keinen vorläufigen Verwalter/Sachwalter, der zu Vorschlägen für einen Gläubigerausschuss befragt werden könnte. Da das Gericht beim Antragsausschuss an die Besetzungsvorschläge nicht gebunden ist (siehe Rz. 109), hat es auf der Basis der Angaben des Schuldners zu prüfen, ob durch die im Antrag benannten Personen die Gesamtgläubigerschaft zutreffend abgebildet wird. Die Überprüfung der Angaben ist damit auch für den Antragsausschuss nötig.186) Zur Ermittlung von Personen, die konkret als Mitglied in Frage kommen, legt die Norm 141 des § 13 InsO dem Schuldner entsprechende Informationspflichten auf. Diese Pflichten sind aber – wie nachstehend zu zeigen sein wird – für die Bestellung eines repräsentativen Gläubigerausschusses unzureichend. Für das Gericht besteht zudem die Notwendigkeit, nicht nur die Mitglieder, sondern auch 142 konkrete Ansprechpartner der jeweiligen Gläubiger zu ermitteln, um diese schnellstmöglich – telefonisch – zur Mitwirkungsbereitschaft zu befragen und um ihnen den Bestellungsbeschluss zuleiten zu können. In diesem Zusammenhang empfiehlt es sich für regelmäßig in Gläubigerausschüssen mitwirkende Institutionen, sich grundsätzlich zur Mitwirkungsbereitschaft zu erklären und beim Gericht den Namen eines regionalen Ansprechpartners mit Kontaktdaten zu hinterlegen. 4.3.1 Angaben gemäß § 13 Abs. 1 Satz 4 InsO Bei laufendem Geschäftsbetrieb sollen im Gläubigerverzeichnis gemäß § 13 Abs. 1 Satz 4 143 InsO zur Identifikation von potentiellen Mitgliedern die höchsten Forderungen, die höchsten gesicherten Forderungen, die Forderungen der Finanzverwaltung, die Forderungen der Sozialversicherungsträger und die Forderungen aus betrieblicher Altersversorgung kenntlich gemacht werden. Mit diesen Angaben soll das Gericht diejenigen Personen identifizieren können, die es zu Mitgliedern des vorläufigen Gläubigerausschusses bestellen kann.187) Dementsprechend sind die Angaben gemäß § 13 Abs. 1 Satz 6 InsO nur verpflichtend, 144 wenn ein Ausschuss vom Gericht zu bestellen ist (obligatorischer Ausschuss oder Antragsausschuss).188) Für den obligatorischen Ausschuss sieht § 13 Abs. 1 Satz 6 Nr. 2 InsO vor, dass die Angaben verpflichtend werden, wenn „der Schuldner die Merkmale des § 22a Abs. 1 InsO erfüllt“. Nachdem ein obligatorischer Ausschuss einzusetzen ist, wenn mindestens zwei der drei Merkmale erfüllt sind, müssen auch bereits bei Erfüllung von mindestens zwei Merkmalen die Angaben verpflichtend werden.189) Stellt der Schuldner Antrag auf Eigenverwaltung, sind die Angaben ebenfalls verpflichtend, auch wenn ein Gläubigerausschuss bei Eigenverwaltung nicht per se zu bestellen ist, § 13 Abs. 1 Satz 6 Nr. 1 InsO. Wegen des klaren Wortlauts müssen daher bei einem Antrag auf Eigenverwaltung stets die Angaben gemäß § 13 Abs. 1 Satz 4 InsO erteilt werden. Hinsichtlich der Anforderungen an die Genauigkeit der Kenntlichmachung in Sinne des 145 § 13 Abs. 1 Satz 4 InsO ist einerseits zu berücksichtigen, dass der Schuldner zu richtigen und vollständigen Angaben verpflichtet ist, die auch erforderlich sind, um einen ausgewogenen Gläubigerausschuss bestellen zu können. Andererseits würden überspannte Vorgaben zu einer Vielzahl von unzulässigen Anträgen führen (siehe Rz. 84 f.). Als Maßstab muss ___________ 186) 187) 188) 189)

A. A. Haarmeyer/Schildt in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 40 ff. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 23. Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 45. Wegener in: Uhlenbruck, InsO, § 13 Rz. 119; a. A. Frind, ZInsO 2011, 2249, 2253.

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§6

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

der gewissenhafte Geschäftsführer oder Kaufmann herangezogen werden, der mit entsprechender Sorgfalt und ohne Rechtsberatung die geforderten Angaben erteilt. Unter Heranziehung dieses Sorgfaltsmaßstabs kann die Situation entstehen, dass der Geschäftsführer bspw. zu den Forderungen aus betrieblicher Altersversorgung keine Angaben machen kann. Der Antrag ist als zulässig anzusehen, wenn die Angaben mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsführers erteilt wurden. Bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Insolvenzantrages ist auch zu berücksichtigen, dass die Angaben des § 13 InsO ihren Zweck ohnehin nicht erfüllen. 146 Wenn nachträglich i. R. eines bereits laufenden Insolvenzantragsverfahrens ein Antrag auf Einsetzung eines Gläubigerausschusses oder auf Eigenverwaltung gestellt wird, soll nach einer Ansicht in der Literatur die Kennzeichnung der verschiedenen Gläubigergruppen nachträglich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 6 InsO verpflichtend werden.190) Der bereits gestellte Insolvenzantrag würde damit automatisch unzulässig, es sei denn, er enthielte die Angaben bereits. Das Gericht müsste sofort alle Sicherungsmaßnahmen aufheben und könnte allenfalls eine kurze Frist zur Nachbesserung des Insolvenzantrags setzen.191) Dieser Ansicht ist nicht zu folgen.192) Bei einem zulässigen nachträglichen Antrag auf Bestellung eines Gläubigerausschusses müssen Vertreter zu den einzelnen Gläubigergruppen benannt sein. Das Gericht hat damit einen ersten Überblick über mögliche Mitglieder und kann auf dieser Basis weitere Ermittlungen vornehmen, etwa den Schuldner oder vorläufigen Insolvenzverwalter auffordern, mögliche Mitglieder zu benennen, § 22a Abs. 4 InsO. Vor dem Hintergrund der Sanierungs- und Ordnungsfunktion des Insolvenzrechts wäre die Rechtsfolge der nachträglichen Unzulässigkeit völlig unverhältnismäßig. 147 Den Angaben hat der Schuldner gemäß § 13 Abs. 1 Satz 7 InsO eine Erklärung beizufügen, dass die Angaben richtig und vollständig sind. 4.3.2 In § 13 Abs. 1 InsO nicht abgefragte, aber zwingend notwendige Angaben 148 Gemäß § 67 Abs. 2 InsO sollen zu Mitgliedern des Ausschusses die absonderungsberechtigten Gläubiger, die Insolvenzgläubiger mit den höchsten Forderungen, die Kleingläubiger und die Arbeitnehmer bestellt werden. Davon ausgehend ist zunächst festzuhalten, dass nach § 13 Abs. 1 InsO keine Angaben zu Arbeitnehmern zu erteilen sind, wenn diese nicht bereits Gläubiger sind.193) Bei frühzeitiger Antragstellung ohne Lohnrückstände kennt das Gericht keine Namen der Mitarbeiter. Auch wenn diese bekannt sind, fehlen ggf. Angaben zu den Betriebsratsmitgliedern. 149 Weiterhin soll ein Kleingläubiger zu einem Mitglied bestellt werden. In § 13 Abs. 1 InsO werden dem Schuldner aber keine Angaben dazu abverlangt, welche Kleingläubiger, etwa wegen ihrer Stellung als wichtiger Lieferant, geeignet wären. 150 Die Vorschrift enthält auch keine Verpflichtung für den Schuldner, sich zu wichtigen Kunden zu äußern. Angaben zu Forderungen der Bundesagentur für Arbeit können naturgemäß nicht gemacht werden, weil sie noch nicht bestehen. Allerdings könnte die Angabe der monatlichen Nettolohnsumme ein wesentliches Indiz dafür sein, welchen Umfang die Insolvenzgeldansprüche annehmen werden. Diese Angabe wird vom Schuldner aber nicht verlangt. ___________ 190) 191) 192) 193)

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Vuia in: MünchKomm-InsO, § 13 Rz. 110. Frind, ZInsO 2011, 2249, 2254. Pape in: KPB, InsO, § 13 Rz. 135; Wegener in: Uhlenbruck, InsO, § 13 Rz. 120. So ausdrücklich Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 23, mit der nicht nachvollziehbaren Ausführung, dass ein Arbeitnehmervertreter unabhängig von der Forderungshöhe zu einem Mitglied zu bestellen ist. Dem Gericht fehlen aber die Namen geeigneter Arbeitnehmervertreter!

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§6

Vorläufiger Gläubigerausschuss

Für das Gericht bleibt aufgrund der Schuldnerangaben weiter ungeklärt, ob Kreditversicherer 151 in dem Verfahren eine Rolle spielen oder ob die Bestellung von Gesellschaftern zu Ausschussmitgliedern sinnvoll sein kann. Es wird an dieser Stelle nochmals (siehe schon oben bei Rz. 9 und bei Rz. 71) deutlich, 152 dass die Beteiligung der Gläubiger an der Sachwalterauswahl maßgeblich davon abhängt, ob der Insolvenzantrag lückenlos und präzise vorbereitet ist und die notwendigen – auch über § 13 Abs. 1 InsO hinausgehenden – Angaben enthält. Ohne eine entsprechende sachkundige Sachverhaltsdarstellung, die dem Gericht unter Heranziehung des § 67 Abs. 2 InsO für das konkrete Verfahren darlegt, welche Mitglieder aufgrund der konkreten Ausgangssituation zu bestellen sind, bestehen für das Gericht erhebliche Schwierigkeiten, einen ausgewogenen Ausschuss zu bestellen.194) Will der Berater zuverlässig die Einsetzung eines Ausschusses erreichen, kann er nicht beim Pflichtprogramm des § 13 InsO verharren, sondern muss eine an § 67 Abs. 2 InsO orientierte, begründete Empfehlung für einen zu bestellenden Ausschuss abgeben. Diese ist vor der Insolvenzantragstellung mit dem Gericht zu besprechen, worauf der Schuldner, der mindestens zwei der drei Merkmale des § 22a Abs. 1 InsO überschreitet, einen Anspruch hat, § 10a Abs. 1 Satz 1 InsO. 4.4

Gerichtliche Maßnahmen zur Vorbereitung der Besetzungsentscheidung

Hinsichtlich des Sachverhalts hat das Gericht die Angaben des Schuldners zugrunde zu 153 legen, auf Schlüssigkeit und Plausibilität zu prüfen und auf dieser Basis eine Entscheidung zu treffen, ohne sie durch einen Sachverständigen verifizieren zu lassen.195) Eine solche Prüfung der Schuldnerangaben widerspräche dem Ziel des Gesetzgebers, die Gläubiger – auch ohne abschließende Erkenntnisse – am Verfahren zur Bestellung des vorläufigen Sachwalters zu beteiligen. Den vom Schuldner vorgetragenen Sachverhalt hingegen hat das Gericht eingehend zu 154 prüfen und nicht kritiklos die daraus abgeleiteten Mitgliedsvorschläge des Schuldners zu übernehmen. Das richtige Maß zwischen einer zu langwierigen und damit die Einsetzung verhindernden Prüfung des Gerichts einerseits und der Bekämpfung von Missbräuchen andererseits liegt – auch in Bezug auf eine mögliche Haftung des Gerichts – darin, auf der Sachverhaltsebene den schlüssigen und plausiblen Vortrag zugrunde zu legen, die eingehende Prüfung der daraus abzuleitenden Zusammensetzung des Ausschusses aber dem Gericht zuzuweisen. Kann das Gericht auf der Grundlage der Schuldnerangaben und seiner eigenen Prüfung einen ausgewogenen Gläubigerausschuss zusammensetzen, hat es diesen zu bestellen. Sind die Informationen vom Schuldner nicht zu erlangen, ist der Vortrag unschlüssig oder 155 kann das Gericht auf dieser Basis keine Entscheidung zur Besetzung treffen, hat es entweder den Schuldner aufzufordern, weitere Angaben i. R. seiner Auskunfts- und Mitwirkungspflicht zu erteilen oder Mitglieder gemäß § 22a Abs. 4 InsO zu benennen. Wenn diese Angaben nicht durch Befragung des präsenten oder am Telefon erreichbaren Schuldners erlangt werden können, hat das Gericht abzuwägen, ob wegen der damit verbundenen Verzögerungen ein Fall des § 22a Abs. 3 Alt. 3 InsO vorliegt (siehe genauer oben Rz. 63 ff.). Von der Einsetzung des Ausschusses kann zunächst abgesehen werden, wodurch der Weg zur sofortigen Bestellung eines vorläufigen Sachwalters eröffnet ist. Die Einsetzung des Gläubigerausschusses ist dann später nachzuholen. Der vorläufige Sachwalter kann dann aufgefordert werden, geeignete Ausschussmitglieder zu benennen, § 22a Abs. 4 InsO. ___________ 194) Daher der Vorwurf bei Pape, dass der Schuldner damit in der Lage ist, die Beteiligung der Gläubiger an der Auswahl des vorläufigen Insolvenzverwalters zu manipulieren, Pape, ZInsO 2011, 1033, 1036. 195) Vallender in: Uhlenbruck, InsO, § 22a Rz. 11.

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§6 5.

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren Gerichtliches Vorgehen

156 Das Gericht hat fünf Möglichkeiten für ein weiteres Vorgehen: 

Soweit der Insolvenzantrag unzulässig ist, weil verpflichtende Angaben fehlen (siehe näher bei Rz. 84 f. sowie Rz. 145), hat es den Schuldner zur „Nachbesserung“ aufzufordern und den Antrag ggf. als unzulässig zurückzuweisen.



Soweit der Antrag auf Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses unzulässig ist (siehe zu den Zulässigkeitsmerkmalen Rz. 92 ff.), hat es dem Antragsteller ebenfalls eine Frist zur „Nachbesserung“ zu setzen und den Antrag dann auch als unzulässig zurückzuweisen.



Wenn die Schwellenwerte überschritten sind oder ein zulässiger Antrag vorliegt und das Gericht Klarheit über die Besetzung des Ausschusses hat und kein Ausschlussgrund vorliegt, ist der vorläufige Gläubigerausschuss durch Beschluss einzusetzen.



Wenn weder ein Antrag auf Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses vorliegt noch die Schwellenwerte überschritten sind, muss das Gericht keinen Ausschuss einsetzen. Das gleiche gilt, wenn zwar die Schwellenwerte überschritten sind bzw. ein zulässiger Antrag gestellt wurde, aber ein dauerhafter Ausschlussgrund (Einstellung des Geschäftsbetriebes, siehe oben Rz. 41, oder Unverhältnismäßigkeit, siehe Rz. 46) gegeben ist.



Liegt zwar ein zulässiger Insolvenzantrag vor, fehlen dem Gericht aber plausible Schuldnerangaben zu den Schwellenwerten (siehe Rz. 86 ff.) oder besteht aufgrund von Zweifeln am Kosten-Nutzen-Verhältnis weiterer Klärungsbedarf (siehe Rz. 56), hat das Gericht weitere Ermittlungen vorzunehmen. Weiterhin können dem Gericht – beim Pflichtwie beim Antragsausschuss – Erkenntnisse zur ausgewogenen Besetzung des Ausschusses fehlen (siehe Rz. 153 ff.). Auch in diesem Fall sind weitere Ermittlungen nötig. Grundsätzlich ist das Gericht aber verpflichtet, vor der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters den obligatorischen Ausschuss oder den Antragsausschuss einzusetzen. Von dieser Pflicht wird das Gericht durch § 22a Abs. 3 InsO entbunden. Es wird also bei abzuschätzenden Verzögerungen, die zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage führen, zunächst einen vorläufigen Sachwalter bestellen (siehe Rz. 69). Dies entbindet aber nicht von der Verpflichtung, weitere Ermittlungen zur Einsetzung und Besetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses vorzunehmen.196) Nach Vorliegen der entsprechenden Erkenntnisse hat das Gericht den Ausschuss einzusetzen oder die Einsetzung abzulehnen.197)

157 Gerichtliche Entscheidungen zur Einsetzung des Ausschusses oder Ablehnung eines Antrags auf Einsetzung ergehen durch Beschluss.198) Ob der Beschluss zu begründen ist, hängt davon ab, ob ein Rechtsmittel gegeben ist. Auch wenn eine Beschwerde des Schuldners gegen die Einsetzung regelmäßig unzulässig sein dürfte, weil ihm die Beschwer fehlt, räumt § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO ihm das Recht auf sofortige Beschwerde ein, so dass ein Rechtsmittel gegeben ist und der Einsetzungsbeschluss begründet werden muss.199) 158 Soweit mehrere Anträge auf Einsetzung eines Gläubigerausschusses gestellt werden, hat das Gericht aus den Besetzungsvorschlägen, aber auch aufgrund eigener Erkenntnisse und ___________ 196) Vallender in: Uhlenbruck, InsO, § 22a Rz. 45. 197) Sehr instruktiv zur gerichtlichen Prüfungsfolge: AG Hamburg v. 26.9.2013 – 67c IN 320/13, ZIP 2013, 2418 = NZI 2014, 31. 198) Blankenburg in: KPB, InsO, § 22a Rz. 60; a. A. Frind in: HambKomm-InsO, § 22a Rz. 34. 199) A. A. Blankenburg in: KPB, InsO, § 22a Rz. 60.

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§6

Vorläufiger Gläubigerausschuss

Ermittlungen einen ausgewogenen Gläubigerausschuss einzusetzen. Die Anträge sind nicht deshalb unzulässig, weil sie keine „Einheitsvorschläge“ enthalten.200) In entsprechender Anwendung von § 329 Abs. 3 ZPO sind Entscheidungen des Gerichts 159 zuzustellen, wenn gegen sie die sofortige Beschwerde zulässig ist. Dies ist für den Schuldner gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO bei der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen der Fall. Damit ist der Beschluss zur Einsetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses dem Schuldner zuzustellen. Einer förmlichen Zustellung des Beschlusses an die Gläubigerausschussmitglieder bedarf es nicht, da ihnen keine Rechtsmittel zustehen.201) Der Beschluss ist ihnen gegenüber bekannt zu geben und zwar gemäß § 329 Abs. 2 ZPO durch formlose Mitteilung. Diese kann per Telefax, per einfacher E-Mail,202) aber auch mündlich bzw. fernmündlich erfolgen. Zur Dokumentation wird das Gericht den Beschluss den Ausschussmitgliedern regelmäßig auch zustellen, um einen nachweisbaren Zugang sicherzustellen. 6.

Gerichtliches Recht zur Nachbesetzung

Hat das Gericht einen Ausschuss eingesetzt, ergeben sich zwei Fallgestaltungen in Bezug 160 auf die nachträgliche Erweiterung der Besetzung: 

In der Praxis häufiger zu beobachten ist der Fall, dass ein Gläubiger nachträglich seine Aufnahme in den Ausschuss beantragt. Dieser „Antrag“ ist kein zulässiger Antrag nach § 22a Abs. 2 InsO, da es bereits einen Gläubigerausschuss gibt. Der Gläubiger hat auch keinen Anspruch auf Mitgliedschaft. Im Ergebnis ist damit der „Antrag“ als Anregung zu werten, zur Wahrung der Repräsentativität des Ausschusses ein weiteres Mitglied aufzunehmen. Die ergangene gerichtliche Einsetzungsentscheidung präjudiziert aber eine ordnungsgemäße Zusammensetzung. Nur wenn der Gläubiger umfassend neue Tatsachen vorträgt, die für eine Erweiterung sprechen, kann das Gericht weitere Mitglieder bestellen.



Ob das Gericht – aus eigenem Antrieb oder nach Anregung durch den vorläufigen Sachwalter oder den Schuldner – nach Einsetzung eines Ausschusses noch weitere Mitglieder nachbestellen kann, ist umstritten. Der ablehnenden Ansicht203) ist zuzugeben, dass der Gläubigerausschuss als Organ der Selbstverwaltung der Disposition des Gerichts entzogen ist. Richtig ist auch, dass ein einmal eingesetzter repräsentativer Ausschuss nicht erweitert werden kann, ohne dass die Repräsentativität gefährdet ist. Wenn das Gericht aber nachträglich erkennt, dass die ursprüngliche Besetzung nicht repräsentativ war, weil – in Unkenntnis des Sachverhalts durch das Gericht – eine wesentliche Gläubigergruppe vergessen wurde, ist kein Grund ersichtlich, dem Gericht zu verwehren, ein weiteres Mitglied zu bestellen, soweit es zuvor den Gläubigerausschuss, den Schuldner und den vorläufigen Sachwalter anhört.204)

7.

Rechtsbehelfe

Gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO steht dem Schuldner die sofortige Beschwerde gegen die 161 Anordnung von Sicherungsmaßnahmen zu. Vom Wortlaut her fällt die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses in den Anwendungsbereich der Regelung und kann da___________ 200) 201) 202) 203) 204)

Obermüller, ZInsO 2012, 18, 21. A. A. Obermüller, ZInsO 2011, 1809, 1811. Roth in: Stein/Jonas, ZPO, § 329 Rz. 8. Haarmeyer, ZInsO, 2013, 1039, 1040. Zum Ausschuss nach Eröffnung: AG Kaiserslautern v. 15.6.2004 – InsO IN 144/04, NZI 2004, 676; Vallender in: Uhlenbruck, InsO, § 22a Rz. 59.

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§6

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

her angegriffen werden.205) Bei der Einsetzung eines Gläubigerausschusses wird jedoch stets zweifelhaft sein, wie der Schuldner durch diese Maßnahme in seinen Rechten beschwert ist. Nicht angegriffen werden kann die Auswahl der Mitglieder durch das Gericht.206) 162 Umstritten ist, ob dem Schuldner oder den Gläubigern eine Beschwerdebefugnis bei Ablehnung der Einsetzung oder Untätigkeit zustehen soll.207) Da insoweit kein Rechtsmittel vorgesehen ist, kommt eine sofortige Beschwerde nach dem Enumerationsprinzip des § 6 Abs. 1 InsO nicht in Betracht. Bei der Ablehnung eines begründeten Antrags auf Einsetzung eines Gläubigerausschusses ist der Antragsteller in seiner subjektiven Rechtsposition bezogen auf den Antrag betroffen. Bei der Diskussion einer daraus abzuleitenden verfassungsrechtlichen Notwendigkeit eines Rechtsschutzes sollte aber bedacht werden, dass damit weder für den Schuldner noch für den Gläubiger unmittelbar Eingriffe in ihre Vermögenspositionen verbunden sind, sondern vielmehr der vom Gericht eingesetzte Insolvenzverwalter nach wie vor zur bestmöglichen Gläubigerbefriedigung verpflichtet ist, womit sich der gesetzliche Verzicht auf ein Rechtsmittel zugunsten der Verfahrensbeschleunigung und Rechtssicherheit rechtfertigen lässt. Ein Rechtsmittel ist mithin nicht gegeben.208) 8.

Amtsannahme und Amtsdauer

163 Das Gläubigerausschussmitglied kann zur Übernahme des Amtes nicht gezwungen werden. Schon aus Gründen der Haftung gemäß § 71 InsO ist die ausdrückliche oder konkludente Amtsannahme zur Wirksamkeit der Bestellung erforderlich.209) Dies setzt eine Willenserklärung des Bestellten voraus. Die Frage ist hierbei, ob diese auch schon vor der Bestellung abgegeben werden kann, mithin ob die dem Einsetzungsantrag beigefügten Einverständniserklärungen als antizipierte Annahmeerklärungen zu werten sind.210) Dies ist zu bejahen, denn der Wille des Erklärenden zielt gerade darauf ab, für den Fall seiner Bestellung das Amt anzunehmen. Damit ist in diesem Fall für die Wirksamkeit der Bestellung deren Kenntnis durch den Bestellten ausreichend.211) 164 Nachdem das Gericht Kenntnis davon benötigt, ob die bestellten Personen das Amt auch ausüben oder ob ggf. andere Mitglieder bestellt werden müssen, ist die Amtsannahme gegenüber dem Gericht zu erklären.212) Das Gericht kann hierfür eine Frist setzen.213) Eine ausdrückliche Erklärung der Amtsannahme gegenüber dem Gericht ist – außer in den Fällen der Fristsetzung – allerdings nicht erforderlich. Die Annahme kann auch konkludent erklärt werden durch Übernahme des Amtes, etwa durch Abgabe eines Votums zum vorläufigen Sachwalter. 165 Das Gericht muss für die Anhörung gemäß § 56a Abs. 1 InsO nicht abwarten, bis alle Mitglieder die Annahme schriftlich erklärt haben. Zwar wird die Bestellung erst mit Annahme wirksam, so dass erst die Annahme zur Wirksamkeit der Anhörung führt. Für den Fall, dass der Bestellte das Amt nicht annimmt, entfaltet die Anhörung zwar nicht die Wirkungen ___________ 205) So LG Kleve v. 4.4.2013 – 4 T 32/13, ZIP 2013, 992 – für das „Ob“ der Bestellung. 206) Vallender in: Uhlenbruck, InsO, § 21 Rz. 50a. 207) Dafür: Römermann/Praß, ZInsO 2012, 1923; Horstkotte, ZInsO 2012, 1930; Haarmeyer/Schildt in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 169; dagegen: LG Dessau-Roßlau v. 2.5.2012 – 1 T 116/12, juris; N. Schmidt, ZInsO 2012, 1107; Frind, ZInsO 2011, 2249, 2254. 208) Blankenburg in: KPB, InsO, § 22a Rz. 67. 209) Allg. M., Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 21; Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 67 Rz. 27. 210) Abl. Vallender in: Uhlenbruck, InsO, § 22a Rz. 28. 211) So auch Frind in: HambKomm-InsO, § 67 Rz. 17. 212) Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 67 Rz. 27. 213) LG Duisburg v. 29.9.2003 – 7 T 203/03, ZIP 2004, 729 (LS) = NZI 2004, 95.

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§6

Vorläufiger Gläubigerausschuss

des § 56a InsO, ist aber ansonsten unschädlich. Die Aufforderung zur Annahme des Amtes und die Anhörung sollten damit aus Beschleunigungsgründen verbunden werden. Wenn nicht alle vom Gericht bestellten Mitglieder ihr Amt annehmen, ist die Bestellung 166 der übrigen Mitglieder wirksam, der Ausschuss könnte aber unausgewogen besetzt sein. Das Gericht hat in diesem Fall zu klären, ob es an der Bestellung des kleineren Ausschusses festhält oder weitere Mitglieder bestellt, da es nach pflichtgemäßem Ermessen einen Ausschuss bestellen muss, der die wesentlichen Gläubigergruppen abbildet. Individuell endet das Amt durch Tod oder durch Entlassung gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a 167 i. V. m. § 70 InsO durch das Gericht. Die Amtsniederlegung ist unzulässig. Vielmehr eröffnet § 70 InsO für das Mitglied gerade die Möglichkeit, auf eigenen Antrag hin entlassen zu werden.214) Für den gesamten Ausschuss endet das Amt mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens.215) Das Gesetz trennt klar zwischen dem Antragsverfahren und dem eröffneten Verfahren. Aufgrund der Systematik enden alle vorläufigen Maßnahmen automatisch mit Verfahrenseröffnung,216) auch der vorläufige Gläubigerausschuss. Das Gericht kann den vorläufigen Gläubigerausschuss insgesamt nicht abberufen. Erst recht 168 besteht keine Pflicht zur Auflösung des Ausschusses bei Einstellung des Geschäftsbetriebs.217) Gegen die generelle Möglichkeit der Abberufung spricht systematisch bereits § 70 InsO. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht von Amts wegen nur einzelne Mitglieder bei Vorliegen eines wichtigen Grunds entlassen. Über § 70 InsO hinaus ist die Gläubigerautonomie und auch die Unabhängigkeit der Mitglieder des Gläubigerausschusses218) besonders geschützt,219) so dass das Gericht den gesamten Ausschuss nur absetzen darf, wenn ein wichtiger Grund für die Absetzung aller Mitglieder gegeben ist. Damit besteht weder das Recht noch die Pflicht zur Absetzung des Ausschusses, wenn etwa der Geschäftsbetrieb eingestellt wird. Das Gericht wird in diesem Fall i. R. seiner Ermessensentscheidung gemäß § 67 InsO zu prüfen haben, ob die weitere Einsetzung eines vorläufigen Ausschusses im eröffneten Verfahren sinnvoll ist. V.

Beteiligung des vorläufigen Gläubigerausschusses bei der Bestellung des vorläufigen Sachwalters

Die gesamten Regelungen zur Einsetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses sind auf 169 die Beteiligung dieses Organs an der Bestellung des vorläufigen Sachwalters bzw. Insolvenzverwalters ausgerichtet.220) Nachdem in einem ersten Schritt vom Gericht die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Antrags zu klären sind, ist sodann über die Einsetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, § 22a InsO und erst danach über die Bestellung des vorläufigen Sachwalters bzw. Insolvenzverwalters zu entscheiden. Für die vorläufige Eigenverwaltung ergibt sich dies aus § 270b InsO, der für die Bestellung des vorläufigen Sachwalters auf § 274 InsO und dieser wiederum auf die §§ 56, 56a InsO verweisen. ___________ Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 70 Rz. 6; Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 70 Rz. 3. Kübler in: KPB, InsO, § 67 Rz. 14; Frind, ZInsO 2011, 2249, 2251; Obermüller, ZInsO 2012, 18, 21. Vallender in: Uhlenbruck, InsO, § 25 Rz. 2. AG Hamburg v. 26.9.2013 – 67c IN 320/13, ZIP 2013, 2418 = NZI 2014, 31; a. A. Frind in: HambKommInsO, § 22a Rz. 25; Vallender in: Uhlenbruck, InsO, § 22a Rz. 35; Hölzle in: K. Schmidt, InsO, § 22a Rz. 26. 218) Vgl. BGH v. 1.3.2007 – IX ZB 47/06, ZIP 2007, 781, 783, dazu EWiR 2007, 403 (Gundlach/Frenzel) – Abwahl einzelner Mitglieder nicht möglich. 219) Vgl. dazu auch Haarmeyer, ZInsO 2013, 1039. 220) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 24.

214) 215) 216) 217)

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§6

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

170 Die Mitwirkung der Gläubiger bei der Insolvenzverwalter- bzw. Sachwalterbestellung wird – neben dem schon dargestellten Zeitproblem – in einem Spannungsverhältnis zur Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters bzw. Sachwalters gesehen.221) Der gewählte vorläufige Insolvenzverwalter werde Anfechtungsansprüche gegen seine „Wähler“ nicht durchsetzen,222) sondern hauptsächlich im Interesse der Großgläubiger handeln.223) Diese befürchteten Gefahren durch die Beteiligung der Gläubiger bei der Auswahl des vorläufigen Insolvenzverwalters in Bezug auf dessen Unabhängigkeit haben sich aber nicht realisiert.224) 171 Die Gläubigerautonomie hat ihre Grenzen. Das Verfahren dient zwar der Gläubigerbefriedigung, was auf den ersten Blick für eine umfassende Einbindung der Gläubiger spricht. Die Gläubiger als homogene Gruppe gibt es aber nicht.225) Zudem wird nur ein kleiner ausgewählter Kreis von Gläubigern i. R. des Gläubigerausschusses einbezogen, der meist auch noch vom Schuldner und seinen Beratern ausgewählt wird, so dass aus der Gläubigerbeteiligung schnell eine Schuldnerbeteiligung werden kann. Damit ist es erforderlich, dass unabhängige Instanzen – Insolvenzgericht und unabhängiger Sachverwalter226) – sicherstellen, dass in der Situation der Insolvenz als Zustand der Verteilungsknappheit227) eine gemeinschaftliche Befriedigung aller Gläubiger unter strenger Einhaltung gesetzlicher Vorschriften erfolgt. Diese Unabhängigkeit des Sachwalters oder Insolvenzverwalters ist für die Gläubiger auch nicht disponibel.228) 172 Vorschläge zur generellen Abschaffung der Gläubigerbeteiligung bei der Bestellung des vorläufigen Sachwalters229) hat der Gesetzgeber nicht aufgegriffen. Mit dem Bewusstsein für die bestehenden Spannungsfelder zu einzelnen Gläubigern sowie dem Schuldner und seinen Beratern sind die gesetzlichen Regelungen in der Praxis auszugestalten. Dabei sind folgende vier Aspekte von zentraler Bedeutung: 

Das Gericht hat einen ausgewogen besetzten Gläubigerausschuss einzusetzen, der die Gesamtheit der Gläubiger repräsentiert (siehe dazu oben Rz. 115). Eine ausgewogene Besetzung des Ausschusses sieht der Gesetzgeber als Gewähr dafür, dass die Interessen der Gesamtgläubigerschaft berücksichtigt werden.



Ein für das Gericht bindender Vorschlag erfordert Einstimmigkeit, um zu verhindern, dass einzelne Großgläubiger das Verfahren dominieren.



Auch bei einstimmigem Vorschlag hat das Gericht festzustellen, ob der vorgeschlagene Verwalter geeignet ist. Die – nicht disponible – Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters hat das Gericht gerade auch bei dem vom vorläufigen Gläubigerausschuss vorgeschlagenen Kandidaten besonders eingehend zu prüfen.230) Dies gilt insbesondere für die Frage, ob andere Mitglieder seiner Sozietät oder verbundene Unternehmensberater den Schuldner im Vorfeld beraten haben.231)

___________ 221) Ausführlich zu dieser Frage: Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 90 ff. 222) Pape, ZInsO 2011, 1033, 1034; Pape, ZInsO 2010, 1582, 1590; zum Problem der Gläubigerautonomie im Spannungsverhältnis zur Insolvenzanfechtung auch: Wimmer, ZIP 2013, 2038. 223) Pape, ZInsO 2011, 1033, 1034; Pape, ZInsO 2010, 1582, 1590. 224) Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 211. 225) Heyer, ZIP 2011, 557, 558. 226) Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters ist in langer Tradition in Deutschland anerkannt, vgl. Braun in: FS Uhlenbruck, 2000, S. 463, 478. Ob diese Unabhängigkeit in den grundgesetzlichen Schutz des Art. 14 GG fällt, erscheint zweifelhaft; so aber Siemon, ZInsO 2011, 381, 384 f.; a. A. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 18. 227) Pape in: Uhlenbruck, InsO, § 1 Rz. 2; Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 1 Rz. 8. 228) So aber: Schmidt/Hölzle, ZIP 2012, 2238; abl. wie hier die h. M., vgl. nur: Bork, ZIP 2013, 145, GrafSchlicker, ZInsO 2013, 1765, 1766. 229) Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 100. 230) Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 4. 231) Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 35.

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§6

Vorläufiger Gläubigerausschuss 

Nach seiner Bestellung muss der vorläufige Sachwalter losgelöst vom Bestellungsgremium agieren können. Der – bei der Auswahl nicht beteiligte – vorläufige Gläubigerausschuss kann den vorläufigen Sachwalter nur in seiner ersten Sitzung abwählen, so dass sich der vorläufige Verwalter nicht dem ständigen Druck der Ausschussmitglieder ausgesetzt sieht.

Vor diesem Hintergrund ist zu klären, wie der Ausschuss anzuhören ist, welche Ent- 173 scheidungen er treffen kann, wie sich diese auf die gerichtliche Entscheidung auswirken und welche Möglichkeiten zur Neuwahl bestehen. 1.

Anhörungspflicht

1.1

Voraussetzung

Gemäß § 56a Abs. 1 InsO ist dem vorläufigen Gläubigerausschuss Gelegenheit zu geben, 174 sich zum Anforderungsprofil und zur Person des vorläufigen Insolvenzverwalters zu äußern. Voraussetzung der Anhörungsverpflichtung ist damit, dass ein vorläufiger Gläubigerausschuss zuvor bestellt wurde.232) Weitere Voraussetzungen sind nicht erforderlich. 1.2

Form und Fristsetzung

Die „Gelegenheit des Gläubigerausschusses zur Stellungnahme“ bedeutet nicht Anhörung 175 der Einzelmitglieder, sondern Anhörung als Gremium durch Diskussion und Stellungnahme i. R. einer Sitzung durch Beschluss. Nachdem der Ausschuss allerdings – zu diesem frühen Zeitpunkt ohne innere Organisationsstruktur – aus seinen Mitgliedern besteht, hat das Gericht diese aufzufordern, sich in ihrer Gesamtheit als Ausschuss zum Anforderungsprofil und zur Person des Verwalters zu äußern. Nach allgemeinen Grundsätzen kann die Aufforderung mündlich oder schriftlich – auch per E-Mail oder Telefax – erfolgen.233) Sind die in Frage kommenden Ausschussmitglieder persönlich bei Gericht präsent und werden vom Gericht bestellt, wäre eine schriftliche Aufforderung reine Formalie. Der Richter hat die Ausschussmitglieder vielmehr (mündlich) aufzufordern, sich zu ihrer Sitzung zusammenzusetzen und einen Beschluss zu fassen. Eine schriftliche Aufforderung kann geboten sein, wenn aus den telefonischen Rückmeldungen erkennbar wird, dass eine Dokumentation oder Fristsetzung erforderlich ist. Nachdem es die Aufgabe des Insolvenzrichters ist, zeitnah alle erforderlichen Sicherungs- 176 maßnahmen anzuordnen, hat er dem Ausschuss eine Frist zu setzen, innerhalb derer eine Stellungnahme zu erfolgen hat.234) Dies können je nach Verfahrensumständen zwei bis fünf Tage sein. 1.3

Ausnahme von der Anhörungspflicht

Gemäß § 56a Abs. 1 Halbs. 2 InsO kann das Gericht von der Anhörung absehen, soweit 177 dies offensichtlich zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage führt. Damit müssen zwei Fälle unterschieden werden. Auf der Ebene der Bestellung des Ausschusses kann gemäß § 22a Abs. 3 Alt. 3 InsO von der Einsetzung abgesehen werden (siehe dazu oben Rz. 69), während § 56a Abs. 1 Halbs. 2 InsO den Fall betrifft, dass ein bereits eingesetzter Ausschuss nicht angehört wird. Dies hat in der Praxis allerdings nur eine sehr geringe Bedeutung, da die Konsultation des bereits eingesetzten Ausschusses einen nur geringen Zeitaufwand erfordert. ___________ 232) Frind in: HambKomm-InsO, § 56a Rz. 13. 233) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 56a Rz. 5. 234) Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56a Rz. 18.

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§6

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

178 Macht das Gericht von der Befugnis des § 56a Abs. 1 Halbs. 2 InsO Gebrauch und sieht von der Anhörung des Ausschusses ab, hat es seine Entscheidung schriftlich zu begründen, § 56a Abs. 3 Satz 1 InsO. 179 Wie bei der Prüfung von § 22a Abs. 3 Alt. 3 InsO ist auch hier zunächst zu prüfen, welche Verzögerungen mit der Befragung des Ausschusses verbunden sind. Erfasst sind durch die Vorschrift Fälle, in denen der Ausschuss wegen umfassender Informationen des Gerichts und beigefügter Einverständniserklärungen sofort eingesetzt werden kann, dann aber Probleme bestehen, ein Votum zur Person oder zum Anforderungsprofil herbeizuführen. Nach einer Entscheidung des AG München kann eine solche Verzögerung auftreten, weil sich der Ausschuss zunächst konstituieren müsse, was einige Tage in Anspruch nehme.235) Dem ist in dieser Allgemeinheit nicht zu folgen. Es ist nicht auf den formalen Akt der Konstituierung abzustellen, sondern darauf, ob alle Mitglieder zu erreichen sind und sie sich mit dem Verfahren ausreichend auseinandersetzen konnten,236) so dass sie auf dieser Basis kurzfristig ein Votum abgeben können. Zur Beurteilung der Verzögerungen ist zu klären, innerhalb welcher Frist der Ausschuss eine Entscheidung treffen kann. Sind etwa in Frage kommende Mitglieder mit Telefon- und Telefaxnummer oder Mailadresse benannt, ist davon auszugehen, dass der Ausschuss spätestens am nächsten Tag seine Arbeit aufnehmen und auch entscheiden kann. Sind nur Postanschriften vorhanden und können Telefaxnummern nicht ermittelt werden, müssen die Postlaufzeiten eingerechnet werden. Keine Ausnahme von der Anhörungspflicht besteht, weil der Ausschuss vermeintlich – wegen bekannter zerstrittener Mitglieder – ohnehin nicht zu einer Entscheidung kommt. Zur Verhinderung von sich hinziehenden Beratungen hat das Gericht vielmehr eine Frist zu setzen. 180 Im Gegensatz zu § 22a Abs. 3 InsO ist Voraussetzung, dass es bei § 56a Abs. 1 Halbs. 2 InsO offensichtlich zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage kommt. Die Anforderungen sind also höher. Als weitere Voraussetzung ist in § 56a Abs. 1 Halbs. 2 InsO geregelt, dass die nachteilige Veränderung der Vermögenslage innerhalb von zwei Werktagen eintreten muss. Führt die Anhörung zu einer nachteiligen Veränderung erst zu einem späteren Zeitpunkt, muss das Gericht den Ausschuss anhören. Daran wird deutlich, dass das Gericht – soweit nicht besondere Umstände vorliegen – eine Anhörung verbunden mit einer Fristsetzung zu versuchen hat. 181 Durch das Gericht zu klären, welche konkreten nachteiligen Veränderungen der Vermögenslage offensichtlich eintreten werden. Entscheidend ist dabei die Frage, ob die Fortführung des Unternehmens und die Sicherung der Vermögenswerte kurzfristig durch die Organe der Gesellschaft als „Notversorgung“ unter Berücksichtigung der Publizität der Antragstellung sichergestellt werden können.237) Dies kann je nach Größe und Branche des Unternehmens für zwei bis fünf Tage der Fall sein. Bei börsennotierten Gesellschaften kann es allerdings auch notwendig sein, innerhalb weniger Stunden zu handeln. 182 Bei einem Antrag auf Eigenverwaltung ist zu beachten, dass dem Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nicht entzogen wird. Er selbst bleibt also dafür verantwortlich, das Unternehmen fortzuführen. Eine kurzfristige nachteilige Veränderung der Vermögenslage sollte damit vom Grundsatz her nicht eintreten. 183 Haben die Mitglieder eines repräsentativen zukünftigen Gläubigerausschusses sich bereits vor ihrer Bestellung i. R. der mit dem Insolvenzantrag übersandten Einverständniserklä___________ 235) AG München v. 14.6.2012 – 1506 IN 1851/12, ZIP 2012, 1308, dazu EWiR 2012, 495 (Vallender). 236) Dies war im vom AG München zu entscheidenden Verfahren offensichtlich nicht der Fall. 237) In diese Richtung auch Frind, ZInsO 2011, 2249, 2257 – Vollstreckungen drohen oder fortführungsgefährdende Unsicherheiten.

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§6

Vorläufiger Gläubigerausschuss

rungen zur Person des Insolvenzverwalters geäußert, muss das Insolvenzgericht dies bei der Prüfung einer nachteiligen Verzögerung als beschleunigendes Element einbeziehen. 2.

Stellungnahme des Gläubigerausschusses

2.1

Formelle Aspekte

Der Gläubigerausschuss äußert seinen Willen durch Beschluss,238) der grundsätzlich i. R. 184 einer Gläubigerausschusssitzung gefasst wird. In Rechtsprechung und Literatur ist für die „normale“ Gläubigerausschusssitzung anerkannt, dass diese unter Angabe der Tagesordnung mit einer Vorbereitungszeit von drei Tagen zu laden ist.239) Umlaufbeschlüsse und Sitzungen i. R. von Telefonkonferenzen werden dann als zulässig angesehen, wenn dies in der Geschäftsordnung so geregelt ist240) oder allseitiges Einverständnis besteht.241) Der Rechtsgedanke des § 108 Abs. 4 AktG kann insoweit herangezogen werden. Ohne Einverständnis sind sie also unzulässig,242) das Einverständnis kann aber auch i. R. einer Telefonkonferenz erklärt werden.243) In Anwendung des allgemeinen Rechtsgedankens der § 121 Abs. 6 AktG und § 51 Abs. 3 185 GmbHG kann der Gläubigerausschuss ohne jedwede formelle Einschränkungen beraten und beschließen, wenn erstens alle Mitglieder (telefonisch) anwesend sind und zweitens keines der Mitglieder widerspricht. Daraus sind zwei Erkenntnisse zu ziehen: 

Wenn sich alle bestellten Mitglieder i. R. eines Beschlusses oder Umlaufbeschlusses äußern, ohne dass i. R. des Protokolls dagegen Widerspruch erhoben wird, dann sind die formalen Voraussetzungen für die Wirksamkeit des Beschlusses erfüllt. Der Beifügung der Einladung zum Sitzungsprotokoll244) oder einer Geschäftsordnung des Ausschusses245) bedarf es nicht.



Wenn sich nicht alle Mitglieder i. R. des gefassten Beschlusses äußern, dann müssen die formalen Voraussetzungen für die Beschlussfassung geprüft werden. Zu prüfen ist mithin die Ladung mit Tagesordnung sowie ein Einverständnis aller zur Beschlussfassung im Umlaufverfahren.

Der Beschluss kann erst nach der Einsetzung des Ausschusses durch das Gericht gefasst 186 werden. Ein „Vorratsbeschluss“ vor der Einsetzung des Ausschusses bindet das Gericht nicht. Dies hindert den zukünftigen Ausschuss aber nicht daran, bereits vor seiner Einsetzung dem Gericht einen Vorschlag zur Person des Verwalters zu unterbreiten.246) Soweit das Gericht keinen Gläubigerausschuss einsetzt, hat es die Äußerungen der Mitglieder eines repräsentativ vorgeschlagenen Ausschusses zu berücksichtigen und den vorgeschlagenen Sachwalter einsetzen. Praxistipp: Für eine optimale Beschleunigung der Bestellung sollte ein von allen Mitgliedern 187 des Ausschusses unterzeichnetes Beschlussprotokoll erstellt und ein Mitglied mit der unverzüglichen Mitteilung des Vorschlags an das Gericht betraut werden.247) ___________ 238) 239) 240) 241) 242) 243) 244) 245) 246) 247)

Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 30. Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 72 Rz. 4. Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 72 Rz. 5; Kübler in: KPB, InsO, § 72 Rz. 3. Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 72 Rz. 10. Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 72 Rz. 10. Anders: Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56a Rz. 35, der für die erste Sitzung gleichzeitige Präsenz aller Mitglieder an einem Ort fordert. So Frind in: HambKomm-InsO, § 56a Rz. 21. So Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56a Rz. 24. Haarmeyer/Schildt in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 69. Römermann, ForderungsPraktiker 2012, 8, 12.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

2.2

Inhalt

2.2.1 Anforderungsprofil 188 Negativ abgegrenzt darf das Profil keine Kriterien enthalten, die mit dem Gesetz nicht übereinstimmen oder von der Rechtsprechung als unzulässig verworfen worden sind.248) Letztendlich darf das Profil damit nicht gegen die Negativmerkmale des § 56 InsO verstoßen. Es kann auf die Literatur und Rechtsprechung zu § 57 InsO abgestellt werden, der die gleichen Anforderungen stellt.249) Damit ist ein Anforderungsprofil sicher unzulässig, wenn es einen fachlich unfähigen oder persönlich unzuverlässigen Verwalter verlangen würde. Unzulässig sind aber auch Anforderungsmerkmale, die die Unabhängigkeit des Verwalters in Frage stellen (z. B. „Sachnähe als Berater des Schuldners oder der Hausbank“).250) Neben diesen eindeutigen Fällen werden aber auch solche Kriterien als unzulässig anzusehen sein, für die es – bezogen auf das konkrete Verfahren – keine sachliche Rechtfertigung gibt, d. h. die nicht in sachlich begründetem Zusammenhang mit dem Verfahren stehen, etwa „nicht in Köln ansässiger Verwalter“. 189 Positiv formuliert hat das Anforderungsprofil objektive Kriterien an den Verwalter bezogen auf das konkrete Verfahren zu stellen. Dies kann betreffen:251) 

Branchenkenntnisse, wenn der Schuldner in einer speziellen Branche tätig ist,



unternehmerische Fähigkeiten,



bisherige Verfahrensabwicklungen,



Erfahrungen im Bereich Insolvenzplan und Eigenverwaltung,



Ortsnähe,



besondere Fremdsprachenkenntnisse bei Geschäftsbeziehungen ins Ausland,



personelle Ausstattung, Kanzleigröße,



Auslastung.

2.2.2 Vorschlag zur Person 190 Nach einer Auffassung setzt ein Vorschlag zur Person durch den Gläubigerausschuss zwingend ein von diesem beschlossenes Anforderungsprofil voraus.252) Aus dem Wortlaut ergibt sich dies nicht. Auch systematische Gründe rechtfertigen es nicht, bei einem einstimmigen Personalvorschlag ein Anforderungsprofil oder eine Begründung einzufordern.253) Es ist unproblematisch möglich, dass das Gericht zur Prüfung der Unabhängigkeit ohne Anforderungsprofil direkt auf § 56 InsO abstellt. 191 Im Regelfall wird der Ausschuss auf der Basis seines Anforderungsprofils einen Sachwalter vorschlagen. Möglich ist auch, dass der Ausschuss zwei oder mehrere Verwalter benennt und dem Gericht die konkrete Auswahl überlässt. Das Gericht ist bei der Benennung mehrerer Personen bei einstimmigem Beschluss an den Vorschlag gebunden254) und hat aus dem Kreis der Benannten einen Sachwalter auszuwählen, vorausgesetzt es wurde wenigstens ein geeigneter Kandidat vorgeschlagen. ___________ 248) 249) 250) 251) 252) 253) 254)

254

Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 26. Vallender/Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 57 Rz. 20 ff. Frind in: HambKomm-InsO, § 56a Rz. 19. Vgl. Uhlenbruck-Kommission, abgedr. in ZIP 2007, 1432. Frind in: HambKomm-InsO, § 56a Rz. 14. Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56a Rz. 25; Ries in: K. Schmidt, InsO, § 56a Rz. 12. Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, §§ 56, 56a Rz. 74.

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Vorläufiger Gläubigerausschuss

Praxistipp: Sinnvoll ist es, wenn die Ausschussmitglieder das Gespräch mit dem Insolvenz- 192 richter suchen, wie auch andererseits der Richter mit dem Ausschuss Kontakt aufnehmen kann.255) Da die Gerichte für das „Listing“ des Insolvenzverwalters umfangreiche Bewerbungsunterlagen einfordern256) und teilweise Verfahrenskennzahlen erheben,257) kann der Insolvenzrichter zu einzelnen möglichen Sachwaltern Auskunft geben und darüber hinaus zur aktuellen Belastung des Kandidaten möglicherweise Informationen liefern, ohne dem Ausschuss dabei seine Vorstellung zu oktroyieren. Ausweislich der Begründung zu § 56a InsO ist es nicht notwendig, dass der Vorgeschlagene 193 auf der Vorauswahlliste des Insolvenzgerichts steht.258) Dies entspricht der einhelligen Meinung zu § 57 InsO.259) Der Ausschuss muss also niemanden vorschlagen, der bei dem zuständigen Gericht gelistet ist. 3.

Auswirkungen für die gerichtliche Entscheidung

3.1

Keine Äußerung des vorläufigen Gläubigerausschusses

Wie sich aus § 56a Abs. 1 InsO ergibt, hat der vorläufige Gläubigerausschuss nur Gelegenheit 194 zur Stellungnahme. Der Ausschuss hat keine Pflicht zur Äußerung. Wenn das Gericht innerhalb der gesetzten Frist keine Rückäußerung erhält, hat es – ohne Einschränkungen – selbst gemäß § 56 InsO einen vorläufigen Sachwalter zu bestellen. 3.2

Einstimmiger Beschluss

Gemäß § 56a Abs. 2 InsO darf das Gericht von einem einstimmigen Vorschlag zur Person 195 des vorläufigen Sachwalters nur abweichen, wenn die vorgeschlagene Person zur Übernahme des Amtes ungeeignet ist. Zunächst setzt dies einen wirksamen Beschluss voraus. Werden mithin wesentliche For- 196 malien nicht eingehalten, ist der Beschluss nichtig und damit nicht bindend.260) Entgegen der von der Literatur herausgestellten Anforderungen an Ladung und Geschäftsordnung haben formelle Fragen keine praktische Relevanz, da der Beschluss ohnehin immer in einer Vollversammlung gefasst werden muss. Einstimmigkeit erfordert, dass alle Mitglieder – nicht nur die anwesenden – zustimmen. 197 Stimmenthaltungen, nichtige Stimmen und abwesende Mitglieder hindern die Wirksamkeit eines einstimmig zu fassenden Beschlusses.261) Dieses strenge Erfordernis ist geboten, um einen übereinstimmenden Vorschlag aller Gläubigergruppen zu gewährleisten. Das Gericht hat sodann zu prüfen, ob die vorgeschlagene Person für die Übernahme des 198 Amtes ungeeignet ist. Hierfür hat es die Kriterien des § 56 InsO zugrunde zu legen.262) Umstritten ist die Prüfungstiefe des Gerichts. Wie sich aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt, ist die Nichteignung festzustellen.263) Relevanz erlangt die Diskussion beim Vorschlag eines nicht gelisteten Sachwalters (siehe dazu Rz. 193). ___________ Frind, HambKomm-InsO, § 56a Rz. 30; krit: Ries in: K. Schmidt, InsO § 56a Rz. 30. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 56 Rz. 11; Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56 Rz. 93, 99. Vgl. zur Zulässigkeit und zu den Grenzen: BGH v. 13.1.2022 – IX AR 1/20, ZRI 2022, 114. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 26. Vallender/Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 57 Rz. 24. Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 72 Rz. 1; Frind in: HambKomm-InsO, § 72 Rz. 5. Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, §§ 56, 56a Rz. 69; Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56a Rz. 25; BayObLG v. 8.12.1994 – 2Z BR 116/94, MDR 1995, 569; a. A. Ries in: K. Schmidt, InsO, § 56a Rz. 18; Obermüller, ZInsO 2012, 18, 24; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 56a Rz. 7. 262) Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56a Rz. 37. 263) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 56a Rz. 9.

255) 256) 257) 258) 259) 260) 261)

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

199 Hinsichtlich der Ungeeignetheit bezogen auf die Merkmale des § 56 Abs. 1 InsO kann auf die Literatur und Rechtsprechung zu § 57 InsO Bezug genommen werden. Dies betrifft zum einen die persönliche und fachliche Eignung für das Verfahren, Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit sowie Unabhängigkeit.264) Letztere ist nicht bereits dadurch ausgeschlossen, dass die Person vom Schuldner oder vom Gläubiger vorgeschlagen worden ist oder die Person den Schuldner in allgemeiner Form über den Ablauf eines Insolvenzverfahrens oder dessen Folgen beraten hat. Darüber hinaus hat das Gericht allerdings eingehend die Unabhängigkeit zu prüfen, insbesondere die Frage, ob Partner des Vorgeschlagenen oder mit ihm verbundene Unternehmensberater im Vorfeld tätig waren.265) Der Gläubigerausschuss kann auch nicht einstimmig auf die Unabhängigkeit verzichten.266) Sie ist vielmehr nicht disponibles Kriterium des vorläufigen Sachwalters. 200 Die nötige Unabhängigkeit besitzt nicht, wer gemeinsam mit dem Schuldner und den Gläubigern einen Insolvenzplan erstellt hat. Zum einen wird an § 56 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 InsO deutlich, dass eine Beratung, die über die allgemeine Form hinausgeht, dazu führt, dass die erforderliche Unabhängigkeit ausgeschlossen ist. Zum anderen ist es gerechtfertigt, dass ein vom Vorberater unabhängiger neutraler Dritter auch im Planverfahren eine Kontrollfunktion übernimmt.267) 201 Eine fehlende Listung des vorgeschlagenen Sachwalters führt nicht automatisch zur Ungeeignetheit. Auch wenn das Gericht die Eignung nicht positiv festzustellen hat, muss es aber notwendige Mitteilungen und Auskünfte vom Kandidaten, wie im Falle des § 57 InsO, einholen,268) um zu verhindern, dass ein unbekannter Kandidat vorgeschlagen wird, der die Kriterien des § 56 Abs. 1 InsO nicht erfüllt. Sofern das Gericht weder den vorgeschlagenen Verwalter noch sein Büro telefonisch erreichen kann oder aber der Verwalter nicht in der Lage ist, innerhalb weniger Stunden einige grundlegende Informationen zu seiner persönlichen und fachlichen Eignung zusammenzustellen, muss gerade diese Eignung oder seine Büroorganisation in Zweifel gezogen werden,269) womit seine Bestellung abgelehnt werden kann. 202 Bei der Eigenverwaltung ist die Unabhängigkeit des (vorläufigen) Sachwalters als noch wichtiger als die des Insolvenzverwalters anzusehen.270) Dies gilt in zwei Richtungen. Zum einen besteht im Hinblick auf bestimmte Großgläubiger die Gefahr, dass sich der Schuldner nicht ausreichend gegen sie positionieren kann und von ihnen instrumentalisiert wird. Zum anderen ist sicherzustellen, dass – wenn die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis schon beim Schuldner verbleibt – ihm eine unabhängige und starke Kontrollperson an die Seite gestellt wird. Um den regelmäßig dargestellten Vorbehalten gegen die Eigenverwaltung271) entgegenzuwirken, kommt es darauf an, unabhängige und durchsetzungsfähige Sachwalter einzusetzen. Damit ist aber auch festzuhalten, dass sich die vom Gericht zu prüfende Eig-

___________ 264) Vallender/Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 57 Rz. 24. 265) Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 35; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 56 Rz. 44. 266) So aber: Schmidt/Hölzle, ZIP 2012, 2238; abl. wie hier die h. M., vgl. nur: Bork, ZIP 2013, 145, GrafSchlicker, ZInsO 2013, 1765, 1766. 267) Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 2. 268) Vallender/Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 57 Rz. 24. 269) Zu weitgehend: Frind in: HambKomm-InsO, § 56a Rz. 29, der die gleichen Anforderungen wie zur Aufnahme in die Vorauswahlliste stellen will. 270) Fiebig in: HambKomm-InsO, § 274 Rz. 4; ebenso Vallender, WM 1998, 2129, 2139. 271) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 1 m. w. N.; Kern in: MünchKomm-InsO, Vor §§ 270 – 285 Rz. 22.

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§6

Vorläufiger Gläubigerausschuss

nung auch darauf bezieht, ob der Sachwalter dazu in der Lage ist, die Kontrollfunktion sachlich auszufüllen und persönlich gegenüber den Beteiligten umzusetzen. Bei Ungeeignetheit hat das Gericht unter Berücksichtigung des Anforderungsprofils des 203 Gläubigerausschusses einen vorläufigen Sachwalter zu bestellen, § 56a Abs. 2 Satz 2 InsO. Im Eröffnungsbeschluss hat das Gericht gemäß § 27 Abs. 2 Nr. 4 InsO zu begründen, 204 warum es vom einstimmigen Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses zur Person des Verwalters abgewichen ist. Ausgehend vom Wortlaut greift die Vorschrift nur, wenn im Vorfeld der Eröffnung der vorläufige Gläubigerausschuss angehört wird, einstimmig einen Vorschlag macht und das Gericht im Eröffnungsbeschluss einen anderen Verwalter bestellt. Für die Bestellung des vorläufigen Sachwalters greift § 27 Abs. 2 Nr. 4 InsO nicht ein,272) allerdings bedarf es auch in diesem Fall einer Begründung, um die Entscheidung nicht willkürlich erscheinen zu lassen und dem Gläubigerausschuss nachvollziehbar darzulegen, warum von seinem Votum abzuweichen war.273) 3.3

Mehrheitsbeschluss zur Person des vorläufigen Sachwalters

Wird der Beschluss zur Person des vorläufigen Sachwalters vom Gläubigerausschuss nicht 205 einstimmig gefasst, ist das Gericht daran nicht gebunden. Es ist nicht gezwungen, sich mit dem Vorschlag zu beschäftigen, wird dies aber in der Regel tun.274) So wie jeder Gläubiger oder Schuldner einen Vorschlag machen kann, der gemäß § 56 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 InsO die Unabhängigkeit des Kandidaten nicht in Frage stellt, besteht diese Möglichkeit erst recht für den vorläufigen Gläubigerausschuss. Gerade wenn im Gläubigerausschuss eine Einstimmigkeit aber nicht hergestellt werden konnte, wird sich das Gericht fragen müssen, aus welchen Gründen ein Mitglied sich dem Vorschlag nicht anschließen wollte. 3.4

Mehrheitsbeschluss zum Anforderungsprofil

Das vom vorläufigen Gläubigerausschuss mit Kopfmehrheit (§ 72 InsO) beschlossene 206 Anforderungsprofil ist für das Gericht bindend.275) Einstimmigkeit ist nicht erforderlich. Insbesondere wenn kein Vorschlag zur Person gemacht wird, hat das Gericht die vom Ausschuss definierten Kriterien zu beachten. 4.

Abwahl des bereits bestellten vorläufigen Sachwalters

Dauert die Gläubigerbeteiligung zu lange, kann nach Maßgabe der §§ 22a Abs. 3 Alt. 3, 207 56a Abs. 1 Halbs. 2 InsO von ihr abgesehen werden, wenn die entstehende Verzögerung zu nachteiligen Veränderungen der Vermögenslage führt (siehe Rz. 63 und Rz. 177). Um dennoch dem Anspruch auf eine Beteiligung der Gläubiger gerecht zu werden, eröffnet § 56a Abs. 3 Satz 2 InsO für den vorläufigen Gläubigerausschuss die Möglichkeit, in seiner ersten Sitzung einstimmig eine andere Person als die bestellte zu wählen. 4.1

Anwendungsbereich des § 56a Abs. 3 InsO zur Neuwahl

Von seinem Wortlaut her findet § 56a Abs. 3 Satz 2 InsO nur dann Anwendung, wenn das 208 Gericht mit Rücksicht auf eine nachteilige Veränderung der Vermögenslage von der Anhörung nach Absatz 1 abgesehen hat. Der Anwendungsbereich jener Vorschrift ist allerdings eingeschränkt auf den Fall, dass die Konsultation des bereits eingesetzten Ausschusses eine zu lange Zeit in Anspruch nimmt. ___________ 272) 273) 274) 275)

Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 56a Rz. 9. Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56a Rz. 51. Ries in: K. Schmidt, InsO, § 56a Rz. 23. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 56a Rz. 12.

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§6

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

209 Der Wortlaut umfasst nicht den Fall des § 22a Abs. 3 Alt. 3 InsO, dass ein Ausschuss zunächst gar nicht eingesetzt wird, weil die damit verbundene Verzögerung zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage führt. Aus diesem Grund wird die Neuwahlmöglichkeit bei zeitlich der Verwalterbestellung nachfolgender Bestellung des Ausschusses abgelehnt.276) Der Wortlaut von § 56a Abs. 1 Halbs. 2 InsO und § 22a Abs. 3 Alt. 3 InsO ist nahezu identisch. Beide Vorschriften verfolgen den gleichen Zweck. Es gibt keinen Sachgrund, den Fall der Nichtbestellung des Ausschusses anders zu behandeln als den Fall des nicht angehörten Ausschusses, d. h. in den beiden Konstellationen unterschiedliche Rechte einzuräumen. Damit ist der Gläubigerausschuss auch dann zur Abwahl des eingesetzten Sachwalters berechtigt, wenn er bei dessen Bestellung in Anwendung des § 22a Abs. 3 Alt. 3 InsO noch nicht eingesetzt war.277) 210 Neben dem Fall der Nichteinsetzung wegen nachteiliger Veränderung der Vermögenslage sind zwei weitere Fälle denkbar, in denen zunächst ein vorläufiger Sachwalter und zeitlich nachfolgend ein Gläubigerausschuss eingesetzt wird: 

das Gericht stellt nachträglich fest, dass die Schwellenwerte gemäß § 22a Abs. 1 InsO doch überschritten waren, und setzt sodann einen Ausschuss ein.



es wird erst nachträglich, etwa auch durch einen Gläubiger, Antrag auf Einsetzung eines Gläubigerausschusses gemäß § 22a Abs. 2 InsO gestellt und daraufhin ein Antragsausschuss eingesetzt wird.

211 Gerade die Abwahlmöglichkeit gemäß § 56a Abs. 3 Satz 2 InsO auch durch den später beantragten und eingesetzten Gläubigerausschuss birgt besonderes Potential, einen nicht gewollten vorläufigen Sachwalter wieder „loszuwerden“. Gegen eine Abwahlmöglichkeit spricht damit, dass den Gläubigern eine Möglichkeit gegeben wird, den vorläufigen Sachwalter unter Druck zu setzen. Dennoch ist auch für die beiden vorgenannten Fälle ein Abwahlrecht des Gläubigerausschusses in analoger Anwendung des § 56a Abs. 3 Satz 2 InsO aus folgenden Gründen zu bejahen: 

Die Fälle wurden nicht bedacht. Es liegt eine planwidrige Regelungslücke vor.



Wenn der Antragsausschuss bereits vor der Bestellung des vorläufigen Sachwalters eingesetzt wird, hat er ebenfalls alle Rechte gemäß § 56a InsO.



Der Gesetzgeber geht – wie § 57 InsO zeigt – von einer – an hohe Anforderungen geknüpften – Gläubigerautonomie hinsichtlich der Person des Verwalters aus.



Gerade beim nachträglich einzusetzenden Antragsausschuss besteht die Möglichkeit für das Gericht, besonders intensiv die Ausgewogenheit der Ausschussbesetzung zu prüfen und auch mit dem vorläufigen Sachwalter abzustimmen. Damit ist gewährleistet, dass der Ausschuss entsprechend § 67 Abs. 2 InsO besetzt ist.



Die Neuwahl des vorläufigen Sachwalters kann nur in der ersten Sitzung und auch nur einstimmig erfolgen. Wenn sich alle repräsentierten Gläubigergruppen bereits in der ersten Sitzung einig sind, dass sie einen neuen Sachwalter wollen, mithin andererseits der eingesetzte Verwalter keine einzige Gruppe von sich überzeugen konnte, dann ist die Neubesetzung in jedem Fall gerechtfertigt.

212 Im Ergebnis ist festzuhalten, dass auch der nachträglich auf Antrag eingesetzte Gläubigerausschuss die Möglichkeit hat, einstimmig in seiner ersten Sitzung einen neuen Verwalter gemäß § 56a Abs. 3 InsO analog zu wählen.278) ___________ 276) Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56a Rz. 60 ff.; Frind in: HambKomm-InsO, § 56a Rz. 32. 277) Haarmeyer/Schildt in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 133; Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, §§ 56, 56a Rz. 77. 278) Haarmeyer/Schildt in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 133.

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§6

Vorläufiger Gläubigerausschuss 4.2

Keine Neuwahl des Verwalters

Der Anwendungsbereich des § 56a Abs. 3 InsO ist nicht eröffnet, wenn das Gericht von 213 einem einstimmigen Vorschlag des Gläubigerausschusses wegen Ungeeignetheit des Kandidaten abweicht. In diesem Fall ist das Mitwirkungsrecht ausgeschöpft. Gleiches gilt aber auch, wenn es zunächst nur einen Mehrheitsbeschluss gab und nun einstimmig doch von dem vom Gericht bestellten Verwalter abgewichen werden soll. Auch hier hatte der Ausschuss die, vom Gesetz sowohl in § 56a Abs. 1 als auch in Absatz 3 InsO geregelte, einmalige Mitwirkungsbefugnis bei der Bestellung des vorläufigen Sachwalters. 4.3

Beschlussfassung

Voraussetzung für die Neuwahl ist zunächst ein einstimmiger Beschluss des Ausschusses. 214 Es gelten die dargestellten Erfordernisse für die Wirksamkeit (siehe oben Rz. 196). Der Beschluss ist einstimmig von allen Mitgliedern des Ausschusses zu fassen. 4.4

Rechtsfolgen

Hat der Ausschuss mit wirksamem einstimmigem Beschluss einen neuen vorläufigen Sach- 215 walter gewählt, stellt sich die Frage, wie und ab wann er in sein Amt kommt. In § 56a Abs. 3 InsO fehlt es insoweit an einer Regelung der Rechtsfolgen. Diese Regelungslücke kann unproblematisch durch § 57 Satz 3 InsO geschlossen werden, der den vergleichbaren Fall der Abwahl eines Verwalters durch die Gläubigerversammlung regelt. Daraus ergeben sich zwei Konsequenzen: 

Der gewählte vorläufige Sachwalter wird durch das Gericht bestellt. Sein Amt beginnt mit der Annahme seiner gerichtlichen Bestellung.279)



Das Gericht hat den Gewählten nicht zu bestellen, wenn er für die Übernahme des Amtes ungeeignet ist. Damit deckt sich die Bestellung im Fall der späteren Abwahl auch mit der Bestellung des einstimmig vorgeschlagenen Kandidaten gemäß § 56a Abs. 2 InsO.

5.

Besonderheiten im Schutzschirmverfahren

Im Schutzschirmverfahren ist ein vorläufiger Sachwalter gemäß § 270d Abs. 2 i. V. m. § 270b 216 Abs. 1 InsO zu bestellen. Für dessen Bestellung finden über § 274 InsO die Vorschriften der § 56 und § 56a InsO Anwendung. Entsprechend dieser Verweisungskette wäre der vorläufige Gläubigerausschuss vor der Bestellung des vorläufigen Sachwalters anzuhören und könnte gemäß § 56a InsO mitwirken.280) Gemäß § 270d Abs. 2 Satz 3 InsO hat das Gericht aber den vom Schuldner vorgeschlagenen vorläufigen Sachwalter zu bestellen, wenn er nicht offensichtlich für die Übernahme des Amtes ungeeignet ist. Die Frage ist mithin, ob die Schuldner- oder die Gläubigermitwirkung hier vorrangig sein soll. Wesentlicher Unterschied zum „normalen“ vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren ist, dass der Schuldner „seinen“ vorläufigen Sachwalter mitbringen kann. Gerade dies soll einen Anreiz schaffen, frühzeitig Antrag zu stellen und die Sanierung einzuleiten.281) Dem würde es zuwiderlaufen, wenn der Gläubigerausschuss Einfluss auf die Wahl des vorläufigen Sachwalters hätte bzw. für den Schuldner bei Einleitung des Verfahrens eine solche Unsicherheit bestünde. Der „mitgebrachte“ Sachwalter ist ein so wesentliches Element des Schutzschirmverfahrens, dass die Gläubigermitwirkung zurücksteht. ___________ 279) Vallender/Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 57 Rz. 19. 280) Rendels, INDat Report 8/2011, S. 44, 47. 281) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 40.

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§6

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

217 Nach der überwiegenden Ansicht wird auch § 56a Abs. 3 InsO von der Spezialregelung des § 270d Abs. 2 Satz 3 InsO verdrängt.282) Der Gläubigerausschuss kann also den „mitgebrachten“ vorläufigen Sachwalter nicht abwählen. Der Ausschuss kann in diesem Fall aber das Schutzschirmverfahren durch Beschluss beenden, § 270e Abs. 1 Nr. 4 InsO. Ein separates Abwahlrecht für den vorläufigen Sachwalter würde nur relevant, wenn der Ausschuss zwar das Schutzschirmverfahren beibehalten will, aber den vorläufigen Sachwalter nicht. Diese Konstellation dürfte die absolute Ausnahme sein. VI.

Beteiligung des vorläufigen Gläubigerausschusses bei der Bestellung des endgültigen Sachwalters – erneute Anhörung

218 Mit Eröffnung des Verfahrens ist bei Anordnung der Eigenverwaltung gemäß § 270f Abs. 2 Satz 1 InsO ein Sachwalter zu bestellen. Gemäß § 274 Abs. 1 InsO i. V. m. § 56a InsO ist dem vorläufigen Gläubigerausschuss vor der Bestellung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Für die Bestellung des endgültigen Sachwalters muss man sich vergegenwärtigen, dass die viel wichtigere Entscheidung zum Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens lange gefallen ist, nämlich bereits mit Bestellung des vorläufigen Sachwalters. In der Regel wird mit Eröffnung der vorläufige Sachwalter auch zum endgültigen Sachwalter bestellt. 219 Grundsätzlich gelten für die Bestellung des endgültigen Sachwalters die gleichen Regelungen wie vorstehend (siehe Rz. 169 ff.) dargestellt. Soweit der vorläufige Gläubigerausschuss bereits zur Bestellung des vorläufigen Sachwalters angehört worden ist, stellt sich die Frage, ob und, wenn ja, unter welchen Voraussetzungen eine erneute Anhörung zu erfolgen hat und welche Wirkungen die Entscheidungen des vorläufigen Gläubigerausschusses in Bezug auf den vorläufigen Sachwalter für die Bestellung des endgültigen Sachwalters haben. 1.

Anhörungspflicht

220 Grundsätzlich hat vor der Bestellung des endgültigen Sachwalters eine erneute Beteiligung des Gläubigerausschusses zu erfolgen. § 56a Abs. 1 InsO sieht für die Bestellung des Sachwalters eine Anhörungspflicht unter der Voraussetzung vor, dass ein vorläufiger Gläubigerausschuss bestellt wurde. Nachdem das Insolvenzrecht keinen Automatismus zur Bestellung des endgültigen Verwalters kennt, bestehen die Mitwirkungsrechte gemäß § 56a Abs. 2 InsO auch bei dessen Einsetzung. Eine Anhörung ist auch zweckmäßig, um die Erkenntnisse des Ausschusses i. R. des Antragsverfahrens ausreichend einzubeziehen.283) Die Ausnahmeregelung des § 56a Abs. 1 Halbs. 2 InsO, nach der von der Anhörung abgesehen werden kann, soweit dies offensichtlich innerhalb von zwei Werktagen zu nachteiligen Veränderungen der Vermögenslage des Schuldners führt, wird bei der Bestellung des endgültigen Sachwalters kaum eingreifen.284) Wegen der vorgelagerten vorläufigen Eigenverwaltung besteht für das Gericht immer ausreichend Zeit, dem Ausschuss Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. 221 Nach allgemeinen Grundsätzen bedarf es allerdings dann keiner erneuten Anhörung, wenn diese schon erfolgt ist und sich nachfolgend aus dem bisherigen Verfahrensverlauf eine bestimmte Entscheidung ergibt.285) Eine nochmalige Anhörung kann demnach unterbleiben, wenn der Ausschuss ausreichend informiert ist, seine Mitwirkungsrechte ausreichend ge___________ 282) Fiebig in: HambKomm-InsO, § 270d Rz. 28. 283) Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56a Rz. 19. 284) A. A. Frind in: HambKomm-InsO, § 56a Rz. 17 – für Eröffnungen, die wegen Ablaufs des Insolvenzgeldes termingebunden sind. 285) Saenger in: Saenger, ZPO, Einf. Rz. 50.

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§6

Vorläufiger Gläubigerausschuss

wahrt sind und er von der gerichtlichen Entscheidung nicht überrascht wird.286) Insofern ist die Beteiligung des Ausschusses nicht nötig, wenn das Gericht den einstimmig vorgeschlagenen oder später gewählten vorläufigen Sachwalter mit Eröffnung zum endgültigen Sachwalter bestellen will.287) Das Gericht kann dann von einem fortbestehenden Willen des Ausschusses ausgehen, dass mit der Bestellung des Benannten Einverständnis besteht, oder – anders gewandt – der Ausschuss muss in diesem Fall ausdrücklich dem Gericht seinen nunmehr entgegengesetzten Willen mitteilen. 2.

Auswirkungen auf die gerichtliche Bestellungsentscheidung

2.1

Einstimmiger Beschluss zur Person

Nachdem zwischen vorläufigem und endgültigem Sachwalter keine Kontinuität besteht, 222 kann der vorläufige Gläubigerausschuss nunmehr einen Vorschlag zur Person machen, der bei Einstimmigkeit Bindungswirkung für das Gericht entfaltet, wenn der Vorgeschlagene nicht ungeeignet ist. Infolgedessen kann es zu einem Wechsel des Sachwalters kommen. 2.2

Fortdauer der Bindungswirkung für Bestellung des endgültigen Sachwalters

Für den Fall, dass der vorläufige Sachwalter aufgrund eines einstimmigen Vorschlags gemäß 223 § 56a Abs. 2 InsO oder einer Wahl gemäß § 56a Abs. 3 InsO in sein Amt gekommen ist, stellt sich die Frage, ob das Gericht an dieses Votum für die Bestellung des endgültigen Sachwalters gebunden ist.288) Vom Wortlaut und der Systematik her, müsste der vorläufige Gläubigerausschuss vor Eröffnung erneut einstimmig einen Vorschlag zur Person machen, um die Bindungswirkung des § 56a Abs. 2 InsO zu erzeugen. Diese rein formale Betrachtungsweise wird der Vorstellung des Gläubigerausschusses nicht gerecht. Der Gläubigerausschuss, von dem das Verfahren als Einheit gesehen wird, geht davon aus, dass sein einmal geäußerter Wille zur Bestellung einer bestimmten Person fortwirkt und weiterhin eine Bindung für das Gericht erzeugt. Damit ist das Gericht an den ursprünglichen Beschluss gebunden und muss dieselbe Person zum endgültigen Verwalter bestellen, es sei denn, dieser ist zwischenzeitlich ungeeignet geworden, etwa weil er in grob pflichtwidrig seine Anzeigepflicht gemäß § 274 Abs. 3 InsO verletzt hat. VII. Beteiligung bei Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung Nach § 270b Abs. 3 InsO ist der vorläufige Gläubigerausschuss bei Anordnung der vor- 224 läufigen Eigenverwaltung im Falle von sog. Kontraindikationen des § 270b Abs. 2 InsO zu beteiligen. Damit ergibt sich folgende abgestufte gesetzliche Regelung: 

Liegt eine vollständige und schlüssige Eigenverwaltungsplanung vor und sind keine Umstände bekannt, aus denen sich ergibt, dass die Eigenverwaltungsplanung in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruht, hat das Gericht gemäß § 270b Abs. 1 InsO die vorläufige Eigenverwaltung anzuordnen. Der vorläufige Gläubigerausschuss kann dies weder durch ein ablehnendes Votum verhindern, noch kann sein zustimmendes Votum eine untaugliche Eigenverwaltungsplanung ersetzen. Der vorläufige Gläubigerausschuss ist in diesem Fall in Bezug auf die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung nicht zu beteiligen – er ist aber bei der Bestellung des vorläufigen Sachwalters einzubinden.

___________ 286) A. A. Graeber in: MünchKomm-InsO, § 56a Rz. 19, da der Ausschuss neue Umstände zur Bestellung mitteilen könnte. 287) Etwas weiter Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 26. 288) Vgl. dazu Obermüller, ZInsO 2012, 18, 24.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren Liegen Sachverhalte vor, die vom Grundsatz her gegen eine Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung sprechen (Kontraindikationen gemäß § 270b Abs. 2 InsO), ist die vorläufige Eigenverwaltung nur dann anzuordnen, wenn eine Gesamtwürdigung ergibt, dass diese trotz der auf den ersten Blick nachteiligen Umstände im Interesse der Gläubiger liegt. Nur in diesem Fall ist dem vorläufigen Gläubigerausschuss Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die gesetzliche Regelung ist parallel zur Beteiligung des vorläufigen Gläubigerausschusses bei der Bestellung des vorläufigen Sachwalters ausgestaltet. In beiden Fragestellungen sollen die Gläubiger möglichst frühzeitig einbezogen werden, um „der Gläubigerautonomie effektiv Geltung zu verschaffen“.289)

1.

Anhörungspflicht

1.1

Voraussetzungen

225 Die Norm des § 270b Abs. 3 InsO enthält keine Verpflichtung, einen Gläubigerausschuss einzusetzen. Dies bestimmt sich vielmehr nach §§ 22a, 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO. Nur ein eingesetzter Ausschuss – egal ob obligatorischer Ausschuss, Antragsausschuss oder fakultativer Ausschuss – muss angehört werden. 226 Voraussetzung der Beteiligung des Gläubigerausschusses ist ein Antrag auf Eigenverwaltung bei dem allerdings Sachverhalte gemäß § 270b Abs. 2 InsO vorliegen, die gegen die Anordnung sprechen. Soweit die Voraussetzungen des § 270b Abs. 1 InsO gegeben sind, sieht § 270b Abs. 3 Satz 1 InsO zu Recht keine Anhörung vor, weil der Schuldner einen Anspruch auf Anordnung hat. Für diesen Fall kommen auch die Sätze 3 und 4 des § 270b Abs. 3 InsO nicht zur Anwendung. Ein zustimmender Beschluss ist zwar unschädlich, kann aber am Vorliegen oder Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 270b Abs. 1 InsO nichts ändern. Soweit ein repräsentativ besetzter Gläubigerausschuss einstimmig die Eigenverwaltung ablehnt, liegt schon kein Fall des § 270b Abs. 1 InsO vor, da die Eigenverwaltungsplanung dann nicht vollständig und schlüssig ist und auf zutreffenden Tatsachen beruht, wenn alle Gläubigergruppen die vom Schuldner vorgesehene Sanierung ablehnen. 1.2

Zeitpunkt und Form der Anhörung

227 Wie bei der Bestellung des vorläufigen Sachwalters auch, ist nach der Gesetzessystematik zunächst ein vorläufiger Gläubigerausschuss einzusetzen und nach dem Votum des Ausschusses durch das Gericht zu entscheiden. In § 270b Abs. 3 Satz 2 InsO wird dies für die Anordnung aber auch Ablehnung der vorläufigen Eigenverwaltung ausdrücklich normiert. Die Anhörung ist mit der Anhörung zur Person des vorläufigen Sachwalters zu verbinden. 228 Eine bestimmte Form der Anhörung ist nicht vorgeschrieben. Sie kann mündlich oder schriftlich – auch per Telefax oder E-Mail – erfolgen. Da das Gericht über die innere Organisation des Ausschusses keine Kenntnis hat, bedeutet Anhörung die Aufforderung an alle Mitglieder des Ausschusses, sich in ihrer Gesamtheit durch Beschluss zu äußern. Das Gericht hat dem Ausschuss je nach Umständen des Verfahrens eine Frist von zwei bis fünf Tagen zur Äußerung zu setzen. 1.3

Zwei-Tages-Frist und Ausnahmen von der Anhörungspflicht

229 Die Norm des § 270b Abs. 2 InsO regelt nach ihrem Wortlaut zwei unterschiedliche Problemkreise. Eine Entscheidung darf nicht ergehen, wenn nicht seit Antragstellung zwei Werktage vergangen sind. Dies entbindet das Gericht nicht von der Pflicht zur Anhörung. Im Ergebnis ist damit auch dem Gläubigerausschuss eine darauf abgestimmte Reaktionszeit ___________ 289) Zur Vorgängerregelung § 270 Abs. 3 InsO: Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 39.

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§6

Vorläufiger Gläubigerausschuss

eingeräumt. Nach Ablauf der Anhörungsfrist kann das Gericht selbst entscheiden und zwar durch die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung oder ihre Ablehnung verbunden mit der Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters. Da die Frist an die Antragstellung anknüpft, handelt es sich um einen Ereignisfrist. Die Frist berechnet sich nach § 187 Abs. 1 BGB und beginnt mit Beginn des der Antragstellung folgenden Tages.290) Wird also der Antrag an Tag 1 gestellt, läuft die Frist an Tag 2 und Tag 3 und endet mit Ablauf des Tages 3. Das Gericht kann mithin an Tag 4 entscheiden. Führt die mit der Anhörung des Ausschusses verbundene Verzögerung bereits innerhalb von 230 zwei Werktagen offensichtlich zu einer nachteiligen Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners, entfällt die Anhörungspflicht und das Gericht entscheidet allein. Zu den Einzelheiten der gerichtlichen Prüfung kann auf oben, siehe Rz. 177, verwiesen werden. Das Gericht kann in diesem Fall allerdings nicht die vorläufige Eigenverwaltung anordnen, sondern nur einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen, also die Eigenverwaltung ablehnen. Diese gesetzliche Regelung ist zutreffend. Kann der Schuldner nicht einmal zwei Tage ohne vorläufigen Sachwalter nachteilige Veränderungen verhindern, ist die Eigenverwaltung die falsche Verfahrensart. Auch der Verweis auf eine zwingend notwendige Insolvenzgeldvorfinanzierung kann an dieser Bewertung nichts ändern, da der Schuldner in Kenntnis des Fälligkeitszeitpunktes des Lohns den zeitlichen Zugzwang durch frühere Antragstellung hätte beheben können. 2.

Stellungnahme des Gläubigerausschusses

2.1

Form

Die Stellungnahme des Gläubigerausschusses erfolgt durch Beschluss, der in einer Gläubiger- 231 ausschusssitzung zu fassen ist, zu der unter Angabe der Tagesordnung ordnungsgemäß zu laden ist, es sei denn, es handelt sich um eine Vollversammlung (siehe Rz. 184 f.). 2.2

Inhaltliche Anforderungen für den Gläubigerausschuss

Ist kein Gläubigerausschuss bestellt, muss das Gericht gemäß § 270b Abs. 2 InsO prüfen, 232 ob trotz der Kontraindikationen die vorläufige Eigenverwaltung im Interesse der Gläubiger liegt, weil der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubiger auszurichten. Das Gericht hat hierzu eine Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen.291) Damit ist fraglich, welchen Entscheidungsmaßstab der Gläubigerausschuss anlegen muss. Einerseits ist der Ausschuss in seiner Entscheidung nicht völlig frei, kann also keine „unvernünftigen“ Beschlüsse fassen292) und sehenden Auges in eine nachteilige Eigenverwaltung laufen. Der Ausschuss muss sich also mit der Eigenverwaltungsplanung und vor allem mit den Kontraindikationen befassen, mit dem Schuldner sowie dessen Beratern Kontakt aufnehmen und sich i. R. der ersten Sitzung die Eigenverwaltungsplanung erläutern lassen. Andererseits kann in diesem frühen Stadium des Verfahrens regelmäßig nicht prognostiziert werden, welche Verfahrensart für die Gläubiger eine höhere Quote liefern wird. Auch hat der Ausschuss – anders als das Gericht – keine Amtsermittlungspflicht. Vor diesem Hintergrund muss der Ausschuss auf Basis der vom Schuldner vorgelegte Planung und seiner Aussagen abschätzen, ob der Schuldner im Interesse der Gläubiger handeln wird. Indiz dafür ist sicher eine professionelle Beratung. ___________ 290) Vgl. zur gleichlaufenden Fristberechnung bei § 9 Abs. 1 Satz 3 InsO: BGH v. 14.11.2013 – IX ZB 101/11, ZIP 2013, 2425 = NZI 2014, 22. 291) Fiebig in: HambKomm-InsO, § 270b Rz. 9. 292) Im Zusammenhang mit der Beteiligung bei der Bestellung des vorläufigen Sachwalters dies befürwortend: Ries in: K. Schmidt, InsO, § 56a Rz. 20.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

233 Praxistipp: Von einer ungeprüften „Blankozustimmung“ zur Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung ist dem Gläubigerausschuss dringend abzuraten. Für den hier relevanten Fall der Anhörung des Gläubigerausschusses liegen Umstände gemäß § 270b Abs. 2 InsO vor, bei denen der Gesetzgeber davon ausgeht, dass sie auf den ersten Blick der Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung entgegenstehen.293) Der Ausschuss muss sich also mit den für die Eigenverwaltung sprechenden Umständen auseinandersetzen. Zur Absicherung der eigenen Entscheidung wird der Ausschuss Entscheidungsgrundlagen und Abwägungen dokumentieren, zumal eine Fehlentscheidung (Befürwortung der Eigenverwaltung, obwohl Umstände dem Ausschuss bekannt sind oder hätten bekannt sein müssen) eine Haftung der Ausschussmitglieder begründet.294) 234 Soweit kein einstimmiger Beschluss für oder gegen die Eigenverwaltung fällt, besteht zwar keine Bindungswirkung. Es stellt sich aber die Frage, inwieweit der Ausschuss verpflichtet ist, dem Gericht Umstände mitzuteilen, die aus Sicht des Ausschusses für oder gegen eine Eigenverwaltung sprechen. Aus der umfassenden Verpflichtung zur Unterstützung und Überwachung im Verfahren ergibt sich die Pflicht, positive wie negative Umstände im Ausschuss zu beraten und zur Beschlussfassung zu bringen. Soweit sich die Mehrheit des Ausschusses gegen die Eigenverwaltung ausspricht, hat dies zwar keine Bindungswirkung, ist vom Gericht aber i. R. der Abwägung zu berücksichtigen. Um seinen Pflichten nachzukommen hat der Ausschuss in diesem Fall den Beschluss zwingend zu begründen. Allein der unbegründet ablehnende Beschluss des Ausschusses ist für sich kein nachteiliger Umstand.295) 235 Wie sich aus der Formulierung von § 270b Abs. 3 InsO ergibt, ist der Gläubigerausschuss nicht verpflichtet, eine Stellungnahme abzugeben. 3.

Auswirkungen des Votums für die gerichtliche Entscheidung

236 Liegt ein Fall des § 270b Abs. 1 InsO vor, ordnet das Gericht die Eigenverwaltung an. Auf ein Votum des Ausschusses kommt es nicht an. Ist der Ausschuss zur Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung im Falle des § 270b Abs. 2 InsO angehört worden und äußert er sich innerhalb der vom Gericht gesetzten im Regelfall mindestens zweitägigen Frist nicht, entscheidet das Gericht – nicht vor Ablauf von zwei Tagen seit Antragstellung – über die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung oder die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters. 3.1

Zustimmendes Votum zur Anordnung trotz Kontraindikation

237 Nach Maßgabe des § 270b Abs. 3 Satz 3 InsO gilt bei wirksamem einstimmigen Beschluss des Gläubigerausschusses für die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung diese als im Interesse der Gläubiger. Das Vorliegen der Anordnungsvoraussetzung gemäß § 270b Abs. 2 InsO wird damit fingiert und gilt als erfüllt. Das Gericht hat diese Voraussetzung nicht mehr zu prüfen, sondern als gegeben zu unterstellen. Dem Antrag des Schuldners ist stattzugeben. 238 Spricht sich der Gläubigerausschuss nur durch Mehrheitsbeschluss für die Eigenverwaltung aus, entfaltet dies für das Gericht keine Bindungswirkung. Vielmehr hat es in eigener Zuständigkeit das Vorliegen der Voraussetzung des § 270b Abs. 2 InsO zu prüfen. Im Rahmen seiner Entscheidung muss es aber den Beschluss des Ausschusses und vor allem ___________ 293) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205. 294) Kübler in: KPB, InsO, § 71 Rz. 26. 295) Zur Vorgängerregelung des § 270 Abs. 3 InsO: AG Köln v. 1.7.2013 – 72 IN 211/13, ZIP 2013, 1390; a. A. LG Halle v. 14.11.2014 – 3 T 86/14 (MIFA), ZIP 2014, 2355, dazu EWiR 2014, 789 (Spliedt) – starkes Indiz.

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§6

Vorläufiger Gläubigerausschuss

die darin enthaltenen Erwägungen berücksichtigen. Aber auch aus den Voten der ablehnenden Mitglieder ergeben sich ggf. Umstände, die in die Abwägung einfließen müssen. 3.2

Ablehnendes Votum

Auch ein einstimmig ablehnendes Votum ist für das Gericht im Anwendungsbereich des 239 § 270b Abs. 2 InsO bindend, § 270b Abs. 3 Satz 4 InsO. Einer Gesamtwürdigung aller Umstände durch das Gericht bedarf es nicht mehr. Die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung liegt mit dem einstimmigen Beschluss nicht im Interesse der Gläubiger. Im Anwendungsbereich des § 270b Abs. 1 InsO besteht zwar kein Mitwirkungsrecht der Gläubiger, weil der Schuldner einen Anspruch auf die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung hat – wenn alle Gläubigergruppen die Eigenverwaltungsplanung des Schuldners aber ablehnen, dann ist diese offensichtlich untauglich. Eine nur mehrheitliche Ablehnung der Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung ent- 240 faltet keine Bindungswirkung. Das Gericht hat selbst die erforderliche Abwägung aller Umstände gemäß § 270b Abs. 2 InsO vorzunehmen. Es muss sich in diesem Zuge aber zwingend mit den Beweggründen der Mehrheit des Ausschusses auseinandersetzen, die zur Ablehnung geführt haben. Eine sachlich begründete Ablehnung der vorläufigen Eigenverwaltung stellt in Zusammenschau mit den im Einzelfall vorliegenden Umständen des § 270b Abs. 2 InsO ein wesentliches Indiz gegen die Anordnung dar, so dass in der Regel die Anordnung unterbleiben muss. 4.

Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung

Nach Maßgabe des § 270e Abs. 1 Nr. 4 InsO ist die vorläufige Eigenverwaltung aufzuheben, 241 wenn der vorläufige Gläubigerausschuss dies beantragt. Auch dem vorläufigen Sachwalter steht ein eigenes Initiativrecht zur Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung zu. Er benötigt dazu die Zustimmung des Gläubigerausschusses. Für den Antrag genügt ein wirksamer Beschluss mit der Kopfmehrheit gemäß § 72 InsO. Eine 242 Begründung für den Aufhebungsantrag muss der Gläubigerausschuss nicht abzugeben.296) Der Gläubigerausschuss hat den Antrag schriftlich durch Einreichung des entsprechenden Beschlusses beim Insolvenzgericht zu stellen. Liegt ein wirksamer Beschluss vor, hat das Gericht die Anordnung gemäß § 270e Abs. 1 InsO aufzuheben. Bei der Ausübung des Rechts ist dem Gläubigerausschuss ein weites Ermessen zuzubilligen, 243 da ein exakter Nachweis der Verletzung von Gläubigerinteressen nicht geführt werden kann. Fraglich ist, ob der Gläubigerausschuss die Pflicht hat, einen Antrag auf Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung zu stellen. Der Ausschuss hat allgemein die Pflicht, den Schuldner zu überwachen und die Interessen der Gläubiger zu wahren. Aus dieser allgemeinen Pflicht und in Zusammenschau mit den Pflichten des Insolvenzgerichts gemäß § 270e Abs. 1 Nr. 1 InsO ergibt sich eine Pflicht zum Antrag auf Aufhebung nur dann, wenn der Schuldner in schwerwiegender Weise gegen insolvenzrechtliche Pflichten verstößt oder sich auf sonstige Weise zeigt, dass er nicht bereit oder in der Lage ist, seine Geschäftsführung am Interesse der Gläubiger auszurichten. Nach Aufhebung der Anordnung gelten die Vorschriften für ein allgemeines Eröffnungs- 244 verfahren gemäß §§ 21 ff. InsO. Dies hat zur Konsequenz, dass der Gläubigerausschuss in seinem Antrag auf Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung dazu Stellung nehmen sollte, ob der bisherige Sachwalter beibehalten werden kann. ___________ 296) Fiebig in: HambKomm-InsO, § 270e Rz. 8.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren

245 Soweit das Gericht die Eigenverwaltung gemäß § 270e Abs. 1 Nr. 1 oder 3 InsO aufheben will, hat es dem Gläubigerausschuss Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Aufgrund des Verweises auf § 270b Abs. 3 Satz 2 InsO, kann das Gericht davon absehen, wenn offensichtlich mit Nachteilen für die Vermögenslage des Schuldners zu rechnen ist. Auf die Ausführungen oben (siehe Rz. 177) kann verwiesen werden. Im Wesentlichen dürfte ein solcher Fall dann gegeben sein, wenn akut Vermögensverschiebungen durch den Schuldner drohen, die nur durch Einsetzung eines vorläufigen Verwalters zu verhindern sind. VIII. Erneute Anhörung bei Anordnung der Eigenverwaltung 246 Bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung verweist § 270f Abs. 3 InsO auf § 270b Abs. 3 InsO, der eine Beteiligung des Gläubigerausschusses normiert. Auf die Ausführungen oben, siehe Rz. 225 ff., kann verwiesen werden. Zusammenfassend bedeutet dies folgendes: 

Grundsätzlich bedarf es einer erneuten Anhörung.



Die Ausnahmeregelung, die einen Verzicht auf die Anhörung bei offensichtlichen Nachteilen in der Vermögenslage zulässt, dürfte regelmäßig nicht eingreifen.



Keiner erneuten Anhörung bedarf es, wenn keine Zweifel am Willen des Gläubigerausschusses bestehen und die Anhörung reine Förmlichkeit wäre.



Ein zustimmender Beschluss zur Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270b Abs. 3 Satz 3 InsO entfaltet auch bei Eröffnung Bindungswirkung, soweit sich die tatsächlichen Grundlagen nicht erheblich geändert haben.

IX.

Allgemeine Rechte und Pflichten des vorläufigen Gläubigerausschusses

1.

Allgemeine Rechte und Pflichten gemäß § 69 InsO

247 Mit dem Verweis des § 270c Abs. 3 Satz 1 InsO auf § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO und dem dortigen Verweis auf § 69 InsO stehen dem Gläubigerausschuss auch im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren die allgemeinen Rechte und Pflichten zu. § 69 InsO definiert allgemein eine Unterstützungs- und Überwachungsverpflichtung bezogen auf den Insolvenzverwalter und nennt beispielhaft die Pflicht zur Unterrichtung und Einsichtnahme in Bücher und Geschäftspapiere sowie die Kassenprüfung. Bei der Eigenverwaltung, bei der die Verwaltungsund Verfügungsbefugnis beim Schuldner verbleibt, macht die Kontrolle des Kontrolleurs wenig Sinn. Der (vorläufige) Gläubigerausschuss hat damit die Pflicht, vornehmlich den Schuldner (neben dem Sachwalter) zu unterstützen und zu überwachen.297) Zu den Einzelheiten kann auf Ampferl, HRI II, § 11 verwiesen werden. 2.

Zustimmungsrechte im Antragsverfahren, insbesondere gemäß § 276 InsO

248 Der Gläubigerausschuss im eröffneten Verfahren hat verschiedene Zustimmungsrechte.298) Insbesondere ist seine Zustimmung zu besonders bedeutsamen Rechtshandlungen des Schuldners gemäß § 276 InsO einzuholen (siehe unten Ampferl, HRI II, § 11). Mit dem Argument, dass § § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO keinen Verweis auf § 160 InsO enthält, und für die vorläufige Eigenverwaltung keine Anwendbarkeit des § 276 InsO geregelt ist, wird die Anwendung dieser Normen abgelehnt. Dies wird der Intention des Gesetzes nicht gerecht. Die Möglichkeit zur Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO wurde gerade eingeführt, weil wesentliche Entscheidungen – die Wei___________ 297) Umfassend dazu: Hammes, Gläubigerausschuss, Rz. 310 ff. 298) Vgl. Aufstellung bei Graeber in: FS Runkel, 2009, S. 63, 68 ff.

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§6

Vorläufiger Gläubigerausschuss

chen für die Fortführung – im Antragsverfahren gefällt werden.299) Soweit die vorläufige Eigenverwaltung das Ziel verfolgt, das Unternehmen zu verkaufen, wird sie die wesentlichen Weichenstellungen hierfür im vorläufigen Verfahren treffen. Nach Sinn und Zweck des § 160 InsO ist der Gläubigerausschuss hieran zu beteiligen. § 160 Abs. 2 Nr. 2 InsO nennt weiter die Aufnahme von Darlehen, die gerade auch im Antragsverfahren erfolgen kann. Soweit die Mitwirkung des Gläubigerausschusses abgelehnt wird, weil der Schuldner die Kontrolle über sein Unternehmen nicht verlieren soll,300) kann dem nicht gefolgt werden. Bereits die vorläufige Eigenverwaltung ist auf die Interessen der Gläubiger ausgerichtet, wie sich aus der Haftung der Organe nach § 60, 61 InsO auch im Antragsverfahren gemäß § 276a Abs. 3 InsO ergibt. Deshalb ist es gerechtfertigt, die Zustimmungserfordernisse für den vorläufigen Gläubigerausschuss auf den Gläubigerausschuss des Antragsverfahrens auszudehnen.301) Für den seltenen Fall der Betriebsstilllegung bereits während der vorläufigen Eigenverwal- 249 tung ergeben sich Überschneidungen. Diese erfordert gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO sowohl die Zustimmung des Insolvenzgerichts wie auch die Zustimmung des vorläufigen Gläubigerausschusses gemäß § 158 InsO. Ohne Zustimmung des Gerichts darf der Betrieb nicht stillgelegt werden.302) Ohne Zustimmung des Gläubigerausschusses ist die Stilllegung möglich, aber haftungsbegründend.303)

___________ 299) 300) 301) 302) 303)

Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 24. Undritz in: K. Schmidt, InsO, § 270a Rz. 4. So auch Frind, ZIP 2012, 1380, 1382, der in § 160 InsO eine spezielle Ausformung des § 69 InsO sieht. Vallender in: Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 32. Webel in: KPB, InsO, § 158 Rz. 8 f.

Ampferl

267

B. Eröffnetes Verfahren §7 Anordnungsvoraussetzungen und nachträgliche Anordnung Neußner

I.

Anknüpfung an die Voraussetzungen einer vorläufigen Eigenverwaltung .......... 1 II. Anspruch auf Anordnung ......................... 4 1. Erfolgskriterien ............................................ 4 2. Eigenverwaltungsplanung und Eigenverwaltungswürdigkeit................................. 7 2.1 Dokumentation durch den Schuldner .................................. 7 2.2 Mitteilung wesentlicher Änderungen durch den Schuldner......... 15 2.3 Bericht des vorläufigen Sachwalters und vorläufiger Gläubigerausschuss ....................... 18 3. Kein Aufhebungsgrund erfüllt .................. 20 III. Entscheidung des vorläufigen Gläubigerausschusses im Graubereich ........... 24 IV. Graubereich und Gesamtwürdigung des Gläubigerinteresses ............................ 32 1. Eignung und Zuverlässigkeit des Schuldners ........................................... 32

2.

Fehlende Durchfinanzierung und wesentliche Mehrkosten............................ 40 V. Nachträgliche Anordnung ...................... 47 1. Sinn und Zweck.......................................... 47 2. Voraussetzungen........................................ 48 2.1 Entscheidungsgrundlage für die Gläubigerversammlung ..... 48 2.2 Antrag der Gläubigerversammlung.................................. 51 2.3 Zustimmung des Schuldners zur Anordnung der Eigenverwaltung ..................................... 59 3. Verfahren.................................................... 62 4. Bestellung eines Sachwalters ..................... 66 5. Rechtsfolgen............................................... 67 6. Rechtsmittel ............................................... 69

Literatur: Blankenburg, Reform der Eigenverwaltung durch das SanInsFoG aus gerichtlicher Sicht, ZInsO 2021, 753; Rendels/Zabel/Körner, Nur drohend zahlungsunfähig oder überschuldet? – Anforderungen an die Fortbestehensprognose nach SanInsFoG?, ZRI 2021, 653; Thole, Die Reform der Eigenverwaltung: Eine Umsetzung der ESUG-Evaluation?, NZI Beilage z. Heft 5/2021, s. 90.

I.

Anknüpfung an die Voraussetzungen einer vorläufigen Eigenverwaltung

1 Die Eigenverwaltung wird auf Antrag des Schuldners im Eröffnungsbeschluss angeordnet nach § 270f Abs. 1 InsO, wenn im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung 

die Voraussetzungen für die vorläufige Eigenverwaltung (§ 270b InsO) vorliegen und



kein Aufhebungsgrund für die vorläufige Eigenverwaltung (§ 270e InsO) einschlägig ist.

2 Am Ende des vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens muss sich also die bei Verfahrenseinleitung positive Beurteilung der Eigenverwaltungsplanung und des vorgelegten Restrukturierungskonzepts sowie der Eigenverwaltungswürdigkeit des Schuldners durch das Gericht bzw. den vorläufigen Gläubigerausschuss bestätigt haben. 3 Funktionell zuständig für die Entscheidung über die Eigenverwaltung im eröffneten Verfahren ist der Richter (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 RPflG). Anstelle eines Insolvenzverwalters wird im Eröffnungsbeschluss ein Sachwalter bestellt (§§ 270f Abs. 2, 274 InsO); zu Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters siehe Minuth, HRI II, § 9. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis verbleibt beim Schuldner; zu Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners siehe Bierbach, HRI II, § 8. Das Amt des Sachwalters im eröffneten Verfahren wird regelmäßig dem bisherigen vorläufigen Sachwalter übertragen. Die wichtige Entscheidung zur Person ist bereits bei der Einleitung des Verfahrens und Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung gefallen, regelmäßig unter Mitwirkung bzw. aufgrund eines einstimmigen Vo-

268

Neußner

Anordnungsvoraussetzungen und nachträgliche Anordnung

§7

tums des vorläufigen Gläubigerausschusses (§ 270b Abs. 3 InsO), der diese dann auch für das eröffnete Verfahren weiter mittragen wird (§§ 274 Abs. 1, 56a InsO). Zur Beteiligung des vorläufigen Gläubigerausschusses bei Bestellung des endgültigen Sachwalters siehe Ampferl, HRI II, § 6 Rz. 246. II.

Anspruch auf Anordnung

1.

Erfolgskriterien

Der nach Auffassung des Gesetzgebers des SanInsFoG ohne weiteres eigenverwaltungs- 4 taugliche Sachverhalt und Schuldner ist in § 270b Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 InsO genau umschrieben. Gestützt auf die Erkenntnisse der ESUG-Evaluierung sind dort Erfolgskriterien und Kontraindikatoren zusammengefügt zu einem komplexen System von Anordnungsund Versagungsgründen.1) Wenn die Planung der Eigenverwaltung wie auch das Verhalten des Schuldners in der 5 Vergangenheit für die Zulassung der weiteren Steuerung des Restrukturierungsprozesses durch ihn als Eigenverwalter unter Aufsicht eines Sachwalters im gerichtlichen Verfahren sprechen, soll ihm nun auch ein rechtssicherer Zugang eingeräumt werden. In diesen Fällen sachlicher, fachlicher und persönlicher Eignung besteht damit nun ein Anspruch auf Eigenverwaltung im Eröffnungsverfahren.2) Zeigt sich hier am Ende der vorläufigen Eigenverwaltung kein anderes Bild und liegen 6 keine Aufhebungsgründe nach § 270c InsO vor, hat der Schuldner gleichermaßen einen Anspruch auf Eigenverwaltung im eröffneten Verfahren. 2.

Eigenverwaltungsplanung und Eigenverwaltungswürdigkeit

2.1

Dokumentation durch den Schuldner

Dass es sich um einen grundsätzlich eigenverwaltungstauglichen Sachverhalt handelt 7 bzw. der Schuldner alle Maßnahmen getroffen hat, die zur Sicherung der Gläubigerinteressen notwendig erscheinen, hat der Schuldner durch eine Eigenverwaltungsplanung dokumentiert und mit dem Antrag auf Eigenverwaltung dem Gericht bereits übermittelt (§ 270a Abs. 1 InsO). Die Eigenverwaltungsplanung besteht aus den in § 270a Abs. 1 Nr. 1 bis 5 InsO genannten 8 Elementen. Sie macht das gut vorbereitete Verfahren aus und liefert dem Gericht die notwendigen Informationen, um zunächst ohne weitere eigene Ermittlung eine Entscheidung für das Eröffnungsverfahren zu treffen: 

Finanzplan für sechs Monate,



Restrukturierungskonzept,



Darstellung Verhandlungsstand,



Darstellung der Sicherstellung insolvenzrechtlicher Pflichtenerfüllung,



Kostenvergleich Eigenverwaltungs- und Regelinsolvenzverfahren.

Im Rahmen der Entscheidung über die Zulassung der vorläufigen Eigenverwaltung hat sich 9 das Gericht anhand der vorgelegten Unterlagen ein Bild gemacht vom angestrebten Ziel des Schuldners, vom Status quo sowie von den vorgesehenen Maßnahmen (§ 270b Abs. 1 Nr. 1 und 2 i. V. m. § 270a Abs. 1 Nr. 1 – 5 InsO). ___________ 1) Thole, NZI Beilage z. Heft 5/2021, S. 90, 93. 2) Thole, NZI Beilage z. Heft 5/2021, S. 90, 93.

Neußner

269

§7

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

10 Einen Anspruch darauf, das vorgelegte und i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung fortentwickelte Restrukturierungskonzept im gerichtlichen Verfahren selbst weiter umzusetzen hat der Schuldner dann, wie sich aus dem Zusammenspiel bzw. Umkehrschluss aus § 270b Abs. 2 InsO ergibt, wenn der Schuldner mit seiner Eigenverwaltungsplanung sowie den Erklärungen zu seiner Eigenverwaltungswürdigkeit (§ 270a Abs. 2 InsO) folgende Umstände dokumentieren kann: 

Fortführung und Verfahrenskosten sind für sechs Monate ab Antragstellung durchfinanziert.



Die Kosten der Eigenverwaltung übersteigen die Kosten eines Regelverfahrens jedenfalls nicht in wesentlicher Weise.



Es liegen keine Zahlungsrückstände gegenüber Arbeitnehmern, Fiskus, Sozialversicherungsträgern oder Lieferanten vor.



Sanierungsrechtliche Verfahrenshilfen sind in den letzten drei Jahren vor Antragstellung von ihm nicht in Anspruch genommen wurden.



Die Offenlegungspflichten für Jahresabschlüsse wurden in den letzten drei Jahren vor Antragstellung erfüllt.

11 Übersetzt geht es somit um Unternehmen, die sehr frühzeitig den Einstieg in das gerichtliche Verfahren wählen. Die erst drohende Zahlungsunfähigkeit mit ihrem Prognosezeitraum von in aller Regel 24 Monaten gibt hier einen weiten Spielraum. Dieser Anspruch auf Anordnung der Eigenverwaltung hängt dann, wie der Verweis in § 270b Abs. 3 InsO nur auf Fälle mit Kontraindikatoren nach § 270b Abs. 2 InsO zeigt, nicht von einem zustimmenden Votum des vorläufigen Gläubigerausschusses ab und wird auch nicht kraft Gesetzes durch dessen einstimmigen ablehnenden Beschluss ausgehebelt. Praktisch wird es allerdings schon schwierig sein, ein schlüssiges Sanierungskonzept mit Erfolgsaussichten zu dokumentieren, wenn nicht auch der vorläufige Gläubigerausschuss dieses weiterhin mitträgt. 12 Nach wie vor ist bei Vorliegen einer drohenden Zahlungsunfähigkeit zudem im ZwölfMonats-Zeitraum die Überlappung mit der Überschuldung und der Antragspflicht (§ 15a InsO) im Auge zu behalten. Eine vom vorläufigen Sachwalter angenommene Insolvenzverschleppung wird den Sachverhalt in jedem Fall in den „Graubereich“ verweisen, selbst wenn sie noch nicht zu Zahlungsrückständen geführt hat. 13 Eine Überschuldung liegt allerdings solange nicht vor, als Sanierungsmaßnahmen aussichtsreich erscheinen und damit eine positive Fortbestehensprognose ermöglichen (siehe hierzu Neußner, HRI II, § 3 Rz. 30 ff.).3) Zudem gewährt § 15a Abs. 1 InsO dem Schuldner nach Eintritt der Überschuldung noch eine durch das SanInsFoG verlängerte Antragsfrist von bis zu sechs Wochen. Selbst wenn sich die außergerichtlichen Sanierungschancen zerschlagen haben, soll der Schuldner doch noch in der Lage sein, ein Eigenverwaltungsverfahren ordentlich und gewissenhaft vorzubereiten.4) 14 Alle Anforderungen werden sicherlich in der Praxis eher große Unternehmen erfüllen können, die sich sehr frühzeitig spezielle Beratung leisten und auch die Chance besonderer Gestaltungsmöglichkeiten in einem Planverfahren sehen.

___________ 3) Rendels/Zabel/Körner, ZRI 2021, 653. 4) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 193.

270

Neußner

Anordnungsvoraussetzungen und nachträgliche Anordnung 2.2

§7

Mitteilung wesentlicher Änderungen durch den Schuldner

Die oben genannten Unterlagen hat der Schuldner bereits mit dem zusammen mit dem 15 Insolvenzantrag gestellten Eigenverwaltungsantrag dem Gericht vorgelegt. Zwischenzeitlich sind mit Blick auf den Insolvenzgeldzeitraum meist drei Monate verstrichen. Das Gericht muss seiner Entscheidung nun die Umstände und Erkenntnisse im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung zugrunde legen. Der Schuldner hat dazu die Planungen nicht neu zu erstellen. Insbesondere ordnet das Ge- 16 setz nicht an, dass der Schuldner einen Finanzplan einreichen muss, der nun ein Zeitfenster von weiteren sechs Monaten ab Eröffnung abdeckt. Vielmehr ist in Bezug auf die notwendige Aktualisierung durch den Schuldner auf die Vorgabe des § 270c Abs. 2 InsO für das vorläufige Eigenverwaltungsverfahren abzustellen. Danach hat der Schuldner dem Gericht und dem vorläufigen Sachwalter unverzüglich wesentliche Änderungen mitzuteilen, welche die Eigenverwaltungsplanung betreffen.5) Wesentlich sind alle Änderungen und im Eröffnungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse, 17 die die Schlüssigkeit und Umsetzbarkeit des Konzepts in Frage stellen können oder das Verfahren vom zweifellos eigenverwaltungsgeeigneten Sachverhalt in den Graubereich des § 270b Abs. 2 InsO verweisen. Es kann also insbesondere um Ergebnisse von Verhandlungen gehen, die den Erfolg der Sanierungsplanung in Frage stellen. Diese wesentlichen Änderungen können auch die Kostenseite betreffen, die Durchfinanzierung des Verfahrens sowie die voraussichtlichen Kosten der Eigenverwaltung im Vergleich zu einem Regelverfahren bzw. deren Angemessenheit mit Blick auf das angestrebte Verfahrensziel. 2.3

Bericht des vorläufigen Sachwalters und vorläufiger Gläubigerausschuss

Das Gericht hat alle im Verlauf des vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens gewonnenen 18 Erkenntnisse seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Dabei geht es vor allem um die Berichte des vorläufigen Sachwalters nach § 270c Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO, aber auch um Informationen des vorläufigen Gläubigerausschusses.6) Die Prüfung der Eigenverwaltungsplanung ist nun ganz klar in das Eröffnungsverfahren 19 verlagert durch § 270c Abs. 1 Nr. 1 InsO. Regelmäßig wird das Gericht dem Sachwalter Berichtsaufträge nach § 270c Abs. 1 InsO erteilen. Diese beziehen sich zum einen auf die vom Schuldner vorgelegte Eigenverwaltungsplanung (Nr. 1). Weiter geht es um die Beurteilung der Rechnungslegung und Buchführung des Schuldners, insbesondere um ihre Eignung als Grundlage der Finanzplanung (Nr. 2) sowie um Haftungsansprüche gegen Organmitglieder (Nr. 3). 3.

Kein Aufhebungsgrund erfüllt

Die vorläufige Eigenverwaltung kann im Eröffnungsverfahren aufgehoben werden, sobald 20 einer der Aufhebungstatbestände des § 270e InsO verwirklicht ist, wie nun ausdrücklich auch für das „Basisverfahren“ normiert. Insoweit ist fraglich, welche Bedeutung der negativen Anordnungsvoraussetzung des Fehlens von Aufhebungsgründen im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung tatsächlich zukommen wird. Ist die vorläufige Eigenverwaltung nicht aufgehoben worden, hat das Gericht jedenfalls 21 vor der Anordnung der Eigenverwaltung für das eröffnete Verfahren zu prüfen, ob ein Aufhebungsgrund vorliegt.7) ___________ 5) Ellers/Plaßmeier in: BeckOK-InsR, § 270f InsO Rz. 8. 6) Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 270f Rz. 4. 7) Ellers/Plaßmeier in: BeckOK-InsR, § 270f InsO Rz. 13.

Neußner

271

§7

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

22 Die Aufhebungsgründe betreffen zum einen wieder die Eigenverwaltungsplanung (§ 270e Abs. 1 Nr. 1 lit. a und b, Nr. 2 und Nr. 3 InsO). Im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren kann sich herausgestellt haben, dass die Voraussetzungen für eine Eigenverwaltung nicht vorliegen. Möglicherweise war die Planung zu optimistisch. Gegebenenfalls liefert die Buchhaltung des Schuldners nicht die notwendige belastbare Grundlage für die Planung. 23 Ergeben sich hier allerdings keine Bedenken und liegt auch sonst kein Aufhebungsgrund vor, hat das Gericht die Eigenverwaltung im Eröffnungsbeschluss anzuordnen (zu den Aufhebungsgründen i. E. Hofmann, HRI II, § 4 Rz. 294 ff.). III.

Entscheidung des vorläufigen Gläubigerausschusses im Graubereich

24 Die Einbindung des vorläufigen Gläubigerausschusses vor der Entscheidung über eine weitere Eigenverwaltung im eröffneten Verfahren schreibt § 270f Abs. 3 InsO vor mit dem Verweis auf die Einbindung bei Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270b Abs. 3 InsO. Der Beteiligung des vorläufigen Gläubigerausschusses werden in diesem Verfahrensstadium keine formellen bzw. zeitlichen Probleme mehr entgegenstehen.8) Der vorläufige Gläubigerausschuss ist längst konstituiert und der Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung regelmäßig mit den Beteiligten abgesprochen. 25 Das einstimmige Votum des vorläufigen Gläubigerausschusses ist dann die entscheidende Stellschraube, wenn es sich um einen Sachverhalt im Graubereich handelt. Diesen Graubereich definiert nun § 270a Abs. 2 InsO. Im Bereich der Eigenverwaltungsplanung geht es um folgende Aspekte: 

Fehlende Kostendeckung für Eigenverwaltung und Fortführung im Sechs-MonatsZeitraum (§ 270b Abs. 2 i. V. m. § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO);



voraussichtliche Kosten der Eigenverwaltung übersteigen in wesentlicher Weise die voraussichtlichen Kosten eines Regelverfahrens (§ 270b Abs. 2 i. V. m. § 270a Abs. 1 Nr. 5 InsO).

26 Gegen die Eigenverwaltungswürdigkeit des Schuldners könnten folgende Umstände sprechen: 

Zahlungsrückstände gegenüber Arbeitnehmern oder erhebliche Zahlungsrückstände gegenüber den weiteren in § 270a Abs. 2 Nr. 1 genannten Gläubigern (§ 270b Abs. 2 Nr. 1 InsO);



zugunsten des Schuldners innerhalb der letzten drei Jahre nach StaRUG oder InsO angeordnete Vollstreckungs- oder Verwertungssperren (§ 270b Abs. 2 Nr. 2 InsO);



Verstöße gegen Offenlegungspflichten von Jahresabschlüssen in den letzten drei Jahren (§ 270b Abs. 2 Nr. 3 InsO).

27 Liegt auch nur einer dieser Tatbestände vor oder sind mehrere Sachverhalte erfüllt, darf die Eigenverwaltung durch das Gericht nur angeordnet werden, wenn trotz dieser Umstände zu erwarten ist, dass der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubiger auszurichten. 28 An dieser Stelle tauchen aufgrund der „vagen“ Formulierung somit die Schwierigkeiten wieder auf, die der Nachteilsbegriff im alten Recht mit sich gebracht hatte.9) Durch die genaue Regelung der Zugangsvoraussetzungen scheint damit an Rechtssicherheit für die Praxis in den Fällen, die im Graubereich spielen, nicht allzu viel gewonnen. Eindeutig ge___________ 8) Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, Vor §§ 270 ff. Rz. 43. 9) Thole, NZI Beilage z. Heft 5/2021, S. 90, 92.

272

Neußner

Anordnungsvoraussetzungen und nachträgliche Anordnung

§7

eignete Sachverhalte, insbesondere geeignete Restrukturierungsverfahren großer Unternehmen, konnten bereits bislang ausgemacht werden. An erster Stelle sind aufgrund der Gläubigerautonomie allerdings weiterhin und zunächst 29 die Gläubiger zur Einschätzung und Entscheidung über die Eigenverwaltung berufen, schließlich geht es um die Wahrung ihrer Interessen im Verfahren. Für den Weg in die Eigenverwaltung wird daher auch nach dem neuen Recht die einstimmige Unterstützung durch einen mitgebrachten Gläubigerausschuss das Mittel der Wahl sein. Der vorläufige Gläubigerausschuss kann durch einstimmiges Votum für oder gegen eine 30 Eigenverwaltung das Gericht binden (§ 270b Abs. 2 i. V. m. Abs. 3 InsO); siehe ausführlich Ampferl, HRI II, § 6 Rz. 246. Im eröffneten Verfahren liegt die Entscheidung dann nochmals bei der Gläubigerversamm- 31 lung, eine Eigenverwaltung noch nachträglich anzuordnen oder eine angeordnete Eigenverwaltung aufzuheben (§§ 271, 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO); siehe ausführlich Rz. 47 ff. sowie Flöther, HRI II, § 14. IV.

Graubereich und Gesamtwürdigung des Gläubigerinteresses

1.

Eignung und Zuverlässigkeit des Schuldners

Nach dieser Abschichtung verbleiben die Anträge bzw. Sachverhalte, die nicht optimal ins 32 Bild des eigenverwaltungstauglichen Verfahrens passen und auch nicht mit einstimmiger Unterstützung oder Ablehnung durch einen vorläufigen Gläubigerausschuss die Hürde ins Eigenverwaltungsverfahren nehmen oder reißen. Die Chancen für eine Eigenverwaltung dürften hier für den Schuldner schlechter geworden sein, sind doch nun Kontraindikatoren ausdrücklich in § 270b Abs. 2 InsO gesetzlich festgeschrieben und den Gerichte einheitlich zur Beachtung aufgegeben. Eine Eigenverwaltung könnte in diesen Fällen nur angeordnet werden, wenn trotz der vom 33 Schuldner mitgeteilten Umstände und der vom vorläufigen Sachwalter beigetragenen Erkenntnisse zu erwarten wäre, dass der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubiger auszurichten. Das Gericht hat hier eine Gesamtwürdigung des Sachverhalts vorzunehmen.10) Es hat hierzu 34 sämtliche relevanten Umstände zu ermitteln und seiner Entscheidung zugrunde zu legen.11) Hat das Gericht, was sicherlich der Ausnahmefall sein wird, ohne bindendes Gläubigervotum eine vorläufige Eigenverwaltung zugelassen, werden die i. R. des Eröffnungsverfahrens gewonnenen Erkenntnisse nun den Ausschlag geben. Wurde dem Schuldner schon die vorläufige Eigenverwaltung nicht gewährt, bestehen schon mangels Bewährung im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren kaum Chancen auf eine Eigenverwaltung im eröffneten Verfahren. Im Ergebnis wird es bei der Eigenverwaltungswürdigkeit, die ja auf Sachverhalte der Ver- 35 gangenheit abstellt, insbesondere darauf ankommen, 

weshalb und in welchem Umfang es zu Zahlungsrückständen oder Verstößen gegen gesetzliche Pflichten gekommen ist,



ob sich diese auf den Restrukturierungsprozess auswirken können und den Erfolg in Frage stellen können,



ob weitere Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften im eröffneten Verfahren durch geeignete Maßnahmen ausgeschlossen sind.

___________ 10) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205. 11) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205.

Neußner

273

§7

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

36 Die Kontraindikationen verlieren i. R. der Gesamtwürdigung dann an Gewicht, wenn Maßnahmen getroffen sind, die ihnen die Tragfähigkeit für eine negative Prognose nehmen.12) In Betracht kommen hier personelle und organisatorische Maßnahmen.13) So ist die Sicherstellung der Erfüllung der insolvenzrechtlichen Pflichten an sich schon i. R. der Eigenverwaltungsplanung darzustellen (§ 270a Abs. 1 Nr. 4 InsO). Die Zuverlässigkeit des Schuldners kann über die eingekaufte Expertise der Berater oder durch eine Ergänzung oder Neubesetzung der Geschäftsleitung für die Zukunft wiederhergestellt sein. 37 Wenn § 270b Abs. 2 Nr. 1 InsO weiter auf Zahlungsrückstände abstellt, ist sicherlich von Relevanz, in welcher Höhe diese bestehen, über welchen Zeitraum sie aufgelaufen sind, ob Gespräche mit den Gläubigern stattgefunden haben, Stundungsvereinbarungen getroffen wurden etc. Für eine Eigenverwaltungsunwürdigkeit i. S. einer Unzuverlässigkeit spricht der Rückstand dann nicht, wenn der Schuldner sich nicht in Verzug befindet. Entsprechend verlangt auch § 270a Abs. 2 Nr. 1 InsO nur die Angabe von Verbindlichkeiten, mit denen sich der Schuldner in Verzug befindet, der allerdings wohl im Lichte des § 270b Abs. 2 InsO auszulegen ist.14) Auch die Bereitschaft der konkret betroffenen Gläubiger, eine Lösung der Krise wie vom Schuldner angestrebt, mitzutragen, wird sicherlich eine Rolle spielen. Selbst „erhebliche“ Zahlungsrückstände gegenüber den an dieser Stelle relevanten Gläubigern relativieren sich, wenn der Schuldner nachweisen kann, dass aufgrund der geführten Verhandlungen mit diesen Gläubigern und mit Blick auf die zur Finanzierung des Geschäftsbetriebs getroffenen Maßnahmen eine Fortführung des Unternehmens überwiegend wahrscheinlich erscheint.15) 38 Auch Vollstreckungs- und Verwertungssperren sollte kein allzu großes Gewicht zukommen, schon gar nicht Restrukturierungsversuchen nach dem StaRUG. Hier wird es eher auf das aktuelle Restrukturierungskonzept ankommen und die Gründe für das Scheitern früherer Versuche. Wie bei den Aufhebungsgründen klarer formuliert, muss maßgeblich sein, ob das Eigenverwaltungsziel, die angestrebte Sanierung aussichtsreich erscheint (§ 270e Abs. 1 Nr. 3 InsO) oder ob der Schuldner auf Kosten der Gläubiger weiter das endgültige Aus seines Unternehmens hinauszuzögern versucht. 39 Ebenso kann es bei den Offenlegungspflichten objektive bzw. nachvollziehbare Gründe geben, weshalb es hier zu einer Verzögerung gekommen ist. So kann z. B. ein aufgestellter Jahresabschluss für das der Antragstellung vorangehende Jahr wegen einer noch nicht abgeschlossenen Prüfung nicht fristgerecht offengelegt worden sein.16) In diesem Fall spricht nichts gegen die Fähigkeit und den Willen des Schuldners, seinen gesetzlichen Pflichten nachzukommen und die Gläubigerinteressen in einem Restrukturierungsverfahren zu wahren.17) Zugunsten des Schuldners spricht weiter das Nachholen der versäumten Pflichten vor Antragstellung.18) Mit der Vorbereitung des Eigenverwaltungsantrags getroffene Maßnahmen personeller und organisatorischer Art werden auch hier der wichtigste Aspekt sein, den früheren Pflichtverletzungen die Tragfähigkeit für eine negative Beurteilung zu nehmen.19)

___________ 12) 13) 14) 15) 16) 17) 18) 19)

Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205. Thole, NZI Beilage z. Heft 5/2021, S. 90, 92; Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 270a Rz. 21. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205.

274

Neußner

Anordnungsvoraussetzungen und nachträgliche Anordnung 2.

§7

Fehlende Durchfinanzierung und wesentliche Mehrkosten

Die fehlende Durchfinanzierung der Unternehmensfortführung und der Kostendeckung 40 wird allerdings regelmäßig ein ausschlaggebender Umstand sein, da er sich doch typischerweise auf den Erfolg des Restrukturierungsvorhabens und die Gläubigerbefriedigung auswirken wird. Wenn die Durchfinanzierung der ersten Monate des Verfahrens unter Insolvenzbedingungen nicht gesichert ist, kommt an sich als Ziel der Eigenverwaltung nur eine zügige übertragende Sanierung oder ggf. eine kurzfristige Planlösung im eröffneten Verfahren über einen Pre-Packaged Plan in Betracht. Im Falle einer angestrebten übertragenden Sanierung wird der Blick dann allerdings darauf zu richten sein, weshalb diese vom Eigenverwalter und nicht von einem Insolvenzverwalter im Regelverfahren umgesetzt werden soll. Vor allem wenn die Eigenverwaltung voraussichtlich mit Mehrkosten einhergeht. Mehrkosten der Eigenverwaltung verweisen das Verfahren nur dann in den Graubereich, 41 wenn sie die voraussichtlichen Kosten eines Regelverfahrens „in wesentlicher Weise“ überschreiten (§ 270b Abs. 2 InsO). Aus § 270a Abs. 1 Nr. 5 InsO folgt, dass es für die Beurteilung, ob die Überschreitung noch unwesentlich oder doch wesentlich ist, auf das Verhältnis zur Insolvenzmasse ankommt. Es wird somit nicht um absolute Beträge, sondern um relative, prozentuale Werte gehen.20) Im Übrigen schweigen das Gesetz sowie die Gesetzesbegründung dazu, welche Abweichung hier noch als unkritisch zu betrachten ist. Vorgeschlagen wird hier von ersten Stimmen zum neuen Recht als Richtgröße ein Schwel- 42 lenwert von 10 %.21) Dieser Schwellenwert erscheint an dieser Stelle zu niedrig angesetzt. Die 10 %-Grenze wendet der BGH bei der Abgrenzung von Zahlungsfähigkeit und Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO an.22) Eine Liquiditätslücke von weniger als 10 % der fälligen Gesamtverbindlichkeiten bedeutet noch keine Zahlungsunfähigkeit. Auch wenn Bezugsgrund und Zweck der Festlegung dieser Größe ein anderer sind, sollte doch nicht unberücksichtigt bleiben, dass sowohl der Gesetzgeber der InsO als auch der BGH bis zur Schwelle von 10 % von einer „ganz geringen bzw. geringfügigen Liquiditätslücke“ spricht.23) Einen niedrigeren Schwellenwert als 10 % versteht er bereits als zu starke Annäherung an ein rigoroses „Null-Toleranz-Prinzip“. Der vom Gesetzgeber gewollte Spielraum könnte praktisch keine Wirkung mehr entfalten.24) Wenn nun § 270b Abs. 2 InsO ausdrücklich eine Überschreitung der voraussichtlichen 43 Kosten des Regelverfahrens „in wesentlicher Weise“ verlangt, sollte diese sich daher eher an der früheren Rechtsprechung und Literatur zum Nachteilsbegriff orientieren.25) So hat bspw. das AG Freiburg bei einer Überschreitung von mehr als 30 % konkrete Anhaltspunkte für erhebliche Nachteile für die Gläubiger angenommen.26) Das AG Aachen hatte sich mit Mehrkosten von über 24% zu befassen und Nachteile für die Gläubiger gesehen, vor allem auch unter dem Aspekt unzureichender Darlegungen zur Finanzierung der Beraterkosten.27) Wie schwer schon überhaupt die Kalkulation und Gegenüberstellung der vo-

___________ 20) 21) 22) 23) 24) 25) 26) 27)

Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 760; Ellers in: BeckOK-InsR, § 270b InsO Rz. 22. Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 760; Ellers in: BeckOK-InsR, § 270b InsO Rz. 22. BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, NZI 2005, 547. BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, NZI 2005, 547, 550; Begr. RegE z. § 20 und § 21 InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 114. BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, NZI 2005, 547, 550. Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 270b Rz. 21. AG Freiburg v. 1.5.2015 – 58 IN 37/15, ZIP 2015, 2238. AG Aachen v. 1.12.2017 – 92 IN 187/17, Rz. 8, BeckRS 2017, 140125.

Neußner

275

§7

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

raussichtlichen Kosten einer Eigen- oder Fremdverwaltung sind, zeigt die Entscheidung des AG Köln, das sich mit einer Kostenüberschreitung von „15 bis 52 %“ zu befassen hatte.28) 44 Letztlich wird es auf jeden Einzelfall ankommen. Wichtig ist an dieser Stelle auch der Hinweis des Gesetzgebers, dass Mehrkosten der Eigenverwaltung durch erwartbare Vorteile einer Eigenverwaltung, die sich die Kenntnisse und Erfahrungen der bisherigen Geschäftsführung zunutze machen kann, kompensiert werden können.29) 45 Der Blick muss somit weiter sein. Es geht nicht nur um die prognostizierten Kosten beider Verfahrensarten, sondern vor allem auch um das über eine Eigenverwaltung insbesondere i. V. m. einem Restrukturierungsplan erreichbare Ziel. Jede Planlösung wird mit dem Anspruch gestrickt, Gläubiger nicht schlechterzustellen als im Regelverfahren. Ist dies aber das realistische Ziel, kann einer isolierten Betrachtung von Mehrkosten der Eigenverwaltung an sich keine Bedeutung mehr zukommen, wenn diese z. B. durch Beiträge ausgeglichen werden, die nur im Planverfahren für Gläubiger zur Verfügung gestellt werden. Werden sich die Mehrkosten einer Eigenverwaltung bei der Quote nicht niederschlagen aufgrund sonstiger Zuflüsse, spricht dieser Aspekt auch nicht gegen die Eigenverwaltung. 46 Letztlich wird es am Ende in der Praxis stets darauf ankommen, ob die Gläubiger das Restrukturierungsvorhaben mittragen. Der Mehrwert der ausführlichen Normierung bei den Zugangsvoraussetzungen zur (vorläufigen) Eigenverwaltung scheint daher tatsächlich gering bzw. mit Blick auf mittlere und kleinere Unternehmen die Tür zur Eigenverwaltung eher weiter geschlossen zu haben. Große Verfahren ohne Kontraindikatoren aufgrund frühzeitig eingeholter Beratung und noch hinreichender Liquidität werden auch von den Gläubigern unterstützt werden. Über Verfahren im Graubereich haben die Gläubiger zu entscheiden. Ohne das einstimmige Votum eines vorläufigen Gläubigerausschusses werden Schuldner bei Eingreifen von nun festgeschriebenen Kontraindikatoren wohl kaum noch Zugang zur (vorläufigen) Eigenverwaltung erhalten. Flöther

V.

Nachträgliche Anordnung

1.

Sinn und Zweck

47 Ziel der Regelung des § 271 InsO ist die Förderung der Gläubigerautonomie.30) Die Vorschrift sieht vor, dass trotz einer Ablehnung des schuldnerischen Antrages auf Eigenverwaltung durch das Insolvenzgericht auf Antrag der Gläubigerversammlung die Eigenverwaltung nachträglich angeordnet werden kann. Von den Änderungen des SanInsFoG31) ist die Vorschrift unberührt geblieben. Der Wille der Gläubigerversammlung verdrängt die durch das SanInsFoG verschärften Voraussetzungen für die Anordnung der Eigenverwaltung gemäß § 270a InsO. Dass die bei Insolvenzantragstellung geltenden erhöhten Voraussetzungen für die Anordnung der Eigenverwaltung bei der nachträglichen Anordnung außer Betracht bleiben können, ist auch sachgerecht, da es den Gläubigern freisteht, auf diese strengen Anforderungen an die Eigenverwaltung, die ihrem Schutz dienen sollen, zu verzichten. Das prüfende Gericht soll sich nicht über den Willen der Gläubigerversammlung hinwegsetzen können.32) Damit trifft das Insolvenzgericht bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur eine vorläufige Entscheidung darüber, ob die Eigenverwaltung angeord___________ 28) 29) 30) 31)

AG Köln v. 15.11.2017 – 74 IN 103/16, NZI 2018, 210, 211. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 206. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 223. Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256. 32) Dietrich, Die Eigenverwaltung als Sanierungsweg, S. 50.

276

Flöther

Anordnungsvoraussetzungen und nachträgliche Anordnung

§7

net wird oder nicht,33) während die Gläubigerversammlung endgültig über diese Frage zu entscheiden hat. Insofern zeigt die Vorschrift des § 271 InsO Parallelen zu den Regelungen der §§ 57, 68 InsO, die der Gläubigerversammlung die Möglichkeit einräumen, einen anderen als den vom Gericht eingesetzten Insolvenzverwalter zu wählen bzw. über die Beibehaltung oder Änderung der Zusammensetzung eines bereits bestellten Gläubigerausschusses zu bestimmen. Flöther

2.

Voraussetzungen

2.1

Entscheidungsgrundlage für die Gläubigerversammlung

Um überhaupt in die Lage eines Antrages nach § 271 InsO durch die Gläubigerversamm- 48 lung zu gelangen, wird in aller Regel nicht schon zuvor ein unterstützender einstimmiger Antrag des vorläufigen Gläubigerausschusses vorgelegen haben, der das Gericht nach § 270b Abs. 3 Satz 3 InsO an die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung gebunden hätte. Im Falle eines einstimmig ablehnenden Beschlusses des vorläufigen Gläubigerausschus- 49 ses nach § 270b Abs. 3 Satz 4 InsO könnte die Gläubigerversammlung nach § 271 InsO zwar dennoch die nachträgliche Anordnung der Eigenverwaltung bewirken. Dies wird jedoch aufgrund der paritätischen Besetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses eher unwahrscheinlich sein, da die in § 271 InsO genannten Mehrheiten wohl nicht erreicht werden können. Weicht das Gericht von dem schuldnerischen Antrag auf Anordnung der vorläufigen Eigen- 50 verwaltung ab, ohne dass ein einstimmiger Beschluss des vorläufigen Gläubigerausschusses auf Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung vorliegt, und bestellt daher nach § 270b Abs. 4 Satz 1 InsO einen vorläufigen Insolvenzverwalter, hat es diese Entscheidung zu begründen.34) Das ermöglicht es der Gläubigerversammlung, auf Basis der Begründung zu entscheiden, ob eine nachträgliche Anordnung der Eigenverwaltung gemäß § 271 InsO erfolgen soll.35) Diese Begründung kann die Entscheidungsgrundlage für die Gläubigerversammlung sein, um die mit der Eigenverwaltung möglicherweise einhergehenden Risiken zu bewerten. 2.2

Antrag der Gläubigerversammlung

Das Recht, die nachträgliche Anordnung der Eigenverwaltung gemäß § 271 InsO zu ver- 51 langen, liegt allein bei der Gläubigerversammlung. Zunächst bedarf es dafür eines Antrages der Versammlung auf Anordnung der Eigenverwaltung. Für den nachträglichen Antrag der Gläubigerversammlung ist es nach § 271 InsO notwendig, die Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 InsO zu erfüllen. Mithin bedarf es neben der Mehrheit der Forderungssummen der Gläubiger (Summenmehrheit) auch der Mehrheit der abstimmenden Gläubiger (Kopfmehrheit), so dass einzelne Großgläubiger nicht gegen die Interessen und den Willen der (Personen-)Mehrheit der an der Gläubigerversammlung teilnehmenden Gläubiger die Anordnung der Eigenverwaltung erzwingen können.36) Dennoch haben einzelne Großgläubiger, sofern sie über die Summenmehrheit verfügen, weiterhin die Möglichkeit, die nachträgliche Anordnung der Eigenverwaltung wider dem Interesse der übrigen Gläubiger zu verhindern. Insbesondere durch Absonderungsrechte ausreichend gesicherte Großgläubiger könnten geneigt sein, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, da sie häufig kein ___________ 33) 34) 35) 36)

Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 223. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 206. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 206. Begr. RegE ESUG, BR-Drucks. 127/11, S. 61.

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277

§7

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

Interesse an einer – ggf. sogar Erfolg versprechenden – Eigenverwaltung haben und oft (auch) im Regelinsolvenzverfahren eine schnellere Realisierung ihrer Sicherheiten erreichen. 52 Ein schriftlicher Antrag der Gläubigerversammlung ist nicht erforderlich, da der Antrag in der Gläubigerversammlung protokolliert wird.37) 53 Darüber hinaus kann und sollte die Gläubigerversammlung im Antrag entsprechend §§ 270, 57 InsO die Person des Sachwalters vorschlagen.38) 54 Fraglich ist, ob sie eine Verpflichtung zur Benennung der Person des Sachwalters hat.39) Eine solche Verpflichtung will Foltis aus den § 270 Abs. 1 Satz 2, § 57 Satz 1 InsO herleiten.40) Dies überzeugt nicht. Vielmehr ist die Verweisung so zu verstehen, dass die Gläubigerversammlung ihren Antrag auch ohne Vorschlag eines bestimmten Sachwalters stellen kann.41) Erst in der darauffolgenden Versammlung sind die Gläubiger nach §§ 274 Abs. 1, 57 Satz 1 InsO berechtigt, einen neuen Sachwalter zu wählen. Sie haben also keine Verpflichtung, wohl aber die Möglichkeit, die Person des Sachwalters bei Antragstellung vorzuschlagen.42) 55 Das Gericht ist an einen einstimmigen Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses gemäß §§ 274 Abs. 1, 56a Abs. 2 InsO gebunden, sofern die ausgewählte Person für das Amt des Sachwalters geeignet erscheint. Wenn der Gesetzgeber aber eine Bindung an den einstimmigen Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses anordnet, stellt sich die Frage, ob das dann nicht erst recht für einen Vorschlag der Gläubigerversammlung gilt. Das Gesetz sieht dazu keine Regelung vor. 56 Jedenfalls bei Einstimmigkeit oder im Fall des Erreichens der Kopf- und Summenmehrheit i. S. des § 271 Satz 1 InsO bezogen auf sämtliche Gläubiger, die Forderungen angemeldet haben, sollte ein Vorschlag der Gläubigerversammlung das Gericht bei der Einsetzung des Sachwalters binden. Wenn das Gericht bereits an einen einstimmigen Beschluss des vorläufigen Gläubigerausschusses, der ein bloßes Abbild der Gläubigerstruktur darstellt, gemäß §§ 270 Abs. 1, 56a Abs. 2 InsO gebunden ist, so sollte dies erst recht gelten, wenn später die Gesamtheit der Gläubiger, mithin die Gläubigerversammlung, eine Entscheidung über die Person des Sachwalters trifft. 57 Dadurch ist ein übermäßiger Einfluss von Großgläubigern nicht zu befürchten, so dass auch dem Minderheitenschutz genüge getan ist. Es wäre unzweckmäßig und weder einer Sanierung noch einer Unternehmensfortführung förderlich, wenn das Gericht gegen den offensichtlichen Willen der Gläubigermehrheit einen Sachwalter einsetzen kann, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von der darauffolgenden Gläubigerversammlung nach §§ 270 Abs. 1 Satz 2, 57 Satz 1 InsO wieder abgewählt wird. Spräche man sich gegen ein bindendes Vorschlagsrecht der Gläubigerversammlung aus, würde dies die Durchsetzung des Gläubigerwillens durch das Gericht nicht verhindern. Die gerichtliche Entscheidung würde allenfalls zu einer Verzögerung im Verfahren führen. 58 Diese Situation wäre einem zügigen Sanierungsprozess abträglich. Gerade die Zeit spielt jedoch für die Sanierung von Unternehmen eine wesentliche Rolle. Ein schneller Ablauf ___________ 37) Ellers in: BeckOK-InsR, § 271 InsO Rz. 4; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 271 Rz. 2; Kern in: MünchKomm-InsO, § 271 Rz. 19. 38) Wehdeking in: Flöther/Smid/Wehdeking, Kap. 2 Rz. 69. 39) So Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 271 Rz. 6. 40) Foltis bezieht sich zwar auf § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO a. F., da der § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO n. F. diesem allerdings wortgleich ist, lässt sich dessen Argumentation hier übertragen; Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 271 Rz. 6. 41) Vgl. Kern in: MünchKomm-InsO, § 271 Rz. 18. 42) Kern in: MünchKomm-InsO, § 271 Rz. 18; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 271 Rz. 2.

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Flöther

Anordnungsvoraussetzungen und nachträgliche Anordnung

§7

des Prozesses bietet daher die besten Chancen für eine erfolgreiche Sanierung. Weiterhin haben sowohl die Gläubiger als auch der Schuldner selbst regelmäßig erhebliches Interesse an einer Personenkontinuität. Der Austausch der Person des Sachwalters birgt stets das Risiko von Reibungsverlusten, da sich eine neue Person, die nunmehr als Sachwalter fungieren soll, zunächst in das laufende Verfahren einarbeiten muss. Hatte zunächst eine andere Person die Position des Sachwalters inne, die offensichtlich mit der nächsten Gläubigerversammlung abgewählt werden wird, so leidet im Endeffekt die Effizienz des Verfahrens hierunter. Um dies zu vermeiden, sollte, den Grundgedanken des § 56a Abs. 2 InsO aufgreifend, deshalb zumindest unter den oben genannten Voraussetzungen der Vorschlag der Gläubigerversammlung bezüglich der Person des Sachwalters als bindend angesehen werden. Eine Ablehnung sollte nur möglich sein, wenn die vorgeschlagene Person für das Amt ungeeignet erscheint.43) 2.3

Zustimmung des Schuldners zur Anordnung der Eigenverwaltung

Hat die Gläubigerversammlung die nachträgliche Anordnung beantragt, so bedarf es nach 59 § 271 Satz 1 letzter Halbs. InsO der Zustimmung des Schuldners. Eine solche Zustimmung schützt davor, dass der Schuldner, der zunächst einen Antrag 60 auf Eigenverwaltung gestellt hat, an diesem gegen seinen Willen festgehalten und in das Eigenverwaltungsverfahren gezwungen wird, obwohl er direkt nach dessen Anordnung einen Antrag auf Aufhebung des Verfahrens nach § 272 Abs. 1 Nr. 5 InsO stellen könnte. Aus diesem Grund fordert ein Großteil der Literatur, dass sich das Gericht über die Bereitschaft des Schuldners zur Eigenverwaltung zu informieren hat.44) Die Zustimmung des Schuldners kann schriftlich oder mündlich gegenüber dem Insolvenz- 61 gericht erfolgen.45) Sie kann vor oder nach der Gläubigerversammlung erteilt werden. Die Rücknahme der Zustimmung ist bis zur Anordnung der Eigenverwaltung möglich.46) Nach Anordnung der Eigenverwaltung muss der Schuldner einen Antrag nach § 272 Abs. 1 Nr. 5 InsO stellen bzw. ist ein Widerruf der Erklärung in diesem Fall als Antrag nach § 272 Abs. 1 Nr. 5 InsO auszulegen.47) Hat der Schuldner bereits einen Antrag auf Eigenverwaltung gestellt und wurde dieser vom Gericht abgelehnt, genügt es, wenn der Schuldner erklärt, dass er seinen Antrag aufrechterhält.48) 3.

Verfahren

Das Gericht entscheidet durch Beschluss. Zuständig ist das Insolvenzgericht. Die funk- 62 tionelle Zuständigkeit liegt grundsätzlich beim Rechtspfleger (§ 18 RPflG). Sofern die Eigenverwaltung aber dem gesetzgeberischen Leitbild entsprechend mit einem Insolvenzplanverfahren verbunden ist, liegt die Zuständigkeit beim Richter (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG). Es sollten Datum und Stunde der Anordnung der Eigenverwaltung genannt werden, um Probleme bei der Feststellung der Wirksamkeit von Rechtshandlungen zu vermeiden.49)

___________ 43) So auch Ellers in: BeckOK-InsR, § 271 InsO Rz. 16. 44) Brünkmans in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 271 Rz. 3; Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 271 Rz. 8; Kern in: MünchKomm-InsO, § 271 Rz. 28. 45) Undritz in: K. Schmidt, InsO, § 271 Rz. 4; zur schriftlichen Zustimmung als zweckmäßigere Alternative Holzer in: KPB, InsO, § 271 Rz. 11. 46) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 271 Rz. 3. 47) Ellers in: BeckOK-InsR, § 271 InsO Rz. 11; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 271 Rz. 3. 48) Ellers in: BeckOK-InsR, § 271 InsO Rz. 10; Kern in: MünchKomm-InsO, § 271 Rz. 15. 49) Brünkmans in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 271 Rz. 4; Kern in: MünchKomm-InsO, § 271 Rz. 30.

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§7

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

63 Der Beschluss ergeht ohne Ermessen des Gerichtes, weil es an den Antrag der Gläubigerversammlung gebunden ist. Das Gericht prüft lediglich, ob der Beschluss ordnungsgemäß zustande gekommen ist und nicht materiell nichtig ist.50) 64 Gemäß § 273 InsO ist der Beschluss öffentlich bekannt zu machen. Es gilt § 9 InsO, so dass eine zentrale und länderübergreifende Veröffentlichung im Internet51) zu erfolgen hat.52) Zudem muss entsprechend §§ 31 ff. InsO eine Korrektur von Register- und Grundbucheintragungen erfolgen.53) 65 Eine Zustellung des Beschlusses über die Anordnung der Eigenverwaltung ist nicht zwingend notwendig. Sie empfiehlt sich aber, weil sowohl Gläubiger und Schuldner, als auch Sachwalter und der ehemalige Insolvenzverwalter darüber in Kenntnis zu setzen sind.54) 4.

Bestellung eines Sachwalters

66 Zunächst einmal besteht keine Verpflichtung des Gerichtes, einen bestimmten Sachwalter einzusetzen, es sei denn, es liegt ein einstimmiger Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses gemäß §§ 274 Abs. 1, 56a Abs. 2 InsO oder ein Vorschlag der Gläubigerversammlung mit den erforderlichen Mehrheiten vor (siehe Rz. 55 f.). Das Gericht ist auch nicht verpflichtet, den bisherigen Insolvenzverwalter zum Sachwalter zu bestellen (§ 271 Satz 2 InsO). Dennoch wird sich dies aufgrund der besseren Sachverhaltskenntnis des bereits in den Fall eingearbeiteten Insolvenzverwalters häufig nicht nur anbieten, sondern aufgrund des mit der Personenkontinuität einhergehenden Vertrauens der Regelfall sein.55) Etwas anderes dürfte in Fällen gelten, in denen das Gericht bei Einleitung des Verfahrens die Anordnung der Eigenverwaltung ablehnt und einen eher dem Regelinsolvenzverfahren zugewandten Insolvenzverwalter „seines Vertrauens“ bestellt hat, der aber nicht das Vertrauen der Gläubiger genießt, die sich (mehrheitlich) für die Eigenverwaltung aussprechen. 5.

Rechtsfolgen

67 Rechtshandlungen, die vom Insolvenzverwalter bis zur nachträglichen Anordnung der Eigenverwaltung vorgenommen wurden, bleiben wirksam.56) Somit bleiben auch durch ihn begründete Masseverbindlichkeiten bestehen. Zeigt der Sachwalter die Masseunzulänglichkeit an, haftet der bisherige Insolvenzverwalter nach den allgemeinen Vorschriften.57) 68 Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens werden Prozesse gemäß § 240 ZPO unterbrochen und können bis zur nachträglichen Anordnung der Eigenverwaltung vom Insolvenzverwalter aufgenommen werden. Unproblematisch ist es, wenn ein Prozess unterbrochen bleibt und nicht vom Insolvenzverwalter aufgenommen wurde. Dann ist es ab Anordnung der Eigenverwaltung Sache des Schuldners, den Prozess wieder aufzunehmen.58) Bei anhängigen Prozessen, die der Insolvenzverwalter bereits aufgenommen hatte, verliert dieser die Prozessführungsbefugnis. Sie geht mit Anordnung der Eigenverwaltung wieder auf den Schuldner ___________ 50) 51) 52) 53) 54) 55) 56) 57) 58)

280

Ellers in: BeckOK-InsR, § 271 InsO Rz. 13 f.; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 271 Rz. 5. Abrufbar unter: www.insolvenzbekanntmachungen.de. Kern in: MünchKomm-InsO, § 273 Rz. 8. Brünkmans in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 273 Rz. 2; Fiebig in: HambKomm-InsO, § 273 Rz. 2; Kern in: MünchKomm-InsO, § 273 Rz. 9. Holzer in: KPB, InsO, § 273 Rz. 2; Kern in: MünchKomm-InsO, § 273 Rz. 10. Brünkmans in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 271 Rz. 8; Riggert in: Nerlich/Römermann, InsO, § 271 Rz. 6. Fiebig in: HambKomm-InsO, § 271 Rz. 11; Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 142. Fiebig in: HambKomm-InsO, § 271 Rz. 13. Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 139.

Flöther

Anordnungsvoraussetzungen und nachträgliche Anordnung

§7

über (bei Anfechtungsprozessen auf den Sachwalter).59) Für einen geordneten Übergang der Prozessführungsbefugnis findet eine Unterbrechung des Prozesses statt.60) Über das Erfordernis einer solchen Unterbrechung besteht allgemeine Einigkeit, während die Rechtsgrundlage derselben umstritten ist (§ 241 ZPO analog61) oder § 239 ZPO analog62)). Fest steht jedenfalls, dass der Schuldner wegen des Gebotes der Waffengleichheit nicht unmittelbar in den Prozess eintreten muss.63) 6.

Rechtsmittel

Grundsätzlich ist für einzelne Gläubiger gegen die nachträgliche Anordnung der Eigen- 69 verwaltung kein Rechtsmittel vorgesehen. Dies ergibt sich aus § 6 Abs. 1 InsO. Bei der nachträglichen Anordnung, die regelmäßig der Rechtspfleger trifft (eine Ausnahme 70 gilt im Fall der Verbindung mit einem Insolvenzplanverfahren gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG), kommt auch die Rechtspflegererinnerung nach § 11 Abs. 2 RPflG nicht in Betracht.64) Grund dafür ist, dass das Gericht nicht nach eigenem Ermessen entscheidet, sondern aus Gründen der Gläubigerautonomie an die Entscheidung der Gläubigerversammlung gebunden sein soll. Würde man die Rechtspflegererinnerung zulassen, könnte die Entscheidung der Gläubigerversammlung umgangen und die Gläubigerautonomie ausgehebelt werden.65) Den Gläubigern bliebe aber die Möglichkeit, einen Antrag nach § 78 InsO zu stellen, um 71 die Entscheidung der Gläubigerversammlung hinsichtlich der nachträglichen Anordnung der Eigenverwaltung anzufechten.66) Schließlich ist der Beschluss nach § 271 InsO auf die Durchführung eines vom Regelfall abweichenden Verfahrens gerichtet und bringt durch den Wechsel der Verfahrensart hin zur Eigenverwaltung andere verfahrensrechtliche Regularien für die Gläubiger mit sich, die diese allerdings bereitwillig in Kauf nehmen.67) Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zum Schuldner zurückfällt und dem Sachwalter lediglich überwachende Aufgaben übertragen werden. Nach dem BGH verbietet sich eine Anwendung des § 78 InsO für den Fall der Aufhebung der Eigenverwaltung nach § 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO allerdings, da die Gläubigerversammlung das letztentscheidende Organ sein soll.68) Mit der Möglichkeit des Rechtsbehelfs nach § 78 InsO würde die Gläubigerversammlung gezwungen, ihre Entscheidung zu begründen, obwohl dies gesetzlich nicht vorgesehen ist. Anderweitig wäre es für das Gericht gar nicht möglich, die Interessen der Gläubiger zu ermitteln. Dieser Gedankengang des BGH könnte ___________ 59) Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 8, 15. 60) Hofmann Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 141; Schlegel, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 143. 61) Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 8.15. 62) Schlegel, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 143. 63) Zur Notwendigkeit der Verfahrensunterbrechung im Regelinsolvenzverfahren für die Herstellung der Waffengleichheit Smid, Grundzüge des Insolvenzrechts, § 8 Rz. 22. 64) Brünkmans in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 271 Rz. 5; Kern in: MünchKomm-InsO, § 271 Rz. 37; a. A. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 271 Rz. 11; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 271 Rz. 8. 65) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 271 Rz. 11; Holzer in: KPB, InsO, § 271 Rz. 14. 66) Dafür: Fiebig in: HambKomm-InsO, § 271 Rz. 7; Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 271 Rz. 5; Holzer in: KPB, InsO, § 271 Rz. 18; Undritz in: K. Schmidt, InsO, § 271 Rz. 3; für diese Ansicht spricht auch die Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 223; dagegen: Ellers in: BeckOK-InsR, § 271 InsO Rz. 8; Kern in: MünchKomm-InsO, § 271 Rz. 20 ff.; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 271 Rz. 8; ebenso wohl BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, ZIP 2011, 1622. 67) Holzer in: KPB, InsO, § 271 Rz. 19. 68) BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, ZIP 2011, 1622, 1624 m. Anm. Flöther/Gelbrich.

Flöther

281

§7

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

sodann auch auf die vorliegende Konstellation der nachträglichen Anordnung der Eigenverwaltung nach § 271 InsO übertragen werden. 72 Dem Gesetz nach obliegt aber die Entscheidung über die nachträgliche Anordnung der Eigenverwaltung allein der Gläubigerversammlung, die ihre Entscheidung nicht zu begründen hat, und nicht dem Gericht. Zwar mag die Anwendung des § 78 Abs. 1 InsO in diesen Fällen die Gläubigerautonomie schwächen, da die Entscheidung der Gläubiger nunmehr angreifbar ist, jedoch gilt die Gläubigerautonomie nicht uneingeschränkt – insbesondere nicht vor dem Hintergrund eines Minderheitenschutzes.69) Schließlich wird andererseits die Stellung einzelner Gläubiger durch die Möglichkeit des Rechtsbehelfs aus § 78 InsO gestärkt. Auch dient die Anwendung des § 78 InsO der Verhinderung von Missbrauchsfällen.70) Der Gesetzgeber spricht sich auch systematisch weiterhin für eine allgemeine Geltung des § 78 InsO aus, sodass eine Einschränkung des Anwendungsbereichs zugunsten der Gläubigerautonomie nicht vorgenommen wurde.71) 73 Sofern der Beschluss den gemeinsamen Interessen der Gläubiger widerspricht, ist der Antrag nach § 78 InsO erfolgreich. Die Prüfung des Antrags und damit die Bestimmung des gemeinsamen Interesses der Gläubiger hat sich nach den zu § 78 InsO und § 272 InsO entwickelten Kriterien zu richten.72) Ferner muss der Antrag zur Verhinderung eines ständigen Wechsels der Verfahrensart in derselben Gläubigerversammlung gestellt werden und die Entscheidung des Gerichtes über den Antrag nach § 78 InsO noch vor der nachträglichen Anordnung der Eigenverwaltung ergehen.73) Nur so kann das Interesse der Gläubigerautonomie mit dem Interesse des Minderheitenschutzes wirksam in Einklang gebracht und dennoch ein reibungsloser Verfahrensablauf gewährleistet werden. 74 Gegen den Beschluss des Gerichts mit dem der Beschluss der Gläubigerversammlung aufgehoben wird, steht den Gläubigern nach § 78 Abs. 2 Satz 2 InsO die sofortige Beschwerde zur Verfügung. Wird der Antrag auf Aufhebung durch das Gericht abgelehnt, steht dem antragstellenden Gläubiger nach § 78 Abs. 2 Satz 3 InsO auch die sofortige Beschwerde zu. Soweit der Rechtspfleger die Entscheidung getroffen hat, ist die Rechtspflegererinnerung statthaft. 75 Überdies besteht nach Anordnung der Eigenverwaltung für den einzelnen Gläubiger stets noch die Möglichkeit der Aufhebung der Eigenverwaltung auf Antrag gemäß § 272 Abs. 1 Nr. 4 InsO (siehe auch Flöther, HRI II, § 14 Rz. 16 ff.).74)

___________ 69) 70) 71) 72) 73) 74)

282

BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, ZIP 2011, 1622, 1624 m. Anm. Flöther/Gelbrich. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 271 Rz. 5. So auch Undritz in: K. Schmidt, InsO, § 271 Rz. 3. Karg in: BeckOK-InsR, § 78 InsO Rz. 1 f.; Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 78 Rz. 10 ff. Kern in: MünchKomm-InsO, § 271 Rz. 38. So auch Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 271 Rz. 8.

Flöther

§8 Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners Bierbach

I.

Grundsätzliche Problemstellung und dogmatische Einordnung der Rechtsstellung des Schuldners .............................. 1 1. Problemstellung ........................................... 1 2. Dogmatische Einordnung; Rechtsstellung des Schuldners ............................... 7 II. Übersicht zur Aufgabenverteilung ......... 10 III. Die Rechte und Aufgaben des Schuldners im Einzelnen................... 11 1. Grundsatz ................................................... 13 2. Aufgaben der Betriebsfortführung ........... 17 2.1 Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis .......................................... 18 2.1.1 Verwaltungsbefugnis ..................... 18 2.1.2 Verfügungsbefugnis (§ 270 Abs. 1 InsO)....................... 21 2.2 Überwachung und Zustimmungspflichten .............................. 24 2.2.1 Überwachung durch den Sachwalter (§ 274 Abs. 2 Satz 1 InsO).............................................. 25 2.2.2 Kassenführung durch den Sachwalter (§ 275 Abs. 2 InsO) ........... 26 2.2.3 Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit (§ 277 InsO) ........... 27 2.2.4 Besonders bedeutsame Rechtshandlungen (§ 276 InsO).............. 29 2.2.5 Betriebsveräußerung...................... 36 2.2.6 Wirksamkeit der Schuldnerhandlung......................................... 37 2.2.7 Insolvenzzweckwidrige Verfügungen .................................. 38 2.3 Eingehen neuer Verbindlichkeiten (§§ 270 Abs. 1, 275 Abs. 1 InsO) .................................. 39 2.3.1 Verbindlichkeiten .......................... 41 2.3.2 Einholung von Zustimmungen..... 42 2.3.2.1 Widerspruchsrecht des Sachwalters (§ 275 Abs. 1 Satz 2 InsO).............................................. 44 2.3.2.2 Zustimmung des Sachwalters (§ 275 Abs. 1 Satz 1 InsO)............ 45 2.3.2.3 Zustimmung des Gläubigerausschusses (§ 276 InsO).............. 48 2.3.2.4 Zustimmungserfordernis nach § 277 InsO............................. 49 2.3.2.5 Wirksamkeit der Schuldnerhandlung......................................... 51 2.4 Arbeitgeberfunktion .................... 52 2.4.1 Befugnisse des Sachwalters ........... 53

2.4.2

3.

4.

Bierbach

Insolvenzrechtliche Implikationen ................................ 54 2.4.3 Sondervorschriften des Insolvenzarbeitsrechts ............ 56 2.4.3.1 Kompetenzen, die im Einvernehmen auszuüben sind (§ 279 Satz 2 InsO) ....................... 57 2.4.3.2 Kompetenzen, die nur mit Zustimmung ausgeübt werden können (§ 279 Satz 3 InsO).......... 62 2.5 Öffentlich-rechtliche Pflichten, Rechenschaftspflichten und Ordnungsvorschriften................... 71 2.6 Zielvorgaben und betriebswirtschaftliche Kontrolle ..................... 73 2.7 Betriebseinstellung ........................ 75 2.8 Kosteneinsparungen und Schadensminderungspflichten ...... 78 2.9 Sanierungsmaßnahmen.................. 81 2.10 Beauftragung von Beratern ........... 83 2.11 Versicherung von Vermögen ........ 90 2.12 Aufnahme von unterbrochenen Rechtsstreitigkeiten (§§ 85, 86 InsO), allgemeine Prozessführungsbefugnis........................... 91 2.13 Freigabe aus der Masse.................. 92 2.14 Kooperationspflichten in der Konzerninsolvenz, § 270g InsO ................................... 93 Gläubigerinformation (§ 281 InsO) ......... 94 3.1 Verzeichnis der Massegegenstände ........................................... 100 3.2 Gläubigerverzeichnis ................... 102 3.3 Vermögensübersicht.................... 104 3.4 Niederlegung ............................... 105 3.5 Berichterstattung......................... 107 3.5.1 Berichtstermin (§ 156 InsO) ...... 107 3.5.2 Inhalt des Berichts im Einzelnen .................................... 111 3.5.3 Allgemeine Auskunftspflicht...... 120 3.6 Rechnungslegung (§ 281 Abs. 3 InsO) ................................ 121 3.6.1 Schlussrechnungslegung ............. 121 3.6.2 Zwischenrechnungslegung.......... 123 3.7 Aufhebung der Eigenverwaltung (§ 272 InsO)............. 125 3.8 Planerstellung (§ 284 InsO) ....... 128 Insolvenzspezifische Gestaltungsrechte.... 133 4.1 Kompetenz des Schuldners......... 133 4.2 Einvernehmen mit dem Sachwalter............................................ 135

283

§8

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren 4.3 4.4

5.

6. 7.

Zustimmungserfordernis ........... 136 Die Gestaltungsrechte im Einzelnen ........................................... 137 Verwertung und Verteilung .................... 138 5.1 Verwertung von Sicherungsgut (§ 282 InsO) ................................ 138 5.2 Forderungsprüfung (§ 283 Abs. 1 InsO)................................ 144 5.3 Verteilung (§ 83 Abs. 2 InsO).... 148 Geltendmachung bestimmter Ansprüche ................................................ 151 Anzeige der Masseunzulänglichkeit und Führung der Tabelle der Massegläubiger ................................................... 154

8.

Mittel zur Lebensführung des Schuldners (§ 278 InsO)................... 159 9. Sonstige Aufgaben ................................... 163 IV. Informations- und Mitwirkungspflichten................................................... 165 V. Konsequenzen von Verstößen und Kompetenzüberschreitungen ................ 169 VI. Stellung der Organe des Schuldners .... 171 1. Haftung .................................................... 171 2. Kein Einfluss auf die Geschäftsleitung... 172 3. Vorwirkung .............................................. 179 4. Handlungsempfehlung für die Organe im Insolvenzfall........................................ 182 VII. Der Berater des Schuldners .................. 184

Literatur: Buchalik, Faktoren einer erfolgreichen Eigenverwaltung, NZI 2000, 294; Frind, Neue Gefahren für die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, ZInsO 2002, 745; Hofmann, Die Eigenverwaltung insolventer Kapitalgesellschaften im Konflikt zwischen Gesetzeszweck und Insolvenzpraxis, ZIP 2007, 260; Hölzle, Gesellschaftsrechtliche Veränderungssperre im Schutzschirmverfahren, ZIP 2012, 2427; Klöhn, Gesellschaftsrecht in der Eigenverwaltung, NZG 2013, 81; Köchling, Fremdverwaltung im Kostüm der Eigenverwaltung?, ZInsO 2003, 53; Noack, „Holzmüller“ in der Eigenverwaltung – Zur Stellung von Vorstand und Hauptversammlung im Insolvenzverfahren, ZIP 2002, 1873; Ströhmann/ Längsfeld, Die Geschäftsführungsbefugnis in der GmbH im Rahmen der Eigenverwaltung, NZI 2013, 271; Uhlenbruck, Zur Kollision von Gesellschafts- und Insolvenzrecht in der Unternehmensinsolvenz, in: Festschrift für Hans-Peter Kirchhof, 2003, S. 479; Uhlenbruck, Gefährdet die Eigenverwaltung insolventer Unternehmen die richterliche Unabhängigkeit?, NJW 2002, 3219; Zipperer, Die Einflussnahme der Aufsichtsorgane auf die Geschäftsleitung in der Eigenverwaltung – eine Chimäre vom Gesetzgeber, Trugbild oder Mischwesen?, ZIP 2012, 1492.

I.

Grundsätzliche Problemstellung und dogmatische Einordnung der Rechtsstellung des Schuldners

1.

Problemstellung

1 Die Eigenverwaltung, in der die Ziele und Wirkungen des Regelinsolvenzverfahrens grundsätzlich beibehalten werden, stellt v. a. an den eigenverwaltenden Schuldner ganz erhebliche Anforderungen. Eine erfolgreiche Eigenverwaltung setzt regelmäßig umfassende insolvenzrechtliche Kenntnisse entweder des Schuldners oder seiner Organe oder die Beauftragung entsprechender Berater voraus1). Vor allem muss erreicht werden, Vertrauen des Marktes in die Eigen-Sanierungsfähigkeit des Unternehmens und insbesondere in die Fähigkeiten der handelnden Personen herzustellen; sonst kann die Eigenverwaltung deutlich schlechtere Ergebnisse bringen als das Regelverfahren mit Einsetzung eines Insolvenzverwalters. 2 Die Inhaberschaft der grundsätzlichen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis stellt den rechtlich nicht versierten Schuldner vor mitunter unlösbare Aufgaben. Der Zeitdruck für Entscheidungen ist gleichzeitig groß. Fehlentscheidungen können die Sanierung und die Gläubigerbefriedigung insgesamt gefährden. Eine Gefährdung geht ebenso von ungeschicktem oder unsicherem Verhalten im Markt aus. 3 Auch führt die Inhaberschaft der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis in der Praxis unweigerlich zu erheblichen Konfliktsituationen für den eigenverwaltenden Schuldner, insbesondere wenn die Geschäftsführung im zeitlichen Zusammenhang mit der Antragstellung nicht wechselt oder die Geschäftsführer auch Gesellschafter sind. Je kleiner die zu verwal___________ 1)

284

§ 270a Abs. 1 Nr. 4 InsO setzt voraus, dass bereits in der Eigenverwaltungsplanung darzulegen ist, wie diese notwenigen Kenntnisse sichergestellt sind.

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Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners

§8

tenden Verfahren sind, desto konkreter sind viele Probleme im täglichen Geschäft für den eigenverwaltenden Schuldner. Die Konfliktpotentiale sind mannigfaltig und die menschlichen Schwächen in diesem Zusammenhang nicht zu unterschätzen: Zum einen werden die Organe des Schuldners immer auch erhebliche eigene Interessen z. B. am Werterhalt ihrer Geschäftsanteile und am Erhalt ihres Arbeitsplatzes als Einkommensquelle für sich und ihre Familien haben. Dies kann Unternehmer und Geschäftsführer dazu verleiten, die Augen vor betriebswirtschaftlichen Tatsachen und rechtlichen Gebotenheiten zu verschließen und notwendige Entscheidungen bis hin zur Betriebsschließung nicht oder zu spät zu treffen. Zum anderen bestehen in der täglichen Geschäftsführung erhebliche Konflikte, wie z. B. der Wunsch der Geschäftsführung oder der Mitarbeiter an der Einhaltung von Zusagen, die sie wenige Wochen oder Tage vor Antragstellung noch gegenüber Mitarbeitern, Lieferanten oder Kunden getätigt haben, die sich aber aus insolvenzrechtlichen Gründen nicht mehr einhalten lassen. Insbesondere fehlt hier das erheblich positive Potential zur verbesserten Gläubigerbefriedigung durch Einsetzung eines unabhängigen, rechtlich und moralisch niemandem außer den Gläubigern verpflichteten Insolvenzverwalters. Als Korrektiv ist in der Eigenverwaltung die Unterstützungs- und Überwachungsfunk- 4 tion des Sachwalters vorgesehen. Ihm obliegt es, die klaren Vorgaben der InsO zu überwachen und Konfliktpotentiale zu erkennen, mit dem Schuldner zu besprechen und die Gläubiger und das Gericht zu informieren. Die Frage, wer die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ausübt, hat für das Verfahren ganz 5 wesentliche Bedeutung, denn daran hängen Entscheidungsbefugnisse hinsichtlich der Art und Weise der Führung des schuldnerischen Unternehmens und des Verfahrens insgesamt, welche das Verfahrensergebnis wesentlich beeinflussen können und in der Regel auch beeinflussen werden.2) Dies insbesondere deshalb, weil der Gesetzgeber dem Schuldner v. a. auch die wesentlichen Entscheidungskompetenzen überlassen hat. Gerade die grundsätzlichen Unternehmensentscheidungen, wie die Ausübung der Wahlrechte der §§ 103 bis 128 InsO, das Recht, langfristige Liefer- oder Abnahmeverpflichtungen einzugehen, oder Entscheidungen zu Mietverträgen und Personalangelegenheiten liegen beim Schuldner. Aber auch sämtliche Einzelentscheidungen im Tagesgeschäft trifft der Schuldner. Viele davon sind nicht frei von Konfliktpotential, wie bspw. die Vereinbarung von Preisen mit durch die Insolvenz geschädigten Lieferanten und Kunden oder die Frage der Akzeptanz und Anrechnung von ungesicherten Vorauskasseleistungen von Kunden. Die grundsätzlichen Regelungen zur Aufgabenverteilung zwischen Schuldner und Sach- 6 walter im eröffneten Eigenverwaltungsverfahren wurden durch das SanInsFoG Anfang 2021 nicht geändert. Nur § 270g InsO enthält eine neue Verpflichtung für den Schuldner zur Kooperation bei gruppenangehörigen Unternehmen und § 274 Abs. 2 Satz 2 InsO regelt, welche Unterstützung durch den Sachwalter gerichtlich angeordnet werden kann. 2.

Dogmatische Einordnung; Rechtsstellung des Schuldners

In der Eigenverwaltung erhält3) der Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis 7 über sein Vermögen. Rein faktisch sieht es für den Schuldner und alle Beteiligten zwar so aus, als würde der Schuldner diese ihm ursprünglich kraft Privatautonomie zustehenden Rechte behalten. Er wird dies auch zur Beruhigung des Marktes so kommunizieren. Der Gesetzeswortlaut des § 270 Abs. 1 InsO spricht aber für eine Übertragung der Verwaltungs___________ 2) 3)

Grub in: Kölner Schrift, S. 491, 499, Rz. 27. So Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 270 Rz. 20 m. w. N., Rz. 24; Kern in: MünchKomm-InsO, § 270 Rz. 141.

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285

§8

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

und Verwertungsbefugnis an den Schuldner.4) Der Schuldner wird insoweit, wie der Insolvenzverwalter auch, als Amtswalter (jedoch in eigener Sache) tätig.5) 8 Die Aufsichtsfunktion hat der Sachwalter, § 274 Abs. 2 Satz 1, Satz 3 InsO. Eine direkte Aufsicht des Gerichts über den eigenverwaltenden Schuldner besteht nicht. § 58 InsO, der den Insolvenzverwalter im Regelverfahren unter die Aufsicht des Gerichts stellt, ist für den eigenverwaltenden Schuldner nicht anwendbar.6) Ein Verweis auf diese Vorschrift fehlt. Das Gericht seinerseits hat nur die Aufsichtsfunktion über den Sachwalter nach § 274 Abs. 1 InsO, der auf die Normen über die Bestellung, Überwachung, Entlassung und die Haftung sowie die Vergütung des Insolvenzverwalters verweist. Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass die Gerichte in der Praxis gegenüber noch nicht gerichtsbekannten Sachwaltern eine gewisse Skepsis hegen und Vorschlägen bereits bekannter und bestellter Sachwalter offener gegenüberstehen. 9 Eine Aufsichtsfunktion sowohl über den Sachwalter als auch über den eigenverwaltenden Schuldner hat auch der Gläubigerausschuss. Die Überwachungsfunktion über den Schuldner ergibt sich aus § 276 InsO und seiner grundsätzlichen Aufgabe der Überwachung der Verwaltung und Verwertung des der Gesamtvollstreckung unterliegenden Vermögens im Gläubigerinteresse. Dieser Aufgabe könnte der Gläubigerausschuss nur durch Überwachung des Sachwalters nicht nachkommen (siehe Ampferl, HRI II, § 11 Rz. 27 f.).7) II.

Übersicht zur Aufgabenverteilung Aufgabenverteilung in der Eigenverwaltung

10

Zuständigkeit des Schuldners Art der Aufgabe

des Sachwalters

mit Zustimmung des ohne Zustimmung mit Zustimmung Gläubigerausschusses/ des Sachwalters des Sachwalters der Gläubigerversammlung

Betriebsfortführung Eingehen von Verbindlichkeiten im gewöhnlichen Geschäftsbetrieb

x

Eingehen von Verbindlichkeiten außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs

x

Verhandlungen mit Kunden und Lieferanten

x

Liquiditätsplanung/ Ertragsplanung

x

(x)

Beauftragung von verfahrensbezogenen Beratern (M&A, Liquiditätsplanung etc.) Kassenführung, § 275 Abs. 2 InsO

x

x

(x)

___________ 4) 5) 6) 7)

286

Kern in: MünchKomm-InsO, § 270 Rz. 149. Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 121. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 28. Pape in: Kölner Schrift, S. 767, 804, Rz. 71.

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§8

Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners Zuständigkeit

des Sachwalters

des Schuldners Art der Aufgabe

mit Zustimmung des ohne Zustimmung mit Zustimmung Gläubigerausschusses/ des Sachwalters des Sachwalters der Gläubigerversammlung

Aufnahme von Massekrediten

x

Insolvenzgeldvorfinanzierung

x

Steuererklärung

x

Handelsrechtliche Buchhaltung

x

Insolvenzrechtliche Buchhaltung

x

Registereintragungen

x

Einholen behördlicher Genehmigungen

x

Entnahme von Mitteln zur Lebensführung

x

Abschluss von Versicherungen

x

(x)

Betriebseinstellung

x

Ausübung von Wahlrechten u. Ä. Aufnahme von Rechtstreitigkeiten

x

Freigabe von Massegegenständen

x

Erfüllungswahl bei gegenseitigen Verträgen

x

Kündigung von Miet- und Pachtverhältnissen, § 109 InsO

x

Kündigung von Dienstverhältnissen, § 113 InsO

x

§§ 120, 122, 126 InsO

x

Widerruf eines vorinsolvenzlichen Sozialplans, § 124 InsO

x

Modifikationen bei Interessenausgleich und Kündigungsschutz, § 125 InsO

x

Verwertung und Befriedigung Geltendmachung, §§ 92, 93 InsO Geltendmachung sonstiger Ansprüche gegen Gesellschafter und Geschäftsführer

x x

Insolvenzanfechtung

x

Bericht nach § 156 InsO

x

Verzeichnis der Massegegenstände

x

Gläubigerverzeichnis

x

Vermögensübersicht

x

Bierbach

287

§8

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren Zuständigkeit des Sachwalters

des Schuldners Art der Aufgabe

mit Zustimmung des ohne Zustimmung mit Zustimmung Gläubigerausschusses/ des Sachwalters des Sachwalters der Gläubigerversammlung

Prüfung der Verzeichnisse und der Übersicht

x

Stellungnahme zum Bericht

x

Fertigung von Sachstandsberichten

x

Prüfung angemeldeter Forderungen

x

Rechnungslegung gemäß §§ 66, 155 InsO

x

Verwertung Mobilien/ Immobilien, Beteiligungen, § 160 Abs. 2 Nr. 1 InsO (inkl. Sicherungsgut)

x

x

Betriebsveräußerung, § 160 Abs. 2 Nr. 1 InsO Niederlegung der Tabelle

x x

Prüfung des Verteilungsverzeichnisses Ausarbeitung Insolvenzplan

x x

x

Überwachung der Planerfüllung

x

Anzeige Masseunzulänglichkeit

x

Befriedigung Massegläubiger

x

Verteilung der Quote

x

Überwachung des Schuldners Kommunikation mit dem Gericht/Gläubigerausschuss

x x

x

Anm.: Die obenstehende Zuständigkeitsverteilung bezieht sich auf den Regelfall und kann in Sonderfällen davon abweichen, insbesondere gemäß §§ 160, 162, 163, 275, 276, 277 InsO.

III.

Die Rechte und Aufgaben des Schuldners im Einzelnen

11 Mit der Befugnis zur Verwaltung und Verfügung korrespondieren entsprechende Rechte und Aufgaben des Schuldners. Diese ergeben sich aus den §§ 270 ff. InsO. 12 Sie können grundsätzlich in folgende Kategorien unterteilt werden: 

Aufgaben der Betriebsfortführung, inklusive der Befugnis zur Verwaltung und Verfügung;



formale Aufgaben im Insolvenzverfahren gegenüber Gläubigern;



Ausübung insolvenzspezifischer Gestaltungsrechte, §§ 103 ff. InsO;



Obliegenheiten gegenüber dem Sachwalter;



Verwertung und Verteilung.

288

Bierbach

Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners 1.

§8

Grundsatz

§ 270 Abs. 1 Satz 2 InsO überträgt dem Schuldner alle Aufgaben, die in der Regelinsolvenz 13 der Insolvenzverwalter zu erfüllen hätte,8) soweit nicht die §§ 271 ff. InsO eine explizite Zuweisung vornehmen. Die InsO schafft bei der Eigenverwaltung keine neuen Aufgaben, sondern verteilt die Aufgaben und Befugnisse nur anders. § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO erfüllt insofern die Funktion eines Auffangtatbestands. Die Aufgabenverteilung zwischen Schuldner und Sachwalter kann man auf folgende grobe Formel herunterbrechen: Der Schuldner führt (mit Ausnahmen) die laufenden Geschäfte und der Sachwalter nimmt dabei im Wesentlichen Überwachungs- und Mitwirkungsaufgaben wahr. Darüber hinaus obliegen dem Sachwalter insolvenzspezifische eigene Aufgaben und nach der Neufassung des Gesetzes durch das SanInsFoG nun explizit auch eine – auf bestimmte Bereiche beschränkte – Beratungs- und Unterstützungsfunktion, § 274 Abs. 2 Satz 2 InsO. Da die Eigenverwaltung nach der Konzeption des Gesetzgebers v. a. bei Betriebsfortfüh- 14 rungen Anwendung finden soll, grenzt das Gesetz die Aufgaben nach denjenigen, die mit der Geschäftsführung/Betriebsfortführung im Zusammenhang stehen, und den insolvenzrechtlich besonderen Aufgaben ab. Erstere sollen wegen seiner größeren Sachkompetenz beim Schuldner verbleiben, Letztere vom Sachwalter wahrgenommen werden.9) Problematisch ist dabei aber, dass beinahe sämtliche, auch die normalsten geschäftstypischen 15 Aufgaben im schuldnerischen Unternehmen mit Insolvenzantragstellung insolvenzrechtlichen Implikationen unterliegen. Bereits die Erstellung der Lohn- und Gehaltsabrechnung oder die Abgabe der Unternehmenssteuererklärungen funktioniert nicht mehr wie bisher, da vor- und nachinsolvenzliche Zeiträume sauber abzugrenzen sind. Darüber hinaus ist diverse, dem insolvenzrechtlichen Laien nicht immer leicht eingängige Rechtsprechung zu beachten. Der eigenverwaltende Schuldner wird in der Regel ohne Hilfestellung externer Berater oder des Sachwalters nicht oder zumindest nicht vollständig richtig selbstständig agieren können. Und selbst wenn er und seine Mitarbeiter in der Verwaltung des Unternehmens in der Lage sind, diese Probleme zu erkennen und nach den insolvenzrechtlichen Vorgaben abzuarbeiten, werden ihre zeitlichen Kapazitäten schnell an Grenzen stoßen, da sie parallel das Unternehmen stabilisieren, fortführen und letztlich sanieren wollen, was schon allein aufgrund der wachsenden Kommunikationsanforderungen einen sehr viel größeren, als den üblichen zeitlichen Einsatz erfordert. Es ist daher zumindest in der Anfangsphase i. d. R. unerlässlich, dass der Schuldner insol- 16 venzrechtliche Beratung in Anspruch nimmt (siehe dazu Rz. 83 ff.). Das Vorhandensein der notwendigen insolvenzrechtlichen Expertise wurde im Zuge der Neufassung des Gesetzes durch das SanInsFoG nun begrüßenswerter Weise ausdrücklich zur Eingangsvoraussetzung für das Eigenverwaltungsverfahren erhoben, § 270a Abs. 1 Nr. 4 InsO. Außerdem wurde die Möglichkeit eröffnet, dass das Insolvenzgericht die punktuelle Beratung und Unterstützung des Schuldners durch den Sachwalter anordnet, § 174 Abs. 2 Satz 2 InsO. 2.

Aufgaben der Betriebsfortführung

Der Gesetzgeber hat sich bei Einführung der Eigenverwaltung u. a. auch von der Über- 17 legung leiten lassen, dass der Schuldner seinen Betrieb besser führen kann als ein fremder und außenstehender Insolvenzverwalter. Dies insbesondere, weil der Schuldner v. a. die Branche und das Unternehmen inklusive seiner Kunden- und Lieferantenbeziehungen besser kennt. Der Schuldner kann daher bei Anordnung der Eigenverwaltung den Betrieb selbst___________ 8) 9)

Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 270 Rz. 20. Begr. RegE z. § 331 InsO 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 223.

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289

§8

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

ständig fortführen. Damit einher geht aber auch die Pflicht, alle notwendigen Maßnahmen zur gewinnoptimierten Betriebsfortführung zu ergreifen. 2.1

Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis

2.1.1 Verwaltungsbefugnis 18 Im Rahmen der Eigenverwaltung erhält der Schuldner die Verwaltungsbefugnis über sein Vermögen, die Insolvenzmasse, § 35 InsO. Diese hat denselben Umfang wie diejenige des Insolvenzverwalters im Regelverfahren nach § 80 Abs. 1 InsO. Er muss ganz allgemein die Insolvenzmasse im Interesse bestmöglicher Gläubigerbefriedigung verwalten. Dies umfasst zunächst ganz allgemeine Vermögensfürsorgepflichten und eine weitgehende Pflicht zur Vermögenssicherung, die z. B. den Abschluss notwendiger Sach- und Haftpflichtversicherungen, Diebstahlschutz, Brandschutz etc. beinhaltet. 19 Die Verwaltungsbefugnis umfasst darüber hinaus auch das Recht zur Betriebsfortführung oder zur Betriebseinstellung.10) Der Schuldner hat die Betriebsfortführung im Interesse der Gläubigerbefriedigung vorzunehmen, d. h. er hat dies so zu tun, dass der Betrieb gewinnbringend oder zumindest so verlustarm wie möglich arbeitet und so eine Gefährdung der Fortexistenz des Betriebs oder eine Gefährdung der Gläubigerbefriedigung vermieden wird. Der Schuldner muss dazu stets die sich im Geschäft ergebenden Chancen und Risiken abwägen. Er hat dem Unternehmen Ziele vorzugeben und deren Erreichung zu überwachen. Er hat die Ausgestaltung der Corporate Governance vorzunehmen und ihre Einhaltung zu überwachen. Er hat kontinuierlich eine Ertragsplanung zu erstellen. Gleichzeitig muss er sicherstellen, dass von ihm eingegangene Verbindlichkeiten im Fälligkeitszeitpunkt bedient werden können, er muss also stets eine Liquiditätsplanung vornehmen. Er hat all dies zu dokumentieren und den Sachwalter zu informieren, denn der Sachwalter hat die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu prüfen und die Geschäftsführung zu überwachen, § 274 Abs. 2 Satz 1 InsO. 20 Darüber hinaus hat er den Betrieb wie ein ordentlicher Kaufmann zu führen. Oft genug wird, nicht nur bei kleineren und mittleren Betrieben, das einfache betriebswirtschaftliche Handwerkszeug nicht beherrscht. So stellt man in der Praxis immer wieder fest, dass Verträge, insbesondere Arbeitsverträge, nicht schriftlich geschlossen werden, nicht auf beiderseitige Unterschriften geachtet wird, keine kaufmännischen Bestätigungsschreiben genutzt werden, keine Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorhanden sind oder diese nicht genutzt werden, Rügefristen nicht kontrolliert werden, keine ordentliche Aktenführung vorliegt, nicht zeitnah gebucht wird, kein oder ein laxer Forderungseinzug betrieben wird, etc. Diese Mängel in der Unternehmensführung, die oft genug zumindest mitursächlich für die Insolvenz sind, muss der Schuldner beseitigen. Wenn hier eklatante Fehler in der Geschäftsführung feststellbar sind, werden die Voraussetzungen der Anordnung einer Eigenverwaltung – zumindest, wenn die alte Geschäftsführung beibehalten wird und/oder keine externen Berater hinzugezogen werden – i. d. R. nicht vorliegen oder Gründe gegeben sein, diese aufzuheben, § 270e Abs. 1 Nr. 1 lit. b InsO. Der Sachwalter hat i. R. seiner Überwachungspflichten vordringlich auf die ordnungsgemäße Geschäftsführung des Schuldners zu achten und darauf hinzuwirken. 2.1.2 Verfügungsbefugnis (§ 270 Abs. 1 InsO) 21 Jede Betriebsfortführung setzt voraus, dass die Insolvenzmasse neu verpflichtet wird und Verfügungen über das Vermögen getroffen werden. Das Recht zur Verfügung über das ___________ 10) Selbstverständlich besteht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auch im Falle der Liquidation des Schuldners.

290

Bierbach

Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners

§8

Vermögen erhält der Schuldner aus § 270 Abs. 1 InsO. Im Unterschied zu den Verfügungen sind die rein schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfte separat, nämlich in § 275 InsO, geregelt. Sofern übergreifend von „Rechtsgeschäften“, wie in § 277 InsO, oder „Rechtshandlungen“, wie in § 276 InsO, gesprochen wird, betreffen diese Regelungen sowohl Verfügungsgeschäfte als auch Verpflichtungsgeschäfte. Während Verfügungen des Schuldners im Regelverfahren nach § 81 Abs. 1 Satz 1 InsO 22 grundsätzlich unwirksam sind, erhält der Schuldner bei Anordnung der Eigenverwaltung das Recht, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Verfügungen vorzunehmen, etwa: Übereignung von beweglichen oder unbeweglichen Sachen, Abtretung oder Erlass von Forderungen oder Bestellung von Pfandrechten und Grundpfandrechten. Die §§ 80 bis 82 InsO sind in der Eigenverwaltung grundsätzlich nicht anwendbar. Die Verfügungen des Schuldners sind vom Sachwalter zu überwachen, unterliegen ggf. Zu- 23 stimmungspflichten (§ 276 InsO) und können eingeschränkt werden (§ 275 Abs. 2, § 277 InsO). Der Sachwalter hingegen ist ausnahmslos nicht berechtigt, über das Vermögen zu verfügen. 2.2

Überwachung und Zustimmungspflichten

Der eigenverwaltende Schuldner kann die Verwaltung und Verfügungen nicht gänzlich frei 24 vornehmen. Er unterliegt der Überwachung durch den Sachwalter und muss in einigen Bereichen dessen Zustimmung einholen. Er unterliegt gemäß § 276a Abs. 1 InsO jedoch nicht mehr der Kontrolle der gesellschaftsrechtlichen Überwachungsorgane. 2.2.1 Überwachung durch den Sachwalter (§ 274 Abs. 2 Satz 1 InsO) Im Rahmen der allgemeinen Überwachung der Geschäftsführung hat der Sachwalter regel- 25 mäßig die Verwaltung und die Verfügungen des Schuldners und die in diesem Zusammenhang geschlossenen Verträge zu überwachen, § 274 Abs. 2 Satz 1 InsO. So wird er gerade i. R. der Überwachung der Betriebsfortführung darauf zu achten haben, dass der Schuldner mit solventen Vertragspartnern, ggf. unter Einbindung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Vereinbarung weitgehender Eigentumsvorbehalte kontrahiert (siehe zum Ganzen auch Minuth, HRI II, § 9 Rz. 37 ff.). 2.2.2 Kassenführung durch den Sachwalter (§ 275 Abs. 2 InsO) Eine besonders wirksame Kontrollfunktion hat der Sachwalter, wenn er die Kassenführung 26 an sich zieht, so dass eingehende Gelder nur von ihm entgegengenommen und Zahlungen nur von ihm geleistet werden können. Der Schuldner hat dies zu akzeptieren und sämtlichen Geldverkehr über das Konto des Sachwalters laufen zu lassen. Daneben ist es tunlich, dass der Schuldner zumindest das Recht behält, eine Barkasse für kleinere Besorgungen und Bareinkäufe sowie zur Betankung von Fahrzeugen etc. zu führen, die der Sachwalter auffüllt und kontrolliert (siehe zum Ganzen auch Minuth, HRI II, § 9 Rz. 48 ff.). 2.2.3 Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit (§ 277 InsO) Da die reine Überwachung durch den Sachwalter in Einzelfällen u. U. nicht ausreicht, kann 27 nach § 277 InsO durch das Insolvenzgericht für bestimmte Rechtsgeschäfte die Zustimmungsbedürftigkeit durch den Sachwalter angeordnet werden. Dies kann auf Antrag der Gläubigerversammlung (Absatz 1) oder eines absonderungsberechtigten oder einfachen Insolvenzgläubigers (Absatz 2) geschehen und ist dann öffentlich bekannt zu machen und in den maßgeblichen Registern sowie ggf. im Grundbuch einzutragen. Weder dem Insolvenzgericht noch dem Sachwalter noch einem Massegläubiger steht ein Initiativ- oder An-

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291

§8

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

tragsrecht zu. Dies ist Ausdruck der besonderen Gläubigerautonomie im Eigenverwaltungsverfahren.11) 28 Entgegen der Anordnung, d. h. ohne Zustimmung des Sachwalters getätigte Rechtsgeschäfte oder Verfügungen des Schuldners sind auch im Außenverhältnis unwirksam (siehe zum Ganzen auch Minuth, HRI II, § 9 Rz. 62 ff.). 2.2.4 Besonders bedeutsame Rechtshandlungen (§ 276 InsO) 29 Eine weitere Einschränkung der freien Verfügungsbefugnis des Schuldners sieht § 276 InsO vor: Bei besonders bedeutsamen Rechtshandlungen hat der Schuldner die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen. § 160 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 161 Satz 2 und § 164 InsO gelten entsprechend. Besonders bedeutsame Rechtshandlungen sind in § 160 Abs. 2 InsO beispielhaft ausgeführt. Der Begriff „Rechtshandlungen“ ist in weitem Sinne zu verstehen, er umfasst also verfügende oder verpflichtende Rechtsgeschäfte, Prozesshandlungen oder tatsächliche Handlungen, die rechtliche Wirkung auslösen.12) Dies kann auch Rechtshandlungen betreffen, für die gleichzeitig eine Zustimmungsbedürftigkeit nach § 277 InsO angeordnet ist. 30 Eine einheitliche Definition der besonders bedeutenden Rechtshandlung ist nicht ersichtlich. Graf-Schlicker13) und zustimmend Pape14) definieren sie als Rechtshandlungen, mit denen gleichsam eine Weiche für das Insolvenzverfahren gestellt wird und hinsichtlich derer nicht nur eine reine Wirtschaftlichkeitskontrolle stattfinden soll. Letztlich ist es eine Frage der Einzelfallbeurteilung, die unter Berücksichtigung von Art und Umfang der einzelnen Verpflichtung15) und der damit verbundenen Risiken nach den Umständen des jeweiligen Verfahrens zu erfolgen hat. Kern16) geht davon aus, dass die „besonders bedeutsamen Rechtshandlungen“ i. S. von § 276 InsO genauso zu definieren sind wie i. R. von § 160 Abs. 1 InsO. 31 Da es sich bei § 276 InsO zwar um eine parallele Regelung zu § 160 Abs. 1 Satz 1 InsO, aber doch um eine Spezialvorschrift für das Eigenverwaltungsverfahren handelt, muss ihr Anwendungsbereich für diese Verfahrensart m. E. spezifisch bestimmt werden. Auch wenn die Regelungssystematik der InsO dem Schuldner grundsätzlich die Verfügungsbefugnis belässt und grundsätzlich kein Zustimmungserfordernis des Sachwalters besteht, darüber hinaus bei Verfügungen nur im Falle des § 282 Abs. 2 InsO ein Einvernehmen mit dem Sachwalter erzielt werden soll, muss die Regelung des § 276 InsO m. E. weiter ausgelegt werden als § 160 InsO im Regelverfahren. Dies ist darin begründet, dass die Eigenverwaltung besonderer Ausdruck der Gläubigerautonomie ist und der Schuldner nicht vom Insolvenzgericht überwacht wird. In Zweifelsfällen ist es deshalb erforderlich, dass der Schuldner den Gläubigerausschuss in seine Entscheidung einbindet. Er riskiert sonst, das Vertrauen des Sachwalters und der Gläubiger zu verlieren, was ggf. zu einer Beendigung der Eigenverwaltung führen kann. Die Verpflichtung gemäß § 276 InsO soll andererseits aber nicht so weit gehen, dass der Schuldner die Zustimmung des Gläubigerausschusses bei allen Rechtshandlungen, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören und zu denen der Sachwalter nicht gemäß § 275 InsO seine Zustimmung erteilt hat, einholen muss. ___________ 11) 12) 13) 14) 15) 16)

292

Pape in: Kölner Schrift, S. 767, 801, Rz. 67. Holzer in: KPB, InsO, § 276 Rz. 7. Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 276 Rz. 4. Holzer in: KPB, InsO, § 276 Rz. 7. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 276 Rz. 7. Kern in: MünchKomm-InsO, § 276 Rz. 5.

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Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners

§8

Eine weite Auslegung liegt jedenfalls auch im Interesse des Schuldners, der ansonsten ris- 32 kiert, dass Gläubiger sich nicht oder schlecht informiert und in ihren Kompetenzen hintergangen fühlen und Anträge auf Aufhebung der Eigenverwaltung nach § 272 Abs. 1 Nr. 3, Nr. 4 InsO stellen. Wegen der mit der Eigenverwaltung verbundenen besonderen Vertrauensstellung des Schuldners und der besonderen Risiken für die Gläubiger (siehe Rz. 37) müssen die Gläubiger als Korrektiv vom Schuldner noch weitergehend in verfahrensrelevante Entscheidungen eingebunden werden.17) Die Gläubiger können die Eigenverwaltung nur über § 272 InsO und die Auswahl des Sachwalters nur im Falle des Bestehens eines Gläubigerausschusses bei Anordnung der Eigenverwaltung zu Beginn des Verfahrens über § 274 Abs. 1 i. V. m. § 56a InsO beeinflussen, weshalb sie als Korrektiv verstärkt in die für das Verfahren maßgeblichen Entscheidungen einzubinden sind. Streitig ist, ob „Zustimmung“ i. S. des § 276 InsO nur die vorherige Einwilligung i. S. des 33 § 184 BGB meint oder ob auch die nachträgliche Genehmigung genügt. Gerade aufgrund der besonderen Bedeutung der Gläubigerautonomie und regelmäßig fehlender anderweitiger Einschränkung der Verfügungsbefugnis des Schuldners sowie fehlender Korrektur durch Haftungsnormen ist im Eigenverwaltungsverfahren zwingend die vorherige Zustimmung18) erforderlich (a. A. siehe Ampferl, HRI II, § 6 Rz. 236 ff.). Dies bringt auch der Wortlaut „vornehmen will“ klar zum Ausdruck. Ist ein Gläubigerausschuss nicht bestellt, so ist die Zustimmung der Gläubigerversammlung 34 einzuholen, § 160 Abs. 1 Satz 2 InsO, wobei dann der Schuldner entsprechend § 75 Abs. 1 Satz 1 InsO zum Antrag auf Einberufung berechtigt ist.19) Auch eine vorläufige Untersagung der Rechtshandlung nach § 276 Satz 2 i. V. m. § 161 35 Satz 2 InsO durch das Insolvenzgericht und eine Einberufung einer Gläubigerversammlung kommen in Betracht (siehe auch Minuth, HRI II, § 9 Rz. 57). 2.2.5 Betriebsveräußerung Im Falle der Betriebsveräußerung finden über die Verweisung des § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO 36 die allgemeinen Vorschriften der §§ 162, 163 InsO Anwendung.20) Auch in diesem Falle ist der Schuldner verfügungsbefugt, bedarf aber – wie auch der Insolvenzverwalter im Regelverfahren – der Zustimmung der Gläubigerversammlung. 2.2.6 Wirksamkeit der Schuldnerhandlung Außer in den Fällen gerichtlicher Anordnung nach § 277 InsO sind Verfügungen des 37 Schuldners, die ohne die erforderliche Zustimmung des Gläubigerausschusses nach § 276 (§ 276 Satz 2 InsO verweist ausdrücklich auf § 164 InsO) oder der Gläubigerversammlung nach §§ 162, 163 InsO oder die ohne Einvernehmen mit dem Sachwalter nach § 282 Abs. 2 InsO21) oder ohne Information des Sachwalters und damit unter Umgehung seiner Überwachung (§ 274 Abs. 2 InsO) erfolgen, wirksam, § 164 InsO. Das heißt, Verstöße des Schuldners haben keine Wirkung im Außenverhältnis. Darin liegt ein erhebliches Risiko für die Gläubiger, denn die Handlung wird nicht wie im Regelverfahren durch einen neutralen Insolvenzverwalter vorgenommen und es verbleibt lediglich die Inanspruchnahme

___________ 17) 18) 19) 20) 21)

A. A. Holzer in: KPB, InsO, § 276 Rz. 8, und Kern in: MünchKomm-InsO, § 276 Rz. 5. Kern in: MünchKomm-InsO, § 276 Rz. 8; a. A. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 276 Rz. 3. Kern in: MünchKomm-InsO, § 276 Rz. 11 m. w. N.; Holzer in: KPB, InsO, § 276 Rz. 14. Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 276 Rz. 10; Kern in: MünchKomm-InsO, § 276 Rz. 12. Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 282 Rz. 9.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

der Schuldnerorgane (siehe dazu Rz. 171); die Haftung des Schuldners selbst läuft mangels Haftungssubstrat leer.22) 2.2.7 Insolvenzzweckwidrige Verfügungen 38 Die Rechtsgrundsätze zur Nichtigkeit insolvenzzweckwidriger Handlungen, insbesondere bei kollusivem Zusammenwirken zwischen dem Vertragspartner und dem verfügenden Schuldner finden nach h. M. auch im Verfahren der Eigenverwaltung Anwendung.23) 2.3

Eingehen neuer Verbindlichkeiten (§§ 270 Abs. 1, 275 Abs. 1 InsO)

39 Das Recht zur Begründung von Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO im eröffneten Verfahren, also die Befugnis zum Abschluss schuldrechtlicher Verträge und die Befugnis, die Insolvenzmasse zu berechtigen und zu verpflichten, erhält der Schuldner aus der Generalklausel des § 270 Abs. 1 InsO, die jedoch durch § 275 Abs. 1 InsO erheblich modifiziert wird. Auch insoweit liegt die Handlungsbefugnis grundsätzlich beim eigenverwaltenden Schuldner und der Sachwalter ist keinesfalls berechtigt, die Masse zu verpflichten. Er hat lediglich Überwachungs- oder Mitwirkungspflichten, kann aber wie bei den Verfügungen nicht aus eigenem Recht selbstständig handeln. 40 § 275 Abs. 1 InsO unterscheidet zwischen Verbindlichkeiten des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs und solchen, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören (siehe zu Letzterem Minuth, HRI II, § 9 Rz. 43). Darüber hinaus gelten für das Eingehen von Verbindlichkeiten ggf. auch die Regelungen des § 276 InsO; sie setzen bei besonderer Bedeutung die Zustimmung des Gläubigerausschusses voraus. Ebenso kann das Gericht auf Antrag die Zustimmungsbedürftigkeit für bestimmte Rechtsgeschäfte und damit auch für bestimmte Verpflichtungen der Masse anordnen, § 277 InsO. 2.3.1 Verbindlichkeiten 41 Das Eingehen von Verbindlichkeiten i. S. des § 275 InsO meint jedwede Rechtsgeschäfte, die den Schuldner vertraglich oder auch nur einseitig verpflichten, eine bestimmte Leistung zu erbringen.24) Da § 275 Abs. 1 InsO nur zwischen Verbindlichkeiten unterscheidet, die zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb und die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, die Zugehörigkeit zum Geschäftsbetrieb aber Voraussetzung ist, fallen solche Verbindlichkeiten, die die private Lebensführung des Schuldners in der Insolvenz der natürlichen Person betreffen, nicht hierunter. Letztere betreffen nur das insolvenzfreie Vermögen, das auch in der Eigenverwaltung denkbar ist. Erfasst sind sowohl der Einkauf als auch der Verkauf von Waren und Dienstleistungen, das Eingehen von Lieferverpflichtungen, der Abschluss von Miet- oder Leasingverträgen, Arbeitsverträgen, Werkverträgen, Darlehensverträgen etc. Alle diese Verträge, egal ob auf Geld oder eine andere Leistung gerichtet, verpflichten die Masse und begründen Masseverbindlichkeiten i. S. des § 55 Abs. 1 InsO. Zu beachten ist auch, dass die aus Nicht- oder Schlechterfüllung resultierenden Schadensersatzverpflichtungen aus durch den Schuldner nach Verfahrenseröffnung geschlossenen Verträgen Masseverbindlichkeiten darstellen.

___________ 22) BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, Rz. 23, ZIP 2018, 977 m. Anm. Bitter, dazu EWiR 2018, 339 (Thole). 23) Kern in: MünchKomm-InsO, § 276 Rz. 13 m. w. N.; Holzer in: KPB, InsO, § 276 Rz. 21 m. w. N. 24) Holzer in: KPB, InsO, § 275 Rz. 7.

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Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners

§8

2.3.2 Einholung von Zustimmungen Der Schuldner hat bei der Eingehung neuer Verbindlichkeiten grundsätzlich im Gläubiger- 42 interesse zu handeln. Neben der ganz grundsätzlichen Verpflichtung, derartige Rechtsgeschäfte unter betriebswirtschaftlichen und rechtlichen Gesichtspunkten bestmöglich für die Masse abzuschließen, muss der Schuldner Chancen und Risiken abwägen und Alternativen in Betracht ziehen. Ferner müssen stets die Auswirkungen auf die Liquidität und den Ertrag geprüft werden. Diese Dinge sind Selbstverständlichkeiten für jeden ordentlichen Kaufmann, finden aber in der Praxis v. a. bei in die Krise geratenen Unternehmen gleichwohl keine oder keine hinreichende Berücksichtigung. In der Eigenverwaltung ist der Schuldner jedoch gezwungen, vor Vertragsabschluss entsprechende Erwägungen anzustellen und erforderlichenfalls mündlich oder schriftlich zu dokumentieren und zu kommunizieren. Denn nur so kann der Sachwalter seinen Überwachungs- und Mitwirkungsverpflichtungen nachkommen. Der Grad der Informationstiefe hängt dabei selbstverständlich von der Bedeutung des Rechtsgeschäfts für das Verfahren, insbesondere auch im Hinblick auf mögliche Risiken für die Masse ab. Darüber hinaus regeln die §§ 275 bis 277 InsO die Zustimmungserfordernisse abgestuft 43 nach der Bedeutung für das Verfahren. Zunächst wird beim laufenden Geschäftsbetrieb zwischen Verbindlichkeiten, die zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, und solchen, die darüber hinausgehen, unterschieden und unterschiedlich intensive Mitwirkungsrechte des Sachwalters etabliert. Bei Rechtsgeschäften, die von besonderer Bedeutung für das Verfahren sind, ist der Gläubigerausschuss einzubinden, § 276 InsO. Schließlich kann für „bestimmte Rechtsgeschäfte“ die Zustimmungsbedürftigkeit durch den Sachwalter gerichtlich angeordnet werden, § 277 InsO. Siehe hierzu aus der Sicht des Sachwalters Minuth, HRI II, § 9 Rz. 41 ff. 2.3.2.1

Widerspruchsrecht des Sachwalters (§ 275 Abs. 1 Satz 2 InsO)

Für Verbindlichkeiten die i. R. des üblichen Geschäftsbetriebs eingegangen werden, bedarf 44 der Schuldner, was sich aus dem Umkehrschluss zu § 275 Abs. 1 Satz 1 InsO ergibt, zwar grundsätzlich keiner Zustimmung. Gleichwohl unterliegt auch der gewöhnliche Geschäftsbetrieb der Überwachung des Sachwalters nach § 274 Abs. 2 InsO. Bei Geschäften des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs soll der Schuldner die Verbindlichkeit nicht eingehen, wenn der Sachwalter widerspricht. Daher hat der Schuldner i. R. seiner Mitwirkungspflichten Dokumentationspflichten auch bei Geschäften, die zum üblichen Geschäftsbetrieb gehören. Der Schuldner hat den Sachwalter, damit dieser ggf. seinem Widerspruchsrecht nachkommen kann, zu informieren und seine Entscheidungsfindung darzulegen, ggf. zu dokumentieren. Der Schuldner hat dabei auf Anforderung des Sachwalters alle notwendigen Auskünfte zu erteilen. Idealerweise wird zu Verfahrensbeginn einvernehmlich oder vom Sachwalter einseitig festgelegt, wann, wie und in welchem Umfang und bei welcher Art von Geschäften er regelmäßig über den normalen Geschäftsbetrieb informiert werden muss. Entsprechend hat der Schuldner dies zu befolgen und die gewünschten Informationen im erforderlichen Detaillierungsgrad zu erteilen. 2.3.2.2

Zustimmung des Sachwalters (§ 275 Abs. 1 Satz 1 InsO)

Bei Rechtsgeschäften, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, hat der 45 Schuldner die Pflicht, die Zustimmung des Sachwalters einzuholen. Dazu gehören auch die Dokumentation und Darlegung der Entscheidungsgründe. Zustimmung i. S. dieser Regelung ist ebenso wie bei § 276 InsO das Einverständnis vor Abschluss des Rechtsge-

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

schäfts, also entsprechend § 183 BGB.25) Auch hierfür spricht der klare Wortlaut der Regelung in § 275 Abs. 1 Satz 1 InsO. Das Einholen einer nachträglichen Genehmigung reicht nicht aus, denn zu diesem Zeitpunkt hat der Schuldner das Rechtsgeschäft schon – im Außenverhältnis wirksam – abgeschlossen (so auch Minuth, HRI II, § 9 Rz. 44). Der Sachwalter hat dann keine Einflussnahmemöglichkeit mehr. Der Schuldner riskiert, durch derartiges Verhalten das in ihn gesetzte Vertrauen zu verspielen, was in der Aufhebung der Eigenverwaltung enden kann, § 272 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 4 InsO. 46 Ob ein Geschäft zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehört, ist an Hand einer Einzelfallbetrachtung zu ermitteln. Abgestellt werden muss auf die konkrete Situation des Unternehmens, und es ist ein Vergleich zu ziehen mit der bisherigen Geschäftspraxis. Auch die Satzung der Gesellschaft kann als Indiz herangezogen werden. Trifft sie Regelungen im Hinblick auf besondere (Vertretungs-)Anforderungen bei bestimmten Geschäften, sind diese regelmäßig auch bei der insolvenzrechtlichen Beurteilung des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs relevant. 47 Darüber hinaus ist zu empfehlen, die Kriterien für den gewöhnlichen und den außergewöhnlichen Geschäftsbetrieb zwischen Sachwalter und eigenverwaltendem Schuldner zu Beginn der Eigenverwaltung festzulegen. Dabei kommt insbesondere die Bestimmung einer Wertgrenze in Betracht, ab der ein Geschäft als nicht mehr zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehörend anzusehen ist. Im Rahmen des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs erfolgt z. B. regelmäßig die Gestaltung von Arbeitsverhältnissen, der normale Einkauf und der normale Verkauf. Nicht mehr zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören in der Regel hingegen langfristige Dauerschuldverhältnisse, Großaufträge, Verkauf von betriebsnotwendigem Anlagevermögen, Grundstücksgeschäfte, die Aufnahme von Darlehen sowie der Verzicht auf Forderungen.26) 2.3.2.3

Zustimmung des Gläubigerausschusses (§ 276 InsO)

48 Eine weitere Einschränkung bei der Eingehung von Verbindlichkeiten sieht § 276 InsO vor: Bei besonders bedeutsamen Rechtshandlungen (also auch: bei der Eingehung besonderes bedeutsamer Verbindlichkeiten) hat der Schuldner (nicht der Sachwalter) die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen. § 160 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 161 Satz 2 und § 164 InsO gelten entsprechend. Die besonders bedeutsamen Rechtshandlungen sind in § 160 Abs. 2 InsO beispielhaft ausgeführt. Das Zustimmungserfordernis gemäß § 276 InsO kann auch Rechtshandlungen betreffen, für die gleichzeitig eine Zustimmungsbedürftigkeit nach § 277 InsO angeordnet ist. Wegen Einzelheiten kann auf die Ausführungen oben, siehe Rz. 27 f., verwiesen werden, wobei auch hier zwingend die Einholung einer Zustimmung vor Eingehung der Verbindlichkeit zu fordern ist (siehe Minuth, HRI II, § 9 Rz. 54). 2.3.2.4

Zustimmungserfordernis nach § 277 InsO

49 Ebenso wie für Verfügungen kann auch für Verpflichtungen der Masse ein Zustimmungsvorbehalt des Sachwalters gerichtlich angeordnet werden. Es gelten insofern die Ausführungen oben (siehe Rz. 27 f.). Erfolgt die Eingehung der Verbindlichkeit durch den Schuldner ohne Zustimmung des Sachwalters, ist die Handlung gemäß § 277 InsO auch im Außenverhältnis unwirksam. 50 Stimmt der Sachwalter nach § 277 InsO der Begründung von Masseverbindlichkeiten zu, haftet er aufgrund der Verweisung des § 277 Abs. 1 Satz 3 InsO gemäß § 61 InsO. Da der ___________ 25) Holzer in: KPB, InsO, § 275 Rz. 13; Kern in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 12. 26) Kern in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 8.

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Sachwalter also ggf. für Masseverbindlichkeiten haftet, der Schuldner selbst mangels Haftungssubstrat jedoch nicht (zur Haftung der Schuldnerorgane siehe Rz. 171), hat der Sachwalter einen Anspruch darauf, jegliche benötigte Information zu erhalten. Der Schuldner hat die Obliegenheit, den Sachwalter vollumfänglich über alle für das Geschäft maßgeblichen betriebswirtschaftlichen und rechtlichen Tatsachen auch ungefragt zu informieren (siehe Minuth, HRI II, § 9 Rz. 34 ff.). 2.3.2.5

Wirksamkeit der Schuldnerhandlung

Mit Ausnahme von Verpflichtungsgeschäften, für die ein Zustimmungsvorbehalt nach § 277 51 InsO gerichtlich angeordnet ist, sind Verpflichtungsgeschäfte ohne erforderliche Zustimmung gemäß §§ 275, 276 InsO im Außenverhältnis regelmäßig wirksam, siehe Rz. 37. Dies gilt sowohl für Verpflichtungen, die der Schuldner im gewöhnlichen Betrieb eingeht, als auch für solche, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, und sogar für die Eingehung besonders bedeutsamer Verpflichtungen, für die die Zustimmung des Gläubigerausschusses notwendig ist. Dies gilt unabhängig davon, ob der Sachwalter oder der Gläubigerausschuss vom Schuldner informiert wurde, ja sogar, wenn diese Kontrollorgane ausdrücklich widersprechen bzw. ihre Zustimmung nicht erteilen. Gerade dies gebietet, dass der Schuldner diese Organe umfassend und rechtzeitig informiert. Andernfalls drohen Maßnahmen der Gläubiger nach § 277 Abs. 2 InsO oder gar Anträge auf Aufhebung der Eigenverwaltung oder die amtswegige Aufhebung der Eigenverwaltung nach § 272 InsO (siehe zum Ganzen auch Minuth, HRI II, § 9 Rz. 36). 2.4

Arbeitgeberfunktion

Der Schuldner hat im eröffneten Eigenverwaltungsverfahren aufgrund der Verwaltungs- und 52 Verfügungsbefugnis auch die Arbeitgeberfunktion und muss weiterhin seinen entsprechenden Arbeitgeberpflichten nachkommen. Die Arbeitsverträge bleiben von der Insolvenzeröffnung in ihrem Bestand unberührt, § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO. Der Schuldner hat die ihm in dieser Rolle zukommenden Rechte auszuüben und den ihm obliegenden Pflichten nachzukommen.27) Dies betrifft sowohl das Individual- als auch das Kollektivarbeitsrecht. Im Einzelnen sind beispielhaft folgende, in beinahe jedem Insolvenzverfahren bestehende arbeitsrechtliche Aufgaben zu nennen (siehe auch unten Gossak, HRI II, § 46): 

Einstellungen,



Abmahnungen,



Kündigungen,



Lohn- und Gehaltsabrechnungen,



Zeugniserstellung,



Abführung von Sozialabgaben und Lohnsteuer,



An- und Abmeldungen,



Einholung von Genehmigungen zur Arbeitserlaubnis,



Erstellung von Insolvenzgeldbescheinigungen,



Altersteilzeitvereinbarungen,



Sicherung von Arbeitszeitkonten,



Informationspflichten zum Betriebs(teil)übergang nach § 613a Abs. 5 BGB,



Meldung von Betriebsrenten an den PSVaG.

___________ 27) Kern in: MünchKomm-InsO, § 270 Rz. 164 ff.; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 14.

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2.4.1 Befugnisse des Sachwalters 53 Da die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis allein beim Schuldner liegt, stehen dem Sachwalter keinerlei Arbeitgeberbefugnisse zu. Letzterer kann weder Einstellungen vornehmen noch Kündigungen aussprechen oder Arbeitsverträge modifizieren und verhandeln. Er kann auch die Mitarbeiter des Schuldners mangels Arbeitgeberfunktion nicht anweisen. Auch aus seiner Kontroll- und Überwachungsfunktion heraus kann er dies nicht. Jedoch ist der Schuldner verpflichtet, seine Mitarbeiter anzuweisen, den Sachwalter vollumfänglich zu informieren und Auskünfte zu erteilen. Gerade in größeren Unternehmen wird es dem Sachwalter nicht ausreichen können, die Informationen stets nur über den Schuldner selbst bzw. dessen Organe zu erlangen. Zur umfassenden Information aus erster Hand muss er auch von den Mitarbeitern in Schlüsselfunktionen, insbesondere aus dem Bereich Buchhaltung und Controlling oder bspw. dem Einkauf und Vertrieb oder von einzelnen Projektverantwortlichen direkt informiert werden. Dies ergibt sich aus § 274 Abs. 2 Satz 3 InsO mit Verweis auf § 22 Abs. 3 InsO. 2.4.2 Insolvenzrechtliche Implikationen 54 Auch bzgl. der Arbeitgeberrechte hat sich der Schuldner stets an den Zielen des Insolvenzverfahrens, d. h. der Gläubigerbefriedigung und, sofern damit in Einklang zu bringen, dem Unternehmenserhalt zu orientieren. Insolvenzrechtliche Modifikationen dieser Rechte und Pflichten sind zu beachten. So muss der Schuldner v. a. die Arbeitnehmerforderungen strikt nach ihrer insolvenzrechtlichen Qualifikation trennen: Zum einen gibt es Forderungen der Arbeitnehmer, die als Insolvenzforderungen gemäß § 38 InsO zu qualifizieren sind, und solche, die als Masseverbindlichkeiten einzuordnen sind. Erstere sind wiederum in insolvenzgeldfähige und nicht insolvenzgeldfähige zu unterteilen. Letztere können als Neu- und Altmasseverbindlichkeiten (insbesondere bei Freistellungen nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit, mit der Besonderheit der Differenzlohnabrechnung bei Anspruchsübergängen auf die Bundesagentur) zu qualifizieren sein. 55 Auch liegt die Pflicht zur Erstellung von Insolvenzgeldbescheinigungen und zu sonstigen Meldungen, wie bspw. die Meldung von Betriebsrenten an den PSVaG, beim Schuldner. Insgesamt ist festzustellen, dass die Personalabteilungen auch größerer und großer Unternehmen ohne Hilfestellung oder Unterstützung von Fachleuten, wie sie insbesondere in der Büroorganisation professioneller Insolvenzverwalter beschäftigt sind, diese Aufgaben nicht zeitnah und richtig erfüllen können. Nach neuer Rechtslage kann der vorläufige Sachwalter den Schuldner insoweit zumindest bei der Insolvenzgeldvorfinanzierung unterstützen, § 270b Abs. 1 i. V. m. § 274 Abs. 2 Satz 2 InsO. 2.4.3 Sondervorschriften des Insolvenzarbeitsrechts 56 Die InsO gewährt besondere, die Sanierung erleichternde Sondervorschriften zum Arbeitsrecht. Diese kann auch der eigenverwaltende Schuldner gemäß § 279 i. V. m. §§ 103 ff. InsO nutzen. 2.4.3.1

Kompetenzen, die im Einvernehmen auszuüben sind (§ 279 Satz 2 InsO)

57 Grundsätzlich kann der Schuldner folgende Rechte selbstständig wahrnehmen, wobei er dies im Einvernehmen mit dem Sachwalter tun soll, § 279 Satz 2 InsO:

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Kündigung eines Dienst-/Arbeitsverhältnisses, § 113 InsO: § 113 InsO ist die zentrale 58 Bestimmung zur Beendigung von Dienst- und Arbeitsverhältnissen im Insolvenzverfahren. Sie hat zwei zentrale Auswirkungen: 

Der Schuldner in Eigenverwaltung kann trotz ggf. entgegenstehendem tarifvertraglichem oder einzelvertraglichem Ausschluss der ordentlichen Kündigungsmöglichkeit das Dienstoder Arbeitsverhältnis beenden.



Darüber hinaus gibt die Bestimmung das Recht zur Ausnutzung einer Höchstkündigungsfrist von drei Monaten zum Monatsende, wenn einzelvertraglich, tarifvertraglich oder gesetzlich eine längere Kündigungsfrist für die ordentliche Beendigung gilt. In Verbindung mit § 119 InsO, der gesetzlich die Unwirksamkeit von Ausschlüssen oder Beschränkungen des Kündigungsrechts im Insolvenzverfahren vorsieht, hat daher der Schuldner in Eigenverwaltung im Einvernehmen mit dem Sachwalter ein rechtlich effektives Handwerkszeug, um auch im Dienst- oder Arbeitsvertragsbereich eines Unternehmens Änderungen herbeizuführen, die außerhalb des Insolvenzverfahrens verschlossen bleiben.

Sozialplan, §§ 123, 124 InsO: §§ 123, 124 InsO sehen besondere Regeln für den Abschluss 59 und die Durchführung von Sozialplänen in der Insolvenz vor. Die Bestimmungen sind inhaltlich und in der Umsetzung schwierig. Es kommt hinzu, dass die Regelungen des BetrVG (insbesondere § 77 BertrVG) kumulativ gelten. Einem Schuldner in Eigenverwaltung, der nicht bereits in der Vergangenheit entsprechende Expertise im Umgang mit Verhandlung und Abschluss von Interessenausgleichs- und Sozialplanvereinbarungen sammeln konnte, ist dringend anzuraten, fachanwaltliche Hilfe in Abstimmung mit dem Sachwalter in Anspruch zu nehmen, da für den Fall nicht gesetzeskonformer Durchführung von Betriebsänderungen immer das Damoklesschwert des Nachteilsausgleichs gemäß § 113 Abs. 1 und 3 BetrVG (eine Art finanzieller Entschädigungsanspruch für Mitarbeiter) über ihm und der Insolvenzmasse schwebt. Interessenausgleich und Kündigungsschutz, § 125 InsO: Ist eine Betriebsänderung i. S. des 60 § 111 BetrVG geplant und kommt zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat ein schriftlicher Interessenausgleich zustande, in dem die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, namentlich bezeichnet sind, so ist § 1 KSchG nur mit Einschränkungen anwendbar. Die Vorschrift beinhaltet also eine wesentliche Erleichterung der Darlegungs- und Beweislast im Kündigungsschutzprozess für den Bereich der dringenden betrieblichen Gründe i. S. von § 1 KSchG. Die Darlegungslast für die durchgeführte Sozialauswahl verbleibt beim eigenverwaltenden Schuldnerunternehmen, ist aber arbeitsgerichtlich lediglich auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüfbar. Sofern es also gelingt, mit dem Betriebsrat im Hinblick auf die geplante Betriebsänderung einen schriftlichen Interessenausgleich mit Namensliste (§ 1 Abs. 5 KSchG) zu vereinbaren, können etwaige spätere Prozessrisiken vor dem ArbG wesentlich minimiert werden. Dies wird gemeinhin als sanierungsfreundliches Instrumentarium der InsO angesehen. In der Praxis hat sich erwiesen, dass der sonst üblicherweise von Betriebsratsseite abgelehnte Abschluss einer Namensliste positiv beurteilt wird, weil die betrieblichen Veränderung regelmäßig unter Zeitdruck und schnell durchgeführt werden müssen und die finanzielle Abfederung der wirtschaftlichen Nachteile für die Betroffenen ohnehin durch § 123 InsO gesetzlich eingeschränkt ist. Dies führt in der Praxis in der Regel zu zielgerichteten und konstruktiven Verhandlungen, da die Alternativen (Betriebsstilllegung insgesamt o. Ä.) deutlich schwerer wiegen.

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61 Verstöße gegen die Obliegenheit, die Arbeitgeberfunktion diesbezüglich nur im Einvernehmen mit dem Sachwalter auszuüben, berühren die Wirksamkeit des Handelns nicht.28) Selbiges gilt, falls auch im arbeitsrechtlichen Bereich besonders bedeutsame Rechtshandlungen vorgenommen werden, die der vorherigen (siehe Rz. 33) Zustimmung des Gläubigerausschusses nach § 276 InsO bedürfen, wie bspw. der Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans. 2.4.3.2

Kompetenzen, die nur mit Zustimmung ausgeübt werden können (§ 279 Satz 3 InsO)

62 Die Rechte aus bestimmten arbeitsrechtlichen Sondervorschriften der InsO kann der Schuldner in der Eigenverwaltung wirksam nur mit Zustimmung des Sachwalters ausüben. Dies sind i. E.: 63 Kündigung von Betriebsvereinbarungen, § 120 InsO: Sind in vorinsolvenzlich abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen (§ 77 BetrVG) die Insolvenzmasse belastende Leistungen vorgesehen, so sollen der eigenverwaltende Schuldner und der Betriebsrat über eine einvernehmliche Herabsetzung der Leistungen beraten. Solche Betriebsvereinbarungen sind andernfalls gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 InsO im eröffneten Insolvenzverfahren mit einer Frist von drei Monaten kündbar. Wegen § 279 Satz 3 InsO darf der eigenverwaltende Schuldner die Kündigung als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung nur mit Zustimmung des Sachwalters aussprechen. Nach Zugang der Kündigung beim Betriebsrat kann das Einverständnis des Sachwalters nicht mehr nachgeschoben werden. Eine ohne Einwilligung erfolgte Kündigung ist nichtig.29) 64 Als die Insolvenzmasse belastende Regelungen werden Betriebsvereinbarungen angesehen, die zu Leistungsverpflichtungen des eigenverwaltenden Unternehmers führen. Als Beispiele sind zu nennen Sozialleistungen wie Gratifikationen, Urlaubsgelder, Jubiläumszuwendungen, Ausbildungsbeihilfen, zusätzliche Leistungen für Gesundheitsschutz und Unfallverhütung u. v. m.30) 65 Gerichtliche Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung, § 122 InsO: Der eigenverwaltende Schuldner kann, wenn ein Interessenausgleich zur Durchführung einer Betriebsänderung nicht innerhalb von drei Wochen zustande kommt, die Zustimmung des ArbG beantragen, dass die geplante und dem Betriebsrat vorgestellte Betriebsänderung durchgeführt werden kann, ohne dass das Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG vorangegangen ist (also ohne vorheriges Vermittlungsersuchen an den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit), ohne Einigungsstellenverfahren, ohne drohende Unterlassungsverfügungen und ohne das Damoklesschwert eines Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs. 1 und 3 BetrVG. Bei der Entscheidung des ArbG geht es lediglich um die Eilbedürftigkeit der vom eigenverwaltenden Schuldnerunternehmen beantragten Betriebsänderung, also um deren Zeitpunkt. Das ArbG prüft nicht, ob die geplante Betriebsänderung sinnvoll oder wirtschaftlich zweckmäßig ist, die Entscheidung enthält also inzident keine Zustimmung zur geplanten Maßnahme. 66 In dem Antrag an das ArbG sind sämtliche in § 122 InsO aufgezählten Voraussetzungen darzulegen. Es muss vorgetragen werden, dass trotz ausführlicher Unterrichtung und schriftlicher Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen nicht innerhalb von drei Wochen ein schriftlicher Interessenausgleich zustande gekommen ist. Das Kernproblem der Bestim___________ 28) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 279 Rz. 3; Begr. RegE z. § 331 InsO 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 223; Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 279 Rz. 4; Kern in: MünchKomm-InsO, § 279 Rz. 8. 29) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 279 Rz. 4; Kern in: MünchKomm-InsO, § 279 Rz. 13; Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 279 Rz. 14. 30) Caspers in: MünchKomm-InsO, § 120 Rz. 8.

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mung liegt – wie zumeist in der Praxis – in der rechtzeitigen und umfassenden Unterrichtung des Betriebsrats. Das eigenverwaltende Schuldnerunternehmen hat diese Voraussetzung erfüllt, wenn dem Betriebsrat die wirtschaftlichen und sozialen Gründe, die für die Durchführung der Betriebsänderung sprechen, so mitgeteilt wurden, dass sich dieser ein vollständiges Bild hierüber machen konnte31) und wenn die geplante Betriebsänderung noch nicht durchgeführt wurde. Im Rahmen des Antrags nach § 122 InsO trägt der eigenverwaltende Schuldner die volle Darlegungs- und Beweislast. Ist die Unterrichtung des Betriebsrats nicht ausreichend, wird die sich hieran anschließende Drei-Wochen-Frist nicht in Lauf gesetzt. Der Antrag an das ArbG ist dann unzulässig. Die Zustimmung des Sachwalters gemäß § 279 Satz 3 InsO muss insoweit nicht bereits bei 67 Antragstellung vorliegen, sondern kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung über den Antrag nachgeholt werden.32) Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz, § 126 InsO: Hat der Betrieb keinen Betriebs- 68 rat oder kommt innerhalb von drei Wochen nach Verhandlungsbeginn oder schriftlicher Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen ein Interessenausgleich nach § 125 Abs. 1 InsO nicht zustande, obwohl der Betriebsrat rechtzeitig und umfassend vom eigenverwaltenden Schuldner unterrichtet worden ist, kann ein Beschlussverfahren beim ArbG anhängig gemacht werden. Es ist dabei die Feststellung zu beantragen, dass die Kündigung bestimmter, im Antrag näher bezeichneter Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und sozial gerechtfertigt ist. Dabei kann nach § 126 Abs. 1 Satz 2 InsO die soziale Auswahl der Arbeitnehmer nur im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten überprüft werden. Die Bestimmung ermöglicht dem Schuldner kurz gefasst die Durchführung eines kollek- 69 tiven Kündigungsschutzverfahrens mit dem Ziel, die Rechtmäßigkeit einer Vielzahl von Kündigungen feststellen zu lassen. Für das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren gilt der Amtsermittlungsgrundsatz. Die rechtskräftige Entscheidung im Beschlussverfahren nach § 126 InsO entfaltet sodann Bindungswirkung für individuelle Kündigungsschutzverfahren (§ 127 Abs. 1 InsO). Die Bindungswirkung betrifft aber nur die Frage der sozialen Rechtfertigung der Entlassung nach § 1 KSchG. Die Zustimmung des Sachwalters gemäß § 279 Satz 3 InsO muss auch hier nicht bereits bei 70 Antragstellung vorliegen, sondern kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung über den Antrag nachgeholt werden.33) 2.5

Öffentlich-rechtliche Pflichten, Rechenschaftspflichten und Ordnungsvorschriften

Der Schuldner muss weiterhin seinen öffentlich-rechtlichen und Rechenschaftspflichten 71 nachkommen; außerdem obliegt ihm weiterhin die Beachtung von Ordnungsvorschriften. Das umfasst insbesondere sämtliche steuerliche Aufgaben und Buchhaltungspflichten (§ 281 Abs. 3 i. V. m. § 155 InsO), ggf. Pflichten gegenüber der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), die Sicherstellung der Ad-hoc-Publizität und die Erfüllung der Offenlegungspflichten gemäß §§ 325 ff. HGB. Auch Eintragungspflichten nach dem Handelsregisterrecht muss der Schuldner nachkommen. Des Weiteren hat der Schuldner die Aufgabe, ggf. erforderliche behördliche Genehmigungen zu behalten oder zu erwirken, wie bspw. solche nach dem Gewerbeaufsichtsrecht oder dem BImSchG. Ferner trifft ihn die Pflicht, gesetzliche oder behördliche Auflagen sowie die dem Arbeitnehmer___________ 31) ArbG Berlin v. 26.3.1998 – 5 BV 5735/98, ZInsO 1999, 51, sowie Schöne in: KPB, InsO, § 122 Rz. 20. 32) Kern in: MünchKomm-InsO, § 279 Rz. 15; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 279 Rz. 4. 33) Kern in: MünchKomm-InsO, § 279 Rz. 17; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 279 Rz. 4.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

schutz dienenden Vorgaben der Berufsgenossenschaften zu beachten und einzuhalten. Ebenso sind datenschutzrechtliche Vorgaben zu beachten. 72 Sofern der eigenverwaltende Schuldner diesen Pflichten nicht nachkommt, hat die öffentliche Hand trotz der Insolvenz entsprechende Durchsetzungsmöglichkeiten, so wie im Regelverfahren gegen den Insolvenzverwalter. Dies ändert jedoch nichts an der Qualifikation von auf Geld gerichteten vorinsolvenzlichen Forderungen öffentlich-rechtlicher Gläubiger, die nur Insolvenzforderungen nach § 38 InsO sind, die auch im Falle der Eigenverwaltung nicht vollstreckt oder sonst durchgesetzt werden können.34) 2.6

Zielvorgaben und betriebswirtschaftliche Kontrolle

73 Im Falle der Fortführung des Unternehmens in Eigenverwaltung hat der Sachwalter gemäß § 274 Abs. 2 Satz 1 InsO die Pflicht zur Kontrolle der Umsetzbarkeit des Sanierungsziels, der Liquiditätsplanung sowie der Ertragsplanung.35) Den Schuldner trifft insoweit eine entsprechende Obliegenheit, diese Planungen vorzunehmen und aktuell zu halten. Dazu gehört auch, dass der Schuldner auch im eröffneten Verfahren die Eigenverwaltungsplanung fortschreibt, da ansonsten eine wirksame Kontrolle, ob die Zielsetzungen und Annahmen der Eigenverwaltungsplanung erreicht werden bzw. zutreffen (§ 272 Abs. 1 Nr. 1 lit. a und b, Nr. 2 InsO), nicht möglich ist.36) Ohne Erfüllung dieser Aufgaben kann eine Fortführung in Eigenverwaltung naturgemäß keinen Erfolg haben. In der eigenverwalteten Insolvenz von Konzernunternehmen hat der Schuldner auch die Aufgabe, die Liquidität im Konzern aufrechtzuerhalten, soweit dies insolvenzrechtlich zulässig und dem Ziel der Gläubigerbefriedigung dienlich ist, wobei die Vermögensmassen – wie auch im Regelverfahren – strikt zu trennen sind. 74 Der Schuldner muss bestimmten Informations- und Mitwirkungspflichten nachkommen. Zu Einzelheiten siehe unten Rz. 165 ff. 2.7

Betriebseinstellung

75 Die Entscheidung über die Fortführung des Betriebs oder die ganz oder teilweise Betriebsstilllegung hat grundsätzlich die Gläubigerversammlung nach § 157 InsO zu treffen. Diese Entscheidung gehört zu den Verfahrenszielen, die der Gesetzgeber ausschließlich in die Hand der Gläubiger gelegt hat.37) Auch im Eigenverwaltungsverfahren ändert sich hieran nichts, die allgemeinen Verfahrensvorschriften sind über § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO anwendbar. Insbesondere § 158 InsO ist in diesen Fällen über § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO entsprechend anwendbar. Der Schuldner bedarf also der Zustimmung des Gläubigerausschusses. Falls ein solcher nicht bestellt ist, gilt § 158 Abs. 2 Satz 1 InsO mit umgekehrter Rollenverteilung. Der Schuldner hat, was sich auch aus § 274 Abs. 2 Satz 1 InsO ergibt, den Sachwalter vor der Stilllegung oder Veräußerung zu unterrichten. Auch § 158 Abs. 2 Satz 2 InsO ist in umgekehrter Rollenverteilung anwendbar: In der Eigenverwaltung muss der Sachwal___________ 34) Kern in: MünchKomm-InsO, § 270 Rz. 157 ff. 35) Kern in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 47 ff. 36) Begr. RegE §§ 270 bis 270f InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 203 f.: „Und drittens muss sich der Schuldner während der Eigen-verwaltung an den vorgelegten Angaben, insbesondere zum Finanzplan, zum Konzept für die Durchführung des Insolvenzverfahrens und zu den Kostenauswirkungen der Eigenverwaltung messen lassen. Handlungen und Maßnahmen, die sich mit dem vorgelegten Konzept nicht vereinbaren lassen oder dessen Realisierung gar gefährden, das Bekanntwerden von nicht offengelegten Umständen oder eine Sprengung des Rahmens der Kostenschätzung können wie auch nicht nachvollziehbare Änderungen im verfolgten Konzept Anknüpfungspunkte für eine Beendigung der Eigenverwaltung bilden.“ 37) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 157 Rz. 1; Begr. RegE z. § 331 InsO 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 79 f.; Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 157 Rz. 1.

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ter aufgrund der Reichweite und regelmäßiger Unumkehrbarkeit der Entscheidung berechtigt sein, einen Antrag auf Untersagung der Stilllegung und Veräußerung des Betriebs beim Insolvenzgericht zu stellen. Da der Schuldner nach § 281 Abs. 2 Satz 1 InsO im Berichtstermin selbst den Bericht zu 76 erstatten hat, auf dessen Grundlage die Gläubiger ihre Entscheidung treffen können, hat er auch diesbezüglich erhebliche Einflussnahmemöglichkeiten. Als Korrektiv ist die zwingende Stellungnahme des Sachwalters vorgesehen, § 281 Abs. 2 Satz 2 InsO. Dieser kann und muss die Gläubiger über die Chancen und Risiken der Betriebsfortführung und deren Auswirkungen auf die Gläubigerbefriedigung unterrichten. Er hat dabei zu sämtlichen relevanten innerhalb und außerhalb des Unternehmens liegenden Punkten Stellung zu nehmen. Dies beinhaltet auch objektive Angaben über die Person und die Organe des Schuldners und die Risiken, die möglicherweise in der Organisation des Schuldners liegen. Eine Betriebsfortführung gegen den Willen des Schuldners im Eigenverwaltungsverfahren 77 ist nicht vorstellbar und kann von der Gläubigerversammlung nicht erzwungen werden.38) Ferner kann der Schuldner aufgrund seiner Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis den Betrieb bereits vor der Gläubigerversammlung faktisch stilllegen. Zur Vermeidung einer (faktischen) Betriebsstilllegung durch den Schuldner müsste der Sachwalter die Eigenverwaltung aufheben lassen, um den Betrieb dann in einem Regelinsolvenzverfahren fortführen zu können. 2.8

Kosteneinsparungen und Schadensminderungspflichten

Zur bestmöglichen Gläubigerbefriedigung ist es erforderlich, dass laufende Betriebskosten 78 auf ein notwendiges Maß begrenzt werden. Dies betrifft sowohl die Kosten des laufenden Geschäftsbetriebs, die zum Zweck einer erfolgreichen und die Liquidität schonenden Fortführung des Betriebs und anschließender Sanierung mittels Plan oder durch übertragende Sanierung in aller Regel gesenkt werden müssen, als auch Verwaltungs- und Beratungskosten. Es ist Aufgabe des Schuldners die entsprechenden Kosteneinsparungspotentiale zu ermitteln und dem Sachwalter zu kommunizieren. In der Regel wird die Kosteneinsparung gerade bei lange laufenden Verträgen durch Ausübung der insolvenzrechtlichen Wahlrechte der §§ 103 ff. InsO, die der Schuldner gemäß § 279 InsO ausüben kann, zu erreichen sein. Bei Masseunzulänglichkeit sind die Besonderheiten der Einteilung in Neu- und Altmasse- 79 verbindlichkeiten zu beachten, die vom Schuldner zu nutzen sind, um die Begründung von Neumasseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO weitgehend zu vermeiden. Dies kann insbesondere durch Freigaben und Freistellungen erfolgen, um nicht die Gegenleistung gemäß § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO in Anspruch zu nehmen. Gerade im Bereich der Kosteneinsparung und der Schadensminderungspflichten gibt es 80 regelmäßig einen hohen Informationsbedarf für den Sachwalter und erheblichen Diskussionsbedarf. Grund hierfür sind in der Regel unterschiedliche Bewertungen von Chancen und Risiken von Investitionen oder die Beibehaltung nicht ertragreicher Geschäftsbereiche und bspw. Marketingaufwendungen. Auch lieb gewonnene, aber teure und in der Insolvenzsituation nicht mehr angemessene Kostenpositionen, wie Ausgaben für den geleasten Fuhrpark, das vom Unternehmen gesponserte Kantinenessen oder die Höhe der Geschäftsführergehälter bzw. Beraterkosten seien hier beispielhaft genannt. In diesen Bereich gehören auch Schadensminderungspflichten zur Vermeidung der Vergrößerung der Passivseite, d. h. der zur Tabelle anzumeldenden Forderungen von Gläubigern. So kann es bspw. erhebliche Quotenauswirkungen haben, wenn Mietverträge oder Arbeitsverträge einvernehmlich ___________ 38) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 157 Rz. 10; Janssen in: MünchKomm-InsO, § 157 Rz. 12.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

aufgehoben werden und wenn dadurch die Geltendmachung von Verfrühungsschäden39) oder aufschiebend bedingten Forderungen i. S. des § 191 InsO vermieden wird. Durch weitgehende Vermeidung von weiteren Schäden bei Gläubigern kann eine deutliche Quotenverbesserung für die übrigen Gläubiger erreicht werden. 2.9

Sanierungsmaßnahmen

81 Der Schuldner ist i. R. einer Betriebsfortführung mit dem Ziel der Plansanierung oder der übertragenden Sanierung und zur Vermeidung einer ansonsten notwendig werdenden Liquidation verpflichtet, sämtliche notwendigen Sanierungsmaßnahmen zu ergreifen; die beabsichtigten Maßnahmen sind bereits bei Antragstellung darzustellen, § 270a Abs. 1 Nr. 2 InsO. Diese stehen unter dem Vorbehalt der Finanzierbarkeit wegen der in der Regel geringen Liquidität. Die denkbaren Sanierungsmaßnahmen beinhalten die soeben erwähnten Kosteneinsparungen, gehen aber weit darüber hinaus. Sie sind unternehmensspezifisch und vielfältig, sie reichen vom Cash-Management und verbesserten Controlling über die Prozessoptimierung, die Einkaufs- und Vertriebsoptimierung bis hin zur Konzentration auf Kernkompetenzen oder strategische Entscheidungen zur (Neu-)Ausrichtung des Unternehmens, um nur einige zu nennen. 82 Gerade hier bestehen erhebliche Informationspflichten gegenüber dem Sachwalter und den Gläubigern. Die womöglich bestehenden Zweifel der Gläubiger, dass ausgerechnet der Schuldner selbst, der die Insolvenz des Unternehmens im Vorfeld herbeigeführt hat oder nicht vermeiden konnte, das Unternehmen im Interesse bestmöglicher Gläubigerbefriedigung sanieren soll, gebieten es, dass der Schuldner den Sachwalter und die Gläubigerorgane, also die Gläubigerversammlung und den Gläubigerausschuss, sehr transparent informiert. Auch in Großverfahren, in denen häufig Insolvenz- und Sanierungsexperten der Geschäftsführung zur Seite stehen, als Generalbevollmächtigte auftreten oder als Chief Restructuring Officer (CRO) selbst in die Geschäftsführung gehen, bestehen diese Informations- und Abstimmungspflichten. 2.10 Beauftragung von Beratern 83 Die Verantwortlichkeit für die am Gläubigerinteresse ausgerichtete bestmögliche Betriebsfortführung liegt in der Eigenverwaltung beim Schuldner. Er hat die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, aber auch die strategische Hoheit über das Unternehmen. Das Schicksal der Gläubiger in Hinblick auf ihre Befriedigungschancen liegt weitgehend in seinen Händen. Die Eigenverwaltung bietet für die Fortführung des Betriebs erhebliche Chancen, da eine Fortführung umso leichter ist, wenn Kontinuität gewahrt wird und der Markt das Signal der Fortführung durch den Schuldner richtig versteht. Bei schuldnerischen Betrieben, in denen die Insolvenzursachen in externen oder einmaligen, nicht oder nur einmalig vom Schuldner zu vertretenden Ereignissen liegen, wie bspw. hohe Forderungsausfälle, zu teurer Neubau einer Betriebsimmobilie o. Ä., ist die Betriebsfortführung in Eigenverwaltung sicher erfolgversprechender als bei komplexeren internen Insolvenzursachen. Diese zu beseitigen ist Aufgabe des eigenverwaltenden Schuldners, welcher aber auch die internen insolvenzauslösenden Ursachen zu vertreten hat. Ohne die Durchführung von diese Ursachen beseitigenden Sanierungsmaßnahmen ist das Unternehmen in der Regel nicht fortführungsfähig. 84 Kleine wie große Unternehmen sind in der Regel nicht in der Lage, die im Zusammenhang mit der Betriebsfortführung in der Insolvenz bestehenden Sanierungschancen optimal zu nutzen und Risiken zu vermeiden, wenn sie sich nicht von betriebswirtschaftlich und ___________ 39) Zobel in: Uhlenbruck, InsO, § 113 Rz. 150 ff.; Caspers in: MünchKomm-InsO, § 113 Rz. 31 ff.

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insolvenzrechtlich versierten Beratern unterstützen lassen. Vor allem bei kleineren Unternehmen, Freiberuflern und Handwerksbetrieben läuft der Sachwalter Gefahr, Aufgaben zu übernehmen, die eigentlich dem Schuldner obliegen und für die er möglicherweise haftet, ohne dass er sie vergütet erhält (siehe Rz. 15). Durch das SanInsFoG wurde vom Gesetzgeber auf dieses Praxisproblem reagiert und in 85 § 274 Abs. 2 Satz 2 InsO wurden enumerativ drei Bereiche aufgenommen, bei denen der (vorläufige über den Verweis in § 270b Abs. 1 InsO) Sachwalter den Schuldner auf Anordnung des Gerichts unterstützen kann. Bei mittleren und großen Unternehmen, für die die Eigenverwaltung ursprünglich gar nicht gedacht war,40) bedingt die Schwierigkeit der Aufgabe und das erforderliche Know-how sowie die Beschränktheit der im Unternehmen selbst zur Verfügung stehenden Managementkapazitäten fast immer die Beauftragung von Beratern. Durch die Beauftragung von Beratern soll sichergestellt werden, dass einerseits der Einstieg 86 ins Verfahren, also die Vorbereitung, die Antragstellung und die Akzeptanz der Eigenverwaltung bei Gericht und Gläubigern, aber auch bei allen übrigen Stakeholdern, erleichtert wird. Andererseits soll im Verfahren eine der Komplexität des jeweiligen Unternehmens angemessene Verwaltung durch den Schuldner ermöglicht werden. Die Beauftragung kann prinzipiell auf zweierlei Art erfolgen: entweder durch Abschluss eines Beratungsvertrags mit Festlegung der Anforderungen, Aufgaben und Kompetenzen sowie des Honorars und ggf. Erteilung einer Generalvollmacht oder durch Berufung des Beraters in eine Organstellung im schuldnerischen Unternehmen (siehe auch Specovius, HRI II, § 10 Rz. 64 ff.). Letztere hat den großen Vorteil, dass der Insolvenz- und Sanierungsexperte nicht nur berät, sondern qua Vollmacht oder Amt auch uneingeschränkt zur Umsetzung im Innen- und Außenverhältnis befähigt ist. Die an dieser Praxis geübte Kritik, dass nämlich das Unternehmen sich so seinen Insol- 87 venzverwalter selbst aussuchen könne,41) vermag nicht oder nur in Teilen zu überzeugen.42) Die Komplexität von Großunternehmen, die Schnelligkeit des Geschäftsverkehrs, ein harter Wettbewerb und die mitunter leichte Ersetzbarkeit von Unternehmen in globalen Märkten setzen im Gläubigerinteresse eine professionelle Vorbereitung und zügige Durchführung von Insolvenzverfahren voraus. Diese kann in der Eigenverwaltung bei Unternehmen ab einer gewissen Komplexität und Größenordnung häufig nur durch entsprechende Einschaltung von externen Beratern erreicht werden. Dies wird auch durch den BGH43) und den Gesetzgeber44) gebilligt. Unerlässlich ist, dass auch die Berater, ob in der Geschäftsführung oder nicht, allen Stake- 88 holdern gegenüber klarstellen, dass sie der Sanierung des Unternehmens im Gläubigerinteresse verpflichtet sind. Wichtig ist daher auch, dass ausschließlich das schuldnerische Unternehmen die Berater beauftragt und vergütet. Der Anschein der Parteilichkeit gegenüber den Gesellschaftern oder bestimmten Gläubigergruppen kann die Eigenverwaltung gefährden. Sie wird von den Gläubigern und ihren Gremien, aber auch von Seiten des Sachwalters und des Gerichts nicht toleriert werden. ___________ 40) Zweiter Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, 1986, S. 149 f.; Grub in: Kölner Schrift, 2. Aufl., 2000, S. 671, 682 f., Rz. 31, wagte hingegen die Prognose, dass die Eigenverwaltung „bei mittleren und größeren Wirtschaftsunternehmen eher das Regelinsolvenzverfahren werden“ wird. 41) V. a. AG Duisburg v. 1.9.2002 – 62 IN 167/02, ZIP 2002, 1636, 1639; ebenso Frind, ZInsO 2002, 745, 751; Hofmann, ZIP 2007, 260, 262 f. 42) So wie hier auch Buchalik, NZI 2000, 294, 295 f.; Uhlenbruck, NJW 2002, 3219; jedenfalls für Großverfahren Köchling, ZInsO 2003, 53, 55 f. 43) BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981 Rz. 81. 44) Begr. RegE § 270a InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205.

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89 Bei alldem darf nicht übersehen werden, dass die Beauftragung externer Berater den erstrebten Kostenvorteil der Eigenverwaltung schnell wieder aufzehrt. Der Schuldner hat dies im Interesse der Gläubigerbefriedigung abzuwägen und dem Gericht zum Zwecke der Nachteilsprüfung gemäß § 270a Abs. 1 Nr. 5 InsO schon bei Insolvenzantragstellung eine Kostenschätzung mitzuteilen. Es obliegt dem Sachwalter i. R. seiner allgemeinen Überwachungsfunktion oder i. R. seiner Zustimmungsbefugnis nach § 275 Abs. 1 InsO, die Kosten der Insolvenzverwaltung inklusive der Geschäftsführung und der Berater zu kontrollieren und seine Zustimmung ggf. zu verweigern. Eine Überschreitung der ursprünglich veranschlagten Mehrkosten kann zur Aufhebung der Eigenverwaltung führen, § 272 Abs. 1 Nr. 1 lit. a InsO. 2.11 Versicherung von Vermögen 90 Der eigenverwaltende Schuldner hat zur Insolvenzmasse gehörendes Vermögen zu versichern. Zwar werden durch die zu zahlenden Versicherungsprämien Masseverbindlichkeiten begründet. Die Verwaltung der Insolvenzmasse muss jedoch gemäß dem Verfahrenszweck des § 1 InsO im Interesse der Gläubigergesamtheit erfolgen. Dazu gehört auch die Absicherung der Gläubiger vor einer möglichen Schmälerung der Masse durch Verlust, Beschädigung, Betriebsunterbrechung oder Haftpflichtschäden etc. 2.12 Aufnahme von unterbrochenen Rechtsstreitigkeiten (§§ 85, 86 InsO), allgemeine Prozessführungsbefugnis 91 Mangels besonderer Zuweisung an den Sachwalter bleibt es für die Prozessführungsbefugnis bei der Grundregel, dass der Schuldner in der Eigenverwaltung die Aufgaben des Insolvenzverwalters wahrnimmt. Die Aufnahme von nach § 240 ZPO unterbrochenen Rechtsstreitigkeiten gemäß §§ 85, 86, 179 Abs. 2 InsO und die Führung neuer Prozesse obliegt dem eigenverwaltenden Schuldner. 2.13 Freigabe aus der Masse 92 Die Freigabe von Gegenständen aus der Masse ist Aufgabe des Schuldners.45) Dies ergibt sich wiederum aus der allgemeinen Aufgabenverteilung zwischen Schuldner und Sachwalter. In diesem Bereich muss der Sachwalter seine Überwachungsaufgabe besonders gewissenhaft wahrnehmen, da hier ein Missbrauch der Eigenverwaltung durch den Schuldner besonders naheliegend sein kann. 2.14 Kooperationspflichten in der Konzerninsolvenz, § 270g InsO 93 Im Fall einer Konzerninsolvenz treffen den eigenverwaltenden Schuldner gegenüber den Insolvenzverwaltern anderer Gruppengesellschaften bzw. – wenn auch Gruppengesellschaften eigenverwaltet werden – gegenüber diesen Gruppengesellschaften die Kooperationspflichten des § 269a InsO. Die Befugnis zur Ausübung der Antragsrechte gemäß § 3a Abs. 1, § 3d Abs. 2 InsO und § 269d Abs. 2 Satz 2 InsO, die § 269g Satz 2 InsO dem eigenverwaltenden Schuldner explizit zuweist, ergibt sich schon aus der allgemeinen Zuweisung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis. 3.

Gläubigerinformation (§ 281 InsO)

94 Anknüpfend an die beim Schuldner liegende Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO, hat nach § 281 InsO der eigenverwaltende Schuldner auch die allge___________ 45) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 16.

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Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners

§8

meine Unterrichtung der Gläubiger zu übernehmen. Die Unterrichtung der Gläubiger und des Gerichts ist im Hinblick auf Umfang und Zeitpunkt der Information durch die InsO in wichtigen Teilen formalisiert und vereinheitlicht. Wann und welche Informationen über das verwaltete Vermögen zu erteilen sind, wird vom Insolvenzgericht im Eröffnungsbeschluss nach § 29 InsO festgelegt und unterliegt nicht dem Belieben des eigenverwaltenden Schuldners. Der Termin für die erste Gläubigerversammlung soll nicht später als sechs Wochen und darf nicht später als drei Monate nach Verfahrenseröffnung angesetzt werden. Die im Gesetz normierten Informations- und Darlegungspflichten sind mittlerweile eben- 95 falls weitgehend formal standardisiert. Die in Literatur, Rechtsprechung und v. a. der Praxis herausgearbeiteten Standards werden, mit leichten regionalen Unterschieden, je nach Vorstellung und Organisation der Insolvenzgerichte, mit Hilfe von Softwareprogrammen für die Insolvenzverwaltung abgebildet, über die der eigenverwaltende Schuldner aber i. d. R. nicht verfügen dürfte. Diese auch formale Vereinheitlichung erleichtert Gerichten und Gläubigern die Einarbeitung in die zur Verfügung gestellten Informationen und deren Auswertung. Auch die Form und der Inhalt der Rechnungslegung und des in der ersten Gläubigerver- 96 sammlung zu erstattenden Berichts sind weitgehend standardisiert. Insoweit wird der Schuldner hier auf die Unterstützung und Hilfestellung durch einen Berater angewiesen sein.46) Auch der Sachwalter tut sich erheblich leichter, seinen Überwachungsaufgaben und seiner Verpflichtung zur Stellungnahme nachzukommen, wenn sich der Schuldner formal und inhaltlich an seinen Vorgaben orientiert. Daneben verlangt die Eigenverwaltung vom Schuldner auch für die Gläubigerinformation 97 fundierte Kenntnisse des materiellen Insolvenzrechts. Der Schuldner, der nicht selbst über Berater oder Organe insolvenzrechtliches Fachwissen hat, wird diese formalen Anforderungen nur ausnahmsweise inhaltlich korrekt erfüllen können. So sind im Gläubigerverzeichnis bspw. die absonderungsberechtigten Gläubiger (§§ 50, 51 InsO) sowie deren mutmaßlicher Ausfall gesondert aufzuführen. Die entsprechende Prüfung wird dem Schuldner ohne entsprechendes Know-how nur mit Unterstützung eines Beraters möglich sein. Die Informationspflicht umfasst grundsätzlich alle im Regelverfahren dem Verwalter oblie- 98 genden Aufgaben zur Information der Gläubiger (§§ 151 – 156 InsO). Diese sollen einen umfassenden Überblick über das Vermögen des Schuldners und die Gläubiger im Verfahren erhalten. Sie sollen „seine Kontrolle ermöglichen sowie den Insolvenzbeteiligten das Wissen für ihre Entscheidungen vermitteln“.47) Im Regelverfahren dienen diese Aufgaben auch der Ermöglichung der Aufsicht des Insolvenzgerichts über die Tätigkeit des Insolvenzverwalters. Im Insolvenzverfahren mit Eigenverwaltung dienen sie der Ausübung der Aufsicht durch den Sachwalter und durch die Gläubigerversammlung, da eine unmittelbare Aufsicht des Gerichtes nicht stattfindet (siehe oben Rz. 8). Die Unterrichtungspflicht umfasst aber nur das der Verwaltungs- und Verfügungsbefug- 99 nis unterliegende Vermögen, nicht die Ansprüche, die nach § 280 InsO allein vom Sachwalter geltend gemacht werden können. Insofern besteht für den Sachwalter eine eigene Unterrichtungspflicht.48) ___________ 46) Eine Übernahme der Rechnungslegung durch den Sachwalter kommt auch nach neuem Recht nicht in Betracht. Zu der Frage, wie weit die „Unterstützung“ gemäß § 274 Abs. 2 Satz 2 InsO gehen darf, s. Rz. 184. 47) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 281 Rz. 2. 48) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 281 Rz. 3.

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§8 3.1

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren Verzeichnis der Massegegenstände49)

100 Nach § 281 Abs. 1 Satz 1 InsO hat der Schuldner die insolvenzrechtlichen Verzeichnisse zu führen. Im Einzelnen sind dies das Verzeichnis der Massegegenstände gemäß § 151 InsO, das Gläubigerverzeichnis gemäß § 152 InsO sowie die Vermögensübersicht gemäß § 153 InsO. § 151 InsO ist bei Verzeichniserstellung durch den Schuldner im Falle der Eigenverwaltung umfassend entsprechend anzuwenden mit der Maßgabe, dass der Schuldner an die Stelle des Insolvenzverwalters tritt. Auf begründeten Antrag hin kann das Insolvenzgericht dem Schuldner die Erstellung des Verzeichnisses der Massegegenstände erlassen, § 151 Abs. 3 Satz 1 InsO. Gegebenenfalls ist gemäß § 151 Abs. 3 Satz 2 InsO die Zustimmung des Gläubigerausschusses dazu einzuholen. Wenn kein solcher bestellt ist, bedarf es stattdessen der Zustimmung des Sachwalters.50) 101 Aufzunehmen in das Verzeichnis der Massegenstände sind alle gemäß §§ 35, 36 InsO zur Insolvenzmasse gehörigen Gegenstände (Sachen und Rechte). Gegenstände, an denen ein Aussonderungsrecht besteht, sind nicht aufzunehmen, mit Ausnahme von solchen Gegenständen, die der Schuldner unter Eigentumsvorbehalt erworben hat. Diese Gegenstände können nach Ausübung der Gestaltungsrechte zur Insolvenzmasse gehören. Über sie muss demnach informiert werden. Dieses Interesse kann auch dann bestehen, wenn ein evtl. bestehendes Aussonderungsrecht noch nicht sicher feststeht. Aufzunehmen sind auch Rechte, die insolvenzspezifisch entstanden sind, v. a. aus Insolvenzanfechtung, hier insbesondere auch die Anfechtung der Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen gemäß § 135 InsO, Schadensersatzansprüche nach § 15b InsO (oder ggf. § 64 GmbHG a. F., § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG a. F.), Verlustausgleich im Konzern gemäß § 302 AktG. Gemäß § 151 Abs. 2 Satz 2 InsO sind ggf. sowohl Fortführungs- als auch Liquidationswert anzugeben. 3.2

Gläubigerverzeichnis

102 § 152 InsO ist entsprechend anzuwenden. An die Stelle des Insolvenzverwalters tritt der eigenverwaltende Schuldner. In das Gläubigerverzeichnis sind alle bekannten Gläubiger aufzunehmen, also nicht etwa nur diejenigen, die eine Forderung angemeldet haben. Gemäß § 152 Abs. 2 InsO ist dabei zu gliedern nach absonderungsberechtigten Gläubigern und den einzelnen Rangklassen der nachrangigen Gläubiger. Anschrift des Gläubigers (für die Zustellung des Eröffnungsbeschlusses, § 30 Abs. 2 InsO) sowie Grund und Betrag seiner Forderung sind anzugeben. Bei absonderungsberechtigten Gläubigern bedarf es außerdem der Angabe des Gegenstands, an dem ihr Recht besteht, sowie der mutmaßlichen Höhe eines evtl. Ausfalls. Gegebenenfalls bestehende Möglichkeiten der Aufrechnung sind anzugeben; zuletzt ist die Höhe der Masseverbindlichkeiten zu schätzen, § 152 Abs. 3 InsO. 103 Aussonderungsberechtigte Gläubiger sind grundsätzlich nicht aufzunehmen; eine Ausnahme besteht hier nur insoweit, als aufgrund des Informationsinteresses beim Eigentumsvorbehalt oder bei unklarer Rechtslage der entsprechende Gegenstand in das Verzeichnis der Massegegenstände aufgenommen wurde und deshalb Insolvenzforderungen dieser Gläubiger im Raume stehen.

___________ 49) Vgl. die beispielhafte Darstellung bei Jaffé in: MünchKomm-InsO, § 151 Rz. 8. 50) A. A. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 281 Rz. 2; Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 281 Rz. 4; ein Zustimmungserfordernis des Sachwalters auch bei Bestehen eines Gläubigerausschusses nimmt offenbar an Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 281 Rz. 12 „[…] auch dann, wenn kein Gläubigerausschuss bestellt ist“.

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Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners 3.3

§8

Vermögensübersicht

In gleicher Weise ist die Vorschrift des § 153 InsO über die Aufstellung einer Vermögens- 104 übersicht in der Eigenverwaltung entsprechend anzuwenden. In der Vermögensübersicht sind die Gegenstände der Insolvenzmasse den Verbindlichkeiten des Schuldners gegenüberzustellen. Auch hier sind ggf. Fortführungs- und Liquidationswert anzugeben. Die Verbindlichkeiten sind wie i. R. des § 152 InsO zu gliedern. Die Vermögensübersicht muss den bilanzrechtlichen Grundsätzen der Richtigkeit, Vollständigkeit, neutralen Wertermittlung, Wesentlichkeit, Klarheit sowie dem Stichtagsprinzip genügen.51) 3.4

Niederlegung

Trotz fehlenden Verweises in § 281 Abs. 1 Satz 1 InsO ist auch § 154 InsO in der Eigen- 105 verwaltung anzuwenden.52) Die Verzeichnisse müssen demnach spätestens eine Woche vor dem Berichtstermin zur Einsicht der Beteiligten in der Geschäftsstelle des zuständigen Insolvenzgerichts niedergelegt werden. Dies umfasst auch die Stellungnahme des Sachwalters gemäß § 281 Abs. 1 Satz 2 InsO. Nur so erhalten die Gläubiger die Möglichkeit, sich rechtzeitig vor dem Berichtstermin einen Überblick zu verschaffen. Dadurch soll die sinnvolle Mitwirkung in der ersten Gläubigerversammlung ermöglicht werden. Nicht gesetzlich geregelt ist, in welchem Zeitraum vor der ersten Gläubigerversammlung 106 die Verzeichnisse und der Bericht vom Schuldner dem Sachwalter zur Kontrolle und Stellungnahme vorzulegen sind. Dies sollte der Sachwalter je nach Umfang des Verfahrens auf einen so rechtzeitigen Zeitpunkt festlegen, dass er seinen Kontroll- und Stellungnahmepflichten nachkommen kann. 3.5

Berichterstattung

3.5.1 Berichtstermin (§ 156 InsO) Der Schuldner hat gemäß § 281 Abs. 2 InsO an Stelle des Insolvenzverwalters Bericht an 107 die Gläubiger entsprechend § 156 InsO zu erstatten. Der Bericht ist schriftlich abzufassen53) und mündlich im Termin vorzutragen. Der Inhalt der Berichtspflicht ist vom Gesetzgeber in § 156 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 InsO festgelegt. Darzustellen sind 

die wirtschaftliche Lage des Schuldners,



die Ursachen der wirtschaftlichen Lage (insbesondere die Ursachen der Insolvenz),



Aussichten zum Erhalt des Unternehmens im Ganzen oder in Teilen,



Möglichkeiten für einen Insolvenzplan,



die jeweiligen Auswirkungen für die Gläubigerbefriedigung.

Die Gläubigerautonomie erfordert eine umfassende und objektive Information durch den 108 eigenverwaltenden Schuldner entsprechend der Berichtspflicht des Insolvenzverwalters im Regelverfahren. Der Umfang der Informationspflichten wird vom Umfang der Entscheidungsbefugnisse der Gläubiger vorgegeben. In der Gläubigerversammlung werden nach dem Willen des Gesetzgebers die wesentlichen Weichen für den Verfahrensfortgang gestellt. Die Gläubiger haben in der Gläubigerversammlung v. a. die folgenden, für den Fortgang des Verfahrens ganz wesentlichen Entscheidungskompetenzen und Rechte: 

Entscheidungen über die Beendigung der Eigenverwaltung (§ 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO),

___________ 51) Jaffé in: MünchKomm-InsO, § 153 Rz. 2 ff. 52) Holzer in: KPB, InsO, § 281 Rz. 5. 53) Janssen in: MünchKomm-InsO, § 156 Rz. 17; a. A. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 156 Rz. 5, und Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 156 Rz. 6 – Schriftform keine Pflicht, aber sinnvoll.

Bierbach

309

§8

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren



Antrag auf Zustimmungsbedürftigkeit für bestimmte Rechtsgeschäfte durch den Sachwalter (§ 277 Abs. 1 InsO),



Entscheidung über die Fortführung oder Einstellung des Unternehmens (§ 157 InsO),



Entscheidung über die Insolvenzplanerstellung (§ 157 InsO),



Wahl eines Gläubigerausschusses (§ 68 InsO),



Zustimmung zu besonders bedeutsamen Rechtshandlungen (§ 160 InsO),



Betriebsveräußerung an besonders Interessierte (§ 162 InsO),



Betriebsveräußerung unter Wert (§ 163 InsO),



Wahl eines anderen Sachwalters (§ 274 Abs. 1 i. V. m. § 57 InsO).

109 Entsprechend umfassend sollte der Bericht des Schuldners Auskunft erteilen, um den Gläubigern zu all diesen Punkten eine Entscheidungsgrundlage zu geben und eine Meinungsbildung unter Abwägung der Chancen und Risiken der Entscheidungsalternativen zu ermöglichen. 110 Insbesondere i. R. seines Berichts an die Gläubiger, der sich gemäß § 156 Abs. 1 Satz 2 InsO auch auf Fortführungsaussichten erstreckt, hat der Schuldner die Möglichkeit, Einfluss auf die Entscheidungen der Gläubiger hinsichtlich des weiteren Verlaufs des Insolvenzverfahrens zu nehmen.54) Regelmäßig werden die Gläubiger begründete Entscheidungsvorschläge von ihm erwarten. Ganz maßgeblich für den Erfolg des Verfahrens ist hier eine in den wesentlichen Punkten möglichst deckungsgleiche Stellungnahme des Sachwalters. Widersprüchliche Aussagen werden die Gläubiger verunsichern, das Verfahren verzögern und die Fortführung des Unternehmens und damit die Gläubigerbefriedigung gefährden. Ob eine gute Zusammenarbeit zwischen eigenverwaltendem Schuldner und Sachwalter gegeben ist, wird im Berichtstermin offensichtlich und dürfte regelmäßig entscheidende Bedeutung für den Verfahrensfortgang und -erfolg haben. Zur Kontrolle durch den Sachwalter siehe Minuth, HRI II, § 9 Rz. 110 ff. 3.5.2 Inhalt des Berichts im Einzelnen 111 Für einen umfassenden Bericht der Gläubiger sind mindestens folgende Informationen erforderlich: 112 Allgemeines/Gesellschaftsverhältnisse: 

Insolvenzverfahren: –



Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung, Grund für die Insolvenzantragstellung,



Anordnung von Sicherungsmaßnahmen im vorläufigen Verfahren,



Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

Gesellschaftsverhältnisse: –

Wer sind Gesellschafter mit welchen Anteilen, wer ist Geschäftsführer; Berater?



Angaben zu Kapital und Kapitalaufbringung,



evtl. Börsennotierung.



Unternehmenshistorie;



Darstellung des Geschäftsgegenstands;

___________ 54) Kern in: MünchKomm-InsO, § 281 Rz. 21; Holzer in: KPB, InsO, § 281 Rz. 14.

310

Bierbach

Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners

§8



Darstellung der wesentlichen Geschäftskennzahlen wie Umsatzerlös, Jahresergebnis, Kapital, ggf. detaillierte Angaben zu Rohertrag, Ergebnisentwicklung und einzelne Sparten;



Unternehmensfinanzierung.

Aktuelle Situation des Geschäftsbetriebs:

113



Besteht ein laufender Geschäftsbetrieb? Mit welchen Besonderheiten?



Situation der Arbeitnehmer, Informationen zu Betriebsrat, Insolvenzgeldzahlungen etc.,



Auflistung der Miet- und ggf. auch der Untermietverhältnisse,



Darstellung von Leasing- und Finanzierungsverhältnissen,



Stand der Buchhaltung,



Steuerliche Verhältnisse,



Einhaltung der Eigenverwaltungsplanung/Begründung für eventuelle Abweichungen.

Die Insolvenz und die Insolvenzursachen:

114



Zahlungsunfähigkeit/drohende Zahlungsunfähigkeit,



Überschuldung,



Eintritt der Insolvenzreife (die Angaben hierzu sind besonders wichtig, um den Gläubigern einen Überblick zu geben, ob Haftungsansprüche gegen Geschäftsführung oder Berater bestehen können und ob diese hinreichend geltend gemacht werden);



Ursachen der Insolvenz, insbesondere bei beabsichtigter Fortführung des Betriebs oder Plansanierung ist eine umfassende Analyse der Insolvenzursachen erforderlich, da nur im Falle von deren Beseitigung eine Fortführung/Plansanierung möglich sein wird.

Tätigkeitsbericht des eigenverwaltenden Schuldners:

115



Angaben zur vorhandenen Liquidität und den geführten Konten,



Tätigkeiten zur Betriebsfortführung,



Verhältnis zu Lieferanten und Kunden,



Auftragsbestand etc.,



Behandlung von Aus- und Absonderungsrechten,



Versicherungsschutz,



Ergreifen von Sanierungsmaßnahmen inklusive der Ausübung der Wahlrechte gemäß § 279 i. V. m. §§ 103 bis 128 InsO.

Fortführungsaussichten jeweils unter Angabe der Auswirkungen für die Gläubigerbefrie- 116 digung: 

Chancen und Risiken der Betriebsfortführung,



Chancen und Risiken übertragender Sanierung,



Möglichkeiten für ein Insolvenzplanverfahren.

Beginn der Verwertungshandlungen:

117



Forderungseinzug,



Verwertung von Anlage- und Umlaufvermögen,



insolvenzspezifische Ansprüche, ggf. Verweis auf die Geltendmachung von Anfechtungsansprüchen etc. durch den Sachwalter.

Weitere Informationen: 

118

Zusammenarbeit mit dem Sachwalter, Bierbach

311

§8

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren



Gegebenenfalls Zusammenarbeit mit dem vorläufigen Gläubigerausschuss,



Verfahrensdauer,



Quotenaussichten,



Anträge über Zustimmungen in der Gläubigerversammlung.

119 Davon abgesehen hat der Schuldner in dem Bericht gemäß § 156 InsO detaillierte Informationen über die von ihm beabsichtigten besonders bedeutsamen Rechtshandlungen aufzunehmen, zu denen er die Zustimmung der Gläubigerversammlung einholen möchte. Der Schuldner hat die Gläubiger i. E. über die Folgen, Chancen und Risiken dieser sowie über Alternativen zu diesen Rechtshandlungen zu informieren. 3.5.3 Allgemeine Auskunftspflicht 120 Darüber hinaus hat der Schuldner eine allgemeine „Auskunftspflicht“ gegenüber der Gläubigerversammlung entsprechend § 79 InsO.55) In der Praxis wird das Gericht den Schuldner zur turnusmäßigen Berichterstattung (in der Regel zwischen sechs und zwölf Monaten) auffordern. Sie kann mit der Zwischenrechnungslegung (siehe dazu unten Rz. 123 f.) verknüpft werden. 3.6

Rechnungslegung (§ 281 Abs. 3 InsO)

3.6.1 Schlussrechnungslegung56) 121 § 281 Abs. 3 InsO überträgt dem Schuldner in der Eigenverwaltung sowohl die Aufgabe der insolvenzrechtlichen Rechnungslegung nach § 66 InsO als auch der handels- und steuerrechtlichen Rechnungslegung gemäß § 155 InsO. Ebenso wie der Insolvenzverwalter im Regelverfahren hat der Schuldner in der Eigenverwaltung die Verpflichtung zur „dualen Rechnungslegung“.57) Im Hinblick auf die steuerrechtliche Rechnungslegungspflicht können sich Kapitalgesellschaften vom Registergericht gemäß § 270 Abs. 3 AktG, § 71 Abs. 3 GmbHG von der Überprüfung des Jahresabschlusses durch einen Abschlussprüfer befreien lassen.58) 122 Die Ausgestaltung der Schlussrechnung ergibt sich aus dem BGB und anderen Gesetzen, insbesondere dem HGB. Daneben wurde durch die Rechtsprechung in diesem Bereich zu beachtendes Gewohnheitsrecht geschaffen, indem sie eine „geordnete Aufstellung der Einnahmen und Ausgaben“ verlangt.59) Zur Rechnungslegung gehören insbesondere eine Überschussrechnung (chronologische Einnahmen-Ausgaben-Rechnung), eine Schlussbilanz (in Anlehnung an die Vermögensübersicht gemäß § 153 InsO, nicht verpflichtend), ein Schlussbericht (als Tätigkeitsbericht) und ein Schlussverzeichnis (in Anlehnung an die Tabelle gemäß § 175 InsO). Zur Kontrolle durch den Sachwalter siehe Minuth, HRI II, § 9 Rz. 110 ff. 3.6.2 Zwischenrechnungslegung 123 Die insolvenzrechtliche Rechnungslegungspflicht umfasst neben der Pflicht zur Schlussrechnungslegung, § 281 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 66 Abs. 1 und 2 InsO, auch die Pflicht zur Zwischenrechnungslegung, § 281 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 66 Abs. 3 InsO. Trotz ausdrücklich fehlendem Verweis gilt auch für die Zwischenrechnungslegung die Prüfungs- und ___________ 55) 56) 57) 58) 59)

312

Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 79 Rz. 16; Kern in: MünchKomm-InsO, § 281 Rz. 22. Riedel in: MünchKomm-InsO, § 66 Rz. 7 ff.; Jaffé in: MünchKomm-InsO, § 155 Rz. 24. Holzer in: KPB, InsO, § 281 Rz. 12. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 281 Rz. 5; Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 281 Rz. 26. BGH v. 29.1.1985 – X ZR 54/83, ZIP 1985, 810, dazu EWiR 1985, 259 (Stürner).

Bierbach

Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners

§8

Erklärungspflicht des Sachwalters, weil nur so die umfassende Gläubigerinformation gewährleistet ist.60) Der Wortlaut des § 281 Abs. 3 Satz 2 spricht nicht zwingend dagegen, weil wohl eher gemeint ist, dass lediglich zur sog. externen Rechnungslegung gemäß § 155 InsO keine Erklärungspflicht des Sachwalters besteht. So wie gemäß § 66 Abs. 3 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 InsO im Regelverfahren das Insolvenzgericht sowohl die Schluss- als auch die Zwischenrechnungslegung des Insolvenzverwalters überprüft, muss im Eigenverwaltungsverfahren der Sachwalter auch sowohl die Schluss- als auch die Zwischenrechnungslegung des eigenverwaltenden Schuldners prüfen. Die Zwischenrechnungslegung hat gemäß § 66 Abs. 3 Satz 2 InsO nach denselben Maß- 124 stäben zu erfolgen wie die Schlussrechnungslegung. Die Zwischenrechnungslegung wird in der Regel mit einem schriftlich ausformulierten Zwischenbericht nach § 79 InsO zur Erläuterung der Rechnungslegung versehen. Dieser soll zumindest über den Fortgang des Geschäftsbetriebs, Verwertungshandlungen und -erlöse, angefallene Ausgaben, die Befriedigung von Absonderungsrechten, laufende Prozesse, die Prognose zur Verfahrensdauer und die Befriedigungsaussichten der Gläubiger berichten. 3.7

Aufhebung der Eigenverwaltung (§ 272 InsO)

Der Schuldner ist gemäß § 272 Abs. 1 Nr. 5 InsO berechtigt, die Aufhebung der Anord- 125 nung der Eigenverwaltung zu beantragen. Auf diesen Antrag hin ist die Eigenverwaltung aufzuheben, denn ein Eigenverwaltungsverfahren, hinter dem der Schuldner nicht steht, ist sinnlos und im Zweifel eine Gefahr für die Gläubigerinteressen. Eine Pflicht des Schuldners, die Aufhebung der Anordnung der Eigenverwaltung in bestimmten Fällen zu beantragen, lässt sich aus dem Gesetz jedoch nicht herleiten. Dies kann in entsprechenden Fällen aber durch die Gläubigerversammlung oder einzelne Gläubiger beantragt werden, § 272 Abs. 1 Nr. 3 oder Nr. 4 InsO, welche zuvor vom Sachwalter nach § 274 Abs. 3 InsO zu unterrichten sind. In der Praxis erfolgt die Aufhebung der Eigenverwaltung in vielen Fällen auf Antrag des Schuldners, wenn ihr „Zweck“ erreicht ist, also z. B. nach Betriebsveräußerung, aber auch etwa nach Betriebseinstellung. Nach neuem Recht kommt unter den Voraussetzungen des § 272 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 126 InsO auch eine amtswegige Aufhebung der Eigenverwaltung durch das Insolvenzgericht in Betracht. Anders als im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren steht dem Sachwalter mit Zustimmung des Gläubigerausschusses oder dem Gläubigerausschuss aber kein eigenes Recht mehr zu, die Aufhebung der Eigenverwaltung zu beantragen, Gemäß § 272 Abs. 2 Satz 3 InsO steht dem Schuldner nur in einer Konstellation ein Be- 127 schwerderecht gegen die Aufhebung der Eigenverwaltung zu. Das Rechtsmittel ist nur dann statthaft, wenn der Beschluss über die Aufhebung der Eigenverwaltung auf Antrag eines einzelnen Gläubigers gemäß § 272 Abs. 1 Nr. 4 InsO ergangen ist. Hat hingegen die Gläubigerversammlung die Aufhebung der Eigenverwaltung beantragt oder das Insolvenzgericht die Aufhebung amtswegig beschlossen, ist gegen den entsprechenden Beschluss des Insolvenzgerichts kein Rechtsmittel statthaft.61) Vgl. zum Ganzen auch Flöther, HRI II, § 14. 3.8

Planerstellung (§ 284 InsO)

Das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung wird in der Regel dann vom Schuldner ange- 128 strebt, wenn er beabsichtigt, das Verfahren im Einvernehmen mit seinen Gläubigern durch Abschluss eines Insolvenzplans zu beenden. Zwar kann die Eigenverwaltung auch bei be___________ 60) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 281 Rz. 31 m. w. N.; a. A. Holzer in: KPB, InsO, § 281 Rz. 13. 61) Kern in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 56.

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313

§8

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

absichtigter Liquidation beantragt werden, hiervon ist jedoch in vielen Fällen abzuraten.62) Beim Schutzschirmverfahren nach § 270d InsO ist die Sanierungsabsicht durch Plan sogar Eintrittsvoraussetzung in das Verfahren. In aller Regel dürfte die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit der Beauftragung des Schuldners oder Sachwalters mit der Planerstellung durch die Gläubigerversammlung insofern überflüssig sein, als der Schuldner regelmäßig bereits vor Antragstellung einen sog. „Pre-Packaged-Plan“ ausgearbeitet hat oder zumindest vor dem Berichtstermin mit der Ausarbeitung begonnen hat. Sollte die Gläubigerversammlung dennoch einmal das Planinitiativrecht nutzen und den Schuldner mit der Planerstellung beauftragen, hat dieser den Plan in angemessener Frist vorzulegen.63) 129 § 284 InsO trifft zum Insolvenzplan in der Eigenverwaltung einige spezielle Regelungen bzw. Modifikationen zur Aufgabenverteilung. Materielle Sonderregelungen zum Insolvenzplanverfahren nach §§ 217 ff. InsO enthält er nicht. So ist nach § 284 Abs. 1 ein Auftrag zur Ausarbeitung eines Plans nicht an einen – in der Eigenverwaltung nicht existenten – Insolvenzverwalter, sondern entweder an den Schuldner oder an den Sachwalter zu richten. Wird der Auftrag an den Schuldner gerichtet, wirkt der Sachwalter gemäß § 284 Abs. 1 Satz 2 InsO an der Planerstellung beratend mit. Beiden kann die Gläubigerversammlung dabei gemäß § 157 Satz 2 InsO das Ziel des Plans vorgeben. Die Planüberwachung ist, so sie denn nach § 260 InsO im Plan vorgesehen ist, nach § 284 Abs. 2 InsO Aufgabe des Sachwalters. 130 Entsprechendes wird auch für die Fortsetzung von Insolvenzanfechtungsklagen zu gelten haben. Da diese in der Eigenverwaltung nach § 280 InsO in die ausschließliche Kompetenz des Sachwalters fallen, muss auch diesbezüglich im Plan eine Regelung nach § 259 Abs. 3 InsO enthalten sein. Es verbleibt dann bei der Prozessführungsbefugnis und Zuständigkeit des Sachwalters. 131 Ein eigenes Planinitiativrecht des Sachwalters ist – dem Grundsatz folgend, dass in der Eigenverwaltung grundsätzlich der Schuldner die laufenden Geschäfte zu erledigen hat und dem Sachwalter nur Überwachungsaufgaben zukommen – nicht vorgesehen.64) 132 Der Schuldner kann neben einem durch die Gläubigerversammlung beauftragten auch einen zweiten Plan aus eigener Initiative vorlegen.65) 4.

Insolvenzspezifische Gestaltungsrechte

4.1

Kompetenz des Schuldners

133 Gemäß § 279 InsO tritt der Schuldner bei der Ausübung des Wahlrechts bzgl. gegenseitiger Verträge an die Stelle des Insolvenzverwalters. Im Übrigen ergeben sich innerhalb der Regelungen der §§ 103 ff. InsO keine materiellen Besonderheiten. Ähnlich wie bei der Übertragung der Verfügungs- und Verwertungsbefugnis gibt die InsO hier dem Schuldner wesentliche insolvenzrechtliche Gestaltungsrechte zur Beendigung von für die Masse ungünstigen Verträgen oder Dauerschuldverhältnissen an die Hand (siehe auch Minuth, HRI II, § 9 Rz. 75 ff.). 134 Die richtige taktische Anwendung, die materiell-rechtlich richtige Ausübung und die Bewertung der wirtschaftlichen Konsequenzen der Ausübung von Wahlrechten ist eine der schwierigsten Aufgaben im Insolvenzverfahren überhaupt. Entscheidungsmaßstab für die Ausübung ist das Interesse der Gläubiger an einer möglichst optimalen Befriedigung.66) ___________ 62) 63) 64) 65) 66)

314

Holzer in: KPB, InsO, § 284 Rz. 1. Holzer in: KPB, InsO, § 284 Rz. 14. Kern in: MünchKomm-InsO, § 284 Rz. 16. Kern in: MünchKomm-InsO, § 284 Rz. 15. Holzer in: KPB, InsO, § 279 Rz. 6.

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Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners

§8

Der Schuldner selbst, der vorinsolvenzlich Verträge abgeschlossen hat, erhält hier das für den Vertragspartner oft mit erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen verbundene Recht, sich von diesen wieder zu lösen. Diese Durchbrechung des Rechtsgrundsatzes „pacta sunt servanda“ kann, da in der Eigenverwaltung gerade nicht ein neutraler Insolvenzverwalter diese Rechte ausübt, zu Konflikten mit Vertragspartnern führen, die erhebliche, auch negative Auswirkungen auf den Geschäftsbetrieb haben können. Darüber hinaus wird der Schuldner auch moralische Bedenken und Skrupel zu überwinden haben. Insofern ist er dem Sachwalter nicht nur bzgl. der Ausübung, sondern gerade auch bzgl. der Nichtausübung von Wahlrechten zur Rechenschaft verpflichtet. 4.2

Einvernehmen mit dem Sachwalter

Nach § 279 Satz 2 InsO soll der Schuldner seine Wahlrechte im Einvernehmen mit dem 135 Sachwalter ausüben. Die Missachtung der Vorschrift des § 279 Satz 2 InsO hat keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit der schuldnerischen Handlung67) im Außenverhältnis. Zu befürchten steht dann allerdings, dass die Gläubigerversammlung oder auch ein einzelner Gläubiger die Aufhebung der Anordnung der Eigenverwaltung gemäß § 272 InsO beantragt. Es gilt das Gleiche wie auch bei den besonders bedeutsamen Rechtshandlungen i. S. von § 276 InsO (siehe dazu oben Rz. 51; vgl. außerdem Minuth, HRI II, § 9 Rz. 75 ff.). 4.3

Zustimmungserfordernis

Zu beachten ist § 279 Satz 3 InsO, der in bestimmten Fällen aus dem arbeitsrechtlichen Be- 136 reich die Zustimmung des Sachwalters zu der Ausübung des Wahlrechts zwingend erforderlich macht (siehe Rz. 62 ff.). Außerdem kann über diese Fälle hinaus die Gläubigerversammlung gemäß § 277 InsO für die Ausübung von Wahlrechten des Schuldners die Zustimmungsbedürftigkeit anordnen lassen. 4.4

Die Gestaltungsrechte im Einzelnen

§§ 103 ff. InsO enthalten Regelungen zu insolvenzrechtlichen Gestaltungsrechten und den 137 materiellen Rechtsfolgen im Falle ihrer Ausübung. Im Folgenden sollen die gerade für die Sanierung in der Insolvenz maßgeblichen Wahlrechte aufgelistet werden. Zu Einzelheiten ist auf die Literatur zu verweisen (siehe auch Minuth, HRI II, § 9 Rz. 75).68) 

§ 103 InsO: Wahlrecht bei gegenseitigen, nicht erfüllten Verträgen, modifiziert durch §§ 104 bis 107 InsO.



§ 109 InsO: Kündigungsmöglichkeiten von Miet- oder Pachtverhältnissen über Immobilien oder Räume, die der Schuldner als Mieter oder Pächter eingegangen ist; Rücktrittsrecht für den Fall, dass der Miet- oder Pachtgegenstand noch nicht überlassen ist.



§ 113 InsO: Kündigung von Dienstverhältnissen (siehe Rz. 58).



§ 120 InsO: Kündigung von Betriebsvereinbarungen (siehe Rz. 63 f.).



§ 122 InsO: Gerichtliche Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung (siehe Rz. 65 f.).



§ 124 InsO: Widerruf eines vorinsolvenzlichen Sozialplans (siehe Gossak, HRI II, § 46 Rz. 161 ff.).



§ 125 InsO: Modifikationen bei Interessenausgleich und Kündigungsschutz (siehe Rz. 60).



§ 126 InsO: Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz (siehe Rz. 68 f.).

___________ 67) Kern in: MünchKomm-InsO, § 279 Rz. 8. 68) Etwa Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 143 ff.

Bierbach

315

§8

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

5.

Verwertung und Verteilung

5.1

Verwertung von Sicherungsgut (§ 282 InsO)

138 Dem Schuldner steht – wie in der Regelinsolvenz dem Insolvenzverwalter – gemäß § 282 Abs. 1 InsO das Recht zu, mit Absonderungsrechten belastete Gegenstände zu verwerten. Es gelten die §§ 49 bis 51 sowie §§ 165 bis 173 InsO entsprechend, ohne dass allerdings Feststellungskostenbeiträge erhoben werden können, § 282 Abs. 1 Satz 2 InsO; die Kosten der Verwertung dürfen anders als im Regelverfahren nicht pauschaliert erhoben werden, § 282 Abs. 1 Satz 3 InsO. 139 An beweglichen Gegenständen, die der Schuldner in Besitz hat, und an Forderungen, aus denen ein Gläubiger zur abgesonderten Befriedigung berechtigt ist, besteht demnach ein exklusives Verwertungsrecht des eigenverwaltenden Schuldners. Dadurch sind die absonderungsberechtigten Gläubiger auch in der Eigenverwaltung gehindert, dem insolventen Unternehmen die zur Fortführung notwendigen Mittel zu entziehen.69) Nicht im Besitz des Schuldners stehende bewegliche Sachen können vom Gläubiger verwertet werden, § 173 InsO. 140 Ein Verwertungsrecht an Gegenständen, die mit einem Aussonderungsrecht belastet sind, besteht für den eigenverwaltenden Schuldner ebenso wenig wie im Regelverfahren für den Insolvenzverwalter. 141 Bei Immobilien, aus denen ein Gläubiger zur abgesonderten Befriedigung berechtigt ist, steht dem Schuldner nach § 282 i. V. m. § 165 InsO neben dem Grundpfandgläubiger das Recht zur Beantragung von Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung zu, ebenso das Recht zur Beantragung der Einstellung bereits anhängiger Verfahren.70) 142 Der Schuldner soll sein Verwertungsrecht gemäß § 282 Abs. 2 InsO im Einvernehmen mit dem Sachwalter ausüben. Stellt er dieses Einvernehmen nicht her, beeinträchtigt dies jedoch nicht die Wirksamkeit der Verwertungshandlungen.71) 143 Die Übertragung des Verwertungsrechts auf den Schuldner führt wegen der Regelung des § 282 Abs. 1 Satz 2 und 3 InsO zur Kosteneinsparung für die absonderungsberechtigten Gläubiger durch gänzlichen Wegfall der Feststellungskostenbeiträge i. H. von 4 % (§ 171 Abs. 1 Satz 2 InsO bei Mobilienverwertung und § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG bei Zubehör im Zwangsversteigerungsverfahren) und Beschränkung der Verwertungskosten auf die tatsächlich entstandenen Kosten ohne Vergütung einer Pauschale von 5 % nach § 171 Abs. 2 Satz 1 InsO. 5.2

Forderungsprüfung (§ 283 Abs. 1 InsO)

144 Anders als im Regelverfahren gesteht § 283 Abs. 1 Satz 1 InsO dem Schuldner neben dem Sachwalter und den Insolvenzgläubigern das Recht zu, angemeldete Forderungen zu bestreiten und so deren Feststellung zu verhindern. Das Bestreiten hat im Prüfungstermin nach § 176 InsO oder im nachträglichen Prüfungstermin oder im schriftlichen Verfahren nach § 177 InsO zu erfolgen. 145 Das Bestreiten des eigenverwaltenden Schuldners hindert auch das Stimmrecht des betroffenen Gläubigers in der Gläubigerversammlung. Dies folgt aus dem allgemeinen Rechtsgedanken, der § 77 Abs. 1 Satz 1 InsO zugrunde liegt.72) ___________ 69) 70) 71) 72)

316

Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 282 Rz. 1. Kern in: MünchKomm-InsO, § 282 Rz. 18. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 282 Rz. 6; Kern in: MünchKomm-InsO, § 282 Rz. 19. Kern in: MünchKomm-InsO, § 283 Rz. 12 m. w. N.

Bierbach

Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners

§8

Zur Führung des Feststellungsrechtsstreits gegen den bestreitenden Schuldner ist dieser 146 passivlegitimiert, § 179 Abs. 1 InsO. Die Führung der Insolvenztabelle obliegt hingegen nicht dem Schuldner, sondern dem 147 Sachwalter.73) 5.3

Verteilung (§ 83 Abs. 2 InsO)

Der eigenverwaltende Schuldner hat die Verteilung der Insolvenzmasse an die Gläubiger 148 vorzunehmen. Es gelten die §§ 187 bis 199 InsO entsprechend. Der Schuldner rückt insoweit in die Stellung des Insolvenzverwalters im Regelinsolvenzverfahren ein.74) Materielle Unterschiede in der Verteilung ergeben sich dadurch nicht. Der Schuldner hat demgemäß insbesondere folgende Aufgaben und Rechte (siehe auch Minuth, HRI II, § 9 Rz. 120 und oben Rz. 122): 

Führung des Verteilungsverzeichnisses, § 188 InsO, Niederlegung, öffentliche Bekanntmachung.



Ihm gegenüber müssen absonderungsberechtigte Gläubiger ihren endgültigen Forderungsausfall anzeigen, § 190 InsO.



Entscheidungen des Insolvenzgerichts im Zusammenhang mit dem Verteilungsverzeichnis sind dem Schuldner zuzustellen, § 194 Abs. 2 und 3 InsO.



Dem Schuldner steht gegen diese Entscheidungen die sofortige Beschwerde zu, § 194 Abs. 3 InsO.



Der Schuldner hat den zu zahlenden Bruchteil dem Gläubigerausschuss vorzuschlagen bzw. selbst festzulegen, § 195 Abs. 1 InsO.



Antragsrecht auf Nachtragsverteilung, Rechtsmittel in diesem Zusammenhang sowie Vollzug der Nachtragsverteilung, §§ 203 bis 205 InsO; sein Beschwerderecht als Schuldner gemäß § 204 Abs. 2 Satz 2 InsO bleibt ihm erhalten.75)

Über einen nach der Verteilung verbleibenden Überschuss erhält der Schuldner die un- 149 eingeschränkte Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis.76) Der Sachwalter hat das Verteilungsverzeichnis zu prüfen und schriftlich zu erklären, ob 150 Einwendungen zu erheben sind, § 283 Abs. 2 Satz 2 InsO. Ein Recht, förmliche Einwendungen gegen das Verteilungsverzeichnis zu erheben, über die das Insolvenzgericht zu entscheiden hat, steht dem Sachwalter nicht zu. § 197 Abs. 3 i. V. m. § 194 InsO sind nicht entsprechend auf den Sachwalter anwendbar.77) Nur die Gläubiger selbst können förmliche Einwendungen auf Grundlage der schriftlichen Stellungnahme des Sachwalters zum Verteilungsverzeichnis erheben. 6.

Geltendmachung bestimmter Ansprüche

Dem eigenverwaltenden Schuldner verbleibt die Geltendmachung von Ansprüchen, die 151 nicht gemäß § 280 InsO explizit dem Sachwalter zugewiesen sind. Das sind insbesondere Ansprüche auf Kapitalaufbringung, Schadensersatzansprüche wegen Falschberatung im Vorfeld und Ansprüche wegen Verstoßes gegen Nachgründungsvorschriften gemäß §§ 52 f. AktG. Auch hat der Schuldner ggf. Ansprüche gegen Geschäftsführer bzw. Vor___________ 73) 74) 75) 76) 77)

Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 283 Rz. 3; Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 300. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 283 Rz. 5. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 283 Rz. 5; Kern in: MünchKomm-InsO, § 283 Rz. 20. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 283 Rz. 6; Kern in: MünchKomm-InsO, § 283 Rz. 21. Kern in: MünchKomm-InsO, § 283 Rz. 23; a. A. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 283 Rz. 8.

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§8

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

standsmitglieder nach § 15b InsO (oder ggf. § 64 GmbHG a. F. bzw. § 93 Abs. 3 AktG a. F.) geltend zu machen.78) Diese Ansprüche fallen nicht unter § 92 InsO und damit nicht in die Kompetenz des Sachwalters gemäß § 280 InsO, da es sich um Ansprüche der Gesellschaft selbst und nicht um Ansprüche der Insolvenzgläubiger handelt (siehe auch Minuth, HRI II, § 9 Rz. 97 f.). Dabei stellen sich in der Praxis allerdings folgende Probleme: 152 Die Geschäftsführung bzw. der Vorstand hat mit Anordnung der Eigenverwaltung nicht notwendigerweise gewechselt. Dann sollen diese Personen als Ausführende der Eigenverwaltung ggf. Haftungsansprüche gegen sich selbst, die Gesellschafter, Kollegen oder von ihnen beauftragte Berater geltend machen. Diese erhebliche Interessenkollision hat der Gesetzgeber in der Neufassung des Gesetzes durch das SanInsFoG abzumildern versucht. Zeigt sich, dass Haftungsansprüche gegen frühere oder gegenwärtige Leitungsorgane nicht ordnungsgemäß durchgesetzt werden, ist die Eigenverwaltung gemäß § 272 Abs. 1 Nr. 1 lit. c InsO aufzuheben oder gemäß § 270f i. V. m. § 270e Abs. 1 Nr. 1 lit. c InsO gar nicht erst anzuordnen. Schon der Anschein einer Interessenkollision kann und sollte in der Praxis außerdem dadurch vermieden werden, dass Geschäftsleitungsorgane, gegen die ein Haftungsanspruch gemäß § 15b InsO (oder ggf. § 64 GmbHG a. F. bzw. § 93 Abs. 3 AktG a. F.) in Betracht kommt, vor der Anordnung der Eigenverwaltung ausgetauscht werden. 153 Die wenigsten Geschäftsführer dürften überhaupt wissen oder erkennen, welche Ansprüche bestehen können, geschweige denn, wie sie detailliert geprüft und durchgesetzt werden müssen. Im Interesse der Gläubigerbefriedigung muss daher zwingend der Sachwalter i. R. seiner Überwachung nach § 274 InsO prüfen, ob entsprechende Anhaltspunkte für Ansprüche bestehen und ob diese von der Geschäftsführung geltend gemacht werden.79) Der eigenverwaltende Schuldner muss den Sachwalter umfassend informieren und ihm alle zur Prüfung erforderlichen Unterlagen zur Verfügung stellen. Widrigenfalls muss der Sachwalter seinen Berichtspflichten gegenüber dem Gericht und den Gläubigern nach § 274 Abs. 3 InsO nachkommen. 7.

Anzeige der Masseunzulänglichkeit und Führung der Tabelle der Massegläubiger

154 Die Anzeige einer evtl. Masseunzulänglichkeit oder drohender Masseunzulänglichkeit nach § 208 InsO obliegt in der Eigenverwaltung dem Sachwalter nach § 285 InsO (siehe auch Minuth, HRI II, § 9 Rz. 91 ff.). 155 Der Schuldner selbst hat die Obliegenheit, ständig die Liquidität zu prüfen und den Sachwalter darüber zu informieren, falls zwar die Kosten des Verfahrens gedeckt sind, jedoch die Masse nicht ausreicht, um die fälligen sonstigen Masseverbindlichkeiten im Fälligkeitszeitpunkt zu erfüllen. Selbiges gilt, falls dieser Zustand einzutreten droht. Zwar hat der Sachwalter i. R. seiner laufenden Prüfung auch stets die Massezulänglichkeit zu prüfen; dies ist ihm ohne entsprechende eigene permanente Prüfung durch den Schuldner jedoch kaum oder nur schwer möglich. 156 § 285 InsO regelt nur die Zuständigkeit für die Anzeige der Masseunzulänglichkeit. Die weiteren materiellen Wirkungen der §§ 208 bis 211 InsO bleiben auch im Eigenverwaltungsverfahren unverändert, wobei an die Stelle des Insolvenzverwalters der Schuldner tritt. In Ermangelung einer expliziten Kompetenzzuweisung an den Sachwalter bleibt die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis beim Schuldner, wobei streitig ist, ob nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit auch die Alt-Massegläubiger eine Antragsbefugnis zur Aufhe___________ 78) A. A. Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 274 f.; Kirchhof/Kern in: MünchKomm-InsO, § 280 Rz. 3; Brünkmans in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 280 Rz. 4; Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 280 Rz. 3 a. E. 79) Kern in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl., § 274 Rz. 26.

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Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners

§8

bung der Eigenverwaltung haben, um zu verhindern, dass ihre Befriedigungsmöglichkeiten noch weiter geschmälert werden.80) Jedenfalls hat der Schuldner die Massegläubiger in der Rangfolge des § 209 InsO zu be- 157 friedigen. Dies setzt voraus, dass er die Alt- und die Neumassegläubiger vollständig erfasst und den Rang ihrer Befriedigung gemäß den gesetzlichen Vorgaben festlegt. Außerdem hat er die Entscheidung zu treffen, welche Masseverbindlichkeiten er nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit noch begründet. Hierzu gehört auch die Entscheidung zur Freistellung von Arbeitnehmern oder zur aktiven Nutzungsaufgabe von Mietflächen. Aufgrund der damit verbundenen besonderen Schwierigkeiten, der besonderen Haftungsrisiken für den Sachwalter und der offensichtlichen Unmöglichkeit der Gläubigerbefriedigung kann die Anzeige der Masseunzulänglichkeit Grund zur Beendigung der Eigenverwaltung gemäß § 272 InsO sein.81) Auch bei nicht gegebener Massekostendeckung nach § 207 InsO, also in Fällen, in denen 158 nicht einmal die Verfahrenskosten gedeckt sind, hat der Sachwalter die Anzeigepflicht des § 285 InsO. Der Schuldner hat die Verfahrenskosten dann am Verfahrensende quotal zu befriedigen. 8.

Mittel zur Lebensführung des Schuldners (§ 278 InsO)

Der Schuldner hat i. R. von § 278 InsO in gewissem Umfang das Recht zur Entnahme 159 von Mitteln zur Lebensführung. Hier besteht offensichtlich die Gefahr, dass der Schuldner durch unangemessene Entnahmen die Insolvenzmasse schädigt. Da es sich dabei um tatsächliche Eingriffe handelt, kann dieser Gefahr auch nicht durch eine Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit gemäß § 277 InsO („bestimmte Rechtsgeschäfte“) begegnet werden. Siehe zur Überwachung durch den Sachwalter Minuth, HRI II, § 9 Rz. 31. Der Schuldner ist berechtigt zur Entnahme von Mitteln, „die unter Berücksichtigung der 160 bisherigen Lebensverhältnisse des Schuldners eine bescheidene Lebensführung gestatten“. Dies erfordert eine Einzelfallbetrachtung. Der Gesetzgeber führt in der Begründung zu § 278 InsO aus, dass die zur bescheidenen Lebensführung notwendigen Mittel zumeist schon aus dem unpfändbaren Teil des nicht zur Insolvenzmasse gehörenden Einkommens bestritten werden können und ein Entnahmerecht daher in den meisten Fällen nicht in Betracht komme.82) An dieser Sichtweise wird in der Literatur insoweit Kritik geübt, dass dem Schuldner damit 161 ein wesentlicher Anreiz fehle, seine Fähigkeiten und Arbeitskraft bestmöglich in die Eigenverwaltung einzubringen.83) Er müsse schließlich zu fremdnützigem Handeln, namentlich zugunsten der Gläubigergesamtheit, motiviert werden.84) Die Literatur ist daher überwiegend der Ansicht, dass dem Schuldner Mittel zustehen müssen, die über die Sätze der Sozialhilfe85) und auch über die Pfändungsfreigrenzen der ZPO hinausgehen. Dagegen kann wiederum folgendes Argument vorgebracht werden: Da ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung nur in den seltensten Fällen auf Liquidation des schuldnerischen Vermögens gerichtet sein wird, sondern vielmehr meist die Sanierung des Schuldners zum Ziel hat,86) ___________ Kern in: MünchKomm-InsO, § 285 Rz. 16: „regelmäßig“. Kern in: MünchKomm-InsO, § 285 Rz. 15. Begr. RegE z. § 339 InsO 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 224. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 278 Rz. 6; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 278 Rz. 4 f. So auch Kern in: MünchKomm-InsO, § 278 Rz. 10. So der Maßstab des Gesetzgebers i. R. von § 100 InsO, vgl. Begr. RegE z. § 114 InsO 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 143. 86) Begr. RegE z. § 339 InsO 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 222.

80) 81) 82) 83) 84) 85)

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§8

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

besteht auch jenseits von Vergütungen ein Eigeninteresse des Schuldners an der bestmöglichen Abwicklung der Insolvenz in Eigenverwaltung. 162 Letztendlich wird über den anzulegenden Maßstab die Gläubigergesamtheit entscheiden, da sie immer die Möglichkeit hat, dem Schuldner die Eigenverwaltung gemäß § 272 InsO zu entziehen.87) Sie hat also, auch wenn die Unterhaltsgewährung nach § 278 InsO nicht in ihrem Ermessen steht,88) eine Steuerungsmöglichkeit. Die Eigenverwaltung wird deshalb in den allermeisten Fällen ohne einen Schuldner, der jenseits von Vergütungsaussichten ein Interesse an einer geordneten Insolvenz unter eigener Federführung hat, kaum durchführbar sein. 9.

Sonstige Aufgaben

163 Die gesetzlichen Regelungen zur Aufgabenverteilung sind nicht abschließend. Jedes Insolvenzverfahren hat seine Besonderheiten, mit denen oftmals besondere Anforderungen und Aufgaben einhergehen. Die sich ergebenden, nicht gesetzlich geregelten Aufgaben sollten einvernehmlich entweder dem Schuldner oder dem Sachwalter klar zugeordnet werden.89) Dabei sollten sich beide an dem Grundgedanken des Gesetzgebers orientieren, der einerseits die Aufgaben, die im Zusammenhang mit der Geschäftsführung stehen, dem Schuldner belässt und die Überwachung dem Sachwalter aufgibt. Insolvenzspezifische Aufgaben fallen vielfach in die Kompetenz des Sachwalters. In Zweifelsfällen sollten beide eine klare Abgrenzung vereinbaren und schriftlich festlegen. Dies dient sowohl der Vermeidung doppelter Arbeit und dadurch anfallender erhöhter Kosten als auch, was noch wichtiger ist, der Vermeidung von Haftungsfällen, wenn Aufgaben in der Annahme, der jeweils andere würde sie erledigen, von keinem von beiden wahrgenommen werden. 164 Soweit Aufgaben vereinbarungsgemäß beim Schuldner verbleiben, hat der Sachwalter jedenfalls seine Überwachungs- und Unterstützungskompetenzen. IV.

Informations- und Mitwirkungspflichten

165 Erstaunlicherweise fehlt in den §§ 270 ff. InsO eine explizite und ausführliche Regelung zu den allgemeinen Informations- und Mitwirkungspflichten des Schuldners im eröffneten Verfahren.90) Dennoch bestehen diese in erheblichem Umfang. Sie ergeben sich zum einen aus dem Verweis in § 274 Abs. 2 Satz 3 InsO auf die Regelung des § 22 Abs. 3 InsO91) und zum anderen implizit aus den Regelungen über die Mitwirkungs- und Zustimmungserfordernisse des Sachwalters und des Gläubigerausschusses, denen diese ohne entsprechende Obliegenheiten des Schuldners nicht nachkommen können. 166 Auch aus der aus Sicht des Sachwalters sehr schwierigen und bisweilen undankbaren Aufgabenverteilung, die dem Schuldner durch Übertragung der gesamten Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis große Handlungsspielräume gibt und dem Sachwalter nur Kontrollrechte, für die er aber u. U. persönlich haftet, folgt eine umfassende Informations- und Aufklärungsobliegenheit des Schuldners. Ansonsten kann der nur auf dem „Beifahrersitz“ befindliche Sachwalter seiner Aufgabe nicht gerecht werden und geht enorme Haftungs___________ Kern in: MünchKomm-InsO, § 278 Rz. 15 a. E. Kern in: MünchKomm-InsO, § 278 Rz. 11. Dies kann ggf. auf vertraglicher Basis erfolgen, s. Specovius, HRI II, § 10 Rz. 44. Es handelt sich nicht um Pflichten im Rechtssinne, da der Schuldner zur Vornahme der Aufgaben nicht gezwungen werden kann. Da die Erfüllung der Obliegenheiten jedoch mit der drastischen Folge des Entzugs der Eigenverwaltung sanktioniert werden kann, kann dennoch von „Verpflichtungen“ des Schuldners gesprochen werden. 91) Kern in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 55 f.

87) 88) 89) 90)

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Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners

§8

gefahren ein. Diese kann er und hat er bei nicht gegebener Information und Kooperation durch den Schuldner einzuschränken durch Übernahme der Kassenführung gemäß § 275 Abs. 2 InsO oder Beendigung der Eigenverwaltung, indem er die Gläubiger und/oder das Insolvenzgericht informiert und auf eine Beendigung der Eigenverwaltung hinwirkt. Er selbst hat im eröffneten Verfahren kein Antragsrecht zur Aufhebung der Eigenverwaltung, dies liegt allein in der Hand der Gläubiger und des Gerichts. Der Schuldner hat damit zugleich die Pflicht, den Sachwalter umfassend und zeitnah zu 167 informieren, damit dieser seine Pflicht zur laufenden Überprüfung der wirtschaftlichen Lage des Schuldners und dessen Geschäftsführung wahrnehmen kann. Dadurch muss der Sachwalter in die Lage versetzt werden, ggf. die Gläubiger und den Gläubigerausschuss zu informieren und Entscheidungen nach § 277 InsO anzuregen. Gemäß § 274 Abs. 2 Satz 3, § 22 Abs. 3 InsO hat der Schuldner dem Sachwalter zur Erfüllung der Aufgaben aus § 274 Abs. 2 Satz 1 InsO Zugang zu seinen Geschäftsräumen und Einsicht in seine Bücher und Geschäftspapiere zu gestatten. Ferner hat er dem Sachwalter alle Auskünfte zu erteilen, die dieser zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt. Die Informations- und Mitwirkungspflichten des Schuldners können, anders als seine übri- 168 gen Aufgaben in der Eigenverwaltung, gemäß § 274 Abs. 2 Satz 3, § 22 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 2 InsO zwangsweise durchgesetzt werden. V.

Konsequenzen von Verstößen und Kompetenzüberschreitungen

Verstöße gegen die gesetzlich vorgesehene Aufgabenverteilung und Kompetenzüberschrei- 169 tungen können verschiedene Konsequenzen haben: Grundsätzlich kann der Schuldner zur Vornahme der ihm übertragenen Aufgaben nicht gezwungen werden. Einzige Sanktionsmöglichkeit ist insoweit, ihm den Entzug der Eigenverwaltung anzudrohen und vorzunehmen. Dies hat der Sachwalter bei der Feststellung von Umständen, die erwarten lassen, dass die Fortsetzung der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führt, durch entsprechende Unterrichtung des Gerichts und des Gläubigerausschusses oder der Gläubiger nach § 274 Abs. 3 InsO zu tun. Er wird hierbei sicherlich anregen oder auf die Möglichkeit hinweisen, dass die Gläubiger und/oder das Insolvenzgericht nach § 272 InsO die Aufhebung der Eigenverwaltung beantragen bzw. amtswegig anordnen können. Einzige Ausnahme zur grundsätzlichen Nicht-Erzwingbarkeit ist die Erzwingung von 170 Informations- und Mitwirkungspflichten des Schuldners gegenüber dem Sachwalter gemäß § 274 Abs. 2 Satz 3, § 22 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2, § 98 Abs. 2 InsO. Sie ermöglicht, den Schuldner zwangsweise vorführen zu lassen oder ihm Beugehaft anzudrohen bzw. diese zu vollstrecken. VI.

Stellung der Organe des Schuldners

1.

Haftung

Die Haftung der handelnden Organe des Schuldners für etwaige Fehler ist – nach zwi- 171 schenzeitlicher höchstrichterlicher Klärung92) – durch die Reform durch das SanInsFoG nunmehr gesetzlich geregelt. Gemäß § 276a Abs. 2 InsO haften die Mitglieder des Vertretungsorgans des eigenverwaltenden Schuldners nach Maßgabe der §§ 60 bis 62 InsO. Eine Haftung besteht darüber hinaus dann, wenn die Grenzen deliktischen oder gar strafrechtlich relevanten Verhaltens überschritten werden.93) Allerdings haften die handelnden Or___________ 92) BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977 m. Anm. Bitter. 93) In Betracht kommen könnte z. B. eine Untreue gemäß § 266 StGB.

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§8

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

gane des eigenverwaltenden Schuldners nicht wegen der Inanspruchnahme besonderen Vertrauens (§ 311 Abs. 3 BGB).94) 2.

Kein Einfluss auf die Geschäftsleitung

172 Soweit dem Schuldner Kompetenzen in der Eigenverwaltung zustehen, stellt sich die Frage, ob die Geschäftsleitungsorgane des Schuldners (Vorstand, Geschäftsführung) als Ausübende dieser Kompetenzen den üblichen gesellschaftsrechtlichen Bindungen durch die Kontrollorgane (Aufsichtsrat, Hauptversammlung, Gesellschafterversammlung) unterliegen. 173 In der Krise der Gesellschaft, gleichsam an der Schnittstelle zur Insolvenz, beginnen sich die von den Organen zu beachtenden Interessen zugunsten der Gläubiger zu verschieben. Dies deutet sich mit der gesellschaftsrechtlichen Pflicht zur Risikobegrenzung in der Krise an, die die Geschäftsleitung gemäß § 92 Abs. 1 AktG bzw. § 49 Abs. 3 GmbHG bei einem Verlust der Hälfte des Nennkapitals zur Anzeige an die Gesellschafterversammlung verpflichtet, und schlägt sich besonders in der Verpflichtung zu Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement gemäß § 1 StaRUG nieder. Weiter zeigt sich diese Verschiebung an der Pflicht zur Insolvenzantragstellung gemäß § 15a InsO bei Insolvenzreife und den Haftungstatbeständen gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO oder § 15b InsO (bzw. § 64 GmbHG a. F. und § 92 Abs. 2, § 93 AktG a. F.). Diese Vorschriften stehen nicht zur Disposition der Gesellschafter;95) an ihnen zeigt sich eindeutig die Interessenverschiebung zugunsten der Gläubiger der Gesellschaft. Der bestehende Interessenkonflikt wird in der Praxis bedauerlicherweise jedoch entgegen dem gesetzgeberischen Willen allzu oft zugunsten der Gesellschafter gelöst, nämlich indem diese die Geschäftsführung abberufen, die die Gesellschafter über die Notwendigkeit und die Beabsichtigung der Insolvenzantragstellung informiert. 174 Im Insolvenzverfahren vollzieht sich endgültig eine Interessenverschiebung zugunsten der Gläubiger.96) Dies ergibt sich deutlich aus dem in § 1 InsO festgeschriebenen Ziel des Insolvenzverfahrens, der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung.97) Die unbedingte Verfolgung des Gesellschaftszwecks tritt in dieser Situation grundsätzlich in den Hintergrund.98) Nur die gesellschafts- und organisationsrechtliche Abwicklung kann als Zweck im Insolvenzverfahren mitverfolgt werden.99) Uhlenbruck geht sogar davon aus, dass die optimale Gläubigerbefriedigung in der Insolvenz zum Gesellschaftszweck werde und dieser sich nur noch an § 1 InsO orientiere.100) Aus dieser Verschiebung der Interessen erwachsen für die Organe der Gesellschaft Konflikte. Sie sind, wie kurz dargestellt, grundsätzlich dem Interesse der

___________ 94) BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977 m. Anm. Bitter, Rz. 37; so auch schon OLG Düsseldorf v. 7.9.2017 – I-16 U 33/17, ZIP 2017, 2211. 95) Bremen in: Graf-Schlicker, InsO, § 15a Rz. 7; anders noch bei der Antragstellung ohne gesetzliche Verpflichtung: Hier müssen mindestens der Aufsichtsrat bzw. die Gesellschafterversammlung angehört werden. 96) Dass diese Interessenverschiebung u. U. nicht immer ganz ernst genommen wird, vermutet Hofmann, ZIP 2007, 260, 262 f. 97) BGH v. 7.12.2006 – V ZB 93/06, ZIP 2007, 249, 250, dazu EWiR 2007, 249 (Bähr/Landry); BGH v. 11.1.2007 – IX ZB 10/05, ZIP 2007, 448, 449; Noack, ZIP 2002, 1873, 1875. 98) Die Interessen des Schuldners sollten auch nach der weitergehenden Fassung des RegE nur insoweit berücksichtigt werden, als „die Interessen des Schuldners, der eine natürliche Person ist, und seiner Familie nicht vernachlässigt werden“, vgl. Begr. RegE z. § 1 InsO 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 108. 99) Begr. RegE z. § 1 InsO 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 109. 100) Uhlenbruck in: FS Kirchhof, 2003, S. 479, 496.

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Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners

§8

Gesellschaft und der Gesellschafter verpflichtet und müssen in der Insolvenz doch ihr Augenmerk fast ausschließlich auf die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger richten.101) Gemäß § 276a Abs. 1 InsO ist ein Einfluss der Überwachungsorgane auf die Geschäfts- 175 führung des Schuldners in der Eigenverwaltung ausdrücklich ausgeschlossen. Ferner werden die Abberufung und Neubestellung von Mitgliedern der Geschäftsleitung von der Zustimmung des Sachwalters abhängig gemacht, die aber im Regelfall (nämlich bei Fehlen nachteiliger Folgen) zu erteilen ist.102) Eine Mitwirkung von Aufsichtsrat, Gesellschafterversammlung und entsprechenden Organen an der Geschäftsleitung ist nicht mehr möglich. Die Durchführung des Insolvenzverfahrens ist in der Eigenverwaltung allein dem Geschäftsleitungsorgan des Schuldners übertragen. Die übrigen Schuldnerorgane haben keine Einflussmöglichkeiten mehr auf die Geschäftsführung. § 276a Abs. 1 InsO geht damit vom Vorrang des Insolvenzrechts vor dem Gesellschafts- 176 recht aus, denn die Überwachungsorgane sollen im Falle der Regelinsolvenz und der Eigenverwaltung keine unterschiedlichen Einflussnahmemöglichkeiten haben. Die auch im Regelinsolvenzverfahren vorzunehmende Abgrenzung von Schuldner- und Verdrängungsbereich103) ist also auch i. R. der Eigenverwaltung vorzunehmen.104) An die Stelle der gesellschaftsrechtlichen Überwachungsorgane treten der Sachwalter, der Gläubigerausschuss und die Gläubigerversammlung. Aus der insolvenzrechtlichen Kompetenzverschiebung ergeben sich quasi vorgelagert auch Auswirkungen auf andere gesellschaftsrechtliche Bereiche. So kann z. B. die Einberufung einer Gesellschafterversammlung nicht mehr wegen Themen verlangt werden, für die die Gesellschafterversammlung aufgrund von § 276a Abs. 1 InsO nicht mehr zuständig ist.105) In der Literatur wird erwogen, dass weniger einschneidende Maßnahmen mit Zustimmung 177 des Sachwalters zulässig sind. Diese Zustimmung sei jedenfalls zu erteilen, wenn die Maßnahme keine nachteiligen Folgen befürchten lässt.106) Dazu zählen bspw. konkrete Weisungen an die Geschäftsleitung oder aber auch Boni-Regelungen. An der pauschalen Richtigkeit dieser Aussage darf gezweifelt werden. Zunächst kommt es 178 auf eine Abgrenzung von Schuldner- und Verdrängungsbereich an und erst in einem zweiten Schritt auf die Bewertung der Nachteiligkeit der Maßnahme. Im Verdrängungsbereich ist eine Einflussnahme der Überwachungsorgane – wie in der Regelinsolvenz auch – schlechthin ausgeschlossen. Im Schuldnerbereich sind Maßnahmen stets und ohne Zustimmung des Sachwalters möglich, wenn sie keinen Einfluss auf die Geschäftsführung des Schuldners haben. Sobald solche Maßnahmen im Schuldnerbereich jedoch Einfluss auf die Geschäftsführung haben, sind sie in Anlehnung an § 276a Abs. 1 Sätze 2 und 3 InsO nur zulässig, ___________ 101) Instruktiv zu den widerstreitenden Interessen von Gesellschaftern und Gläubigern Klöhn, NZG 2013, 81, 82. 102) Diese Zustimmung ist ausweislich der Gesetzesbegründung Wirksamkeitsvoraussetzung für die Neubestellung. Da die Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Handelsregister eingetragen ist und das Registergericht auch die materiellen Voraussetzungen der Eintragung überprüft (Merkt in: Hopt, HGB, § 8 Rz. 8), muss auch das Vorliegen der Zustimmung durch das Registergericht geprüft werden. 103) Also die Abgrenzung zwischen den Zuständigkeiten des Schuldners (sog. Schuldnerbereich, zu dem insbesondere gesellschaftsrechtliche Angelegenheiten und die Verfügung über insolvenzfreies Vermögen gehören) und des Insolvenzverwalters (sog. Verdrängungsbereich, zu dem grundsätzlich alle Angelegenheiten mit Bezug zu dem Insolvenzbeschlag unterliegenden Vermögen gehören). 104) Eine systematische Darstellung möglicher Rechtsfolgen im Falle der Verletzung des § 276a InsO findet sich bei Ströhmann/Längsfeld, NZI 2013, 271, 276. 105) AG Montabaur v. 19.6.2012 – HRB 20744, ZIP 2012, 1307; OLG Düsseldorf v. 11.4.2013 – I-3 Wx 36/13, ZIP 2013, 1022, dazu EWiR 2013, 559 (Klöhn). 106) Zipperer, ZIP 2012, 1492, 1494; Ströhmann/Längsfeld, NZI 2013, 271, 275.

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§8

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

wenn die Zustimmung des Sachwalters vorliegt, die bei Fehlen nachteiliger Rechtsfolgen stets zu erteilen ist. 3.

Vorwirkung

179 § 276a Abs. 1 InsO entfaltet vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens und vor Anordnung der Eigenverwaltung keine Wirkung.107) Eine Anwendung auf das Eröffnungs- bzw. Schutzschirmverfahren im Wege der Auslegung oder auch nur i. R. einer „Vorwirkung“ kommt nicht in Betracht.108) Eine solche Anwendung im Zuge teleologischer Auslegung erfordert der nach dem Gesetzgeberwillen herzustellende Gleichlauf mit dem Regelinsolvenzeröffnungsverfahren nicht, da in diesem ein Eingriff in die (insbesondere gesellschaftsrechtliche) Autonomie des Schuldners nicht erfolgt. Zwar ist richtig, dass im Eröffnungsverfahren vor der Regelinsolvenz gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO vorläufige Maßnahmen angeordnet werden können, die in die Autonomie des späteren Insolvenzschuldners eingreifen. Solche Eingriffe rechtfertigen sich jedoch nur im Einzelfall und nach richterlicher Anordnung sind auch in einem einer Eigenverwaltung vorgelagerten vorläufigen Verfahren möglich. Für die analoge Anwendung des § 276a Abs. 1 InsO auf das Eröffnungs- bzw. Schutzschirmverfahren fehlt es daher an einer Regelungslücke. 180 Dass eine Anwendung des § 276a Abs. 1 InsO bereits in der vorläufigen Eigenverwaltung wünschenswert wäre, steht auf einem anderen Blatt. Gerade da häufig schon im vorläufigen Verfahren wichtige Weichen insbesondere für eine Sanierung des Schuldners gestellt werden, müssten Obstruktionen entsprechender Maßnahmen durch die Gesellschafter wirksam verhindert werden können. Die wünschenswerte Nachbesserung des Gesetzgebers an dieser Stelle ist leider auch im Zuge des SanInsFoG unterblieben. 181 Die Haftungsnormen der § 276a Abs. 3, Abs. 2 und § 15b InsO zeitigen eine gewisse Vorwirkung. Durch diese Vorschriften werden die Gesellschaftsorgane im Vorfeld der Insolvenz im Idealfall besondere Vorsicht walten lassen, wenn sie mit Vorgaben der Gesellschafter konfrontiert werden. 4.

Handlungsempfehlung für die Organe im Insolvenzfall

182 § 276a Abs. 1 InsO bringt für die Organe einer Gesellschaft in der Insolvenz ein erhebliches Maß an Rechtssicherheit. Das Organ setzt sich bei Nichtbeachtung gesellschaftsrechtlicher Bindungen keiner Haftungsgefahr gegenüber den Gesellschaftern aus (zur Haftung gegenüber Gläubigern siehe Rz. 171). Sollte sich das Geschäftsleitungsorgan dennoch entgegen der Regelung an Vorgaben der Kontrollorgane halten und dadurch seine Geschäftsführung nicht am Interesse der Gläubiger ausrichten, besteht jedenfalls die große Wahrscheinlichkeit, dass die Gläubiger einen Antrag auf Aufhebung der Anordnung der Eigenverwaltung gemäß § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO stellen. Es kann jedoch nicht im Interesse des Schuldners liegen, dass die einmal angeordnete Eigenverwaltung wieder aufgehoben wird. 183 Darüber hinaus sollten aber auch die Kontrollorgane der Gesellschaft eine naheliegende Empfehlung beachten: Sie sollten jeden Versuch einer Einmischung in die Geschäftsleitung unterlassen. Denn sollte bei den Gläubigern der Eindruck entstehen, die Kontrollorgane könnten entgegen der gesetzlichen Regelung versuchen, Einfluss auf die Geschäftsleitung zu nehmen, besteht die Gefahr, dass sie gemäß § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Aufhebung der Anordnung der Eigenverwaltung beantragen. Da die Gesetzesbegründung zu § 276a ___________ 107) Wie hier Klöhn, NZG 2013, 81, 84; Zipperer, ZIP 2012, 1492, 1494 f.; Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 276a Rz. 5 m. w. N. 108) Klöhn in: MünchKomm-InsO, § 276a Rz. 18; Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 366; a. A. Ströhmann/Längsfeld, NZI 2013, 271, 275, und Hölzle, ZIP 2012, 2427 („Vorwirkung“).

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Rechtsstellung und Aufgaben des Schuldners

§8

InsO a. F. (= § 276a Abs. 1 InsO) darauf abstellte, dass die Einwirkung der Kontrollorgane auf die Geschäftsführung „hemmend und blockierend“ wirken kann, ist evtl. schon der Aufhebungsantrag eines einzelnen Gläubigers gemäß § 272 Abs. 1 Nr. 4 InsO erfolgreich. VII. Der Berater des Schuldners109) Der Schuldner, der die Durchführung des Verfahrens in Eigenverwaltung beabsichtigt, wird, 184 insbesondere in umfangreichen Verfahren, vielfach nicht über das dazu notwendige Wissen und die notwendigen Kapazitäten verfügen. Der Sachwalter kann, trotz seiner Sachkunde, die Beratung des Schuldners nach Antragstellung nicht übernehmen. Da er im Hinblick auf den Schuldner Überwachungsaufgaben wahrzunehmen hat und als „Organ der staatlich kontrollierten Gläubigerselbstverwaltung“110) handelt, würde dies zu einer Interessenkollision führen.111) Lediglich eine Unterstützung des eigenverwaltenden Schuldners durch den Sachwalter in bestimmten Bereichen kommt auf Anordnung des Insolvenzgerichts in Betracht, § 174 Abs. 2 Satz 2 InsO. Wie weit diese Unterstützung gehen kann, ist dem Gesetz und den Gesetzgebungsmaterialien zum SanInsFoG nicht zu entnehmen. Diese Frage wird jeweils nur einzelfallbezogen zu beantworten sein; die Hauptlast der Aufgabenerfüllung wird jedenfalls immer beim eigenverwaltenden Schuldner bleiben müssen. Eine Nutzung z. B. der insolvenzspezifischen EDV-Programme des Sachwalters etwa zur insolvenzrechtlichen Buchführung dürfte jedenfalls ausscheiden. Es bedarf daher in der Mehrzahl der Fälle sowohl vor als auch nach Insolvenzantragstellung 185 externer Berater, die über die nötige Expertise, aber auch über die notwendigen EDVProgramme und technischen Voraussetzungen verfügen. Die in der Praxis anzutreffenden Beratungsleistungen betreffen insbesondere das Insolvenzrecht und die Beratung zur Sanierung in der Insolvenz. Auch im Bereich des Arbeitsrechts ist dem Schuldner externe Beratung in vielen Fällen nahezulegen. Die Beratung umfasst in der Regel juristische und betriebswirtschaftliche Hilfe, idealerweise gepaart mit Erfahrung und Ansehen in diesem Bereich sowie Verhandlungsgeschick. Die Beauftragung von Insolvenzspezialisten, die bereits im Vorfeld einer Antragstellung 186 das schuldnerische Unternehmen beraten oder in die Geschäftsführung wechseln oder mit Generalvollmacht handeln, wird wegen der nach neuem Recht schon mit Antragstellung vorzulegenden Eigenverwaltungsplanung in den allermeisten Fällen unentbehrlich sein. Vor allem können diverse Rechtsfragen, die ab Antragstellung zu klären sind, vorbereitet werden. Auch kann für ausreichend Liquidität zur Erhaltung der Handlungsfähigkeit gesorgt werden. Liquiditäts- und Ertragsplanungen sind unter Berücksichtigung der insolvenzspezifischen Einsparungspotentiale vorzubereiten. Überlegungen zum Erhalt oder zur Beendigung oder zur Nachverhandlung besonders kritischer Verträge können schon im Vorfeld angestellt werden. Restrukturierungsmaßnahmen und Verkaufsprozesse müssen vorbereitet werden. Ohne gute Vorbereitung dürften die Voraussetzungen für ein (vorläufiges) Eigenverwaltungsverfahren nach neuem Recht schon nicht vorliegen. Das Ziel der InsO, durch die Eigenverwaltung das Know-how des Schuldners zu erhalten und lange Einarbeitungszeiten eines externen Insolvenzverwalters zu vermeiden, kann so besonders effektiv erreicht werden. Dabei ist jedoch, insbesondere nach Insolvenzantragstellung und Eröffnung des Insolvenz- 187 verfahrens, genau zu unterscheiden, wer den Berater mandatiert hat. Auch der Berater muss seine Rolle klar definieren. Die externe Beratung kann entweder dem schuldnerischen ___________ 109) S. a. oben Rz. 83 ff. 110) Kern in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 45. 111) BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14 Rz. 72, ZIP 2016, 1981; OLG Dresden v. 15.10.2014 – 13 U 1605/13, ZIP 2015, 1937, dazu EWiR 2015, 707 (Zimmer).

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§8

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

Unternehmen selbst, der Geschäftsführung des Unternehmens oder aber Gesellschaftern zugutekommen. Je nachdem, wer Vertragspartner des Beraters wird, ergeben sich erhebliche Unterschiede im Hinblick auf Beratungsumfang, -gegenstand und die Vergütung. Die Vertretung von mehr als einem Mandanten oder eine Verwischung der Grenzen darf nicht erfolgen, da Interessenkonflikte unvermeidlich sind. Auch die Glaubwürdigkeit gegenüber den Gläubigern darf nicht aufs Spiel gesetzt werden. 188 Zu beachten ist insbesondere, dass bei Beratung des Schuldners die Vergütung des Beraters auf unsicherem Boden steht. Für Leistungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist er Massegläubiger nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO wie jeder andere Vertragspartner zu diesem Zeitpunkt auch. Wenn die Beratung im Vorfeld der Insolvenzeröffnung stattgefunden hat, unterliegen die Vergütungsansprüche des Beraters u. U. den Anfechtungsregeln der §§ 129 ff. InsO oder sind bloße Insolvenzforderungen. Wenn die Beratung zwischen Antragstellung und Eröffnung stattgefunden hat, wird die Vergütung evtl. zusätzlich durch Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO gehindert. Da die Beratung des schuldnerischen Unternehmens selbst jedoch durchaus im Gläubigerinteresse sein kann, sollte schnellstmöglich auch mit dem Sachwalter Einigkeit über die Fortsetzung und Vergütung der Beratungsleistung erzielt werden. 189 Wird der Berater hauptsächlich zur Beratung der Geschäftsführung oder der Gesellschafter bspw. über Haftungsrisiken oder drohende Anfechtungen gemäß § 135 InsO beauftragt, muss natürlich auch die Vergütung von entsprechender Stelle erfolgen. Insbesondere der Sachwalter muss sehr genau darauf achten, dass nicht eine Beratung Gesellschaftern auf Kosten der Insolvenzmasse erfolgt.

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§9 Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters Minuth

I. Einführung .................................................. 1 II. Die Aufsicht des Sachwalters als Reaktion auf die Missbrauchsanfälligkeit .......... 5 III. Die Bestellung des Sachwalters ............... 10 1. Grundsatz ................................................... 10 2. Die Bestellung des vorläufigen Sachwalters ......................................................... 12 3. Die Mitwirkung des Gläubigerausschusses bei der Bestellung des (vorläufigen) Sachwalters .................... 17 4. Bestellung eines Sachwalters aufgrund nachträglicher Anordnung der Eigenverwaltung ................................................. 22 IV. Auskunfts- und Zutrittsrechte bei Aufnahme der Tätigkeit .................... 26 V. Prüfungs- und Überwachungspflichten .................................................... 28 1. Überprüfung der wirtschaftlichen Lage des Schuldners gemäß § 274 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 InsO....................................... 28 2. Überwachung der Geschäftsführung und der Ausgaben für die Lebensführung des Schuldners gemäß § 274 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 InsO........................... 31 3. Durchsetzung der Rechte .......................... 34 4. Organisation der Überwachung................ 37 VI. Begründung von Verbindlichkeiten im Geschäftsbetrieb .................................. 41 1. Zustimmungsvorbehalte und Widerspruchsrechte nach § 275 InsO ................. 41 2. Widerspruchsrechte und Folgen der fehlenden Zustimmung nach § 275 InsO.... 46 VII. Kassenführungsrecht des Sachwalters ................................................ 48 VIII. Besondere Zustimmungserfordernisse .............................................. 53 1. Mitwirkung des Gläubigerausschusses ..... 53 2. Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit nach § 277 InsO ............................. 58 3. Zustimmung zu Änderungen in der Geschäftsführung ............................ 66 4. Zustimmungspflichten und Kompetenzen des vorläufigen Sachwalters ....... 69 IX. Schuldnerrechte im Einvernehmen mit dem Sachwalter .................................. 75 1. Ausübung der Rechte aus gegenseitigen Verträgen .................................................... 75 2. Verwertung von Sicherungsgut ................. 80 X. Schuldnerunterstützung durch den Sachwalter auf Anordnung des Insolvenzgerichts ............................... 87

XI. Redepflichten ............................................ 88 1. Unterrichtungspflicht gegenüber Gläubigern über drohende Nachteile aus der Fortsetzung der Eigenverwaltung ...... 88 2. Anzeige der Masseunzulänglichkeit.......... 91 XII. Die Geltendmachung von Gesamtschäden und der Gesellschafterhaftung.... 97 XIII. Anfechtung ........................................... 100 XIV. Das Tabellenverfahren ......................... 104 XV. Verzeichnisse, Schlussrechnung, Verteilung ............................................... 110 1. Stellungnahmen zu den Verzeichnissen gemäß § 281 InsO und dem Bericht in der ersten Gläubigerversammlung ......... 110 2. Stellungnahme zum Verteilungsverzeichnis ............................................... 113 3. Stellungnahmen zur Schlussrechnung und im Schlusstermin............................... 116 4. Verteilung ohne Zustimmungserfordernis ................................................ 120 XVI. Planüberwachung im Insolvenzplanverfahren .......................................... 123 XVII. Der Sachwalter unter der Aufsicht des Insolvenzgerichts ............................. 125 XVIII. Beendigung der (vorläufigen) Sachwaltertätigkeit mit Aufhebung der (vorläufigen) Eigenverwaltung ...... 130 1. Aufhebung der Eigenverwaltung aufgrund von Pflichtverstößen oder Aussichtslosigkeit einer Sanierung ................ 131 2. Aufhebung der Eigenverwaltung durch Beschluss der Gläubigerversammlung .... 133 3. Weiteres Antragsrecht nur für Gläubiger – kein Antragsrecht des Sachwalters .. 136 4. Rechtsfolgen der Beendigung für den Sachwalter.................................... 140 5. Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung auf Antrag der Überwachungsorgane ...................................... 143 XIX. Besonderheiten in der Konzerninsolvenz .................................................. 146 1. Kooperationspflichten der (vorläufigen) Sachwalter ................................................. 146 2. Kooperationspflichten gegenüber einem Verfahrenskoordinator ........................... 147 3. Antragsrechte des (vorläufigen) Sachwalters ...................................................... 148 4. Stellungnahme zum Koordinationsplan und Umsetzung........................................ 150 XX. Praktische Zusammenarbeit.................. 152

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§9

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

Literatur: Bernsau/Weniger, Ein Plädoyer für den Erhalt und die Stärkung der Eigenverwaltung, BB 2020, 2571; Blankenburg, Reform der Eigenverwaltung durch das SanInsFoG aus gerichtlicher Sicht, ZInsO 2021, 753; Brinkmann/Zipperer, Die Eigenverwaltung nach dem ESUG aus Sicht von Wissenschaft und Praxis, ZIP 2011, 1337; Flöther/Hoffmann, Die Eigenverwaltung in der Konzerninsolvenz, in: Festschrift für Bruno M. Kübler, 2015, S. 147; Frind, Neuregelung der Eigenverwaltung gemäß SanInsFoG: Mehr Qualität oder „sanierungsfeindlicher Hürdenlauf“?, ZIP 2021, 171; Hölzle, Die „erleichterte Sanierung von Unternehmen“ in der Nomenklatur des RefE-ESUG, NZI 2011, 124; Jacoby/ Madaus/Sack/Schmidt, H./Thole, Evaluierung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) v. 7.12.2011, (zit.: Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUGEvaluierung), abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/News/Artikel/101018 _Gesamtbericht_Evaluierung_ESUG.pdf;jsessionid=04B8E7AD62976431818359D1040319E8.2_cid289? __blob=publicationFile&v=2, (Abrufdatum: 16.1.2023); Obermüller, Das ESUG und seine Auswirkungen auf das Bankgeschäft, ZInsO 2011, 1809; Piepenburg, Faktisches Konzerninsolvenzrecht am Beispiel Babcock Borsig, NZI 2004, 231; Priebe, Chapter 11 & Co. – Eine Einführung in das USInsolvenzrecht und ein erster Rückblick auf die Jahre 2007 – 2010 der Weltwirtschaftskrise, ZInsO 2011, 1676; Römermann, Neues Insolvenz- und Sanierungsrecht durch das ESUG, NJW 2012, 645; Schlegel, Insolvenzanträge und Eigenverwaltungsantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit, ZIP 1999, 954; Thole, Die Reform der Eigenverwaltung: Eine Umsetzung der ESUG-Evaluation?, NZI Beilage 1 z. Heft 5/2021, S. 90; Uhlenbruck, Chancen und Risiken eines plangesteuerten Insolvenzverfahrens als Eigenverwaltung, in: Festschrift für Friedrich Wilhelm Metzeler, 2003, S. 85; Vallender, Die Eigenverwaltung in neuem Gewand nach dem ESUG, GmbHR 2012, 445; Voigt-Salus/Sietz, Bestimmt der wesentliche Gläubiger den besten Verwalter oder ist eine Lanze für den unabhängigen Verwalter zu brechen?, ZInsO, 2010, 2050.

I.

Einführung

1 Eine Option bei der Restrukturierung von Unternehmen ist die Durchführung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung. Seit Inkrafttreten der InsO in 1999 sind Unternehmen aller Größenordnungen bis hin zu einer gemeinnützigen Stiftung mit Erfolg in Eigenverwaltung saniert worden. Aufmerksamkeit haben Eigenverwaltungen insbesondere in Großinsolvenzen erhalten, wie in dem Verfahren über das Vermögen der Kirch Media AG (2002), Babcock Borsig AG (2002),1) Ihr Platz GmbH & Co. KG (2005),2) SinnLeffers GmbH (2008), der Friedr. Gustav Theis Kaltwalzwerke GmbH (2009)3), der Pfleiderer AG (2012), der IVG Immobilien AG (2014), der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG und ihrer persönlich haftenden Gesellschafterin (2017), GALERIA Karstadt Kaufhof GmbH (2020) und der Condor Flugdienst GmbH (2020). Aber auch in zahlreichen weiteren Insolvenzen insbesondere von mittelständischen Unternehmen wurde die Eigenverwaltung angeordnet. Viele Beispiele belegen, dass mit der Einführung der InsO, ergänzt durch das ESUG,4) wirksame Instrumente zur Verfügung gestellt wurden, um Unternehmen zu sanieren und überwiegend zu erhalten. 2 Das Amt des Sachwalters und die Ausgestaltung seiner Rechte hatten sich erst nach intensiven Diskussionen um die Eigenverwaltung herausgebildet. Anders als im Regelfall der Insolvenzverwaltung, in dem die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen gemäß § 80 InsO entzogen wird, verbleibt diese mit Anordnung der Eigenverwaltung beim Schuldner bzw. dessen Organen, beschränkt auf den Insolvenzzweck bestmöglicher Gläubigerbefriedigung gemäß § 1 InsO.5) Darüber hinaus ___________ 1) 2)

3) 4) 5)

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Hierzu: Piepenburg, NZI 2004, 231. In der Business Week v. 24.10.2005 wurde die Entwicklung zu Ihr Platz wie folgt gesehen: „It’s [Anm. Name der Investmentbank] maneuver would hardly raise an eyebrow in New York or London. But in Germany, it was revolutionary: The American firm is pioneering Germany’s first large case of a Chapter 11-style restructuring under a little-used 1999 law. […] American and British hedge funds use insolvency as strategic tool to implement a turnaround.“ Vgl. BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, ZIP 2011, 1622, dazu EWiR 2011, 651 (Bähr). Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), v. 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2582. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, Vor § 270 Rz. 3.

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Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters

§9

erhalten die Organe mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens neue weitgehende Handlungskompetenzen, insbesondere das Wahlrecht über die Erfüllung von Rechtsgeschäften, Sonderkündigungsrechte (§ 279 i. V. m. §§ 103 bis 128 InsO) und das Recht zur Verwertung von Gegenständen, an denen ein Absonderungsrecht von Gläubigern besteht (§ 282 Abs. 2 InsO). Ihm zur Seite gestellt wird der durch das Insolvenzgericht zu bestellende Sachwalter. 3 Grundsätzlich hat der Sachwalter das Recht und die Pflicht, die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu prüfen und seine Geschäftsführung und die Ausgaben für seine Lebensführung zu überwachen (§ 274 Abs. 2 InsO). Das Gesetz sieht für den Sachwalter sodann konkrete Einflussmöglichkeiten nach einem i. E. abgestuften Überwachungssystem vor. Als originäre Aufgaben weist das Gesetz dem Sachwalter die Wahrnehmung von Rechten und Pflichten aus dem Anfechtungsrecht einschließlich der Ansprüche auf Ersatz eines Gesamtschadens nach den §§ 92, 93 InsO zu, die Anzeige der Masseunzulänglichkeit, § 285 InsO, sowie die Überwachung eines Insolvenzplans, § 284 InsO. Foltis beschreibt die Abgrenzungsleitlinie zwischen den Aufgaben des Schuldners und des Sachwalters dahin, dass bei ersterem die geschäftstypischen Rechte und Pflichten verbleiben, die der Sachwalter kontrolliert und unterstützt, und auf Letzteren i. Ü. die insolvenztypischen Aufgaben übertragen werden.6) Im Detail ergeben sich hieraus zahlreiche rechtliche Fragestellungen für den Schuldner, seine 4 Berater und den Sachwalter, darüber hinaus praktische zum Umgang miteinander. In der Vergangenheit7) haben diese Fragen aufgrund der geringen Zahl der Eigenverwaltungen einen eher kleinen Kreis von Spezialisten beschäftigt. Entsprechend dem Willen des Gesetzgebers haben Eigenverwaltungen mit dem am 1.3.2012 in Kraft getretenen ESUG in größerer Zahl Bedeutung erhalten. Umso wichtiger ist es, sich mit diesen Fragestellungen zu befassen. Ausgehend von der Fragestellung, was der Gesetzgeber mit der Aufsicht eines Sachwalters bezweckt, wird nachstehend ein an den einzelnen Rechten und Pflichten orientierter Überblick über die Rechtsperson „Sachwalter“ gegeben. II.

Die Aufsicht des Sachwalters als Reaktion auf die Missbrauchsanfälligkeit

Wohl nicht zuletzt in der Konsequenz der neuen Optionen der Eigenverwaltung mit In- 5 krafttreten des ESUG ist in der breiteren Öffentlichkeit eine Diskussion um die Grenzen des Insolvenzrechts aufgekommen.8) Der Gesetzgeber war sich der Wirkungsmacht der Reformen durchaus bewusst und hat mit der Entscheidung über das ESUG einen Evaluierungsauftrag formuliert: Fünf Jahre nach Inkrafttreten der Reformen sollte deren Wirkung eingeschätzt werden.9) Das BMJV hat den Auftrag Ende 2016 aufgenommen und eine wissenschaftliche Untersuchung zur Wirkungsweise des ESUG in Theorie und Praxis ausgeschrieben. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden im Herbst 2018 veröffentlicht (für eine Zusammenfassung siehe unten § 58). Die Verfasser der ESUG-Evaluation empfahlen

___________ 6) 7) 8)

9)

Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 270c Rz. 12 ff. Eine tabellarische Übersicht mit Daten des Statistischen Bundesamtes geben Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, eine aktuelle Übersicht findet sich bei Böhm in: Braun, Insolvenzrecht und Unternehmenssanierung, Jahrbuch 2020, S. 48. So wurde in einer Kolumne auf S. 1 des Wirtschaftsteils der FAZ gefordert, unternehmerisches Scheitern nicht zu verklären: Giersberg, Wichtige Warnung, FAZ v. 27.12.2017, Nr. 299 S. 15. In einem Artikel des Wirtschaftsmagazins BILANZ wurde die Insolvenz als Sanierungsmodell auf Kosten der Steuerzahler und Gläubiger scharf kritisiert: Böhmer, Unsittliches Angebot für Trigema-Chef Grupp, BILANZ – Das Wirtschaftsmagazin, v. 4.10.2017, abrufbar unter https://www.welt.de/wirtschaft/bilanz/article169009828/Unsittliches-Angebot-fuer-Trigema-Chef-Grupp.html (Abrufdatum: 16.1.2023). Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung; zu Praxisbefunden insbesondere von insolvenzrechtlichen Verbänden: Frind, ZIP 2021, 171, 172.

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§9

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

seinerzeit eine ganze Reihe von Maßnahmen, darunter Aufgaben und Befugnisse des (vorläufigen) Sachwalters zu präzisieren.10) 6 Diskussionen um die Eigenverwaltung und deren Grenzen bzw. die Kontrolle durch den Sachwalter sind jedenfalls nicht neu. Die Einführung der Eigenverwaltung in die zum 1.1.1999 in Kraft getretene InsO war noch heftig umstritten. Im Mittelpunkt der Kritik standen die Missbrauchsanfälligkeit der Eigenverwaltung und das mangelnde Vertrauen in die bisherige Geschäftsführung.11) Aufgrund der zahlreichen Bedenken war eine Eigenverwaltung noch im Ersten Bericht der Kommission für Insolvenzrecht von 1985 abgelehnt worden,12) der zweite Bericht sah die Eigenverwaltung sehr eingeschränkt für Kleinverfahren vor,13) setzte sich aber nicht durch. Der Gesetzgeber versuchte vielmehr, den Bedenken nachfolgend Rechnung zu tragen.14) Als Konsequenz hierauf wurde das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung unter die Aufsicht eines Sachwalters gestellt. Im Junktim hiermit wurden hohe Anforderungen für die Anordnung formuliert. Nach den Umständen durfte es nicht zu erwarten sein, dass die Anordnung der Eigenverwaltung zu einer Verzögerung des Verfahrens oder zu sonstigen Nachteilen für die Gläubiger führen wird. Schließlich wurden Rechte der Gläubiger aufgenommen, die Eigenverwaltung zu beenden. Unter anderem sollte eine Fortführung über eine längere Zeit hinweg durch den Schuldner vermieden werden, ohne dass das eigentliche Ziel der InsO erfüllt wird, auch in der Eigenverwaltung die optimale Gläubigerbefriedigung herbeizuführen.15) Entsprechend erschließt sich die Funktion des Sachwalters nicht zuletzt aus der Gesetzeshistorie. 7 Vorbild für die Regelungen zur Rechtsstellung des Sachwalters waren die Rechte und Pflichten des Vergleichsverwalters nach der aus dem Jahre 1935 stammenden Vergleichsordnung (VerglO).16) Der Vergleichsverwalter hatte im Vergleichsverfahren zur Abwendung des Konkurses weitgehende Überwachungs- und Antragsrechte. Rechte zur Verwaltung und Verfügung über das Schuldnervermögen hatte er nicht. Der Begriff des Sachwalters fand sich zwar auch in §§ 91 – 95 VerglO, unterscheidet sich aber grundlegend von dem Sachwalter nach Ausprägung der InsO.17) Dogmatisch wird der Sachwalter heute als „Inhaber eines öffentlichen Amtes aufgrund gerichtlicher Bestellung“18) und Inhaber einer „insolvenzverwalterähnlichen“19) oder dieser „angenäherten“20) Stellung mit im Verhältnis zum Insolvenzverwalter eingeschränktem Tätigkeitsbereich21) qualifiziert.

___________ 10) 11) 12) 13) 14) 15) 16) 17) 18) 19) 20) 21)

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Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 89. Details der Diskussionen finden sich bei Uhlenbruck in: FS Metzeler, 2003, S. 85, 86, Rz. 2. Erster Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, 1985, Begr. z. Leitsatz 1.3.1.1., S. 124 ff. Zweiter Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, 1986, Leitsatz 6.1.3.2. Zum weiteren Verlauf und zur Kritik an der Eigenverwaltung: Dietrich, Die Eigenverwaltung als Sanierungsweg nach dem neuen Insolvenzrecht, S. 32 ff., 44 ff. Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. § 331 RegE InsO, BT-Drucks. 12/7302, S. 185. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 222 f.; ausführlich zur Historie Kruse, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz mit ihren gesellschaftsrechtlichen Bezügen, S. 36 ff. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 274 Rz. 4. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 270c Rz. 7. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 270c Rz. 7. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 270c Rz. 3; Holzer in: KPB, InsO, § 274 Rz. 1 und Rz. 9 sowie § 270c Rz. 5 f. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 274 Rz. 1, § 270c Rz. 7: Grundsätzlich finden demnach die allg. Bestimmungen für das Insolvenzverfahren mit Insolvenzverwalter Anwendungen, soweit die besonderen Regelungen der Eigenverwaltung nicht entgegenstehen. Die Reichweite einzelner Regelungen in der Eigenverwaltung ist durch Auslegung zu ermitteln; einschränkend: Riggert in: Nerlich/Römermann, InsO, § 274 Rz. 1, wonach die Rechtsstellung des Sachwalters nach den speziellen Reglungen der §§ 275, 277, 279, 280 – 285 InsO im Wesentlichen auf die Kontrolle des Schuldners beschränkt ist und die Regelungen für den Insolvenzverwalter nicht pauschal herangezogen werden können, da dem Sachwalter seitens des Gesetzgebers keine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis eingeräumt wurde; ähnlich Kern in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 3.

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Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters

§9

Mit diesem Ansatz unterscheidet sich die InsO auch von dem Debtor in Possession-Kon- 8 zept nach US-amerikanischem Recht, wo die Bestellung eines „Trustee“ im Reorganisationsverfahren nach Chapter 11 möglich, aber selten ist.22) Nur in den Fällen, in denen Gläubiger die Unzuverlässigkeit des Schuldners beweisen können, soll die nach Chapter 11 vorgesehene Handlungsmacht des Schuldners durch einen Trustee beschränkt werden.23) Auch in den USA war kontrovers diskutiert worden, ob nicht doch automatisch ein Verwalter zu bestellen wäre.24) Im Detail sind die beiden Konzepte i. Ü. wenig vergleichbar.25) Anders als im deutschen Recht sind im US-amerikanischen Recht insbesondere die Rechte des aufsichtführenden Richters gegenüber dem Schuldner umfassender ausgestaltet. Für das Liquidationsverfahren ist dort keine „Eigenverwaltung“ vorgesehen.26) Tatsächlich ist die Eigenverwaltung allerdings auch im deutschen Recht vornehmlich auf Fortführungsfälle ausgelegt.27) Dogmatisch war bis zuletzt streitig, ob die Eigenverwaltung in der Prägung vor dem ESUG 9 nach dem Willen des Gesetzgebers nur einen Ausnahmefall gegenüber dem Regelinsolvenzverfahren darstellt, mit entsprechend eingeschränktem Anwendungsbereich,28) oder eine besondere Verfahrensart des Insolvenzverfahrens, bei der die Anordnungsvoraussetzungen Ausdruck einer Abwägung der Beteiligteninteressen ist, wie sie aus Sicht des Gesetzgebers typischerweise vorliegen, wenn der eigenverwaltende Schuldner Verwaltungs- und Verfügungsbefugter und damit Hauptverantwortlicher für sein zugunsten der Gläubigergemeinschaft beschlagnahmtes Vermögen wird.29) Allerdings sollte auch nach der letzteren Auffassung aus der strengen Gläubigerschutzkonstruktion der Eigenverwaltung die Auslegungsregel folgen, dass begründete Zweifel am Vorliegen oder unveränderten Fortbestehen der Eigenverwaltungsvoraussetzungen zulasten des Schuldners gehen, mithin die Normen über die Anordnung der Eigenverwaltung einschränken bzw. deren Aufhebung erleichtern.30) Der Gesetzgeber des Jahres 2011 hatte mit Einführung des ESUG die Eigenverwaltung jedenfalls deutlich gestärkt;31) das ESUG erweckte den Eindruck, dass, wie es Brinkmann/ Zipperer formulierten, ein Paradigmenwechsel bei der Eigenverwaltung vom Ausnahmezum Regelfall vollzogen wird.32)

___________ 22) Ausführlich Kemper, Die US-amerikanischen Erfahrungen mit „Chapter 11“ – Ein Vergleich mit dem Insolvenzplan der neuen Insolvenzordnung, 1996, S. 58 ff. 23) Priebe, ZInsO 2011, 1676, 1683. 24) Nachweise bei Kemper, Die US-amerikanischen Erfahrungen mit „Chapter 11“ – Ein Vergleich mit dem Insolvenzplan der neuen Insolvenzordnung, S. 63; Braley/Rosenzweig, The Yale Law Journal 101 (1992), 1043 ff. 25) Vgl. Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz: Grundlagen, Gestaltungsmöglichkeiten, Sanierung mit der Insolvenzordnung, S. 692; Schlegel, ZIP 1999, 954. 26) Auch in den USA bestand ursprünglich die Aufgabe des Konkursrechts in der Liquidation und Verteilung des Vermögens an die Gläubiger. In Weiterentwicklung des Bankruptcy Act von 1898 wurde in den Jahren 1933 und 1934 der Gedanke der Sanierung des Schuldners verstärkt aufgegriffen. Ab 1938 waren vier unterschiedliche Sanierungsverfahren in das Gesetz aufgenommen; hierzu Riesenfeld, KTS 1983, 85, 89 f. 27) Begr. RegE InsO vor § 331, BT-Drucks. 12/2443. 28) Für den Zeitraum vor Inkrafttreten des ESUG: Wittig/Tetzlaff in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl., 2008, Vor §§ 270 – 285 Rz. 19; Riggert in: Nerlich/Römermann, InsO, Vor § 270 Rz. 1. 29) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 270 Rz. 6, 24, 38. 30) So noch in der 6. Aufl., 2011: Foltis in: Wimmer, FK-InsO, Vor §§ 270 ff. Rz. 27. 31) Vallender, GmbHR 2012, 445, 446. 32) Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337.

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§9

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

III.

Die Bestellung des Sachwalters

1.

Grundsatz

10 Das Amt des Sachwalters beginnt mit seiner Bestellung durch Beschluss des Insolvenzgerichts.33) Funktionell zuständig ist der Insolvenzrichter, § 18 Abs. 1 Nr. 3 RPflG.34) Für die Bestellung des Sachwalters geltend dieselben Voraussetzungen wie für einen Insolvenzverwalter, § 274 Abs. 1, § 56 InsO. Als Anforderungsprofil gibt das Gesetz vor, eine geeignete, geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige Person zu bestimmen. Insbesondere für Fortführungsfälle sind persönliche und fachliche Fähigkeiten, ausgeprägte Führungsqualitäten, persönliche Integrität35) sowie Integrationsfähigkeit erforderlich. Der Verfahrensbevollmächtigte des Schuldners kann nicht zum Sachwalter bestellt werden,36) ebenso wenig eine juristische Person.37) 11 Die erforderliche Unabhängigkeit wird nicht bereits schon dadurch ausgeschlossen, dass die Person vom Schuldner oder von einem Gläubiger vorgeschlagen worden ist oder den Schuldner vor dem Eröffnungsantrag in allgemeiner Form über den Ablauf eines Insolvenzverfahrens und dessen Folgen beraten hat, § 56 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Für die seit dem 1.12.2012 beantragten Fälle kann das Ermessen des Richters bei der Bestellung des Sachwalters des weiteren entfallen bzw. Einschränkungen erfahren, als dass ein vorläufiger Gläubigerausschuss Beschlüsse zu dessen Person und zu den an sie gestellten Anforderungen vorgegeben hat (siehe dazu nachstehend Rz. 17 ff.). 2.

Die Bestellung des vorläufigen Sachwalters

12 Mit der Einführung des ESUG im Jahr 2012 wurde für den Fall eines Antrags auf Anordnung einer Eigenverwaltung im Insolvenzeröffnungsverfahren erstmals die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters ermöglicht.38) Der Gesetzgeber wollte mit der Etablierung des vorläufigen Sachwalters vermeiden, dass aufgrund des Verlusts der Verfügungsbefugnis im Insolvenzeröffnungsverfahren durch Auferlegung eines allgemeinen Verfügungsverbots oder eine Anordnung, wonach Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind, das Vertrauen der Geschäftspartner in die Geschäftsführung des Schuldners und deren Sanierungskonzept zerstört wird.39) Das Verfahren sollte so für den Schuldner, der die Kontrolle über sein Vermögen auch im Eröffnungsverfahren behält, attraktiver werden.40) 13 Die Voraussetzungen für die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung wurden mit Inkrafttreten des SanInsFoG41) im Jahr 2021 präzisiert und verschärft.42) Es reicht nicht ___________ 33) Vgl. hierzu Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 274 Rz. 11, und a. A. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 274 Rz. 3: Annahme des Amtes durch den Sachwalter, ebenso: Holzer in: KPB, InsO, § 274 Rz. 28. 34) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 270c Rz. 2; Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 270c Rz. 10 m. w. N. 35) Holzer in: KPB, InsO, § 274 Rz. 11 ff.; Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 274 Rz. 9. 36) Vgl. Lüke, ZIP 2001, 2188, 2190 (Urteilsanm.). 37) BGH v. 19.9.2013 – IX AR (VZ) 1/12, ZIP 2013, 2070 = ZInsO 2013, 2103, dazu EWiR 2014, 23 (Eckardt); Kern in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 16; Ringstmeier in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 270c InsO Rz. 2. 38) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 17 f. 39) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 39; wiederholt in: Begr. RegE SanInsFoG z. COVInsAG, BT-Drucks. 19/24181, S. 218. 40) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 39. 41) Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256. 42) Zur Umsetzung der ESUG-Evaluation im SanInsFoG: Thole, NZI Beilage z. Heft 5/2021, S. 90 ff.; krit. in Bezug auf eine Verschärfung bspw. Bernsau/Weniger, BB 2020, 2571 ff.

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Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters

§9

mehr nur eine Prognose auf Grundlage bekannter, nicht näher konturierter Umstände aus, ob die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird.43) Vielmehr hat der Antragsteller dem Insolvenzgericht mit dem Antrag eine Planung vorzulegen, die neben einer Finanzplanung über sechs Monate mit Darstellung der Finanzierungsquellen weitere vier Elemente enthalten soll, u. a. eine Beschreibung des Konzepts für die Durchführung des Insolvenzverfahrens und den Stand von Verhandlungen mit Gläubigern, § 270a Abs. 1 InsO. Nur wenn diese Eigenverwaltungsplanung des Schuldners vollständig und schlüssig ist und keine Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass die Eigenverwaltungsplanung in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruht, soll gemäß § 270b InsO ein vorläufiger Sachwalter bestellt werden.44) Bei der Auswahl des vorläufigen Sachwalters sind die für die Bestellung des Sachwalters 14 geltenden Vorschriften gemäß § 274 Abs. 1, §§ 56, 56a InsO entsprechend heranzuziehen,45) einschränkungslos allerdings nur insoweit, als kein vorläufiger Gläubigerausschuss bestellt ist (siehe dazu unten Rz. 17 ff.). In einem Sanierungsverfahren nach § 270d InsO (Schutzschirmverfahren) erhält der Schuld- 15 ner weitergehend das Angebot, von einem vorläufigen Sachwalter überwacht zu werden, der auf seinen Vorschlag hin zu bestellen ist. Liegt eine drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vor, kann der Schuldner unter dessen Aufsicht sodann einen Insolvenzplan erarbeiten. Mit dieser Option sollte das Vertrauen der Schuldner in das Insolvenzverfahren ebenfalls gestärkt und gleichzeitig ein Anreiz geschaffen werden, frühzeitig einen Eröffnungsantrag zu stellen, um rechtzeitig die Weichen für eine Sanierung des schuldnerischen Unternehmens zu stellen.46) Dem sodann bestellten vorläufigen Sachwalter stehen die Befugnisse gemäß § 274 und § 275 16 InsO entsprechend zu. Hierbei handelt es sich um Kontroll- und Mitwirkungsbefugnisse (siehe dazu unten Rz. 41 ff.). Die Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters sowie die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots kommen als vorläufige Sicherungsmaßnahmen – im Grundsatz - nicht in Betracht, da sie mit dem Erhalt der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners nicht vereinbar sind. Auf den Antrag des Schuldners hat das Gericht anzuordnen, dass der Schuldner Masseverbindlichkeiten begründet (siehe im Einzelnen unten Rz. 73 f.). 3.

Die Mitwirkung des Gläubigerausschusses bei der Bestellung des (vorläufigen) Sachwalters

Über die Person des Sachwalters hatte bisher ausschließlich das Insolvenzgericht zu be- 17 finden. Der Gesetzgeber hat mit dem ESUG die Rechte der Gläubiger hinsichtlich der Bestellung des Sachwalters und des vorläufigen Sachwalters erweitert. Einem – eher vor-vorläufigen – Gläubigerausschuss47) ist nicht nur Gelegenheit zu geben, sich zu den Anforderungen an den vorläufigen Sachwalter zu äußern, die bei dessen Auswahl zu berücksichtigen sind (§ 56a Abs. 1 InsO), sondern ihm ist auch die Möglichkeit einzuräumen, dem Insolvenzgericht eine bestimmte Person vorzuschlagen. Die Anhörung kann das Insolvenzgericht ___________ 43) Zur Nachteilsprognose der Gerichte Gesamtbericht der ESUG-Evaluation, S. 55 ff.; zur Aussichtslosigkeit einer Sanierung bspw. AG Erfurt v. 13.4.2012 – 172 IN 190/12, ZInsO 2012, 944. 44) Ausführlich: Blankenburg, ZInsO 2021, 753; 755 ff. 45) §§ 56, 56a InsO geltend entsprechend bei der Auswahl des vorläufigen Sachwalters (Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 39). 46) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 19. 47) Vgl. hierzu AG München v. 14.6.2012 – 1506 IN 1851/12, ZIP 2012, 1308, dazu EWiR 2012, 495 (Vallender), wonach sich der Gläubigerausschuss zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Anordnung der Eigenverwaltung bereits konstituiert haben muss.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

mit der nach § 270 Abs. 3 InsO vorgesehenen Anhörung zur Anordnung der Eigenverwaltung verbinden (§§ 56, 56a i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, § 270b Abs. 3, § 274 Abs. 1 InsO). Die Konsultation des vorläufigen Gläubigerausschusses kann künftig nur noch unterbleiben, wenn die hierdurch bedingte Verzögerung offensichtlich innerhalb von zwei Werktagen zu einer nachteiligen Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners führt, die sich nur durch Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters abwenden lässt.48) 18 Nach § 56a Abs. 2 InsO sind Vorschläge des vorläufigen Gläubigerausschusses zu den Anforderungen49) an den Sachwalter für das Gericht bindend. Dies gilt auch dann, wenn die Vorschläge nicht einstimmig beschlossen worden sind, sondern mit der für Beschlüsse des Ausschusses maßgeblichen Kopfmehrheit (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a i. V. m. § 72 InsO). 19 Weitergehend wird das Insolvenzgericht nach § 274 Abs. 1, § 56a Abs. 1 InsO verpflichtet, eine auf Grundlage eines einstimmig gefassten Beschlusses vorgeschlagene Person zum (vorläufigen) Sachwalter zu bestellen. Das Gericht ist an den Beschluss allerdings nur gebunden, wenn der Vorschlag nicht in Widerspruch zu den Kriterien nach § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO steht, mithin die vorgeschlagene Person für die Übernahme des Amtes im konkreten Fall nicht geeignet ist. Gründe hierfür sind bspw. fehlende Sachkunde oder die aufgrund einer vorherigen Tätigkeit für den Antragsteller nicht mehr gewahrte Unabhängigkeit.50) Unerheblich für die Entscheidung des Insolvenzgerichts soll es hingegen bleiben, ob die durch einstimmigen Beschluss vorgeschlagene Person bei dem zuständigen Insolvenzgericht in einer Vorauswahlliste geführt wird.51) Die erste Gläubigerversammlung kann ggf. erneut über die Person des Verwalters entscheiden und – nach Auseinandersetzung mit den Gründen der Ablehnung – im Berichtstermin diesen ggf. erneut bestellen.52) 20 Auf die Anhörung kann das Insolvenzgericht nach § 56a InsO nur verzichten, wenn hierdurch offensichtlich Nachteile für die Vermögenslage des Schuldners drohen.53) Verzichtet das Insolvenzgericht auf die Anhörung des vorläufigen Gläubigerausschusses aufgrund offensichtlich drohender Nachteile, so kann der vorläufige Gläubigerausschuss in seiner ersten Sitzung einstimmig eine andere Person als die Bestellte zum (vorläufigen) Sachwalter wählen, § 56a Abs. 3 InsO a. E., die sodann vom Gericht zu bestellen ist. 21 Auch wenn ein Verwalter auf Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses vom Insolvenzgericht bestellt worden ist, bleibt es dabei, dass im eröffneten Verfahren die Gläubigerversammlung mit Summen- und Kopfmehrheit endgültig über die Person des Verwalters entscheidet (§ 57 InsO). Der Gesetzgeber geht dabei davon aus, dass der vorläufige Gläubigerausschuss sich dessen bewusst ist und keine Person vorschlagen wird, bei der mit einer Abwahl durch die Gläubigerversammlung zu rechnen ist. Umstritten ist es dann allerdings, ___________ 48) Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24818, S. 206. 49) Voigt-Salus/Sietz, ZInsO 2010, 2050 – noch zur Fassung vor Inkrafttreten des SanInsFoG; die Argumentation ist aufgrund der Gleichartigkeit der alten und der neuen Regelung übertragbar. 50) Vgl. hierzu AG Stendal v. 31.8.2012 – 7 IN 164/12, ZIP 2012, 1875, dazu EWiR 2012, 705 (SchulteKaubrügger): Danach wurde ein von einem Gläubigerausschuss vorgeschlagener Sachwalter als ungeeignet qualifiziert, weil zwischen Sanierungsberater-Geschäftsführer der Schuldnerin und dem Vorgeschlagenen zuvor eine umfangreiche frühere Geschäftsverbindung bestand. 51) Holzer in: KPB, InsO, § 274 Rz. 11, 21; diff.: AG Hamburg v. 18.11.2011 – 67g IN 459/11, ZIP 2011, 2372. 52) Holzer in: KPB, InsO, § 274 Rz. 7, 23 – zur Fassung vor Inkrafttreten des SanInsFoG; die Argumentation ist aufgrund der Gleichartigkeit der alten und der neuen Regelung übertragbar. 53) Nach Auffassung des AG München können bereits zeitnah erwartete Zahlungseingänge beim Schuldner, eine erforderliche Insolvenzgeldvorfinanzierung und die Sicherung des Auftragsbestandes die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters auch ohne Anhörung eines vorläufigen Gläubigerausschusses erforderlich machen, um eine nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners abzuwenden: AG München v. 14.6.2012 – 1506 IN 1851/12, ZIP 2012, 1308; ausführlich Smid, ZInsO 2013, 209 ff.

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Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters

§9

ob ein Beschluss der Gläubigerversammlung zur Sachwalterbestellung wegen Missbrauchs der Mehrheit gemäß § 78 InsO durch das Gericht aufgehoben werden kann.54) Die gerichtliche Ablehnung des Gewählten erfolgt jedenfalls durch Beschluss des Gerichts, der für jeden Gläubiger rechtsmittelfähig ist, §§ 274 Abs. 1, 57 Abs. 1 Satz 4 InsO. 4.

Bestellung eines Sachwalters aufgrund nachträglicher Anordnung der Eigenverwaltung

Der Gläubigerversammlung bleibt es unbenommen, jederzeit während der Dauer des Insol- 22 venzverfahrens die Eigenverwaltung und einen Sachwalter zu beschließen, § 271 InsO. Beantragt nicht schon der Schuldner die Anordnung der Eigenverwaltung oder wird der Antrag abgelehnt, so ordnet das Insolvenzgericht sie unter der Maßgabe an, dass die Eigenverwaltung – nach entsprechender Ankündigung und öffentlicher Bekanntmachung in der Tagesordnung – von der Gläubigerversammlung beantragt wird, diese sich mit der Summenund Kopfmehrheit der abstimmenden Gläubiger gemäß § 57 Satz 2, § 76 Abs. 2 InsO für die Eigenverwaltung entscheidet und der Schuldner dem zustimmt, § 271 InsO. Ein Ermessensspielraum des Gerichts soll dabei nicht bestehen,55) es sei denn, der von der Gläubigerversammlung gewählte Sachwalter ist für das Amt ungeeignet, § 56 Abs. 1 InsO.56) Hat die Gläubigerversammlung einen geeigneten und bereiten Sachwalter vorgeschlagen, geht mit dem Anordnungsbeschluss des Gerichts die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis im Insolvenzverfahren wieder auf den Schuldner über. Der Schuldner übernimmt das Verfahren im aktuellen Verfahrensstand und nach Maßgabe der bisherigen Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters.57) Zum Sachwalter kann der bisherige Insolvenzverwalter oder ein Dritter bestellt werden. 23 Ob die Gläubigerversammlung verpflichtet ist, bereits im Antrag eine bestimmte Person zu benennen, wird allerdings kontrovers erörtert. Teilweise wird ein Antrag, der nicht zugleich die Benennung einer bestimmten Person enthält, unter Verweis auf §§ 270, 57 InsO als unzulässig angesehen.58) Nach § 57 InsO wird ein bloßer Antrag auf Abwahl eines Insolvenzverwalters ohne Benennung eines potenziellen Nachfolgers als unzulässig angesehen. Funktionell zuständig für die Anordnung der Eigenverwaltung und Bestellung des Sach- 24 walters ist der Rechtspfleger, § 18 RPflG. Dessen Entscheidung in dieser Sache ist weder durch Rechtspflegererinnerung nach § 11 RPflG noch durch Beschwerde anfechtbar.59) Ob hingegen Widerspruchsmöglichkeiten der überstimmten Gläubiger nach § 78 InsO gegen die Anordnung der Eigenverwaltung bestehen, weil der Beschluss gegen das gemeinsame Interesse der Insolvenzgläubiger verstoßen könnte, wird aufgrund einer Entscheidung

___________ 54) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 274 Rz. 13; a. A. Holzer in: KPB, InsO, § 274 Rz. 31, unter Bezugnahme insb. auf die Entscheidung des BGH v. 17.7.2003 – IX ZB 530/02, ZIP 2003, 1613 – zur Nichtüberprüfbarkeit einer Abwahlentscheidung eines Insolvenzverwalters durch die Gläubigerversammlung. 55) Holzer in: KPB, InsO, § 271 Rz. 13, 28; Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 271 Rz. 15; a. A. Riggert in: Nerlich/Römermann, InsO, § 271 Rz. 6. 56) Holzer in: KPB, InsO, § 271 Rz. 13, 28; Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 271 Rz. 15. 57) Holzer in: KPB, InsO, § 271 Rz. 29; Undritz in: K. Schmidt, InsO, § 271 Rz. 9. 58) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 271 Rz. 6; Ringstmeier in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 271 InsO Rz. 8; a. A.: Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 271 Rz. 2. 59) Holzer in: KPB, InsO, § 271 Rz. 17; Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 271 Rz. 11; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 271 Rz. 4; Riggert in: Nerlich/Römermann, InsO, § 271 Rz. 6.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

des BGH aus dem Jahre 2011 zu § 272 InsO und mit Betonung der Gläubigerautonomie bei Entscheidungen der Gläubigerversammlung unterschiedlich gesehen.60) 25 Besonderheiten ergeben sich nach Inkrafttreten des ESUG insoweit, dass die Möglichkeiten der nachträglichen Anordnung der Eigenverwaltung erheblich erweitert wurden: Ob ein Insolvenzgericht auch nachträglich die Eigenverwaltung anordnen kann, wenn vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens kein Schuldnerantrag auf Eigenverwaltung gestellt und ein solcher mithin nicht abgelehnt wurde, war in der Literatur umstritten. Um diese Rechtsunsicherheit zu beseitigen, wurde im ESUG klargestellt, dass eine Anordnung auch in solchen Fällen möglich ist, in denen der Schuldner einen entsprechenden Antrag nicht bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hatte, sofern sich Schuldner und Gläubigerversammlung über die Fortsetzung des Verfahrens in Eigenverwaltung einig sind. Die Vorschrift ist damit nicht zuletzt auch Ausfluss der vom Gesetzgeber mit dem ESUG angestrebten Deregulierung des Insolvenzrechts und Betonung des Grundsatzes der Gläubigerautonomie.61) IV.

Auskunfts- und Zutrittsrechte bei Aufnahme der Tätigkeit

26 Nach seiner Bestellung benötigt der (vorläufige) Sachwalter zahlreiche Informationen. Regelmäßig sind dem Sachwalter die tatsächlichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Besonderheiten des Unternehmens nicht bekannt. Gleichwohl gehört es vom ersten Tag an zu seinen zentralen Aufgaben,62) die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu überprüfen und die Geschäftsführung sowie die Ausgaben für die Lebensführung des Schuldners, die dieser gemäß § 278 InsO entnehmen darf, zu überwachen. Weitergehend kann das Insolvenzgericht gemäß § 270c Abs. 1 InsO den vorläufigen Sachwalter beauftragen, die Eigenverwaltungsplanung zu überprüfen und Bericht darüber zu erstatten, ob diese bspw. von tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht, schlüssig ist und durchführbar erscheint.63) 27 Damit der Sachwalter seine Pflichten erfüllen kann, räumt ihm das Gesetz umfassende Unterrichtungsmöglichkeiten ein. Für die Durchführung seiner Überwachungsaufgaben hat er die gleichen Rechte und dieselbe Stellung wie ein vorläufiger Insolvenzverwalter, auf den ebenfalls keine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis übergegangen ist, § 274 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 22 Abs. 3 InsO. Daraus leitet sich das Recht des Sachwalters ab, die Geschäftsräume des Schuldners zu betreten und vor Ort umfangreiche Nachforschungen anzustellen. Das schließt die Mitarbeiter des Sachwalters sowie ggf. von ihm beauftragte Steuerberater und Wirtschaftsprüfer ein.64) Um den Zugang zu ermöglichen, sind dem Sachwalter bspw. auch Schlüssel und Zugangscodes zur Verfügung zu stellen. Insoweit gelten keine Besonderheiten gegenüber dem Regelinsolvenzverfahren.

___________ 60) Vgl. BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, ZIP 2011, 1622 – zum abgewiesenen Antrag gemäß § 78 InsO gegen einen Beschluss der Gläubigerversammlung zur Aufhebung einer Eigenverwaltung gemäß § 272 InsO. Danach ist der Gläubigerantrag schon unzulässig, weil das Gericht keine Legitimation zur Prüfung hat; ausführlich hierzu Holzer in: KPB, InsO, § 271 Rz. 19, der sich im Ergebnis i. R. des § 271 InsO für den Minderheitenschutz und eine Überprüfbarkeit der Entscheidung nach § 78 InsO ausspricht, ebenso im Ergebnis Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 271 Rz. 5, 12; a. A. Ringstmeier in: Ahrens/Gehrlein/ Ringstmeier, InsR, § 271 InsO Rz. 6 f., und Riggert in: Nerlich/Römermann, InsO, § 271 Rz. 6 – keine Überprüfung des Antragsbeschlusses. 61) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 271 Rz. 1. 62) Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 274 Rz. 12. 63) Ausführlich Frind, ZIP 2021, 171, 174 ff. 64) Vgl. Vallender in: Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 284; Laroche in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 22 Rz. 65.

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Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters V.

Prüfungs- und Überwachungspflichten

1.

Überprüfung der wirtschaftlichen Lage des Schuldners gemäß § 274 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 InsO

§9

Anders als der Insolvenzverwalter ist der Sachwalter von der Erstellung des Vermögens- 28 verzeichnisses, der Abfassung des Berichts an die Gläubigerversammlung sowie der Erstellung der Rechnungslegung befreit. Diese Aufgaben obliegen nach Anordnung der Eigenverwaltung dem Schuldner. Das Gesetz verpflichtet den Sachwalter aber, dazu und zu weiteren Sachverhalten eine Stellungnahme gegenüber den Gläubigern abzugeben. Will er dazu die Angaben des Schuldners überprüfen, muss sein Kenntnisstand im Ergebnis dem eines Insolvenzverwalters entsprechen,65) andernfalls wäre er nicht in der Lage, belastbare Aussagen zu den Verzeichnissen abzugeben und damit diesen und weiteren Aufgaben nachzukommen. Für die Umsetzung seiner Prüfungspflichten erhält der Sachwalter die Rechte eines vorläu- 29 figen Insolvenzverwalters (§ 274 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 22 Abs. 3 InsO). Das Gesetz nennt die Pflicht des Schuldners, Einsicht in die Bücher und Geschäftspapiere des Schuldners zu gestatten. Gemeint sind damit v. a. die vorhandenen Bilanzen nebst Gewinn- und Verlustrechnungen, darüber hinaus bspw. die Kreditorenbuchhaltung und Korrespondenz mit Gläubigern, die Debitorenbuchhaltung, Arbeitnehmerunterlagen, sämtliche Sicherungs- und Übereignungsverträge, Pfändungsprotokolle, Finanzierungs- und Leasingverträge, Mietverträge, Lebensversicherungsverträge, Darlehensverträge sowie alle sonstigen Verträge, die einen vermögensrechtlichen Inhalt haben. Auf Anforderung des Sachwalters sind ihm eine aktuelle Bestandsaufnahme des Anlagevermögens und der Gegenstände des Umlaufvermögens sowie die Gesellschaftsverträge und Beschlüsse der Gesellschafter zur Verfügung zu stellen und Prämissen der Bewertung sowie die Wertansätze offenzulegen.66) Grundsätzlich gehen die Auskunftspflichten daher sehr weit. Auf den vorläufigen Sachwalter finden die Vorschriften über den Sachwalter nach § 274 InsO entsprechende Anwendung, § 270b Abs. 1 InsO. Im Ergebnis wird der Sachwalter so auch in die Lage versetzt, die ausschließlich ihm ob- 30 liegenden Anfechtungssachverhalte geltend zu machen und Gesamtschäden nach § 92 und § 93 InsO durchzusetzen. Gleichzeitig wird dem Sachwalter eine Beurteilung der wirtschaftlichen Möglichkeiten des Schuldners, seiner unternehmerischen Fähigkeiten und der Aussichten der Fortführung sowie einer gläubigerunschädlichen Erfüllung der schuldnerischen Verwaltungs- und Verfügungsrechte ermöglicht.67) 2.

Überwachung der Geschäftsführung und der Ausgaben für die Lebensführung des Schuldners gemäß § 274 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 InsO

Parallel zur Prüfung der aktuellen wirtschaftlichen Lage hat der Sachwalter die Geschäfts- 31 führung des Schuldners sowie ggf. seine Ausgaben für die Lebensführung gemäß § 278 InsO zu überwachen. Zwecks Erfüllung dieser Aufgabe ist der Schuldner verpflichtet, dem Sachwalter alle benötigten Auskünfte zu erteilen und ihn bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen (§ 274 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 22 Abs. 3 InsO). Auch diese Regelung dient dem Gläubigerschutz und soll verhindern, dass der Schuldner die Eigenverwaltung nutzt, um zum Schaden der Insolvenzgläubiger Vermögenswerte beiseite zu schaffen oder zu verschleiern oder entgegen einer ordnungsgemäßen Wirtschaftsführung zu handeln.68) Diese ___________ 65) 66) 67) 68)

Holzer in: KPB, InsO, § 274 Rz. 73. Vgl. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 274 Rz. 58. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 274 Rz. 61. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 274 Rz. 63.

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§9

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

als permanente Pflicht69) verstandene Aufgabe kann für den Sachwalter, der gegenüber dem Schuldner kein eigenes Weisungsrecht besitzt,70) gerade bei größeren Unternehmensinsolvenzen eine anspruchsvolle Tätigkeit darstellen. Als Beispiele seien genannt 

die erforderliche Auswertung von Liquiditätsplanungen,



integrierten Planrechnungen,



der handels- und steuerrechtlichen Rechnungslegung nach § 155 InsO auf Ordnungsgemäßheit,



der Abschluss neuer Verträge bis hin zu



der Bewertung von Chancen einer Sanierung und den hierzu einzuleitenden Maßnahmen.

32 Im Ergebnis wird der Sachwalter so auch in die Lage versetzt, ggf. die Masseunzulänglichkeit gemäß § 285 InsO anzuzeigen. Im Tagesgeschäft muss der Sachwalter darauf achten, dass der Schuldner im Zahlungsverkehr nicht den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung verletzt und Altverbindlichkeiten erfüllt. 33 Erkennt der Sachwalter drohende Nachteile für die Gläubiger, muss er hierauf unverzüglich reagieren und entscheiden, ob diese Informationen dem Gläubigerausschuss und dem Insolvenzgericht anzuzeigen sind, § 274 Abs. 3 InsO. Entsprechendes gilt für eine drohende Masseunzulänglichkeit. Der Sachwalter hat fortwährend alle Umstände zu prüfen, die aufsichtsrechtliche Maßnahmen gegen den Schuldner oder eine Aufhebung der Eigenverwaltung rechtfertigen können.71) Im Zweifel wird er dabei kein Risiko eingehen wollen. Die unverzügliche Anzeige drohender Nachteile gehört zu seinen insolvenzspezifischen Pflichten, deren schuldhafte Verletzung zu einer Haftung nach § 60 InsO führen kann.72) Ist ein Gläubigerausschuss nicht vorhanden, so hat der Sachwalter die Gläubiger, die Forderungen angemeldet haben, sowie die absonderungsberechtigten Gläubiger zu benachrichtigen. Gläubigerausschuss und Gläubiger werden so in die Lage versetzt, einen Antrag gemäß § 75 Abs. 1 Nr. 2 InsO auf Aufhebung der Eigenverwaltung zu stellen, § 272 InsO. Statt die Aufhebung zu beschließen, besteht die Möglichkeit, in einer außerordentlichen Gläubigerversammlung Handlungen des Schuldners einem Zustimmungsvorbehalt des Sachwalters gemäß § 277 InsO zu unterstellen.73) Ein eigenes Antragsrecht auf Aufhebung der Eigenverwaltung steht dem Sachwalter jedenfalls nicht zu.74) Der vorläufige Sachwalter hat anstelle der nach § 274 Abs. 3 Satz 2 InsO zu unterrichtenden Insolvenzgläubiger, die Forderungen angemeldet haben, die ihm zu diesem Zeitpunkt bereits bekannten Gläubiger zu unterrichten.75) 3.

Durchsetzung der Rechte

34 Soll die Eigenverwaltung Erfolg haben, wird der Schuldner seinen Auskunfts- und Mitwirkungsrechten bestmöglich nachkommen. Sofern erforderlich, können diese aber auch wie von einem vorläufigen Insolvenzverwalter durchgesetzt werden. Art und Umfang der Sachwalterrechte bestimmen sich nach §§ 97, 98 und § 101 InsO. Auf Antrag des Sachwalters an das Insolvenzgericht können insbesondere Zwangsgeld, Vorführung und Haft ___________ Pape in: Kölner Schrift, 2. Aufl., 2000, S. 911. Holzer in: KPB, InsO, § 274 Rz. 72; Kern in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 55. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 274 Rz. 55. Vgl. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 274 Rz. 75, Holzer in: KPB, InsO, § 274 Rz. 79, Kern in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 72. 73) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 274 Rz. 69. 74) Holzer in: KPB, InsO, § 274 Rz. 80. 75) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 39. 69) 70) 71) 72)

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Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters

§9

angeordnet werden. Wenn es zur Herbeiführung wahrheitsgemäßer Aussagen erforderlich scheint, kann das Insolvenzgericht anordnen, dass der Schuldner zu Protokoll an Eides statt versichert, er habe die von ihm erlangte Auskunft nach bestem Wissen und Gewissen richtig und vollständig erteilt, § 98 Abs. 1 InsO. Die Auskunftspflichten können auch leitende Angestellte treffen: Bei juristischen Per- 35 sonen sind verpflichtet die Mitglieder des Vertretungs- und Aufsichtsorgans sowie die vertretungsberechtigten persönlich haftenden Gesellschafter des Schuldners, einschließlich derer, die nicht früher als zwei Jahre vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus dieser Stellung ausgeschieden sind. Selbiges gilt für Angestellte und frühere Angestellte des Schuldners, soweit diese nicht früher als zwei Jahre vor der Eröffnung ausgeschieden sind, § 101 Abs. 2 InsO. Hier gelten allerdings nur beschränkte Durchsetzungsmöglichkeiten. Verweigert der Schuldner seine Mitwirkungspflichten, stellt dies einen Grund dar, über 36 die Beendigung der Eigenverwaltung zu entscheiden, § 272 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 InsO.76) Grundlage hierfür ist zunächst die Anzeige drohender Nachteile77) durch den Sachwalter an das Insolvenzgericht sowie den Gläubigerausschuss bzw. die Gläubiger mit Insolvenzforderungen und absonderungsberechtigte Gläubiger, § 274 Abs. 3 InsO, sofern kein Gläubigerausschuss bestellt ist. Die Entscheidung über den Pflichtenverstoß und die Konsequenzen liegt dann bei den Gläubigern78) und – seit Inkrafttreten des SanInsFoG – nach § 272 Abs. 1 Nr. 1 von Amts wegen unmittelbar auch dem Insolvenzgericht. 4.

Organisation der Überwachung

In Unternehmensinsolvenzen ist neben rechtlichen Kenntnissen auch unternehmerisches 37 Geschick erforderlich, um den Schuldner bei der Ausübung der ihm zustehenden Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zu überwachen, ohne den Geschäftsbetrieb über die Maßen einzuschränken. Der Pflichtenkanon des Sachwalters gerade in einer Großinsolvenz ist zu weit, um die hieraus resultierenden Aufgaben persönlich wahrzunehmen. Regelmäßig sind dem Sachwalter auch die rechtlichen und wirtschaftlichen Besonderheiten des Unternehmens zu Beginn des Verfahrens nicht bekannt. Für die Überwachung der Geschäftsführung benötigt er schnell belastbare Informationen aus Buchhaltung, Rechtsabteilung und Personalabteilung. Für deren Überwachung muss er auf Mitarbeiter der ControllingAbteilung des Unternehmens zurückgreifen können. Dass er sich hierbei eines Teams aus eigenen oder hinzugezogenen Mitarbeitern bedient, ist selbstverständlich. Rechtlich muss der Sachwalter – in Anlehnung an die Formulierungen von § 347 HGB 38 (Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns), § 93 Abs. 1 AktG und § 43 GmbHG – bei der Erfüllung seiner Aufgaben die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sachwalters anwenden.79) Dabei ist zu berücksichtigen, dass ihm gegenüber dem Insolvenzverwalter wesentlich eingeschränkte Befugnisse zugewiesen sind. Für ein Verschulden von Angestellten des Schuldners wird, soweit diese i. R. ihrer bisherigen Tätigkeit eingesetzt werden müssen und nicht offensichtlich ungeeignet sind, eine Haftung des Sachwalters grundsätzlich ausgeschlossen. Den Verwalter trifft dann aber eine allgemeine Überwachungspflicht,80) wo___________ 76) Kern in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 60 – noch zur Fassung vor Inkrafttreten des SanInsFoG; die Argumentation ist aufgrund der Gleichartigkeit der alten und der neuen Regelung übertragbar. 77) Holzer in: KPB, InsO, § 274 Rz. 54. 78) Holzer in: KPB, InsO, § 274 Rz. 54. 79) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 274 Rz. 8; Holzer in: KPB, InsO, § 274 Rz. 9. 80) Vgl. Ausschussbericht z. § 71 Abs. 2, abgedr. in: Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 141.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

bei unklar ist, inwieweit der Sorgfaltsmaßstab für die Grundpflichten des Sachwalters i. E. gelockert ist.81) 39 Eine abstrakte „Blaupause“ kann diese Vorgabe aufgrund der vielfach unterschiedlichen Unternehmensstrukturen, Größen und Besonderheiten des Einzelfalls nicht erfüllen. Die Aufgaben bei der Fortführung bspw. einer Drogeriemarktkette unterscheidet sich von der eines Kraftwerkbauers mit einer professionellen Konzernrechtsabteilung oder anderer Filialisten, diese von mittelständischen Unternehmen oder einem Krankenhausbetrieb i. R. einer gemeinnützigen Stiftung. In größeren Insolvenzverfahren bietet es sich an, wichtige Themen in regelmäßigen Geschäftsführungsbesprechungen („Jour Fixe“), an denen alle leitenden Angestellten teilnehmen, zu erörtern und Aufgaben zu verteilen, deren Umsetzung durch ein wirksames Task Management überwacht wird. Ist erkennbar, dass Personen ungeeignet sind oder geforderte Unterlagen und Ergebnisse nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellt werden, muss der Sachwalter hierauf reagieren und auf Veränderungen im Management des Schuldners dringen. 40 Für Schwerpunktthemen können Arbeitsgruppen gebildet werden, die an die Geschäftsführung und den Sachwalter zu berichten haben. In mehreren Eigenverwaltungen wurden gute Erfahrungen mit Arbeitsteams für bestimmte Aufgabenstellungen gemacht, wie etwa für die Erstellung der Liquiditätsplanung unter Berücksichtigung insolvenzrechtlicher Besonderheiten, die Bearbeitung arbeitsrechtlicher Themen, Insolvenzplanerstellung, insolvenzrechtliche Steuerthemen bspw. zum Sanierungsgewinn, Kommunikation und Pflege der Lieferanten- und Kundenbeziehungen sowie bei Konzerninsolvenzen, für Tochtergesellschaften und internationale Themen wie internationale Großprojekte oder Rechtsstreitigkeiten. Für die Organisation dieser In-House-Teams ist in der Eigenverwaltung grundsätzlich der Schuldner verantwortlich, der Sachwalter sollte aber Gelegenheit haben, hieran mitzuwirken. Ist absehbar, dass die Anzahl und Komplexität der Aufgabenstellungen die Mitarbeiter überfordern, kann es empfehlenswert sein, in Abstimmung mit dem Gläubigerausschuss professionelle Berater für Schwerpunktthemen einzuschalten, insbesondere insolvenzerfahrene Unternehmensberater, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder M&ASpezialisten für die Veräußerung bspw. von Tochtergesellschaften. VI.

Begründung von Verbindlichkeiten im Geschäftsbetrieb

1.

Zustimmungsvorbehalte und Widerspruchsrechte nach § 275 InsO

41 Die dem Sachwalter auferlegte Pflicht, die Geschäftsführung des Schuldners sowie ggf. seine Ausgaben für die Lebensführung gemäß § 278 InsO zu überwachen, wird durch konkrete Einflussmöglichkeiten nach §§ 275 – 277 InsO ergänzt. Die Vorschriften sehen abgestufte Mitwirkungs- und Zustimmungserfordernisse vor,82) die einerseits bewirken sollen, dass der Schuldner und sein Unternehmen weitgehend ungehindert durch Eingriffe der Gläubiger oder eines Verwalters weiterarbeiten können, andererseits sicherstellen, dass die Eigenverwaltung nicht dazu genutzt wird, die Haftungsmasse zulasten der Gläubiger zu schmälern.83) 42 Grundsätzlich wird es dem Schuldner gestattet, Verbindlichkeiten, die zum gewöhnlichen Geschäftsverkehr gehören, nach Anordnung der Eigenverwaltung einzugehen, § 275 Abs. 1 InsO. Widerspricht der Sachwalter, soll der Schuldner diese unterlassen. Verbindlichkeiten, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsverkehr gehören, sollen nur mit Zustimmung des Sachwalters begründet werden. Will der Schuldner Rechtshandlungen vornehmen, die für das Insolvenzverfahren von besonderer Bedeutung sind, so hat er die Zustimmung des ___________ 81) Vgl. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 274 Rz. 34, und Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 274 Rz. 8. 82) Holzer in: KPB, InsO, § 274 Rz. 1. 83) Uhlenbruck in: Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., 2010, § 275 Rz. 1.

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§9

Gläubigerausschusses einzuholen, § 276 InsO. Nach § 277 InsO kann sodann das Insolvenzgericht weitere Vorgaben machen und anordnen, dass bestimmte Rechtsgeschäfte nur wirksam sind, wenn der Sachwalter zustimmt. Stimmt der Sachwalter zu und wird dadurch eine Masseverbindlichkeit begründet, so erweitert dies auch den bestehenden Haftungsrahmen des Sachwalters. Wird die Masseverbindlichkeit nicht erfüllt, so kann sich der Sachwalter gemäß § 61 InsO schadensersatzpflichtig machen. Im Einzelfall schwierig ist die Abgrenzung, ob ein Geschäft noch dem gewöhnlichen Ge- 43 schäftsbetrieb i. S. des § 275 InsO unterfällt. Die Unterscheidung soll grundsätzlich nicht von der wirtschaftlichen Bedeutung als vielmehr davon abhängen, ob die Geschäfte nach Art und Umfang des einzelnen Rechtsgeschäfts z. B. zur normalen Geschäftsfortführung zählen.84) Außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs stehen sicherlich Grundstücksgeschäfte, die Belastung von Immobilien, die Aufnahme von Darlehen, der Verzicht auf Forderungen, der Kauf von neuen Maschinen, die Einstellung einer größeren Zahl von Arbeitnehmern sowie die Aufnahme von Massekrediten. In der Literatur wird vorgeschlagen, ähnlich wie in § 116 HGB für die oHG vorgesehen, jeweils im Einzelfall zu prüfen, welche Handlungen gewöhnlich der Betrieb des Handelsgewerbes der Gesellschaft mit sich bringt. Im Zweifel sind dies alle Geschäfte, die den Unternehmensgegenstand verwirklichen.85) Geht ein Geschäft darüber hinaus, muss ein Beschluss der Gesellschafter eingeholt werden. Besteht Unsicherheit über die Qualifizierung einer Maßnahme, sollte immer der Sachwalter beigezogen werden. Die Verzögerung von Entscheidungen und die öffentliche Auseinandersetzung über Kompetenzfragen würden nicht zuletzt das Vertrauen der Kunden und Lieferanten in den Erfolg der Eigenverwaltung schnell zerstören. Im Zweifel können Sachwalter und Schuldner auch einvernehmlich eine konkrete Wertgrenze vereinbaren, sofern das Gericht nicht bereits gemäß § 277 Abs. 1 InsO Vorgaben gemacht hat. Zustimmung i. S. von § 275 InsO ist grundsätzlich nur die Einwilligung, § 183 InsO,86) 44 also die Erklärung des Sachwalters zu einer Rechtshandlung vor der Weiterleitung an den Vertragspartner.87) Alles andere würde Sinn und Zweck der Regelungen widersprechen. Entsprechend muss der Schuldner den Sachwalter auch aktiv und v. a. rechtzeitig darüber informieren, wenn er Verbindlichkeiten, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsverkehr gehören, eingehen will oder hieran Zweifel hat. Die Zustimmung nach § 275 InsO kann grundsätzlich formfrei erklärt werden.88) Legt der Schuldner Rechtsgeschäfte zur Entscheidung vor, so hat der Sachwalter nach 45 pflichtgemäßem Ermessen in eigener Verantwortung über die Vertretbarkeit des Rechtsgeschäfts zu entscheiden. Im Rahmen seiner Zustimmungsbefugnis ist der Sachwalter auch unabhängig von der Entscheidung des Gläubigerausschusses.89) Weder der Gläubigerausschuss oder die Gläubigerversammlung noch das Insolvenzgericht haben ein Weisungsrecht zur Zustimmungserteilung gegenüber dem Sachwalter.90) Handelt der Sachwalter aber bspw. im Interesse einzelner Gläubiger oder mangels ausreichender Geschäftskunde den Interessen der Gläubiger zuwider oder verletzt er sonst das Neutralitätsgebot, so ist das Insolvenzgericht verpflichtet, seiner Aufsichtspflicht gemäß § 58 InsO nachzukommen. ___________ 84) Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 275 Rz. 2. 85) Kern in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 10; Holzer in: KPB, InsO, § 275 Rz. 7; Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 275 Rz. 10. 86) Kern in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 15. 87) Holzer in: KPB, InsO, § 275 Rz. 13; Riggert in: Nerlich/Römermann, InsO, § 275 Rz. 3; Kern in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 15. 88) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 275 Rz. 13 m. w. N. 89) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 275 Rz. 5; Holzer in: KPB, InsO, § 275 Rz. 15. 90) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 277 Rz. 7 m. w. N.

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§9 2.

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren Widerspruchsrechte und Folgen der fehlenden Zustimmung nach § 275 InsO

46 Der Schuldner kann, wie vorstehend ausgeführt, grundsätzlich allein Verbindlichkeiten auslösen, die sich aus seinem gewöhnlichen Geschäftsbetrieb ergeben. Dem Sachwalter steht lediglich ein Widerspruchsrecht zu. Der Widerspruch ist gegenüber dem Schuldner zu erklären oder bei juristischen Personen gegenüber dem Organ. Das Gesetz sieht keine zwingende Bindung des Schuldners an den Widerspruch vor. Der Schuldner riskiert aber eine öffentliche Diskussion über die Beendigung der Eigenverwaltung nach Anzeige durch den Sachwalter an das Insolvenzgericht und den Gläubigerausschuss bzw., sofern nicht vorhanden, an die Gläubiger i. S. von § 274 Abs. 3 InsO. Die Anzeige nach § 274 InsO liegt grundsätzlich im Ermessen des Sachwalters, bei schwerwiegenden Verstößen wird sich das Ermessen aber zur Anzeigepflicht reduzieren, mit der Folge von Schadensersatzansprüchen gegen den Sachwalter, sofern er der Verpflichtung nicht nachkommt. Alternativ kann die Verfügungsmacht durch das Insolvenzgericht nach außen hin beschränkt werden, § 277 InsO – siehe dazu Rz. 58 ff. 47 Auf die rechtliche Wirksamkeit des Geschäfts im Außenverhältnis hat es grundsätzlich keinen Einfluss, wenn der Schuldner ohne die erforderliche Zustimmung oder trotz eines Widerspruchs nach § 275 Abs. 1 Satz 2 InsO handelt. Das wird mit dem Vertrauensschutz der weiteren Beteiligten begründet. Ein Vertragspartner des Schuldners soll in seinem Vertrauen auf dessen Handlungsfreiheit geschützt werden, mit der Folge, dass die Rechtshandlungen grundsätzlich wirksam sind.91) Das gilt jedenfalls so lange, wie sich nicht offensichtliche Hinweise auf die Insolvenzzweckwidrigkeit eines Geschäfts ergeben, etwa durch kollusives Zusammenwirken von Schuldner und Vertragspartner zum Nachteil der Gläubiger. In diesen Fällen sind, unabhängig von der Zustimmung des Sachwalters, §§ 138, 826 BGB einschlägig, mit der Folge der Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts92) sowie von Schadensersatzansprüchen auch gegenüber dem Vertragspartner.93) Die Schwelle dafür soll aber hoch liegen, da sich der Dritte darauf verlassen können soll, dass der Schuldner die Rechte des Sachwalters beachtet.94) VII. Kassenführungsrecht des Sachwalters 48 Eine weitere effektive Einflussmöglichkeit des Sachwalters besteht aufgrund des Kassenführungsrechts. Der Sachwalter kann gemäß § 275 Abs. 2 InsO die Kassenführung des Schuldners an sich ziehen. Alle eingehenden Gelder sind sodann nur noch vom Sachwalter entgegenzunehmen, alle Zahlungen nur durch ihn zu leisten. Der Sachwalter richtet dazu eine Hinterlegungsstelle nach den Vorgaben des § 149 InsO ein. Die Übernahme der Kassenführung soll unwirtschaftliche Bargeschäfte des Schuldners ausschließen, rechtswidrige Geldabflüsse verhindern und die Aufnahme von Krediten ohne Zustimmung des Sachwalters verhindern.95) 49 Einer förmlichen Entscheidung des Insolvenzgerichts oder der Zustimmung des Schuldners zu der Übernahme der Kassenführung durch den Sachwalter bedarf es nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht. Die Entscheidung hierüber liegt allein im pflichtgemäßen Ermessen

___________ 91) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 275 Rz. 6; Brünkmans in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 275 Rz. 5; Holzer in: KPB, InsO, § 275 Rz. 22; Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 275 Rz. 18 m. w. N. 92) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 275 Rz. 6 m. w. N. 93) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 275 Rz. 18; Uhlenbruck in: Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., 2010, § 275 Rz. 6. 94) Kern in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 18; Brünkmans in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 275 Rz. 6. 95) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 275 Rz. 19.

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des Sachwalters.96) Als Anlass kann bereits die Annahme genügen, der Verbleib der Kassenführung führe zu einer Gefährdung von Gläubigerbelangen oder zu einer ungleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger, bspw. aufgrund bevorstehender Masseunzulänglichkeit. Eine konkrete Gefährdung der Gläubigerinteressen muss nach wohl einhelliger Meinung in der Kommentarliteratur nicht vorliegen, ebenso wenig eine Begründungspflicht gegenüber dem Schuldner.97) Sofern konkrete Hinweise auf eine Gefährdung von Gläubigerinteressen vorliegen, kann sich das Ermessen des Sachwalters zu einer Verpflichtung konkretisieren.98) Das Ansichziehen der Kassenführung ist gegenüber der Anregung, die Eigenverwaltung aufzuheben, ggf. auch das geringere und angemessene Mittel. Die Übernahme der Kassenführung durch den Sachwalter begründet für den Schuldner nicht 50 nur die Pflicht, keine Gelder mehr in Empfang zu nehmen und Zahlungen zu unterlassen, sondern auch die Verpflichtung, erlangte Gelder an den Sachwalter auszuhändigen, Drittschuldner über den Übergang der Kassenführung zu informieren und alle Erklärungen abzugeben, die erforderlich sind, um dem Sachwalter die Kassenführung zu ermöglichen.99) Andernfalls würde das Kassenführungsrecht leerlaufen. Die Übernahme der Kassenführung hat keinen Einfluss darauf, dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis beim Schuldner verbleibt. Der Sachwalter handelt nach ganz überwiegender Auffassung als gesetzlicher Vertreter des Schuldners aufgrund gerichtlicher Anordnung der Eigenverwaltung,100) wobei die Vertretungsbefugnis grundsätzlich beschränkt ist auf die Entgegennahme und Auszahlung von Geldern. Im Sachzusammenhang hiermit steht die Befugnis, Quittungen zu erteilen und Zahlungsaufforderungen sowie Mahnungen auszusprechen, nicht jedoch weitergehende Verfügungen über die Forderung.101) Insbesondere bleibt die Befugnis, offene Forderungen einzuklagen, beim Schuldner, ebenso die Aufrechnungsbefugnis oder der Abschluss von Vergleichen oder (Teil-)Erlassen,102) wobei diese dann jeweils dem Zustimmungserfordernis des Sachwalters unterliegen können.103) Klagen auf Zahlung von Masseverbindlichkeiten sind gegen den insoweit prozessführungsbefugten Schuldner zu führen.104) Die Übernahme der Kassenführung durch den Sachwalter führt zwar dazu, dass der Schuld- 51 ner hierüber die Befugnis verliert, also nicht mehr verfügen bzw. keine Gelder mehr in Empfang nehmen darf. Zahlungen Dritter an den Schuldner haben im Außenverhältnis aber weiter schuldbefreiende Wirkung; entsprechendes gilt für Zahlungen des Schuldners.105) Ein solches Verhalten bietet aber ggf. einen Anlass für die Unterrichtung der Gläubigerversammlung oder des Gläubigerausschusses mit weitergehenden Folgen bis hin zur Aufhebung der Eigenverwaltung. Bei der Wahrnehmung der Aufgaben ist der Sachwalter als gesetzlicher Vertreter unab- 52 hängig von den Weisungen des Schuldners.106) Als solcher ist er aber grundsätzlich ver___________ 96) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 275 Rz. 20; Holzer in: KPB, InsO, § 274 Rz. 25; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 275 Rz. 7. 97) Holzer in: KPB, InsO, § 274 Rz. 25. 98) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 275 Rz. 7; Holzer in: KPB, InsO, § 274 Rz. 22. 99) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 275 Rz. 23. 100) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 275 Rz. 26; Holzer in: KPB, InsO, § 275 Rz. 26; Riggert in: Nerlich/ Römermann, InsO, § 275 Rz. 6. 101) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 275 Rz. 8; Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 275 Rz. 31; Holzer in: KPB, InsO, § 275 Rz. 27. 102) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 275 Rz. 8. 103) Holzer in: KPB, InsO, § 275 Rz. 28. 104) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 275 Rz. 8; Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 275 Rz. 33; Holzer in: KPB, InsO, § 275 Rz. 27. 105) Fiebig in: HambKomm-InsO, § 275 Rz. 15. 106) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 275 Rz. 8.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

pflichtet, alle vom Schuldner ausgelösten Masseverbindlichkeiten zu erfüllen. Nur wenn absehbar ist, dass er nicht alle Verbindlichkeiten befriedigen kann, hat er die Anzeige der Masseunzulänglichkeit zu veranlassen und diese unbezahlt zu lassen.107) Daraus kann sich im Einzelfall Konfliktpotential ergeben, wenn der Schuldner bspw. gegen den Widerspruch des Sachwalters Verbindlichkeiten im gewöhnlichen Geschäftsverkehr oder – außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs – ohne dessen Zustimmung begründet hat, die zur Zahlung vorgelegt werden. In der Entgegennahme dieser Gelder oder der daraufhin ausgelösten Zahlung liegt ohne weitere Erklärung des Sachwalters aber keine Genehmigung des Rechtsgeschäfts.108) Die Verantwortlichkeit für die von ihm rechtswirksam ausgelösten Masseverbindlichkeiten verbleibt in jedem Falle allein beim Schuldner.109) VIII. Besondere Zustimmungserfordernisse 1.

Mitwirkung des Gläubigerausschusses

53 Die Zustimmung des Sachwalters zu einer Maßnahme des Schuldners genügt nicht für alle Geschäftsvorfälle. Zusätzlich zur Zustimmung des Sachwalters ist vom Schuldner die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen, wenn Rechtshandlungen, die für das Insolvenzverfahren von besonderer Bedeutung sind, zur Entscheidung anstehen. Die Qualifikation als bedeutsame Rechtshandlung bestimmt sich nach § 160 Abs. 2 InsO und den dort genannten Regelbeispielen, wie etwa Veräußerung des Unternehmens oder eines Betriebs, des Warenlagers im Ganzen, der Beteiligung des Schuldners an einem anderen Unternehmen, die Aufnahme von Darlehen oder die Führung eines Rechtsstreits von erheblicher Bedeutung. In der Sache handelt es sich daher um solche Geschäfte, die auch im Regelinsolvenzverfahren der Zustimmung des Gläubigerausschusses bedürfen. Diese Regelbeispiele sind nicht abschließend. Als zustimmungspflichtig werden alle Geschäfte definiert, die nach Art und Umfang der einzelnen Verpflichtung aber auch aufgrund der Besonderheit für das individuelle Schuldnerunternehmen von besonderer Bedeutung sind.110) Dazu zählen bspw. ungewöhnlich hohe Investitionen in den Geschäftsbetrieb, der Abschluss besonders lang laufender Verträge oder ein außergewöhnlich hohes Bestellvolumen i. R. des Geschäftsbetriebs.111) Die Qualifikation als eine nicht gewöhnliche Verbindlichkeit nach § 275 InsO reicht für die Annahme einer besonders bedeutsamen Verpflichtung des Schuldners alleine nicht aus.112) 54 Dem Wortlaut der Vorschrift nach ist eine Zustimmung vor der Durchführung der Maßnahme einzuholen. In der Literatur wird kontrovers diskutiert, ob nicht auch hier eine Genehmigung möglich sein soll. Dagegen spricht zunächst jedenfalls der Wortlaut,113) dafür die Gesetzesmaterialien, wonach sich keine Hinweise auf eine Änderung der noch unter Konkursrecht möglichen Genehmigungsmöglichkeiten durch den Gläubigerausschuss finden lassen.114) Ebenso wird nicht einheitlich erörtert, ob neben der Zustimmung des

___________ 107) 108) 109) 110) 111) 112) 113) 114)

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Holzer in: KPB, InsO, § 275 Rz. 28. Holzer in: KPB, InsO, § 275 Rz. 28. Holzer in: KPB, InsO, § 275 Rz. 28 m. w. N. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 276 Rz. 8; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 276 Rz. 2. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 276 Rz. 8. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 276 Rz. 2. Kern in: MünchKomm-InsO, § 276 Rz. 8; Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 276 Rz. 5. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 276 Rz. 9; i. E. so auch Brünkmans in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 276 Rz. 3; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 276 Rz. 3; Holzer in: KPB, InsO, § 276 Rz. 9.

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Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters

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Gläubigerausschusses zusätzlich die Zustimmung des Sachwalters erforderlich ist oder nicht.115) Ist kein Gläubigerausschuss bestellt, so hat in vorstehenden Fällen die Gläubigerversamm- 55 lung zuzustimmen, § 276 Satz 2, § 160 Abs. 1 Satz 2 InsO. Den Antrag auf Einberufung einer Gläubigerversammlung sollen nach § 75 Abs. 1 Nr. 1 InsO sowohl der Schuldner als auch der Sachwalter berechtigt sein zu stellen (siehe Rz. 90),116) was aber nicht unumstritten ist.117) Wie bereits für die Zustimmung des Sachwalters ist auch hier unter der Maßgabe, dass 56 keine anderen Unwirksamkeitsgründe vorliegen, das Fehlen oder die Verletzung von Mitwirkungshandlungen des Gläubigerausschusses oder der Gläubigerversammlung kein Unwirksamkeitsgrund für eine Rechtshandlung.118) Die fehlende Zustimmung lässt die Wirksamkeit einer Maßnahme im Außenverhältnis unberührt, wie sich aus dem Verweis des § 276 auf § 164 InsO ergibt. Der Schuldner geht allerdings das Risiko ein, dass die Aufhebung der Eigenverwaltung durch den Sachwalter angeregt, § 274 Abs. 3 InsO, oder die Zustimmungspflicht nach § 277 InsO beantragt wird. Ist eine Zustimmung nach § 277 InsO vorgesehen und liegt sie nicht vor, führt dies zur Nichtigkeit der Rechtshandlung. Hierbei ist jedoch immer darauf hinzuweisen, dass bei einer echten Gefährdung der Gläubigerinteressen die Beendigung der Eigenverwaltung und nicht die Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit das geeignete Mittel ist. Trotz Zustimmung des Gläubigerausschusses kann die Situation eintreten, dass einzelne 57 Gläubiger den Beschluss nicht mittragen wollen. Wollen einzelne Gläubiger die Vornahme einer Rechtshandlung vorläufig untersagen, bleibt ihnen ein Antrag nach § 276 Satz 2 i. V. m. § 161 Satz 2 InsO an das Insolvenzgericht. Das Insolvenzgericht kann auf Antrag von mindestens fünf absonderungsberechtigten Gläubigern oder nicht nachrangigen Insolvenzgläubigern, deren Absonderungsrechte und Forderungen zwei Fünftel der Summe ausmachen, die sich aus dem Wert aller Absonderungsrechte bzw. Forderungsbeträge ergibt, die Rechtshandlung nach Anhörung des Schuldners vorläufig untersagen. Es entscheidet dann abschließend die Gläubigerversammlung. 2.

Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit nach § 277 InsO

Wie vorstehend bereits ausgeführt (siehe Rz. 42), sieht das Gesetz zum Schutz der Gläu- 58 biger vor typischerweise mit der Eigenverwaltung verbundenen Gefahren auch die Möglichkeit vor, die Wirksamkeit bestimmter Rechtsgeschäfte an die Zustimmung des Sachwalters zu koppeln. Voraussetzung ist ein Antrag der Gläubigerversammlung; in Eilfällen zur Abwendung von Nachteilen für die Gläubiger kann auch ein einzelner Gläubiger den Antrag stellen, § 277 Abs. 2 InsO. Dem Sachwalter wurde hierfür keine Antragsbefugnis eingeräumt.119) Der Antrag muss erkennen lassen, welche konkreten Rechtsgeschäfte der Zustimmung 59 bedürfen. Zulässig ist auch, die Zustimmungspflicht auf eine bestimmte Gruppe von Geschäften zu beschränken, wie bspw. Grundstücksgeschäfte oder Rechtsgeschäfte mit einem bestimmten Volumen oder etwa besonders bedeutsame Rechtshandlungen gemäß § 160 ___________ 115) Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 276 Rz. 6; a. A. Brünkmans in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 276 Rz. 1; Holzer in: KPB, InsO, § 276 Rz. 10. 116) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 276 Rz. 11; Holzer in: KPB, InsO, § 276 Rz. 14. 117) Vgl. Brünkmans in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 276 Rz. 8 und § 274 Rz. 17 – nur der Schuldner. 118) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 276 Rz. 6; Holzer in: KPB, InsO, § 276 Rz. 19; Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 276 Rz. 13. 119) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 277 Rz. 2.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

InsO. Folgt das Gericht der Anregung, dann ist die Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit öffentlich bekannt zu machen und die Verfügungsbeschränkungen in den zuständigen Registern einzutragen, § 277 Abs. 3 Satz 2 und 3 InsO. Die Eintragung der Verfahrenseröffnung in die Grundbücher des Schuldners gemäß § 32 InsO und andere Register i. S. des § 33 InsO erfolgt – für die Dauer der Eigenverwaltung – i. Ü. nicht, § 270f Satz 3 InsO.120) Der Beschluss mit der Anordnung der Verfügungsbeschränkung ist i. Ü. nicht rechtsmittelfähig, § 6 InsO; unterliegt aber bei einer Entscheidung – wie im Regelfall durch den Rechtspfleger – der Rechtspflegererinnerung gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 RPflG.121) 60 Vereinzelt haben Gerichte bereits im Beschluss über die Anordnung der Eigenverwaltung gemäß § 277 InsO dem Schuldner konkrete Schranken für dessen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gesetzt. Die Anordnung einer umfassenden Zustimmungsbedürftigkeit von Amts wegen wurde erstmals durch das AG Duisburg in der Babcock Borsig-Insolvenz vorgenommen. Seinerzeit wurde angeordnet, dass alle Rechtshandlungen, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehörten, zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung des Sachwalters bedurften. Das Gericht argumentierte mit einer analogen Anwendung von § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 24 Abs. 1, § 277 Abs. 1 InsO. Der Beschluss des AG Duisburg ist in der Literatur sehr kontrovers diskutiert worden.122) Teilweise haben Insolvenzgerichte – nach vorheriger Anhörung des Schuldners und des Sachwalters – bereits mit Anordnung der Eigenverwaltung konkrete Höchstgrenzen formuliert. Alle außerhalb des so definierten Rahmens getätigten Rechtsgeschäfte sollte der Schuldner nur mit Zustimmung des Sachwalters eingehen können. Der Beschluss lautete etwa wie folgt: „Es wird Eigenverwaltung angeordnet. Die Schuldnerin ist berechtigt, unter der Aufsicht des Sachwalters die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen (§§ 270 – 285 InsO). Es werden folgende Beschränkungen angeordnet: […] Alle eingehenden Gelder dürfen nur vom Sachwalter entgegengenommen werden. Zahlungen dürfen nur vom Sachwalter geleistet werden. Jegliche Verfügung der Schuldnerin über ihren Grundbesitz bedarf der Zustimmung des Sachwalters. Rechtsgeschäfte mit einem Wert von mehr als […] EUR bedürfen der Zustimmung des Sachwalters. Zum Sachwalter wird ernannt […]“ 61 Sachwalter und Schuldner, aber auch insbesondere den Lieferanten werden so konkrete Leitlinien für den weiteren Geschäftsbetrieb gegeben. Der Beschluss präzisiert die Abgrenzung zwischen gewöhnlichen und nicht mehr gewöhnlichen Verbindlichkeiten aus dem Geschäftsbetrieb und damit v. a. die Kompetenzen zwischen den Beteiligten auch im Außenverhältnis zu Lieferanten und Kunden. Die Gläubigerversammlung hat in diesen Fällen die Anordnung der Zustimmungsvorbehalte jeweils genehmigt. In der Literatur wird die Anordnung von Amts wegen aber kontrovers erörtert.123) 62 Wesentliche Rechtsfolge des Beschlusses nach § 277 InsO ist, dass Vertragspartner des Schuldners – anders als im Regelfall bei Nichtbeachtung dieser Schranken – nicht mehr auf die Rechtmäßigkeit des schuldnerischen Handelns vertrauen können. Das gilt jedenfalls für Rechtsgeschäfte über bewegliche Gegenstände und Forderungen, wie sich aus dem ___________ 120) Vgl. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 270c Rz. 6; Brünkmans in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 270c Rz. 7; Pape in: KPB, InsO, § 270c Rz. 10. 121) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 277 Rz. 6 m. w. N. 122) Ein Überblick findet sich bspw. bei Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 67 ff. 123) Vgl. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 277 Rz. 2; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 277 Rz. 3; Brünkmans in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 277 Rz. 4 m. w. N.

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Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters

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Verweis auf § 81 Abs. 1 Satz 2 InsO ergibt. Rechtsgeschäfte, die unter das Zustimmungserfordernis des § 277 InsO fallen, sind daher ohne eine solche Erklärung auch im Außenverhältnis absolut (schwebend) unwirksam. Anders als im Regelfall nach § 275 InsO soll die Genehmigung durch den Sachwalter nach §§ 184, 185 BGB – oder ggf. ersetzt durch Beschluss der Gläubigerversammlung124) – aber zulässig sein.125) Die nachträgliche Verweigerung der Genehmigung führt zur endgültigen Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts. Eine Ausnahme besteht zum einen für Registerrechte. Für Registerrechte besteht der Gut- 63 glaubensschutz über die Verfügungsbefugnis des Schuldners fort. Das folgt aus der Verweisung in § 277 Abs. 1 auf § 81 Abs. 1 Satz 2 InsO. Ein gutgläubiger Erwerb von einem im Grundbuch, Schiffsregister oder Luftfahrzeugregister eingetragenen, tatsächlich aber in seiner Verfügungsmacht beschränkten Schuldner ist unter den Voraussetzungen der §§ 892, 893 BGB weiter möglich. Eine weitere Ausnahme ist für Leistungen an den Schuldner geregelt, soweit für das zu- 64 grunde liegende Geschäft die Zustimmungsbedürftigkeit nach § 277 Abs. 1 Satz 1 InsO angeordnet worden ist,126) § 277 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 82 InsO. Leistungen zwecks Erfüllung eines Rechtsgeschäfts können also weiter schuldbefreiend an den Schuldner erbracht werden, auch wenn für das zugrunde liegende Geschäft die Zustimmungsbedürftigkeit nach § 277 Abs. 1 Satz 1 InsO angeordnet worden ist.127) Einzelheiten hierzu, insbesondere zur Beweislast, folgen aus § 82 InsO. Die Bekanntmachung der Verfügungsbeschränkung führt zur Umkehr der Beweislast; der Dritte muss nachweisen, von der Verfügungsbefugnis keine Kenntnis gehabt zu haben. Kann er dies nicht, so befreit ihn die Leistung an den Schuldner nicht von seiner Verbindlichkeit. Der Sachwalter erteilt die Zustimmung zu Rechtsgeschäften grundsätzlich nach pflicht- 65 gemäßem Ermessen in eigener Verantwortung.128) Aus der auf Grundlage von § 277 InsO erteilten Zustimmung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten können sich für den Sachwalter weitergehende Haftungsfragen ergeben. Mit der nach § 275 InsO erteilten Zustimmung ergeben sich Haftungsrisiken, soweit der Sachwalter schuldhaft ihm obliegende Pflichten verletzt, § 60 InsO. Nach einer Zustimmung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten auf Grundlage eines Beschlusses gemäß § 277 InsO kann sich eine persönliche Haftung ergeben, wenn diese nicht erfüllt werden, § 61 InsO.129) Der Sachwalter hat daher immer zu prüfen, ob die mit seiner Zustimmung begründeten Masseverbindlichkeiten aus dem vorhandenen oder voraussichtlichen künftigen Massebestand gedeckt werden können. Die Prüfungspflicht des Sachwalters geht also dahin, nicht nur die Vertretbarkeit des Rechtsgeschäfts für die Gläubiger zu prüfen, sondern auch dessen Erfüllbarkeit.130) Maßstab der Prüfung ist auch hier die Sorgfalt eines ordentlichen Sachwalters. 3.

Zustimmung zu Änderungen in der Geschäftsführung

In der Literatur war umstritten, inwieweit nach Anordnung der Eigenverwaltung im eröff- 66 neten Insolvenzverfahren gesellschaftsrechtliche Bindungen des Schuldnerorgans zur Ge-

___________ 124) 125) 126) 127) 128) 129) 130)

Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 277 Rz. 10. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 277 Rz. 6. Kern in: MünchKomm-InsO, § 277 Rz. 46. Kern in: MünchKomm-InsO, § 277 Rz. 46. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 277 Rz. 7. Ausführlich Holzer in: KPB, InsO, § 274 Rz. 10. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 277 Rz. 7.

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§9

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

sellschaft weiterbestehen.131) § 276a Abs. 1 InsO löst die Frage dahingehend auf, dass Überwachungsorgane juristischer Personen im eröffneten Insolvenzverfahren132) keinen Einfluss auf die Geschäftsführung des Schuldners haben. Überwachungsorgane i. S. der Vorschrift sind Aufsichtsrat und Hauptversammlung bzw. Gesellschafterversammlung. Grundgedanke der Regelung ist, dass die Überwachungsorgane bei Eigenverwaltung im Wesentlichen keine weiter gehenden Einflussmöglichkeiten auf die Geschäftsführung haben sollen als bei Bestellung eines Insolvenzverwalters.133) Die Führung der Geschäfte ist in dieser Situation an den Interessen der Gläubiger auszurichten; Sachwalter, Gläubigerausschuss und Gläubigerversammlung überwachen die wirtschaftlichen Entscheidungen der Geschäftsleitung, eine zusätzliche Überwachung durch die Organe des Schuldners erschien dem Gesetzgeber nicht erforderlich. 67 Die Befugnis zur Abberufung und zum Austausch von Vorstandsmitgliedern bzw. Geschäftsführern wurde den Gesellschaftsorganen nicht genommen, da Wechsel in der Geschäftsleitung auch während eines Insolvenzverfahrens aus den verschiedensten Gründen erforderlich sein können.134) Um einen missbräuchlichen Austausch der Geschäftsleitung zu verhindern und die Unabhängigkeit der Geschäftsleitung von den übrigen Gesellschaftsorganen zu stärken, sieht § 276a Abs. 1 Satz 2 InsO vor, dass für Abberufung und Neubestellung von Mitgliedern der Geschäftsleitung die Zustimmung des Sachwalters Wirksamkeitsvoraussetzung ist.135) Liegt die Zustimmung des Sachwalters nicht vor, ist die Abberufung oder Bestellung nichtig. Adressat der Zustimmung, die in der jeweils gesellschaftsrechtlich erforderlichen Form zu erteilen ist,136) ist in diesen Fällen Aufsichtsrat, Gesellschafterversammlung oder das entsprechende Organ, das über die Bestellung oder Abberufung entscheidet. 68 Die Zustimmung darf vom Sachwalter allerdings nur verweigert werden, wenn die Maßnahme zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird, § 276a Abs. 1 Satz 3 InsO. Um eine belastbare Zustimmungsentscheidung zu ermöglichen, sollen bezüglich der Beweggründe für den Austausch sowie die Neubestellung und insbesondere zur Qualifikation des neuen Organs konkrete Informationspflichten gegenüber dem Sachwalter bestehen, die aus §§ 97, 98, 101 InsO abgeleitet werden.137) Werden die Informationen durch die maßgeblichen Gesellschaftsorgane nicht erteilt oder erscheint der Austausch willkürlich, kann in einem funktionierenden Eigenverwaltungsverfahren der Wechsel von Geschäftsführen als nachteilig angesehen werden.138) Im Streitfall hierüber hat der Sachwalter die Beteiligten gemäß § 274

___________ 131) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 274 Rz. 5 – noch zur Fassung vor Inkrafttreten des SanInsFoG; die Argumentation ist aufgrund der Gleichartigkeit der alten und der neuen Regelung übertragbar – und Prütting in: KPB, InsO, § 270 Rz. 50 ff. 132) Abl. zum Insolvenzeröffnungsverfahren: Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 270a Rz. 23. 133) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 42. 134) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 42. 135) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 42. 136) Holzer in: KPB, InsO, § 276a Rz. 30; Ringstmeier in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 276a InsO Rz. 10 – noch zur Fassung vor Inkrafttreten des SanInsFoG; die Argumentation ist aufgrund der Gleichartigkeit der alten und der neuen Regelung übertragbar. 137) Holzer in: KPB, InsO, § 276a Rz. 31; Ringstmeier in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 276a InsO Rz. 9. 138) Ausführlich: Hölzle, NZI 2011, 124, 130; Römermann, NJW 2012, 645, 650; Holzer in: KPB, InsO, § 276a Rz. 8, 34 ff.

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Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters

§9

Abs. 3 InsO zu informieren.139) Das Zustimmungserfordernis begründet jedenfalls keine Befugnis des Sachwalters, die Geschäftsführung selbst auszutauschen oder zu ergänzen.140) 4.

Zustimmungspflichten und Kompetenzen des vorläufigen Sachwalters

Wie bereits oben (siehe Rz. 16) ausgeführt, sind im Insolvenzeröffnungsverfahren für den 69 vorläufigen Sachwalter die Befugnisse des Sachwalters gemäß § 274 und § 275 InsO kraft Verweises in § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO maßgeblich, ein allgemeines, umfassendes Verfügungsverbot oder ein umfassender Zustimmungsvorbehalt – wie bei einem vorläufigen Insolvenzverwalter gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO – ist ausgeschlossen.141) Eine Ausnahme hat der Gesetzgeber mit der Verabschiedung des SanInsFoG für den Fall 70 vorgesehen, dass vorläufige Eigenverwaltung nach § 270b Abs. 1 Satz 2 InsO angeordnet wird: Unter der Maßgabe, dass aufgrund des Vorliegens von behebbaren Mängeln der Eigenverwaltungsplanung die vorläufige Eigenverwaltung einstweilig angeordnet wird, kann das Gericht als vorläufige Sicherungsmaßnahme anordnen, dass Verfügungen des Schuldners der Zustimmung durch den vorläufigen Sachwalter bedürfen. Mit einer solchen Anordnung wird die Verfügungsbefugnis des Schuldners, der in der (vorläufigen) Eigenverwaltung gerade erhalten werden soll,142) nur temporär eingeschränkt. Sobald feststeht, dass die Mängel fristgerecht beseitigt wurden, ist eine nach Absatz 3 Satz 2 ergangene Anordnung nach dem Willen des Gesetzgerbers aufzuheben.143) Mit dem SanInsFoG wurden weitere, bislang strittige, Auslegungsfragen behandelt: Aus 71 dem Umstand, dass auf die in § 277 InsO vorgesehenen Zustimmungsvorbehalte nicht verwiesen wird, wurde vor dessen Inkrafttreten abgeleitet, dass weitergehende Zustimmungsvorbehalte im Insolvenzeröffnungsverfahren nach § 21 Abs. 1 InsO angeordnet werden können. Dem Insolvenzgericht standen nach dieser Auffassung mit § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO – mit Ausnahme der vorläufigen Insolvenzverwaltung und des allgemeinen Zustimmungsvorbehalts – alle Anordnungsmöglichkeiten im Eröffnungsverfahren weiter zu.144) Einzelanordnungen, die unterhalb der Schwelle des (bisherigen) § 270a Abs. 1 Nr. 2 InsO liegen, sollten i. R. des § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO weiter zulässig sein.145) Der Gesetzgeber hat mit § 270c Abs. 3 Satz 1 InsO klargestellt, dass durch das Gericht 72 zum einen vorläufige Sicherungsmaßnahmen nach § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 1a, 3 – 5 InsO angeordnet werden können, insbesondere ein vorläufiger Gläubigerausschuss eingesetzt, Maßnahmen der Zwangsvollstreckung untersagt, eine vorläufige Postsperre angeordnet und zum anderen bestimmt werden kann, dass Gegenstände, an denen ein Aus- oder Absonderungsrecht besteht, nicht verwertet oder eingezogen werden dürfen. Der Verweis auf § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO schließt i. Ü. sonstige Anordnungen unterhalb der Grenze bspw. eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts nicht aus, um nachteilige Veränderungen in der Vermögenslage des Schuldners zu treffen. ___________ 139) Ringstmeier in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 276a InsO Rz. 10; Holzer in: KPB, InsO, § 276a Rz. 30 ff. 140) Holzer in: KPB, InsO, § 276a Rz. 8, 28. 141) Ellers/Kreutz in: BeckOK-InsR, § 270c InsO Rz. 19; Prütting in: KPB, InsO, § 270 Rz. 141; Blankenburg ZInsO 2021, 753, 763; so auch zur bisherigen Rechtslage im Ergebnis Undritz in: K. Schmidt, InsO, § 270a Rz. 3; a. A. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 270a Rz. 22; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 270a Rz. 9. 142) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24818, S. 205. 143) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24818, S. 206. 144) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 270a Rz. 24; ähnlich Prütting in: KPB, InsO, § 270a Rz. 7, 18; Ringstmeier in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 270a InsO Rz. 6; Obermüller, ZInsO 2011, 1809, 1815 – jeweils zur bisherigen Rechtslage. 145) Prütting in: KPB, InsO, § 270a Rz. 18; Ringstmeier in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 270a InsO Rz. 6; Riggert in: Nerlich/Römermann, InsO, § 270a Rz. 16 – jeweils zur bisherigen Rechtslage.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

73 Die bislang kontrovers erörterten Fragen zur Begründung von Masseverbindlichkeiten sind vom Gesetzgeber mit dem SanInsFoG dahingehend entschieden worden, dass dem Schuldner gemäß § 270c Abs. 4 Satz 1 ein Anspruch auf Anordnung der Begründung von Massenverbindlichkeiten zusteht. Aus dem Verweis auf die Regelungen in §§ 274, 275 InsO, wonach der vorläufige Sachwalter die Befugnisse hat, die dem Sachwalter zustehen, wurde in der Literatur – was nicht unbestritten war – gefolgert, der Schuldner habe grundsätzlich die Rechtsstellung eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters mit der Befugnis, im Umfang des § 275 InsO Masseverbindlichkeiten zulasten der späteren Insolvenzmasse gemäß § 55 Abs. 2 InsO zu begründen; dies jedenfalls in den Fällen, in denen die Befugnis zur Begründung von Masseverbindlichkeiten nicht auf den Sachwalter überging, weil diesem das Kassenführungsrecht nach § 275 Abs. 2 InsO übertragen wurde bzw. eine Einzelanordnung des Gerichts nach § 21 Abs. 1 InsO zugunsten des Sachwalters beschlossen wurde.146) Die Haltung der Gerichte zu diesen Fragestellungen war insgesamt uneinheitlich,147) der BGH hat die Frage nach der Begründung von Masseverbindlichkeiten in einer Entscheidung vom 22.11.2018 dahingehend entschieden, dass das Insolvenzgericht den Schuldner auf dessen Antrag dazu ermächtigen muss, wobei die Fragen zur Zulässigkeit einer Globalermächtigung sowie Einbindung des Sachwalters offenblieben.148) 74 Mit dem SanInsFoG stellt der Gesetzgeber klar, dass auf Antrag des Schuldners angeordnet werden kann, dass dieser Masseverbindlichkeiten begründet darf, § 270c Abs. 4 Satz 1 InsO.149) Die Anordnung setzt die Aufnahme der entsprechenden Verbindlichkeit in dem als Teil der Eigenverwaltungsplanung vorgelegten Finanzplan voraus. Der Begründung des Regierungsentwurfs ist zu entnehmen, dass sowohl im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren als auch im Schutzschirmverfahren nur noch Einzelermächtigungen in Betracht kommen sollen.150) Die Begründung von Masseverbindlichkeiten für Verbindlichkeiten, die nicht in dem Finanzplan aufgenommen sind, sollte damit zwar nicht ausgeschlossen werden. Sie soll aber im Ermessen des Gerichts stehen und ist nach Satz 2 besonders zu begründen. Damit das Gericht ggf. eine entsprechende Anordnung treffen kann, muss der Schuldner im Antrag begründen, warum die Anordnung auch Verbindlichkeiten erfassen soll, die nicht vom Finanzplan umfasst sind. IX.

Schuldnerrechte im Einvernehmen mit dem Sachwalter

1.

Ausübung der Rechte aus gegenseitigen Verträgen

75 Der Schuldner erhält mit der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis im Verfahren auch die Option, Verträge zu beenden, die er zuvor selbst abgeschlossen hatte.151) Aus Gründen ___________ 146) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 270a Rz. 25 und § 275 Rz. 5; i. E. ebenso: AG Montabaur v. 27.12.2012 – 14 IN 282/12, ZIP 2013, 899 = ZInsO 2012, 397 f.; AG Hannover v. 30.4.2015 – 909 IN 294/15, ZIP 2015, 1843 = ZInsO 2015, 1112. 147) Vgl. AG Hamburg v. 4.4.2012 – 67g IN 74/12, ZIP 2012, 787, dazu EWiR 2012, 361 (Zipperer) – Ermächtigung des vorläufigen Sachwalters bei Verfahren nach § 270a InsO; a. A. Schuldner Adressat einer gerichtlichen Ermächtigung, so AG Köln v. 26.3.2012 – 73 IN 125/12, ZIP 2012, 788, dazu EWIR 2012, 359 (Hofmann); AG München v. 27.6.2012 – 1506 IN 1851/12, ZIP 2012, 1470; LG Duisburg v. 29.11.2012 – 7 T 185/12, ZIP 2012, 2453; OLG Dresden v. 15.10.2014 – 13 U 1605/13, ZIP 2015, 1937 = ZInsO 2015, 2273; LG Hannover v. 22.8.2016 – 11 T 30/16, ZIP 2016, 1790; Undritz in: K. Schmidt, InsO, § 270a Rz. 6; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 270a Rz. 19; a. A. AG Fulda v. 28.3.2012 – 91 IN 9/12, ZIP 2012, 1471 – generell ausgeschlossen; OLG Jena v. 22.6.2016 – 7 U 753/15, ZIP 2016, 1741, dazu EWiR 2016, 671 (Haneke/Debus) – keine Ermächtigung zur Begr. von Masseverbindlichkeiten. 148) BGH v. 22.11.2018 – IX ZR 167/16, Rz. 16, ZIP 2018, 2488, 2490 = ZInsO 2018, 2796, 2799. 149) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24818, S. 206 f. 150) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24818, S. 206 f. 151) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 279 Rz. 2.

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§9

des Gläubigerschutzes darf er diese aber nicht alleine, ohne die Mitwirkung des Sachwalters ausüben. Das Gesetz differenziert i. Ü. weitergehend mit Blick auf die Rechtsfolgen: Hinsichtlich der Erfüllung von Verträgen (§ 103 InsO), der Kündigung von Mietver- 76 trägen (§ 109 InsO) und Dienstverträgen (§ 113 InsO), der Aufstellung eines Sozialplans (§ 123 InsO) oder eines Interessensausgleichs über die zu kündigenden Arbeitnehmer (§ 125 InsO) soll der Schuldner seine Rechte nur im Einvernehmen mit dem Sachwalter ausüben, § 279 InsO. Bei einigen besonderen arbeitsrechtlichen Maßnahmen, wie der Kündigung von Betriebs- 77 vereinbarungen (§ 120 InsO), dem Antrag auf Zustimmung des Arbeitsgerichts zu einer Betriebsänderung (§ 122 InsO) sowie der Einleitung eines Beschlussverfahrens zum Kündigungsschutz (§ 126 InsO) ist die Zustimmung des Sachwalters zu der Maßnahme erforderlich. Unterschiede ergeben sich im Hinblick auf die Rechtsfolgen: Die arbeitsrechtlichen Erklärungen des Schuldners nach den Vorschriften der §§ 120, 122 und 126 InsO sind nur wirksam, wenn der Sachwalter ihnen konkret zugestimmt hat. Der Schuldner könnte sonst – ohne ein Zustimmungserfordernis des Betriebsrats – sehr weitgehend in die Rechte einer Vielzahl von Arbeitnehmern eingreifen, weshalb ein besonderes Schutzbedürfnis besteht.152) Der Gesetzgeber hat die Rechte des Schuldners daher gemäß § 279 Satz 3 InsO von der Zustimmung des Sachwalters abhängig gemacht, ohne die deren Ausübung absolut unwirksam wäre. In den Fällen des § 122 und § 126 InsO soll die Zustimmung bis zur gerichtlichen Entscheidung allerdings nachgeholt werden können.153) Übt der Schuldner Rechte nach den sonstigen Vorschriften über die Erfüllung der Rechts- 78 geschäfte und der Mitwirkung des Betriebsrats nach §§ 103 bis 128 InsO aus, berührt das fehlende Einvernehmen des Sachwalters deren Wirksamkeit im Außenverhältnis hingegen grundsätzlich nicht. Eine Ausnahme kann insbesondere gelten, falls das Insolvenzgericht die Ausübung dieser Rechte bereits nach § 277 InsO unter den Vorbehalt einer Sachwalterzustimmung gestellt hat. Handelt der Schuldner, ohne ein Einvernehmen mit dem Sachwalter hergestellt zu haben, 79 so geht er das Risiko ein, dass diese Verstöße dem Insolvenzgericht, Gläubigerausschuss oder, sofern nicht vorhanden, den Gläubigern nach § 274 Abs. 3 InsO angezeigt werden oder eine Zustimmungspflicht nach § 277 InsO beantragt wird. Entsprechendes gilt, wenn die Ausübung der Rechte aufgrund ihrer besonderen Bedeutung zusätzlich der Mitwirkung des Gläubigerausschusses bedurft hätte. 2.

Verwertung von Sicherungsgut

Der Gesetzgeber hat dem Schuldner mit der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auch 80 das Recht eingeräumt, Gegenstände, an denen Sicherungsrechte bestehen, selbst zu verwerten, § 282 InsO. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass in der Regel die Eigenverwaltung unter Aufsicht des Sachwalters angeordnet wird und Aussichten bestehen, ein Unternehmen durch Insolvenzplan zu sanieren.154) Ein ungehinderter Zugriff der absonderungsberechtigten Gläubiger sollte hier ebenso verhindert werden wie im Regelinsolvenzverfahren. Durch die Entziehung des Verwertungsrechts werden diese Sicherheitengläubiger daran gehindert, eine aussichtsreiche Betriebsfortführung und Sanierung zu vereiteln.155) Im Ergebnis steht dem Schuldner das Recht auf Verwertung von beweglichem Sicherungsgut ___________ 152) 153) 154) 155)

Uhlenbruck in: Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., 2010, § 279 Rz. 4. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 279 Rz. 18; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 279 Rz. 4. Begr. RegE InsO § 282, abgedr. in: Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 399. Holzer in: KPB, InsO, § 282 Rz. 6.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

zu, soll aber i. S. des Gläubigerschutzes und zur Vermeidung der Verschleuderung der Masse im Einvernehmen mit dem Sachwalter erfolgen, § 282 Abs. 2 InsO. 81 Das Verwertungsrecht des Sachalters korrespondiert nicht mit dem Recht des Insolvenzverwalters im regulären Verfahren, einen Gegenstand aus dem Insolvenzbeschlag freizugeben. Die Befugnis zur Freigabe soll nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung aufgrund sonst bestehender Interessenkonflikte ausschließlich dem Sachwalter zustehen,156) spätestens der Gläubigerversammlung im Schlusstermin, § 197 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO. 82 Einzelheiten zu den Verwertungsmöglichkeiten bestimmen sich wie im regulären Insolvenzverfahren nach §§ 165 ff. InsO. Der Schuldner kann demnach wie ein Insolvenzverwalter die mit Absonderungsrechten belasteten beweglichen Gegenstände verwerten, die er im Besitz hat. Nicht in seinem Besitz befindliche Sachen unterliegen dem Verwertungsrecht der Gläubiger. Ebenso kann der Schuldner zur Sicherheit zedierte Forderungen einziehen. Bei der Verwertung hat er den gesicherten Gläubiger über seine Verwertungsabsichten zu unterrichten und ihm Gelegenheit zu geben, auf eine günstigere Verwertungsmöglichkeit hinzuweisen oder selbst den Gegenstand zu übernehmen. Für die Gläubiger ist die Verwertung in der Eigenverwaltung i. Ü. aufgrund der geringeren Kosten interessant. Anders als im Regelinsolvenzverfahren werden nur die tatsächlich für die Verwertung entstandenen Kosten sowie Umsatzsteuer erhoben, da aufgrund der Kenntnisse des Schuldners eine genaue Feststellung der Sicherheiten möglich ist. Im Ergebnis entfällt der Abzug für die Feststellungskosten i. H. von 4 % des Verwertungserlöses bei Mobiliar-Sicherheiten bzw. die Verwertungspauschale von 5 %. 83 Bei der Verwertung von mit Grundpfandrechten belasteten Immobilien kann der Schuldner wie der Insolvenzverwalter nach § 49 InsO den Antrag auf Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung bzw. die Einstellung der Zwangsversteigerung nach § 30d ZVG bzw. der Zwangsverwaltung nach § 153b ZVG beantragen, um bestehende Sanierungsmöglichkeiten weiter zu nutzen. Soweit Gläubiger zur Aussonderung gemäß §§ 47, 48 InsO berechtigt sind, wird zwar das Aussonderungsrecht durch die Eigenverwaltung nicht beeinträchtigt. Der Schuldner kann dann hier, wie der Insolvenzverwalter auch, den Eintritt in die bestehenden Verträge spätestens nach dem Berichtstermin wählen und sodann selektiv entscheiden, welche Betriebsmittel für das Unternehmen und deren Fortführung erforderlich sind bzw. welche Sicherheiten herausgegeben werden sollen.157) 84 Aus Gründen des Gläubigerschutzes soll der Schuldner Sicherungsgut nur im Einvernehmen mit dem Sachwalter verwerten. Auch hier gilt, dass Verstöße nicht die Unwirksamkeit implizieren. Ein Verstoß kann als ein Umstand zu qualifizieren sein, der Nachteile für die Gläubiger aus der Fortsetzung der Eigenverwaltung erwarten lässt; er ist vom Sachwalter unverzüglich dem Insolvenzgericht, Gläubigerausschuss oder, sofern nicht vorhanden, den Gläubigern nach § 274 Abs. 3 InsO anzuzeigen. Die Verwertungsmaßnahme selbst bleibt im Außenverhältnis gegenüber dem Dritten aber wirksam. Die Regelung ist deshalb auch auf Kritik gestoßen, da sie dem Schuldner im Ergebnis „freie Hand“ lässt.158) Problematisch dürften auch Fälle sein, in denen sich die Frage stellt, ob der Schuldner eine ausreichende Qualifikation für die rechtliche Prüfung der Sicherheitenrechte hat. 85 Neben dem Verkauf bleiben die Abrechnung des erzielten Erlöses und Befriedigung des Schuldners nach Maßgabe von § 170 InsO originäre Aufgabe des Schuldners. Unterbleibt die Abrechnung oder Befriedigung, kann der absonderungsberechtigte Gläubiger nach § 272 ___________ 156) Brünkmans in: Kayser/Thole, HK-InsO, Vor §§ 270 Rz. 12; i. E. ebenso: Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 274 Rz. 74. 157) Vgl. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 282 Rz. 14. 158) Holzer in: KPB, InsO, § 282 Rz. 1.

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Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters

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Abs. 1 Nr. 4 InsO den Antrag auf Beendigung der Eigenverwaltung stellen. Dem Sachwalter selbst stehen keine Einflussmöglichkeiten auf das Abrechnungs- und Befriedigungsverhalten des Schuldners zu. Erwartet der absonderungsberechtigte Gläubiger Nachteile aus der Verwertungskompetenz 86 des Schuldners, muss er selbst aktiv werden und rechtzeitig den Antrag auf Beendigung der Eigenverwaltung stellen oder als milderes Mittel die Zustimmungsbedürftigkeit nach § 277 InsO beantragen. So könnte die Gläubigerversammlung auch beschließen, das Recht der Verwertung auf den Sachwalter ganz oder teilweise zu übertragen.159) X.

Schuldnerunterstützung durch den Sachwalter auf Anordnung des Insolvenzgerichts

Die grundsätzliche Aufgabenteilung zwischen dem Schuldner, der die laufenden Geschäfte 87 führt, und dem Sachwalter, der die Geschäftsführung kontrolliert, unterstützt und beratend begleitet sowie die Aufgaben wie die Insolvenzanfechtung übernimmt, die dem Insolvenzverwalter in erster Linie im Interesse der Gläubiger übertragen sind, wurde auch nach Überarbeitung der Regeln zur Eigenverwaltung im SanInsFoG beibehalten.160) Das SanInsFoG sieht ergänzend hierzu eine Option vor, wonach das Gericht die Schuldnerunterstützung durch den Sachwalter anordnen kann, § 274 Abs. 2 Satz 2 InsO. Der Gesetzgeber erkennt damit an, dass es Bereiche gibt, in denen eine Unterstützung durch den Sachwalter auch bei insolvenzrechtlicher Expertise auf Seiten des Schuldners für das Verfahren gewinnbringend sein kann und bei denen keine Beeinträchtigung der Unabhängigkeit und der Überwachung droht, hierzu gehören gemäß § 274 InsO n. F. eine Unterstützung bei der Insolvenzgeldvorfinanzierung, der insolvenzrechtlichen Buchführung sowie bei Gesprächen mit Kunden und Lieferanten.161) Die Unterstützungsleistungen können auch durch einen vorläufigen Sachwalter erbracht werden, auf den die Vorschrift über § 270b Abs. 1 InsO anzuwenden ist. XI.

Redepflichten

1.

Unterrichtungspflicht gegenüber Gläubigern über drohende Nachteile aus der Fortsetzung der Eigenverwaltung

Ist absehbar, dass aus der Eigenverwaltung Nachteile drohen, obliegt es dem Sachwalter, das 88 Insolvenzgericht und den Gläubigerausschuss zu informieren. Ist ein Gläubigerausschuss nicht bestellt, so hat der Sachwalter die Gläubiger, die Forderungen angemeldet haben, und die absonderungsberechtigten Gläubiger zu informieren. Die Anzeige hat unverzüglich zu erfolgen, nachdem der Sachwalter Umstände festgestellt hat, die erwarten lassen, dass eine Fortsetzung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird, § 274 Abs. 3 InsO. Die Mitteilungspflicht dient zum einen der Information des Gerichts. Darüber hinaus sollen die Gläubiger in die Lage versetzt werden, drohenden Schädigungen des eigenverwaltenden Schuldners durch Wahrnehmung des Antragsrechts zur Aufhebung der Eigenverwaltung nach § 272 InsO entgegenzuwirken oder andere Maßnahmen nach bspw. § 277 InsO zu beschließen.162) Da die Anzeige als insolvenzspezifische Pflicht haftungsbewehrt ist, wird der Sachwalter auf drohende Nachteile im eigenen Interesse frühzeitig reagieren müssen. Eine Mitteilungspflicht des Sachwalters wird bereits gesehen, wenn die Auskunftspflicht ___________ 159) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 282 Rz. 19 – unter Verweis auf § 277 Abs. 1 InsO; a. A. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 282 Rz. 6 m. w. N. 160) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24818, S. 208. 161) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24818, S. 208. 162) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 274 Rz. 69.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

nach § 22 Abs. 3, § 97 InsO verletzt wird,163) i. Ü. bei etwa fehlender oder unsachgemäßer Buchführung des Schuldners, zu hohen Entnahmen, Begründung von Masseverbindlichkeiten außerhalb der Liquiditätsplanung und Massezulänglichkeitsberechnung sowie unkooperativem Verhalten des Schuldners.164) 89 Ist ein Gläubigerausschuss nicht bestellt, müssen alle Gläubiger, die Forderungen angemeldet haben, und die absonderungsberechtigten Gläubiger informiert werden. Hier soll es zulässig sein, die Anzeige analog § 277 Abs. 3 InsO durch das Insolvenzgericht öffentlich bekannt zu machen.165) Alternativ wäre den Gläubigern per Einschreiben die Information zukommen zu lassen. Gerade in Großverfahren ist das mit erheblichem Aufwand und Kosten verbunden, die durch eine öffentliche Bekanntmachung vermieden werden kann. 90 Neben dem Informationsrecht steht dem Sachwalter, wie bereits oben ausgeführt (siehe Rz. 55), nach hier vertretener Auffassung das Recht auf Einberufung und Teilnahme an einer Gläubigerversammlung nach § 75 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu. Auf der Versammlung kann er nach einer verbreiteten Auffassung entsprechend § 78 InsO wie ein Insolvenzverwalter die Aufhebung eines Beschlusses der Gläubigerversammlung beantragen, durch den er das gemeinsame Interesse der Gläubiger als verletzt ansieht.166) 2.

Anzeige der Masseunzulänglichkeit

91 Das Eintreten der Masseunzulänglichkeit ist im Verfahren der Eigenverwaltung insbesondere dann problematisch, wenn der Schuldner die Eigenverwaltung als die fortführungsorientierte Sanierungslösung mit einer Besserstellung aller Beteiligten verkündet hat. Der Schuldner wird sich – über die Bezahlung der Neuverbindlichkeiten hinaus – fragen lassen müssen, ob nicht die ursprünglich kostendeckende Masse verwirtschaftet wurde und die Folgen nicht bereits vorher hätten erkennbar sein können, der Gläubigerausschuss, ob er nicht früher einen Antrag auf Einberufung einer Gläubigerversammlung und Beendigung der Eigenverwaltung hätte stellen müssen. 92 Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit an das Insolvenzgericht ist Aufgabe des Sachwalters (§ 285 InsO). Die Anzeige ist für das Insolvenzgericht bindend. Ob i. R. des § 285 InsO auch die Anzeige einer Masselosigkeit gemäß § 207 InsO auf den Sachwalter übertragen wurde, wird allerdings unterschiedlich beurteilt.167) 93 Die Aufgabe korrespondiert mit der Verpflichtung des Sachwalters aus § 274 Abs. 2 Satz 1 InsO, die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu überwachen und den Gläubigerausschuss und das Insolvenzgericht unverzüglich in Kenntnis zu setzen, dass die Eigenverwaltung zu Nachteilen für den Gläubiger führen kann.168) Der Sachwalter sollte daher im eigenen Interesse zwecks Vermeidung einer ansonsten drohenden Haftung nach § 60 InsO Liquiditätsberechnungen des Schuldners und ggf. seiner Berater fortlaufend einfordern und, soweit in der Praxis überhaupt möglich, überwachen. Denn Grundlage für die Kalkulation der Masseunzulänglichkeit sind grundsätzlich die vom Schuldner angestellten Liquiditätsbe-

___________ Holzer in: KPB, InsO, § 274 Rz. 75. Holzer in: KPB, InsO, § 274 Rz. 83. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 274 Rz. 73 m. w. N. Holzer in: KPB, InsO, § 274 Rz. 83; Brünkmans in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 274 Rz. 17. Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 285 Rz. 6 – i. R. der Verpflichtung, dem Insolvenzgericht Nachteile anzuzeigen; diff. Holzer in: KPB, InsO, § 285 Rz. 20 – Sachwalter nur, wenn er erkennt, dass der Schuldner die gebotene Mitteilung an das Gericht unterlassen hat und weiter unterlässt. 168) Holzer in: KPB, InsO, § 285 Rz. 3.

163) 164) 165) 166) 167)

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rechnungen, der – sieht man von der Sonderregelung nach § 277 Abs. 1 Satz 3 InsO ab – auch die Verantwortung für die Begründung der Masseverbindlichkeiten trägt.169) Für die Anzeige der Masseunzulänglichkeit gelten i. Ü. die §§ 208 bis 216 InsO. Die An- 94 zeige ist daher nicht erst für den Fall einer bereits feststehenden Masseunzulänglichkeit zu erstatten, sondern auch, wenn die Masse voraussichtlich nicht ausreicht, um die bestehenden sonstigen Masseverbindlichkeiten gemäß § 208 Abs. 2 Satz 2 InsO zu bezahlen. Sie macht auch Sinn, wenn die Masseunzulänglichkeit nur von begrenzter Dauer ist. Wenn die Liquidität aus Fortführungserlösen wieder hergestellt wird, kann die Anzeige eine Liquiditätsdelle überwinden helfen. In der Literatur ist streitig,170) ob die Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch den 95 Schuldner zulässig ist. Dem Wortlaut des Gesetzes ist das jedenfalls nicht zu entnehmen. Die Folgen einer Masseunzulänglichkeit für die Gläubiger und das gesamte Insolvenzverfahren sprechen für die im Gesetz formulierte Lösung, wonach der Sachwalter als neutrale Person die Prüfung und Überwachung übernimmt. So kann insbesondere eine nur vorsorgliche Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch den Schuldner, um Vollstreckungshandlungen von Massegläubigern zu verhindern, vermieden werden.171) Wird die Eigenverwaltung als Konsequenz der Masseunzulänglichkeit nicht aufgehoben 96 (siehe zur Antragsberechtigung und Beteiligung der Masse- oder Insolvenzgläubiger unten Rz. 130 ff.), verbleibt die weitere Abwicklung des Insolvenzverfahrens einschließlich der Rechnungslegung für die Tätigkeit nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit und die Durchführung einer Nachvertragsteilung beim Schuldner, beim Sachwalter dessen Überwachung bzw. Überprüfung gemäß § 274 Abs. 2, § 281 Abs. 3 InsO.172) XII. Die Geltendmachung von Gesamtschäden und der Gesellschafterhaftung Nur der Sachwalter kann die Haftung nach § 92 und § 93 InsO geltend machen und die 97 Rechtshandlungen nach §§ 129 bis 147 InsO anfechten, § 280 InsO. Die Vorschrift durchbricht den Grundsatz, dass i. R. der Eigenverwaltung nur der Schuldner verwaltungs- und verfügungsberechtigt ist.173) Der Sachwalter hat insoweit die vollen Rechte eines Insolvenzverwalters. Prozesse zur Durchsetzung der Rechte werden im eigenen Namen geführt (siehe auch Rz. 101 f.). Seine rechtsgeschäftlichen Erklärungen im Prozess verpflichten den Schuldner unmittelbar. Die Folgen eines Prozesses erhöhen oder verringern die Insolvenzmasse. Im Regelfall der Eigenverwaltung führt der Schuldner Prozesse mit Wirkung für und gegen die Insolvenzmasse. Der Zweck der Zuweisung dieser Aufgaben an den Sachwalter erschließt sich mit Blick 98 auf die Anspruchsinhalte: Ansprüche aus § 92 InsO umfassen alle Schäden, die die Insolvenzgläubiger gemeinschaftlich vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch eine Verminderung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens erleiden,174) und richten sich bspw. gegen den Geschäftsführer wegen verspäteter Insolvenzantragstellung oder einen Gesellschafter wegen faktischer Geschäftsführung. § 93 InsO ist Grundlage für eine persönliche Inanspruchnahme von Gesellschaftern einer Personengesellschaft (oHG, KG, KGaA, Partnerschaftsgesellschaft, BGB-Gesellschaft). In der Begründung zu der Vorschrift wird ___________ 169) Holzer in: KPB, InsO, § 274 Rz. 54. 170) Zum Meinungsstand vgl. Holzer in: KPB, InsO, § 285 Rz. 12, und Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 285 Rz. 2; Kern in: MünchKomm-InsO, § 285 Rz. 10. 171) Holzer in: KPB, InsO, § 285 Rz. 14; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 285 Rz. 2. 172) Holzer in: KPB, InsO, § 285 Rz. 21, 29. 173) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 280 Rz. 1. 174) Im Ergebnis ebenso: J. Schmidt in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 92 Rz. 6.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

knapp ausgeführt, dass der Sachwalter hierzu besser geeignet ist als der Schuldner.175) In der Sache geht es v. a. darum, dass ein Geschäftsführer die Masse geschädigt hat und ohne diese Regelung Ansprüche gegen sich selbst durchsetzen müsste, was offensichtlich unsinnig ist. Entsprechendes gilt für die Gesellschafter einer Personengesellschaft, die dann Ansprüche gegen sich selbst durchsetzen müssten. 99 § 280 InsO regelt darüber hinaus auch Ansprüche gegen einen Sachwalter selbst, etwa wegen Schadensersatzansprüchen aus §§ 274, 60 InsO. Diese können entweder durch einen Sondersachwalter geltend gemacht werden oder es wird entsprechend § 92 Abs. 2 InsO der Sachwalter entlassen und in schwerwiegenden Fällen ein neuer bestellt, der die Ansprüche durchsetzt.176) XIII. Anfechtung 100 Die Befugnis zur Anfechtung von Rechtshandlungen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die Gläubiger benachteiligen, ist dem Sachwalter übertragen, § 280 InsO. Anwendbar sind dieselben materiellen Vorschriften, die auch für den Insolvenzverwalter Anwendung finden, §§ 129 – 146 InsO. Für die Begründung der Regelung gilt das vorstehend Gesagte (siehe Rz. 97). Anfechtungsansprüche werden nicht zuletzt gegen dem Schuldner nahestehende Personen oder bspw. Kunden geltend gemacht, die der Schuldner wesentlich für eine weitere Geschäftsfortführung hält. Mit der Übertragung der Ansprüche auf den Sachwalter werden mögliche Interessenkollisionen des Schuldners von vornherein ausgeschlossen und die Wahrnehmung der Gläubigerbelange sichergestellt. 101 Prozessual wird der Sachwalter bei der Durchsetzung der Ansprüche als Partei kraft Amtes tätig und führt Prozesse im eigenen Namen. Da er insoweit Verwalter der Insolvenzmasse ist, binden die Ergebnisse den Schuldner,177) insbesondere im Hinblick auf die Kosten der Rechtsstreite. Sind die erforderlichen Mittel für die Führung des Prozesses in der verwalteten Insolvenzmasse und bei den wirtschaftlich Beteiligten nicht vorhanden, kann ihm Prozesskostenhilfe bewilligt werden.178) 102 Der Schuldner hat keine eigenen Befugnisse zur Geltendmachung des Anfechtungsrechts, insbesondere kann er sich darüber nicht vergleichen oder Verzichtserklärungen abgeben. Trotz der auf den ersten Blick eindeutigen Regelung ergeben sich in der Praxis hieraus weitere Fragen: Kann der Anfechtungsgegner etwa eine Widerklage entgegensetzen, mit der Ansprüche gegen den Schuldner behauptet werden? Das soll nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung zulässig sein, jedenfalls wenn der Widerkläger mit der Widerklage eine Parteierweiterung nach § 263 ZPO verbindet und die Widerklage gegen den Schuldner richtet.179) In dem umgekehrten Fall, dass der auf Zahlung einer Masseverbindlichkeit verklagte Schuldner dem Kläger Gegenansprüche aus Anfechtungssachverhalten entgegenhält, soll eine unmittelbare Einwendung hingegen ausgeschlossen sein.180) Unbenommen bleibt in diesem Fall die Möglichkeit des Sachwalters, die Anfechtungseinrede im Wege eines Nebeninterventionsverfahrens zu erheben.181) Die Anfechtungswiderklage ist im Nebeninterventionsverfahren aber nicht möglich.182) ___________ 175) 176) 177) 178) 179) 180) 181) 182)

Begr. RegE InsO z. § 341, abgedr. in: Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 398. Holzer in: KPB, InsO, § 280 Rz. 7. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 280 Rz. 7. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 280 Rz. 4. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 280 Rz. 10 m. w. N. Holzer in: KPB, InsO, § 280 Rz. 8. Vgl. Thole in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 146 Rz. 17; Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 280 Rz. 11. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 280 Rz. 11.

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Fällt eine Handlung in den Zeitraum der Rückschlagsperre des § 88 InsO, bleibt hingegen 103 der Schuldner zuständig, da sich die Nichtigkeit unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Einer separaten Anfechtung bedarf es dann nicht. Für die Geltendmachung des bereicherungsrechtlichen Rückgewähranspruchs ist dann entsprechend der allgemeinen Aufgabenzuweisung in § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO der Schuldner zuständig.183) XIV. Das Tabellenverfahren Das Gesetz überträgt dem Sachwalter neben den in § 274 Abs. 2, §§ 275 bis 277 InsO über- 104 tragenen Aufgaben weitere Pflichten im Tabellenverfahren. Für die Bearbeitung von Gläubigerforderungen differenziert das Gesetz den Aufgabenbereich von Schuldner und Sachwalters für das Tabellen- und das Verteilungsverfahren gemäß §§ 187 ff. InsO. Der Schuldner übernimmt grundsätzlich das Verteilungsverfahren, er hat das Verzeichnis der Forderungen zu erstellen, die bei der Verteilung zu berücksichtigen sind, und nimmt die Verteilung vor. Die Aufgabe des Verwalters bleibt auf die Prüfung des Verzeichnisses beschränkt. Die Insolvenztabelle wird vom Sachwalter erstellt (siehe auch Hofmann, HRI II, § 12 105 Rz. 7 ff.). Forderungen der Gläubiger sind beim Sachwalter anzumelden, § 270f Abs. 2 Satz 2 InsO. Dieser hat die Anmeldungen entgegenzunehmen und in der Insolvenztabelle einzutragen. Die Vorschriften der §§ 174 bis 186 InsO sind mit Bezug auf die Tabellenführung insofern so zu verstehen, dass der Sachwalter an die Stelle des Insolvenzverwalters tritt.184) Der Sachwalter hat die Ordnungsgemäßheit der Anmeldungen zu prüfen, ggf. gemäß § 175 InsO zurückzuweisen und die Tabelle sodann auf der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts zur Einsichtnahme niederzulegen. Die Eintragung in die Tabelle wirkt für festgestellte Forderungen ihrem Betrag und Rang nach wie ein rechtskräftiges Urteil, aus dem dann nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Zwangsvollstreckung betrieben werden kann. Im Prüfungstermin steht dem Sachwalter ein eigenes Widerspruchsrecht zu (§ 283 Abs. 1 Satz 1 InsO). Das Bestreiten des Sachwalters hat die gleiche Wirkung wie das Bestreiten eines Insolvenzverwalters. Insoweit gelten keine Besonderheiten gegenüber dem Regelinsolvenzverfahren. Abweichungen gegenüber dem Regelinsolvenzverfahren bestehen bezüglich der Wider- 106 spruchsrechte des Schuldners gegen die angemeldeten Forderungen: Als wesentliche Abweichung von der Regelung des § 178 InsO sieht § 283 Abs. 1 Satz 2 InsO vor, dass auch das Bestreiten des Schuldners die Feststellung einer angemeldeten Forderung zur Insolvenztabelle hindert (siehe auch Hofmann, HRI II, § 12 Rz. 19 f.). Wird eine Forderung bestritten, ist es Sache des anmeldenden Gläubigers, Klage auf Fest- 107 stellung der Forderung gemäß § 179 Abs. 1, § 180 InsO zu erheben. Passiv legitimiert ist grundsätzlich der Bestreitende.185) Die Klage kann daher sowohl gegen den bestreitenden Schuldner als auch gegen den bestreitenden Sachwalter gerichtet werden. Bei mehrfachem Bestreiten sind sämtliche Widersprüche zu überwinden, um die Rechtswirkungen des § 183 InsO herbeizuführen.186) Wird nach Rechtshängigkeit der Klage die Eigenverwaltung aufgehoben, so ist entsprechend §§ 241, 246 ZPO das Verfahren gegen den Insolvenzverwalter fortzusetzen. Siehe auch Hofmann, HRI II, § 12 Rz. 25 ff. Liegt eine bereits vor Verfahrenseröffnung erwirkte rechtskräftige Entscheidung vor, 108 so ist es Sache des Schuldners, den Widerspruch gemäß § 179 Abs. 2 InsO im Klagewege oder vor der zuständigen Verwaltungsbehörde zu verfolgen, § 185 InsO. War ein Rechts___________ 183) 184) 185) 186)

Holzer in: KPB, InsO, § 280 Rz. 8. Holzer in: KPB, InsO, § 283 Rz. 14. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 283 Rz. 4. Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 180 Rz. 17; Holzer in: KPB, InsO, § 283 Rz. 22.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

streit bei Verfahrenseröffnung anhängig, die Forderung aber noch nicht tituliert, so ist die Feststellung durch Aufnahme des Rechtsstreits nach § 180 Abs. 2 InsO, § 250 ZPO zu betreiben. Der aufnehmende Gläubiger hat dazu den Klageantrag von Leistung auf Feststellung umzustellen und die Bezeichnung des Bestreitenden als nunmehrigen Beklagten zu ändern. Das in einem Feststellungsprozess zwischen dem Schuldner und einem Gläubiger erwirkte Urteil bindet jedenfalls auch die übrigen Insolvenzgläubiger und den Sachwalter, § 183 Abs. 1 InsO.187) 109 Soweit es sich um Prozesse handelt, die vor Eröffnung anhängig sind, führt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unter Anordnung der Eigenverwaltung gemäß § 240 ZPO unproblematisch zur Unterbrechung.188) Die Anordnung der Eigenverwaltung ändert nichts an der Zäsur, die mit der Verfahrenseröffnung eintritt.189) Der Schuldner ist sodann zur Aufnahme des Rechtsstreits berechtigt, § 85 InsO. Für die Aufnahme des Prozesses soll grundsätzlich Einvernehmen mit dem Sachwalter hergestellt werden.190) Passivprozesse können gemäß § 86 InsO sowohl vom Schuldner als auch vom Gegner aufgenommen werden. XV. Verzeichnisse, Schlussrechnung, Verteilung 1.

Stellungnahmen zu den Verzeichnissen gemäß § 281 InsO und dem Bericht in der ersten Gläubigerversammlung

110 Wie im Regelinsolvenzverfahren auch sind die Gläubiger in der Eigenverwaltung über die Vermögenssituation des Schuldners umfassend zu informieren, so dass sie eine Grundlage für ihre in der ersten Gläubigerversammlung zu fassenden Entscheidungen erhalten.191) Nach § 281 InsO sind die dafür zu fertigenden Verzeichnisse der Massegegenstände, das Gläubigerverzeichnis und die Vermögensverzeichnisse unter der Stilllegungs- und Fortführungsprämisse nach Anordnung der Eigenverwaltung vom Schuldner zu fertigen und gemäß §§ 270 Abs. 1 Satz 2, 154 InsO eine Woche vor dem Berichtstermin auf der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts niederzulegen. Auf Antrag des Sachwalters kann das Insolvenzgericht dem Schuldner aufgeben, die Vollständigkeit der Vermögensübersicht eidesstattlich zu versichern, § 153 Abs. 2 Satz 1 InsO.192) Der Schuldner hat darüber hinaus den Bericht an die Gläubigerversammlung zu fertigen und gegenüber den Gläubigern mündlich vorzutragen. Die Verzeichnisse sind Teil der Unterrichtungspflicht im Berichtstermin.193) Da der Sachwalter die Aufgabe hat, die Haftung nach §§ 92, 93 InsO sowie Anfechtungen nach §§ 129 bis 147 InsO durchzusetzen, bleiben diesbezüglich Unterrichtungspflichten beim Sachwalter, eine Information hierüber ist aber dem Schuldner rechtzeitig zur Verfügung zu stellen, damit er sie in die Verzeichnisse aufnehmen kann.194) 111 Der Sachwalter hat die Aufgabe, die Verzeichnisse zu prüfen und schriftlich zu erklären, ob von ihm Einwendungen erhoben werden. Faktisch ist der Sachwalter gegenüber einem ___________ 187) Holzer in: KPB, InsO, § 283 Rz. 23; Brünkmans in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 283 Rz. 6; str., ob bezüglich der Aufnahme eines Rechtsstreits eine Parteierweiterung gegen den Schuldner erforderlich wird, weil er eine Berechtigung zum Bestreiten sowohl als Organ als auch als Privatperson hat und es sonst an der Wirkung nach § 183 InsO fehlt, vgl. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 283 Rz. 4 m. w. N. 188) Vgl. BGH v. 7.12.2006 – V ZB 93/06, ZIP 2007, 249, dazu EWiR 2007, 249 (Bähr/Landry). 189) BGH v. 7.12.2006 – V ZB 93/06, ZIP 2007, 249; Kern in: MünchKomm-InsO, § 270 Rz. 186. 190) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 283 Rz. 4; Holzer in: KPB, InsO, § 283 Rz. 8. 191) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 281 Rz. 23. 192) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 281 Rz. 2; a. A. Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 281 Rz. 7 – nur auf Antrag des Gläubigers; einschränkend Holzer in: KPB, InsO, § 281 Rz. 11 – des Sachwalters unter der Maßgabe, dass Zweifel an der Richtigkeit des Verzeichnisses im Antrag vorgetragen werden. 193) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 281 Rz. 24. 194) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 281 Rz. 20 – insolvenzspezifische Informationspflicht; a. A. Riggert in: Nerlich/Römermann, InsO, § 281 Rz. 4 – keine Ergänzungspflicht des Sachwalters.

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Insolvenzverwalter damit nur von der Erstellung der Verzeichnisse und der Abfassung des Berichts befreit. Einwendungen sind ggf. substantiiert schriftlich darzulegen und ebenfalls in der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts niederzulegen.195) In der Gläubigerversammlung hat der Sachwalter zu dem Bericht des Schuldners Stellung zu nehmen. Für die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Überwachungspflicht haftet der Sachwalter nach 112 §§ 274, 60 InsO. Hat er Bedenken gegen deren Richtigkeit, so hat er eigene Nachforschungen anzustellen und ggf. auf Kosten der Masse einen Sachverständigen zur Klärung von Bewertungsfragen zu beauftragen.196) In der Literatur ist allerdings streitig ist, ob er sich i. Ü. auf die stichpunktartige Prüfung der Verzeichnisse und Unterlagen beschränken kann oder darüber hinaus gehalten ist, sich einen lückenlosen Überblick zu verschaffen.197) 2.

Stellungnahme zum Verteilungsverzeichnis

Zum Zwecke des Gläubigerschutzes ist der Sachwalter auch im Verteilungsverfahren in- 113 volviert. Die Verteilungen an die Gläubiger einschließlich eventueller Abschlagsverteilungen i. S. des § 187 Abs. 2 InsO sind auf der Basis eines Verteilungsverzeichnisses vorzunehmen, das im Regelinsolvenzverfahren vom Insolvenzverwalter erstellt wird (siehe auch Hofmann, HRI II, § 12 Rz. 41). In der Eigenverwaltung ist dies Aufgabe des Schuldners, § 283 Abs. 2 InsO. Ebenso ist die Verteilung selbst vom Schuldner vorzunehmen. Grundlage für das Verteilungsverzeichnis ist die nach § 175 InsO erstellte und bereinigte Insolvenztabelle. Das vom Schuldner erstellte Verteilungsverzeichnis ist, wie im Regelinsolvenzverfahren, beim Insolvenzgericht auf der Geschäftsstelle zu hinterlegen. Gleichzeitig sind dem Gericht die Summe der Forderungen sowie der zur Verteilung verfügbare Betrag aus der Insolvenzmasse mitzuteilen, damit diese öffentlich bekannt gemacht werden können, § 188 InsO. Entscheiden sich die Gläubiger für eine Feststellungsklage, ist diese innerhalb der zweiwöchigen Frist nach der öffentlichen Bekanntmachung dem Schuldner nachzuweisen, § 189 InsO. Entsprechend haben absonderungsberechtigte Gläubiger ihren Forderungsausfall dem Schuldner nachzuweisen, § 190 InsO. Der Sachwalter hat das Verteilungsverzeichnis zu prüfen, bevor es auf der Geschäftsstelle 114 niedergelegt wird. Die Information an die Gläubiger über das Ergebnis der Prüfung erfolgt durch Niederlegung der Erklärung auf der Geschäftsstelle des Gerichts. Einwendungen gegen das Verteilungsverzeichnis sind ggf. in der bei Gericht niedergelegten Stellungnahme substantiiert darzulegen.198) Das Gesetz trifft keine Regelung, wie Differenzen zwischen Schuldner und Sachwalter 115 hinsichtlich des Verteilungsverzeichnisses aufzulösen sind. Änderungen des Verteilungsverzeichnisses sind vom Schuldner vorzunehmen, § 193 InsO. Weist der Schuldner die Einwendungen des Sachwalters zurück, kann eine Berichtigung allenfalls auf Anordnung des Insolvenzgerichts erfolgen, § 194 Abs. 3 InsO. Ausdrücklich weist das Gesetz dem Sachwalter keine Befugnis zu, Anträge nach § 194 InsO zu stellen. Lehnt man eine entsprechende Anwendung ab, haben nur die Gläubiger Gelegenheit, die Einwendungen des Sachwalters aufzunehmen und ihrerseits Anträge nach § 197 Abs. 3, § 194 InsO an das Insolvenzgericht zu stellen.199) Gegen die Entscheidung des Insolvenzgerichts steht ihnen – und dem Schuldner – das Beschwerderecht zu. Haben die Gläubiger grundsätzliche Be___________ 195) 196) 197) 198) 199)

Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 281 Rz. 3. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 281 Rz. 17; a. A. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 281 Rz. 3. So Holzer in: KPB, InsO, § 281 Rz. 1; a. A. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 281 Rz. 3. Vgl. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 283 Rz. 6. Für eine entsprechende Anwendung: Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 283 Rz. 9; a. A. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 283 Rz. 6; Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 283 Rz. 11; Kern in: MünchKomm-InsO, § 283 Rz. 23.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

denken, bleibt es ihnen i. Ü. unbenommen, bereits in der ersten Gläubigerversammlung einen Antrag auf Erweiterung des Aufgabenkreises für den Sachwalter auf Grundlage von § 277 InsO zu stellen. Die Wirksamkeit des Verteilungsverzeichnisses kann so frühzeitig an die Zustimmung des Sachwalters gebunden werden.200) Siehe auch Hofmann, HRI II, § 12 Rz. 42. 3.

Stellungnahmen zur Schlussrechnung und im Schlusstermin

116 Der Schuldner ist wie ein Insolvenzverwalter zur Rechnungslegung verpflichtet. Konkret obliegt ihm damit in Bezug auf die Insolvenzmasse die handelsrechtliche und steuerliche Rechnungslegung nach § 155 InsO, ferner nach § 66 InsO darüber hinaus die insolvenzrechtliche Rechnungslegung. 117 Dem Sachwalter obliegt nach § 281 Abs. 2 InsO eine Prüfungs- und Erklärungspflicht nur in Bezug auf die insolvenzrechtliche Buchführungspflicht nach § 66 InsO, nicht hingegen auf die nach § 155 InsO.201) Einwendungen gegen die Schlussrechnung nach § 66 InsO sind vom Sachwalter schriftlich substantiiert darzulegen und mit der Schlussrechnung spätestens eine Woche vor dem Termin in der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts auszulegen.202) In der Gläubigerversammlung zur Beendigung des Insolvenzverfahrens hat der Sachwalter zu der Schlussrechnung des Schuldners Stellung zu nehmen. Insofern gelten die Ausführungen oben, siehe Rz. 110 f. 118 Fraglich ist, ob der Sachwalter verpflichtet ist, Zwischenrechnungen des Schuldners nach § 66 Abs. 3 Satz 1 InsO ebenfalls zu prüfen. Obwohl die Prüfungspflicht nicht in § 281 Abs. 3 InsO niedergelegt ist, wird sie in der Kommentarliteratur als sachgerecht bejaht.203) 119 Eine eigene Schlussrechnungslegungspflicht besteht für den Sachwalter i. R. der ihm nach §§ 280, 92, 93 InsO zustehenden Rechte. Denn insoweit übt er selbst die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis aus. Sie ist für das Insolvenzgericht insoweit Prüfungsgegenstand nach § 66 Abs. 2 Satz 1 InsO. 4.

Verteilung ohne Zustimmungserfordernis

120 Der Sachwalter muss zwar das Verteilungsverzeichnis prüfen, bei der Verteilung selbst wirkt er aber nicht mit. Den Grundsätzen der Eigenverwaltung entsprechend ist die Verteilung auf die festgestellten Forderungen vom Schuldner vorzunehmen, § 283 Abs. 2 Satz 1 InsO. Sie erfolgt nach den Vorschriften der §§ 187 bis 199 InsO.204) Für die Auszahlung der Beträge braucht der Schuldner daher, wie der Insolvenzverwalter im regulären Verfahren, die Zustimmung des Insolvenzgerichts, § 196 InsO. Ein Zustimmungserfordernis des Sachwalters ist nicht vorgesehen. Da die Verteilung durch Auszahlung der vorhandenen Barmittel an die Gläubiger erfolgt, kann der Sachwalter die Auszahlung regelmäßig nur i. R. einer übernommenen Kassenführung überwachen. 121 Haben die Gläubiger grundsätzliche Bedenken, bleibt ihnen die Option, in der ersten Gläubigerversammlung einen Antrag auf Erweiterung des Aufgabenkreises für den Sachwalter auf Grundlage von § 277 InsO zu stellen und die Schlussverteilung von seiner Zustimmung abhängig zu machen. Den Auszahlungen an die Gläubiger, sei es durch bargeld___________ Kern in: MünchKomm-InsO, § 283 Rz. 24. Holzer in: KPB, InsO, § 281 Rz. 13; a. A. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 281 Rz. 28. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 281 Rz. 3; Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 281 Rz. 29. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 281 Rz. 31; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 281 Rz. 5; abl.: GrafSchlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 281 Rz. 14; Kern in: MünchKomm-InsO, § 281 Rz. 33; Holzer in: KPB, InsO, § 281 Rz. 13; Riggert in: Nerlich/Römermann, InsO, § 281 Rz. 4. 204) Kern in: MünchKomm-InsO, § 283 Rz. 19.

200) 201) 202) 203)

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losen Zahlungsverkehr oder Barzahlung sowie die dafür erforderlichen Vorbereitungshandlungen, kommt insoweit der Charakter eines Rechtsgeschäfts i. S. von § 277 InsO zu.205) Die Hinterlegungspflicht für nicht ausgezahlte Beträge trifft konsequenterweise den Schuld- 122 ner, § 198 InsO.206) Soll eine Nachtragsverteilung angeordnet werden, ist diese vom Schuldner, nicht vom Sachwalter zu beantragen und vorzunehmen, § 203 InsO. Auch hier nimmt der Schuldner alle Rechte wahr, die regelmäßig einem Insolvenzverwalter übertragen sind. Rechtsmittel gegen die Anordnung der Nachtragsverteilung auf Antrag eines Gläubigers oder von Amts wegen stehen nach § 204 Abs. 2 InsO dem Schuldner zu.207) Wegen der Interessenkollision zwischen Schuldner und Gläubigergemeinschaft nach der Aufhebung des Verfahrens empfiehlt Foltis, dem früheren Sachwalter die Befugnis zur Nachtragsverteilung zu übertragen.208) Das ist letztlich aber wiederum eine Entscheidung der Gläubiger. XVI. Planüberwachung im Insolvenzplanverfahren Weitere Aufgaben sind dem Sachwalter auch im Insolvenzplanverfahren übertragen. Eine 123 im Insolvenzplan gemäß § 260 InsO vorgesehene Überwachung der Planerfüllung ist nach Beendigung des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung Aufgabe des Sachwalters, § 284 Abs. 2 InsO. Unerheblich ist, ob der Plan vom (vorläufigen) Sachwalter erstellt wurde oder nicht.209) Zur Planüberwachung allgemein siehe unten Mönning, HRI II, § 42 Rz. 120 ff. Ist im gestaltenden Teil des Insolvenzplans keine Überwachung vorgesehen, so besteht für 124 den Sachwalter auch keine Überwachungspflicht; eine generelle Pflicht ist nicht vorgesehen.210) Für das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung bestehen i. Ü. zur Planüberwachung keine Sonderregelungen. Der Sachwalter tritt an die Stelle des Insolvenzverwalters, dessen Aufgaben als Planüberwacher in §§ 261 – 269 InsO geregelt sind. War im Insolvenzverfahren ein Gläubigerausschuss bestellt, so bleibt dieser auch im Fall der Eigenverwaltung entsprechend § 261 Abs. 1 Satz 2 InsO bestehen.211) Im Übrigen besteht die Aufsicht des Insolvenzgerichts für den Zeitraum der Planüberwachung fort. XVII. Der Sachwalter unter der Aufsicht des Insolvenzgerichts Der Sachwalter ist nicht nur Überwacher, er wird auch überwacht. Er steht wie ein Insol- 125 venzverwalter unter der Aufsicht des Insolvenzgerichts, § 274 Abs. 1, § 58 InsO. Danach kann das Insolvenzgericht jederzeit Auskunft und Bericht über den Sachstand und die Geschäftsführung verlangen.212) Bezüglich der Geschäftsführung ist der dem Sachwalter – nicht etwa dem Schuldner oder einem Insolvenzverwalter – in der Eigenverwaltung gesetzlich obliegende Pflichtenkanon gemeint.213) Der Sachwalter wird durch die Vorschrift nicht zu weitergehenden Maßnahmen und Berichten verpflichtet, als sie ihm zur Wahrnehmung seiner Aufgaben in der Eigenverwaltung auferlegt wurden.

___________ 205) 206) 207) 208) 209) 210) 211) 212) 213)

Kern in: MünchKomm-InsO, § 283 Rz. 24. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 283 Rz. 5. Kern in: MünchKomm-InsO, § 283 Rz. 20. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 283 Rz. 5. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 284 Rz. 14. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 284 Rz. 5 m. w. N. Holzer in: KPB, InsO, § 284 Rz. 23. Holzer in: KPB, InsO, InsO, § 274 Rz. 17. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 274 Rz. 20.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

126 Berichtspflichtig sind daher bspw. die seitens des Sachwalters eingeleiteten Maßnahmen und Ergebnisse 

bezüglich der Überwachung der wirtschaftlichen Lage des Schuldners und dessen Geschäftsführung,



bezüglich der Ausgaben des Schuldners für die Lebensführung (§ 274 Abs. 2 InsO) sowie



bezüglich Unterrichtungen gegenüber Gläubigerausschuss und ggf. Gläubigern nach § 274 Abs. 3 InsO,



schließlich die weiteren insolvenztypischen Pflichten nach §§ 275 ff. InsO.



Berichte über den Zahlungsverkehr kann das Insolvenzgericht vom Sachwalter nur verlangen, wenn der Sachwalter nach § 275 Abs. 2 InsO die Kassenführung übernommen hat,214) wobei auch in diesem Fall die Rechnungslegung einschließlich der Zwischenrechnungslegung beim Schuldner verbleibt, § 281 Abs. 3 InsO (siehe dazu Rz. 116 ff.).



Soweit Zustimmungsvorbehalte nach § 275 Abs. 1 InsO und § 277 InsO angeordnet wurden, muss der Bericht des Sachwalters Informationen enthalten, ob die Zustimmungsvorbehalte umgesetzt wurden und der Schuldner diese beachtet.



Zu den berichtspflichtigen Sachverhalten gehören ggf. auch die Maßnahmen bezüglich der – ausschließlich dem Sachwalter obliegenden – Geltendmachung von Gesamtschäden nach § 92 InsO, der Haftungsinanspruchnahme der Gesellschafter nach § 93 InsO, Anfechtungen sowie der Anzeige der Masseunzulänglichkeit nach § 285 InsO.

127 Wie das Insolvenzgericht die Aufsicht im Einzelfall ausübt – bspw. schriftliche periodische Berichte oder ggf. eine mündliche Anhörung –, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen und orientiert sich letztlich an Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten.215) Ein aktiver Sachwalter wird das Insolvenzgericht aber schon von sich aus regelmäßig über die Geschäftsführung des Schuldners, die Organisation der Überwachung und das Ergebnis der Überwachungsmaßnahmen informieren. Gegenüber dem regulären Insolvenzverfahren besteht seitens des Insolvenzgerichts grundsätzlich keine Verpflichtung zu einer überhöhten Kontrolldichte in der Eigenverwaltung.216) 128 Die vorstehenden Ausführungen geltend entsprechend für den vorläufigen Sachwalter, § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO. Nach § 270c Abs. 1 InsO kann das Gericht den vorläufigen Sachwalter zusätzlich beauftragen, die Eigenverwaltungsplanung zu überprüfen und Bericht darüber zu erstatten, ob diese von tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht, schlüssig ist und durchführbar erscheint, darüber hinaus über die Vollständigkeit und Geeignetheit der Rechnungslegung und Buchführung als Grundlage für die Eigenverwaltungsplanung sowie über das Bestehen von Haftungsansprüchen gegen Organe der Schuldnerin zu berichten. 129 Kommt der Sachwalter seinen Auskunftspflichten nicht nach, kann das Insolvenzgericht diese wie im regulären Insolvenzverfahren ggf. durch Zwangsgeld gemäß § 58 Abs. 2 InsO durchsetzen. Sollten die Sanktionsmöglichkeiten nicht durchgreifen, kann der Sachwalter aus wichtigem Grunde aus dem Amt entlassen werden. Maßgeblich hierfür ist eine schwere oder wiederholte Pflichtverletzung oder absolute Unfähigkeit, das Amt auszuüben.217) In Betracht kommt des Weiteren die Abgabe von eidesstattlichen Versicherungen,218) ggf. ___________ 214) 215) 216) 217) 218)

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Holzer in: KPB, InsO, InsO, § 274 Rz. 35. Holzer in: KPB, InsO, InsO, § 274 Rz. 40. Holzer in: KPB, InsO, InsO, § 274 Rz. 38. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 274 Rz. 6. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 274 Rz. 21, unter Verweis auf BGH v. 17.12.2009 – IX ZB 177/08, ZIP 2010, 383 = ZInsO, 2010, 188.

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Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters

§9

auch die Bestellung eines Sondersachwalters, wenn der amtierende Sachwalter verhindert ist oder der Verdacht auf eine erhebliche Pflichtverletzung besteht;219) der Entzug des Kassenführungsrechts220) sowie bei schwerwiegenden Verstößen als weitere Konsequenz das „Delisting“ aus der beim Insolvenzgericht geführten Vorauswahlliste für Insolvenzverwalter und Sachwalter.221) Aus der nicht rechtzeitigen oder unvollständigen Information und – aus diesem Grunde – unterbliebenen, schadensvermeidenden Maßnahmen durch das Insolvenzgerichts kann sich letztlich auch eine Haftung des Sachwalters nach § 60 InsO ergeben. XVIII. Beendigung der (vorläufigen) Sachwaltertätigkeit mit Aufhebung der (vorläufigen) Eigenverwaltung Das Amt des Sachwalters endet – außer in den Fällen einer Entlassung wegen eines wich- 130 tigen Grundes gemäß § 59 InsO – mit Aufhebung der Eigenverwaltung (siehe ausführlich dazu unten Flöther, HRI II, § 14). Funktionell zuständig für die Entscheidung über den Antrag ist nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich der Rechtspfleger, im Insolvenzeröffnungsverfahren der Richter, § 18 RPflG.222) 1.

Aufhebung der Eigenverwaltung aufgrund von Pflichtverstößen oder Aussichtslosigkeit einer Sanierung

Die Aufhebungsgründe des § 272 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO wurden mit dem SanInsFoG 131 neu eingeführt und entsprechen den Aufhebungsgründen für die vorläufige Eigenverwaltung gemäß § 270e Abs. 1 Nr. 1 InsO.223) Danach ist die (vorläufige) Eigenverwaltung durch die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters von Amts wegen zu beenden, wenn der Schuldner in schwerwiegender Weise gegen insolvenzrechtliche Pflichten verstößt oder auf sonstige Weise zeigt, dass er nicht bereit oder in der Lage ist, die Geschäftsführung am Interesse der Gläubigergesamtheit auszurichten. Dies kann nach den Beispielen der Nr. 1 dann der Fall sein, wenn 

die Eigenverwaltungsplanung in wesentlichen Punkten auf unzutreffende Tatsachen gestützt wurde (Nr. 1 lit. a),



die Rechnungslegung und Buchführung so unvollständig oder mangelhaft sind, dass sie keine Beurteilung der Eigenverwaltungsplanung, insbesondere des Finanzplans, ermöglichen (Nr. 1 lit. b) oder



Haftungsansprüche gegen amtierende oder ehemalige Mitglieder der Organe des Schuldners bestehen, deren Durchsetzung in der Eigenverwaltung erschwert werden könnte (Nr. 1 lit. c).

§ 272 Abs. 1 Nr. 2 schreibt eine Beendigung der Eigenverwaltung für den Fall vor, dass 132 sich die Erreichung des Eigenverwaltungsziels, insbesondere eine angestrebte Sanierung, als aussichtslos erweist. Die Gesetzesmotive des SanInsFoG nennen hierzu beispielhaft die nach § 270c Abs. 2 InsO auch für die Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung erheblichen wesentlichen Änderungen betreffend die Eigenverwaltungsplanung. Die Formu___________ 219) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 274 Rz. 7 m. w. N.; Holzer in: KPB, InsO, § 274 Rz. 28; Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 274 Rz. 22. 220) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 274 Rz. 21, unter Bezugnahme auf BGH v. 17.12.2009 – IX ZB 178/08, ZIP 2010, 383 = ZInsO, 2010, 187 – das Kassenführungsrecht wurde in diesem Fall einem Sonderinsolvenzverwalter übertragen. 221) Holzer in: KPB, InsO, InsO, § 274 Rz. 45. 222) Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 768 f. 223) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24818, S. 208.

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§9

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

lierung „sich als aussichtslos erweist“ soll sowohl eine anfängliche Aussichtslosigkeit als auch eine zwischenzeitlich eingetretene Aussichtslosigkeit umfassen.224) 2.

Aufhebung der Eigenverwaltung durch Beschluss der Gläubigerversammlung

133 Nach § 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO muss das Insolvenzgericht die Anordnung der Eigenverwaltung aufheben, wenn dies von einer Gläubigerversammlung – nach entsprechender Ankündigung und öffentlicher Bekanntmachung in der Tagesordnung – beantragt wird. 134 In der Abstimmung über die Beendigung der Eigenverwaltung durch die Gläubigerversammlung war früher die Summenmehrheit der Stimmen nach §§ 76 ff. InsO maßgeblich. Seit Inkrafttreten des ESUG kommt es auf die Summen- und Kopfmehrheit der abstimmenden Gläubiger an. Die Änderung dürfte sich gerade in Insolvenzverfahren mit einer größeren, geschlossen auftretenden Arbeitnehmerschaft auf die Mehrheitsverhältnisse auswirken. Der Einfluss von einzelnen Großgläubigern, denen auch keine Beschwerdemöglichkeit gegen die Anordnung der Eigenverwaltung mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens zusteht, wurde damit erheblich eingeschränkt. Entscheidet sich die Gläubigerversammlung sodann gegen die Eigenverwaltung, ist das Insolvenzgericht an die Entscheidung gebunden. Ein eigenes Ermessen besteht insoweit nicht mehr. Strittig ist aber weiter, wer an der Gläubigerversammlung zur Aufhebung der Eigenverwaltung nach Eintritt der Masseunzulänglichkeit teilnehmen soll: Nach einer Auffassung sollen nach Eintritt der Masseunzulänglichkeit die Altmassegläubiger die Gläubigerversammlung bilden.225) Soweit ersichtlich wird diese Auffassung aber überwiegend abgelehnt.226) 135 Das Insolvenzgericht muss, wenn die Voraussetzungen vorliegen, sodann zwingend die Eigenverwaltung aufheben und einen Insolvenzverwalter bestellen.227) Der BGH hat klargestellt, dass der Beschluss der Gläubigerversammlung, die Aufhebung der Eigenverwaltung zu beantragen, nicht im Verfahren nach § 78 InsO angefochten werden kann, und dazu ausgeführt, dass die Entscheidung an keine gesetzlichen Voraussetzungen geknüpft ist und im freien Ermessen der Gesellschafterversammlung steht. Die Notwendigkeit einer gerichtlichen Ermessensüberprüfung bestehe nicht.228) In der Literatur war die Frage früher kontrovers erörtert worden.229) 3.

Weiteres Antragsrecht nur für Gläubiger – kein Antragsrecht des Sachwalters

136 Neben der Gläubigerversammlung steht ein Antragsrecht auf Aufhebung der Eigenverwaltung den absonderungsberechtigten Gläubigern und Insolvenzgläubigern zu, § 272 Abs. 1 Nr. 4 InsO. Davon erfasst werden nach wohl einhelliger Meinung die Inhaber von Insolvenzforderungen gemäß § 38 InsO. Gläubiger nachrangiger Forderungen gemäß § 39 InsO sind nicht zur Antragstellung legitimiert.230) 137 Eine Antragsbefugnis für den Sachwalter zur Beendigung der Eigenverwaltung sieht das Gesetz nicht vor. ___________ 224) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24818, S. 207. 225) Brünkmans in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 285 Rz. 4; Kern in: MünchKomm-InsO, § 285 Rz. 16. 226)Holzer in: KPB, InsO, § 285 Rz. 17 m. w. N. 227) Holzer in: KPB, InsO, § 272 Rz. 12 – noch zur Fassung vor Inkrafttreten des SanInsFoG; die Argumentation ist aufgrund der Gleichartigkeit der alten und der neuen Regelung übertragbar. 228) BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, ZIP 2011, 1622. 229) Vgl. die Nachweise bei Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 272 Rz. 12 ff. 230) Holzer in: KPB, InsO, § 272 Rz. 21 – noch zur Fassung vor Inkrafttreten des SanInsFoG; die Argumentation ist aufgrund der Gleichartigkeit der alten und der neuen Regelung übertragbar.

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Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters

§9

Der Antrag nach § 272 Abs. 1 Nr. 4 InsO ist von dem Gläubiger schriftlich oder zu Pro- 138 tokoll der Geschäftsstelle zu stellen, seine Gründe durch eidesstattliche Versicherung oder sonstige Beweismittel gemäß § 4 InsO, § 294 ZPO zu belegen.231) Der durch einen absonderungsberechtigten Gläubiger oder durch einen Insolvenzgläubiger zu stellenden Antrag ist nur dann begründet, wenn die Voraussetzungen der Anordnung der Eigenverwaltung des § 270f Abs. 1 i. V. m. § 270b Abs. 1 InsO weggefallen sind und dem Antragsteller durch die Eigenverwaltung erhebliche Nachteile drohen, die er konkret darzustellen hat. Früher war lediglich glaubhaft zu machen, dass die Aufrechterhaltung der Eigenverwaltung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu einer konkreten Verfahrensverzögerung oder zu sonstigen Nachteilen für die Gläubiger führen wird. Der Schuldner ist sodann zu dem Gläubigerantrag anzuhören, § 272 Abs. 2 Satz 2 InsO. 139 Richtigerweise sollte das Gericht vor seiner Entscheidung auch dem Sachwalter Gelegenheit zu einer Stellungnahme zu dem Gläubigerantrag gegeben haben. Zwingend sieht das Gesetz seine Stellungnahme aber nicht vor.232) 4.

Rechtsfolgen der Beendigung für den Sachwalter

Die Aufhebung der Eigenverwaltung auf Antrag eines Gläubigers erfolgt durch Beschluss, 140 gegen den dem Gläubiger und dem Schuldner Rechtsmittel zustehen, § 272 Abs. 2 i. V. m. § 6 InsO, also im Falle der Aufhebung auf Antrag eines Gläubigers dem Schuldner, bei Ablehnung dem Gläubiger. In den übrigen Fällen nach § 272 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 und Nr. 5 InsO besteht keine Beschwerdebefugnis, was allerdings nicht unumstritten ist.233) In diesen Fällen endet das Amt des Sachwalters mit Erlass des Beschlusses zur Aufhebung der Eigenverwaltung; nur im Fall des § 272 Abs. 1 Nr. 4 InsO bleibt demnach die Anordnung der Eigenverwaltung bis zur Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses bestehen.234) Das Insolvenzgericht hat sodann zwingend einen Insolvenzverwalter zu bestellen, der mit 141 dem bisherigen Sachwalter personenidentisch sein kann, § 272 Abs. 3 InsO. Die Bestellung des Insolvenzverwalters erfolgt nach allgemeinen Regeln durch das Gericht, § 56 InsO.235) Funktionell zuständig für die Bestellung des Insolvenzverwalters ist grundsätzlich der Rechtspfleger, § 18 Abs. 1 Nr. 1 RPflG ist nicht einschlägig, sofern sich der Richter die Entscheidung nicht vorbehalten hat.236) Im Verfahren einer Aufhebung der Eigenverwaltung auf Antrag der Gläubigerversammlung kann diese gleichzeitig einen Beschluss darüber fassen, ob sie den bisherigen Sachwalter als Insolvenzverwalter beibehalten oder einen anderen Insolvenzverwalter will, wobei eine Bindungswirkung des Beschlusses für das Insolvenzgericht teilweise abgelehnt wird.237) Erfolgt die Aufhebung hingegen auf Antrag eines Gläubigers oder auf Antrag des Schuldners selbst, hat die folgende Gläubigerversammlung das Recht zur Abwahl nach § 57 InsO. ___________ 231) Holzer in: KPB, InsO, § 272 Rz. 24 – noch zur Fassung vor Inkrafttreten des SanInsFoG; die Argumentation ist aufgrund der Gleichartigkeit der alten und der neuen Regelung übertragbar. 232) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 4 – noch zur Fassung vor Inkrafttreten des SanInsFoG; die Argumentation ist aufgrund der Gleichartigkeit der alten und der neuen Regelung übertragbar. 233) Ellers/Kreutz in: BeckOK-InsR, § 272 InsO Rz. 33; a. A. Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 769. 234) Holzer in: KPB, InsO, § 272 Rz. 35; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 7 – noch zur Fassung vor Inkrafttreten des SanInsFoG; die Argumentation ist aufgrund der Gleichartigkeit der alten und der neuen Regelung übertragbar. 235) Brünkmans in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 272 Rz. 11. 236) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 8; Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 272 Rz. 35; Brünkmans in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 272 Rz. 13. 237) Holzer in: KPB, InsO, § 272 Rz. 37, und Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 8 – keine Bindungswirkung.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

142 Der Insolvenzverwalter wird das Verfahren sodann in dem Zustand übernehmen müssen, in dem es ihm vom eigenverwaltenden Schuldner übergeben wird. Es gelten hier spiegelbildlich die Ausführungen zu § 271 InsO: Die bisherigen Handlungen des Sachwalters bleiben in vollem Umfang wirksam, insbesondere die Folgen aus der Ausübung des Wahlrechts, von Kündigungen oder aus der Begründung von Masseverbindlichkeiten. Eingeleitete Prozesse werden durch die Aufhebung nicht unterbrochen. Der Insolvenzverwalter tritt als Rechtsnachfolger gemäß § 239 ZPO in die vom Schuldner geführten Prozesse ein. Zur Begründung wird i. Ü. auf die Situation verwiesen, wie sie bei der Abwahl eines Verwalters in der ersten Gläubigerversammlung eintritt.238) 5.

Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung auf Antrag der Überwachungsorgane

143 Mit dem durch das SanInsFoG neu eingeführten § 270 Abs. 1 Nr. 4 InsO wird erstmals die Beendigung der vorläufigen Eigenverwaltung auf Antrag des vorläufigen Sachwalters mit Zustimmung des vorläufigen Gläubigerausschusses oder des vorläufigen Gläubigerausschusses gesetzlich geregelt. Neben dem in § 270e Abs. 2 InsO vorgesehenen Antragsrecht eines absonderungsberechtigten Gläubigers und Insolvenzgläubigers bekommt mit der Regelung mithin auch der vorläufige Sachwalter ein eigenes Initiativrecht für den Aufhebungsantrag; er muss jedoch die Zustimmung des vorläufigen Gläubigerausschusses einholen. Das Zustimmungserfordernis wurde aufgenommen, um die Gläubigerautonomie nicht zu schwächen.239) Der vorläufige Gläubigerausschuss kann seinerseits auch ohne Abstimmung mit dem vorläufigen Sachwalter die Beendigung der vorläufigen Eigenverwaltung herbeiführen. 144 § 270 Abs. 1 Nr. 5 InsO sieht – wie im eröffneten Verfahren § 272 Abs. 2 Nr. 5 InsO – eine Beendigung der vorläufigen Eigenverwaltung auch auf Antrag des Schuldners vor. Wenn schuldnerseitig keine Bereitschaft für die Durchführung des vorläufigen Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung besteht, ist eine zwangsweise Fortführung als vorläufiges Eigenverwaltungsverfahren nicht sinnvoll.240) 145 Der bisherige vorläufige Sachwalter kann auch in diesen Fällen zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt werden, § 270e Abs. 3 InsO. XIX. Besonderheiten in der Konzerninsolvenz 1.

Kooperationspflichten der (vorläufigen) Sachwalter

146 Das Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen ist am 21.7.2018 in Kraft getreten. § 270g InsO legt die Kooperationspflichten des § 269a InsO dem Schuldner auf. Aus dem Gesetzeswortlaut lässt sich nicht entnehmen, ob diese Koordinationspflichten auch in einer Konzerninsolvenz bestehen, in der mehrere (vorläufige) Sachwalter für gruppenzugehörige Schuldner bestellt wurden. In der Gesetzesbegründung findet sich zu der Frage kein Hinweis,241) es wird klargestellt, dass sich aus der Anwendung der allgemeinen Bestimmungen auch die Zulässigkeit der Bestellung eines einheitlichen Sachwalters in den Fällen ergibt, in denen bei mehreren gruppenangehörigen Unternehmen die Eigenverwaltung angeordnet wird und sich nach § 274 InsO i. V. m. § 56b InsO sich die befassten Gerichte in dieser Frage abstimmen sollen. In der Literatur wird eine Koordinationspflicht der (vorläufigen) Sachwalter für die Dauer der Eigenverwaltung im Ergebnis be___________ 238) 239) 240) 241)

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Fiebig in: HambKomm-InsO, § 271 Rz. 9; Holzer in: KPB, InsO, § 272 Rz. 38. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24818, S. 207. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24818, S. 207. Begr. RegE BT-Drucks. 18/407, S. 42.

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Rechtsstellung und Aufgaben des Sachwalters

§9

jaht, sei es aufgrund einer analogen Anwendung von § 270d InsO, sei es durch die Fortgeltung der allgemeinen Vorschriften.242) 2.

Kooperationspflichten gegenüber einem Verfahrenskoordinator

Die wichtigste Rolle bei der Abstimmung der einzelnen Insolvenzverfahren über gruppen- 147 angehörige Schuldner hat der Koordinationsverwalter auszufüllen.243) Ihm obliegt es, die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um eine Abwicklung der Verfahren dergestalt sicherzustellen, dass es nicht zu Reibungsverlusten kommt. § 269f Abs. 2 InsO sieht eine Verpflichtung der (vorläufigen) Insolvenzverwalter vor, mit dem Verfahrenskoordinator zusammen zu arbeiten. Auch ohne eine ausdrückliche Verweisung in § 270d InsO wird diese Verpflichtung auch für den jeweiligen (vorläufigen) Sachwalter der gruppenzugehörigen Schuldner bejaht.244) 3.

Antragsrechte des (vorläufigen) Sachwalters

Der Antrag auf Begründung des Gruppen-Gerichtsstands setzt einen zulässigen Eröffnungs- 148 antrag des betreffenden Schuldners voraus. Nach § 3 Abs. 3 InsO geht die Antragsbefugnis mit der Verfahrenseröffnung auf den Insolvenzverwalter über. Wird vor Verfahrenseröffnung ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das schuldnerische Vermögen übertragen wird, so geht die Antragsbefugnis auf diesen über. Gemäß § 270g Satz 2 InsO geht diese Befugnis im Falle einer Eigenverwaltung auf den Schuldner über. Der Gesetzgeber führt in der Gesetzesbegründung aus, dass dem Sachwalter die Aufgabe zukommt, die Geschäftsführung des Schuldners zu überwachen, nicht aber die Geschäftsführung selbst zu übernehmen und nach außen hin aufzutreten und deshalb viel dafürspreche, dass diesbezüglich der eigenverwaltende Schuldner in die Rechte und Pflichten des Insolvenzverwalters eintritt. Während es gemäß § 269e Satz 3 InsO ausgeschlossen ist, einen gruppenangehörigen Schuldner zum Verfahrenskoordinator zu bestellen, soll die Bestellung eines gruppenzugehörigen Sachwalters aber grundsätzlich möglich bleiben.245) Zur weitergehenden Frage eines Zustimmungsvorbehalts zugunsten des Sachwalters findet 149 sich kein Hinweis in der Gesetzesbegründung, die Frage wird von Wimmer-Amend verneint.246) Entsprechendes gilt hinsichtlich der Anträge auf Verweisung an den GruppenGerichtsstand (§ 3d Abs. 2 InsO) und Eröffnung eines Koordinationsverfahrens (§ 269d Abs. 2 Satz 2 InsO). 4.

Stellungnahme zum Koordinationsplan und Umsetzung

Das Koordinationsverfahren soll die Abstimmung der Einzelverfahren verbessern, ohne 150 die Selbstständigkeit der Einzelverfahren in Frage zu stellen. Der Koordinationsverwalter ist berechtigt, einen vom Koordinierungsgericht zu bestätigenden Koordinationsplan vorzulegen, der als Referenzplan für die auf der Ebene der Einzelverfahren, insbesondere auf der Grundlage von Insolvenzplänen, zu ergreifenden Maßnahmen dient. Der Insolvenzverwalter der gruppenzugehörigen Schuldner hat dazu Stellung zu nehmen und zu begründen, von welchen im Plan aufgeführten Maßnahmen er Abstand nehmen will, § 269i ___________ 242) Flöther/Hoffmann in: FS Kübler, 2015, S. 147, 156; Wimmer-Amend in: Wimmer, FK-InsO, § 270d Rz. 3 m. w. N. 243) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BT-Drucks. 18/407, S. 35. 244) Flöther/Hoffmann in: FS Kübler, 2015, S. 147, 156; Wimmer-Amend in: Wimmer, FK-InsO, § 270d Rz. 5. 245) Flöther/Hoffmann in: FS Kübler, 2015, S. 147, 157. 246) Wimmer-Amend in: Wimmer, FK-InsO, § 270d Rz. 9.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

InsO. Die Aufgabe wird im Falle einer Eigenverwaltung mit § 270g InsO nicht ausdrücklich zugeordnet. In der Kommentarliteratur wird sie in analoger Anwendung der §§ 270g, 269i InsO dem Schuldner zugewiesen.247) 151 Entsprechendes soll für Fälle des § 269i Abs. 2 InsO gelten, wenn die Gläubigerversammlung den Insolvenzverwalter anweist, auf der Grundlage des Koordinationsplans einen Insolvenzplan auszuarbeiten.248) XX. Praktische Zusammenarbeit 152 Die Übertragung von Aufgaben auf den Schuldner und die zahlreichen Überwachungsund Mitwirkungsrechte des Sachwalters erfordern eine professionelle Zusammenarbeit. Nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen Sachverhalte, die in einer Eigenverwaltung zu entscheiden sind, ist das Konfliktpotential zwischen beiden erheblich. Grundsätzlich muss der Schuldner in der Eigenverwaltung die Besonderheiten des Insolvenzverfahrens und seine Verantwortung gegenüber den Gläubigern pflichtgemäß umsetzen. § 1 InsO verpflichtet ihn, die Gläubiger bestmöglich zu befriedigen. Der Sachwalter hat die Umsetzung zu überwachen und die Interessen der Gläubiger zu schützen. Das Ziel der optimalen Gläubigerbefriedigung kann drastisch mit einer vom Schuldner angestrebten dauerhaften Betriebsfortführung kollidieren. Offensichtlich sind die Fälle, in denen Verluste erzielt werden. Schwieriger sind Fälle mit Risikoabwägungen über Markt und zukünftiges Kunden- oder Lieferantenverhalten. Der Sachwalter muss darauf reagieren. 153 Konflikte können sich auch an dem „richtigen“ Weg zur Sanierung entzünden. Eine übertragende Sanierung kann in vielen Fällen Vorteile gegenüber einem Insolvenzplanverfahren bieten und umgekehrt. Ist ein Insolvenzplanverfahren angedacht, hat der Schuldner möglicherweise ein Interesse daran, seine Liquidität nicht vollständig den Gläubigern zur Verfügung zu stellen, sondern für nachinsolvenzliche Geschäfte zu nutzen. Das wird ggf. sein Gesellschafter genauso sehen. Hier gilt es, eine für die Gläubiger akzeptable Lösung zu finden. Dabei können viele Gläubiger aber außer ihrem Quoteninteresse auch ein Interesse am Fortbestand des Unternehmens haben: Arbeitnehmer, Dienstleister, Lieferanten, Vermieter, sogar der PSVaG. 154 Offensichtlich werden insolvenzunerfahrene Organe auch häufig nicht in der Lage sein, die Besonderheiten des komplizierten Insolvenzrechts vollständig zu verstehen. Das gilt bspw. für den Abschluss von langfristigen Verträgen, die erhebliche Verpflichtungen begründen und im Falle einer Nichterfüllung Schadensersatzansprüche auslösen. Inhaltlich müssen Verträge dem „Standard“ des Sachwalters entsprechen und mit ihm abgestimmt werden. Dabei ist er nicht der Berater des Schuldners: Das Gesetz sieht eine beratende Tätigkeit des Sachwalters gegenüber dem Schuldner nur in den Fällen vor, in denen ein Auftrag der Gläubigerversammlung zur Erstellung eines Insolvenzplans an den Schuldner gerichtet wurde, § 284 Abs. 1 Satz 2 InsO. 155 Konfliktpotential für die Zusammenarbeit mit dem Sachwalter kann sich im Ergebnis an zahlreichen Sachverhalten entzünden, nicht zuletzt aufgrund einer persönlichen Inanspruchnahme des Schuldners durch den Sachwalter oder nahestehender Personen bis hin zur Anfechtung von Sachverhalten gegenüber den für die Fortführung des Geschäftsbetriebs erforderlichen Kunden oder Lieferanten. Bis heute ungeklärt ist bspw. auch, ob und inwieweit der Schuldner den Sachwalter über die bevorstehenden Geschäftsabschlüsse i. R. der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit nach § 275 InsO informieren muss.249) In der praktischen ___________ 247) Wimmer-Amend in: Wimmer, FK-InsO, § 270d Rz. 14. 248) Wimmer-Amend in: Wimmer, FK-InsO, § 270d Rz. 15. 249) Vgl. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 275 Rz. 15, und Holzer in: KPB, InsO, § 275 Rz. 17 ff.

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Zusammenarbeit kann daher nur ein professioneller Dialog und ein hohes Maß an Kommunikation zwischen Sachwalter und Schuldner sowie den anderen Beteiligten zum Erfolg führen (siehe auch oben § 5). Die einvernehmliche Abgrenzung der Aufgaben und Konkretisierung des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs bereits zu Beginn des Verfahrens wird viele Missverständnisse vermeiden können. Hat der Schuldner Zweifel, ob eine Maßnahme zustimmungspflichtig ist, so ist schon die Nachfrage beim Sachwalter vertrauensbildend. Regelmäßige „Jour-fixes“, am Anfang ggf. täglich, in denen der Schuldner berichtet, ge- 156 ben dem Sachwalter Gelegenheit, sich einen Überblick über das Tagesgeschäft und Sonderthemen zu verschaffen und frühzeitig seine Vorstellungen zu kommunizieren. Aus Sicht des Sachwalters liegt in der Liquiditätsplanung und deren Erfüllung einer der 157 wesentlichen Schwerpunkte im Verfahren. Der Sachwalter wird keine Erklärungen gegenüber Lieferanten und Zustimmungen zu Bestellungen abgeben, die nicht erfüllt werden können. Bei der Erstellung der Planung und ggf. einer Plan-Gewinn- und Verlustrechnung sollte der Schuldner daher große Sorgfalt anwenden. Zu optimistische Annahmen lassen schnell Zweifel an seiner Kompetenz aufkommen. Der Gesetzgeber billigte i. Ü., dass sich der Schuldner bei der Erstellung der Eigenverwaltungsplanung unterstützen oder diese zur Gänze durch Dritte erstellen lässt.250) Das schließt die Einbindung des Sachwalters bei späteren Anpassungen einer Eigenveraltungsplanung nicht aus Abweichungen in der Liquiditätsplanung müssen jedenfalls sofort dem Sachwalter gemeldet und erläutert werden. Wie bereits oben (siehe Rz. 40) ausgeführt, bietet es sich in größeren Insolvenzverfahren 158 an, Arbeitsgruppen für bestimmte Schwerpunktthemen (bspw. Liquiditätsplanung, arbeitsrechtliche Themen, Insolvenzplanerstellung, insolvenzrechtliche Steuerthemen, Kommunikation, Lieferanten und Kundenbeziehungen sowie bei Konzerninsolvenzen, für Tochtergesellschaften und internationale Themen) zu bilden und den Sachwalter oder seine Mitarbeiter hierbei einzubinden. Eine frühzeitige Abstimmung mit dem Sachwalter vermeidet spätere Überraschungen, nicht zuletzt in der Gläubigerversammlung oder im Gläubigerausschuss. Offensichtlich ist ein in Insolvenzfragen unerfahrener Schuldner mit den Fragestellungen 159 im Einzelfall überfordert. Die Eigenverwaltung ist auch kein Sanierungsinstrument im engeren Sinne. Beabsichtigt der Schuldner, sein Unternehmen zu sanieren, bedarf es der Einleitung eines Insolvenzplanverfahrens oder einer übertragenden Sanierung durch Verkauf der Aktiva und Übernahme von Mitarbeitern durch die Erwerberin oder der Übertragung auf eine zu diesem Zweck gegründete Übernahmegesellschaft, § 260 Abs. 3 InsO.251) Eine mögliche Lösung ist, die Geschäftsführung durch einen zuverlässigen und kompetenten Sanierungsspezialisten zu ergänzen, der die erforderlichen Kenntnisse für eine Sanierung mitbringt und Vertrauen bei den Gläubigern und Gesellschaftern hat. In einer Eigenverwaltung in der Ausprägung, dass die Kommunikation und Abstimmung mit dem Sachwalter im Wesentlichen über Sanierungsexperten erfolgt, werden die übrigen Manager weitgehend befreit und dem Management die Gelegenheit gegeben, sich – soweit möglich – auf das Routine-Geschäft zu konzentrieren. Das Management kann daher seinem spezifischen Aufgabenbereich nachgehen, während der Restrukturierungsexperte die Umsetzung vornimmt. Die spezifischen Fähigkeiten und Erfahrungen des Managements lassen sich so effizient nutzen. Die Aufteilung der Kompetenzen auf zwei Experten, den Eigenverwalter und den Sachwalter, kann auch einen großen Einfluss auf die Beschleunigung des ganzen Prozesses haben und Vertrauen in die Restrukturierungsstrategie des Managements aufbauen. ___________ 250) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24818, S. 204. 251) Hierzu Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 220 Rz. 24.

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§9

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

160 Letztlich fördert diese Lösung auch den professionellen Dialog zwischen dem geschäftsorientierten Eigenverwalter und dem vom Gericht bestellten Sachwalter. Mit einem restrukturierungserfahrenen Eigenverwalter sind Sachwalter und Gläubiger eher geneigt, Vertrauen in das Management und die Restrukturierungsstrategie des Managements zu entwickeln. Des Weiteren verkürzt ein professioneller Dialog erheblich die Zeit beim Austausch von Fakten und Zahlen. An dieser Lösung wurde allerdings heftige Kritik geübt, weil über den Einfluss von Banken und anderen Großgläubigern oder der Politik das Benennungsrecht des Insolvenzgerichts für einen Insolvenzverwalter gemäß § 56 InsO umgangen werden könne.252) Mit den oben (siehe Rz. 17– 21) zusammengefassten Mitwirkungsmöglichkeiten der Gläubiger und weiteren Einschränkungen durch das SanInsFoG dürfte sich diese Kritik allerdings relativiert haben.

___________ 252) Die Argumente und Gegenargumente sind zusammengefasst bei Uhlenbruck in: FS Metzeler, 2003, S. 85, 90 f., sowie Hügel, Die Eigenverwaltung als Modell zur Erhöhung der Insolvenzmasse, S. 50 ff.

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§ 10 Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung Specovius

I. Einleitung .................................................... 1 II. Zusammenspiel im Eröffnungsverfahren ...................................................... 8 1. Insolvenzverfahren....................................... 8 2. Schutzschirmverfahren .............................. 28 III. Zusammenspiel im eröffneten Insolvenzverfahren ................................... 30 1. Organisation der Tagesarbeit .................... 30 2. Abstimmung mit dem Sachwalter ............. 34 2.1 Strukturierung des Verfahrens...... 47 2.2 Implementierung von Projektgruppen .......................................... 49 2.3 Allgemeine Verfahrensabwicklung ..................................... 59

3. 4.

Einbindung externer Berater ..................... 64 Zusammenarbeit mit dem Gläubigerausschuss..................................................... 67 5. Zusammenarbeit mit Aufsichtsrat/ Beirat/Gesellschafterversammlung ........... 71 6. Zusammenarbeit im Tagesgeschäft ........... 72 IV. Konfliktpotenzial und Lösungen............ 79 V. Kommunikation mit dem Insolvenzgericht ........................................................ 87 VI. Kommunikation mit der Gläubigerversammlung ............................................. 88 VII. Checklisten ............................................... 91 VIII. Anhang: Geschäftsordnung (Muster) ... 93

Literatur: Blankenburg, Reform der Eigenverwaltung durch das SanInsFoG aus gerichtlicher Sicht, ZInsO 2021, 753; Frind, Neuregelung der Eigenverwaltung gemäß SanInsFoG: Mehr Qualität oder. „sanierungsfeindlicher Hürdenlauf“?, ZIP 2021, 171; Frind, Insolvenzordnung 2021: Überzeugendes Sanierungsrecht oder Stückwerk?, NZI 2020, 865; Hölzle, Eigenverwaltung im Insolvenzverfahren nach ESUG – Herausforderungen für die Praxis, ZIP 2012, 158; Huep, Auswirkungen des ESUG auf das Tätigkeitsfeld Insolvenzverwaltung, ZInsO 2012, 403; Klöhn, Gesellschaftsrecht in der Eigenverwaltung: Die Grenzen des Einflusses auf die Geschäftsführung gemäß § 276a Satz 1 InsO, NZG 2013, 81; Luttermann/Geißler, Rechtsbasis und Praxis einer Kultur der Unternehmenssanierung, ZInsO 2013, 1381; Pape, Erleichterung der Sanierung von Unternehmen durch Stärkung der Eigenverwaltung, ZInsO 2010, 1582; Ströhmann/Längsfeld, Die Geschäftsführungsbefugnis in der GmbH im Rahmen der Eigenverwaltung, NZI 2013, 271; Zipperer, Die Einflussnahme der Aufsichtsorgane auf die Geschäftsleitung in der Eigenverwaltung – eine Chimäre vom Gesetzgeber, Trugbild oder Mischwesen?, ZIP 2012, 1492.

I.

Einleitung

Vom gedeihlichen Zusammenwirken des Schuldners (Eigenverwalters) und des Sachwalters 1 hängt maßgeblich der Erfolg des Insolvenz(plan)verfahrens ab. Wird der Insolvenzverwalter gemeinhin als „Schlüsselfigur“ des Insolvenzverfahrens bezeichnet,1) so dupliziert sich diese Stellung bei der Eigenverwaltung. Die Anordnung der Eigenverwaltung führt zu einer Aufteilung der Kompetenzen zwischen Schuldner und Sachwalter, dessen vordringliche Aufgabe es ist, den Schuldner zu überwachen und zu unterstützen (siehe Bierbach, HRI II, § 8 Rz. 4 und Minuth, HRI II, § 9 Rz. 3 ff.). Gemäß § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO gelten für das Verfahren die allgemeinen Vorschriften und Grundsätze, soweit nichts anderes bestimmt ist. Ein Vorschlag, wie die Arbeiten zwischen Sachwalter und Eigenverwaltung, unterschieden nach vorläufigem und eröffnetem Verfahren, aufgeteilt werden können, lässt sich den unter VII. abgedruckten Checklisten entnehmen (siehe Rz. 91 f.). Ziel eines Insolvenzverfahrens ist die bestmögliche Gläubigerbefriedigung.2) Dies gilt selbst- 2 verständlich auch für Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung,3) denn dieses Verfahren dient mitnichten primär den Interessen des Schuldnerunternehmens bzw. des Schuldners. Der Schuldner unterliegt der Verpflichtung, bei seinen Rechtshandlungen das Interesse der ___________ 1) Wie Jäger schon seinerzeit in seinem Kommentar zur KO treffend feststellte. 2) Ludwig in: Braun, InsO, § 1 Rz. 2. 3) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, Vor §§ 270 ff. Rz. 3; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 31.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

Gläubigergesamtheit in den Mittelpunkt seines Handelns zu stellen und folglich nur solche Maßnahmen zu treffen, die den Zielen der InsO entsprechen. Die Einhaltung dieser Verpflichtung hat der Sachwalter zu überwachen. Zum Erreichen dieser Ziele ist eine koordinierte Planung und Organisation des Insolvenzverfahrens und insbesondere der Betriebsfortführung ebenso unerlässlich wie eine umfangreiche und konstruktive Zusammenarbeit, gerade auch bei Kompetenzkonflikten zwischen dem Unternehmen und dem vorläufigen, respektive endgültigen, Sachwalter einerseits sowie den verschiedenen, je nach Größe des Verfahrens hinzuzuziehenden, externen Beratern andererseits. 3 Durch eine Planung und geordnete Vorbereitung des Verfahrens kann der Schuldner das Heft des Handelns in der Hand behalten und nicht nur das spätere Verfahren beschleunigen, sondern darüber hinaus auch die Grundlagen für eine spätere Kommunikationsführerschaft legen, dem (vorläufigen) Sachwalter eine zügige Einarbeitung in das Unternehmen ermöglichen und für den Gang des Verfahrens wichtige Arbeiten vorbereiten.4) Ziel aller Vorbereitungshandlungen sollte die Schaffung der Voraussetzungen für eine nahtlose Betriebsfortführung im eröffneten Verfahren sein. 4 Hierzu ist es empfehlenswert, i. R. der Vorbereitung des Insolvenzverfahrens alle Unterlagen zusammenstellen zu lassen, die der vorläufige Sachwalter benötigt, um sich schnell ein Bild über das Unternehmen und seine Besonderheiten verschaffen zu können, sowie die Unterlagen zur Verfügung zu stellen, die er zur Anfertigung seines Gutachtens braucht (z. B. Bilanzen, Grundbücher, Debitorenliste, Kreditorenliste, Handelsregisterauszug, Mietverträge, Aufstellung sämtlicher Dauerschuldverhältnisse, Sicherheitenverträge, Bankunterlagen etc.). Die Geschäftsführung sollte in der Lage sein, den Sachwalter kurz und prägnant über den Sachstand des Unternehmens, die Insolvenzursachen, die beabsichtigte Restrukturierung, potenzielle Probleme und weitere wichtige Informationen in Kenntnis zu setzen. 5 Dank der Änderung der §§ 56, 274 Abs. 1 InsO durch das ESUG ist es für den Schuldner gefahrlos, bereits i. R. der Planung des Insolvenzverfahrens Kontakt zu dem späteren potenziellen Sachwalter aufzunehmen und mit diesem die Struktur des Verfahrens vorzubesprechen. Es ist dringend zu empfehlen, entsprechend zu verfahren, damit der Einstieg ins vorläufige Insolvenzverfahren möglichst reibungslos vonstatten geht. Unabhängig davon, ob der Erstkontakt zwischen Schuldner und Verwalter noch vor oder erst nach Stellung des Insolvenzantrags erfolgt, ist dieser Erstkontakt natürlich für beide Seiten extrem wichtig. Entsprechend sollte er vom Schuldner auch geplant und initiiert werden. 6 Nicht nur bei Großverfahren, sondern auch bei Verfahren mittlerer Größe, sofern sie von regionaler Bedeutung und öffentlichem Interesse sind, empfiehlt sich auch die Vorbereitung der Kommunikation mit den vom Insolvenzverfahren betroffenen Personen und Institutionen. Gerade in der Krise muss das Unternehmen um good will und aktive Unterstützung werben.5) In vorbereiteten Anschreiben an diese Stakeholder sollte u. a. auf die angestrebte Eigenverwaltung und auf die – später noch zu konkretisierende – Person des (vorläufigen) Sachwalters hingewiesen werden. Mindestens genauso wichtig wie die Vorbereitung der externen ist die der internen Kommunikation, insbesondere gegenüber den Mitarbeitern. Ratsam ist daher sowohl die Durchführung einer Betriebsversammlung unmittelbar vor Antragstellung, noch ohne Teilnahme des späteren vorläufigen Sachwalters, um die Mitarbeiter über die geplanten Schritte in Kenntnis zu setzen, sie so weit wie möglich über den voraussichtlichen Ablauf des Verfahrens und dessen Auswirkungen auf ihr Arbeitsverhältnis zu informieren und ihnen eventuelle Ängste zu nehmen, als auch die Organisation einer Betriebsversammlung gemeinsam mit dem vorläufigen Sachwalter, in der ___________ 4) v. Buchwaldt, BB 2015, 3017 ff.; Kolmann, DB 2014, 1663 ff. 5) Scheurer, ZInsO 2013, 2368, 2369 ff.

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Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung

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dieser sich vorstellen und um Vertrauen bei der Belegschaft werben kann. Hilfreich ist es auch, wenn die Insolvenzgeldvorfinanzierung bereits im Vorfeld des Verfahrens vorbereitet wurde und somit in der ersten Betriebsversammlung durch den vorläufigen Sachwalter eine zeitnahe Befriedigung der Arbeitnehmeransprüche angekündigt werden kann. In Fällen von namhafter Bedeutung sollte die Durchführung einer Pressekonferenz zusammen mit dem vorläufigen Sachwalter erwogen und organisiert werden.6) Eine kommunikative Zurückhaltung in dieser Phase führt nur dazu, dass Wettbewerber, unzufriedene Kunden und Lieferanten sowie interne Kritiker Gelegenheit zu einer interessengelenkten Kommunikation erhalten, die nicht immer fair, offen und sachlich sein muss.7) Lässt sich der Schuldner in seiner Vorbereitung von dem Ziel leiten, alle Voraussetzungen 7 für eine nahtlose Betriebsfortführung im (vorläufigen) Insolvenzverfahren zu schaffen und keine (faktische oder juristische) präjudizierende Wirkung in Bezug auf das nachfolgende eigentliche Insolvenzverfahren herbeizuführen, steht einer gedeihlichen Zusammenarbeit mit dem – ggf. von ihm mit ausgesuchten – Sachwalter nichts im Wege. II.

Zusammenspiel im Eröffnungsverfahren

1.

Insolvenzverfahren

Die Insolvenzordnung fördert die Eigenverwaltung durch folgende Regelungen:

8



Die Eigenverwaltung ist in das Eröffnungsverfahren implementiert.



Ist der Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung nicht offensichtlich aussichtslos, so soll das Gericht im Eröffnungsverfahren davon absehen, dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot aufzuerlegen, § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO, oder anzuordnen, dass alle Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind, § 270a Abs. 1 Nr. 2 InsO.



Anstelle eines vorläufigen Insolvenzverwalters wird ein vorläufiger Sachwalter bestellt.



Hat der Schuldner den Eröffnungsantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit gestellt und die Eigenverwaltung beantragt, sieht das Gericht jedoch die Voraussetzungen der Eigenverwaltung als nicht gegeben an, so hat es seine Bedenken dem Schuldner mitzuteilen und diesem Gelegenheit zu geben, den Eröffnungsantrag vor der Entscheidung über die Eröffnung zurückzunehmen, § 270a Abs. 2 InsO.

Diese Regelungen stärken das Vertrauen der am Insolvenzverfahren Beteiligten in das 9 Schuldnerunternehmen.8) Das Gericht vermittelt nach außen den Eindruck, der Eigenverwaltungsantrag sei, nach einer ersten Prüfung, nicht aussichtslos. Es ist richtig, die Eigenverwaltung in das vorläufige Verfahren vorzuziehen9) und damit der Geschäftsleitung die Kontrolle über das Unternehmen zu belassen. Die Gläubiger sind durch diese Regelungen nicht schutzlos gestellt, denn der vorläufige 10 Sachwalter kontrolliert den Schuldner über §§ 274, 275 InsO, insbesondere über das Kassenführungsrecht des § 275 Abs. 2 InsO, und kann nachteilige Verfügungen zu Lasten der Gläubiger verhindern bzw. aufdecken. Dass es kein allgemeines Verfügungsverbot gibt (§ 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO), erscheint 11 sachgerecht, da es den Schuldner faktisch aus dem Unternehmen drängen und damit eine Eigenverwaltung aussichtslos machen würde. ___________ 6) In derartigen Fällen ist m. E. die Einschaltung von PR-Spezialisten zur Koordination der internen und externen Kommunikation unabdingbar; s. ausführlich oben Frege/Nicht, HRI II, § 2. 7) Scheurer, ZInsO 2013, 2368 ff. 8) Hofmann, NZI 2010, 798. 9) Schelo, DB 2010, 2209.

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§ 10

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

12 Im Hinblick auf die Zusammenarbeit zwischen vorläufigem Sachwalter und Schuldner ist es psychologisch für den Schuldner von erheblicher Bedeutung, bereits zu Beginn des Verfahrens als eigenverwaltetes Unternehmen nach außen auftreten zu können. Hierauf ist in der Kommunikation ein Schwerpunkt zu setzen. Den Verfahrensbeteiligten muss, in Zusammenarbeit zwischen Schuldner und vorläufigem Sachwalter, die Rollenverteilung nahegebracht und verdeutlicht werden, dass bereits von Beginn des Verfahrens an die Verantwortung für die Betriebsfortführung in den Händen des Schuldners liegt. 13 Je nachdem, wie der vorläufige Sachwalter seine Rolle ausfüllt, ob als reines Kontroll- und Aufsichtsorgan oder nach wie vor, unabhängig von der Bezeichnung, als vorläufiger Insolvenzverwalter, wird er sich unterschiedlich stark in das Verfahren einbringen. An der Funktion des vorläufigen Sachwalters als „Kreditversicherer“ des Schuldners wird sich nichts ändern. Durch die Übertragung der Kassenführungsbefugnis auf ihn, wird er das Eingehen von Verbindlichkeiten maßgeblich mit beeinflussen. Er wird Bestellungen mit abzeichnen müssen, das Anderkonto führen und auf eine penible Liquiditätskontrolle bestehen. 14 Eine dem vorläufigen Sachwalter obliegende Aufgabe ist es, das Insolvenzgericht regelmäßig durch Zwischenberichte über den Stand des Verfahrens zu unterrichten und die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses sowie dessen Zusammensetzung anzuregen. 15 Dem vorläufigen Sachwalter kommen darüber hinaus noch weitere Pflichten zu, welche durch die Gesetzesreform neu in § 270c Abs. 1 InsO normiert wurden.10) Im Wesentlichen handelt es sich hierbei um Berichtspflichten, womit das Gericht den vorläufigen Sachwalter beauftragen kann. 16 Gemäß § 270c Abs. 1 InsO hat der Sachwalter die vorgelegte Eigenverwaltungsplanung dahingehend zu begutachten, ob diese von den erkannten und erkennbaren tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht, schlüssig ist und durchführbar erscheint. In der Praxis kann dies mit hohem Aufwand verbunden sein. Es wäre deshalb richtigerweise von einer Begutachtung ähnlich der eines Sachverständigen zu sprechen.11) 17 Um die genannten Voraussetzungen zu plausibilisieren, muss sich der vorläufige Sachwalter intensiv mit der Eigenverwaltungsplanung beschäftigen. Hierzu müssen ihm seitens des Unternehmens die erforderlichen Unterlagen ausgehändigt werden. Gerade zu Beginn einer vorläufigen Eigenverwaltung, in der das Unternehmen erfahrungsgemäß damit beschäftigt ist, sich aufgrund der Insolvenzantragstellung und der nun neu geltenden Regeln zu organisieren, kann das als störend empfunden werden. Dennoch sollte die Eigenverwaltung den vorläufigen Sachwalter in dieser Phase des Verfahrens unterstützend zur Seite stehen und die erbetenen Unterlagen und Dokumente zur Verfügung stellen. 18 Es ist jedoch wünschenswert, dass die Gerichte von einer derartigen Beauftragung nur in den Fällen Gebrauch machen, in denen Zweifel an der Planung bestehen, da die zusätzlichen Aufwände und Kosten sicherlich nicht in jedem Fall gerechtfertigt sein werden.12) Trotz der gerade zu Beginn eines Verfahrens auftretenden Mehrarbeit sollte die Kooperation der Eigenverwaltung mit dem vorläufigen Sachwalter in dieser Phase nicht als lästige Pflicht angesehen werden, da dieser einem gerichtlichen Auftrag nachkommt. Zu bedenken ist, dass sowohl (vorläufiger) Gläubiger(ausschuss) als auch Gericht darüber entscheiden können, ob die Aufhebung der Eigenverwaltung beantragt werden soll. Dafür benötigt es eine belastbare Informations- und Datenlage, die dann häufig der Bericht des vorläufigen Sachwalters sein wird. ___________ 10) S. hierzu auch Erbe, NZI 2021, 753 ff. 11) So auch: Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 763. 12) So auch: Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 763.

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Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung

§ 10

Ähnliches gilt für die Überprüfung der Rechnungslegung und Buchführung auf Voll- 19 ständigkeit und Geeignetheit als Grundlage für die Eigenverwaltungsplanung, insbesondere die Finanzplanung gemäß § 270c Abs. 1 Nr. 2 InsO. Die Vollständigkeit und Geeignetheit einer Buchführung zu überprüfen ist für einen Außenstehenden, wie es der vorläufige Sachwalter zu Beginn seines Amtes ist, sehr schwierig. Diese Prüfung kann sich lediglich auf die Vergangenheit beziehen, wobei der Gesetzeswortlaut vermissen lässt, für welchen zurückliegenden Zeitraum diese Prüfung stattfinden muss. Handelt es sich hierbei um eine Prüfung der Vollständigkeit im laufenden Geschäftsjahr? Die Aufgabe des vorläufigen Sachwalters kann bestenfalls darin bestehen, Gespräche mit Beteiligten, wie z. B. Steuerberatern und Buchhaltern der Schuldnerin, zu führen, sowie mit dem Ersteller der Eigenverwaltungsplanung zu sprechen und kritische Fragen zu stellen. Hier sollte die Eigenverwaltung, i. S. einer konstruktiven Zusammenarbeit, die betreffenden Personen berechtigen, die erbetenen Auskünfte zu erteilen. Gemäß § 270c Abs. 1 Nr. 3 kann das Gericht dem vorläufigen Sachwalter u. a. aufgeben, 20 Haftungsansprüche des Schuldners gegen Mitglieder der Organe der Gesellschaft zu prüfen. Da die Prüfung und Geltendmachung solcher Ansprüche gemäß § 280 InsO dem in aller Regel personenidentischen Sachwalter nach Verfahrenseröffnung ohnehin obliegt, wird eine letztliche Ausermittlung häufig erst im eröffneten Verfahren durchgeführt. Die Verortung beim vorläufigen Sachwalter ist somit konsequent und mag in Fällen, die dazu Anlass geben, auch gerechtfertigt sein. Auch hier sei aber vor einem Automatismus gewarnt, dass künftig jedem vorläufigen Sachwalter eine dementsprechende Prüfungspflicht auferlegt wird. Allerdings wird man der Eigenverwaltung, sei es den Organen der Schuldnerin oder den die Organe beratenden anwaltlichen Vertretern, die außerdem ihre Pflichten aus dem Mandatsverhältnis zu wahren haben, zumuten können, hier aktiv mitzuwirken. Gemäß § 270c Abs. 2 InsO hat der Schuldner wesentliche Änderungen, welche die Eigen- 21 verwaltungsplanung betreffen, unverzüglich dem Gericht und dem vorläufigen Sachwalter anzuzeigen. Insoweit besteht eine Bringschuld der Eigenverwaltung. Da der Wortlaut explizit auf wesentliche Änderungen betreffend die Eigenverwaltungsplanung verweist, stellt sich die Frage, ob der Gesetzgeber davon ausgeht, dass alle wesentliche Änderungen Einfluss auf die Eigenverwaltungsplanung haben oder ob es auch wesentliche Änderungen gibt, die nicht die Eigenverwaltungsplanung betreffen und somit nicht gemeldet werden müssen. Aufgrund der umfangreichen Eigenverwaltungsplanung, die aus mehreren Bestandteilen besteht (siehe oben), ist davon auszugehen, dass wesentliche Änderungen zumindest mittelbar Einfluss auf die Eigenverwaltungsplanung haben und somit stets zu berichten sind. Die Eigenverwaltung wird gut daran tun, zumindest den vorläufigen Sachwalter großzügig über Änderungen zu informieren, um einerseits das bestehende Vertrauensverhältnis nicht unnötig zu belasten und stets mit diesem abgestimmt zu sein, ob die Änderung so wesentlich ist, dass sie unverzüglich auch an das Gericht zu berichten ist. In der Konstellation des § 270c Abs. 3 Satz 2 InsO kann zugunsten des vorläufigen Sach- 22 walters ein Zustimmungsvorbehalt angeordnet werden. Dies war bislang umstritten. Nun ist dies jedoch ausdrücklich gesetzlich für die Fälle geregelt, in denen die vorläufige Eigenverwaltung nur einstweilen angeordnet wird, da dem Schuldner noch eine Frist zur Nachbesserung gesetzt wurde und diese noch nicht verstrichen ist. Hieraus folgt aber auch, dass, sofern die Nachbesserung erfolgreich abgeschlossen ist, der Zustimmungsvorbehalt aufgehoben werden muss. In dieser Übergangszeit liegt eine falsch etikettierte vorläufige Insolvenzverwaltung vor, 23 die maximal 20 Tage andauern kann (§ 270b Abs. 1 Satz 2 InsO). Wenn sich der vorläufige Sachwalter in dieser Zeit wie ein vorläufiger Insolvenzverwalter innerhalb und außerhalb des Unternehmens verhält, kann dies nicht nur zu großen Irritation bei Kunden, Liefe-

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

ranten, Arbeitnehmern und allen sonstigen Stakeholdern führen, sondern auch zu einem großen Mehraufwand auf Seiten des vorläufigen Sachwalters, der entsprechend vergütet werden sollte. Bleibt er jedoch im Hintergrund, wie es seine beschlussgemäße vorläufige Sachwalterrolle gebietet, wird er nur schwerlich seiner Rolle gerecht werden können, das Vermögen bis zu einer Entscheidung hinreichend zu sichern. Dieser Zwickmühle kann nur dadurch begegnet werden, dass mit Anordnung des Zustimmungsvorbehaltes nur sehr restriktiv verfahren wird. Im Falle einer Anordnung wird sich der Sachwalter noch enger als sonst mit dem Schuldner und der Eigenverwaltung abstimmen müssen um die die Herausforderung dieser Aufgabenstellung zu meistern. Eine solche Anordnung wird eine Herausforderung für die Kommunikation gegenüber den betroffenen Stakeholdern sein. Es wird Überzeugungsarbeit zu leisten sein, den insolvenzrechtlich unbedarften Teilnehmern des Verfahrens die einzelnen Rollen zu verdeutlichen. 24 Gemäß § 274 Abs. 2 Satz 2 InsO kann das Gericht anordnen, dass dem vorläufigen Sachwalter neben seiner reinen Überwachungstätigkeit auch unterstützende Tätigkeiten zugewiesen werden. Teilweise werden hierin ein Systembruch und die Vermischung zwischen Aufgaben der vorläufigen Sachwaltung und der Eigenverwaltung gesehen.13) Diese Kritik ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Nach der BGH-Entscheidung14), nur solche Tätigkeiten vergütungserhöhend zu berücksichtigen, welche auch durch den Gesetzgeber in seinem Verantwortungsbereich verortet sind, änderte sich die Rolle des vorläufigen Sachwalters. Positiv entwickelte sich hieraus eine klare Trennlinie zwischen Aufgaben der vorläufigen Eigen- und Sachwaltung. Diese klare Trennung droht mit der Neuregelung und Aufteilung der Aufgaben nun auch vergütungsrechtlich zu verschwimmen. 25 Da es sich hierbei nach dem Gesetzeswortlaut um eine Kann-Regelung handelt und das Gericht auch vor dem Hintergrund der Verfahrenskosten sorgfältig abwägen sollte, ob es diese Unterstützungshandlungen durch den Sachwalter anordnet, bleibt zu hoffen, dass sich die praktische Auswirkung in Grenzen hält. 26 Gemäß § 284 Abs. 1 InsO kann die Gläubigerversammlung oder der vorläufige Gläubigerausschuss einen Auftrag zur Ausarbeitung eines Insolvenzplanes sowohl an den Schuldner als auch an den vorläufigen Sachwalter richten. Wenn der Auftrag an den Schuldner gerichtet wird, so wirkt der (vorläufige) Sachwalter beratend mit. Allerdings ist dies in der Praxis nichts Neues. Auch jetzt schon wird der vorläufige Sachwalter in die Erstellung des Planes eingebunden, insbesondere, da er, in der Regel, mit den Gepflogenheiten und Anforderungen des Gerichts bestens vertraut ist und sein Know-how insoweit einbringen kann. Des Weiteren fordert das Gericht in der Regel eine Stellungnahme des Sachwalters zum Plan ein, so dass es auch insoweit hilfreich ist, den vorläufigen Sachwalter im Vorfeld einzubinden und von dessen Vorstellungen nicht erst in der Stellungnahme Kenntnis zu erhalten. 27 Die Neuerung besteht nun darin, dass auch an den vorläufigen Sachwalter der Auftrag durch den vorläufigen Gläubigerausschuss erteilt werden kann, einen Insolvenzplan auszuarbeiten. Dies trägt einerseits dem Umstand Rechnung, dass die erfolgreichen Eigenverwaltungsverfahren auch auf der Zeitachse entschieden werden und es dann häufig untauglich ist, wenn erst der Sachwalter nach Verfahrenseröffnung mit einer Planerstellung beauftragt wird. Vielmehr muss der Plan im vorläufigen Verfahren bereits vorbereitet und optimalerweise abgestimmt werden. An dieser Stelle ist jedoch anzumerken, dass es als recht untypisch anzusehen ist, dass in einer Eigenverwaltung nicht diese, sondern der (vorläufige) Sachwalter den Plan erstellt. Hinzu kommt, dass der vorläufige Sachwalter nicht personen___________ 13) Frind, ZIP 2021, 171, 177; Frind, NZI 2020, 865, 870. 14) BGH v. 22.6.2017 – IX ZB 91/15, DZWIR 2017, 529 ff.

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Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung

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identisch mit dem Sachwalter sein muss. Auch wenn es sich hierbei um einen in der Praxis ebenfalls sehr ungewöhnlichen Fall handelt, wäre denkbar, dass der vorläufige Sachwalter mit Erstellung des Planes beginnt und dieser dann von einer anderen Person in seiner Funktion als Sachwalter fertiggestellt werden muss. Dass es hierbei zu Effizienzverlusten kommen würde, ist augenscheinlich, auch wenn diese Konstellation vermutlich eine theoretische bleibt. 2.

Schutzschirmverfahren

Im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO gelten besondere Regelungen für die Eigen- 28 verwaltung (Einzelheiten siehe oben Koch/Jung, HRI II, § 5). Während des Schutzschirmverfahrens darf das Gericht weder einen vorläufigen Insolvenzverwalter noch einen Gutachter bestellen, vielmehr ist es auf die Bestellung eines Sachwalters beschränkt.15) Auch darf das Gericht nur eingeschränkt Sicherungsmaßnahmen erlassen (vgl. § 270 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 InsO) und muss umgekehrt auf Antrag des Schuldners eine bereits laufende Zwangsvollstreckung untersagen oder einstellen lassen. Durch diese Maßnahmen wird die Stellung des Eigenverwalters – vom Gesetzgeber ausdrücklich gewollt – gegenüber der des Sachwalters sehr hervorgehoben. Ausgeglichen wird diese Stärke durch die Berichtspflicht des Sachwalters über den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder eine erkennbare Aussichtslosigkeit der angestrebten Sanierung (§ 270b Abs. 3 InsO) – Umstände, die zu einer vorzeitigen Aufhebung des Schutzschirmverfahrens führen können. Die noch bis zu den Lesungen im Bundestag enthaltene Regelung, dass das Schutzschirm- 29 verfahren bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Aussichtslosigkeit der Sanierung aufzuheben sei, wurde nach heftiger Kritik dann doch noch zu Gunsten einer Ermessensregelung umgewandelt.16) Somit ist das Damoklesschwert der Aufhebbarkeit des Verfahrens zumindest abgemildert. Es bleibt abzuwarten, ob die Spruchpraxis der Gerichte die Spielräume für den Eigenverwalter offenhält. Tritt die Zahlungsunfähigkeit nicht ein und erscheint die Sanierung auch nicht aussichtslos, so ist der Eigenverwalter im Schutzschirmverfahren im Vergleich zum „normalen“ Antragsverfahren in einer weitaus besseren Position. Angesichts der nachfolgend noch zu schildernden Zustimmungsrechte etc. des Sachwalters ist dem Eigenverwalter aber auch im Schutzschirmverfahren zu empfehlen, eine enge Abstimmung mit dem Sachwalter zu suchen. III.

Zusammenspiel im eröffneten Insolvenzverfahren

1.

Organisation der Tagesarbeit

Mit der Eigenverwaltung wird die Stellung des Schuldners im Insolvenzverfahren wesent- 30 lich gestärkt. Der Schuldner ist berechtigt, unter Aufsicht eines Sachwalters, die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen, § 270 Abs. 1 InsO. In seinem Verantwortungsbereich liegt die Führung der Geschäfte, während der Sachwalter diejenigen Aufgaben übernimmt, die im Interesse der Gläubiger grundsätzlich dem Insolvenzverwalter übertragen sind.17) Diese Verfahrensgestaltung erfordert eine Aufteilung der Kompetenzen zwischen Schuldner und Sachwalter. Während die InsO für den Regelfall vorsieht, dass der Schuldner die Verwaltungs- und 31 Verfügungsbefugnis über sein Vermögen verliert (§ 80 InsO), unterbleibt dies bei der Eigenverwaltung. Der Schuldner bleibt als Eigenverwalter für die gesamte Durchführung des Verfahrens zuständig, dementsprechend setzt der Gesetzgeber dessen Kooperations___________ 15) Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1344. 16) S. zur Diskussion u. a. Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1345. 17) Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 270 Rz. 24.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

bereitschaft mit dem Sachwalter voraus. Selbst bei der Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit für bestimmte Rechtsgeschäfte (§ 277 InsO) erhält der Sachwalter kein eigenes Verfügungsrecht,18) sondern lediglich ein Mitwirkungsrecht. Wie der Insolvenzverwalter im allgemeinen Verfahren handelt der Schuldner im Eigenverwaltungsverfahren dann als Amtswalter mit gesetzlich bestimmten Rechten und Pflichten.19) Bei der Ausübung dieser Rechte und Pflichten wird er durch den Sachwalter kontrolliert und überwacht. Dies hat eine Art gemeinsame Unternehmensleitung zur Folge.20) 32 Die Aufgaben des Schuldners (Einzelheiten siehe oben Bierbach, HRI II, § 8) sind zu differenzieren in die allgemeinen Aufgaben, wie u. a. die Geschäftsführung, Arbeitgeberfunktion, Begründung von Masseverbindlichkeiten, als auch in die in den §§ 270 ff. InsO geregelten insolvenzrechtlichen Sonderaufgaben, wie das Führen des Verzeichnisses der Massegegenstände, des Gläubigerverzeichnisses, die Erstattung des Berichts zur Gläubigerversammlung, die Rechnungslegung, die Entscheidung über die Aufnahme von Prozessen nach §§ 85, 96 InsO, das feststellungshindernde Bestreiten angemeldeter Forderungen, die Entscheidung über die Fortsetzung nicht vollständig erfüllter Vertragsverhältnisse, die Verwertung von Sicherungsgut und die Verteilung der Masse. 33 Die aufgezählten Verpflichtungen setzen erheblichen insolvenzrechtlichen Sachverstand voraus. Sofern der Schuldner nicht bereits in der Planungsphase, spätestens aber mit der Eröffnung des Verfahrens, einen in der Bearbeitung von Insolvenzverfahren erfahrenen „Lotsen“ an Bord geholt hat, ist zu erwarten, dass der Sachwalter in vielen Fällen dem Schuldner Hilfestellung geben muss (siehe auch Bierbach, HRI II, § 8 Rz. 14). Daneben stehen dem Sachwalter originäre Rechte wie das Kassenführungsrecht, das Insolvenzanfechtungsrecht, die Pflicht zur Entgegennahme von Forderungsanmeldungen, die Führung der Tabelle und das Recht zur Anzeige der Masseunzulänglichkeit zu. 2.

Abstimmung mit dem Sachwalter

34 Das Eigenverwaltungsrecht des Schuldners ist unbeschränkt, aber nicht schrankenlos. Deshalb sieht die InsO in § 275 Abs. 1 Satz 1 auch vor, dass der Schuldner bei bestimmten Verbindlichkeiten, die er eingehen will, die Zustimmung des Sachwalters einholen bzw. Verbindlichkeiten nicht eingehen soll, wenn der Sachwalter widerspricht. Zustimmung i. S. dieser Vorschrift ist die Einwilligung entsprechend § 183 BGB, also die vorherige Zustimmung, nicht die nachträgliche Genehmigung gemäß § 184 BGB.21) Zwar ließe die Legaldefinition der §§ 183, 184 BGB beide Auslegungen zu, jedoch widerspräche das dem Gesetzeszweck, die Kontrolle des Sachwalters zu ermöglichen. Die Kontrolle durch den Sachwalter soll auch darin bestehen, bereits im Vorfeld die Gläubiger schädigende Verbindlichkeiten zu verhindern und nicht erst im Nachhinein diese zu kritisieren und dem Gläubigerausschuss bzw. dem Insolvenzgericht anzuzeigen. 35 Die Wirksamkeit der vom Schuldner eingegangenen, ohne Zustimmung des Sachwalters getätigten Verpflichtungen im Außenverhältnis bleibt unberührt, dafür spricht die Ausgestaltung dieser Norm als Soll-Vorschrift. Der Geschäftsverkehr soll auf die Handlungsfähigkeit des Schuldners vertrauen dürfen,22) selbst dann, wenn dem Vertragspartner des Schuldners die fehlende Zustimmung oder das Vorliegen eines Widerspruchs bekannt war.23) ___________ 18) Vgl. BGH v. 14.2.1957 – VII ZR 250/56, BGHZ 23, 307, 318. 19) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 12 m. w. N.; Riggert in: Braun, InsO, § 270 Rz. 1; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 8.13. 20) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 275 Rz. 4. 21) Kern in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 13. 22) Kern in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 18; Riggert in: Braun, InsO, § 275 Rz. 6; Brünkmans in: Kayser/ Thole, HK-InsO, § 275 Rz. 7. 23) Riggert in: Braun, InsO, § 275 Rz. 6.

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Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung

§ 10

Anders verhält es sich bei den Rechten nach §§ 120, 122, 126 InsO. Die Kündigung von 36 Betriebsvereinbarungen, Durchführung von Betriebsänderungen und Anträge im Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz sieht der Gesetzgeber als so besonders wichtig an, dass sie der Zustimmung des Sachwalters bedürfen.24) In diesen Fällen ist das Handeln des Schuldners auch im Außenverhältnis nur mit Zustimmung des Sachwalters wirksam.25) Auf Antrag der Gläubigerversammlung (§ 277 Abs. 1 InsO) oder bei Eilbedürftigkeit 37 und entsprechender Glaubhaftmachung (§ 277 Abs. 2 InsO) auf Antrag eines Gläubigers kann das Insolvenzgericht die Wirksamkeit bestimmter Rechtsgeschäfte von der Zustimmung des Sachwalters abhängig machen. Unter Beachtung von § 81 Abs. 1 Satz 2 und 3, § 82 InsO wirken solche Verfügungsbeschränkungen absolut; Vertrauensschutz wird in diesen Fällen nur in den engen Grenzen, wie sie für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geregelt sind, gewährt (ausführlich siehe Minuth, HRI II, § 9 Rz. 57 ff.). Nach § 275 Abs. 2 InsO kann der Sachwalter vom Schuldner verlangen, dass alle einge- 38 henden Gelder nur vom Sachwalter entgegengenommen werden (siehe Minuth, HRI II, § 9 Rz. 47 ff.). Hierzu bedarf es keiner gerichtlichen Anordnung, vielmehr hat der Sachwalter einen unmittelbaren Anspruch gegen den Schuldner. Es empfiehlt sich, bereits im Eröffnungsverfahren Einigkeit darüber zu erzielen, wer das Konto führen soll. Wird keine abweichende Regelung getroffen, bleibt der Schuldner in vollem Umfang verfügungsbefugt, denn der Antrag auf Eigenverwaltung lässt die Kontoinhaberschaft unberührt. Allerdings erlischt das bestehende Kontokorrentverhältnis mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens26) und es ist ein außerordentlicher Saldenabschluss durchzuführen.27) Will der Schuldner das Konto nach Anordnung der Eigenverwaltung weiterführen, bedarf es hierzu einer gesonderten Vereinbarung mit der Bank. Einer solchen bedarf es nicht, wenn der Sachwalter von seinem Recht, und dies sollte er 39 grundsätzlich zur besseren Kontrolle auch tun, Gebrauch macht, die Kassenführung an sich zu ziehen und ein entsprechendes Treuhandkonto zu eröffnen. Da diese Maßnahme nur interne Wirkung hat, kann der Schuldner im Außenverhältnis zu Dritten weiterhin wirksam leisten und Leistungen entgegennehmen.28) Soll das Konto des Schuldners also für weitere Zahlungsausgänge geschlossen werden, bedarf es einer entsprechenden Weisung seinerseits. Dies gilt grundsätzlich auch für Zahlungseingänge. Davon ist aber abzuraten. Die Bank wäre in einem solchen Fall verpflichtet, eingehende Zahlungen an den Anweisenden zurückzuüberweisen. Eine Umleitung auf das Konto des Sachwalters würde von dem Zahlungsauftrag abweichen und daher nicht erfolgen.29) Bei der Finanzierung der Betriebsfortführung ist Folgendes zu beachten: Spätestens nach 40 Anordnung der Eigenverwaltung wird die Bank in der Regel die Kredite kündigen. Ein anderes Verhalten ist ihr auch nicht zumutbar, insbesondere dann nicht, wenn sie über revolvierende Sicherheiten verfügt. Diese, wie z. B. Sicherungsübereignungen eines Warenlagers mit wechselndem Bestand oder Vorausabtretungen von Forderungen, zeichnen sich dadurch aus, dass die im Zeitpunkt der Kreditgewährung vorhandenen Sicherheiten wäh___________ 24) Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 8.17. 25) Riggert in: Braun, InsO, § 279 Rz. 3. 26) BGH v. 21.6.2005 – XI ZR 152/04, ZIP 2005, 1448, dazu EWiR 2005, 755 (Haertlein); BGH v. 15.12.2005 – IX ZR 227/04, ZIP 2006, 138, dazu EWiR 2006, 213 (Flitsch/Schellenberger); BGH v. 26.6.2008 – IX ZR 47/05, ZIP 2008, 1437, dazu EWiR 2008, 659 (D. Schulz); BGH v. 5.2.2009 – IX ZR 78/07, ZIP 2009, 673, dazu EWiR 2009, 481 (Ch. Keller). 27) BGH v. 13.11.1990 – XI ZR 217/89, ZIP 1991, 155, dazu EWiR 1991, 151 (Bülow); OLG Köln v. 19.4.2004 – 2 U 187/03, ZInsO 2004, 683. 28) Brünkmans in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 275 Rz. 7. 29) Obermüller, ZInsO 2011, 1809, 1817.

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rend der Laufzeit der Kredite ausgetauscht werden. Die Bank lässt Verfügungen über das Warenlager bzw. die Forderungen zu in der Kenntnis, wieder anderweitige Sicherheiten zu erlangen. Besteht die Einziehungs- und Verfügungsbefugnis, ist dies unproblematisch; der Kreditnehmer kann Waren verkaufen, Forderungen einziehen und neu erworbene Forderungen sowie neu eingekaufte oder produzierte Waren dem Sicherungsgut hinzuführen. Erlangt die Bank jedoch Kenntnis von dem Antrag auf Eigenverwaltung, unterliegen die neu begründeten Forderungen bzw. die neu dem Warenlager zugeführten Bestände der Anfechtung. Folglich muss die Bank, um den bestehenden Bestand an Sicherheiten zu sichern, die Einziehungs- und Veräußerungsermächtigung widerrufen. Für den Schuldner kann dies die Folge haben, dass die Finanzierung der Betriebsfortführung nicht mehr möglich ist. Die in der Praxis entwickelten Instrumente zur Finanzierung des Eröffnungsverfahrens funktionieren nicht. 41 Selbst wenn der Sachwalter einer Kreditaufnahme durch den Schuldner zustimmt, werden die neu begründeten Kredite nicht zu Masseverbindlichkeiten. Erforderlich wäre hierfür die Anordnung eines Verfügungsverbots, die bei der Eigenverwaltung jedoch gerade unterbleiben soll. In der vorläufigen Insolvenzverwaltung vereinbart die Bank in der Regel mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter, die Veräußerungsermächtigung und die Einziehungsermächtigung aufrechtzuerhalten bzw. wiederherzustellen, sofern der vorläufige Verwalter zustimmt, neue Sicherungsgegenstände und Forderungen i. H. der Abgänge als Sicherheiten dienen zu lassen, und damit eine spätere Anfechtung ausschließt.30) Scheitert damit die Betriebsfortführung durch die Eigenverwaltung? 42 Auch wenn ein allgemeines Verfügungsverbot nicht angeordnet wurde, kann sich der vorläufige Verwalter ermächtigen lassen, einzelne im Voraus spezifizierte Verpflichtungen zu Lasten der späteren Insolvenzmasse einzugehen, sofern dies für die Verwaltung erforderlich ist.31) Die dann eingegangenen Verbindlichkeiten sind Masseschulden. Diese Möglichkeit gilt auch in der Eigenverwaltung. § 270 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist nur eine Sollvorschrift und will nur den umfassenden Zustimmungsvorbehalt verhindern.32) Um die Finanzierung der Fortführung zu sichern, ist dem Schuldner daher zu empfehlen, diesen Weg der Einzelermächtigung zu gehen und mit Zustimmung des Sachwalters entsprechende (Masse-) Verbindlichkeiten zu begründen.33) 43 Unabhängig von diesen gesetzlich vorgesehenen Zustimmungserfordernissen sollte der Eigenverwalter versuchen, auch in den gesetzlich nicht vorgesehenen Fällen und gerade in Eilfällen eine Abstimmung mit dem Sachwalter herbeizuführen. Lag die Eilzuständigkeit vor der Reform häufig beim vorläufigen Insolvenzverwalter oder Sachwalter, ist aufgrund der Gesamtkonzeption des ESUG davon auszugehen, dass diese Kompetenz nunmehr auf den Eigenverwalter übergegangen ist. 44 Die unterschiedliche Aufgabenzuweisung durch das Gesetz und das gebotene Miteinander von Schuldner und Sachwalter lassen es ratsam erscheinen, gleich zu Beginn des Verfahrens und damit schon im Eröffnungsverfahren Einvernehmen über die Abgrenzung der Aufgaben herzustellen, dies schriftlich festzuhalten und Strukturen zu schaffen, die eine gedeihliche Zusammenarbeit ermöglichen,34) zumal bei Anordnung der Eigenverwaltung ___________ 30) Obermüller, ZInsO 2011, 1809, 1816. 31) BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625, dazu EWiR 2002, 919 (Spliedt); Laroche, NZI 2010, 965, 966; A. Schmidt/Roth, ZInsO 2006, 177, 180. 32) Swierczok, ZInsO 2016, 2366. 33) Swierczok, ZInsO 2016, 2366, 2370. 34) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 270c Rz. 33.

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Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung

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der Schuldner dem Sachwalter ohnehin vollumfänglich auskunfts- und mitwirkungsverpflichtet ist.35) Hat der Sachwalter die Kassenführung übernommen, ist der Schuldner nicht nur ver- 45 pflichtet, Zahlungen zu unterlassen und keine Gelder in Empfang zu nehmen, er hat darüber hinaus empfangene Gelder auszuhändigen, Drittschuldner von der Kassenführung durch den Sachwalter zu informieren und alle Erklärungen abzugeben, die notwendig sind, um dem Sachwalter die ungehinderte Kassenführung zu ermöglichen. Ausgehend von diesen Rahmenbedingungen soll nachfolgend die konkrete Zusammenar- 46 beit im Verfahren dargestellt werden. Der Verfasser hat sich dabei von eigenen Erfahrungen leiten lassen, ohne den Anspruch zu erheben, dass die beschriebene Vorgehensweise allgemeinverbindlich oder auf jeden Fall anwendbar ist. 2.1

Strukturierung des Verfahrens

Bereits in der Vorbereitung des Verfahrens sollte eine Vorstrukturierung der im Insolvenz- 47 verfahren erforderlichen Arbeiten dergestalt erfolgen, dass eine Aufgliederung nach Maßnahmentyp (z. B. Warenbestellung) und Dringlichkeit erfolgt. Nur so kann eine effektive und effiziente Abstimmung des Vorgehens im Verfahren erfolgen. Es bietet sich an, zur Koordinierung zwischen den Fachabteilungen des Schuldners und den Teams eines etwaig für die Sanierung bestellten CRO und des Sachwalters bereits vorab die Einrichtung eines Lenkungsausschusses zu planen und diesen dann im Zusammenwirken mit dem Sachwalter möglichst sofort nach Einleitung des Insolvenzverfahrens operativ zu setzen. Der Lenkungsausschuss dient dazu, die einzelnen Verfahrensschritte abzustimmen und 48 die verschiedenen Teams über die Arbeitsfortschritte informiert zu halten. Ihm sollten natürlich der Sachwalter und die Organe des Schuldners angehören. Daneben richtet sich die Zusammensetzung nach den Gegebenheiten des Einzelfalls. So können z. B. die Abteilungsleiter, eine beauftragte PR-Agentur oder ähnliche Spezialisten hinzugezogen werden. Sollte es im Unternehmen schon vor der Insolvenz ähnliche Gremien/Sitzungen geben, wie Abteilungsleiterkonferenzen oder ähnliches, können diese natürlich weiter genutzt werden. Wichtig ist dabei aber, nicht aus Versehen systemische Fehler des Unternehmens fortzuführen, sondern auf Veränderungen der Situation flexibel reagieren zu können. 2.2

Implementierung von Projektgruppen

Unterhalb der Ebene des Lenkungsausschusses empfiehlt sich die Einrichtung von Pro- 49 jektgruppen, in denen die Tagesarbeit erledigt bzw. die zur Entscheidung durch den Schuldner in Zusammenarbeit mit dem Sachwalter anstehenden Sachverhalte aufgearbeitet und zur Entscheidungsfindung vorbereitet werden. Mitglieder dieser Projektgruppen sollten Mitarbeiter des Unternehmens, aus dem Team des Sachwalters und ggf. externe Berater sein. Ziel dieser Gruppen ist auch, die unterschiedlichen Kompetenzen, die sowohl im Unternehmen als auch in dem Team des Sachwalters und den externen Beratern vorhanden sind, zu bündeln und zum Wohl des Gesamtprojekts einzusetzen. Welche Projektgruppen im Einzelfall zu bilden sind, hängt ebenso von Größe und Struk- 50 tur des jeweiligen Unternehmens ab, wie die personelle Stärke der einzelnen Gruppen. Ist die Gruppe personell zu stark besetzt, besteht die Gefahr der Unproduktivität; wird sie, gemessen an den Aufgaben, zu schwach besetzt, kann es sein, dass sie ihren Aufgaben nicht nachkommen kann. Als sachgerecht haben sich Gruppen in einer Größe von zwei bis fünf Personen herausgestellt. ___________ 35) Das ergibt sich aus dem Verweis in § 274 Abs. 2 Satz 2 auf § 22 Abs. 3 InsO. So auch Lüke in: KPB, InsO, § 97 Rz. 18; Kroth in: Braun, InsO, § 97 Rz. 4.

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51 Projektgruppe Liquiditätssteuerung: Aufgabe dieser Gruppe ist es, taggenaue Auskunft über den Stand der Liquidität und deren voraussichtliche Entwicklung in den nächsten Wochen bzw. Monaten zu geben. Entsprechende aussagekräftige Unterlagen sind der Unternehmensführung und dem Sachwalter täglich zu übermitteln. Abweichungen der Ist-Entwicklung von der Planung sind zu begründen. Die erarbeiteten Unterlagen sind ein wesentliches Instrumentarium zur Steuerung des Unternehmens. Sie können darüber hinaus als Tischvorlagen für die Sitzungen des Gläubigerausschusses und, soweit vorhanden und i. R. des Insolvenzverfahrens noch tagend, des Beirats bzw. Aufsichtsrats verwendet werden. 52 Projektgruppe Arbeitsrecht: In der Regel geht mit jeder Restrukturierung, innerhalb oder außerhalb eines Insolvenzverfahrens, ein Arbeitsplatzabbau einher. Diese Arbeitsgruppe, der neben Mitarbeiter der Personalabteilung auch insolvenzerfahrene Arbeitsrechtsanwälte angehören sollten, kann sich schon vor Eröffnung des Verfahrens mit der Organisation der Insolvenzgeldvorfinanzierung beschäftigen. Hauptaufgabe wird es sein, die Verhandlungen über den Interessenausgleich und Sozialplan mit dem Betriebsrat, aufgrund der Direktiven durch die Unternehmensleitung und den Sachwalter, zu führen und den Ausspruch der Kündigungen vorzubereiten. Sofern eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft zum Tragen kommt, können die Verhandlungen mit der Transfergesellschaft, dem Betriebsrat und den Arbeitnehmern ebenfalls an diese Arbeitsgruppe delegiert werden. Darüber hinaus kann diese Gruppe, sofern eine betriebliche Altersversorgung besteht, damit beauftragt werden, die entsprechenden Unterlagen für den Pensionssicherungsverein aufzuarbeiten, die entsprechenden Korrespondenzen mit diesem zu führen und die Einrichtung eines vorläufigen Zahlungswegs in die Wege zu leiten. 53 Projektgruppe Insolvenzplanerstellung: Dieser Kernbereich der Sanierung des Unternehmens, ohne den die Anordnung der Eigenverwaltung fast nicht vorstellbar, aber auch nicht zwingend ist, da die Eigenverwaltung auch in einem Regelinsolvenzverfahren angeordnet werden kann,36) erfordert eine eigenständige Projektgruppe. Die Hauptaufgabe liegt neben dem reinen Editieren des schriftlichen Plans darin, die dafür notwendigen Daten zu erheben bzw. von den anderen Projektgruppen i. R. gezielter Arbeitsaufträge erheben zu lassen. Da sich i. R. der Vorbereitung der Antragstellung für eine Eigenverwaltung die Übung herausgebildet hat, dass nicht nur ein Sanierungsexperte in die Geschäftsführung geholt wird, sondern dass auch der Insolvenzplan zumindest im Rohentwurf bereits bei Antragstellung vorgelegt wird (siehe Neußner/Flöther, HRI II, § 3 Rz. 150 ff.), ist diese Gruppe eigentlich schon vor Antragstellung einzurichten und in Koordination mit dem vorläufigen Sachwalter dann personell zu ergänzen. 54 Projektgruppe Planrechnung: Soll das Unternehmen i. R. des Insolvenzplanverfahrens ganz oder in Teilen fortgeführt und sollen die Gläubiger aus den künftigen Einnahmen befriedigt werden, schreibt § 229 InsO die Erstellung einer Vermögensübersicht (Planbilanz), eines Ergebnisplans (Plan-GuV) und eines Finanzplans (Plan-Liquiditätsrechnung) vor. Aufgabe dieser Arbeitsgruppe ist die Erstellung und bei Bedarf Aktualisierung dieser integrierten Planrechnung. Empfehlenswert ist, die i. R. eines Pre-Packaged-Plans erstellte Planrechnung nach Insolvenzeröffnung den ggf. sich ändernden Rahmenbedingungen anzupassen. Nur bei komplexen Verfahren ist es empfehlenswert, hier eine eigene Arbeitsgruppe zu bilden und diese nicht in die Arbeitsgruppe „Insolvenzplanerstellung“, die mehr rechtlich determiniert ist, zu integrieren. 55 Projektgruppe Öffentlichkeitsarbeit: Eine Unternehmenssanierung ohne Koordination der Öffentlichkeitsarbeit ist heute gerade bei Großverfahren schlichtweg nicht mehr denkbar – das öffentliche Gezerre um die Karstadt-Insolvenz dürfte das eindrucksvoll veran___________ 36) Obermüller, ZInsO 2011, 1809 ff., 1813.

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Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung

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schaulicht haben. Aus diesem Grund ist ab einer bestimmten Unternehmensgröße (oder bei entsprechendem Medienandrang, z. B. in Verfahren mit betroffenen Kleinanlegern) die Einrichtung einer eigenen Projektgruppe PR geboten. Projektgruppe internationale Beziehungen/internationales Insolvenzrecht: Angesichts 56 der fortschreitenden globalisierten Vernetzung der deutschen Wirtschaft dürfte es schwierig sein, heute noch eine Insolvenz über ein deutsches mittelständisches Unternehmen abzuwickeln, ohne dass internationale Beziehungen zu berücksichtigen sind. In einer Vielzahl der Fälle sind aber heute auch die Rechtsbeziehungen zu (nicht insolventen) Tochtergesellschaften im Ausland, Kunden- und Lieferantenbeziehungen im Ausland und Unternehmensfinanzierungen mit ausländischen Investoren und nach ausländischem Recht bei der Sanierung zu berücksichtigen. Es wird gerade bei größeren Fällen weder dem Eigen- noch dem Sachwalter möglich sein, selbst oder auch mit Hilfe der internen Teams solche Auslandssachverhalte professionell abzuwickeln. Deswegen werden häufig auch andere Berater und Kanzleien zugezogen. Die Erkennung, Aufarbeitung und (interne) Bearbeitung der internationalen Sachverhalte sollten in einer eigenständigen Projektgruppe gebündelt werden, die dann auch für die Auftragsvergabe an externe Berater verantwortlich ist (siehe auch Rz. 64). Projektgruppe Koordination Tochtergesellschaften: Die Konzernierung deutscher Un- 57 ternehmen ist mittlerweile – auch aufgrund steuerlicher Beratung – selbst im Mittelstand so weit fortgeschritten, dass es schon fast zum Regelfall für den Insolvenzverwalter geworden ist, quasi sofort mit der Existenz von Tochtergesellschaften konfrontiert zu werden, die vielleicht noch nicht Insolvenz angemeldet haben, weil in einem solchen Fall der Wert dieser Gesellschaften rapide abnehmen würde oder die Lieferbeziehungen zu den Kunden aufgrund von Insolvenzen mit unterschiedlichen Verwaltern in unterschiedlichen Jurisdiktionen gefährdet wären. Die (operative) Steuerung dieser Tochtergesellschaften und ihre Stabilisierung dienen wesentlich dem Werterhalt auch des insolventen Unternehmens. Auch hierfür bietet sich deswegen eine eigene Projektgruppe an. Projektgruppe Lieferanten und Kundenbeziehungen: Die Betreuung oder Abwicklung 58 von Lieferanten- oder Kundenkontakten und die enge Kommunikation mit den Kreditversicherern gehören gerade bei Handelsunternehmen in eine gesonderte Gruppe. Durch die enge Kommunikation mit den Lieferanten, auch schon im Vorfeld des Verfahrens, soll das Abreißen der Lieferkette ebenso vermieden werden wie die plötzlich „notwendige“ Preiserhöhung, das Umstellen der Zahlungsziele oder das Junktim, weitere Lieferungen erst nach Begleichung aller offenen vorinsolvenzrechtlichen Altverbindlichkeiten vornehmen zu können. Bei diesbezüglichen Verlangen können Geschäftsführung und Sachwalter die Rollenverteilung in den entsprechenden Gesprächen festlegen und die ganze Klaviatur der Verhandlungsführung spielen. Wichtig ist nur, gemeinsam das Ziel festzulegen und sich nicht auseinanderdividieren zu lassen. 2.3

Allgemeine Verfahrensabwicklung

Hierhin gehören die Tätigkeiten, die in jedem Insolvenzverfahren anfallen, aber nicht zum 59 Tagesgeschäft des Unternehmens zählen, z. B. die Führung der Insolvenztabelle, die Bearbeitung der Aus- und Absonderungsrechte, damit zusammenhängend auch die Koordination z. B. mit Lieferantenpools, Fragen betreffend Mietobjekte etc. sowie das Erstellen des Verzeichnisses der Massegegenstände, des Gläubigerverzeichnisses, der Vermögensübersicht und des Berichts zur Gläubigerversammlung (siehe zum Inhalt des Berichts Bierbach, HRI II, § 8 Rz. 104 ff.). Diesbezüglich ist eine enge Abstimmung mit dem Sachwalter empfehlenswert, damit es keine unterschiedlichen Ansichten bspw. hinsichtlich der Bewertung des schuldnerischen Vermögens gibt bzw. damit diese nicht erst in der Gläubiger-

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

versammlung i. R. der Stellungnahme des Sachwalters nach § 281 Abs. 1 Satz 2 InsO zutage treten. Da diese Aufgaben erheblichen insolvenzrechtlichen Sachverstand voraussetzen, sollte der Schuldner die Hilfe des Sachwalters entgegennehmen. 60 Wie im Regelinsolvenzverfahren steht auch in der Eigenverwaltung das Verwertungsrecht an den mit Absonderungsrechten behafteten Gegenständen, soweit ansonsten der Verwalter zur Verwertung berechtigt wäre, nicht den gesicherten Gläubigern zu, sondern dem Schuldner. Er hat sein Verwertungsrecht im Einvernehmen mit dem Sachwalter auszuüben, § 282 Abs. 2 InsO. Aus dieser Pflicht folgt, dass der Schuldner den Sachwalter vor der Durchführung der Verwertung von den beabsichtigten Verwertungsmaßnahmen informieren muss. Widerspricht der Sachwalter, ist dies für den Schuldner beachtlich und er darf die Verwertung nicht vornehmen.37) Da es sich auch bei dieser Vorschrift um eine SollVorschrift handelt, ist die Rechtshandlung des Schuldners, so er entgegen dem Widerspruch des Sachwalters handelt, im Außenverhältnis wirksam. Andererseits ist der Schuldner frei, wenn der Sachwalter aufgrund besserer Rechtskenntnisse in der Lage ist, die Absonderungsrechte festzustellen, dem Sachwalter die Feststellung und Verwertung im Wesentlichen zu überlassen, § 282 InsO als dispositives Recht steht dem nicht entgegen.38) 61 In der allgemeinen Verfahrensabwicklung kann bei der Verwertung von Sicherungsgut die Gefahr bestehen, dass der Schuldner jedenfalls das Gut, das für die Fortführung des Geschäftsbetriebs nicht benötigt wird, nicht mit der gebotenen Eile verwertet. Hier ist es Aufgabe des Sachwalters, auf eine zeitnahe Verwertung zu drängen und darauf zu achten, dass das Sicherungsgut nicht nur verwertet, sondern der Verwertungserlös separiert und nicht untrennbar mit der Masse vermengt wird. 62 Abweichend von § 178 InsO hat i. R. der Forderungsprüfung ein Widerspruch des Schuldners, der ebenso wie der Sachwalter angemeldete Forderungen bestreiten kann, die Wirkung, dass eine Forderung nicht festgestellt wird. In der Tabelle ist daher ausdrücklich zu vermerken, wer den Widerspruch erklärt hat. Für den Schuldner folgt das Widerspruchsrecht aus seiner fortbestehenden Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, für den Sachwalter entspricht es seiner Rechtsstellung als Hüter der Gläubigerinteressen. 63 Auch die Verteilung hat durch den Schuldner zu erfolgen, § 283 Abs. 2 InsO (siehe auch Bierbach, HRI II, § 8 Rz. 134). Der Sachwalter ist hierbei lediglich zur Prüfung verpflichtet. Die Prüfung der Forderungen und die Verteilung setzen eine enge Abstimmung zwischen dem Schuldner und dem Sachwalter voraus. Es handelt sich um eine Aufgabe, die nach überkommenem Verständnis von Insolvenzabwicklung eigentlich von einem neutralen Dritten durchzuführen ist; dennoch bleibt sie in der Eigenverwaltung dem Schuldner zugeordnet. Der Sachwalter kann nur dann davon ausgehen, dass der Schuldner ohne weiteres fähig ist, diesen Pflichten sachgerecht nachzukommen, wenn dieser entsprechend beruflich qualifiziert ist und die gebotene Distanz zu ggf. eigenen, früheren Erklärungen hat. Gerade bei der Verteilung der Masse ist eine erhöhte Überwachungspflicht durch den Sachwalter daher geboten. 3.

Einbindung externer Berater

64 Externe Berater sind logischerweise nicht zum schuldnerischen Unternehmen gehörende Personen, also z. B. Unternehmensberater, Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, PR-Berater, Kassenprüfer etc. Eine Zwitterstellung nehmen dabei die auch bei deutschen Verfahren mittlerweile häufig anzutreffenden „Sanierungsgeschäftsführer“ oder neu-deutsch „CROs“ (Chief Restructuring Officers) ein. Sie sind zumeist externe Berater, die aber zu___________ 37) Riggert in: Braun, InsO, § 282 Rz. 6. 38) Riggert in: Braun, InsO, § 282 Rz. 7.

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Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung

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mindest für einen begrenzten Zeitraum als Vertreter, zumeist als Organ, wie Vorstand oder Geschäftsführer, neuerdings aber auch als Generalbevollmächtigter, also Prokurist mit Sonderbefugnissen, in die Unternehmensleitung berufen werden. Vor dem Hintergrund der Zustimmungserfordernisse (siehe Rz. 34) stellt sich die Frage, 65 wer für die Beauftragung externer Berater zuständig ist. Das dürfte im Grundsatz immer das schuldnerische Unternehmen sein. Allerdings erfolgt in der Praxis zumindest bislang entweder schon die Beauftragung (i. R. eines Vertrages zugunsten Dritter) oder aber die Absicherung der Honorierung der Beraterleistungen häufig über die Gesellschafter des schuldnerischen Unternehmens. Dies hat sich in der Vergangenheit gerade bei Planverfahren als hilfreich erwiesen. Die Gesellschafter sind nämlich zumeist bereit, eine Finanzierung der für die Durchführung des Insolvenzplans erforderlichen Leistungen zu übernehmen. Mit der Beauftragung (und/oder Bezahlung) der Berater sicherten sich die Gesellschafter früher einen gewissen Einfluss auf das Insolvenzverfahren. Wie sich diese Praxis angesichts des nunmehr möglichen Debt-Equity-Swaps entwickeln wird, bleibt allerdings abzuwarten. Denn es ist schwer vorstellbar, dass ein Gesellschafter die Bezahlung der Berater übernimmt, wenn das Risiko besteht, dass er seine Gesellschaftsanteile verliert. Möglicherweise folgt das deutsche Recht den anglo-amerikanischen Entwicklungen. Dort ist es mittlerweile üblich, das Verfahren schon so weit vorzubereiten, dass der Insolvenzplan lediglich der Umsetzung dient. Im Rahmen dieser Verhandlungen werden zumeist auch schon die Kapitalanteile für die Zeit nach Verfahrensende festgelegt. Hieran anknüpfend könnte auch die Kostenverteilung in Bezug auf die Berater erfolgen. Auf der operativen Ebene ist es natürlich wichtig, die Leistungen der externen Berater 66 effektiv und effizient in den Sanierungsprozess einzusteuern. Angesichts des Zeitdrucks und der Beteiligung des Sachwalters erfordert diese an sich einfache Aufgabenstellung eine stringente Führung durch den Eigenverwalter in Abstimmung mit dem Sachwalter. Das heißt konkret, dass die Berater so beauftragt werden müssen, dass sie an den Sitzungen der jeweilig für sie relevanten Projektgruppen, ggf. auch denen des Lenkungsausschusses teilnehmen, aus den Projektgruppen heraus ihre Aufgabenstellung erhalten und an die Projektgruppe, ggf. den Lenkungsausschuss, berichten. 4.

Zusammenarbeit mit dem Gläubigerausschuss

Auch das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung ist ein gläubigerorientiertes Verfahren. Es 67 liegt daher auf der Hand, dass die Gläubiger ein gestärktes Interesse an der Kontrolle dieser Selbstverwaltungsautonomie haben. Zu Recht weist ihnen daher der Gesetzgeber die Befugnis zu, gemäß § 277 Abs. 1 InsO die ordnungsgemäße Abwicklung des Verfahrens durch Anträge abzusichern. Eine besondere Rolle kommt dem Gläubigerausschuss zu. Die frühestmögliche Einbindung 68 eines vorläufigen Gläubigerausschusses in das Verfahren ist ratsam, um einerseits die Gläubiger zeitnah in das Verfahren und die einzelnen geplanten Restrukturierungsschritte bzw. den zu erstellenden Insolvenzplan einzubinden und um andererseits die in diesem Gremium vorhandenen Kompetenzen für die Fortführung zu nutzen. Schon in der Vergangenheit wurde in der Praxis bereits im Eröffnungsverfahren ein sog. „vorläufiger vorläufiger“ Gläubigerausschuss eingesetzt. Diese praktische und sinnvolle Handhabung ist nunmehr in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO kodifiziert. Neben den in § 69 InsO normierten Aufgaben dürfte der Gläubigerausschuss nicht nur 69 die Befugnis haben, die Arbeit des Sachwalters zu begleiten und diesen zu unterstützen, sondern darüber hinaus auch eigenständig den Schuldner (und damit den Eigenverwalter)

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

zu unterstützen und zu überwachen.39) Durch ein kooperatives Miteinander von Sachwalter, Schuldner und Gläubigerausschuss lässt sich das Risiko für die Gläubiger, das teilweise im Belassen der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis beim Schuldner gesehen wird, begrenzen. In Eigenverwaltungsverfahren sollte ein Gläubigerausschuss daher regelmäßig bestellt werden, um den Gläubigern einen schnellen Zugriff auf für sie ungünstige Entwicklungen zu ermöglichen. 70 Will der Schuldner Rechtshandlungen vornehmen, die von besonderer Bedeutung sind, hat er die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen, § 276 InsO. Hier ergibt sich für den Schuldner die Frage, wann er die Zustimmung des Gläubigerausschusses und wann die des Sachwalters einholen muss, denn Rechtshandlungen von besonderer Bedeutung können gleichzeitig ungewöhnliche Verbindlichkeiten i. S. des § 275 Abs. 1 Nr. 1 InsO sein. Maßstab für die Abgrenzung zwischen der Zuständigkeit des Sachwalters und der des Gläubigerausschusses ist § 160 Abs. 2 InsO. Eine dort nicht ausdrücklich aufgeführte Rechtshandlung sollte nur dann der Zustimmungspflicht des Gläubigerausschusses unterliegen, wenn es sich um eine besonders bedeutsame Verpflichtung des Schuldners handelt, bspw. das Eingehen von Verpflichtungen für ungewöhnlich hohe Investitionen oder langfristig bindende Verträge (siehe auch Minuth, HRI II, § 9 Rz. 52 ff.).40) 5.

Zusammenarbeit mit Aufsichtsrat/Beirat/Gesellschafterversammlung

71 In der Vergangenheit ist kontrovers diskutiert worden, ob i. R. einer angeordneten Eigenverwaltung gesellschaftsrechtliche Bindungen des Geschäftsleitungsorgans bestehen bleiben sollen oder ob die Geschäftsleitung gesellschaftsrechtlichen Weisungen und Kontrollen ebenso wenig unterliegen soll wie ein Insolvenzverwalter.41) Durch § 276a InsO ist nunmehr klargestellt, dass bei der Eigenverwaltung von Gesellschaften der Aufsichtsrat, die Gesellschafterversammlung oder vergleichbare Organe keinen Einfluss auf die Geschäftsführung des Schuldners haben. Die Doppelspurigkeit der Überwachung durch insolvenzrechtliche Gremien (Gläubigerausschuss, Gläubigerversammlung) und gesellschaftsrechtliche Gremien (Aufsichtsrat, Gesellschafterversammlung) entfällt, so dass eine mögliche Schwerfälligkeit des Verfahrens vermieden wird.42) Gleichwohl ist zu empfehlen, zumindest informelle Sitzungen eines Aufsichtsrats zuzulassen, um das dort vorhandene Know-how zu nutzen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass bei der Eigenverwaltung die gesellschaftsrechtlichen Gremien nur zeitweise verdrängt werden – nach Abschluss des Insolvenzverfahrens leben ihre Ämter wieder auf.43) Zu beachten ist, dass eine entsprechende Regelung für das Eröffnungsverfahren fehlt. Nach teilweise vertretener Ansicht soll die Vorschrift bereits im Eröffnungsverfahren ab Bestellung eines vorläufigen Sachwalters Anwendung finden.44) Die wohl h. M. folgt dem nicht.45) Für diese Meinung spricht neben dem Argument der fehlenden Nennung von § 276a InsO in der Verweisungsnorm des § 270a Abs. 1 Satz 2 a. E. InsO insbesondere die fehlende Entscheidung über die Verfahrenseröffnung und dementsprechend die fehlende haftungsrechtliche Zuweisung des Schuldnervermögens an die Gläubiger als Grundlage derartig gravierender Eingriffe in die Rechte der Gesellschafter. ___________ 39) 40) 41) 42) 43) 44) 45)

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Pape in: Kölner Schrift, 3. Aufl. 2009, S. 767, 804, Rz. 71. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 276 Rz. 8. Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 276a Rz. 1; Holzer in: KPB, InsO, § 276a Rz. 11 ff. Hofmann, NZI 2010, 798, 804. Zur daraus resultierenden Kritik an dieser Regelung s. Hofmann, NZI 2010, 798, 804. Brinkmann, DB 2012, 1368; Ströhmann/Längsfeld, NZI 2013, 271, 273. Holzer in: KPB, InsO, § 276a Rz. 6; Riggert in: Braun, InsO, § 276a Rz. 3; Zipperer, ZIP 2012, 1492, 1494; Klöhn, NZG 2013, 81, 84.

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Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung 6.

§ 10

Zusammenarbeit im Tagesgeschäft

Die praktische Zusammenarbeit im Tagesgeschäft sollte natürlich so weit wie möglich den 72 oben (siehe Rz. 58) dargestellten Prinzipien folgen. Nachfolgend sind einige Bereiche hervorgehoben, die für den Erfolg der Unternehmenssanierung im Insolvenzplanverfahren in Eigenverwaltung besonders bedeutsam sind. Unabdingbare Voraussetzung für eine professionelle Betriebsfortführung in der Insolvenz 73 ist die betriebswirtschaftliche Überwachung i. R. einer integrierten Plan-, Gewinn- und Verlustrechnung. Die der Planrechnung zu unterlegenden Planprämissen sollten Schuldner und Sachwalter abstimmen und einvernehmlich festlegen. Nicht selten neigen Schuldner dazu, zu optimistische Prämissen in Ansatz zu bringen, und unterschätzen, welche Auswirkungen die Beantragung eines Insolvenzverfahrens auf die Auftragseingänge oder Zahlungsbedingungen haben kann. Der Rat des in Insolvenzverfahren erfahrenen Sachwalters ist von nicht zu unterschätzendem Wert. Planrechnungen, die ständig nach unten korrigiert werden müssen, ermutigen die Gläubiger nicht, dem Schuldner ihr Vertrauen in seine Eigenverwaltung zu schenken. Gerade in diesem Bereich werden Schuldner und Sachwalter zur Vermeidung von Nachteilen 74 für die Gläubiger besonders eng zusammenarbeiten müssen. Anhand der täglichen Kontrolle, insbesondere der Liquiditätsentwicklung, kann der Sachwalter über die Kassenführung bindend in die Geschäftsführung des Schuldners eingreifen. Voraussetzung einer vertrauensvollen Zusammenarbeit ist, dass der Eigenverwalter dem Sachwalter kontinuierlich die Liquiditätslage des Unternehmens meldet, also z. B. täglich den Liquiditätsstatus übermittelt. Neben den Banken als direkte Finanzierungsquelle stellen die Kunden- und Lieferanten- 75 beziehungen das wesentliche „Kapital“ des Unternehmens dar. Dieser Binsenweisheit muss natürlich gerade bei einer Kompetenzzuordnung an zwei Personen Rechnung getragen werden. Damit nicht der Eindruck entsteht, dass das insolvente Unternehmen unkoordiniert kollabiert, ist es wichtig, die Stakeholder-Gruppen schnell, umfassend und aus einer Hand zu informieren. Grundsätzlich sollte schriftlich und unmittelbar nach Verfahrenseinleitung informiert werden. Eine der wichtigsten Aufgaben bei der Vorbereitung der Insolvenz (neben dem Erstellen des Insolvenzplans) ist die Vorbereitung dieser Schreiben. Nichts verärgert Betroffene eines Insolvenzverfahrens mehr, als die Nachricht aus der Zeitung zu erfahren. Gerade bei wichtigen und/oder schwierigen Kunden- und Lieferantenkontakten ist neben der kurzen schriftlichen Information u. U. eine persönliche Ansprache erforderlich. Auch diese Gespräche sollten vorher, wenn nicht geprobt, so doch gut vorbereitet und zwischen Schuldner und Sachwalter abgestimmt werden, damit sie auch in der Drucksituation der Insolvenzeröffnungsphase ruhig und besonnen ablaufen. Im Verfahren ist die fortlaufende Information dieser Gläubigergruppen ebenfalls sehr wichtig. Es sollte darauf geachtet werden, neben den gesetzlich erforderlichen Pflichtmeldungen (Anschreiben zur Forderungsanmeldung, Einladung zur Gläubigerversammlung etc.) auch regelmäßig Zwischenberichte abzuliefern. Information der Mitarbeiter und arbeitsrechtliche Maßnahmen: Die Aufrechterhaltung 76 des Geschäftsbetriebs ist nur durch eine konsequente Motivierung der Mitarbeiter möglich. Diese suchen angesichts der Unternehmenskrise zu Recht Führung und Information, aber auch aktive Einbeziehung in den Sanierungsprozess. Eigen- und Sachwalter tun gut daran, diesen Anforderungen Rechnung zu tragen, also insbesondere Betriebsversammlungen gemeinsam abzuhalten und für eine einheitliche stimmige Information über die geplanten Maßnahmen zu sorgen. Zwar werden die arbeitsrechtlichen Maßnahmen in der oben (siehe Rz. 52) schon beschriebenen Projektgruppe vorbereitet, die Kommunikation und Umsetzung dieser Maßnahmen muss aber vom Eigenverwalter in enger Abstimmung mit dem Sachwalter erfolgen. Specovius

387

§ 10

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

77 Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass auch für die in einem Planverfahren durchzuführenden Erörterungs- und Abstimmungstermine Berichte durch den Schuldner vorzubereiten sind, die dem Sachwalter vorab, so sie in schriftlicher Form oder als Präsentation gefertigt werden, zur Durchsicht vorgelegt werden sollten. Anderenfalls ist zumindest der Inhalt der mündlich vorgetragenen Berichte mit ihm abzustimmen. 78 Kommunikation mit sonstigen Stakeholdern: Der Kreis der vom Insolvenzverfahren betroffenen Personen kann nicht nur bei Großverfahren erheblich größer sein als die klassisch betroffenen (Gläubiger-)Gruppen der Arbeitnehmer, Kunden, Lieferanten und Banken. So ruft bereits der durch die Insolvenzantragstellung als möglich erscheinende Abbau von Arbeitsplätzen nicht selten zumindest die lokalen Politiker auf den Plan. Je nach Branche und Regulierungsgrad derselben können auch Behörden zu Stakeholdern werden. Man denke nur an die Publizitätspflichten bei börsennotierten Gesellschaften. Die Information dieser Stakeholder sollte vor Einleitung des Verfahrens bereits vorbereitet sein und dann in Absprache mit dem Sachwalter durch den Eigenverwalter erfolgen. Das „Wie“ dieser Kommunikation hängt sehr vom Einzelfall ab; in Betracht kommen die klassische Presseerklärung, E-Mails, telefonische Unterrichtung oder persönliche Treffen. IV.

Konfliktpotenzial und Lösungen

79 Das Konfliktpotenzial zwischen Eigenverwalter und Sachwalter ist offensichtlich: Während der Eigenverwalter „im Lager“ des Unternehmens steht, ist der Sachwalter – abgesehen von der Kontrolle der Geschäftsführung – Hüter der Gläubigerinteressen im Verfahren.46) Überspitzt formuliert bedeutet dies, dass der Eigenverwalter immer eine möglichst geringe Quote für die Gläubiger anstreben wird, um die Chancen der Sanierung zu erhöhen, während der Sachwalter eine möglichst hohe Befriedigungsquote sucht. Dieser Grundkonflikt kann durch unterschiedliche strategische Ansichten, wie die Betriebsfortführung „am besten“ zu organisieren sei, und/oder durch persönliche Rivalitäten noch verstärkt werden. 80 Es ist ebenso offensichtlich, dass ein solcher Grundkonflikt, wenn nicht ausreichend ausbalanciert, den Erfolg der Betriebsfortführung und damit der gesamten Sanierung gefährdet. Unterschiedliche strategische Ansichten von Eigen- und Sachwalter werden irgendwann in abweichende Entscheidungen bezüglich bestimmter unternehmerischer Maßnahmen führen. Im Extremfall kann das bedeuten, dass der Eigenverwalter einen Insolvenzplan zur Sanierung favorisiert, während der Sachwalter eine übertragende Sanierung bevorzugt. Behält der Schuldner die Verfügungsbefugnis (so nach ESUG der gesetzlich vorgesehene Regelfall, siehe sogleich Rz. 70), so kann der Sachwalter gegen den Willen des Eigenverwalters keine von ihm favorisierte Lösung durchsetzen.47) 81 Liegt der (bislang nicht selten anzutreffende) Fall vor, dass ein Dritter (häufig der Gesellschafter) für den Fall der Zustimmung zum Insolvenzplan bereit ist, weiteres Geld in die Gesellschaft einzubringen, so wird sich das Konfliktpotenzial auf der einen Seite verringern, denn der Eigenverwalter wird häufig mit dem Segen des Dritten tätig werden und befindet sich als Vertreter des Finanziers damit in einer gewissen Machtposition. Auf der anderen Seite kann diese Konstellation aber auch vielleicht schon vorhandene Animositäten zwischen Eigenverwalter und Sachwalter verstärken. 82 Zumindest die Lösung dieses Konfliktpotenzials ist vom Gesetzgeber vorgegeben: Die Sanierung ist gemäß § 1 InsO nur dann zulässig, wenn nicht zumindest den Gläubigern hieraus die gleiche Befriedigungsquote zuteil wird wie bei einer Zerschlagung. Das Mittel der Feststellung dieser zumindest gleich hohen Befriedigungsquote – und damit der Konfliktbefriedigung – ist die Vergleichsrechnung (siehe dazu unten J. Schmidt, HRI II, § 29). ___________ 46) Vgl. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 270 Rz. 79; Riggert in: Braun, InsO, § 270 Rz. 8. 47) Bales, NZI 2008, 216, 221.

388

Specovius

Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung

§ 10

Auf ihr fußt der Insolvenzplan (der zumeist durch den Eigenverwalter schon in groben Zügen vorbereitet sein sollte, bevor der Gang zum Insolvenzgericht angetreten wird), und er sollte der zumindest objektivierte Ausgangspunkt der Tätigkeit von Eigenverwalter und Sachwalter sein. Ferner wird im gesetzlich vorgesehenen Regelfall nach § 270a Abs. 1 InsO im Eröffnungs- 83 verfahren zunächst ein vorläufiger Sachwalter bestellt. Dabei „soll“ das Insolvenzgericht nicht nur keinen starken vorläufigen Insolvenzverwalter einsetzen, sondern auch von der Bestellung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt absehen, wenn der Antrag „nicht offensichtlich aussichtlos ist“.48) Somit sieht der Gesetzgeber vor, dass der (vorläufige) Eigenverwalter über das letztliche Entscheidungsrecht verfügt, weil er weiterhin die Verfügungsbefugnis innehat. Dies stellt eine gravierende Änderung gegenüber den Regelungen vor Inkrafttreten des ESUG dar: Da die InsO bis zu diesem Zeitpunkt keine vorläufige Eigenverwaltung kannte, sondern nur die vorläufige Insolvenzverwaltung, stellte sich für das Gericht eigentlich nur die Frage, ob ein starker oder schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter zu bestellen sei. Häufig genug wurde aus verschiedenen Erwägungen heraus dann ein starker vorläufiger Verwalter bestellt – und damit die Eigenverwaltung aufgrund des zumindest zwischenzeitlichen Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis von Anfang an vereitelt.49) Eine derartige Aushöhlung der Eigenverwaltung ist nunmehr nicht mehr möglich; die Eigenverwaltung, nicht der Sachwalter, führt bereits im Eröffnungsverfahren das Unternehmen. Angesichts dieser Machtfülle des Eigenverwalters stellt sich – unabhängig vom Verfahrens- 84 stadium – dann aber die Frage, wie bei Handlungen des Eigenverwalters gegen den (ausdrücklich erklärten) Willen des Sachwalters vorzugehen ist. Zum einen kann der Sachwalter den Konflikt dem Gericht i. R. seiner Berichtspflicht anzeigen – und ggf. eine Entscheidung des Insolvenzgerichts herbeiführen bzw. bei einem Risiko der Benachteiligung der Gläubiger sogar die Aufhebung der Eigenverwaltung anregen. Als milderes Mittel kommt die Anregung an den Gläubigerausschuss in Betracht, gemäß § 277 InsO die Zustimmungsbedürftigkeit von bestimmten Rechtsgeschäften beim Insolvenzgericht zu beantragen. Da nach § 275 InsO der Sachwalter auch an sich schon bei der Eingehung von Verbindlichkeiten, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, zustimmen soll oder verlangen kann, dass alle eingehenden Zahlungen nur von ihm entgegengenommen und Zahlungen nur von ihm geleistet werden dürfen, verfügt er insgesamt über ein ansehnliches Arsenal repressiver Maßnahmen, die er einsetzen kann, zumindest wenn gegen seinen Willen (vermögensbindende oder liquiditätswirksame) Rechtshandlungen vorgenommen werden. Da letztlich fast alle Rechtshandlungen des Eigenverwalters eine gewisse Bindung des Vermögens des Schuldners hervorrufen, hat der Sachwalter zwar keine eigene aktive Gestaltungsmöglichkeit mehr, aber eine zumindest passive Vetostellung. Bei einem Dissens zwischen Sachwalter und Eigenverwalter kann Ersterer also grundsätzlich die in Frage stehende Handlung durch sein Veto stoppen. Nimmt der Eigenverwalter trotz Veto des Sachwalters eine Rechtshandlung vor, so stellt 85 sich die Frage nach der Rechtswirksamkeit solcher Maßnahmen. Bei Rechtsgeschäften, bei denen das Insolvenzgericht nach § 277 InsO die Zustimmungsbedürftigkeit angeordnet hat, ist die Zustimmung des Sachwalters konstitutiv, d. h. ohne seine Zustimmung ist die Rechtshandlung des Eigenverwalters schwebend unwirksam.50) Demgegenüber ist die Zustimmung des Sachwalters zu in § 275 Abs. 1 InsO beschriebenen Rechtsgeschäften nicht obligatorisch; ___________ 48) Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1342. 49) Bales, NZI 2008, 216, 220. 50) Kern in: MünchKomm-InsO, § 270 Rz. 153; Riggert in: Braun, InsO, § 277 Rz. 1.

Specovius

389

§ 10

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

diese Rechtsgeschäfte werden also auch ohne seine Zustimmung wirksam.51) Allerdings dürfte eine ohne Zustimmung oder sogar explizit gegen den Willen des Sachwalters eingegangene Rechtshandlung genügend Argumente für die Aufhebung der Eigenverwaltung liefern. 86 Es ist offensichtlich, dass eine die Sanierung des Unternehmensträgers bezweckende Eigenverwaltung, der die Lähmung durch auf ihre jeweiligen Rechte pochende Sachwalter und Eigenverwalter droht, nicht erfolgversprechend ist. Unabhängig von der Frage der formellen Kompetenzen wird empfohlen, schon bei Beginn des Verfahrens ein Prozedere für den Fall eines Dissenses festzulegen. Es bietet sich an, in einem solchen Fall den Gläubigerausschuss anzuhören oder von seiner Zustimmung oder Ablehnung das weitere Verhalten abhängig zu machen. Demgegenüber wird eine standardisierte Einbindung des Insolvenzgerichts nicht empfohlen, da hierdurch das Gericht zu sehr in Anspruch genommen wird und sich die Prozesse weiter verlangsamen. V.

Kommunikation mit dem Insolvenzgericht

87 Die Kommunikation mit dem Insolvenzgericht ist die ureigenste Kompetenz des Sachwalters,52) der in der überwiegenden Anzahl der Verfahren die Vertrauensperson des Gerichts ist und daher den unmittelbaren Kontakt zum Gericht hat. Er wird in der Regel bereits in der Phase des Eröffnungsverfahrens dem Gericht regelmäßige, mündliche oder schriftliche Zwischenberichte über den Ablauf des Verfahrens erstatten und die nach Eröffnung anstehenden Verfahrenstermine mit dem Gericht erörtern. Daneben trifft den Sachwalter außerhalb dieser Termine die Verpflichtung, Verfehlungen des Schuldners dem Insolvenzgericht und dem Gläubigerausschuss, ist ein solcher nicht bestellt, den Insolvenzgläubigern und absonderungsberechtigten Gläubigern, mitzuteilen (siehe auch Frege/Nicht, HRI II, § 2 Rz. 60 ff.). VI.

Kommunikation mit der Gläubigerversammlung

88 Im Regelverfahren sind gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 InsO sowohl der Schuldner als auch der Insolvenzverwalter berechtigt, an der Gläubigerversammlung teilzunehmen. Im Verfahren der Eigenverwaltung hat auch der Sachwalter zumindest ein Recht zur Teilnahme, anderenfalls könnte er seiner Verpflichtung, in der Gläubigerversammlung zum Bericht des Schuldners Stellung zu beziehen, nicht nachkommen. 89 Das Recht, eine Gläubigerversammlung einzuberufen, hat im Regelinsolvenzverfahren der Insolvenzverwalter, § 75 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Fraglich ist jedoch, wem das Initiativrecht zur Einberufung bei der Eigenverwaltung zukommt, dem Schuldner, der an die Stelle des Insolvenzverwalters tritt, oder dem Sachwalter? Diese Frage ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt; es spricht jedoch viel dafür, das Initiativrecht beim Schuldner zu verorten: Der Schuldner ist verpflichtet, die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen, wenn er Rechtshandlungen von besonderer Bedeutung für das Insolvenzverfahren vornehmen will, § 276 InsO. In den Fällen, in denen ein Gläubigerausschuss nicht besteht, muss der Schuldner die Möglichkeit haben, einen Antrag auf Einberufung einer Gläubigerversammlung zu stellen, um die Zustimmung einholen zu können. Gegen ein Initiativrecht des Sachwalters könnte § 274 Abs. 3 InsO sprechen: Eine Befugnis zur Beantragung der Einberufung einer Gläubigerversammlung sieht diese Norm nicht vor und die darin getroffenen Regelungen wären nicht nachvollziehbar, wenn der Sachwalter die Einberufung einer Gläubigerversammlung beantragen könnte. Dies spricht dafür, das Antragsrecht nach § 75 Abs. 1 Nr. 1 InsO dem Schuldner und nicht dem Sachwalter zu gewähren.53) ___________ 51) Kern in: MünchKomm-InsO, § 270 Rz. 155; Riggert in: Braun, InsO, § 275 Rz. 6. 52) Kern in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 62 ff. 53) So auch Pape in: Kölner Schrift, 3. Aufl. 2009, S. 767, 796, Rz. 52.

390

Specovius

Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung

§ 10

Unabhängig von der Rechtslage sollte in der praktischen Handhabung die Einberufung einer 90 Gläubigerversammlung durch den Schuldner i. S. einer kooperativen Zusammenarbeit nicht ohne Absprache mit dem Sachwalter erfolgen. Gemeinsam mit ihm sollte die Tagesordnung vorbereitet werden, da davon auszugehen ist, dass der Sachwalter von den Gläubigern aufgefordert wird, zu einzelnen oder allen Punkten Stellung zu beziehen. Eine rechtzeitige Absprache im Vorfeld hilft, unliebsame Überraschungen im Termin zu vermeiden. VII. Checklisten Insolvenzeröffnungsverfahren bei Fortführung Sachverhalt

Sachwaltung

Eigenverwaltung

91 Anmerkungen

A. Vorarbeiten Fortführungsplanrechnung mit Liquiditätsplan; Best- und Worst-Case-Variante

X

Fortführungsfinanzierung sicherstellen (direkt od. Liquiditätshilfe; Lieferantenpool, Banken)

X

Kundenlastschriften: Verfügung über Guthaben klären

X

X

Sachwalter bei Übernahme Kassenführung

X

Ggf. empfiehlt sich ein vom SW und EW gemeinsam verfasstes Schreiben

X

Ggf. empfiehlt sich ein vom SW und EW gemeinsam verfasstes Schreiben

Lieferantenrundschreiben

Kundenrundschreiben

Fortführungsdebitoren in FiBu neu anlegen bzw. Debitorenliste mit Neuforderungen erstellen

X

B. Insolvenzspezifische Einweisung der Abteilungen Verantwortlichkeiten festlegen/ändern

X

B. I. Einkauf Entnahmen aus Altwarenlager mit Sicherungsgläubigern klären

X

Bei EDV-gestützter Inventur: Zugänge in Altlager buchen, Abgänge lagerbezogen

X

Einweisung EV-Bearbeitung (Erfassung Exceltabelle)

X

Einweisung Bestellwesen

X

KGL (Kreditgenehmigungsliste) im Einkauf alt und neu

X

Erpressungsanschreiben Liste Erpressungskosten

X

Grds. EW, außer SW behält sich die Freigabe jeder einzelnen Zahlung vor

X

Ggf. gemeinsam mit SW wg. Anfechtung

X

Specovius

391

§ 10

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren Sachverhalt

Sachwaltung

Eigenverwaltung

Anmerkungen

B. II. Verkauf/Vertrieb Handelsvertreter: Fortsetzung oder Beendigung

X

Auftragseingangsüberwachung

X

Kalkulation (in Abstimmung mit Controlling)

X

Zahlungsziele

X

Erhaltene Anzahlungen

X

Einweisung Aufrechnungssachverhalte

X

Auslieferung klären (Speditionen!)

X

B. III. Finanz-/Lohnbuchhaltung Liste Vorkassenzahlungen zur Abgrenzung gelieferter Waren/Rechnungsstellung

X

Kreditorenabgrenzung Alt-/ Neuverbindlichkeiten in FiBu

X

Anderkonto auf neue Ausgangsrechnungen vermerken

X

Tägl. Bankkonten-Liquiditätsplan

X

Ablage Anderkonto und Belege im Betrieb

X

Vorbereitung Zahlungswesen X Insolvenzgeldvorfinanzierung

X

Ggf. gemeinsam bei Kassenführung SW und KGL des SW

X

Zahlungstermine Sozialversicherungs (SV)-Beiträge/Insolvenzgeldvorfinanzierung überwachen X

Lohnbuchhaltung einweisen – Bearbeiter für AN-Sachverhalte einschalten

X

Buchhaltung bei Fortführung – Betriebswirtschaftliches Controlling installieren

X

B. IV. Personalabteilung Checkliste AN bearbeiten

X

Erhebungsbogen AN bearbeiten lassen

X

Personalplanung

X

Urlaubsplanung

X

Arbeitszeitkonten klären

X

Lfd. Prämienzahlungen aus Lebensversicherungen der Arbeitnehmer ggf. leisten

X

Ansprechpartner für AN-Sachverhalte im Unternehmen bestimmen

X

Betriebsvereinbarungen auf nachteilige Regelungen überprüfen/verfristen auf Eröffnung

X

392

Wenn neues Konto von SW eingerichtet

Specovius

Grds. Frage, ob SV-Beiträge abgeführt werden. Aus Haftungsgründen sollte abgeführt werden. Allerdings sollten die Sozialversicherungsträger vorher bösgläubig gemacht werden

Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung Sachverhalt

Sachwaltung

Eigenverwaltung

§ 10

Anmerkungen

C. Dauerschuldverhältnisse Strom, Gas, Wasser, Tel., Müll: Anschluss- bzw. Ver- und Entsorgungsverträge zur Aufrechterhaltung anschreiben, Versorgungsverträge prüfen („Leistungsspitzen“), ggf. anpassen

X

Weiternutzung von beweglichen Miet- und Leasinggegenständen prüfen

X

Bei beweglichen u. unbeweglichen Miet- und Leasinggegenständen Kündigungssperre geltend machen, ggf. zahlen

X

D. Versicherungsverhältnisse Versicherungen bearbeiten

X

Kreditversicherung des Schuldners: Versicherungsschutz für künftige Lieferungen und Leistungen (LuL); Überwachung der Kundenmeldungen durch Einkauf

X

E. Wirtschaftliche Punkte zur Unternehmensfortführung Ggf. Betriebsänderungen einleiten, vgl. „Stilllegung“/Checkliste Liquidation

X

X

Interimsmanager einsetzen

X

Beschäftigungsgesellschaft einschalten

X

Kurzarbeit „0“ beantragen

X

Bei dauernder Fortführung prüfen: eigene Auffanggesellschaft gründen, Splitting Produktion/ Vertrieb, Teilbetriebsübertragung, Outsourcing

X

Abstimmung zwischen SW, EW und Gläubigerausschuss

F. Controlling Controlling durch Soll-Ist-Vergleich/ Flash-Info (Kurzinfo betriebswirtschaftl. Kennzahlen)

X

Leistungswirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen prüfen

X

Regelmäßiger Besprechungstermin mit Führungspersonal

X

X

hier sollte der SW einbezogen werden, um Transparenz zu gewährleisten

Eröffnetes Insolvenzverfahren Sachverhalt

Sachwaltung

Eigenverwaltung

Fristen notieren durch Sekretariat: Berichtstermin, Anmeldetermin, Niederlegungstermin, Prüfungstermin, Anfechtungsfrist

X

X

92 Anmerkungen

A. Vorarbeiten

Specovius

393

§ 10

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren Sachverhalt

Sachwaltung

Neues Anderkonto anlegen (Info an Zahlungsverkehr), bei Fortführung Konto-Zweitschriften für Unternehmen, Einweisung Ablage Belege im Unternehmen, Buchhaltung klären

X

Erweiterung Haftpflicht Sachwalter?

X

(Vorl.) Gläubigerausschuss/Versicherung (vorl.) Gläubigerausschuss? Rundschreiben an Gläubiger und Debitoren mit Beschluss und Unterlagen zur Forderungsanmeldung versenden, Versendungsprotokoll (W.P3-Report 3500) erstellen

X

X

X

Bei Fortführung Kundeninformation, Lieferanteninformation, Bankinformation Bei Fortführung Information Betriebsrat, Arbeitnehmer/Betriebsrat/Gewerkschaft

Anmerkungen

X

Bei Masseunzulänglichkeit: Zustellung Masseunzulänglichkeitsanzeige an Massegläubiger, Versendungsprotokoll – W.P3-Report 3500 – erstellen, Info an Sekretariat wegen Vermerk in IDM/W.P3 und Info an Schnittstellen Buchhaltung, Steuer, Arbeitnehmer! Presseinformation (Checkliste Gliederung Presseinformation)/ggf. weitere Presseinformation vormerken

Eigenverwaltung

X

EW und SW in Abstimmung

X X

Aktiv- und Passivprozesse: § 240 ZPO Unterbrechung mitteilen

X

EW und SW in Abstimmung

X

B. Entscheidung Art der Verwertung Art der Verwertung: Zerschlagung, Fortführung, übertragende Sanierung, Insolvenzplan

X

X

C. I. Zustimmungen Gläubigerausschuss/ -versammlung Stilllegung vor Berichtstermin

X

Veräußerung Unternehmen, Betrieb, Warenlager im Ganzen

X

Veräußerung Grundstück

X

Veräußerung Beteiligung

X

Veräußerung Recht auf Bezug wiederkehrender Leistungen

X

Zur Darlehensaufnahme mit erheblicher Massebelastung

X

Wiederaufnahme/Klageeinreichung/ Vergleichsabschluss Rechtsstreit mit erheblichem Streitwert

X

Ergänzung Tagesordnung Berichtstermin

X

Informationsschreiben an Gläubigerausschuss nach Verfahrensaufhebung

X

394

Specovius

EW und SW in Abstimmung

Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung Sachverhalt

Sachwaltung

Eigenverwaltung

§ 10

Anmerkungen

C. II. Dauerschuldverhältnisse/ Dienstverträge/Auftragsverhältnisse Rechtsanwalt, Steuerberater, Inkassobüros, Wirtschaftsprüfer: Erlöschen Auftragsverhältnis mitteilen

X

Handelsvertreter

X

Mietverträge bewegliche/unbewegliche Gegenstände Erfüllungswahl/(nach-)kündigen (bspw. Telefonanlage, Gasflaschen)

X

Abrechnung Mietkaution

X

Leasingverträge (ggf. Folgenutzung vereinbaren)

X

Kfz-Leasing: Abmeldung bei Fahrzeugrückgabe

X

Gewerbeabmeldung veranlassen

X

Strom, Gas, Wasser

X

GEZ

X

Telefonie (Festnetz, Mobil, Internet-Provider)

X

Versicherungsverträge prüfen, ggf. kündigen/ Erklärung gemäß § 103 InsO

X

Wartungsverträge/Dienstleistungsverträge (z. B. Bewachung, Beratung etc.)/sonstige

X

Gewährleistungsbürgschaften von SubUnternehmen in Insolvenzverfahren?

X

Internetprovider, -host (ggf. Denic) Vertrag übertragen/löschen

X

D. Arbeitnehmer Laufende Information an Betriebsrat/ Mitarbeiter über wesentliche Entwicklungen

X

X

Betriebsrat? Interessenausgleich, Sozialplan

X

(Abschlags-)Zahlungen auf Sozialplan prüfen

X

Betriebsvereinbarungen erheben, ggf. kündigen

X

Sonderkündigungsschutz (Schwangere, Mütter, Schwerbehinderte, Betriebsratsmitglieder, Wehrpflichtige, Zivildienstleistende, Datenschutzbeauftragte)

X

Abwicklungsmannschaft aufstellen? Verlängerung ggf. vereinbaren

X

Stammdaten erfassen lassen

X

Checkliste Kündigung bearbeiten

X

Kommunikation Arbeitnehmervertreter/ Gewerkschaften

X

X

Kündigung/Nachkündigung (auch bei bereits laufender Kündigungsschutzklage!)

X

Freistellung Arbeitnehmer

X

Rückgabe Dienstfahrzeuge, Arbeitsunterlagen, Handys, Schlüssel/Karten etc. überwachen

X

Specovius

EW und SW in Abstimmung

EW und SW in Abstimmung

395

§ 10

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren Sachverhalt

Sachwaltung

Eigenverwaltung

Nicht vergessen: Kündigung/Freistellung Vorstände, Geschäftsführer; Aufhebungsvereinbarung anbieten

X

Unterstützung Insolvenzgeldanträge im Betrieb organisieren

X

Entscheidung über Beauftragung externer Dienstleister zur Bearbeitung der Personalabrechnungen/Insolvenzgeldbescheinigungen etc.

X

X

Überwachung der Insolvenzgeldverdienstbescheinigungen

X

Überwachung des Drittantrages Insolvenzgeld bei Vorfinanzierung

X

Überwachung der Ab-/Anmeldung (neue Betriebsnummer) der Arbeitnehmer bei Sozialversicherungsträger

X

Überwachung der Übersendung der Arbeitnehmerpapiere

X

Prüfung PSV/benachrichtigen/Meldungen (Formular)

X

Betriebsrenten-Anwartschaften bis Beendigung Arbeitsverhältnis gemäß § 3 Abs. 1 Satz 4 BetrAVG berechnen und Auszahlung/ Sicherstellung klären

X

E. I. Einlageforderung Ausstehende Einlage feststellen, anfordern

X

Differenzhaftung, Unterbilanzhaftung feststellen; geltend machen

X

E. II. Immaterielle Vermögenswerte Firmenwert, sonstige nicht gewerbliche Schutzrechte, Domains (www.denic.de)?

X

Softwarelizenzen feststellen/sichern

X

Register anschreiben (www.dpma.de)

X

Schutzgebühren feststellen (Patentanwalt), ggf. zahlen

X

Drittrecht feststellen (Arbeitnehmer: § 27 ArbNErfG)

X

Immateriellen Wert/gewerbliches Schutzrecht bewerten

X

Veräußerung Firmenwert, gewerbliches Schutzrecht

X

396

Specovius

Anmerkungen

Ggf. mit Zustimmung SW, wenn dieser Kassenführung und Freigabe Bestellungen übernommen hat

Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung Sachverhalt

Sachwaltung

Eigenverwaltung

§ 10

Anmerkungen

E. III. Immobilien Grundstücksversicherung: Sachversicherung, Grundstückshaftpflichtversicherung?

X

Mitteilung der Grundstücke an Haftpflichtversicherer

X

Faktische Sicherung: Zugangsmöglichkeit, wer hat Schlüssel; Winterfestigkeit?

X

Grundstücksbewertung

X

Mieteinzug (Vorausverfügung § 110 InsO)

X

Verwertungsabrede Bank Mieteinzug, Grundstücksveräußerung

X

Bei Veräußerung: Umsatzsteueroption klären

X

Bei Zwangsversteigerungsantrag: Umsatzsteueroption klären

X

Altlasten? Sonderabfall?

X

E. IV. Bewegliches Anlagevermögen Erfassung des beweglichen Inventars/ Entscheidung über Bewertungsauftrag externer Dienstleister

X

Import des Anlagevermögens

X

Verwertungsauftrag erteilen

X

Bei Verwertung von Computern: Datensicherung/-löschung?

X

Versicherung (Kfz-Kasko, Kfz-Haftpflicht, Rauminhaltsversicherung, Hausrat?)

X

Zugangssicherung: Wo befinden sich Gegenstände? Wer hat Schlüssel (Generalschlüssel/ Tresor/Schließfach)?

X

Kraftfahrzeuge: Papiere, Schlüssel, Standort, Sicherung Kennzeichen, Stilllegung?

X

Drittrechte? (Prüfung: Sicherungsübereignung, Vermieterpfandrecht, Zubehörhaftung, Pfandrechte)

X

Erfassung der Drittrechte

X

Abrede Absonderungsberechtigte: Nutzungsentgelt, Massebeteiligung, Wertausgleich

X

Mitteilung Verwertungsabsicht an Gläubiger § 168 InsO

X

Veräußerung: Abrechnung durch Verwerter? Abrechnung mit Drittberechtigten?

X

Freigabe an Schuldner?

X

Freigabe Sicherungsgut an Gläubiger (§ 170 Abs. 2 InsO)

X

Specovius

Ggf. in Abstimmung mit SW

397

§ 10

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren Sachverhalt

Sachwaltung

Eigenverwaltung

Anmerkungen

E. V. Beteiligungen Beteiligungen erfassen (bei nat. Personen auch: Genossenschaftsbanken, Wohnungsbaugenossenschaften, Nachlässe)

X

Bewertung: Satzung prüfen bei Insolvenz des Beteiligten § 84 InsO

X

Drittrechte?

X

Veräußerung/Kündigung der Beteiligung

X

E. VI. Vorräte Inventur erstellen auf Eröffnungsstichtag

X

Im Werkvertrags-/Baubereich: Erfassen der Unfertigen, Fertigen (Aufmaß, Abnahme)

X

Feststellung Verbrauch/Abgeltung bei Aus-/ Absonderungsberechtigten

X

EV-Lieferanten Rückholung anbieten/ Wahlrecht § 103 InsO/Gutschriftseingang überwachen

X

Versicherung der Vorräte

X

Sicherung der Vorräte: Sicheres Lager? Wer hat Zugang?

X

Feststellen Drittrechte, insbesondere Eigentumsvorbehalte, Raumsicherung

X

Verkauf/Verwertung

X

Abrechnung Sicherungsgläubiger

X

Feststellen: Sondermüll/Entsorgungskosten?

X

Freigabe Sicherungsgut an Gläubiger (§ 170 Abs. 2 InsO)

X

E. VII. Forderungen (Lieferungen und Leistungen, Vermietung und Verpachtung) Debitorenliste/-unterlagen erheben

X

Info an Steuerberater, dass USt aus Altdebitoreneinzug zu erklären ist

X

Titel erheben/umschreiben lassen

X

Mahnlauf

X

Drittrecht feststellen, ggf. Einzugsabrede oder Freigabe § 170 InsO

X

Streitige Sachverhalte weiterleiten an Prozessanwälte

X

Aufnahme von Prozessen § 85 InsO

X

Aufrechnungssachverhalte prüfen, insbesondere öffentliche Auftraggeber §§ 95, 96 InsO

X

Forderungsverkauf (insbes. Sicherheitseinbehalte)

X

Ggf. Abrechnung Zessionar (USt-Belastung aus Alt-Debitoreneinzug beachten)

X

Datensicherung für Abrechnung nach § 13b UStG

X

398

Specovius

Ggf. mit SW wegen Anfechtung

Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung Sachverhalt

Sachwaltung

Eigenverwaltung

§ 10

Anmerkungen

E. VIII. Lebensversicherungen Erfassen sämtlicher Lebensversicherungen

X

Anschreiben Versicherungsgesellschaft wegen Bezugsrecht/Erstanschreiben

X

Erklärung zum Bezugsrecht abgeben

X

Drittrecht? Ggf. kündigen, einziehen, abrechnen

X

Versicherung der versicherten Person anbieten § 177 VVG

X

Abwicklung Rückdeckungsversicherung

X

Im Übrigen: Kündigung/Verkauf der Lebensversicherung vor Verfahrensabschluss sowie Sofortkündigung bei Todesfallabtretung; Prüfung: alternative Verwertungsmöglichkeit durch Verkauf

X

E. IX. Sonstige Forderungen Rückschlagsperre (§ 88 InsO)

X

Insolvenzanfechtungssachverhalte aufarbeiten und geltend machen (insb. Abtretungen u. Zwangsvollstreckungen nach Zahlungseinstellung, Erpressungssachverhalte) erfassen

X

Bankunterlagen/Kasse prüfen mindestens 4 Monate vor Antragstellung!

X

Deliktische Ansprüche/Geschäftsführerhaftung (§ 64 GmbHG)

X

Kapitalersatz; Gesellschafterdarlehen; Anspruch aus freigewordenen Gesellschaftersicherheiten

X

Gesellschafterverrechnungskonto

X

Gesamtschadenshaftung

X

Persönliche Haftung Gesellschafter, Gesellschafter GbR, oHG, KG geltend machen

X

E. X. Kasse, Bank Kasse sichern, einzahlen X

X

Maßgeblich, ob SW die Kassenführung an sich gezogen hat

X

X

Maßgeblich, ob SW die Kassenführung an sich gezogen hat

X

X

Maßgeblich, ob SW die Kassenführung an sich gezogen hat

Bankguthaben einziehen

Laufende Zahlungseingänge auf schuldnerischen Konten überwachen/Übertrag auf Massekonto F. Steuern Auftragserteilung StB wg. (USt-Erklärung/ Abschlüsse/etc.)/Überwachung Umsatzsteuer im Betrieb

X

Umsatzsteuer aus Einzug Altdebitoren als Masseverbindlichkeit zu erklären? Abzuführen?

X

Specovius

399

§ 10

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren Sachverhalt

Sachwaltung

Eigenverwaltung

Aufträge InsStB erteilen

X

OP-Listen Debitoren und Kreditoren, SuSa-Listen, Kontenblätter ausdrucken/ Datenübertrag überwachen

X

Unterlagen: aufgenommen, archiviert, gesichert? Einlagerung geklärt?

X

Einlagerung Unterlagen weiterberechnen (bei eigenem Lager)

X

Stand Jahresabschlussarbeiten überwachen

X

Anmerkungen

G. Gericht Gläubiger- und Drittschuldnerrundschreiben (Zustellungsnachweis führen) Übersendung Zustellungsnachweis zum Gläubiger-/Debitorenrundschreiben (Info Eröffnung)

X

Erstellung und Niederlegung der Verzeichnisse nach §§ 151 ff. InsO

X

Bericht erstellen und einreichen

X

Tabellen Erstellung und Niederlegung/ Forderungsprüfung

X

Gläubiger über Ergebnis Prüfungstermin informieren/Zustellung Tabellenauszüge (bei Aufforderung durch Gericht), Zustellungsnachweis führen

X

Nachträgliche Anmeldungen, weiterer Prüftermin/Zustellung Beschluss, Zustellungsnachweis führen

X

Abschließende Forderungsprüfung

X

Abrechnung Vergütung Gutachten (Frist: 3 Monate nach GA-Einreichung)

X

Abrechnung Vergütung vorläufige Sachwaltung

X

VIII. Anhang: Geschäftsordnung (Muster) 93 Muster für eine Geschäftsordnung für die (vorläufige) Eigenverwaltung zur Regelung der Zusammenarbeit zwischen dem Schuldner und dem (vorläufigen) Sachwalter. Geschäftsordnung In dem Insolvenz(eröffnungs)verfahren in Eigenverwaltung über das Vermögen der XY-AG (XYHRB […]), vertreten durch den Geschäftsführer XXX, wird – als Grundlage einer kooperativen Zusammenarbeit – zur Abstimmung und Koordination der verschiedenen Aufgaben und des Informationsaustausches zwischen der Schuldnerin und dem (vorläufige) Sachwalter folgendes vereinbart: 1. Kassenführung Der (vorläufige) Sachwalter sieht davon ab, von der Schuldnerin gemäß § 275 Abs. 2 InsO zu verlangen, dass alle eingehenden Gelder nur von ihm entgegengenommen und Zahlungen nur

400

Specovius

Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung

§ 10

von ihm geleistet werden. Diese Erklärung kann vom (vorläufige) Sachwalter jederzeit widerrufen werden. Die Schuldnerin hat zur Entgegennahme eingehender Gelder und für zu leistende Zahlungen ein Konto bei der […] Bank AG (IBAN: DE […]) eingerichtet. Die Schuldnerin verpflichtet sich, ihren gesamten elektronischen Zahlungsverkehr ab dem […] ausschließlich über dieses Konto abzuwickeln. Der (vorläufige) Sachwalter kann jederzeit Einsicht in die Kontoauszüge und den aktuellen Kontostand nehmen. Hierzu übermittelt die Schuldnerin dem (vorläufige) Sachwalter wöchentlich die elektronischen Umsatzübersichten aus dem e-banking. 2. Abgrenzung zwischen Rechtsgeschäften und Verbindlichkeiten im Rahmen des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes und außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes Rechtsgeschäfte außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs werden vor deren Eingehen mit dem (vorläufige) Sachwalter abgestimmt und nur vorgenommen, wenn der (vorläufige) Sachwalter dem zustimmt. Rechtsgeschäfte bzw. Verbindlichkeiten außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes gemäß § 275 Abs. 1 Satz 1 InsO sind insbesondere: 

Investitionen in das Anlagevermögen;



Marketingmaßnahmen, die den in der Liquiditätsplanung vorgesehen monatliche Marketingaufwand um mehr als 10 % überschreiten;



Begründung von Dauerschuldverhältnissen;



Belastung von Vermögenswerten als Sicherheiten;



Veräußerung von Beteiligungen;



Abschluss von Beratungsverträgen (z. B. zur Vorbereitung eines Insolvenzplans);



Abschluss von Provisionsvereinbarungen;



Darlehensaufnahme;



Abschluss eines Sozialplans;



Abschluss von Haftpflichtversicherungen;



Zahlungen zur Abgeltung von Drittrechten (z. B. Pfandrechte, Eigentumsvorbehalt, Zurückbehaltungsrechte);



Bestellungen, die den in der Liquiditätsplanung vorgesehen wöchentlichen Wareneinkauf um mehr als 10 % überschreiten.

3. Liquiditätsplanung Die Schuldnerin erstellt gemeinsam mit dem (vorläufigen) Sachwalter eine Liquiditätsplanung auf Wochenbasis, die die Besonderheiten des Insolvenzverfahrens berücksichtigt. Die Planung wird wöchentlich, jeweils montags, dem (vorläufige) Sachwalter zugeleitet. 4. Verbindlichkeiten a) Verfahren bei Eingehung von Verbindlichkeiten Für das Verfahren zur Eingehung von Verbindlichkeiten gilt zwischen den Parteien bis auf weiteres nachstehende Regelung: (1) Die einzugehende Verbindlichkeit/Auftrag wird von der jeweils betroffenen Fachabteilung der Schuldnerin in Schrift- oder Textform vorbereitet. Hierbei sind die Höhe der einzugehenden Verbindlichkeit und die jeweilige Vertragspartnerin zu bezeichnen. Specovius

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§ 10

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

Anschließend wird der Auftrag dem Einkauf und der Buchhaltung zugeleitet. Die Verbindlichkeit/der Auftrag ist in die Bestell-Obligo-Liste (Vorlage als Anlage) einzutragen. (2) Nach Übergabe prüfen die Buchhaltung und der Einkauf die Vereinbarkeit der einzugehenden Verbindlichkeit mit der für das Verfahren erstellten Liquiditäts- und Ergebnisplanung und leitet sie hiernach an XXX zur Genehmigung weiter. (3) XXX gibt die einzugehende Verbindlichkeit/Auftrag bei Vereinbarkeit mit der jeweils aktuellen Liquiditätsplanung mittels Stempel/Unterschrift/E-Mail frei und leitet sie freigegeben an den Einkauf. Die Freigabe wird von XXX in der Bestell-Obligo-Liste ebenfalls vermerkt. (4) Der Einkauf löst die Bestellung gegenüber dem Vertragspartner aus. Sobald die Rechnung des Vertragspartners vorliegt, wird diese ebenfalls in der Bestell-Obligo-Liste eingetragen. Letztlich wird dort auch eine erfolgte Zahlung auf die Rechnung vermerkt. (5) Die Bestell-Obligo-Liste wird dem (vorläufige) Sachwalter wöchentlich per E-Mail übersandt. b)Verbindlichkeiten im Rahmen des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes Die Schuldnerin ist gemäß § 275 Abs. 1 Satz 2 InsO berechtigt, Verbindlichkeiten, die im Rahmen des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes begründet werden, einzugehen. Diese Verbindlichkeiten werden durch die Schuldnerin in der Bestell-Obligo-Liste erfasst. Soweit der (vorläufige) Sachwalter oder ein Vertreter des (vorläufige) Sachwalters einer Bestellung widerspricht, werden die Widersprüche erörtert. Gleichgelagerte Sachverhalte werden zukünftig nicht mehr als Verbindlichkeit des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes geführt, sondern als außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes liegende Vorgänge eingeordnet. c) Verbindlichkeiten außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes Verbindlichkeiten außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes werden, soweit die Entscheidung aufgeschoben werden kann, einmal wöchentlich zwischen dem (vorläufigen) Sachwalter oder einem Vertreter des (vorläufigen) Sachwalters und der Eigenverwaltung besprochen. Sollte die Entscheidung über die Eingehung der Verbindlichkeiten nicht aufgeschoben werden können, ist dies von der Schuldnerin entsprechend per E-Mail anzuzeigen. Die Kundgabe der Erklärung des (vorläufigen) Sachwalters hinsichtlich einer solchen unaufschiebbaren Entscheidung erfolgt dann möglichst nach der Anzeige durch die Schuldnerin am darauffolgenden Tag. Die Verbindlichkeiten außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes werden erst nach Genehmigung des (vorläufige) Sachwalters durch die Schuldnerin ausgelöst und ebenfalls in die Bestell-Obligo-Liste eingetragen. d) Verbindlichkeiten im Eröffnungsverfahren Sollen im Eröffnungsverfahren Verbindlichkeiten begründet werden, die im eröffneten Insolvenzverfahren Masseverbindlichkeiten darstellen sollen, hat die Schuldnerin in geeigneter Weise dafür Sorge zu tragen, dass auch diese Verbindlichkeiten beglichen werden dürfen. 5. Zahlungen Für das Verfahren zur Freigabe von zu leistenden Zahlungen gilt zwischen den Parteien bis auf weiteres nachstehende Regelung: (1) Die zu begleichende Eingangsrechnung wird von der jeweils betroffenen Fachabteilung der Schuldnerin auf ihre sachliche und rechnerische Richtigkeit geprüft und anschließend mit einem entsprechenden Vermerk der schuldnerischen Buchhaltung zugeleitet.

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Specovius

Zusammenspiel von Schuldner und Sachwalter bei der Betriebsfortführung

§ 10

(2) Nach Übergabe prüft die schuldnerische Buchhaltung die Vereinbarkeit der zu begleichenden Rechnung mit der für das Eigenverwaltungsverfahren erstellten Liquiditätsplanung und leitet sie hiernach an XXX zur Prüfung, ob es sich um eine Insolvenzforderung handelt, die dann nicht bezahlt werden dürfte. (3) Bei Genehmigung durch XXX erfolgen die Zahlung und die Aufnahme in die Insolvenzbuchhaltung. (4) Innerhalb der ersten vier Wochen der Betriebsfortführung müssen sämtliche durch die Schuldnerin zu zahlenden Rechnungen zunächst durch XXX vorgeprüft und freigezeichnet werden bevor sie hiernach an den (vorläufige) Sachwalter zur endgültigen Freigabe weitergeleitet werden. Nach Ablauf von vier Wochen ist die Schuldnerin berechtigt, nach vorheriger Freizeichnung durch XXX, Rechnungen in Höhe von bis zu […] €, max. bis zu […] € monatlich, zu begleichen, ohne dass es ebenfalls einer vorherigen Zustimmung des (vorläufigen) Sachwalters bedarf. (5) Zahlungen aus der Barkasse für Leistungen ab dem […] sind bis zu einem Volumen von […] € genehmigt. Darüber hinausgehende Zahlungen sind XXX und dem (vorläufige) Sachwalter zur Genehmigung vorzulegen. 6. Insolvenzgeldvorfinanzierung Die Insolvenzgeldvorfinanzierung wird mit Unterstützung und in Abstimmung mit dem (vorläufige) Sachwalter durch die Schuldnerin veranlasst. 7. Generelle Kommunikation Es wird wöchentlich mindestens eine Besprechung zwischen dem (vorläufige) Sachwalter oder dessen Vertreter(n) und den Vertretern der Schuldnerin stattfinden, um sich über den Fortgang des Verfahrens abzustimmen. Diese wöchentliche Besprechung kann auch per Telefonkonferenz durchgeführt werden. Es wird jeweils durch die Schuldnerin und durch den (vorläufige) Sachwalter sichergestellt, dass ein kompetenter und handlungsfähiger Ansprechpartner für dieses gemeinsame Gespräch zur Verfügung steht. 8. Herausgabe von Gegenständen bzw. Fahrzeugen Die Vertragsparteien sind sich darüber einig, dass im Besitz der Schuldnerin befindliche Gegenstände, insbesondere Fahrzeuge, ohne vorherige Abstimmung mit dem (vorläufige) Sachwalter nicht herausgegeben werden. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein möglicher Herausgabeanspruch aufgrund eines berechtigten Aussonderungsrechtes grundsätzlich erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bedient werden kann. Zu gegebener Zeit werden die Vertragsparteien gegebenenfalls auf die Anordnung weiterer Sicherungsmaßnahmen, insbesondere solcher gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 5 InsO, hinwirken. 9. Laufzeit dieser Vereinbarung Die Vereinbarung läuft für die Dauer der angeordneten (vorläufigen) Eigenverwaltung. Sie ist seitens des (vorläufigen) Sachwalters jederzeit aufgrund eines Pflichtverstoßes gegen die vorstehenden Bestimmungen mit sofortiger Wirkung kündbar. Die Vertragsparteien sind sich ferner darüber einig, dass die vorstehende Vereinbarung den (vorläufige) Sachwalter nicht einschränkt, gegebenenfalls weitere Sicherungsmaßnahmen, insbesondere auch die vorläufige Insolvenzverwaltung, beim Amtsgericht Verden, anzuregen.

Specovius

403

§ 10

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

10. Sonstiges Die Schuldnerin verpflichtet sich, den (vorläufige) Sachwalter über alle wesentlichen Ereignisse unverzüglich zu unterrichten. Die Angemessenheit der vorgenannten Regelungen wird von den Parteien regelmäßig überprüft und diese Regelungen gegebenenfalls neu gefasst. Die beigefügten Anlagen stellen einen integralen Bestandteil dieser Vereinbarung dar. Jede Bezugnahme auf diese Vereinbarung schließt neben dem Vertragstext auch die Anlagen mit ein. Es bestehen keine mündlichen Abreden. Etwaige Änderungen der Vereinbarung bedürfen ebenso wie etwaige Ergänzungen der Schriftform. Dies gilt auch hinsichtlich einer etwaigen Änderung dieser Schriftformklausel. Datum […] ………………………………. (vorläufiger) Sachwalter

………………………………… XXX als Geschäftsführer

………………………………… Verfahrensbevollmächtigter für die XY-AG Anlagen

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§ 11 Mitwirkung des Gläubigerausschusses Ampferl

I.

Grundlagen der Tätigkeit des Gläubigerausschusses .......................................... 1 1. Gläubigerautonomie in der Eigenverwaltung.......................................................... 1 2. Einsetzung eines Gläubigerausschusses nach Verfahrenseröffnung ........................... 8 3. Innere Organisation und Beschlussfassung ........................................................ 15 4. Vergütung ................................................... 19 II. Verhältnis des Gläubigerausschusses zu den anderen Verfahrensbeteiligten ... 22 III. Die Anwendung des § 69 InsO bei der Eigenverwaltung................................. 26 1. Grundlagen ................................................. 26 2. Bezugsperson der Unterstützungsund Überwachungspflichten ..................... 27 3. Unterstützungs- und Überwachungspflicht.......................................................... 29 4. Kassenprüfung............................................ 32 IV. Verfahrensrechtliche Maßnahmen bei fehlender Ausrichtung des Verfahrens am Gläubigerinteresse ................ 34

1.

Anzeigepflicht des Sachwalters gemäß § 274 InsO .................................................. 34 2. Verfahrensrechtliche Maßnahmen ............ 36 V. Mitwirkungserfordernis bei Rechtshandlungen von besonderer Bedeutung (§ 276 InsO)...................................... 37 1. Generalklausel/Verhältnis zur Sachwalterzustimmung...................................... 39 2. Regelbeispiele zustimmungsbedürftiger Rechtshandlungen................................ 42 3. Abstrakte Zustimmungserteilung ............. 45 4. Prüfungsmaßstab des Gläubigerausschusses....................................................... 46 5. Zustimmung des Gläubigerausschusses.... 48 6. Vorläufige Untersagung einer vom Gläubigerausschuss gebilligten Rechtshandlung.......................................... 51 7. Rechtsfolgen fehlender Zustimmung des Gläubigerausschusses .......................... 52 VI. Haftungsfragen ......................................... 55

Literatur: Brinkmann, Die Auflösung des Gläubigerausschusses durch die Gläubigerversammlung, ZIP 2019, 241; Ganter, Die Haftung der Mitglieder des Gläubigerausschusses, in: Festschrift für Gero Fischer, 2008, S. 121; Graf-Schlicker, Das Prinzip der Gläubigerautonomie in der Insolvenzordnung – Königsweg oder Sackgasse, in: Festschrift für Stefan Smid, 2022, S. 133; Ingelmann/Ide/ Steinwachs, Vorschlag einer Mustersatzung des Gläubigerausschusses, ZInsO 2011, 1059; Keller, U., Die Vergütung der Mitglieder des Gläubigerausschusses – Fragen zur praktischen Anwendung des § 17 InsVV, DZWIR 2022, 123; Mock, Gläubigerausschuss: Austritt, Ausschluss, Auflösung, ZInsO 2019, 1991; Schmidt, N. M., Die Interessenkollision eines Gläubigerausschussmitglieds, ZInsO 2018, 2457; Zimmer, Die Vergütung der Mitglieder des Gläubigerausschusses, ZIP 2013, 1309.

I.

Grundlagen der Tätigkeit des Gläubigerausschusses

1.

Gläubigerautonomie in der Eigenverwaltung

Zweck des Eigenverwaltungsverfahrens ist die bestmögliche Gläubigerbefriedigung. Die 1 Gläubiger, die über die Quote wirtschaftlich den Erfolg oder Misserfolg des Verfahrens zu tragen haben, sind daher an den grundlegenden Entscheidungen des Verfahrens zu beteiligen („Gläubigerautonomie“).1) Das Konzept der Gläubigerautonomie hat allerdings seine Grenzen. Der Gesetzgeber geht zwar davon aus, dass die Gläubiger sich für die bestmögliche marktkonforme Verwertungslösung entscheiden werden.2) Der einzelne Gläubiger hat aber gar kein Interesse an der bestmöglichen Befriedigung aller, sondern nur an der bestmöglichen Befriedigung seiner eigenen Forderung. Beide Zielrichtungen können deckungsgleich sein, müssen es aber nicht. Kritiker befürchten ein von den Hauptgläubigern gesteuertes Verfahren – etwa wenn diese im Vorfeld auf einen ihnen wohlgesonnenen Gläubigeraus___________ 1) 2)

Pape in: Uhlenbruck, InsO, § 1 Rz. 3; Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 74 Rz. 1 – 4; Ehricke in: MünchKommInsO, § 74 Rz. 3. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 77; Graf-Schlicker in: FS Smid, 2008, S. 133, 134.

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§ 11

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

schuss hinwirken.3) Die Lösung dieses Problems liegt in einem repräsentativ besetzten Gläubigerausschuss, der alle Gläubigergruppen abbildet. Zum zweiten besteht ein zeitliches und organisatorisches Umsetzungsproblem bei der Gläubigerbeteiligung. Die Gläubigerversammlung kann nur wesentliche Grundentscheidungen des Verfahrens – etwa gemäß § 157 InsO – treffen.4) Zudem ist die Präsenz der Gläubiger häufig sehr gering. Die Einsetzung des wesentlich flexibler, schneller und auf Detailebene agierenden Gläubigerausschusses löst dieses Umsetzungsproblem.5) 2 Dem Gläubigerausschuss obliegen – sofern verpflichtend oder fakultativ bestellt – verschiedene Informations-, Mitwirkungs- und Kontrollrechte. Kernaufgabe des Ausschusses ist dabei die Unterstützung und Überwachung des Insolvenzverwalters gemäß § 69 InsO.6) Nachdem im Insolvenzverfahren nicht nur Rechtsfragen zu klären sind, sondern v. a. wirtschaftliche Entscheidungen getroffen werden müssen, kommt dieser Zweckmäßigkeitsprüfung erhebliche Bedeutung zu. Das Gericht hat gemäß § 58 Abs. 1 InsO (nur) die Rechtsaufsicht zu führen. 3 Bei Anordnung der Eigenverwaltung verschiebt sich die Verantwortlichkeits- und Zuständigkeitsstruktur der Beteiligten zueinander. Die Verfügungsmacht verbleibt weitgehend beim Schuldner. Er behält viele Kompetenzen, die im Regelinsolvenzverfahren dem Insolvenzverwalter zugewiesen sind. Dem Sachwalter obliegt gemäß § 274 Abs. 2 Satz 1 InsO nur die Prüfung der wirtschaftlichen Lage des Schuldners und die Überwachung der Geschäftsführung. Daraus ergeben sich Konsequenzen für den Gläubigerausschuss. 4 Die Unterstützung und Überwachung des mit Eröffnung des Eigenverwaltungsverfahrens gemäß § 270f Abs. 2 Satz 1 InsO eingesetzten Sachwalters – anstelle eines Insolvenzverwalters – ist nicht zielführend. Die Hauptaufgabe des Ausschusses bestünde dann in der Kontrolle des Sachwalters, der seinerseits bereits ein Kontrollorgan des Schuldners darstellt. Eine effektive Mitwirkung im Verfahren wäre damit nicht gewährleistet. Die Schaffung eines „doppelten Kontrollorgans“ ist im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Gesetzes sicher nicht gewollt.7) 5 Dem Gläubigerausschuss kommt vielmehr eine aufgespaltene Aufsichtspflicht zu.8) Er berät, unterstützt und überwacht sowohl den Sachwalter als auch den Schuldner. Der Rechtsgedanke des § 276 InsO – die Mitwirkung des Ausschusses unmittelbar gegenüber dem Schuldner – ist für das Eigenverwaltungsverfahren zu verallgemeinern.9) Mit der Gläubigerautonomie im Insolvenzverfahren wäre es nicht in Einklang zu bringen, wenn dem Ausschuss nur marginale Restaufgaben verblieben. Die Norm des § 69 InsO findet daher gemäß § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO entsprechende Anwendung.10) Bezugsperson ist aber vor allem der eigenverwaltende Schuldner.11) 6 Der Mitwirkung des Gläubigerausschusses kommt damit besondere Bedeutung zu.12) Sie kann die Akzeptanz der Eigenverwaltung bei den Gläubigern erhöhen. Die Ausübung der ___________ 3) Prütting in: KPB, InsO, § 270 Rz. 165. 4) Zum Aufgabenbereich auch Gerhardt in: Jaeger, InsO, § 74 Rz. 3 ff. 5) Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 69 Rz. 1 – die Gläubigerversammlung ist zu groß und zu schwerfällig. 6) Gerhardt in: Jaeger, InsO, § 69 Rz. 8. 7) So Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 69 Rz. 13; Holzer in: KPB, InsO, § 276 Rz. 12. 8) Holzer in: KPB, InsO, § 276 Rz. 12; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 276 Rz. 3. 9) Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 69 Rz. 13, und Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 276 Rz. 3. 10) Holzer in: KPB, InsO, § 276 Rz. 4. 11) Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 69 Rz. 13; Holzer in: KPB, InsO, § 276 Rz. 12. 12) Kern in: MünchKomm-InsO, § 276 Rz. 18.

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Ampferl

§ 11

Mitwirkung des Gläubigerausschusses

Überwachungsrechte hat – verglichen mit dem regulären Verfahren – ebenfalls einen höheren Stellenwert, nachdem nicht nur ein (unabhängiger) Insolvenzverwalter, sondern der Schuldner selbst und seine Organe zu kontrollieren sind. Spiegelbildlich erhöhen sich dadurch aber auch die Gefahren für den Gläubigerausschuss, 7 in Haftung genommen zu werden, wenn der Schuldner seine Pflichten i. R. der Eigenverwaltung nicht erfüllt.13) 2.

Einsetzung eines Gläubigerausschusses nach Verfahrenseröffnung

Nach den verschiedenen Verfahrensabschnitten sind zu unterscheiden: der vorläufige Gläu- 8 bigerausschuss im Verfahren der vorläufigen Eigenverwaltung oder im Schutzschirmverfahren, der Interimsausschuss zwischen Eröffnung und erster Gläubigerversammlung sowie der endgültige Ausschuss nach Wahl durch die Gläubigerversammlung.14) Beim vorläufigen Gläubigerausschuss sind in Bezug auf die Einsetzungspflichten wiederum drei Arten zu unterscheiden: der obligatorische Gläubigerausschuss (auch „originärer Pflichtausschuss“), der Antragsausschuss (auch „derivativer Pflichtausschuss“) und der fakultative Ausschuss (siehe eingehend dazu Ampferl, HRI II, § 6).15) Mit der Eröffnung des Eigenverwaltungsverfahrens hat das Gericht eine Entscheidung 9 darüber treffen, ob es einen Gläubigerausschuss einsetzen will. Weil für den vorläufigen Ausschuss das Amt mit Eröffnung des Verfahrens endet (Diskontinuität), muss auch dann erneut über die Einsetzung eines Gläubigerausschusses entschieden werden, wenn im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren ein solcher bereits bestellt war.16) Die Einsetzung eines Gläubigerausschusses nach Eröffnung des Eigenverwaltungsverfahrens bestimmt sich nach §§ 270 Abs. 1 Satz 2, 67 Abs. 1 InsO. Sie erfolgt nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts.17) Für die vorläufige Eigenverwaltung definiert § 22a InsO Fallgruppen, in denen verpflich- 10 teten ein Gläubigerausschuss eingesetzt werden muss. Für das eröffnete Verfahren findet diese Vorschrift unmittelbar keine Anwendung. Die Frage ist, ob das Bestehen eines vorläufigen Ausschusses – entweder weil er obligatorisch im Antragsverfahren gemäß § 22a Abs. 1 InsO oder auf Antrag gemäß § 22a Abs. 2 InsO einzusetzen war oder fakultativ vom Gericht gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO bestellt wurde – zu einer Ermessensreduktion bei der Entscheidung gemäß § 67 InsO führt. Aus zwei Gründen ist eine Fortwirkung des § 22a InsO im eröffneten Verfahren anzunehmen: 

Zum einen hat der Gesetzgeber mit § 22a InsO klar zum Ausdruck gebracht, in welchen Fällen er die Einsetzung eines Ausschusses für geboten ansieht. Auch wenn der Ausschuss hauptsächlich bei der Insolvenzverwalterbestellung mitwirken soll, also bei einer Aufgabe, die er vor der Eröffnung wahrzunehmen hat, dient die Einsetzung insgesamt der Stärkung der Gläubigerautonomie.18) Im Hinblick auf diese Aufgabe hat § 22a InsO als gesetzlicher Wertungsmaßstab in die Ermessensentscheidung nach § 67 InsO einzufließen.

___________ 13) Riggert in: Braun, InsO, § 276 Rz. 6; Kern in: MünchKomm-InsO, § 276 Rz. 19. 14) Haarmeyer in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 23; Frind in: HambKomm-InsO, § 67 Rz. 2; Hölzle in: K. Schmidt, InsO, § 22a Rz. 5. 15) Die Terminologie ist nicht einheitlich. Vgl. dazu: Hölzle in: K. Schmidt, InsO, § 22a Rz. 5. 16) Haarmeyer in: MünchKomm-InsO, § 22a Rz. 164. 17) Schmitt in: Wimmer, FK-InsO, § 67 Rz. 2; Riedel in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 67 Rz. 3; SchmidBurgk in: MünchKomm-InsO, § 67 Rz. 6; Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 8. 18) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 131; Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 67 Rz. 4.

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§ 11 

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

Zum anderen ist anerkannt, dass der Ausschuss – nach seiner Einsetzung – gegenüber dem Gericht unabhängig ist.19) Eine Auflösung des Ausschusses ist – wenn überhaupt – nur dann möglich, wenn gemäß § 70 InsO analog ein wichtiger Grund für die Entlassung des gesamten Ausschusses besteht.

11 Das Ermessen i. R. der Entscheidung gemäß § 67 InsO wird damit dahingehend eingeschränkt, dass das Gericht – soweit schon im Antragsverfahren ein Gläubigerausschuss bestand – einen Ausschuss einsetzen soll (Gläubigerautonomie überlagert Diskontinuität).20) Das Gericht kann von der Einsetzung in Anwendung des § 22a Abs. 3 Var. 1 InsO absehen, wenn der Geschäftsbetrieb zwischenzeitlich eingestellt ist und mit besonders bedeutsamen Rechtshandlungen gemäß § 160 InsO nicht mehr gerechnet werden kann. Es hat vor der Entscheidung keinen Ausschuss mehr einzusetzen – unter Heranziehung des Rechtsgedankens des § 70 Satz 3 InsO – diesen vor Eröffnung anzuhören. 12 Lag kein Fall des § 22a InsO vor und hatte das Gericht keinen fakultativen Ausschuss eingesetzt, bedarf es auch bei der Eigenverwaltung keiner regelhaften Einsetzung eines Gläubigerausschusses.21) In der Praxis wird aufgrund der Verfahrensgröße zwar die Vielzahl der Eigenverwaltungsfälle mit Ausschuss durchgeführt werden. Gerade bei dem eigenverwaltenden Freiberufler ist ein Gläubigerausschuss in der Regel nicht erforderlich. Rechtlich gibt es also kein Regel-Ausnahme-Verhältnis. Vielmehr sind bei der gerichtlichen Entscheidung nach § 67 InsO die besonderen Aufgaben des Ausschusses i. R. des konkreten Eigenverwaltungsverfahrens zu berücksichtigen. Als Reflex aus § 276 InsO ist ein Ausschuss dann einzusetzen, wenn – unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Geschäfte nicht durch einen Verwalter geführt werden – absehbar ist, dass das Unternehmen fortgeführt wird und mehrfach Entscheidungen nach § 276 InsO getroffen werden müssen. 13 Die abschließende Entscheidung, ob ein Gläubigerausschuss eingesetzt oder beibehalten werden soll, trifft die Gläubigerversammlung gemäß § 68 Abs. 1 InsO. Gemäß § 68 Abs. 2 InsO kann die Gläubigerversammlung die vom Gericht bestellten Mitglieder abwählen und neue oder zusätzliche Mitglieder berufen. Umstritten ist, ob für die Wahl durch die Gläubigerversammlung das Repräsentationsschema des § 67 Abs. 2 InsO gilt.22) Zugespitzt ist die Frage, ob ein Gläubiger mit Summenmehrheit alle bisherigen Mitglieder abwählen und durch eigene Gefolgsleute ersetzen kann. Dies ist abzulehnen. Auch für die Gläubigerversammlung gilt § 67 Abs. 2 InsO, weil die weitreichenden Befugnisse des Ausschusses und die fehlende Kontrolle seiner Beschlüsse gemäß § 78 InsO nur dann gerechtfertigt sind, wenn er repräsentativ zusammengesetzt ist. Soweit die Wahl der Ausschussmitglieder den Anforderungen des § 67 Abs. 2 InsO nicht genügt, hat das Gericht den Beschluss gemäß § 78 InsO aufzuheben.23) 14 Soweit es zum Streit darüber kommt, ob jemand dem Ausschuss angehört oder nicht bzw. wie sich ein Mitglied vertreten lassen kann, entscheidet das Insolvenzgericht gemäß § 70 InsO analog.24) Dadurch wird eine schnelle Entscheidung gewährleistet, die für die Sicherstellung der Arbeitsfähigkeit des Gläubigerausschusses zwingend erforderlich ist.

___________ BGH v. 1.3.2007 – IX ZB 47/06, ZIP 2007, 781 ff., dazu EWiR 2007, 403 (Gundlach/Frenzel). Enger: Kübler in: KBP, InsO, § 67 Rz. 14 – „muss“. So aber: Jungmann in: K. Schmidt, InsO, § 67 Rz. 12; Frind in: HambKomm-InsO, § 67 Rz. 5. Dafür wie hier: Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 68 Rz. 15; dagegen: Jungmann in: K. Schmidt, InsO, § 68 Rz. 7; AG Köln v. 22.7.2003 – 71 IN 453/02, NZI 2003, 657; vermittelnd: Maßstab sind die gemeinsamen Interessen der Insolvenzgläubiger: Hammes in: KölnKomm-InsO, § 68 Rz. 8. 23) Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 68 Rz. 11. 24) BGH v. 11.3.2021 – IX ZR 266/18, Rz. 12, ZRI 2021, 407.

19) 20) 21) 22)

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§ 11

Mitwirkung des Gläubigerausschusses 3.

Innere Organisation und Beschlussfassung

Zur inneren Organisation des Gläubigerausschusses existieren keine gesetzlichen Regelun- 15 gen. Der Ausschuss kann sich eine Geschäftsordnung geben.25) Im Übrigen können die allgemeinen Regeln des Vereins- und Gesellschaftsrechts herangezogen werden, insbesondere auch zum Aufsichtsrat.26) Zum Zwecke der Dokumentation der Gläubigerausschussarbeit sind wesentliche Punkte der Beratungen in den Sitzungen und Beschlüsse in einem Protokoll festzuhalten. Die Gläubigerausschussmitglieder unterliegen einer umfassenden Geheimhaltungspflicht aller Informationen, die ihnen i. R. ihrer Tätigkeiten bekannt werden.27) Soweit in der Geschäftsordnung nichts anderes geregelt ist, steht jedem Mitglied das Recht 16 zu, eine Ausschusssitzung einzuberufen.28) Für die Einladung mit Tagesordnung und ausreichender Ladungsfrist gelten die allgemeinen Regeln.29) Entscheidungen des Gläubigerausschusses werden durch Beschluss getroffen. Beschluss- 17 fähigkeit ist gemäß § 72 InsO gegeben, wenn die Mehrheit der Mitglieder an der Beschlussfassung teilgenommen hat. Bei Vorliegen einer Interessenkollision sind drei Fallgruppen zu unterscheiden:30) 

Liegt eine grundsätzliche Interessenkollision vor (etwa für den Schuldner selbst oder seine Berater) scheidet bereits eine Bestellung zum Mitglied aus (siehe dazu Ampferl, HRI II, § 6 Rz. 136 ff.).



Ein Ausschluss von der Teilnahme an der Sitzung und der Beratung kommt im Einzelfall in Betracht, wenn bereits durch die Anwesenheit des Mitglieds die Interessen der Insolvenzmasse beeinträchtigt werden.31)



Nach allgemeinen Regeln, bspw. gemäß § 136 AktG, ist das Mitglied von der Abstimmung ausgeschlossen, wenn eine Interessenkollision vorliegt.32)

Soweit die InsO nicht Einstimmigkeit vorschreibt, ist für die Beschlussfassung gemäß 18 § 72 InsO die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich. Jedes Mitglied hat eine Stimme, so dass es auf die Kopfmehrheit ankommt. Bei Mangelhaftigkeit von Beschlüssen sind je nach „Fehlerquelle“ drei Problemstellungen zu differenzieren. 

Bei objektivem Verstoß gegen die gemeinsamen Interessen der Insolvenzgläubiger unterliegt der Beschluss nicht der Aufhebung durch das Insolvenzgericht gemäß § 78 InsO.33) Dies gilt jedenfalls für wirtschaftliche Entscheidungen des Ausschusses, da das Gericht seine eigenen wirtschaftlichen Vorstellungen nicht an die Stelle derer des Gläubigerausschusses setzen darf.34)

___________ 25) Muster bei Frege/Ch. Keller/Riedel, Insolvenzrecht, Rz. 1207b; Ingelmann/Ide/Steinwachs, ZInsO 2011, 1059 ff., und ZInsO 2012, 372. 26) Cranshaw, ZInsO 2012, 1151; Riedel in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 72 Rz. 2. 27) Jungmann in: K. Schmidt, InsO, § 69 Rz. 7. 28) Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 28 und § 72 Rz. 3, 5. 29) Hierzu Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 28 und § 72 Rz. 4; Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 72 Rz. 9; für die Gläubigerversammlung: BGH v. 20.3.2008 – IX ZB 104/07, ZIP 2008, 1030. 30) N. M. Schmidt, ZInsO 2018, 2457. 31) Str.; für die Teilnahme an der Beratung: Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 72 Rz. 14; Frind in: HambKomm-InsO, § 72 Rz. 4; dagegen: Gerhardt in: Jaeger, InsO, § 72 Rz. 18; Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 72 Rz. 10. 32) Riedel in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 72 Rz. 3; Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 72 Rz. 14; Schmitt in: Wimmer, FK-InsO, § 72 Rz. 7. 33) Jungmann in: K. Schmidt, InsO, § 72 Rz. 19. 34) BGH v. 11.3.2021 – IX ZR 266/18, Rz. 14, ZRI 2021, 407.

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§ 11

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren



Soweit ein Verstoß gegen zwingende Formvorschriften vorliegt, die zur Nichtigkeit führen, entfaltet der Beschluss keine Rechtswirkungen. Zur Klarstellung der Rechtslage sieht das Gesellschaftsrecht in diesen Fällen die Nichtigkeitsklage vor, § 249 AktG. Aus der besonderen Stellung des Insolvenzgerichts ist abzuleiten, dass das Gericht von Amts wegen zur Sicherstellung der gesetzeskonformen Abwicklung des Verfahrens den Beschluss für nichtig zu erklären hat.35) Wie weit diese Befugnis zur Aufhebung rechtswidriger Beschlüsse geht, ist nicht abschließend geklärt. Der BGH betont, dass der Ausschuss der Rechtskontrolle des Insolvenzgerichtes unterliegt.36)



Soweit zwischen den Verfahrensbeteiligten Streit über formelle Mängel oder den Inhalt des Beschlusses besteht, der nach allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Regelungen zur Anfechtbarkeit führen würde, ist die Rechtslage nicht geklärt. Zu denken ist an eine Anfechtungsklage gemäß §§ 243 ff. AktG analog. Dabei ist aus Gründen der Sachnähe eine Zuständigkeit des Insolvenzgerichts anzunehmen.37)

4.

Vergütung

19 Gemäß § 73 InsO haben die Mitglieder des Gläubigerausschusses einen Anspruch auf Vergütung und Auslagenersatz. Bemessungsgrundlage ist der Zeitaufwand sowie der Umfang der Tätigkeit. Für Insolvenzverfahren, die ab dem 1.1.2021 beantragt wurden, beträgt der Stundensatz gemäß § 17 Satz 1 InsVV regelmäßig 50 bis 300 €. Für davor beantragte Verfahren sieht § 17 Satz 1 InsVV a. F. einen Stundensatz von 30 bis 95 € vor, wobei ein darüber hinausgehender Stundensatz von bis zu 300 € bei entsprechender Qualifikation in anspruchsvollen Verfahren für zulässig erachtet wird.38) Mit der Neuregelung der Stundensätze wurde die gesetzliche Regelung der ohnehin schon bestehenden Praxis angepasst.39) Die Bemessung des Stundensatzes erfolgt nach Umfang und Schwierigkeit des Insolvenzverfahrens sowie der Aufgaben des Gläubigerausschusses. In Bezug auf das einzelne Mitglied sind nicht versicherbare Haftungsrisiken, Art und Umfang der Mitwirkung sowie Qualifikation und Sachkunde einzubeziehen.40) Der Zeitaufwand umfasst alle Zeiten nach der Bestellung, die mit der Ausschusstätigkeit im Zusammenhang stehen,41) auch Zeiten für häusliches Aktenstudium und Fahrzeiten.42) 20 Bei der Vergütung handelt es sich um eine Aufwandsentschädigung, so dass für die Höhe des Stundensatzes grundsätzlich nicht entscheidend ist, welchen „Marktpreis“ die Tätigkeit hat.43) Etwas anderes gilt für Personen, die als Nichtgläubiger zu Mitgliedern bestellt wurden, weil bei diesem das Eigeninteresse als Gläubiger am Verfahren entfällt.44) Für die Mitglieder kann ein unterschiedlicher Stundensatz festgesetzt werden.45) ___________ 35) Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 72 Rz. 22; in diese Richtung auch: BGH v. 11.3.2021 – IX ZR 266/18, Rz. 20, ZRI 2021, 407. 36) BGH v. 11.3.2021 – IX ZR 266/18, Rz. 14, ZRI 2021, 407. 37) Vgl. dazu auch: Jungmann in: K. Schmidt, InsO, § 72 Rz. 19. 38) LG Hamburg v. 3.8.2018 – 326 T 41/17, ZInsO 2018, 2050; AG Hamburg v. 25.7.2018 – 67c IN 137/16, ZIP 2018, 1562 – Stundensatz i. H. von 300 €. 39) Krit. zur Erhöhung: Graeber, NZI 2021, 370, 375. 40) BGH v. 14.1.2021 – IX ZB 71/18, Rz. 9, ZRI 2021, 251 = ZIP 2021, 420; BGH v. 14.1.2021 – IX ZB 94/18, Rz. 9, ZRI 2021, 290 = ZIP 2021, 581; eingehend dazu: U. Keller, DZWIR 2022, 123. 41) BGH v. 14.1.2021 – IX ZB 94/18, Rz. 36, ZRI 2021, 290 = ZIP 2021, 581; BGH v. 14.1.2021 – IX ZB 71/18, Rz. 17, ZRI 2021, 251 = ZIP 2021, 420. 42) LG Münster v. 27.9.2016 – 5 T 253/16, NZI 2017, 548. 43) BGH v. 14.1.2021 – IX ZB 71/18, Rz. 10, ZRI 2021, 251 = ZIP 2021, 420. 44) BGH v. 14.1.2021 – IX ZB 71/18, Rz. 16, ZRI 2021, 251 = ZIP 2021, 420. 45) BGH v. 14.1.2021 – IX ZB 71/18, Rz. 15, ZRI 2021, 251 = ZIP 2021, 420; BGH v. 14.1.2021 – IX ZB 94/18, Rz. 13, ZRI 2021, 290 = ZIP 2021, 581.

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§ 11

Mitwirkung des Gläubigerausschusses

Eine Vergütung, die sich stundenunabhängig an der Insolvenzmasse oder der Vergütung 21 des (vorläufigen) Insolvenzverwalters orientiert, ist nicht zulässig.46) Eine fehlerhafte Beantragung und Festsetzung als prozentualer Anteil an der Verwaltervergütung kann strafrechtliche47) Haftungsgefahren und Rückzahlungsansprüche nach sich ziehen. II.

Verhältnis des Gläubigerausschusses zu den anderen Verfahrensbeteiligten

Das Verhältnis des Gläubigerausschusses zur Gläubigerversammlung ist umstritten. Dies 22 betrifft drei Aspekte: 

Die Wahl des endgültigen Ausschusses erfolgt durch die Versammlung, wobei auch dieser das Repräsentationsschema des § 67 Abs. 2 InsO zu berücksichtigen hat (siehe oben Rz. 13). Daraus ergibt sich aber kein Rangverhältnis. Nach der Wahl beginnt das „Eigenleben“ des Gläubigerausschusses.48) Eine Abwahl des von der Versammlung eingesetzten Ausschusses oder spätere Auflösung durch die Versammlung ist unzulässig.49)



Die Gläubigerversammlung hat kein Recht zur Einschränkung der gesetzlichen Befugnisse des Ausschusses, etwa zur inhaltlichen oder summenmäßigen Begrenzung.50)



Die Gläubigerversammlung kann dem Gläubigerausschuss keine Weisungen erteilen51) und hat auch nicht das Recht, eine Entscheidung des Gläubigerausschusses zu ersetzen oder aufzuheben.52) Dies ergibt sich für den Regelungskreis des § 160 InsO aus § 161 Satz 2 InsO, der dem Insolvenzgericht die Aufgabe zuweist, eine Rechtshandlung zu untersagen und die Gläubigerversammlung dann einzuberufen, wenn das Gericht der Meinung ist, dass die Entscheidung des Ausschusses erhebliche Nachteile für die Masse bringt. Damit wird deutlich, dass es nur für diesen Sonderfall eine Aufhebung der Entscheidung des Gläubigerausschusses durch die Versammlung gibt.

Der Gläubigerausschuss ist neben der Gläubigerversammlung ein unabhängiges Organ 23 der Gläubigerschaft.53) Dies ist bei der Bestimmung der einzelnen Kompetenzen zu berücksichtigen. Auch gegenüber dem Insolvenzgericht sind die Mitglieder des Gläubigerausschusses un- 24 abhängig. Das Gesetz sieht lediglich vor, dass das Gericht einzelne Mitglieder aus wichtigem Grund gemäß § 70 Satz 1 InsO entlassen kann.54) Der Ausschuss untersteht keiner Aufsicht des Insolvenzgerichtes im Hinblick auf wirtschaftliche Maßnahmen. Wirtschaftliche Fehlentscheidungen sind i. R. von Haftungsprozessen zu klären. Der Ausschuss unter___________ 46) BGH v. 14.1.2021 – IX ZB 94/18, Rz. 23, ZRI 2021, 290 = ZIP 2021, 581; BGH v. 22.7.2021 – IX ZB 47/19, Rz. 10, ZRI 2021, 802 = NZI 2021, 938. 47) LG Aurich v. 13.5.2013 – 15 KLs 1000 Js 55939/12, ZInsO 2014, 343. 48) Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 2. 49) BGH v. 11.3.2021 – IX ZR 266/18, Rz. 15, ZRI 2021, 407; Jungmann in: K. Schmidt, InsO, § 68 Rz. 12. 50) Göb in: Göb/Schnieders/Mönig, Praxishdb. Gläubigerausschuss, D. Rz. 14.; a. A. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 160 Rz. 3. 51) BGH v. 11.3.2021 – IX ZR 266/18, Rz. 15, ZRI 2021, 407. 52) Str.; wie hier Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 69 Rz. 10; Vallender, WM 2002, 2040, 2047; Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 26; Kübler in: KPB, InsO, § 69 Rz. 7; Gerhardt in: Jaeger, InsO, § 67 Rz. 7; a. A. Blersch in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 72 InsO Rz. 6. 53) BGH v. 11.3.2021 – IX ZR 266/18, Rz. 15, ZRI 2021, 407; Jungmann in: K. Schmidt, InsO, § 67 Rz. 4; a. A. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 160 Rz. 3 – Gläubigerversammlung oberstes Gläubigerorgan; ausführlich dazu Hammes, Der Gläubigerausschuss in der Eigenverwaltung, S. 105 ff. 54) LG Kleve v. 15.5.2020 – 4 T 17/20, ZIP 2020, 1365; AG Aurich v. 15.7.2022 – 9 IN 91/11, ZRI 2022, 705; ausführlich Pape, ZInsO 2002, 1017 ff.; konkretisierend auch BGH v. 1.3.2007 – IX ZB 47/06, ZIP 2007, 781 ff.

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§ 11

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

liegt aber der Rechtskontrolle durch das Insolvenzgericht, welches die Rechtmäßigkeit des Verfahrens sicherstellen muss.55) Umfang und Befugnisse dieser „Rechtsaufsicht“ sind nicht abschließend geklärt. Das Gericht ist weder zu Weisungen gegenüber den Mitgliedern befugt noch kann es Ordnungsstrafen verhängen. Es hat aber die Befugnis, deklaratorisch die Nichtigkeit von Beschlüssen festzustellen56) und möglicherweise auch die Zuständigkeit bei Beschlussanfechtungsklagen (siehe oben Rz. 18). 25 Der Gläubigerausschuss tritt neben den Sachwalter, soweit er den Schuldner zu überwachen hat.57) Darüber hinaus hat der Ausschuss aber auch den Sachwalter unmittelbar zu überwachen und zu unterstützen. III.

Die Anwendung des § 69 InsO bei der Eigenverwaltung

1.

Grundlagen

26 Gemäß § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO gelten bei der Eigenverwaltung die allgemeinen Vorschriften, soweit nichts anderes bestimmt ist. Zur Bestimmung der Aufgaben des Gläubigerausschusses ist damit auf die Norm des § 69 InsO abzustellen. Nach dieser Vorschrift hat der Gläubigerausschuss folgende Aufgaben:58) 

Unterstützung des Insolvenzverwalters bei der Geschäftsführung, etwa bei der Planung der Fortführung des Unternehmens,59)



Überwachung des Insolvenzverwalters, insbesondere Überprüfung der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit seines Handelns,60)



Unterrichtung über den Fortgang des Verfahrens, einschließlich der Einsichtnahme in Bücher und Geschäftspapiere,



Überprüfung von Konten und Belegen („Kassenprüfung“).

2.

Bezugsperson der Unterstützungs- und Überwachungspflichten

27 Gemäß § 69 InsO richten sich diese Pflichten auf den Insolvenzverwalter. Übertragen auf die Eigenverwaltung bedeutet dies zunächst, dass der Gläubigerausschuss den Sachwalter bei der Wahrnehmung aller Aufgaben, die diesem durch das Gesetz oder das Gericht übertragen worden sind, unterstützt und kontrolliert.61) Dies bezieht sich zum einen auf die eigenen Abwicklungskompetenzen des Sachwalters gemäß § 280 InsO, zum anderen aber gerade auch auf die Prüfung, ob er seiner Pflicht zur Schuldnerüberwachung gemäß § 274 InsO ausreichend nachkommt. Zu diesem Zweck kann der Ausschuss Berichte des Sachwalters über seine Tätigkeit anfordern.62) 28 Nachdem wesentliche Aufgaben der Verwaltung und Verwertung der Masse dem Schuldner obliegen, ist zusätzlich dessen Handeln Bezugspunkt der Rechte des Gläubigerausschusses. Nur so kommt der Gläubigermitwirkung der gleiche Stellenwert zu wie bei der Regelabwicklung.63) ___________ 55) 56) 57) 58) 59) 60) 61) 62) 63)

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BGH v. 11.3.2021 – IX ZR 266/18, Rz. 14, ZRI 2021, 407. In diese Richtung: BGH v. 11.3.2021 – IX ZR 266/18, Rz. 20, ZRI 2021, 407. Kern in: MünchKomm-InsO, § 276 Rz. 18. Ausführlich Frind, ZIP 2012, 1380. Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 69 Rz. 21. Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 69 Rz. 18; Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 69 Rz. 22. Kern in: MünchKomm-InsO, § 276 Rz. 21. Kern in: MünchKomm-InsO, § 276 Rz. 22. Holzer in: KPB, InsO, § 276 Rz. 12; Kern in: MünchKomm-InsO, § 276 Rz. 18.

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§ 11

Mitwirkung des Gläubigerausschusses 3.

Unterstützungs- und Überwachungspflicht

Grundlage und Basis für das Eigenverwaltungsverfahren ist die Eigenverwaltungsplanung 29 des Schuldners, die ein Konzept zur Bewältigung der Insolvenz sowie zur Gewährleistung und Finanzierung der Unternehmensfortführung für sechs Monate darlegen muss, § 270a Abs. 1 InsO. Die Einhaltung dieser Planung ist damit auch wesentlicher Aufsatzpunkt für die Überwachungspflicht des Gläubigerausschusses. Der Ausschuss muss daher regelmäßig einen Soll-Ist-Vergleich bezogen auf den vorgelegten Finanzplan, einen Bericht zum Stand der Sanierungsmaßnahmen sowie eine Darstellung der Ist-Kosten der Eigenverwaltung einfordern. Ist die Realisierung der Eigenverwaltungsplanung gefährdet, kann dies ein Anknüpfungspunkt für die Aufhebung der Eigenverwaltung sein.64) Der Gläubigerausschuss hat den Schuldner zu unterstützen, um für das Verfahren – welches 30 zugunsten der Gläubiger betrieben wird – das bestmögliche Ergebnis zu erreichen. Ihn trifft damit die Pflicht zur aktiven Verfahrensbegleitung. Der Gläubigerausschuss hat das Handeln des Schuldners auf Zweckmäßigkeit und Wirt- 31 schaftlichkeit hin zu prüfen und sich eingehend über den Fortgang des Verfahrens zu unterrichten.65) Die Tätigkeit der Organe des Schuldners ist mit dem Antrag auf Eigenverwaltung nicht mehr auf die Interessen des Schuldners und seiner Organe, sondern auf die Gläubigerinteressen ausgerichtet.66) Der Gläubigerausschuss muss sich stetig vergewissern, dass diese Verfahrensausrichtung eingehalten wird. Dazu zählt eine intensive Befassung mit den Unternehmensplanungen des Schuldners, um eine verlustbringende Fortführung zu verhindern.67) Zwar haften nach § 276a Abs. 2 InsO bei Anordnung der Eigenverwaltung die Geschäftsleiter des Schuldners nach Maßgabe von §§ 60, 61 InsO, im Einzelfall kann eine solche Haftung aber wirtschaftlich wertlos sein. Vor diesem Hintergrund hilft den Gläubigern zur Sicherung der ihnen zugewiesenen Insolvenzmasse – neben der Haftung des Sachwalters – die Kontrolle des Schuldners, um zu verhindern, dass er bspw. sein Unternehmen auf Kosten der Gläubiger fortführt. 4.

Kassenprüfung

Eine besonders bedeutsame Aufgabe des Gläubigerausschusses in jedem Verfahren ist die 32 Prüfung der Bankkonten und Belege.68) Bei der Eigenverwaltung obliegt die Führung der Konten vom Grundsatz her dem Schuldner, es sei denn, der Sachwalter hat den Zahlungsverkehr gemäß § 275 Abs. 2 InsO an sich gezogen. Vor diesem Hintergrund kann sich die „Kassenprüfung“ bei der Eigenverwaltung aufwändiger gestalten und auch wesentlich haftungsträchtiger sein. Der Gläubigerausschuss kann diese Pflicht zur Kassenprüfung nicht auf den Sachwalter 33 übertragen. Neben dem Gläubigerausschuss ist dieser gemäß § 274 Abs. 2 InsO zur Prüfung der Konten und Belege verpflichtet, wenn er die Kassenführung nicht selbst übernimmt. Beide Organe haben aber jeweils eigenständige Verpflichtungen, so dass sich der Gläubigerausschuss nicht über den Sachwalter exkulpieren kann.

___________ 64) 65) 66) 67) 68)

Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 204. Jungmann in: K. Schmidt, InsO, § 69 Rz. 16. Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 270 Rz. 10. Ehlers, BB 2013, 259, 262. Eingehend dazu: Ampferl/Kilper, ZIP 2015, 553; Schmitt in: Wimmer, FK-InsO, § 69 Rz. 10; Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 69 Rz. 29, 31; Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 69 Rz. 18.

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§ 11

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

IV.

Verfahrensrechtliche Maßnahmen bei fehlender Ausrichtung des Verfahrens am Gläubigerinteresse

1.

Anzeigepflicht des Sachwalters gemäß § 274 InsO

34 Der Sachwalter hat gemäß § 274 Abs. 2 InsO die Geschäftsführung des Schuldners zu überwachen und seine wirtschaftliche Lage fortlaufend zu prüfen. Hierüber hat er in entsprechender Anwendung des § 69 InsO dem Gläubigerausschuss regelmäßig Bericht zu erstatten. 35 Wenn für den Sachwalter allerdings Umstände erkennbar werden, die erwarten lassen, dass die Fortsetzung der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird, muss er dies gemäß § 274 Abs. 3 InsO unverzüglich dem Gläubigerausschuss anzeigen. Solche Umstände liegen bspw. (siehe eingehend Minuth, HRI II § 9 Rz. 31 f.) vor, bei: 

drohender Masseunzulänglichkeit,



Verschleppung der Verfahrensabwicklung,



Unregelmäßigkeiten in finanzieller Hinsicht,



Verstoß gegen Zustimmungspflichten gemäß §§ 275, 276 InsO,



Verletzung der Auskunfts- und Mitwirkungspflichten.69)

2.

Verfahrensrechtliche Maßnahmen

36 Kommt der Gläubigerausschuss i. R. seiner Überwachungspflicht zu der Überzeugung, dass der Schuldner nicht im Interesse der Gläubiger agiert oder erfolgt eine Anzeige des Sachwalters, kann er – anders als in der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270e Abs. 1 Nr. 4 InsO – nicht selbst einen Antrag auf Aufhebung der Eigenverwaltung stellen. Je nach Art und Umfang der festgestellten Pflichtverletzungen kommen für den Ausschuss folgende Schritte in Betracht: 

Stellt der Gläubigerausschuss Umstände fest, die erwarten lassen, dass die Fortführung der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird, muss er nicht zunächst einen Anspruch gegen den Sachwalter auf eine Anzeige gemäß § 274 Abs. 3 InsO geltend machen. Der Ausschuss ist ein eigenständiges Überwachungsorgan neben dem Sachwalter und muss eigene verfahrensrechtliche Konsequenzen bei Pflichtverletzungen des Schuldners einleiten.



Nach Maßgabe des § 272 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO hat das Insolvenzgericht die Eigenverwaltung von Amts wegen aufzuheben. Soweit dort genannte Pflichten verletzt werden, hat der Ausschuss diese Verletzungen dem Gericht zur Kenntnis zu bringen und die Aufhebung der Eigenverwaltung anzuregen.



Der Gläubigerausschuss hat zu prüfen, ob er gemäß § 75 Abs. 1 Nr. 2 InsO einen Antrag auf Einberufung einer Gläubigerversammlung mit dem Ziel stellt, eine Entscheidung nach § 277 oder § 272 InsO herbeizuführen. Als Folge der Anzeige kann dann die Gläubigerversammlung die Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit gemäß § 277 InsO beantragen, um für bestimmte Geschäfte eine absolute Unwirksamkeit bei fehlender Zustimmung des Sachwalters zu erreichen. Sie kann weiterhin mit Kopf- und Summenmehrheit gemäß § 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO die Aufhebung der Eigenverwaltung beantragen. Schon um einer eigenen Haftung vorzubeugen, wird der Gläubigerausschuss im Regelfall nach einer Anzeige den Antrag auf Einberufung einer Gläubigerversammlung stellen.70)

___________ 69) Riggert in: Nerlich/Römermann, InsO, § 274 Rz. 20; Kern in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 60. 70) Kern in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 66.

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§ 11

Mitwirkung des Gläubigerausschusses 

V.

Erkennt der Gläubigerausschuss, dass der Sachwalter nicht nur die Anzeige unterlassen hat, sondern durch die Verletzung seiner Pflichten die Verfahrensabwicklung objektiv nachhaltig beeinträchtigt, kann er zudem – soweit gerichtliche Aufsichtsmaßnahmen keinen Erfolg versprechen – einen Antrag auf Entlassung des Sachwalters gemäß § 59 InsO stellen. Mitwirkungserfordernis bei Rechtshandlungen von besonderer Bedeutung (§ 276 InsO)

Gemäß § 160 InsO hat der Insolvenzverwalter bei der Vornahme besonders bedeutsamer 37 Rechtshandlungen die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen. Nachdem die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis bei der Eigenverwaltung vom Grundsatz her beim Schuldner verbleibt, wird in § 276 InsO geregelt, dass dieser für diese Handlungen die Zustimmung des Ausschusses einzuholen hat. Es wird in paralleler Art und Weise der Gläubigerautonomie auch bei der Eigenverwaltung Geltung verschafft. Damit ergeben sich für den Schuldner gestaffelte Zustimmungserfordernisse.71) Während 38 er i. R. der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit die alleinige Entscheidungskompetenz hat, soll er Verbindlichkeiten, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, gemäß § 275 Abs. 1 Satz 1 InsO nur mit Zustimmung des Sachwalters eingehen. Bei besonders bedeutsamen Rechtshandlungen ist die Zustimmung des Gläubigerausschusses erforderlich, § 276 InsO. Zudem kann gemäß § 277 InsO durch das Gericht ein Zustimmungsvorbehalt für bestimmte Rechtsgeschäfte angeordnet werden. 1.

Generalklausel/Verhältnis zur Sachwalterzustimmung

Der Begriff der „besonders bedeutsamen Rechtshandlungen“, die nach § 276 Satz 1 InsO 39 zustimmungsbedürftig sind, bestimmt sich entsprechend des § 160 Abs. 1 Satz 1 InsO.72) Als besonders bedeutsam ist eine Rechtshandlung anzusehen, wenn sie – bezogen auf die Besonderheiten des konkreten Insolvenzverfahrens – greifbare Auswirkungen auf die Unternehmensaktiva oder die Masseverbindlichkeiten hat bzw. wenn die Handlung erhebliche (wenn auch ggf. unwahrscheinliche) Risiken birgt.73) Umstritten ist das Verhältnis zwischen der Sachwalterzustimmung bei der Begründung 40 von Verbindlichkeiten, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, und der Zustimmung des Gläubigerausschusses bei besonders bedeutsamen Rechtshandlungen. Teilweise wird vertreten, dass jede besonders bedeutsame Rechtshandlung gleichzeitig immer über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgeht und damit beide Organe zustimmen müssten.74) Andererseits findet sich die Auffassung, dass bei besonders bedeutsamen Rechtshandlungen allein der Gläubigerausschuss zustimmen müsse und er die Zustimmung des Sachwalters ersetze.75) Beide Auffassungen sind abzulehnen. Richtigerweise sieht das Gesetz eigenständige Zustimmungserfordernisse für den Sachwalter und den Gläubigerausschuss vor. Die Tatbestandsmerkmale sind unabhängig voneinander zu bestimmen und nicht zwingend deckungsgleich. Soweit eine besonders bedeutsame Rechtshandlung vorliegt, die gleichzeitig nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehört, haben beide Or___________ Kern in: MünchKomm-InsO, § 276 Rz. 1. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 224. Decker in: HambKomm-InsO, § 160 Rz. 2. Kern in: MünchKomm-InsO, § 276 Rz. 9; Holzer in: KPB, InsO, § 276 Rz. 10; Brünkmans in: Kayser/ Thole, HK-InsO, § 276 Rz. 1. 75) Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 276 Rz. 6.

71) 72) 73) 74)

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

gane zuzustimmen, weil beide aus ihrer unterschiedlichen Stellung heraus unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe anlegen können.76) 41 Besonders bedeutsame Rechtshandlungen, die i. R. eines Plans vorgenommen werden, bedürfen nicht der Zustimmung des Gläubigerausschusses. Das Insolvenzplanverfahren sieht insoweit speziellere Verfahrensregeln vor, die § 160 InsO verdrängen.77) 2.

Regelbeispiele zustimmungsbedürftiger Rechtshandlungen

42 Über die Verweisung in § 276 Satz 2 InsO findet die Norm des § 160 Abs. 2 InsO Anwendung, welche Regelbeispiele für zustimmungsbedürftige Rechtshandlungen benennt. Die Zustimmung ist gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 InsO bei bedeutsamen Veräußerungen, bspw. bei der Veräußerung des Unternehmens oder eines Betriebes, von Grundstücken aus freier Hand oder von Unternehmensbeteiligungen erforderlich. Bei der Eigenverwaltung können damit insbesondere Maßnahmen der Restrukturierung zustimmungsbedürftig sein, die eine Veräußerung von Betriebsteilen oder Beteiligungen vorsehen. 43 Zustimmungsbedürftig ist weiterhin gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 2 InsO die Aufnahme von Darlehen, wenn sie die Insolvenzmasse erheblich belasten. Eine solche Erheblichkeit ist gegeben, wenn das Darlehen keinen kurzfristigen Überbrückungskredit darstellt und die Rückführung nicht innerhalb weniger Wochen möglich ist.78) 44 Die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen, die Aufnahme von Rechtsstreiten bzw. die Ablehnung der Aufnahme sowie der Abschluss von Vergleichen und Schiedsverträgen sind gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 3 InsO zustimmungsbedürftig, soweit es sich um eine Sache mit erheblichem Streitwert handelt. Die Erheblichkeit des Streitwerts bestimmt sich nach den Umständen des konkreten Verfahrens. Maßgeblich ist insoweit das Verhältnis der freien Masse zum Kostenrisiko.79) 3.

Abstrakte Zustimmungserteilung

45 Der Gläubigerausschuss kann dem Schuldner auch abstrakt – also für eine Vielzahl von Geschäften – seine Einwilligung erteilen.80) Dies ist etwa beim Verkauf umfangreichen Immobilienbesitzes oder der Führung zahlreicher Rechtsstreite sinnvoll. Eine solche Generaleinwilligung ist unter zwei Bedingungen möglich: 

Die Zustimmung kann nicht für sämtliche besonders bedeutsamen Rechthandlungen erteilt werden – damit würde der Gläubigerausschuss sich seiner Unterstützungsund Überwachungspflicht verweigern.81)



Die Fälle, denen der Gläubigerausschuss zustimmt, müssen genau beschrieben und abgegrenzt werden, etwa durch Festlegung von Wertgrenzen.82)

4.

Prüfungsmaßstab des Gläubigerausschusses

46 In der Literatur – auch i. R. des § 160 InsO – nur rudimentär diskutiert wird die Frage, welchen Prüfungsmaßstab der Gläubigerausschuss bei der Beurteilung der besonders be___________ 76) Holzer in: KPB, InsO, § 276 Rz. 10. 77) Janssen in: MünchKomm-InsO, § 160 Rz. 36. 78) Janssen in: MünchKomm-InsO, § 160 Rz. 21; Wegener in: Wimmer, FK-InsO, § 160 Rz. 14; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 160 Rz. 26. 79) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 160 Rz. 27. 80) Jungmann in: K. Schmidt, InsO, § 160 Rz. 15. 81) Janssen in: MünchKomm-InsO, § 160 Rz. 31. 82) Jungmann in: K. Schmidt, InsO, § 160 Rz. 15.

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§ 11

Mitwirkung des Gläubigerausschusses

deutsamen Rechthandlungen anzulegen hat, oder – spiegelbildlich – wann ihm eine Pflichtverletzung wegen mangelnder Prüfung vorzuwerfen ist. Bei § 160 InsO muss aber für den Gläubigerausschuss der gleiche Maßstab wie für den Insolvenzverwalter herangezogen werden, d. h. der Ausschuss hat selbstständig zu prüfen, ob die Maßnahme zur Schädigung der Masse führt.83) Dies folgt aus der allgemeinen massebezogenen Überwachungspflicht gemäß § 69 InsO. Für § 276 InsO gilt nichts anderes, mit der Folge, dass der Gläubigerausschuss in besonderem Maße eine Prüfung der Masseschädlichkeit vorzunehmen hat, weil durch den Schuldner selbst – anders als beim Insolvenzverwalter – diese Prüfung bisher möglicherweise nicht in gebotenem Umfang vorgenommen wurde. Praxistipp: Zur eigenen Absicherung ist es für die Ausschussmitglieder unverzichtbar, neben 47 der getroffenen Entscheidung auch die Entscheidungsgrundlagen vom Schuldner einzufordern und eingehend zu dokumentieren. 5.

Zustimmung des Gläubigerausschusses

Die Zustimmung des Gläubigerausschusses kann sowohl durch vorherige Einwilligung als 48 auch durch nachträgliche Genehmigung erfolgen.84) Soweit teilweise vertreten wird, dass nur die Einwilligung zulässig sei,85) ist dem nicht zu folgen. Der entsprechenden Ansicht ist zwar zuzugeben, dass nur die vorherige Überprüfung der Handlung durch den Ausschuss dem Mitwirkungsrecht Geltung verschafft, weil mit ihrer Vornahme im Außenverhältnis Wirksamkeit eintritt. Andererseits ist nicht ersichtlich, warum dem Ausschuss nicht nachträglich die Möglichkeit eingeräumt werden sollte, der Handlung zuzustimmen.86) Der Schuldner hat in diesem Fall zwei Risiken: Der Gläubigerausschuss kann ihm die spätere Genehmigung versagen und darüber hinaus einen Antrag auf Einberufung der Gläubigerversammlung stellen, um einen Zustimmungsvorbehalt gemäß § 277 InsO oder die Aufhebung der Eigenverwaltung gemäß § 272 InsO zu beantragen. In der Praxis wird der Schuldner schon aus taktischem Kalkül den Gläubigerausschuss vor 49 der besonders bedeutsamen Rechtshandlung einbinden, um dem Eindruck vorzubeugen, er missachte die Rechte des Ausschusses. Zudem empfiehlt sich für den Schuldner, dass er – bei Rechtshandlungen ohne vorherige Zustimmung – i. R. des Vertrages ein Rücktrittsrecht aufnimmt, für den Fall, dass der Ausschuss nicht zustimmt. Der Gläubigerausschuss entscheidet durch Beschluss mit der Mehrheit der abgegebenen 50 Stimmen gemäß § 72 InsO. Bis zur Vornahme des Rechtsgeschäfts kann der Gläubigerausschuss seine Zustimmung – auch in Teilbereichen – widerrufen.87) 6.

Vorläufige Untersagung einer vom Gläubigerausschuss gebilligten Rechtshandlung

Genehmigt der Gläubigerausschuss eine Rechtshandlung, kann das Insolvenzgericht gemäß 51 § 276 Satz 2 i. V. m. § 161 Satz 2 InsO auf Antrag einer in § 75 Abs. 1 Nr. 3 InsO bezeichneten Mehrzahl von Gläubigern die Vornahme der Rechtshandlung vorläufig untersagen und eine Gläubigerversammlung zur Entscheidung einberufen. ___________ 83) Schmitt in: Wimmer, FK-InsO, § 71 Rz. 6; Ganter in: FS Fischer, 2008, S. 121, 123 – Prüfung der Unbedenklichkeit der Maßnahme; in diese Richtung auch BGH v. 8.5.2008 – IX ZR 54/07, ZIP 2008, 1243, 1244. 84) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 276 Rz. 3; Holzer in: KPB, InsO, § 276 Rz. 9; Janssen in: MünchKommInsO, § 160 Rz. 26. 85) Kern in: MünchKomm-InsO, § 276 Rz. 8; Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 276 Rz. 5. 86) Wie hier: Holzer in: KPB, InsO, § 276 Rz. 9. 87) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 160 Rz. 9; Webel in: KPB, InsO, § 160 Rz. 7a.

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§ 11 7.

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren Rechtsfolgen fehlender Zustimmung des Gläubigerausschusses

52 Eine vom Schuldner ohne die erforderliche Zustimmung vorgenommene Rechtshandlung ist im Außenverhältnis gemäß § 276 Satz 2, § 164 InsO wirksam. Diese Regelung ist erforderlich zum Schutz des Vertrauens der Geschäftspartner des eigenverwaltenden Schuldners in dessen Verfügungsbefugnis.88) Im Ausnahmefall kann sich eine Unwirksamkeit ergeben bei kollusivem Zusammenwirken von Schuldner und Geschäftspartner bei einer insolvenzzweckwidrigen Handlung.89) 53 Im Innenverhältnis zum Schuldner kann der Gläubigerausschuss bei Missachtung der Zustimmungspflicht gemäß § 276 InsO oder eines Votums des Ausschusses einen Antrag gemäß § 75 Abs. 1 Nr. 2 InsO auf Einberufung einer Gläubigerversammlung stellen.90) Auf Antrag der Gläubigerversammlung kann das Insolvenzgericht sodann gemäß § 277 Abs. 1 InsO einen Zustimmungsvorbehalt des Sachwalters anordnen. Als schärferes Mittel kann die Gläubigerversammlung beantragen, dass die Eigenverwaltung aufgehoben wird, § 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO. 54 Stellt der Sachwalter fest, dass der Schuldner besonders bedeutsame Rechtshandlungen ohne die Zustimmung des Gläubigerausschusses vornimmt, hat er dies dem Ausschuss gemäß § 274 Abs. 3 InsO in jedem Fall anzuzeigen, um dessen verfahrensmäßige Rechte zu wahren.91) Der Ausschuss kann dann die Handlung nachträglich genehmigen oder die allgemeinen Konsequenzen beim Eingang einer Anzeige ziehen. VI.

Haftungsfragen

55 Die Ausschussmitglieder92) sind den absonderungsberechtigten Gläubigern und den Insolvenzgläubigern zum Schadensersatz verpflichtet, wenn sie schuldhaft die ihnen nach der InsO obliegenden Pflichten verletzen, § 270 Abs. 1 Satz 2, § 71 InsO. 56 Voraussetzung der Haftung ist damit zunächst eine Pflichtverletzung. Es kommen insbesondere in Betracht:93) 

Unterlassen der Überwachung des Schuldners, etwa Gestattung einer verlustbringenden Unternehmensfortführung,



Unterlassen der Überwachung des Sachwalters,



Unterlassen der Kassenprüfung beim Schuldner(!),



Unterlassen der Einberufung einer Gläubigerversammlung nach Anzeige gemäß § 274 Abs. 3 InsO; aber auch fehlende eigene Prüfung, ob die Fortsetzung der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führt,



Zustimmung zu masseschädigenden Rechtshandlungen gemäß § 276 InsO.

57 Die Pflichtverletzung muss schuldhaft erfolgt sein, wobei leichte Fahrlässigkeit ausreichend ist.94) Der Sorgfaltsmaßstab orientiert sich an einem gewissenhaften und ordentlichen Gläu___________ 88) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 276 Rz. 6. 89) BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, ZIP 2002, 1093 ff., dazu EWiR 2003, 125 (Tintelnot); Kern in: MünchKomm-InsO, § 276 Rz. 13. 90) Kern in: MünchKomm-InsO, § 276 Rz. 14; Holzer in: KPB, InsO, § 276 Rz. 22. 91) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 274 Rz. 16; Holzer in: KPB, InsO, § 276 Rz. 22. 92) Passivlegitimation mit der ausdrücklichen oder konkludenten Amtsannahme: BGH v. 27.4.1978 – VII ZR 31/76, BGHZ 71, 253, 256; OLG Rostock v. 28.5.2004 – 3 W 11/04, ZInsO 2004, 814, 815; Ganter in: FS Fischer, 2008, S. 121, 127. Ausführlich zu möglichen Problemen auch Bank in: Steinwachs/ Vallender, Der Gläubigerausschuss in der Insolvenz des Firmenkunden, Rz. 465 ff. 93) Vgl. dazu Frind, ZIP 2012, 1380, 1384 ff.; Cranshaw, ZInsO 2012, 1151, 1152; Ehlers, BB 2013, 263. 94) Frind in: HambKomm-InsO, § 71 Rz. 6.

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§ 11

Mitwirkung des Gläubigerausschusses

bigerausschussmitglied, wobei auf die individuellen Fähigkeiten des Einzelnen abzustellen ist.95) Unkenntnis der Pflichten und Amtsannahme trotz Unfähigkeit hindert ein Verschulden aber nicht.96) Durch die Pflichtverletzung muss ein kausaler Schaden verursacht worden sein. Gerade 58 bei einer unterlassenen Kassenprüfung stellt sich dabei die Frage, ob der Schaden – in Form der veruntreuten Gelder – bei pflichtgemäßem Verhalten vermieden worden wäre. Das OLG Celle97) – bestätigt durch den BGH98) – hat diesbezüglich den Beweis des ersten Anscheins angenommen, dass bei ordentlicher Kontrolle eine erste Entnahme aufgefallen wäre und dadurch weitere Entnahmen unterblieben wären. Weitergehend nimmt der BGH einen Anscheinsbeweis auch dahingehend an, dass ein Insolvenzverwalter es bei sorgfältiger Überwachung nicht wagt, sich durch strafbare Handlungen an den ihm anvertrauten Werten zu vergreifen,99) wodurch bereits durch die erste Veruntreuung – bei mangelhafter Überwachung – ein kausaler Schaden entstehen kann. Bei der Kassenführung durch den Schuldner stellt dies ein enormes Haftungsrisiko dar. Jedes Mitglied haftet persönlich auf Ersatz des gesamten Schadens. Bei gemeinschaftli- 59 cher Pflichtverletzung haften die Mitglieder als Gesamtschuldner. Aktivlegitimiert sind die absonderungsberechtigten Gläubiger und die Insolvenzgläubi- 60 ger. Liegt – wie regelmäßig – ein Gesamtschaden vor, hat ihn gemäß §§ 280, 92 InsO der Sachwalter durchzusetzen. Soweit allerdings die Pflichtverletzung gleichermaßen den Gläubigerausschuss wie den Sachwalter betrifft – etwa bei unterlassener Kassenprüfung –, ist nach allgemeinen Grundsätzen ein Sondersachwalter einzusetzen.100) Die Ansprüche verjähren gemäß §§ 71, 62 InsO, § 195 BGB in drei Jahren. Die Verjäh- 61 rungsfrist beginnt erst ab der möglichen Kenntnisnahme des zur Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs berufenen Sondersachwalters vom Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen.101) In der Praxis wird zur Absicherung der Haftungsrisiken eine Vermögensschadens- 62 Haftpflichtversicherung für die Mitglieder des Gläubigerausschusses abgeschlossen und die Prämien aus der Masse bezahlt.102) Dagegen hat sich Hirte ausgesprochen mit dem Argument, dass sich die Insolvenzmasse auf eigene Kosten gegen die eigene Fehlverteilung absichert.103) Dies ist aber Strukturprinzip von Versicherungen von Organen.104) Die Versicherung ist nicht nur zulässig, sondern ihr Fehlen stellt für das Mitglied einen wichtigen Grund dar, seine Entlassung zu beantragen.105) Die Prämien stellen Auslagen des Gläubigerausschusses gemäß § 8 InsVV dar.

___________ 95) Zimmer in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 49 Rz. 1. 96) Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 71 Rz. 8. 97) OLG Celle v. 3.6.2010 – 16 U 135/09, ZIP 2010, 1862, dazu EWiR 2010, 723 (Höpfner); zu weiteren Konstellationen Ganter in: FS Fischer, 2008, S. 121, 130 ff. 98) BGH v. 21.3.2013 – IX R 109/10, ZIP 2013, 1235. 99) BGH v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, ZIP 2015, 553, dazu EWiR 2014, 781 (Krüger). 100) Gundlach in: Pape/Graeber, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Rz. 1482. 101) Für den Sonderinsolvenzverwalter BGH v. 8.5.2008 – IX ZR 54/07, ZIP 2008, 1243 ff.; Bank in: Steinwachs/Vallender, Der Gläubigerausschuss in der Insolvenz des Firmenkunden, Rz. 531. 102) Die Prämienzahlung aus der Masse wird vom BGH anerkannt: BGH v. 14.1.2021 – IX ZB 71/18, Rz. 11, ZRI 2021, 251 = ZIP 2021, 420. 103) Hirte, ZInsO 2012, 820. 104) Cranshaw, ZInsO 2012, 1151, 1158. 105) BGH v. 29.3.2012 – IX ZB 310/11, ZIP 2012, 876.

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§ 12 Forderungsanmeldung, Forderungsprüfung und Verteilung Hofmann

I.

Funktionen des Forderungsprüfungs- und Verteilungsverfahrens............ 1 II. Entgegennahme von Forderungsanmeldungen durch den Sachwalter ............ 3 1. Zustellung des Eröffnungsbeschlusses und Gläubigerinformation........................... 4 2. Entgegennahme der Forderungsanmeldungen .................................................... 6 III. Tabellenführung durch den Sachwalter............................................................ 7 1. Aufnahme der Forderungen in die Tabelle........................................................... 8 2. Formales Vorprüfungsrecht des Sachwalters........................................................... 9 3. Niederlegung der Tabelle .......................... 10 IV. Forderungsprüfung .................................. 12 1. Prüfung der Forderungen in Terminen oder im schriftlichen Verfahren ................ 13 1.1 Ablauf des Prüfungstermins ......... 17 1.2 Durchführung der Prüfung im schriftlichen Verfahren ................. 18 2. Widerspruchsrecht i. R. der Forderungsprüfung.............................................. 19 3. Beseitigung von Widersprüchen und Feststellungsrechtsstreite .......................... 22

I.

3.1

Verhandlungen über Rücknahme des Widerspruchs .............. 23 3.2 Feststellungsrechtsstreit ............... 26 3.2.1 Vorfragen des Feststellungsrechtsstreits ................................... 28 3.2.2 Führung des Rechtsstreits ............ 29 3.2.3 Kosten des Feststellungsrechtsstreits.............................................. 31 3.3 Rücknahme des Widerspruchs ..... 33 V. Verteilung der Insolvenzmasse ............... 34 1. Aufgabenzuweisung an Schuldner (§ 283 Abs. 2 Satz 1 InsO) ........................ 36 2. Verteilungsverzeichnis des Schuldners..... 38 3. Stellungnahme des Sachwalters zum Verteilungsverzeichnis (§ 283 Abs. 2 Satz 2 InsO) ............................................... 42 4. Einwendungen gegen das Verteilungsverzeichnis und Berichtigung des Verteilungsverzeichnisses................................ 44 5. Durchführung der Verteilung ................... 47 VI. Abstimmung zwischen Sachwalter und Schuldner bei Forderungsprüfung und Verteilung................................. 50 VII. Besonderheiten in Verfahren mit großer Gläubigerzahl ............................... 54

Funktionen des Forderungsprüfungs- und Verteilungsverfahrens

1 Wesentlicher formaler Verfahrensschritt auf dem Weg zur Erreichung der von § 1 InsO geforderten gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung ist das in §§ 174 ff. InsO geregelte Verfahren der Forderungsanmeldung, Forderungsprüfung und Verteilung der Insolvenzmasse in Abschlags- und Schlussverteilungen. In der Eigenverwaltung werden diese verfahrensleitenden Bestimmungen durch Regelungen in § 270f Abs. 2 Satz 21) und § 283 InsO ergänzt. 2 Die Vorschriften über die Forderungsanmeldung und Forderungsprüfung sind – selbst bei Einverständnis der Mehrheit der Gläubiger – nicht dispositiv; Abweichungen sind daher auch in einem (verfahrensleitenden) Insolvenzplan nach § 217 Satz 1 InsO nicht möglich.2) Demgegenüber ermöglicht der Insolvenzplan Regelungen, welche die Verteilung der Insolvenzmasse und die Befriedigung der Gläubiger abweichend von den insoweit vorgesehenen Regelungen der InsO regeln.

___________ 1) Die Regelung ist inhaltsgleich mit der bis zum 31.12.2020 gültigen Regelung des § 270c Satz 2 InsO a. F., die nach der Übergangsregelung des Art. 103m EGInsO in vor dem 1.1.2021 beantragten Verfahren noch zur Anwendung kommt. Zudem kommen die früheren Regelungen auch in Fällen zur Anwendung, in denen auf Grundlage der Sonderregelungen der §§ 5, 6 COVInsAG im Jahr 2021 die Eigenverwaltung beantragt und angeordnet wurde. 2) BGH v. 5.2.2009 – IX ZB 230/07, ZIP 2009, 480, dazu EWiR 2009, 251 (Landry); Beschlussempfehlung d. RA z. § 217 InsO, BT-Drucks. 17/7511, S. 48.

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Forderungsanmeldung, Forderungsprüfung und Verteilung II.

§ 12

Entgegennahme von Forderungsanmeldungen durch den Sachwalter

Nach § 270f Satz 2 InsO sind die Forderungen der Insolvenzgläubiger beim Sachwalter 3 anzumelden. Auch die nicht ausdrücklich von der InsO geregelte Frage, wer in der Eigenverwaltung die Insolvenztabelle zu führen hat, wird hierdurch zugunsten des Sachwalters beantwortet.3) Der Sachwalter nimmt im Zusammenhang mit der Entgegennahme der Forderungsanmeldungen diejenigen Aufgaben wahr, die im Regelinsolvenzverfahren der Insolvenzverwalter hat. In praxi macht dies bereits deswegen Sinn, weil der Sachwalter die technische und personelle Ausstattung zur Führung der Tabelle vorhalten wird. Unabhängig hiervon handelt es sich bei der Führung der Insolvenztabelle um eine derjenigen Aufgaben, die die InsO mit Blick auf die nötige absolute Neutralität und Gläubigerorientierung zu Recht bewusst dem Sachwalter überträgt.4) 1.

Zustellung des Eröffnungsbeschlusses und Gläubigerinformation

Der Forderungsanmeldung durch die Gläubiger geht von Gesetzes wegen deren Informa- 4 tion mittels Zustellung des Eröffnungsbeschlusses voraus. Durch die in § 30 Abs. 2 InsO vorgesehene Zustellung des Eröffnungsbeschlusses an die Gläubiger sollen diese von der Verfahrenseröffnung Kenntnis erlangen und über die entsprechenden Fristen informiert werden. Mit der Durchführung der Zustellungen gemäß § 30 Abs. 2 InsO kann das Insolvenzgericht im Verfahren der Eigenverwaltung analog § 8 Abs. 3 InsO den Sachwalter beauftragen.5) Eine Übertragung der Zustellungen auf den Schuldner im Eigenverwaltungsverfahren ist indes von § 8 Abs. 3 InsO nicht zugelassen; insbesondere verlangt der Zweck der Zustellungen, dass diese – letztlich unter Inanspruchnahme hoheitlicher Befugnisse – von einer unabhängigen Amtsperson vorgenommen werden. Die Bewirkung von Zustellungen durch den Schuldner genügt diesen Anforderungen an die Unabhängigkeit der zustellenden Behörde freilich nicht. Aus Gründen der Praktikabilität und der erforderlichen technischen und personellen Ressourcen wird der Auftrag zur Durchführung der Zustellungen an den Sachwalter der Regelfall sein. Wie das Insolvenzgericht selbst kann sich der Sachwalter in diesem Fall auch der in § 8 Abs. 1 InsO vorgesehenen Zustellung durch Aufgabe zur Post bedienen. Mit der Zustellung des Eröffnungsbeschlusses an die Gläubiger wird in der Regel eine ge- 5 ordnete Information der Gläubiger betreffend die vorgesehene Art und Weise der Forderungsanmeldung erfolgen. Hierbei weist der Sachwalter insbesondere darauf hin, ob er Forderungsanmeldungen in mehrfacher Ausfertigung wünscht, welche Unterlagen beizufügen sind und ob die Möglichkeit besteht, Forderungen i. R. eines Online-Gläubigerinformationssystem zu erfassen. Letztlich handelt es sich bei den entsprechenden Hinweisen freilich nur um unverbindliche Hinweise des Sachwalters, da die Form der Forderungsanmeldung abschließend in § 174 InsO geregelt ist. Einzig die Frage, ob der Sachwalter auch bloße Online-Anmeldungen zulässt, denen keine unterzeichnete Anmeldung oder Fax-Anmeldung folgt, unterliegt nach § 174 Abs. 4 InsO allein seiner Entscheidung, so dass einem ausdrücklichen Hinweis auf die Zulassung elektronischer Forderungsanmeldungen entsprechende regelnde Wirkung zukommt.

___________ 3) Kern in: MünchKomm-InsO, § 283 Rz. 5. 4) So bereits die Gesetzesbegründung der Vorgängernorm des § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO a. F.: Begr. RegE z. § 331 InsO (= § 270 InsO), abgedr. in: Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 528. 5) Ebenso Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 8 Rz. 35.

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§ 12 2.

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren Entgegennahme der Forderungsanmeldungen

6 Die Forderungen der Gläubiger sind ab Verfahrenseröffnung beim Sachwalter anzumelden und von diesem entgegenzunehmen. Vor Verfahrenseröffnung eingehende Forderungsanmeldungen sind demgegenüber unwirksam. Die Zuständigkeit zur Entgegennahme der Forderungsanmeldungen liegt gemäß § 270f Abs. 1 Satz 2 InsO ausschließlich beim Sachwalter. § 270f Abs. 2 Satz 2 InsO regelt insoweit einen der Fälle, in denen der Sachwalter die besonderen Aufgaben wahrnimmt, die dem Insolvenzverwalter im Interesse der Gläubiger übertragen sind.6) III.

Tabellenführung durch den Sachwalter

7 Nicht ausdrücklich von § 270f Abs. 2 Satz 2 InsO geregelt ist hingegen die Frage, wer die Tabelle der angemeldeten Forderungen gemäß § 175 InsO zu führen hat. Die Zuständigkeit des Sachwalters für die Entgegennahme der Forderungsanmeldungen setzt allerdings die Führung der Forderungstabelle durch diesen voraus.7) Zudem dient gerade die Tabellenführung durch den Sachwalter dem Schutz der Gläubiger und dem Ausschluss von Missbrauchsmöglichkeiten. Zuletzt erscheint auch unter Praktikabilitätsgesichtspunkten eine Tabellenführung durch den Sachwalter angezeigt, der in seiner Kanzlei die entsprechenden technischen Einrichtungen und personellen Ressourcen für die Entgegennahme der Forderungsanmeldungen und die Tabellenführung vorhalten wird. 1.

Aufnahme der Forderungen in die Tabelle

8 Für die Tabellenführung gelten über § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO auch bei angeordneter Eigenverwaltung die Regelungen des § 175 InsO. Gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 InsO hat der Sachwalter daher jede angemeldete Forderung einschließlich der Angaben gemäß § 174 Abs. 2 und 3 InsO in eine Tabelle aufzunehmen. 2.

Formales Vorprüfungsrecht des Sachwalters

9 Wie der Insolvenzverwalter im Regelverfahren nach zutreffender h. M.8) ein Vorprüfungsund Zurückweisungsrecht hat, so steht auch dem Sachwalter im Eigenverwaltungsverfahren ein Vorprüfungs- und Zurückweisungsrecht zu. Das Vorprüfungsrecht beschränkt sich dabei auf formale Mängel der Forderungsanmeldung; lediglich sofern Anmeldungen die formalen Mindestanforderungen des § 174 Abs. 2 und 3 InsO nicht wahren, kann der Sachwalter bzw. der Insolvenzverwalter diese zurückweisen und die Eintragung in die Tabelle verweigern.9) 3.

Niederlegung der Tabelle

10 Die vollständige Tabelle der angemeldeten Forderungen hat der Sachwalter innerhalb des in § 175 Abs. 1 Satz 2 InsO genannten Zeitraums mit den Forderungsanmeldungen und den beigefügten Urkunden zur Niederlegung in der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts zwecks Einsicht der Beteiligten bei Gericht einzureichen.10) ___________ 6) Begr. RegE z. § 331 InsO (= § 270 InsO), abgedr. in: Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 528. 7) Holzer in: KPB, InsO, § 283 Rz. 15. 8) Vgl. hierzu nur Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 175 Rz. 9 f., auch m. w. N. zum Streitstand. 9) Vgl. hierzu i. E. Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 175 Rz. 10 f. 10) Es empfiehlt sich, die Praxis der Tabellenniederlegung des jeweils zuständigen Insolvenzgerichts zu beachten. Viele Insolvenzgerichte haben insoweit eigene Anforderungen an Art und Umfang der niederzulegenden Unterlagen, wobei diese teils nennenswert vom gesetzlichen Leitbild des § 175 Abs. 1 Satz 2 InsO abweichen.

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Forderungsanmeldung, Forderungsprüfung und Verteilung

§ 12

Auch in Großverfahren bzw. in Verfahren mit einer hohen Zahl an Forderungsanmeldun- 11 gen verpflichtet § 175 Abs. 1 Satz 2 InsO den Sachwalter und das Gericht dazu, die Anmeldungen an der Gerichtsstelle niederzulegen. Indes ist die zusätzliche Niederlegung an einem anderen Ort, z. B. im schuldnerischen Unternehmen oder in der Kanzlei des Sachwalters, zulässig;11) denkbar ist auch eine digitale Zugänglichmachung der Anmeldungen, sofern hinreichend gewährleistet ist, dass nur die Verfahrensbeteiligten entsprechend Einsicht nehmen können. Hierdurch kann im Einzelfall die bezweckte Möglichkeit der Einsichtnahme der Beteiligten effektiver durchgesetzt werden, so dass sich eine derartige zusätzliche Niederlegung – auch zur Entlastung der Gerichte – in entsprechenden Verfahren durchaus empfehlen kann. IV.

Forderungsprüfung

Die Klärung, welche Forderung an der Verteilung der Insolvenzmasse teilhaben, regelt das 12 Forderungsprüfungs- und -feststellungsverfahren gemäß §§ 176 ff. InsO. Eine Forderung, der kein widerspruchsberechtigter Beteiligter widersprochen hat, gilt dabei gemäß § 178 Abs. 1 InsO als festgestellt, was gemäß § 189 InsO Voraussetzung für die Berücksichtigung i. R. der Verteilung der Insolvenzmasse im ordentlichen Verteilungsverfahren ist. 1.

Prüfung der Forderungen in Terminen oder im schriftlichen Verfahren

Die Prüfung der angemeldeten Forderungen findet auch bei angeordneter Eigenverwal- 13 tung entweder in Prüfungsterminen gemäß § 176 InsO bzw. § 177 Abs. 1 Satz 2 InsO oder im schriftlichen Verfahren statt. Der erste Prüfungstermin ist vom Insolvenzgericht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 InsO im Er- 14 öffnungsbeschluss zu bestimmen; er soll demnach mindestens eine Woche und höchstens zwei Monate nach Ablauf der Forderungsanmeldungsfrist stattfinden. Der Prüfungstermin kann gemäß § 29 Abs. 2 InsO mit dem Berichtstermin verbunden werden. Bei der Terminierung durch das Gericht bzw. bei der Abstimmung der Forderungsanmeldungsfrist und des ersten Prüfungstermins sollte in der Praxis darauf geachtet werden, dass die Zeit zwischen Ablauf der Anmeldungsfrist und dem Prüfungstermin gerade in Verfahren mit mittlerer und hoher Gläubigerzahl nicht zu kurz bemessen ist.12) Die Prüfung der Forderungen im schriftlichen Verfahren anstelle einer Prüfung i. R. 15 eines ersten Prüfungstermins ist von der InsO nur in Fällen überschaubarer Vermögensverhältnisse des Schuldners gemäß § 5 Abs. 2 InsO zugelassen. Die Prüfung nachträglich angemeldeter Forderungen kann gemäß § 177 Abs. 1 Satz 2 16 InsO hingegen – unabhängig von den Vermögensverhältnissen des Schuldners – entweder i. R. eines oder mehrerer nachträglicher Prüfungstermine oder aber im schriftlichen Verfahren erfolgen. 1.1

Ablauf des Prüfungstermins

Im Prüfungstermin sind die angemeldeten bzw. im Fall des § 177 Abs. 1 Satz 2 InsO die 17 nachträglich angemeldeten Forderungen gemäß § 176 Satz 1 InsO ihrem Betrag und ihrem ___________ 11) Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 175 Rz. 21. 12) Hierbei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass gemäß § 175 Abs. 1 Satz 2 InsO die Niederlegung der Tabelle, die letztlich jedenfalls die Erfassung und Aufnahme sämtlicher angemeldeter Forderungen erfordert, innerhalb des ersten Drittels des Zeitraums zwischen dem Ablauf der Anmeldungsfrist und dem Prüfungstermin zu erfolgen hat. Liegt zwischen dem Ablauf der Forderungsanmeldungsfrist und dem Prüfungstermin nur der Mindestzeitraum von einer Woche, so verbleibt dem Sachwalter lediglich ein Zeitraum von zwei Tagen, um innerhalb des ersten Drittels dieser Woche die betreffenden Unterlagen an der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts zur Niederlegung zur Verfügung zu stellen.

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§ 12

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

Rang nach zu prüfen. Da die Widerspruchsberechtigten bereits zuvor die Möglichkeit hatten, die Tabelle der angemeldeten Forderungen und die Forderungsanmeldungen i. R. der Niederlegung gemäß § 175 Abs. 1 Satz 2 InsO einzusehen, ist ein Einzelaufruf jeder angemeldeten Forderung nicht erforderlich. Vielmehr genügt in der Regel der pauschale Aufruf der angemeldeten Forderungen, wobei hierfür auf die zuvor bereits niedergelegte Tabelle Bezug genommen werden kann.13) Der pauschale Aufruf der Forderungen ist mit der Aufforderung des Gerichts an die Anwesenden zu verbinden, sich zu melden, falls Forderungen bestritten werden sollen.14) Im Sinne der Beschleunigung des Verfahrens findet gemäß § 176 Satz 2 InsO eine Einzelerörterung nur hinsichtlich derjenigen Forderungen statt, die bestritten werden.15) In der insolvenzgerichtlichen Praxis hat es sich zudem bewährt, im Einverständnis aller anwesenden Teilnehmer des Prüfungstermins, ggf. lediglich die Forderungen der anwesenden bzw. im Termin vertretenen Gläubiger oder bestimmte einzelne andere Forderungen, an deren Erörterung Interesse besteht, zu erörtern. 1.2

Durchführung der Prüfung im schriftlichen Verfahren

18 Die gemäß § 5 Abs. 2 InsO oder gemäß § 177 Abs. 1 Satz 2 InsO zulässige Prüfung der (nachträglich) angemeldeten Forderungen im schriftlichen Verfahren hat im Hinblick auf das hierbei einzuhaltende Verfahren keine weitergehende Regelung in der InsO erfahren. Die Möglichkeit der schriftlichen Forderungsprüfung dient maßgeblich der Verfahrensvereinfachung, indes ist die hinreichende Wahrung der Rechte der teilnehmenden Gläubiger durch die konkrete Gestaltung des Verfahrens sicherzustellen.16) Ausgangspunkt der Gläubigerbeteiligung muss daher auch im schriftlichen Verfahren die Möglichkeit zur Einsichtnahme in die Tabelle i. R. der Niederlegung der Tabelle bzw. auch der nachträglich angemeldeten Forderungen gemäß bzw. analog § 175 Abs. 1 Satz 2 InsO sein.17) Das Insolvenzgericht hat zudem eine Ausschlussfrist zu bestimmen und öffentlich bekannt zu machen, innerhalb derer die widerspruchsberechtigten Beteiligten Widerspruch gegen angemeldete Forderungen erheben können.18) Innerhalb der gerichtlich gesetzten Frist können die Beteiligten schriftlich Widerspruch erheben. Das Insolvenzgericht hat die Widersprüche in die Tabelle aufzunehmen.19) Nach Ablauf der Frist eingehende Widersprüche sind unzulässig bzw. ausgeschlossen.20) 2.

Widerspruchsrecht i. R. der Forderungsprüfung

19 Ein Widerspruchsrecht, d. h. das Recht, gegen angemeldete Forderungen mit Wirkung auf die Verteilung im Insolvenzverfahren Widerspruch zu erheben bzw. Forderungen zu bestreiten, steht neben jedem Insolvenzgläubiger21) (vgl. § 178 Abs. 1 Satz 1 InsO) in der Eigen___________ 13) Pape/Schaltke in: KPB, InsO, § 176 Rz. 6, 7 m. w. N.; Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 176 Rz. 8. 14) Pape/Schaltke in: KPB, InsO, § 176 Rz. 7. 15) Riedel in: MünchKomm-InsO, § 176 Rz. 17. 16) Pape/Schaltke in: KPB, InsO, § 177 Rz. 17. 17) Specovius in: Braun, InsO, § 177 Rz. 14; Pape/Schaltke in: KPB, InsO, § 177 Rz. 18. 18) Pape/Schaltke in: KPB, InsO, § 177 Rz. 18 – auch zu weiteren Einzelheiten des einzuhaltenden Verfahrens). 19) Pape/Schaltke in: KPB, InsO, § 177 Rz. 18. 20) Specovius in: Braun, InsO, § 177 Rz. 15. 21) Widerspruchsberechtigt sind nur Insolvenzgläubiger, die selbst wirksam eine Forderung angemeldet haben, sodass Gläubiger, deren Forderungsanmeldungen zurückgewiesen wurden oder die – ggf. noch – keine Forderung angemeldet haben, nicht Widerspruch erheben können; vgl. z. B. Pape/Schaltke in: KPB, InsO, § 176 Rz. 25 – auch zu weiteren Einzelfragen).

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Forderungsanmeldung, Forderungsprüfung und Verteilung

§ 12

verwaltung sowohl dem Schuldner als auch dem Sachwalter zu (§ 283 Abs. 1 Satz 1 InsO). Der Widerspruch des Schuldners hat dabei gemäß § 283 Abs. 1 Satz 2 InsO – anders als im Regelinsolvenzverfahren – dieselbe Wirkung wie ein Widerspruch eines Gläubigers oder des Insolvenzverwalters im Regelinsolvenzverfahren: Bleibt die Forderung von einem der widerspruchsberechtigten Beteiligten widersprochen, so nimmt sie nicht an Verteilungen teil. Eine Ausnahme gilt nur für titulierte Forderungen, da insoweit gemäß § 179 Abs. 2 InsO der Bestreitende seinen Widerspruch (gerichtlich) verfolgen muss. Die in der Literatur vereinzelt geäußerte Kritik22) am vollwertigen Widerspruchsrecht 20 des Schuldners in der Eigenverwaltung vermag letztlich nicht zu überzeugen. Konstellationen, in denen der Schuldner seine verfahrensrechtliche Stellung aufgrund der Eigenverwaltung missbraucht, sind letztlich von vornherein durch Gläubiger und Gericht mit einer Aufhebung der Anordnung der Eigenverwaltung zu „ahnden“. Den Gläubigern der vom Schuldner bestrittenen Forderungen entsteht insoweit letztlich auch kein Nachteil, da konsequenterweise nach einer Aufhebung der Eigenverwaltung der dann zu bestellende Insolvenzverwalter das Recht hat, den Widerspruch des Schuldners – mit Wirkung für das Insolvenzverfahren, nicht hingegen mit Wirkung für eine etwaige Vollstreckung nach Verfahrensabschluss – zurückzunehmen. Der Insolvenzverwalter rückt in diesem Fall in die Stellung des eigenverwaltenden Schuldners ein. Andernfalls würde die Anordnung der Eigenverwaltung den Schuldner auch über die Aufhebung hinaus in eine Rechtsposition bringen, welche in keiner Weise dogmatisch zu begründen wäre. Die hiermit einhergehende Schlechterstellung der Gläubiger im Vergleich zur bereits von Anfang an erfolgten Durchführung eines Regelinsolvenzverfahrens hätte ebenfalls keine Grundlage. Demgegenüber ist vielmehr zu betonen, dass das Widerspruchsrecht des Schuldners in der Praxis der Eigenverwaltung gerade mit Blick auf das Zusammenspiel von Eigenverwaltung und Insolvenzplan von erheblicher Bedeutung ist: Gläubiger von Forderungen, welchen der Schuldner nicht widersprochen hat, können insoweit gemäß § 257 Abs. 1 Satz 1 InsO die Vollstreckung aus dem Insolvenzplan gegen den Schuldner betreiben, wenn ihre Forderung auch i. Ü. zur Tabelle festgestellt ist, d. h. wenn auch keine Widersprüche anderer Gläubiger oder des Sachwalters vorliegen.23) In der Praxis der Eigenverwaltung sollte also stets darauf geachtet werden, dass neben den 21 in aller Regel ohnehin in den Tabellendaten bereits vermerkten Widersprüchen des Sachwalters auch die Widersprüche des Schuldners wirksam erklärt und dokumentiert werden. Hierzu ist eine Protokollierung des Widerspruchs des Schuldners i. R. der gerichtlichen Niederschrift zum jeweiligen Prüfungstermin oder – im schriftlichen Verfahren – die fristgerechte schriftliche Einreichung des Widerspruchs zur Akte erforderlich. 3.

Beseitigung von Widersprüchen und Feststellungsrechtsstreite

Ist eine Forderung bestritten, so kann der Bestreitende seinen Widerspruch – ggf. nach 22 Vorlage weiterer Unterlagen durch den Gläubiger oder nach Verhandlungen über die Berechtigung der Forderung – gegenüber dem Insolvenzgericht zurücknehmen. Je nachdem, ob für die bestrittene Forderung bereits ein Vollstreckungstitel vorliegt, ist es gemäß § 179 Abs. 1 InsO am Gläubiger, den Widerspruch des Bestreitenden zu beseitigen, oder gemäß § 179 Abs. 2 InsO am Bestreitenden, seinen Widerspruch zu verfolgen.

___________ 22) Vgl. Haas in: Gottwald/Haas, InsR-Hdb., § 88 Rz. 16. 23) Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 257 Rz. 15.

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§ 12 3.1

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren Verhandlungen über Rücknahme des Widerspruchs

23 In der Praxis liegt dem Widerspruch des Insolvenzverwalters oder im Fall der Eigenverwaltung des Sachwalters bzw. des Schuldners oftmals eine der folgenden Fallkonstellationen zugrunde: 

das Fehlen hinreichender Nachweise bzw. Belege für eine Forderung,



die noch nicht abschließende Klärbarkeit der Höhe einer zunächst auf Schätzungen beruhenden Forderung oder



abweichende Rechtsauffassungen zur Berechtigung einer streitigen Forderung zwischen Schuldner bzw. Sachwalter einerseits und Gläubiger andererseits.

24 Im ersten Fall – Fehlen hinreichender Nachweise – empfiehlt es sich für den Gläubiger, vor der gerichtlichen Klärung der Berechtigung der Forderung weitere Unterlagen vorzulegen und dem bzw. den Bestreitenden eine angemessene Frist zur Rücknahme des Widerspruchs zu setzen. Schuldner und Sachwalter sind gehalten, derartige Anfragen zeitnah zu bearbeiten, um eine andernfalls drohende und mit einem entsprechenden Kostenrisiko für die Insolvenzmasse verbundene Feststellungsklage nach Möglichkeit zu vermeiden. Wird demgegenüber unmittelbar Feststellungsklage eingereicht, obwohl die Forderung wegen fehlender Nachweise bestritten wurde, läuft der Gläubiger Gefahr eines sofortigen Anerkenntnisses i. S. von § 93 ZPO mit der Rechtsfolge der Kostentragung.24) 25 Auch bei Forderungen auf Grundlage von Schätzungen oder im Fall abweichender Rechtsauffassungen über die Berechtigung einer angemeldeten Forderung – z. B. auch zur Frage des (Nach-) Rangs von Forderungen – empfiehlt es sich für alle Beteiligten, Verhandlungen über die Berechtigung der Forderung aufzunehmen und ggf. eine Einigung zu erzielen. Hierbei sollten sowohl der Schuldner und der Sachwalter wie auch der Gläubiger beachten, dass ein Feststellungsrechtsstreit mit Kosten verbunden sein wird, die letztlich sogar zulasten der Quotenerwartung aller Gläubiger gehen können. Eine einvernehmliche Regelung entsprechender Fragen i. R. von Vergleichen kann diese Kosten vermeiden und damit letztlich zu einer Erhöhung der Quotenerwartung beitragen. 3.2

Feststellungsrechtsstreit

26 Kommt eine einvernehmliche Klärung der Berechtigung einer bestrittenen Forderung zwischen dem Gläubiger einerseits und dem oder den Bestreitenden nicht zustande, so hat der Gläubiger die Möglichkeit, gegen den Bestreitenden Feststellungsklage gemäß § 179 Abs. 1, § 180 InsO zu erheben. Liegt für die bestrittene Forderung ein vollstreckbarer Schuldtitel oder ein Endurteil vor, so obliegt es demgegenüber gemäß § 179 Abs. 2 InsO dem Bestreitenden, seinen Widerspruch im hierfür vorgesehenen Verfahren zu verfolgen. 27 Eine Teilhabe an der Insolvenzmasse, d. h. die Teilnahme an Verteilungen, kommt – trotz des insoweit leicht widersprüchlichen Wortlauts des § 183 Abs. 1 InsO – nur dann in Betracht, wenn sämtliche Widersprüche beseitigt sind.25) 3.2.1 Vorfragen des Feststellungsrechtsstreits 28 Sowohl der Gläubiger einer bestrittenen Forderung als auch der bestreitende Schuldner oder Sachwalter im Eigenverwaltungsverfahren bzw. der bestreitende Insolvenzverwalter im Regelinsolvenzverfahren sollten im Vorfeld eines Feststellungsrechtsstreits neben den rechtlichen Prozessrisiken vor allem auch den wirtschaftlichen Sinn eines Rechtsstreits ___________ 24) Vgl. hierzu auch Pape/Schaltke in: KPB, InsO, § 179 Rz. 8. 25) Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 183 Rz. 2; Pape/Schaltke in: KPB, InsO, § 183 Rz. 11 m. w. N.

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abwägen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Quotenerwartung von vornherein nur gering ist und letztlich die Kosten des Feststellungsrechtsstreits – auch unter Berücksichtigung nötiger Zeugeneinvernahmen oder Sachverständigengutachten – die für den Gläubiger zu erwartende Quote bzw. die Auswirkung auf die Höhe der Quote für die übrigen Gläubiger deutlich übersteigen. 3.2.2 Führung des Rechtsstreits Abgesehen davon, dass der Gläubiger einer bestrittenen Forderung im Fall der Eigenver- 29 waltung – anders als im Regelinsolvenzverfahren – auch einen etwaigen Widerspruch des Schuldners beseitigen muss, um an einer künftigen Verteilung teilzunehmen, ergeben sich letztlich hinsichtlich der Führung von Feststellungsrechtsstreiten keine Besonderheiten gegenüber dem Regelinsolvenzverfahren. Damit gelten für die Zuständigkeit § 180 InsO und für den Streitwert insbesondere § 182 InsO. Das doppelte Widerspruchsrecht von Schuldner und Sachwalter kann in der Praxis für die 30 Gläubiger zu erhöhtem Aufwand führen, da zur Erlangung der Teilhabe an der Verteilung der Insolvenzmasse letztlich ggf. die Widersprüche mehrerer Personen zu beseitigen sind.26) In der Praxis sollten die Beteiligten daher versuchen, an einer für alle sinnvollen und ökonomischen Klärung mitzuwirken, so dass insbesondere eine streitige Klärung der Berechtigung einer Forderung letztendlich Wirkung gegen alle Bestreitenden entfaltet. Dies kann sowohl durch Prozessführung gegen alle Bestreitenden als auch im Wege entsprechender vertraglicher Erweiterung des Prozessausgangs in einem Feststellungsrechtsstreit auf weitere Bestreitende geschehen. Wird Feststellungsklage gegen den Schuldner und den Sachwalter in einem Rechtsstreit geführt, so sind die beklagten Bestreitenden notwendige Streitgenossen i. S. von § 62 ZPO, so dass eine Entscheidung letztlich nur einheitlich ergehen kann.27) 3.2.3 Kosten des Feststellungsrechtsstreits Über die Kosten des Feststellungsrechtsstreits entscheidet das Prozessgericht nach den 31 maßgebenden Normen des jeweiligen Verfahrensrechts, im Zivilprozess nach §§ 91 ff. ZPO.28) Demnach ist im Bereich des arbeitsgerichtlichen Verfahrens insbesondere § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG zu beachten, wonach gerade in erstinstanzlichen Feststellungsrechtsstreiten vor den Arbeitsgerichten ein prozessualer Anspruch der obsiegenden Partei auf Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten nicht besteht. Nimmt der Bestreitende seinen Widerspruch nach Erhebung der Feststellungsklage zu- 32 rück, so liegt regelmäßig ein Fall der Erledigung des Rechtsstreits vor, so dass das Gericht über die Kosten nach § 91a ZPO zu entscheiden hat. Hat der bestreitende Schuldner oder Sachwalter – insbesondere in Fällen des Bestreitens wegen fehlender Nachweisunterlagen – keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben, so kommt auch ein sofortiges Anerkenntnis i. S. von § 93 ZPO durch den Bestreitenden in Betracht.29) Demgegenüber ist im Fall der Aufnahme eines bereits anhängigen Rechtsstreits ein sofortiges Anerkenntnis nur in den seltensten Fällen möglich, da nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ein vorange___________ 26) Pape in: Kölner Schrift, S. 767 Rz. 46, kann gerade vor diesem Hintergrund das vollwertige Widerspruchsrecht des Schuldners gemäß § 283 Abs. 1 InsO nicht nachvollziehen. Die Kritik von Pape geht indes m. E. zu weit, da verkannt wird, dass natürlich im Eigenverwaltungsverfahren die Federführung beim Schuldner liegen muss, der auch im Bereich der Anerkennung der gegen ihn gerichteten Forderungen nicht durch den Sachwalter verdrängt werden darf. 27) Pape/Schaltke in: KPB, InsO, § 179 Rz. 9; Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 180 Rz. 17. 28) Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 181 Rz. 19. 29) Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 181 Rz. 21 m. w. N.; Pape/Schaltke in: KPB, InsO, § 179 Rz. 8.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

gangenes Verhandeln des Schuldners im eröffneten Insolvenzverfahren fortwirkt und auch eine Aufteilung der Kosten analog § 105 InsO für nicht zulässig erachtet wird.30) Werden im Eigenverwaltungsverfahren dem Schuldner oder dem Sachwalter die Kosten eines Feststellungsrechtsstreits auferlegt, so handelt es sich hierbei um Masseverbindlichkeiten analog § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. 3.3

Rücknahme des Widerspruchs

33 Der Bestreitende kann seinen Widerspruch – insbesondere in den soeben erläuterten Fällen – durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Insolvenzgericht zurücknehmen. Im Fall einer erfolgreichen Feststellungsklage gilt die entsprechende Erklärung letztlich mit Eintritt der Rechtskraft gemäß § 894 Satz 1 ZPO als erteilt. V.

Verteilung der Insolvenzmasse

34 Die Verteilung der Insolvenzmasse findet gemäß §§ 187 ff. InsO in Abschlags- oder Schlussverteilungen statt, sofern nicht in einem Insolvenzplan eine hiervon abweichende Regelung getroffen wird. In Eigenverwaltungsverfahren weist § 283 Abs. 2 Satz 1 InsO die Aufgaben i. R. der Verteilung im Wesentlichen dem Schuldner zu. Der Sachwalter ist – ausgehend von der Rollenverteilung in der Eigenverwaltung – letztlich auf eine Prüfungsund Stellungnahmepflicht beschränkt. 35 Da die Eigenverwaltung in vielen Fällen – gerade, aber nicht nur im Fall eines vorgeschalteten Schutzschirmverfahrens gemäß § 270b InsO – auf eine Sanierung mittels Insolvenzplan abzielt, dürften Verteilungen i. S. von §§ 187 ff., 283 Abs. 2 InsO im Eigenverwaltungsinsolvenzverfahren eher die Ausnahme darstellen. Das förmliche Verteilungsverfahren der InsO wird in der Praxis der Eigenverwaltung insbesondere in folgenden Fällen zur Anwendung kommen: 

Durchführung von Abschlagsverteilungen vor der Bestätigung eines Insolvenzplans oder



Durchführung von Abschlags- und/oder Schlussverteilungen in Verfahren, in denen bei angeordneter Eigenverwaltung gleichwohl kein Insolvenzplan beschlossen wird.

1.

Aufgabenzuweisung an Schuldner (§ 283 Abs. 2 Satz 1 InsO)

36 Gemäß § 283 Abs. 2 Satz 1 InsO nimmt die Verteilungen der Schuldner vor. Demnach obliegen die Aufstellung des Verteilungsverzeichnisses, dessen Niederlegung auf der Geschäftsstelle und die Anzeige der Summe der Forderungen sowie des zur Verteilung verfügbaren Betrags aus der Insolvenzmasse gegenüber dem Gericht zwecks öffentlicher Bekanntmachung bei angeordneter Eigenverwaltung ausschließlich dem Schuldner. Diese Aufgabenzuweisung trägt der Tatsache Rechnung, dass im Fall der Eigenverwaltung im Regelfall der Schuldner in die Pflichtenstellung des sonst zu bestellenden Insolvenzverwalters einrückt.31) Wurde das gesamte Insolvenzverfahren bis zur Aufhebung nach der Schlussverteilung in Eigenverwaltung durchgeführt, so obliegt auch die Durchführung einer Nachtragsverteilung gemäß §§ 203 ff. InsO dem Schuldner.32) 37 Verteilungen bedürfen gemäß § 187 Abs. 3 Satz 2 InsO auch im Eigenverwaltungsverfahren der Zustimmung eines Gläubigerausschusses. Die Schlussverteilung setzt gemäß § 196 ___________ 30) BGH v. 28.9.2006 – IX ZB 312/04, ZIP 2006, 2132, dazu krit. EWiR 2007, 85 (Hofmann); ebenfalls krit. Schumacher in: MünchKomm-InsO, § 180 Rz. 32. 31) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 283 Rz. 5. 32) Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 283 Rz. 10.

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§ 12

Abs. 2 InsO zudem die Zustimmung des Insolvenzgerichts voraus. Darüber hinaus kann das Insolvenzgericht unter den entsprechenden Voraussetzungen des § 277 InsO auch anordnen, dass Verteilungen der Zustimmung des Sachwalters bedürfen.33) 2.

Verteilungsverzeichnis des Schuldners

Da die Verteilungen gemäß § 283 Abs. 2 Satz 1 InsO vom Schuldner vorzunehmen sind, 38 hat der Schuldner auch die gemäß §§ 188, 193 InsO erforderlichen Verzeichnisse aufzustellen, die sowohl vor Abschlags- wie auch vor einer Schlussverteilung vorgesehen sind. Das Verteilungsverzeichnis hat sämtliche gemäß §§ 189 bis 191 InsO zu berücksichtigen- 39 den Forderungen zu enthalten, namentlich 

alle festgestellten Forderungen, d. h. alle Forderungen, gegen die kein Widerspruch eines anderen Insolvenzgläubigers, des Schuldners oder des Sachwalters erhoben ist,



gemäß § 189 InsO bestrittene Forderungen, hinsichtlich derer ein Feststellungsrechtsstreit geführt wird, wobei der auf die Forderung entfallende Betrag gemäß § 189 Abs. 2 InsO zunächst zurückzubehalten ist,



gemäß § 190 InsO zur abgesonderten Befriedigung berechtigende Forderungen, soweit der Gläubiger nachweist, dass und in welcher Höhe er auf abgesonderte Befriedigung verzichtet, bei der Verwertung ausgefallen ist oder voraussichtlich ausfallen wird, und



gemäß § 191 InsO aufschiebend bedingte Forderungen, wobei der auf diese Forderungen entfallende Betrag i. R. von Abschlagsverteilungen zurückzubehalten ist.

Die inhaltlichen Anforderungen an das Verteilungsverzeichnis decken sich damit im ei- 40 genverwalteten Insolvenzverfahren mit denjenigen an das Verteilungsverzeichnis eines Insolvenzverwalters im Regelinsolvenzverfahren. Mindestinhalt des Verteilungsverzeichnisses sind die Bezeichnung des jeweiligen Gläubigers und die Höhe des bei der Verteilung zu berücksichtigenden, d. h. festgestellten Forderungsbetrags.34) Der Schuldner hat für die Niederlegung des Verteilungsverzeichnisses in der Geschäfts- 41 stelle des Insolvenzgerichts zur Einsichtnahme der Beteiligten entsprechend § 188 Satz 2 InsO Sorge zu tragen, indem er das Verzeichnis rechtzeitig zum Zwecke der Niederlegung bei Gericht einreicht. Zudem hat der Schuldner entsprechend § 188 Satz 3 InsO dem Gericht die Summe der zu berücksichtigenden Forderungen und den für die Verteilung verfügbaren Betrag mitzuteilen. Das Gericht hat diese Daten öffentlich bekannt zu machen, wobei die Bekanntmachung gemäß § 9 InsO durch Veröffentlichung auf der zentralen und länderübergreifenden Internetseite www.insolvenzbekanntmachungen.de erfolgt. 3.

Stellungnahme des Sachwalters zum Verteilungsverzeichnis (§ 283 Abs. 2 Satz 2 InsO)

Unabhängig von der Zustimmung des Gläubigerausschusses, des Insolvenzgerichts oder 42 einer etwaig gemäß § 277 InsO erforderlichen Zustimmung des Sachwalters obliegt dem Sachwalter in jedem Fall gemäß § 283 Abs. 2 Satz 2 InsO die Prüfung des vom Schuldner vorgelegten Verteilungsverzeichnisses. Zugleich hat der Sachwalter zu dem Verzeichnis eine schriftliche Stellungnahme abzugeben. Er ist dabei gehalten, denselben Sorgfaltsmaßstab wie an die Aufstellung eines Verteilungsverzeichnisses selbst anzulegen.35) Die Stellungnahme des Sachwalters hat sich insoweit an das Insolvenzgericht zu richten, das die Stel___________ 33) Kern in: MünchKomm-InsO, § 283 Rz. 24; Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 283 Rz. 12. 34) Castrup in: Graf-Schlicker, InsO, § 188 Rz. 2. 35) Kern in: MünchKomm-InsO, § 283 Rz. 22.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

lungnahme analog § 188 Satz 2 InsO gemeinsam mit dem Verteilungsverzeichnis zur Einsicht der Beteiligten auf der Geschäftsstelle niederlegt.36) 43 Ein Recht, inhaltlich gegen das Verteilungsverzeichnis vorzugehen, steht dem Sachwalter jedoch von vornherein nicht vor. Vielmehr dient seine Stellungnahme dazu, entsprechende Einwendungen einzelner Gläubiger gemäß § 194 InsO zu ermöglichen bzw. vorzubereiten.37) 4.

Einwendungen gegen das Verteilungsverzeichnis und Berichtigung des Verteilungsverzeichnisses

44 Gläubiger nicht berücksichtigter Forderungen, deren Forderungen nicht als tituliert zu berücksichtigen sind, haben die Möglichkeit, gegen eine Nichtberücksichtigung i. R. einer Verteilung gemäß §§ 189 ff. InsO vorzugehen, insbesondere Feststellungsklage zu führen bzw. einen zuvor unterbrochenen Rechtsstreit wieder aufzunehmen (vgl. § 189 Abs. 1 InsO). Die Beseitigung des Widerspruchs muss hierbei gegen jeden Widersprechenden betrieben werden. Die Berücksichtigung einer bestrittenen Forderung setzt letztlich voraus, dass der Gläubiger der im Verteilungsverzeichnis noch unberücksichtigten Forderung binnen zwei Wochen nach der öffentlichen Bekanntmachung die Einleitung des Feststellungsrechtsstreits nachweist. In der Eigenverwaltung hat der in §§ 189, 190 InsO vorgesehene Nachweis gegenüber dem Schuldner zu erfolgen, da der Schuldner im Zuge der ihm übertragenen Verteilung gerade auch die Verzeichnisse aufstellen und ggf. berichtigen muss. 45 Sind Änderungen des Verteilungsverzeichnisses gemäß §§ 189 bis 192 InsO erforderlich, so hat der Schuldner diese entsprechend § 193 InsO binnen drei Tagen nach Ablauf der Frist des § 189 Abs. 1 InsO vorzunehmen und sodann dem Gericht ein aktualisiertes Verteilungsverzeichnis vorzulegen. 46 Bis zum Ablauf einer Woche nach dem Ende der Ausschlussfrist gemäß § 189 Abs. 1 InsO steht Gläubigern im Fall von Abschlagsverteilungen das Recht zu, Einwendungen gegen das Verteilungsverzeichnis zu erheben (§ 194 Abs. 1 InsO). Über Einwendungen entscheidet gemäß § 194 Abs. 2 und 3 InsO das Insolvenzgericht, das die Einwendungen entweder zurückweisen oder eine Berichtigung des Verzeichnisses anordnen kann. Gegen die entsprechenden Entscheidungen sieht § 194 Abs. 2, Abs. 3 InsO jeweils die sofortige Beschwerde der belasteten Partei, d. h. des Gläubigers bzw. – anstelle des Insolvenzverwalters – des Schuldners, vor. 5.

Durchführung der Verteilung

47 Nach Vorliegen der ggf. erforderlichen Zustimmungen, der Stellungnahme des Sachwalters und nach ggf. erforderlicher Berichtigung des Verteilungsverzeichnisses nimmt der Schuldner gemäß § 283 Abs. 2 Satz 1 InsO die Verteilung vor. 48 Im Fall einer Abschlagsverteilung haben gemäß § 195 Abs. 1 InsO der Gläubigerausschuss auf Vorschlag des Schuldners oder – falls kein Gläubigerausschuss bestellt ist – der Schuldner selbst den zu zahlenden Bruchteil zu bestimmen; dies kann denknotwendig erst nach Berücksichtigung der gegen das Verteilungsverzeichnis ggf. erhobenen Einwendungen erfolgen. Der Schuldner hat den berücksichtigten Gläubigern den Bruchteil gemäß § 195 Abs. 2 InsO mitzuteilen. Die Mitteilung kann schriftlich, mündlich oder im Wege der

___________ 36) Kern in: MünchKomm-InsO, § 283 Rz. 22; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 283 Rz. 6. 37) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 283 Rz. 6.

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§ 12

öffentlichen Bekanntmachung erfolgen;38) ebenfalls ausreichend ist die Mitteilung i. R. des Verwendungszwecks der Überweisung der entsprechenden Auszahlung.39) Soweit der Sachwalter die Kassenführung gemäß § 275 Abs. 2 InsO übernommen hat, 49 obliegt die Verteilung gemäß § 283 Abs. 2 Satz 1 InsO gleichwohl dem Schuldner. Da der Sachwalter im Bereich der Kassen- bzw. Kontenführung gemäß § 275 Abs. 2 InsO den Schuldner nicht verdrängt, verbleibt es auch bei übernommener Kassenführung bei der Aufgabenverteilung gemäß § 283 Abs. 2 InsO. Der Sachwalter hat daher nach der entsprechenden Entscheidung des Schuldners, eine Verteilung durchzuführen, und nach Einhaltung der Formalien auf Grundlage der vom Schuldner zu erstellenden Verzeichnisse die Auszahlungen an die Gläubiger vorzunehmen. VI.

Abstimmung zwischen Sachwalter und Schuldner bei Forderungsprüfung und Verteilung

Im Bereich der Tabellenführung, der Forderungsprüfung und der Verteilung empfiehlt 50 sich – wie auch in sonstigen Bereichen der Verfahrensabwicklung – aufgrund der gesetzlich vorgesehenen Aufgabenverteilung eine enge Abstimmung zwischen Schuldner und Sachwalter. Dies gilt insbesondere in folgenden Bereichen: Bereits die Vorbereitung der Forderungsprüfung sollte – soweit zeitlich möglich – zwi- 51 schen Schuldner und Sachwalter abgestimmt werden, um möglichst einheitliche Prüfungsergebnisse zu erhalten. Beabsichtigt der Sachwalter, Forderungen zu widersprechen, die aus seiner Sicht nicht hinreichend nachgewiesen sind, kann der Schuldner die entsprechenden Einwände ggf. anhand ihm vorliegender Unterlagen entkräften und so bereits frühzeitig ein einheitliches Prüfungsergebnis bewirken. Eine frühzeitige Abstimmung der Forderungsprüfung ermöglicht zudem, dass die Tabellenabteilung der Sachwalterkanzlei auch die Widersprüche des Schuldners ggf. bereits vorab in den für das Insolvenzgericht vorzubereitenden Tabellenblättern vermerkt. Dies wiederum erleichtert und beschleunigt die Durchführung der Prüfungstermine in aller Regel erheblich. Widersprechen sowohl Schuldner als auch Sachwalter einer Forderung und kann über die 52 Berechtigung der Forderung mit dem Gläubiger kein Einvernehmen erzielt werden, so sollte die Durchführung des Feststellungsrechtsstreits zwischen Schuldner und Sachwalter abgestimmt werden, um insbesondere zusätzliche Kosten, welche im Unterliegensfall die Masse belasten, zu vermeiden. Insbesondere sollten Schuldner und Sachwalter möglichst die gemeinsame Mandatierung eines Prozessbevollmächtigten anstreben.40) Da Verteilungsverzeichnis und Verteilung auf der vom Sachwalter geführten Tabelle auf- 53 setzen, empfiehlt sich eine Vorbereitung der entsprechenden Unterlagen bzw. Zahlungsverkehrsdateien in der Kanzlei des Sachwalters. VII. Besonderheiten in Verfahren mit großer Gläubigerzahl In Verfahren mit großer Gläubigerzahl stellen die Information der Gläubiger, die Führung 54 der Tabelle der angemeldeten Forderungen und insbesondere die Prüfung der Forderungen oftmals eine erhebliche logistische Herausforderung dar. Nach Verfahrenseröffnung müssen oftmals mehrere 1.000, mehrere 10.000 oder gar mehrere 100.000 Gläubiger41) zur Forderungsanmeldung aufgefordert, deren Forderungsanmeldungen entgegengenommen ___________ 38) 39) 40) 41)

Holzer in: KPB, InsO, § 195 Rz. 10; Pehl in: Braun, InsO, § 195 Rz. 6. Pehl in: Braun, InsO, § 195 Rz. 6. Vgl. hierzu auch Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 308. Am Insolvenzverfahren der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG, welches zunächst in Eigenverwaltung geführt wurde, sind über 1 Mio. Gläubiger beteiligt.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

und bearbeitet werden. Dies ist natürlich mit erheblichem personellem Aufwand in der Kanzlei des Sachwalters und – im Hinblick auf die Forderungsprüfung – auch beim Schuldnerunternehmen verbunden. 55 Die Praxis sucht in derartigen Fällen verständlicherweise nach Möglichkeiten, den Prüfungsaufwand so gering wie möglich zu halten. Insbesondere in Fällen, in denen die Buchhaltung des Schuldnerunternehmens verlässlich erscheint, sind derartige Vereinfachungen wie folgt möglich: 56 Bereits im Vorfeld der Verfahrenseröffnung sollten Schuldner und (vorläufiger) Sachwalter möglichst mit dem Gericht die gemäß § 28 Abs. 1, § 29 Abs. 2 InsO nötige Bestimmung der Anmeldefrist und des ersten Prüfungstermins abstimmen. Hierbei wird insbesondere zu berücksichtigen sein, wie viel Zeit zur Aufnahme der erwarteten Zahl an Forderungsanmeldungen in die Tabelle und zur (Vor-)Prüfung der entsprechenden Forderungen erforderlich ist. Ein erhebliches Überschreiten der in § 28 Abs. 1 bzw. § 29 Abs. 2 InsO genannten Zeiträume ist hierbei – auch im Fall des nicht als Soll-Vorschrift ausgestalteten § 28 Abs. 1 Satz 2 InsO – im Einzelfall durchaus möglich.42) 57 Die Gläubiger erhalten i. R. der Aufforderung zur Forderungsanmeldung bereits ein mit den Daten aus der Buchhaltung des Schuldnerunternehmens – sowohl zu den Kontaktdaten des Gläubigers wie auch insbesondere zur Höhe der betreffenden Forderung – ausgefülltes Forderungsanmeldungsformular übermittelt. Zugleich stellen der Insolvenzverwalter oder im Fall der Eigenverwaltung der Sachwalter und der Schuldner in Aussicht, die Forderung anzuerkennen, wenn eine Anmeldung ohne Änderung des übermittelten Vordrucks erfolgt, d. h. insbesondere keine weitergehenden (Neben-)Forderungen geltend gemacht werden. 58 Da die Daten in diesem Fall vollständig aus der Buchhaltung des Schuldnerunternehmens in die Tabellenverwaltungssoftware des Sachwalters übernommen werden können, sind – für die Gläubiger, welche die Forderung ohne Änderung anmelden – sowohl die Aufnahme des bereits vorhandenen Datensatzes in die Tabelle als auch die Prüfung der Berechtigung der Forderung deutlich erleichtert. 59 Bedenken begegnet eine entsprechende Vorgehensweise jedoch immer dann, wenn die Kreditorenbuchhaltung des Schuldnerunternehmens nicht vollständig verlässlich erscheint.

___________ 42) Vgl. auch AG Bonn v. 1.9.2011 – 98 IN 162/11 (TelDaFax Holding AG); das Gericht hat im dortigen Fall die Anmeldefrist auf fünf Monate festgesetzt und anstelle eines Prüfungstermins – im Widerspruch zum Wortlaut des § 5 InsO – die schriftliche Forderungsprüfung angeordnet und die anstelle eines Prüfungstermins zu setzende Widerspruchsfrist auf rund zehn Monate und damit etwa fünf Monate nach Ablauf der Anmeldefrist angesetzt.

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§ 13 Vorbereitung und Ablauf der Gläubigerversammlung Hofmann

I.

Rechtsstellung der Gläubigerversammlung..................................................... 1 1. Gläubigerautonomie .................................... 3 2. Wesentliche Zuständigkeiten der Gläubigerversammlung ................................ 5 II. Einberufung................................................. 6 1. Antragsrecht und Einberufung von Amts wegen .................................................. 7 2. Einberufung durch das Insolvenzgericht ......................................................... 12 3. Öffentliche Bekanntmachung ................... 14 III. Vorbereitung ............................................. 15 1. Herbeiführen angemessener Gläubigerbeteiligung ............................................. 16 2. Zusätzliche Vorbereitung in Großverfahren ..................................................... 24 3. Kosten......................................................... 28 IV. Durchführung ........................................... 30 1. Leitung durch das Insolvenzgericht.......... 31

I.

2.

Teilnahmeberechtigung ............................. 34 2.1 Kreis der Teilnahmeberechtigten .............................................. 35 2.2 Vertretung von Gläubigern........... 38 2.3 Teilnahme von Dritten, insbesondere Pressevertretern............... 41 3. Zulässigkeit von Online- und VideoGläubigerversammlungen .......................... 44 V. Beschlussfassung ....................................... 50 1. Mehrheitserfordernis ................................. 51 2. Feststellung der Stimmrechte.................... 52 3. Stimmrechtsausschluss .............................. 60 4. Durchführung der Abstimmung in der Praxis .................................................... 61 5. Aufhebung von Beschlüssen nach § 78 InsO .................................................... 64 6. Umsetzung der Beschlüsse der Gläubigerversammlung ...................................... 70

Rechtsstellung der Gläubigerversammlung

Die Gläubigerversammlung ist das oberste Organ der Gläubigergemeinschaft. Durch die 1 in der InsO vorgesehenen Entscheidungsbefugnisse der Gläubigerversammlung (siehe hierzu Rz. 5) haben die Gläubiger als Gemeinschaft die Möglichkeit, auf wesentliche Entscheidungen, insbesondere auf verfahrensleitende und strategische Entscheidungen, Einfluss zu nehmen. Hierbei ist die Gläubigerversammlung indes ausschließlich internes Organ der insolvenzrechtlichen Selbstverwaltung, so dass ihre Beschlüsse nicht im Außenverhältnis wirken, sondern ausschließlich im Innenverhältnis bindende Wirkung entfalten.1) Soweit die Beschlüsse der Gläubigerversammlung nicht eine Umsetzung durch das Insolvenzgericht erfordern, binden sie im eigenverwalteten Insolvenzverfahren damit insbesondere den Schuldner und dessen Organe bzw. i. R. seiner Befugnisse auch den Sachwalter. Neben der Gläubigerversammlung als Versammlung aller Gläubiger sieht das Schuldver- 2 schreibungsgesetz (SchVG) in seinem Anwendungsbereich die Versammlung der Schuldverschreibungsgläubiger vor, welche im Insolvenzverfahren ebenfalls vom Insolvenzgericht einberufen und geleitet wird.2) 1.

Gläubigerautonomie

Die Gläubigerversammlung dient der Verwirklichung der Gläubigerautonomie, die einen 3 der Verfahrensgrundsätze der InsO darstellt. Die Gläubiger, deren Befriedigung das Verfahren dient (vgl. § 1 Satz 1 InsO), sollen Herren des Verfahrens sein und autonom über Form und Art der Verwertung des Schuldnervermögens sowie über den Gang des Verfahrens entscheiden.3) ___________ 1) Kübler in: KPB, InsO, § 74 Rz. 3 f. 2) Eingehender Kübler in: KPB, InsO, § 74 Rz. 16, § 75 Rz. 22 ff. und § 76 Rz. 25 ff. 3) Kübler in: KPB, InsO, § 74 Rz. 3 – 6.

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§ 13

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

4 Nach der Konzeption der InsO dient die Gläubigerversammlung nicht nur der Verwirklichung der Autonomie der (unbesicherten) Insolvenzgläubiger, sondern auch der absonderungsberechtigten Gläubiger, was sich insbesondere am Teilnahme- und Stimmrecht absonderungsberechtigter Gläubiger zeigt. Demgegenüber sieht die InsO keine Beteiligung von Aussonderungsberechtigten oder – selbst im Fall der Masseunzulänglichkeit – von Massegläubigern vor. 2.

Wesentliche Zuständigkeiten der Gläubigerversammlung

5 Die Zuständigkeiten der Gläubigerversammlung sind in der InsO abschließend geregelt.4) Die wesentlichen Zuständigkeiten der Gläubigerversammlung im eigenverwalteten Insolvenzverfahren sind demnach: 

Entscheidung über Betriebsfortführung, Betriebseinstellung bzw. Betriebsveräußerung (§ 157 InsO),



Entscheidung über die nachträgliche Anordnung der Eigenverwaltung (§ 271 InsO),



Entscheidung über die Aufhebung der Anordnung der Eigenverwaltung (§ 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO),



Wahl eines neuen Sachwalters in der ersten Gläubigerversammlung (§ 57 Satz 1 i. V. m. § 274 Abs. 1 InsO),



Antrag auf Entlassung des Sachwalters (§ 59 i. V. m. § 274 Abs. 1 InsO),



Entscheidung über die Einsetzung oder Beibehaltung eines Gläubigerausschusses, Wahl der Mitglieder des Gläubigerausschusses (§ 68 InsO),



Entgegennahme von Auskünften und Berichten des Schuldners und des Sachwalters (§§ 79, 156, 281 Abs. 2 InsO),



Zustimmung zu bedeutsamen Rechtshandlungen (§§ 160, 162, 276 InsO),



Beschlussfassung über den Insolvenzplan.

II.

Einberufung

6 Die ordnungsgemäße Einberufung der Gläubigerversammlung ist Grundvoraussetzung einer formal ordnungsgemäß durchgeführten Gläubigerversammlung. Um allen Gläubigern gleichermaßen eine Teilnahme an der Gläubigerversammlung zu ermöglichen und den Zugang zu Informationen im Insolvenzverfahren einheitlich zu gewährleisten, muss die Einberufung strengen Formalien genügen.5) Da Entscheidungen der Gläubigerversammlung oftmals zeitnah einzuholen sind und zudem – gerade bei großer Gläubigerzahl – die Durchführung jeder Gläubigerversammlung auch mit nennenswerten Kosten verbunden sein kann, ist bei der ordnungsgemäßen Vorbereitung seitens aller Beteiligten hohe Sorgfalt erforderlich. 1.

Antragsrecht und Einberufung von Amts wegen

7 Nach § 74 Abs. 1 Satz 1 InsO wird die Gläubigerversammlung vom Insolvenzgericht einberufen. Die Einberufung erfolgt – neben den gesetzlich normierten Fällen einer Gläubigerversammlung6) – entweder von Amts wegen7) oder auf Antrag einer der in § 75 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 4 InsO genannten Personen bzw. Personengruppen. ___________ 4) 5) 6) 7)

434

Eingehend z. B. die ausführliche Darstellung bei Kübler in: KPB, InsO, § 74 Rz. 5 f. Wipperfürth in: Graf-Schlicker, InsO, § 74 Rz. 2. Vgl. hierzu z. B. Wipperfürth in: Graf-Schlicker, InsO, § 74 Rz. 4. Wipperfürth in: Graf-Schlicker, InsO, § 74 Rz. 26.

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Vorbereitung und Ablauf der Gläubigerversammlung

§ 13

In der Regelinsolvenz ist demnach insbesondere der Insolvenzverwalter gemäß § 75 8 Abs. 1 Nr. 1 InsO berechtigt, die Einberufung der Gläubigerversammlung zu beantragen. Nach allgemeiner Ansicht ist § 75 Abs. 1 Nr. 1 InsO – unter Berücksichtigung der Aufgabenverteilung zwischen Schuldner und Sachwalter – im Fall der Anordnung der Eigenverwaltung i. S. eines Einberufungsantragsrechts des Schuldners zu lesen.8) Der Schuldner soll hierdurch insbesondere in die Lage versetzt werden, gemäß §§ 276, 160 InsO erforderliche Zustimmungen einzuholen oder anderweitig die Gläubiger an verfahrensleitenden Entscheidungen zu beteiligen. Demgegenüber besteht nach überwiegender und zutreffender Auffassung kein allgemeines 9 Antragsrecht des Sachwalters.9) Jedoch ist im eigenen Kompetenzbereich des Sachwalters, namentlich i. R. der ihm gemäß § 280 InsO obliegenden Anfechtungs- und Haftungsdurchsetzung, ein – inhaltlich beschränktes – Antragsrecht des Sachwalters anzuerkennen;10) hierfür spricht, dass auch der Sachwalter verfahrensrechtlich in die Lage versetzt werden muss, eine Entscheidung der Gläubigerversammlung herbeizuführen, sofern er bei fehlender Bestellung eines Gläubigerausschusses der Zustimmung der Gläubigerversammlung gemäß § 160 Abs. 1 Satz 2 InsO zu einer besonders bedeutsamen Rechtshandlung bedarf, z. B. zum Abschluss eines Vergleichs. In der Praxis wird zudem in begründeten Fällen auf Anregung des Sachwalters eine Einberufung der Gläubigerversammlung von Amts wegen in Betracht kommen. Zudem wird sich der Sachwalter – insbesondere in Fällen, in denen es um zu besorgende Nachteile der Eigenverwaltung geht – als ultima ratio seines Informationsrechts gemäß § 274 Abs. 3 InsO zu bedienen haben. Während in Fällen offensichtlicher Nachteile einer Fortsetzung der Eigenverwaltung das 10 Insolvenzgericht seit Inkrafttreten des SanInsFoG gemäß § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO auch die Möglichkeit hat, die Anordnung der Eigenverwaltung von Amts wegen aufzuheben, dürfte in anderen Fällen oder in Zweifelsfällen eine Pflicht des Insolvenzgerichts im Raum stehen, von Amts wegen eine Gläubigerversammlung einzuberufen, um eine Entscheidung der Gläubigerversammlung über die Fortdauer der Eigenverwaltung gemäß § 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO herbeizuführen. Die weiteren Antragsrechte gemäß § 75 Abs. 1 Nr. 2 bis Nr. 4 InsO zugunsten des Gläu- 11 bigerausschusses bzw. der genannten Gläubigerquoren gelten auch im Fall der Anordnung der Eigenverwaltung. 2.

Einberufung durch das Insolvenzgericht

Der Einberufung der Gläubigerversammlung geht – gerade bei einem Einberufungsantrag 12 gemäß § 75 InsO – regelmäßig eine entsprechende Terminabsprache mit dem Insolvenzverwalter voraus. Bei angeordneter Eigenverwaltung sollte das Gericht nach Möglichkeit die Termine sowohl mit dem Schuldner bzw. dessen Beratern wie auch mit dem Sachwalter abstimmen, wobei die interne Abstimmung zwischen Schuldner und Sachwalter sicherlich einem von beiden überlassen werden kann. Die Einberufung der Gläubigerversammlung erfolgt durch Beschluss des Insolvenzge- 13 richts. Rechtsmittel gegen die Einberufung der Gläubigerversammlung sind nicht gegeben. Allerdings sind – wie im Fall sämtlicher insolvenzgerichtlichen Termine11) – Termin___________ 8) Kern in: MünchKomm-InsO, Vor §§ 270 bis 285 Rz. 90; Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 90 ff. m. w. N. 9) Kern in: MünchKomm-InsO, Vor §§ 270 bis 285 Rz. 90; Kübler in: KPB, InsO, § 75 Rz. 5; Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 90 ff. m. w. N. 10) Ebenso Kübler in: KPB, InsO, § 75 Rz. 5. 11) Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 4 Rz. 49.

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§ 13

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

verlegungsanträge gemäß § 4 InsO, § 227 ZPO möglich, über die das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden hat.12) 3.

Öffentliche Bekanntmachung

14 Gemäß § 74 Abs. 2 Satz 1 InsO sind Zeit, Ort und Tagesordnung jeder Gläubigerversammlung gemäß § 9 InsO13) öffentlich bekannt zu machen. Eine Ladung der einzelnen Gläubiger ist indes nicht vorgesehen. III.

Vorbereitung

15 Die Vorbereitung von Gläubigerversammlungen wird in der Praxis oftmals vernachlässigt, ist aber – nicht nur in großen Verfahren – ein zweckmäßiges und wesentliches Mittel, um eine an den Gläubigerinteressen ausgerichtete Abwicklung des gesamten Insolvenzverfahrens zu erreichen. Abgesehen von der rein formalen Vorbereitung durch das Insolvenzgericht wird vielfach eine Vorbereitung durch den Insolvenzverwalter im Regelinsolvenzverfahren bzw. durch den Schuldner und den Sachwalter im Eigenverwaltungsverfahren angezeigt sein. 1.

Herbeiführen angemessener Gläubigerbeteiligung

16 Die Praxis der Gläubigerversammlung ist in Verfahren jeglicher Größenordnung letztlich vom Teilnahmeverzicht auf Seiten der Gläubiger geprägt. Gläubigerversammlungen – auch im Berichtstermin gemäß §§ 156, 157 InsO – finden oftmals sogar ohne jegliche Gläubigerbeteiligung statt. Um gleichwohl Entscheidungen i. S. von § 160 InsO zu ermöglichen, hat der Gesetzgeber bereits frühzeitig die Zustimmungsfiktion gemäß § 160 Abs. 1 Satz 3 InsO geschaffen. 17 Die oftmals mangelnde Wahrnehmung der Gläubigerrechte birgt die Gefahr, dass einzelne Gläubiger oder Gläubigergruppen – teils wider die ggf. relativ klaren Interessen der Gläubigergemeinschaft – die Rechte der Gläubigerversammlung zur Verfolgung ihrer eigenen Ziele nutzen bzw. missbrauchen. Hintergrund können insbesondere Probleme auf persönlicher Ebene zum Schuldner, Wettbewerbsinteressen oder auch Probleme in der Kommunikation des Insolvenzverwalters bzw. des eigenverwaltenden Schuldners oder des Sachwalters im Verhältnis zu den Gläubigern sein. 18 Besonders „gefährlich“ sind derartige Einflussnahmen in Fällen, in denen Beschlüsse der Gläubigerversammlung nicht i. R. eines Aufhebungsantrags gemäß § 78 Abs. 1 InsO wieder beseitigt werden können, insbesondere im Fall der Wahl eines neuen Insolvenzverwalters oder Sachwalters gemäß § 57 InsO oder im Zusammenhang mit der Entscheidung über die nachträgliche Anordnung bzw. Aufhebung der Eigenverwaltung gemäß §§ 271, 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO (siehe hierzu unten Rz. 65). 19 Die insolvenzrechtliche Praxis bedient sich daher zur Herbeiführung angemessener Gläubigerbeteiligung verschiedener Instrumente, die auch in Fällen angeordneter Eigenverwaltung zum Einsatz kommen können. 20 In Fällen, in denen die Befürchtung besteht, dass einzelne Gläubiger ihre Interessen gegen die Interessen einer abwesenden Gläubigermehrheit durchsetzen, hat sich eine schrift___________ 12) Da sich die verfahrensbeteiligten Gläubiger ohne weiteres durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen können, wird eine Terminverlegung auf Antrag eines Gläubigers in der Regel nicht stattfinden, da dies – gerade bei großer Gläubigerzahl – völlig unpraktikabel wäre. 13) Öffentliche Bekanntmachungen erfolgen im Insolvenzverfahren gemäß § 9 InsO ausschließlich durch eine zentrale und bundesländerübergreifende Veröffentlichung im Internet (www.insolvenzbekanntmachungen.de).

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Vorbereitung und Ablauf der Gläubigerversammlung

§ 13

liche oder telefonische Einladung der wesentlichen Gläubiger, deren Abwesenheit zu besorgen ist, als praktikabel bewährt. Dies gilt insbesondere für Vertreter institutioneller Gläubiger, wie z. B. Finanzämter, Sozialversicherungsträger oder auch Banken. Soweit die Mehrheitsverhältnisse in einer Gläubigerversammlung – gerade in Fällen ver- 21 fahrensleitender Entscheidungen, die mit Kopf- und Summenmehrheit zu treffen sind (vgl. §§ 57, 271, 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO) – völlig offen sind, erscheint es ggf. sogar angebracht, eine größere Zahl von Gläubigern anzusprechen, wobei der Aufwand der Information und Koordination einer größeren Zahl von Gläubigern bedacht werden sollte. Im Sinne einer transparenten und fairen Verfahrensabwicklung sollten in derartigen Fällen alle Gläubiger eingeladen werden. Die Einladung sollte zudem einen Hinweis darauf enthalten, dass eine Vertretung in der Gläubigerversammlung nur durch die in § 79 Abs. 2 ZPO genannten Personen zugelassen ist (siehe i. E. noch Rz. 38 f.). Als sinnvolles Instrument zur Steigerung der Gläubigerbeteiligung, insbesondere seitens 22 Lieferanten und anderer kleinerer Gläubiger, aber auch seitens Sozialversicherungsträgern, hat sich in der Praxis der Einsatz eines Stimmrechtsvertreters erwiesen. Um den Anforderungen des § 79 Abs. 2 ZPO gerecht zu werden, sollte als Stimmrechtsvertreter stets ein Rechtsanwalt fungieren. Die teils übliche Vorgehensweise, dass als Stimmrechtsvertreter ein Rechtsanwalt aus der Kanzlei des Insolvenzverwalters – bzw. im Fall der Eigenverwaltung aus der Kanzlei des Sachwalters oder ggf. des juristischen Beraters des Schuldners – fungiert, erscheint indes aus Sicht des Verfassers fragwürdig. Zum einen kann hierbei das Vertrauen der Verfahrensbeteiligten sowohl in die Unabhängigkeit des Stimmrechtsvertreters wie auch in die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters bzw. Sachwalters leiden. Zum anderen bestehen berufsrechtliche Bedenken im Hinblick auf das Verbot der anwaltlichen Berufsausübung gegen den Träger des unter eigener Insolvenzverwaltung stehenden Vermögens gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 BRAO, das gemäß § 45 Abs. 3 BRAO auch kanzleiangehörige Anwälte bindet.14) Es empfiehlt sich daher, einen sonst nicht mit dem Fall betrauten Rechtsanwalt mit dieser 23 Funktion zu betrauen. Zudem empfiehlt sich die vorherige Abstimmung der Einschaltung eines Stimmrechtsvertreters mit dem Insolvenzgericht. Wenn eine unentgeltliche Stimmrechtsvertretung – z. B. angesichts der Bedeutung der Sache oder eines etwaigen Haftungsrisikos – nicht möglich erscheint, kommt auch eine entgeltliche Mandatierung in Betracht. Soweit nicht ein oder mehrere Gläubiger die entsprechenden Kosten übernehmen, erscheint im Grundsatz auch eine Mandatierung durch den eigenverwaltenden Schuldner bzw. den Insolvenzverwalter i. R. eines Mandats zu Gunsten Dritter zulässig.15) In diesem Fall han___________ 14) Zwar handelt es sich bei der Ausübung der Gläubigerrechte in der Gläubigerversammlung nicht im engeren Sinne um ein Vorgehen „gegen den Träger“ des unter Insolvenzverwaltung stehenden Vermögens, allerdings können einzelne Entscheidungen der Gläubigerversammlung gleichwohl die Grenze zu einem Vorgehen gegen den Schuldner überschreiten; zu denken ist insoweit vor allem an die Entscheidung, das Unternehmen des Schuldners einzustellen oder zu veräußern (§ 157 InsO) oder die Entscheidung über die Aufhebung der Anordnung der Insolvenzverwaltung gemäß § 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Derartige Entscheidungen der Gläubigerversammlung greifen (mittelbar) erheblich in die Rechte bzw. die Position des Schuldners ein, so dass zweifelsohne ein Vorgehen „gegen“ den Schuldner vorliegt. 15) Eine Mandatierung auf Kosten der Insolvenzmasse kommt m. E. jedoch nur dann in Betracht, wenn andernfalls zu besorgen steht, dass die Gläubigerversammlung nicht entscheidungsfähig ist oder Entscheidungen trifft, die sich zum Nachteil der Gläubigergemeinschaft auswirken. Insoweit steht dem eigenverwaltenden Schuldner bzw. dem Insolvenzverwalter ein weiter Einschätzungsspielraum zu, in dessen Rahmen er ggf. auch die Möglichkeit eines Aufhebungsantrags gemäß § 78 InsO zu berücksichtigen hat. Zudem sollte die Mandatierung eines Stimmrechtsvertreters auf Kosten der Insolvenzmasse mit dem Insolvenzgericht und – soweit vorhanden – mit dem Gläubigerausschuss abgestimmt werden. In der Eigenverwaltung ist insoweit in jedem Fall auch der Sachwalter gemäß § 275 Abs. 1 InsO einzubinden.

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§ 13

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

delt es sich bei der Vergütung des Stimmrechtsvertreters um Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. 2.

Zusätzliche Vorbereitung in Großverfahren

24 In Verfahren mit großer Gläubigerzahl und insbesondere in Verfahren mit hohem Interesse der Gläubigerschaft am Verfahrensverlauf stellt die Vorbereitung der Gläubigerversammlung Insolvenzgericht einerseits und – im Fall der Eigenverwaltung – Schuldner und Sachwalter andererseits vor erhebliche logistische Herausforderungen. 25 So sind in Abstimmung mit dem Insolvenzgericht insbesondere geeignete Räumlichkeiten anzumieten, sofern das Gericht nicht selbst über geeignete und insbesondere größenmäßig ausreichende Sitzungssäle verfügt. Zudem sind Maßnahmen zur Überprüfung der Teilnahmeberechtigung und zur Überwachung der Stimmabgabe unter Berücksichtigung der in der Gläubigerversammlung gewährten Stimmrechte vorzubereiten. Hierzu bietet sich insbesondere die Ausgabe von Stimmkarten an die teilnahmeberechtigten Gläubiger an.16) Auch ist die Möglichkeit einer Video-Gläubigerversammlung (siehe hierzu Rz. 44 ff.) mit dem Insolvenzgericht zu erörtern. 26 Hinsichtlich der organisatorischen Vorbereitung und Begleitung von Gläubigerversammlungen in Großverfahren bieten verschiedene Unternehmen inzwischen auch entsprechende Dienstleistungen an, die insbesondere eine Unterstützung bei der Einladung der Gläubiger, der Ausgabe von Stimmkarten und der Überwachung der Zutrittsberechtigung wie auch der Stimmabgaben zum Gegenstand haben. 27 Da die Einberufung und auch die Versammlungsleitung dem Insolvenzgericht obliegen, sind sämtliche vorbereitenden Maßnahmen in Großverfahren – soweit diese nicht durch das Gericht selbst, sondern durch den Schuldner oder den Sachwalter vorgenommen werden – eng mit dem Gericht abzustimmen. 3.

Kosten

28 Die Einberufung und die Durchführung von Gläubigerversammlungen verursachen im Normalfall keine nennenswerten Kosten, da die Gläubigerversammlung in Räumlichkeiten des Insolvenzgerichts durchgeführt wird und etwaige ordnungspolizeiliche Maßnahmen durch Justizbedienstete ausgeführt werden. Die hierbei anfallenden Kosten sind letztlich in den gemäß § 54 Nr. 1 InsO aus der Insolvenzmasse zu berichtigenden Gerichtskosten enthalten. 29 Anders verhält es sich hingegen in Großverfahren, da insoweit Raumkosten und Kosten für die organisatorische Unterstützung bei der Überwachung von Teilnahme- und Stimmberechtigung anfallen können. Werden entsprechende vorbereitende bzw. unterstützende Maßnahmen in Abstimmung mit dem Gericht vom Schuldner, vom Sachwalter oder – im Regelinsolvenzverfahren – vom Insolvenzverwalter koordiniert, sollte in diesem Zusammenhang auch mit dem Gericht abgestimmt werden, ob entsprechende Verträge auf Kosten der Justizkasse oder der Insolvenzmasse geschlossen werden.17) Beides, d. h. die Verauslagung durch das Gericht gemäß § 54 Nr. 1 InsO oder die Begründung von Masseverbindlichkeiten durch den Insolvenzverwalter bzw. den eigenverwaltenden Schuldner ge___________ 16) Kübler in: KPB, InsO, § 76 Rz. 8. 17) Von Gesetzes wegen handelt es sich bei etwaigen externen Kosten der Gläubigerversammlung nach hier vertretener Auffassung grundsätzlich um Auslagen des Gerichts, die gemäß §§ 53, 54 Nr. 1 InsO aus der Masse zu begleichen sind, wobei die unmittelbare Belastung zunächst bei der Justizkasse eintritt.

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Vorbereitung und Ablauf der Gläubigerversammlung

§ 13

mäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, ist grundsätzlich zulässig.18) Im letzteren Falle sollten der eigenverwaltende Schuldner bzw. in der Regelinsolvenz der Insolvenzverwalter indes die ausdrückliche Zustimmung des Insolvenzgerichts zur Begründung der Masseverbindlichkeiten einholen.19) IV.

Durchführung

Die Durchführung von Gläubigersammlungen ist gesetzlich nur rudimentär geregelt, was 30 zum einen die im Insolvenzverfahren angesichts einer Vielzahl an möglichen Konstellationen nötige Flexibilität bietet, zum anderen aber auch streitigen Fragen – z. B. nach der Anwesenheit von nicht teilnahmeberechtigten Dritten – Tür und Tor öffnet. 1.

Leitung durch das Insolvenzgericht

Die Gläubigerversammlung unterliegt gemäß § 76 Abs. 1 InsO der Versammlungsleitung 31 durch das Insolvenzgericht. Das Gericht hat in seiner neutralen Funktion insbesondere den ordnungsgemäßen Ablauf der Versammlung sicherzustellen.20) Eine inhaltliche Einflussnahme auf Entscheidungen der Gläubigerversammlung ist nach zutreffender Auffassung nicht Gegenstand der Versammlungsleitung;21) indes darf das Gericht – mit dem Ziel eines Ausgleichs zwischen den verschiedenen Gläubigerinteressen – durchaus moderieren.22) Die funktionelle Zuständigkeit für die Versammlungsleitung liegt in der Regel beim Rechts- 32 pfleger, der nach § 3 Nr. 2 lit. e RPflG grundsätzlich für das eröffnete Insolvenzverfahren zuständig ist, soweit es sich der Richter nicht gemäß § 18 Abs. 2 RPflG vorbehalten hat. Aufgrund des gesetzlichen Richtervorbehalts in § 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG für das Verfah- 33 ren über einen Insolvenzplan sind demgegenüber Gläubigerversammlungen zur Erörterung bzw. Beschlussfassung über einen Insolvenzplan in jedem Fall vom Richter, nicht hingegen vom Rechtspfleger zu leiten. 2.

Teilnahmeberechtigung

Zu Beginn der Gläubigerversammlung wird zunächst die Teilnahmeberechtigung der an- 34 wesenden Personen überprüft. In Großverfahren – insbesondere bei großer Gläubigerzahl – kann das Gericht auf die Vorbereitung und Unterstützung durch die Kanzlei des Insolvenzverwalters bzw. Sachwalters bzw. durch spezialisierte Dienstleister zurückgreifen (siehe auch Rz. 26). Die Entscheidung über die Teilnahmeberechtigung muss jedoch in jedem Fall bei dem Insolvenzgericht verbleiben, da dies Teil der ausschließlich dem Gericht zufallenden Versammlungsleitung ist. 2.1

Kreis der Teilnahmeberechtigten

Zur Teilnahme an der Gläubigerversammlung sind gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 InsO folgende 35 Personen berechtigt: 

absonderungsberechtigte Gläubiger,

___________ 18) Kübler in: KPB, InsO, § 76 Rz. 22. 19) Die Begründung von Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 Abs. 1 InsO erweist sich in praxi insbesondere auch mit Blick auf den insoweit möglichen Vorsteuerabzug als vorzugswürdig, welcher im Fall einer Verauslagung der Kosten durch die – nicht vorsteuerabzugsberechtigte – Justizkasse verlorenginge. 20) Preß/Henningsmeier in: HambKomm-InsO, § 76 Rz. 2; Kübler in: KPB, InsO, § 76 Rz. 3. 21) Kübler in: KPB, InsO, § 76 Rz. 10 f. 22) Ehricke in: MünchKomm-InsO, § 76 Rz. 3; Preß/Henningsmeier in: HambKomm-InsO, § 76 Rz. 2.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren



Insolvenzgläubiger,



der Insolvenzverwalter im Regelinsolvenzverfahren,



die Mitglieder des Gläubigerausschusses und



der Schuldner.

36 Ein Teilnahmerecht des Sachwalters ist in der InsO nicht ausdrücklich geregelt, allerdings denknotwendigerweise anzuerkennen, da ansonsten eine zielführende Ausübung der Aufgaben des Sachwalters nicht möglich wäre.23) Das Teilnahmerecht des Sachwalters wird zudem in der InsO vorausgesetzt, z. B. in § 281 Abs. 2 Satz 2 InsO. 37 Demgegenüber besteht kein Teilnahmerecht 

der Aussonderungsberechtigten,



der Massegläubiger sowie



sonstiger Dritter.

2.2

Vertretung von Gläubigern

38 Das Teilnahmerecht der absonderungsberechtigten Gläubiger und der Insolvenzgläubiger ist kein höchstpersönliches, so dass eine Vertretung durch Dritte naturgemäß zugelassen ist. Indes schränkt die über § 4 InsO auch im Insolvenzverfahren anwendbare24) Vorschrift des § 79 Abs. 2 ZPO den Kreis der als Vertreter zulässigen Personen stark ein. 39 Demnach ist eine Vertretung des Gläubigers in der Gläubigerversammlung nur zugelassen durch Rechtsanwälte (§ 79 Abs. 2 Satz 1 ZPO) und insbesondere durch Beschäftigte des Gläubigers oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens (§ 79 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 ZPO). Eine Vertretung durch andere Gläubiger erscheint im Grundsatz nicht zulässig;25) jedoch kommt in entsprechend gelagerten Ausnahmefällen gemäß § 79 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 ZPO eine Vertretung durch einen anderen Gläubiger in Betracht, sofern die Voraussetzungen einer Streitgenossenschaft i. S. von §§ 59, 60 ZPO vorliegen und die Vertretung unentgeltlich erfolgt.26) Nicht zugelassen ist zuletzt eine Vertretung in der Gläubigerversammlung durch Inkassounternehmen. 40 Nicht vertretungsbefugte Vertreter hat das Gericht i. R. der Versammlungsleitung gemäß § 4 InsO, § 79 Abs. 3 Satz 1 ZPO durch unanfechtbaren Beschluss zurückzuweisen. Bis zur Zurückweisung des nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten sind von diesem vorgenommene Handlungen oder Mitteilungen an diesen wirksam (vgl. § 79 Abs. 3 Satz 2 ZPO). 2.3

Teilnahme von Dritten, insbesondere Pressevertretern

41 Nicht teilnahmeberechtigten Dritten kann das Insolvenzgericht gemäß § 4 InsO, § 175 Abs. 2 Satz 1 GVG im Einzelfall die Anwesenheit gestatten.27) Entsprechende Entschei___________ 23) Kern in: MünchKomm-InsO, Vor §§ 270 bis 285 Rz. 91; Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 132 f. 24) Vgl. zur Anwendbarkeit von § 79 Abs. 2 ZPO im Insolvenzverfahren auch AG Ludwigshafen v. 9.12.2011 – 3e IN 458/11, juris – insbesondere zur Frage der Vertretung bei der Insolvenzantragstellung. 25) Anders noch die 2. Aufl., s. § 16 Rz. 36, wonach wegen sehr weiter Bejahung einer Streitgenossenschaft eine Vertretung durch andere Gläubiger zugelassen wurde. 26) Für Gläubiger, welche von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wollen, empfiehlt es sich, die Teilnahmeberechtigung ggf. bereits vorab mit dem zuständigen Insolvenzgericht zu klären. Der sicherere Weg dürfte insoweit in der Mandatierung eines Rechtsanwalts bestehen. 27) Ehricke in: MünchKomm-InsO, § 76 Rz. 5 m. w. N.

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Vorbereitung und Ablauf der Gläubigerversammlung

§ 13

dungen i. R. der Versammlungsleitung können insoweit sogar ohne Anhörung der Beteiligten, d. h. der anwesenden Teilnahmeberechtigten, ergehen. Eine Teilnahme wird in Einzelfällen insbesondere für folgende Personen bzw. Personen- 42 gruppen in Betracht kommen: 

Personen i. R. von Ausbildungen in der Justiz (Studenten, Auszubildende, Rechtsreferendare, Rechtspflegeranwärter),



Pressevertreter,



Massegläubiger bzw. deren Vertreter, insbesondere im Fall der Masseunzulänglichkeit,



gemäß § 4 InsO, § 79 ZPO ausgeschlossene Vertreter.

Der Zulassung von Pressevertretern steht insbesondere in kleineren und mittleren Ver- 43 fahren regelmäßig das Geheimhaltungsinteresse der Verfahrensbeteiligten entgegen. In Großverfahren, in denen u. U. ein Informationsbedürfnis einer breiten Öffentlichkeit besteht, kommt indes eine Zulassung von Pressevertretern in der Regel in Betracht; die Entscheidung liegt dabei im pflichtgemäßen Ermessen des Insolvenzgerichts. Nach Einschätzung des Verfassers ist gerade in Großverfahren auch zu berücksichtigen, dass Pressevertreter sich aufgrund einer bereits bestehenden oder erworbenen Gläubigerstellung Zugang zur Gläubigerversammlung verschaffen bzw. sich die entsprechenden Informationen ggf. von teilnehmenden Gläubigern – sozusagen „aus zweiter Hand“ – beschaffen können, so dass insoweit das Interesse an einer transparenten Information aus erster Hand in der Regel das Geheimhaltungsinteresse überwiegen dürfte.28) 3.

Zulässigkeit von Online- und Video-Gläubigerversammlungen

Neue Kommunikationsformen, insbesondere Telefon- und Videokonferenzen, sind im (Wirt- 44 schafts-) Alltag – zumal seit der COVID-19-Pandemie – nicht mehr wegzudenken. Onlinebzw. Video-Gläubigerversammlungen waren bereits vor Inkrafttreten des SanInsFoG am 1.1.2021 nach zutreffender Auffassung von § 76 InsO zugelassen.29) Inzwischen ist die Zulässigkeit durch die entsprechende Anwendung der Regelung des § 128a ZPO über § 4 Satz 1 InsO auch gesetzlich normiert: Die durch das SanInsFoG zum 1.1.2021 in Kraft getretene Norm des § 4 Satz 2 InsO stellt insoweit die Anwendung des § 128a ZPO auch im Insolvenzverfahren klar und sieht ergänzend vor, dass § 128a ZPO im Insolvenzverfahren mit der Maßgabe gilt, dass bei Gläubigerversammlungen sowie sonstigen Versammlungen und Terminen die Beteiligten in der Ladung auf die Verpflichtung hinzuweisen sind, wissentliche Ton- und Bildaufzeichnungen zu unterlassen und durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass Dritte die Ton- und Bildübertragung nicht wahrnehmen können. In der Praxis sind die Fragen um Video-Gläubigerversammlungen noch nicht hinreichend 45 geklärt; bislang wurden – soweit bekannt – nur an wenigen Gerichten Gläubigerversammlungen unter Nutzung der Möglichkeiten des § 128a ZPO durchgeführt. Voraussetzung der Teilnahme an einer Gläubigerversammlung über Videokonferenz ist 46 die Gestattung durch das Gericht. Die über § 4 InsO entsprechend anwendbare Norm des § 128a ZPO sieht dabei im Grundsatz zwei Fallgruppen vor, zum einen gemäß § 128a Abs. 1 ZPO die Gestattung, dass alle Beteiligten und deren Vertreter den Termin unter Übertragung von Bild und Ton an einem anderen Ort wahrnehmen, und ___________



28) Ebenso Kübler in: KPB, InsO, § 76 Rz. 13 m. w. N.; demgegenüber für eine äußerst restriktive Handhabung der Zulassung von Pressevertretern Ehricke in: MünchKomm-InsO, § 76 Rz. 5. 29) So z. B. Ehricke in: MünchKomm-InsO, § 76 Rz. 13.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

zum anderen gemäß § 128a Abs. 2 ZPO die Gestattung, dass ein konkreter Zeuge, Sachverständiger oder Beteiligter an dem Termin andernorts teilnimmt.

47 Die Gestattung erfolgt im Fall des § 128a Abs. 1 ZPO von Amts wegen oder auf Antrag bzw. im Fall des § 128a Abs. 2 ZPO auf Antrag. Die Entscheidung über die Zulassung der Teilnahme an der Gläubigerversammlung über Videokonferenz liegt dabei ausschließlich im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts; ein Anspruch auf die Gestattung besteht hierbei nicht.30) Nach der Gesetzesbegründung zu § 4 Satz 2 InsO hat das Gericht bei der Ausübung dieses Ermessens insbesondere das Vorhandensein hinreichend geeigneter technischer Systeme zu berücksichtigen; Voraussetzung hierfür ist, dass 

das entsprechende System „hinreichend zuverlässig arbeitet,



Datenschutz- und Datensicherheitsbelangen Rechnung trägt,



die effektive Leitung der Versammlung zulässt,



die zuverlässige Prüfung der Identität und Teilnahmeberechtigung sowie der Stimmrechte vor jeder einzelnen Abstimmung sicherstellt und



allen Teilnehmern eine effektive Ausübung ihrer Rechte einschließlich der Einsichtnahme in Unterlagen und Kommunikation mit dem Gericht und allen anderen Teilnehmern ermöglicht“.31)

48 Zulässig ist es auch, die Gestattung der Online-Teilnahme nur einem sachgerecht abgegrenzten Teil der Beteiligten zu eröffnen, z. B. im Fall besonders großer Entfernung zum Tagungsort.32) Auch im Fall der Durchführung der Gläubigerversammlung im Wege der Übertragung von Bild und Ton gemäß § 128a ZPO, § 4 InsO steht jedem Beteiligten die Präsenzteilnahme an dem vom Gericht bestimmten Versammlungsort, d. h. in aller Regel bei Gericht, frei.33) 49 Unabhängig von den nunmehr geschaffenen gesetzlichen Grundlagen gehört die VideoGläubigerversammlung nach den Erfahrungen des Verfassers nach wie vor nicht zum insolvenzrechtlichen Alltag. Dies dürfte insbesondere damit zusammenhängen, dass die insoweit bislang zur Verfügung stehenden Systeme noch nicht hinreichend geeignet erscheinen, um die gesetzlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Gläubigerversammlung zu erfüllen, oder dass die Justizverwaltungen noch nicht an jedem Gerichtsstandort die technischen Voraussetzungen für eine Nutzung der zur Verfügung stehenden Systeme geschaffen haben. In welchem Umfang Online- bzw. Video-Gläubigerversammlungen künftig zum Einsatz kommen, wird daher die Praxis zeigen. V.

Beschlussfassung

50 Beschlüsse der Gläubigerversammlung kommen nach § 76 Abs. 2 InsO grundsätzlich mit der einfachen Mehrheit der nach Forderungsbeträgen bemessenen Stimmrechte der abstimmenden Gläubiger zustande. Lediglich in besonders normierten Fällen ist zusätzlich auch die Kopfmehrheit der abstimmenden Gläubiger erforderlich; dies betrifft insbesondere die Wahl eines anderen Insolvenzverwalters bzw. Sachwalters (vgl. § 57 InsO, ggf. i. V. m. § 274 Abs. 1 InsO) und die Entscheidung der Gläubigerversammlung über die nachträgliche Anordnung der Eigenverwaltung (§ 271 Satz 1 InsO) bzw. über die Aufhebung der Anordnung der Eigenverwaltung (§ 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO). ___________ 30) 31) 32) 33)

442

Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 191. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 191 f. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 192. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 192.

Hofmann

Vorbereitung und Ablauf der Gläubigerversammlung 1.

§ 13

Mehrheitserfordernis

Beschlüsse der Gläubigerversammlung erfordern demnach jeweils eine absolute Mehrheit 51 bezogen auf die abstimmenden Gläubiger. Die Stimmabgabe muss persönlich oder durch zugelassene (siehe bereits Rz. 38 f.) Vertreter erfolgen. Die Stimmrechte nicht anwesender Gläubiger und Stimmenthaltungen spielen demnach für die Mehrheitsbildung keine Rolle.34) Dies gilt sowohl für die in § 76 Abs. 2 InsO vorgesehene Forderungsmehrheit wie auch für die in einzelnen Vorschriften vorgesehene Kopfmehrheit. 2.

Feststellung der Stimmrechte

Maßgebliche Bedeutung für das Ergebnis der Abstimmung hat die Vorfrage der in § 77 52 InsO geregelten Feststellung der Stimmrechte. Ein Stimmrecht gewähren gemäß § 77 Abs. 1 InsO angemeldete und unbestrittene For- 53 derungen nicht nachrangiger Insolvenzgläubiger. Das in § 177 Abs. 1 InsO genannte Erfordernis der Anmeldung der Forderung stellt nach h. M. nicht auf die förmliche Forderungsanmeldung i. S. von §§ 174 ff. InsO ab. Insoweit ist insbesondere auch ausreichend, wenn sich ein Gläubiger in der Gläubigerversammlung einer entsprechenden Forderung gegen den Schuldner berühmt.35) Soweit Forderungen nicht bestritten sind, ist ein Stimmrecht zu gewähren. Im Falle bestrittener Forderungen findet die Feststellung der Stimmrechte im Verfahren 54 gemäß § 77 Abs. 2 InsO statt. Gleiches gilt gemäß § 77 Abs. 3 InsO für Stimmrechte absonderungsberechtigter Gläubiger und für Stimmrechte der Gläubiger aufschiebend bedingter Forderungen. Insoweit sieht § 77 Abs. 2 InsO ein zweistufiges Verfahren der Stimmrechtsfeststellung vor: In einem ersten Schritt soll eine Einigung über das Stimmrecht zwischen dem Insolvenz- 55 verwalter und den anwesenden stimmberechtigten Gläubigern über das jeweilige Stimmrecht gefunden werden (vgl. § 77 Abs. 2 Satz 1 InsO). Soweit eine Einigung zustande kommt, hat das Gericht ein entsprechendes Stimmrecht zu gewähren.36) Bei angeordneter Eigenverwaltung ist nach hier vertretener Auffassung anstelle des Insolvenzverwalters der Sachwalter in die Einigung einzubeziehen, so dass sich der Sachwalter und die stimmberechtigten Gläubigern zu einigen haben.37) Wenngleich die Kompetenzverteilung in der Eigenverwaltung die Aufgaben und verfahrensrechtliche Stellung des Insolvenzverwalters grundsätzlich dem Schuldner überträgt und die Rechtsstellung des Sachwalters maßgeblich von der Aufsicht über den Schuldner geprägt ist, so ist hinsichtlich der Mitwirkung an der Einigung über das Stimmrecht letztlich die jüngere Rechtsprechung des BGH zum Antragsrecht nach § 78 InsO zu beachten.38) Demnach hat der Sachwalter – neben der Aufsicht über den Schuldner – diejenigen Aufgaben des Insolvenzverwalters wahrzunehmen, die dem Verwalter in erster Linie im Interesse der Gläubiger übertragen sind.39) Da die in § 77 Abs. 2 Satz 1 InsO ausdrücklich vorgesehene Mitwirkung des Insolvenzverwalters an der Einigung über das Stimmrecht gerade auf die Wahrung der Interessen der (nicht vollständig anwesenden) Gläubigergemeinschaft abzielt, kann letztlich nur der Sachwalter sachgerecht an der Einigung mitwirken. Eine Einbeziehung (auch) des Schuldners ___________ 34) Kübler in: KPB, InsO, § 76 Rz. 20a m. w. N. 35) Kübler in: KPB, InsO, § 77 Rz. 32 m. w. N.; a. A. z. B. Preß/Henningsmeier in: HambKomm-InsO, § 77 Rz. 6. 36) Kübler in: KPB, InsO, § 77 Rz. 16. 37) Anders noch die 2. Aufl., s. § 16 Rz. 47. 38) BGH v. 22.6.2017 – IX ZB 82/16, ZIP 2017, 1377 = ZInsO 2017, 1614, dazu EWiR 2017, 501 (Buchalik/ Hiebert). 39) BGH v. 22.6.2017 – IX ZB 82/16, ZIP 2017, 1377 = ZInsO 2017, 1614.

Hofmann

443

§ 13

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

in die Einigung erscheint demgegenüber auf Grundlage der Rechtsprechung des BGH40) nicht nötig. 56 Kommt eine Einigung nicht zustande, entscheidet in einem zweiten Schritt gemäß § 77 Abs. 2 Satz 2 InsO das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen, ob und in welchem Umfang ein Stimmrecht gewährt wird. Im Rahmen der Ermessensausübung ist an Hand der vom Gläubiger vorgelegten Unterlagen bzw. gemachten Angaben zu berücksichtigen, mit welchem Wahrscheinlichkeitsgrad bzw. in welchem Umfang die geltend gemachte Forderung besteht.41) 57 Die gerichtliche Entscheidung über die Festsetzung eines Stimmrechts gemäß § 77 Abs. 2 Satz 2 InsO ist unanfechtbar. Mangels gesetzlicher Zulassung findet gemäß § 6 InsO insbesondere keine Anfechtung i. R. einer sofortigen Beschwerde statt. Sofern – was den Regelfall darstellt – der Rechtspfleger in der Gläubigerversammlung die Stimmrechtsentscheidung trifft, ist auch die sonst gegen Entscheidungen des Rechtspflegers gegebene Erinnerung gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 RPflG ausnahmsweise ausgeschlossen bzw. durch den Neufestsetzungsantrag gemäß § 18 Abs. 2 Satz 2 RPflG ersetzt (siehe hierzu sogleich Rz. 59); hierdurch soll insbesondere die Handlungsfähigkeit der Gläubigerversammlung sichergestellt werden, da andernfalls das Zustandekommen von Beschlüssen von Entscheidungen des Richters oder des Beschwerdegerichts abhinge. 58 Gemäß § 77 Abs. 2 Satz 3 InsO ist indes die Abänderung einer Stimmrechtsentscheidung auf Antrag zulässig;42) antragsberechtigt ist jeder anwesende Gläubiger bzw. der Insolvenzverwalter. Das Antragsrecht des Insolvenzverwalters steht bei angeordneter Eigenverwaltung dem Schuldner zu. 59 In Fällen, in denen sich eine Stimmrechtsentscheidung des Rechtspflegers auf das Abstimmungsergebnis ausgewirkt hat, sieht § 18 Abs. 2 Satz 2 RPflG zudem einen Antrag auf Neufestsetzung des Stimmrechts durch den Richter vor. Antragsberechtigt ist wiederum jeder anwesende Gläubiger bzw. – im Fall der Eigenverwaltung – der eigenverwaltende Schuldner. In der Praxis ist zur Vermeidung übermäßigen Zeitverlusts – gerade wenn streitige Abstimmungen in der Gläubigerversammlung zu erwarten sind – darauf zu achten, dass im Fall der Versammlungsleitung durch den Rechtspfleger auch ein zuständiger Insolvenzrichter kurzfristig zur Verfügung steht, damit die entsprechenden Entscheidungen gemäß § 18 Abs. 2 Satz 2 RPflG zeitnah getroffen werden können. 3.

Stimmrechtsausschluss

60 Das aus allgemeinen Grundsätzen hergeleitete Verbot der Abstimmung in eigenen Angelegenheiten gilt auch in der Gläubigerversammlung.43) In Fällen der Kollision eines bestimmten Abstimmungsgegenstands mit eigenen Interessen eines stimmberechtigten Gläubigers ist dieser daher von der Abstimmung ausgeschlossen.44) Die Feststellung eines Stimmrechtsausschlusses erfolgt analog § 77 Abs. 2 InsO, § 18 Abs. 3 Satz 2 RPflG durch gerichtlichen Beschluss.45) Ein Stimmrechtsausschluss kommt bspw. in folgenden Fällen in Betracht: Abstimmung über die Zustimmung gemäß §§ 276, 160 Abs. 1 Satz 2 InsO zur Anhängigmachung eines Rechtsstreits gegen einen Gläubiger bzw. zum Abschluss eines Vergleichs mit einem Gläubiger, ___________ 

40) 41) 42) 43) 44) 45)

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BGH v. 22.6.2017 – IX ZB 82/16, ZIP 2017, 1377 = ZInsO 2017, 1614. Kübler in: KPB, InsO, § 77 Rz. 18 f. Vgl. i. E. Kübler in: KPB, InsO, § 77 Rz. 27. Kübler in: KPB, InsO, § 77 Rz. 22. Zu Einzelfällen Kübler in: KPB, InsO, § 77 Rz. 23. Ebenso Kübler in: KPB, InsO, § 77 Rz. 24.

Hofmann

Vorbereitung und Ablauf der Gläubigerversammlung 

4.

§ 13

Abstimmung über den Verkauf des schuldnerischen Unternehmens oder eines Betriebs an einen Gläubiger gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Durchführung der Abstimmung in der Praxis

Da das Verfahren der Stimmrechtsfeststellung gemäß § 77 Abs. 2 InsO im Einzelfall mit 61 erheblichem zeitlichen Aufwand einhergeht, hat sich in der Praxis als sinnvoll erwiesen, dass – gerade im Fall nur einzelner Abstimmungsgegenstände – vor einer Stimmrechtseinigung bzw. -entscheidung geklärt wird, ob die festzustellenden Stimmrechte überhaupt entscheidungserheblich sind. In Fällen erforderlicher Kopf- und Summenmehrheit hat dies jeweils für beide erforderlichen Mehrheiten zu erfolgen. Sofern sich aus einer entsprechenden unverbindlichen „Probeabstimmung“ ergibt, dass die 62 Stimmrechte von Bedeutung sind, ist für jeden einzelnen Gläubiger das Verfahren gemäß § 77 Abs. 2 InsO durchzuführen. Sodann erfolgt die eigentliche Abstimmung, wobei das Gericht die Stimmrechtseinigungen, Stimmrechtsfestsetzungen und den Gang der Abstimmung entsprechend zu protokollieren hat. Im Nachgang kommen zudem noch Neufestsetzungsanträge gemäß § 18 Abs. 3 Satz 2 RPflG in Betracht, welche zu einer Wiederholung der Abstimmung führen können. Erst nach Durchführung dieses Verfahrens ist die Abstimmung abgeschlossen und steht 63 das Abstimmungsergebnis endgültig fest. 5.

Aufhebung von Beschlüssen nach § 78 InsO

In der Praxis kommt es nicht selten vor, dass einzelne Gläubiger Individualinteressen ge- 64 gen die Interessen der (nicht anwesenden) Gläubigergesamtheit in der Gläubigerversammlung durchzusetzen versuchen. Führt dies – z. B. weil nur wenige Gläubiger an der Versammlung teilnehmen oder weil es sich bei den betreffenden Gläubigern um solche mit betragsmäßig hohen Forderungen handelt – zu inhaltlich nicht sachgerechten Entscheidungen der Gläubigerversammlung, so steht den Beteiligten als mögliches Mittel zur Beseitigung entsprechender Beschlüsse der Aufhebungsantrag nach § 78 InsO zur Verfügung. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass indes nicht jeder Beschluss der Gläubigerversammlung 65 einer Aufhebung gemäß § 78 InsO zugänglich ist. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung können insbesondere die Neuwahl des Insolvenzverwalters bzw. Sachwalters gemäß § 57 InsO46) sowie die Entscheidung der Gläubigerversammlung über nachträgliche Anordnung oder Aufhebung der Eigenverwaltung gemäß §§ 271, 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO47) nicht gemäß § 78 InsO aufgehoben werden. Sonstige Beschlüsse der Gläubigerversammlung – insbesondere solche gemäß § 157 oder § 160 InsO – können indes Gegenstand eines Aufhebungsantrags gemäß § 78 InsO sein. Der Aufhebungsantrag muss gemäß § 78 Abs. 1 InsO zwingend noch in der jeweils be- 66 schließenden Gläubigerversammlung gestellt werden. Im Fall einer Vertagung ist die Antragstellung auch im Fortsetzungstermin noch zulässig.48) Anträge nach formaler Schließung der Gläubigerversammlung sind verfristet und damit unzulässig. Der nicht formgebundene Antrag wird in der Regel mündlich gestellt und ist vom Gericht zu Protokoll zu nehmen.49) Da das Gericht über Anträge nach § 78 Abs. 1 InsO regelmäßig im Büroweg und nicht unmittelbar in der Gläubigerversammlung entscheidet, genügt bei Antragstellung eine ___________ 46) 47) 48) 49)

BGH v. 17.7.2003 – IX ZB 530/02, ZIP 2003, 1613. BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, ZIP 2011, 1622, dazu EWiR 2011, 651 (Bähr). Preß/Henningsmeier in: HambKomm-InsO, § 78 Rz. 4. Ehricke in: MünchKomm-InsO, § 78 Rz. 9; Preß/Henningsmeier in: HambKomm-InsO, § 78 Rz. 4.

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445

§ 13

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

kurze mündliche Begründung des Antrags, da eine schriftliche Begründung auch nach Beendigung der Gläubigerversammlung nachgereicht werden kann. 67 Antragsberechtigt sind bei angeordneter Eigenverwaltung der Sachwalter, der insoweit das von der Wahrung der Gläubigerinteressen getragene Antragsrecht des Insolvenzverwalters ausübt,50) und jeder an der Gläubigerversammlung teilnehmende absonderungsberechtigte Gläubiger oder nicht nachrangige Insolvenzgläubiger. Nach der Rechtsprechung des BGH besteht demgegenüber kein Antragsrecht des Schuldners, da ein solches nicht ausdrücklich in der InsO geregelt ist und in der Eigenverwaltung diejenigen Kompetenzen des Insolvenzverwalters, die diesem in erster Linie im Interesse der Gläubiger übertragen sind, dem Sachwalter zustehen.51) 68 Im Fall eines zulässigen Aufhebungsantrags hat das Gericht – unter Berücksichtigung der Antragsbegründungen und etwaiger Stellungnahmen zustimmender Gläubiger sowie des Insolvenzverwalters bzw. des Schuldners und des Sachwalters – zu prüfen, ob der Beschluss dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger widerspricht. Ein solcher Widerspruch zum gemeinsamen Gläubigerinteresse liegt insbesondere dann vor, wenn ein Beschluss einseitig den Sonderinteressen einzelner Gläubiger dient und dies auf Kosten der Befriedigungsaussichten der (übrigen) Insolvenzgläubiger geschieht.52) Kern des gemeinsamen Interesses der Gläubiger ist damit insbesondere die zumindest mittelfristig erreichbare Vergrößerung der Haftungsmasse, wobei Maßstab der gerichtlichen Entscheidung allein die objektive Lage im Zeitpunkt der Entscheidung der Gläubigerversammlung, nicht hingegen der Informations- und Kenntnisstand der Gläubiger im Zeitpunkt ihrer Entscheidung ist.53) 69 Die gerichtliche Entscheidung über einen Aufhebungsantrag nach § 78 Abs. 1 InsO unterliegt gemäß § 78 Abs. 2 Satz 2, Satz 3 InsO der sofortigen Beschwerde. Beschwerdeberechtigt ist im Fall der Aufhebung des Beschlusses der Gläubigerversammlung jeder absonderungsberechtigte Gläubiger oder Insolvenzgläubiger und im Fall der Ablehnung des Aufhebungsantrags der Antragsteller. Ein Beschwerderecht des Schuldners kommt somit – auch bei angeordneter Eigenverwaltung – mangels Antragsrechts von vornherein nicht in Betracht.54) 6.

Umsetzung der Beschlüsse der Gläubigerversammlung

70 Die Umsetzung der von der Gläubigerversammlung getroffenen Entscheidungen ist ausschließlich Aufgabe des Insolvenzverwalters bzw. – im Verfahren der Eigenverwaltung – des Schuldners oder in seinem Zuständigkeitsbereich des Sachwalters. 71 Setzt der Insolvenzverwalter im Regelinsolvenzverfahren bzw. der Schuldner oder der Sachwalter bei angeordneter Eigenverwaltung Beschlüsse der Gläubigerversammlung nicht um, so stellt dies eine Verletzung insolvenzrechtlicher Pflichten dar. An der Wirksamkeit der entsprechenden Umsetzungsmaßnahmen ändert dies indes – sofern nicht ein Fall offensichtlicher Insolvenzzweckwidrigkeit vorliegt – nichts.55) ___________ 50) So letztlich BGH v. 22.6.2017 – IX ZB 82/16, ZIP 2017, 1377 = ZInsO 2017, 1614; ebenso Kübler in: KPB, InsO, § 78 Rz. 18; anders noch Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 95 ff., und 2. Aufl., s. § 16 Rz. 59; ebenfalls anders: Ehricke in: MünchKomm-InsO, § 78 Rz. 9. 51) BGH v. 22.6.2017 – IX ZB 82/16, ZIP 2017, 1377 = ZInsO 2017, 1614. 52) Vgl. i. E. Kübler in: KPB, InsO, § 78 Rz. 9 – 11. 53) BGH v. 22.6.2017 – IX ZB 82/16, ZIP 2017, 1377, 1378 = ZInsO 2017, 1614. 54) So auch BGH v. 22.6.2017 – IX ZB 82/16, ZIP 2017, 1377 = ZInsO 2017, 1614. 55) Webel in: KPB, InsO, § 164 Rz. 2 – für Verstöße gegen §§ 160 ff. InsO.

446

Hofmann

§ 14 Aufhebung der Eigenverwaltung Flöther

I. 1. 2. 3.

4.

Aufhebung der Anordnung der Eigenverwaltung (§ 272) ...................................... 1 Allgemeines .................................................. 1 Aufhebung von Amts wegen (§ 272 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO) ............................ 5 Aufhebung auf Antrag der Gläubigerversammlung (§ 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO) .......................................................... 12 Aufhebung auf Antrag eines Gläubigers (§ 272 Abs. 1 Nr. 4 InsO) ................. 16

5.

Aufhebung auf Antrag des Schuldners (§ 272 Abs. 1 Nr. 5 InsO) ......................... 30 6. Beschluss..................................................... 34 7. Rechtsfolgen............................................... 37 8. Anhörungspflicht....................................... 43 9. Rechtsmittel ............................................... 48 II. Aufhebung durch Beendigung des Insolvenzverfahrens ................................. 56

Literatur: Blankenburg, Reform der Eigenverwaltung durch das SanInsFoG aus gerichtlicher Sicht, ZInsO 2021, 753; Gravenbrucher Kreis, ESUG 2.0 und präventiver Restrukturierungsrahmen – Ergänzung oder Gegensatz?, ZInsO 2020, 260; Hammes, Keine Eigenverwaltung ohne Berater?, NZI 2017, 233; Hammes, Das Votum des vorläufigen Gläubigerausschusses zur Frage der Eigenverwaltung und die Ermittlungspflicht des Insolvenzgerichts, ZIP 2017, 1505; Sämisch/Haug, Besser spät als nie – das neue Eigenverwaltungsrecht, ZRI 2021, 741; Siemon, Behandlung von Kosten der Eigenverwaltung als Gläubigerbenachteiligung, NZI 2018, 189; Thole, Die Reform der Eigenverwaltung: Eine Umsetzung der ESUG-Evaluation?, NZI Beilage 1 z. Heft 5/2021, S. 90.

I.

Aufhebung der Anordnung der Eigenverwaltung (§ 272)

1.

Allgemeines

Die Situation im Insolvenzverfahren über das Vermögen des eigenverwaltenden Schuld- 1 ners kann sich durchaus so verändern, dass eine Aufhebung der Eigenverwaltung vor allem zum Schutz der Gläubiger notwendig wird. Die Aufhebungsgründe wurden durch das SanInsFoG1) insbesondere um die Möglichkeit einer Aufhebung der Anordnung der Eigenverwaltung von Amts wegen erweitert. Es besteht neben der nunmehr geschaffenen Regelung der Aufhebung der Eigenverwaltung von Amts wegen durch das Insolvenzgericht (§ 272 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO) nach § 272 InsO weiterhin sowohl für den Schuldner als auch die Gläubiger die Möglichkeit, die Aufhebung der Eigenverwaltung zu beantragen und somit eine entsprechende Entscheidung des Insolvenzgerichtes herbeizuführen.2) Letztere Möglichkeit ist Ausdruck der Gläubigerautonomie. Genauso wie die gerichtliche Ablehnung des Antrages auf Anordnung der Eigenverwaltung durch die Gläubigerversammlung nachträglich korrigiert werden kann (§ 271 InsO), ist es im umgekehrten Fall möglich, die Entscheidung des Gerichtes über die (antragsgemäße) Anordnung der Eigenverwaltung nachträglich zu ändern. Das Gericht hebt die Eigenverwaltung durch einen förmlichen Beschluss auf. Zuständig 2 ist grundsätzlich der Rechtspfleger (§ 18 RPflG). Für den Fall, dass das Eigenverwaltungsverfahren mit einem Planverfahren verbunden wird, liegt die Zuständigkeit beim Insolvenzrichter (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG). Eine Zuständigkeit des Rechtspflegers nur für diese eine Entscheidung über die Aufhebung der Eigenverwaltung anzunehmen, wäre mit den Grundsätzen der Prozessökonomie nicht vereinbar. Darüber hinaus lassen auch die Gesetzgebungsmaterialien zum ESUG3) den Schluss zu, dass der Gesetzgeber eine vollstän___________ 1) Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256. 2) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 1. 3) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), v. 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2582.

Flöther

447

§ 14

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

dige Übertragung des Planverfahrens mit allen gerichtlichen Entscheidungen beabsichtigt hat.4) In den übrigen Fällen, in denen kein Insolvenzplan vorgelegt wurde, könnte es im Einzelfall durchaus sinnvoll sein, dass der Insolvenzrichter die Entscheidung über die Aufhebung der Eigenverwaltung nach § 18 Abs. 2 RPflG an sich zieht.5) Denn der Insolvenzrichter hat bereits mit Verfahrenseröffnung bzw. schon zuvor im Insolvenzeröffnungsverfahren das Vorliegen der Voraussetzungen zur Anordnung der Eigenverwaltung geprüft. 3 Sofern die Voraussetzungen des § 272 InsO vorliegen, besteht kein gerichtliches Ermessen. Eine Zustellung des Beschlusses an den Schuldner ist zwingend notwendig, weil er durch die Aufhebung der Eigenverwaltung gemäß § 272 i. V. m. § 80 Abs. 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis verliert, da das Verfahren sodann automatisch in ein Regelinsolvenzverfahren wechselt (vgl. § 272 Abs. 3 InsO).6) 4 Mit dem Beschluss über die Aufhebung der Eigenverwaltung muss ein Insolvenzverwalter bestellt werden, vgl. §§ 270e Abs. 1, 272 Abs. 3 InsO. 2.

Aufhebung von Amts wegen (§ 272 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO)

5 Infolge der Nachjustierungen der InsO, die auf dem SanInsFoG7) beruhen und seit dem 1.1.2021 Geltung beanspruchen, wurde gemäß § 272 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO die Möglichkeit der Aufhebung der Eigenverwaltung durch das Insolvenzgericht von Amts wegen geschaffen.8) Die Regelungen zur Aufhebung der angeordneten Eigenverwaltung von Amts wegen gemäß § 272 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO sind nahezu deckungsgleich mit der Vorschrift § 270e Abs. 1 Nr. 1 und 3 InsO, die die Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung regelt und die ebenfalls neu durch das SanInsFoG in die InsO aufgenommen wurde.9) 6 Die generalklauselartige Regelung des § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO legt die Aufhebung der Eigenverwaltung von Amts wegen unter den alternativen Voraussetzungen fest, dass 

das Gericht Kenntnis von schweren Verstößen des Schuldners gegen dessen insolvenzrechtliche Pflichten erlangt oder



auf andere Weise deutlich wird, dass der Schuldner entweder nicht imstande oder nicht willig ist, seine Geschäftsführung am Interesse der Gläubigergesamtheit auszurichten.10)

7 Der Gesetzgeber kommt mit dem SanInsFoG11) der Notwendigkeit nach, objektiv belegbare Mindestvoraussetzungen hinsichtlich der Zuverlässigkeit und Mitwirkungsbereitschaft des Schuldners zu statuieren.12) Dem Insolvenzgericht werden damit weitgehende Befugnisse zur Würdigung des gesamten Eigenverwaltungsverfahrens eingeräumt. Die in § 272 Abs. 1 Nr. 1 lit. a bis lit. c InsO genannten Regelbeispiele bieten einen nicht abschließenden Rahmen, der bei der Erfassung eines solchen Verstoßes herangezogen werden kann. Normiert ist zunächst die Stützung der Eigenverwaltungsplanung in wesentlichen Punkten auf unzutreffende Tatsachen (Abs. 1 Nr. 1 lit. a). Erfasst sind auch Fälle, in denen ___________ 4) 5) 6) 7) 8) 9) 10) 11) 12)

448

Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 44. Hammes, ZIP 2017, 1505, 1512. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 6; Kern in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 62. Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256. Blankenburg, ZInsO 2021, 753. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181 S. 208. Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 769. Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256. Vgl. Gravenbrucher Kreis, ZInsO 2020, 260.

Flöther

§ 14

Aufhebung der Eigenverwaltung

sich Rechnungslegung und Buchführung als so unvollständig oder mangelhaft erweisen, dass sie keine Beurteilung der Eigenverwaltungsplanung und insbesondere des Finanzplans ermöglichen (Abs. 1 Nr. 1 lit. b). Auch wenn Haftungsansprüche des Schuldners gegen amtierende oder ehemalige Mitglieder des vertretungsberechtigten Organs bestehen, deren Durchsetzung in der Eigenverwaltung erschwert werden könnte (Abs. 1 Nr. 1 lit. c), ist davon auszugehen, dass der Schuldner nicht fähig oder nicht bereit ist, seine Geschäftsführung am Interesse der Gläubiger auszurichten, da eine Interessenkollision droht. In der Praxis wird eine Relevanz der in § 272 Abs. 1 Nr. 1 lit. a bis lit. c InsO genannten 8 Regelbeispiele allerdings aufgrund der sorgfältigen Planung eines Eigenverwaltungsverfahrens nur selten anzunehmen sein. Darüber hinaus gehört im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren die Überprüfung der in § 272 Abs. 1 Nr. 1 lit. a bis lit. c InsO genannten Fallgruppen zu den Aufgaben des vorläufigen Sachwalters, wenn ihn das Gericht gemäß § 270c InsO entsprechend beauftragt hat.13) Bei erheblichen Missständen wird die vorläufige Eigenverwaltung schon zuvor gemäß § 270e Abs. 1 Nr. 1 lit. a bis lit. c InsO von Amts wegen aufgehoben oder gar nicht erst angeordnet worden sein, da die Voraussetzungen des § 270b Abs. 1 – 3 InsO nicht vorliegen.14) Das Insolvenzgericht hebt die Eigenverwaltung außerdem von Amts wegen gemäß § 272 9 Abs. 1 Nr. 2 InsO auf, wenn sich die Erreichung des angestrebten Eigenverwaltungszieles, insbesondere die angestrebte Sanierung, als aussichtlos erweist. Von der „angestrebten Sanierung” ist die übertragende Sanierung umfasst.15) Indizien für die Aussichtslosigkeit können neue Erkenntnisse während des Verfahrens oder Mitteilungen des Schuldners über falsche, der Planung zugrunde liegende Tatsachen sein.16) Eine ausdrückliche Mitteilungspflicht des Schuldners gegenüber dem Gericht und auch dem vorläufigen Sachwalter besteht gemäß § 270c Abs. 2 InsO nur im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren hinsichtlich Änderungen, die die Eigenverwaltungsplanung betreffen. Nach Eröffnung des Eigenverwaltungsverfahrens kommt es daher auf eine enge Zusammenarbeit zwischen dem eigenverwaltenden Schuldner und dem Sachwalter an. Dabei sind Überschneidungen mit § 272 Abs. 1 Nr. 1 lit. a InsO möglich, demzufolge sich 10 die Eigenverwaltungsplanung in wesentlichen Punkten auf unzutreffende Tatsachen stützen muss, um einen Aufhebungsgrund zu bilden. § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO ermöglicht allerdings eine weitergehende Gesamtschau der Umstände, da sich die Aussichtslosigkeit auch gerade aus der Planung mit unzutreffenden Tatsachen ergeben kann. Aussichtslosigkeit der angestrebten Sanierung i. S. der Regelung umfasst sowohl Tatsachen, die einer Zielerreichung von Anfang an entgegenstanden, das Gericht allerdings erst nach Anordnung der Eigenverwaltung Kenntnis erlangt, als auch solche, die zwischenzeitlich hinzugetreten sind.17) Im Gesetz ist eine Anhörung des Gläubigerausschusses vor einer Entscheidung über die 11 amtswegige Aufhebung gemäß § 272 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO durch das Gericht zwar – anders als i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270e Abs. 4 Satz 1 InsO – nicht vorgesehen, jedoch erscheint dies bereits aus Gesichtspunkten der Gläubigerautonomie, die sich durch das gesamte Verfahren trägt, geboten.18) Nach § 270e Abs. 4 Satz 1 InsO ist vor der Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung eine Anhörung des vorläufigen ___________ 13) Ellers/Kreutz in: BeckOK-InsR, § 272 InsO Rz. 9. 14) So auch Ellers/Kreutz in: BeckOK-InsR, § 272 InsO Rz. 9; Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 769; Thole, NZI Beilage 1 z. Heft 5/2021, S. 90, 92. 15) Kreutz/Ellers in: BeckOK-InsR, § 270e InsO Rz. 7. 16) Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 207. 17) Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 207. 18) Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 769.

Flöther

449

§ 14

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

Gläubigerausschusses vorgesehen, sodass diesem Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden muss. 3.

Aufhebung auf Antrag der Gläubigerversammlung (§ 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO)

12 Die Möglichkeit der Gläubigerversammlung, auf Antrag die Anordnung der Eigenverwaltung aufheben zu lassen, ist Ausdruck der verstärkten Gläubigerautonomie in der InsO.19) Wie sich aus dem Wortlaut des § 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO ergibt, ist jede Gläubigerversammlung und nicht nur die auf die Verfahrenseröffnung folgende erste Gläubigerversammlung zur Antragstellung berechtigt. Als besondere Ausprägung der Gläubigerautonomie bedarf es für einen entsprechenden Beschluss keinerlei Verfehlungen oder Unregelmäßigkeiten des Schuldners, mithin keinen tatsächlichen Grund, und auch keiner Begründung der Entscheidung. Es ist also Sache der Gläubiger, ob sie dem Schuldner ihr Misstrauen aussprechen, indem sie die Aufhebung der Eigenverwaltung beantragen. Insbesondere ist die Gläubigerversammlung nicht darauf verwiesen zu warten, bis es zu Handlungen des Schuldners kommt, welche die Gläubigergesamtheit schädigen.20) 13 Die Gläubigerversammlung entscheidet nach § 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO mit der Mehrheit der Forderungen der Gläubiger (Summenmehrheit) nach § 76 Abs. 2 InsO und der Kopfmehrheit der abstimmenden Gläubiger.21) 14 Ein Minderheitenschutz ist allein über § 78 InsO denkbar. Teile der Literatur und die Rechtsprechung vertreten, dass sich eine Anwendung des § 78 InsO verbiete, wenn der Beschluss zur Aufhebung der Eigenverwaltung von der Gläubigerversammlung getroffen wurde.22) Es bestehe in diesem Fall kein Bedürfnis für den Minderheitenschutz, weil es noch nicht zwangsläufig dem gemeinsamen Interesse der Gläubiger i. S. des § 78 InsO entgegenlaufe, wenn durch die Aufhebung der Eigenverwaltung und den Übergang in das Regelinsolvenzverfahren höhere Kosten anfallen.23) Vielmehr könne es nicht gegen die Interessen der einzelnen Gläubiger verstoßen, wenn das gesetzlich vorgesehene Verfahren eingeleitet und ein neutraler Insolvenzverwalter bestellt wird.24) Darüber hinaus sehe § 272 InsO keine gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit des richterlichen Beschlusses zur Aufhebung der Eigenverwaltung aufgrund eines Beschlusses der Gläubigerversammlung vor.25) Durch eine Anwendung des § 78 InsO würde diese Unanfechtbarkeit ausgehebelt, was dem Grundsatz der Gläubigerautonomie zuwiderliefe.26) Zudem verbiete sich nach Auffassung des BGH eine Anwendung des § 78 InsO auch deshalb, weil dies dazu führe, dass die Gläubigerversammlung ihre Entscheidung begründen müsste, was vom Gesetz aber ausdrücklich nicht vorgesehen sei.27) Zipperer hält eine Anwendung des § 78 InsO im Fall eines Beschlusses der Gläubigerversammlung nach § 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO für möglich, aber gleichzeitig ___________ 19) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 272 Rz. 1; Ringstmeier in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 272 InsO Rz. 1; Kern in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 4. 20) Ellers/Kreutz in: BeckOK-InsR, § 272 InsO Rz. 14; Kern in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 15. 21) Vor Inkrafttreten des ESUG bedurfte es für den Antrag auf Aufhebung der Eigenverwaltung lediglich der Summenmehrheit der Gläubiger nach § 76 Abs. 2 InsO. 22) BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, ZIP 2011, 1622 m. Anm. Flöther/Gelbrich, dazu EWiR 2011, 651 (Bähr); Kern in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 16; ebenfalls für ein Antragsrecht: Undritz in: K. Schmidt, InsO, § 272 Rz. 3. 23) BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, ZIP 2011, 1622, 1624 m. Anm. Flöther/Gelbrich; Kern in: MünchKommInsO, § 272 Rz. 9. 24) Kern in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 16. 25) Holzer in: KPB, InsO, § 272 Rz. 13. 26) BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, ZIP 2011, 1622, 1623 m. Anm. Flöther/Gelbrich; vgl. Holzer in: KPB, InsO, § 272 Rz. 15. 27) BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, ZIP 2011, 1622, 1624 m. Anm. Flöther/Gelbrich.

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Aufhebung der Eigenverwaltung

für entbehrlich, weil der Eintritt in das Regelverfahren im Normalfall keinen Nachteil für die Gläubigerinteressen darstelle.28) Diesem Prinzip der absoluten Gläubigerautonomie sei aber der unbedingte Vorrang zu 15 gewähren.29) Zu beachten ist bei dieser Diskussion, dass neben einer Summenmehrheit der Gläubiger gemäß § 76 Abs. 2 InsO auch die Kopfmehrheit erforderlich ist, damit ein Antrag auf Aufhebung der Eigenverwaltung Erfolg hat. Somit wird bereits durch die Vorschrift des § 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO selbst ein gewisses Maß an Minderheitenschutz gewährleistet. Darüber hinaus gefährdet eine Anwendung des § 78 InsO die Gläubigerautonomie, weil sie die Möglichkeit gibt, einen von der Mehrheit – auch der Kopfmehrheit – getroffenen Beschluss der Gläubigerversammlung durch die Hintertür wieder aufzuheben. Allerdings ist dennoch nicht ausgeschlossen, dass ein Teil der Gläubiger (insbesondere Großgläubiger) kollusiv zusammenwirkt und dadurch gegen den Willen der übrigen Gläubiger entscheidet bzw. eine eigentlich erfolgversprechende, ggf. sogar objektiv erforderliche Eigenverwaltung zu Fall bringt. Für solche Fälle erscheint die Anwendbarkeit des § 78 InsO gerade nicht entbehrlich30) (siehe Neußner/Flöther, HRI II, § 6 Rz. 71 ff.). Nicht überzeugend ist das Argument von Ringstmeier, dem einzelnen Gläubiger stehe als Minderheitenschutz der Aufhebungsantrag nach § 272 Abs. 1 Nr. 4 InsO zur Verfügung.31) Schließlich begehrt der einzelne Gläubiger nicht die Aufhebung des Eigenverwaltungsverfahrens, sondern möchte gerade gegen diese vorgehen und die Fortsetzung der Eigenverwaltung erreichen. Wie ihm dadurch mit einem Antrag auf Aufhebung der Eigenverwaltung geholfen werden soll, ist nicht ersichtlich. Bereits Wortlaut und Sinn und Zweck von § 272 Abs. 1 Nr. 4 InsO schließen eine Anwendung auf Entscheidungen der Gläubigerversammlung aus. 4.

Aufhebung auf Antrag eines Gläubigers (§ 272 Abs. 1 Nr. 4 InsO)

Mit § 272 Abs. 1 Nr. 4 InsO hat der Gesetzgeber den Gläubigern eine schnellere Reakti- 16 onsmöglichkeit auf Fehlverhalten des Schuldners an die Hand gegeben. Der einzelne Gläubiger soll in der Lage sein, auf drohende Gefährdungen der Gläubigerinteressen möglichst kurzfristig zu reagieren.32) Aufgrund der Wortgleichheit zu § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO a. F. sind die bisherigen Ansätze aus Literatur und Rechtsprechung auf die Neufassung unmittelbar übertragbar.33) Zur Stellung des Antrages sind nur absonderungsberechtigte Gläubiger oder nicht nachrangige Insolvenzgläubiger34) berechtigt (§ 272 Abs. 1 Nr. 4 InsO). Der Antrag ist schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle zu stellen.35) ___________ 28) Zipperer bezieht sich auf § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO a. F; die Argumentation ist jedoch auf § 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO aufgrund der Gleichheit der alten und der neuen Regelung übertragbar: Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 3. 29) Holzer in: KPB, InsO, § 272 Rz. 15, 18. 30) So ähnl. auch Undritz in: K. Schmidt, InsO, § 272 Rz. 3; a. A. BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, ZIP 2011, 1622, 1624 m. Anm. Flöther/Gelbrich. 31) Ringstmeier bezieht sich auf § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO a. F.; die Argumentation ist jedoch auf § 272 Abs. 1 Nr. 4 InsO aufgrund der Gleichheit der alten und der neuen Regelung übertragbar: Ringstmeier in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 272 InsO Rz. 7. 32) Zu § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO a. F., aufgrund der im Wesentlichen gleichen Voraussetzungen des § 272 Abs. 1 Nr. 4 InsO n. F jedoch in der Argumentation übertragbar: Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/ 2443, S. 224. 33) Vgl. Ellers/Kreutz in: BeckOK-InsR, § 272 InsO Rz. 17 ff. 34) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 272 Rz. 18; Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker-InsO, § 272 Rz. 5; Kern in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 26; Undritz in: K. Schmidt, InsO, § 272 Rz. 4; a. A. Ellers/Kreutz in: BeckOK-InsR, § 272 InsO Rz. 18; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 20. 35) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 272 Rz. 20.

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17 Zudem müssen die Voraussetzungen des § 270f Abs. 1 i. V. m. § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO weggefallen sein und dem Antragsteller durch die Eigenverwaltung erhebliche Nachteile drohen (§ 272 Abs. 1 Nr. 4 InsO). Das Drohen eines erheblichen Nachteils wird regelmäßig vorliegen, wenn sich der Schuldner masseschädigend verhält oder solches Verhalten zu erwarten ist. Dabei genügt aber das bloße Für-möglich-Halten nicht. Vielmehr wird man konkrete Anhaltspunkte verlangen müssen, aus denen sich ergibt, dass dem Antragsteller erhebliche Nachteile drohen. 18 Bei absonderungsberechtigten Gläubigern ist dies bspw. der Fall, wenn droht, dass der Schuldner die Gegenstände, an denen das Absonderungsrecht besteht, unberechtigt veräußert, da der Gläubiger dann auf die Ersatzabsonderung analog § 48 InsO angewiesen ist. 19 Für Insolvenzgläubiger drohen Nachteile in der Regel schon mit jeder Verkürzung oder Gefährdung der Masse durch schuldhaftes Verhalten des eigenverwaltenden Schuldners, weil dadurch eine Verringerung der Quote zu befürchten ist. Allerdings wird die Erheblichkeitsschwelle bei einer lediglich geringfügigen, und aus wirtschaftlicher Sicht zu vernachlässigenden Verschlechterung der Befriedigungsaussichten noch nicht überschritten sein.36) Liegen die voraussichtlichen Kosten der Eigenverwaltung erheblich über den Kosten eines Regelinsolvenzverfahrens, ist dies regelmäßig als erheblicher Nachteil für die Gläubiger zu werten.37) Das Gericht kann im dem Fall, wenn die Kosten der Eigenverwaltung die Kosten eines Regelinsolvenzverfahren übersteigen, zwar trotzdem gemäß § 270b Abs. 2 InsO einen vorläufigen Sachwalter bestellen, allerdings nur, wenn trotzdem zu erwarten ist, dass der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubiger auszurichten. Objektiv kann für den einzelnen Gläubiger dennoch ein wirtschaftlicher Nachteil bestehen, da zunächst die Insolvenzmasse, aus dem er sich letztlich befriedigen will, verringert wird. Da die Entscheidung über die Bestellung des Sachwalters trotz höherer Kosten der Eigenverwaltung gemäß § 270b Abs. 2 InsO dem Gericht obliegt, überzeugt es bereits aus Gründen des Gläubigerschutzes und der Gläubigerautonomie, diese Situation trotzdem als Nachteil für den einzelnen Gläubiger zu verstehen, um ihm die Möglichkeit zu geben, gegen die ungewollte Anordnung der Eigenverwaltung vorzugehen. Etwas anderes kann nur gelten, wenn die Eigenverwaltung zu solchen enormen Vorteilen im Gläubigerinteresse führt, dass etwaige Mehrkosten im Verhältnis zum Regelinsolvenzverfahren kompensiert werden. 20 Der Antrag des Gläubigers ist nur zulässig, wenn der Wegfall der Voraussetzungen von § 270f Abs. 1 i. V. m. § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO und das Drohen erheblicher Nachteile glaubhaft gemacht werden (§ 272 Abs. 2 Satz 1 InsO). Dabei müssen die Nachteile dem Antragsteller persönlich drohen. Dies soll missbräuchliche Anträge verhindern.38) Für die Glaubhaftmachung gilt § 294 ZPO über § 4 InsO, so dass sich der Gläubiger aller Beweismittel bedienen kann und auch die Versicherung an Eides statt zulässig ist.39) Dabei genügt es, dass der Gläubiger allein auf eine mögliche Verfahrensverzögerung hinweist.40) Bei Zweifeln, ob dem Antragsteller tatsächlich Nachteile drohen, liegt die Beweislast beim Antragsteller.41) ___________ 36) Undritz in: K. Schmidt, InsO, § 272 Rz. 5; Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 760. 37) AG Aachen v. 1.12.2017 – 92 IN 187/17, ZInsO 2018, 272 m. Anm. Haarmeyer; AG Freiburg v. 11.5.2015 – 58 IN 37/15, NZI 2015, 605 m. Anm. Madaus; wohl auch Siemon, NZI 2018, 189, 190. 38) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 224. 39) Kern in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 30. 40) LG Potsdam v. 16.5.2001 – 5 T 239/00, ZIP 2001, 1689, 1690; a. A. wohl AG Köln v. 15.12.2014 – 74 IN 152/12, ZIP 2015, 440; a. A. Undritz in: K. Schmidt, InsO, § 272 Rz. 5. 41) Ringstmeier in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 272 InsO Rz. 11.

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Aufhebung der Eigenverwaltung

§ 272 Abs. 1 Nr. 4 InsO gewährt dem einzelnen Gläubiger nur dann ausdrücklich das An- 21 tragsrecht, wenn die Voraussetzungen von § 270f Abs. 1 i V. m. § 270b Abs. 1 InsO weggefallen sind. In Fällen, in denen diese Voraussetzungen von Anfang an nicht vorgelegen haben, also bloß der Zeitpunkt der Betrachtung ein anderer ist, ist § 272 Abs. 1 Nr. 4 InsO deshalb analog anzuwenden.42) Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn dem Gericht Fehler bei der Einschätzung der Eigenverwaltungsplanung des Schuldners hinsichtlich Vollständigkeit und Schlüssigkeit unterlaufen oder Umstände, aus denen sich ergibt, dass die Eigenverwaltungsplanung in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruht, nicht entsprechend gewürdigt wurden. Zwar wird in den Voraussetzungen des § 270b Abs. 1 InsO nicht mehr, wie in § 270 Abs. 2 22 InsO a. F., der Nachteilsbegriff verwendet, jedoch war dieser, ebenso wie die nun neuen Voraussetzungen des § 270b Abs. 1 InsO, Auswuchs des Gläubigerinteresses. Ein Rückgriff auf die bislang zur Prüfung der Voraussetzungen des § 270 Abs. 2 Nr. 2 a. F. InsO herangezogenen Grundsätze kann deshalb – unter Berücksichtigung der Neuregelungen betreffend die Eigenverwaltung – auch nach den Änderungen durch das SanInsFoG erfolgen.43) Auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Wegfalls der Voraussetzungen kommt es indes nicht 23 an.44) Entscheidend ist, dass das Gericht bei Anordnung der Eigenverwaltung keine Kenntnis von den Umständen hatte. Waren dem Gericht die Tatsachen bekannt, würde eine Aufhebungsmöglichkeit zu erheblicher Rechtsunsicherheit für den Schuldner führen.45) Auf die Kenntnis der Gläubigerversammlung kann es indes nicht ankommen.46) Umstritten ist, ob ein einzelner Gläubiger den Antrag auf Aufhebung der Eigenverwal- 24 tung auch während einer Gläubigerversammlung stellen kann. Der Gesetzgeber hat durch das SanInsFoG47) hierüber keine Klarheit geschaffen. Ein Teil der Literatur lehnt dies ab, weil es dem Sinn und Zweck des § 272 Abs. 1 Nr. 4 InsO zuwiderliefe.48) Die dies betreffenden Argumente können aufgrund der Wortgleichheit von § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO a. F. und § 272 Abs. 1 Nr. 4 InsO n. F. auf die neue Gesetzesfassung übertragen werden. Die Norm solle lediglich eine schnelle Reaktionsmöglichkeit auf massegefährdendes Verhalten des Schuldners bieten, wenn in der Kürze der Zeit keine Entscheidung der Gläubigerversammlung herbeigeführt werden kann. Findet aber eine Versammlung der Gläubiger statt, so fehle einem Antrag der Zweck.49) Dies würde allerdings bedeuten, dass § 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO Vorrang gegenüber § 272 Abs. 1 Nr. 4 InsO eingeräumt wird. Schon der Wortlaut sieht aber eine solche Versammlung nicht vor.50) Auch die Gesetzesbegründung zur InsO lässt nicht erkennen, dass der Gesetzgeber die Antragstellung während der Gläubigerversammlung ausschließen wollte.51) Die Antragstellung ist folglich während einer Ver___________ 42) Ellers/Kreutz in: BeckOK-InsR, § 272 InsO Rz. 21; Kern in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 31; Undritz in: K. Schmidt, InsO, § 272 Rz. 5; a. A. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 4. 43) Ellers/Kreutz in: BeckOK-InsR, § 272 InsO Rz. 22. 44) Riggert in: Nerlich/Römermann, InsO, § 272 Rz. 3; Kern in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 30. 45) Ellers/Kreutz in: BeckOK-InsR, § 272 InsO Rz. 12; Undritz in: K. Schmidt, InsO, § 272 Rz. 5; a. A. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 4. 46) Ellers/Kreutz in: BeckOK-InsR, § 272 InsO Rz. 21; Undritz in: K. Schmidt, InsO, § 272 Rz. 5; a. A. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 4. 47) Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256. 48) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 272 Rz. 19. 49) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 272 Rz. 17, 19. 50) Kern in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 25. 51) Zu § 272 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO a. F., aufgrund der Gleichheit jedoch übertragbar auf § 272 Abs. 1 Nr. 3 und 4 InsO: vgl. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443.

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sammlung der Gläubiger durchaus möglich und kann auch erfolgen, wenn zeitnah eine solche herbeigeführt werden kann.52) Sie ist ebenso möglich, wenn der Antrag dem Ergebnis der Gläubigerversammlung widerspricht, denn Sinn und Zweck von § 272 Abs. 1 Nr. 4 InsO ist der Schutz eines einzelnen Gläubigers, mithin die Statuierung eines sachgerechten Minderheitenschutzes. 25 In der Praxis wird sich dieses Problem selten stellen, weil bei Gefährdung der Gläubigerinteressen die Gläubigerversammlung in der Regel selbst einen Antrag stellt. Überdies wird das Insolvenzgericht nur bei offenkundigen, schwerwiegenden Verfehlungen des Schuldners die Eigenverwaltung auf Antrag unverzüglich aufheben, sofern es dies noch nicht von Amts wegen getan hat. In allen übrigen Fällen wird es eine Gläubigerversammlung einberufen, um sich einen Überblick über das Stimmungsbild der Gläubiger zu verschaffen. 26 Vor einer Entscheidung über den Antrag nach § 272 Abs. 1 Nr. 4 InsO hat das Gericht gemäß § 272 Abs. 2 Satz 2 InsO den Schuldner anzuhören. Dabei findet die Vorschrift des § 10 InsO Anwendung.53) Es empfiehlt sich, stets auch den Sachwalter anzuhören, da er den von Schuldner und Gläubiger geschilderten Sachverhalt in den meisten Fällen neutral beurteilen kann. Schließlich wird es häufig so sein, dass der Schuldner auf die Glaubhaftmachung des antragstellenden Gläubigers mit einer Gegendarstellung bzw. Gegenglaubhaftmachung reagiert.54) Ein non liquet wirkt hierbei zulasten des Antragstellers.55) Darüber hinaus dürfte es in den überwiegenden Fällen empfehlenswert sein, den Gläubigerausschuss anzuhören, um dem Wunsch des Gesetzgebers nach stärkerer Gläubigerbeteiligung gerecht zu werden. Allerdings vermag auch der Gläubigerausschuss selbst mit einer einstimmigen Entscheidung das Ermessen des Gerichtes nicht zu reduzieren. Die Anhörung des Gläubigerausschusses wird aber regelmäßig zur Sachverhaltsermittlung beitragen. 27 Das Gericht ermittelt von Amts wegen, ob die Voraussetzungen des § 270f Abs. 1 i. V. m. § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO tatsächlich weggefallen sind oder von vornherein nicht vorlagen und das Gericht von diesem Umstand erst später Kenntnis erlangt hat. Das Gericht entscheidet durch Beschluss. Dieser ist zu begründen und dem Antragsteller zuzustellen, weil gegen ihn gemäß § 272 Abs. 2 Satz 3 InsO die sofortige Beschwerde statthaft ist.56) 28 Schließlich stellt sich die Frage, ob die Gläubigerversammlung mehrheitlich bestimmen kann, dass die Eigenverwaltung nur durch Beschluss derselben wieder aufgehoben werden kann. Durch einen solchen Beschluss bestünde die Möglichkeit, einzelne Gläubiger von der Stellung eines Antrags nach § 272 Abs. 1 Nr. 4 InsO auszuschließen. Ein Ausschluss des Antrages eines einzelnen Gläubigers auf Aufhebung der Eigenverwaltung erscheint fragwürdig, weil die Antragsmöglichkeit die Gläubigerinteressen schützen soll, indem den Gläubigern eine Reaktionsmöglichkeit an die Hand gegeben wurde, um auf massegefährdendes Verhalten des Schuldners rasch zu reagieren.57) Dennoch ist es denkbar, dass die Gläubigermehrheit am Eigenverwaltungsverfahren festhalten möchte, obwohl die Voraussetzungen des § 270f Abs. 1 i. V. m. § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO weggefallen sind. In diesem ___________ 52) So im Ergebnis auch Kern in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 24; Undritz in: K. Schmidt, InsO, § 272 Rz. 4; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 4; a. A. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 272 Rz. 14. 53) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 4; Tetzlaff in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 33; Undritz in: K. Schmidt, InsO, § 272 Rz. 5. 54) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 4. 55) Ellers/Kreutz in: BeckOK-InsR, § 272 InsO Rz. 25; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 4. 56) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 272 Rz. 26. 57) Zu § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO a. F., allerdings aufgrund der Gleichheit anwendbar auf § 272 Abs. 1 Nr. 4 InsO n. F.: Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 224.

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Aufhebung der Eigenverwaltung

Fall könnte ein einzelner Gläubiger entgegen den Interessen der Gläubigermehrheit die Eigenverwaltung zu Fall bringen, sofern nach der Prognose des Gerichtes eine Verzögerung des Verfahrens oder eine andere Benachteiligung der Gläubiger nach den Umständen zu erwarten ist, so dass dem betreffenden Gläubiger auch persönlich erhebliche Nachteile drohen. Zudem ist es auch möglich, dass das Gericht die Eigenverwaltung bereits von Amts wegen gemäß § 272 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 InsO aufhebt – sofern es Kenntnis von den neuen Umständen erlangt hat. Auch wenn diese Konstellation in der Praxis eher selten auftreten wird, ist es durchaus 29 denkbar, dass die Mehrheit der Gläubiger ein höheres Risiko durch die Eigenverwaltung bewusst hinnehmen möchte. Vor diesem Hintergrund erscheint in Ausnahmefällen ein Beschluss zur Verhinderung von missbräuchlichen Anträgen einzelner Gläubiger sinnvoll. Es ist jedoch zu beachten, dass man damit den Minderheitenschutz verkürzt. Zwar könnte die Minderheit den einen Beschluss der Gläubigerversammlung nach § 78 InsO angreifen. Dies genügt aber nicht, um ein ausreichendes Maß an Minderheitenschutz zu gewährleisten. Denn dem einzelnen Gläubiger kann durchaus erst später bewusst werden, dass seine Interessen nicht den Interessen der übrigen Gläubiger entsprechen, und dann kann es u. U. zu spät sein, gegen den Beschluss vorzugehen und die Aufhebung der Eigenverwaltung durchzusetzen. Zudem ist ein Antrag nach § 78 InsO nur unter sehr engen Voraussetzungen möglich, so dass dadurch der Minderheitenschutz stark beeinträchtigt wäre. Deshalb kann auch ein Beschluss der Gläubigerversammlung den einzelnen Gläubiger nicht daran hindern, einen Antrag auf Aufhebung der Eigenverwaltung zu stellen. Letztlich wird auch durch die Normierung des § 272 Abs. 1 Nr. 4 InsO der Wille des Gesetzgebers deutlich, wonach dem einzelnen Gläubiger gerade ausdrücklich die Möglichkeit des Hinwirkens auf die Aufhebung des Eigenverwaltungsverfahrens gegeben wird. Die Gläubigerversammlung kann somit nicht unterbinden, dass das Insolvenzgericht über den Antrag des einzelnen Gläubigers entscheidet. 5.

Aufhebung auf Antrag des Schuldners (§ 272 Abs. 1 Nr. 5 InsO)

Als fünfte Möglichkeit zur Beendigung des Eigenverwaltungsverfahrens sieht die InsO 30 die Stellung des Antrages auf Aufhebung der Eigenverwaltung durch den Schuldner vor. Die Regelung des § 272 Abs. 1 Nr. 5 InsO ist identisch zum bisherigen § 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO a. F. Die hierzu entwickelten Gedanken sind deshalb auf die durch das SanInsFoG geänderte Gesetzesfassung, indem allein nur die Nummerierung von Nr. 3 auf Nr. 5 angepasst wurde, unmittelbar übertragbar. Sinn und Zweck der Regelung ist, dass der Schuldner nicht zur Eigenverwaltung gezwungen werden soll. Häufig wird ein Schuldner einen solchen Antrag stellen, wenn er mit der Eigenverwaltung überfordert, mit den Weisungen des Gläubigerausschusses nach § 276 InsO bzw. mit Beschränkungen der Verfügungsmacht nach § 277 InsO nicht einverstanden ist oder die Eigenverwaltung nicht mehr als probates Mittel zur Sanierung ansieht.58) Einem Schuldner der mit dieser Motivation einen Antrag auf Aufhebung der Eigenverwaltung stellt, wird in der Regel nichts daran liegen, die Gläubigerinteressen zu befriedigen, so dass ein erzwungenes Eigenverwaltungsverfahren keinen Sinn ergeben würde.59) Deshalb soll dem Schuldner die Möglichkeit gegeben werden, die Eigenverwaltung auf eigenes Betreiben aufheben zu lassen. Dabei soll seine Entscheidung zwingend zur Aufhebung führen. Dem Gericht steht kein Ermessen zu. ___________ 58) Zu § 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO a. F., jedoch aufgrund der Gleichheit anwendbar auf § 272 Abs. 1 Nr. 5 InsO n. F., vgl. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 224. 59) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 224.

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31 Bei juristischen Personen oder Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit ist zu beachten, dass die Antragsberechtigung bei dem allein vertretungsberechtigten Organ oder dessen gemeinsam vertretungsberechtigten Mitgliedern liegt.60) Die Antragstellung durch irgendeinen Vertretungsberechtigten genügt nicht. Vielmehr bedarf es einer wirksamen Vertretung durch die Organe, so dass bei kollektiver Vertretungsbefugnis der Antrag gemeinsam gestellt werden muss.61) Ob eine Berechtigung zur Antragstellung im Innenverhältnis besteht, kann dagegen dahinstehen.62) 32 Fordern die Anteilseigner dazu auf, die Eigenverwaltung zu beenden, so ist der Geschäftsführer an diese Aufforderung wegen § 276a Abs. 1 InsO nicht gebunden.63) Umgehungsversuche, etwa die Einsetzung eines neuen Geschäftsführers, der die Eigenverwaltung beenden soll, sind gemäß § 276a Abs. 1 Satz 2 InsO unwirksam, sofern der Sachwalter der Änderung der Geschäftsführung nicht zustimmt. 33 Eine Anhörung der Gläubiger in einer gesonderten Gläubigerversammlung oder eine Anhörung des Gläubigerausschusses hat regelmäßig zu unterbleiben, weil dem Gericht ohnehin kein Ermessen bei seiner Entscheidung zusteht.64) Zudem ist die Einberufung einer Gläubigerversammlung regelmäßig mit nicht unerheblichem Zeitaufwand verbunden. In dieser Zeit bliebe die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis weiterhin beim Schuldner, der aber in der Regel kein Interesse mehr hat, die Gläubigerinteressen zu berücksichtigen, so dass masseschädigende Handlungen zu befürchten sind, während eine Anhörung der Gläubiger keine Änderung der Situation herbeiführen kann. 6.

Beschluss

34 Sowohl für den Beschluss über die Aufhebung der Eigenverwaltung als auch für die Bestellung des Insolvenzverwalters ist nach § 18 RPflG grundsätzlich der Rechtspfleger zuständig. Allerdings wird aufgrund der häufigen Verbindung des Eigenverwaltungsverfahrens mit einem Planverfahren regelmäßig der Richter (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG) zuständig sein. Darüber hinaus ist es empfehlenswert, wenn der Richter auch in den übrigen Fällen die Entscheidung an sich zieht (siehe oben Rz. 2). Sofern die Voraussetzungen des § 272 InsO vorliegen, besteht kein Ermessen.65) 35 Der Beschluss sollte Datum und Stunde enthalten, damit der Zeitpunkt des Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter feststeht und so die Wirksamkeit einzelner Rechtshandlungen eindeutig festgestellt werden kann.66) Außerdem empfiehlt sich eine Zustellung an den Schuldner und die Gläubiger. Im Falle des § 272 Abs. 1 Nr. 4 InsO ist zwingend an den antragstellenden Gläubiger zuzustellen, damit der Lauf der Rechtsbehelfsfrist beginnt.67)

___________ 60) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 5. 61) Kern in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 46. 62) Brünkmans in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 272 Rz. 10; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 5; a. A. Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 272 Rz. 28; vgl. zu dieser Problematik auch: OLG München v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, ZIP 2013, 1121, dazu EWiR 2013, 483 (Jakobs/Hoffmann). 63) Kern in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 47. 64) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 272 Rz. 29. 65) Kern in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 51. 66) Holzer in: KPB, InsO, § 272 Rz. 33; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 6. 67) Kern in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 63.

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§ 14

Aufhebung der Eigenverwaltung

Die Aufhebung der Eigenverwaltung ist gemäß § 273 InsO öffentlich bekannt zu machen. 36 Das Insolvenzgericht hat die nach §§ 31 bis 33 InsO notwendigen Grundbuch- und Registereintragungen zu veranlassen.68) 7.

Rechtsfolgen

Folge der Aufhebung der Eigenverwaltung ist der Übergang in das Regelinsolvenzver- 37 fahren unter Einsetzung eines Insolvenzverwalters, § 272 Abs. 3 InsO. Aufgrund der besseren Kenntnis der Verhältnisse des Schuldners erscheint es sinnvoll, 38 den bisherigen Sachwalter als Insolvenzverwalter einzusetzen.69) Diese Möglichkeit ist auch in § 272 Abs. 3 InsO vorgesehen. Es besteht zwar grundsätzlich keine Verpflichtung des Gerichtes, eine bestimmte Person zum Insolvenzverwalter zu bestellen.70) Aber auch hier ist § 56a Abs. 2 InsO anzuwenden, so dass das Gericht an einen einstimmigen Vorschlag des Gläubigerausschusses gebunden ist, sofern die vorgeschlagene Person für die Übernahme des Amtes geeignet ist. Problematisch ist, ob darüber hinaus auch ein Vorschlag der Gläubigerversammlung das 39 Gericht bindet. Hierzu wurde durch den Gesetzgeber auch i. R. des SanInsFoG keine Regelung getroffen. Im Rahmen der Aufhebung der Eigenverwaltung gemäß § 272 InsO findet nur bei einer Aufhebung nach § 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO stets eine Gläubigerversammlung statt. Es erscheint durchaus sinnvoll, einen bereits existenten Vorschlag der Gläubigerversammlung als bindend anzusehen, sofern dieser mit der Kopf- und Summenmehrheit bezogen auf sämtliche Gläubiger, die Forderungen angemeldet haben, oder gar einstimmig durch alle beteiligten Gläubiger getroffen wurde und an der Geeignetheit des vorgeschlagenen Verwalters keine Zweifel bestehen. Schließlich ist durch die Bindung an den Vorschlag keine Verfahrensverzögerung zu erwarten, weil die den Vorschlag unterbreitende Gläubigerversammlung bereits stattgefunden hat. Darüber hinaus wäre es unzweckmäßig und weder einer Sanierung noch einer Unternehmensfortführung förderlich, wenn das Gericht gegen den Willen der Mehrheit der Gläubiger einen Insolvenzverwalter einsetzen kann, der aller Voraussicht nach von der darauffolgenden Gläubigerversammlung nach § 57 Satz 1 InsO wieder abgewählt wird. Im Übrigen greifen hier die gleichen Argumente wie bei der Einsetzung des Sachwalters, siehe Neußner/Flöther, HRI II, § 6 Rz. 55 ff. Bereits begründete Masseverbindlichkeiten bleiben bestehen und sind durch den Insol- 40 venzverwalter zu begleichen. Eine persönliche Haftung des Insolvenzverwalters für diese Verbindlichkeiten gemäß § 61 InsO ist jedoch ausgeschlossen. Der Insolvenzverwalter soll nach der wohl h. M. in bereits bestehende Prozesse ohne Verfahrensunterbrechung eintreten.71) Diese Ansicht kann jedoch nicht überzeugen, weil dem Insolvenzverwalter vor seinem Eintritt in einen Rechtsstreit auch die Möglichkeit gegeben werden muss, sich über die Lage des Verfahrens zu informieren.72) Dies ist nicht nur im Interesse des Insolvenzverwalters als Partei kraft Amtes notwendig. Auch die Gläubigergesamtheit hat ein Interesse daran, dass der Insolvenzverwalter den Prozess zum Schutz der Masse möglichst effektiv weiterführt oder zur Vermeidung unnötiger Kosten aussichtslose Verfahren bzw. Rechtsstreite mit erheblichem Prozessrisiko durch eine Klagerücknahme oder einen Vergleich beendet. Dies wird in der Regel aber nur möglich sein, wenn der Insolvenzverwalter ausreichend Zeit hatte, sich in den Sachverhalt und die Lage des Verfahrens einzuar___________ 68) 69) 70) 71) 72)

Fiebig in: HambKomm-InsO, § 273 Rz. 1. Holzer in: KPB, InsO, § 272 Rz. 37; Hammes, NZI 2017, 233, 238. Brünkmans in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 272 Rz. 11; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 8. Holzer in: KPB, InsO, § 272 Rz. 39; Kern in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 74. Vgl. Stackmann in: MünchKomm-ZPO, § 240 Rz. 1.

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§ 14

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

beiten, um sein weiteres prozessuales Vorgehen zu durchdenken. Da dies mit der Interessenlage bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens vergleichbar ist,73) muss in analoger Anwendung von § 240 ZPO zur Herstellung der prozessualen Waffengleichheit eine Verfahrensunterbrechung erfolgen.74) 41 Das Bedürfnis der Verfahrensunterbrechung entfällt indes beim praktischen Regelfall – der Personenidentität von Sachwalter und Insolvenzverwalter. In diesem Fall liegt auch ohne eine Verfahrensunterbrechung kein Verstoß gegen die prozessuale Waffengleichheit der Parteien vor. Eine Unterbrechung wäre in diesen Fällen mit dem Beschleunigungsgebot nicht vereinbar. 42 Sind Rechtsstreite noch unterbrochen, weil sie der Schuldner nicht wieder aufgenommen hatte, geht auch das Aufnahmerecht auf den Insolvenzverwalter über.75) 8.

Anhörungspflicht

43 Eine Anhörungsverpflichtung des Schuldners vor der Entscheidung über die Aufhebung der Eigenverwaltung besteht nach § 272 Abs. 2 Satz 2 InsO nur bei einer Aufhebung auf Antrag eines absonderungsberechtigten Gläubigers bzw. eines nicht nachrangigen Insolvenzgläubigers nach § 272 Abs. 1 Nr. 4 InsO. Eine generelle Anhörungsverpflichtung des Schuldners hinsichtlich der übrigen Aufhebungsgründe besteht nicht.76) Dies ergibt sich auch aus der wörtlichen Übernahme des § 272 Abs. 2 InsO a. F., bei der lediglich eine numerische Anpassung vorgenommen wurde und gerade keine Änderung der Rechtslage beabsichtigt war.77) 44 Dies ist überdies bei der Aufhebung aus Gründen des § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO schon deshalb konsequent, da in diesen Fällen in schwerwiegender Weise gegen insolvenzrechtliche Grundsätze verstoßen wurde, für die es im Lichte des effektiven Gläubigerschutzes keine berücksichtigungsfähige Rechtfertigung gibt, die das Gericht i. R. der Anhörung des Schuldners in seine Entscheidung einstellen könnte. 45 Eine Anhörungsverpflichtung des Schuldners ist auch bei § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO obsolet, da es einer solchen nicht bedarf, wenn die Erreichung des Eigenverwaltungsziels aussichtslos ist und es damit zu einem Zweckfortfall des Eigenverwaltungsverfahrens kam. 46 Im Falle des § 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO trägt die Mehrheit der Gläubiger die weitere Durchführung der Eigenverwaltung nicht mehr, sodass auch eine Anhörung des Schuldners daran nichts mehr zu ändern vermag. 47 Bei einem schuldnerischen Antrag zur Aufhebung der Eigenverwaltung nach § 272 Abs. 1 Nr. 5 InsO ist eine Anhörung überflüssig, da von diesem bereits der Aufhebungsantrag gestellt wurde. 9.

Rechtsmittel

48 Gerichtliche Entscheidungen von Amts wegen nach § 272 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 InsO sowie auf Antrag nach § 272 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 5 InsO sind nicht mit der sofortigen ___________ 73) Zur Interessenlage bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Stackmann in: MünchKomm-ZPO, § 240 Rz. 1. 74) Vgl. Wehdeking in: Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, Kap. 2 Rz. 124; zur Bedeutung des § 240 ZPO zur Herstellung der Waffengleichheit Smid, Grundzüge des Insolvenzrechts, § 8 Rz. 22. 75) Holzer in: KPB, InsO, § 272 Rz. 39; Kern in: MünchKomm-InsO, § 272 Rz. 68. 76) A. A. Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 769. 77) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 208.

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Aufhebung der Eigenverwaltung

Beschwerde angreifbar.78) Dies folgt aus § 272 Abs. 2 InsO. Allein bei einem Beschluss nach § 272 Abs. 1 Nr. 4 InsO sieht § 272 Abs. 2 Satz 3 InsO die sofortige Beschwerde vor. In diesem einzig zulässigen Fall sind zur Einlegung der sofortigen Beschwerde allein der Schuldner und der antragstellende Gläubiger berechtigt.79) Blankenburg hingegen will eine allgemeine Beschwerdebefugnis des Schuldners auch für 49 die übrigen Fälle § 272 Abs. 1 InsO statuieren.80) Eine Beschwerdebefugnis für den Gläubiger will er allerdings nur bei eigenem Antrag auf Aufhebung der Eigenverwaltung durch den Gläubiger ableiten.81) Ebenso wie bei der Argumentation zur Anhörungspflicht (siehe Rz. 43 ff.) überzeugt dies insoweit nicht, als dass der Gesetzgeber mit der wörtlichen Übernahme des § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO a. F. gerade keine Änderung der Rechtslage vorgesehen hat.82) Aus diesem Grund sind auch die bisher zu § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO a. F. entwickelten Gedanken anwendbar. Nach § 11 Abs. 1 RPflG ist auch bei einer Entscheidung des Rechtspflegers die sofortige Beschwerde statthaft. Im Hinblick auf einen Beschluss zur Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung auf An- 50 trag des vorläufigen Gläubigerausschusses nach § 270 Abs. 1 Nr. 4 lehnte jüngst auch der BGH die Anfechtbarkeit des Aufhebungsbeschlusses ab.83) Zur Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung siehe Hofmann, HRI II, § 4 Rz. 294 ff. Während der Dauer des Rechtsmittelverfahrens bleibt die Anordnung der Eigenverwal- 51 tung nach h. A. bestehen.84) Dies sei notwendig, weil eine vorzeitige Aufhebung der Eigenverwaltung praktisch nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Die nachträgliche Anordnung der Eigenverwaltung könnte zwar theoretisch durch die Gläubigerversammlung beantragt werden, würde aber zu einer undurchsichtigen Rechtslage durch das Wechseln der Verfahrensart führen. Bei Bedarf habe das Gericht jedoch die Möglichkeit, die Handlungsfreiheit des Schuldners entsprechend §§ 21, 22 InsO einzuschränken.85) Durch die Neuregelung in § 270c Abs. 3 Satz 1 InsO wurde allerdings der Anwendungsbereich der vorläufigen Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO auf den Absatz 1 und 2 Satz 1 Nr. 1a sowie Nr. 3 bis 5 InsO beschränkt. Nur im Falle der einstweiligen Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270b Abs. 1 Satz 2 InsO kann nach § 270c Abs. 3 Satz 2 InsO ein Zustimmungsvorbehalt zugunsten des Sachwalters angeordnet werden. Damit kann allerdings in allen übrigen Fällen eine Massesicherung während des Rechtsmittelverfahrens über einen Zustimmungsvorbehalt nicht erfolgen. Ein allgemeines Verfügungsverbot nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 InsO ist generell ausgeschlossen. Damit kann die Handlungsfreiheit des Schuldners nicht in dem von der herrschenden Ansicht vertreten Umfang beschränkt werden. Die Ansicht hat auch vor der Einführung des § 270c Abs. 3 InsO durch das SanInsFoG 52 nicht überzeugt, da der sofortigen Beschwerde nach § 4 InsO i. V. m. § 570 Abs. 1 ZPO keine aufschiebende Wirkung zukommt. Damit muss die Eigenverwaltung sofort aufge___________ 78) Ellers/Kreutz in: BeckOK-InsR, § 272 InsO Rz. 33; a. A Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 769. 79) Riggert in: Nerlich/Römermann, InsO, § 272 Rz. 6. 80) Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 769 verkennt, dass dies allerdings wiederum nur den Antrag aus § 272 Abs. 1 Nr. 4 InsO betrifft. 81) Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 769; verkennt, dass dies allerdings wiederum nur den Antrag aus § 272 Abs. 1 Nr. 4 InsO betrifft. 82) Vgl. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 208. 83) BGH v. 27.1.2022 – IX ZB 41/21, ZRI 2022, 214 = NZI 2022 m. Anm. Madaus; Wilke, jurisPR-InsR 9/2022 Anm. 2 (Urteilsanm.); Sämisch/Haug, ZRI 2021, 741, 750. 84) Holzer in: KPB, InsO, § 272 Rz. 35; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 7. 85) Holzer in: KPB, InsO, § 272 Rz. 36; Undritz in: K. Schmidt, InsO, § 272 Rz. 5; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 7.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

hoben werden, wenn aus Sicht des Gerichtes die Voraussetzungen des § 272 Abs. 1 Nr. 4 InsO vorliegen. Eine spätere Anordnung aufgrund der Entscheidung im Verfahren über die sofortige Beschwerde ist weiterhin möglich, denn genau dies ist Gegenstand der Beschwerdeentscheidung. Zudem wäre schwierig feststellbar, wer zu welchem Zeitpunkt die Verfügungsbefugnis innehatte, wenn eine aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde angenommen würde. 53 Allerdings sollte das Gericht mit Blick auf eine erfolgreiche Sanierung die Möglichkeit in Betracht ziehen, die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde anzuordnen (§ 4 InsO i. V. m. § 570 Abs. 3 ZPO), wenn die Erfolgschancen des Rechtsbehelfs besonders hoch sind, sodass die Aufhebung der Eigenverwaltung erst mit dem auf den Eintritt der Rechtskraft folgenden Tag wirksam wird. Fest steht aber, dass eine Aufhebung der Eigenverwaltung und eine nachträglich erfolgende (Wieder-)Anordnung der Eigenverwaltung einer Sanierung nicht zuträglich sind. Vor diesem Hintergrund sollte der Gesetzgeber erwägen, in diesem besonderen Fall die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde ausnahmsweise gesetzlich anzuordnen. 54 Entscheidet in den übrigen Fällen des § 272 Abs. 1 Nr. 1, 2, 3 und 5 InsO der Rechtspfleger, so ist nach § 11 Abs. 2 RPflG die Rechtspflegererinnerung statthaft.86) 55 Alternativ besteht die Möglichkeit gegen den Beschluss nach § 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO in eingeschränkten Fällen nach § 78 InsO vorzugehen (siehe zu dieser i. E. äußerst strittigen Frage oben Rz. 14 ff.). II.

Aufhebung durch Beendigung des Insolvenzverfahrens

56 In der Regel erfolgt die Aufhebung der Eigenverwaltung nicht durch einen Antrag nach § 272 InsO, sondern durch die Beendigung des Insolvenzverfahrens. Weil es sich bei der Eigenverwaltung um einen Sonderfall des Insolvenzverfahrens handelt,87) gelten dieselben Aufhebungsgründe wie im Regelinsolvenzverfahren. Die Eigenverwaltung wird deshalb mit der Schlussverteilung gemäß § 200 Abs. 1 InsO oder der Verfahrenseinstellung nach §§ 207, 211, 212 InsO aufgehoben, ohne dass es eines separaten Beschlusses bedarf. 57 Zudem wird die Eigenverwaltung häufig mit einem Insolvenzplanverfahren verbunden sein.88) In diesem Fall werden das Verfahren und damit auch die Eigenverwaltung aufgehoben, sobald der Insolvenzplan nach § 258 InsO bestätigt und rechtskräftig ist.89)

___________ 86) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 272 Rz. 7; Undritz in: K. Schmidt, InsO, § 272 Rz. 10; einschränkend Holzer in: KPB, InsO, § 272 Rz. 34. 87) Prütting in: KPB, InsO, § 270 Rz. 67. 88) Zum Junktim zwischen Insolvenzplan und Eigenverwaltung Prütting in: KPB, InsO, § 270 Rz. 61; Smid in: Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, Kap. 1 Rz. 3. 89) Dietrich, Die Eigenverwaltung als Sanierungsweg, S. 56; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 8.11.

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§ 15 Haftung, Liquiditätsplanung, Masseunzulänglichkeit Flöther

I. 1.

2. 3.

Haftung des Schuldners ............................. 1 Persönliche Haftung der Organe des Schuldners..................................................... 5 1.1 Grundsatz ........................................ 5 1.2 Haftung nach § 276a Abs. 2 InsO ................................................. 6 1.2.1 Intension der Haftung .................... 6 1.2.2 Persönlicher Anwendungsbereich ... 9 1.2.3 Zeitlicher Anwendungsbereich..... 17 1.3 Haftung aus § 60 InsO.................. 19 1.4 Haftung aus § 61 InsO auf Grundlage der Liquiditätsplanung........................................... 21 1.5 Haftungsumfang und -beschränkung der insolvenzspezifischen Haftungsregelungen ...................... 27 1.6 Haftung nach § 15b Abs. 4 InsO ............................................... 33 1.7 Haftung nach den Normen des Bürgerlichen Gesetzbuches........... 35 Steuerrechtliche Haftung........................... 38 Geltendmachung ........................................ 39

II. Haftung des Sachwalters.......................... 46 1. Allgemeines ................................................ 46 2. Haftung für die Verletzung der Pflichten als Sachwalter ....................................... 47 3. Haftung für die Nichterfüllung von Masseverbindlichkeiten ............................. 52 3.1 Grundsatz ...................................... 52 3.2 Masseverbindlichkeiten in der vorläufigen Eigenverwaltung ........ 53 3.3 Übernahme der Kassenführung .... 55 3.4 Anzeige der Masseunzulänglichkeit............................................ 63 3.5 Ausnahmsweise Haftung gemäß § 277 Abs. 1 Satz 3, § 61 InsO ............................................... 66 3.6 Weitere Fälle .................................. 68 4. Haftung gemäß § 280 InsO für Handlungen nach §§ 92, 93 InsO als Sonderfall................................................................ 70 5. Haftung bei Überschreiten der im Gesetz vorgesehenen Aufgaben ..................... 71 6. Geltendmachung ........................................ 73

Literatur: Bachmann, Organhaftung in der Eigenverwaltung, ZIP 2015, 101; Blankenburg, Reform der Eigenverwaltung durch das SanInsFoG aus gerichtlicher Sicht, ZInsO 2021, 753; Buchta/Ott, Business Judgement Rule in der Eigenverwaltung – eine Betrachtung 3 Jahre nach Inkrafttreten des ESUG, ZInsO 2015, 288; Ertl, Liquiditätsplanung – Grundlage eines Finanzierungs- und Liquiditäts-Risikomanagements, BC 2003, 17; Frind, Haftungsgefahren für den vorläufigen Sachwalter in Eigenverwaltungs- und Schutzschirmverfahren, NZI 2014, 977; Gehrlein, Sorgfaltsmaßstab der Organ- und Insolvenzverwalterhaftung – Anwendbarkeit der Business Judgement Rule, NZG 2020, 801; Gehrlein, Haftung des Insolvenzverwalters und eigenverwaltender Organe, ZInsO 2018, 2234; Gravenbrucher Kreis, ESUG: Erfahrungen, Probleme, Änderungsnotwendigkeiten, ZInsO 2015, 2173; Hodgson, Die Neufassung des Zahlungsverbots ab Insolvenzreife nach § 15b InsO, NZI Beilage 2021, 85; Jungmann, Die Business Judgement Rule im Gesellschaftsinsolvenzverfahren, NZI 2009, 80; Klöhn, Gesellschaftsrecht in der Eigenverwaltung: Die Grenzen des Einflusses auf die Geschäftsführung gem. § 276a Satz 1 InsO, NZG 2013, 81; Madaus, Roma Iocuta, causa finita? – Folgefragen aus dem BGH-Urteil zur Haftung der Geschäftsleiter in der Eigenverwaltung in: Festschrift für Kayser, 2019, S. 533; Marotzke, Das deutsche Insolvenzverfahren: ein Hort der Unverantwortlichkeiten?, KTS 2014, 113; Marotzke, Gläubigerautonomie – ein modernes Missverständnis in: Festschrift für Hans-Peter Kirchhof, 2003, S. 321; Schmidt, K., Aktienrecht und Insolvenzrecht – Organisationsprobleme bei insolventen Aktiengesellschaften, AG 2006, 597.

I.

Haftung des Schuldners

Die Beantwortung der Frage nach der Haftung des Schuldners bzw. seiner Organe sowie 1 des Sachwalters im Eigenverwaltungsverfahren gestaltete sich lange Zeit problematisch, da hierzu bislang gesonderte Regelungen fehlten. Während die InsO mit der Novellierung durch das ESUG1) 2012 hinsichtlich der Sachwalterhaftung zumindest auf die im Regelinsolvenzverfahren geltenden Haftungsvorschriften für den Insolvenzverwalter verwies, fehlte es zuweilen an Regelungen zur Haftung des Schuldners in der Eigenverwaltung vollständig. ___________ 1)

Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), v. 7.12.2011, BGBl. I 2012, 2582.

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§ 15

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

Die vor der neuen Regelung durch das SanInsFoG2) geltende Haftungsregelung nach § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO a. F. i. V. m. §§ 60 ff. InsO, die dem Schuldner eine Haftung gleich der des Insolvenzverwalters auferlegte, war ebenfalls, bei natürlichen Personen aufgrund der über das dem Eigenverwaltungsverfahren unterworfenem Vermögen hinausgehenden Haftung geeignet, zu bestimmten pflichtgemäßen Handlungsweisen anzuregen. Bei haftungsbeschränkten Rechtsträgern war dies indes nicht der Fall, da ohnehin nicht zu erwarten war, dass die Haftungsmasse des Schuldners zur Befriedigung der Gläubiger genügen würde.3) 2 Mit Inkrafttreten des SanInsFoG am 1.1.2021 hat sich die Rechtslage gewandelt; es besteht nun zum einen mit dem neu geschaffenen § 276a Abs. 2 InsO eine ausdrückliche Haftungsregelung hinsichtlich der Organe des Schuldners, die in einem Eigenverwaltungsverfahren tätig werden. Damit ist eine Inhaftungnahme des Schuldners selbst überflüssig geworden. Es war schon bislang zweifelhaft, auf welches Vermögen i. R. einer solchen Haftung des Schuldners zurückgegriffen werden sollte.4) Schließlich besteht für den Schuldner wegen § 35 InsO nicht die Möglichkeit, sich neues, von der übrigen Haftungsmasse losgelöstes Vermögen zu schaffen; den Gläubigern wäre so nur der Zugriff auf eine insuffiziente Haftungsmasse möglich.5) Durch den neu geschaffenen § 276a Abs. 2 InsO besteht nun auch, soweit der Schuldner eine juristische Person oder Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit ist, ein Haftungsanspruch gegen die Mitglieder des Vertretungsorgans bzw. die vertretungsberechtigten Gesellschafter gerichtet auf ihr Privatvermögen. Es wurde über §§ 276a Abs. 1 Satz 2, 60 Abs. 1 und 61 InsO eine erweiterte Haftungsmasse geschaffen. Da sich der Haftungsanspruch gegen die das Vertretungsorgan bekleidenden natürlichen Personen, mithin deren Privatvermögen, richtet, besteht dieser unabhängig von einer möglicherweise vorliegenden Masseunzulänglichkeit und stärkt so die Position der durch die Pflichtverletzung geschädigten Gläubiger, die nun auf eine weitere Haftungsmasse zugreifen können, erheblich.6) 3 Zum anderen wurde durch das SanInsFoG die Vorschrift des § 15b InsO geschaffen. Dieser führt die gesellschaftsrechtlichen Regelungen zur Haftung im Falle eines Zahlungsverbotes nunmehr einheitlich in der InsO zusammen. § 15b Abs. 4 InsO statuiert insoweit eine Haftungsvorschrift, die es untersagt, nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung Zahlungen vorzunehmen, die nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar sind. Haftungsadressaten der Norm sind die Antragspflichtigen der juristischen Person. 4 Neben diesen insolvenzspezifischen Haftungsvorschriften finden auch die allgemeinen zivil- und gesellschaftsrechtlichen Haftungstatbestände i. R. eines Eigenverwaltungsverfahrens Anwendung. 1.

Persönliche Haftung der Organe des Schuldners

1.1

Grundsatz

5 Sofern es sich bei dem Schuldner um eine juristische Person oder eine Personengesellschaft handelt, besteht nach § 276a Abs. 2 InsO die Möglichkeit einer persönlichen Haftung seiner Organe gegenüber den Gläubigern. Grund für diese Neuregelung war, dass beim ___________ 2) 3) 4) 5) 6)

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Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 209. Vgl. ausführlich zur Frage des Sinns einer derartigen Haftung Bachmann, ZIP 2015, 101, 103. Marotzke in: FS Kirchhof, S. 321, 349; Marotzke, KTS 2014, 113, 117; Schlegel, Eigenverwaltung, S. 180. Ellers in: BeckOK-InsR, § 276a InsO Rz. 40.

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Haftung, Liquiditätsplanung, Masseunzulänglichkeit

§ 15

eigenverwaltenden Schuldner selbst lediglich auf jenes Vermögen zugegriffen werden konnte, welches ohnehin dem Insolvenzbeschlag unterliegt und regelmäßig bereits ohne Pflichtverletzung vollständig der Gläubigerbefriedigung verhaftet ist. Vor den Änderungen durch das SanInsFoG fehlte es an einer ausdrücklichen Haftung der Organe des Schuldners i. R. der Eigenverwaltung in der InsO. Dies erschien aber insoweit unbillig, als dass die eigentlichen Akteure dann i. R. einer Eigenverwaltung keine insolvenzspezifische Haftung getroffen hätte, obwohl diese mit den Pflichten des Insolvenzverfahrens gleichsam eines Insolvenzverwalters in Berührung kommen.7) Nach der Rechtsprechung des BGH8) wurde bereits zuvor, d. h. vor den Änderungen des SanInsFoG, in Fällen, in denen die vertretungsberechtigten Geschäftsleiter gegen ihre insolvenzrechtlichen Pflichten verstoßen haben, eine Haftung über die §§ 60, 61 InsO analog angenommen, um die bestehende Haftungslücke hinsichtlich der Organe des Schuldners zu schließen. Der BGH verwendete den Begriff des Geschäftsleiters weitgehend synonym mit dem des vertretungsberechtigten Organs,9) ohne den Anwendungsbereich abschließend zu bestimmen. 1.2

Haftung nach § 276a Abs. 2 InsO

1.2.1 Intension der Haftung Im vorläufigen (§ 276a Abs. 3 InsO; siehe dazu Rz. 18, 21 ff.) sowie im eröffneten Eigen- 6 verwaltungsverfahren gewinnen Geschädigte durch die Regelung des § 276a Abs. 2 InsO einen direkten Anspruch gegen die das Vertretungsorgan bekleidende(n) natürliche(n) Person(en), wenn sie einen Schaden durch die Verletzung der dem Organ obliegenden insolvenzrechtlichen Pflichten (z. B. §§ 15a, 15b InsO, § 42 Abs. 2 BGB) erlitten haben. In der Eigenverwaltung gehören zu den insolvenzrechtlichen Pflichten der Organe verfahrenstypisch auch Pflichten, die im Regelverfahren beim Insolvenzverwalter liegen. Durch eine persönliche Haftung nach § 276a Abs. 2 InsO werden die handelnden Organe 7 zu einer pflichtgemäßen und gewissenhaften Geschäftsführung angehalten. Die Disziplinierung der Geschäftsführung ist insbesondere im Eigenverwaltungsverfahren notwendig, weil aufgrund der höheren Verantwortung des Schuldners eine größere Sorgfalt und besondere insolvenzrechtliche Kenntnisse der geschäftsführenden Organe notwendig sind. § 270a Abs. 1 Nr. 4 InsO legt dem Schuldner mit der Neuregelung des Zugangs zur Eigenverwaltung nach dem SanInsFoG auf, Vorkehrungen zu treffen, um sicherzustellen, dass er fähig ist, seine insolvenzrechtlichen Pflichten zu erfüllen. Sollten die geschäftsführenden Organe, die das Ziel der Restrukturierung des Schuldners 8 über das Eigenverwaltungsverfahren verfolgen, aufgrund mangelnder persönlicher Fähigkeiten und Kenntnisse nicht in der Lage sein, ihre an den Gläubigerinteressen auszurichtende Rolle im Eigenverwaltungsverfahren ordnungsgemäß auszufüllen, sind sie angehalten, sich professionelle sowie im Insolvenzrecht erfahrene Berater hinzuzuziehen und sich im Verfahren durch diese begleiten zu lassen, damit das Eigenverwaltungsverfahren erfolgreich durchlaufen werden kann. Gegebenenfalls kann auch, wie in der Vergangenheit bereits häufig praktiziert, einem Sanierungsberater als Generalhandlungsbevollmächtigtem die Erfüllung insolvenzrechtlicher Pflichten zugewiesen werden. 1.2.2 Persönlicher Anwendungsbereich Der Gesetzgeber hat das Haftungsbedürfnis, das i. R. der Eigenverwaltung die handeln- 9 den Organe trifft, mit den i. R. des SanInsFoG getroffenen Änderung des § 276a InsO ___________ 7) 8) 9)

Marotzke, KTS 2014, 113, 118. BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977. BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, Rz. 19, ZIP 2018, 977.

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§ 15

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

Rechnung getragen und die die Organe betreffende haftungsrechtliche Lücke geschlossen, indem der persönliche Anwendungsbereich der Haftungsvorschrift jedenfalls dem Grunde nach klargestellt wurde. 10 Der § 276 Abs. 2 Satz 1 InsO statuiert die Haftung der §§ 60 bis 62 InsO nun auch ausdrücklich für die Mitglieder der Vertretungsorgane juristischer Personen und nach Satz 2 für die zur Vertretung einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit ermächtigten Gesellschafter. § 276a Abs. 2 Satz 3 InsO erstreckt die Inhaftungnahme für den Fall, dass der vertretungsberechtigte Gesellschafter wiederum keine natürliche Person ist, auf die organschaftlichen Vertreter der zur Vertretung ermächtigten Gesellschafter. 11 Höchstrichterlich bisher nicht entschieden ist die Frage, ob die §§ 60, 61 InsO entsprechend anzuwenden sind, wenn eine Person als Prokurist oder Generalhandlungsbevollmächtigter bzw. Chief Restructuring Officer (CRO) oder aber in einer ähnlichen, anderweitigen Unterstützungsfunktion auftritt und agiert.10) Auch i. R. des SanInsFoG wurden hierzu keine Regelung getroffen. Unter Verweis auf die BGH-Entscheidung aus dem Jahr 2018 greift die Gesetzesbegründung des SanInsFoG jedoch auf, dass die insolvenzrechtlichen Pflichten auch durch Generalhandlungsbevollmächtigte oder Berater mit entsprechender Expertise sichergestellt werden können und nicht nur durch den Schuldner bzw. seine Organe selbst.11) Spielräume könnte allerdings bereits ebendiese Entscheidung des BGH gelassen haben, die allgemein auf Geschäftsleiter abstellte – einen Begriff, der ggf. weiter gefasst sein dürfte, als jener des Organs. 12 Mit der Änderung des § 270a InsO muss der Schuldner nunmehr i. R. seiner Eigenverwaltungsplanung Vorkehrungen treffen, um sicherzustellen, dass er seine insolvenzrechtlichen Pflichten erfüllen kann. Dies ist insbesondere durch den Rückgriff auf die Hilfe Dritter möglich. Eine Haftung von eingesetzten Dritten über die §§ 60, 61 InsO analog überzeugt allerdings nicht, da durch eine Erstreckung der Haftung die gleichen Risiken wie durch die Pflichtenwahrnehmung des Insolvenzverwalters übergewälzt werden würden, obwohl die Rechtsstellung eines eingesetzten Dritten dafür keinen Raum bietet. Gehilfen des Schuldners, deren Aufgabenbereich auch auf der Ebene einer Hilfstätigkeit bleibt, also keine eigenen, autonomen Entscheidungen nach außen getroffen werden, bleiben jedoch hinter dieser Pflichtenstellung, die eine Haftung aufgrund der Eingriffsgefahr rechtfertigt, zurück. Die Stellung hinzugezogener Dritter ist mit der eines Insolvenzverwalters, auch wenn bei der Erfüllung insolvenzrechtlicher Pflichten geholfen werden soll, gerade nicht vergleichbar. 13 Aus systematischen Gründen wird man eine solche Haftung auch nicht grundsätzlich für Generalhandlungsbevollmächtigte und gleichgestellte Dritte bejahen können, da diese nicht in die Stellung des Organs rücken. Zum einen trifft auch im Regelinsolvenzverfahren allein den Insolvenzverwalter die Haftung nach §§ 60, 61 InsO und nicht die in seiner Kanzlei tätigen leitenden Angestellten. Da der Aufgabenbereich des Insolvenzverwalters in der Eigenverwaltung zwischen Schuldner und Sachwalter aufgeteilt wird, trifft diese deshalb eine Haftung nach §§ 60, 61 InsO. Hinzugezogene externe Sanierungsexperten, die als Prokuristen oder Generalhandlungsbevollmächtigte handeln, sind daher, obwohl sie explizit mit insolvenzrechtlichen Aufgaben betraut sind, gerade nicht in einer insolvenzverwalterähnlichen Stellung, sondern lediglich als solche leitende Angestellte zu verstehen, die von der Haftung nach §§ 60, 61 InsO nicht erfasst sind, da ihre Befugnisse nur aus der Vertretungsmacht des Organs abgeleitet werden. Sie erhalten ihre Befugnisse somit gerade nicht aus der InsO, sondern aus einer rechtsgeschäftlichen Beauftragung. ___________ 10) Bitter, ZIP 2018, 986, 988 (Urteilsanm.). 11) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205.

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Haftung, Liquiditätsplanung, Masseunzulänglichkeit

§ 15

Darüber hinaus ist auch die gesellschaftsrechtliche Haftung für solche Personen nicht 14 vorgesehen. Den Organen ist es im Grundsatz nicht möglich, ihre spezifischen Verpflichtungen so auf Dritte zu übertragen, dass diese an ihrer statt für die Pflichtverletzung haften.12) Bevollmächtigte nehmen grundsätzlich kein eigenes Vertrauen und keine eigene Kompetenz in Anspruch.13) Sie stehen vielmehr hinter bzw. neben dem haftungsrechtlich verantwortlichen Organ. Hierfür spricht insbesondere der Wortlaut von § 276a Abs. 2 InsO, der ausdrücklich nur eine Haftung für die Vertretungsorgane regelt.14) Anderes kann nur in Fällen gelten, in denen ein Bevollmächtigter als „faktischer Geschäfts- 15 führer“ in die Organstellung gelangt und nach außen hin gerade nicht lediglich als Hilfsperson, sondern als Geschäftsführungsorgan auftritt.15) So könnte bspw. ein Generalhandlungsbevollmächtigter bei seiner Tätigkeit, wenn er Dritten gegenüber über längere Zeit auftritt und diese deshalb in dessen Entscheidungskompetenz vertrauen, den Eindruck vermitteln, die wirtschaftlichen oder strategischen Geschicke der Gesellschaft in den Händen zu halten. Er beansprucht damit eigenes, für seine Person geltendes Vertrauen, das über das einem bloß kurzfristig agierenden Vertreter entgegengebrachte Vertrauen hinausgeht. Bei dieser Annahme steht jedoch zu befürchten, dass sich die Haftung daran bemisst, wie lange und intensiv ein Dritter in dieser Stellung im Verfahren agiert. Damit hinge die analoge Anwendung der §§ 60, 61 InsO vom Zufall ab sowie davon, wie der Dritte seine Aufgabe lebt, mithin auch daran, wie sehr der Schuldner dem Dritten faktisch Entscheidungsspielraum und Leitungsbefugnisse einräumt. Damit würde es je nach Verfahrensdauer und Intensität des Auftretens des Dritten zu einer Haftung kommen oder nicht, sodass letztlich eine haftungsrechtliche Ungleichbehandlung und Rechtsunsicherheiten zu befürchten sind. Daher haften Bevollmächtigte nur nach Maßgabe des Innenverhältnisses für Pflichtverletzungen. Regelmäßig werden Bevollmächtigte einen Haftungsausschluss vereinbaren, so dass diese 16 vielmehr haftungstechnisch nur unter den Organen stehen werden. Damit wachsen sie nicht in die Pflichtenstellung des Organs. Vielmehr werden die Organe weiterhin originär die insolvenzspezifischen Pflichten treffen. 1.2.3 Zeitlicher Anwendungsbereich Der Anwendungsbereich der Vorschrift des § 276a InsO ist in zeitlicher Hinsicht aufgrund 17 der systematischen Stellung auf das eröffnete Eigenverwaltungsverfahren bezogen. Gemäß § 276a Abs. 3 InsO findet § 276a Abs. 2 InsO aber auch im Zeitraum zwischen 18 der Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung oder der Anordnung vorläufiger Maßnahmen nach § 270c Abs. 3 InsO und der Verfahrenseröffnung entsprechende Anwendung. Die Haftungsvorschriften erstrecken sich somit auch auf das Eröffnungsverfahren. 1.3

Haftung aus § 60 InsO

Aufgrund der beim Schuldner bzw. seinen handelnden Organen i. R. der (vorläufigen) Ei- 19 genverwaltung verbleibenden Befugnisse ergibt sich eine Vergleichbarkeit der Stellung der Organe mit der eines Insolvenzverwalters, sodass ein Haftungsbedürfnis besteht.16) Die Haftung knüpft damit grundsätzlich an die Organstellung an.17) Zu den insolvenzrecht___________ 12) 13) 14) 15) 16) 17)

So auch: Ellers in: BeckOK-InsR, § 276a InsO Rz. 43. Madaus in: FS Kayser, S. 538, 545; ebenso Bitter, ZIP 2018, 986, 988 (Urteilsanm.). So auch: Ellers in: BeckOK-InsR, § 276a InsO Rz. 43. Madaus in: FS Kayser, S. 538, 545; ebenso Bitter, ZIP 2018, 986, 988 (Urteilsanm.). Gravenbrucher Kreis, ZInsO 2015, 2173, 2177. Ellers in: BeckOK-InsR, § 276a InsO Rz. 43.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

lichen Pflichten der Vertretungsorgane gehören nach der Argumentation des BGH u. a. all die Pflichten, die im Regelverfahren beim Insolvenzverwalter lägen und nicht durch die InsO auf den Sachwalter übertragen werden, denn der Schuldner übt nach h. M. die ihm verbliebenen Rechte und Pflichten hinsichtlich der Insolvenzmasse als Amtswalter, also aufgrund eines Hoheitsaktes, aus.18) Dies wird bereits durch den Wortlaut von § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO deutlich, nachdem die Berechtigungen, die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen, gerade nicht beim Schuldner verbleiben, sondern ihm durch die Norm gewährt werden.19) Hierunter fallen z. B. die Verwertung von Sicherheiten und nach § 279 InsO das Wahlrecht bei gegenseitigen Verträgen. Nach Ansicht des BGH folge aus dem allgemeinen Grundsatz, dass bei erheblichen Herrschafts- oder Einflussmöglichkeiten im Falle eines Missbrauches eine persönliche Haftung die Konsequenz sei, auch die persönliche Haftung der Geschäftsleiter. Durch die gesetzliche Haftung insbesondere nach § 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG könne ein wirksamer Schutz der Interessen der Beteiligten nicht gewährleistet werden, da diese im Regelfall nur eine Haftung gegenüber der Gesellschaft (sog. Innenhaftung), nicht aber gegenüber den Gläubigern vorsehen (sog. Außenhaftung).20) 20 Während eine Haftung der Aufsichtsorgane weniger praxisrelevant ist, da diese ihren Einfluss durch § 276a InsO weitestgehend verlieren,21) erscheint eine Haftung der geschäftsführenden Organe äußerst bedeutsam. Schließlich werden die Befugnisse des Insolvenzverwalters im Regelverfahren in der Eigenverwaltung faktisch durch die Organe einer Gesellschaft als Eigenverwalter wahrgenommen.22) Ihnen obliegt im Insolvenzverfahren nicht mehr allein die gesellschaftsrechtliche Leitungsmacht, sondern auch die Verantwortung zur Wahrnehmung der Gläubigerinteressen. Sie stehen zwar unter der Kontrolle und Aufsicht des eingesetzten Sachwalters, der regelmäßig gröbere Pflichtverletzung durch seine Tätigkeit vermeiden wird. Es bleiben allerdings durch die originären Rechte und Pflichten des Schuldners, dessen Organe diese ausüben, weitreichende eigenständige Handlungsmöglichkeiten, wobei die Kontroll- und Eingriffsmöglichkeiten des Sachwalters beschränkt sind. Ein vollständiger Schutz vor Risiken durch die Überwachung kann daher nie realisiert werden; Risiken können allenfalls durch die Voraussetzungen zur Anordnung der Eigenverwaltung und der engen Zusammenarbeit mit dem Sachwalter minimiert werden. 1.4

Haftung aus § 61 InsO auf Grundlage der Liquiditätsplanung

21 Durch den Verweis des § 276a Abs. 2 InsO auf § 61 InsO besteht ein Anspruch gegen die Mitglieder des Vertretungsorgans, wenn der Schuldner im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren gemäß § 270c Abs. 4 InsO Masseverbindlichkeiten begründet, die nicht erfüllt werden können. Grundlage für die Begründung von Masseverbindlichkeiten durch den Schuldner ist eine tragfähige Finanzplanung. 22 Unternehmen sind auch außerhalb eines Insolvenzverfahrens zur (Liquiditäts-)Planung verpflichtet. Für die AG ergab sich dies bereits bislang aus § 91 Abs. 2 bzw. § 90 Abs. 1 Nr. 1 AktG, wobei der Vorstand nach letzterer Vorschrift dem Aufsichtsrat über die beabsichtigte Geschäftspolitik und andere grundsätzliche Fragen der Unternehmensplanung zu berichten hat und insbesondere Abweichungen der tatsächlichen Entwicklung von früher ___________ 18) So auch BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977; Kern in: MünchKomm-InsO, § 270 Rz. 149. 19) So auch Kern in: MünchKomm-InsO, § 270 Rz. 149. 20) BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977; Gravenbrucher Kreis, ZInsO 2015, 2173, 2177. 21) Vgl. ausführlich zu § 276a InsO: Klöhn, NZG 2013, 81. 22) BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977.

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Haftung, Liquiditätsplanung, Masseunzulänglichkeit

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berichteten Zielen darzustellen sind. Der Gesetzgeber hat mit dem SanInsFoG i. R. der vorinsolvenzlichen Sanierungsmöglichkeit eine frühzeitige Selbstprüfungspflicht in § 1 StaRUG23) normiert und damit eine allgemeine, rechtsformübergreifende Regelung zu Krisenfrüherkennungs- und Reaktionspflichten der Geschäftsleiter haftungsbeschränkter Gesellschaften geschaffen, damit diese stets die Bestandsfähigkeit des Unternehmens im Blick behalten. Mit zunehmender Unternehmenskrise steigern sich die Anforderungen, die an die jeweilige Planung zu stellen sind.24) Es gibt keine allgemeinen Vorschriften, wie eine solche Planung zu erfolgen hat.25) Die 23 Aufstellung des Liquiditätsplans hat vielmehr allgemeinen betriebswirtschaftlichen Grundsätzen zu erfolgen.26) Im eröffneten Insolvenzverfahren sollte der Insolvenzverwalter zu seiner eigenen Absicherung eine Liquiditätsplanung vorhalten und bei Betriebsfortführungen im Berichtstermin vorlegen können.27) Infolge der Änderung des § 270a InsO durch das SanInsFoG28) hat der Schuldner seinem Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung u. a. eine einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten im Voraus umfassende Finanzplanung beizufügen. Auch im weiteren Fortgang des Eigenverwaltungsverfahrens ist eine Liquiditätsplanung unerlässlich. Diese wird regelmäßig i. R. einer engen Zusammenarbeit auch direkt seitens des Schuldners dem Sachwalter und dem Gläubigerausschuss vorgelegt werden. Um Masseverbindlichkeiten i. R. der vorläufigen Eigenverwaltung zu begründen, muss der 24 Schuldner gemäß § 270c Abs. 4 InsO einen Antrag beim Insolvenzgericht stellen. Dafür muss er auch einen Finanzplan vorlegen, der vom Gericht auf Vollständigkeit und Schlüssigkeit geprüft wird. Dadurch soll das Ausfallrisiko der betreffenden Gläubiger begrenzt werden.29) Nach § 270c Abs. 4 Satz 2 InsO besteht die Möglichkeit zur Begründung von Masseverbindlichkeiten allerdings auch dann, wenn diese nicht vom Finanzplan gedeckt sind. In diesem Fall steht die Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten im Ermessen des Gerichts. Die Liquiditätsplanung obliegt grundsätzlich dem Schuldner. Der Schuldner hat dem Sach- 25 walter die Liquiditätsplanung aber regelmäßig vorzulegen; dies folgt aus § 274 Abs. 2 InsO. Bei einer Verletzung dieser Pflicht besteht bei juristischen Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit die Möglichkeit der Inhaftungnahme der Organe bzw. der zur Vertretung der Gesellschaft ermächtigten Gesellschafter nach § 276a Abs. 2 InsO. Verletzt er die Pflicht zur Liquiditätsplanung bzw. deren Vorlage, kann es sich um einen für ___________ 23) Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz – StaRUG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256 (= Art. 1 des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts [Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG], v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256). 24) Borchardt/Frind, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Kap. 9 Rz. 1308. 25) Allerdings gibt es zahlreiche praktische Hinweise zur Erstellung und zu den Anforderungen an eine Liquiditätsplanung: Borchardt/Frind, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Kap. 9 Rz. 1308; Ertl, BC 2003, 17; Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 755. 26) Kreutz/Ellers in: BeckOK-InsR, § 270a InsO Rz. 12. 27) Görg/Janssen in: MünchKomm-InsO, § 156 Rz. 27; Zimmer in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 47 Rz. 134. Der BGH (BGH v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, NZI 2004, 435, 438 = ZIP 2004, 1107, dazu EWiR 2004, 765 [Vallender]) fordert für eine Entlastung von der Haftung nach § 61 InsO vom Insolvenzverwalter, dass er vorträgt, dass voraussichtlich ausreichend Masse vorhanden oder nicht ersichtlich war, dass die Masse nicht reichen wird. Sodann statuiert der BGH, dass dies regelmäßig nur mit einer ausreichend plausiblen Liquiditätsrechnung möglich sein wird. 28) Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256. 29) Ellers/Kreutz in: BeckOK-InsR, § 270c InsO Rz. 23.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

die Gläubiger nachteiligen Umstand i. S. von § 272 Abs. 1 Nr. 4 InsO handeln.30) Bei schwerwiegenden Verstößen gegen die dem Schuldner obliegenden insolvenzrechtlichen Pflichten kann auch eine Aufhebung der Eigenverwaltung von Amts wegen nach § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO in Betracht kommen. Eine Finanzierung durch Massekredite oder andere Finanzierungsmittel wird der Schuldner nur erreichen können, wenn er eine ausreichend belastbare Liquiditätsplanung mit Soll-/Ist-Vergleich vorlegt. Zudem ist eine ausreichende Liquiditätsplanung im eröffneten Verfahren mit Blick auf eine etwaige (übertragende) Sanierung unerlässlich, da sie für mögliche Investoren eine wichtige Grundlage für ihre Entscheidung bietet. 26 Eine dauerhafte eigenständige Liquiditätsrechnung muss der Sachwalter nicht durchführen.31) Allerdings ist er zur durchgängigen Auswertung und Überprüfung der Liquiditätsplanung verpflichtet (siehe Minuth, HRI II, § 9 Rz. 28 f.).32) Verletzt er diese Pflichten, kommt für ihn ebenfalls eine Haftung nach § 60 InsO in Betracht. 1.5

Haftungsumfang und -beschränkung der insolvenzspezifischen Haftungsregelungen

27 Nachdem nunmehr für die gesellschaftsrechtlich vertretungsberechtigten Organe einer juristischen Person und für Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit eine Haftungsregelung statuiert wurde, stellt sich die Frage, nach welchen Maßstäben sich diese Haftung richtet und ob sie beschränkbar ist. 28 Es ist zunächst zu klären, ob lediglich das einzelne Organmitglied, das die Rechtsverletzung begangen hat, oder alle Mitglieder des Vertretungsorgans solidarisch haften sollen.33) Für eine Haftung des gesamten Organs spricht einerseits, dass die Ansprüche der Gläubiger noch umfassender geschützt würden, weil die Gläubiger so Zugriff auf das Vermögen aller Organmitglieder hätten. Andererseits finden auch in der Eigenverwaltung die Grundsätze der eigenen Haftungsverantwortung und der Ressortverantwortlichkeit Anwendung. Kann z. B. aufgrund der Geschäftsverteilung ein Mitglied des Vertretungsorgans nicht in die Geschäftsbereiche der anderen Mitglieder eingreifen, überzeugt es nicht, hierfür andererseits eine Mithaftung anzunehmen.34) Es erscheint äußerst problematisch, die übrigen Organmitglieder für das Fehlverhalten einer anderen Person einstehen zu lassen, da im Grunde eine Sanktionierung bestimmter insolvenzspezifischer Pflichtverletzungen erfolgen soll, so dass eine Haftung des gesamten Organs schon mangels gemeinschaftlicher Handlung abzulehnen ist. Dies könnte nur anders zu beurteilen sein, wenn die Organe lediglich gemeinsam vertretungsbefugt sind – dann wird allerdings auch in der Regel eine gemeinschaftliche Handlung und damit eine gesamtschuldnerische Haftung vorliegen. 29 Vor dem SanInsFoG war umstritten, ob die Haftungserleichterung nach § 60 Abs. 2 InsO i. R. der Eigenverwaltung auf die Mitglieder des Vertretungsorgans und die vertretungsberechtigten Gesellschafter einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit Anwendung finden kann. Über § 276a Abs. 2 Satz 1 InsO findet § 60 Abs. 2 InsO nun ausdrücklich Anwendung. Demnach müssen sich die Mitglieder des Vertretungsorgans juristischer Personen oder die zur Vertretung einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit ermächtigten Gesellschafter i. R. der Eigenverwaltung das Verschulden von Angestellten des Schuldners ___________ 30) 31) 32) 33)

Vgl. AG Köln v. 15.11.2017 – 74 IN 103/16, Rz. 5, NZI 2018, 210. Undritz in: K. Schmidt, InsO, § 274 Rz. 6. AG Hamburg v. 20.12.2013 – 67g IN 419/12, ZIP 2014, 237, dazu EWiR 2014, 155 (Hofmann). Gegen eine Haftungsbeschränkung der Organmitglieder: Gehrlein, ZInsO 2018, 2234, 2241; a. A: Madaus in: FS Kayser, S. 533, 539. 34) So auch Madaus in: FS Kayser, S. 533, 540.

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Haftung, Liquiditätsplanung, Masseunzulänglichkeit

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nicht über § 278 BGB zurechnen lassen, sondern sind nur für deren Überwachung und für Entscheidungen von besonderer Bedeutung verantwortlich. Gegen die Anwendbarkeit dieser Haftungserleichterung spricht, dass den Haftenden nach § 276a Abs. 2 InsO, anders als dem Insolvenzverwalter, im Normalfall die genauen Verhältnisse beim Schuldner bekannt sind.35) Jedoch wird im Regelfall nicht von ausreichenden insolvenzrechtlichen Kenntnissen der Angestellten des Schuldners auszugehen sein, die eine strengere Haftung rechtfertigen würden.36) Zudem trifft der Gesetzgeber mit § 276a Abs. 2 Satz 1 InsO hinsichtlich der Haftungserleichterung für die Mitglieder der Vertretungsorgane und die vertretungsberechtigten Gesellschafter eine ausdrückliche Wertung. Ob die Business Judgement Rule für Entscheidungen der vertretungsberechtigten Organe 30 in der Eigenverwaltung Anwendung findet, ist umstritten.37) Bei der Business Judgement Rule handelt es sich um eine im Aktienrecht in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG angelegte Haftungsbefreiung, die dann eine Pflichtverletzung ausschließt, wenn durch ein Vorstandsmitglied eine unternehmerische Entscheidung getroffen wurde, bei der man vernünftigerweise davon ausgehen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Diese Regelung ist als Grundsatz für alle organschaftlich organisierten Rechtsformen anerkannt.38) Aufgrund der Ähnlichkeit der Stellung und Aufgaben des Insolvenzverwalters zur Geschäftsleitung des Unternehmens wird die Anwendbarkeit der Business Judgement Rule auf den Insolvenzverwalter im Regelinsolvenzverfahren in der Literatur weitläufig befürwortet.39) Die Regelung stelle der Geschäftsleitung einen „sicheren Hafen“ zur Verfügung. Andererseits würden so auch unternehmerische Risikoentscheidungen gedeckt, was ggf. dem Interesse der Gläubiger zuwiderlaufe.40) Im Regelinsolvenzverfahren trifft regelmäßig der Insolvenzverwalter geschäftliche Entscheidungen für den Schuldner. Eine Gleichsetzung der Entscheidungen des eigenverwaltenden Schuldners und solchen des Insolvenzverwalters kann allerdings nicht erfolgen. Es ist beim Haftungsmaßstab vielmehr zu berücksichtigen, dass mitunter die Voraussetzungen für den Insolvenzverwalter schwieriger sind, als für die reguläre Geschäftsleitung. So ist bei der Übernahme der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen eines Unternehmens in Geschäftszweigen, die dem Insolvenzverwalter fremd sind, und eventueller unzureichender Buchführung von einer gewissen Einarbeitungszeit für den Insolvenzverwalter auszugehen.41) Der BGH lehnt eine Anwendung der Business Judgement Rule bereits im Regelinsol- 31 venzverfahren ab, da allein § 60 InsO den Haftungsmaßstab des Insolvenzverwalters bilde, der genügend Spielraum lässt, um die nicht ausdrücklich geregelten Pflichten und die Sorgfaltsanforderungen eines Insolvenzverwalters bei unternehmerischen Entscheidungen sachgerecht zu bestimmen, weshalb es für eine Anwendung von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG bereits an einer planwidrigen Regelungslücke fehle.42) Der Gesetzgeber habe die Sorgfaltsanforderungen des Handels- und Gesellschaftsrechts bewusst nicht auf den Insolvenzverwalter übertragen. Vielmehr steht dem Insolvenzverwalter ein Ermessensspielraum bei ___________ 35) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 129. 36) Ellers in: BeckOK-InsR, § 276a InsO Rz. 47. 37) Dafür: Jungmann, NZI 2009, 80, 86; K. Schmidt, AG 2006, 597 ff.; Buchta/Ott, ZInsO 2015, 288; vgl. hierzu sehr ausführlich Cadmus, Haftung in der Eigenverwaltung, S. 103 ff. m. w. N.; dagegen BGH v. 12.3.2020 – IX ZR 125/17, ZIP 2020, 1080. 38) Buchta/Ott, ZInsO 2015, 288. 39) Vgl. Buchta/Ott, ZInsO 2015, 288; Jungmann, NZI 2009, 80, 86; K. Schmidt, AG 2006, 597 ff.; vgl. hierzu sehr ausführlich Cadmus, Haftung in der Eigenverwaltung, S. 103 ff. m. w. N. 40) Buchta/Ott, ZInsO 2015, 288, 291. 41) Gehrlein, NZG 2020, 801, 803. 42) BGH v. 12.3.2020 – IX ZR 125/17, ZIP 2020, 1080.

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1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

unternehmerischen Entscheidungen bereits i. R. des § 60 InsO selbst zu, der einerseits weit ist und andererseits durch den Insolvenzzweck bestimmt wird. Zwar ist der Insolvenzverwalter gleichsam wie ein Vorstand fremdnützig tätig, zugleich hat er aber auch besondere Handlungsmacht inne. Zudem sei die Business Judgement Rule in ihrer Konzeption gerade nicht auf die Insolvenz, sondern auf gesunde, zahlungsfähige Unternehmen zugeschnitten, sodass die Interessenlage bereits schwer vergleichbar sei; dem Insolvenzverwalter werde es selten darum gehen, durch risikoreiche Entscheidungen das Unternehmen zu höheren Profiten oder Ähnlichem zu verhelfen, sondern vielmehr um eine sichere Befriedigung der Gläubiger. Da in der Eigenverwaltung über § 276 Abs. 2 Satz 1 InsO der Haftungsmaßstab des § 60 InsO auch für die Mitglieder des Vertretungsorgans und die zur Vertretung der Gesellschaft ermächtigten Gesellschafter gilt, wird an dieser Stelle, der zutreffenden Ansicht des BGH folgend, ebenso nicht von einer planwidrigen Regelungslücke auszugehen sein. 32 Bei einem derartigen potentiellen Haftungsrisiko des einzelnen Geschäftsführers bzw. Vorstandes, der die Aufgaben des eigenverwaltenden Schuldners wahrnimmt, ist es angeraten, dass dieser eine Vermögensschadenhaftpflichtversicherung abschließt, die auch Schäden abdeckt, die aufgrund von Zahlungen nach Insolvenzreife entstehen. Regelmäßig sichern sich Geschäftsführer über eine Directors & Officers-Versicherung (kurz: sog. D&O-Versicherung) ab. Nach jüngster Rechtsprechung des BGH sind vom Versicherungsschutz einer solchen Versicherung auch Schadensersatzansprüche erfasst, die aufgrund eines Verstoßes gegen insolvenzrechtliche Zahlungsverbote entstanden sind, da solche Schäden für den Versicherten erkennbar zum Zweck des Versicherungsvertrages gehören.43) Schließlich wird im Regelinsolvenzverfahren vom Insolvenzverwalter auch der Abschluss einer Vermögensschadenhaftpflichtversicherung in ausreichender Höhe verlangt, damit dieser gemäß § 56 InsO als geeignet für seine Einsetzung angesehen wird.44) Den Personen, die im schuldnerischen Unternehmen die Geschäfte i. R. des Eigenverwaltungsverfahrens führen, ist vor diesem Hintergrund anzuraten, eine entsprechende Versicherung abzuschließen, soweit eine solche nicht bereits vorhanden ist. 1.6

Haftung nach § 15b Abs. 4 InsO

33 Die antragspflichtigen Mitglieder des Vertretungsorgans haften darüber hinaus aufgrund des durch den mit dem SanInsFoG neugeschaffenen § 15b Abs. 4 InsO. So werden die bisherigen in unterschiedlichen Gesetzen geregelten Zahlungsverbote in der InsO zusammengefasst und eine einheitliche Haftungsregelung für Zahlungen zwischen materieller Insolvenzreife und Insolvenzverfahrenseröffnung geschaffen. Die Integration dieser zuvor separaten gesellschaftsrechtlichen Regelungen in die InsO soll dem engen entstehungsgeschichtlichen und systematischen Zusammenhang zwischen den Zahlungsregelungen und der Insolvenzantragspflicht Rechnung tragen.45) Neben der Normierung von Pflichten für die antragspflichtigen Mitglieder der Vertretungsorgane in § 15b Abs. 1 InsO wird in Absatz 4 ein gesetzlicher Anspruch auf Schadensersatz geregelt.46) Tätigen die antragspflichtigen Mitglieder des Vertretungsorgans und Abwickler einer juristischen Person nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung noch Zahlungen, so sind sie der juristischen Person i. R. der Innenhaftung zur Erstattung verpflichtet.

___________ 43) 44) 45) 46)

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Vgl. BGH v. 18.11.2020 – IV ZR 217/19, ZIP 2020, 2510. Jahntz in: Wimmer, FK-InsO, § 60 Rz. 40; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 56 Rz. 53. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 193. Wolfer in: BeckOK-InsR, § 15b InsO Rz. 26.

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Haftung, Liquiditätsplanung, Masseunzulänglichkeit

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Die Geschäftsführer können sich jedoch von ihrer Ersatzpflicht entlasten, indem sie einen 34 geringeren Schaden an der Masse nachweisen.47) So bemisst sich zwar die Höhe des Erstattungsanspruchs nach der geleisteten Zahlung, jedoch wird der Anspruch durch den tatsächlich den Gläubigern entstandenen Schaden, mithin den Quotenschaden, begrenzt.48) Ein Verzicht auf die Ansprüche nach § 15b InsO durch die juristische Person oder ein Vergleich ist gemäß § 15b Abs. 4 Satz 4 InsO unwirksam. Eine Ausnahme davon gilt gemäß § 15 Abs. 4 Satz 5 InsO nur, wenn der Erstattungs- oder Ersatzpflichtige zahlungsunfähig ist und sich zur Abwendung des Insolvenzverfahrens mit seinen Gläubigern vergleicht, wenn die Erstattungs- oder Ersatzpflicht im Insolvenzplan geregelt wird oder wenn ein Insolvenzverwalter für die juristische Person handelt. Die Haftung mehrerer antragspflichtiger Mitglieder des Vertretungsorgans erfolgt als Gesamtschuldner.49) 1.7

Haftung nach den Normen des Bürgerlichen Gesetzbuches

Darüber hinaus ist es denkbar, dass die geschäftsführenden Organe auch während des Ei- 35 genverwaltungsverfahrens besonderes Vertrauen für sich in Anspruch nehmen oder im eigenen wirtschaftlichen Interesse handeln und daher gemäß § 311 Abs. 3 i. V. m. § 241 Abs. 2 BGB haften. Diese Haftung greift aber nur in seltenen Fällen, weil die Geschäftsführer dafür über ihre normale Funktion hinaus Vertrauen in Anspruch nehmen müssten, bspw. durch eine selbständige Garantievereinbarung.50) Es genügt hierfür nicht, als „Sanierungsgeschäftsführer“, mithin als Handlungs- oder Generalhandlungsbevollmächtigter, aufzutreten.51) Gläubiger können auch auf die deliktische Haftung nach §§ 823 ff. BGB im Eigenverwal- 36 tungsverfahren zurückgreifen, wenn die geschäftsführenden Organe bei der Ausübung der Leitungs- und Führungsaufgaben eine unerlaubte Handlung begehen.52) Voraussetzung ist allerdings, dass die geschäftsführende Person alle objektiven und subjektiven Voraussetzungen der Haftungsnorm erfüllt.53) Problematisch ist dabei, dass es sich in der Regel um Vermögensschäden handelt, so dass § 823 Abs. 1 BGB, der nur bei der Verletzung absoluter Rechte Dritter durch die Geschäftsführung greift, nicht einschlägig ist. Jedoch kommen als Schutznormen i. S. des § 823 Abs. 2 BGB neben den §§ 15a, 15b InsO die §§ 263, 265b, 266, 266a, 283 ff. StGB in Frage, die u. U. auch i. V. m. § 14 StGB zu einer persönlichen Haftung führen können.54) Zudem haften die Organe nach § 826 BGB, sofern dessen Tatbestand erfüllt ist. Eine sitten- 37 widrige Schädigung kann u. a. dann angenommen werden, wenn die geschäftsführenden Organe eine Aufklärung ihrer Geschäftspartner über die Vermögenslage des Unternehmens unterlassen haben, obwohl eine Offenbarungspflicht bestand.55) Eine solche Pflicht kann gegeben sein, wenn dem Vertragspartner Umstände unbekannt geblieben sind, die ihm nach Treu und Glauben aber bekannt sein müssten, weil die Vertragsverhandlungen und auch ___________ 47) 48) 49) 50) 51) 52) 53) 54)

55)

Hodgson, NZI Beilage 1 z. Heft 5/2021, S. 85, 88. Wolfers in: BeckOK-InsR, § 15b InsO Rz. 31. Wolfers in: BeckOK-InsR, § 15b InsO Rz. 30. So auch Bitter, ZIP 2018, 986, 988 (Urteilsanm.); vgl. auch Grüneberg in: Grüneberg, BGB, § 311 Rz. 63, 65. BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, Rz. 38, ZIP 2018, 977. Verse in: Scholz, GmbHG, § 43 Rz. 17, 461. Verse in: Scholz, GmbHG, § 43 Rz. 461. Saenger, Gesellschaftsrecht, Rz. 593; zur Qualifizierung von §§ 15a, 15b InsO als Schutzgesetz: Wagner in: MünchKomm-BGB, § 823 Rz. 161; § 15b muss, da Zusammenfassung u. a. von § 64 GmbHG, ebenso als Schutzgesetz verstanden werden. Lücke/Simon in: Saenger/Inhester, GmbHG, § 43 Rz. 99, 111, 116.

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471

§ 15

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

die Entscheidung über den Abschluss des Vertrages im Wesentlichen davon abhingen.56) Dies ist insbesondere der Fall, wenn das Organ, welches die Vertragsverhandlungen führt, weiß oder wissen muss, dass die Erfüllung der Verbindlichkeiten wegen Massearmut voraussichtlich nicht möglich sein wird.57) 2.

Steuerrechtliche Haftung

38 Zur steuerrechtlichen Haftung siehe unten Kahlert, HRI II, § 47 Rz. 301 ff. 3.

Geltendmachung

39 Der Umfang des Schadensersatzanspruches richtet sich nach §§ 249 ff. BGB.58) Gesamtschäden sind wegen § 92 i. V. m. § 270 Abs. 1 InsO nur vom Sachwalter geltend zu machen. Zwar könnte man meinen, der Schuldner trete auch insoweit an die Stelle des Insolvenzverwalters. Dies würde aber dazu führen, dass der eigenverwaltende Schuldner die Haftung gegen sich selbst geltend machen müsste. Im Fall der Organhaftung würde sonst der Schuldner, vertreten durch das Organ, gegenüber derselben Person als handelndes Organ die Schadensersatzansprüche verfolgen. Ansprüche gegen den Insolvenzverwalter können jedoch auch im Regelinsolvenzverfahren nur durch einen Dritten, nämlich einen Sonderinsolvenzverwalter oder einen neuen Insolvenzverwalter gemäß § 92 Satz 2 InsO geltend gemacht werden.59) Die Bestellung eines Sondersachwalters erscheint aber überflüssig, wenn bereits ein neutraler Sachwalter eingesetzt wurde, der in der Lage ist, die Ansprüche gegen den Schuldner bzw. dessen Organe geltend zu machen. Zwar mag es in Fällen, in denen Schuldner und Sachwalter bereits über längere Zeit zusammenarbeiten, hinsichtlich der Verfolgung von Ansprüchen gegen die Organe zu Interessenkollisionen kommen und deshalb die Funktion eines Sondersachwalters als sinnvoll erscheinen. 40 Die generelle Möglichkeit zur Einschaltung eines Sondersachwalters ist jedoch Ausdruck eines grundsätzlichen Misstrauens gegenüber den Beteiligten, das mit dem Sanierungsgedanken nicht vereinbar ist.60) Ein Misstrauen gegenüber dem konkreten Sachwalter mag in bestimmten Fällen mitunter gerechtfertigt sein; dieses Misstrauen aber pauschal auf die Eigenverwaltung als Verfahrensform auszuweiten, überzeugt nicht. Mit dem Sondersachwalter eine eigene Position zu schaffen, und somit das Misstrauen gegenüber der Eigenverwaltung zu manifestieren, ist deshalb nicht angezeigt. Durch die Haftung des Sachwalters über § 274 Abs. 1 i. V. m. §§ 60-62 InsO – z. B. bei der Nichtverfolgung von Haftungsansprüchen – sind zudem alle Beteiligten abgesichert. Allerdings scheidet die Bestellung eines Sonderverwalters gemäß §§ 27, 56 ff. InsO61) im Eigenverwaltungsverfahren deshalb nicht aus, sondern bleibt möglich, sofern der Sachwalter an der Wahrnehmung seiner Aufgaben gehindert ist.62) Dies kann sich bspw. auch daraus ergeben, dass der Sachwalter auf eine

___________ 56) 57) 58) 59) 60)

BGH v. 1.7.1991 – II ZR 180/90, ZIP 1991, 1140, 1144 f., dazu EWiR 1992, 161 (Medicus). BGH v. 23.2.1983 – VIII ZR 325/81, ZIP 1983, 428; BGH v. 1.7.1991 – II ZR 180/90, ZIP 1991, 1140. Gerhardt in: Jaeger, InsO, § 60 Rz. 125. Vgl. Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 60 Rz. 120. Gravenbrucher Kreis, Stellungnahme z. RefE SanInsFoG, v. 30.9.2020, abrufbar unter https:// www.gravenbrucher-kreis.de/2020/10/02/gravenbrucher-kreis-nimmt-stellung-zum-referentenentwurfeines-gesetzes-zur-fortentwicklung-des-sanierungs-und-insolvenrechts/ (Abrufdatum: 16.1.2023). 61) Vgl. Lüke in: KPB, InsO, § 56 Rz. 75 ff. 62) LG Stendal v. 17.6.2013 – 25 T 23/13 (Dailycer), ZIP 2013, 1389; AG Stendal v. 19.10.2012 – 7 IN 164/12, ZIP 2012, 2171, dazu Harbeck, jurisPR-InsR 9/2013, Anm. 3; Prütting in: KPB, InsO, § 270 Rz. 137.

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Haftung, Liquiditätsplanung, Masseunzulänglichkeit

§ 15

vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung angewiesen ist und für ihn ein Konflikt entsteht, wenn er gleichzeitig Ansprüche gegen sie verfolgt.63) Die Möglichkeit, Einzelschäden durchzusetzen, besteht während des gesamten Verfahrens, 41 weil § 92 InsO insoweit keinen Ausschluss vorsieht.64) Im Regelinsolvenzverfahren sind sie gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend zu machen, im Eigenverwaltungsverfahren gegenüber dem Schuldner. Da es sich um die Durchsetzung von Forderungen der Gläubiger gegen die Masse oder die 42 Organe handelt, sind nicht die Insolvenzgerichte, sondern die allgemeinen Prozessgerichte zuständig.65) Neben der Geltendmachung der Haftung können die Gläubiger oder der einzelne Gläubi- 43 ger die Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit für bestimmte Rechtsgeschäfte nach § 277 InsO als Sanktion und zum Schutz ihrer Interessen beantragen. Stellt der Sachwalter Umstände fest, die erwarten lassen, dass die Fortsetzung der Eigen- 44 verwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird, muss er jedenfalls unverzüglich nach § 274 Abs. 3 InsO das Insolvenzgericht informieren.66) Wenn sich die Pflichtverletzung des eigenverwaltenden Schuldners als derart schwerwie- 45 gend erweist, dass sie mit den Zielen der Eigenverwaltung nicht mehr vereinbar ist, wird das Insolvenzgericht die (vorläufige) Eigenverwaltung nach § 270e Abs. 1 Nr. 1 bzw. § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO aufheben. II.

Haftung des Sachwalters

1.

Allgemeines

Gemäß § 274 Abs. 1 InsO gelten für die Haftung des Sachwalters die § 60 und § 62 InsO 46 entsprechend. Zu beachten ist aber, dass die Möglichkeiten der Einflussnahme des Sachwalters auf die Geschäftsführung bei einer Unternehmensfortführung nicht identisch mit denen des Insolvenzverwalters im Regelinsolvenzverfahren sind (zu den Pflichten des Sachwalters siehe oben Minuth, HRI II, § 9). Im Rahmen des SanInsFoG ist eine Erweiterung der Aufgaben des Sachwalters erfolgt – bspw. durch § 274 Abs. 2 Satz 3 InsO, der dem Sachwalter eine flexiblere Erfüllung seiner Aufgaben i. R. der Eigenverwaltung ermöglicht und dem Schuldner gestattet, sich der insolvenzrechtlichen Expertise des Sachwalters zu bedienen.67) Auch die Verwertung soll gemäß § 282 Abs. 2 InsO im Einvernehmen mit dem Sachwalter erfolgen, während beim Regelinsolvenzverfahren gemäß § 159 InsO die Aufgabe der Verwertung beim Insolvenzverwalter liegt und dieser auch die Verwaltungssowie Verfügungsbefugnis hat (§ 80 Abs. 1 InsO); siehe hierzu auch oben Specovius, HRI II, § 10.68) Deshalb sollte sich auch die Haftung an den zum Regelinsolvenzverfahren verschiedenen Aufgaben und Befugnissen und damit reduzierten Einfluss- sowie Entscheidungsmöglichkeiten des Sachwalters orientieren.69) ___________ 63) LG Stendal v. 17.6.2013 – 25 T 23/13, ZIP 2013, 1389; AG Stendal v. 19.10.2012 – 7 IN 164/12, ZIP 2012, 2171, dazu Harbeck, jurisPR-InsR 9/2013, Anm. 3. 64) Vgl. zum Regelinsolvenzverfahren Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 60 Rz. 122. 65) Vgl. Lohmann in: Wimmer, FK-InsO, § 2 Rz. 7; Rüther in: HambKomm-InsO, § 2 Rz. 3. 66) Graf-Schlicker in: Graf-Schlicker, InsO, § 274 Rz. 7; Holzer in: KPB, InsO, § 274 Rz. 79. 67) Plaßmeier/Ellers in: BeckOK-InsR § 274 InsO Rz. 21. 68) Zur Aufgabenverteilung zwischen Schuldner und Sachwalter, Pape in: Pape/Graeber, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 5 Rz. 7 ff. 69) Pape in: Pape/Graeber, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 5 Rz. 13 f.; Wehdeking in: Flöther/Smid/ Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, Kap. 2 Rz. 178.

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§ 15 2.

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren Haftung für die Verletzung der Pflichten als Sachwalter

47 Der Sachwalter haftet gemäß §§ 274 Abs. 1, 60 InsO für die Verletzung aller in der InsO genannten insolvenzspezifischen Pflichten. Darunter sind alle für das Amt des Sachwalters gesetzlich vorgesehenen Verpflichtungen zu verstehen. Dazu zählen u. a. die Überwachung des Schuldners gemäß § 274 Abs. 2 InsO, die Anzeigepflicht bei Masseunzulänglichkeit gemäß § 285 InsO oder die Anzeigepflicht bei der Erwartung von Nachteilen für die Gläubiger gemäß § 274 Abs. 3 InsO (umfassende Darstellung der Rechtsstellung, Aufgaben und Pflichten des Sachwalters siehe Minuth, HRI II, § 9). Für den Eintritt der Haftung bedarf es einer schuldhaften Pflichtverletzung durch den Sachwalter.70) 48 Für eigene Erfüllungsgehilfen haftet er gemäß § 278 BGB,71) während er für vom Schuldner eingesetzte Angestellte nicht nach § 278 BGB, sondern nur nach § 60 InsO haftet, sofern er diese zur Erfüllung seiner Aufgaben einsetzen musste (§ 60 Abs. 2 InsO). Bezüglich der Mitarbeiter des Schuldners trifft ihn gemäß § 60 Abs. 2 InsO lediglich ein Überwachungsverschulden sowie eine Haftung für besonders bedeutsame Entscheidungen, sofern die eingesetzte Person für die Aufgabenerfüllung nicht offensichtlich ungeeignet erscheint.72) Sorgfaltsmaßstab ist nach § 60 Abs. 1 Satz 2 InsO der ordentliche und gewissenhafte Sachwalter. 49 Die Anwendbarkeit der Business Judgement Rule auf den Sachwalter ist ebenso wie bei den Organen des Schuldners zu verneinen (siehe oben Rz. 30 ff.).73) Über § 274 Abs. 1 InsO findet der Haftungsmaßstab des § 60 InsO auch auf den Sachwalter Anwendung. Eine planwidrige Regelungslücke wird an dieser Stelle deshalb ebenfalls zu verneinen sein. 50 Der Sachwalter haftet gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 InsO gegenüber allen Beteiligten. Dies sind all jene, gegenüber denen er insolvenzspezifische Pflichten zu erfüllen hat: Aus- oder Absonderungsberechtigte, Insolvenzgläubiger, Massegläubiger oder der Schuldner. 51 Ebenso wie der Insolvenzverwalter hat auch der Sachwalter gegenüber Neugläubigern, also Personen die ihre Gläubigerstellung erst durch Geschäfte mit der Masse erlangen, keine insolvenzspezifischen Pflichten, so dass eine Haftung gegenüber diesen grundsätzlich nicht in Betracht kommt (Ausnahme § 277 Abs. 1 Satz 3 InsO).74) Zudem ist er nicht verpflichtet, Dritte vor Geschäften mit dem Schuldner zu warnen.75) 3.

Haftung für die Nichterfüllung von Masseverbindlichkeiten

3.1

Grundsatz

52 Aufgrund der Besonderheit der Eigenverwaltung hat der Gesetzgeber in der Verweisung des § 274 Abs. 1 InsO auf eine Haftung des Sachwalters gemäß § 61 InsO verzichtet, weil der Sachwalter mangels Verfügungsbefugnis in der Regel gar nicht in der Lage ist, Masseverbindlichkeiten zu begründen, für deren Nichterfüllung er haften müsse.76)

___________ 70) Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 134. 71) Zur Frage der Anwendbarkeit von § 278 BGB i. R. von § 60 InsO: Thole in: K. Schmidt, InsO, § 60 Rz. 49 f. 72) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 274 Rz. 33; Plaßmeier/Ellers in: BeckOK-InsR, § 274 InsO Rz. 11; Kern in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 70. 73) Vgl. BGH v. 12.3.2020 – IX ZR 125/17, ZIP 2020, 1080. 74) Pape in: Pape/Graeber, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 5 Rz. 12. 75) Landfermann in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 274 Rz. 9; Pape in: Pape/Graeber, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 5 Rz. 12. 76) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 274 Rz. 9.

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Haftung, Liquiditätsplanung, Masseunzulänglichkeit 3.2

§ 15

Masseverbindlichkeiten in der vorläufigen Eigenverwaltung

Bereits im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren kann die Begründung von Massever- 53 bindlichkeiten erforderlich werden. Sie erfordert nach § 270c Abs. 4 InsO einen Antrag bei Gericht, der auf die Begründung ebensolcher Masseverbindlichkeiten gerichtet ist. Die Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren kann nur noch in dem eingeschränkten Fall der einstweiligen Anordnung gemäß § 270c Abs. 3 Satz 2 InsO unter die Voraussetzung der Zustimmungsbedürftigkeit des vorläufigen Sachwalters gestellt werden. Im eröffneten Eigenverwaltungsverfahren kann der Schuldner grundsätzlich aufgrund der 54 ihm verbliebenen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse unter Aufsicht des Sachwalters Masseverbindlichkeiten begründen. Lediglich Verbindlichkeiten, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, sind nach § 275 Abs. 1 Satz 1 InsO durch den Sachwalter zustimmungsbedürftig. 3.3

Übernahme der Kassenführung

Der Sachwalter kann gemäß § 275 Abs. 2 InsO bzw. für das Eröffnungsverfahren gemäß § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO i. V. m. § 275 Abs. 2 InsO die Kassenführung des Schuldners übernehmen. In Fällen, in denen der Schuldner sodann Masseverbindlichkeiten ohne Zustimmung des Sachwalters eingegangen ist, die er aber nur begründen konnte, weil der Sachwalter seinen Überwachungs- bzw. Anzeigepflichten nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist, haftet der Sachwalter über § 274 Abs. 1, § 60 Abs. 1 InsO. Dies betrifft u. a. Fälle, in denen der Schuldner eine falsche Liquiditätsplanung zugrunde legt und der Sachwalter eine sorgfältige Überprüfung versäumt; dies stellt zudem einen Aufhebungsgrund für die Eigenverwaltung gemäß § 272 Abs. 1 Nr. 1 lit. a InsO dar. § 274 Abs. 1 InsO verweist zwar ausdrücklich nicht auf § 61 InsO. Dies hindert aber eine Haftung für die Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten durch den Sachwalter nicht, so dass die Anwendung von § 274 Abs. 1, § 60 Abs. 1 InsO keine Umgehung der Nichtverweisung des § 274 InsO auf § 61 InsO darstellt. Vielmehr ist die Anwendung dieser Vorschriften notwendig, weil sonst ein Großteil der Aufgaben des Sachwalters, namentlich die Überwachung der wirtschaftlichen Lage des Schuldners und seiner Geschäfte, von der Haftung des Sachwalters ausgenommen wäre.77) Gegebenenfalls besteht zumindest ein Mitverschulden gemäß § 254 BGB, soweit der Sachwalter den Schuldner nicht ordnungsgemäß überwacht hat und der Begründung von Masseverbindlichkeiten zustimmt, obwohl die Masse insuffizient ist. Allerdings ist problematisch, dass vom Sachwalter keine Liquiditätsplanung erwartet werden kann, weil diese Aufgabe in der Eigenverwaltung dem Schuldner obliegt.78) Würde § 61 InsO beim Sachwalter im selben Umfang wie beim Insolvenzverwalter angewendet, zwänge man diesen im Ergebnis zur ständigen eigenen Liquiditätsplanung.79) Der Sachwalter ist aber i. R. seiner Prüfungs- und Überwachungspflicht dafür verantwortlich, die Planrechnung und die Liquiditätsplanung des eigenverwaltenden Schuldners zu überprüfen.80) Dabei genügen keine bloßen stichprobenartigen Kontrollen oder Schlüssigkeitsprüfungen. Vielmehr bedarf es eines tatsächlichen Überblickes des Sachwalters über die wirtschaftliche Lage des Schuldners.81) Hierzu ist er gemäß § 274 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 22 Abs. 3 ___________ 77) 78) 79) 80) 81)

Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 274 Rz. 31. Pape in: Pape/Graeber, Hdb. Insolvenzverwalterhaftung, Teil 5 Rz. 10. Holzer in: KPB, InsO, § 274 Rz. 56, 57. Kern in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 53. Kern in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 52, 54.

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55

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§ 15

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

InsO berechtigt, die Geschäftsräume des Schuldners zu betreten und dort Nachforschungen anzustellen. Bezüglich der Kontrolle der Geschäftsleitung genügt es, dass der Schuldner (bei juristischen Personen oder Personengesellschaften die Geschäftsführung) den Sachwalter regelmäßig informiert.82) Dem Sachwalter muss also ein entsprechender Verstoß gegen die Prüfungs-, Überwachungs- oder Anzeigepflichten nachgewiesen werden, der dazu geführt hat, dass eine Begründung von Masseverbindlichkeit durch den Schuldner nicht verhindert wurde. So haftet der Sachwalter bspw. persönlich, wenn bereits Masseunzulänglichkeit eingetreten ist, der Schuldner aber weiterhin Masseverbindlichkeiten begründet und auch begründen kann, weil es der Sachwalter schuldhaft versäumt hat, die Masseunzulänglichkeit anzuzeigen, bzw. diese mangels Überprüfung der finanziellen Lage des Schuldners gar nicht bemerkt hat.83) 59 Allerdings wird eine Haftung des Sachwalters in Fällen der Masseunzulänglichkeit äußerst selten sein, da, von Ausnahmen abgesehen, nur der Schuldner zur Begründung von Masseverbindlichkeiten berechtigt ist und den Sachwalter in der Regel gerade keine Mitverantwortlichkeit trifft. Insbesondere hat der Sachwalter keine Verpflichtung, Neugläubiger vor Geschäften mit dem Schuldner zu warnen.84) Hinzu kommt, dass die Nichtanzeige bzw. die fehlende Überwachung ursächlich für den Schaden sein muss. Dafür ist es erforderlich, dass der Schuldner bei ordnungsgemäßer Überwachung oder entsprechender Anzeige an der Begründung der Masseverbindlichkeiten gehindert worden wäre (z. B. durch die Übernahme der Kassenführung, § 275 Abs. 2 InsO).85) Insoweit ist die Haftung des Sachwalters mit der Haftung eines Aufsichtsrates bei Verletzung seiner Überwachungspflichten vergleichbar.86) Allerdings haften die Aufsichtsratsmitglieder allein gegenüber der Gesellschaft,87) während eine Haftung des Sachwalters gemäß § 60 InsO, sofern es sich nicht um Gesamtschäden i. S. des § 92 InsO handelt, zu einer Haftung des Sachwalters gegenüber dem betroffenen Dritten führt.88) 60 Problematisch ist es, wenn der Schuldner seinen Informationspflichten bspw. aufgrund einer unsachgemäßen bzw. den insolvenzrechtlichen Besonderheiten nicht genügenden Buchführung nicht oder nicht ausreichend nachkommt. Zwar ist eine sorgfältige Eigenverwaltungsplanung und eine entsprechende Buchführung gemäß § 270a InsO Voraussetzung, um überhaupt einen Zugang zum Eigenverwaltungsverfahren zu erlangen, jedoch ist es immer noch möglich, dass der Schuldner beginnt, diese Pflichten im bereits eröffneten Verfahren zu vernachlässigen. In solchen Fällen wäre es für den Sachwalter von Vorteil, einen zuverlässigen Dritten mit der Buchführung zu beauftragen, bei dem eine sorgfältige Aufgabenerfüllung zu erwarten ist. Das sieht das Gesetz jedoch nicht ausdrücklich vor. Eine entsprechende Möglichkeit kann aus § 274 Abs. 2 Satz 3 InsO hervorgehen. Demnach kann das Gericht anordnen, dass der Sachwalter den Schuldner i. R. der Insolvenzgeldvorfinanzierung, der insolvenzrechtlichen Buchführung und der Verhandlungen mit Kunden und Lieferanten unterstützen kann. Der Schuldner soll sich so in Bereichen, in denen die Unterstützung des Sachwalters gewinnbringend sein kann, in Abstimmung mit dem Gericht dessen Expertise bedienen können.89) ___________ 82) 83) 84) 85) 86) 87) 88) 89)

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Kern in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 55. So wohl im Ergebnis auch Kern in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 77. Wehdeking in: Rattunde/Smid/Zeuner, InsO, § 274 Rz. 9. Ausführlich hierzu Frind, NZI 2014, 977, 978. Vgl. zu Pflichten und Haftung des Aufsichtsrats Drygala in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 116 Rz. 3 ff. Drygala in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 116 Rz. 42. Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 6.38; Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 60 Rz. 13. Plaßmeier/Ellers in: BeckOK-InsR, § 274 InsO Rz. 21; vgl auch Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BTDrucks. 19/24181, S. 208.

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Haftung, Liquiditätsplanung, Masseunzulänglichkeit

§ 15

In Fällen, in denen der Sachwalter selbst nicht über die erforderliche Einzelexpertise ver- 61 fügt, kann es wiederum sinnvoll und angezeigt sein, dass sich der Sachwalter zur Erfüllung seines nun erweiterten Aufgabenbereichs durch Hinzuziehung unterstützender Dritter verstärkt (siehe zur Haftung Rz. 48) – bspw. in Bereichen der Buchführung oder der Insolvenzgeldvorfinanzierung. Da § 274 Abs. 2 Satz 3 InsO aber zunächst nur das Aufgabenportfolio des Sachwalters erweitert, erscheint eine Abrechnung der Kosten für die unterstützenden Dritten über die Masse nicht möglich. Die getroffene Regelung ist allerdings nicht zwingend formuliert. Eine Erweiterung des Pflichtenkreises des Sachwalters durch Anordnung muss sich letztendlich auch in seiner durch das Gericht festzusetzenden Vergütung wiederfinden. Bei der Übernahme der Kassenführung erscheint denkbar, dass der Sachwalter haftet, wenn 62 er offensichtlich pflichtwidrige Zahlungen auf Forderungen leistet, die durch den Schuldner begründet wurden. Unter solche Zahlungen könnte bspw. die Begleichung von Ansprüchen, die keine Masseverbindlichkeiten darstellen, sondern lediglich den Rang von Insolvenzforderungen aufweisen, fallen. Nach der überwiegenden Ansicht der Literatur hat der Sachwalter grundsätzlich keine Prüfungskompetenz und muss die Zahlung anweisen.90) Selbst Verbindlichkeiten, die nach Übertragung des Kassenführungsrechts auf den Sachwalter gegen dessen Widerspruch im gewöhnlichen Geschäftsbetrieb oder ohne dessen Zustimmung bei außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen begründet worden sind, muss der Sachwalter nach der h. M. erfüllen (siehe hierzu Hofmann, HRI II, § 4 Rz. 74).91) Schließlich handelt es sich bei der Übernahme des Kassenführungsrechts um eine rein interne Maßnahme.92) Allerdings gilt eine solche Verpflichtung wohl nicht, wenn der Sachwalter sonst wissentlich verfahrenswidrige oder gar insolvenzzweckwidrige Zahlungen vornehmen würde.93) Tut er dies dennoch, haftet er zwar nicht nach § 61 InsO,94) aber wegen der Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten gemäß § 60 InsO.95) 3.4

Anzeige der Masseunzulänglichkeit

Die Anzeigepflicht hinsichtlich der Masseunzulänglichkeit liegt beim Sachwalter (§ 285 63 InsO). Die Vorschrift ist Ausgangspunkt einer etwaigen Haftung. Verletzt der Sachwalter diese Pflicht, indem er die rechtzeitige Anzeige der Masseunzulänglichkeit unterlässt, ist er gemäß § 60 InsO zum Schadensersatz verpflichtet. Als Pflichtverletzung ist es jedoch nicht schon anzusehen, wenn der Sachwalter die Vertragspartner nicht vor der Gefahr der Nichterfüllung von Masseverbindlichkeiten warnt.96) Im Fall der Verletzung der Anzeigepflicht ist i. R. des Verschuldens zu berücksichtigen, dass der Sachwalter selbst nicht zur Liquiditätsplanung verpflichtet ist. Problematisch wird dies v. a. dann, wenn der Schuldner seiner Verpflichtung zur Liquiditätsplanung nicht oder nicht ausreichend nachkommt. Dies mag in Betracht der durch das SanInsFoG97) erhöhten Anforderungen an die Eigenverwaltungsplanung gemäß § 270a InsO, der in Abs. 1 eine sechsmonatige Liquiditätsplanung als Voraussetzung für die Anordnung der Eigenverwaltung nennt, seltener der Fall werden – jedoch besteht immer noch die Möglichkeit, dass der Schuldner seine Verpflich___________ 90) 91) 92) 93) 94) 95) 96) 97)

Undritz in: K. Schmidt, InsO, § 275 Rz. 9; Kern in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 26. Undritz in: K. Schmidt, InsO, § 275 Rz. 9; Kern in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 26. Undritz in: K. Schmidt, InsO, § 275 Rz. 9; Kern in: MünchKomm-InsO, § 275 Rz. 26. Undritz in: K. Schmidt, InsO, § 275 Rz. 9. So auch Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 61 Rz. 36. Vgl. Holzer in: KPB, InsO, § 275 Rz. 28. Undritz in: K. Schmidt, InsO, § 274 Rz. 5. Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256.

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§ 15

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

tungen erst im Laufe des Verfahrens vernachlässigt und keine ausreichende Liquiditätsplanung mehr vorlegt. Der Sachwalter wird in diesen Fällen zumindest seine Berichtspflichten erfüllen müssen, um nicht einer Haftung nach § 60 InsO ausgesetzt zu sein. 64 Darüber hinaus kommt bei der Zustimmung zur Eingehung von Masseverbindlichkeiten nach § 277 InsO eine Haftung des Sachwalters gemäß § 61 InsO in Betracht (siehe sogleich Rz. 66 f.). 65 Im beschriebenen Fall der Übernahme des Kassenführungsrechts hat der Sachwalter zwar grundsätzlich kein Recht die Erfüllung von Masseverbindlichkeiten zu verweigern. Anders liegt es aber, wenn absehbar ist, dass nicht alle Verbindlichkeiten befriedigt werden können. Dann hat der Sachwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit die vom Schuldner zuvor ausgelösten Masseverbindlichkeiten unbezahlt zu lassen (siehe Minuth, HRI II, § 9 Rz. 51). 3.5

Ausnahmsweise Haftung gemäß § 277 Abs. 1 Satz 3, § 61 InsO

66 Einzige Ausnahme ist nach dem Gesetzeswortlaut die Anwendbarkeit des § 61 InsO über § 277 Abs. 1 Satz 3 InsO, welche das Gesetz ausdrücklich anordnet. Stimmt der Sachwalter aufgrund eines Zustimmungsvorbehaltes der Begründung von Masseverbindlichkeiten seitens des Schuldners zu, so haftet er gemäß § 61 InsO. Damit trägt der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung, dass durch die Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit die Kompetenzen des Sachwalters erweitert werden und er somit eine stärkere Verantwortung übernimmt.98) 67 Nach dem Wortlaut des § 277 Abs. 1 Satz 3 InsO haftet der Sachwalter bei der Zustimmung zur Eingehung von Masseverbindlichkeiten gemäß § 61 InsO, wenn das Gericht die Zustimmungsbedürftigkeit für das betreffende Rechtsgeschäft angeordnet hat. Dies ist durchaus gerechtfertigt, weil der Sachwalter durch die ihm nun obliegende Prüfungspflicht größere Verantwortung übernimmt.99) Er kann jedoch einen Entlastungsbeweis bezüglich einer Pflichtverletzung gemäß § 61 Satz 2 InsO führen.100) Problematisch ist dabei allein die Bestimmung der Pflichtverletzung. Den Sachwalter trifft keine Pflicht, eine eigene Liquiditätsprognose zu treffen; ihn treffen lediglich Pflichten zur Überwachung der Planung durch den Schuldner.101) Es ist daher erforderlich, beim Sachwalter eine erleichterte Form des Entlastungsbeweises zuzulassen, indem es genügt, wenn der Sachwalter nachweisen kann, dass er die Liquiditätsplanung des Schuldners auf Plausibilität überprüft hat, wobei eine reine Schlüssigkeitsprüfung oder lediglich stichprobenartige Kontrollen nicht ausreichen.102) 3.6

Weitere Fälle

68 Es stellt sich aber die Frage, ob nicht in einzelnen Situationen die Anwendung des § 61 InsO analog erforderlich ist. Dies scheint v. a. in Fällen denkbar, in denen der Sachwalter aufgrund der ihm durch Gesetz übertragenen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis Masseverbindlichkeiten begründen kann, z. B. § 280 InsO.103) Dagegen spricht zunächst der Wortlaut des Gesetzes. Zudem hat der Gesetzgeber in § 277 Abs. 1 Satz 3 InsO ausdrücklich die Haftung nach § 61 InsO für bestimmte Fälle angeordnet, so dass man anneh___________ 98) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 277 Rz. 9. 99) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 277 Rz. 7; Wehdeking in: Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, Kap. 2 Rz. 175 f. 100) Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 135. 101) Holzer in: KPB, InsO, § 274 Rz. 36, 56, 57. 102) Vgl. Holzer in: KPB, InsO, § 274 Rz. 59. 103) Brünkmans in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 274 Rz. 9.

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Flöther

Haftung, Liquiditätsplanung, Masseunzulänglichkeit

§ 15

men könnte, der Gesetzgeber habe bewusst auf eine weitere Anwendbarkeit des § 61 InsO verzichtet. Dennoch ist der Sachwalter bspw. bei einer Pflichtverletzung in Bezug auf § 280 InsO mit gleichen Kompetenzen ausgestattet wie ein Insolvenzverwalter im Regelinsolvenzverfahren und sollte daher aufgrund der vergleichbaren Rechtsstellung auch nach § 61 InsO analog haften.104) Da der Sachwalter berechtigt ist, Anfechtungsansprüche geltend zu machen, kann er für die streitige Durchsetzung der Rückgewährforderungen einen Rechtsanwalt beauftragen, wodurch Masseforderungen entstehen. Für diese Fälle ist eine Anwendung von § 61 InsO unentbehrlich, um den Sachwalter zu pflichtgemäßem Verhalten bei der Beauftragung Externer anzuhalten.105) Die Haftung rechtfertigt sich im Vergleich zur Aufgabenübertragung durch das Gericht nach § 274 Abs. 2 Satz 2 InsO dadurch, dass im Falle des § 280 InsO ausschließlich den Sachwalter die Aufgabe trifft, wohingegen er i. R. des § 274 Abs. 2 Satz 2 InsO den Schuldner bei den ihm (trotz der Anordnung weiterhin) originär obliegenden Aufgaben lediglich unterstützt. Für die übrigen Fälle der Masseunzulänglichkeit, in denen den Sachwalter keine beson- 69 dere Haftung gemäß § 61 oder § 61 InsO analog trifft, kommt lediglich die Haftung nach §§ 274 Abs. 1, 60 Abs. 1 InsO in Betracht. 4.

Haftung gemäß § 280 InsO für Handlungen nach §§ 92, 93 InsO als Sonderfall

Die Befugnisse des Sachwalters entsprechen in § 280 InsO denen des Insolvenzverwalters, 70 so dass er für die Handlungen als „Quasi-Insolvenzverwalter“ gemäß §§ 60 f. InsO analog haftet (siehe Rz. 68).106) Dies ist gerechtfertigt, weil der Sachwalter aufgrund seiner erweiterten Kompetenzen nicht mehr bloßes Aufsichtsorgan wie in den übrigen Bereichen des Eigenverwaltungsverfahrens ist, sondern in diesen Fällen wie ein Insolvenzverwalter als Ausführungsorgan handelt.107) 5.

Haftung bei Überschreiten der im Gesetz vorgesehenen Aufgaben

In der Praxis kann es dazu kommen, dass der Schuldner in Insolvenzsachen unerfahren 71 ist, kein Berater mit der nötigen insolvenzrechtlichen Expertise beauftragt und dennoch die Eigenverwaltung angeordnet wird. In Anbetracht der Anforderungen an die Eigenverwaltungsplanung nach § 270a InsO wird dies zwar selten der Fall sein, da die strengen Anordnungsvoraussetzung die Gläubiger insbesondere vor Risiken schützen soll, die auf der Unkenntnis des Schuldners beruhen. Der Schuldner hat gemäß § 270a Abs. 1 Nr. 4 InsO sicherzustellen, dass er die Fähigkeit besitzt, seine insolvenzrechtlichen Pflichten zu erfüllen. Wie genau dies zu verstehen ist, wird durch das Gesetz allerdings offengelassen. Ob die getroffenen Vorkehrungen durch den Schuldner genügen, um dessen Befähigung zur Erfüllung seiner Pflichten zu gewährleisten, ist Entscheidung des Insolvenzgerichtes. Die insolvenzrechtlichen Pflichten des Schuldners können durch ihn selbst bzw. seine Organmitglieder, aber auch durch Generalhandlungsbevollmächtigte oder Berater erfolgen.108) Trotz der Anforderungen an die Eigenverwaltungsplanung können Haftungsfälle nie vollkommen ausgeschlossen werden. Es besteht weiterhin die Möglichkeit, dass sich ein ent___________ 104) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 280 Rz. 15; Brünkmans in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 274 Rz. 9. 105) Ähnlich auch Undritz in: K. Schmidt, InsO, § 274 Rz. 6; Kern in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 72; a. A. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 274 Rz. 9. 106) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 280 Rz. 15; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 280 Rz. 5; a. A. für eine lediglich analoge Anwendung Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 137; Kern in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 71. 107) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 280 Rz. 5. 108) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 205; Kreutz/Ellers in: BeckOK-InsR, § 270a InsO Rz. 18.

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§ 15

1. Teil Eigenverwaltung – Eröffnetes Verfahren

sprechender Berater erst im Nachhinein als ungeeignet erweist oder der reibungslose Ablauf des Eigenverwaltungsverfahrens auf andere Weise gefährdet wird. In diesen Fällen wird häufig eine gesetzlich angelegte Überschreitung der Pflichten des vorläufigen Sachwalters notwendig, um einen reibungslosen Ablauf des Eigenverwaltungsverfahrens zu ermöglichen. 72 Auch bei Überschreiten der im Gesetz vorgesehenen Aufgaben kommt allerdings eine Haftung nach § 61 InsO wegen einer fehlenden Verweisung des Gesetzes grundsätzlich nicht in Betracht. Jedoch ist durchaus eine Haftung nach § 60 InsO denkbar. Schließlich sollte der Sachwalter zumindest zu ordnungsgemäßem Verhalten angehalten werden, wenn er die im Gesetz vorgeschriebenen Kompetenzen überschreitet. Daneben wird ein Überschreiten der Grenzen der im Gesetz vorgesehenen Aufgaben auch zur Haftung nach allgemeinen Vorschriften, über das Insolvenzrecht hinaus, führen.109) Dann würde auch die Haftungserleichterung aus § 60 Abs. 2 InsO nicht mehr greifen. Zudem ist es denkbar, dass Haftpflichtversicherungen im Fall einer Schadensverursachung bei Überschreiten der im Gesetz vorgesehenen Aufgaben nicht bereit sind, den Schaden zu begleichen.110) Der Sachwalter sollte also äußerst sorgfältig prüfen, ob er diese Risiken tatsächlich in Kauf nimmt, um einem schuldnerischen Unternehmen mit fehlender Expertise unter die Arme zu greifen. Entscheidet er sich dazu, trotzdem für den Schuldner tätig zu werden, erscheint es angezeigt, dass sich das für ihn erhöhte Risiko auch in seiner Vergütung widerspiegelt. 6.

Geltendmachung

73 Für die Geltendmachung der Haftung des Sachwalters hat der Gesetzgeber keine besonderen Regelungen getroffen, so dass über § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO die allgemeinen Vorschriften Anwendung finden. Somit ist die Haftung des Sachwalters wie beim Insolvenzverwalter im Regelinsolvenzverfahren geltend zu machen. Die Zuständigkeit des Gerichts richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften, weil sich die Klage nicht auf die Insolvenzmasse bezieht.111) 74 Die Geltendmachung von Gesamtschäden i. S. des § 92 InsO, die durch Pflichtverletzungen des Sachwalters entstanden sind, kann nur durch einen neu bestellten Sachwalter oder einen Sondersachwalter erfolgen.112) Einzelschäden sind wie im Regelinsolvenzverfahren direkt gegenüber dem Sachwalter geltend zu machen.113) 75 Die Verjährungsfrist beträgt wie bei Ansprüchen gegen den Insolvenzverwalter (§ 62 InsO) drei Jahre.114) Sie beginnt nach § 199 Abs. 1 BGB in dem Jahr, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder erlangen musste. Der Anspruch verjährt gemäß § 62 Satz 2 InsO aber spätestens drei Jahre nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens oder drei Jahre nach Rechtskraft der Einstellung des Insolvenzverfahrens bzw. bei einer Überwachung der Planerfüllung nach §§ 284 Abs. 1, 260 InsO mit deren Beendigung. 76 Sofern den Sachwalter ein Verschulden und damit die insolvenzrechtliche Haftung trifft, sollte stets auch die Frage gestellt werden, ob er noch den Anforderungen an die Person eines gewissenhaften Sachwalters entspricht oder ob es nicht notwendig ist, einen neuen Sachwalter einzusetzen. ___________ 109) 110) 111) 112) 113) 114)

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Frind, NZI 2014, 977, 978; Zimmer in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, S. 1771. Zimmer in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, S. 1771. Lohmann in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 60 Rz. 52. Kern in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 75. Vgl. zum Regelinsolvenzverfahren Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 60 Rz. 122. Kern in: MünchKomm-InsO, § 274 Rz. 75.

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C. Konzern § 16 Eigenverwaltung im nationalen Konzern Kübler

I. Allgemeines ................................................. 1 II. Voraussetzungen der Eigenverwaltung im Konzern .................................................. 6 1. Antrag ........................................................... 7 2. Zustimmung der Gläubiger ....................... 11 3. Keine Gläubigerbenachteiligung ............... 12 III. Rechtsfolgen der Anordnung der Eigenverwaltung im Konzern........... 19 1. Die Rechtsstellung der Konzerngesellschaft in der Eigenverwaltung .......... 21 2. Folgen für die Überwachungsorgane nach Anordnung der Eigenverwaltung ..... 27 IV. Koordinierung der Verfahren über mehrere Konzerngesellschaften .............. 30 1. Zuständigkeitskonzentration am Gruppen-Gerichtsstand ....................... 30 2. Bestellung eines Insolvenzverwalters/ Sachwalters für alle gruppenangehörigen Schuldner .................................................... 36

3.

Koordination und Kooperation i. R. der Eigenverwaltung gemäß § 270g InsO ....... 39 3.1 Zusammenarbeit der Insolvenzverwalter/Sachwalter ..................... 44 3.2 Zusammenarbeit der Insolvenzgerichte .................... 50 3.3 Koordinationsverfahren ................ 51 3.4 Verfahrenskoordination durch Aufrechterhaltung der Konzernleitungsmacht................................. 55 3.5 Gläubiger........................................ 59 3.6 Gesellschafter ................................ 64 4. Forderungsanmeldung ............................... 67 5. Insolvenzanfechtung.................................. 68 V. Haftung...................................................... 71 1. Haftung des (vorläufigen) Sachwalters..... 71 2. Haftung der Gesellschaftsorgane in der Eigenverwaltung .............................. 73

Literatur: Eidenmüller, Verfahrenskoordination bei Konzerninsolvenzen, ZHR 169 (2005) 528; Frind, Gefahren und Probleme bei der insolvenzrechtlichen Regelung der Insolvenz der „Unternehmensgruppe“, ZInsO 2014, 927; Kübler, Inhalt und Grenzen der Kooperationspflichten der Insolvenzverwalter in der Konzerninsolvenz, in: Festschrift für Heinz Vallender, 2015, S. 291; Laroche, Das neue Konzerninsolvenzrecht nach InsO und EuInsVO – Probleme und Fragen aus gerichtlicher Sicht, ZInsO 2017, 2585; Madaus, Koordination ohne Koordinationsverfahren? – Reformvorschläge aus Berlin und Brüssel zu Konzerninsolvenzen, ZRP 2014, 192; Mock, Das neue Konzerninsolvenzrecht nach dem Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, DB 2017, 951; Pleister/Sturm, Die Herausforderungen des neuen Konzerninsolvenzrechts, ZIP 2017, 2329; Sämisch/Noffz/Haug, Besser spät als nie – das neue Eigenverwaltungsrecht, ZRI 2021, 741; Schmidt, J., Die Konzerninsolvenz im Rahmen der EuInsVO 2015, KTS 2018, 1; Siemon/Frind, Der Konzern in der Insolvenz – Zur Überwindung des Dominoeffekts in der (internationalen) Konzerninsolvenz, NZI 2013, 1; Vallender, Einführung eines Gruppen-Gerichtsstands – ein sachgerechter Ansatz zur Bewältigung von Konzerninsolvenzen, Der Konzern 2013, 162; Vallender, Plädoyer für einen Konzerninsolvenzgerichtsstand, in: Festschrift für Hans P. Runkel, 2009, S. 373.

I.

Allgemeines1)

Ausgangspunkt und Vorbild für die Vorschriften zur Eigenverwaltung sind Regelungen 1 des US-amerikanischen Insolvenzrechts über den „Debtor in Possession“.2) Allerdings stellte sich der deutsche Gesetzgeber die Eigenverwaltung bei Inkrafttreten der InsO eher als Ausnahme zum Regelinsolvenzverfahren vor.3) Die Eigenverwaltung soll – so die Intention des Gesetzgebers – u. a. Kosteneinsparungen, die bessere Nutzung der Kenntnisse und Erfahrungen der bisherigen Geschäftsleitung und einen Anreiz zur rechtzeitigen Insolvenzantragstellung bringen. Dementsprechend hat die Eigenverwaltung in einer Reihe von Kon___________ 1) 2) 3)

Zu den Voraussetzungen der Eigenverwaltung i. E. s. Neußner, HRI II, § 3 Rz. 1 ff. U.S.C. Chapter 11 §§ 1104, 1107; Kommission für Insolvenzrecht, Erster Bericht (RWS-Verlag), Begr. zu Leitsatz 1.3.1.1., S. 125. Vgl. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 222 f.

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§ 16

1. Teil Eigenverwaltung – Konzern

zerninsolvenzen – wie z. B. Babcock Borsig AG, KirchMedia GmbH & Co. KG, Herlitz AG, Ihr Platz AG, Sinn Leffers GmbH, Friedr. Gustav Theis Kaltwalzwerke GmbH bzw. nach Inkrafttreten des ESUG Unternehmensgruppe Leiser, centrotherm photovoltaics AG, Pfleiderer AG, IVG Immobilien AG – an Bedeutung gewonnen. In den meisten Fällen wird zur Verfahrensgestaltung in der Konzerninsolvenz ein insolvenzrechtliches Planverfahren mit angeordneter Eigenverwaltung präferiert.4) Trotz dieser Möglichkeiten wies das Instrument der Eigenverwaltung einige Schwächen auf, die vermehrt zum Scheitern von Verfahren geführt hatten. Dies kam in der Evaluation des ESUG zur Sprache,5) die im SanInsFoG mit einer systematischen Überarbeitung der Eigenverwaltung umgesetzt wurde.6) So wurden u. a. in § 270e InsO erstmals die Gründe für die Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung gesetzlich geregelt und damit mehr Rechtssicherheit geschaffen.7) Die durch das SanInsFoG erfolgte Stärkung der Eigenverwaltung verbessert auch deren Einsatzmöglichkeiten im Konzerninsolvenzrecht. 2 Im Rahmen der dritten Reformstufe mit dem Schwerpunkt auf Konzerninsolvenzen hat der Bundestag am 13.4.2017 das Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen i. d. F. der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz beschlossen.8) Das Konzerninsolvenzrecht bildet keinen eigenständigen von der InsO abgekoppelten Regelungsbereich, sondern das geltende Recht wird auf die Besonderheiten einer Unternehmensgruppeninsolvenz abgestimmt.9) So greifen die Regelungen auch nicht grundlegend in das Gesellschaftsrecht ein und tasten die Unabhängigkeit der einzelnen Gesellschaften im Insolvenzkontext nicht an. Der Schwerpunkt des Gesetzes liegt auf dem Erhalt der Konzernstrukturen und einer Harmonisierung der Insolvenzverfahren über das Vermögen der einzelnen Gesellschaften einer Unternehmensgruppe. 3 Das Gesetz definiert die „Unternehmensgruppe“ in § 3e Abs. 1 InsO als rechtlich selbstständige Unternehmen, die den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen im Inland haben und mittelbar oder unmittelbar miteinander durch die Möglichkeit der Ausübung eines beherrschenden Einflusses oder durch eine Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung verbunden sind.10) Die Regelung stützt sich nicht auf §§ 17 f. AktG, sondern ist an § 290 HGB angelehnt und ermöglicht durch ihre Weite eine sachgerechte Anwendung der Vorschriften auf alle Konzerntypen,11) in denen Koordinations- und Kooperationsmittel im Insolvenzverfahren vorteilhaft sein können. Das Gericht wird aufgrund der unwiderleglichen Vermutung des § 290 Abs. 2 HGB12) von einer aufwändigen Feststellung des beherrschenden Einflusses zwischen den Konzernunternehmen entlastet.13) Da im Insolvenzfall bei Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, an denen auch mittelbar keine natürliche ___________ 4) Prütting in: KPB, InsO, § 270 Rz. 41; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 9; Pleister in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 5 Rz. 33 ff.; bereits auch: Jaffé, ZHR 175 (2011) 38 ff.; Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 326; Eidenmüller, ZHR 169 (2005) 528, 543; nicht verallgemeinerungsfähig nach Siemon/ Frind, NZI 2013, 1, 11. 5) Jacoby/Maudaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 117. 6) Allg. Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 84; Sämisch/Noffz/Haug, ZRI 2021, 741. 7) Begr. RegE SanInsFoG z. § 270e StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 207; Holzer in: KPB, InsO, § 270e Rz. 1. 8) Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, v. 13.4.2017, BGBl. I 2017, 865; das Gesetz ist gemäß Art. 10 am 21.4.2018 in Kraft getreten. 9) Flöther in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 1 Rz. 4. 10) Dazu Prütting in: KPB, InsO, § 3e Rz. 3 ff. 11) Beschlussempfehlung und Bericht d. Ausschusses R/V, BT-Drucks. 18/11436, S. 21 f.; krit. Frind, ZInsO 2014, 927, 928 f. 12) Merkt in: Baumbach, HGB, § 290 Rz. 9 ff.; ausführlich K. Schmidt in: FS Kübler, 2015, S. 633 ff. 13) Berner/Bartelheimer/Schiebe, ZInsO 2013, 434, 435.

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§ 16

Eigenverwaltung im nationalen Konzern

Person als persönlich haftender Gesellschafter beteiligt ist (z. B. GmbH & Co. KG), die organisatorische und haftungsrechtliche Verflechtung zwischen Gesellschaft und persönlich haftenden Gesellschaftern ähnliche Probleme aufwerfen kann wie die Insolvenz einer Unternehmensgruppe, fingiert § 3e Abs. 2 InsO das Bestehen einer Unternehmensgruppe i. S. des Absatzes 1. Die Fiktion soll sicherstellen, dass der Anwendungsbereich der konzernrechtlichen Regelungen und Instrumentarien auch für diese Fälle eröffnet ist.14) Gerichtsstands- und Verweisungsregelungen sollen es den Schuldnern und Insolvenzverwaltern zudem erlauben, die Verfahren über die einzelnen Konzerngesellschaften an einem Insolvenzgericht zu konzentrieren, § 3d InsO. Darüber hinaus regelt das Gesetz ein besonderes Koordinationsverfahren (siehe Rz. 51 ff.), 4 das die Sanierung einer Unternehmensgruppe fördern soll, wenn es keinen Gruppen-Gerichtsstand und damit keinen einheitlichen Insolvenzverwalter oder Sachwalter gibt. Eine zentrale Rolle spielt dabei der Verfahrenskoordinator, dem die Aufgabe zukommt, mögliche Reibungsverluste zwischen den parallel anhängigen Insolvenzverfahren über die einzelnen Konzerngesellschaften zu minimieren. Mit den neuen Regelungen soll das Ziel einer angemessenen Bewältigung von Unternehmensinsolvenzen erreicht und die Umsetzung solcher Insolvenzbewältigungsstrategien ermöglicht werden, die den Gesamterlös für alle Gläubiger im Vergleich zur Einzelabwicklung verbessern, ohne Gläubiger der einzelnen Gesellschaften schlechterzustellen.15) In § 270g InsO wird festgelegt, dass die Grundstrukturen des Eigenverwaltungsverfahrens 5 auch i. R. eines Konzerninsolvenzverfahrens gelten.16) Das Hauptproblem ist die individuelle Anordnung der Eigenverwaltung in jedem Verfahren. Durch die Vorlage aufeinander abgestimmter Insolvenzpläne in allen Einzelverfahren kann eine koordinierte Verfahrensabwicklung unter der Voraussetzung, dass sich die Verfahrensbeteiligten an das zentral ausgehandelte Konzept halten, gelingen.17) Aufgrund der auch bei Anordnung der Eigenverwaltung im herrschenden Unternehmen und/oder in dessen insolventen Tochtergesellschaften aufrechterhaltenen Leitungsstrukturen bleiben die Einflussmöglichkeiten des Leitungsorgans bestehen. Die Umsetzung der in einem Insolvenzplan niedergelegten Sanierungsmaßnahmen hat damit mehr Aussicht auf Erfolg.18) II.

Voraussetzungen der Eigenverwaltung im Konzern19)

Die Sanierung eines Konzerns im Wege der Eigenverwaltung und eines führenden Insolvenz- 6 plans setzt voraus, dass der Konzernverbund fortbesteht.20) Dafür schafft das Konzerninsolvenzrecht im Wege einer verstärkten Verfahrenskonzentration, -kooperation und -koordination bessere Voraussetzungen.21) Damit eine Eigenverwaltung in der Konzerninsolvenz in den einzelnen Verfahren angeordnet werden kann, müssen die Voraussetzungen der §§ 270 ff. InsO für jede insolvente Gesellschaft des Konzerns vorliegen.22) Dabei gibt es unterschiedliche Konstellationen. Das Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen regelt, dass die konzerninsolvenzrechtlichen Instrumentarien (siehe Rz. 30 ff.) auch ___________ 14) 15) 16) 17) 18) 19) 20)

Beschlussempfehlung und Bericht d. Ausschusses R/V, BT-Drucks. 18/11436, S. 22. Flöther in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 1 Rz. 4. Holzer in: KPB, InsO, § 270g Rz. 1. Pleister in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 5 Rz. 3. Flöther in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 5 Rz. 1. Zu den Voraussetzungen der Eigenverwaltung i. E. s. Neußner, HRI II, § 3 Rz. 1 ff. Frege/Nicht in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 228; so bereits Ehricke, ZInsO 2002, 393, 395 f. 21) Pleister/Sturm, ZIP 2017, 2329. 22) Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 274.

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§ 16

1. Teil Eigenverwaltung – Konzern

dann Anwendung finden, wenn in Bezug auf einen oder mehrere gruppenangehörige Schuldner eine vorläufige Eigenverwaltung bzw. ein Schutzschirmverfahren angeordnet wird, §§ 270b, 270d InsO.23) Für diesen Fall tritt an die Stelle des Insolvenzverwalters der eigenverwaltende Schuldner und der diesen überwachende vorläufige Sachwalter. Der eigenverwaltende Schuldner hat dann die Rechte und Pflichten des Insolvenzverwalters, d. h. ihm steht bspw. das mit Verfahrenseröffnung auf den Insolvenzverwalter übergehende Antragsrecht zur Errichtung des Gruppen-Gerichtsstands, § 3a Abs. 1 und 3 i. V. m. § 270g Satz 2 InsO oder zur Verweisung an den Gruppen-Gerichtsstand zu, § 3d Abs. 1 i. V. m. § 270g Satz 2 InsO.24) Der eigenverwaltende Schuldner unterliegt auch den Kooperationspflichten des § 269a InsO, § 270g Satz 1 InsO (siehe Rz. 48).25) Der Gesetzgeber geht davon aus, dass sich aus der Anwendung der allgemeinen Bestimmungen die Zulässigkeit der Bestellung eines einheitlichen Sachwalters für die Konstellationen ergibt, in denen in mehreren gruppenangehörigen Unternehmen die Eigenverwaltung angeordnet wird. Die einheitliche Sachwalterbestellung soll insbesondere dann erfolgen, wenn ein Insolvenzgericht für sämtliche Verfahren örtlich zuständig ist.26) Insgesamt wird der in der Praxis der Unternehmensinsolvenz inzwischen häufiger anzutreffenden Eigenverwaltung mit den neuen Vorschriften allerdings nur ein geringer Stellenwert eingeräumt.27) 1.

Antrag

7 Gemäß § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO muss der Schuldner den Antrag auf Eigenverwaltung vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen. Der Schuldner kann ferner die vorläufige Eigenverwaltung (§ 270b InsO), auch in Gestalt des Schutzschirmverfahrens (§ 270d InsO), beantragen. 8 Die Antragsberechtigung ist für den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens in §§ 15, 18 Abs. 3 InsO geregelt. Das Eigenverwaltungsverfahren nimmt auf diese Vorschriften Bezug (§ 270 Abs. 1 Satz 2 InsO). Bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung ist jedes Mitglied des Vertretungsorgans, bei Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit jeder persönlich haftende Gesellschafter und bei Führungslosigkeit jeder Gesellschafter unabhängig davon, welche Vertretungsregelungen innerhalb des Vertretungsorgans bestehen, antragsberechtigt, § 15 Abs. 1 InsO.28) Ist Insolvenzgrund drohende Zahlungsunfähigkeit, so muss der Antrag entweder von allen Mitgliedern des Vertretungsorgans oder von einem berechtigten Vertreter gestellt werden, § 18 InsO. Die Antragsberechtigung bei Beantragung der Anordnung der Eigenverwaltung lässt sich nach überwiegender Auffassung nicht aus einer entsprechenden Anwendung der §§ 15, 18 InsO ableiten.29) Begründet wird das damit, dass die Sachlage bei Insolvenzantragstellung nach §§ 15, 18 InsO eine andere ist als bei Antragstellung auf Eigenverwaltung. Die Antragsberechtigung aus § 15 InsO hängt unmittelbar mit den gesellschaftsrechtlichen Antragspflichten zusammen, die Antragsberechtigung bei Eigenverwaltung jedoch nicht.30) Das Antragsrecht i. S. des § 270 Abs. 2 Satz 1 InsO richtet sich deshalb ___________ 23) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 270d InsO, BT-Drucks. 18/407, S. 41. 24) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 270d InsO, BT-Drucks. 18/407, S. 41. 25) Holzer in: KPB, InsO, § 270g Rz. 2 f. 26) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 270d InsO, BT-Drucks. 18/407, S. 41. 27) Pleister/Sturm, ZIP 2017, 2329. 28) Prütting in: KPB, InsO, § 270 Rz. 89. 29) Prütting in: KPB, InsO, § 270 Rz. 90; Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 276. 30) Huhn, Eigenverwaltung, Rz. 37 ff.; Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 276.

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Eigenverwaltung im nationalen Konzern

nach den jeweiligen konkreten gesellschaftsrechtlichen Vertretungsregelungen.31) Streitig ist, ob der Geschäftsführer in der Krisensituation vor der Antragstellung die Genehmigung der Gesellschafterversammlung einholen muss32) und ob er an Weisungen der Gesellschafter, den Insolvenzantrag/Antrag auf Eigenverwaltung nicht zu stellen, gebunden ist.33) Ein den Geschäftsführer zur Antragstellung ermächtigender Gesellschafterbeschluss ist jedenfalls dann abzulehnen, wenn sich die Krise trotz positiver Fortbestehensprognose derart verdichtet hat, dass das Interesse der Gläubiger an der Vermögenssicherung Vorrang gegenüber den Gesellschafterinteressen hat.34) Unabhängig davon bleibt der Insolvenzantrag im Außenverhältnis zulässig,35) kann jedoch im Innenverhältnis Schadenersatzansprüche begründen.36) Adressat der Antragspflicht bei Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, wie der GmbH 9 & Co. KG, sind der oder die Geschäftsführer der Komplementär-GmbH in ihrer Eigenschaft als deren organschaftliche Vertreter, § 130a Abs. 1 Satz 2, § 177a HGB, bei Fehlen eines organschaftlichen Vertreters auf der Ebene der Komplementär-GmbH sind auch die in § 15 Abs. 1 Satz 2 InsO aufgeführten Gesellschafter antragsberechtigt.37) Kommanditisten sind nicht antragsberechtigt.38) Es ist – unabhängig davon, dass die Insolvenz der KG wegen der persönlichen Haftung für die Gesellschaftsschulden, § 128 HGB, fast nie ohne Konsequenzen für die Überschuldungssituation ihrer Komplementär-GmbH bleibt39) – strikt zwischen der Insolvenz der KG und ihrer Komplementär-GmbH zu differenzieren. Der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH ist grundsätzlich verpflichtet, vor Antragstellung bei nur drohender Zahlungsunfähigkeit eine Entscheidung der Kommanditisten herbeizuführen.40) Ergibt die Prüfung, dass beide Gesellschaften insolvenzreif sind, bedarf es zur Einleitung der Insolvenzverfahren gesonderter Insolvenzanträge. Die sich daran anschließenden Insolvenzverfahren können dann koordiniert abgewickelt werden (siehe dazu Rendels/ Zabel, HRI II, § 45 [Musterinsolvenzplan]). Die Organe des schuldnerischen Unternehmens sind verpflichtet, den Antrag auf Anord- 10 nung der Eigenverwaltung nach pflichtgemäßem Ermessen zu stellen. Durch Ausübung der Leitungsmacht können Konzerngesellschaften ihre Organe dazu anhalten, Eigenverwaltung zu beantragen, um einen Sanierungsverbund zu erreichen.41) Der Antrag sollte mit dem Eigeninsolvenzantrag verbunden werden und bedarf einer sorgfältigen Vorbereitung und Planung. Bei Konzerninsolvenzen kann unter der Voraussetzung, dass die Tochtergesellschaften nicht materiell insolvent sind, ein Insolvenz- und Eigenverwaltungsantrag nur für die Konzernmutter gestellt werden. Befinden sich Mutter- und sämtliche Tochterge___________ 31) Prütting in: KPB, InsO, § 270 Rz. 90; Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 276. 32) So BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, ZIP 1982, 568; LG Frankfurt/M. v. 10.9.2013 – 3-09 O 96/13 (Suhrkamp GmbH & Co. KG), ZIP 2013, 1831, dazu EWiR 2013, 589 (Hölzle); Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rz. 75; diff. Hölzle, ZIP 2013, 1846, 1849 f.; dagegen bisher Meyer-Löwy/Pickerill, GmbHR 2013, 1065, 1068 ff. 33) OLG München v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, ZIP 2013, 1121; diff. Hölzle, ZIP 2013, 1846, 1849 ff. 34) Hölzle, ZIP 2013, 1846, 1851; Lang/Muschalle, NZI 2013, 953, 955. 35) Str.: Eine Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen gegen den Antrag stellenden Gesellschaftergeschäftsführer, um das (Eröffnungs-)Verfahren zu beeinflussen oder gar zum Stillstand zu bringen, ist abzulehnen. So Thole, ZIP 2013, 1937, 1941; dem zust. Lang/Muschalle, NZI 2013, 953, 957; a. A. Fölsing, ZInsO 2013, 1325, 1328; zur Frage des rechtsmissbräuchlichen Insolvenzantrags ausführlich Brinkmann, ZIP 2014, 197. 36) Fölsing, ZInsO 2013, 1325, 1331. 37) Prütting in: KPB, InsO, § 270 Rz. 90. 38) Hirte in: Uhlenbruck, InsO, § 15 Rz. 2. 39) Ehricke in: Jaeger, InsO, § 11 Rz. 45; Vuia in: MünchKomm-InsO, § 11 Rz. 26. 40) OLG München v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, ZIP 2013, 1121, dazu EWiR 2013, 483 (Jakobs/Hoffmann); diff. Hölzle, ZIP 2013, 1846, 1849 ff. 41) Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 276; Ehricke, ZInsO 2002, 393, 394.

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sellschaften in Deutschland, war es auch bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen für das Gesamtkonzept der Konzernsanierung sinnvoll, dass die Tochtergesellschaften bei Insolvenzantragstellung gleichzeitig den Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung einreichen und bspw. den Insolvenzplan der Muttergesellschaft als führenden Insolvenzplan vorlegen.42) In diesem Fall wurde auch bislang die Bestellung eines Sachwalters für alle Verfahren angestrebt, was sich mangels entsprechender Vorschriften nicht immer durchsetzen ließ. Der Gesetzgeber hat mit den Regelungen für Konzerninsolvenzen Abhilfe geschaffen, da über § 270g InsO die konzernrechtlichen Instrumentarien zur einheitlichen und koordinierten Verfahrensbearbeitung auch Anwendung finden, wenn für einen oder mehrere gruppenangehörige Schuldner die (vorläufige) Eigenverwaltung angeordnet worden ist.43) 2.

Zustimmung der Gläubiger

11 Mit den Regelungen des ESUG wurde das Mitwirkungsrecht der Gläubiger bezüglich der Entscheidung über die Eigenverwaltung vorverlagert und dem vorläufigen Gläubigerausschuss – der bei Konzernsachverhalten nahezu immer zwingend einzusetzen ist – die Einflussnahme auf die Anordnung der Eigenverwaltung ermöglicht.44) Vor der Anordnung der Eigenverwaltung hat das Insolvenzgericht den vorläufigen Gläubigerausschuss anzuhören, § 270b Abs. 3 Satz 1 InsO. Ein einstimmiger Beschluss der anwesenden Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses,45) dass keine Gläubigerbenachteiligung vorliegt (siehe Rz. 12 ff.), ist für das Insolvenzgericht bindend.46) Besteht kein vorläufiger Gläubigerausschuss, sollte das Gericht die wichtigsten Gläubiger anhören.47) Allerdings sollte bei der Auswahl der Gläubiger darauf geachtet werden, dass nicht aufgrund der Beschränkung nur die Interessen der Großgläubiger zum Tragen kommen. Daher sollten die anzuhörenden Gläubiger verschiedenen Gläubigergruppen angehören.48) 3.

Keine Gläubigerbenachteiligung

12 Gemäß § 270e Abs. 2 Satz 1 InsO dürfen durch die Anordnung der Eigenverwaltung keine Nachteile für die Gläubiger zu erwarten sein. Unterstützt eine Gläubigermehrheit den Antrag auf Eigenverwaltung, so wird nach der Regelung des § 270b Abs. 3 Satz 3 InsO vermutet, dass sich die Eigenverwaltung nicht nachteilig für die Gläubiger auswirkt. 13 Erfolgreiche Eigenverwaltungen der letzten Jahre zeigen, dass bei richtiger Handhabung vielfach erwartete Nachteile weitgehend ausgeschlossen werden können.49) Es ist zunächst eine Prognose anzustellen, inwieweit das Verfahren i. R. der Eigenverwaltung im Vergleich zum Insolvenzverfahren Nachteile für die Gläubiger mit sich bringt.50) Die Anordnung der Eigenverwaltung bei der Muttergesellschaft bei Vorliegen eines Insolvenzplans kann ___________ 42) Pleister/Theusinger in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 210; Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 326; Ehricke, ZInsO 2002, 393, 395; Uhlenbruck, NZI 1999, 41, 43. 43) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 270d InsO, BT-Drucks. 18/407, S. 41. 44) Begr. RegE ESUG z. § 270 InsO, BT-Drucks. 17/5712, S. 57 f. 45) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 58. 46) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 58. 47) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 57. 48) Hofmann, NZI 2010, 798, 799. 49) Erfolgreiche Sanierungen in Eigenverwaltung der letzten Jahre u. a.: centrotherm photovoltaics AG, Pfleiderer AG, IVG Immobilien AG. 50) Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 22.

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ein Anhaltspunkt dafür sein, dass die Anordnung der Eigenverwaltung bei den Tochtergesellschaften nicht nachteilig für die Gläubiger i. S. des § 270b Abs. 3 Satz 3 InsO sein wird.51) Mit der Einführung des Gruppen-Gerichtsstands (siehe Rz. 30 ff.) wurde in der Literatur 14 teilweise kritisiert, dass die Durchsetzung der Interessen für Kleingläubiger erschwert sein könnte, wenn der Konzerngerichtsstand sehr weit vom Sitz des betroffenen Gruppenunternehmens entfernt liegt, und darin ein Nachteil für die Gläubiger zu sehen sei.52) Dem ist entgegenzuhalten, dass erstens ein beträchtlicher Teil des Verfahrens schriftlich durchgeführt wird und zweitens erfahrungsgemäß die Gläubiger unabhängig von der Nähe des Gerichts eher selten an Gläubigerversammlungen teilnehmen. Ohnehin räumen viele Insolvenzverwalter den Gläubigern den elektronischen Zugang zu Verfahrensunterlagen ein. Diese Entwicklung dürfte durch unionsrechtliche Vorgaben weiter beschleunigt werden.53) Ausweislich der Gesetzesbegründung sieht der Gesetzgeber ein Interesse der Gläubiger an Verfahrenskonzentration immer dann als gegeben, wenn sich mittels koordinierter Abwicklung der Einzelverfahren Koordinationsgewinne erzielen lassen, die einigen Insolvenzmassen zugutekommen, ohne die übrigen Massen zu benachteiligen.54) Als wesentlicher allgemeiner Benachteiligungsaspekt wird bei Konzerninsolvenzen, aber 15 auch bei einfachen Gesellschaftsinsolvenzen, der Zeitfaktor angegeben. Die Gläubiger befürchten häufig, dass die Anordnung der (vorläufigen) Eigenverwaltung im Vergleich zu einem Regelinsolvenzverfahren zu einer zeitlichen Verschleppung des Verfahrens führt. In der Tat kann sich i. R. einer Sanierung die Verzögerung aufgrund von Kompetenzkonflikten als Nachteil ergeben.55) Eine pauschale Behauptung reicht hierfür jedoch nicht, vielmehr bedarf es hinsichtlich etwaiger Zuständigkeitskonflikte konkreter Anhaltspunkte. Des Weiteren können Gründe für eine Verfahrensverzögerung in der Struktur der schuld- 16 nerischen Gesellschaft und im Verhalten der Anteilseigner und der Geschäftsleitung liegen, weil diese maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsabläufe des Schuldners haben.56) Auch hier verbietet sich eine generalisierende Betrachtungsweise. Würde die Leitungsstruktur des Schuldners von vornherein als nachteilig bewertet, schiede die Eigenverwaltung bei Unternehmensgesellschaften stets aus. Da die Vergütungspflicht der Gesellschaftsorgane entsprechend dem Anstellungsvertrag 17 nach Anordnung der Eigenverwaltung als Masseschuld fortbesteht, wird hierin ein weiterer Nachteil i. S. des § 270b Abs. 3 Satz 3 InsO gesehen.57) Dem kann abgeholfen werden, indem eine Änderungskündigung des Anstellungsvertrages oder eine Vertragsanpassung in Gestalt der Vereinbarung einer entsprechend geringeren Gehaltszahlung vorgenommen wird.58) Die Herabsetzung der Vergütung kann ein Weg sein, das Vertrauen der Gläubiger in den Schuldner zu festigen. Ob die Personenkontinuität in der Geschäftsleitung des Konzerns ein Nachteil für die 18 Gläubiger sein kann, hängt vom Einzelfall ab. Einerseits verfügt die bestehende Geschäftsleitung über die besten Kenntnisse und Erfahrungen, wodurch Kosten und Zeit gespart ___________ 51) 52) 53) 54) 55) 56) 57) 58)

Pleister/Theusinger in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 208. Pleister/Sturm, ZIP 2017, 2329, 2334. So auch Pleister/Sturm, ZIP 2017, 2329, 2334. Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 3a InsO, BT-Drucks. 18/407, S. 27. Krämer, NZI 2017, 960, 962; Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 278, 309; Huhn, Eigenverwaltung, Rz. 629. Uhlenbruck in: FS Kirchhof, 2003, S. 479, 505; Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 279. Hofmann, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 207, Fn. 952. Holzer in: KPB, InsO, § 278 Rz. 13 ff.; Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 611; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 278 Rz. 2.

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werden. Deshalb kann die schuldnerseits beabsichtigte Beibehaltung der Geschäftsleitung nicht generell als nachteilig angesehen werden. Andererseits kann im Gläubigerinteresse ein personeller Wechsel in der Geschäftsleitung geboten sein. Die h. A. geht daher davon aus, dass für eine erfolgreiche Durchführung der Eigenverwaltung die Geschäftsleitung zumindest dann ausgetauscht werden muss, wenn sie nicht schuldlos an der wirtschaftlichen Entwicklung des Schuldners ist.59) Gerade in einem solchen Fall kann das Vertrauen der Gläubiger durch einen Wechsel in der Geschäftsleitung gestärkt werden, insbesondere wenn – wie es inzwischen bei Eigenverwaltung in Konzerninsolvenzen üblich ist – die Positionen von Vorstand bzw. Geschäftsführung von Sanierungs- und Insolvenzrechtsexperten – in der Praxis hat sich für diese Geschäftsleiter die Bezeichnung „CRO“ (Chief Restructuring Officer) eingebürgert – übernommen werden.60) Nachteile können sich aber u. U. dann ergeben, wenn infolge der Auswechslung der Geschäftsleitung erhebliche weitere Kosten61) entstehen und/oder eine zügige Fortführung des schuldnerischen Unternehmens nicht mehr gesichert ist bzw. zu hohe Masseverbindlichkeiten entstehen.62) III.

Rechtsfolgen der Anordnung der Eigenverwaltung im Konzern

19 Die Zuständigkeitsverteilung zwischen Schuldner, Gläubigern und Sachwalter ist in §§ 274 bis 285 InsO geregelt. 20 Der Vorteil der Eigenverwaltung i. R. einer Konzerninsolvenz liegt darin, dass die gesellschafts- und konzernrechtlichen Bindungen der eigenverwalteten Gesellschaften bestehen bleiben. Wird z. B. für die abhängige Konzerngesellschaft die Eigenverwaltung angeordnet, kann die Mutter- oder Obergesellschaft mithilfe der weiter bestehenden Konzernleitungsmacht unter Überwachung und Kontrolle des Sachwalters und des Gläubigerausschusses das Schicksal der Gesellschaft auch künftig beeinflussen.63) Dadurch können Synergieeffekte genutzt und eine kooperative Sanierungsausrichtung erreicht werden.64) Allerdings setzt dies eine entsprechende Kooperationsbereitschaft bei Gläubigern und Schuldner bzw. dessen Gesellschaftern voraus (siehe Rz. 59 ff., 48, 64 ff.). Das Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen sieht sowohl eine verstärkte Kooperation der Gläubiger i. R. der (vorläufigen) Gläubigerausschüsse zwecks Antrag auf Bildung eines Gruppen-Gläubigerausschusses, § 269c Abs. 1 InsO (siehe Rz. 61), als auch Kooperationspflichten des eigenverwaltenden Schuldners vor, § 270g Satz 1 InsO (siehe Rz. 48). Über eine planmäßige Zusammenarbeit der (vorläufigen) Gläubigerausschüsse können die Insolvenzverwalter bzw. der eigenverwaltende Schuldner und Sachwalter dazu veranlasst werden, geeignete abgestimmte Vorgehensweisen zu verfolgen. Der Gruppen-Gläubigerausschuss, § 269c Abs. 2 InsO, vertritt dabei die Interessen aller Gläubiger von gruppenangehörigen Schuldnern der Unternehmensgruppe.65)

___________ 59) Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 283 f. 60) Pleister/Theusinger in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 214, § 5 Rz. 7; Specovius/Uffmann, ZIP 2016, 295 ff. 61) AG Köln v. 15.11.2017 – 74 IN 103/16, NZI 2018, 210; dazu Siemon, NZI 2018, 189; AG Freiburg v. 1.5.2015 – 58 IN 37/15, ZIP 2015, 2238; Specovius/Uffmann, ZIP 2016, 295, 297. 62) Fiebig in: HambKomm-InsO, § 270 Rz. 22. 63) Brünkmans, Die Koordinierung von Insolvenzverfahren konzernverbundener Unternehmen, S. 279 f. 64) Frege/Nicht in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 228; Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 287. 65) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 270d InsO, BT-Drucks. 18/407, S. 34.

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Die Rechtsstellung der Konzerngesellschaft in der Eigenverwaltung66)

Bei einer Unternehmensinsolvenz bleibt die Gesellschaft als eigenverwaltende Schuldnerin 21 verwaltungs- und verfügungsbefugt und wird durch ihre Organe vertreten.67) Ausnahmen davon, dass der Schuldner i. R. der Eigenverwaltung verwaltungs- und verfügungsberechtigt ist, regelt § 280 InsO, wonach es dem Sachwalter vorbehalten bleibt, die Ansprüche nach §§ 92, 93 InsO und Anfechtungsansprüche nach §§ 129 ff. InsO durchzusetzen (siehe dazu ausführlich Minuth, HRI II, § 9 Rz. 1 ff.).68) Der Sachwalter verfolgt darüber hinaus auch die Ansprüche aus § 93 Abs. 5 Satz 4, § 117 Abs. 5 Satz 3 AktG. Nach den Regelungen der §§ 270 ff. InsO bleibt die Geschäftsleitung grundsätzlich be- 22 stehen und hat die dem Schuldner durch die Eigenverwaltung zugewiesenen Aufgaben zu übernehmen. Gemäß § 270 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 108 Abs. 1 InsO bleiben die Anstellungsverhältnisse der Vertretungsorgane bestehen. Von besonderer praktischer Bedeutung ist die Vergütung der Mitglieder der Gesellschaftsorgane. Sie kann gerade in Konzerngesellschaften sehr hoch sein, so dass dieser Umstand bei der Nachteilsprognose vor der Entscheidung über die Anordnung der Eigenverwaltung zu berücksichtigen ist (siehe Rz. 17).69) Es ist jedoch nicht Voraussetzung, dass die alte Geschäftsleitung beibehalten wird, damit die Eigenverwaltung angeordnet werden kann.70) Vielmehr ist es bei Konzerninsolvenzen üblich, die Geschäftsleitung mit Restrukturierungs- und/oder Insolvenzrechtsspezialisten zu besetzen. Die Geschäftsleitung unterliegt den gesellschaftsrechtlichen Bindungen nur so weit, wie auch ein Insolvenzverwalter im Regelinsolvenzverfahren durch diese gebunden wäre.71) Das bedeutet, dass insolvenzverfahrenszweckwidrige Weisungen im Innenverhältnis unbeachtlich sind.72) Die Eigenverwaltung im Konzern kann sich auf einzelne Konzerngesellschaften beschränken 23 oder sämtliche Konzernglieder umfassen. Im letzteren Fall wird nicht nur die Binnenstruktur der einzelnen Gesellschaft, sondern des gesamten Konzerns aufrechterhalten.73) Die Konzernleitungsmacht besteht zunächst durch die alle Konzernglieder erfassende Eigenverwaltung fort.74) Die Ausübung der Konzernleitungsmacht hat allerdings unter Beachtung der Funktion des Insolvenzverfahrens zu geschehen.75) Das bedeutet, dass insolvenzrechtliche Regelungen, die die Leitungsmacht beschränken, Vorrang gegenüber gesellschaftsrechtlichen Regelungen haben, da die Wahrung der Gläubigerinteressen im Vordergrund steht. Das gilt aufgrund der engen Verflechtung auch für die Eigenverwaltung in der GmbH & Co. KG, wenngleich diese nicht dem klassischen Konzernmodell entspricht. Gemäß § 291 Abs. 1 AktG kann sich eine AG oder eine KGaA durch einen Beherrschungs- 24 vertrag der Leitung eines anderen Unternehmens unterwerfen (Vertragskonzern). Für eine Gesellschaft in der Rechtsform der GmbH gilt das entsprechend.76) Der Beherrschungs___________ 66) Zur Rechtsstellung des Schuldners i. Allg. während der Eigenverwaltung s. Bierbach, HRI II, § 9 Rz. 1 ff. 67) Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 285; Gutsche, Die Organkompetenzen im Insolvenzverfahren, Rz. 316; Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 333. 68) Dazu Holzer in: KPB, InsO, § 280 Rz. 6 ff. 69) Hofmann, Eigenverwaltung, S. 207, Rz. 952. 70) So aber AG Duisburg v. 1.9.2002 – 62 IN 167/02, ZIP 2002, 1636, 1639; a. A. Prütting in: KPB, InsO, § 270 Rz. 201. 71) Görg/Stockhausen in: FS Metzeler, 2003, S. 105, 107; Prütting/Huhn, ZIP 2002, 777, 782. 72) Haas in: FS Kübler, 2015, S. 203, 209; Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 307. 73) Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 304 ff., 318 ff., 324 ff.; a. A. Flöther in: FS Kübler, 2015, S. 147, 148. 74) Ausführlich zu den Folgen für die Konzernleitungsmacht Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 314 ff., 321; Ehricke, ZInsO 2002, 393, 395; a. A. Flöther in: FS Kübler, 2015, S. 147, 148. 75) Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 320; Brünkmans, Die Koordinierung von Insolvenzverfahren konzernverbundener Unternehmen, S. 250. 76) Koch in: Koch, AktG, § 291 Rz. 6.

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vertrag berechtigt die Muttergesellschaft, der Geschäftsleitung der Tochtergesellschaft Weisungen zu erteilen (§ 308 AktG), so dass die Muttergesellschaft die Konzernleitungsmacht innehat. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass ein Beherrschungsvertrag in die Struktur der abhängigen Gesellschaft eingreift und die innergesellschaftliche Kompetenzzuweisung modifiziert.77) In der Konzerninsolvenz steht der Ober- sowie der Untergesellschaft grundsätzlich ein außerordentliches Kündigungsrecht, § 297 Abs. 1 Satz 2 AktG, zu.78) Besteht ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, ist umstritten, ob dieser trotz Anordnung der Eigenverwaltung erhalten bleibt.79) Soweit vertreten wird, dass ein Beherrschungsund Gewinnabführungsvertrag nicht endet, wird dieser jedenfalls durch die insolvenzrechtlichen Beschränkungen überlagert. Der praktische Wert besteht darin, dass im Sanierungsfall mit dem Fortsetzungsbeschluss die Wirkungen des Unternehmensvertrages wiederhergestellt werden.80) Ein Weisungsrecht der Mutter- oder Obergesellschaft bleibt erhalten, sofern es nicht dem Insolvenzzweck aus § 1 InsO zuwiderläuft und ein ggf. bestehendes Ausgleichssystem auch während der Eigenverwaltung vollzogen wird.81) Die Verlustausgleichspflicht, § 302 Abs. 1 AktG, dient als Gegenstück für die Möglichkeit der Obergesellschaft, nachteilige Weisungen erteilen zu können. Hier können sich Schwierigkeiten ergeben, wenn z. B. eine aus dem Vertrag folgende Verlustausgleichspflicht nicht mehr erfüllt werden kann, weil sowohl die ausgleichspflichtige Konzerngesellschaft als auch die der Leitungsmacht unterworfene Gesellschaft insolvent sind.82) 25 Lösen ließe sich dieses Problem im Fall der Insolvenz beider Vertragspartner dadurch, dass der Sachwalter mögliche aus der Konzerneinbindung erwachsende Nachteile für die Gläubiger gemäß § 274 Abs. 3 Satz 1 InsO anzeigt. Als äußerstes Mittel können die Gläubiger die Aufhebung der Eigenverwaltung beantragen.83) Sofern die Beteiligten zur Kooperation bereit sind, besteht die – im Einzelfall zu bestimmende – bessere Lösung darin, für einen Nachteilsausgleich entsprechende Sondervereinbarungen zugunsten der Gläubiger im Insolvenzplan zu treffen (siehe dazu Pleister/Theusinger, HRI II, § 43 Rz. 98 ff.).84) 26 Ein Unternehmensverbund kann auch auf faktische Weise durch Mehrheitsbeteiligung des herrschenden Unternehmens an einer abhängigen Gesellschaft entstehen (faktischer Konzern). Zusätzlich zu der Abhängigkeit durch die Möglichkeit zur Leitungsausübung durch das die Mehrheit besitzende Unternehmen bedarf es der einheitlichen Leitung durch die Muttergesellschaft. Das bedeutet, dass sich die Möglichkeit zur gemeinschaftlichen Lenkung auf dem gesellschaftsrechtlichen Gefüge gründet.85) Besteht ein faktischer Konzern, gibt es kein ausdrücklich gesetzlich geregeltes Weisungsrecht der Konzernmutter.86) Für den faktischen Konzern im Aktienrecht gelten §§ 311 ff. AktG. Wird ein Nachteil nicht nach ___________ 77) BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88, BGHZ 105, 324, 331 = ZIP 1989, 29, 31, dazu EWiR 1989, 59 (Schulze-Osterloh); Hirte in: Uhlenbruck, InsO, § 11 Rz. 398. 78) Becker, Kooperationspflichten in der Konzerninsolvenz, Rz. 124 f. 79) Ausführlich Darstellung des Streitstands bei Pleister/Theusinger in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 472, 473 ff., 483 ff. m. w. N. 80) Becker, Kooperationspflichten in der Konzerninsolvenz, Rz. 125. 81) Hirte in: Uhlenbruck, InsO, § 11 Rz. 402; Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 321; Brünkmans, Die Koordinierung von Insolvenzverfahren konzernverbundener Unternehmen, S. 274 f.; Böcker, GmbHR 2004, 1257, 1258. 82) Hirte in: Uhlenbruck, InsO, § 11 Rz. 403; Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 315. 83) Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 319. 84) Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 319; Brünkmans, Die Koordinierung von Insolvenzverfahren konzernverbundener Unternehmen, S. 243. 85) Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 314 f. 86) Pleister/Theusinger in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 488; Becker, Kooperationspflichten in der Konzerninsolvenz, Rz. 130.

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Eigenverwaltung im nationalen Konzern

§ 311 AktG von dem herrschenden Unternehmen ausgeglichen, macht es sich schadenersatzpflichtig, § 317 AktG. Bei Anordnung der Eigenverwaltung in einem faktischen Konzern wird überwiegend ebenfalls vom Fortbestand der Konzernleitungsmacht ausgegangen.87) Gesetzliche Regelungen dazu, welche Folgen die Insolvenz des faktisch herrschenden oder beherrschten Unternehmens auf die Rechte und Pflichten der beteiligten Gesellschaften und ihrer Organe hat, gibt es nicht. Auch Rechtsprechung existiert hierzu – soweit ersichtlich – nicht.88) 2.

Folgen für die Überwachungsorgane nach Anordnung der Eigenverwaltung

Der Umfang gesellschaftsrechtlicher Bindungen und die Rolle der Aufsichtsorgane bei an- 27 geordneter Eigenverwaltung waren lange Zeit streitig.89) Die gesellschafts- und insolvenzrechtlichen Vorschriften haben eine jeweils unterschiedliche Schutzrichtung. Doch spätestens zu dem Zeitpunkt, zu dem die Eigenverwaltung angeordnet wird und die Verfügungsbefugnis des Schuldners erhalten bleibt, hat er sich allein an den Interessen der Gläubiger zu orientieren.90) Das Regelungskonzept der §§ 270 ff. InsO sieht eine vom Regelinsolvenzverfahren abweichende Kompetenzverteilung vor. So wie das Verfügungsrecht des Insolvenzverwalters nach § 80 Abs. 1 InsO keinen Beschränkungen unterliegt, steht auch dem Geschäftsleitungsorgan des Schuldners bei Anordnung der Eigenverwaltung das Verfügungsrecht ohne gesellschaftsrechtliche Beschränkungen zu.91) Es ergibt sich bereits aus §§ 275 ff. InsO, dass die Gesellschaftsorgane in den meisten Fällen an einer günstigen Verwertung interessiert sein sollten. Die Folge eines Blockadeverhaltens wäre die Aufhebung der Eigenverwaltung – ggf. auf Antrag der Gläubigerversammlung – und die Überleitung ins Regelinsolvenzverfahren, in dem die gesellschaftsrechtlichen Bindungen endgültig wegfallen.92) Im Fall der Eigenverwaltung einer juristischen Person oder einer Gesellschaft ohne Rechts- 28 persönlichkeit haben die Gesellschaftsorgane keinen Einfluss auf die Geschäftsführung93) des Schuldners, § 276a Abs. 1 Satz 1 InsO. Grundgedanke der Regelung ist, dass die Überwachungsorgane94) keine weitergehenden Einflussmöglichkeiten auf die Geschäftsführung haben sollen, als wenn ein Insolvenzverwalter bestellt worden wäre. Der Begriff der „Geschäftsführung“ in § 276a Abs. 1 Satz 1 InsO ist im insolvenzrechtlichen Sinn unter dem Aspekt der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des § 80 Abs. 1 InsO zu verstehen.95) Die Führung der Geschäfte hat sich in der Eigenverwaltung an den Interessen der Gläubiger zu orientieren.96) Allein Sachwalter und Gläubigerausschuss überwachen nun die Tätigkeit der Geschäftsführung.97) Im insolvenzfreien Bereich des Schuldners – z. B. Wahrnehmung

___________ 87) Pleister/Theusinger in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 501; Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 314 f.; a. A. Brünkmans in: MünchKomm-InsO, KonzerninsolvenzR Rz. 5, 83. 88) Pleister/Theusinger in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 491. 89) Überblick zum Streitstand bei Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 299 ff.; vgl. auch Prütting/Huhn, ZIP 2002, 777. 90) Prütting/Huhn, ZIP 2002, 777, 778. 91) Haas in: FS Kübler, 2015, S. 203, 209; Prütting/Huhn, ZIP 2002, 777, 780. 92) Görg/Stockhausen in: FS Metzeler, 2003, S. 105, 107; Prütting/Huhn, ZIP 2002, 777, 778. 93) Zum Begriff der Geschäftsführung Haas in: FS Kübler, 2015, S. 203, 208 f. 94) Teilweise wird das Verbot der Einflussnahme in der Literatur mit der Begründung, dass sachwidrige Einflussnahme durch Gesellschafter häufiger sei als durch Organe, auch auf Gesellschafter ausgedehnt, so Klöhn, NZG 2013, 81, 85. 95) Pleister in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 5 Rz. 15; Haas in: FS Kübler, 2015, S. 203, 209. 96) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 63. 97) Hofmann, NZI 2010, 798, 804 f.

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der Verfahrensrechte des Schuldners – bleibt es bei der gesellschaftsrechtlichen Aufgabenverteilung.98) 29 Auch hier ist jeder Einzelfall zu prüfen, denn gerade in der Phase der Sanierung bedarf es häufig der Einbeziehung der Gesellschaftsorgane, da diese maßgeblich auf den weiteren Verlauf der Sanierung Einfluss nehmen können (zu den Kooperationspflichten der Gesellschaftsorgane siehe Rz. 48, 64 ff.).99) Es ist daher nicht notwendig, den Gesellschaftsorganen zusätzlich die Befugnis zur Abberufung oder zum Austausch von Vorstandsmitgliedern bzw. Geschäftsführern zu nehmen, da Wechsel in der Geschäftsleitung während des Verfahrens mitunter sinnvoll oder erforderlich sind.100) Um Rechtsmissbrauch vorzubeugen, hat der Sachwalter bei Abberufung und Neubestellung von Mitgliedern jeweils seine Zustimmung zu erteilen. Die Zustimmung darf nur dann verweigert werden, wenn Nachteile für die Gläubiger zu befürchten sind, § 276a Abs. 1 Satz 3 InsO. IV.

Koordinierung der Verfahren über mehrere Konzerngesellschaften

1.

Zuständigkeitskonzentration am Gruppen-Gerichtsstand

30 Basis für die Koordination von Konzerninsolvenzen ist der in den §§ 3a ff. InsO normierte Gruppen-Gerichtsstand. § 3a InsO enthält Gerichtsstandsregelungen, die es ermöglichen, die Insolvenzverfahren über das Vermögen von Unternehmen einer Unternehmensgruppe i. S. des § 3e InsO an demselben Insolvenzgericht zu führen,101) um damit eine zentralisierte und einheitliche Bearbeitung aller betroffenen Insolvenzverfahren zu bewirken. Dieser Gerichtsstand zur Verfahrenskonzentration gilt zusätzlich zu dem auch weiter für alle Schuldner bestehenden allgemeinen Gerichtsstand des § 3 Abs. 1 InsO. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Wahlmöglichkeit allen Fällen, d. h. auch solchen, in denen ein besonderer Koordinierungsbedarf nicht gegeben ist, gerecht werden.102) 31 Der Gruppen-Gerichtsstand kann bei dem Insolvenzgericht begründet werden, bei dem aus dem Kreis der gruppenangehörigen Schuldner der erste zulässige Insolvenzantrag gestellt wird, wobei der antragstellende Schuldner nicht von untergeordneter Bedeutung sein darf. Diese Vorgabe soll sich nach den Umständen des Einzelfalles bemessen.103) Die nicht abschließende Aufzählung in § 3a Abs. 1 Satz 2 InsO bietet diesbezüglich eine Orientierungshilfe, d. h. der Schuldner ist dann nicht von untergeordneter Bedeutung, wenn die Zahl der von ihm im Jahresdurchschnitt beschäftigten Arbeitnehmer nicht unter 15 % liegt und entweder die Bilanzsumme mehr als 15 % der zusammengefassten Bilanzsummen der Unternehmensgruppe betrug oder die Umsatzerlöse des Schuldners mehr als 15 % der zusammengefassten Umsatzerlöse betrugen. Wird der Antrag von mehreren Schuldnern gestellt oder ist unklar, welcher Antrag zuerst gestellt wurde, ist nur derjenige zulässig, der von dem Schuldner gestellt wurde, bei dem die meisten Arbeitnehmer beschäftigt sind, § 3a Abs. 1 Satz 3 InsO. Für den Gruppen-Gerichtsstand ist somit die wirtschaftliche Bedeutung der einzelnen gruppenangehörigen Schuldner maßgebend.104) Die inhaltlichen Anforderun-

___________ Haas in: FS Kübler, 2015, S. 203, 209. Vgl. auch Hofmann, NZI 2010, 798, 804 f. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 63 f.; Haas in: FS Kübler, 2015, S. 203, 209 ff. Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BT-Drucks. 18/407, S. 26 ff. 102) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BT-Drucks. 18/407, S. 20. 103) v. Wilcken in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 57. 104) Mock, DB 2017, 951, 952; Mückl/Götte, ZInsO 2017, 623, 624.

98) 99) 100) 101)

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gen an den Antrag zur Begründung eines Gruppen-Gerichtsstands bestimmt § 13a Abs. 1 InsO.105) Gemäß § 3a Abs. 2 InsO dürfen keine Zweifel am gemeinsamen Interesse der Gläubiger 32 an einer Verfahrenskonzentration bestehen. Maßgeblich sind hier die Interessen der jeweiligen Gläubiger der gruppenzugehörigen Unternehmen,106) da die Rechte der Gläubiger eines bestimmten Rechtsträgers nicht durch Mischung der Insolvenzmassen oder Wertverschiebungen beeinträchtigt werden dürfen.107) Wird von einer Konzerngesellschaft bei einem anderen Gericht als dem des Gruppen- 33 Gerichtsstands die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt, regelt § 3d Abs. 1 Satz 1 InsO, dass das angerufene Gericht das Verfahren an das Gericht des Gruppen-Gerichtsstands verweisen kann. Das verweisende Gericht muss prüfen, ob die Verweisung im Interesse der Gläubiger ist, wobei der Verfahrensstand zu berücksichtigen ist.108) Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Antragsrecht hinsichtlich des Gruppen- 34 Gerichtsstands auf den Insolvenzverwalter, § 3a Abs. 3 InsO, bzw. den eigenverwaltenden Schuldner, § 3a Abs. 3 i. V. m. § 270d Satz 2 InsO, über. Dem Sachwalter steht kein Antragsrecht zu, da dieser lediglich die Aufgabe hat, die Geschäftsführung des Schuldners zu überwachen. Ebenso wenig steht der Antrag des Schuldners auf Begründung eines GruppenGerichtsstands unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Sachwalters.109) Für die Gruppen-Folgeverfahren ist dann auch derselbe Insolvenzrichter zuständig, § 3c 35 InsO, um unnötige Verzögerungen zu vermeiden.110) 2.

Bestellung eines Insolvenzverwalters/Sachwalters für alle gruppenangehörigen Schuldner

Sind Insolvenzverfahren über gruppenangehörige Unternehmen bei mehreren Insolvenz- 36 gerichten anhängig, regelt § 56b Abs. 1 InsO i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO die Pflicht zur Abstimmung der Insolvenzgerichte über die Einsetzung eines (vorläufigen) Insolvenzverwalters, wenn dies im Interesse der Gläubiger liegt. Die Insolvenzgerichte haben insbesondere zu erörtern, ob die ausgewählte Person ihr Amt in allen Verfahren über die gruppenangehörigen Schuldner mit der notwendigen Unabhängigkeit ausüben kann und ob sich ergebende Interessenkonflikte durch Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters gelöst werden können, § 56b Abs. 1 Satz 2 InsO. Eine genauere Definition der Anforderungen an die Person des Gruppen-Insolvenzverwalters enthält § 56b InsO nicht. Ist allerdings ein GruppenGerichtsstand etabliert, folgt daraus in aller Regel die Notwendigkeit eines einheitlichen Insolvenzverwalters. Es ist zu erwarten, dass sich dessen Arbeitsaufwand und demzufolge die Vergütung reduzieren, was sich in einer Quotenerhöhung für die Gläubiger niederschlägt.111) Ist in einem Verfahren über einen gruppenangehörigen Schuldner ein vorläufiger Gläubiger- 37 ausschuss bestellt, sind die Gläubiger dieses Schuldners gemäß § 56a InsO, der in den einzelnen Verfahren gilt, an der Verwalterbestellung zu beteiligen. Die Vorschrift wird durch § 56b Abs. 2 InsO modifiziert. So sieht § 56b Abs. 2 InsO vor, dass das Gericht von dem ___________ Ausführlich Holzer in: KPB, InsO, § 13a Rz. 5 ff. Brünkmans, ZIP 2013, 193; Grell/Splittgerber, DB 2017, 1497, 1500. Pleister/Sturm, ZIP 2017, 2329, 2331 f. Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BT-Drucks. 18/407, S. 20. Wimmer in: Wimmer, FK-InsO, § 270d Rz. 7 ff. Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BT-Drucks. 18/407, S. 27 f.; so angeregt von Vallender, Der Konzern 2013, 162, 166. 111) Mock, DB 2017, 951, 952.

105) 106) 107) 108) 109) 110)

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Vorschlag des eingesetzten vorläufigen Gläubigerausschusses abweichen kann, wenn der vorläufige Gläubigerausschuss eines anderen gruppenangehörigen Schuldners einstimmig eine geeignete andere Person als Verwalter bestimmt. Die in § 56a InsO vorgeschriebene Beteiligung der Gläubiger wird dadurch nur insoweit eingeschränkt, als es in Bezug auf die Konzernbindung notwendig ist.112) 38 Aus der Anwendung der allgemeinen Bestimmungen ergibt sich auch die Zulässigkeit der Bestellung eines einheitlichen Sachwalters in den Fällen, in denen bei mehreren Unternehmen die Eigenverwaltung angeordnet wird, denn gemäß § 274 i. V. m. § 56b InsO haben sich die Gerichte auch über diese Frage abzustimmen.113) Die einheitliche Sachwalterbestellung114) empfiehlt sich vor allem bei der Eigenverwaltung in der GmbH & Co. KG, auch wenn diese nicht dem klassischen Konzern entspricht. Ferner ist die einheitliche Sachwalterbestellung geboten, wenn alle Eigenverwaltungsverfahren einer Konzerninsolvenz an demselben Gericht anhängig sind.115) 3.

Koordination und Kooperation i. R. der Eigenverwaltung gemäß § 270g InsO

39 Auch ohne Verfahrensparallelität ist die Zusammenarbeit von Schuldner, Gläubigern und Sachwalter(n) für ein erfolgreiches Eigenverwaltungsverfahren unbedingt notwendig,116) zumal die Eigenverwaltung Ansätze für Koordinierung und Kooperation bereits in sich trägt.117) 40 Bei einer beabsichtigten Sanierung, die der Schuldner im Vorfeld sorgsam vorbereitet hat, ist von einer Kooperationsbereitschaft auszugehen, wenn das tragfähige Sanierungskonzept auf Zustimmung der Gläubiger aller Konzernglieder stößt.118) 41 Der Nutzen der Verfahrenskoordination besteht in der Möglichkeit, die Haftungsmasse aller beteiligten Konzerngesellschaften zu steigern, da in einem koordinierten Verfahren u. a. Verwertungsentscheidungen an diesem Ziel ausgerichtet und optimiert werden können.119) Durch die Verfahrenskoordination darf sich die Haftungsmasse in keiner der beteiligten Gesellschaften vermindern und muss sich bei mindestens einer Konzerngesellschaft erhöht haben (sog. Pareto-Prinzip).120) 42 Um aufeinander abgestimmte Verfahren zu erreichen, bedarf es – wenn die Begründung eines Gruppen-Gerichtsstands nicht möglich oder sinnvoll ist und nicht derselbe Insolvenzverwalter/Sachwalter eingesetzt wird – der Zusammenarbeit der Insolvenzverwalter und im Fall der Eigenverwaltung aller Beteiligten, d. h. der Gläubiger, des Schuldners und seiner Gesellschafter sowie der Sachwalter und der Insolvenzgerichte. Das Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung der Konzerninsolvenzen regelt in einem nach § 269 InsO eingefügten Siebten Teil Vorschriften über die Koordinierung der Verfahren von Schuldnern, die derselben Unternehmensgruppe angehören. Die Zusammenarbeit soll auf drei Ebenen statt___________ 112) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 56b InsO, BT-Drucks. 18/407, S. 31. 113) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 270d InsO, BT-Drucks. 18/407, S. 41. 114) Gummert in: Münch-Hdb. GesR, Bd. 2, § 55 Rz. 3. 115) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 270d InsO, BT-Drucks. 18/407, S. 41. 116) Huhn, Eigenverwaltung, Rz. 649. 117) Hortig, Kooperation von Insolvenzverwaltern, S. 102. 118) Brünkmans, Die Koordinierung von Insolvenzverfahren konzernverbundener Unternehmen, S. 281. 119) Eidenmüller, ZHR 169 (2005) 528, 533. 120) Wimmer in: Wimmer, FK-InsO, § 269a Rz. 17; Eidenmüller, ZHR 169 (2005) 528, 551; dazu bereits Kübler, ZGR 1984, 560, 589.

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finden: Die Insolvenzverwalter, die Insolvenzgerichte und die (vorläufigen) Gläubigerausschüsse sollen miteinander weitgehend kooperieren. Darüber hinaus wird die Möglichkeit eines Koordinationsverfahrens mit einem Verfahrenskoordinator eingeräumt, §§ 269d ff. InsO.121) Bleibt der Schuldner in allen Verfahren verfügungsbefugt, wird vermieden, dass in den 43 parallelen Verfahren unterschiedliche Abwicklungsstrategien durchgesetzt werden und es zu unnötigen Verfahrensverzögerungen zulasten der Gläubiger kommt.122) Mit der Eigenverwaltung und der Aufrechterhaltung der Verwaltungs- und Verfügungsmacht des Schuldners geht auch ein nicht zu vernachlässigender psychologischer Aspekt für die Gläubiger und Lieferanten einher. Daraus ergeben sich u. U. bessere Sanierungs- und Verwertungschancen und die Möglichkeit, die Insolvenzmasse zu erhöhen. 3.1

Zusammenarbeit der Insolvenzverwalter/Sachwalter

Die Einführung von Kooperationspflichten folgt aus Erfahrungen in internationalen In- 44 solvenzverfahren123) und aufgrund des Einflusses der EuInsVO.124) Hier wird vor allem die Verpflichtung zur Zusammenarbeit der Verwalter im Verhältnis zwischen Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren geregelt. Auch auf europäischer Ebene hat man erkannt, dass es zur besseren Bewältigung von Konzerninsolvenzen weiterer Regelungen bedarf, und diese in die EuInsVO aufgenommen.125) Der Ansatz, Verträge oder Vereinbarungen zwischen den Verfahrensbeteiligten zu schließen bzw. im Fall der Eigenverwaltung solche Vereinbarungen zu überwachen, bringt zahlreiche Vorteile und war bislang mangels entsprechender gesetzlicher Regelungen nicht erzwingbar. Eine Kooperationspflicht der Insolvenzverwalter in Parallelverfahren konnte bisher in Be- 45 tracht kommen, wenn die Gläubiger im Insolvenzplan eine solche Verpflichtung der Insolvenzverwalter bzw. Sachwalter der einzelnen Verfahren festgelegt hatten. Die Kooperation im Wege gesellschaftsrechtlicher Einflussnahme wird grundsätzlich abgelehnt, da Insolvenzverwalter unabhängig sind. Etwas anderes kann sich ergeben, wenn im Parallelverfahren die Eigenverwaltung angeordnet worden ist und die ursprüngliche Organzuständigkeit bestehen bleibt (siehe dazu Rz. 20, 22, 55 ff.).126) Die Pflicht zur Zusammenarbeit gilt unabhängig von der Einleitung eines Koordinations- 46 verfahrens gemäß §§ 269d ff. InsO. Die Regelungen in § 269f und § 269h InsO bieten eine Orientierung dafür, welchen Inhalt die Zusammenarbeit der Verwalter unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten haben kann.127) Die Kooperationspflicht besteht nur in dem Umfang, wie Interessen der Beteiligten im „eigenen“ Verfahren nicht betroffen sind,128) d. h. der Verwalter ist nicht vorrangig dem Gesamtgläubigerinteresse, sondern ___________ 121) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BT-Drucks. 18/407, S. 35; das Modell des Verfahrenskoordinators wurde auch in die Neuregelungen der EuInsVO aufgenommen (Art. 71 ff.). 122) Hortig, Kooperation von Insolvenzverwaltern, S. 103. 123) Wimmer in: Wimmer, FK-InsO, § 269a Rz. 4. 124) Wimmer in: Wimmer, FK-InsO, § 269a Rz. 4; Fendel in: Braun, InsO, § 269a Rz. 2. 125) Art. 56 (Zusammenarbeit und Kommunikation der Verwalter) der Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.5.2015 über Insolvenzverfahren (EuInsVO), Neufassung, ABl. (EU) L 141/19 v. 5.6.2015; s. dazu nachfolgend Kübler, HRI II, § 17 Rz. 31 ff. 126) Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 232. 127) Kübler in: FS Vallender, 2015, S. 291, 295. 128) Pleister/Sturm, ZIP 2017, 2329, 2331; ausführlich zu den Grenzen der Kooperationspflicht Kübler in: FS Vallender, 2015, S. 291, 297.

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seinem Verfahren dergestalt verpflichtet, dass der Bezug zu den anderen gruppenangehörigen Verfahren zum Vorteil für die eigene Masse hergestellt wird.129) 47 Die Kooperationspflicht ist eine echte Rechtspflicht der Einzelverwalter,130) auch wenn die Formulierung in § 269a InsO sehr allgemein gehalten ist. Da die Fallgestaltungen vielfältig sind, ist es indessen kaum möglich, vorab konkrete Kooperationspflichten abschließend gesetzlich zu regeln.131) § 269a InsO verpflichtet die Verwalter der gruppenangehörigen Schuldner zur Unterrichtung und Zusammenarbeit und zur unverzüglichen Mitteilung der Informationen, die für das andere Verfahren von Bedeutung sein können. Die Unterrichtung und die Mitteilung von Informationen stellen dabei nur einen Unterfall der Zusammenarbeit dar.132) So kann es darüber hinaus um die Mitwirkung bei der Herausgabe von Dokumenten, der Mitteilung wichtiger Termine, der Vornahme bestimmter Verwertungshandlungen, um die Vorlage und die Abstimmung über den Inhalt eines Insolvenzplans oder um verfahrensleitende Maßnahmen gehen.133) 48 In der Eigenverwaltung trifft den Schuldner, d. h. seine handelnden Organe,134) die Kooperationsobliegenheit, § 270g Satz 1 InsO. Das bedeutet, dass die Organe des eigenverwaltenden Schuldners mit den anderen beteiligten Verwaltern, Sachwaltern und ggf. weiteren eigenverwaltenden Schuldnern zusammenarbeiten müssen.135) Gegebenenfalls umfasst dies auch die Pflicht zum Abschluss eines Kooperationsvertrages („Protocol“) gemäß §§ 270g Satz 1, 269h Abs. 2 Nr. 3 InsO im Einvernehmen mit dem Sachwalter und unter Zustimmung des Gläubigerausschusses.136) Ob die Geschäftsführung einer insolventen Gesellschaft in der Lage ist, den Pflichten i. S. des § 269a InsO zu entsprechen, wird die Praxis zeigen. Zuweilen wird bislang so vorgegangen, dass der Sachwalter einen Kooperationsrahmen vorgibt.137) 49 § 270g Satz 1 InsO regelt die Kooperationspflichten der (vorläufigen) Sachwalter.138) Hinsichtlich der speziell dem Sachwalter obliegenden Aufgaben sind diese untereinander zur Unterrichtung und Zusammenarbeit verpflichtet.139) Dem eigenverwaltenden Schuldner stehen gemäß § 270g Satz 2 InsO die Antragsrechte nach den §§ 3a Abs. 1, 3d Abs. 2 InsO und § 269d Abs. 2 Satz 2 InsO zu.140) 3.2

Zusammenarbeit der Insolvenzgerichte

50 Auch die Zusammenarbeit der Insolvenzgerichte – über die in § 56b InsO geregelte Abstimmung bei der Insolvenzverwalter-/Sachwalterbestellung hinaus – ist für die effektive Koordinierung von Insolvenzverfahren gruppenangehöriger Unternehmen unverzichtbar,

___________ Wimmer in: Wimmer, FK-InsO, § 269a Rz. 18 f.; Thole in: KPB, InsO, § 269a Rz. 3. Ausführlich Kübler in: FS Vallender, 2015, S. 291. Kübler in: FS Vallender, 2015, S. 291, 294. Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BT-Drucks. 18/407, S. 32. Ausführlich Kübler in: FS Vallender, 2015, S. 291, 298 f. Wimmer in: Wimmer, FK-InsO, § 269a Rz. 22; Thole, KTS 2014, 351, 370. Wimmer in: Wimmer, FK-InsO, § 270d Rz. 2; Thole in: KPB, InsO, § 269a Rz. 14 f. Eidenmüller, ZHR 169 (2005) 528, 542. Wimmer in: Wimmer, FK-InsO, § 269a Rz. 22. Dazu Pleister/Sturm, ZIP 2017, 2329, 2335. Pleister/Sturm, ZIP 2017, 2329, 2335; Flöther in: FS Kübler, 2015, S. 147, 156; vermittelnde Auffassung Thole in: KPB, InsO, § 269a Rz. 16; abl. Fendel in: Braun, InsO, § 269a Rz. 14. 140) Holzer in: KPB, InsO, § 270g Rz. 3. 129) 130) 131) 132) 133) 134) 135) 136) 137) 138) 139)

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sofern kein Gruppen-Gerichtsstand begründet wurde,141) § 269b InsO. Die Koordinierung der einzelnen Verfahren soll Entscheidungen der Insolvenzgerichte verhindern, die eine Entscheidung eines anderen Gerichts beeinträchtigen, und die Verbesserung des Gesamtergebnisses der Verfahrensabwicklung fördern.142) Die Vorschrift sieht insbesondere den Austausch von Informationen im Hinblick auf angeordnete Sicherungsmaßnahmen, Verfahrenseröffnung, Bestellung des Insolvenzverwalters, wesentliche verfahrensleitende Entscheidungen, den Umfang der Insolvenzmasse, die Vorlage von Insolvenzplänen und sonstige Maßnahmen zur Beendigung des Insolvenzverfahrens vor. Angesichts der Vielfalt möglicher Verfahrenskonstellationen und relevanter Informationen hat der Gesetzgeber auch hier keine abschließenden Vorgaben gemacht.143) Umfang und Ausgestaltung der Zusammenarbeit der Insolvenzgerichte hängen vom konkreten Verfahren ab.144) So kommen i. R. der Kooperationspflichten der Insolvenzgerichte ebenso Informationspflichten bei angeordneter Eigenverwaltung in Betracht, auch wenn ein solcher Verweis in § 270d InsO fehlt, da die konzerninsolvenzrechtlichen Instrumentarien auch dann Anwendung finden, wenn in Bezug auf einen oder mehrere gruppenangehörige Schuldner eine Eigenverwaltung angeordnet worden ist.145) 3.3

Koordinationsverfahren

Das Koordinationsverfahren wird auf Antrag eines jeden gruppenangehörigen Schuldners 51 bzw. eines (starken vorläufigen) Insolvenzverwalters oder eines einstimmig handelnden (vorläufigen) Gläubigerausschusses von dem Koordinationsgericht, dem Gericht, das gemäß § 3a InsO für Gruppen-Folgeverfahren zuständig ist, eingeleitet, § 269d Abs. 1 InsO. Es bedarf daher zunächst der Beantragung eines Gruppen-Gerichtsstands, doch können beide Anträge gleichzeitig gestellt werden.146) Antragsberechtigt sind die Organe der gruppenangehörigen Schuldner, sofern über deren Vermögen noch kein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Anderenfalls tritt der (starke vorläufige) Insolvenzverwalter sowie der jeweils eingesetzte (vorläufige) Gläubigerausschuss auf Grundlage eines einstimmigen Beschlusses an die Stelle des Organs des jeweiligen Unternehmens. Dem eigenverwaltenden Schuldner steht nach Verfahrenseröffnung das Antragsrecht zu, § 270d Satz 2 InsO. Der Antrag auf Einleitung eines Koordinationsverfahrens unterliegt zwar keinen besonderen Anforderungen, doch wird das zuständige Insolvenzgericht ein Koordinationsverfahren nur dann einleiten, wenn ein solches für die einzelnen Insolvenzverfahren und die Gläubiger vorteilhaft ist, § 269d i. V. m. § 3a Abs. 2 InsO. Die Entscheidung hierüber liegt im Ermessen des Gerichts. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll kein Koordinationsverfahren angeordnet werden, wenn keine Vorteile zu erwarten sind, die in einem angemessenen Verhältnis zu den zusätzlichen Kosten stehen würden.147) Weitere Erläuterungen dazu enthält die Gesetzesbegründung nicht, sodass diese Voraussetzung u. a. im Wege des Richterrechts zu entwickeln sein wird. ___________ 141) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 269b InsO, BT-Drucks. 18/407, S. 33; auf europäischer Ebene regelt Art. 57 EuInsVO die Zusammenarbeit und Kommunikation der Gerichte, s. hierzu nachfolgend Kübler, HRI II, § 17 Rz. 31 ff. 142) Thole in: KPB, InsO, § 269b Rz. 3. 143) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 269b InsO, BT-Drucks. 18/407, S. 33; Wimmer in: Wimmer, FK-InsO, § 269b Rz. 4 a. E. 144) Thole in: KPB, InsO, § 269b Rz. 17. 145) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 270d InsO, BT-Drucks. 18/407, S. 41. 146) So Mock, DB 2017, 951, 955. 147) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 269d InsO, BT-Drucks. 18/407, S. 35.

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§ 16

1. Teil Eigenverwaltung – Konzern

52 Im Zentrum des Koordinationsverfahrens steht der Verfahrenskoordinator, den gemäß § 269e Abs. 1 Satz 1 das Koordinationsgericht bestellt. Der Verfahrenskoordinator muss eine von den gruppenangehörigen Schuldnern und von den Gläubigern unabhängige Person sein, § 269e Abs. 1 Satz 1 InsO. Dieses Erfordernis ergibt sich aus den allgemeinen Grundsätzen der Insolvenzverwalterbestellung, § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO. Darüber hinaus soll der Verfahrenskoordinator auch nicht aus dem Kreis der Insolvenz- und Sachwalter der gruppenangehörigen Schuldner stammen, § 269e Abs. 1 Satz 2 InsO. Daraus folgt, dass das Koordinationsverfahren auch für Konzerngesellschaften in Eigenverwaltung gilt. Vor seiner Bestellung muss der Gruppen-Gläubigerausschuss die Möglichkeit erhalten, sich zur Person des Verfahrenskoordinators zu äußern und zu den an ihn zu stellenden Anforderungen Stellung zu nehmen, § 269e Abs. 2 InsO. In Anlehnung an § 56a Abs. 2 InsO ist das Koordinationsgericht grundsätzlich an einen einstimmigen Vorschlag des Gruppen-Gläubigerausschusses gebunden.148) 53 Der Verfahrenskoordinator fungiert als zentrale Verfahrensperson und ist für eine abgestimmte Verfahrensabwicklung im Interesse der Gläubiger verantwortlich, § 269f Abs. 1 Satz 1 InsO. In Erfüllung dieses Amtes hat er die Aufgabe, Empfehlungen für eine abgestimmte Insolvenzabwicklung zu erarbeiten, und kann insbesondere einen Koordinationsplan vorlegen, § 269f Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 269h Abs. 1 Satz 1 InsO, dem jedoch keine rechtsgestaltende Funktion mit Auswirkungen auf die materielle Rechtslage zukommt und der allenfalls Empfehlungen für ggf. zu erstellende Insolvenzpläne oder das weitere Vorgehen in der Eigenverwaltung enthält. Für dieses Amt sind dementsprechend vor allem Personen geeignet, die nachweislich über insolvenzrechtliche und betriebswirtschaftliche Expertise verfügen. Ist kein Verfahrenskoordinator bestellt, können auch die Insolvenzverwalter der gruppenangehörigen Schuldner gemeinsam dem Gericht den Koordinationsplan vorlegen, § 269h Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 InsO. 54 Neben der Vorbereitung eines Koordinationsplans, § 269h InsO, kommen weitere Koordinationsmaßnahmen, die einer abgestimmten Verfahrensabwicklung förderlich sind, in Betracht. So kann der Verfahrenskoordinator ein Gremium bilden, in dem Probleme, die sich in allen Verfahren stellen – bspw. hinsichtlich der Bewertung und Behandlung von konzerninternen Transaktionen und Forderungssalden –, erörtert und einer einheitlichen Lösung zugeführt werden.149) Um die Kompetenzen des Verfahrenskoordinators zu sichern, sind die Insolvenzverwalter verpflichtet, mit diesem zusammenzuarbeiten und ihm insbesondere die für seine Tätigkeit maßgeblichen Informationen zu erteilen, § 269f Abs. 2 InsO. Ob auch die Sachwalter und/oder den eigenverwaltenden Schuldner diese Pflicht trifft, ist nicht ausdrücklich geregelt, wird aber aus der Anwendung der allgemeinen Vorschriften hergeleitet werden können, § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO.150) Da ein Koordinationsverfahren zusätzlichen Abstimmungsaufwand erfordert, wird die Praxis zeigen, inwieweit es der Stärkung der Eigenverwaltung zuträglich ist.151) In Konzernstrukturen bedarf es erfahrungsgemäß vor allem einer Kombination aus Konzerngerichtsstand mit der Anordnung der Eigenverwaltung und dem Insolvenzplanverfahren, um eine Sanierung erfolgreich zu realisieren.152) ___________ 148) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 269e InsO, BT-Drucks. 18/407, S. 36; so auch Pleister/Sturm, ZIP 2017, 2329, 2336. 149) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 269e InsO, BT-Drucks. 18/407, S. 35. 150) Wimmer in: Wimmer, FK-InsO, § 270d Rz. 4; Thole in: KPB, InsO, § 269f Rz. 17. 151) Krit. Stahlschmidt/Bartelheimer, ZInsO 2017, 1010, 1016; ebenso Frind, ZInsO 2014, 927, 936 f., der den Koordinationsverwalter als zusätzliche, kostenträchtige Belastung der Massen einschätzt; Madaus, ZRP 2014, 192, 194 ff. 152) Leithaus/Schäfer, KSzW 2012, 272, 277; Schneider/Höpfner, BB 2012, 87, 88.

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§ 16

Eigenverwaltung im nationalen Konzern 3.4

Verfahrenskoordination durch Aufrechterhaltung der Konzernleitungsmacht

Bei angeordneter Eigenverwaltung bleibt der Schuldner prinzipiell verwaltungs- und ver- 55 fügungsbefugt, § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO. Ist er eine Kapitalgesellschaft, handelt er durch seine Organe. Zu den Pflichten der Geschäftsleitung im Allgemeinen gehören insbesondere die ständige Kontrolle der Umsetzbarkeit des Sanierungsziels, die Liquiditätsplanung, das Controlling, die Ertragsplanung sowie die Geltendmachung von Ansprüchen, die nicht dem Sachwalter zugewiesen sind (siehe zu den Aufgaben des Schuldners bei Anordnung der Eigenverwaltung Bierbach, HRI II, § 8 Rz. 13 ff. Die gesellschaftsrechtlichen Geschäftsleiterpflichten nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG, § 43 56 Abs. 1 GmbHG werden durch die insolvenzrechtliche Verpflichtung zur Maximierung der vorhandenen Haftungsmasse beeinflusst. Das bedeutet, dass den Geschäftsleiter einer eigenverwalteten Konzerngesellschaft dieselben Koordinationspflichten treffen wie den Insolvenzverwalter bei Fremdverwaltung. Es bestehen zum einen Informations- und Konsultationspflichten und zum anderen Pflichten bezüglich der Vertragsbeziehungen zwischen den Konzerngesellschaften, der Vorlage entsprechender Insolvenzpläne oder des Abschlusses von Kooperationsverträgen.153) Der Kooperationsvertrag ist im Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen nicht ausdrücklich geregelt. Aus § 269h Abs. 2 Nr. 3 InsO ergibt sich jedoch, dass solche Verträge möglich und zulässig sind.154) Bei der Vorlage des Insolvenzplans werden §§ 157, 218 InsO durch § 284 InsO ergänzt. Zum Abschluss eines Kooperationsvertrages ist im Fall der Eigenverwaltung,155) wie sich aus § 270d InsO ergibt, nur der Schuldner befugt (siehe Rz. 48). Die Aufrechterhaltung der Konzernleitungsmacht ist für ein sanierungsfreundliches Kon- 57 zerninsolvenzrecht wichtig (siehe Rz. 23 ff.).156) Zumindest sollten Leitungsmacht und die damit einhergehenden Eingriffsmöglichkeiten in die Geschäftsführung der Tochtergesellschaften faktisch bestehen bleiben,157) um die Verfahrenskoordination zu unterstützen.158) Die faktische Beherrschungsmöglichkeit hat sich dann an § 1 Satz 1 InsO zu orientieren. Im Rahmen der Eigenverwaltung kann dies zur Erzielung eines Mehrwerts für die Masse(n) führen.159) Die Aufrechterhaltung der Leitungsmacht bei der Eigenverwaltung in der GmbH & Co. KG 58 ist dagegen nicht ohne weiteres möglich, da die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Komplementär-GmbH – sofern nicht etwas Abweichendes vertraglich bestimmt wurde – nach § 131 Abs. 3 Nr. 2 HGB (ab dem 1.1.2024: § 130 Abs. 3 HGB n. F.) zu ihrem Ausscheiden aus der Gesellschaft führt.160) Die bisherigen oder ggf. neu eingesetzten Geschäftsführer können folglich keinen weiteren Einfluss auf das Eigenverwaltungsverfahren der KG nehmen, was zu unbefriedigenden Ergebnissen führt. Daher wird in der Literatur angeregt, § 131 Abs. 3 Nr. 2 HGB (ab dem 1.1.2024: § 130 Abs. 3 HGB n. F.) ___________ 153) Eidenmüller, ZHR 169 (2005) 528, 554. 154) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 269h InsO, BT-Drucks. 18/407, S. 40. 155) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 270d InsO, BT-Drucks. 18/407, S. 41. 156) Pleister/Theusinger in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 205; Pleister/Theusinger in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 483 ff. m. w. N., Rz. 501; ausführlich Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 314 ff. 157) Pleister/Theusinger in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 205. 158) Dazu Thole in: KPB, InsO, § 269a Rz. 14. 159) Pleister in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 205. 160) Vgl. ausführlich Liebs, ZIP 2002, 1716.

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1. Teil Eigenverwaltung – Konzern

im Fall der „Simultaninsolvenz“161) teleologisch zu reduzieren. Die Insolvenz der persönlich haftenden Gesellschafterin (Komplementär-GmbH) soll dann gerade nicht zu deren Ausscheiden aus der KG, insbesondere nicht zum Erlöschen einer zweigliedrigen GmbH & Co. KG führen, um eine koordinierte Verfahrensabwicklung zu ermöglichen.162) 3.5

Gläubiger

59 Da es im Insolvenzverfahren vorrangig um die Interessen der Gläubiger geht, stellen diese – auch für die Kooperation – eine wichtige Gruppe dar. Aufgrund der vielfältigen Einflussund Blockademöglichkeiten besitzen sie eine Schlüsselposition im Hinblick auf die Umsetzung oder das Fehlschlagen effizienter Koordinationsstrategien. Eine Pflichtenbindung rechtlich zu begründen, ist jedoch schwierig. 60 Die Vorschrift des § 276 InsO überträgt den Gläubigern durch die Verweisung auf § 160 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 161 Satz 2 und § 164 InsO ähnliche Rechte wie im Regelverfahren. Auch in der Eigenverwaltung sind Gläubigerversammlung und (vorläufiger) Gläubigerausschuss als Organe der Insolvenzgläubiger vorgesehen. Die Wandlung der Stellung vom Gläubiger zum Insolvenzgläubiger hat zur Folge, dass die Eigeninteressen nur als Gruppe verfolgt werden können und der Einzelne Rücksicht auf die Interessen der Mitgläubiger nehmen muss.163) Im Fall der Insolvenz kann die wechselseitige Einwirkungsmöglichkeit Grundlage für eine Treuepflicht sein, aus der sich die Pflicht zur Kooperation oder zum Unterlassen unkooperativen Verhaltens unter den Beteiligten ergibt.164) Mit der Anordnung der Eigenverwaltung und der Entscheidung, einen Insolvenzplan aufzustellen, kommen den Insolvenzgläubigern ein größeres Mitspracherecht und damit verbunden stärkere Einwirkungsmöglichkeiten zu. Daraus leitet sich auch eine Pflicht zur Kooperation ab.165) Sind es mehrere Konzerngesellschaften, so besteht die Treuepflicht zwischen den Gläubigern aller betroffenen Gesellschaften, da ein gemeinsames Interesse an der Abwicklung besteht.166) Diese Pflicht kommt insbesondere dann zum Tragen, wenn das als Insolvenzgläubiger auftretende Unternehmen besondere Kenntnisse über Konzerninterna hat.167) 61 Im Rahmen der Festschreibung von Kooperationspflichten regelt § 269c InsO, der über die allgemeinen Vorschriften auch bei Anordnung der Eigenverwaltung gilt, die Zusammenarbeit der (vorläufigen) Gläubigerausschüsse. Zur besseren Koordinierung kann auf Antrag eines in einem Insolvenzverfahren eines gruppenangehörigen Schuldners bestellten Gläubigerausschusses ein sog. Gruppen-Gläubigerausschuss etabliert werden, der die Interessen aller Gläubiger von Schuldnern der Unternehmensgruppe – z. B. bei der Bestellung des Verfahrenskoordinators, § 269e Abs. 2 InsO und bei der Zustimmung zum Koordinationsplan, § 269h Abs. 1 Satz 2 InsO – wahrnimmt. Das Antragsrecht steht dem Gläubigerausschuss als Organ zu und kann nicht von einem einzelnen Gläubigerausschussmitglied allein ausgeübt werden.168) Der Antrag kann bereits im Eröffnungsverfahren von einem vorläufigen Gläubigerausschuss gestellt werden, § 269c Abs. 1, 3 InsO. Vor der Einsetzung des GruppenGläubigerausschusses sind die anderen Gläubigerausschüsse anzuhören, § 269c Abs. 1 Satz 1 InsO. Die Entscheidung über die Einsetzung eines Gruppen-Gläubigerausschusses steht im Ermessen des Gerichts des Gruppen-Gerichtsstands. Die Einsetzung eines Gruppen-Gläu___________ 161) 162) 163) 164) 165) 166) 167) 168)

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K. Schmidt in: MünchKomm-HGB, § 131 Rz. 76, 76a. K. Schmidt in: MünchKomm-HGB, Anh. § 158 Rz. 67. Schulz, Treuepflichten unter Insolvenzgläubigern, Rz. 118. Schulz, Treuepflichten unter Insolvenzgläubigern, Rz. 290. Schulz, Treuepflichten unter Insolvenzgläubigern, Rz. 328. Eidenmüller, ZHR 169 (2005) 528, 555. Schulz, Treuepflichten unter Insolvenzgläubigern, Rz. 528. Kübler in: KPB, InsO, § 69 Rz. 16.

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Eigenverwaltung im nationalen Konzern

bigerausschusses von Amts wegen169) bzw. einen Pflicht(-Gruppen)-Gläubigerausschuss i. S. des § 22a Abs. 1 InsO sieht das Gesetz nicht vor.170) Auch wenn eine ausdrückliche Vorgabe zur Auswahl der Mitglieder des Gruppen-Gläubigerausschusses fehlt, ist davon auszugehen, dass jeweils eine Person aus den einzelnen Gläubigerausschüssen in den GruppenGläubigerausschuss entsandt wird.171) Gegen die Entscheidung des Gerichts über Einsetzung oder Nichteinsetzung des Gruppen-Gläubigerausschusses sowie die konkrete Besetzung gibt es kein Rechtsmittel.172) Ausweislich der Gesetzesbegründung statuiert § 269c InsO allerdings keine Pflicht der 62 Gläubiger oder Gläubigerorgane zur Zusammenarbeit. Der Gesetzgeber hat bewusst von einer Regelung der Frage, ob sich ggf. Kooperationspflichten der Gläubiger unterschiedlicher Konzerngesellschaften aus § 242 BGB oder gesellschaftsähnlicher Beziehung ableiten lassen, abgesehen und überlässt die Klärung dieser Frage weiterhin Rechtsprechung und Wissenschaft.173) Koordination kann nur verlangt werden, wenn sie den Gläubigern offensichtliche Vorteile 63 bringt. Für diesen Fall wird sich die Mehrheit der Gläubiger ohnehin entsprechend verhalten; falls nicht, weil ggf. noch höhere Sondervorteile174) zulasten der anderen Gläubiger erwartet werden, ist ein entgegenstehender Beschluss regelmäßig rechtsmissbräuchlich. Es geht z. B. um die Kooperationspflicht, den bestellten Insolvenzverwalter nicht abzuwählen, einem Kooperationsvertrag zuzustimmen oder eine angeordnete Eigenverwaltung nicht zu torpedieren.175) Das ESUG hat den Einfluss der Großgläubiger insoweit beschränkt, als es für die Bestimmung der Gläubigermehrheit nicht mehr allein auf die Summenmehrheit, sondern zusätzlich auf die Kopfmehrheit ankommt, § 272 Abs. 1 InsO.176) 3.6

Gesellschafter

Gesellschafter und Gesellschaftsorgane der gruppenangehörigen Schuldner werden in den 64 §§ 269a ff. InsO nicht ausdrücklich genannt. Doch auch die Gesellschafter der insolventen Konzerngesellschaften sind zur Kooperation und Koordination verpflichtet. Sofern auch die Gläubiger i. R. eines Sanierungsvorhabens Verzichte leisten oder andere mit rechtlichen und wirtschaftlichen Einbußen verbundene Maßnahmen hinnehmen müssen, wird eine entsprechende Mitwirkung der Gesellschafter erwartet.177) Ohne Frage kommt diesen insbesondere in Sanierungssituationen häufig eine wesentliche Rolle zu. Früher wirkten sich die gesetzlichen Regelungen zur Position der Gesellschafter eher ungünstig auf ein Sanierungsverfahren aus. Sie führten zu Blockaden, die die Sanierung verhinderten.178) Ein Gesamtsanie___________ 169) Hoffmann in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 80. 170) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BT-Drucks. 18/407, S. 34; Fendel in: Braun, InsO, § 269c Rz. 4. 171) Hoffmann in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 94; a. A. Fendel in: Braun, InsO, § 269c Rz. 10; Wimmer in: Wimmer, FK-InsO, § 269c Rz. 16, wonach nur die Gläubigerausschüsse von Unternehmen, die nicht lediglich offensichtlich von untergeordneter Bedeutung für die Unternehmensgruppe sind, beteiligt werden sollen. 172) Hoffmann in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 103. 173) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 269c InsO, BT-Drucks. 18/407, S. 22; Wimmer in: Wimmer, FK-InsO, § 269c Rz. 42. 174) Schulz, Treuepflichten unter Insolvenzgläubigern, Rz. 532, 576. 175) Gegen einen entsprechenden Beschluss der Gläubigerversammlung zur Aufhebung der Eigenverwaltung steht dem überstimmten Gläubiger kein Rechtsmittel zu: BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, ZIP 2011, 1622, m. Anm. Flöther/Gelbrich, ZIP 2011, 1624, dazu EWiR 2011, 651 (Bähr); Eidenmüller, ZHR 169 (2005) 528, 556. 176) S. a. BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, ZIP 2011, 1622. 177) Eidenmüller, ZHR 169 (2005) 528, 557. 178) Eidenmüller, NZI 2010, 545, 549; Brinkmann, WM 2011, 97.

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rungskonzept für den Konzern durch abgestimmte Insolvenzpläne konnte von den Gesellschaftern zu Fall gebracht werden, indem sie erforderliche Beiträge – etwa bestimmte Kapitalmaßnahmen oder die Übertragung von Anteilen auf den Investor – verweigerten. Das ESUG sieht zumindest für das Insolvenzplanverfahren durch die Einführung des § 225a InsO die Einbeziehung der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte, insbesondere durch die Möglichkeit, i. R. von Sanierungsmaßnahmen Forderungen der Gläubiger in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte am Schuldner umzuwandeln, vor (siehe Hölzle, HRI II, § 26 Rz. 62 ff.). Nach § 225a Abs. 3 InsO kann der Insolvenzplan jede gesellschaftsrechtlich zulässige Regelung treffen.179) Diese sanierungsfreundliche Regelung ermöglicht weitgehende Einschnitte in die Rechte der Anteilseigner.180) Ihr wird beim Schutzschirmverfahren in Eigenverwaltung allerdings vereinzelt Missbrauchspotenzial zugesprochen.181) Hiergegen ist einzuwenden, dass auch für die Anteilseigner das in § 245 InsO geregelte Obstruktionsverbot gilt. Als Planbetroffene steht ihnen das Recht zu, die Versagung der Planbestätigung zu beantragen (§ 251 InsO) und Rechtsmittel gegen die Bestätigung einzulegen (§ 253 InsO).182) 65 Die Frage, ob ein Gesellschafter zur Mitwirkung an der Sanierung verpflichtet ist, kann nur durch Würdigung der Einzelfallumstände beantwortet werden.183) Die gesellschaftsvertragliche Treuepflicht kann u. U. als Grundlage für Koordinationspflichten angesehen werden.184) Ihre Zielrichtung ist die Förderung der Gesellschaftsinteressen und des Gesellschaftszwecks. Der Gesellschaftszweck ändert sich mit Stellung des Insolvenzantrags/des Antrags auf Eigenverwaltung. Dem sollte auch die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht Rechnung tragen.185) Ihre Intensität folgt bei der Sanierung von Kapitalgesellschaften dem Maß der Einflussmöglichkeiten, die ein Gesellschafter besitzt.186) Insbesondere für die gebräuchlichste Form der personen- und beteiligungsgleichen GmbH & Co. KG, bei der die Gesellschafter der Komplementär-GmbH und die Kommanditisten der KG identisch sind und dieselben oder ähnliche Beteiligungsquoten in der GmbH und KG bestehen, gelten weiterreichende Treuepflichten der Gesellschafter bzw. Kommanditisten. Je stärker die persön___________ 179) Insbesondere auch Maßnahmen nach dem UmwG (Suhrkamp GmbH & Co. KG); so auch Lang/ Muschalle, NZI 2013, 953, 955. 180) Lang/Muschalle, NZI 2013, 953, 955; Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121; diff. Schäfer, ZIP 2013, 2237, 2242. 181) Ausführlich und diff. Brinkmann, ZIP 2014, 197; LG Frankfurt/M. v. 13.8.2013 – 3-09 O 78/13 (Suhrkamp GmbH & Co. KG), ZIP 2013, 1720, dazu EWiR 2013, 581 (v. Falkenhausen), wonach weder das Obstruktionsverbot des § 245 InsO noch die Regelungen über das Stimmrecht der Anteilseigner in § 238a InsO ausschließen, einem Anteilseigner-Gruppenmitglied, das seine gesellschaftsrechtliche Treuepflicht verletzt hat, die Abstimmung über den Insolvenzplan zu untersagen; a. A. OLG Frankfurt/M. v. 1.10.2013 – 5 U 145/13 (Suhrkamp GmbH & Co. KG), ZIP 2013, 2018, dazu EWiR 2013, 753 (Bähr/Schwartz), wonach dem Minderheitsgesellschafter einer insolventen KG das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, dem Mehrheitsgesellschafter im Wege der einstweiligen Verfügung ein bestimmtes Stimmverhalten in der Gläubigerversammlung des Insolvenzverfahrens zu untersagen. 182) OLG Frankfurt/M. v. 1.10.2013 – 5 U 145/13 (Suhrkamp GmbH & Co. KG), ZIP 2013, 2018, 2019. 183) Ausführlich Thole, ZIP 2013, 1937, 1938; keine Suspendierung der Treuepflicht im Insolvenzverfahren, wenn Mehrheit ihre Treubindung gegenüber der Minderheit verletzt: Schäfer, ZIP 2013, 2237, 2240, 2243; LG Frankfurt/M. v. 13.8.2013 – 3-09 O 78/13 (Suhrkamp GmbH & Co. KG), ZIP 2013, 1720, wonach die Fälligstellung eines Gewinnauszahlungsanspruchs und Begründung eines Antrags auf Einleitung eines Schutzschirmverfahrens mit diesem Anspruch in der Krise rechtsmissbräuchlich und treuwidrig ist, wenn der andere Gesellschafter diesbezüglich eine Rangrücktrittserklärung abgegeben hat. Der Auszahlung der Gewinnanteile an die Gesellschafter einer GmbH & Co. KG steht die gesellschaftsvertragliche Treuepflicht entgegen, wenn durch die Gewinnauszahlung die KG insolvent würde (vgl. OLG Bamberg v. 17.6.2005 – 6 U 56/04, ZIP 2006, 525 = NZG 2005, 808); a. A. OLG Frankfurt/M. v. 7.10.2013 – 5 U 135/13 (Suhrkamp GmbH & Co. KG), ZIP 2013, 2022; BGH v. 25.1.2011 – II ZR 122/09, ZIP 2011, 768, dazu EWiR 2011, 417, 418 (Binkowski). 184) Thole, ZIP 2013, 1937, 1939; BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94 (Girmes), ZIP 1995, 819, 827 ff., dazu EWiR 1995, 525 (Rittner). 185) Thole, ZIP 2013, 1937, 1943. 186) BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94 (Girmes), ZIP 1995, 819, 821; Bitter, ZGR 2010, 147, 166.

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Eigenverwaltung im nationalen Konzern

liche Bindung und je kleiner der Gesellschafterkreis ist, umso höher sind die Anforderungen an die Treuepflicht.187) Aus der Treuepflicht kann sich eine Zustimmungspflicht zu Sanierungsmaßnahmen im Verhältnis der Gesellschafter untereinander zumindest dann ergeben, wenn ein zum Ausscheiden gedrängter Gesellschafter infolge seiner Zustimmung nicht schlechterstünde als bei sofortiger Liquidation.188) Der BGH begründet das damit, dass es den sanierungs- und damit risikobereiten Gesellschaftern, die aktiv zur Sanierung beitragen, nicht zuzumuten sei, die Gesellschaft mit „Trittbettfahrern“ fortzuführen.189) Vielmehr ist dem Gesellschafter eine Zustimmung umso eher zumutbar, als sein Gesellschaftsanteil ohnehin entwertet ist.190) Allerdings bezieht sich diese Entscheidung auf die Treuepflicht der Gesellschafter untereinander. Eine Treuepflicht Dritten gegenüber lässt sich nicht ohne weiteres daraus ableiten,191) wäre aber naheliegend. Zu beachten ist dabei nicht zuletzt auch der Umstand, ob und, wenn ja, in welchem Umfang der betreffende Gesellschafter die Krise mit verschuldet hat, d. h. das Maß des Verschuldens entspricht dem Maß der Anstrengung zur Bewältigung der Krise.192) Bei Gesellschaftern verschiedener Konzerngesellschaften gibt es zwar keine gesellschafts- 66 vertragliche Treuepflicht, Kooperations- und Koordinationspflichten sind aber deshalb nicht ausgeschlossen. Was für die Gläubiger verschiedener Konzerngesellschaften gilt, sollte erst recht für die Gesellschafter gelten, insbesondere dann, wenn sich durch die Mitwirkung die eigene Position verbessert.193) 4.

Forderungsanmeldung194)

Konzerngesellschaften sind typischerweise durch vielfältige Leistungsbeziehungen vertikal 67 und horizontal miteinander verbunden. Daraus folgt eine Vielzahl von Ansprüchen und insolvenzspezifischen Forderungen nach Insolvenzeröffnung. Diese Forderungen sind gemäß § 174 i. V. m. § 270 Abs. 1 InsO beim Schuldner anzumelden. Der Sachwalter hat das Recht, die angemeldete Forderung zu bestreiten, § 283 Abs. 1 Satz 1 InsO. Vereinfachte Anmeldeverfahren bei Konzernsachverhalten können hilfreich sein.195) In den Vorschriften zur Konzerninsolvenz gibt es dazu keine Regelung; das liegt jedoch in der Konsequenz der Entscheidung für eine Verfahrenskoordination und gegen eine Konsolidierungslösung.196) Der Sachwalter hat hier konsequenterweise eine höhere Prüfungspflicht, da im Bereich der Konzerngesellschaften die Handhabung gegenseitiger Forderungen und Verbindlichkeiten ___________ 187) LG Frankfurt/M. v. 13.8.2013 – 3-09 O 78/13 (Suhrkamp GmbH & Co. KG), ZIP 2013, 1720, 1722; a. A. OLG Frankfurt/M. v. 7.10.2013 – 5 U 135/13 (Suhrkamp GmbH & Co. KG), ZIP 2013, 2022; Grunewald in: MünchKomm-HGB, § 161 Rz. 131; Schäfer, ZIP 2013, 2237, 2240. 188) BGH v. 9.6.2015 – II ZR 420/13, ZIP 2015, 1626, 1627, dazu EWiR 2015, 597 (Armbrüster); BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, ZIP 2009, 2289, 2291 f., dazu EWiR 2009, 739 (Armbrüster); in Abgrenzung dazu BGH v. 25.1.2011 – II ZR 122/09, ZIP 2011, 768, wonach ein Gesellschafter einer Personengesellschaft i. A. nicht verpflichtet ist, einer seine Gesellschafterstellung aufhebenden Änderung des Gesellschaftsvertrags zuzustimmen, wenn er zwar an den Sanierungsbemühungen nicht teilnehmen, aber in der Gesellschaft verbleiben will; zur Anwendbarkeit im Recht der GmbH Priester, ZIP 2010, 497, 499 ff.; zur Übertragbarkeit auf die AG Brand, KTS 2011, 481, 485 ff. 189) BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, ZIP 2009, 2289, 2292. 190) BGH v. 9.6.2015 – II ZR 420/13, ZIP 2015, 1626, 1628; Bitter, ZGR 2010, 147, 167 m. w. N. 191) Anders LG Frankfurt/M. v. 10.9.2013 – 3-09 O 96/13 (Suhrkamp GmbH & Co. KG), ZIP 2013, 1831, dazu EWiR 2013, 589 (Hölzle): Da bereits die Einleitung des Schutzschirmverfahrens treuwidrig gewesen ist, stelle auch die Abstimmung für einen Insolvenzplan eine Verletzung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht dar; dagegen: OLG Frankfurt/M. v. 1.10.2013 – 5 U 145/13 (Suhrkamp GmbH & Co. KG), ZIP 2013, 2018, 2020; so auch Thole, ZIP 2013, 1937, 1939 f.; Brinkmann, WM 2011, 97, 99. 192) Eidenmüller, ZHR 169 (2005) 528, 558. 193) Eidenmüller, ZHR 169 (2005) 524, 558. 194) Zur Forderungsanmeldung bei Eigenverwaltung i. E. s. Hofmann, HRI II, § 12 Rz. 3 ff. 195) Hirte, ZIP 2008, 444; Rennert-Bergenthal, ZInsO 2008, 1316, 1319 f. 196) Lienau, Der Konzern 2013, 157, 159.

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1. Teil Eigenverwaltung – Konzern

nicht immer den rechtlichen Voraussetzungen entspricht. Ist nur ein Sachwalter für alle Konzerngesellschaften eingesetzt, kann es zu Interessenkollisionen bei der Forderungsprüfung und -anerkennung kommen, die durch den Einsatz eines Sondersachwalters vermieden werden können.197) 5.

Insolvenzanfechtung198)

68 Bestimmte Angelegenheiten des Insolvenzverwalters im Regelinsolvenzverfahren hat der Gesetzgeber bei dem Sachwalter belassen, § 280 InsO. Hierzu zählen insolvenzspezifische Befugnisse wie die Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff. InsO. Konzernstrukturen zeichnen sich naturgemäß durch umfassende Austauschverhältnisse aus, die regelmäßig bis zur Verfahrenseröffnung andauern und damit im anfechtungsrelevanten Zeitraum liegen.199) Ein eigenständiges Konzernanfechtungsrecht gibt es bisher nicht. Konzerninterne Anfechtungsansprüche haben jedoch eine besondere Tragweite und sind potenzieller Störfaktor für die Sanierung eines Unternehmensverbunds, denn häufig wird Beteiligungsbesitz nicht von der Konzernmutter, sondern von Tochter- und Enkelgesellschaften gehalten. Bei der Konzernmutter handelt es sich nicht selten um eine Holdinggesellschaft, die den Beteiligungsbesitz des Konzerns verwaltet. 69 Anfechtungsansprüche fallen in die Insolvenzmasse jedes einzelnen Rechtsträgers. Sie sind grundsätzlich von jedem Verwalter/Sachwalter für jede einzelne Gesellschaft geltend zu machen. Sie können aufgrund der Verteilung des Vermögens im Konzern oder durch verschiedene konzerninterne Rechtsgeschäfte Auswirkungen auf das Vorgehen mehrerer Sachwalter bei der Anfechtung haben. Denn einerseits ist die Anfechtung eine Möglichkeit, die Masse zu steigern, andererseits führt die enge Verflechtung im Konzern dazu, dass der Nutzen für das eine Verfahren zu einem direkten Minus für das andere Verfahren führt. Die Anreicherung der Masse der anfechtenden Gesellschaft hat die Verringerung der potenziellen Masse der Gesellschaft, der gegenüber angefochten wird, zur Folge, so dass sich die Gläubiger der letzteren schlechterstehen. Hieraus ergeben sich Probleme mit dem insolvenzrechtlichen Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung und mit der Erhaltung der Synergieeffekte des Konzerns in der Insolvenz.200) Die Anfechtung aller gläubigerbenachteiligenden Rechtshandlungen kann dann dazu führen, dass einzelne für die Fortführung wichtige Konzerngesellschaften nicht mehr agieren können. 70 Bei der Insolvenzanfechtung zeigt sich erneut die Schwierigkeit, Konzerninsolvenzen zu koordinieren. Das liegt u. a. auch daran, dass die InsO in den anfechtungsrechtlichen Vorschriften vordergründig die natürliche Person als Schuldner sieht. Die Konstellationen, die sich daraus ergeben, dass der Schuldner einer Unternehmensgruppe angehört, werden dagegen nur in wenigen Vorschriften geregelt.201) Das Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen enthält – wie auch zur Forderungsanmeldung – keine besonderen Regelungen zur Anfechtung. Anfechtungsansprüche der anderen insolventen Unternehmensgruppen um jeden Preis durchzusetzen, stehe zum Koordinierungsgedanken in einem unvereinbaren Widerspruch. Vor diesem Hintergrund ist es empfehlenswert, im Koordinationsplan Vorschläge202) zu entwickeln, wie die gruppeninterne Geltendmachung ___________ 197) Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 274 Rz. 11a; Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 274 Rz. 10; Frege, Der Sonderinsolvenzverwalter, Rz. 402. 198) Zur Anfechtung bei Eigenverwaltung i. E. s. Minuth, HRI II, § 9 Rz. 100 ff. 199) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 269h InsO, BT-Drucks. 18/407, S. 40; vgl. auch Thole in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 402 ff. 200) Ehricke, Das abhängige Konzernunternehmen in der Insolvenz, S. 87 f. 201) Hirte, ZInsO 2004, 1161, 1166. 202) Zur Dispositionsbefugnis des Verwalters über den Anfechtungsanspruch vgl. Thole, ZIP 2014, 1653 ff.; zu den Regelungsgrenzen im Koordinationsplan Thole in: Flöther, Hdb. Konzerninsolvenzrecht, § 4 Rz. 458 ff.

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§ 16

Eigenverwaltung im nationalen Konzern

von Anfechtungsansprüchen möglichst vermieden werden kann, ohne dass hierdurch die Insolvenzgläubiger des Unternehmens, dessen Verwalter einen solchen Rückgewähranspruch durchsetzen könnte, beeinträchtigt werden.203) Die Beteiligten sind sicher eher willig, sich um ein koordiniertes und kooperatives Vorgehen zu bemühen, wenn nicht ständig der Verlust eigener Haftungsmasse droht.204) Für das Koordinationsverfahren sieht § 269h Abs. 2 Nr. 2 InsO vor, dass der Koordinationsplan auch Vorschläge zur Beilegung gruppeninterner Streitigkeiten enthalten kann. Diese Verfahrensweise ist an bestimmte Anforderungen gebunden. So darf die Disposivität von Anfechtungsansprüchen nicht dazu führen, dass von vornherein auf die Ermittlung von Anfechtungsansprüchen verzichtet wird.205) Des Weiteren ist darzustellen, wie der Anfechtungsanspruch zu bewerten ist, wobei notfalls Schätzwerte angegeben werden können.206) Schließlich sind Grund und Umstände des Anfechtungsanspruchs sowie die zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Durchsetzung zu erläutern.207) Der Gesetzgeber schlägt in der Begründung bspw. vor, eine Kompensationszahlung des Anfechtungsgegners zugunsten des Anfechtungsberechtigten, der dafür auf sein Anfechtungsrecht verzichtet, in den Plan aufzunehmen.208) Eine vergleichsweise Einigung über Anfechtungsansprüche kommt nur in Betracht, wenn sich diese Variante vorteilhafter erweist als die tatsächliche Durchsetzung des Anspruchs, wobei alle Umstände des Einzelfalls und insbesondere die Prozessrisiken angemessen zu berücksichtigen sind.209) V.

Haftung210)

1.

Haftung des (vorläufigen) Sachwalters

Bei Verletzung der insolvenzspezifischen Pflichten und bei Nichterfüllung von Massever- 71 bindlichkeiten haftet der Insolvenzverwalter nach Verfahrenseröffnung persönlich, §§ 60, 61 InsO. Das Gleiche gilt für den vorläufigen schwachen Verwalter und den Verwalter, der mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ausgestattet ist, § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO. Die Haftung des Sachwalters richtet sich nach § 274 Abs. 1 i. V. m. § 60 InsO und im Fall 72 des § 277 Abs. 1 InsO nach § 61 InsO. Auf den vorläufigen Sachwalter sind die §§ 274, 275 InsO entsprechend anzuwenden. Da sich der Aufgabenkreis des (vorläufigen) Sachwalters auf Prüfungs- und Überwachungstätigkeiten beschränkt, ist gleichzeitig die Verantwortlichkeit begrenzt.211) Die Haftung des (vorläufigen) Sachwalters ist denkbar bei einem Verstoß gegen die Pflicht zur Anzeige drohender Nachteile für die Gläubiger gemäß § 274 Abs. 3 InsO, bei einem Verstoß gegen die Pflicht zur Prüfung und Überwachung des Schuldners gemäß § 274 Abs. 2 InsO sowie bei mangelhafter Mitwirkung bei der Begründung von Verbindlichkeiten, § 275 InsO. Gemäß § 275 Abs. 1 InsO sollen Verbindlichkeiten, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, nur mit Zustimmung des (vorläufigen) Sachwalters begründet werden. So darf der (vorläufige) Sachwalter Beraterdienstleistungen, die für eine ordnungsgemäße Durchführung der (vorläufigen) Eigenver___________ 203) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 269h InsO, BT-Drucks. 18/407, S. 40. 204) Berner/Bartelheimer/Schiebe, ZInsO 2013, 434, 436. 205) Thole, ZIP 2014, 1653, 1659 f. 206) Thole, ZIP 2014, 1653, 1660. 207) Thole, ZIP 2014, 1653, 1660. 208) Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen z. § 269h InsO, BT-Drucks. 18/407, S. 40. 209) Thole, ZIP 2014, 1653, 1661. 210) Zur Haftung bei Eigenverwaltung i. E. s. Flöther, HRI II, § 15 Rz. 1 ff., 46 ff. 211) Bachmann, ZIP 2015, 101, 102.

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1. Teil Eigenverwaltung – Konzern

waltung nicht mehr von Nutzen sind, nicht zustimmen bzw. muss ihrer Inanspruchnahme widersprechen.212) 2.

Haftung der Gesellschaftsorgane in der Eigenverwaltung213)

73 Außerhalb der Insolvenz haften die Organe der Gesellschaft für die schuldhafte Verletzung ihrer Organpflichten. Die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Organmitglieds ist Haftungsmaßstab. Bei Anordnung der Eigenverwaltung in einer Konzerngesellschaft fallen Schuldner und die für ihn auch in der Eigenverwaltung handelnden Organe auseinander. Die organschaftlichen Vertreter nehmen die Schuldnerrechte wahr (siehe Rz. 21 ff.) und haben damit weitgehend die Befugnisse, die im Regelverfahren dem Insolvenzverwalter obliegen. Eine Haftung der von den organschaftlichen Vertretern eigenverwalteten Gesellschaft für die Verletzung insolvenzrechtlicher Pflichten gegenüber den Verfahrensbeteiligten besteht nicht. Diese ließe sich allenfalls aus § 60 InsO analog herleiten, doch regelmäßig wird es an einer entsprechenden Haftungsmasse fehlen. 74 Die Geschäftsleitung ist in der Eigenverwaltung eng an den Insolvenzzweck und damit an die Gläubigerinteressen gebunden. Besonders in Eigenverwaltungsverfahren von Unternehmensgruppen ist es üblich, in den Vorstand oder in die Geschäftsführung wenigstens einen Insolvenzverwalter oder einen insolvenzrechtlichen Berater einzubinden (siehe Rz. 18). Der eigenverwaltende Schuldner bzw. seine handelnden Organe werden von Sachwalter und Gläubigerausschuss überwacht. Droht die Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubigerschaft zu führen, hat der Sachwalter dies dem Insolvenzgericht anzuzeigen. Der Gläubigerausschuss kann die Aufhebung der Eigenverwaltung beantragen. Die Aufhebung der Eigenverwaltung wird jedoch regelmäßig keine ausreichende Präventionswirkung haben, zumal bis zur Aufhebung schon Schäden zulasten der Gläubiger eingetreten sein können.214) 75 Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum ESUG wurde eine Anpassung der gesellschaftsrechtlichen Haftungstatbestände bzw. die Schaffung eines eigenen insolvenzrechtlichen Haftungstatbestands für Mitglieder von Schuldnerorganen im Regelungssystem der Eigenverwaltung angeregt,215) jedoch nicht in das Gesetz übernommen. Drei Jahre nach Inkrafttreten des ESUG hatte der Gravenbrucher Kreis in einem Thesenpapier216) einen Vorschlag zu einer gesetzlichen Regelung der insolvenzrechtlichen Haftung der Gesellschaftsorgane analog §§ 60, 61 i. V. m. § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO vorgelegt. Für eine Gesetzesänderung – so die Begründung des Vorschlags – sprechen Rechtssicherheit und ein einheitliches in sich stimmiges Haftungssystem,217) denn jedes Organ einer Kapitalgesellschaft ist zwingend eine natürliche Person und diese ist – wie ein Insolvenzverwalter im Regelverfahren – bei Anordnung der Eigenverwaltung in das Haftungssystem der InsO einbezogen, wenn sie die ihr zugewiesenen insolvenzrechtlichen Aufgaben verletzt.218) 76 Mit seinem Urteil vom 26.4.2018 hat sich der BGH zur Haftung der Geschäftsleitung in Eigenverwaltung positioniert.219) Ist im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Gesellschaft Eigenverwaltung angeordnet, haftet der Geschäftsleiter den Beteiligten analog §§ 60, ___________ 212) Krämer, NZI 2017, 960, 965; Flöther, ZInsO 2014, 465, 471. 213) Ausführlich Kebekus/Zenker in: FS Kübler, 2015, S. 331 ff.; Jacoby in: FS Vallender, 2015, S. 261 ff.; Bachmann, ZIP 2015, 101 ff. 214) Wimmer-Amend in: FS Beck, 2016, S. 571, 579. 215) Hill, ZInsO 2010, 1825, 1829; Hofmann, NZI 2010, 798, 804 f. 216) Gravenbrucher Kreis, ZIP 2014, 1262, 1263 f. 217) Kebekus/Zenker in: FS Kübler, 2015, S. 331, 340. 218) Wimmer-Amend in: FS Beck, 2016, S. 571, 582. 219) BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977, m. Anm. Bitter, ZIP 2018, 986; s. a. Thole, EWiR 2018, 399 (Urteilsanm.), sowie eingehend Hofmann, ZIP 2018, 1429 ff.

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61 InsO.220) Der BGH begründet seine Entscheidung damit, dass der Schuldner, soweit seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis in der Eigenverwaltung unangetastet bleibt, auch in der Insolvenz nach den allgemeinen Vorschriften für von ihm zu verantwortende Pflichtwidrigkeiten haftet.221) Der Gesetzgeber – so der BGH – war sich seinerzeit nicht darüber im Klaren, wie sich die Verweisung in § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO auf §§ 60, 61 InsO bei Anordnung der Eigenverwaltung über das Vermögen einer Gesellschaft, die durch ihre Organe vertreten wird, gestaltet. Das Gesetz enthält somit bezüglich der Haftung der Geschäftsleiter in dieser Konstellation eine unbeabsichtigte Regelungslücke.222) Diese kann nicht durch gesellschaftsrechtliche Haftungsnormen geschlossen werden. Die sich insbesondere aus § 43 Abs. 2 GmbHG, § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG ergebende Schadensersatzpflicht ist als Binnenhaftung nicht geeignet, die Interessen der Beteiligten wirksam zu schützen, die durch Pflichtwidrigkeiten der Vertretungsorgane einer in Eigenverwaltung geführten Gesellschaft geschädigt werden. Es ist anerkannt, dass weder die Überwachung durch den Gläubigerausschuss noch die Auf- 77 sicht durch das Insolvenzgericht einen hinreichenden Schutz zugunsten der Beteiligten eines Insolvenzverfahrens gegen Pflichtverletzungen des Insolvenzverwalters gewährleisten. Auch die Überwachung der Geschäftsführung einer eigenverwalteten Gesellschaft durch einen Sachwalter kann Schädigungen von Verfahrensbeteiligten durch den Geschäftsleiter mitunter nicht verhindern. Der Schutz der Beteiligten gebietet daher, die Geschäftsleiter einer eigenverwalteten Gesellschaft entsprechend einem Insolvenzverwalter der Haftung nach §§ 60, 61 InsO zu unterwerfen.223) Wenn bereits der Sachwalter für fehlerhafte Überwachung des Geschäftsleiters im Falle einer Pflichtverletzung haftet, erscheint es systemwidrig, den von ihm kontrollierten Geschäftsleiter als Entscheidungsträger in der Eigenverwaltung von einer insolvenzrechtlichen Haftung zu entlasten.224) Zudem sind für eine haftungsrechtliche Besserstellung der Vertretungsorgane im Eigenverwaltungsverfahren einer Gesellschaft im Vergleich zur Haftung eines Insolvenzverwalters im Regelverfahren keine tragfähigen Gründe ersichtlich.225) Es ist davon auszugehen, dass diese Grundsätze auch für die Organe in der vorläufigen 78 Eigenverwaltung gelten, da die Interessenlage dort nicht anders zu beurteilen ist.226) Die Entscheidung des BGH verstärkt die erforderliche Signalwirkung bezüglich des Haftungsrisikos der Geschäftsleiter in der Eigenverwaltung und wirkt so einer „Sanierung um jeden Preis“ entgegen.227) Ungeklärt – da für den BGH nicht entscheidungserheblich – ist die Frage, ob die Entscheidungsgrundsätze für den „Geschäftsleiter“ auch auf den nicht in die Organstellung eintretenden „CRO“ oder „Generalbevollmächtigten“ anwendbar sind, wenn dieser faktisch an die Stelle des nur formal weiter bestellten Geschäftsleiters tritt. Auch wenn dies im Streitfall schwer nachweisbar ist, dürfte die grundsätzliche Übertragbarkeit der BGHEntscheidung vom 26.4.2018 naheliegen und sollten die Berater, die die „offizielle“ Organstellung vermeiden, aber faktisch wie ein Organ auftreten, sich rechtzeitig um ausreichenden eigenen Versicherungsschutz bemühen. ___________ 220) 221) 222) 223) 224) 225) 226)

BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977. BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, Rz. 17, ZIP 2018, 977, 978. BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, Rz. 15, ZIP 2018, 977, 978. BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, Rz. 55, ZIP 2018, 977, 984. BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, Rz. 56, ZIP 2018, 977, 984. BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, Rz. 62, ZIP 2018, 977, 985. Bitter, ZIP 2018, 977 (Urteilsanm. z. BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17); s. a. Hofmann, ZIP 2018, 1429, 1430 f. 227) BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, Rz. 60, IP 2018, 977, 985; so bereits Kebekus/Zenker in: FS Kübler, 2015, S. 331, 341.

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§ 17 Eigenverwaltung im internationalen Konzern Kübler

I.

Europäisches und internationales Insolvenzrecht unter Berücksichtigung des Konzerninsolvenzrechts...................... 1 1. Internationales Insolvenzrecht ................... 1 2. Europäisches Insolvenzrecht....................... 6 II. Allgemeine Grundfragen der europäischen und internationalen Konzerninsolvenz....................................... 8 1. Erweiterung des Anwendungsbereichs der EuInsVO.............................................. 10 2. Zuständigkeit für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ............................ 14 3. Sekundärinsolvenzverfahren ..................... 20

4.

Insolvenz von Mitgliedern einer Unternehmensgruppe....................... 23 III. Eigenverwaltung im Konzern nach der EuInsVO .................................... 25 1. Eigenverwaltung in parallelen Insolvenzverfahren .................................... 25 2. Eigenverwaltung im Konzern in Sekundärinsolvenzverfahren ................. 38 2.1 Allgemeines ................................... 38 2.2 Antragstellung ............................... 45 2.3 Zusicherung zwecks Vermeidung ................................... 47 2.4 Kooperationspflicht ...................... 51

Literatur: Deyda, Der Fall NIKI Luftfahrt – Bruchlandung des neuen europäischen Insolvenzrechts?, ZInsO 2018, 221; Holzer, Die Empfehlungen der UNCITRAL zum nationalen und internationalen Konzerninsolvenzrecht, ZIP 2011, 1894; Kindler/Sakka, die Neufassung der Europäischen Insolvenzverordnung, EuZW 2015, 460; Kübler, Grundsätzliche Überlegungen zu grenzüberschreitenden Insolvenzen – im Anschluss an Erfahrungen in einem deutsch-tschechischen Insolvenzfall, in: Festschrift für Jobst Wellensiek, 2011, S. 795; Prager/Keller, Der Entwicklungsstand des Europäischen Insolvenzrechts, WM 2015, 805; Schmidt, J., Das Prinzip „eine Person, ein Vermögen, eine Insolvenz“ und seine Durchbrechungen vor dem Hintergrund der aktuellen Reformen im europäischen und deutschen Recht, KTS 2015, 19; Thole/Swierczok, Der Kommissionsvorschlag zur Reform der EuInsVO, ZIP 2013, 550.

I.

Europäisches und internationales Insolvenzrecht unter Berücksichtigung des Konzerninsolvenzrechts

1.

Internationales Insolvenzrecht

1 Die Aufgabe des internationalen Insolvenzrechts ist v. a. die Regelung der Zuständigkeiten, des anwendbaren Rechts und der Anerkennung ausländischer Verfahren im Inland.1) In der deutschen Rechtsprechung ist das Universalitätsprinzip anerkannt und seit 2003 in der InsO gesetzlich verankert. Es gelten seit dem 31.5.2002 in Deutschland die EuInsVO, die mit Verordnung (EU) 2015/8482) vom 20.5.2015 neu gefasst wurde, und seit dem 20.3.2003 die §§ 335 ff. InsO. Bei Inlandsverfahren gehört auch das im Ausland belegene Schuldnervermögen zur Insolvenzmasse, § 335 InsO i. V. m. § 35 Abs. 1 InsO. Ob die Auslandswirkungen des deutschen Verfahrens im Ausland auch anerkannt werden, richtet sich nach dem internationalen Insolvenzrecht des jeweiligen ausländischen Staats, bei EU-Mitgliedstaaten nach Art. 19, 20 EuInsVO. Umgekehrt werden die Wirkungen eines Auslandsverfahrens im Inland anerkannt. Soweit die EuInsVO Anwendung findet, gehen deren Vorschriften den Regelungen der §§ 335 ff. InsO vor. 2 Die EuInsVO ist nicht anzuwenden, wenn der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen (Centre of Main Interests, COMI) des Schuldners nicht in einem Mitgliedstaat liegt, ErwG 25 zur EuInsVO. Es gibt allerdings immer wieder Fälle, in denen innerhalb Europas neben dem COMI Niederlassungen bestehen und außerdem in Drittstaaten die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gegeben sind. ___________ 1) 2)

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Kindler in: Kindler/Nachmann/Bitzer, Hdb. Insolvenzrecht in Europa, § 1 Rz. 1. Verordnung (EU) 2015/848 des europäischen Parlaments und des Rates v. 20.5.2015 (EuInsVO), ABL. (EU) L 141/19 v. 5.6.2015.

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Eigenverwaltung im internationalen Konzern

§ 17

Die Grundsatzkollisionsnorm bildet § 335 InsO, der das Recht des Eröffnungsstaats (lex 3 fori concursus) zur Anwendung beruft. Ausnahmen regeln die Sonderkollisionsnormen und Sachnormen, §§ 338, 340 InsO. Ausländische Verfahren werden grundsätzlich anerkannt, § 343 Abs. 1 Satz 1 InsO. Die Wirkungen richten sich nach der lex fori concursus des Eröffnungsstaats. Anerkennungshindernisse enthält § 343 Abs. 1 Satz 2 InsO. Der ausländische Insolvenzverwalter ist nach § 344 InsO befugt, im Inland vorläufige Maßnahmen nach deutschem Recht, §§ 21 f. InsO, zu beantragen. Im Gegensatz zu Art. 3 EuInsVO gibt es in der InsO keine Vorgabe zur internationalen 4 Zuständigkeit, sodass der für das „nationale“ COMI einschlägige § 3 InsO ergänzend heranzuziehen ist.3) Es ist danach das Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk der Schuldner den Mittelpunkt seiner selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit hat. Das Gericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob eine internationale Zuständigkeit vorliegt. Auch wenn die InsO nunmehr Regelungen für ein Konzerninsolvenzrecht enthält (siehe Kübler, HRI II, § 16 Rz. 2 ff.), ist zunächst für jede Konzerngesellschaft die Zuständigkeit gesondert zu prüfen. Bei der Zuständigkeitsfeststellung kommt es grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Antragstellung an. Auch auf internationaler Ebene drängt sich die Frage der Koordinierung der Verfahren auf. 5 Der Verwalter des Verfahrens im Drittstaat wird die Verfahren innerhalb der EU als eigenständige Verfahren ansehen. Sind die Verwalter bereit zusammenzuarbeiten, sollte die Kooperation im Wege von Koordinationsvereinbarungen erfolgen (siehe Rz. 33). In den internationalen, außereuropäischen Fällen wird auf das allgemeine internationale Insolvenzrecht verwiesen, um so zu einer einheitlichen Rechtsanwendung zu gelangen. Es zeigt sich, dass das internationale Insolvenzrecht mit seinen kollisionsrechtlichen Vorschriften wegen der unterschiedlichen Gestaltung in den verschiedenen Ländern nicht tauglich ist, die Anwendungsbereiche der verschiedenen Rechtsordnungen gegeneinander abzugrenzen. Eine einheitliche gesetzliche Regelung zur Verfahrensweise bei grenzüberschreitenden internationalen Insolvenzen gibt es nicht. Lediglich das UNCITRAL-Modellgesetz4) gibt erste Empfehlungen5), allerdings ohne verbindliche Wirkung zu entfalten. Im Bereich des internationalen Insolvenzrechts außerhalb der EU kann es daher nur darum gehen, Möglichkeiten für eine effektive Zusammenarbeit zu formulieren. 2.

Europäisches Insolvenzrecht

Die EuInsVO 2000 wurde seit ihrem Inkrafttreten mehrfach geändert. Mit der Verordnung 6 (EU) 2015/848 vom 20.5.20156) gibt es die Neufassung der EuInsVO. Diese ist 20 Tage nach ihrer Veröffentlichung in Kraft getreten, Art. 92 EuInsVO, und ist auf alle Verfahren anzuwenden, die nach dem 26.6.2017 eröffnet werden, Art. 84 Abs. 1 EuInsVO. Die EuInsVO 2000 gilt weiter für alle Verfahren, die in ihren Geltungsbereich fallen und vor dem 26.6.2017 eröffnet wurden, Art. 84 Abs. 2 EuInsVO. Die EuInsVO erkennt in ErwG 22 an, dass aufgrund der Unterschiede im materiellen Recht 7 ein Insolvenzverfahren mit universaler Geltung auf Unionsebene nicht realisierbar ist. Der Anwendungsbereich des europäischen Insolvenzrechts wurde mit der EuInsVO 2015 ___________ 3) 4)

5) 6)

Westpfahl/Götker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, Rz. 629. UNCITRAL, Legislative Guide on Insolvency Law, Part three, Treatment of enterprise groups in insolvency; Holzer, NZI 2019, 777, 780 ff.; zu den unterschiedlichen insolvenzrechtlichen Empfehlungen der UNCITRAL ausführlich Holzer in: Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gietl, Hdb. des FAInsR, Kap. 12 Rz. 105 ff.; Holzer, NZI 2014, 337, 338 ff.; Holzer, ZIP 2011, 1894, 1900. Westpfahl/Götker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, Rz. 1474 ff. Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates über Insolvenzverfahren v. 20.5.2015 (EuInsVO), ABl. (EU) L 141/19 v. 5.6.2015.

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§ 17

1. Teil Eigenverwaltung – Konzern

dergestalt erweitert, dass nun auch Verfahren einbezogen werden, die die Rettung wirtschaftlich bestandsfähiger Unternehmen, die sich in finanziellen Schwierigkeiten befinden, fördern, ErwG 10. Verfahren nach dem Vorbild des Schutzschirmverfahrens gemäß § 270b InsO sind nicht vorgesehen. Dagegen ist die Eigenverwaltung erfasst, da die EuInsVO Verfahren einbezieht, in denen der Schuldner ganz oder teilweise die Kontrolle über sein Vermögen behält, Art. 2 Nr. 3, Art. 6 EuInsVO (siehe dazu ausführlich Dreschers, HRI II, § 18 Rz. 49 ff.). II.

Allgemeine Grundfragen der europäischen und internationalen Konzerninsolvenz

8 Die Behandlung grenzüberschreitender Konzerninsolvenzen ist wegen der Anwendbarkeit unterschiedlichen Rechts auf die Verfahren der einzelnen Rechtsträger kompliziert. In den einzelnen Staaten ist das Insolvenzrecht hinsichtlich des Ziels und der Mittel sowie der Kompetenzen der Verfahrensbeteiligten uneinheitlich. Es besteht in den verschiedenen Staaten ein abweichendes Verständnis von der rechtlichen Erfassung des Konzerns.7) In vielen Mitgliedstaaten der EU gibt es keine Regelungen für eine Konzerninsolvenz. Der italienische Gesetzgeber hat die außerordentliche Verwaltung von Großunternehmen bereits in der GVO Nr. 270 vom 8.7.1999 geregelt. Die GVO enthält in Art. 80 bis 91 eine ausführliche Regelung der Konzerninsolvenz. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Lücke in der InsO inzwischen geschlossen.8) Und auch der kroatische Gesetzgeber hat durch Art. 391 des neuen Konkursgesetzes 2015 Regeln über Konzerninsolvenzen in das kroatische Konkursrecht eingeführt.9) 9 Verfahren, in denen ausländisches Recht als lex fori concursus Anwendung findet und dieses eine Insolvenzerstreckung – d. h. die Zusammenfassung von Massen mehrerer Unternehmen desselben Konzerns oder die Zusammenfassung von Verfahren verschiedener insolventer Unternehmen eines Konzerns – kennt und dabei ein deutsches Verfahren betroffen ist, werden nach derzeit geltenden Regelungen in Deutschland nicht anerkannt.10) Denn in dem Fall, in dem es um die Zusammenfassung der Massen verschiedener eigenständiger Personen geht, verstößt eine derartige Erstreckung gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Insolvenzrechts.11) 1.

Erweiterung des Anwendungsbereichs der EuInsVO

10 Art. 1 Abs. 1 EuInsVO nennt die Kriterien, die nationale Verfahren einhalten müssen, um in den Anwendungsbereich der Verordnung zu fallen. Ein wesentliches Ziel des Verordnungsgebers bei der Reform der EuInsVO war es, die EuInsVO für Verfahren zu öffnen, die die Rettung wirtschaftlich angeschlagener, aber sanierungsfähiger Unternehmen bezwecken.12) 11 Der Anwendungsbereich wurde auf sog. hybride Sanierungsverfahren und vorinsolvenzliche Verfahren ausgedehnt. Ausreichend ist nach Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO, dass sich das Verfahren „auf eine gesetzliche Regelung zur Insolvenz stützt“. 12 In Art. 2 Nr. 3 EuInsVO ist der Schuldner in Eigenverwaltung definiert. Die Definition erfasst sowohl Schuldner, die unter der Aufsicht eines Sachwalters, als auch solche, die lediglich unter der Kontrolle des Gerichts stehen. Der Verordnungsgeber hat zudem mit der ___________ 7) Ehricke in: Kölner Schrift, 2009, Kap. 32 Rz. 6. 8) Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, v. 13.4.2017, BGBl. I 2017, 866; das Gesetz ist gemäß Art. 10 am 21.4.2018 in Kraft getreten. 9) Garašiü in: MünchKomm-InsO, Länderberichte Kroatien Rz. 24 f. 10) Kirchhof/Lwowski/Stürner in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl., 2008, Anh. Int. KonzerninsolvenzR, Rz. 6. 11) Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 28 f. m. w. N. 12) Vallender in: Vallender, EuInsVO, Art. 1 Rz. 1.

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Eigenverwaltung im internationalen Konzern

§ 17

Einfügung des vorläufigen Sachwalters in Anhang B deutlich gemacht, dass auch die vorläufige Eigenverwaltung tendenziell zu erfassen ist. Zudem ist ErwG 15 zu entnehmen, dass vorläufige Verfahren erfasst werden. Auch die vorläufige Eigenverwaltung i. S. des § 270a InsO ist vom Anwendungsbereich der EuInsVO erfasst.13) Der Begriff der Unternehmensgruppe, Art. 2 Nr. 13 EuInsVO, öffnet den Anwendungs- 13 bereich für die in Kapitel V, Art. 56 ff. EuInsVO aufgenommenen Vorschriften über die Kooperation und Kommunikation bei Insolvenzverfahren über das Vermögen von Konzernunternehmen. 2.

Zuständigkeit für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens

Das in Praxis und Wissenschaft umstrittene Thema der EuInsVO 2015 war und ist die 14 Festlegung der internationalen Zuständigkeit für das Hauptverfahren gemäß Art. 3 EuInsVO.14) Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 und 3 EuInsVO sieht vor, dass hinsichtlich eines Schuldners im Geltungsbereich der Verordnung nur ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet werden kann. Für das Hauptinsolvenzverfahren richtet sich die Zuständigkeit nach dem COMI des Schuldners. Das Hauptinsolvenzverfahren mit unionsweiter direkter Anerkennung entfaltet Sperrwirkung für die Eröffnung eines weiteren Hauptinsolvenzverfahrens, Art. 3 Abs. 3 EuInsVO.15) Grundsätzlich unterscheiden sich die Bestimmungen zum COMI von Gesellschaften in der Neufassung der EuInsVO nicht von der alten Fassung, sie greifen allerdings die zur früheren Rechtslage ergangene Rechtsprechung des EuGH in den Entscheidungen Eurofood16) und Interedil17) auf.18) Für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 15 EuInsVO das Gericht des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Schuldner sein COMI hat („Hauptinsolvenzverfahren“). „Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen“ ist der Ort, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und der für Dritte feststellbar ist, Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 EuInsVO. Bei Gesellschaften und juristischen Personen wird nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 1 EuInsVO bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der Ort des Sitzes ist. In seiner Eurofood-Entscheidung und auch in der Interedil-Entscheidung hatte sich der 16 EuGH in Anlehnung an ErwG 13 EuInsVO 2000 im Wesentlichen auf objektive Kriterien gestützt – ohne konkrete Kriterien zur Ermittlung des COMI zu benennen – und ausgeführt, dass das COMI aus Gründen der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit anhand ob___________ 13) Thole in: MünchKomm-InsO, Art. 2 EuInsVO Rz.11 ff. 14) Insbesondere bei Konzerninsolvenzen: vgl. AG Berlin-Charlottenburg v. 13.12.2017 – 36n IN 6433/17 (NIKI), ZIP 2018, 41. Auf die sofortige Beschwerde einer Gläubigerin hat das AG Berlin-Charlottenburg an seiner Entscheidung festgehalten und die Sache mit Beschl. v. 4.1.2018 dem LG Berlin zur Entscheidung vorgelegt, ZInsO 2018, 111. Mit Beschl. v. 8.1.2018 – 84 T 2/18, ZIP 2018, 140, dazu EWiR 2018, 85 (J. Schmidt) hat das LG Berlin den angefochtenen Beschl. aufgehoben, da es das COMI ausgehend von der Vermutung in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 1 EuInsVO in Österreich sieht. Die Gläubigerin hat zeitgleich mit der sofortigen Beschwerde beim Landesgericht Korneuburg (Österreich) Antrag auf Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens, die Schuldnerin ihrerseits einen Antrag auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens beim Landesgericht Korneuburg gestellt; das Landesgericht Korneuburg hat mit Beschl. v. 12.1.2018 – 36 S 5/18d-3, ZInsO 2018, 164, den Konkurs als Hauptinsolvenzverfahren eröffnet und den Antrag der Schuldnerin auf Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens abgewiesen; dazu Deyda, ZInsO 2018, 221; für die Rechtslage vor der Neufassung der EuInsVO: Reinhart, NZI 2012, 304. 15) Zu „NIKI“ Deyda, ZInsO 2018, 221 ff. 16) EuGH v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04 (Eurofood), ZIP 2006, 907, m. Anm. Knof/Mock, ZIP 2006, 911, dazu EWiR 2005, 725 (Pannen). 17) EuGH v. 20.10.2011 – Rs. C-396/09 (Interedil), ZIP 2011, 2153, dazu EWiR 2011, 745 (Paulus). 18) Vallender/Zipperer in: Vallender, EuInsVO, Art. 3 Rz. 8; krit. Wenner, ZIP 2017, 1137.

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jektiver und zugleich für Dritte feststellbarer Anhaltspunkte zu bestimmen ist.19) Gerade bei konzernverbundenen Gesellschaften werden die hauptsächlichen Interessen des Schuldners je nach Unternehmen unterschiedlich ausfallen. Es muss daher für den Einzelfall entschieden werden, welche Kriterien für den Schuldner und seine Tätigkeit ausschlaggebend sind.20) Einer „blinden“ Annahme eines Konzerninsolvenzgerichtsstands am Sitz der Muttergesellschaft ist der EuGH entgegengetreten.21) Eine solche Verortung kommt nur dann in Betracht, wenn für Dritte erkennbar und damit offensichtlich ist, dass die Tochtergesellschaft von der Muttergesellschaft geführt wird, und eine aktive Marktteilnahme deutlich wird.22) Dabei ist das Kriterium der Erkennbarkeit für Dritte unumgänglich. Im Zusammenhang mit der Erkennbarkeit ist im Zweifel auf die unternehmensfremden Gläubiger abzustellen und nicht auf diejenigen, die bereits wegen gesellschaftsvertraglicher oder anderer Bindungen Kenntnis von der wirtschaftlichen Tätigkeit haben.23) 17 Die Vermutung, dass Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der Ort des Sitzes ist, gilt jedoch nur, wenn der Anknüpfungsort nicht innerhalb von drei Monaten vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einen anderen Mitgliedstaat verlegt wurde, Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 2, Unterabs. 3 Satz 2 und Unterabs. 4 Satz 2 EuInsVO. Das mit einem Insolvenzantrag befasste Gericht muss von Amts wegen prüfen, ob es nach Art. 3 EuInsVO zuständig ist, Art. 4 Abs. 1 EuInsVO, und ob das tatsächliche COMI vom (satzungsmäßigen) Sitz abweicht. Wird der COMI nach Antragstellung und vor Verfahrenseröffnung in einen anderen Mitgliedsstaat verlegt, bleibt es bei der Zuständigkeit des Gerichts des Mitgliedsstaates, in dem der Eröffnungsantrag gestellt wurde.24) 18 Die Zuständigkeit für Konzerngesellschaften ist nach wie vor gesondert zu ermitteln und für jeden Rechtsträger ist ein gesondertes (Haupt-)Insolvenzverfahren zu eröffnen.25) Allerdings weist ErwG 53 EuInsVO darauf hin, dass diese Vorschriften nicht die Möglichkeit einschränken sollen, Insolvenzverfahren über verschiedene Gesellschaften eines Konzerns in einem einzigen Mitgliedstaat zu eröffnen, sofern feststeht, dass das COMI dieser Gesellschaften in diesem Mitgliedstaat liegt. Für diesen Fall sollte auch die Möglichkeit bestehen, für alle Verfahren denselben Verwalter zu bestellen. 19 Zu einem einheitlichen Konzerngerichtsstand am Sitz der Muttergesellschaft gelangt man folglich nach wie vor nur dann, wenn alle Tochtergesellschaften dort ihr COMI haben (siehe Rz. 23).26) Dies hätte zwar den verfahrenstechnischen Vorzug, dass hierdurch die Sanierung des Gesamtkonzerns wesentlich erleichtert würde, doch ist das Vertrauen der Gläubiger der einzelnen Tochtergesellschaften in ihre Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten an deren Sitz höher zu veranschlagen. 3.

Sekundärinsolvenzverfahren27)

20 Da Sekundärinsolvenzverfahren in der Praxis häufig als Hindernis für eine effektive Verfahrensbearbeitung galten, wurden die diesbezüglichen Vorschriften durch die EuInsVO grundlegend neu gefasst. ___________ 19) EuGH v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04 (Eurofood), ZIP 2006, 907, 908, m. Anm. Knof/Mock, ZIP 2006, 911; vgl. weiter J. Schmidt, ZIP 2007, 405; EuGH v. 20.10.2011 – Rs. C-396/09 (Interedil), Rz. 49, ZIP 2011, 2153, 2156. 20) Rotstegge, ZIP 2008, 955, 960. 21) EuGH v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04 (Eurofood), ZIP 2006, 907, 908. 22) EuGH v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04 (Eurofood), ZIP 2006, 907, 908. 23) AG Köln v. 19.2.2008 – 73 IE 1/08 (PIN-Holding), ZIP 2008, 423, 425, dazu EWiR 2008, 531 (Paulus). 24) EuGH v. 24.3.2022 – Rs C-723/20 (Galapagos BidCo.), ZRI 2022, 316, 320 ff. 25) Deyda, ZInsO 2018, 221, 222. 26) Pannen in: Pannen, EuInsVO, Art. 3 Rz. 46. 27) S. dazu auch Dreschers, HRI II, § 18 Rz. 72 ff.

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Erstens kann in Konstellationen, in denen bspw. der Insolvenzverwalter des Hauptverfahrens 21 den Gläubigern am Ort der Niederlassung zusichert, dass sie im Hauptverfahren so behandelt werden, als sei das Sekundärverfahren eröffnet worden, ErwG 42 Satz 1 und 2 i. V. m. Art. 36 Abs. 1 EuInsVO, auf die Einleitung eines Sekundärverfahrens verzichtet werden, Art. 38 Abs. 2 EuInsVO (sog. synthetisches Sekundärverfahren). Ähnlich ist bereits früher in einer Reihe grenzüberschreitender Insolvenzen vorgegangen worden, bei denen das Hauptinsolvenzverfahren im Vereinigten Königreich eröffnet wurde.28) Zweitens ist in der EuInsVO geregelt, dass das mit dem Antrag auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens befasste Gericht auf Antrag des im Hauptverfahren bestellten Insolvenzverwalters die Eröffnung aussetzen oder die Entscheidung vertagen kann, wenn die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens zum Schutz der Interessen der einheimischen Gläubiger nicht notwendig ist, ErwG 45 i. V. m. Art. 38 Abs. 3 EuInsVO. Die bislang nur für die Verwalter geltenden Kooperationspflichten, die in Art. 41 EuInsVO 22 im Verhältnis zur Vorgängerregelung ausgeweitet und konkretisiert wurden, werden auf die Gerichte der Haupt- und Sekundärverfahren ausgedehnt, Art. 42 EuInsVO. 4.

Insolvenz von Mitgliedern einer Unternehmensgruppe

Da viele grenzübergreifende Insolvenzen Unternehmensgruppen29) betreffen, enthält die 23 EuInsVO in Kapitel V in den Art. 56 bis 77 für solche Insolvenzverfahren spezielle Regeln. Sie beschränken sich allerdings auf umfassende Kooperations- und Unterrichtungspflichten zwischen beteiligten Verwaltern und Gerichten – sofern Insolvenzverfahren über das Vermögen verschiedener Konzerngesellschaften in mehr als einem Mitgliedstaat anhängig sind –, wie sie bereits für das Verhältnis zwischen Haupt- und Sekundärverfahren angewandt werden. Nach wie vor gilt der Grundsatz der Einzelinsolvenz. Einen Konzern-COMI gibt es nicht30) und eine materiell-rechtliche Konsolidierung ist ebenso wenig vorgesehen. Möglich ist, dass das COMI der konzernierten Gesellschaften in demselben Mitgliedstaat liegt und sich dadurch faktisch ein internationaler Konzerngerichtsstand ergibt, ErwG 53 EuInsVO.31) In dieser Konstellation sollte das Gericht auch dieselbe Person als Verwalter bestellen. Der Verordnungsgeber definiert den Begriff der Unternehmensgruppe, Art. 2 Nr. 13, 14 24 EuInsVO. Die Unternehmensgruppe i. S. der EuInsVO besteht aus dem Mutterunternehmen und all seinen Tochterunternehmen. Entscheidend geprägt ist das Mutter-Tochter-Verhältnis durch eine unmittelbare oder mittelbare Kontrollbeziehung, die unwiderleglich32) vermutet wird, wenn ein das Tochterunternehmen einbeziehender konsolidierter Abschluss erstellt wurde. Für die Definition des Mutter- und damit zwangsläufig auch des Tochter___________ 28) High Court of Justice London (Chancery Division Companies Court) v. 9.6.2006 – No. 4697, 4698, 4700, 4705, 4711, 4717-19, 4721, 4722/05, [2006] EWHC 1343 (Ch) (Collins & Aikman), ZIP 2006, 2093, dazu EWiR 2006, 623 (Mankowski); High Court of Justice Birmingham v. 30.3.2006 – No. 2377/2006, NZI 2006, 416 (MG Rover); High Court of Justice London v. 11.2.2009 – [2009] EWHC 206 (Ch) (Nortel Group), ZIP 2009, 578, dazu EWiR 2009, 177 (Paulus). 29) Z. B. High Court of Justice Leeds v. 16.5.2003 – No. 861 – 876/03 (ISA I), ZIP 2003, 1362; AG Düsseldorf v. 6.6.2003 – 502 IN 126/03 (ISA II), ZIP 2003, 1363, dazu EWiR 2003, 767 (Mankowski); Cour d’appel Versailles v. 4.9.2003 – 05038/03 (ISA III), ZIP 2004, 377, dazu EWiR 2003, 1239 (Mankowski); AG Köln v. 10.8.2005 – 71 IN 416/05 (Collins & Aikmann), ZIP 2005, 1566; EuGH v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04 (Eurofood), ZIP 2006, 907; AG Siegen v. 1.7.2004 – 25 IN 154/04 (Zenith), NZI 2004, 673, dazu EWiR 2005, 175 (Mankowski); weitere Beispiele bei Pannen in: Pannen, EuInsVO, Art. 3 Rz. 46 ff. m. w. N. 30) Holzer, NZI 2019, 777, 779. 31) Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Die Neufassung der EuInsVO, Teil K Rz. 520; Kindler/ Sakka, EuZW 2015, 460, 465. 32) Sutschet in: Vallender, EuInsVO, Art. 2 Rz. 65; ebenso J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO, Art. 2 Rz. 79.

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unternehmens verweist Art. 2 Abs. 2 Nr. 14 EuInsVO auf die Bilanzrichtlinie,33) sodass das europäische Insolvenzrecht tatbestandlich auf dem europäischen Konzernbilanzrecht aufbaut.34) Aus dieser Legaldefinition der „Unternehmensgruppe“ und den Anforderungen an den Abschluss nach der Bilanzrichtlinie ergeben sich etliche dogmatische und rechtspolitische Fragen.35) Inwiefern dieser Ansatz konsequent ist, kann derzeit noch nicht eingeschätzt werden. Die Anknüpfung an den Konsolidierungskreis nach der Bilanzrichtlinie wird insoweit als Vorteil gewertet, als damit auf einem bereits seit Jahrzehnten bewährten unionsrechtlichen Konzept aufgebaut wird.36) III.

Eigenverwaltung im Konzern nach der EuInsVO

1.

Eigenverwaltung in parallelen Insolvenzverfahren

25 Mit der EuInsVO soll vorrangig sichergestellt werden, dass Entscheidungen über die Eröffnung von Insolvenzverfahren und deren Wirkungen unionsweit anerkannt werden. Die Kriterien, die nationale Verfahren einhalten müssen, um in den Anwendungsbereich der Verordnung zu fallen, orientierten sich früher am traditionellen Verständnis von Insolvenzverfahren, das die Insolvenz des Schuldners, den Vermögensbeschlag und die Einsetzung eines Verwalters erfordert. 26 Viele nationale Insolvenzgesetze sehen die Möglichkeit von Verfahren im Vorfeld einer Insolvenz oder von kombinierten Verfahren, zu denen auch die Eigenverwaltung zählt, vor. Infolgedessen ist jetzt in Art. 2 Nr. 3 EuInsVO der Schuldner in Eigenverwaltung definiert. Zwar wird die Eigenverwaltung nicht ausdrücklich in Art. 1 EuInsVO erwähnt, lässt sich aber unter Art. 1 Abs. 1 lit. a EuInsVO subsumieren, da mit der Anordnung der Eigenverwaltung regelmäßig eine zumindest teilweise Entziehung der Verfügungsgewalt verbunden ist und eine „Überwachungsperson“ bestellt wird. Diese Überwachungsperson, die in Deutschland der Sachwalter ist, ist in Art. 2 Nr. 3 Ziff. v EuInsVO i. V. m. Anhang B wie ein Insolvenzverwalter i. S. der Verordnung zu behandeln.37) 27 In der Verordnung wird allerdings nicht konsequent zwischen Insolvenzverwalter und Schuldner in Eigenverwaltung unterschieden, weil der eigenverwaltende Schuldner noch im Kommissionsentwurf als Insolvenzverwalter behandelt und dies nicht durchgängig angepasst wurde. So kann nicht zweifelsfrei festgestellt werden, inwieweit Fälle der Eigenverwaltung unter Art. 21 EuInsVO fallen.38) Da die Definition des Verwalters den eigenverwaltenden Schuldner nicht erfasst, ist mit Art. 21 EuInsVO keine Aussage über die Anerkennung des eigenverwaltenden Schuldners getroffen. Nur in ausgewählten Artikeln ist der Schuldner in Eigenverwaltung den gleichen Regelungen wie der Insolvenzverwalter unterworfen, vgl. Art. 6 Abs. 2 Satz 2, Art. 28 Abs. 1 und 2, Art. 29, Art. 38, Art. 55 Abs. 5 und 7 EuInsVO sowie alle einschlägigen für den Verwalter geltenden Bestimmungen in Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Unternehmensgruppe, Art. 76 EuInsVO. ___________ 33) Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.6.2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates, ABl. (EU) L 182/19 v. 29.6.2013. 34) Ausführlich Eble, NZI 2016, 115. 35) Krit. Mock in: BeckOK-InsR, Art. 2 EuInsVO Rz. 36 f.; zust. J. Schmidt in: Mankowski/Müller/ J. Schmidt, EuInsVO, Art. 2 Rz. 74. 36) J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO, Art. 2 Rz. 74. 37) Thole in: MünchKomm-InsO, Art. 2 EuInsVO Rz. 4. 38) Zum Meinungsstand Hänel in: Vallender, EuInsVO, Art. 21 Rz. 11 ff. m. w. N., Art. 22 Rz. 16 ff.; Thole in: MünchKomm-InsO, Art. 21 EuInsVO Rz. 4; von einem Redaktionsversehen ausgehend Tashiro in: Braun, InsO, Art. 2 EuInsVO Rz. 9.

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Eigenverwaltung im internationalen Konzern

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Erfasst ist aber der Sachwalter, da dieser unter die Definition des Art. 2 Nr. 3 EuInsVO 28 fällt und in Anhang B genannt ist. Diese gesetzgeberische Ungenauigkeit kann zu Schwierigkeiten führen, wenn und weil nach dem Recht des Staats der Verfahrenseröffnung der eigenverwaltende Schuldner die in Art. 21 EuInsVO angesprochenen grenzüberschreitenden Befugnisse zu erfüllen hat und der Sachwalter reine Überwachungsaufgaben wahrnimmt.39) Hier wird vorgeschlagen, das Fehlen der konkreten Regelung über das Kollisionsrecht zu lösen, weil sich die Ausgestaltung der Befugnisse des Schuldners in Eigenverwaltung grundsätzlich aus dem Recht des Eröffnungsstaats, Art. 7 Abs. 2 lit. c EuInsVO, und den Sachnormen der EuInsVO ergibt.40) Als Ansatz für ein Konzerninsolvenzrecht auf europäischer Ebene ist es daher möglich, eine 29 einheitlich koordinierte Verwertung des Vermögens einer Konzerngruppe oder eine Konzernsanierung im Wege der Anordnung der Eigenverwaltung zu erreichen.41) Die Eigenverwaltung ist zwar keine europäische Verfahrensweise, sondern ein Regelungsinstrument der deutschen InsO; allerdings enthalten die insolvenzrechtlichen Regelwerke der EU-Mitgliedstaaten teilweise vergleichbare Vorschriften (siehe auch Dreschers, HRI II, § 18 Rz. 14 ff.).42) Nach dem Wortlaut des Art. 2 Nr. 5 Ziff. v EuInsVO werden ausdrücklich Verfahren berücksichtigt, in denen ein Verwalter bestellt wird, dessen Aufgabe es ist, die Geschäftstätigkeit des Schuldners zu überwachen. Demzufolge fällt die Eigenverwaltung gemäß §§ 270 ff. InsO explizit in den Anwendungsbereich der EuInsVO.43) Unter den Voraussetzungen der Zuständigkeit eines deutschen Insolvenzgerichts und der Anwendung deutschen Rechts auf alle beteiligten Insolvenzverfahren ist die Konzernsanierung mittels Anordnung von Eigenverwaltung i. V. m. Insolvenzplänen möglich. Auf diesem Weg kann die Sanierung eines internationalen Konzerns aber nur erfolgen, wenn die im Ausland gelegenen Gesellschaften von dem Sanierungskonzept nicht betroffen sind.44) Für den Fall, dass nur das herrschende Unternehmen mit Sitz in Deutschland insolvent ist, die Eigenverwaltung angeordnet und ein Insolvenzplan erstellt wird, könnte das herrschende Unternehmen aufgrund der (fortbestehenden) Leitungsmacht auch die Sanierung von Tochterunternehmen vornehmen.45) Die Verfahrensweise kann so gestaltet werden, dass ein Verfahren zum Führungsverfahren wird, das die Gesamtstruktur überblickt – in der Regel ist es das Hauptinsolvenzverfahren und bei mehreren Schuldnern das Verfahren der Konzernmutter.46) Entweder wird in allen parallelen Insolvenzverfahren die Eigenverwaltung unter Herausbildung eines Leitverfahrens angeordnet oder es gibt ein Leitverfahren mit Insolvenzverwalter und die Anordnung der Eigenverwaltung in den Sekundärverfahren (siehe Rz. 44). Ist bereits ein Hauptverfahren eröffnet und beantragt dessen Insolvenzverwalter oder der 30 Schuldnervertreter für eine Niederlassung oder Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat die Insolvenz mit Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung, bereitet diese Konstellation nach den Regelungen der EuInsVO voraussichtlich weniger Schwierigkeiten.47) Der Verordnungsgeber setzt auf eine stärkere Koordinierung der Insolvenzverfahren über 31 das Vermögen einzelner Konzerngesellschaften, die zu einer besseren Zusammenarbeit und ___________ 39) 40) 41) 42) 43) 44) 45) 46) 47)

Thole in: MünchKomm-InsO, Art. 21 EuInsVO Rz. 4. Tashiro in: Braun, InsO, Art. 2 EuInsVO Rz. 8; Thole in: MünchKomm-InsO, Art. 21 EuInsVO Rz. 4. Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 233 ff. Flessner, ZEuP 2004, 887, 904. Pannen in: Pannen, EuInsVO, Art. 1 Rz. 17. Kirchhof/Lwowski/Stürner in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl., 2008, Anh. Int. KonzerninsolvenzR, Rz. 29. Kirchhof/Lwowski/Stürner in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl., 2008, Anh. Int. KonzerninsolvenzR, Rz. 29. Hortig, Kooperation von Insolvenzverwaltern, S. 102 f. Krit. jedoch: Wenner, ZIP 2017, 1137, 1141; Fehrenbach, GPR 2017, 38, 43, 46 ff.

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1. Teil Eigenverwaltung – Konzern

Kommunikation zwischen den beteiligten Gerichten, Art. 56 EuInsVO, den Verwaltern, Art. 57 EuInsVO, und zwischen Gerichten und Verwaltern, Art. 58 EuInsVO, führen soll. 32 Die jeweiligen Insolvenzverwalter und Insolvenzgerichte sollen wie bei einem Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren48) zusammenarbeiten müssen, Art. 56 bis 60 EuInsVO. Es soll v. a. vermieden werden, dass die Insolvenz einer Gesellschaft der Unternehmensgruppe die Fortführung des Betriebs der anderen Gesellschaften gefährdet. Eine Koordinierung mit Verfahren in Drittstaaten ist ausdrücklich nicht gewollt.49) Die Zusammenarbeit der Beteiligten steht unter der Prämisse, dass sie die Abwicklung der Verfahren erleichtern kann, mit den für die einzelnen Verfahren geltenden Normen zu vereinbaren ist und keine Interessenkonflikte verursacht, Art. 56 Abs. 1 Satz 1, Art. 57 Abs. 1 Satz 1, Art. 58 a. E. EuInsVO. 33 Die Zusammenarbeit kann je nach Konstellation des Verfahrens gestaltet werden. Die Insolvenzverwalter sollten v. a. relevante Informationen austauschen und bei Bedarf bei der Konzeption eines Sanierungs- oder Reorganisationsplans zusammenarbeiten. Explizit nennt die EuInsVO die Zusammenarbeit in Gestalt sog. Protokolle, Art. 56 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO. Damit soll die Bedeutung dieses Instruments in der internationalen Praxis hervorgehoben und dessen weitere Verbreitung gefördert werden.50) Die Kooperation der Gerichte sollte hauptsächlich durch Informationsaustausch, ggf. Abstimmung bei der Bestellung der Verwalter und Genehmigung der ihnen von den Verwaltern vorgelegten „Protokolle“ erfolgen, Art. 57 Abs. 3 Satz 2 lit. e EuInsVO. Die Verwalter können vereinbaren, einem Verwalter aus ihrer Mitte zusätzliche Befugnisse zu übertragen, wenn eine solche Vereinbarung nach den für die einzelnen Verfahren geltenden Vorschriften zulässig ist, Art. 56 Abs. 2 Satz 2, 3 EuInsVO. 34 Dem Verwalter eines Verfahrens über das Vermögen eines Mitglieds einer Unternehmensgruppe werden verschiedene Rechte in Insolvenzverfahren anderer Mitglieder derselben Unternehmensgruppe zugestanden, soweit deren Ausübung die effektive Verfahrensabwicklung erleichtert, Art. 60 EuInsVO. Dazu zählen Anhörungs-, Antrags- und Vorschlagsrechte. So hat der Verwalter auch das Recht, ein Gruppen-Koordinationsverfahren zu beantragen, Art. 60 Abs. 1 lit. c EuInsVO. Hintergrund der Regelung ist der Gedanke, den Verwalter, der das größte Interesse an der Restrukturierung der Unternehmensgruppe hat, zu stärken.51) Haftungsregelungen für den Fall, dass Kooperationspflichten verletzt werden, enthält die EuInsVO nicht. Die Haftung der Verwalter richtet sich nach mitgliedstaatlichem Recht.52) 35 In den Art. 61 bis 77 EuInsVO wird das Gruppen-Koordinationsverfahren geregelt. Die Regelungen ähneln denen des Koordinationsverfahrens im deutschen Recht (siehe Kübler, HRI II, § 16 Rz. 51 ff.). Das Koordinationsverfahren wird auf Antrag eines Verwalters, der in einem Verfahren über das Vermögen eines Mitglieds der Unternehmensgruppe bestellt worden ist, eröffnet. Der Antrag kann bei jedem Gericht gestellt werden, das für ein Insolvenzverfahren eines Gruppenmitglieds zuständig ist, Art. 61 Abs. 1 EuInsVO. Bei Stellung mehrerer Anträge bei verschiedenen Gerichten gilt das Prioritätsprinzip, Art. 62 EuInsVO; ___________ 48) J. Schmidt, KTS 2015, 19, 37; Kindler/Sakka, EuZW 2015, 460, 465. 49) Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates v. 29.5.2000 über Insolvenzverfahren, COM(2012) 743, 9. 50) Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren, COM(2012) 744, 10. 51) Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren, COM(2012) 744, 10; sehr krit. Thole/ Swierczok, ZIP 2013, 550, 557. 52) Prager/Keller, WM 2015, 805, 809.

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allerdings können die Verwalter mit Zweidrittelmehrheit eine Gerichtsstandsvereinbarung schließen und so ein für das Koordinationsverfahren zuständiges Gericht festlegen, Art. 66 EuInsVO. Das angerufene Gericht informiert die anderen Verwalter über den Antrag, über die Person des Koordinators und darüber, dass zur Überzeugung des Gerichts ein GruppenKoordinationsverfahren keine Nachteile für die Gläubiger der Gruppenmitglieder bringt, Art. 61 Abs. 1 EuInsVO. Die beteiligten Verwalter haben hierzu ein Recht zur Äußerung und können ihre Einwände gegen die Einbeziehung in das Koordinationsverfahren und die Person des Koordinators erheben, Art. 64 Abs. 1 EuInsVO. Damit entscheiden die Verwalter über ihre Teilnahme oder Nichtteilnahme am Koordinationsverfahren, Art. 65 Abs. 1 EuInsVO („Opt-out“), wobei eine nachträgliche Einbeziehung in das Koordinationsverfahren später beim Gruppenkoordinator beantragt werden kann, Art. 69 EuInsVO („Optin“). Der Gruppenkoordinator muss nach dem Recht eines Mitgliedstaats als Verwalter geeignet, Art. 71 Abs. 1 EuInsVO, und unabhängig sein, Art. 71 Abs. 2 EuInsVO. Der Koordinator legt Empfehlungen für die koordinierte Verfahrensabwicklung fest und stellt einen Gruppen-Koordinationsplan auf, Art. 72 Abs. 1 EuInsVO. Die einzelnen Verwalter müssen den Koordinationsplan und die Empfehlungen zwar berücksichtigen, sind aber nicht verpflichtet, sie zu befolgen. In diesem Fall müssen sie ihre Entscheidung für die Nichtbefolgung darlegen und begründen, Art. 70 Abs. 1, 2 EuInsVO. Zwar lässt sich bereits aus ErwG 10 darauf schließen, dass die Verordnung insgesamt auch 36 für Verfahren in Eigenverwaltung gelten soll. Doch dient Art. 76 EuInsVO der Klarstellung, dass insbesondere die Vorschriften zu Koordination und Kooperation des Verwalters in Insolvenzverfahren mit Konzernbezug gemäß Art. 56 ff. EuInsVO für den Schuldner in Eigenverwaltung entsprechend anzuwenden sind, soweit dies mit Regelungsgehalt der Norm und Zielsetzung vereinbar ist.53) Die in den Art. 57 – 77 EuInsVO geregelten Rechte und Pflichten der Verwalter finden daher sinngemäß Anwendung auf die gesetzlichen Vertretungsorgane des Schuldners in Eigenverwaltung. Adressat der Rechte und Pflichten, die im Koordinationsverfahren den Verwalter treffen, ist somit das schuldnerische Unternehmen. Damit soll z. B. sichergestellt werden, dass auch bei einem oder mehreren Schuldnern in Eigenverwaltung ein Gruppen-Koordinationsverfahren nicht verhindert wird.54) Gleichwohl ist nach nationalem Recht zu prüfen, ob die Aufgaben dem Schuldner oder einem Sachwalter oder vergleichbaren Amtsträger zukommen oder seiner Zustimmung bedürfen.55) Demzufolge steht dem Schuldner in Eigenverwaltung (gemäß §§ 270 ff. InsO) und nicht dem Sachwalter das Antragsrecht auf Eröffnung eines Gruppen-Koordinationsverfahrens zu.56) Ein konzernangehöriger Schuldner in Eigenverwaltung kann jedoch nicht das Amt des Koordinators nach Art. 71 EuInsVO wahrnehmen.57) Die Pflichten zur Zusammenarbeit sind eng an die Kooperationspflichten im Sekundär- 37 verfahren gemäß Art. 41 EuInsVO angelehnt.58) Offen ist bisher, ob auch der Sachwalter zum Kreis der Kooperationspartner gehören soll. Dagegen spricht, dass diesem im Wesentlichen Überwachungsaufgaben zukommen.59) Andererseits ist der Sachwalter in Anhang C ausdrücklich als Verwalter aufgeführt, sodass einiges für seine Mitwirkungspflicht spricht.60) Ob die Einführung des Kapitels V zu einer besseren Koordinierung der Verfahren über das ___________ 53) 54) 55) 56) 57) 58) 59) 60)

Honert in: Braun, InsO, Art. 76 EuInsVO Rz. 2; Fritz in: Vallender, EuInsVO, Art. 76 Rz. 3. J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO, Art. 76 Rz. 2. Fritz in: Vallender, EuInsVO, Art. 76 Rz. 4. Madaus in: Vallender, EuInsVO, Art. 61 Rz. 8; J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO, Art. 61 Rz. 18. Fritz in: Vallender, EuInsVO, Art. 76 Rz. 3. Hermann in: Vallender, EuInsVO, Art. 56 Rz. 40 ff. So jedenfalls J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO, Art. 76 Rz. 5. Hermann in: Vallender, EuInsVO, Art. 56 Rz. 16.

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§ 17

1. Teil Eigenverwaltung – Konzern

Vermögen einer Unternehmensgruppe führt, wird vor allem von der Einstellung der damit befassten Beteiligten abhängen.61) 2.

Eigenverwaltung im Konzern in Sekundärinsolvenzverfahren62)

2.1

Allgemeines

38 Dem Hauptinsolvenzverfahren sollen sich etwaige andere Verfahren unterordnen. Aus diesem Grund ist die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens an enge Voraussetzungen geknüpft. Dies wird durch Art. 36 EuInsVO unterstützt, der das Hauptinsolvenzverfahren stärken soll.63) 39 Gibt es im Mitgliedstaat der Antragstellung eine selbstständige Tochter eines Konzerns, wird kein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet, da eine Tochtergesellschaft grundsätzlich nicht die Voraussetzungen einer Niederlassung nach Art. 3 Abs. 2 EuInsVO erfüllt64) und eine erweiternde Auslegung des Begriffs der Niederlassung in dem Sinne, dass bei einem Konzern bereits das Anteilsrecht an der ausländischen Tochter als Vermögen in einem anderen Mitgliedstaat zur Annahme einer Niederlassung ausreicht,65) gegen den Wortlaut des Art. 2 Nr. 10 EuInsVO und die Intention des Verordnungsgebers verstoßen würde.66) In Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Unternehmensgruppe gelten Konstellationen, in denen die Geschäfte nicht über eigenständige nationale Tochtergesellschaften abgewickelt werden, sondern über Niederlassungen, in denen sich häufig auch wesentliche Vermögenswerte befinden – z. B. zur Auslieferung vorgesehene Waren –, als typische Fälle für Sekundärverfahren.67) 40 Infolge einer jüngeren Entscheidung des EuGH68) wurde teilweise die Auffassung vertreten, dass auch die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens am satzungsmäßigen Gesellschaftssitz und dementsprechend die vereinfachte Eröffnung von Sekundärinsolvenzverfahren möglich ist.69) Nach überwiegender Auffassung darf jedoch die gesellschaftsrechtliche Selbstständigkeit eines Rechtsträgers insolvenzrechtlich nicht ignoriert werden. Vielmehr ist bei einer Insolvenz der in einen Konzern eingegliederten Gesellschaft daran festzuhalten, dass eine Gesellschaft, die ihr COMI in einem Mitgliedstaat hat, nicht zugleich eine Niederlassung der in einem anderen Mitgliedstaat residierenden Gesellschaft sein kann.70) Überdies hat sich der Verordnungsgeber mit der EuInsVO 2015 zum Ziel gesetzt, die Eröffnung von Sekundärinsolvenzverfahren einzudämmen. Würde aus der Entscheidung des EuGH die einfachere Eröffnung von Sekundärverfahren geschlussfolgert, stünde das im Widerspruch zur Intention des Verordnungsgebers. 41 Art. 2 Nr. 10 EuInsVO sieht zusätzlich vor, dass eine nicht mehr bestehende Niederlassung noch drei Monate lang „nachwirkt“. Diese dreimonatige Retrospektivfrist korrespondiert ___________ 61) 62) 63) 64) 65) 66) 67) 68) 69)

70)

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So auch Vallender, ZIP 2015, 1513, 1514. S. ausführlich zur Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren § 21 Rz. 70 ff. Flöther in: KPB, InsO, Art. 36 EuInsVO Rz. 14. Thole in: MünchKomm-InsO, Art. 2 EuInsVO Rz. 44; Riedemann in: Pannen, EuInsVO, Art. 2 Rz. 60. Paulus, ZIP 2002, 729, 730. Virgós/Schmit in: Stoll, Vorschläge und Gutachten zur Umsetzung des EU-Übereinkommens über Insolvenzverfahren im deutschen Recht, S. 58 f. Nr. 70, 71; Sutschet in: Vallender, EuInsVO, Art. 2 Rz. 41. Schuster, NZI 2017, 873, 877. EuGH v. 4.9.2014 – Rs. C-327/13 (Burgo Group SpA ./. Illochroma SA in Liquidation), ZIP 2014, 2513 = EuZW 2015, 34, dazu EWiR 2015, 81 (Undritz). Baumert, LMK 2014, 362606 (Anm. zu EuGH v. 4.9.2014 – Rs. C-327/13 (Burgo Group SpA ./. Illochroma SA in Liquidation), ZIP 2014, 2513 = EuZW 2015, 34); ebenso J. Schmidt in: Mankowski/Müller/ J. Schmidt, EuInsVO, Art. 2 Rz. 56; a. A. Sutschet in: Vallender, EuInsVO, Art. 2 Rz. 50. Sutschet in: Vallender, EuInsVO, Art. 2 Rz. 50 m. w. N.

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mit den Fristen in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 und 3 EuInsVO und soll ebenso missbräuchliches forum shopping verhindern.71) Der Insolvenzverwalter des Hauptverfahrens kann natürlich die Eröffnung eines Sekundär- 42 insolvenzverfahrens beantragen, wenn sich komplexe Verfahren dadurch besser bearbeiten lassen. Das mit einem Antrag auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens befasste Gericht hat den Insolvenzverwalter des Hauptverfahrens vor der Entscheidung anzuhören, Art. 38 Abs. 1 EuInsVO. Diese Regelung soll sicherstellen, dass dieses Gericht umfassend über alle Sanierungsoptionen, denen der Verwalter nachgeht, informiert und in die Lage versetzt wird, die Folgen der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens zu beurteilen.72) Die Feststellung des Insolvenzgrunds im Sekundärinsolvenzverfahren ist entbehrlich, wenn 43 das Hauptinsolvenzverfahren voraussetzt, dass der Schuldner insolvent ist, Art. 34 Satz 2 EuInsVO. Daraus folgt, dass die Gerichte aber dann eine Prüfung vornehmen müssen, wenn das Hauptverfahren ohne Eintritt der materiellen Insolvenz eröffnet wurde oder der Eintritt der Insolvenz nur wahrscheinlich ist.73) Das bedeutet, dass das Gericht den Insolvenzgrund jedenfalls dann prüfen muss, wenn es sich bei dem Hauptverfahren um ein Sanierungsverfahren handelt.74) Bei einem Sekundärinsolvenzverfahren muss es sich nicht mehr um ein Liquidationsver- 44 fahren handeln (siehe auch unten Dreschers, HRI II, § 18 Rz. 74 ff.).75) Diese frühere Voraussetzung wurde als sanierungsfeindlich eingeschätzt und in der EuInsVO 2015 gestrichen. Mit dieser Änderung ist gewährleistet, dass die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens nicht schon per se der Sanierung oder Restrukturierung des Schuldnerunternehmens als Einheit entgegensteht, ErwG 48 EuInsVO. Das bedeutet auch, dass nunmehr ein Sekundärverfahren in Eigenverwaltung zum Zwecke der Sanierung der schuldnerischen Gesellschaft der Unternehmensgruppe geführt werden kann, womit sich grundsätzlich neue Gestaltungsspielräume für die Verfahrensabwicklung der Insolvenz der Gesellschaften einer Unternehmensgruppe ergeben können. Voraussetzung ist, dass das Verfahren in Anhang A oder Anhang B der EuInsVO aufgeführt ist. In diesem Zusammenhang regelt Art. 102c § 15 Satz 1 EGInsO, dass ein Insolvenzplan in einem in Deutschland eröffneten Sekundärverfahren, der eine Stundung, einen Erlass oder sonstige Einschränkungen der Gläubigerrechte enthält, vom Insolvenzgericht nur bestätigt werden darf, wenn alle betroffenen Gläubiger diesem Plan zugestimmt haben.76) 2.2

Antragstellung77)

Das Sekundärinsolvenzverfahren kann neben dem Schutz der Interessen der lokalen Gläubi- 45 ger auch der Unterstützung des Hauptverfahrens dienen, wenn es die effiziente Verwaltung fördert. Das wird darin deutlich, dass auch der Hauptinsolvenzverwalter das Recht hat, ___________ 71) J. Schmidt in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO, Art. 2 Rz. 48. 72) Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren, COM(2012) 744, 8. 73) Vallender/Zipperer in: Vallender, EuInsVO, Art. 3 Rz. 39. 74) EuGH, Schlussanträge (GA Kokott) v. 24.5.2012 – Rs. C-116/11 (Sad Rejonowy Poznan Stare Miasto w Poznan [Handlowy]), ZIP 2012, 1133, 1140; ebenso Vallender/Zipperer in: Vallender, EuInsVO, Art. 3 Rz. 39. 75) Keller in: Vallender, EuInsVO, Art. 34 Rz. 27; Schmidt, KTS 2015, 19, 30; vgl. auch AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04 (Automold), ZIP 2004, 471, dazu EWiR 2004, 601 (Blenske); Kübler in: FS Gerhardt, 2004, S. 527, 538; Westpfahl/Götker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, Rz. 566 ff. 76) Holzer in: KPB, InsO, Art. 102c § 15 EGInsO Rz. 4. 77) S. auch unten Dreschers, HRI II, § 18 Rz. 87 ff., 95 ff.

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1. Teil Eigenverwaltung – Konzern

ein Sekundärverfahren zu beantragen (siehe auch unten Dreschers, HRI II, § 18 Rz. 98).78) Das verordnungsautonome Antragsrecht aus Art. 37 Abs. 1 lit. a EuInsVO steht nur dem Hauptinsolvenzverwalter, nicht hingegen den Verwaltern aus anderen Sekundärinsolvenzverfahren zu. 46 Der Sachwalter im Hauptverfahren soll nach h. M. grundsätzlich nicht zur Stellung des Antrags auf Eröffnung des Sekundärverfahrens befugt sein.79) Er kann allerdings zur Antragstellung berechtigt sein, wenn das Insolvenzrecht des Niederlassungsstaats ein solches Antragsrecht vorsieht. Art. 37 Abs. 1 lit. b EuInsVO. Auch der Schuldner in Eigenverwaltung im Hauptverfahren, der – z. B. gemäß §§ 270 ff. InsO – die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen behält, ist zur Stellung eines Antrags auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens berechtigt.80) Allerdings würde sich der Schuldner bei Eigenverwaltung, wenn er einen Sekundärinsolvenzantrag stellt, die ihm als Eigen(haupt)verwalter zustehende Verfügungsbefugnis über die Gegenstände der Sekundärinsolvenzmasse selber entziehen und einem Sekundärinsolvenzverwalter zuweisen. Aus dieser Interessenlage heraus wird ein eigenverwaltender Schuldner, selbst wenn er antragsbefugt ist, kaum je einen Sekundärinsolvenzantrag stellen.81) 2.3

Zusicherung zwecks Vermeidung82)

47 Die Bestimmungen zur Ermöglichung sog. synthetischer Sekundärverfahren sind zwar nicht im Abschnitt über die konzernspezifischen Bestimmungen geregelt, aber auf konzernrechtliche Anwendungskontexte zugeschnitten.83) In diesen Fällen, in denen Geschäfte über eigenständige Niederlassungen, in denen sich substantielle Vermögenswerte befinden, abgewickelt werden, kann auch die Anzahl der von der Zusicherung potenziell betroffenen Gläubiger besonders hoch sein. 48 Zur Vermeidung des Sekundärinsolvenzverfahrens kann der Verwalter des Hauptverfahrens eine Zusicherung gemäß Art. 36 EuInsVO abgeben (siehe unten Dreschers, HRI II, § 18 Rz. 82, 88).84) Der Begriff „Verwalter“ ist autonom auszulegen und wird in Art. 2 Nr. 5 EuInsVO definiert; auch der vorläufige Insolvenzverwalter ist damit umfasst. 49 Wird in Deutschland ein Hauptinsolvenzverfahren in Eigenverwaltung angeordnet, stellt sich die Frage, ob der Schuldner in Eigenverwaltung oder aber der Sachwalter zur Abgabe der Zusicherung befugt ist. Bei wörtlicher Auslegung des Art. 36 Abs. 1 EuInsVO würde dieses Recht nur dem Sachwalter zustehen, da dort nur der Verwalter genannt wird. Diese wörtliche Auslegung würde jedoch zu Widersprüchen mit der nach deutschem Insolvenzrecht geltenden Kompetenzverteilung zwischen dem Schuldner in Eigenverwaltung und dem Sachwalter führen. Da der Sachwalter nicht die Verfügungsbefugnis über das schuldnerische Vermögen innehat, soll er zur Abgabe der Zusicherung, in der er sich gegenüber lokalen Gläubigern zu zukünftigen Verfügungen und Vermögensverteilungen verpflichten ___________ 78) Keller in: Vallender, EuInsVO, Art. 34 Rz. 5. 79) Keller in: Vallender, EuInsVO, Art. 37 Rz. 3; anders entschieden im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Küpper-Gruppe, AG Wuppertal Az. IN 381/17 bis IN 384/17, Erfahrungsbericht INDatReport 1/2018, S. 38 ff. 80) Delzant in: Braun, InsO, Art. 37 EuInsVO Rz. 10; a. A. Mankowski in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO, Art. 37 Rz. 6 f., die Mitgliedstaaten haben insoweit die Prärogative. Indem sie die Entscheidung treffen, welchen Personenkreis sie als Insolvenzverwalter im Anhang C melden und damit im normativen Teil der EuInsVO verankern, beantworten sie jene Frage abschließend und für den Rechtsanwender bindend. Vgl. auch Wenner/Schuster in: Wimmer, FK-InsO, Art. 37 EuInsVO Rz. 11 f. 81) Mankowski in: Mankowski/Müller/Jessica Schmidt, EuInsVO, Art. 37 Rz. 7. 82) S. unten Dreschers, HRI II, § 18 Rz. 82, 88, 123. 83) Bornemann in: Wimmer/Bornemann/Lienau, Die Neufassung der EuInsVO, Teil K Rz. 522. 84) Ausführlich auch Schuster, NZI 2017, 873.

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würde, nach deutschem Insolvenzrecht nicht berechtigt sein.85) Ein Fall aus der jüngsten Praxis zeigt allerdings, dass auch anders verfahren werden kann.86) Hier konnte – offensichtlich erstmalig seit der Neuregelung der EuInsVO – ein Sekundärverfahren in Ungarn vermieden werden. Der Sachwalter über vier deutsche Gesellschaften einer Unternehmensgruppe und gleichzeitig Insolvenzverwalter der ungarischen Gesellschaft erhielt für seine Zusicherung einstimmig die Zustimmung der lokalen Gläubiger.87) Gibt der Schuldner in Eigenverwaltung die Zusicherung ab, sollte er sich jedoch gemäß 50 § 275 InsO die Zustimmung des Sachwalters zur Abgabe der Zusicherung einholen. Hat das Insolvenzgericht gemäß § 277 InsO auf Antrag der Gläubigerversammlung angeordnet, dass die Abgabe einer Zusicherung durch den Schuldner der Zustimmung des Sachwalters bedarf, ist deren Erteilung für die Wirksamkeit der Zusicherung konstitutiv.88) Die Zusicherung ist allerdings nur verbindlich und nicht vollstreckbar. Das bedeutet, dass im Falle der Weigerung des Verwalters, die Zusicherung zu erfüllen, die Rechte aus der Zusicherung klageweise durchgesetzt werden müssen.89) 2.4

Kooperationspflicht90)

Die für die Verwalter geltende Kooperationspflicht gilt gleichfalls für den Schuldner in 51 Eigenverwaltung, Art. 41 Abs. 3 EuInsVO, und mittelbar auch für den Sachwalter.91) Dabei ist es unerheblich, ob die Eigenverwaltung in der Hauptinsolvenz, in der Sekundärinsolvenz oder in beiden angeordnet ist. Grundsätzlich tritt der eigenverwaltende Schuldner an die Stelle des Verwalters. Allerdings ist auf Besonderheiten und Abweichungen in der Ausgestaltung seiner Stellung gegenüber der eines Fremdverwalters zu achten.92) Je nach Ausgestaltung der einzelnen lex fori können dem eigenverwaltenden Schuldner Sachwalter oder sonstige institutionalisierte Überwacher zur Seite gestellt sein. Sinngemäß sollte über Art. 41 Abs. 3 EuInsVO auch eine Kooperationspflicht zwischen etwaigen Sachwaltern untereinander und zwischen Sachwaltern und Verwaltern anderer Verfahren bestehen.93) Auch wenn die EuInsVO von der engen Zusammenarbeit von Haupt- und Sekundärin- 52 solvenzverwalter ausgeht, wäre eine Personenidentität in beiden Verfahren wohl nicht von der Intention des EU-Gesetzgebers gedeckt, da die Interessenlage der Verwalter der beiden Verfahren zu unterschiedlich ist.94) Die Praxis wird zeigen, ob die Reform der EuInsVO diesbezüglich Änderungen bringt, wenn in Insolvenzverfahren mehrerer Mitglieder einer Unternehmensgruppe die Eigenverwaltung angeordnet wird und es zu Sekundärinsolvenzverfahren kommt.95)

___________ 85) Str.: Delzant in: Braun, InsO, Art. 36 EuInsVO Rz. 5; a. A. Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 36 EuInsVO Rz. 18; ebenso Schuster, NZI 2017, 873, 874. 86) Insolvenzverfahren über das Vermögen der Küpper-Gruppe, AG Wuppertal Az. IN 381/17 bis IN 384/17, Erfahrungsbericht INDat-Report 1/2018, S. 38 ff. 87) Insolvenzverfahren über das Vermögen der Küpper-Gruppe, AG Wuppertal Az. IN 381/17 bis IN 384/17, Erfahrungsbericht INDat-Report 1/2018, S. 38 ff. 88) Delzant in: Braun, InsO, Art. 36 EuInsVO Rz. 5. 89) Mankowski, NZI 2015, 961, 965; Prager/Keller, WM 2015, 805, 808. 90) S. ausführlich unten Dreschers, HRI II, § 18 Rz. 83, 117 ff. 91) Hermann in: Vallender, EuInsVO, Art. 41 Rz. 8; Mankowski in: Mankowski/Müller/Jessica Schmidt, EuInsVO, Art. 41 Rz. 99. 92) Mankowski in: Mankowski/Müller/Jessica Schmidt, EuInsVO, Art. 41 Rz. 99. 93) Mankowski in: Mankowski/Müller/Jessica Schmidt, EuInsVO, Art. 41 Rz. 100. 94) Keller in: Vallender, EuInsVO, Art. 34 Rz. 25. 95) Befürwortend Mankowski in: Mankowski/Müller/J. Schmidt, EuInsVO, Art. 34 Rz. 29 f.

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1. Teil Eigenverwaltung – Konzern

53 Die Verfahrensweise kann so gestaltet werden, dass es z. B. ein Leitverfahren mit Insolvenzverwalter gibt und die Eigenverwaltung in den Sekundärverfahren angeordnet wird. Die Besonderheit eines Sekundärinsolvenzverfahrens in Eigenverwaltung besteht darin, dass der Hauptinsolvenzverwalter die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auch für die im Sekundärverfahren befindliche Niederlassung behalten kann und lediglich von einem Sachwalter überwacht wird.96) 54 Die Konzentration der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis in einer Hand im Hauptverfahren als Leitverfahren ermöglicht, dass die Koordination der Sekundärverfahren zentral vom Hauptverfahren aus erfolgen kann.97) Erstmals hatte das AG Köln eine Verfahrenskoordination im Wege der Anordnung der Eigenverwaltung zu erreichen versucht.98) In diesem Fall war über das Vermögen einer deutschen GmbH mit Sitz in Deutschland, die 100 %ige Tochter einer englischen Limited war (über deren Vermögen ebenfalls das Insolvenzverfahren eröffnet worden war), ein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet und Eigenverwaltung angeordnet worden. Hintergrund war, dass die Position des Hauptverwalters hinsichtlich der Entscheidung über den weiteren Ablauf des Verfahrens zunächst unsicher erschien. Da es für den Hauptverwalter nicht absehbar war, ob und wann ein Gläubiger einen Antrag auf ein Sekundärverfahren stellen würde, wählte er den Weg der eigenen Antragstellung auf ein Sekundärinsolvenzverfahren mit Anordnung der Eigenverwaltung, um die Verwaltungsbefugnis nicht zu verlieren, Art. 29a EuInsVO a. F.99) 55 Es bestehen allerdings – nach wie vor – Zweifel, ob eine Personenidentität im Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren der Vorstellung des Europäischen Gesetzgebers und dem Konzept der Parallelverfahren entspricht.100) Ein Großteil der Vorschriften für das Sekundärinsolvenzverfahren, wie insbesondere Art. 41 EuInsVO mit seiner Statuierung einer Kooperations- und Informationspflicht, wären im Fall der Personalunion überflüssig. Da sich aus der Doppelrolle des Verwalters (bzw. des eigenverwaltenden Schuldners) im Hauptinsolvenzverfahren der Interessenkonflikt ergibt, sowohl im Haupt- als auch im Sekundärinsolvenzverfahren verwaltungs- und verfügungsbefugt zu sein, kann hierin ein Nachteil i. S. des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO zu sehen sein (siehe auch unten Dreschers, HRI II, § 18 Rz. 99 ff.).101) Es bleibt damit die Hürde, dass die Gläubiger einen Aufhebungsantrag stellen, um die Möglichkeit der Eigenverwaltung zu verhindern. Diesem Einwand kann jedoch Sinn und Zweck der Regelung der Eigenverwaltung entgegengehalten werden, der gerade auch darin besteht, dass der Betrieb aufgrund der besonderen Kenntnisse und der Fähigkeiten des Schuldners besser durch diesen als durch einen Verwalter aufrechterhalten werden kann. Im Fall, den das AG Köln zu entscheiden hatte, war es allerdings der Insolvenzverwalter des Hauptverfahrens, der die Betriebsfortführung am besten gewährleisten konnte, da er bereits eingearbeitet war und gerade keine Nachteile i. S. des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO zu befürchten waren.102) ___________ 96) AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04 (Automold), ZIP 2004, 471; Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 233, 236. 97) Hortig, Kooperation von Insolvenzverwaltern, S. 106. 98) AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04 (Automold), ZIP 2004, 471. 99) Hortig, Kooperation von Insolvenzverwaltern, S. 107 f.; Westpfahl/Götker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, Rz. 573. 100) Brinkmann in: K. Schmidt, InsO, Art. 3 EuInsVO Rz. 29; Kübler in: FS Wellensiek, 2011, S. 795, 808 m. w. N.; anders AG Wuppertal Az. IN 381/17 bis IN 384/17 (Küpper-Gruppe), das die etwaige Interessenkollision des Verwalters in seiner Eigenschaft als Sachwalter bzw. Insolvenzverwalter der verschiedenen Gesellschaften durch Bestellung von Sonderinsolvenzverwaltern gelöst hat, INDat Report 1/2018, S. 38 ff. 101) Herchen in: Pannen, EuInsVO, Art. 27 Rz. 92. 102) AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04 (Automold), ZIP 2004, 471, 474.

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§ 17

Die Anordnung der Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren ist gerade angesichts 56 der Neuregelungen in der EuInsVO keineswegs ausgeschlossen. Gefordert wird eine einzelfallbezogene Prognoseentscheidung des Gerichts, dass die Anordnung der Eigenverwaltung nicht nur nicht zu Nachteilen für die Gläubiger, sondern zu einer schnelleren Verfahrensbeendigung und einer besseren Quote führt.103) Die Anordnung der Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren, bei der das Verwaltungs- und Verfügungsrecht über das (gesamte) schuldnerische Vermögen beim Hauptinsolvenzverwalter oder beim im Hauptverfahren eigenverwaltenden Schuldner verbleibt, kann in besonderem Maße dazu beitragen, Abstimmungsschwierigkeiten zu reduzieren bzw. zu beseitigen. Dies kann sich wiederum vorteilhaft auf die Befriedigungschancen der Gläubiger auswirken. Ob der zuständige Richter der Eigenverwaltung gegenüber grundsätzlich und speziell in 57 einer derartigen Konstellation aufgeschlossen ist oder doch zur Wahrung der Interessen der nationalen Gläubiger die Bestellung eines zusätzlichen Insolvenzverwalters für erforderlich hält, ist von der jeweiligen Fallkonstellation abhängig. Die tätigen Verwalter sollten ein ähnliches Verständnis von Sanierung haben.104) Möglicherweise ist eine solche Handlungsoption bereits deshalb ausgeschlossen, weil die betreffende Rechtsordnung die Eigenverwaltung als Rechtsinstitut nicht kennt.105) Der für die Zulässigkeit der Eigenverwaltung im Sekundärverfahren häufig genannte Vorteil einer einheitlichen Verfahrensabwicklung wird wohl auch zukünftig vorrangig durch die Kooperations- und Koordinationspflichten der Art. 41 ff. EuInsVO verwirklicht werden.

___________ 103) AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04 (Automold), ZIP 2004, 471, 475. 104) Vgl. INDat-Report 1/2018, S. 38 ff. 105) Kübler in: FS Wellensiek, 2011, S. 795, 807 m. w. N.

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D. Eigenverwaltung und EuInsVO § 18 Grenzüberschreitende Eigenverwaltung Dreschers

I.

Das Rechtsinstitut der Eigenverwaltung im internationalen Vergleich........... 1 1. Ausgangssituation........................................ 1 2. Modelle der Eigenverwaltung im internationalen Umfeld ....................................... 4 2.1 Der „Debtor in Possession“ nach US-amerikanischem Recht...... 4 2.1.1 Die gesetzliche Ausgangslage ......... 4 2.1.2 Die „Secured Party in Possession“ ............................................... 11 2.2 Die Eigenverwaltung in England und Wales............................... 14 2.3 Die Eigenverwaltung in Frankreich................................................ 27 2.4 Die Eigenverwaltung in Österreich................................................ 38 II. Die Eigenverwaltung unter dem Regime der EuInsVO.................................... 49 1. Die Eigenverwaltung im Hauptinsolvenzverfahren ............................................. 54 2. Die Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren ........................................ 72 2.1 Die Intention des Sekundärinsolvenzverfahrens nach der EuInsVO........................................ 84 2.2 Die Antragsbefugnis der Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren ........................... 87

2.2.1

Antragsbefugnis des Verwalters des Hauptinsolvenzverfahrens ..... 87 2.2.2 Antragsbefugnis des Schuldners bzw. der organschaftlichen Vertreter des Schuldners..................... 95 2.2.3 Antragsbefugnis der Gläubiger des Schuldners ............................... 98 2.3 Die Position des „Schuldners“ im Sekundärinsolvenzverfahren ... 99 2.3.1 Der Insolvenzverwalter des Hauptverfahrens............................ 99 2.3.2 Die Geschäftsleitung bzw. Organe des Insolvenzschuldners............................................... 110 2.3.3 Die organschaftliche Bestellung eines externen Insolvenzexperten ....................................... 111 2.4 Die Funktion des „Sachwalters“ ........................................ 112 2.5 Kooperationspflichten zwischen den Verwaltern von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren .............................. 117 III. Die grenzüberschreitende Eigenverwaltung im präventiven Restrukturierungsverfahren ................................... 126

Literatur: Dammann, Die Erfolgsrezepte französischer vorinsolvenzlicher Sanierungsverfahren, NZI 2009, 502; Dammann, Die Schlüssel des Erfolgs der französischen Vorverfahren und der neuen procedure de sauvegarde, NZI 2008, 420; Kindler, Hauptfragen der Reform des Europäischen und internationalen Insolvenzrechts, KTS 2014, 25; Meyer-Löwy/Poertzgen, Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO) löst Kompetenzkonflikt nach der EuInsVO, ZInsO 2004, 195; Nunner-Krautgasser/Reckenzaun, Eigenverwaltung in Österreich – ein Erfahrungs- und Entwicklungsbericht von 2010 bis heute, ZInsO 2016, 413; Nunner-Krautgasser, Aktuelle Insolvenzreform in Österreich: Erleichterung der Restschuldbefreiung für natürliche Personen, ZInsO 2017, 2525; Priebe, Chapter 11 & Co. Eine Einführung in das US-Insolvenzrecht und ein erster Rückblick auf die Jahre 2007 – 2010 der Weltwirtschaftskrise, ZInsO 2011, 1676; Riel, Die Eigenverwaltung im neuen österreichischen Sanierungsverfahren, ZInsO 2011, 1400; Sax/Swierczok, Die Anerkennung des englischen Scheme of Arrangement in Deutschland post Brexit, ZIP 2017, 601; Theiselmann/Verhoeven, Das Scheme of Arrangement aus Sicht der Geschäftsleitung nach deutschem Insolvenzrecht, ZIP 2018, 2101; Vallender, Aktuelle und künftige Herausforderungen für Insolvenzrichter und -Rechtspfleger, ZInsO 2017, 2464; Zipperer, Ein Plädoyer für eine europarechtskonforme Anwendung deutscher Verfahrensvorschriften am Beispiel Niki, ZIP 2018, 856; Zipperer, Der präventive Restrukturierungsrahmen – ein flankierendes Projekt der Kommission zur Effektivierung der EuInsVO, ZInsO 2016, 831.

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§ 18

Grenzüberschreitende Eigenverwaltung I.

Das Rechtsinstitut der Eigenverwaltung im internationalen Vergleich

1.

Ausgangssituation

Die erstmalige Einführung der Möglichkeit einer Eigenverwaltung mit der zum 1.1.1999 1 in Kraft getretenen InsO stellte seinerzeit einen der Eckpfeiler der umfassenden Neuregelung des deutschen Insolvenzrechts dar. Im Rahmen der Entwicklung dieses Rechtsinstituts standen seit jeher die Erfahrungen anderer Länder mit verwalterlosen Sanierungsverfahren – am prominentesten wohl das US-amerikanische Chapter 11-Verfahren (Chapter 11-Verfahren) – Pate. In der Praxis spielt eine Anordnung – von wenigen in der Presse bekannt gewordenen Ausnahmen wie Babcock Borsig, Kirch Media oder Air Berlin einmal abgesehen – gegenüber der „klassischen“ Regelinsolvenz statistisch gesehen bislang immer noch eine untergeordnete Rolle.1) In Anbetracht der zunehmenden Globalisierung muss sich das deutsche Recht der Eigen- 2 verwaltung dem ständigen internationalen Wettbewerb der Restrukturierungsrechte stellen und sich die Frage gefallen lassen, ob die bislang bestehende fehlende Akzeptanz der in Deutschland gültigen Rechtsregeln für das verwalterlose Verfahren (auch) auf Defizite gegenüber vergleichbaren Rechtsinstituten auf internationaler Ebene zurückzuführen ist.2) Dies wirft automatisch die Frage auf, wie konkurrierende Rechtsordnungen mit verwal- 3 terlosen Verfahren umgehen. 2.

Modelle der Eigenverwaltung im internationalen Umfeld

2.1

Der „Debtor in Possession“ nach US-amerikanischem Recht

2.1.1 Die gesetzliche Ausgangslage Das US-Insolvenzrecht ist in Gestalt des 1978 eingeführten Bankruptcy Code überwiegend 4 in Titel 11 des United States Code (U.S.C.) niedergelegt. Er enthält insgesamt neun Abschnitte („Chapter“), die sich mit dem internationalen Insolvenzrecht (Chapter 15) und allgemeinen Vorschriften (Chapter 1, 3, 5), mit einem allgemeinen Liquidationsverfahren (Chapter 7) sowie insgesamt vier Reorganisations- bzw. Schuldenregulierungsverfahren (Chapter 9 bezogen auf insolventen Gemeinden, Chapter 11 als Reorganisierung von Unternehmen, Chapter 12 speziell bezogen auf familiengeführte Agrar – und Fischereiunternehmen und Chapter 13 bezogen auf Privatinsolvenzen) befassen, deren jeweiliger Anwendungsbereich sich mithin in erster Linie nach der Identität des Schuldners richtet. Für Unternehmen bzw. juristische Personen stehen demnach im Wesentlichen das allgemeine Liquidationsverfahren gemäß Chapter 7 sowie das Restrukturierungsverfahren ge___________ 1)

2)

Das Statistische Bundesamt vermeldete für den Zeitraum 2005 – 2010 bezogen auf Regelinsolvenzverfahren (IN) einen Anteil der angeordneten Eigenverwaltungen zwischen 0,44 % (2005) und 0,67 % (2010); zur statistischen Auswertung auch Kranzusch, ZInsO 2008, 1346. Die Ergebnisse der Evaluierung des ESUG wurden im November 2018 veröffentlicht; eine Zusammenfassung enthält § 58. Eine statistische Auswertung der Boston Consulting Group BCG München hat gezeigt, dass innerhalb des Zeitraums 3/2012 – 1/2017 insgesamt 1.236 und damit 2,6 % der Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung beantragt wurden; 41 % davon scheiterten jedoch und kehrten zur Regelabwicklung zurück; abrufbar unter http://media-publications.bcg.com/Focus-ESUG-Studie-16May17.pdf (Abrufdatum: 19.1.2023). An der Ludwig-Maximilians-Universität München wurde 2009 i. R. einer Forschungsprofessur zum Thema „Wettbewerb der Gesellschaftsrechte und der Insolvenzrechte in Europa“ eine empirische Untersuchung zum Reformbedarf im Restrukturierungsrecht durchgeführt. Als Ergebnis der insgesamt 51 Interviews mit in- und ausländischen Restrukturierungspraktikern stellt das Recht der Eigenverwaltung im Rechtswettbewerb einen wichtigen Faktor dar, der in seiner Bedeutsamkeit allerdings von der Vorhersehbarkeit des Verfahrens, der Möglichkeit der Verwalterauswahl sowie der Möglichkeit, auf Gesellschafterrechte Zugriff zu nehmen, übertroffen wird. Zur Auswertung der Ergebnisse i. E. Eidenmüller/Frobenius/Prusko, NZI 2010, 545.

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1. Teil Eigenverwaltung – EuInsVO

mäß Chapter 11 zur Verfügung.3) Durch den Small Business Reorganization Act wurde 2019 der Anwendungsbereich des Chapter 11-Verfahrens auch für kleine Unternehmern (Verschuldung unter 2,7 Mio. USD) eröffnet; vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie erfolgte 2020 eine Anhebung auf 7,5 Mio. USD.4) 5 Das Chapter 11-Verfahren5) stellt nicht zuletzt in Anbetracht der in den USA bestehenden langjährigen Erfahrung auf internationaler Ebene quasi die Urform des verwalterlosen Sanierungsverfahrens dar. In der Vergangenheit wurde es dabei auch in Deutschland der Allgemeinheit bekannt durch prominente Beispielsfälle wie etwa Lehman Brothers Holdings, General Motors, Chrysler, American Airlines oder Toys’R’Us. 6 Ein Verfahren nach Chapter 11 ist gemäß Chapter 11 U.S.C. §§ 1104, 1107 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen primär als verwalterloses Verfahren ausgestaltet,6) um dem Schuldner als „Debtor in Possession“ (DIP) eine Motivation für eine frühzeitige Verfahrenseinleitung zu eröffnen,7) sein vorhandenes branchenspezifisches Know-how im Bereich des Managements weiterhin zu verwenden und letztlich auch die Kosten des Restrukturierungsverfahrens zu minimieren.8) Im Bedarfsfall besteht für das US-amerikanische Insolvenzgericht die Möglichkeit, die Kompetenzen des Schuldners zu beschneiden und einen externen Trustee oder auch einen Examiner zu benennen. Der Trustee übernimmt als Treuhänder eine einem Insolvenzverwalter vergleichbare Funktion, dem Examiner kommt demgegenüber die Rolle eines die Geschäftstätigkeit des Schuldners überwachenden Sachwalters zu.9) 7 Dem als DIP fungierenden Schuldner obliegt neben seiner Funktion als Verfahrensschuldner im Regelfall die Aufgabe eines Trustee mit der entsprechenden verwaltenden Rechtskompetenz10) bis hin zur Geltendmachung von Haftungs- und Anfechtungsansprüchen.11) In dieser Position ist ihm gegenüber seinen Gläubigern eine besondere Pflichtenstellung (Duty of Care und Duty of Loyalty) auferlegt; umstritten ist i. Ü., ob und inwieweit er ___________ 3) Hierzu i. E. Meyer-Löwy/Poertzgen/Eckhoff, ZInsO 2005, 735; Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 361 ff. Zum Ablauf des Chapter 11-Verfahrens auch Gräwe, ZInsO 2012, 158 ff. 4) Der Small Business Reorganization Act wurde am 23.8.2019 erlassen und trat am 20.2.2020 in Kraft; er ist in einem eigenen Unterkapitel des Chapter 11 (dort Sub-Chapter V) angesiedelt. Vgl. dazu auch Grauke/Fail/Hwangpo in: MünchKomm-InsO, Länderbericht USA, S. 2131, Rz. 12. 5) Vgl. hierzu auch Grauke/Fail/Hwangpo in: MünchKomm-InsO, Länderbericht USA, S. 2129 ff. 6) S. hierzu auch die vergleichende Betrachtung zwischen dem „verwalterlosen“ Chapter 11-Verfahren und dem deutschen Sachwalter bei Korch, ZIP 2018, 109; Siemon/Harder, NZI 2016, 434. 7) Dabei kennt das US-amerikanische Insolvenzecht keine strafbewehrte Insolvenzantragspflicht; Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1338, Rz. 9. 8) Gesamtdarstellung bei Grauke/Fail/Hwangpo in: MünchKomm-InsO, Länderbericht USA, S. 2129 ff.; Eidenmüller, ZHR 175 (2011) 11, 18; Flessner, Sanierung und Reorganisation – Insolvenzverfahren für Großunternehmen in rechtsvergleichender und rechtspolitischer Untersuchung, S. 223 ff.; vgl. zum Verfahrensablauf i. E. auch die Darstellungen von Gräwe, ZInsO 2012, 158, und Priebe, ZInsO 2011, 1676; zu aktuellen Reformbestrebungen des US-amerikanischen Gesetzgebers und Auswirkungen der Erkenntnisse auf das deutsche Insolvenzrecht vgl. ausführlich Siemon, ZInsO 2013, 1861. 9) In der Praxis ist die Bestellung eines „Trustee“ oder „Examiner“ auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen eine strafrechtlich relevante Insolvenzverursachung naheliegt; vgl. McCormack, Corporate Rescue Law, S. 82. 10) Flessner, Sanierung und Reorganisation – Insolvenzverfahren für Großunternehmen in rechtsvergleichender und rechtspolitischer Untersuchung, S. 225; hierzu zählt u. a. auch die Berechtigung, in einem auf eine in Deutschland befindliche Niederlassung bezogenen Arbeitsverhältnis in entsprechender Anwendung des § 113 InsO eine Kündigung auszusprechen, vgl. dazu BAG v. 24.9.2015 – 6 AZR 492/14, ZIP 2015, 2387, dazu EWiR 2016, 121 (Paulus). 11) 11 U.S.C. § 1106 (a) i. V. mit 11 U.S.C. § 1107 (a); hierzu auch Grauke/Fail/Hwangpo in: MünchKommInsO, Länderbericht USA, S. 2137 Rz. 48.

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Grenzüberschreitende Eigenverwaltung

sich entlastend auf die Business Judgement Rule berufen kann.12) Der Schuldner bzw. das Management des DIP hat nach Eröffnung des Reorganisationsverfahrens 120 Tage Zeit, beim zuständigen Insolvenzgericht einen Reorganisationsplan vorzulegen (im Bedarfsfall kann diese Frist bis zu einer Maximalfrist von 18 Monaten verlängert werden)13). Substanzielle Vermögensveräußerungen unterliegen dabei einer Zustimmungspflicht des 8 Insolvenzgerichts.14) Prägend für die Stellung des Debtor in Possession im Chapter 11-Verfahren ist mithin eine 9 Doppelrolle des Schuldners, der auf der einen Seite die Geschäfte seines Unternehmens weiterhin eigenverantwortlich leitet, auf der anderen Seite als Trustee einer strengen fiduziarischen Pflichtenbindung gegenüber allen Beteiligten unterworfen ist. Ein durch einen Antrag des Schuldners eingeleitetes Restrukturierungsverfahren nach 10 Chapter 11 wird auch in Deutschland i. S. von § 352 Abs. 1, § 343 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 InsO, § 240 ZPO als Eröffnung eines ausländischen Insolvenzverfahrens anerkannt.15) 2.1.2 Die „Secured Party in Possession“ Die vorstehend beschriebene gesetzliche Ausgangslage des Chapter 11-Verfahrens war in 11 der amerikanischen Insolvenzpraxis innerhalb der letzten Jahrzehnte einem stetigen Wandel unterzogen. Seit Beginn der 90er Jahre zeichnet sich zunehmend ab, dass die Kontrolle des Verfahrens jenseits des mit dem Schuldner identischen Debtor in Possession von finanzierenden Großgläubigern, sog. „Secured Party in Possession“ (SPIP) übernommen wird.16) Damit ist der auch in den USA für das verwalterlose Verfahren gehegten Befürchtung, das Chapter 11-Verfahren werde vom weiterhin mit der Geschäftsleitung betrauten Schuldner im ausschließlichen Eigeninteresse zulasten der Gläubigerschaft missbraucht,17) der Boden entzogen. Auch i. Ü. ist in der US-amerikanischen Insolvenzpraxis zunehmend zu beobachten, dass 12 es in einer Vielzahl von Debtor-in-Possession-Verfahren nach Chapter 11 vor Verfahrensbeginn zu einer Auswechslung des Managements kommt, so dass hier tatsächlich eine Fremdverwaltung im Gewand der Eigenverwaltung umgesetzt wird.18) Dies zeigt, dass auch in den USA im verwalterlosen Verfahren die Notwendigkeit gesehen wird, die Sanierung eines Unternehmens keinesfalls den Personen anzuvertrauen, die sich für deren wirtschaftliches Scheitern verantwortlich zeichnen. Bemerkenswert im Bereich des US-amerikanischen Restrukturierungsrechts nach Chap- 13 ter 11 ist ferner, dass es sich bei der überwiegenden Zahl der Verfahren nicht um Restrukturierungen i. S. einer Reorganisation des schuldnerischen Unternehmens handelt, sondern ___________ 12) Zum Streitstand Bogart, 68 Am. Bankr. L. J. (1994) 155, 178; hierzu auch Eidenmüller, ZHR 175 (2011) 11, 19. 13) Chapter 11 U.S.C. § 1121; hierzu auch Gräwe, ZInsO 2012, 158, 161; Grauke/Fail/Hwangpo in: MünchKomm-InsO, Länderbericht USA, S. 2138 Rz. 51. 14) Chapter 11 U.S.C. § 363; hierzu McCormack, Corporate Rescue Law, S. 80. 15) Vgl. BGH v. 13.10.2009 – X ZR 79/06 (Schnellverschlusskappe), ZIP 2009, 2217 = NZI 2009, 859, dazu EWiR 2009, 781 (Rendels/Körner). 16) Zum Ganzen Eidenmüller, ZHR 175 (2011) 11, 19; Baird/Rasmussen, 56 Stan. L. Rev. (2003) 673, 699; Adler/Capkun/Weiss, Destruction of Value in the New Era of Chapter 11, S. 2, 10. 17) So etwa Bradley/Rosenzweig, 101 Yale L. J. (1992) 1043, 1045, 1047; hierzu auch Eidenmüller, ZHR 175 (2011) 11, 19. 18) Vgl. Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1339. Empirische Forschungen belegen, dass etwa 70 % der Vorstandsvorsitzenden notleidender US-amerikanischer Kapitalgesellschaften innerhalb von zwei Jahren vor Stellung des Insolvenzantrags auf Druck der Banken ausgetauscht werden; vgl. Eidenmüller, ZHR 175 (2011) 11, 21 – unter Berufung auf Ayotte/Morrison, 1 JLA (2009) 511, 513.

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1. Teil Eigenverwaltung – EuInsVO

tatsächlich – sofern überhaupt eine Sanierung stattfindet – Gesamtveräußerungen i. S. übertragender Sanierungen (Asset Deals oder Asset Sales) vollzogen werden.19) Bei einem Großteil der Chapter 11-Verfahren handelt es sich demgegenüber heute um reine Liquidationen.20) 2.2

Die Eigenverwaltung in England und Wales

14 Das Insolvenzrecht von England und Wales zeichnet sich nicht zuletzt auch aufgrund der Landesgeschichte21) durch eine erhebliche Zersplitterung aus.22) So finden sich materiellrechtliche, auch für den Fall einer Insolvenz anwendbare Rechtsbestimmungen in verschiedenen Gesetzen mit insolvenzrechtlichem und gesellschaftsrechtlichem Gegenstand. Die insoweit maßgeblichen Bestimmungen sind dabei enthalten in den „Companies Acts“ der Jahre 1985 und 2006, im nach wie vor gültigen „Insolvency Act 1986“ sowie in den zum 6.4.2017 in Kraft getretenen ergänzenden „Insolvency Rules 2016“. Letzteres Regelwerk ersetzt die überkommenen „Insolvency Rules 1986“ nebst ihren 28 Ergänzungen (Amendments) und enthält insbesondere formale Vorschriften u. a. betreffend die verstärkte und erleichterte elektronische Kommunikation zwischen den Verfahrensbeteiligten. Weitere, insbesondere die Stellung von Geschäftsleitern (Directors) insolventer Gesellschaften behandelnde Vorschriften befinden sich im „Company Directors Disqualification Act“, der ebenfalls aus dem Jahre 1986 stammt. Wesentliche Änderungen dieser Regelungen finden sich u. a. im Enterprise Act 2002.23) Für das gerichtliche Verfahren maßgebliche Vorschriften sind wiederum in den „Practice Direction – Insolvency Proceedings“ enthalten, die mit Wirkung zum 7.7.2018 reformiert wurden.24) 15 Eine weitere für eine Restrukturierung maßgebliche Gesetzesänderung vollzog sich 2020 durch den „Corporate Insolvency and Governance Act 2020“ (CIGA 2020), der zum 26.6.2020 in Kraft trat und zum einen wie in vielen anderen Ländern auch zeitlich begrenzte Maßnahmen zur Begrenzung der negativen wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie enthielt (so etwa die temporäre Suspendierung der Geschäftsführerhaftung wegen Wrongful Trading, siehe dazu unten Rz. 25 f., zum anderen eine vorinsolvenzliche präventive Restrukturierung durch die Einführung eines autonomen Moratoriums unter der Aufsicht eines „Monitor“ weiter erleichtert.25) 16 Diese insolvenzrechtlichen und gesellschaftsrechtlichen Regelwerke bieten den in einer Krise befindlichen Gesellschaften verschiedene Möglichkeiten an:26) Insoweit kennt das englische Recht v. a. die Administrative Receivership, das Administration-Verfahren, das Winding-Up- oder auch Compulsory/Voluntary-Liquidation-Verfahren sowie das „Com___________ 19) Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1338; Eidenmüller, ZHR 175 (2011) 11, 22. 20) Eidenmüller, ZHR 175 (2011) 11, 22; Baird/Rasmussen, 56 Stan. L. Rev. (2003) 673, 675 ff. 21) Hierzu auch Haarmeyer/Pape/Stephan/Nickert, Formular-Kommentar Insolvenzrecht, B. Länderberichte und Muster zum internationalen Insolvenzrecht im Anwendungsbereich der EuInsVO, Ziff. 7 „Großbritannien“. 22) Vgl. hierzu auch die ausführliche Gesamtdarstellung bei Schlegel in: MünchKomm-InsO, Länderbericht England und Wales, S. 817 ff. 23) Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 385 ff., 386, zum englischen Insolvenzrecht ergänzend auch Ehricke/Köster/Müller-Seils, NZI 2003, 409. 24) Text abrufbar unter https://www.justice.gov.uk/courts/procedure-rules/civil/rules/insolvency_pdf (Abrufdatum: 19.1.2023); dazu Schlegel in: MünchKomm-InsO, Länderbericht England und Wales, S. 820, Rz. 13. 25) Dazu auch Schlegel in: MünchKomm-InsO, Länderbericht England und Wales, S. 820, Rz. 16 ff., S. 823, Rz. 29 ff. 26) Dazu ausführlich auch Bork/Wiese, Die Rechtsstellung des Insolvency Practitioners; Bork, Sanierungsrecht in Deutschland und England, Rz. 6.2 ff., 7.15 ff.; hierzu auch Kindler, KTS 2014, 25, 27.

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Grenzüberschreitende Eigenverwaltung

pany Voluntary Arrangement“ (CVA). Eine einer Eigenverwaltung vergleichbare Abwicklungsform findet sich dabei im Wesentlichen im letztgenannten CVA, dessen Voraussetzungen in Part I des Insolvency Act 1986 sowie dessen verfahrensrechtliche Umsetzung in Part II der Insolvency Rules 2016 niedergelegt sind.27) In der Praxis kommt darüber hinaus den „Schemes of Arrangement“ auf der Grundlage 17 der Sections 895 – 901 des Companies Act 200628) nach wie vor eine maßgebliche Bedeutung zu.29) Sowohl CVA als auch die Schemes of Arrangement setzen dabei als grundsätzlich verwalterlose (Sanierungs-)Verfahren nicht die Insolvenz des schuldnerischen Unternehmens voraus und können mithin bereits zu einem vergleichsweise frühen Zeitpunkt auch präventiv als Strukturierungsinstrument eingesetzt werden.30) Ein von einem ausländischen Unternehmen im Vereinigten Königreich durchgeführtes Scheme of Arrangement kann dabei selbst dann von einem englischen Gericht bestätigt werden, wenn die Mehrzahl der beteiligten Gläubiger dort nicht ansässig ist.31) Ein Scheme of Arrangement auf der Grundlage des Companies Act 2006 kann allerdings 18 auch i. R. eines Administration- oder Winding-up-Verfahrens durchgeführt werden, wobei in dieser Konstellation sodann dem bestellten Administrator ein entsprechendes Antragsrecht zukommt.32) Auch wenn diese Verfahrensart dem Grunde nach ein Insolvenzverfahren begrifflich nicht voraussetzt, sondern (auch) auf ein noch solventes Unternehmen angewendet werden kann, führt sie in diesem Fall zu einer Konstellation, die derjenigen der deutschen Eigenverwaltung am ähnlichsten erscheint, da es hier nicht zu einer Entmachtung der Direktoren kommt, jedoch eine Aufsichtsperson bestellt wird.33) Die Vereinbarung eines Scheme of Arrangement erfolgt nach Maßgabe der Part 26 19 Sec. 895 ff. des Companies Act 2006 in drei Schritten:34) Im ersten Schritt beruft das Gericht gemäß Sec. 896 (1) Companies Act 2006 auf Antrag eine oder mehrere Versammlungen der Gläubiger bzw. Gläubigerklassen ein, deren Forderungen durch das Scheme geregelt werden sollen. ___________



27) Vgl. zur Vorgängerversion auf Grundlage der Insolvency Rules 1986 Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 385 ff., 386, Rz. 1651 ff.; Eidenmüller, ZHR 175 (2011) 11, 26. 28) Diese Vorschriften ersetzen die bereits auf der Grundlage der Sections 425 ff. des Companies Act 1985 eingeführten Vorgängervorschriften zum Scheme of Arrangement. 29) Vgl. hier insbesondere die internationales Aufsehen erregenden Fälle Re Tele Columbus [2010] EWHC 1944 (Chancery Division), Re Rodenstock [2011] EWHC 1104 (Chancery Division) = ZIP 2011, 1017, dazu EWiR 2011, 379 (Tschentscher), sowie Paulus, ZIP 2011, 1077; Re Primacom [2012] EWHC 164 (Chancery Division) = ZIP 2012, 440; hierzu auch Carli/Weissinger, DB 2014, 1474; Re APCOA Parking Group [2014] EWHC 3849 (Chancery Division), speziell zu APCOA vgl. auch Schulz, ZIP 2015, 1912 ff.; Theiselmann/Verhoeven, ZIP 2018, 2101. 30) Die Wahl eines Scheme of Arrangement außerhalb eines förmlichen Insolvenzverfahrens (sog. „Solventer Vergleichsplan“ – „Solvent Scheme of Arrangement“; vgl. zur Begriffsbestimmung Labes in: Liber amicorum Winter, 2011, S. 645 ff.) birgt allerdings die Gefahr, dass dieses im Falle des Fehlens einer gemeinschaftlichen Befriedigung sämtlicher beteiligten Gläubiger im Zuge eines Gesamtverfahrens bereits aus diesem Grunde nicht als Insolvenzverfahren angesehen und ihm daher die Anerkennung nach Maßgabe der §§ 343 ff. InsO versagt wird; dazu etwa BGH v. 15.2.2012 – IV ZR 194/09 (Equitable Life), ZIP 2012, 740, dazu EWiR 2012, 313 (Mankowski); zur Problematik auch Paulus, ZIP 2011, 1077, 1080; Mankowski, WM 2011, 1201, sowie Schulz, ZIP 2015, 1912, 1913; insoweit ist auch die EuInsVO mangels Vorliegen eines Insolvenzgrundes nicht anwendbar. Zur Auswirkung des Brexit vgl. auch Sax/ Swierczok, ZIP 2017, 601 ff.; BGH v. 16.2.2021 – II ZB 25/17, ZIP 2021, 566. 31) Re Primacom [2012] EWHC 164 (Chancery Division) = ZIP 2012, 440; vgl. zum Ganzen auch Lüke/ Scherz, ZIP 2012, 1101. 32) Eidenmüller/Frobenius, WM 2011, 1210, 1211. 33) Das Scheme of Arrangement ist in dieser Konstellation mangels vorausgesetztem Insolvenztatbestand nicht als Gesamtverfahren i. S. des Art. 1 Abs. 1 EuInsVO anzusehen und unterfällt mithin nicht deren Anwendungsbereich, so BGH v. 15.2.2012 – IV ZR 194/09 (Equitable Life), ZIP 2012, 740. 34) Hierzu ausführlich Eidenmüller/Frobenius, WM 2011, 1210, 1211 ff.; Paulus, ZIP 2011, 1077.

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In einem zweiten Schritt stimmen die Gläubiger sodann in Gruppen über das Scheme ab. Erforderlich für eine Akzeptanz des Scheme ist dabei nach Sec. 899 (1) Companies Act 2006 eine Mehrheit der vertretenen und abstimmenden Gläubiger sowie eine 3/4Mehrheit der Forderungsbeträge in jeder gebildeten Gruppe.



Liegt eine Akzeptanz des Scheme durch die Mehrheit der Gläubiger vor, bedarf es zu einer Wirksamkeit in einem dritten Schritt nach Sec. 899 (1), (4) Companies Act 2006 noch einer Bestätigung durch das Gericht und der Anmeldung beim Register.35)

20 Im Rahmen seiner Kontrollbefugnis prüft das Gericht zum einen die Fairness des Verfahrens. Hierbei geht es im Wesentlichen um die Frage, ob eine Gruppe in der Abstimmungsversammlung angemessen repräsentiert wurde. Ferner ist durch das Gericht zu prüfen, ob der i. R. des Scheme unterbreitete Vorschlag auch inhaltlich fair und annehmbar („fair and reasonable“) ist. Insoweit kommt es – effektiv – auf die Perspektive eines einsichtigen und vernünftigen Beobachters („intelligent and reasonable Bystander“) an. So wird eine Bestätigung verweigert, wenn die abstimmende Mehrheit nicht bona fide handelt, sondern die Minderheit unangemessen übervorteilt (sog. „Coercion“).36) 21 Ist ein Scheme of Arrangement vom zuständigen Gericht gerichtlich bestätigt worden, werden alle von seinen Regelungen erfassten Gläubiger daran gebunden, auch wenn sie i. R. der Abstimmung nicht anwesend waren oder den Vorschlag abgelehnt haben. Das Scheme of Arrangement kennt allerdings nicht die Möglichkeit einer Überstimmung ganzer Gruppen: Im Gegensatz zum deutschen Insolvenzplanverfahren (§ 245 InsO) oder dem US-amerikanischen Chapter 11-Verfahren (11 U.S.C. § 1129 (b)) ist hier der „Cramdown“ einer ganzen Gruppe ausgeschlossen. Mithin ist ein Scheme of Arrangement bereits dann zum Scheitern verurteilt, wenn es an der Zustimmung (nur) einer Gruppe mangelt.37) 22 Dies hat sich durch den im Juni 2020 in Kraft getretenen „Corporate Insolvency and Governance Act 2020“ („CIGA 2020“) geändert. Hierdurch wurde ein der Europäischen Restrukturierungsrichtlinie vergleichbares Restrukturierungsplanverfahren eingeführt, das auf der Grundlage eines autonomen Moratoriums unter der Aufsicht eines „Monitor“ die Durchführung eines Restrukturierungsplans („Restructuring Plan“) ermöglicht, der gegenüber dem herkömmlichen Scheme of Arrangement auch die Möglichkeit eines klassenübergreifenden Cram-downs eröffnet.38) Dieses neu eingeführte Verfahren ersetzt das Scheme of Arrangement nicht, ist ihm aber ähnlich, da auch hier ein Vergleich zwischen dem Unternehmen und seinen Gläubigern (und Gesellschaftern) die Grundlage bildet, der auf einzelne Gruppen („Classes“) beschränkt werden kann. Unterschiede ergeben sich zum einen im Bereich der Zulässigkeitsvoraussetzungen, da der Restructuring Plan zumindest das Vorliegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten des Unternehmens voraussetzt („[…] the company has encountered, or is likely to encounter financial difficulties“), während das Scheme of Arrangement auch bei solventen Unternehmen zur Anwendung kommen kann. Abweichungen bestehen auch im Bereich der Abstimmungsregelungen: Während die Akzeptanz eines Scheme of Arrangement eine Kopf- und Summenmehrheit voraussetzt, genügt beim Restructuring Plan eine Mindestzustimmungsquote von 75 %.39) Einen ersten in der Öffentlichkeit bekannt gewordenen Anwendungsfall eines Restructuring Plan bildet der ___________ 35) Eidenmüller/Frobenius, WM 2011, 1210, 1212. 36) Re Rodenstock [2011] EWHC 1104 (Chancery Division) = ZIP 2011, 1017, Rz. 70; dazu auch Paulus, ZIP 2011, 1077; Eidenmüller/Frobenius, WM 2011, 1210, 1212. 37) Zur bis zum Jahr 2020 gültigen Rechtslage Eidenmüller/Frobenius, WM 2011, 1210, 1212. 38) Vgl. dazu Schlöder/Parzinger/Knebel, ZIP 2021, 1041, 1044; Schlegel in: MünchKomm-InsO, Länderbericht England und Wales, S. 836, Rz. 84 ff. 39) Vgl. hierzu Schlegel in: MünchKomm-InsO, Länderbericht England und Wales, S. 836 Rz. 86.

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Grenzüberschreitende Eigenverwaltung

Fall der Luftfahrtgesellschaft Virgin Atlantic, deren Plan mit der Entscheidung des High Court vom 4.9.2020 bestätigt wurde.40) In der Praxis bleibt dabei allerdings festzustellen, dass diese an sich verwalterlosen Ver- 23 fahren jedenfalls in der Vergangenheit in einer Vielzahl von Fällen mit einer Administration nach Schedule B A 1 des Insolvency Act 1986 verbunden werden. Dies ist im Wesentlichen der Tatsache geschuldet, dass nur bei Benennung eines Administrators – oder seit 2020 eines Monitors – bereits mit Antragstellung ein Moratorium möglich ist.41) Ein Administrator kann insoweit ohne Einbeziehung des Gerichts sowohl von einem sog. „qualifying floating Charge Holder“ als auch vom schuldnerischen Unternehmen selbst bestellt werden. Sofern hinsichtlich der Bestimmung der konkreten Person Uneinigkeit herrscht, setzt sich Ersterer durch.42) An der Durchsetzungskraft der qualifying floating Charge Holder zeigt sich die im englischen Recht besonders ausgeprägte Vormachtstellung der gesicherten Gläubiger.43) An der in der Praxis überwiegenden Inanspruchnahme des Rechts zur Bestellung eines Ad- 24 ministrators bzw. eines Monitors lässt sich (auch) in England eine grundsätzliche Skepsis gegenüber einem reinen verwalterlosen Sanierungsverfahren ablesen.44) Zum Administrator und Monitor kann dabei lediglich ein besonders qualifizierter und einschlägigen berufsrechtlichen Regelungen unterliegender Insolvenzpraktiker („licensed Insolvency Practitioner“) berufen werden. Diese Zurückhaltung zeigt sich auch darin, dass das englische Recht – im Gegensatz zum 25 Recht der Vereinigten Staaten – weniger auf die Eigenverwaltung als positiven Anreiz für die Geschäftsleitung für die rechtzeitige Insolvenzauslösung setzt. Die englische Rechtsordnung versucht demgegenüber, dieses Ziel durch eine Vielzahl von Sanktionen zu erreichen. Insoweit dominieren Haftungsbestimmungen bspw. in Gestalt der „WrongfulTrading-Haftung“45) sowie in Form der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit, die Geschäftsleitung von einer zukünftigen Geschäftstätigkeit auszuschließen, sofern dieser in der Vergangenheit ein Fehlverhalten vorzuwerfen ist („Disqualification of Directors“).46) Hieraus lässt sich ableiten, dass im Vereinigten Königreich die wirtschaftliche Fehlentwicklung eines Unternehmens mit der Folge der sich hieran anschließenden Insolvenz primär als Konsequenz eines Fehlverhaltens der amtierenden Geschäftsleitung angesehen wird. Die Haftung wegen eines Wrongful Trading übernimmt dabei im englischen Recht die 26 Funktion, die der deutschen Insolvenzverschleppungshaftung entspricht. Sie trifft nicht nur den ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführer (Director), sondern auch einen „Shadow Director“.47)

___________ 40) Re Virgin Atlantic Airways Limited and in the matter of Part 26A of the Companies Act 2006 [2020] EWHC 2376 (Chancery Division), dort Rz. 38 ff. 41) Vgl. Finch, Corporate Insolvency Law: Perspectives and Principles, S. 384. 42) IA 1986, Sch B 1, para 36 (2); hierzu auch Eidenmüller, ZHR 175 (2011) 11, 27. 43) Hierzu auch Davydenko/Franks, Do Bankruptcy Codes Matter?, S. 13, 15. 44) Eidenmüller, ZHR 175 (2011) 11, 27, 28; dazu auch Schlegel in: MünchKomm-InsO, Länderbericht England und Wales, S. 824, Rz. 42 ff. 45) IA 1986, Sec. 214; hierzu Habersack/Verse, ZHR 168 (2004) 174, 177 ff.; Eidenmüller, ZHR 175 (2011) 11, 28. 46) Company Directors Disqualification Act 1986 (CDDA). 47) Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 385 ff., 397; zum Wrongful Trading auch ausführlich Habersack/Verse, ZHR 168 (2004) 174.

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§ 18 2.3

1. Teil Eigenverwaltung – EuInsVO Die Eigenverwaltung in Frankreich

27 Das französische Insolvenzrecht der vergangenen Jahre setzt i. R. der Sanierung schwerpunktmäßig auf präventive Vorverfahren.48) Hierzu zählte in der Vergangenheit u. a. die „Règlement amiable“, eine Art Vergleichsverfahren, dem in der Praxis ein auf richterlicher Rechtsschöpfung beruhendes sog. „Mandat-ad-hoc-Verfahren“ vorausging. Die Praxis der vergangenen Jahre zeigt, dass in mehr als zwei Dritteln der Fälle unter der Aufsicht des zuständigen Handelsgerichts (Tribunal de Commerce) ein Vergleich mit den maßgeblichen Gläubigern vereinbart und auf diese Weise die Eröffnung eines ansonsten erforderlich werdenden ordentlichen Insolvenzverfahrens abgewendet werden konnte.49) 28 Dieses Vergleichsverfahren wurde i. R. der Reform des französischen Insolvenzrechts vom 26.7.2005 durch ein spezielles Schlichtungsverfahren, die „Procédure de Conciliation“ abgelöst.50) Gemäß Art. L 611-4 Code de Commerce kann der Schuldner die Eröffnung eines Schlichtungsverfahrens beantragen, wenn rechtliche, wirtschaftliche oder finanzielle Schwierigkeiten bestehen, sich abzeichnen oder der Schuldner seit höchstens 45 Tagen zahlungsunfähig ist. Damit setzt der französische Gesetzgeber auf die Möglichkeit einer frühzeitigen Beantragung eines Sanierungsverfahrens. Andererseits verbleibt die Möglichkeit der Beantragung eines derartigen Schlichtungsverfahrens nach französischem Recht auch noch dann, wenn das Unternehmen des Schuldners bereits tatsächlich zahlungsunfähig ist. Zuständig für die Verfahrensdurchführung ist das Handelsgericht, wobei der Schuldner i. R. seines Antrags dem Gericht die Person des Schlichters („Conciliateur“) vorschlagen kann.51) 29 Vom Verhandlungsgeschick dieses Schlichters hängt es in der Folgezeit im Wesentlichen ab, ob mit den beteiligten Gläubigern ein Vergleich geschlossen werden kann. Die Dauer des Verfahrens ist zunächst für einen Zeitraum von vier Monaten vorgesehen, der auf fünf Monate verlängert werden kann. Der vom Conciliateur auszuhandelnde Vergleich ist vollkommen freiwillig; weder für ihn noch für das Handelsgericht bestehen Möglichkeiten, Zugeständnisse der Gläubiger zu erzwingen. Zwar ist während der Periode der Aushandlung des Vergleichs eine gerichtliche Aussetzung von Rechtsverfolgungs- und Vollstreckungsmaßnahmen der Gläubiger bis zur gerichtlichen Vergleichsbestätigung nicht vorgesehen, allerdings kann das Gericht zugunsten des Schuldners gegenüber sich nicht an der Verhandlung beteiligenden Gläubigern gemäß Art. 1244-1 Code Civil Zahlungsfristen von bis zu zwei Jahren festlegen. Weiterhin sind die Gläubiger während des laufenden Schlichtungsverfahrens daran gehindert, einen Antrag auf Eröffnung eines regulären Insolvenzverfahrens zu stellen. 30 Der vom Präsidenten des Handelsgerichts bestellte Conciliateur wird üblicherweise als erste Maßnahme ein Moratorium mit den Gläubigern vereinbaren. Auf diesem Wege wird eine ___________ 48) Darstellung des französischen Insolvenzrechts der Eigenverwaltung etwa bei Dammann, NZI 2008, 420; Dammann, NZI 2009, 502; Eidenmüller, ZHR 175 (2011) 11, 28; Dammann/Undritz, NZI 2005, 198; Hente/Valenzuela/App, KSI 2006, 220; Hente/App, KSI 2010, 116; vgl. dazu auch insgesamt die Monografien von Robbe-Grillet, Planmäßige Sanierung nach französischem und nach deutschem Insolvenzrecht: Eine rechtsvergleichende Untersuchung unter Berücksichtigung der französischen Insolvenzrechtsreform von 2005, und Klaiber, Zur Stellung der Gläubiger und Gesellschafter im französischen Recht der Kollektivverfahren. Zugleich ein Beitrag zur Umsetzung der europäischen Restrukturierungsrichtlinie; hierzu auch die ausführliche Gesamtdarstellung bei Dammann in: MünchKommInsO, Länderbericht Frankreich, S. 921 ff. 49) Vgl. Dammann, NZI 2008, 420; Dammann, NZI 2009, 502. 50) Vgl. hierzu auch Haarmeyer/Pape/Stephan/Nickert, Formular-Kommentar Insolvenzrecht, B. Länderberichte und Muster zum internationalen Insolvenzrecht im Anwendungsbereich der EuInsVO, Ziff. 5 „Frankreich“. 51) Dammann, NZI 2008, 420; Dammann, NZI 2009, 502, 504.

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eventuell bereits bestehende Zahlungsunfähigkeit korrigiert und dem Schuldner die Möglichkeit gegeben, die laufenden Geschäfte fortzuführen und nunmehr unter Mitwirkung des Schlichters ein Sanierungskonzept zu erarbeiten. Liegt der Vergleich vor, wird er zum Ende der Vier- bzw. Fünf-Monatsperiode dem Gericht 31 entweder zur einfachen Bestätigung (Constatation) oder – auf speziellen Antrag des Schuldners – zur offiziellen „Homologation“ vorgelegt. Die erstgenannte Bestätigung wird nicht veröffentlicht und bleibt vertraulich; i. R. der offiziellen Bestätigung stellt das Gericht nach eingehender Prüfung52) fest, dass der Schuldner nicht (mehr) zahlungsunfähig und unter Wahrung der Interessen der übrigen Gläubiger ein dauerhaftes Fortbestehen des Unternehmens in Zukunft gesichert ist. Es handelt sich hierbei um eine gerichtliche Entscheidung, gegen die ein Rechtsmittel eingelegt werden kann.53) Parallel wurde durch Gesetz vom 26.7.2005 in Frankreich auch die „Procédure de Sauve- 32 garde“ eingeführt. Weitergehende Modifikationen erfolgten durch die Ordonnance vom 18.12.2008.54) Bei der Procédure de Sauvegarde handelt es sich um ein vorgezogenes Insolvenzverfahren, welches bei drohender Zahlungsunfähigkeit nur auf Antrag des Schuldners eröffnet werden kann. Dieses Verfahren wird in Eigenverwaltung unter Aufsicht eines gerichtlich bestellten Sachwalters55) geführt. Im Gegensatz zur Conciliation war hier im Gesetz vom 26.7.2005 zunächst eine ausdrückliche Einflussnahme des Schuldners auf die Person des Sachwalters nicht vorgesehen. Um den Schuldner zu motivieren, möglichst frühzeitig bei Gericht einen Antrag auf Eröffnung eines präventiven Insolvenzverfahrens zu stellen, hat der französische Gesetzgeber i. R. der Ordonnance vom 18.12.2008 auch für die Procédure de Sauvegarde dem Schuldner das Recht eingeräumt, seinerseits wie im Schlichtungsverfahren den Administrateur vorzuschlagen.56) Über die Grenzen Frankreich hinaus bekannt geworden ist dieses neue präventive Verfahren 33 der Procédure de Sauvegarde durch den Eurotunnel-Fall sowie in Anbetracht der drohenden Insolvenz betreffend das Vermögen der Thomson SA. Während in der Ursprungsfassung des Gesetzes vom 26.7.2005 eine Antragstellung noch das Vorliegen einer drohenden Zahlungsunfähigkeit voraussetzte, muss der Schuldner nunmehr vor dem Hintergrund der Ordonnance 2008 nach Art. L 620-1 Code de Commerce lediglich Schwierigkeiten darlegen, die er „nicht meistern kann“ („difficultés qu’il n’est pas en mesure de surmonter“).57) Nach Beantragung der Procédure de Sauvegarde beginnt eine Beobachtungsphase, die sich 34 auf einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten erstreckt und einmal – in Ausnahmefällen auch zweimal – auf mithin maximal 18 Monate verlängert werden kann. Ähnlich wie in ___________ 52) In der Praxis wird hier üblicherweise das Gutachten eines externen Wirtschaftsprüfers eingeholt, Dammann, NZI 2009, 502, 505. 53) Vgl. i. E. Dammann, NZI 2008, 420, 421. 54) Dammann, NZI 2009, 502, 503. 55) Im Rahmen der „Procédure de Sauvegarde“ kann das Gericht dann davon absehen, einen Insolvenzverwalter zu bestellen, wenn der Schuldner im letzten Geschäftsjahr einen Nettoumsatz von weniger als 3 Mio. € erwirtschaftet hatte und bei Stellung des Eröffnungsantrags weniger als 20 Arbeitnehmer beschäftigte; vgl. Art. L 621-4 Abs. 4 C.Com., dazu auch Degenhardt, NZI 2013, 830, 832. 56) Allerdings steht nach Art. L 621-4 C.Com. auch dem Staatsanwalt das Recht zu, einen Vorschlag zu unterbreiten; Dammann, NZI 2009, 502, 506, Rz. 30. 57) Auch im Falle der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens in Gestalt eines französischen SauvegardeVerfahrens bleibt es den Beteiligten i. Ü. unbenommen, in einem Mitgliedstaat, in dem der Schuldner eine Niederlassung betreibt, ein Sekundärinsolvenzverfahren zu eröffnen. Das für die Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens zuständige Gericht hat unter Beachtung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit die Ziele des Hauptinsolvenzverfahrens zu berücksichtigen und der Systematik der EuInsVO Rechnung zu tragen; vgl. dazu EuGH v. 22.11.2012 – Rs. C-116/11 (Handlowy), ZIP 2012, 2403, dazu EWiR 2013, 173 (Jopen); vgl. auch EuGH GA (Kokott) SA v. 24.5.2012 – Rs. C-116/11 (Handlowy), ZIP 2012, 1133.

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der deutschen Eigenverwaltung bleibt die Geschäftsleitung des Unternehmens im Amt und wird vom gerichtlich bestellten Sachwalter unterstützt und überwacht. Während dieser Beobachtungsphase erarbeitet die Schuldnerin mit Unterstützung des Sachwalters einen Sanierungs- oder Schutzplan. Sofern – wie bei größeren Unternehmen üblich – ein Gläubigerausschuss eingerichtet ist, hat der Schuldner den Sanierungsplan dem Gläubigerausschuss zur Abstimmung vorzulegen. Zwar können die Mitglieder des Gläubigerausschusses dem Schuldner und dem Verwalter Gegenvorschläge unterbreiten, eine Verpflichtung zur Abstimmung hierüber ist jedoch gesetzlich nicht vorgesehen.58) Mithin bleibt i. R. dieser Konstellation der Procédure de Sauvegarde der Schuldner Herr des Sanierungsverfahrens. 35 Durch das „beschleunigte finanzielle Sanierungsverfahren“ (Sauvegarde financière accélérée, kurz „SFA“ genannt)59) hat der französische Gesetzgeber durch Gesetz vom 22.10.2010 ein spezielles Sanierungsverfahren in das Handelsgesetzbuch eingefügt, an dem ausschließlich die Finanzgläubiger beteiligt werden. Voraussetzung für die Verfahrenseröffnung ist es, dass sich der Schuldner noch in einem zuvor eröffneten Schlichtungsverfahren (Procédure de Conciliation, siehe oben Rz. 28 ff.) befindet, bestimmte Größenkriterien erfüllt60) und nachweist, dass er einen Insolvenzplan entworfen hat, der den Fortbestand des Unternehmens sicherstellen soll und geeignet ist, eine ausreichende Zustimmung seitens der betroffenen Gläubiger zu erhalten, um seine Annahme innerhalb einer Frist von einem Monat (die auf max. zwei Monate verlängert werden kann) als wahrscheinlich erscheinen zu lassen. Durch die Verordnung Nr. 2014-326 vom 12.3.201461) wurde die Sauvegarde accélérée eingeführt, die die Rechtswirkungen der SFA auch auf die Beteiligung sonstiger Gläubiger erstreckt.62) 36 Bei der „Redressement judiciaire“ handelt es sich demgegenüber um eine gerichtlich überwachte Restrukturierung unter Bestellung eines Verwalters i. R. eines herkömmlichen Insolvenzverfahrens, in der ebenfalls die Vorlage eines Sanierungsplans möglich ist. Hier verliert jedoch der Schuldner die Kontrolle über das Planverfahren, da die insoweit maßgeblichen Kompetenzen dem gerichtlich bestellten Verwalter und den Mitgliedern des Gläubigerausschusses zugeordnet sind. Darüber hinaus steht i. R. des letztgenannten Insolvenzverfahrens das Unternehmen insgesamt zum Verkauf.63) ___________ 58) Art. R 627-57 C.Com. 59) Gesetz Nr. 2010-1249 v. 22.10.2010 (Loi de la régulation bancaire et financière), vgl. dazu ausführlich Degenhardt, NZI 2013, 830 ff.; Kindler, KTS 2014, 25, 27; Zipperer, ZInsO 2016, 831. 60) Nach dem anfänglichen Willen des französischen Gesetzgebers sollte die SFA nur solchen Unternehmen vorbehalten bleiben, die mindestens 150 Arbeitnehmer beschäftigten und mindestens 20 Mio. € Umsatz im Jahr erzielten. Damit war diese spezielle Verfahrensart auf reine Finanzierungsholdings ohne operatives Geschäft nicht anwendbar. Da jedoch gerade für derartige Unternehmen die SFA besonders attraktiv erschien, wurden die Größenkriterien mit Dekret vom 20.9.2012 dahingehend angepasst, dass die SFA nunmehr auch reinen Holdinggesellschaften offensteht, die eine Bilanzsumme von mindestens 25 Mio. € ausweisen. Alternativ genügt eine Bilanzsumme von 10 Mio. €, wenn der Schuldner eine Gesellschaft mit mindestens 150 Arbeitnehmern oder 20 Mio. € Umsatz oder mindestens 25 Mio. € Bilanzsumme kontrolliert, vgl. dazu i. E. Degenhardt, NZI 2013, 830, 831. 61) „Ordonnance portant réforme de la prévention de difficultés des entreprises et des procédures collectives“. 62) Hierzu Degenhardt, NZI 2014, 433, 435. 63) Dammann, NZI 2009, 502, 506; vgl. hierzu auch die ausführliche Darstellung bei Dammann in: MünchKomm-InsO, Länderbericht Frankreich, S. 921 ff. Durch die Gesetzesänderung Nr. 2015-990 vom 6.8.2015 betreffend die „croissance, activité et égalité des chances économiques“ – bekannt geworden auch als „Loi Macron“ – wurden neben Bestimmungen über die Einrichtung spezieller Insolvenzgerichte für Großverfahren auch Vorschriften zum Cram-down der Rechte von Anteilseignern eingeführt, die Regelungen zur „Redressement judiciaire“ i. Ü. blieben jedoch unangetastet.

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Grenzüberschreitende Eigenverwaltung

Insgesamt zeigen die französischen Modelle mit der Conciliation sowie der Procédure de 37 Sauvegarde erfolgversprechende Ansätze einer Restrukturierung von in einer wirtschaftlichen Krise befindlichen Unternehmen i. R. präventiver Vorverfahren. In der Praxis der vergangenen Jahre konnten in mehr als zwei Drittel aller beantragten Fälle Sanierungspläne vereinbart und die Eröffnung eines ordentlichen Insolvenzverfahrens verhindert werden. 2.4

Die Eigenverwaltung in Österreich

Der gesetzliche und praktische Regelfall einer Insolvenzabwicklung stellt nach österrei- 38 chischem Recht – wie in Deutschland – die völlige Entmachtung des Schuldners und die Bestellung eines „Masseverwalters“ dar. Allerdings kannte das österreichische Recht in der Vergangenheit innerhalb des Zeitraums 1914 – 2010 mit der Ausgleichsordnung (AO) ein Verfahren, welches sich von der klassischen Regelabwicklung im Zuge eines Konkursverfahrens dadurch unterschied, dass von der Beschlagnahme des Vermögens des Schuldners abgesehen wurde und man ihm soweit möglich eine beschränkte Verfügungsfähigkeit überließ.64) Mit dem zum 1.7.2010 in Kraft getretenen Insolvenzrechtsänderungsgesetz (IRÄG 2010) 39 hat der österreichische Gesetzgeber das Konzept der Ausgleichsordnung i. S. eines Verfahrens mit beschränkter Verfügungsfähigkeit wieder aufgegriffen und in Form einer Eigenverwaltung des Schuldners unter Aufsicht eines Verwalters in die nunmehr gültige österreichische Insolvenzordnung (öIO) integriert.65) Entgegen dem in England vorherrschenden Konzept einer Sanktionierung mittels Haftungs- 40 vorschriften soll nach dem Willen des österreichischen Gesetzgebers ähnlich wie in Frankreich der Geschäftsleitung ein Anreiz zur rechtzeitigen Beantragung eines Insolvenzverfahrens geboten werden.66) Der Anreiz liegt hierbei im Wesentlichen darin, dass der Unternehmer in dieser Konstellation nicht entmachtet wird. Insoweit werden die Alternativen „Sanierungsverfahren mit und ohne Eigenverwaltung“ angeboten. Dieses steht sowohl juristischen Personen als auch natürlichen Personen, die ein Unternehmen betreiben, offen.67) Das i. R. der §§ 169 ff. öIO geregelte Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung unter 41 Aufsicht eines Verwalters setzt ein vorbereitendes Eröffnungsverfahren voraus, welches bei einem Eigenantrag des Schuldners i. d. R. nur ein bis zwei Tage dauert. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass das vom antragstellenden Schuldner vorgelegte Sanierungskonzept überprüfbar ist. Darüber hinaus soll durch dieses vorbereitende Verfahren zumindest eine kritische Selbstreflexion des Schuldners über seine wirtschaftliche Situation und die verbleibenden Handlungsalternativen erzwungen werden.68) Im Rahmen dieses vorbereitenden Verfahrens muss dem Gericht mit dem Antrag ein Sanierungsplan vorgelegt werden, der für die beteiligten Gläubiger die Ausschüttung einer Mindestquote von 30 % innerhalb eines Zeitraums von längstens zwei Jahren vorsieht. Ferner bedarf es der Vorlage eines ins Einzelne gehenden Vermögensverzeichnisses (Status) sowie eines Finanzplans i. S. einer Gegenüberstellung der voraussichtlichen Einnahmen und Ausgaben des schuld___________ 64) Riel, ZInsO 2011, 1400; hierzu auch Nunner-Krautgasser, ZInsO 2011, 117 ff.; Nunner-Krautgasser/ Pateter, ZInsO 2011, 2068 ff. 65) Hierzu ausführlich Nunner-Krautgasser/Reckenzaun, ZInsO 2016, 413 ff.; vgl. auch Rost, Die Eigenverwaltung in Österreich und Deutschland – Eine rechtsvergleichende Analyse. 66) Riel, ZInsO 2011, 1400; ErläutRV z. IRÄG 2010, 612 BlgNr 24, GP 4. 67) Vgl. dazu auch Haarmeyer/Pape/Stephan/Nickert, Formular-Kommentar Insolvenzrecht, B. Länderberichte und Muster zum internationalen Insolvenzrecht im Anwendungsbereich der EuInsVO, Ziff. 14 „Österreich“. 68) Riel, ZInsO 2011, 1400, 1401.

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1. Teil Eigenverwaltung – EuInsVO

nerischen Unternehmens für die folgenden 90 Tage, aus dem sich ergibt, wie die für die Fortführung des Unternehmens nach Insolvenzeröffnung und die Bezahlung der Masseforderungen notwendigen finanziellen Mittel aufgebracht und verwendet werden sollen. 42 Im Eröffnungsverfahren ist sodann durch das Insolvenzgericht lediglich eine formelle Prüfung innerhalb des gegebenen knappen zeitlichen Rahmens möglich. Eine materielle Prüfung erfolgt erst im eröffneten Insolvenzverfahren durch den Sanierungsverwalter (§ 178 Abs. 2 öIO). Verläuft die summarische Prüfung des Gerichts positiv, wird das Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung eröffnet und ein Sanierungsverwalter als Aufsicht bestimmt. 43 Neben einer allgemeinen Aufsicht über den eigenverwaltenden Schuldner obliegt dem Sanierungsverwalter die Anfechtung bestimmter Rechtshandlungen (§ 172 Abs. 1 Nr. 1 öIO), die Prüfung der angemeldeten Forderungen (§ 172 Abs. 1 Nr. 2 öIO) sowie die Verwertungshandlungen nach Maßgabe des Sanierungsplans (§ 172 Abs. 1 Nr. 3 bis 7 öIO). Allerdings bedarf der Sanierungsverwalter in diesem Rahmen der Zustimmung des Schuldners (§ 172 Abs. 3 Satz 2 öIO). Der Schuldner ist seinerseits gemäß § 171 öIO grundsätzlich berechtigt, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, für die das Gesetz keine Einschränkungen vorsieht. Der Genehmigung durch den Sachwalter unterliegen danach insbesondere Vertragsbeendigungen sowie diejenigen Handlungen, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören. Die Rechtshandlungen des Schuldners begründen im eröffneten Sanierungsverfahren nach § 174 öIO Masseforderungen. 44 Insgesamt ist diese Eigenverwaltung zeitlich auf 90 Tage ab der Eröffnung begrenzt. Sie ist wieder zu entziehen, wenn der Sanierungsplan nicht innerhalb dieser 90 Tage nach Verfahrenseröffnung angenommen wurde (§ 170 Abs. 1 Nr. 3 öIO). Hiermit ist nicht nur eine Beschleunigung des Verfahrens beabsichtigt; sichergestellt durch diese Bestimmung wird auch, dass ein derartiges Verfahren ausschließlich der Sanierung eines Unternehmens dienen kann; eine Liquidation im Zuge der Eigenverwaltung ist nach österreichischem Recht nicht vorgesehen.69) 45 Ein gänzlich „verwalterloses“ Verfahren ist im Anwendungsbereich des Sanierungsverfahrens nach der österreichischen Insolvenzordnung nicht vorgesehen; es wird daher auch im Zuge der Eigenverwaltung stets ein Insolvenz- oder Sanierungsverwalter bestellt, dessen Kompetenzen allerdings auf die vorstehend beschriebenen Bereiche beschränkt sind. 46 Parallel zum Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung des Schuldners i. S. der §§ 169 ff. öIO kennt das österreichische Recht noch ein Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung, welches sich inhaltlich weitestgehend am klassischen Konkursverfahren orientiert. Eine Modifikation erfolgt dahin gehend, dass i. R. dieses Sanierungsverfahrens der Schuldner einen Sanierungsplan mit einer Mindestquote von 20 %, zahlbar innerhalb von zwei Jahren, anbietet. Dieser Sanierungsplan muss nicht bereits zum Zeitpunkt des Insolvenzantrags vorliegen, sondern kann auch noch nach Verfahrenseröffnung vorgelegt werden. 47 Lediglich das „Schuldenregulierungsverfahren“ nach Maßgabe der mit der am 1.1.1995 in Kraft getretenen „Privatkonkursnovelle“ eingeführten §§ 181 ff. öIO kommt – jedenfalls zunächst – gänzlich ohne die Bestellung eines Sachwalters aus. Hierbei handelt es sich um ein dem deutschen Verbraucherinsolvenzverfahren ähnliches Schuldenregulierungsverfahren für natürliche Personen, die zum Zeitpunkt der Beantragung des Verfahrens keine Unternehmer sind. Dem Grunde nach handelt es sich hierbei allerdings um ein klassisches ___________ 69) In der Praxis wird von der Möglichkeit eines Sanierungsverfahrens als Alternative zum klassischen Konkursverfahren in Österreich offensichtlich häufig Gebrauch gemacht, wobei sich allerdings die Mehrzahl der Fälle auf Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung bezieht; vgl. dazu die Veröffentlichungen des Österreichischen Kreditschutzverbandes von 1870, abrufbar unter www.ksv.at/ insolvenzfaelle (Abrufdatum: 19.1.2023).

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Grenzüberschreitende Eigenverwaltung

Konkurs- bzw. Insolvenzverfahren mit dem Ziel, eine Entschuldung von Privatpersonen zu erreichen. Zu diesem Zweck muss der Schuldner mit seinem Antrag gemäß § 183 öIO ein Vermögensverzeichnis sowie einen Zahlungsplan vorlegen, eine Mindestquote für den Zahlungsplan ist gesetzlich nicht vorgesehen. Sofern der Zahlungsplan nicht die Zustimmung der Gläubiger findet, kann der Schuldner als letztes Mittel nach § 199 öIO die Einleitung eines Abschöpfungsverfahrens mit Restschuldbefreiung beantragen. In diesem Fall tritt er den pfändbaren Teil seiner Einkünfte für einen Zeitraum von fünf Jahren (bis zum 31.10.2017: sieben Jahren)70) an einen vom Gericht zu bestellenden Treuhänder ab. Zur Bestellung eines Insolvenzverwalters kommt es in dieser Verfahrensart lediglich dann, 48 wenn dies in Anbetracht der Umsetzung mit besonderen Schwierigkeiten verbundenen Tätigkeiten erforderlich erscheint (§ 190 Abs. 2 öIO). Im Übrigen werden die üblicherweise dem Insolvenzverwalter zugewiesenen Obliegenheiten nach § 190 Abs. 3 öIO vom Gericht – dort in erster Linie von einem Rechtspfleger – wahrgenommen.71) II.

Die Eigenverwaltung unter dem Regime der EuInsVO

Bereits unter dem Regime der zum 31.5.2002 in Kraft getretenen (ersten) EuInsVO72) han- 49 delte es sich nach allgemeiner Ansicht auch bei einem in Eigenverwaltung geführten Insolvenzverfahren um ein Gesamtverfahren i. S. von Art. 1 Abs. 1 EuInsVO 2000, welches entsprechend der dortigen Definition „die Insolvenz des Schuldners voraussetzt und einen vollständigen oder teilweisen Vermögensbeschlag gegen den Schuldner zur Folge hat“ und in dem – in der Person des Sachwalters – auch ein gemäß der Legaldefinition des Art. 2 lit. b i. V. mit Anhang C EuInsVO 2000 geforderter Verwalter bestellt wird.73) Dass daher auch Insolvenzverfahren, in denen eine Eigenverwaltung des Schuldners angeordnet worden ist, in grenzüberschreitenden Fällen dem Anwendungsbereich der EuInsVO unterfallen, war und ist in Rechtsprechung und Literatur seither unstreitig.74) Die seit dem 26.6.2017 anzuwendende Neufassung der EuInsVO75) trägt dem Rechnung, indem sie in ihrem überarbeiteten Art. 1 Abs. 1 klarstellend die Eigenverwaltung nunmehr als „[…] Verfahren, die auf der Grundlage gesetzlicher Regelungen zur Insolvenz stattfinden und in denen zu Zwecken der Rettung, Schuldenanpassung, Reorganisation oder Liquidation […] b) das Vermögen und die Geschäfte des Schuldners der Kontrolle oder Aufsicht durch ein Gericht gestellt werden […]“, ausdrücklich einbezieht.76) ___________ 70) Insolvenzrechtsänderungsgesetz 2017 (IRÄG 2017), öBGBl. I 2017, 122, dazu ausführlich auch NunnerKrautgasser, ZInsO 2017, 2525 ff.; dazu auch Würdinger, KTS 2017, 445, 464. 71) Vgl. dazu auch Nunner-Krautgasser/Reckenzaun, ZInsO 2016, 413. 72) Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates v. 29.5.2000 über Insolvenzverfahren, ABl. (EU) L 160/1 v. 30.6.2000, zuletzt geändert durch Art. 2 Durchführungsverordnung (EU) 583/2011 v. 9.6.2011, ABl. (EU) L 160/52 v. 18.6.2011. 73) Statt vieler Reinhart in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., Art. 1 EuInsVO 2000 Rz. 2; zur aktuellen Rechtslage Reinhardt in: MünchKomm-InsO, Art. 1 EuInsVO 2015 Rz. 2a; so auch AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471, 473, dazu EWiR 2004, 601 (Blenske). 74) So etwa Geroldinger, Verfahrenskoordination im Europäischen Insolvenzrecht, S. 234; DuursmaKepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 1 a. F. Rz. 29; Pannen, EuInsVO, Art. 3 Rz. 125; dazu auch Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 122, Rz. 1; AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471, dazu EWiR 2004, 601 (Blenske). 75) Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.5.2015 über Insolvenzverfahren, ABl. (EU) L 141/19 v. 5.6.2015; vgl. hierzu instruktiv Vallender, ZIP 2015, 1513; Vallender, ZInsO 2017, 2464. 76) Vgl. hierzu auch Vallender, ZIP 2015, 1513, 1514; Wenner, ZIP 2017, 1137, 1139; Albrecht, ZInsO 2015, 1077.

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1. Teil Eigenverwaltung – EuInsVO

50 Die Erstreckung des Anwendungsbereichs der EuInsVO auf die Eigenverwaltung ergibt sich i. Ü. auch daraus, dass der „Schuldner in Eigenverwaltung“ nunmehr mit Art. 2 Nr. 3 EuInsVO ausdrücklich in den Kreis der Legaldefinitionen aufgenommen worden ist. Weiterhin eröffnet der neugeschaffene Art. 38 Abs. 3 EuInsVO (auch) dem Schuldner in Eigenverwaltung die Befugnis, im Falle der vorübergehenden Aussetzung von Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen zusätzlich einen Antrag auf befristete Aussetzung der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens zu stellen. 51 Sofern es mangels einer Niederlassung des schuldnerischen Unternehmens in einem anderen Mitgliedstaat ausschließlich zur Eröffnung eines (Haupt-)Insolvenzverfahrens kommt, ist die Rechtslage i. Ü. vergleichsweise übersichtlich. Hier ist in Sachverhalten mit Auslandsbezug typischerweise die Klärung zweier Fragenkomplexe wesentlich: 52 In Anbetracht der automatischen europäisch-internationalen Anerkennung des (Haupt-)Insolvenzverfahrens in anderen europäischen Mitgliedstaaten gemäß Art. 19 Abs. 1 EuInsVO bedarf es zunächst einer Bestimmung der Person, die im Falle einer Eigenverwaltung legitimiert ist, in einem anderen europäischen Mitgliedstaat Rechtshandlungen für und gegen die Insolvenzmasse vorzunehmen. 53 Ferner bedarf es regelmäßig einer Bestimmung des Rechts, dass im Falle einer Auslandsberührung auf andere Mitgliedstaaten berührende Rechtsverhältnisse anzuwenden ist. 1.

Die Eigenverwaltung im Hauptinsolvenzverfahren

54 Gemäß Art. 7 Abs. 2 Satz 1 EuInsVO regelt das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung (lex fori concursus), wie das Verfahren durchzuführen und zu beenden77) ist. Nach Maßgabe des Art. 7 Abs. 2 Satz 2 lit. c EuInsVO regelt die lex fori concursus insbesondere auch die jeweiligen Befugnisse des Schuldners und des Verwalters. Diese Bestimmung des anwendbaren Rechts steht dabei gemäß Art. 7 Abs. 1 EuInsVO unter dem Vorbehalt, „soweit diese Verordnung nichts anderes bestimmt“. Eine solche ergänzende Bestimmung findet sich in Art. 21 Abs. 1 EuInsVO. Nach dieser Vorschrift darf ein Verwalter, der durch ein nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO infolge des COMI zuständigen Gerichts bestellt worden ist, im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates alle Befugnisse ausüben, die ihm nach dem Recht des Staates der Verfahrenseröffnung zustehen, solange in dem anderen Staat nicht ein weiteres Insolvenzverfahren eröffnet oder eine gegenteilige Sicherungsmaßnahme auf einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens hin ergriffen worden ist. Er kann insbesondere vorbehaltlich der Art. 8 und 10 EuInsVO die zur Masse gehörenden Gegenstände aus dem Gebiet des (anderen) Mitgliedstaates entfernen, in dem sich die Gegenstände befinden. Adressat dieser Befugnisse ist ausweislich des Normtextes der „Verwalter“, mithin unter Berücksichtigung der Legaldefinition nach Art. 2 Nr. 5 i. V. mit Anhang B EuInsVO auch der Sachwalter im Falle der angeordneten Eigenverwaltung.78) Hier haben sich im Zuge der Neufassung der EuInsVO gegenüber ihrer Ursprungsversion keine Änderungen ergeben. 55 Im Übrigen bestehen in Fällen einer Eigenverwaltung mit Auslandsberührung ohne Sekundär- oder Partikularverfahren gegenüber einem herkömmlichen grenzüberschreitenden In___________ 77) In seiner Handlowy-Entscheidung hat der EuGH anlässlich eines französischen Sauvegarde-Verfahrens ausdrücklich klargestellt, dass Art. 4 Abs. 1 und 2 lit. j EuInsVO 2000 dahingehend auszulegen sind, dass alleine das innerstaatliche Recht (lex fori concursus) darüber entscheidet, wann die „Beendigung des Insolvenzverfahrens“ eintritt; vgl. EuGH v. 22.11.2012 – Rs. C-116/11 (Handlowy), ZIP 2012, 2403, dazu EWiR 2013, 173 (Jopen); dazu auch EuGH GA (Kokott) SA v. 24.5.2012 – Rs. C-116/11 (Handlowy), ZIP 2012, 1133. 78) So bereits zur alten EuInsVO Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 122, Rz. 2.

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§ 18

Grenzüberschreitende Eigenverwaltung

solvenzverfahren keine grundlegenden Besonderheiten. Hinsichtlich des anwendbaren Rechts gelten hier angesichts einer uneingeschränkten Anwendbarkeit der EuInsVO jenseits der Grundnorm des Art. 7, die Sonderanknüpfungsbestimmungen der Art. 8 ff. EuInsVO. Mithin bestimmt sich die Befugnis eines Gläubigers zur Aufrechnung nach Art. 9, die Rechtswirkungen eines vereinbarten Eigentumsvorbehalts bestimmen sich nach Art. 10, die Wirkungen des eröffneten Insolvenzverfahrens auf einen Vertrag zum Erwerb oder zur Nutzung eines unbeweglichen Gegenstands richtet sich nach dem Belegenheitsstatut des Art. 11 EuInsVO etc. Insoweit erfahren auch in der Eigenverwaltung das in Art. 7 Abs. 2 EuInsVO niedergelegte materiell-rechtliche Universalitätsprinzip und die in den Art. 8 ff. EuInsVO niedergelegten Sonderanknüpfungen („Sachstatuten“) eine Einschränkung der in Art. 7 Abs. 1, Abs. 2 EuInsVO festgelegten lex fori concursus. Nach allgemeinem Verständnis handelt es sich bei dem grundsätzlichen Verweis in Art. 7 56 Abs. 1 EuInsVO auf die lex fori concursus um eine Sachnormverweisung, die im Gegensatz zu einer Gesamtverweisung die Anwendung des nationalen Kollisionsrechts und damit etwaige Rück- und/oder Weiterverweisungen ausschließt.79) Eine von Art. 7 EuInsVO abweichende Sonderbestimmung findet sich etwa für dingliche 57 Rechte in Art. 8 EuInsVO. Unter Zugrundelegung dieser Vorschrift bleiben dingliche Rechte an Gegenständen, die in einem Mitgliedstaat belegen sind, von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat unberührt. Die Vorfrage, ob überhaupt ein dingliches Recht an einem Gegenstand i. S. des Art. 8 EuInsVO besteht, ist nach h. M. über das allgemeine internationale Privatrecht des Staates der Verfahrenseröffnung zu klären. Nach h. M. bestimmt danach die lex rei sitae die Begründung, Tragweite und Gültigkeit des dinglichen Rechts.80) Liegen die Voraussetzungen für eine Anwendbarkeit des Art. 8 EuInsVO vor, so werden die vor der Verfahrenseröffnung entstandenen dinglichen Rechte an Gegenständen, die sich in einem anderen Mitgliedstaat befinden, „von der Eröffnung des Verfahrens nicht berührt“. Die Auswirkungen dieser Negativformulierung sind im Bereich des Schrifttums umstritten. Insoweit ergeben sich speziell für die Eigenverwaltung in der Praxis allerdings keinerlei Besonderheiten. Die Existenz einer eigenen gesonderten Anknüpfung für den Eigentumsvorbehalt in Art. 10 58 EuInsVO ist der Tatsache geschuldet, dass die Verfasser der EuInsVO den Eigentumsvorbehalt nicht als dingliches Recht i. S. von Art. 8 EuInsVO, sondern dogmatisch als Annex zum Kaufvertrag betrachtet haben.81) In der Rechtsfolge differenziert Art. 10 EuInsVO auch im Falle einer grenzüberschreitenden Eigenverwaltung danach, ob der Vorbehaltskäufer oder der vormalige Verkäufer insolvent wird. Im Falle einer Insolvenz des Käufers gewährt Art. 10 Abs. 1 EuInsVO dem Vorbehalts- 59 verkäufer Vertrauensschutz. Mithin bleiben in dieser Konstellation die Rechte des Verkäufers aus einem Eigentumsvorbehalt unberührt, wenn sich die Sache zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates als dem der Verfahrenseröffnung befindet. Auch insoweit handelt es sich bei Art. 10 Abs. 1 EuInsVO nach h. M. wie im Falle der Vorschrift des Art. 8 Abs. 1 EuInsVO um eine Sachnormverweisung; deshalb können bereits bestehende Eigentumsrechte durch die Insolvenz nicht (auch nicht im Wege der Anwendung des Insolvenzrechts des Belegenheitsstaates) eingeschränkt werden.82) ___________ 79) So zur Ursprungsfassung der EuInsVO bereits Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 83, Rz. 314; Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 4 a. F. Rz. 2. 80) Vgl. zur alten Fassung der EuInsVO etwa Taupitz, ZZP 111 (1998) 315, 335 ff.; Westpfahl/Goetker/ Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 89, Rz. 341; im Zuge der Neufassung der EuInsVO im Jahre 2015 hat sich hieran nichts geändert. 81) So bereits zur EuInsVO 2000 Taupitz, ZZP 111 (1998) 315, 342 ff. 82) Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 96, Rz. 376 – zur EuInsVO 2000.

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1. Teil Eigenverwaltung – EuInsVO

Mithin wird durch diese Vorschrift gewährleistet, dass der Vorbehaltsverkäufer ungeachtet einer Insolvenzeröffnung in grenzüberschreitenden Fällen alle seine Ansprüche auf das Vorbehaltsgut behält. Er ist also berechtigt, sein Recht auf Aus- bzw. Absonderung des unter Eigentumsvorbehalt stehenden Gegenstands geltend zu machen, ohne hierbei durch die lex fori concursus gehindert zu sein.83) 60 Im Falle der Insolvenz des Verkäufers bestimmt Art. 10 Abs. 2 EuInsVO, dass die Wirkungen des Insolvenzverfahrens nicht zur Auflösung oder Beendigung des Kaufvertrags führen dürfen, sofern eine Lieferung der Sache zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates bereits erfolgt ist. Hierdurch wird das Anwartschaftsrecht des Käufers, der vereinbarungsgemäß die Raten zahlt und das Eigentum an der verkauften Sache erwerben will, umfassend geschützt.84) 61 In Erweiterung der dingliche Rechte betreffenden Sonderanknüpfung des Art. 8 EuInsVO bestimmt Art. 11 EuInsVO für Verträge über unbewegliche Gegenstände, dass nicht nur dingliche, sondern auch obligatorische Rechte nach dem Recht der lex rei sitae zu beurteilen sind, sofern sie sich auf unbewegliche Gegenstände beziehen. Diese Norm enthält als Sachnormverweisung eine Ausnahmeregelung zur Vorschrift des Art. 7 Abs. 2 Satz 2 lit. e EuInsVO, nach der sich die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf laufende Verträge grundsätzlich nach der lex fori concursus richten. Mithin kommt es nach Maßgabe des Art. 11 EuInsVO auf das Kollisionsrecht des Belegenheitsstaates nicht an; die Wirkungen des Insolvenzverfahrens richten sich ausschließlich nach dem Recht des Belegenheitsstaates (lex rei sitae).85) 62 Auch für den Fall der Eigenverwaltung in grenzüberschreitenden Fällen regelt die Grundsatznorm des Art. 7 Abs. 2 Satz 2 lit. d EuInsVO, dass die lex fori concursus die Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Aufrechnung bestimmt. Eine wichtige Ausnahme von diesem Grundsatz der Aufrechnungsanknüpfung an das Insolvenzrecht des Eröffnungsstaates beinhaltet Art. 9 EuInsVO. Diese Vorschrift kommt dann zur Anwendung, wenn eine Aufrechnung nach der lex fori concursus in der Insolvenz nicht möglich ist. In diesem Fall bleibt zu klären, ob nach dem für die Forderung des insolventen Schuldners (Hauptforderung) maßgeblichen Recht (= Aufrechnungsstatut) eine Aufrechnung zulässig wäre. Weiterhin muss die Aufrechnungslage bereits zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bestanden haben. Im Ergebnis setzt sich mithin im Falle einer Divergenz zwischen Insolvenzstatut und Aufrechnungsstatut das für den Aufrechnenden günstigere materielle Recht durch.86) Die Bestimmung des auf die Forderung des insolventen Schuldners (Hauptforderung) anzuwendenden Rechts obliegt i. R. der Sonderregelung des Art. 9 EuInsVO wiederum dem außerhalb der Insolvenz geltenden Kollisionsrecht, mithin dem internationalen Privatrecht. Für auf Verträgen basierende Ansprüche richtet sich dies im innereuropäischen Bereich (mit Ausnahme Dänemarks) seit dem 17.12.2009 mithin nach der Rom I-Verordnung.87) 63 Unbeschadet der Sonderanknüpfung gemäß Art. 8 EuInsVO und abweichend vom universellen Geltungsanspruch des Insolvenzstatuts in Art. 7 EuInsVO bestimmt Art. 12 Abs. 1 EuInsVO, dass für die Wirkungen der Verfahrenseröffnung auf die Rechte und Pflichten der Mitglieder eines Zahlungs- oder Abwicklungssystems oder eines Finanzmarkts aus___________ 83) 84) 85) 86) 87)

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Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 97, Rz. 377. Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 97, Rz. 380. Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 99, Rz. 390. I. E. so Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 102, Rz. 398. Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I-VO) v. 17.6.2008, ABl. (EU) L 177/6 v. 4.7.2008.

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Grenzüberschreitende Eigenverwaltung

schließlich das für das betreffende System oder den betreffenden Markt maßgebliche Recht anzuwenden ist. Eine Anwendung dieser Sonderanknüpfung ist auf diejenigen Fälle begrenzt, in denen das Recht eines anderen EU-Mitgliedstaates als dem der Verfahrenseröffnung zur Anwendung kommt und die vorrangige Regelung des Art. 8 EuInsVO nicht anwendbar ist. Mithin ist Art. 12 EuInsVO unanwendbar, soweit dingliche Rechte i. S. des Art. 8 EuInsVO betroffen sind.88) Auch für den Fall einer Eigenverwaltung in grenzüberschreitenden Fällen ordnet Art. 13 64 EuInsVO an, dass hinsichtlich der Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf einen Arbeitsvertrag und auf ein Arbeitsverhältnis ausschließlich das Recht anzuwenden ist, das auch für den Arbeitsvertrag maßgeblich ist. Hierbei handelt es sich nach h. M. um eine kollisionsrechtliche Gesamtverweisung; abzustellen ist ausschließlich auf das nach dem allgemeinen Kollisionsrecht des Eröffnungsstaates für den Arbeitsvertrag geltende Recht einschließlich des Insolvenzrechts.89) Für einen Arbeitsvertrag bedeutet dies, dass sich das anzuwendende Recht für die EU-Mitgliedstaaten jedenfalls seit dem 17.12.2009 ebenfalls nach der Rom I-Verordnung bestimmt.90) Art. 14 EuInsVO schützt die Verlässlichkeit der öffentlichen Register. Die Anwendbar- 65 keit dieser Vorschrift setzt dabei allein die Eintragung von Rechten des Schuldners an beweglichen Gegenständen, Schiffen oder Luftfahrzeugen in einem öffentlichen Register eines vom Eröffnungsstaat abweichenden Mitgliedstaates voraus. Rechte des Schuldners an derartigen eintragungsfähigen Rechten richten sich mithin nach dem Recht des Mitgliedstaates, unter dessen Aufsicht das Register geführt wird. Für die Rechte der Gläubiger ist, soweit es sich um dingliche Rechte handelt, ausschließlich Art. 8 EuInsVO maßgebend.91) Sofern die Voraussetzungen für eine Anwendung von Art. 15 EuInsVO vorliegen und ein 66 Hauptinsolvenzverfahren unter Zugrundelegung einer Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO eröffnet wurde, können die in dieser Norm genannten Europäischen Patente mit einheitlicher Wirkung, Gemeinschaftsmarken oder jedes andere durch Unionsvorschriften begründete ähnliche Recht nur i. R. dieses Hauptverfahrens einbezogen werden. Mithin ist in einem Partikular- oder Sekundärverfahren eine Verwertung des für die gesamte Gemeinschaft geltenden Rechts ausgeschlossen.92) Nach Art. 7 lit. m EuInsVO ist für die Beurteilung der Frage, welche Rechtshandlungen 67 wegen Benachteiligung der Gläubigergesamtheit nichtig, anfechtbar oder relativ unwirksam sind, grundsätzlich die lex fori concursus maßgebend. Führt die Anwendung dieses Insolvenzstatuts zu einer Angreifbarkeit, so kann die angegriffene Partei gemäß Art. 16 EuInsVO angesichts des durch diese Norm begründeten Vertrauensschutzes im Wege der Einrede das für die Rechtshandlung maßgebliche Recht des anderen Mitgliedstaates nach Maßgabe der dortigen lex causae entgegenhalten. Mithin handelt es sich um einen Einredetatbestand, der i. R. des Verfahrens nach der lex fori concursus i. S. von Art. 7 Abs. 2 Satz 2 lit. m EuInsVO geltend zu machen ist.93) Mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens geht die Verfügungsbefugnis des Schuld- 68 ners bezüglich des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens auf den Insolvenzverwal___________ 88) Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 104, Rz. 407; Knof in: Uhlenbruck, InsO, Art. 12 EuInsVO Rz. 15. 89) Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 10 a. F. Rz. 1; Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 107, Rz. 424. 90) Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 107, Rz. 425. 91) Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 108, Rz. 433. 92) Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 110 ff., Rz. 441. 93) Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 113, Rz. 453; vgl. hierzu auch EuGH v. 15.10.2015 – Rs. C-310/14 (Nike European Operations Netherlands), ZIP 2015, 2379.

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ter über; in der Folge kann der Schuldner nach Verfahrenseröffnung im Regelfall nicht mehr wirksam über einen Massegegenstand verfügen. Zum Schutz des Geschäftsverkehrs und des Vertrauens in dieses System der öffentlichen Bekanntmachung dinglicher Rechte sollen nach Maßgabe des Art. 17 EuInsVO gutgläubige Dritte in einem Insolvenzverfahren, das in einem anderen Mitgliedstaat eröffnet wurde, nicht anders gestellt werden als im Falle einer Insolvenzeröffnung im eigenen Lande. Art. 17 EuInsVO enthält mithin eine Ausnahmeregelung zur Grundsatznorm des Art. 7 Abs. 2 Satz 2 lit. c EuInsVO, der zufolge sich die Befugnisse des Schuldners ausschließlich nach der lex fori concursus richten. Auch hierbei handelt es sich um eine Sachnormverweisung auf die lex rei sitae, bei der Rück- bzw. Weiterverweisungen nach dem allgemeinen internationalen Privatrecht des betreffenden Staates ausgeschlossen sind.94) 69 Die EuInsVO enthält eine auch für den Fall der grenzüberschreitenden Eigenverwaltung gültige Unterscheidung zwischen den Wirkungen der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auf Rechtsverfolgungsmaßnahmen einzelner Gläubiger auf der einen sowie der Wirkung der Verfahrenseröffnung auf anhängige Rechtsstreitigkeiten auf der anderen Seite. Für die Wirkung von Rechtsverfolgungsmaßnahmen der Gläubiger, insbesondere die Durchführung von Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen ist nach Art. 7 Abs. 2 Satz 2 lit. f EuInsVO das Insolvenzstatut, die lex fori concursus maßgebend. Eine Verhinderung derartiger Vollstreckungsmaßnahmen ist mithin nach dem Insolvenzrecht des Eröffnungsstaates zu beurteilen. 70 Für zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung anhängige Rechtsstreitigkeiten über Gegenstände der Masse oder Rechte an der Masse ist hingegen gemäß Art. 18 EuInsVO das Recht des Mitgliedstaates anzuwenden, in dem der Rechtsstreit anhängig ist. 71 Insgesamt gesehen ergeben sich hier im Falle einer grenzüberschreitenden Eigenverwaltung ohne paralleles Sekundärinsolvenzverfahren in einem anderen Mitgliedstaat gegenüber einer Regelabwicklung keine wesentlichen Besonderheiten. 2.

Die Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren

72 Stellte sich auch im Anwendungsbereich der Ursprungsfassung der EuInsVO des Jahres 2000 die Rechtslage im Falle einer grenzüberschreitenden Eigenverwaltung ohne Partikularverfahren angesichts der weitgehenden Anwendbarkeit der (auch) für die Regelverwaltung vorgesehenen Grundsätze, Kollisionsregeln und Anknüpfungen noch übersichtlich dar, kam es spätestens dann, wenn in Anbetracht einer Niederlassung des Schuldners i. S. von Art. 2 lit. h EuInsVO 2000 nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Sekundärinsolvenzverfahren gemäß Art. 3 Abs. 3 EuInsVO in einem anderen Mitgliedstaat eröffnet wurde, zu Zuständigkeitsfragen und Kompetenzkonflikten. Im Rahmen der Neufassung der EuInsVO im Jahr 2015 wurden die hier bestehenden Unklarheiten nur zum Teil ausgeräumt. 73 Probleme ergeben sich hier insbesondere im Zusammenhang mit einer randscharfen Bestimmung des Personenkreises, dem die Befugnis zur Stellung eines Antrags auf Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren zugewiesen werden soll und – im Zusammenhang mit dieser Fragestellung – einer Klärung der Frage, wem letztlich die Position des antragsbefugten „Schuldners“ in diesem Sekundärinsolvenzverfahren zukommt. 74 Weitergehende strukturelle Probleme, die sich bei der alten Fassung aus der dortigen ausdrücklichen Anordnung des Verordnungsgebers, das Sekundärinsolvenzverfahren gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 2 bzw. Art. 27 Satz 2 EuInsVO 2000 ausschließlich als Liquidations___________ 94) Zum Ganzen Westpfahl/Goetker/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, S. 114, 116, Rz. 456 ff.

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Grenzüberschreitende Eigenverwaltung

verfahren zuzulassen ergaben, konnten i. R. der Überarbeitung in der Neufassung durch den Wegfall dieser Beschränkung in den Parallelvorschriften Art. 3 Abs. 3, Art. 34 EuInsVO nunmehr ausgeräumt werden.95) Die Ursprungsfassung der EuInsVO sah dabei in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 noch ausdrücklich 75 vor, dass ein Sekundärinsolvenzverfahren ausschließlich als Liquidationsverfahren zu führen sei. Dies stand zwar der Anordnung einer Eigenverwaltung prinzipiell nicht entgegen, führte jedoch zu erheblichen Beschränkungen. Für das deutsche Insolvenzrecht wurde hieraus in der Vergangenheit teilweise der Schluss gezogen, das vor dem Hintergrund dieser gesetzlichen Beschränkung auf den Liquidationszweck das Verfahren der Eigenverwaltung keine sinnvolle Alternative darstelle, da diese üblicherweise eine Umstrukturierung, Reorganisation und Fortsetzung der operativen Tätigkeit der Insolvenzschuldnerin mit dem Ziel einer Sanierung des Unternehmensträgers bezwecke.96) In der Tat mochte diese gesetzliche Schranke die Attraktivität der Eigenverwaltung im ausländischen Sekundärinsolvenzverfahren schmälern, einen absoluten Ausschlussgrund stellte sie nach deutscher lex fori concursus jedenfalls nicht dar. Nach überwiegender Ansicht handelte es sich beim Verfahren der Eigenverwaltung bereits zur Zeit der Geltung der alten EuInsVO um ein zieloffenes Verfahren,97) das ohne weiteres auch in Gestalt eines Liquidationsverfahrens umgesetzt werden kann.98) Die Zieloffenheit der deutschen lex fori concursus fand ihren Niederschlag auch darin, dass der deutsche Gesetzgeber die Anordnung der Eigenverwaltung bewusst von der Vorlage eines Organisationsplans gelöst hatte.99) Mithin stellte der in der Ursprungsfassung der EuInsVO postulierte Liquidationszweck 76 des Sekundärverfahrens zwar keine grundsätzliche strukturelle Hürde dar, dies führte allerdings in der Praxis dazu, dass jedenfalls im deutschen Sekundärinsolvenzverfahren eine Reorganisation des schuldnerischen Unternehmens im Wege eines Insolvenzplans bis zur 2017 in Kraft getretenen Neufassung nicht in Betracht kam.100) Eine übertragende Sanierung über einen Asset Deal war demgegenüber nicht ausgeschlossen, da in dieser Konstellation der schuldnerische Rechtsträger nicht saniert, sondern in Form eines Verkaufs der Vermögenswerte endgültig abgewickelt und mithin liquidiert wurde.101) In der insolvenzrechtlichen Praxis hat dies unter dem Regime der alten Fassung der Eu- 77 InsVO soweit ersichtlich kaum zu Schwierigkeiten geführt. Insoweit hat allerdings der Fall Handlowy für Aufmerksamkeit gesorgt, in dem innerhalb eines in Frankreich eröffneten Sauvegarde-Verfahrens noch vor gerichtlicher Bestätigung des dortigen Schutzplans in Polen die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens (als Liquidationsverfahren) beantragt wurde. Nach der Rechtsprechung des EuGH hat das mit dem Antrag auf Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens befasste Gericht den Insolvenzgrund jedenfalls dann nicht zu prüfen, wenn das Hauptverfahren einem Schutzzweck dient; für dieses ist vielmehr die Beurteilung der Insolvenz des Schuldners durch das für die Eröffnung des Hauptinsol-

___________ 95) Hierzu etwa Vallender, ZIP 2015, 1513; Wenner, ZIP 2017, 1137, 1140; dazu auch Brinkmann, KTS 2014, 381 ff.; Albrecht, ZInsO 2015, 1077. 96) Zitat bei Beck, NZI 2006, 609, 616; Prütting in: KPB, InsO, § 270 Rz. 6 ff. 97) Beck, NZI 2006, 609, 616, sowie Kern in: MünchKomm-InsO, § 270 Rz. 101 ff. 98) Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 124, Rz. 8; AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471, 473, dazu EWiR 2004, 601 (Blenske); Huhn, Eigenverwaltung, Rz. 166, 169. 99) So Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 124, Rz. 8. 100) Meyer-Löwy/Poertzgen, ZInsO 2004, 195, 196. 101) Meyer-Löwy/Poertzgen, ZInsO 2004, 195, 196.

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venzverfahrens zuständige Gericht bindend.102) Diese Rechtsprechung hat nunmehr in der ausdrücklichen Regelung in Art. 34 Satz 2 EuInsVO ihren Einzug in die Neufassung der Verordnung gefunden. Ist mit dem Wegfall des in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 EuInsVO 2000 festgelegten Liquidationszwecks ab dem 26.6.2017 nunmehr jegliche Beschränkung der Verfahrensart (auch) im Sekundärinsolvenzverfahren grundsätzlich entfallen, stellt sich die Frage nach der konkreten Verfahrensweise bei einer Beantragung: 78 Nach Maßgabe des am 12.12.2012 vorgelegten Vorschlags der EU-Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren103) sollte ursprünglich das eröffnende Gericht die unter Berücksichtigung der Interessen der einheimischen Gläubiger am besten geeignete Verfahrensart von sich aus auswählen dürfen.104) Damit oblag die Wahl der Verfahrensart – und damit auch die Entscheidung der Frage, ob dieses als Regel- oder Eigenverwaltungsverfahren zu eröffnen ist – weitgehend dem Ermessen des für die Eröffnung des Sekundärverfahrens zuständigen Gerichts. Dieses freie Auswahlermessen des Gerichts hat seinen Weg jedoch nicht in die Endfassung der neuen EuInsVO gefunden; die Wahl der geeigneten Verfahrensart obliegt nach der dortigen Konzeption allein dem jeweiligen Antragsteller. 79 In der endgültigen Fassung der EuInsVO sieht Art. 38 Abs. 4 allerdings auch die Möglichkeit vor, auf Antrag des Verwalters des Hauptinsolvenzverfahrens „abweichend von der ursprünglich beantragten Art des Insolvenzverfahrens ein anderes in Anhang A aufgeführtes Insolvenzverfahren zu eröffnen, sofern die Voraussetzungen für die Eröffnung dieses anderen Verfahrens nach nationalem Recht erfüllt sind und dieses Verfahren im Hinblick auf die Interessen der lokalen Gläubiger und die Kohärenz zwischen Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren am geeignetsten ist.“ Dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift zufolge kann ein derartiger Antrag weder vom Schuldner in Eigenverwaltung, noch von seinen Gläubigern gestellt werden.105) Art. 34 Satz 2 EuInsVO stellt i. Ü. nunmehr klar, dass das mit dem Antrag auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahren befasste Gericht die Insolvenzgründe nicht zu prüfen hat. 80 Die grundsätzliche Akzeptanz der Eigenverwaltung i. R. der neugefassten EuInsVO ergibt sich auch daraus, dass nunmehr in Art. 38 Abs. 3 Satz 1 EuInsVO dem Schuldner in Eigenverwaltung (des bereits eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens) das Recht eingeräumt wird, eine Aussetzung der Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens für einen Zeitraum von maximal drei Monaten zu beantragen, um – flankiert von der parallel angeordneten Aussetzung von Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen – Verhandlungen mit seinen Gläubigern zu ermöglichen. Umgekehrt wurde in Art. 38 Abs. 3 Satz 2 EuInsVO ausdrücklich als vorläufige Sicherungsmaßnahme auch das an den Schuldner in Eigenverwaltung gerichtete Verbot, „Gegenstände der Masse, die in dem Staat belegen sind, in dem sich ___________ 102) Vgl. EuGH v. 22.11.2012 – Rs. C-116/11 (Handlowy), ZIP 2012, 2403, dazu EWiR 2013, 173 (Jopen), in teilweiser Abweichung von den Schlussanträgen der Generalanwältin Juliane Kokott, EuGH GA, ZIP 2012, 1133. Die dort (auch) zu behandelnde Frage, wie sich die Beendigung eines Hauptinsolvenzverfahrens auf ein Sekundärinsolvenzverfahren auswirkt, wurde nunmehr – entsprechend dem Kommissionsvorschlag vom 12.12.2012 – in Art. 48 EuInsVO geregelt. 103) Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren, COM(2012), 744 final; abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/de/TXT/?uri= CELEX:52012PC0744 (Abrufdatum: 19.1.2023); dazu auch Thole/Swierczok, ZIP 2013, 550, 554. 104) Vgl. hierzu Art. 29a Abs. 3 EuInsVO-E bzw. die diesbezüglichen Ausführungen unter Rz. 73 der 2. Aufl. 105) Wenner/Schuster in: Wimmer, FK-InsO, Art. 38 EuInsVO Rz. 25.

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seine Niederlassung befindet, zu entfernen oder zu veräußern, es sei denn, dies erfolgt i. R. des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs“ aufgenommen. In ihrem der Neufassung der EuInsVO vorausgegangenen Vorschlag zur Änderung der 81 EuInsVO vom 12.12.2012 hatte die EU-Kommission Probleme i. R. der Bewältigung von Sekundärinsolvenzverfahren festgestellt. Dieses Verfahren könne die effiziente Verwaltung der Schuldenmasse behindern. Insbesondere habe der Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens bei Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens nicht länger die Kontrolle über das in einem anderen Mitgliedstaat belegene Vermögen. Dies erschwere den Verkauf eines noch aktiven Unternehmens.106) Der Wegfall der Beschränkung auf reine Liquidationsverfahren und die vorstehend beschriebenen Aussetzungsmöglichkeiten sind vor diesem Hintergrund zu sehen.107) Neu in die EuInsVO aufgenommen wurde daher noch eine weitere Möglichkeit, die Er- 82 öffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens sogar gänzlich zu verhindern: Der Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens kann nach Art. 36 Abs. 1 EuInsVO in Bezug auf das Vermögen, das in dem Mitgliedstaat, in dem ein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden könnte, belegen ist, eine Zusicherung des Inhalts abgeben, dass er bei der Verteilung dieses Vermögens oder des bei seiner Verwertung erzielten Erlöses die Verteilungs- und Vorzugsrechte nach nationalem Recht wahrt, die Gläubiger hätten, wenn ein Sekundärinsolvenzverfahren in diesem Mitgliedstaat eröffnet worden wäre. Eine solche Zusicherung unterliegt gemäß Art. 36 Abs. 4 EuInsVO den ggf. im Staat der Eröffnung des Hauptsacheverfahrens bestehenden Form- und Zustimmungserfordernissen hinsichtlich der Verteilung. Sie ist in Bezug auf die Insolvenzmasse verbindlich (vgl. Art. 36 Abs. 6 EuInsVO) und vollstreckbar,108) indem gemäß Art. 36 Abs. 8 EuInsVO den lokalen Gläubigern das Recht eröffnet wird, das Gericht des Hauptinsolvenzverfahrens anzurufen, um mit den nach dem dortigen Recht zur Verfügung stehenden Aufsichts- und (Zwangs-)Mitteln eine Einhaltung des Inhalts der Zusicherung sicherzustellen. Soweit verschiedene Verwalter unterschiedlicher Nationalität in Haupt- und Sekundärin- 83 solvenzverfahren bestellt werden, ergibt sich weiterhin die Notwendigkeit einer allgemeinen Verfahrenskoordinierung mit wechselseitigen Informations- und Kooperationspflichten, in deren Rahmen nicht nur Sprachbarrieren zu überwinden sind. Auch insoweit sieht die Neufassung der EuInsVO in den Art. 41 ff. Ergänzungsregelungen vor (siehe dazu unten Rz. 117 ff.). 2.1

Die Intention des Sekundärinsolvenzverfahrens nach der EuInsVO

Die EuInsVO geht in ihrem Anwendungsbereich vom Grundsatz der eingeschränkten 84 Universalität aus. Das Hauptinsolvenzverfahren soll prinzipiell seine Wirkungen auf alle diejenigen Mitgliedstaaten erstrecken, in denen dem Schuldner zuzuordnendes Vermögen vorhanden ist. Diese Universalität erhält nach dem Willen des Verordnungsgebers dort eine Einschränkung, wo schutzbedürftige nationale Interessen zu berücksichtigen sind. Demzufolge dient das Sekundärinsolvenzverfahren vorrangig dem Schutz der Interessen der auf seinem Staatsgebiet ansässigen nationalen Gläubiger: Diese sollen mit der Beantragung der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens insbesondere vor den aus den ___________ 106) Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren, COM(2012), 744 final, vgl. hierzu insbesondere auch ErwG 41 der neuen EuInsVO, dazu auch Vallender, ZIP 2015, 1513, 1517. 107) So auch Vallender, ZIP 2015, 1513, 1517. 108) Zu dogmatischen Bedenken des hier gewählten Ansatzes vgl. etwa Thole/Swierczok, ZIP 2013, 550, 555.

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Rechtsvorschriften der anderen Staaten resultierenden Folgen geschützt werden.109) Auf diesem Wege können die an sich universellen Wirkungen des Hauptinsolvenzverfahrens in Gestalt der Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens ausgesetzt werden.110) Dies ist insbesondere dann nicht erforderlich, wenn auf der Grundlage einer Zusicherung sichergestellt wird, dass eine Benachteiligung gegenüber den Verteilungsregeln des potentiellen Sekundärinsolvenzverfahrens nicht stattfindet. 85 Der europäische Verordnungsgeber sieht jedoch grundsätzlich ein rechtspolitisches Bedürfnis zur Durchführung solcher Sekundärinsolvenzverfahren insbesondere im Hinblick darauf, dass aufgrund der großen Unterschiede im materiellen Recht insbesondere in Anbetracht der unterschiedlichen Vorrechte einzelner Gläubiger nach den jeweiligen nationalen Rechtsordnungen ein einziges Insolvenzverfahren mit universaler Geltung für die gesamte Gemeinschaft nicht realisierbar sei.111) Daneben kommt dem Sekundärinsolvenzverfahren auch eine Hilfsfunktion gegenüber dem Hauptinsolvenzverfahren zu; es soll insbesondere in solchen Fällen gewählt werden können, in denen die Vermögensverhältnisse des Schuldners zu verschachtelt sind, um effizient in einem einzigen Insolvenzverfahren erfasst zu werden.112) Auf diesem Wege soll eine effektive Verwertung der Insolvenzmasse erzielt werden.113) Nach der Konzeption des Verordnungsgebers soll dabei allerdings dem Hauptinsolvenzverfahren die dominierende Rolle zukommen, indem der dortige Verwalter bestimmte Einwirkungsmöglichkeiten auf die Durchführung des Sekundärinsolvenzverfahrens erhält. 86 Diese gesetzgeberische Zwecksetzung steht (auch) der Anordnung einer Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren prinzipiell nicht entgegen. 2.2

Die Antragsbefugnis der Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren

2.2.1 Antragsbefugnis des Verwalters des Hauptinsolvenzverfahrens 87 Das Recht zur Beantragung eines Sekundärinsolvenzverfahrens ist in Art. 37 EuInsVO geregelt. Nach Maßgabe dieser Norm kann sowohl der Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens (Art. 37 Abs. 1 lit. a EuInsVO) sowie jede andere Person oder Stelle, der das Antragsrecht nach dem Recht des Mitgliedstaates zusteht, in dessen Gebiet das Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden soll (Art. 37 Abs. 1 lit. b EuInsVO), die Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens beantragen. Zu unterscheiden ist insoweit grundsätzlich zwischen zwei Konstellationen: 88 Soweit bereits das Hauptinsolvenzverfahren als Eigenverwaltung durchgeführt wird, steht der eigenverwaltende Insolvenzschuldner typischerweise unter der Aufsicht des dortigen (Haupt-)Sachwalters. Nach der Konzeption des Art. 37 Abs. 1 lit. a EuInsVO ist grundsätzlich auch ein Sachwalter in Anbetracht der Bestimmungen der Art. 2 Nr. 5 i. V. mit Anhang B EuInsVO als „Verwalter“ des Hauptinsolvenzverfahrens antragsbefugt, sofern die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zumindest teilweise auf ihn übergegangen ist.

___________ 109) ErwG 11 EuInsVO; hierzu Wenner/Schuster in: Wimmer, FK-InsO, Art. 34 EuInsVO Rz. 2; krit. zu dieser Intention Ehricke, ZIP 2005, 1104, 1106. 110) Wenner/Schuster in: Wimmer, FK-InsO, Art. 34 EuInsVO Rz. 3. 111) So zur alten Fassung der EuInsVO schon Lüer in: Uhlenbruck, InsO, 14. Aufl., Art. 27 EuInsVO a. F. Rz. 1. 112) Hermann in: Uhlenbruck, InsO, Art. 34 EuInsVO Rz. 14. 113) Hermann in: Uhlenbruck, InsO, Art. 34 EuInsVO Rz. 14.

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Ihm steht umgekehrt auch das Recht zu, die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens durch Abgabe einer Zusicherung gemäß Art. 36 Abs. 1 EuInsVO zu verhindern.114) Soweit im Hauptinsolvenzverfahren keine Eigenverwaltung angeordnet wurde, kommt dem 89 dortigen (Haupt-)Insolvenzverwalter die Funktion eines Verwalters i. S. von Art. 37 Abs. 1 lit. a EuInsVO zu.115) Wäre damit dem Grunde nach die Antragsbefugnis zur Eröffnung eines Sekundärinsolvenz- 90 verfahrens geklärt, stellt sich die ergänzende Frage, wie sich dies mit den Anforderungen an die Antragsbefugnis der lex fori concursus des Sekundärinsolvenzverfahrens verträgt. Für ein in Deutschland zu eröffnendes Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung weist die InsO in § 270a Abs. 1 ausdrücklich die Antragsbefugnis dem Insolvenzschuldner selbst zu. Fraglich ist mithin, in welcher Eigenschaft der im ausländischen Hauptinsolvenzverfahren eingesetzte Verwalter den Antrag gemäß §§ 270, 270a InsO zu stellen vermag.116) Eine Beantragung der Eigenverwaltung durch den ausländischen Hauptinsolvenzverwalter kommt nur in Betracht, wenn dieser als „Schuldner“ bzw. organschaftlicher Vertreter des schuldnerischen Unternehmens anzusehen ist.117) Das bemisst sich entsprechend der Anknüpfungsvorschrift des Art. 7 Abs. 2 Satz 2 lit. c EuInsVO nach der lex fori concursus. Mithin ist in diesem Fall das für das Sekundärverfahren international zuständige deutsche Insolvenzgericht gehalten, zur Beurteilung der Antragsbefugnis unter Beachtung des § 270a InsO die Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach dem jeweiligen ausländischen Insolvenzrecht zu prüfen.118) In seiner Entscheidung vom 23.1.2004 ist das AG Köln für ein in Deutschland im Wege 91 der Eigenverwaltung durchzuführendes Sekundärinsolvenzverfahren auf der Grundlage der alten EuInsVO davon ausgegangen, dass die englischen Joint Administrators infolge der gemäß Abschnitt 14 und Schedule (1) des Insolvency Act von 1986 i. V. mit Art. 3 Abs. 1, Art. 4 Abs. 2, Art. 17 und 19 Abs. 1 EuInsVO 2000 übergegangenen Verwaltungsund Verfügungsbefugnis (auch) befugt sind, als „Schuldner“ i. S. des § 270 Abs. 1 InsO in Deutschland ein Sekundärinsolvenzverfahren in Form einer Eigenverwaltung zu beantragen.119) Diese Entscheidung würde mangels Änderung der maßgeblichen Bestimmungen unter dem Regime der neuen EuInsVO genauso ausfallen. In dieser Konstellation wird mithin jedenfalls bezogen auf ein deutsches Sekundärverfahren 92 der (ausländische) Hauptverwalter als Schuldner dieses Verfahrens mit dessen Verwaltung betraut und durch einen (deutschen) Sachwalter gemäß §§ 274, 275, 270c InsO überwacht. Sofern es sich bei dem ausländischen Hauptinsolvenzverfahren bereits um eine Eigenver- 93 waltung handelt, in der lediglich ein Sachwalter bestellt wurde, stellt sich die Frage, ob diesem i. S. von Art. 37 EuInsVO eine eigene Antragsbefugnis i. R. eines Sekundärverfahrens auf Eigenverwaltung zukommt. Zwar ist nach Maßgabe der gesetzlichen Legaldefinition des Art. 2 Nr. 5 i. V. mit Anhang B EuInsVO auch ein Sachwalter als Verwalter i. S. von Art. 37 Abs. 1 lit. a EuInsVO anzusehen, doch kommt diesem lediglich dann eine Schuld___________ 114) Angesichts der Eindeutigkeit des Wortlauts der EuInsVO wird dieses Recht dem Schuldner in Eigenverwaltung abgesprochen, vgl. hierzu nur Wenner/Schuster in: Wimmer, FK-InsO, Art. 36 EuInsVO Rz. 12, vgl. dazu auch Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 36 EuInsVO 2015 Rz. 30 m. w. N.; a. A. Wimmer/Bornemann/Lienau, Die Neufassung der EuInsVO, Rz. 436. 115) Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 123, Rz. 4. 116) Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 123, Rz. 4. 117) Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 123, Rz. 4. 118) So Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 123, Rz. 4. 119) AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471, 473, dazu EWiR 2004, 601 (Blenske), dazu auch Vallender/Fuchs, ZIP 2004, 829, 830; Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3458.

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nerfunktion i. S. der einschlägigen nationalen Antragsvorschriften zu, sofern auf ihn nach Maßgabe der lex fori concursus die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis – zumindest teilweise – übergegangen ist. Ist dies nicht der Fall, fehlt dem (Haupt-)Sachwalter regelmäßig die Antragsbefugnis. 94 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 356 Abs. 2 InsO, der für das deutsche internationale Insolvenzrecht die Rechtskompetenz zur Beantragung der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens (auch) dem ausländischen Insolvenzverwalter zuschreibt. Diese Vorschrift wiederholt für das deutsche internationale Insolvenzrecht lediglich die Regelung des Art. 37 Abs. 1 lit. a EuInsVO. Aus dem Gesamtzusammenhang der Vorschriften ist nicht abzuleiten, dass hierdurch gegenüber den Vorschriften der §§ 270, 270a InsO für das deutsche internationale Insolvenzrecht eine gesonderte Antragskompetenz für die Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren geschaffen werden sollte. Ganz offensichtlich hatte der deutsche Gesetzgeber bei Schaffung der Vorschriften des (deutschen) internationalen Insolvenzrechts der §§ 335 ff. InsO eine Regelung betreffend die grenzüberschreitende Eigenverwaltung i. R. eines Sekundärinsolvenzverfahrens nicht im Sinn. 2.2.2 Antragsbefugnis des Schuldners bzw. der organschaftlichen Vertreter des Schuldners 95 Art. 37 Abs. 1 lit. b EuInsVO weist die Antragskompetenz zur Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens neben dem Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens jeder anderen Person und Stelle zu, der das Antragsrecht nach dem Recht des Mitgliedstaates zusteht, in dessen Gebiet das Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden soll. 96 Hinsichtlich einer (fortdauernden) Antragsbefugnis eines bereits im Hauptinsolvenzverfahren befindlichen schuldnerischen Unternehmens herrscht ein Meinungsstreit in Rechtsprechung und Schrifttum. Stellt Art. 37 Abs. 1 lit. b EuInsVO bzw. seine Vorgängervorschrift bei der Bestimmung der Antragsbefugnis auf die lex fori concursus des Gebiets des Sekundärinsolvenzverfahrens ab, stünde damit – rein formal – in Deutschland nach Maßgabe von § 13 Abs. 1, § 15 Abs. 1 InsO das Antragsrecht auf Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens (auch) dem Insolvenzschuldner selbst zu. Für die besondere Verfahrensart der Eigenverwaltung folgt dies ergänzend aus § 270 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 InsO. Nach einer Auffassung im Schrifttum steht dieser formalen Betrachtungsweise entgegen, dass zum Zeitpunkt der Beantragung des Sekundärinsolvenzverfahrens bereits ein zeitlich vorrangiges Hauptinsolvenzverfahren existiert, in dessen Folge die Befugnis des Schuldners, über das insolvenzbefangene Vermögen zu verfügen, typischerweise auf einen dortigen Verwalter i. S. von Art. 2 Nr. 5 EuInsVO übergegangen ist.120) 97 Das AG Köln hat in der mit Beschluss vom 23.1.2004 entschiedenen Fallkonstellation zur Klärung der Antragsbefugnis des Insolvenzschuldners differenziert zwischen der – ggf. auf einen ausländischen Verwalter übergegangenen – Befugnis, über das Vermögen der Schuldnerin zu verfügen, und der Befugnis, i. R. einer verfahrensrechtlichen Mitwirkung ___________ 120) So zur Rechtslage unter der alten EuInsVO Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 29 a. F. Rz. 8; Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3458; Sabel, NZI 2004, 126, 128. Zur EuInsVO 2017 so auch Wenner/Schuster in: Wimmer, FK-InsO, Art. 37 EuInsVO 2017 Rz. 11, 12; zum alten Recht bereits Reinhart in: Wimmer, FK-InsO, Art. 29 EuInsVO 2000 Rz. 9. In seiner Entscheidung v. 23.1.2018 i. R. der NIKI-Insolvenz über die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens in Deutschland konnte das AG Charlottenburg eine Beantwortung dieser Frage dahingestellt sein lassen, da es den – vor Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens in Österreich ursprünglich in Berlin gestellten – ersten Insolvenzantrag durch Auslegung als Antrag (auch) auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens deutete, vgl. AG Charlottenburg v. 23.1.2018 – 36n IE 6433/17, ZIP 2018, 240. Vgl. zur internationalen Zuständigkeit i. R. der NIKI-Insolvenz auch Deyda, ZInsO 2018, 221 ff.; hierzu auch Zipperer, ZIP 2018, 956.

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Verfahrensanträge zu stellen.121) Erst wenn nach dem insoweit maßgeblichen ausländischen Recht mit der Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens (auch) sämtliche Antragsbefugnisse der organschaftlichen Vertreter der Schuldnerin auf den ausländischen Verwalter übergegangen sind, verliert der Schuldner seine Befugnis, einen eigenen Antrag auf Eigenverwaltung i. R. des Sekundärinsolvenzverfahrens zu stellen.122) Nach Eidenmüller123) soll dem Insolvenzschuldner im Zuge der beabsichtigten Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren zwar kein eigenes Antragsrecht zukommen, jedoch soll im Falle der Beantragung durch einen insoweit befugten ausländischen Verwalter der Schuldner bei einer Eröffnung i. S. von § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO a. F. die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zurückerlangen.124) 2.2.3 Antragsbefugnis der Gläubiger des Schuldners Art. 37 Abs. 1 lit. b EuInsVO eröffnet ein Antragsrecht jeder anderen Person und Stelle, 98 der das Antragsrecht nach dem Recht des Mitgliedstaates zusteht, in dessen Gebiet das Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden soll. Ist hier mithin das Insolvenzstatut des Staatsgebiets des Sekundärinsolvenzverfahrens maßgeblich, hängt die Antragsbefugnis der Gläubigerschaft maßgeblich davon ab, ob das jeweilige nationale Insolvenzrecht dies für den Fall einer Eigenverwaltung vorsieht. Nach Maßgabe der deutschen InsO war dies unter Beachtung der Sondervorschrift des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO a. F. dann der Fall, wenn der Gläubiger dem Antrag auf Eigenverwaltung des Schuldners zustimmte. Insoweit bedurfte es regelmäßig noch eines parallelen Antrags auf Eigenverwaltung des Insolvenzschuldners.125) Im Zuge der Insolvenzrechtsreform durch das ESUG wurde die Vorschrift des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO ersatzlos aufgehoben; in Deutschland setzt die Eigenverwaltung seit dem 1.3.2012 mithin zwingend einen Antrag des Schuldners voraus.126) 2.3

Die Position des „Schuldners“ im Sekundärinsolvenzverfahren

2.3.1 Der Insolvenzverwalter des Hauptverfahrens Von der Antragsbefugnis i. S. des Art. 37 EuInsVO zu unterscheiden ist die Frage, welche 99 Institution im Falle des erfolgreichen Antrags auf Eigenverwaltung im sodann eröffneten Sekundärinsolvenzverfahren die Funktion des eigenverwaltenden Schuldners und welche Institution die Funktion des Sekundärverwalters i. S. der EuInsVO übernimmt. In konsequenter Übernahme der vom AG Köln in seinem Beschluss vom 23.1.2004 he- 100 rausgearbeiteten Grundsätze schlägt der Übergang der Verfügungsbefugnis im Hauptinsolvenzverfahren automatisch auch auf das Sekundärverfahren durch, sofern die lex fori concursus keine eigenständige Anordnung hierüber trifft.127) Dem Hauptverwalter kommt ___________ 121) AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471, 473, dazu EWiR 2004, 601 (Blenske); dazu Vallender/ Fuchs, ZIP 2004, 829, 830; so auch Lüer in: Uhlenbruck, InsO, Art. 29 EuInsVO a. F. Rz. 3; vgl. auch Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 123, Rz. 5; die Möglichkeit, (auch) im Sekundärinsolvenzverfahren Verfahrensanträge zu stellen, wird dem Schuldner in Eigenverwaltung in Art. 38 Abs. 3 EuInsVO nunmehr ausdrücklich eingeräumt. 122) AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471, 473, dazu EWiR 2004, 601 (Blenske). 123) Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3458. 124) Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3458; nach Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 124, Rz. 6, soll die Beantragung der Eigenverwaltung durch den Schuldner dann zulässig sein, wenn parallel der gemäß Art. 29 lit. a EuInsVO a. F. zuständige Verwalter oder ein Gläubiger gemäß Art. 29 lit. b EuInsVO a. F. dem Eigenverwaltungsantrag zustimmt. 125) Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 124, Rz. 6. 126) Dazu etwa Römermann, NJW 2012, 645, 649. 127) AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471, 474, dazu EWiR 2004, 601 (Blenske); dazu auch Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 234 oben.

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damit grundsätzlich die Aufgabe einer Verwaltung auch im Sekundärverfahren zu; kraft Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis führt dies konkret zur Übertragung der Selbstverwaltungsbefugnis des eigenverwaltenden Schuldners auf den (ausländischen) Hauptinsolvenzverwalter.128) Diese rechtliche Konsequenz setzt rein begrifflich voraus, dass der Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis aus dem Hauptverfahren automatisch auch im Sekundärverfahren zu beachten ist. 101 Hier wird im Schrifttum teilweise danach differenziert, ob der Insolvenzschuldner nach der lex fori concursus im Falle der Eigenverwaltung die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis kraft seiner privatautonomen oder einer neuen, mit Insolvenzeröffnung entstehenden verfahrensbezogenen Verfügungskompetenz ausübt.129) 102 Unter Zugrundelegung einer Auffassung – im Folgenden als „Überlagerungstheorie“ bezeichnet – legt das Sekundärverfahren nur einen besonderen Beschlag über jenen des Hauptverfahrens130) und erkennt dem Sekundärinsolvenzverfahren nur spezielle Wirkungen gegenüber dem Hauptinsolvenzverfahren zu. Fehlen derartige spezielle Regelungen für das Sekundärinsolvenzverfahren, sollen die Bestimmungen des Hauptinsolvenzverfahrens ergänzend eingreifen.131) Um diesem Ergebnis Rechnung zu tragen, müssen auch die nationalen Bestimmungen, auf deren Grundlage die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis im Falle einer Anordnung der Eigenverwaltung beim „Schuldner“ liegt (vgl. etwa §§ 270, 270a Abs. 1 InsO, § 186 Abs. 1 öIO) dahin gehend ausgelegt werden, dass mit „Schuldner“ nicht das ursprüngliche Organ, sondern der tatsächliche rechtliche Inhaber der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gemeint ist.132) 103 Dieser Auffassung bleibt entgegenzuhalten, dass die jedenfalls mit Einführung der Eigenverwaltung in Deutschland verfolgte gesetzgeberische Intention, die Kenntnisse und Erfahrungen der bisherigen Geschäftsleitung weiterhin zu nutzen, eine Einarbeitungszeit des Insolvenzverwalters zu vermeiden, Aufwand und Kosten zu sparen und dem Schuldner einen Anreiz zu bieten, rechtzeitig einen Insolvenzantrag zu stellen,133) hier insgesamt keine ausreichende Berücksichtigung findet.134) Zwar mag der Auffassung des AG Köln beizupflichten sein, dass der Verwalter des Hauptverfahrens den schuldnerischen Betrieb u. U. besser führen kann als ein neu hinzukommender (deutscher) Sekundärverwalter, da ersterer durch die bisherige Betriebsfortführung schon eingearbeitet ist und für die Kontinuität der Betriebsfortführung Sorge trägt.135) Im Regelfall kann allerdings nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass der im europäischen Ausland im Hauptverfahren bestellte Insolvenzverwalter über die gleichen Sprach- und Rechtskenntnisse des Sekundärverfahrens___________ 128) AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471, 474, dazu EWiR 2004, 601 (Blenske); Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 235; Meyer-Löwy/Poertzgen, ZInsO 2004, 195, 197. 129) So etwa Hortig, Kooperation von Insolvenzverwaltern, S. 113 ff. 130) So wohl AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471, 474, dazu EWiR 2004, 601 (Blenske); a. A. Kemper in: KPB, InsO, Art. 27 EuInsVO 2000 Rz. 1 (noch online verfügbar unter www.kpbinso.de). 131) So offensichtlich AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 20004, 471, 474, dazu EWiR 2004, 601 (Blenske); krit. hierzu Kemper in: KPB, InsO, Art. 27 EuInsVO 2000 Rz. 1. 132) So Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 235. 133) Vgl. Begr. RegE InsO z. § 331, BT-Drucks. 12/2443, S. 223; Beck, NZI 2006, 609, 617. 134) Krit. auch Beck, NZI 2006, 609, 617. 135) So AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471, 474, dazu EWiR 2004, 601 (Blenske); Vallender, KTS 2005, 283, 312, Rz. 140, stellt jedoch im Nachhinein fest, dass ohne die umfassende Unterstützung durch den (nationalen) Sachwalter eine ordnungsgemäße Abwicklung des Sekundärinsolvenzverfahrens durch den (ausländischen) Hauptinsolvenzverwalter mangels einschlägiger Rechts- und Sprachkenntnisse wohl kaum möglich gewesen wäre.

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staates verfügt wie die anderen zur Auswahl stehenden (nationalen) Insolvenzverwalter.136) Insgesamt gesehen widerspricht die Bestellung des externen Hauptinsolvenzverwalters jedenfalls der klar formulierten Vorstellung des Gesetzgebers der Eigenverwaltung, dem Schuldner selbst die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zu belassen.137) Die Überlagerungstheorie führt im Ergebnis dazu, dass der Hauptverwalter i. R. der Ei- 104 genverwaltung des Sekundärinsolvenzverfahrens als Schuldner und nicht als Sekundärverwalter i. S. der EuInsVO anzusehen ist.138) Letztere Funktion kommt – etwa nach deutschem Recht – dem Sachwalter i. S. von § 274 InsO oder – etwa nach österreichischem Recht – dem Konkursgericht gemäß § 187 Abs. 1 Nr. 3, 4 öIO zu.139) Dies kann insoweit zu Wertungswidersprüchen führen, da bei formaler Betrachtung den 105 vorbezeichneten Organen gesetzlich nicht nur die allgemeine Aufsichtspflicht des Sekundärverwalters, sondern ergänzend auch die Kooperationspflichten gegenüber dem Hauptinsolvenzverwalter gemäß Art. 41 ff. EuInsVO auferlegt sind. Die ausdrückliche Einbeziehung der Eigenverwaltung im Haupt- oder Sekundärinsolvenzverfahren in Art. 41 Abs. 3 EuInsVO hat hieran nichts geändert. Dies hat zur Folge, dass der Sekundärverwalter (in Person des Sachwalters oder Konkursrichters) zumindest bezogen auf die Sekundärverfahrensmasse über den Hauptverwalter wacht und ihm gegenüber im Einzelfall auch weisungsbefugt ist.140) Diesem obliegt einerseits die Funktion des Hauptverwalters, in deren Ausübung er nicht zuletzt aufgrund des dortigen universellen Charakters wesentlichen Einfluss auf das Sekundärinsolvenzverfahren nimmt. Andererseits ist er als „Schuldner“ wiederum den Weisungen und der Aufsicht des Sekundärverwalters unterworfen. Verstärkt wird die Problematik durch die Tatsache, dass nach Maßgabe bestimmter europäischer Rechtsordnungen das Gericht die Funktion des Sekundärverwalters i. S. von Art. 2 Nr. 5 EuInsVO übernimmt141) und folglich keine neutrale Instanz mehr existiert, an die sich der eigenverwaltende Hauptverwalter im Konfliktfall wenden kann. Nicht zu vernachlässigen ist auch die potenzielle Interessenkollision in Person des gleich- 106 zeitig als Schuldner des Sekundärinsolvenzverfahrens agierenden Hauptinsolvenzverwalters.142) Im Ergebnis sprechen gewichtige Gründe gegen die Betrauung des Insolvenzverwalters 107 des Hauptverfahrens mit der Eigenverwaltung im Sekundärverfahren. Ergänzt wird dies noch durch die Erwägungen des Gesetzgebers, der mittels der Eigenverwaltung das Knowhow der ursprünglichen Organe des Schuldners sichern und einen Restrukturierungsanreiz schaffen wollte. Durch die Überantwortung der Eigenverwaltung an den Hauptinsolvenzverwalter wird dies verhindert.143) ___________ 136) Beck, NZI 2006, 609, 617, der hier für deutsche Sekundärinsolvenzverfahren über den Umweg des § 270 Abs. 2 Nr. 3 a. F., nachfolgend § 270 Abs. 2 Nr. 2 a. F. InsO auch die Auswahlvorschrift des § 56 InsO heranziehen will. 137) Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 235, 236, befürwortet eine Rückübertragung der Verwaltungsund Verfügungsbefugnis auf den Schuldner, so wohl auch Hortig, Kooperation von Insolvenzverwaltern, S. 114; Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3458. 138) Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 235, krit. Kemper in: KPB, InsO, Art. 27 EuInsVO 2000 Rz. 1 (noch online verfügbar unter www.kpb-inso.de). 139) Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 235. 140) Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 236, spricht in diesem Zusammenhang von einem „janusköpfigen Hauptverwalter“. 141) Anders als in Deutschland oder Frankreich ist bspw. das österreichische Insolvenz- und Konkursgericht als potenzieller „Verwalter“ im Anhang B zur EuInsVO ausdrücklich aufgeführt. 142) Beck, NZI 2006, 609, 618; Kemper in: KPB, InsO, Art. 27 EuInsVO 2000 Rz. 12. 143) Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 237.

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108 Teilweise wurde hieraus generell eine fehlende Zweckdienlichkeit der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens unter Anordnung der Eigenverwaltung überhaupt geschlussfolgert.144) Andere Stimmen sprechen sich für die Rückübertragung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzschuldner aus.145) 109 Der EuGH hat in seiner Handlowy-Entscheidung146) lediglich allgemein ausgeführt, dass das für die Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens zuständige Gericht unter Berücksichtigung der Grundsätze der loyalen Zusammenarbeit die Ziele des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen und der Systematik der Verordnung Rechnung zu tragen hat. Durch die ausdrückliche Aufnahme der Eigenverwaltung auch in das Sekundärinsolvenzverfahren durch die EuInsVO 2017 dürfte sich dieses formale Problem ohnehin weitestgehend erledigt haben. 2.3.2 Die Geschäftsleitung bzw. Organe des Insolvenzschuldners 110 Im insolvenzrechtlichen Schrifttum wird daher die Lösung vertreten, unabhängig von einer etwaigen Antragsbefugnis des Hauptinsolvenzverwalters im Falle der Eigenverwaltung die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis dem Schuldner zurück zu übertragen.147) Die Gegner dieser „Rückübertragungstheorie“ berufen sich im Wesentlichen auf das deutsche nationale Recht, insbesondere die Begründung des Gesetzentwurfs zur Eigenverwaltung. Dort heißt es i. R. des Einleitungskapitels zur Eigenverwaltung in der Tat, dem Schuldner sei die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis „zu lassen“.148) Auch die Kooperationsvorschrift des Art. 41 Abs. 3 EuInsVO spricht von einem Schuldner, der im Haupt- oder Sekundärinsolvenzverfahren die Verfügungsgewalt über sein Vermögen „behält“. Ergänzt wird diese Sichtweise durch einen Hinweis auf das frühere Verfahren nach der VerglO, in deren Rahmen der Schuldner aufgrund seiner eigenen originären Rechtsmacht handelte.149) Als weiteres Argument gegen die Rückübertragungstheorie wird ein Verweis auf die Vorschriften des Rechts der Zwangsverwaltung herangezogen. Gemäß § 150b ZVG kann im Zwangsverwaltungsverfahren der Schuldner zum Verwalter bestellt werden und mithin eine entsprechende Rechtsmacht originär verliehen bekommen. Wäre dies für das Recht der Eigenverwaltung i. S. einer originären Rückübertragung gewollt gewesen, hätte sich eine entsprechende Gesetzesformulierung angeboten. Da der Insolvenzschuldner diese ursprünglich vorhandene Rechtsmacht in Anbetracht des Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den ausländischen Hauptinsolvenzverwalter verliert, passt mithin nach dieser Auffassung die Rückübertragung nicht in das gesetzgeberische Konzept der Eigenverwaltung.150) 2.3.3 Die organschaftliche Bestellung eines externen Insolvenzexperten 111 Unter Beachtung der vorstehend genannten Grundsätze stellt auch der teilweise unterbreitete Lösungsvorschlag, im Verfahren einen inländischen Insolvenzexperten zum Zwecke der Eigenverwaltung zu bestellen,151) keine echte Alternative dar. Der Einsatz eines ___________ 144) 145) 146) 147) 148) 149) 150) 151)

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So etwa Beck, NZI 2006, 609, 618. Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 236; Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3458. Vgl. EuGH v. 22.11.2012 – Rs. C-116/11 (Handlowy), ZIP 2012, 2403, dazu EWiR 2013, 173 (Jopen). Eidenmüller, NJW 2004, 3455, 3458; Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 236; Hortig, Kooperation von Insolvenzverwaltern, S. 114. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12, S. 2443, zit. in AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471, 475, dazu EWiR 2004, 601 (Blenske). AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471, 475, dazu EWiR 2004, 601 (Blenske). Zit. nach AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471, 475, dazu EWiR 2004, 601 (Blenske). So etwa Beck, NZI 2006, 609, 618; Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 238, Rz. 77.

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§ 18

Grenzüberschreitende Eigenverwaltung

Insolvenzexperten führt lediglich zu einem Personentausch im Bereich der organschaftlichen Vertretung der Insolvenzschuldnerin. In konsequenter Anwendung der beschriebenen Rechtsgrundsätze, denen zufolge das Sekundärinsolvenzverfahren keinen Anspruch auf Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis erhebt, sondern diese dort belässt, wo es sie vorfindet, wird mithin die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis dem englischen (ausländischen) Insolvenzverwalter des Hauptverfahrens und nicht den Organen der deutschen Gesellschaft (rück-)übertragen. Allein die Bestellung eines Insolvenzexperten führt naturgemäß nicht zu einem abweichenden Ergebnis. Dies wäre allenfalls dann der Fall, wenn etwa der deutsche Insolvenzexperte im englischen Hauptinsolvenzverfahren zum Joint Administrator des Hauptinsolvenzverfahrens berufen würde.152) In der Folge könnte er sodann kraft Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis wiederum als Hauptinsolvenzverwalter die Funktion des „Schuldners“ im (deutschen) Sekundärinsolvenzverfahren in Form der Eigenverwaltung übernehmen. Hierdurch würden zwar Sinn und Zweck der Eigenverwaltung angesichts der internationalen Kompetenz nicht konterkariert, hinsichtlich der Kompetenz- und Interessenkonflikte gilt i. Ü. jedoch das bereits Ausgeführte (siehe Rz. 105 ff.). 2.4

Die Funktion des „Sachwalters“

Unabhängig davon, ob der externe Hauptinsolvenzverwalter kraft Übertragung der Ver- 112 waltungs- und Verfügungsbefugnis formal die Position des eigenverwaltenden Insolvenzschuldners übernimmt oder diese Funktion bei der (ursprünglichen) Geschäftsleitung verbleibt bzw. an diese zurück übertragen wird, kommt jedenfalls der Person des Sachwalters im eigenverwalteten Sekundärinsolvenzverfahren eine maßgebliche Bedeutung zu.153) Seine Kompetenzen und Befugnisse richten sich gemäß Art. 7 Abs. 2 Satz 2 lit. c EuInsVO 113 (auch) hinsichtlich des Sekundärverfahrens nach der für dieses geltenden lex fori concursus, im Falle eines in Deutschland im Wege der Eigenverwaltung abzuwickelnden Sekundärinsolvenzverfahrens mithin nach Maßgabe der §§ 274, 275 InsO. Gerade in denjenigen Fällen, in denen der (ausländische) Hauptinsolvenzverwalter zum 114 eigenverwaltenden Schuldner des Sekundärverfahrens berufen wird, besteht die Gefahr, dass dieser den Geschäftsbetrieb der Niederlassung faktisch aus einem anderen Mitgliedstaat heraus verwaltet und die Interessen der am Sekundärinsolvenzverfahren Beteiligten nicht in dem gleichen Maße schützt wie ein nationaler Sekundärverfahrensverwalter.154) Nicht zuletzt auch vor diesem Hintergrund kommt der Person des Sachwalters im Sekundärinsolvenzverfahren als Korrektiv und Gegengewicht maßgebliche Bedeutung zu. Dies gilt nicht nur vor dem Hintergrund einer Wahrung der (nationalen) Interessen des Sekundärinsolvenzverfahrens, sondern auch in Anbetracht der dem ausländischen Hauptinsolvenzverwalter regelmäßig fehlenden Kenntnisse des auf dieses Verfahren anzuwendenden nationalen Rechts.155) Deshalb wird als Alternative vorgeschlagen, eine Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren abzulehnen und stattdessen für dieses nach klassischem Modell einen (deutschen) Insolvenzverwalter i. S. einer Regelabwicklung zu stellen.156) Im Übrigen richtet sich die rechtliche Kompetenz des Sachwalters nach den nach Maßgabe des Insolvenzstatuts einschlägigen landesrechtlichen Bestimmungen. ___________ So der Vorschlag von Beck, NZI 2006, 609, 618. Vgl. zur Funktion des Sachwalters die rechtsvergleichende Betrachtung bei Korch, ZIP 2018, 109 ff. Beck, NZI 2006, 609, 616. Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 237, 238; zur Kompetenz des ausländischen Hauptverwalters auch Vallender, KTS 2005, 283, 312, Rz. 140. 156) Vallender, KTS 2005, 283, 312, Rz. 140.

152) 153) 154) 155)

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1. Teil Eigenverwaltung – EuInsVO

115 Ebenfalls bezogen auf das deutsche Insolvenzrecht ist i. R. der Auswahlentscheidung betreffend die Person des Sachwalters aufgrund des Verweises in § 274 Abs. 1 InsO die Vorschrift des § 56 InsO zu berücksichtigen.157) Insoweit ist bei der Beurteilung seiner für den jeweiligen Fall geforderten Eignung und Geschäftskunde (auch) darauf zu achten, dass er in grenzüberschreitenden Verfahren über die notwendige Rechts- und Sprachkompetenz verfügt.158) 116 Unbestritten ist es i. Ü. grundsätzlich auch zulässig, einem Gericht die Funktion eines Insolvenzverwalters bzw. Sachwalters i. S. von Art. 2 Nr. 5 EuInsVO zukommen zu lassen, sofern es in dem in Bezug genommenen Anhang B aufgeführt ist. Anders als in Deutschland oder Frankreich ist bspw. das österreichische Konkursgericht als potenzieller „Verwalter“ im Anhang B ausdrücklich aufgeführt;159) damit sollen die sich aus der Eigenverwaltung im Privatkonkurs (Schuldenregulierungsverfahren) ergebenden Schwierigkeiten gelöst werden. In der Praxis ist dies insbesondere für die komplexeren Fälle eines österreichischen Schuldenregulierungsverfahrens vorgesehen, in denen – nicht zuletzt in Anbetracht eines grenzüberschreitenden Sachverhalts – die Kompetenz des eigenverwaltenden Schuldners überschritten wird.160) 2.5

Kooperationspflichten zwischen den Verwaltern von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren

117 Zwar sind Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren in Anbetracht der zwischen ihnen bestehenden wechselseitigen Beziehungen nicht grundsätzlich als „Gegenpole“161) anzusehen, jedoch führen gerade diese Wechselbeziehungen zu einem erheblichen Kooperationsund Abstimmungsbedarf, um den Interessen des grundsätzlich dominierenden und universell geltenden Hauptinsolvenzverfahrens und den Partikularinteressen der nationalen Gläubiger auf der Ebene des Sekundärinsolvenzverfahrens in ausreichendem Maße Rechnung zu tragen. Insoweit ergeben sich für die Eigenverwaltung im Haupt- und/oder Sekundärinsolvenzverfahren keine wesentlichen Besonderheiten. 118 Im Wesentlichen sind die Kooperations- und Unterrichtungspflichten der maßgeblichen Beteiligten von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren in den Art. 41 ff. EuInsVO niedergelegt. Diese Normen unterscheiden i. R. der Kooperation zwischen einer Verpflichtung zur Zusammenarbeit und Kommunikation der Verwalter untereinander (Art. 41 EuInsVO), der beteiligten Gerichte (Art. 42 EuInsVO) sowie der Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen Verwaltern und Gerichten (Art. 43 EuInsVO). Die Vorschrift des Art. 41 EuInsVO richtet sich dabei an die „Verwalter“ des Hauptinsolvenzverfahrens sowie des Sekundärinsolvenzverfahrens und postuliert insbesondere die Verpflichtung zur gegenseitigen Unterrichtung. Beide Verwalter haben einander unverzüglich alle Informationen mitzuteilen, die für das jeweilige andere Verfahren von Bedeutung sein können, insbesondere den Stand der Anmeldung und der Prüfung der Forderungen sowie alle Maßnahmen zur Beendigung eines Insolvenzverfahrens. Nach Maßgabe des Art. 41 Abs. 3 EuInsVO gilt dies sinngemäß in Fällen, in denen der Schuldner im Haupt- oder Sekundärinsolvenzverfahren die Verfügungsgewalt über sein Vermögen behält. Durch diese Regelung sollen ___________ 157) Dazu ausführlich Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 274 Rz. 2 ff. 158) Beck, NZI 2006, 609, 617, der wiederum § 56 InsO über den Umweg des § 270 Abs. 2 Nr. 3 InsO a. F. auch i. R. der Auswahlentscheidung hinsichtlich der mit der Eigenverwaltung zu betrauenden Personen heranziehen will und in diesem Falle die Eignung und Geschäftskonten eines ausländischen Hauptinsolvenzverwalters infrage stellt. 159) Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 401. 160) Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 401. 161) Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 233.

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Grenzüberschreitende Eigenverwaltung

das „Sekundieren“162) des Sekundärinsolvenzverfahrens in seiner Eigenschaft als Partikularinsolvenzverfahren sichergestellt und die wechselseitigen Wirkungen harmonisiert werden. Zu der allgemein formulierten Unterrichtungspflicht gehört im Einzelfall z. B. eine Infor- 119 mation über den Stand und Umfang der Soll-Masse im jeweiligen Verfahren, in Aussicht genommene oder rechtshängig gemachte Streitigkeiten zur Wiederherstellung der SollMasse (Anfechtungsprozesse, Klagen auf Ersatz von Schäden) sowie die im jeweiligen Verfahren angemeldeten Forderungen, das Ergebnis der Forderungsberechnung und der Stand von Feststellungsprozessen oder vergleichbaren Verfahren, die Rangfolge der Gläubiger, in Aussicht genommene Organisations- und Sanierungsmaßnahmen oder auch die voraussichtlich zu erzielenden Quoten.163) Speziell für den Fall der angeordneten Eigenverwaltung zählt hierzu auch die Verpflich- 120 tung, dass in denjenigen Fällen, in denen der Insolvenzschuldner noch wirksam massebezogene Rechtshandlungen vornehmen kann, der aufsichtsführende Sachwalter seinen Kollegen als Hauptinsolvenzverwalter davon in Kenntnis zu setzen hat.164) Neu hinzugekommen gegenüber der Altfassung sind insbesondere die ausdrückliche In- 121 formationsverpflichtung über Maßnahmen zur Restrukturierung oder Sanierung des Schuldners in Art. 41 Abs. 2 lit. a EuInsVO sowie die in lit. b erstmals niedergelegte Möglichkeit der Kooperation i. R. der Ausarbeitung und Umsetzung eines Restrukturierungsplans. Adressat dieser Kooperations- und Unterrichtungsverpflichtung ist auf der Ebene des 122 Sekundär- oder Partikularverfahrens jeweils der dortige Verwalter. (Auch) Für den Fall der dort angeordneten Eigenverwaltung ergibt sich nach der Legaldefinition des Art. 2 Nr. 5 EuInsVO i. V. mit Anhang B, dass Adressat der Verpflichtungen aus Art. 41 EuInsVO ein dort genannter Amtsträger, namentlich für die deutsche InsO der dortige Sachwalter sein kann.165) Auf diesem Wege ist auch für den Fall einer Eigenverwaltung sichergestellt, dass die besondere Fachkompetenz, die zur Erfüllung der Kooperationspflichten nach Maßgabe der EuInsVO gefordert ist, tatsächlich von einem professionellen Verwalter erfüllt wird.166) Die Dominanz des Hauptinsolvenzverfahrens wird weiterhin dadurch sichergestellt, dass der 123 Sachwalter des eigenverwalteten Sekundärinsolvenzverfahrens dem Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens zu gegebener Zeit Gelegenheit zu geben hat, Vorschläge für die Verwertung oder jede Art der Verwendung der Masse des Sekundärinsolvenzverfahrens zu unterbreiten (Art. 41 Abs. 2 lit. c EuInsVO). Ferner ergeben sich die Vormachtstellung und die Universalität des Hauptinsolvenzverfahrens aus Art. 38 Abs. 4 EuInsVO, demzufolge dem Insolvenzverwalter des Hauptinsolvenzverfahrens neben dem Recht, durch eine Zusicherung nach Art. 36, 38 Abs. 2 EuInsVO die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens ganz bzw. gemäß Art. 46 EuInsVO zumindest die Verwertung der Masse im Sekundärinsolvenzverfahren auf Antrag zu verhindern weiterhin das Recht eingeräumt wird, die Eröffnung des Verfahrens in einer anderen in Anhang A aufgeführte Verfahrensart zu beantragen. Sind die in Deutschland hier gegebenen Alternativen mit den dort lediglich ___________ 162) Potthast, Probleme eines Europäischen Konkursübereinkommens, S. 60, Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 125, Rz. 9; Ehricke, ZInsO 2004, 633. 163) Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 126, Rz. 11. 164) So auch Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 265. 165) Vgl. dazu Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 126, Rz. 13; nach Wenner/ Schuster in: Wimmer, FK-InsO, Art. 41 EuInsVO Rz. 33 bezieht sich die Verpflichtung zur Kooperation bei Eigenverwaltung (auch) auf den Schuldner. 166) Flöther/Smid/Wehdeking, Die Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 126, Rz. 14.

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1. Teil Eigenverwaltung – EuInsVO

aufgeführten Konkurs-, Vergleichs-, Gesamtvollstreckungs- und Insolvenzverfahren naturgemäß begrenzt, eröffnet sich hier bspw. angesichts der Vielzahl der Verfahrensarten in Frankreich (Sauvegarde, Sauvegarde accélérée, Sauvegarde financière accélérée, Redressement judiciaire, Liquidation judiciaire) eine ganze Reihe von Möglichkeiten. 124 Ferner hat der Insolvenzverwalter des Hauptinsolvenzverfahrens gemäß Art. 47 Abs. 1 EuInsVO das Recht, eine Verfahrensbeendigung des Sekundärinsolvenzverfahrens durch Sanierungsplan, Vergleich oder sonstige Maßnahmen vorzuschlagen. 125 Soweit die Kooperations- und Unterrichtungsverpflichtungen der Art. 41 ff. EuInsVO auf Verwalterebene und mithin auf Augenhöhe der Fachkompetenz stattfinden, ergeben sich auch im Falle einer Eigenverwaltung ansonsten lediglich die üblichen Sprachbarrieren.167) Sie können jedoch notfalls durch geeignetes Hilfspersonal unschwer überwunden werden. Im Übrigen gibt es insoweit gegenüber den Kooperations- und Unterrichtungspflichten im Falle einer grenzüberschreitenden Regelabwicklung zwischen Haupt- und Sekundärinsolvenzverwalter keine Besonderheiten.168) III.

Die grenzüberschreitende Eigenverwaltung im präventiven Restrukturierungsverfahren

126 Mit Wirkung zum 1.1.2021 ist in Deutschland das StaRUG vom 22.12.2020169) als Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1023 (Restrukturierungsrichtlinie) vom 20.6.2019170) in Kraft getreten. Zu den Auswirkungen dieser neuen gesetzlichen Regelung auf grenzüberschreitende Restrukturierungsverfahren in Eigenverwaltung vgl. die instruktiven Ausführungen von Skauradszun, HRI I, § 14.

___________ 167) Der nachstehend beschriebene Kommissionsvorschlag einer Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren greift diese Problematik auf und postuliert in den dortigen Art. 25, 26 Vorgaben für die Verwalterqualifikation und Fortbildung. 168) Zum Ganzen ausführlich und instruktiv Geroldinger, Verfahrenskoordination, S. 117 ff.; zur Kooperation und Abstimmung im Bereich der Gerichtsbarkeit auch Vallender, KTS 2008, 59; Busch/Remmert/ Rüntz/Vallender, NZI 2010, 417. 169) Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz – StaRUG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256 (= Art. 1 des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts [Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG], v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256). 170) Richtlinie (EU) 2019/1023 des europäischen Parlaments und des europäischen Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019.

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2. Teil Insolvenzplan A. Planvorbereitung und Planinitiative § 19 Planvorbereitung Rendels

I. 1.

Mandatsinhalte und Dokumentation....... 1 Fehlschlagsfaktoren, StaRUG oder InsO? ............................................................ 1 2. Prüfung der Insolvenzgründe, Datensicherung....................................................... 9 3. Überschuldung als Haftungsrisiko wegen StaRUG? ......................................... 13 4. Mandatsinhalte bei Schuldnerberatung..... 16 II. Taktisches Herangehen an den Insolvenzplan ..................................................... 21 1. Beratung des zu sanierenden Rechtsträgers ......................................................... 22 1.1 Frühzeitig Insolvenzplan als „Plan B“.......................................... 22 1.2 „Verbündete“ unter Gläubigern und Arbeitnehmern ....................... 23

1.3

Sicherheitenstruktur; Liquidität und Wertgutachten........................ 26 1.4 Liquiditätsplanung und („unechter“) Massekredit ..................... 31 1.5 Hoffnung Investor ........................ 33 1.6 Drittzuschuss, Quotengarantie oder Ertragsplan ............................ 35 1.7 Ertragssicherheit und erneutes Insolvenzrisiko .............................. 36 2. Beratung eines Gläubigers ......................... 37 2.1 Gesicherte Gläubiger..................... 37 2.2 Ungesicherte Gläubiger ................ 39 3. Beratung eines Investors............................ 40 III. Checklisten zur Planvorbereitung.......... 44

Literatur: Bitter, Georg, Geschäftsleiterhaftung in der Insolvenz – Alles neu durch SanInsFoG und StaRUG?, ZIP 2021, 321; Bork, Neue Grundfragen des Restrukturierungsrechts, ZRI 2021, 345; Bork, Erstreckung der §§ 103 ff. InsO auf die präventive Restrukturierung? ZRI 2020, 457; Budde, Die doppelnützige Treuhand in der Restrukturierungspraxis, ZInsO 2011, 1369; Ganter, Echte und unechte Massekredite, NZI 2020, 249; Gehrlein, Der Überschuldungsbegriff – Irrungen und Wirrungen, GmbHR 2021, 183; Gehrlein, Insolvenzrechtliche Überschuldung trotz Bilanzierung zu Fortführungswerten? – Zur Unterscheidung von Fortführungsprognose und Fortbestehensprognose, WM 2018, 1; Grau/Pohlmann/Radunz, Erste Praxiserfahrungen mit dem StaRUG – Zugleich Besprechung von AG Hamburg, NZI 2021, 544; Obermüller, Das ESUG und seine Auswirkungen auf das Bankgeschäft, ZInsO 2011, 1809; Steffan/Oberg/Poppe, SanInsFoG: Vom Grobkonzept zum Vollkonzept – Anforderungen an die betriebswirtschaftlichen Konzepte in Restrukturierungsplan, Eigenverwaltungsplanung und Insolvenzplan, ZIP 2021, 617; Zabel, Die handelsrechtliche Fortführungsprognose – Ein Indikator zur Krisenfrüherkennung, in: Festschrift für Bruno M. Kübler, 2015, S. 825; Zabel/Pütz, Beurteilung der Insolvenzgründe nach IDW S 11, ZIP 2015, 912.

I.

Mandatsinhalte und Dokumentation

1.

Fehlschlagsfaktoren, StaRUG oder InsO?

Jede Sanierung sollte durchgreifend sein und Folgeinsolvenzen vermeiden. Die in diesem 1 Abschnitt folgenden Ausführungen sind als Praxisberichte aus der Perspektive des Verfassers als Prozessanwalt abgefasst. Nicht selten kommt es im Nachgang zum Insolvenzantrag zu Haftungsregressen. „Angreifer“ sind dann oft Insolvenzverwalter, Geschäftsleiter (die ihrerseits „Stress“ mit dem Insolvenzverwalter haben und im Rechtstreit als Beklagte dem vormaligen Berater den Streit verkünden) oder Gesellschafter, die in der Insolvenz Werteinbußen hinnehmen mussten, wofür der Berater verantwortlich gemacht wird.

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§ 19

2. Teil Insolvenzplan – Planvorbereitung und Planinitiative

2 In der Vorauflage war an dieser Stelle ein Abschnitt zum Thema „Fehlschlagsfaktoren außergerichtlicher Restrukturierung“ zu finden. Anlässlich des Inkrafttretens von StaRUG1) und SanInsFoG2) hat sich der Verlag entschieden, die Bereiche „Sanierung durch Insolvenz“ und „(außergerichtliche) Restrukturierung/StaRUG-Module“ in getrennten Werken abzuhandeln. Die Sanierungshindernisse, die sich bei einer außergerichtlichen Sanierung häufig ergeben, sollen deshalb hier nicht mehr behandelt werden. Insoweit darf u. a. zu arbeitsrechtlichen Hürden, Pensionslasten, Steuerhaftung durch Auffanggesellschaft nach § 75 AO, Rechtsscheinhaftung nach § 25 HGB sowie Insolvenzanfechtungsrisiken im Zusammenhang mit außergerichtlichen Sanierungsversuchen auf die Vorauflage und neuen Kommentar des Verlags von Morgen, StaRUG, verwiesen werden. Die diesseitigen Ausführungen in der Vorauflage richteten sich als Einführung an Berater oder ggf. auch Rechtsabteilungen in Unternehmen, die sich eher ohne intensivere Erfahrungen mit dem Thema „außergerichtliche Sanierung“ neu befassen. Das gilt tendenziell auch für die nachfolgenden Ausführungen. 3 Zu den Vorüberlegungen, die im Vorfeld eines möglichen Insolvenzplans anzustellen sind, gehört die Abgrenzung zwischen InsO und StaRUG. Am Beginn der Überlegungen stehen betriebswirtschaftliche Analysen. Die betriebswirtschaftliche Analyse ist Ausgangspunkt und „handwerkliche“ Grundlage zur Beantwortung der Frage, ob die Sanierung völlig ohne Einschaltung der Gerichte aussichtsreich erscheint oder mit der Bandbreite der StaRUGModule3) oder mithilfe eines Insolvenzplans erfolgen soll. Die zentralen Grundlagen sind die (in der Regel integrierte) Unternehmensplanung und der Ablauf bei Erstellung und Fortschreibung von Sanierungskonzepten.4) Der Gesetzgeber hat nur im Ansatz und verstreut (durch das SanInsFoG) die betriebswirtschaftlichen Elemente zum StaRUG-Rahmen, zur Eigenverwaltung und zum Insolvenzplan geregelt (vgl. u. a. § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO: „Finanzplan […] Zeitraum von sechs Monaten […] Finanzierungsquellen […]“, § 270a Abs. 1 Nr. 2 InsO: „Konzept für die Durchführung des Insolvenzverfahrens“, § 270a Abs. 1 Nr. 3 InsO: „Darstellung des Standes der Verhandlungen […]“, § 270b Abs. 1 Nr. 1 InsO: „Eigenverwaltungsplanung des Schuldners vollständig und schlüssig […]“; § 31 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG: „Entwurf eines Restrukturierungsplans“, § 31 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG: „Darstellung des Standes von Verhandlungen“, § 51 Abs. 1 Satz 2 StaRUG: „Schlüssig ist die Planung, wenn nicht offensichtlich ist, dass sich das Restrukturierungsziel nicht auf Grundlage […] erreichen lässt.“, § 14 Abs. 1 StaRUG: „Restrukturierungsplan […] begründete Erklärung zu den Aussichten […] beizufügen, […] drohende Zahlungsunfähigkeit […] beseitigt […] Bestandsfähigkeit des Schuldners sicher- oder wiederhergestellt wird.“). 4 Die Liste dieser betriebswirtschaftlichen Kasuistik des Gesetzgebers ließe sich fortführen.5) Dabei ist jedenfalls dem Verfasser dieses Abschnittes nicht einleuchtend, warum z. B. die Hürden für die Eigenverwaltung durch das SanInsFoG zum Teil anders definiert werden und höher sind als i. R. der StaRUG-Module. Rechtspolitisch könnte der Gesetzgeber, was hier angemerkt sei, erwägen, eine Art „Allgemeiner Teil“ zu betriebswirtschaftlichen ___________ 1) Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz – StaRUG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256 (= Art. 1 des SanInsFoG, v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256). 2) Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256 ff. 3) Vgl. zu dem breiten Rahmen und den diversen Handlungsoptionen nach StaRUG den Überblick bei Bork, ZRI 2021, 345 ff. 4) Zur Bedeutung der integrierten Unternehmensplanung und der Entwicklung des Sanierungsgrobkonzepts und dessen Fortschreibung zum Vollkonzept vgl. Steffan/Oberg/Poppe, ZIP 2021, 617 ff.; vgl. Zabel in: FS Kübler, 2015, S. 825 ff. 5) Vgl. dazu Steffan/Oberg/Poppe, ZIP 2021, 617 ff.

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§ 19

Planvorbereitung

Schwerpunkten zur Vorbereitung einer Sanierung – gleich ob nach StaRUG oder InsO – zu entwickeln. Das könnte zur Kürzung des Gesetzestextes beitragen und Auslegungsprobleme mindern, sofern einheitliche Tatbestandsmerkmale zu betriebswirtschaftlichen Anforderungen verwendet würden. Der Berater, der einen neuen Fall „auf den Tisch gelegt bekommt“, wird zur Abgrenzung 5 Insolvenzplan oder StaRUG-Optionen jedenfalls zeitnah ausloten müssen, ob Geschäftsleitung und Berater – ggf. noch – außergerichtlich sanieren können und dürfen. Oft wird im Vergleich zu den StaRUG-Modulen die Insolvenzantragstellung mit Insolvenzplan der im Interesse einer nachhaltigen Sanierung einzige Weg sein. Um den richtigen Weg – StaRUG, InsO oder ggf. Betriebseinstellung – zu beurteilen, ist zur Aufbereitung der Tatsachengrundlage, speziell der Erkennung aller Krisenursachen, eine integrierte Unternehmensplanung auf der Grundlage eines Unternehmenskonzepts, ggf. i. V. m. einem (kontinuierlich fortzuschreibenden) Sanierungskonzept erforderlich.6) Wenn (durch betriebswirtschaftlich orientierte Berater) auf der ersten Stufe der Beratung die Krisenursachen und die möglichen Sanierungsmaßnahmen erfasst sind, ist (häufig erst auf der zweiten Stufe) dann der Jurist gefragt. Der StaRUG-Rahmen eignet sich – eindeutig – eher für eine rein finanzwirtschaftliche Sanierung, schon weil das Arbeitsrecht und Pensionsansprüche aus dem StaRUG-Rahmen als gestaltbare Rechtsverhältnisse ausgenommen sind (vgl. § 4 Nr. 1 StaRUG). Zudem fehlen im StaRUG zur Beendigung von „kostenintensiven“ Dauerschuldverhältnissen Vertragsbeendigungsregelungen, die in der InsO nach §§ 103 ff. InsO enthalten sind. Der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages ist für die Streichung der Entwurfsvorschriften zur Vertragsbeendigung nach §§ 49 ff. RefE-StaRUG (insbesondere aus Beratersicht) stark kritisiert worden.7) Andere, erfahrene und gewichtige Literaturstimmen hatten im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens vehement die Streichung der Vorschriften des RefE-StaRUG zur Vertragsbeendigung gefordert.8) Da das StaRUG grundsätzlich keine Gesamtwirkung für eine Vielzahl von Gläubigern haben 6 soll und an zahlreichen Stellen betriebswirtschaftlich „dünne“ Einleitungsvoraussetzungen definiert (so kann die Anzeige nach § 31 StaRUG nach dem Wortlaut der Vorschrift ohne Vorlage eines Finanzplans und ohne Nachweis der nur drohenden Zahlungsunfähigkeit erfolgen), dürfte die Entscheidung des Gesetzgebers zur Streichung der Vertragsbeendigungsregeln des RefE-StaRUG richtig gewesen sein. Auch wenn man das anders sehen wollte, so muss der Berater in der Frühphase des „Falleinstiegs“ respektieren, dass das StaRUG keine Rechtsnormen zur zwangsweisen Flankierung einer durchgreifenden operativen Sanierung enthält. In zahlreichen Fällen wird deshalb wegen der weitergehenden Sanierungsinstrumente nach 7 der InsO der Insolvenzplan – auch i. R. einer Vergleichsrechnung (§ 6 Abs. 2 StaRUG) – die einzig zulässige Sanierungsoption darstellen. Weiter wird der Berater – selbstkritisch – vor/bei Mandatsübernahme die Erwartungshal- 8 tung vieler Mandanten/Geschäftsleiter kritisch analysieren müssen. Da das StaRUG mit der Zielsetzung „früh, schnell und still“ – auf den ersten Blick – für einen Geschäftsleiter die bequemere Alternative sein kann, mit weniger Eingriffen in seine Rechtsposition, besteht die Gefahr, dass der Mandant im Einzelfall schlicht unvernünftig auf die Nutzung von StaRUG-Modulen drängt. In solchen Fällen sind mutige Berater gefragt, die dann zur – meistens – notwendigen operativen Sanierung das Instrumentarium der InsO den StaRUGModulen (einzelfallabhängig) vorziehen. ___________ 6) Vgl. dazu Steffan/Oberg/Poppe, ZIP 2021, 617 ff.; Zabel in: FS Kübler, 2015, S. 825 ff. 7) Grau/Pohlmann/Radunz, NZI 2021, 544 ff. 8) Bork, ZRI 2020, 457 ff.

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§ 19 2.

2. Teil Insolvenzplan – Planvorbereitung und Planinitiative Prüfung der Insolvenzgründe, Datensicherung

9 Aufgrund der Erfahrungen des Verfassers (dieser vertritt häufig Rechtsanwälte und/oder betriebswirtschaftlich orientierte Kollegen im Haftungsprozess wegen vermeintlicher Fehler bei (vor-)insolvenzlicher Beratung) sei noch auf folgende Punkte hingewiesen: Dringend sind beim beginnenden Beratungsmandat die Insolvenzgründe – dokumentiert – kontinuierlich zu prüfen, mit entsprechender Datensicherung. Zu einer späteren Rechtsverteidigung gehört auch, dass sich der Berater grundsätzlich und sicherheitshalber alle Buchhaltungsdaten der Schuldnerin (wobei die Buchhaltung aktuell und vollständig sein muss) bei Mandatsende (oder ggf. zwischendurch) sichert. Das gilt ebenso für die Unternehmensplanung mit den Planungs-Alternativen mit/ohne Sanierungsmaßnahmen. 10 Zahlungen der Geschäftsleitung sind gemäß § 15b Abs. 3 InsO nach Insolvenzreife nicht mehr privilegiert. Häufig greifen Insolvenzverwalter (oder Staatsanwälte) erst nach vielen Jahren – wegen angeblich verkannter Insolvenzreife – an. Der klagende Insolvenzverwalter reklamiert gegen die Geschäftsleitung als Beklagte Ansprüche aus Insolvenzverschleppung (vornehmlich Zahlungsansprüche nach § 15b InsO, früher u. a. § 64 GmbHG a. F.). Schon wegen der recht langen Verjährungsfristen (nach § 15b Abs. 7 fünf Jahre nach der Rechtshandlung) werden solche Haftungsprozesse – gegen Geschäftsleiter und i. V. damit gegen Berater z. B. als Streitverkündete – oft erst viele Jahre nach Mandatsbeendigung geführt. Insolvenzverwalter verfügen dann über sämtliche Daten der späteren Schuldnerin. Der in Anspruch genommene Berater, der die Verteidigungsdokumente nicht „griffbereit“ hat, muss den mühsamen Weg über eine Akteneinsicht gehen, um sich gegen den Vorwurf „verschlafener“ Insolvenzreife zu verteidigen. 11 Um nicht in diese Situation zu geraten, aber auch um die Insolvenzreife nicht zu „verpassen“, ist deshalb vor Insolvenzantragstellung ein krisennahes Mandat m. E. im Zweifel und grundsätzlich nicht zu führen, ohne dass gleichzeitig die Insolvenzgründe nach §§ 17, 19 InsO kontinuierlich überprüft werden. Aus den vorgenannten Gründen sollte (ex ante) deshalb in Gutachten- und Berichtsform zu den potenziellen Insolvenzgründen eine Analyse erstellt werden, die vermeidet, dass die Insolvenzgründe übersehen werden. 12 Manchmal nehmen Gesellschafter im Nachgang zu einer Insolvenz einen Berater oder CRO in Regress. Argument: „Eigentlich“ sei eine Insolvenzantragstellung mangels Insolvenzantragspflicht noch nicht notwendig gewesen. Unnötig seien die Gesellschaftsanteile durch die Insolvenz entwertet worden. Dem kann der Berater (oft nur) durch die dokumentierte Feststellung und Prüfung der Insolvenzreife entgegnen. 3.

Überschuldung als Haftungsrisiko wegen StaRUG?

13 In diesem Zusammenhang erscheint jedenfalls derzeit (Stand 7/2022) auch eine präzisere Definition dazu erforderlich, wie die insolvenzrechtliche Überschuldung von den StaRUGModulen abzugrenzen ist. 14 Nach der SanInsFoG-Reform beträgt die Insolvenzantragsfrist ab Eintritt der Überschuldung maximal sechs Wochen (§ 15a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 InsO). Mit der verlängerten Insolvenzantragsfrist von sechs Wochen (oder ggf. acht Wochen)9) wollte der Gesetzgeber, was grundsätzlich zu begrüßen ist, mehr Zeit geben, Sanierungschancen (auch unter Einschluss des StaRUG) auszuloten.10) Dabei sollen im Anschluss an die Gesetzesbegründung auch die Auswirkungen von StaRUG-Modulen, die mit „überwiegender Wahrscheinlichkeit“ (gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 InsO) zu einer Sanierung führen, eine positive Fort___________ 9) Vgl. § 4 SanInsKG, Gesetz zur Abschaffung des Güterrechtsregisters und zur Änderung des COVID-19Insolvenzaussetzungsgesetzes (GüRegAbG), v. 31.10.2022, BGBl. I 2022, 1966, 1968. 10) Begr. RegR SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 189.

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§ 19

Planvorbereitung

bestehensprognose (ex ante) ergeben.11) Gewichtige Literaturstimmen haben daran schon kritisiert, dass auch in der Insolvenz das Sanierungsergebnis bei der Überschuldungsprüfung nicht antizipiert werde. Bitter hat jedenfalls in einer Fußnote angemerkt, es wäre dogmatisch ein Zirkelschluss, wenn es zulässig wäre, die StaRUG-Effekte i. R. der Erstellung der Fortbestehensprognose nach § 19 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 InsO zu berücksichtigen.12) Da der StaRUG-Rahmen – ggf. einzelfallabhängig – auch zu einer Art Gesamtverfahren, d. h. ähnlich einem Insolvenzverfahren, genutzt werden kann und der Reorganisationsplan Ähnlichkeiten mit dem Insolvenzplan hat, ist es keineswegs selbstverständlich, zumal das nicht dem Gesetzeswortlaut zu entnehmen ist, dass die StaRUG-Auswirkungen überhaupt bei der Erstellung der Fortbestehensprognose berücksichtigt werden dürfen. Wollte man StaRUG-Optionen im Anschluss an die Gesetzesbegründung und u. a. IDW S 11 (Rz. 68) berücksichtigen, stellt sich die weitere Frage, was der Ersteller der Fortbestehensprognose bei der Überschuldungsprüfung „handwerklich“ abarbeiten muss. Führt das StaRUG tendenziell eher automatisch und in einer Vielzahl von Fällen zur Beseitigung der Überschuldung oder sind die Anforderungen an die Fortbestehensprognose nach § 19 InsO eher streng? Jedenfalls innerhalb des (durch das SanInsFoG verkürzten) Prognosezeitraums von zwölf 15 Monaten nach § 19 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 InsO (oder ggf. vier Monaten)13) bleibt es weiter bei der Überschneidung von Überschuldung/drohender Zahlungsunfähigkeit. Ex ante, in der Beratungssituation, trägt insbesondere in diesem Zwölf-Monats-Zeitraum (oder VierMonats-Zeitraum, § 4 SanInsKG) der Berater ein erhöhtes Risiko, die Überschuldung – wenn er später erfolglos StaRUG-Module nutzt – verkannt zu haben. Es ist daher möglich, was von den Anforderungen an die Fortbestehensprognose abhängt, dass es jedenfalls im Zwölf-Monats-Zeitraum des § 19 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 InsO tendenziell „sicherer“ ist, von Insolvenzreife wegen Überschuldung auszugehen und deshalb einen Insolvenzplan in Eigenverwaltung zu erwägen. Die praktische Relevanz des StaRUG im Zwölf-Monats-Zeitraum bleibt abzuwarten. Überwiegend wahrscheinlich i. S. des § 19 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 InsO ist die Fortführung ex ante bei erwogenen/begonnenen StaRUG-Überlegungen nur dann, wenn das StaRUG ex ante im konkreten Fall deutlich und offenkundig geeignet erscheint, eine isolierbare und wesentliche Krisenursache zu beheben. Das mag etwa der (eher seltene) Fall sein, wenn ein operativ eindeutig gesundes Unternehmen mit einer Kreditverlängerung/Kürzung von Verbindlichkeiten durch einen StaRUG-Reorganisationsplan bei klar absehbaren Mehrheiten schnell saniert werden kann. 4.

Mandatsinhalte bei Schuldnerberatung

In der Eigenverwaltung und im Vorfeld einer „greifbaren“ Insolvenz besteht gelegentlich 16 die Gefahr, dass durch zu viele Berater, unklare Zuständigkeiten und (ggf. vermeintliche) Mandatseingrenzungen kein sinnvoller „Gesamtprozess“ in Gang gesetzt wird. Schuldnerberatung in der Eigenverwaltung oder kurz vor einer potenziellen Insolvenz in Eigenverwaltung stellt nach der SanInsFoG-Reform hohe Anforderungen! Breites betriebswirtschaftliches Know-how muss abgedeckt sein:  u. a. Einrichtung einer integrierten Unternehmensplanung,  Überprüfung/Kontrolle der operativen Führung, ___________ 11) Insbesondere im Anschluss an Überlegungen von Moritz Brinkmann, u. a. Ebke/Seagon/Piekenbrock, Überschuldung: Quo vadis?, S. 67, 72.; zu Beispielsfall nach StaRUG Grau/Pohlmann/Radunz, NZI 2021, 544; vgl. Gehrlein, GmbHR 2021, 183 ff. und Gehrlein, WM 2018, 1 ff. – zur Überschuldungsprüfung, und Zabel in: FS Kübler, 2015, S. 825 ff.; Zabel/Pütz, ZIP 2015, 912 ff. 12) Bitter, ZIP 2021, 321, 322, dort Rz. 14 („Insolvenz löst sich definitorisch in Luft auf […]“). 13) Vgl. § 4 SanInsKG, Gesetz zur Abschaffung des Güterrechtsregisters und zur Änderung des COVID-19Insolvenzaussetzungsgesetzes (GüRegAbG), v. 31.10.2022, BGBl. I 2022, 1966, 1968.

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2. Teil Insolvenzplan – Planvorbereitung und Planinitiative



ggf. durch einen ergänzenden CRO,



in diesem Rahmen Liquiditätsplanung, Gewinn- und Verlustrechnung, Einnahmen-/ Ausgabenrechnung für die Vergangenheit.

17 Zudem sind die unterschiedlichsten juristischen Felder abzudecken: 

u. a. Arbeitsrecht,



Steuerrecht,



Einschätzung z. B. des D&O-Versicherungsschutzes,



Handelsrecht und



selbstverständlich alle Facetten des Insolvenzrechts.

18 Wegen der Notwendigkeit der Koordination des Know-hows verschiedenster Fachrichtungen ist es oft nicht möglich, dass nur ein Berater oder eine Beratungsgesellschaft dieses Know-how einbringt. So bilden sich häufig Teams mehrerer Berater, was aber dazu führen kann, dass sich diese Teams (wenn sie nicht eingespielt sind) verzetteln. Das alles führt dazu, dass die Mandatsinhalte und die Abgrenzung der Zuständigkeiten der diversen Berater untereinander besonders klar, d. h. explizit im jeweiligen Beratungsvertrag zu regeln sind. 19 Damit es in der Eigenverwaltung nicht zu sinnlosem „Verbrauch“ der Masse kommt, ist für eine ordnungsgemäße Eigenverwaltung (und damit auch für einen notwendigen Mandatsinhalt) zu verlangen, dass bei mehreren Beratern/„Verantwortlichen“ einer der Berater eine „Koordinationspflicht“ hat, die sicherstellt, dass die juristischen und betriebswirtschaftlichen „Notwendigkeiten“ zu einem sinnvollen Gesamtprozess zusammengeführt werden. Das wird die – ggf. ungeschriebene – Aufgabe des CRO sein. 20 Zudem muss (allerdings einzelfallabhängig) geklärt werden, ob und wann (sofern noch nicht vorhanden) nach Insolvenzantragstellung (zeitnah?) ein vollständiges IDW S 6-Gutachten schrittweise entwickelt (oder ggf. verschoben) wird. Jedenfalls bei einem Insolvenzplan, der die Quote (ggf. auch) aus Erträgen der Zukunft verspricht, dürfte das IDW S 6-Gutachten spätestens nach § 220 Abs. 2 Satz 1 InsO in den darstellenden Teil des Insolvenzplans gehören.14) Dabei sind jedoch einzelfallabhängig Kosten und Nutzen eines IDW S 6Gutachtens abzuwägen sowie die Tatsache, dass das „Leitbild“ des zu sanierenden Unternehmens oft nur mit den Vorstellungen eines Investors zusammen entwickelt werden kann.15) Dies kann dazu führen, dass im Einzelfall die endgültige Fertigstellung eines IDW S 6-Gutachtens verschoben werden kann. Im Zweifel sollte mit dem (vorläufigen) Gläubigerausschuss und (insbesondere, wenn ein Gläubigerausschuss nicht bestellt ist) mit dem (vorläufigen) Sachwalter abgestimmt werden, ob und wie schnell ein IDW S 6Gutachten vorgelegt wird. II.

Taktisches Herangehen an den Insolvenzplan

21 Bevor der potenzielle Planverfasser aufwändig in zahlreiche Details der Insolvenzplanerstellung einsteigt, sind einige Grundüberlegungen zur Vorbereitung eines Planentwurfs anzustellen. Mit den nachfolgenden Hinweisen, die sich eher an „Einsteiger“ ohne Planerfahrung richten, soll erreicht werden, dass bei der Vorbereitung des Insolvenzplans möglichst frühzeitig an den richtigen Problemfeldern in sinnvoller Reihenfolge gearbeitet und unnötiger Aufwand bei der Planerstellung vermieden wird. ___________ 14) Vgl. Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 123 ff. 15) Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 126.

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Planvorbereitung 1.

Beratung des zu sanierenden Rechtsträgers

1.1

Frühzeitig Insolvenzplan als „Plan B“

Oft ist es taktisch sinnvoll, die Verhandlungen zu den im Insolvenzplan in Betracht kom- 22 menden Sanierungsbeiträgen mit einem ersten Vorentwurf eines Insolvenzplans zu flankieren. Die potenziellen Strukturen des gestaltenden Teils (Gruppenbildung, etwaige Eingriffe in Sicherheiten, Forderungsverzichtsbeträge der Gläubiger, zur Quotenzahlung angedachter Gesamtausschüttungsbetrag etc.) können z. B. in einem kurzen ersten Vermerk festgehalten werden. Diese erste schriftliche Skizze des gestaltenden Teils eines Insolvenzplans wird in der Regel einen Umfang von drei bis zehn DIN A4-Seiten nicht überschreiten. Ein solcher Vorentwurf dient dazu, rechtzeitig in Verhandlungen mit Gläubigern und Arbeitnehmervertretern zu klären, mit welchen Hürden ein Insolvenzplan ggf. umsetzbar ist. Selbstverständlich und einzelfallabhängig ist, dass oft Geheimhaltungsinteressen (z. B. die Verhinderung der Kündigung wichtiger Kredite oder Lieferbeziehungen) einem zu frühen Außenkontakt entgegenstehen können. Manchmal kommt dieser Außenkontakt erst kurz vor Insolvenzantragstellung zustande, insbesondere um i. R. der angestrebten Eigenverwaltung die wichtigsten Gläubiger rechtzeitig in das Planvorhaben einzubeziehen. 1.2

„Verbündete“ unter Gläubigern und Arbeitnehmern

Zeichnet sich die Notwendigkeit der Einreichung eines Insolvenzplans ab, sollte immer 23 bedacht werden, dass der Insolvenzplan auch auf Konsens beruht. Abhängig von der angedachten Gruppenbildung im Insolvenzplan – und abhängig von Strukturdiskussionen mit Gläubigern zum Planinhalt im Vorfeld der Planeinreichung – wird die Zustimmung bestimmter Gläubiger zum Insolvenzplan zum Gelingen der Restrukturierung oft unumgänglich sein. Diese „Schlüssel-Gläubiger“ sollten möglichst frühzeitig in die Diskussion und die Fortschreibung des Plankonzepts einbezogen werden. Je weiter das Sanierungskonzept und die integrierte Unternehmensplanung16) für die Restrukturierung unter Insolvenzplanbedingungen bereits bei Insolvenzantragstellung ausgearbeitet sind, umso eher wird man die Gläubiger von der Notwendigkeit von Sanierungsmaßnahmen i. R. einer Insolvenzplanlösung überzeugen können. Während der klassische Insolvenzverwalter im Regelinsolvenzverfahren nach Insolvenz- 24 antragstellung ein für ihn unbekanntes Verfahren „in den Griff bekommen“ muss, hat der Berater mit „seinem“ Schuldner die Möglichkeit, im Vorfeld der Insolvenzantragstellung betriebswirtschaftlich zum Sanierungskonzept und zur Restrukturierungsplanung „tief einzusteigen“. Dieser Wissens- und Zeitvorsprung der Berater gegenüber einem Insolvenzverwalter sollte dazu genutzt werden, schon zu einem möglichst frühen Zeitpunkt die Unterstützung wichtiger Gläubiger und der Arbeitnehmer – z. B. i. R. der Vorlage eines Plan-Grobkonzeptes – zu erhalten. Überzeugte Gläubiger- und Arbeitnehmervertreter eignen sich als potenzielle Mitglieder 25 eines vorläufigen Gläubigerausschusses nach § 22a InsO. Mit dem beschriebenen Vorgehen sollte der Schuldner darauf hinwirken, dass das Gericht einen dem Schuldner wohlgesonnenen vorläufigen Gläubigerausschuss einsetzt. 1.3

Sicherheitenstruktur; Liquidität und Wertgutachten

Alle Sicherheiten, was oft sehr komplexe Analysen erfordert, sollten bei der ersten 26 Planskizze vollständig ermittelt und analysiert sein. Zum Wert der Sicherheiten abson___________ 16) Zur Notwendigkeit einer integrierten Unternehmensplanung vgl. IDW Standard, Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten (IDW S 6), Stand: 16.5.2018, Rz. 72 u. a., IDW Life 8/2018, S. 813 ff.

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2. Teil Insolvenzplan – Planvorbereitung und Planinitiative

derungsberechtigter Gläubiger sollten bei den ersten Planüberlegungen Gutachten vorliegen. Ohne eine möglichst sichere Einschätzung des Gesamtvolumens der Beträge, die an die Absonderungsberechtigten zu zahlen sind, lässt sich die Insolvenzquote nicht eingrenzen. Ohne Schätzungen dazu, sind Aussagen zur Akzeptanz des Planentwurfs meistens schwer. 27 Weiter ist zu empfehlen, zu einem möglichst frühen Zeitpunkt mit den Sicherungsgläubigern eine Übereinkunft zum für den Insolvenzplan maßgeblichen Wert ihrer Sicherheiten zu erzielen. Anderenfalls drohen nämlich Wertstreitigkeiten, z. B. zur Ermittlung des relevanten Forderungsausfalls eines absonderungsberechtigten Gläubigers (vgl. § 190 Abs. 1, § 256 Abs. 1 Satz 1 InsO). Ohne Konsens zum maßgeblichen Sicherheitenwert wird der Gläubiger dem Insolvenzplan nicht zustimmen, und es kommt – im Streitfall – möglicherweise zu „Sachverständigenschlachten“ auf irgendeiner Stufe des Insolvenzplanverfahrens. 28 Da in Aussonderungsrechte durch einen Insolvenzplan nicht eingegriffen werden kann (vgl. § 223 InsO), sollte vor einer Intensivierung der Planüberlegungen Klarheit dazu herrschen, welche Übereinkunft mit den Aussonderungsberechtigten bilateral getroffen wird. Insoweit ist der Planersteller auf bilaterale Abreden außerhalb des Insolvenzplans angewiesen, deren Machbarkeit frühzeitig eingeschätzt werden muss.17) 29 Beispiel: Die Getränke GmbH hat zahlreiche Betriebsmittel (Produktionsstraßen) geleast. Die Leasinggesellschaften sind grundsätzlich aussonderungsberechtigt. Sofern und soweit i. R. eines Insolvenzverfahrens die Leasingverträge mangels Liquidität nicht erfüllt werden können, wird i. R. der Eigenverwaltung Nichterfüllung der Leasingverträge gewählt werden (§§ 103 ff. InsO). Sind die Leasinggesellschaften zu keinen Kompromissen bereit, weil sie Herausgabe der Leasinggegenstände verlangen, hilft das Planverfahren nichts. Hier muss im Wege zweiseitiger Verhandlungen mit den Leasinggesellschaften in jedem Einzelfall eine Verhandlungslösung – oft bevor die Insolvenzplanüberlegungen verdichtet werden – ausgehandelt werden. 30 Zu erwägen wäre im Beispielsfall zur „Optimierung der Planvergleichsrechnung“ die Vertragsabreden mit den Leasinggesellschaften unter die auflösende oder aufschiebende Bedingung der Rechtskraft eines (vom Schuldner vorgelegten) Insolvenzplans zu stellen. Entfallen nämlich Sanierungsabreden im Falle des Scheiterns des angestrebten Insolvenzplans, sind zugleich Argumente dafür gefunden, dass das Insolvenzplanverfahren im Vergleich zur Regelabwicklung für die Gläubiger von Vorteil ist. 1.4

Liquiditätsplanung und („unechter“) Massekredit

31 § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO verlangt für die vorläufige Eigenverwaltung eine Finanzplanung für einen Zeitraum von sechs Monaten. Das betrifft in der Regel auch den Zeitraum nach Insolvenzeröffnung, der damit ohne „Testphase Eröffnungsverfahren“ bei Insolvenzantragsstellung antizipiert werden muss. Die Einleitung eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens wird fast immer zu einer Liquiditätsbelastung führen. Zahlreiche Vertragspartner werden – sofern im Vorfeld keine Verhandlungslösung gefunden wurde – bis zur Rückgewinnung des Vertrauens nach Insolvenzantragstellung zumindest für eine Übergangszeit Vorkasse verlangen. Das muss einschließlich aller (Beratungs-)kosten die Liquiditätsplanung bei Insolvenzantragstellung abbilden, wobei zur Liquidität in der Anfangsphase dringend Sicherheitspolster gebildet werden sollten. 32 Zur Liquiditätsbelastung führt in der Regel auch die Verpflichtung, Sicherungserlöse zu separieren.18) Insbesondere sofern – vor – Insolvenzantragstellung nicht alle Sicherungs___________ 17) Zutreffend Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 2 Rz. 50. 18) BGH v. 24.1.2019 – IX ZR 110/17, ZIP 2019, 472; BGH v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739 = NZI 2010, 339, dazu EWiR 2010, 395 (Knof).

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§ 19

Planvorbereitung

rechte, die im Antragsverfahren befriedigt werden müssen, richtig eingeplant sind, besteht die Gefahr, dass die Absonderungsberechtigten die Liquidität im Antragsverfahren unvorhergesehen zu stark belasten. Ein sog. unechter Massekredit ist oft erforderlich.19) Ist der Rechtsträger nicht in der Lage, vor Insolvenzantragstellung aus eigenen Mitteln einen notwendigen Liquiditätspuffer zu bilden, muss – vor Insolvenzantragstellung – die Liquidität durch Gesellschafter und/oder Hauptgläubiger und/oder Investoren sichergestellt werden. Ggf. muss der „unechte“ Massekredit – vor – Insolvenzantragstellung verhandelt werden. Im Insolvenzantragverfahren zunächst verkannte Separierungspflichten, d. h. in der Liquiditätsplanung bei Antragstellung übersehene Absonderungsrechte, können gegen die Zuverlässigkeit der Eigenverwaltung sprechen (vgl. § 272 Abs. 1, Nr. 1a InsO zur Aufhebung der Eigenverwaltung bei Planungsfehlern). 1.5

Hoffnung Investor

In der vorinsolvenzlichen Phase „ziehen“ sich oft über Monate oder über noch längere Zeit- 33 räume Verhandlungen mit potenziellen Investoren. Wegen der Verhandlungen wird sehr häufig die Restrukturierung des Rechtsträgers nicht ausreichend vorangetrieben. Zudem verhindert die Hoffnung auf den Investor oft die Prüfung der Insolvenzreife. Springen dann die Investoren ab, wird ein etwaig eingesetzter Insolvenzverwalter intensiv prüfen, ob eine negative Fortbestehensprognose mit verkannter Überschuldung während der Phase der Investorenverhandlungen gegeben war. Zudem wird ein Investor in einen maroden Betrieb – ohne Sanierungskonzept – nicht so 34 ohne weiteres investieren. Dies spricht dafür, dass Investorenverhandlungen im Vorfeld einer möglichen Insolvenz unbedingt – ggf. in Abstimmung mit dem Investor – mit einem dokumentierten Sanierungskonzept begleitet werden sollten. Scheitert die außergerichtliche Sanierung, kann – sofern das Sanierungskonzept „verdichtet“ ist – in einem anschließenden Insolvenzplanverfahren mit Eigenverwaltung schneller ein sog. Exit in Kombination des Insolvenzplans mit einem Share Deal gefunden werden als in Fällen fehlender Vorbereitung. Eine gute vorinsolvenzliche Beratung muss im Insolvenzfall noch nützliche Fortwirkungen zeigen, wozu durchaus auch die Investorenkontakte zählen können. 1.6

Drittzuschuss, Quotengarantie oder Ertragsplan

Aus Erfahrung sei darauf hingewiesen, dass Insolvenzpläne, die ausschließlich aus Unter- 35 nehmenserträgen finanziert werden sollen, wenig attraktiv sind. Um die notwendige Sicherheit für eine Quotenausschüttung zu erlangen und einen ausreichenden Gläubigerkonsens herbeizuführen, sind deshalb oft Drittzuschüsse (durch Investoren20) und/oder Gesellschafter oder finanzierende Banken) oder Quotengarantien für einen annehmbaren Insolvenzplan unerlässlich. 1.7

Ertragssicherheit und erneutes Insolvenzrisiko

Bei jedem Insolvenzplan, der eine Rechtsträgersanierung vorsieht, müssen die Krisenur- 36 sachen klar und vollständig erkannt und beseitigungsfähig sein. Anderenfalls besteht nämlich die Gefahr, dass bloße finanzwirtschaftliche Maßnahmen, z. B. Verzichtsbeiträge der Gläubiger, nicht ausreichen und sich die Insolvenzursachen nach Abschluss des Insolvenzplanverfahrens wiederholen. Es wird dann zu einer erneuten Insolvenz kommen. Das gilt auch für den angedachten StaRUG-Reorganisationsplan. ___________ 19) Ganter, NZI 2020, 249 ff. 20) Zum sog. Dual Track IDW Standard, Anforderungen an Insolvenzpläne (IDW S 2), Stand: 18.11.2019, Rz. 79, IDW Life 1/2020.

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§ 19

2. Teil Insolvenzplan – Planvorbereitung und Planinitiative

2.

Beratung eines Gläubigers

2.1

Gesicherte Gläubiger

37 Ein Insolvenzplanverfahren in Kombination mit Eigenverwaltung kann für (Sicherungs-) gläubiger, die Sicherheiten mit Anfechtungsrisiken erworben haben, eine Chance bieten, Anfechtungsrisiken zu minimieren. Auch lässt sich oft im Planverfahren in Kombination mit Eigenverwaltung der Wert der Sicherheiten konsensual regeln. 38 Zudem bieten die Neuerungen seit ESUG und SanInsFoG partiell eine echte Alternative zur sog. Doppeltreuhand.21) 2.2

Ungesicherte Gläubiger

39 Viele (meistens ungesicherte) Gläubiger interessieren sich nicht oder zumindest nicht zeitnah für eine anstehende oder eingeleitete Insolvenz. Mangelndes Interesse führt aber zu einem Einflussvorsprung der gesicherten Insolvenzgläubiger des Schuldners oder anderer Verfahrensbeteiligter. Die Folge kann sein, dass die Absonderungsberechtigten im Plan sehr „großzügig“ zu Lasten der Insolvenzquote bedient werden. 3.

Beratung eines Investors

40 Jeder Interessent, der Gesellschaftsanteile oder Assets in Kombination mit einem Insolvenzplanverfahren erwerben will, sollte frühzeitig bedenken, dass sich alle Risiken des Rechtsträgers, die der Insolvenzplan übersieht zu regeln, nach der Insolvenz als unangenehme Überraschung offenbaren können.22) Das kann u. a. Sicherungsrechte oder Steuerrechtsfragen betreffen, die dann nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens der Investor lösen muss. 41 Einem Investor, der flankiert von einem Insolvenzplan Shares oder Assets erwerben möchte, ist deshalb dringend – wie außerhalb der Insolvenz – eine frühzeitige intensive Due Diligence zu empfehlen. Diese Due Diligence erfordert die Einbeziehung möglicher insolvenzrechtlicher Risiken, insbesondere eine Beurteilung der Rechtsposition der Insolvenzund Sicherungsgläubiger nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens. Die Ergebnisse der Due Diligence werden ausnahmslos Auswirkungen auf den notwendigen Inhalt des gestaltenden Teils des Insolvenzplans haben. Der Investor muss sich deshalb mit dem Planinhalt befassen. Investorenagreement (ggf. als Insolvenzplananlage) und Plan müssen miteinander verknüpft werden. Das erfordert ab der Entwurfsphase des Plans und des Investorenagreements zu beiden Entwürfen einen „Fortschreibungsprozess“. Die Inhalte von Investorenagreement und Plan beeinflussen sich wechselseitig. 42 Zudem muss der Investor einschätzen, ob und inwieweit Alt-Gesellschafter noch Störpotenzial entfalten können. Zwar kann mittels Insolvenzplans in die Gesellschaftsanteile der bisherigen Anteilseigner eingegriffen werden (§ 217 Satz 2, § 225a InsO). Da die verdrängten Alt-Gesellschafter aber eine zwingende Plangruppe bilden (§ 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 InsO), ist es immerhin möglich, dass sie im Erörterungs- und Abstimmungstermin zu einem Risiko werden. Einbindung und Umgang mit den Alt-Gesellschaftern sollten deshalb zumindest früh thematisiert werden. ___________ 21) Vgl. Budde, ZInsO 2011, 1369; Achsnick/Opp, Die doppelnützige Treuhand, insbesondere ab Rz. 463 ff.; Braun/Riggert in: FS Görg, 2010, S. 95 ff.; zu den durch das ESUG gestärkten Chancen der Insolvenz aus Gläubigersicht Obermüller, ZInsO 2011, 1809. 22) Für die Due Diligence des Erwerbsinteressenten/des Investors, gelten deshalb grundsätzlich die auch außerhalb der Insolvenz greifenden Sorgfaltsanforderungen, vgl. Becker/Voß in: Knott, Unternehmenskauf, Rz. 32 ff.; Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, S. 685 ff.

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§ 19

Planvorbereitung

Insbesondere ist hervorzuheben, dass sämtliche Sanierungsbeiträge aus dem Arbeitnehmer- 43 Bereich nicht durch den gestaltenden Teil des Insolvenzplans herbeigeführt werden können. Je nach Einzelfall sollte der Investor – zeitnah! – kompetente arbeitsrechtliche Auskünfte zur Einschätzung etwaiger Sanierungsrisiken aus dem arbeitsrechtlichen Bereich zu Beginn der Sanierungsüberlegungen einholen. III.

Checklisten zur Planvorbereitung

Unternehmensstrukturen

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Aktuelles Organigramm zu den einzelnen Abteilungen, Leitern und Mitarbeitern?



Im Konzern: Aktuelles Schaubild/Übersicht zu allen Beteiligungen/Verflechtungen?



Gegebenenfalls Aktualisierungen veranlassen!



Geschäftsführung/Leitungs-Ebene: ausreichende Kompetenz? Muss Berater als CRO in die Organstellung oder genügt Begleitung mit Beratungsvertrag?



Welche Bereiche bedürfen der – ggf. sofortigen/bei Mandatsübernahme – ergänzenden Beurteilung durch weiter zu beauftragende Spezialisten (z. B. zu Detailfragen des Versicherungsschutzes, siehe unten Rz. 58), Lagerhaltung (dort Lagerspezialist zur Effektivitätskontrolle oder Sonderinventur bei Produkten wie Medikamenten erforderlich?), Strom/EEG-Umlage etc.

Sicherungsrechte

45



Inventarisierung u. a. aller mit Sicherungsrechten belasteten Sachen und Rechte und rechtliche Einordnung in Aus-/Absonderungsrechte (eigene Verwertungsbefugnis nach § 166 Abs. 1 InsO nur im Bereich der Absonderung)?



Gegebenenfalls in der vorläufigen Eigenverwaltung zu hohe Liquiditätsbelastungen wegen Sicherheitenbedienung?



„Unechter“ Massekredit im Insolvenzantragsverfahren erforderlich/erreichbar?



Gutachterliche Bewertung der Sicherheiten? Streitpotenzial zur Höhe des abzulösenden Sicherheitenwerts? Wert mit Sicherungsgläubiger einvernehmlich abgestimmt?



Welchen Betrag würde der Sicherungsgläubiger im Regelinsolvenzverfahren voraussichtlich zu welchem Zeitpunkt erhalten? Kann der Insolvenzplan hier mithalten? Vergleichsrechnung mit/ohne Plan zur Bedienung von Sicherungsrechten?



Anfechtungsrisiken und „Rückwirkungen“ zur Gruppenbildung/Bedienung im Plan?



Herausgabeansprüche Aussonderungsberechtigter durch Individualvereinbarung abgewendet (insbesondere Bereiche Miete, Leasing, ggf. sonstige Dauerschuldverhältnisse)?

Krisenursachen und deren Beseitigung

46



Sind die oft (zahlreichen und verdeckten) Krisenursachen vollständig ermittelt und grundsätzlich beseitigungsfähig?



Liegt zumindest in Ansätzen ein Sanierungskonzept oder ein vollständiges Konzept entsprechend dem Standard IDW S 6 vor? Wann kann/muss das IDW S 6-Konzept vorliegen?



Noch zu erstellendes Sanierungskonzept: Wie lange wird die voraussichtliche Erstellung eines vollständigen Sanierungskonzepts dauern? Zeitplan? Kostendeckung?



Welches branchenspezifische Know-how ist für die Ausarbeitung der Sanierungsmaßnahmen einzubeziehen?



Welche Risiken sind bei der Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen, die zum Fehlschlag des Insolvenzplans führen können, zu erwarten? Besondere Risikobereiche: BetriebsRendels

567

§ 19

2. Teil Insolvenzplan – Planvorbereitung und Planinitiative

rat (Namensliste und Interessenausgleich?), Gewerkschaft (Sanierungstarifvertrag?) und Einschätzung/Analyse zur Gefahr der Wiederholung von Insolvenzgründen nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens. 

Abbildung angestrebter Sanierungsbeiträge in der integrierten Sanierungsplanung und ggf. in alternativen Planungen alternative Sanierungsbeiträge simulieren?

47 Insolvenzplanstruktur mit wichtigen Gläubigern abstimmen 

Entwurf einer Grobstruktur zunächst nur des gestaltenden Teils (u. a. mit Gruppenbildung, Forderungsverzichtsbeträgen, Stundungen und Zahlungszeitpunkten zur Insolvenzquote); Angaben zur Bedienung der Sicherungsrechte, in welcher Höhe und zu welchem Zeitpunkt?



Grobstruktur vor Insolvenzantragstellung mit wesentlichen Hauptgläubigern/Sicherungsgläubigern durchdiskutiert? Richtiger Zeitpunkt ggf. kurz vor Insolvenzantragstellung? Geheimhaltungsinteressen bis wann?



Unterstützungserklärungen von Schlüsselgläubigern vor Insolvenzantragstellung zum Konzept erhaltbar?



Soll ein vorläufiger Gläubigerausschuss u. a. nach § 22a Abs. 2 InsO angeregt werden? Besetzungsvorschläge und Erklärungen zur Übernahme des Amtes als Gläubigerausschussmitglied bei Insolvenzantragstellung vorhanden?

48 Verträge, §§ 103 ff. InsO 

Welche Verträge wird der Vertragspartner bei Einleitung eines Insolvenzverfahrens voraussichtlich – wirksam – kündigen?



Von welchen Verträgen will sich der Schuldner lösen und sind solche Vertragslösungen ohne Gefährdung des Geschäftsbetriebs möglich?



Gegebenenfalls rechtzeitige Individualverhandlungen zu Vertragsfortsetzungen bei einer angedachten Vertragsbeendigung nach §§ 103 ff. InsO eingeleitet?

49 Gesellschafter 

Sollen die Alt-Gesellschafter ganz oder teilweise zum Zwecke der Sanierung aus der Gesellschaft herausgedrängt werden? Betriebsnotwendige Eigentümerpositionen, Knowhow und Störpotenzial im Bereich der Alt-Gesellschafter?



Ist die aktuelle Satzung restrukturierungstauglich? Insbesondere: Können Minderheitsgesellschafter einen Investor nach Aufnahme als neuen Mehrheitsgesellschafter blockieren? Welche Satzungsänderungen sind erforderlich?



Insolvenzrisiken einzelner Gesellschafter? Kann die Insolvenz der Schuldnerin auf Gesellschafter durchschlagen und zur Konzerninsolvenz führen? Insolvenzanfechtungsansprüche gegen Gesellschafter?



Bereitschaft der Alt-Gesellschafter, einen Planzuschuss oder einen sonstigen Beitrag zum Gelingen der Sanierung zu leisten, und/oder Erforderlichkeit eines solchen Sanierungsbeitrags?

50 Liquiditätsplanung/Massekredit 

Antizipation möglicher Wirkungen einer Insolvenzantragstellung? Umschalten von Lieferanten auf Vorkasse? Abfindung von Sicherungsrechten?



Erstellung einer vorsichtigen Liquiditätsplanung für die Zeit ab Insolvenzantragstellung/Stellung eines Antrags nach §§ 270a, 270d InsO?



Massekredit – wenn ja, in welcher Höhe – erforderlich?

568

Rendels

§ 19

Planvorbereitung

Ist die Bedienung der Masseverbindlichkeiten sichergestellt? Insbesondere bei Insolvenzplänen aus Erträgen: Oft Drittgarantiegeber (Alt-Gesellschafter, Banken oder Investoren) erforderlich!  Finanzierung der Schuldnerin nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens mittels Factoring? Kontakt zu Factoringgesellschaften/sonstigen Finanzierern für die Phase der Betriebsfortführung während des Insolvenzverfahrens und für die Zeit danach?  Vorrangkredit (ggf. bisher finanzierender Kreditinstitute) gemäß §§ 264 – 266 InsO erforderlich/vorteilhaft? Investorensicht beim Share Deal 51  Komplette rechtliche und wirtschaftliche Due Diligence durchgeführt? Insbesondere nachfolgende Punkte geprüft? 

Satzungsmäßiges Kapital auf Gesellschaftsanteile wirksam voll eingezahlt? Insbesondere bei Kettenabtretungen von Gesellschaftsanteilen an die Schuldnerin als letzte Inhaberin: Ist die Schuldnerin wirklich Inhaber gehaltener Gesellschaftsanteile?  Lastenfreiheit einzelner von der Schuldnerin gehaltener Gesellschaftsanteile?  Konzern: Risiko von Folgeinsolvenzen derzeit noch nicht insolventer Konzerngesellschaften? Risiken aus ausländischem Recht bei ausländischen Tochtergesellschaften?  Umweltlasten?  Risiko unbekannter Insolvenzforderungen? Risikobegrenzung betreffend Nachzügler im Plan durch Ausschlussfristen oder nach §§ 259a, 259b InsO ausreichend?  Risiko unbekannter Dauerschuldverhältnisse/sonstiger Verbindlichkeiten mit nach Verfahrensaufhebung entstehenden Verbindlichkeiten der Schuldnerin?  Kompletter arbeitsrechtlicher Bereich (Individualabreden, Betriebsvereinbarungen, Tarifverträge) durchgeprüft? Mandatsinhalt bei Schuldnerberatung 52  Ausreichend klarer Mandatsinhalt? Gefahr von Interessenkollisionen bei gleichzeitiger Beratung des Rechtsträgers und/oder der Gesellschafter und/oder Gesellschaftsorganen und/oder sonstiger Konzerngesellschaften: Deshalb frühzeitig geklärt, in wessen Lager beraten wird? Späterer Wechsel von Schuldnerberatung auf Gesellschafterberatung und umgekehrt oft wegen Interessenkollisionen nicht möglich!  Klare Abgrenzung der Beratungsinhalte zu weiteren Beratern, insbesondere Abgrenzung juristischer Beratungsinhalte zu den Beratungsinhalten mit betriebswirtschaftlichem Schwerpunkt? Abgrenzung/Unterlassung der persönlichen Beratung der Gesellschafter (Drittschutz, Vertrauenshaftung, Interessenkollisionen klar vermieden?).  Beratungskosten nach Insolvenzantragstellung: Kostenvergleichsrechnung-Aufstellung der Mehr- oder Minderkosten nach § 270a Abs. 1 Nr. 5 InsO; Einigung mit (vorläufigem) Sachwalter/(vorläufigem) Insolvenzverwalter erforderlich und erzielbar?  Drittbezug von Beratungsleistungen (z. B. Auskünfte an Gläubiger und/oder Investoren): Gefahren aus dem Gesichtspunkt des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter?  Haftungsbegrenzungsabrede? Drittwirkung der Haftungsbegrenzung? Steuerrecht/Sanierungsgewinn 53  Gespräche in der Plan-Erstellungsphase – unter Einbindung eines Investors? – mit dem zuständigen Finanzamt/den zuständigen Finanzämtern zum Thema Sanierungsgewinn?  Im Anschluss/parallel ggf. Gespräche mit Stadtverwaltung zu Gewerbesteuer/Sanierungsgewinn?

 

Rendels

569

§ 19

2. Teil Insolvenzplan – Planvorbereitung und Planinitiative



Insbesondere bei einer KG oder sonstigen Personengesellschaft: Steuerliche Rückwirkungen einer geplanten Share-Deal-Lösung auf die Gesellschafter? Gegebenenfalls Erbschaftsteuer-/steuerliche Nachteile bei Änderungen in der Gesellschaftsstruktur?



Letzte Betriebsprüfung? Ergebnisse und noch offene Risiken?



IHK: Keine Beitragserhebung auf Sanierungsgewinn schriftlich bestätigt?



Steuerberatung mit praktischer Insolvenzerfahrung in der Regel unerlässlich.

54 Kaufmännischer Bereich/Unternehmensplanung 

Existiert eine Deckungskostenbeitragsrechnung? Mit welchen Produkten/Leistungen wird Gewinn erzielt und wo liegen die Verlustquellen (Spartenrechnung; vgl. auch §§ 103 ff. InsO)?



Liegt eine integrierte Unternehmensplanung (in Anlehnung an IDW S 6) vor? Mit welchem Zeitaufwand kann sie nachträglich aufgesetzt werden?



Letzter (festgestellter und/oder geprüfter?) Jahresabschluss der Schuldnerin? Konsolidierte Bilanz/Konzernbilanz?



Liegt eine zutreffende Einschätzung zu etwaigen Überbewertungen in den Bilanzen insbesondere im Bereich von Forderungen und Vorräten vor? Sonstiger Wertberichtigungsbedarf?



Ausreichende Rückstellungen in der Handelsbilanz eingestellt?



Liegt eine ordnungsgemäße Buchhaltung mit lückenlosen und zeitnahen Buchungen vor?



Bild der Handelsbilanz nach Beendigung der Insolvenz mittels Insolvenzplans? Zeitabläufe zur Erstellung und ggf. Prüfung der erforderlichen Bilanzen vor/nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens?



Durchsicht buchhaltungsnaher Korrespondenz: Hat es gegen die Schuldnerin Mahnungen/Vollstreckungen gegeben? Buchhaltungsvorgänge – insbesondere zu Fälligkeit von Verbindlichkeiten und Forderungen – ausreichend durch juristische Stichproben (Einsicht in die Verträge) überprüft?



Software (u. a. im Bereich Buchhaltung/Kalkulation) aktuell? Gegebenenfalls Kosten der Pflege und Fortentwicklung?

55 Einkauf 

Im günstigen Einkauf liegt oft die Gewinnmarge: Beauftragung (bei komplexen Vorgängen) einer auf Einkaufs-Optimierung spezialisierten Beratungsgesellschaft oft sinnvoll.



Abhängigkeiten zu Vorlieferanten und wie wirkt sich das Insolvenzereignis insoweit aus? Wurde frühzeitig – in der Regel vor Insolvenzantragstellung mit zumindest einem Grobkonzept – zu Vorlieferanten Kontakt aufgenommen?



Wie wird das Preisrisiko/die Abhängigkeit von Rohstoffkostenentwicklungen im allgemeinen Marktumfeld und insbesondere in Bezug auf die Insolvenzsituation eingeschätzt? Risiko kurzfristiger Preiserhöhungen?



Sind die rechtlichen Konditionen der Verträge in Ordnung? Insbesondere: Laufzeiten und Ausstiegsmöglichkeiten für Vorlieferanten? Einflussnahmemöglichkeiten von Lieferanten insbesondere auf die Preisgestaltung im Absatzbereich?

56 Verkauf 

570

Sind Vertrieb (Verkauf) und Einkauf z. B. EDV-technisch so miteinander verknüpft, dass entsprechend den Absatzmöglichkeiten eingekauft wird? Insbesondere in Insolvenzlagen: Gefahr hohen Lageraufbaus mit nicht mehr absetzbaren Vorprodukten? Rendels

§ 19

Planvorbereitung 

Liegt eine spartenmäßige Umsatzaufgliederung vor nebst Aufgliederung zu einzelnen Gewinn- und Verlustbereichen?



Kalkulation und Nachkalkulation ausreichend? Wie wird im Betrieb genau kalkuliert (Fehlkalkulationen und Intransparenz als häufige Insolvenzursache!)? Schätzt die Unternehmensleitung die zukünftige Umsatzentwicklung zu positiv ein?



Abhängigkeit von Abnehmern und Reaktion dieser Abnehmer auf eine etwaige Insolvenzantragstellung? Frühzeitig – in der Regel durch Vorlage eines Grobkonzepts – mit den Abnehmern vor Insolvenzantragstellung Kontakt aufgenommen? Abnehmer von der fortbestehenden Lieferfähigkeit rechtzeitig überzeugt? Einflussnahmemöglichkeiten der Abnehmer auf Preisgestaltung?



Saisoneinflüsse und taktisch richtiger Zeitpunkt für eine etwaige Insolvenzantragstellung, insbesondere unter Liquiditätsgesichtspunkten?



Wie ist das Rechnungs- und Mahnwesen organisiert? Zeitnaher Ausgang von Rechnungen und Nachhaltigkeit der Überprüfung von Zahlungseingängen?



Ggf. in der Insolvenz – zur Verbesserung der Liquidität – Verkürzung von Debitorenzielen möglich?

Technischer Bereich

57



Sind die Betriebsräume/Produktionsanlagen effektiv organisiert (z. B. zu lange Anfahrts- und Abtransportwege betreffend Rohware/fertiges Produkt)?



Investitionsplan? Liegt ein Investitionsstau in Bezug auf Gebäude und Produktionsanlagen vor? Kosteneinschätzung der „Aufholung“ in der Vergangenheit unterlassener Investitionen?



Nach welchem Inventursystem wurden im Rohstoffbereich oder im Bereich der Halbund Fertigwaren die letzten Inventuren aufgenommen?



Ausreichende Lagerhalterprogramme/Warenwirtschaftssysteme und Absicherung des Lagers gegen unkontrollierte Abgänge unter Insolvenzbedingungen?

Versicherungsschutz (eigener/betrieblich)

58



Sind Gebäude, Produktionsanlagen, technische Einrichtungen, Vorräte und sonstige Vermögensgegenstände gegen Feuer versichert? Besteht eine Betriebsunterbrechungsversicherung für eine Betriebsunterbrechung nach Brand?



Betriebshaftpflicht und Produkthaftpflicht ausreichend abgesichert?



Potenzial zur Kostensenkung?



Sofortige Analyse aller Risiken und ihres Versicherungsschutzes sowie der Kosten durch einen Versicherungsfachmann beauftragt?



Vorläufige Eigenverwaltung: Besteht eine ausreichende D&O-Versicherung für die Zeit vor/während/nach der Insolvenz in Bezug auf die Unternehmensorgane (im Bereich Eigenverwaltung, insbesondere: Versicherungsschutz des CRO vor/nach Antragstellung ggf. durch Spezialisten begutachten lassen!)?



D&O-Versicherung: Etwaige Nachhaltungsfristen – z. B. Erlöschen des Versicherungsschutzes in ein oder zwei Jahren nach Beendigung des Versicherungsvertrags bei unterbliebener Inanspruchnahme von Vertretungsorganen – notiert/rechtzeitige und zutreffende Inanspruchnahme?



Versicherungsschutz des Beraters, des Insolvenzverwalters/Sachwalters und des Gläubigerausschusses? Sonderdeckungen für Einzelfallrisiken/Höher-Deckungen?

Rendels

571

§ 19 

2. Teil Insolvenzplan – Planvorbereitung und Planinitiative

Trägt die zu restrukturierende Schuldnerin die vorgenannten Versicherungskosten? Vorläufiger Sachwalter/vorläufiger Insolvenzverwalter mit Kostentragung durch Masse einverstanden und Regelung hierzu herbeigeführt?

59 Patent- und Urheberrechte 

Welche Patente und sonstigen Urheberrechte sind für die Produktion/die Leistungen des zu sanierenden Rechtsträgers von besonderer Bedeutung?



Welche Lizenzverträge als Lizenzgeber oder Lizenznehmer hat der zu sanierende Rechtsträger geschlossen und wie werden die Auswirkungen einer etwaigen Insolvenzantragstellung auf notwendige Lizenzverträge eingeschätzt? Rechtliche Absicherungsmöglichkeiten?



Bei hoher Bedeutung von Patent- und Urheberrechten für die Produktion/die Schuldnerleistung: Frühzeitig einen Patent- und Urheberrechtsspezialisten mit einer rechtlichen und spezifisch urheberrechtlichen Due Diligence beauftragt? Gegebenenfalls ergänzend: Technisch ausgebildete Patentanwälte flankierend beauftragt?



Gefahr der Inhaberschaft wesentlicher Patente/Urheberrechte bei natürlichen Personen, außerhalb der Insolvenzmasse z. B. im Bereich der Gesellschafter und/oder Mitarbeiter oder Erfinder?

60 Schnittstelle Beschäftigte/Optimierung der Betriebsabläufe 

Gab es in der Vergangenheit eine hohe Personalfluktuation und Ursachen hierfür? Ursachen ggf. behoben?



In jüngerer Zeit zügiger Aufbau von Personal (z. B. während Hochkonjunkturphasen), bei mangelnder Integration einiger Kräfte in Betriebsabläufe?



Sind die entscheidenden Positionen im Betrieb – insbesondere Einkauf, Vertrieb, Rechnungswesen, technischer Bereich u. a. – mit ausreichend kompetenten Leitungskräften besetzt? Ist sichergestellt, dass diese Leitungskräfte trotz einer etwaigen Insolvenzsituation dem Betrieb treu bleiben?



Altersstruktur der Beschäftigten im Betrieb und insbesondere auf den Leitungspositionen? Zu befürchtende Abgänge wegen Erreichung des Pensionsalters?



Sprachkenntnisse in Leitungspositionen, insbesondere bei notwendiger Integration von Auslandsgesellschaften/Kontakten zum Ausland?



Motivation und Stimmung in der Belegschaft und Möglichkeiten zur Motivationsverbesserung?



Pro-Kopf-Umsatz pro Mitarbeiter und wie stellt sich dieser Umsatz im Branchenvergleich dar?



Bei Analyse der Krisenursachen und der Beseitigungsmöglichkeiten und Ausarbeitung der Sanierungsmaßnahmen ausreichend mit Mitarbeitern auf zweiter und dritter Ebene gesprochen und sämtliches Wissen der Arbeitnehmerschaft im Betrieb gehoben?



Mangelnde Leistungsbereitschaft wegen fehlender bzw. nicht ausreichender individueller Kontrolle individueller Leistungen? Leistungsanreize?



Werden Mitarbeiter im Betrieb beschäftigt, die zusätzlich mit betriebsfremden Aufgaben – z. B. im persönlichen Interesse von Gesellschaftern und/oder Geschäftsführern – befasst sind?



Möglichkeit, mit dem Betriebsrat in offener Kommunikation Sanierungsmaßnahmen zu erarbeiten und/oder Mitarbeitermotivation zu erhöhen? Beteiligung des Betriebsrats an einem regelmäßigen jour fixe zur Fortschreibung der Sanierungsmaßnahmen und

572

Rendels

§ 19

Planvorbereitung

deren Umsetzung mit den Leitungsorganen und/oder den Beratern unter Einschluss des (vorläufigen) Sachwalters? 

Sonstige Mitarbeiterbeteiligung bei betrieblichen Abläufen? Gegebenenfalls Prämierung von Verbesserungsvorschlägen als Ansporn?

Vorbereitung der Aufhebung des Insolvenzverfahrens

61



Belastbare Liquiditätsplanung zur Begleichung der Masseverbindlichkeiten (vgl. § 258 InsO)? Steuerverbindlichkeit als Masseverbindlichkeit?



Wann wird der Vergütungsantrag gestellt und ist die Vergütungshöhe (ggf.) mit dem Insolvenzgericht abgestimmt (Liquiditätsfrage)?



Welche gesellschaftsrechtlichen Beschlüsse sind – sofern nicht schon im Insolvenzplan geregelt – unmittelbar vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens angezeigt? (Beschluss zur Fortsetzung der Gesellschaft? Bestellung eines neuen/weiteren Geschäftsführers? Satzungsänderungen?)



Informationsschreiben an Kunden/Lieferanten zur Vorbereitung der Aufhebung des Insolvenzverfahrens in Abstimmung mit dem Sachwalter?



Neue Kreditlinien für die Zeit nach Verfahrensaufhebung vorhanden? Factoring-Linie?



Warenkreditversicherung: Ist es möglich (ggf. zu welchem Zeitpunkt?), dass für gegen den Schuldner gerichtete Forderungen wieder Versicherungsschutz gewährt wird?



Sollen neue Kontoverbindungen eingerichtet werden und sind ggf. die Vertragspartner rechtzeitig über die beabsichtigte Kontoänderung informiert worden?



Sind für die Planausschüttungen (nach den Insolvenzplanregelungen durch Schuldner oder Planüberwacher?) Fristen mit ausreichenden Vorfristen notiert? Technische Vorbereitung der Ausschüttungen?



Fristnotierungen/Wiedervorlagen für Zwischenberichte der Planüberwacher (je nach Regelung des Insolvenzplans)?



Wann wird die Aufhebung einer Planüberwachung erfolgen und kann sie (z. B. durch vorgezogene Quotenausschüttungen) beschleunigt werden? Nachteile durch fortdauernde Planüberwachung?



Nachtragsverteilungen nach Insolvenzplan und Regelungen hierzu möglich? Treuhandabtretungen noch zu verfolgender Ansprüche an den vormaligen Sachwalter/Insolvenzverwalter zum Zwecke der nachträglichen Ausschüttung?



Sind vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens noch Rechtsstreitigkeiten anhängig zu machen (vgl. § 259, insbesondere Absatz 3 InsO betr. Insolvenzanfechtung)?



Aufhebungsprozedere insgesamt mit Insolvenzgericht, Sachwalter und wesentlichen Kunden und Lieferanten abgestimmt? Zeitplan? Muss aus taktischen Gründen wegen offener Fragen in Abstimmung mit dem Insolvenzgericht die Aufhebung des Insolvenzverfahrens verschoben werden?

Rendels

573

§ 20 Planinitiativrecht Körner/Rendels

I.

Überblick; Verhältnis von Schuldner- und Gläubigerschutz.......................... 1 1. Taktisches Druckmittel ............................... 1 2. Planvorlage- und Planinitiativrechte........... 5 3. Konkurrierende (Schuldner-)Pläne ............ 8 II. Zeitpunkt der Planvorlage....................... 13 1. Grundsatz................................................... 13 2. Risiko früher Planvorlage/Unternehmensplanung? ....................... 16 3. Verzahnung des Insolvenzplans mit Investorenlösung?...................................... 19 III. Initiativrecht des Schuldners .................. 24 1. Planvorlagepflicht? .................................... 24

2. 3. 4. 5.

Informationsrechte .................................... 26 Kostentragung............................................ 27 Mitwirkung Dritter.................................... 33 Vertretungsverhältnisse; Gesellschafter-Rechte? ................................................. 34 IV. Initiativrecht des Insolvenzverwalters ........................................................ 38 V. Auftrag des vorläufigen Gläubigerausschusses oder der Gläubigerversammlung (§ 284 Abs. 1 InsO)................ 40 VI. Arbeitnehmer/Betriebsrat ....................... 43 VII. Wirkungen der Planvorlage ................... 46 VIII. Planrücknahme ...................................... 49

Literatur: Bea/Dressler, Business Judgement Rule versus Gläubigerschutz? – Praktische Erwägungen zur Organhaftung im Kontext des StaRUG, NZI 2021, 67; Blankenburg, Reform der Eigenverwaltung durch das SanInsFoG aus gerichtlicher Sicht, ZInsO 2021, 753; Brünkmans, Geschäftsleiterpflichten und Geschäftsleiterhaftung nach dem StaRUG und SanInsFoG – Nachtrag zu ZInsO 2021, 1 ff., ZInsO 2021, 125; Cranshaw, Schranken missbräuchlicher Insolvenzpläne – Konkurrenzen zwischen Schuldner und Absonderungsberechtigten, ZfIR 2017, 690; Hölzle, Insolvenzplan auf Initiative des vorläufigen Sachwalters im Schutzschirmverfahren – Oder: Wer erstellt und wer bezahlt den Insolvenzplan im Verfahren nach § 270b InsO?, ZIP 2012, 855; Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt, H./Thole, Evaluierung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) v. 7.12.2011 (zit.: Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung), abrufbar unter https://www.bmjv.de/ SharedDocs/Downloads/DE/News/Artikel/101018_Gesamtbericht_Evaluierung_ESUG.pdf;jsessionid= 04B8E7AD62976431818359D1040319E8.2_cid289?__blob=publicationFile&v=2; Kübler/Rendels, Aspekte des M&A-Prozesses in der vorläufigen Eigenverwaltung, ZIP 2018, 1369; Schluck-Amend/ Walker, Neue Haftungsrisiken für GmbH – Geschäftsführer durch Pflicht zur Erstellung eines Insolvenzplans, GmbHR 2001, 375; Steffan/Oberg/Poppe, Die neuen Zugangsvoraussetzungen zur Eigenverwaltung im Abgleich mit den Anforderungen an die Schutzschirmbescheinigung – was ist wirklich neu?, ZInsO 2021, 1116; Terbrack, Insolvenzpläne betreffend eingetragene Genossenschaften, ZInsO 2001, 1027.

I.

Überblick; Verhältnis von Schuldner- und Gläubigerschutz

1.

Taktisches Druckmittel

1 In der Eigenverwaltung ist das Planinitiativrecht des Schuldners (§ 218 Abs. 1 Satz 1 InsO) ein für den Schuldner wichtiges, taktisches Druckmittel. Dazu das nachfolgende Beispiel aus der Praxis (nicht erfunden). 2 Beispiel: Der Schuldner legte einen Entwurf eines in Teilen recht eindeutig rechtswidrigen Insolvenzplans vor. Nach dem Planentwurf sollte bei Zahlungsrückständen betr. die Quote das Wiederaufleben von Forderungen (§ 255 Abs. 1 InsO) ebenso ausgeschlossen sein wie die Titelfunktion des Insolvenzplans (§ 257 Abs. 1 InsO). Nach einigen inhaltlichen Diskussionen überstand der Plan sogar das Vorprüfungsverfahren bei Gericht nach § 231 InsO (kleines Gericht; Richter war nur partiell als Insolvenzrichter tätig). In der Diskussion (einer der Verf. begleitete den Fall aus Gläubigersicht) bemerkte der Schuldnerberater recht selbstbewusst: „Einen Anspruch auf ganz bestimmte Plan-Inhalte haben die Gläubiger nicht. Wenn das Gericht damit einhergeht, bleibt das so. Sie wissen ja: Die Rechtsmittel sind auch recht stark begrenzt.“ 3 Der hier nur rudimentär wiedergegebene Fall zeigt, dass der Schuldner aufgrund seines Planinitiativrechts in der Lage ist, durch einzelne Formulierungen die Gläubiger „zu ärgern“. Damit stellt das Planinitiativrecht eine Verhandlungsdruckposition dar, die der Schuldner

574

Körner/Rendels

§ 20

Planinitiativrecht

i. R. der Fortschreibung des Insolvenzplans in der Entwurfsphase, d. h. während der Verhandlungen mit Gläubigern, durchaus aus seiner Sicht „druckvoll“ einbringen kann. Da der Insolvenzplan in der praktischen Umsetzung in der Entwurfsphase – in dem Be- 4 streben von Gläubigern und Schuldnern, einen Konsens zu finden – oft diskutiert wird, erlaubt es das Planinitiativrecht, dem Schuldner durch seine „Formulierungshoheit“ diese Verhandlungen recht effektiv zu begleiten. So sind manchmal die Formulierungen des Schuldners ähnlich wie bei Koalitionsverhandlungen im politischen Bereich eine Art Verhandlungspfand („wenn Du, Schuldner, an der Stelle x nachgibst, kommen wir, Gläubiger, Dir an der Stelle y entgegen“). Vor diesem Hintergrund ist das Planinitiativrecht durchaus von praktischer Relevanz. Zu beachten ist dabei das Zusammenspiel der Qualität des Gläubigerausschusses, des Insolvenzgerichts und die recht starke Rechtsmittelbegrenzung nach § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO. Insbesondere wenn Gläubigervertreter, (vorläufiger) Sachwalter und/oder Gericht wenig kritisch sind, gibt das Planinitiativrecht dem Schuldner viel Verhandlungsmacht. Da die Formulierung am Anfang des Insolvenzplans steht und viele Formulierungen in praktischer Hinsicht später nicht mehr „gedreht“ werden können, ist aus Gläubigersicht zu empfehlen, sich sehr frühzeitig – möglichst in der Entwurfsphase – mit dem Insolvenzplan zu befassen. Dies gilt grundsätzlich nicht nur für den (vorläufigen) Gläubigerausschuss, sondern auch für den (vorläufigen) Sachwalter und möglichst auch für das Insolvenzgericht. 2.

Planvorlage- und Planinitiativrechte

§ 218 Abs. 1 Satz 1 InsO sieht vor, dass der Insolvenzverwalter oder der Schuldner zur 5 Vorlage eines Insolvenzplans berechtigt sind. Auf den vorläufigen Insolvenzverwalter ist § 218 Abs. 1 InsO nicht (analog) anzuwenden.1) Ein in der Eigenverwaltung eingesetzter (vorläufiger) Sachwalter hat kein eigenes Plan- 6 initiativrecht. Ein eigenes Planinitiativrecht des (vorläufigen) Sachwalters würde die Zwecke der Eigenverwaltung unterlaufen. Nach § 284 Abs. 1 Satz 1 InsO kann im eröffneten Insolvenzverfahren die Gläubigerversammlung aber einen „Auftrag“ zur Ausarbeitung eines Insolvenzplans an den Sachwalter „richten“. Entsprechendes gilt nach dem durch das SanInsFoG neu eingefügten § 284 Abs. 1 Satz 2 InsO im Eröffnungsverfahren für den vorläufigen Gläubigerausschuss, der den vorläufigen Sachwalter beauftragen kann. Da es bei der Eigenverwaltung nicht zu Nachteilen für die Gläubiger kommen darf (entsprechende Regelungen finden sich nunmehr in §§ 270e Abs. 2 Satz 1, 272 Abs. 1 Nr. 4 InsO) und grundsätzlich davon auszugehen ist, dass der Schuldner erfahrene und erprobte Berater hat, wird es in den meisten Fällen nicht zu einem Auftrag an den (vorläufigen) Sachwalter zur Planausarbeitung kommen. Gleichwohl, insbesondere bei kleineren Fällen, sind häufig „gutmütige“ Sachwalter zu beobachten, die dem mehr oder weniger schlecht beratenen Schuldner bei der Ausarbeitung des Insolvenzplans intensiv helfen (die weniger gutmütigen Sachwalter versuchen, die Eigenverwaltung durch Nachteilsanzeige gemäß § 274 Abs. 3 Satz 1 InsO zu beenden2)). Auch einzelne Gläubiger haben kein Planinitiativrecht. Die Gläubigerversammlung kann 7 aber nach § 157 Satz 2 InsO den Insolvenzverwalter beauftragen, einen Insolvenzplan vorzulegen.

___________ 1) Beck/Pechartscheck in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 4 Rz. 19, m. w. N. in Rz. 35. 2) Zur eher geringen Praxisbedeutung und zu praktischen Schwierigkeiten bei der Nachteilsanzeige vgl. Hedaiat-Rad, Der Sachwalter in der Eigenverwaltung, Rz. 181 ff.

Körner/Rendels

575

§ 20 3.

2. Teil Insolvenzplan – Planvorbereitung und Planinitiative Konkurrierende (Schuldner-)Pläne

8 Während des Gesetzgebungsverfahrens zur „Ur-Fassung“ der InsO wurde stark diskutiert, ob und in welchem Umfang konkurrierende Insolvenzpläne zugelassen werden sollten.3) Der Gesetzgeber der „Ur-InsO“ hat dann im Ergebnis zutreffend davon abgesehen, eine Vielzahl konkurrierender Insolvenzpläne zu fördern. Das Insolvenzplanverfahren ist in der Regel nur dann ein sinnvolles und taugliches Instrument der Restrukturierung, wenn das Verfahren zügig durchgeführt wird. Konkurrierende Pläne hätten zu einer sanierungsfeindlichen Blockade des Verfahrens geführt. 9 Theoretisch sind drei konkurrierende Pläne denkbar: 

Ein Plan des Insolvenzverwalters, der von seinem originären Initiativrecht Gebrauch macht,



ein vom Schuldner vorgelegter Plan und



ein Plan, den der vorläufige Gläubigerausschuss dem vorläufigen Sachwalter bzw. die Gläubigerversammlung dem Sachwalter oder Insolvenzverwalter aufgegeben hat.

10 Da grundsätzlich nur ein Insolvenzplan sinnvoll ist, der in einer Gläubigerversammlung mehrheitsfähig ist, wird man bei konkurrierenden Plänen oder Planabsichten grundsätzlich den Zielen der Gläubigerversammlung Vorrang einräumen müssen. Sind Schuldner und/oder Insolvenzverwalter mit den Vorgaben einer Gläubigerversammlung nicht einverstanden, muss evtl. versucht werden, eine erneute Gläubigerversammlung einzuberufen, die die Entscheidung nach § 157 Satz 3 InsO korrigiert. Kommt weiter in Betracht, dass durch eine Gruppenbildung im Abstimmungstermin über den Insolvenzplan andere Mehrheiten entscheiden als i. R. des § 157 Satz 2 InsO, ist das Recht anzuerkennen, die konkurrierenden Insolvenzpläne weiterzuverfolgen. Haben sich in einer Gläubigerversammlung zufällig Mehrheiten gebildet, die ein unsinniges Ziel nach § 157 Satz 2 InsO vorgeben, kommt auch eine Aufhebung des Beschlusses der Gläubigerversammlung durch das Insolvenzgericht nach § 78 InsO in Betracht. Ergibt sich bei dem Versuch, das Ziel der Gläubigerversammlung umzusetzen, ein neuer Sachverhalt, sollte in jedem Fall eine neue Gläubigerversammlung einberufen werden, um eine Änderung nach § 157 Satz 3 InsO herbeizuführen. 11 Wegen des Weisungsrechts der Gläubigerversammlung gemäß § 157 Satz 2 InsO dürfte die Befugnis der Gläubigerversammlung anzuerkennen sein, den Verwalter anzuweisen, von der Vorlage eines konkurrierenden eigenen Insolvenzplans Abstand zu nehmen.4) 12 Der BGH hat in seiner Grundsatzentscheidung vom 7.5.20155) auch die Vorlage eines zweiten Schuldner-Plans nach Art einer bedingten Prozesshandlung „für den Fall der rechtskräftigen Zurückweisung des ersten Plans“ (vgl. Rz. 42 der BGH-Entscheidung) zugelassen. Die bezeichnete Passage der BGH-Entscheidung vom 7.5.2015 dürfte so zu verstehen sein, dass nach Vorstellung des BGH ein (zweiter) Planentwurf – als bedingte Prozesshandlung – für den Fall eingereicht werden kann, dass das Gericht den ersten Plan zurückweist. Theoretisch, so jedenfalls eine mögliche Interpretation der BGH-Entscheidung, könnte so eine ganze „Staffel“ von Insolvenzplänen eingereicht werden (wenn nicht Plan 1, dann Plan 2, falls auch nicht Plan 2, dann Plan 3 usw.). Dies wäre, wollte man den BGH so interpretieren, skeptisch zu sehen. Wie die Vorschrift des § 240 InsO zeigt, soll der Schuldner den einen Plan, den er eingereicht hat, bei Fehlern oder sonstigem Anpassungs___________ 3) Vgl. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 92; Überblick zum Gang des Gesetzgebungsverfahrens bei Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 218 Rz. 1 ff. 4) Vgl. zum Streitstand Decker in: HambKomm-InsO, § 157 Rz. 11. 5) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346, dazu EWiR 2015, 483 (Spliedt).

576

Körner/Rendels

§ 20

Planinitiativrecht

bedarf ändern. Dies führt m. E. dazu, dass solche zweiten, bedingten Planentwürfe (für den Fall der Zurückweisung des ersten Plans) unzulässig sind, da „Planketten“ entgegen der Vorstellung des Gesetzgebers und entgegen der Wertung des § 240 InsO die Arbeitsabläufe u. a. des Insolvenzgerichts zu stark belasten würden. Selbst wenn man solche bedingten Zweitpläne (in Form eines Planentwurfs) für zulässig hält, wird man im Zweifel das Schuldnerverhalten dahingehend auslegen müssen, dass der Schuldner nur an dem ersten Plan (gemäß § 240 InsO) arbeitet, keinen zweiten, bedingten Plan vorlegen will. II.

Zeitpunkt der Planvorlage

1.

Grundsatz

Der Insolvenzplan kann vom Schuldner frühestens zugleich mit dem Antrag auf Eröffnung 13 des Insolvenzverfahrens vorgelegt werden (sog. Pre-Packaged-Plan, § 218 Abs. 1 Satz 2 InsO). Eine solche Verbindung der Vorlage mit dem Antrag ist grundsätzlich sehr zu empfehlen, schon um keine unnötige Zeit zur Restrukturierung zu verlieren. Ein exklusives Planinitiativrecht, wie es das US-amerikanische Recht im Zeitraum von 120 Tagen ab Antragstellung vorsieht, ist in der InsO nicht vorgesehen. Der Insolvenzverwalter kann den Insolvenzplan erst mit seiner Amtseinsetzung, d. h. also 14 mit Insolvenzeröffnung vorlegen6) (§ 218 Abs. 1 Satz 1 InsO). In der Praxis bereitet allerdings häufig – schon aus Zeitgründen – der vorläufige Insolvenzverwalter bereits im Eröffnungsverfahren den Planentwurf vor.7) Während in der Regel eine Planvorlage nach Beendigung des Schlusstermins nicht mehr 15 möglich ist (§ 218 Abs. 1 Satz 3 InsO), soll für die Genossenschaft gemäß § 116 Nr. 1 GenG nach verbreiteter Literaturmeinung ein abweichender Zeitpunkt gelten.8) Das genossenschaftliche Nachschussverfahren kann nach dem Schlusstermin ablaufen. 2.

Risiko früher Planvorlage/Unternehmensplanung?

Aus Sicht des Insolvenzverwalters (Sachwalters) und/oder des Insolvenzgerichts kann es 16 sich einzelfallabhängig empfehlen, dem Schuldner vor der Vorlage des Plans eine gewisse „Testphase“ einzuräumen. Eine zu frühe Planvorlage kann Korrekturen in der Unternehmensplanung (als Plananlage gemäß § 229 Satz 2 InsO) nach sich ziehen, die möglicherweise die Akzeptanz der Gläubiger für das Planvorhaben schmälern. Der Gestaltungsspielraum für „taktisch motivierte“ Unternehmenskennzahlen ist indes gering, da der Schuldner nunmehr im Fall der (vorläufigen) Eigenverwaltung nach § 270a Abs. 1 InsO mit dem Antrag eine Eigenverwaltungsplanung einzureichen hat, die nach § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO auch einen Finanzplan mit einem Planungszeitraum von sechs Monaten umfassen muss. Diese Planung ist im Verlauf des Verfahrens kontinuierlich fortzuschreiben, was u. a. § 270c Abs. 2 InsO zeigt, wonach der Schuldner dem Gericht und dem vorläufigen Sachwalter wesentliche Änderungen betreffend die Eigenverwaltungsplanung unverzüglich anzuzeigen hat. Die Planzahlen, die zu Beginn des Verfahrens vorgelegt werden, müssen somit mit den 17 später dem Insolvenzplan zugrunde liegenden Zahlen kongruent sein bzw. im Verlauf des Verfahrens in diesen „aufgehen“. Die Unternehmensplanung für den Insolvenzplan wird ___________ 6) Vgl. etwa Beck/Pechartscheck in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 4 Rz. 4 und Rz. 20. 7) Vgl. Braun/Frank in: Braun, InsO, § 218 Rz. 3; Beck/Pechartscheck in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 4 Rz. 19 f. 8) Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 218 Rz. 14; Terbrack, ZInsO 2001, 1027, 1028 – Besonderheiten wegen des genossenschaftlichen Nachschussverfahrens; vgl. auch Terbrack, Die Insolvenz der eingetragenen Genossenschaft, S. 123 ff.

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aber in der Regel einen längeren Planungszeitraum als die in § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO normierten sechs Monate umfassen, woraus sich Abweichungen bei den Planungsprämissen ergeben können. Die Gläubiger, der Sachwalter und das Insolvenzgericht werden die dem Insolvenzplan zugrunde liegenden Unternehmensplanungen kritisch prüfen. Um die Erwartungen der Gläubiger nicht „zu hoch zu hängen“ sollte von vornherein konservativ und vorsichtig geplant werden. Sind die späteren Zahlen zur Planung für den Insolvenzplan besser als die ursprünglichen Planzahlen bei Antragstellung, lässt sich dies leichter „verkaufen“ als eine Korrektur der Planzahlen nach unten (Praktiker-Redewendung „Ist frisst Soll“). 18 Der Grundsatz der vorsichtigen Planung im Zeitpunkt der Einreichung eines Insolvenzplans kann mit dem Ziel kollidieren, bei der Investorensuche möglichst positive Unternehmenszahlen ausweisen zu wollen, um von den Investoren einen hohen Betrag für die Insolvenzmasse zu erhalten. Dieser Zielkonflikt sollte offen mit dem (vorläufigen) Gläubigerausschuss und/oder wesentlichen Haupt-Gläubigern (auf deren Zustimmung der Planinitiator in der Gläubigerversammlung zur Planabstimmung angewiesen ist) abgestimmt werden. Ist die zu einem frühen Zeitpunkt vorgelegte Planung aus Sicht eines laufenden Investorenprozesses sehr konservativ, droht der Vorwurf der Gläubiger, i. R. eines M&AProzesses seien vom Schuldner gegenüber den Investoren „die Preise verdorben“ worden. Ist umgekehrt die Umsatz- und Gewinnplanung sehr optimistisch, droht im Abstimmungsprozess zum Insolvenzplan der Einwand, der Plan sei nach der Insolvenz so nicht umsetzbar. Eine gute Planung ist nach Möglichkeit eine „Punktlandung“. 3.

Verzahnung des Insolvenzplans mit Investorenlösung?

19 In taktischer Hinsicht, auch zum richtigen Zeitpunkt der Vorlage des Insolvenzplans, ist zu beachten, dass eine etwaig angestrebte Investorenlösung und der Inhalt des Insolvenzplans grundsätzlich in vielen Bereichen deckungsgleich sein müssen. Das gilt jedenfalls, wenn der Investor die Plan-Lösung nicht ersetzen soll, sondern die Findung eines Investors der Plan-Umsetzung dient.9) 20 Beispiel: Im Insolvenzplankonzept ist vorgesehen, dass die Quote von ca. 12 % durch einen Investorendrittzuschuss gespeist werden soll. Der Investorenprozess zur Vorbereitung der Abtretung von 90 % der Gesellschaftsanteile an den Investor i. R. eines Insolvenzplans ist noch nicht abgeschlossen. Der Investor A will den Drittzuschuss mittels eines nur während der Planüberwachungsphase zins- und tilgungsfreien nachrangigen Darlehens leisten. Hier droht, dass sich der Schuldner durch spätere Darlehensrückzahlung zulasten der Stabilität des Geschäftsbetriebs „selbst bezahlt“! Der Investor B will den Drittzuschuss in die freie Rücklage leisten. Die Verhandlungen mit beiden Investoren sind nicht abgeschlossen. Beide Investoren haben noch Fragen zu Kundenkontakten und Probleme mit ihrer jeweiligen Refinanzierung. 21 Im Beispielsfall kann es (je nach Einzelfall) gemäß § 220 Abs. 2 Satz 1 InsO für die Formulierung des darstellenden Teils zur Finanzierung und Aufbringung der Planquote von Bedeutung sein, den weiteren Ablauf des Investorenprozesses abzuwarten. Der Planverfasser wird im o. g. Beispielsfall im darstellenden Teil genauer darlegen müssen, ob die Planquote durch eine Darlehensgewährung oder durch einen Zuschuss in das Eigenkapital sichergestellt wird. Die angesprochenen Fragen zur Refinanzierung und der Bonität der Investoren sind eventuell für die Planannahme so wichtig, dass der Plan insoweit noch nicht

___________ 9) Zum sog. Dual Track ggf. als Rückfallposition anstelle des Insolvenzplans vgl. auch Kübler/Rendels, ZIP 2018, 1369, 1371, und Nerlich in: FS Prütting, 2018, S. 717 ff.

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endgültig abgefasst werden kann.10) Im Zweifel sind die Unterschiede der beiden Investorenkonzepte für die Gläubiger von erheblicher Bedeutung und der Planverfasser muss im darstellenden Teil Erläuterungen hierzu geben. Dies kann im Einzelfall dazu führen, dass die förmliche Einreichung des Insolvenzplans so lange zurückgestellt werden sollte, bis der Investorenprozess abgeschlossen ist. Manchmal ist in der Praxis als Taktik der Eigenverwaltung zu beobachten, dass „ganz schnell“ ein bedingter Plan (§ 249 InsO) eingereicht werden soll. „Einzige“ Bedingung: Spätere Findung eines Investors. Diese Reihenfolge – erst Planannahme, dann Investorensuche – hat aus Schuldnersicht oft nur den Zweck, „hinter den Kulissen“, nach erfolgter Planannahme, möglichst zum eigenen Vorteil die Investorenlösung zu „stricken“. Aus Gläubigersicht gilt also, dass sich die Gläubiger die verbindlichen Inhalte der Investorenlösung exakt ansehen sollten, bevor sie dem Plan zustimmen.11) Häufig machen Investoren die Übernahme der Gesellschaftsanteile und die Leistung eines 22 Planzuschusses von bestimmten Erklärungen der Steuerbehörden abhängig. Weiter kann es im Einzelfall so sein, dass die Investorenleistungen nur fließen, wenn bestimmte Sanierungsmaßnahmen (z. B. ein Sanierungstarifvertrag oder eine Einigung mit einer Leasinggesellschaft) rechtswirksam abgeschlossen sind. Gelingt die rechtswirksame Herbeiführung der Sanierungsmaßnahmen im Vorfeld der Insolvenzplaneinreichung nicht, ist es denkbar, dass der gestaltende Teil Bedingungen definiert, die vor der Bestätigung des Insolvenzplans erfüllt sein müssen (vgl. § 249 InsO). Diese Bedingungen des gestaltenden Teils müssen im Zweifel deckungsgleich mit den ausverhandelten Forderungen des Investors sein, damit es nicht zu einer „Lücke“ zwischen Planinhalt und Investorenkonzept kommt. Mithin kann es im Einzelfall erforderlich sein, die Planeinreichung zurückzustellen, bis die Investorenlösung durch alle erforderlichen Sanierungsmaßnahmen abgesichert ist. Dabei ist in taktischer Hinsicht davor zu warnen, zu viele offene Punkte des Restruktu- 23 rierungskonzepts und des Insolvenzplans in Planbedingungen nach § 249 InsO zu transportieren. Letztlich müssen die Planbedingungen ohnehin erfüllt werden, so dass zahlreiche Insolvenzplanbedingungen nur ein Signal dafür sind, dass drängende Probleme noch nicht abgearbeitet sind. Dies kann dafürsprechen, vor Ausnutzung des Planinitiativrechts zunächst offene Sanierungsmaßnahmen abzuarbeiten und die Investorenlösung zu konkretisieren. Es nutzt nichts, wenn der Insolvenzplan schnell eingereicht wird, dann aber bei der Abarbeitung der Planbedingungen die Sanierung scheitert. III.

Initiativrecht des Schuldners

1.

Planvorlagepflicht?

Nach einer in der Literatur vereinzelt vertretenen Auffassung tritt neben die Insolvenzan- 24 tragspflicht auch die Pflicht der Vertretungsorgane der Gesellschaft zur Vorlage eines Insolvenzplans.12) Die Diskussion über den Umfang der Sanierungspflichten der Geschäftsleiter hat durch das SanInsFoG neuen Auftrieb erfahren. Zwar hat sich der Gesetzgeber gegen die ausdrückliche Einführung eines „Shift of Duties“ – einer Ausrichtung der Geschäftsleiterpflichten an den Interessen der Gläubiger ab Eintritt der Zahlungsunfähigkeit – entschieden. Die entsprechenden Vorschriften der §§ 2, 3 StaRUG-RegE wurden „auf der Zielgeraden“ des Gesetzgebungsverfahrens auf Empfehlung des Rechtsausschusses ___________ 10) Zu Anforderungen an den darstellenden Teil vgl. BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, Rz. 33, ZIP 2018, 1141, sowie die Konkretisierungen in § 220 Abs. 2 und 3 InsO n. F. 11) Vgl. auch Kübler/Rendels, ZIP 2018, 1369, 1373. 12) Vgl. Schluck-Amend/Walker, GmbHR 2001, 375, 380; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 218 Rz. 10 m. w. N.; a. A. Silcher in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 218 InsO Rz. 8.

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gestrichen.13) In der Literatur wird aber vertreten, eine an den Interessen der Gläubiger ausgerichtete Sanierungspflicht ergebe sich ohnehin aus § 1 StaRUG.14) 25 In der Begründung des Rechtsausschusses heißt es, die Streichung erfolge „in dem Verständnis, dass sie keine Haftungslücken hinterlässt“.15) Vor diesem Hintergrund ist es naheliegend, in die Pflichten einer ordnungsgemäßen Geschäftsführung nach § 43 Abs. 1 GmbHG auch hineinzulesen, dass die Chancen auf Vorlage eines Insolvenzplans in Kombination mit der Eigenverwaltung i. R. der Sanierungspflicht auch genutzt werden müssen. Aber selbst, wenn man im Einzelfall eine Pflichtverletzung wegen unterlassener Nutzung von Sanierungschancen durch Aufstellung eines Plankonzepts annehmen wollte, wird es schwierig nachzuweisen, welcher Schaden hierdurch verursacht wurde. Immerhin kommt eine Schadenskausalität zumindest dann in Betracht, wenn wesentliche Hauptgläubiger im anschließenden Regressprozess gegen den Geschäftsführer bekunden und bestätigen, mit einem bestimmten Insolvenzplankonzept einverstanden gewesen zu sein. Auch vor diesem Hintergrund kann einem Geschäftsführer oder einem Vorstand nur dringend geraten werden, bei drohender Zahlungsunfähigkeit rechtzeitig die Perspektiven eines Insolvenzplans in Kombination mit der Eigenverwaltung auszuloten und zumindest vorsorglich eine Planstruktur zu entwerfen. 2.

Informationsrechte

26 Die Ausarbeitung und Vorlage eines Insolvenzplans hängt entscheidend davon ab, dass der Schuldner stets und einschränkungslos zu allen Informationen, die für eine Planabfassung notwendig sind, Zugang hat. Im Rahmen der Eigenverwaltung ist dies aus Schuldnersicht kein Problem. Will der Schuldner bei der Regelabwicklung einen Insolvenzplan vorlegen, stellt sich in der Praxis das Problem, dass der Schuldner nicht immer die notwendige Unterstützung des Insolvenzverwalters erhält. Grundsätzlich wird man dem Schuldner in der Regelinsolvenz einen Informationsanspruch gegen den Insolvenzverwalter zubilligen müssen, da anderenfalls das Planinitiativrecht nicht ausgeübt werden kann. Es sollte selbstverständlich sein, dass der Schuldner und seine Berater im Regelinsolvenzverfahren bei einer beabsichtigten Insolvenzplanvorlage einschränkungslos Zugang zu allen Unternehmensdaten und sonstigen Sachverhalten erhalten. In Fällen einer vom Insolvenzgericht abgelehnten oder beendeten (vorläufigen) Eigenverwaltung ist es dem Schuldner in der Regel – aus faktischen Gründen – wegen Informationssperren und/oder Kostentragungsfragen oft nicht mehr möglich, einen Insolvenzplan effektiv auszuarbeiten und vorzulegen. Aus Gläubigersicht bestehen in der Eigenverwaltung oft Informationsdefizite, insbesondere zur Verprobung der Plan-Vergleichsrechnung.16) 3.

Kostentragung

27 Im Eigenverwaltungsverfahren kann der Schuldner, da er weiter verwaltungs- und verfügungsbefugt ist, die Kosten der Planerstellung aus der Masse entnehmen. Der vorläufige Sachwalter muss, jedenfalls solange die Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist, der Entnahme angemessener Beratungskosten für die Schuldnerberatung grundsätzlich ohne die spätere Möglichkeit zur Insolvenzanfechtung zustimmen.17) ___________ 13) Vgl. Bericht d. Ausschusses R/V z. Streichung der §§ 2 und 3 StaRUG-E, BT-Drucks. 19/25353, S. 6: mit „Blick auf ihr unklares Verhältnis zu den im Gesellschaftsrecht verankerten Sanierungspflichten“. 14) Bea/Dressler, NZI 2021, 67, 68; Brünkmans, ZInsO 2021, 125, 126. 15) Bericht d. Ausschusses R/V z. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/25353, S. 6. 16) Vgl. dazu Kübler/Rendels in: FS Prütting, 2018, S. 697, 699, und Kübler/Rendels, ZIP 2018, 1369, 1372 ff. 17) Nach Hölzle, ZIP 2012, 855, 856, liegt betr. die Planerstellungskosten schon kein Fall eines außergewöhnlichen Geschäfts i. S. des § 275 Abs. 1 InsO vor, was auf das gleiche Ergebnis hinausläuft.

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Planinitiativrecht

Nach Inkrafttreten des ESUG verbreitete sich schnell der Eindruck, dass in einigen Fällen 28 durch sinnlose Eigenverwaltung – bei fehlenden Sanierungsaussichten – nur Geld „verbraten“ wird. Spätestens durch die ESUG-Evaluierung hat sich dieser Eindruck bestätigt. Im Rahmen der Studie äußerten sich die Befragten knapp mehrheitlich dahingehend, dass die mit der Eigenverwaltung verbundenen Zusatzkosten so hoch waren, dass der Aufwand für die Beteiligten in der Eigenverwaltung insgesamt höher ausfiel als im Regelinsolvenzverfahren.18) Der Gesetzgeber des SanInsFoG ist der Problematik dadurch begegnet, dass der Schuld- 29 ner nach § 270a Abs. 1 Nr. 5 InsO mit dem Antrag auf Eigenverwaltung als Teil der Eigenverwaltungsplanung eine Darstellung der Mehr- oder Minderkosten einzureichen hat, die i. R. der Eigenverwaltung im Vergleich zum Regelverfahren anfallen werden. Nach der Gesetzesbegründung fallen hierunter sämtliche Beraterkosten, mithin auch die Kosten der Planerstellung.19) Zudem sind auch solche Kosten aufzuführen, die aufgrund späterer Fälligkeit nicht im Finanzplan nach § 270 Abs. 1 Nr. 1 InsO (Planungshorizont: sechs Monate) erfasst sind.20) Übersteigen die Kosten der Eigenverwaltung „in wesentlicher Weise“ die des Regelverfahrens, oder sind die Kosten nicht gedeckt, kann die Eigenverwaltung nach § 270b Abs. 2 InsO nur angeordnet werden, wenn der Schuldner bereit und in der Lage ist die Geschäftsführung an den Interessen der Gläubiger auszurichten. Zudem regelt § 270c Abs. 4 Satz 2 InsO, dass (ohne besondere Begründung) nur für solche Kosten Masseverbindlichkeiten begründet werden können, die im Finanzplan nach § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO berücksichtigt wurden. In praktischer Hinsicht wird die Kostenvergleichsrechnung sowohl den Insolvenzschuld- 30 ner und seine Berater als auch die Insolvenzgerichte vor Herausforderungen stellen.21) Die Kosten werden sich zum Antragszeitpunkt kaum seriös prognostizieren lassen, zumal auch der Vergleichsmaßstab der Kosten des Regelinsolvenzverfahrens (auf Grundlage des Systems der InsVV mit möglichen Zu- und Abschlägen) nicht klar begrenzt ist.22) Um etwaige Insolvenzanfechtungsrisiken für das Beraterhonorar auszuschließen, sei dem 31 Berater vor Insolvenzeröffnung auch im Bereich der Eigenverwaltung nach §§ 270 ff. InsO empfohlen, nur i. R. eines Bargeschäfts i. Satz des § 142 InsO tätig zu werden.23) Für das Regelinsolvenzverfahren hat der BGH entschieden, dass der Schuldner keinen 32 gesetzlichen Anspruch auf Erstattung der durch die Planerstellung entstehenden Kosten hat.24) Aber auch im Regelinsolvenzverfahren wird man dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter ein Ermessen einräumen müssen,25) dem Schuldner die Erstattung von Beratungs___________ 18) Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 23 in Abb. 2; in Summe mehr als die Hälfte (M= 2,65) „trifft eher zu“ und „trifft vollständig zu“. 19) Begr. RegE SanInsFoG z. § 270a StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 205. 20) Begr. RegE SanInsFoG z. § 270 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 205. 21) Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 74 und 80, hatten – auch zur Entlastung der Insolvenzgerichte – abweichend angeregt, die Kostenproblematik nicht über eine Einschränkung des Zugangs zur Eigenverwaltung zu lösen, sondern stattdessen die Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten zu begrenzen. 22) Vgl. auch Blankenburg, ZInsO 2021, 753, 757, der die Gefahr großer „Gestaltungsmöglichkeiten“ der Kostenvergleichsrechnung sieht, sowie Steffan/Oberg/Poppe, ZInsO 2021, 1116, 1124 – mit konkreten Vorschlägen zur Darstellung. 23) Zur 30-Tage-Grenze vgl. BGH v. 6.12.2007 – IX ZR 113/06, ZIP 2008, 232, dort auch Rz. 24, 25: kein Bargeschäft bei nutzloser Beratungsleistung (!), dazu EWiR 2008, 409 (Freudenberg). 24) BGH v. 6.12.2007 – IX ZR 113/06, Rz. 21, ZIP 2008, 232, dazu EWiR 2008, 409 (Freudenberg); Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 218 Rz. 22 ff.; Braun/Frank in: Braun, InsO, § 218 Rz. 15. 25) Silcher in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 218 InsO Rz. 7; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 218 Rz. 26; a. A. Thies in: HambKomm-InsO, § 218 Rz. 5, der ausführt bei entsprechenden Erfolgsaussichten müsse sich der Verwalter dem Plan selbst annehmen.

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kosten zuzubilligen, sofern konkrete Aussichten für eine Insolvenzplanlösung bestehen, die eine höhere Gläubigerbefriedigung als im Regelinsolvenzverfahren erwarten lässt. In der Praxis dürften diese Fälle allerdings kaum vorkommen, da der beratene Schuldner regelmäßig ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung beantragen wird. 4.

Mitwirkung Dritter

33 § 218 Abs. 3 InsO regelt zwar grundsätzlich, dass – nur – bei der Aufstellung eines Insolvenzplans durch den Insolvenzverwalter der Gläubigerausschuss und der Betriebsrat beratend mitwirken. Faktisch muss aber auch der Schuldner vor Einreichung des von ihm abgefassten Insolvenzplans berücksichtigen, dass spätestens das Insolvenzgericht nach § 232 Abs. 1 Nr. 1 – 3 und § 232 Abs. 2 InsO einen nach § 231 InsO zugelassenen Insolvenzplan bzw. nach § 232 Abs. 4 einen zurückzuweisenden Insolvenzplan weiteren Verfahrensbeteiligten zur Stellungnahme zuleitet. Dazu gehört ein etwaig bestellter Gläubigerausschuss oder, sofern vorhanden, der Betriebsrat. Weiter ist nach § 232 Abs. 1 Nr. 3 InsO der Schuldnerplan dem Insolvenzverwalter (oder ggf. dem Sachwalter) zur Stellungnahme zuzuleiten.26) Der Schuldner, der von seinem Planinitiativrecht Gebrauch machen will, ist deshalb grundsätzlich gut beraten, wenn er zu einem frühen Zeitpunkt die genannten weiteren Beteiligten i. Satz des § 232 Abs. 1 Nr. 1, 3 InsO in die Abfassung des Insolvenzplans einbezieht. Im Einzelfall – dies sollte vorab mit dem Insolvenzgericht abgestimmt werden – kann auch das Verfahren nach § 232 InsO zur Einholung von Stellungnahmen abgekürzt werden, wenn der Schuldner zugleich mit der Vorlage des Insolvenzplans die Stellungnahmen der in § 232 Abs. 1 und Abs. 2 InsO genannten Stellen beifügt27). Die Beifügung solcher wohlwollenden Stellungnahmen kann zudem die Vorprüfung nach § 231 InsO abkürzen oder erleichtern.28) 5.

Vertretungsverhältnisse; Gesellschafter-Rechte?

34 Ist der Schuldner eine juristische Person, so gelten grundsätzlich die allgemeinen Vertretungsgrundsätze des Handels- und Gesellschaftsrechts für die Planvorlage.29) Der Insolvenzplan muss deshalb – sofern mehrere Geschäftsführer nur gesamtvertretungsbefugt sind – von allen Geschäftsführern unterschrieben werden. Die Sonderregelungen des § 15 Abs. 1 – 3 InsO zur Insolvenzantragstellung, wonach für das Insolvenzantragsrecht zum Teil von den allgemeinen Vertretungsregeln abweichende Grundsätze greifen, gelten für das Planinitiativrecht nicht.30) Bei mehreren alleinvertretungsbefugten Mitgliedern des Vertretungsorgans ist zu beachten, dass der Schuldner nur einmal nach § 218 Abs. 1 InsO zur Planvorlage berechtigt ist.31) Zum Teil wird deshalb vertreten, die Mitglieder des Vertretungsorgans seien trotz grundsätzlicher Einzelvertretungsbefugnis nur gemeinschaft___________ 26) Zu den Pflichten des (vorläufigen) Sachwalters in Bezug auf den Schuldner-Insolvenzplan vgl. Hofmann, Eigenverwaltung, Rz. 525 ff. 27) Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 232 Rz. 5; Braun/Frank in: Braun, InsO, § 232 Rz. 9. 28) Nach BGH v. 20.7.2017 – IX ZB 13/16, Rz. 7, ZIP 2017, 1576 = NZI 2017, 751, dazu EWiR 2017, 601 (Horstkotte), hat der BGH diese Frage nicht insgesamt entschieden. Der BGH hat aber immerhin zugelassen, im Zusammenhang mit einem zu erwartenden Minderheitenschutzantrag, dass das Insolvenzgericht vor der Entscheidung nach § 231 InsO eine „Anhörung […] ausschließlich zur Vorbereitung […] der Entscheidung nach § 231 InsO“ durchführen darf; vgl. dazu Madaus, NZI 2017, 752. 29) Silcher in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 218 InsO Rz. 6; zu den Vertretungsverhältnissen und der Abgrenzung von Gesellschafterkompetenzen vgl. Beck/Pechartscheck in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 4 Rz. 7 ff. 30) Silcher in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 218 InsO Rz. 8. 31) Vgl. Thies in: HambKomm-InsO, § 218 Rz. 4.

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Planinitiativrecht

lich vorlageberechtigt.32) Dem wird man aber entgegnen müssen, dass es i. R. des § 218 InsO zwar bei den allgemeinen Vertretungsregeln des Handelsrechts, d. h. der Einzelvertretungsbefugnis, verbleibt. Mit erster Planvorlage ist nach hier vertretener Auffassung aber das Vorlagerecht des Schuldners verbraucht. Die erste Vorlage eines Plans durch ein alleinvertretungsbefugtes Organmitglied schließt weitere Planvorlagen der anderen Organmitglieder aus. Ist die Schuldnerin eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit bzw. eine Personenge- 35 sellschaft (also z. B. oHG, KG, GbR), entfällt mit der Insolvenzeröffnung die bisherige Vertretungsmacht der geschäftsführenden Gesellschafter (vgl. § 145 Abs. 1 HGB, § 730 Abs. 2 Satz 2 BGB). In diesem Fall können deshalb bei den genannten Gesellschaften nur noch alle Gesellschafter gemeinschaftlich einen von ihnen unterzeichneten Insolvenzplan vorlegen.33) Gerade während der Phase der Abstimmung etwaiger Planänderungen mit dem Insolvenz- 36 gericht (z. B. nach Einreichung der ersten Planversion) sollte immer gewährleistet sein, dass vertretungsbefugte Personen des Planinitiators zur Unterzeichnung eines geänderten Plans greifbar sind. Dementsprechend ist eine ausreichende Schuldnervertretung im Erörterungs- und Abstimmungstermin sicherzustellen, damit der Plan ggf. im Termin gemäß § 240 InsO geändert werden kann. Der Berater, der im Abstimmungs- und Erörterungstermin auftritt, muss eine entsprechende Vollmacht vorlegen können. Wie insbesondere der Fall „Suhrkamp“ gezeigt hat, kann die Abgrenzung der Rechte der 37 Geschäftsführung zu den Rechten der Gesellschafter – speziell der Gesellschafterversammlung – im Zusammenhang mit dem Planinitiativrecht schwierig werden. Wird der Insolvenzplan zum „Herauswurf-Instrument“ zugunsten des Mehrheitsgesellschafters und zulasten des Minderheitsgesellschafters? Jedenfalls in dem Moment, in dem eine Insolvenzantragspflicht besteht, fällt die Stellung des Insolvenzantrags grundsätzlich in die Kompetenz der Geschäftsführung. Schließlich ist die Insolvenzverschleppung strafrechtlich sanktioniert, so dass es die eigene Entscheidungsbefugnis – ab eingetretener Insolvenzreife – der Geschäftsführung sein muss, ob ein Insolvenzantrag gestellt wird oder nicht. Gleichwohl ist zu beachten, dass vor Insolvenzantragstellung, sofern auch nur der „Hauch“ einer Sanierungschance besteht, die Gesellschafterversammlung einberufen werden sollte.34) Die Gesellschafter sollten vor Insolvenzantragstellung über die notwendige Insolvenzantragstellung informiert werden und die Gelegenheit haben, einen Insolvenzgrund gegenzuprüfen und die Insolvenzgründe ggf. – z. B. durch finanzielle Zuwendungen – auszuräumen. Auch bei Insolvenzreife muss sich deshalb die Geschäftsführung – ggf. durch Einberufung der Gesellschafterversammlung – mit den Gesellschaftern abstimmen, sofern Reaktionsmöglichkeiten der Gesellschafter zur Beseitigung der Insolvenzreife theoretisch denkbar sind. Bei Publikumsgesellschaften mit einer Vielzahl von Anteilseignern wird – abhängig von der Rechtsform im Einzelfall und der Satzung der Gesellschaft – eine solche Einberufung der Gesellschafterversammlung bei Insolvenzreife ggf. unmöglich sein. IV.

Initiativrecht des Insolvenzverwalters

Neben dem Schuldner hat nach § 218 Abs. 1 Satz 1 InsO der Insolvenzverwalter35) ein 38 weiteres, originäres Planinitiativrecht. Auch aus Schuldnersicht kann im Einzelfall – bei guter ___________ 32) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 76; Thies in: HambKomm-InsO, § 218 Rz. 4. 33) So im Ergebnis auch Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 82. 34) Vgl. zu den Pflichten der Geschäftsführung im Innenverhältnis auch Eidenmüller in: MünchKommInsO, § 218 Rz. 81. 35) Zur Vorbereitung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter vgl. Braun/Frank in: Braun, InsO, § 218 Rz. 3.

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2. Teil Insolvenzplan – Planvorbereitung und Planinitiative

Abstimmung mit dem Insolvenzverwalter – die Planvorlage durch den Insolvenzverwalter sinnvoll sein. Der Insolvenzverwalter kann oft Sanierungsmaßnahmen mit geringeren Zwängen zur Rücksichtnahme als der Schuldner aushandeln. Der Insolvenzverwalter kann einen Plan vorlegen, sobald er bestellt ist. Zu einem Abwarten bis zum Berichtstermin ist er nicht verpflichtet. In vielen Fällen wird es naheliegen, einen Planvorschlag vor dem Berichtstermin vorzulegen und mit wesentlichen Gläubigern vorher abzustimmen. Im Einzelfall, wenn konkrete Sanierungschancen nur durch zügige Vorlage eines Insolvenzplans bestehen, mag es denkbar sein, dass der Insolvenzverwalter die Pflicht hat, einen Insolvenzplan auszuarbeiten und zeitnah (vor der Gläubigerversammlung und ohne Vorliegen einer Weisung nach § 157 Satz 2 InsO) vorzulegen.36) Allerdings dürfte es – wie auch bei einer Verletzung einer etwaigen Sanierungspflicht durch die Geschäftsführung (siehe oben Rz. 24) – im Einzelfall schwierig sein, einen kausalen Schaden wegen dieser Pflichtverletzung darzulegen und zu beweisen. 39 In einem (deutschen) Sekundärinsolvenzverfahren hat der (aus deutscher Sicht ausländische) Hauptinsolvenzverwalter nach Art. 47 Abs. 1 EuInsVO ein Planinitiativrecht. Er kann ferner im aus deutscher Sicht inländischen Sekundärinsolvenzverfahren an Gläubigerversammlungen teilnehmen und so auf einen Planauftrag an den Sekundärverwalter hinwirken. V.

Auftrag des vorläufigen Gläubigerausschusses oder der Gläubigerversammlung (§ 284 Abs. 1 InsO)

40 Die Gläubigerversammlung hat nach § 157 Satz 2 InsO die Möglichkeit, dem Insolvenzverwalter aufzuerlegen, einen Insolvenzplan auszuarbeiten und vorzulegen. Dabei können auch Planziele vorgegeben werden. § 157 Satz 2 InsO enthält damit einen der seltenen Fälle eines Weisungsrechts der Gläubigerversammlung gegenüber dem Insolvenzverwalter. Unter einer solchen Zielvorgabe wird man sich grundsätzlich nur ungefähre Vorgaben, wie etwa die Aufgabe, einen Stilllegungsplan oder einen Fortführungsplan auszuarbeiten, vorstellen können. Einzelheiten der Ausarbeitung eines Plans wird eine Gläubigerversammlung schon deshalb kaum vorgeben können, weil diese Einzelheiten häufig erst i. R. der Kommunikation mit einzelnen Gläubigergruppen oder sonstigen Entscheidungsträgern (insbesondere der Belegschaft) weiter verdichtet werden können. Unter der Zielvorgabe i. S des § 157 Satz 2 InsO ist deshalb nur die Vorgabe eines vorläufigen Rahmens zu verstehen.37) 41 Im Rahmen der Eigenverwaltung kann die Gläubigerversammlung den Sachwalter nach § 284 Abs. 1 Satz 1 InsO mit der Ausarbeitung eines Insolvenzplans beauftragen. Die durch das SanInsFoG neu eingefügte Regelung des § 284 Abs. 1 Satz 2 InsO erweitert diese Möglichkeit nun auf den vorläufigen Sachwalter, der durch den vorläufigen Gläubigerausschuss zur Ausarbeitung eines Insolvenzplans beauftragt werden kann. Der BGH hatte bereits in einer Entscheidung vom 22.9.2016 zu den Kompetenzen des (vorläufigen) Sachwalters die entsprechende Anwendung des § 284 Abs. 1 Satz 1 InsO im Eröffnungsverfahren bejaht38) Die Gesetzesbegründung, wonach die frühe Einbeziehung des Sachwalters „als neutrale Vertrauensperson“ zu einer Beschleunigung von Sanierungsverfahren führen soll,39) vermag nicht zu überzeugen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass ein solcher Auftrag erhebliches Störpotential birgt und die Sanierung eher erschwert. Bereits die Planvorlage durch den (endgültigen) Sachwalter nach § 284 Satz 1 InsO wird in der Literatur überwiegend ___________ 36) 37) 38) 39)

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Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 218 Rz. 36 f. Vgl. Wegener in: Wimmer, FK-InsO, § 157 Rz. 5; Janssen in: MünchKomm-InsO, § 157 Rz. 19. BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981, dazu EWiR 2016, 763 (Körner/Rendels). Vgl. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 210.

Körner/Rendels

§ 20

Planinitiativrecht

kritisch gesehen und nur dann als erfolgversprechend erachtet, wenn zwischen Schuldner und Sachwalter Einvernehmen besteht.40) Wird der (vorläufige) Sachwalter mit der Ausarbeitung eines Plans beauftragt, gilt § 157 Satz 2 InsO entsprechend, d. h. der vorläufige Gläubigerausschuss bzw. die Gläubigerversammlung können u. a. das Planziel vorgeben.41) Liegt ein Auftrag der Gläubigerversammlung vor, hat der Verwalter die Pflicht, „binnen an- 42 gemessener Frist“ dem Gericht den Insolvenzplan vorzulegen (§ 218 Abs. 2 InsO). Gleiches gilt bei Beauftragung des (vorläufigen) Sachwalters, auf den die §§ 217 ff. InsO, wenn er mit der Planerstellung beauftragt wird, anzuwenden sind, wie auf den Insolvenzverwalter.42) VI.

Arbeitnehmer/Betriebsrat

Den Arbeitnehmern oder Arbeitnehmervertretern steht kein eigenes Planinitiativrecht 43 zu. Jedoch muss jeder Planinitiator berücksichtigen, dass der Insolvenzplan nach § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO dem Betriebsrat zur Stellungnahme zugeleitet werden muss. In einer Vielzahl von Fällen werden die Sanierungsmaßnahmen mit Personaleinschnitten einhergehen. Es dürfte sich deshalb grundsätzlich empfehlen, frühzeitig die Insolvenzplanstruktur und insbesondere die Personalmaßnahmen mit dem Betriebsrat und/oder Arbeitnehmervertretern auf der Grundlage eines Planentwurfs abzustimmen. Insbesondere kann ein koordiniertes Vorgehen von Schuldner und Arbeitnehmerver- 44 tretern dazu führen, dass ein Insolvenzplankonzept auch ohne Zustimmung ggf. die Eigenverwaltung/den Plan ablehnender einzelner Großgläubiger umgesetzt werden kann oder andere, zunächst skeptische Gläubiger sich dann doch von der Planlösung überzeugen lassen. Nur bei enger Abstimmung mit der Belegschaft wird im Regelfall ein hinreichend rechtlich abgesichertes Sanierungskonzept vorliegen, sofern (wie regelmäßig) Personalmaßnahmen zur Sanierung erforderlich sind. Ist die Belegschaft bereit, einzelne arbeitsrechtliche Sanierungsmaßnahmen nur im Falle einer Insolvenzplanlösung zu akzeptieren, kann i. R. der Vergleichsrechnung dargelegt werden, dass das Insolvenzplanverfahren gegenüber der Regelabwicklung zu einer höheren Gläubigerbefriedigung führt. So könnten z. B. Schuldner und Arbeitnehmerschaft erwägen, einzelne arbeitsrechtliche Sanierungsmaßnahmen unter die auflösende Bedingung des Scheiterns der Planrechtskraft zu stellen. Der Schulterschluss zwischen Schuldner und Arbeitnehmern kann deshalb in der Eigenverwaltung von gegenseitigem Vorteil sein: Der Schuldner stärkt sein Planinitiativrecht und die Arbeitnehmer können – evtl. im Einzelfall auch schmerzhafte – Personalmaßnahmen besser mitbestimmen und kalkulieren als im Fall einer Betriebsschließung oder einer übertragenden Sanierung im Regelinsolvenzverfahren. Oft lässt sich – aus Arbeitnehmersicht – der Personalabbau in Abstimmung mit dem bisherigen Rechtsträger, dem Schuldner, besser steuern als mit einem unbekannten Investor i. R. eines Regelinsolvenzverfahrens. Der hiermit empfohlene Schulterschluss zwischen Belegschaft und Planinitiator darf aber 45 nicht dazu führen, dass die Personalmaßnahmen für eine nachhaltige Sanierung unzureichend sind. Gerade die Eigenverwaltung birgt die latente Gefahr, dass aus Rücksichtnahme die Personaleinschnitte zu knapp bemessen werden. VII. Wirkungen der Planvorlage Grundsätzlich besteht die einzige Wirkung der Planvorlage darin, dass die Prüfungs- und 46 Verfahrenspflichten des Gerichts ausgelöst werden (§§ 231, 232, 234, 235 – 253 InsO). In Einzelfällen – in Abstimmung mit dem Insolvenzgericht – ist zu empfehlen, zunächst nur ___________ 40) Kreutz/Ellers in: BeckOK-InsR, § 284 InsO Rz. 15; Kern in: MünchKomm-InsO, § 284 Rz. 23. 41) Kreutz/Ellers in: BeckOK-InsR, § 284 InsO Rz. 15. 42) Kreutz/Ellers in: BeckOK-InsR, § 284 InsO Rz. 18; Foltis in: Wimmer, FK-InsO, § 284 Rz. 11.

Körner/Rendels

585

§ 20

2. Teil Insolvenzplan – Planvorbereitung und Planinitiative

einen Planentwurf einzureichen, um den Entwurf mit dem Gericht ohne Fristendruck zu diskutieren. Die frühzeitige Kommunikation auch mit dem Gericht auf der Grundlage eines Planentwurfs – vor Einleitung des förmlichen Verfahrens – vermeidet Missverständnisse, ggf. sogar eine Zurückweisung nach § 231 InsO und schafft eine freundliche Atmosphäre. 47 Nach § 233 Satz 1 InsO ordnet das Gericht auf Antrag des Planinitiators die Aussetzung der Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse an, soweit dadurch die Durchführung des vorgelegten Insolvenzplans gefährdet würde. Nach § 30d Abs. 2 ZVG kann der Schuldner, der einen Insolvenzplan vorgelegt hat, der nicht nach § 231 InsO zurückgewiesen wurde, die Einstellung der Zwangsversteigerung beantragen. Nach § 30d Abs. 4 ZVG ist im Insolvenzantragsverfahren zur Einstellung der Zwangsversteigerung grundsätzlich der vorläufige Insolvenzverwalter antragsberechtigt, im Falle der vorläufigen Eigenverwaltung der Schuldner.43) 48 Die Vorlage des Insolvenzplans hat grundsätzlich keine Auswirkungen auf den weiteren Ablauf des Insolvenzverfahrens. So müssen wie im Regelinsolvenzverfahren auch bei Planvorlage die Insolvenzforderungen angemeldet und festgestellt werden. Grundsätzlich gelten mit Insolvenzeröffnung auch bei angestrebter oder auch bereits erfolgter Planvorlage alle sonstigen Vorschriften der InsO, z. B. §§ 103 ff. InsO. Zudem wird auch grundsätzlich im Insolvenzplanverfahren in Kombination mit Eigenverwaltung Insolvenzausfallgeld gewährt, was zur Liquiditätsverbesserung beiträgt. VIII. Planrücknahme 49 Das Recht zur Planrücknahme ist Ausfluss des Planinitiativrechts und steht deshalb dem Planinitiator zu. Eine Planrücknahme kommt insbesondere dann in Betracht, wenn Planänderungen nach § 240 InsO zur Behebung von Plandefiziten nicht mehr ausreichen, die Planbestätigung nicht zu erwarten ist oder verzögernde Rechtsbehelfe drohen. Denkbar ist weiter, dass sich vereinzelt vor Eintritt der Rechtskraft erhebliche Durchführungsprobleme ergeben, die der Planinitiator mit der Planrücknahme vermeiden will. 50 Umstritten ist, bis zu welchem Zeitpunkt der Insolvenzplan zurückgenommen werden kann.44) Teilweise wird auf eine Zulässigkeit der Rücknahme bis zum Beginn des Abstimmungstermins abgestellt.45) Andere lassen die Rücknahme bis zum Ende der Abstimmung zu.46) Richtig dürfte sein, die Rücknahme – auch nach Bestätigung des Insolvenzplans – bis vor Eintritt der Rechtskraft zuzulassen.47) Solange der Bestätigungsbeschluss zum Insolvenzplan nicht rechtskräftig ist, entfaltet der gestaltende Teil des Insolvenzplans keinerlei Wirkung. Als Ausfluss des Planinitiativrechts ist deshalb bis zu diesem Zeitpunkt ein Rücknahmerecht des Plan-Einreichers anzuerkennen. Die Gläubigergemeinschaft hat keinen Anspruch darauf, dass ein Insolvenzplan, über den abgestimmt wurde, der aber noch nicht rechtskräftig ist und deshalb keine Wirkungen entfaltet, vom Planinitiator aufrechterhalten wird. Infolge der starken Eingrenzung der Rechtsmittel durch das ESUG dürfte eine taktische Rücknahme, um einem Rechtsmittel zuvorzukommen, jedoch an Bedeutung verlieren. ___________ 43) Zum Spannungsverhältnis Insolvenzplan/Immobiliarvollstreckung instruktiv Cranshaw, ZfIR 2017, 690 ff. 44) Nach BGH v. 26.4.2007 – IX ZB 5/06, ZInsO 2007, 713, ist zumindest die Rücknahme nach Abstimmung vor Planbestätigung zum Zwecke erneuter Abstimmung über einen neuen Plan zulässig; in diesem Fall ist die erneute Ladung zu einem neuen Erörterungs- und Abstimmungstermin nach Rücknahme erforderlich. 45) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 151 ff. 46) Vgl. Pleister in: KPB, InsO, § 235 Rz. 9. 47) Beck/Pechartscheck in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 4 Rz. 32; Thies in: HambKomm-InsO, § 218 Rz. 16.

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Körner/Rendels

B. Inhalt des Insolvenzplans § 21 Darstellender Teil des Insolvenzplans Geiwitz/v. Danckelmann

I. Aufbau des Insolvenzplans ........................ 1 II. Grundsätzliche Ziele, Art und Regelungsstruktur des Insolvenzplans ........... 10 III. Gruppenbildung ....................................... 13 IV. Befriedigungsaussicht und Berechnung der Quote bei der Regelabwicklung ohne Insolvenzplan ................. 17 1. Befriedigungsaussicht der Beteiligten ....... 17 2. Berechnung der Quoten bei Regelabwicklung...................................................... 20 2.1 Insolvenzgläubiger......................... 20 2.2 Überschusszahlungen an die Gesellschafter................................. 25 2.3 Zahlungen bei Planbestätigung..... 26 2.3.1 Insolvenzgläubiger......................... 26 2.3.2 Gesellschafter................................. 27 V. Umgestaltungskonzept ............................ 28 1. Unternehmensdaten................................... 28 1.1 Organisatorische und rechtliche Verhältnisse .................. 29 1.2 Aktuelle Arbeitnehmersituation ......................................... 35 1.3 Wirtschaftliche Verhältnisse ......... 41 1.3.1 Ertragslage...................................... 41 1.3.2 Vermögens- und Finanzlage ......... 42 2. Insolvenzursache........................................ 47

3.

Sanierungsmaßnahmen .............................. 50 3.1 Organisatorische Maßnahmen...... 54 3.1.1 Maßnahmen in der Aufbauorganisation ............................. 56 3.1.2 Maßnahmen in der Ablauforganisation ............................. 59 3.2 Leistungswirtschaftliche Maßnahmen ................................... 62 3.2.1 Verwaltung..................................... 65 3.2.2 Produktion..................................... 66 3.2.3 Einkauf ........................................... 70 3.2.4 Vertrieb .......................................... 76 3.3 Finanzwirtschaftliche Maßnahmen........................................... 82 3.3.1 Sanierungseffekte aus dem Insolvenzrecht ............................... 84 3.3.2 Eigenkapitalerhöhung ................... 87 3.3.3 Fremdkapitalerhöhung.................. 92 4. Vermögensübersicht, Ergebnis- und Finanzplan (§ 229 InsO) ........................... 96 VI. Steuerrechtliche Verhältnisse.................. 99 1. Forderungsverzicht.................................. 101 2. Kapitalerhöhung....................................... 106 VII. Geheimhaltungserfordernisse und Auswirkung auf den Insolvenzplan...... 110

Literatur: Holzer, Krisenerkennung bei insolvenzgefährdeten Unternehmen aus Sicht der gerichtlichen Praxis, NZI 2005, 308; Skauradszun, Die Vergleichsrechnung nach § 220 Abs. 2 InsO n. F., ZIP 2021, 1091.

I.

Aufbau des Insolvenzplans

Ein Insolvenzplan besteht zwingend aus einem darstellenden und einem gestaltenden 1 Teil (§ 219 InsO). Um den Beteiligten den benötigten wirtschaftlichen Freiraum zu gewähren, hat sich der Gesetzgeber in den §§ 217 ff. InsO darauf beschränkt, nur die Rahmenbedingungen festzulegen. Im darstellenden Teil (§ 220 InsO) sollen das Gericht und die Beteiligten über das Ziel und 2 die Regelungsstruktur des Planverfahrens informiert werden. Gleichzeitig soll offengelegt werden, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Somit müssen alle für die Entscheidungsfindung der Gläubiger relevanten Informationen vollständig und richtig in diesem Bestandteil des Insolvenzplans wiedergegeben werden.1) Unzureichende oder fehlerhafte Informationen im darstellenden Teil können zu einer Versagung des Insolvenzplans führen.2) Der gestal___________ 1) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 219 Rz. 6. 2) BGH v. 13.10.2011 – IX ZB 37/08, ZIP 2012, 187, dazu EWiR 2012, 215 (Rendels/Körner).

Geiwitz/v. Danckelmann

587

§ 21

2. Teil Insolvenzplan – Inhalt

tende Teil (§ 221 InsO) legt die Änderungen der Rechtsstellung der Beteiligten dar und somit den vollstreckbaren Inhalt des Plans fest. 3 Eine weitere Gliederung des Plans fordert das Gesetz nicht. Der Gesetzgeber hat bewusst davon Abstand genommen, bereits diesen Teil des Planverfahrens an hohe formale Anforderungen zu koppeln. Adressaten sind das Insolvenzgericht, die Gläubiger, der Schuldner, die Gesellschafter, ein möglicherweise vorhandener Betriebsrat (§ 235 Abs. 3 InsO), ein Sprecherausschuss der leitenden Angestellten sowie amtliche Berufsvertreter.3) Für diese sollte der darstellende Teil klar, verständlich und auf die wesentlichen Informationen beschränkt verfasst werden. Von juristischen und betriebswirtschaftlichen Fachbegriffen sollte Abstand genommen werden. 4 Betreffend den Aufbau des darstellenden Teils empfiehlt es sich, den Gliederungsvorschlag nach IDW S 24) zu verwenden. Diese Grundgliederung wird von der Praxis regelmäßig verwendet und eröffnet somit bei den insolvenzrechtsbewanderten Adressaten des Plans einen Wiedererkennungswert, wodurch eine erhöhte Chance auf Akzeptanz des Plans gegeben ist.5) Die Gliederung nach IDW S 2 erfolgt dabei in fünf Abschnitten. Die ersten drei Abschnitte stellen das Kernstück des darstellenden Teils des Insolvenzplans dar: 5 Die grundsätzlichen Ziele, die Art und die Regelungsstruktur des Insolvenzplans leiten den darstellenden Teil ein und geben einen ersten Überblick über die mit dem Plan beabsichtigten Regelungen, die Besserstellung der Gläubiger durch den Insolvenzplan sowie die Art des Planverfahrens.6) 6 Der Abschnitt Gruppenbildung dient der Festlegung der Rechte der Gläubiger. § 222 Abs. 1 InsO sieht die Darstellung der Gruppenbildung im gestaltenden Teil des Insolvenzplans vor. Aufgrund der Zugehörigkeit der sachgerechten Abgrenzung sowie der Beschreibung der Gläubigergruppen zum darstellenden Teil, ist die vorweggenommene Erläuterung der Gruppenbildung im darstellenden Teil wichtiger Bestandteil.7) 7 Das Umgestaltungskonzept umfasst Angaben über den Ist-Zustand des Unternehmens, Insolvenzursachen, durchgeführte und geplante Sanierungsmaßnahmen sowie die nach § 229 InsO beizufügende Vermögensübersicht und den Ergebnis- und Finanzplan. 8 Der vierte Abschnitt stellt nach IDW S 2 eine Zusammenfassung der Ergebnisse für die Gläubiger bei Annahme des Insolvenzplans dar. Es soll den Gläubigern zusammenfassend Auskunft über die von ihnen zu erbringenden Leistungen sowie ihre mögliche Besserstellung durch den Insolvenzplan gegeben werden. In der Praxis wird auf eine separate Darstellung dieses Abschnitts – genau wie in diesem Beitrag – häufig aufgrund der Integration in die Ausführungen zur Gruppenbildung verzichtet. 9 Ein Antrag für den Abstimmungstermin zur Beschlussfassung der Gläubiger über eine abweichende Regelung zum Erhalt des Unternehmens stellt den letzten Bestandteil des darstellenden Teils dar. Aufgrund der Abweichung von den gesetzlichen Regelungen durch den Insolvenzplan ist nach § 1 Satz 1 InsO i. V. m. §§ 217 ff. InsO ein Gläubigerbeschluss notwendig. Dieser wird i. R. des Prüfungs-, Erörterungs- und Abstimmungstermins gefasst. ___________ 3) Thies in: HambKomm-InsO, § 221 Rz. 8. 4) IDW Standard, Anforderungen an Insolvenzpläne (IDW S 2), Stand: 18.11.2019, IDW Life 1/2020, S. 45. 5) Vgl. Koch/de Bra in: Gottwald/Haas, InsR-Hdb., § 67 Rz. 66. 6) Linkert in: Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 8 Rz. 44. 7) IDW Standard, Anforderungen an Insolvenzpläne (IDW S 2), Stand: 18.11.2019, IDW Life 1/2020, S. 45; Linkert in: Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 8 Rz. 56.

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Geiwitz/v. Danckelmann

Darstellender Teil des Insolvenzplans II.

§ 21

Grundsätzliche Ziele, Art und Regelungsstruktur des Insolvenzplans

In einem Leitabschnitt sollte der Verfasser des Insolvenzplans zu Beginn das grundlegen- 10 de Ziel, die Ausgestaltungsart sowie einen Überblick über die Regelungsstruktur hinsichtlich der Besserstellung im Vergleich zum Regelinsolvenzverfahren geben.8) Ein Insolvenzplan stellt ein Unternehmenskonzept dar.9) Nach dem Willen des Gesetz- 11 gebers kann der Insolvenzplan die Fortführung des Insolvenzschuldners nach leistungswirtschaftlicher und finanzieller Sanierung des Unternehmens, die Übertragung des Unternehmens auf einen neuen Rechtsträger (übertragende Sanierung) oder die Liquidation als Ziel haben. Somit kann ein Fortführungsplan, Übertragungsplan oder Liquidationsplan vorgelegt werden. Hinsichtlich der Ausgestaltungsart ist der Insolvenzplan nicht zwingend auf die Erhal- 12 tung des schuldnerischen Unternehmens ausgelegt. Allerdings ist er als Sanierungsinstrument von besonderer Bedeutung. Ist der Insolvenzplan primär leistungswirtschaftlich orientiert, so sollte sich der Aufbau an den Anforderungen von Sanierungskonzepten (IDW S 6) orientieren. Ist der Fokus des Insolvenzplans auf rein finanzwirtschaftliche Ziele ausgelegt (z. B. Stundungsplan), ist eine entsprechende Verlagerung des Schwerpunkts und eine Anpassung des Insolvenzplans vorzunehmen. Die vorliegenden Ausführungen legen den Schwerpunkt auf einen leistungswirtschaftlich orientierten Insolvenzplan. III.

Gruppenbildung

Die Gruppenbildung ist wesentlicher Inhalt des Insolvenzplans. Sie ist in Folge des Plan- 13 abstimmungsmodus nach Gruppe von zentraler Bedeutung. In Abweichung zur Gläubigerversammlung und der dort für eine Beschlussannahme notwendigen Summenmehrheit (§ 76 Abs. 2 InsO) erfolgt bei Planabstimmungen eine Gruppenabstimmung (§ 243 InsO). Die Gruppenbildung hat Auswirkungen im gestaltenden Teil des Insolvenzplans. Der Gesetzgeber sieht nach § 222 InsO nur die Gruppe der Insolvenzgläubiger zwingend für die Abstimmung über den Insolvenzplan vor. Für die Arbeitnehmer soll grundsätzlich eine Gruppe gebildet werden (§ 222 Abs. 3 Satz 1 InsO). Dies gilt auch für die absonderungsberechtigten Gläubiger, wenn in ihre Rechte eingegriffen wird. Die absonderungsberechtigten Gläubiger haben zu beachten, dass sie hinsichtlich der besicherten Forderung als Insolvenzgläubiger von den Regelungen des Insolvenzplans betroffen sein können.10) Die Praxis thematisiert dies in der Regel nicht und geht davon aus, dass ein Forderungsverzicht keine Auswirkung auf die abgesonderte Befriedigung hat. Als planbetroffener Gläubiger sollte diese jedoch kritisch hinterfragt werden und ggf. im Plan ein konkretisiert eingefordert werden. Der Plan kann auch weitere Gruppen vorgeben. Dabei ist zu beachten, dass Gläubiger mit unterschiedlicher Rechtsstellung in verschiedene Gruppen einzuteilen sind. Sind Gläubiger mit gleichen Rechten vorhanden, können unterschiedliche Gruppen dann gebildet werden, wenn unterschiedliche wirtschaftliche Interessen gegeben sind.11) Werden fakultative Gruppen gebildet, ist darzustellen nach welchen gleichartigen insolvenzbezogenen wirtschaftlichen Interessen die Gruppenbildung durchgeführt wurde und nach welchen

___________ 8) Flöther/Wehner in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 220 Rz. 3; Linkert in: Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 8 Rz. 44; IDW Standard, Anforderungen an Insolvenzpläne (IDW S 2), Stand: 18.11.2019, IDW Life 1/2020, S. 45. 9) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 220 Rz. 2. 10) Zu der Haftungsbefreiung nach § 227 InsO auch hinsichtlich der mit Absonderungsrechten besicherten Insolvenzforderungen Geweitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsR, § 227 InsO Rz. 3. 11) Gogger/Fuhst, Insolvenzgläubiger-Hdb., § 2 Rz. 494.

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§ 21

2. Teil Insolvenzplan – Inhalt

Kriterien die Beteiligten diesen Gruppen zugeordnet wurden.12) Einzelheiten zur Gruppenbildung siehe unten Haneke, HRI II, § 24. 14 Werden im Insolvenzplan Kapitalmaßnahmen geregelt, haben die Anteilsinhaber i. R. des Insolvenzverfahrens mitzuentscheiden. Sie werden als eigene Abstimmungsgruppe in das Verfahren über den Insolvenzplan einbezogen. Zur Abwehr von Störerstrategien gilt auch für sie ein Obstruktionsverbot. Sollten Anteilsinhaber überstimmt werden, greift ein Minderheitenschutz. Wegen Einzelheiten siehe unten Becker, HRI II, § 36 und Burmeister/Tasma, HRI II, § 38. 15 Für Insolvenzverfahren die nach dem 1.1.2021 beantragt wurden hat der Gesetzgeber den Insolvenzplan dahingehend eröffnet, dass auch gruppeninterne Drittsicherheiten einer Planregelung unterworfen werden können (§ 223a InsO).13) Umfasst sind sowohl Bürgschaften, Mitverpflichtungen oder Realsicherheiten. Voraussetzung für die Einbindung dieser Drittsicherheiten ist jedoch, dass der Sicherungsgeber derselben Unternehmensgruppe angehört, wie der Schuldner. Sieht der Insolvenzplan einen solchen Eingriff vor, ist eine eigene Gruppe für die betroffenen Gläubiger zu bilden. 16 Im darstellenden Teil sind die gebildeten Gruppen aufzuzeigen. Die Abgrenzungskriterien sind so zu benennen, dass das Insolvenzgericht und jeder Beteiligte die Gruppenbildung nachvollziehen kann. Bei der Gruppenbildung hat der Planersteller einen weiten Gestaltungsspielraum. Die Grenzen sind dort zu ziehen, wo offensichtlich manipulativ auf die Gruppenbildung Einfluss genommen wird, um gezielt Abstimmungsergebnisse zu erhalten (siehe Haneke, HRI II, § 24 Rz. 7, 20, 78, 82 sowie Stahlschmidt, HRI II, § 30 Rz. 55). IV.

Befriedigungsaussicht und Berechnung der Quote bei der Regelabwicklung ohne Insolvenzplan

1.

Befriedigungsaussicht der Beteiligten

17 Der Gesetzgeber legt fest, dass durch das Insolvenzplanverfahren kein Beteiligter schlechtergestellt werden soll als ohne den Plan. Gleichzeitig soll schädliches Verhalten des Schuldners oder eines Gläubigers, das die Durchführung des Plans verzögern oder verhindern könnte, ausgeschlossen werden. Aufgrund dessen kann das Insolvenzgericht eine fehlende Zustimmung einer Gläubigergruppe durch Beschluss ersetzen (§ 245 InsO) bzw. den Widerspruch des Schuldners (§ 247 InsO) oder eines Gläubigers (§ 251 InsO) zurückweisen. Voraussetzung für den Beschluss ist jedoch, dass der Betroffene durch den Plan nicht schlechtergestellt wird, als er ohne einen Plan stünde.14) 18 Der darstellende Teil muss daher eine Vergleichsrechnung beinhalten.15) In der Vergleichsrechnung wird das Insolvenzplanszenario mindestens einem Alternativszenario (auch Vergleichsszenario teilweise genannt) gegenübergestellt. Für nach dem 1.1.2021 beantragte Verfahren ist zu beachten, dass bei der Vergleichsrechnung nur noch dann die Liquidation als Alternativszenario herangezogen werden kann, wenn der (Teil-)Verkauf des Unternehmens oder die Fortführung des Unternehmens außerhalb des Insolvenzplans aussichtslos16) ist (§ 220 Abs. 2 Satz 3 InsO n. F.). Sofern der Planersteller (ausschließlich) auf die Liquida___________ 12) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346, dazu EWiR 2015, 483 (Spliedt). 13) Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256. 14) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 220 Rz. 4. 15) Bis zur Einführung des § 220 Abs. 2 Satz 3 InsO war dies gesetzlich nicht gefordert; ungeachtet dessen war allg. anerkannt, dass die Vergleichsrechnung ein notwendiger Bestandteil des darstellenden Teils ist. 16) Zum Begriff und der Abgrenzung zur hinreichenden Wahrscheinlichkeit i. S. von § 251 InsO vgl. ausführlich Skauradszun, ZIP 2021, 1091 ff.

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Geiwitz/v. Danckelmann

Darstellender Teil des Insolvenzplans

§ 21

tion als Alternative abstellt hat er im darstellenden Teil fundiert zu begründen, warum die (Teil-)Veräußerung oder die Fortführung ausgeschlossen ist.17) Im Rahmen des § 220 Abs. 2 Satz 3 InsO hat der Planersteller somit noch nicht eine Darlegungslast die er ggf. durch Beweis zu untermauern hat. Nachdem die Vergleichsrechnung aber auch eine wesentliche Grundlage für eine Entscheidung des Gerichts nach §§ 245 Abs. 1 Nr. 1, 247 Abs. 2 Nr. 1, 251 Abs. 1 Nr. 2 und 253 Abs. 3 Nr. 3 InsO ist,18) hat sie spätestens i. R. dieser gerichtlichen Entscheidung besondere verfahrensleitende Bedeutung. Sofern das einzige Alternativszenario die Liquidation darstellt sollte der Planersteller folglich seine Annahmen durch z. B. Stellungnahmen sachkundiger Dritter untermauern (zu der Vergleichsrechnung im Einzelnen siehe J. Schmidt, HRI II, § 29). Der Planverfasser hat bei der Erstellung der Vergleichsrechnung zu berücksichtigen, dass je 19 nach dem gewählten Szenario unterschiedliche wirtschaftliche Ergebnis des Insolvenzverfahrens ersichtlich sein müssen.19) Die getroffenen Annahmen sind zu benennen und zu erläutern, sodass jeder verständige objektive Leser des Insolvenzplans die getroffenen Prämissen nachvollziehen kann, ohne Kenner der Materie zu sein. 2.

Berechnung der Quoten bei Regelabwicklung

2.1

Insolvenzgläubiger

Bei der Berechnung der Quote bei Regelabwicklung sind die Grundsätze anzuwenden, die 20 bei der Erstellung des Schlussverzeichnisses im Fall der Regelabwicklung gelten. Hierzu ist die fiktive Verteilungsmasse zu ermitteln. Sie ergibt sich nach Abzug der Masseverbindlichkeiten und der Absonderungsrechte sowie der ausgeübten Aufrechnungsbefugnisse. Zur Ermittlung der möglichen Quote im Regelverfahren ist zunächst auf einen fiktiven Zeitpunkt abzustellen, zu dem im Fall der Regelabwicklung mit der Beendigung des Insolvenzverfahrens gerechnet wird. Um diesen Zeitpunkt zu ermitteln, hat der Planersteller schlüssig vorzutragen, wann die Verwertung des schuldnerischen Vermögens voraussichtlich abgeschlossen sein wird. Nach Ermittlung des voraussichtlichen Zeitpunkts des Verfahrensabschlusses im Fall der Re- 21 gelabwicklung sind die zu diesem Zeitpunkt erwarteten liquiden Mittel zu berechnen. Diese bestehen aus den aktuellen Bankguthaben sowie aus den durch die Verwertung erwarteten weiteren Einnahmen und sind um mögliche Absonderungsansprüche zu bereinigen. Von der ermittelten Insolvenzmasse zum Abschluss des Insolvenzverfahrens sind die er- 22 warteten Massekosten und sonstigen Masseverbindlichkeiten abzuziehen. Die Massekosten – und hier insbesondere die Vergütung des Verwalters und der Gläubigerausschussmitglieder – sind unter Berücksichtigung der InsVV durch den Planersteller zu ermitteln. Die bereits begründeten und noch nicht erfüllten Masseverbindlichkeiten sind mit ihrem Nominalwert anzusetzen. Die noch zu erwartenden Masseverbindlichkeiten sind fiktiv zu berechnen. Um die fiktive Teilungsmasse im Fall der Regelabwicklung zu ermitteln, bedient man sich 23 regelmäßig einer Planungsrechnung, die die verschiedenen Szenarien (übertragende Sanierung außerhalb des Planverfahrens, Ausproduktion etc.) nach ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit berücksichtigen. Für die nach dem 1.1.2021 beantragten Insolvenzverfahren ist dabei zu beachten, dass bei einer Unternehmensfortführung im Insolvenzplanverfahren ein Liquidationsszenario nur noch dann als Vergleichsszenario herangezogen werden kann, ___________ 17) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 113. 18) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 113. 19) Thies in: HambKomm-InsO, § 220 Rz. 7; Eilenberger in: MünchKomm-InsO, § 220 Rz. 4.

Geiwitz/v. Danckelmann

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§ 21

2. Teil Insolvenzplan – Inhalt

wenn der (Teil-)Verkauf oder die Unternehmensfortführung aussichtslos ist (siehe oben Rz. 18). 24 Ist die erwartete Verteilungsmasse ermittelt, wird diese ins Verhältnis zu den erwarteten anerkannten Insolvenzforderungen gesetzt. Der dadurch ermittelte Prozentsatz stellt die fiktive Insolvenzquote der Beteiligten dar. 2.2

Überschusszahlungen an die Gesellschafter

25 Neben der Quotenberechnung für die Insolvenzgläubiger ist auch eine Berechnung hinsichtlich des Werts der Gesellschaftsanteile im Fall der Regelabwicklung zu erstellen. Insbesondere wenn der Insolvenzplan eine Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital vorsieht, muss der darstellende Teil entsprechende Berechnungen beinhalten. Dies wird im Fall der Regelabwicklung jedoch eine vergleichsweise einfache Berechnung sein. Die Gesellschaftsanteile sind meist als wertlos einzustufen, da Zahlungen auf die Gesellschaftsanteile nach § 199 InsO bei der Regelabwicklung eher die Ausnahme darstellen werden. 2.3

Zahlungen bei Planbestätigung

2.3.1 Insolvenzgläubiger 26 Die Berechnung der Quote bei Planbestätigung stellt eine wesentliche Berechnung des Planverfahrens dar. Es ist dabei zu unterscheiden, ob nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens aus den laufenden Einnahmen Zahlungen an die Insolvenzgläubiger erfolgen sollen oder ob vor Beendigung des Insolvenzverfahrens die Insolvenzgläubiger eine Einmalzahlung erhalten sollen. Sollen die Insolvenzgläubiger nach Aufhebung des Verfahrens Zahlungen erhalten, basiert die Berechnung auf dem Sanierungskonzept und der dortigen Vermögenslage nach Wirksamkeit des Plans. 2.3.2 Gesellschafter 27 Bei der Wertermittlung der Gesellschaftsanteile nach Bestätigung des Insolvenzplans sind entsprechende, im Plan festgelegte Kapitalmaßnahmen zu berücksichtigen. Werden Anteilsrechte in einen Insolvenzplan einbezogen, so muss im Falle ihrer Einziehung eine finanzielle Kompensation vorgesehen werden, jedoch nur dann, wenn die Anteile noch werthaltig sind. Hierfür hat der Plan nach § 251 Abs. 3 InsO ggf. die erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen. Allerdings ist im Insolvenzverfahren regelmäßig von einer Wertlosigkeit der Anteile auszugehen.20) V.

Umgestaltungskonzept

1.

Unternehmensdaten

28 Im darstellenden Teil sind die wesentlichen Unternehmensdaten zu nennen. Den Beteiligten soll dadurch die Möglichkeit gegeben werden, sich mit dem schuldnerischen Unternehmen vertraut zu machen. 1.1

Organisatorische und rechtliche Verhältnisse

29 Ausgangspunkt für das Verständnis der Beteiligten ist eine Beschreibung der organisatorischen und rechtlichen Verhältnisse des Unternehmens. 30 Zunächst sollten Ausführungen zu den wesentlichen Entwicklungsstufen der Schuldnerin seit ihrer Gründung gemacht werden. Darauf aufbauend wird die Organisationsstruk___________ 20) Begr. RegE InsO, BR-Drucks. 127/11, S. 45.

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Darstellender Teil des Insolvenzplans

§ 21

tur der Schuldnerin dargestellt. Dazu gehört u. a. die Beschreibung der verschiedenen Unternehmensstandorte und der dort betriebenen Geschäftsaktivitäten. Handelt es sich um eine Konzerninsolvenz, sind die bestehenden Beteiligungsverhältnisse 31 mit den anderen Konzerngesellschaften zu benennen. Gleichzeitig sind die rechtlichen und wirtschaftlichen Verknüpfungen sowie die gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnisse aufzuzeigen. Diese können in Form von Beherrschungs- und Ergebnisabführungsverträgen, Cash-Poolverträgen, Haftungsverhältnissen oder anderweitigen konzerninternen Vertragsverhältnissen bestehen. Weitergehend sollten die wesentlichen Aspekte des Geschäftsumfelds erläutert werden. 32 Hierunter können Ausführungen zu den Beschaffungs- und Absatzmärkten, zu Produktsortimenten, zu Produktionsabläufen, Vertriebskanälen oder anderen wesentlichen unternehmensspezifischen Daten erfolgen. Die Darstellung der gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse umfasst im Wesentlichen die 33 historische Entwicklung des Unternehmens, der Kapitalverhältnisse, der Gesellschafterstruktur und der Unternehmensführung. Die benötigten Daten werden überwiegend den Handelsregisterakten, den vorgelegten Jahresabschlüssen und den durch Sanierungsberater oder M&A Gesellschaften erstellten „factbooks“ entnommen. Befinden sich weitere Konzerngesellschaften in einem Insolvenzverfahren, sind die ein- 34 zelnen Verfahrensstadien zu schildern und die geplante Abwicklung, insbesondere auch deren Auswirkung auf das Planverfahren der Schuldnerin. Dabei ist zu beachten, dass das deutsche Insolvenzrecht keine Konzerninsolvenz kennt. Die daraus resultierende Folge besteht darin, dass jede einzelne Konzerngesellschaft isoliert behandelt werden muss. Im Plan sind daher die Auswirkungen zu schildern. 1.2

Aktuelle Arbeitnehmersituation

Die Arbeitnehmer sind von einer Insolvenz und einem Insolvenzplanverfahren regelmäßig 35 am unmittelbarsten betroffen. Neben dem drohenden Verlust des Arbeitsplatzes haben sie auch finanzielle Einschnitte hinzunehmen (z. B. Verzicht auf Gratifikationen, Arbeitszeiterhöhung etc.). Im darstellenden Teil ist daher ein besonderes Augenmerk auf die Mitarbeiter zu legen. Zunächst ist der Ist-Zustand zu benennen, gegliedert nach Anzahl und Altersstruktur des 36 Managements und der Mitarbeiter. Beim Management sollten die Zuständigkeiten und die Bindung an das schuldnerische Unternehmen aufgezeigt werden. Bestehen Sonderzahlungsvereinbarungen, sind diese in der Regel offenzulegen. Sind Verfehlungen in der Vergangenheit erkennbar, sollten diese dargestellt werden. Bei der Darstellung der Mitarbeiterstruktur empfiehlt es sich, nach Angestellten, Arbeit- 37 nehmern und Auszubildenden zu unterscheiden. Es sollte eine Aufteilung nach den einzelnen Zweigniederlassungen, Betriebsstätten und Fertigungsbereichen erfolgen. Sofern Arbeitnehmervertretungen (z. B. Betriebsrat, Gesamtbetriebsrat etc.), Tarifvertragsbindungen oder sonstige arbeitnehmerspezifische Sachverhalte bestehen, sind diese aufzuzeigen. Besteht eine betriebliche Altersversorgung, sind die Anzahl der betroffenen Mitarbeiter, der Umfang der finanziellen Verpflichtung, die Beitragspflicht und die Auswirkung auf den Pensionssicherungsverein (PSVaG) zu benennen. Hat eine Insolvenzgeldvorfinanzierung stattgefunden, sollte dies unter Nennung des fi- 38 nanzierenden Kreditinstituts und der Summe der Gesamtvorfinanzierung erfolgen. Auch sind Sonderzahlungen über die Bemessungsgrundlage ggf. abzugeben. Werden im Zusammenhang mit der Sanierung Personalanpassungen vorgenommen, sind 39 diese zu erläutern. Vereinbarte Sozialpläne und Interessensausgleiche sind zu erwähnen, Geiwitz/v. Danckelmann

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§ 21

2. Teil Insolvenzplan – Inhalt

deren wirtschaftliches Ergebnis und Auswirkung sowie deren Zustandekommen. Die verwendeten Auswahlkriterien können im Einzelfall offengelegt werden. Als Plananlage sind die Sozialpläne und Interessensausgleiche grundsätzlich nicht anzufügen. Sie haben in der Regel keine Erkenntnismehrwert für die Planbetroffenen. Sofern im Ausnahmefall diese dennoch als Plananlage herangezogen werden soll, sind diese zu anonymisieren. Sie beinhalten personenbezogene Daten und dürfen daher nicht ohne die Zustimmung der Betroffenen nach außen gegeben werden. 40 Werden Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften eingesetzt, sind entsprechende Ausführungen zu machen. Es sind die Dauer der Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen sowie die gegenwärtige und zukünftige finanzielle Belastung der Schuldnerin darzustellen. Zur Wahrung der Transparenz ist aufzuzeigen, wer Gesellschafter der Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften ist und welche Leistungen von der Bundesagentur für Arbeit übernommen werden. 1.3

Wirtschaftliche Verhältnisse

1.3.1 Ertragslage 41 Eine detaillierte Analyse aller Ertrags- und Aufwandspositionen über die vergangenen Jahre ist nicht gefordert. Vielmehr sind die wesentlichen Ursachen für die Negativentwicklung des Schuldnerunternehmens zu beschreiben und festzustellen, inwieweit diese Ursachen aktuell noch bestehen oder bereits beseitigt wurden. Die zwischenzeitliche Beseitigung von Krisenursachen kann sich dadurch ergeben, dass die Geschäftsführung bereits vor Insolvenz bestimmte Sanierungsmaßnahmen umgesetzt hat. Beispiele hierfür sind Verkäufe nicht betriebsnotwendigen Vermögens oder eingeleitete Kosten- und Standortoptimierungen. 1.3.2 Vermögens- und Finanzlage 42 Bei der Darstellung der Vermögenslage wird eine zeitnah erstellte Bilanz der Schuldnerin zugrunde gelegt. Sofern es sich um ein Konzernunternehmen handelt, ist die Bilanzdarstellung der Schuldnerin um die Vermögenswerte und Schuldpositionen der Tochterunternehmen ggf. zu ergänzen. Den Buchwerten der Vermögenspositionen werden sinnvollerweise die Fortführungs- und Zerschlagungswerte gegenübergestellt. Die Zeitwerte im Fortführungs- oder Liquidationsfall werden aus Sachverständigengutachten abgeleitet oder vom Insolvenzplanersteller in Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung und den Beratern des Schuldners bestmöglich geschätzt. Sie dienen den Gläubigergruppen bei der Abschätzung der finanziellen Konsequenzen aus einer Fortführung einerseits und einer Zerschlagung des Schuldnerunternehmens andererseits. 43 Die Erläuterung der Verbindlichkeiten wird grundsätzlich nach Gläubigergruppen getrennt vorgenommen. Bei den Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten ist z. B. eine Darstellung der bestehenden Kreditlinien und deren aktuelle Inanspruchnahme bei den jeweiligen Finanzinstituten sinnvoll. Sofern die Finanzierung durch ein Bankenkonsortium erfolgt, werden die Anteile der beteiligten Banken am Konsortium sowie Inhalt und Ausgestaltung des Sicherheitenpools näher erläutert. In diesem Zusammenhang spielt auch die Darstellung bestehender Konkurrenzverhältnisse von Kreditsicherheiten zwischen verschiedenen Gläubigergruppen eine wichtige Rolle. Im Insolvenzplan ist darzulegen, welchen Sanierungsbeitrag die Gläubigergruppen erbringen sollen. Der Sanierungsbeitrag kann neben einem teilweisen Forderungs- oder Sicherheitenverzicht auch in der NichtGeltendmachung von Absonderungsrechten bestehen, da andernfalls die Fortführung des Schuldnerunternehmens gefährdet sein könnte.

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Darstellender Teil des Insolvenzplans

§ 21

Neben Kreditinstituten sind oftmals Leasinggesellschaften und Factoringunternehmen 44 weitere, wichtige Finanzierungspartner des Schuldners. Hier gilt es, bestehende Tilgungspläne sowie erforderliche Factoringvolumen unter Berücksichtigung der geänderten Rahmenbedingungen und der Sicherheitensituation so zu definieren, dass eine Fortführung des Schuldnerunternehmens ermöglicht wird. Auch hier sind die erforderlichen Sanierungsbeiträge der einzelnen Gläubigergruppen zu definieren. Die Neustrukturierung der Kreditverhältnisse (inkl. Sicherheiten und Haftungsverhältnisse) ist regelmäßig ein zentraler Bestandteil für die bilanzielle und finanzwirtschaftliche Sanierung des Schuldners. Eine weitere, wichtige Gläubigergruppe sind regelmäßig die Lieferanten des Schuldners. 45 In Abhängigkeit der Bedeutung und Größenordnung der Lieferanten kann eine Gruppenbildung auch hier sinnvoll sein. Konkurrenzverhältnisse hinsichtlich der gewährten Sicherheiten zwischen verschiedenen 46 Gläubigergruppen (verlängerter Eigentumsvorbehalt vs. Globalzession) sind darzustellen. 2.

Insolvenzursache

Ist die Sanierung des Unternehmens durch ein Insolvenzplanverfahren beabsichtigt, sind 47 die Lage des Unternehmens und die Ursachen seiner Insolvenz zu ermitteln. Zur effektiven Analyse der Ursachen sollte auf interdisziplinäre Teams zurückgegriffen werden. In Anlehnung an die im Sanierungsbereich festgelegten Krisenursachen wird bei der Insolvenzursachenermittlung unter endogenen und exogenen Ursachen unterschieden. Endogene Ursachen sind solche, die in dem jeweiligen Unternehmen selbst entstanden 48 sind oder von Anfang an vorhanden waren. Sie können regelmäßig als Insolvenzursache ausgemacht werden.21) Es zeigt sich, dass der zwischenbetriebliche Bereich einschließlich der Beschaffung und Verwaltung regelmäßig nicht ausschlaggebend ist. Dagegen wird dem Bereich der Finanzierung und des Absatzes sowie der Unternehmensführung eine große Rolle zugeschrieben. Auch kann die Insolvenzursache in der Wahl des falschen Produktionsstandorts, der Produktpalette sowie in der zu geringen Ausstattung mit Eigenkapital oder dem Mangel an Fachkenntnissen liegen. Fehler in der Unternehmensführung wirken sich häufig auch auf die interne Organisationsstruktur des Unternehmens aus (z. B. Vernachlässigung des Rechnungswesens oder das Fehlen von Frühwarnsystemen).22) Unter exogenen Insolvenzursachen sind von außen her einwirkende Einflüsse zu verste- 49 hen. Sie können vom Unternehmen nicht unmittelbar beeinflusst werden. Es kann lediglich – i. R. des Möglichen – reagiert werden. Die klassischen exogenen Ursachen sind Veränderung des Kaufverhaltens der Endkunden, eine hohes Zinsniveau, sinkende Kaufkraft, Wechselkursveränderung, bei der Preiskalkulation nicht berücksichtigte Forderungsausfälle durch eigene Schlechtleistung und Zahlungsverzug der Kunden, Streiks der Arbeitnehmer, Unterbrechung der Versorgung mit Rohstoffen durch Streiks in anderen Betrieben oder im Transportgewerbe.23) Auch zählen staatliche und überstaatliche Strukturkrisen, eine Pandemie, konjunkturelle Veränderungen, Belastungen aus dem Bereich der Tarif- und der Sozialpolitik, die Rahmenbedingungen in der Form von Genehmigungs- und Zulassungsverfahren, Umweltschutzauflagen sowie allgemein die Steuer- und Abgabenbelastung zu den exogenen Krisen.24) ___________ 21) Steffan in: Oppenländer/Trölitzsch, GmbH-Geschäftsführung, 2. Aufl., 2011, § 37 Rz. 24. 22) Holzer, NZI 2005, 308, 310. 23) Holzer, NZI 2005, 308, 310; Steffan in: Oppenländer/Trölitzsch, GmbH-Geschäftsführung, 2. Aufl., 2011, § 37 Rz. 35 f. 24) Geiwitz in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 29 Rz. 22.

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§ 21 3.

2. Teil Insolvenzplan – Inhalt Sanierungsmaßnahmen

50 Im darstellenden Teil des Insolvenzplans ist zu beschreiben, welche Maßnahmen nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens getroffen worden sind und in der Folge noch ergriffen werden müssen, um den angestrebten Plan, eine Sanierung, Übertragung oder geordnete Abwicklung des Insolvenzschuldners erfolgreich durchführen zu können. Die nachfolgenden Ausführungen sollten alle wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen enthalten, die für die Entscheidung der Gläubiger über die Zustimmung zum Insolvenzplan erheblich sind. Im Folgenden beschränken sich die Ausführungen auf Maßnahmen zur Sanierung eines Insolvenzschuldners und seiner Sanierungsfähigkeit. 51 Grundlage jeder nachvollziehbaren, schlüssigen Darstellung der Sanierungsfähigkeit eines Unternehmens ist die Erarbeitung eines Sanierungskonzepts. Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) hat in der aktuellen Fassung seines Standards “Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten“ (IDW S 6) in der Praxis allgemein anerkannte Richtlinien für die Erstellung von Sanierungskonzepten festgelegt.25) 52 In einem Sanierungskonzept werden, basierend auf einer Analyse von Krisenstadium und -ursachen, ein Leitbild mit dem Geschäftsmodell des sanierten Unternehmens entwickelt und die zur Erreichung des Leitbilds erforderlichen Maßnahmen beschrieben und quantifiziert. Auf dieser Grundlage wird eine integrierte Unternehmensplanung, bestehend aus Ergebnis-, Finanz- und Vermögensplan, erstellt. Dies ist Voraussetzung dafür, eine qualifizierte Aussage über die Fortführungsfähigkeit des Schuldnerunternehmens treffen zu können.26) 53 Die Sanierungsmaßnahmen lassen sich grundsätzlich in organisatorische, leistungswirtschaftliche und finanzwirtschaftliche Maßnahmen unterscheiden. 3.1

Organisatorische Maßnahmen

54 Oberstes Ziel einer Organisation ist neben der Erzielung von Einnahmen die Effizienz und die damit verbundene Kostenersparnis. Sie bildet mit der vom Markt geforderten Qualität und der dafür notwendigen Produktionszeit ein Spannungsdreieck, in dem nicht alle Ziele gleichwertig erreicht werden können. Dieses Dreieck gilt es bei einem in Schieflage geratenen Unternehmen schnellstmöglich so auszurichten, dass die geforderte Qualität bedient werden kann, bei gleichzeitiger Reduzierung der Kosten. 55 Ansatzpunkte für grundsätzliche Sanierungsmaßnahmen im organisatorischen Bereich liegen hierbei in der Unternehmensorganisation, d. h. im Aufbau und im Ablauf und damit in der Effizienz und Flexibilität einer Organisation als Ganzes. Im Ergebnis sind auf dieser Ebene Portfoliozusammensetzung, Kerngeschäft, Kernfähigkeiten oder auch Alleinstellungsmerkmale sowie angestrebte Marktpositionen und Wettbewerbsvorteile strategiekonform zu definieren. Über den Markterfolg und damit die Wettbewerbsfähigkeit entscheidet allerdings letztlich immer die Sicht des Kunden.27) 3.1.1 Maßnahmen in der Aufbauorganisation 56 Bei der Aufbauorganisation lässt sich zwischen funktionaler und divisionaler Aufbauorganisation differenzieren. Im Fall der funktionalen Organisation sind die Abteilungen ___________ 25) IDW Standard, Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten (IDW S 6), Stand: 16.5.2018, IDW Life 8/2018, S. 813. 26) IDW Standard, Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten (IDW S 6), Stand: 16.5.2018, IDW Life 8/2018, S. 813. 27) IDW Standard, Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten (IDW S 6), Stand: 16.5.2018, IDW Life 8/2018, S. 813.

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Darstellender Teil des Insolvenzplans

§ 21

auf der obersten Ebene nach Verrichtungen oder Funktionen, d. h. Einkauf, Produktion, Vertrieb, Entwicklung etc. gegliedert. Bei der divisionalen Organisation erfolgt eine Aufteilung auf der obersten Ebene nach Produkten oder Geschäften (Geschäftsbereiche, Divisionen, Sparten). Die einzelnen Bereiche haben dabei ihre eigenen funktionalen Abteilungen, die durch Zentralabteilungen wie Controlling, Service, Public Relations etc. ergänzt werden. Der divisionalen Organisation wird eine höhere Markteffizienz, Prozesseffizienz sowie eine höhere Motivation bei den Mitarbeitern aufgrund der größeren Eigenständigkeit der einzelnen Geschäftsbereiche unterstellt. Dagegen wird bei der divisionalen Organisation allein aufgrund der höheren Anzahl an Abteilungen eine weniger optimale Ressourceneffizienz gesehen. Im Rahmen von Sofortmaßnahmen zur Beseitigung der finanziellen Schwierigkeiten 57 kann es notwendig sein, insbesondere bei einer divisionalen Organisation, zu analysieren, wo Synergieeffekte erzielt werden können. Essentiell ist in diesem Stadium ein schnelles Reagieren, z. B. in Gestalt einer beschleunigten Rechnungsstellung bzw. einer allgemeinen Kontaktaufnahme mit Lieferanten und Kunden. Für ein effektives Handeln kann es sinnvoll sein, weniger effiziente Abteilungen intern oder extern zu unterstützen oder unter eine einheitliche Leitung zu stellen. Mittelfristig kann i. R. der Abtrennung von defizitären Geschäftsbereichen eine Still- oder 58 Zusammenlegung von Abteilungen bzw. der Übergang zu einer funktionalen Organisation notwendig werden, um dadurch v. a. die erfolgsträchtigen Kernbereiche mit effizienten Abteilungen auszustatten. Auch ein Gesundschrumpfen i. Satz einer Bündelung von personellen und fachlichen Kompetenzen in den betreffenden Funktionsbereichen kann einen wesentlichen Beitrag für einen effizienten Neuaufbau einer Unternehmensorganisation leisten. 3.1.2 Maßnahmen in der Ablauforganisation Grundsätzlich geht es hierbei unabhängig davon, ob es sich um ein Produktions-, Han- 59 dels- oder Dienstleistungsunternehmen handelt, um die Effizienzsteigerung bei der Auftragsabwicklung, d. h. die Optimierung des Durchlaufs und evtl. auch daran anknüpfender Serviceleistungen, unter gleichzeitiger Einhaltung von geforderten Qualitätsstandards. Maßnahmen, die zur Optimierung beitragen sollen, müssen an der Reihenfolge als auch der Koordination mehrerer (Arbeits-)Abläufe in ihrer zeitlichen und räumlichen Anordnung ansetzen. Ein weiterer Ansatzpunkt ist die Leistungsabstimmung, d. h. Leistungen einzelner Ar- 60 beitsträger müssen zeitlich und mengenmäßig synchronisiert werden. Auf der obersten Ebene gilt es hierbei, die Schnittstellen zwischen den einzelnen Funktionsbereichen, d. h. z. B. zwischen Einkauf, Produktion und Verkauf richtig einzustellen. Hierbei spielen ITSysteme allgemein und im Bereich des Rechnungswesens, z. B. ERP-Systeme, heute eine entscheidende Rolle. Tiefergehend gilt es, die Prozesse innerhalb der einzelnen Funktionen zu optimieren. Konkrete Maßnahmen können hier von der Anordnung eines Maschinenparks, der Ver- 61 kürzung von Umrüstzeiten von Maschinen über den flexiblen Einsatz von Leiharbeitskräften bis hin zur Abarbeitung von Kundenreklamationen reichen. 3.2

Leistungswirtschaftliche Maßnahmen

Leistungswirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen setzen an den Funktionen des Schuld- 62 nerunternehmens und deren Prozessabläufen entlang der operativen Wertschöpfungskette an. Die Funktionsbereiche wie Forschung und Entwicklung, Einkauf und Beschaffung,

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§ 21

2. Teil Insolvenzplan – Inhalt

Produktion und Logistik, Vertrieb und Marketing sowie Finanzen und Controlling, Personalwirtschaft und IT können um Kategorien wie Standort und Management erweitert werden. 63 Die nachhaltige operative Sanierung eines Unternehmens beschränkt sich in der Regel nicht primär auf die Restrukturierung der Passivseite und ist eine komplexe Aufgabe, die alle Unternehmensaktivitäten und -funktionen einbeziehen muss.28) Bei der Planung und Umsetzung leistungswirtschaftlicher Sanierungsmaßnahmen ist darauf zu achten, dass diese mit dem Sanierungskonzept und dem Leitbild des sanierten Unternehmens inhaltlich abgestimmt sind.29) Zielsetzung ist die Herbeiführung des Turnarounds. 64 Die grundsätzlichen Stellschrauben zur Überwindung der Erfolgskrise sind in der Steigerung der Umsatzerlöse und/oder der Verbesserung der Kostenstruktur zu sehen. Die Gewichtung fällt dabei abhängig vom betreffenden Funktionsbereich unterschiedlich aus. Nachfolgend werden exemplarische Maßnahmen innerhalb der grundsätzlichen Funktionsbereiche eines Unternehmens beschrieben. 3.2.1 Verwaltung 65 Im Bereich der Verwaltung wird die Gewichtung der Maßnahmen in der Regel an einer schlanken Kostenstruktur ausgerichtet sein. Weniger verwaltungskopflastige Organisationen ermöglichen daneben ein schnelleres Durch- und Umsetzen von Maßnahmen und schaffen Handlungsspielräume. Neben der Erhaltung der für den operativen Betrieb notwendigen Verwaltungseinrichtungen können insbesondere auch in diesem Bereich Kosteneinsparungen durch Outsourcing z. B. an Shared Service Center realisiert werden. Konkret kann hierbei an die Vergabe der Lohnbuchhaltung, des Bilanz-, Finanz- und Rechnungswesens, des Kreditoren- und Debitorenmanagements oder auch an die Einrichtung eines externen Helpdesks oder der Serveradministration und -wartung im Bereich der IT gedacht werden. Dabei gilt es abzuwägen, inwieweit betriebsinternes Know-how, verbunden mit dem Risiko eines Qualitätsverlusts, nach außen vergeben werden soll und wie die Kontrolle und der Zugriff auf den betreffenden Dienstleister ausgestaltet werden kann. 3.2.2 Produktion 66 Zielsetzung ist eine Fertigung, die Produkte zu wettbewerbsfähigen Kosten und Qualitäten hervorbringt.30) Die Gewichtung der Maßnahmen kann hier unterschiedlich auf die Stellschrauben Umsatzerlöse und Kostenstruktur verlagert sein. Neben den kostengetriebenen Fragen wo und wie produziert werden soll, kann hier auch die nicht ausschließlich kosteninduzierte Frage gestellt werden, was künftig produziert werden soll und was nicht mehr. Die moderne Kosten- und Leistungsrechnung stellt hierzu mit dem Target-Costing ein Instrument zur Verfügung, das ausgehend von den durch Marktforschung herausgefilterten Kundenbedürfnissen und dem erzielbaren Preis für ein Produkt die daraus resultierenden Zielkosten definiert. 67 Die Maßnahmen können in diesem Funktionsbereich auch massiv ausfallen, indem z. B. einzelne defizitäre Fertigungsstätten i. R. einer Re- oder Neustrukturierung stillgelegt werden müssen, um dadurch die anderen Unternehmensbereiche zu erhalten. 68 Beispielhafte Maßnahmen zur Verbesserung der Kostenstruktur: 

Reduzierung der Fertigungstiefe;

___________ 28) Werner/Balzer in: Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, 5. Aufl., 2017, S. 129. 29) Peppmeier/Schuppener in: ISU, Mindestanforderungen an Sanierungskonzepte (MaS), S. 101. 30) Peppmeier/Schuppener in: ISU, Mindestanforderungen an Sanierungskonzepte (MaS), S. 102.

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Darstellender Teil des Insolvenzplans      

§ 21

Optimierung der Verbrauchsmengen; Verminderung der Ausschussquote; Senkung der Lager- und Kapitalbindungskosten; Abbau von Leerkosten/Senkung von Stückkosten; Veränderung und Bereinigung der Artikelvielfalt; Stilllegung einzelner Fertigungsstätten.

Beispielhafte Maßnahmen zur Steigerung der Umsatzerlöse:     

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Verbesserung der Wertschöpfungsprozesse; Verbesserung des Liefer- und Leistungsprogramms; Stärkere Fokussierung auf die Kundenbedürfnisse; Ausweitung der Produktion/Erhöhung der Mengen; Verbesserung der Qualität/Steigerung der Preise.

3.2.3 Einkauf Der Einkauf hat im Zusammenspiel mit der Logistik dafür zu sorgen, dass die richtigen 70 Waren/Rohstoffe in der richtigen Menge, zur richtigen Zeit, in der richtigen Qualität, zum günstigsten Preis und am richtigen Ort zur Verfügung stehen.31) Im produzierenden Gewerbe spielen die Materialkosten und damit der Einkauf eine entscheidende Rolle für den Gesamterfolg des Unternehmens. Ein wesentlicher Kernpunkt für die Fortführung des Schuldnerunternehmens ist die Si- 71 cherstellung der Lieferbereitschaft. Dazu kann es erforderlich sein, dass die wichtigsten Lieferanten eine bestimmte Quote ihrer Forderungen sofort abgelöst bekommen und im Gegenzug auf ihre verbleibenden Forderungen verzichten oder diese zumindest längerfristig stunden. Hierdurch wird nicht nur ein unmittelbarer Sanierungsbeitrag für den Schuldner geleistet, sondern es werden auch wieder Spielräume bei den bestehenden Kreditlimits der Lieferanten geschaffen. Die Einbeziehung vorhandener Kreditversicherer in den Insolvenzplan ist in diesem Zusammenhang essentiell. Deren Sanierungsbeitrag kann in einer Aufrechterhaltung der bestehenden Kreditlimits trotz verschlechterter Bonität des Schuldners bestehen, ohne dass hierfür umfangreiche zusätzliche Sicherheiten oder Bürgschaften bereitgestellt werden müssen. Weitere Sanierungsmaßnahmen in diesem Bereich werden v. a. darauf gerichtet sein, die 72 Materialaufwandsquote bei gleichzeitiger Sicherstellung eines geforderten Qualitätsstandards zu senken bzw. auf konstantem Niveau zu halten.32) In der heutigen Praxis gängige Maßnahmen in diesem Funktionsbereich sind u. a. die fol- 73 genden: 

Senkung der Bezugspreise;



Volumenbündelung und Reduktion der Anzahl an Lieferanten;



Erhöhung des Beschaffungsvolumens aus Niedriglohnländern;



Einsatz günstigerer Substitutionsmaterialien;



Outsourcing.

___________ 31) Peppmeier/Schuppener in: ISU, Mindestanforderungen an Sanierungskonzepte (MaS), S. 102. 32) Werner/Balzer in: Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, 5. Aufl., 2017, S. 132.

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§ 21

2. Teil Insolvenzplan – Inhalt

74 Eine Senkung der Bezugspreise ist z. B. durch das Aufsetzen von Rahmenverträgen denkbar. Zur Stärkung der Einkaufsmacht werden häufig auch Kooperationen in Form von Einkaufsverbänden oder –genossenschaften eingegangen. 75 Durch die Bündelung von Einkaufsvolumina können Skaleneffekte beim Lieferanten geschaffen werden (bessere Maschinen- und Betriebsmittelauslastung, bessere Einkaufspreise etc.), wodurch wiederum selbst günstigere Preise erzielt werden können. Die Kehrseite ist, dass der Grad der Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten steigt. 3.2.4 Vertrieb 76 Der Bereich Vertrieb im Zusammenspiel mit dem Marketing ist in der Sanierung von zentraler Bedeutung, da keine Sanierung ohne eine Stärkung der Kunden- und Marktorientierung und einer Verbesserung des Marktauftritts Erfolg hat.33) Die Zwickmühle in der sich der Vertrieb in der Krise befindet, ist, dass er, möglichst unter Verursachung geringerer Kosten, die Vertriebsleistung und damit den Umsatz steigern soll, wobei das Kundenvertrauen bzw. die -bindung bei Krisenunternehmen bereits häufig gelitten haben. 77 Die Steigerung der Umsätze sollte dabei stets mit Blick auf die bei den Kunden erzielbaren Preise und die erwirtschafteten Deckungsbeiträge erfolgen. Eine in der Praxis, insbesondere bei in der Krise befindlichen Unternehmen, zu beobachtende Umsatzgetriebenheit, in Gestalt eines Annehmens von Aufträgen um jeden Preis, ohne nachhaltiges Wachstum und die spätere Möglichkeit der Durchsetzung von Preiserhöhungen, verschärft die Krise unweigerlich. Ein wichtiger Aspekt hierbei ist neben einem operativen Controlling auch eine entsprechend eingerichtete Kosten- und Leistungsrechnung auf Segment- oder Produktebene. 78 Im Vertriebsbereich können folgende, wesentliche Maßnahmen unterschieden werden:34) 

Verbesserung der Kundenkommunikation und Wiederherstellung des Kundenvertrauens;



Erschließung von Liquiditätspotenzialen;



Verhandlung von Sanierungsbeiträgen seitens der Kunden.

79 Ohne das Mitwirken der Kunden kann eine Sanierung nicht gelingen, weshalb spätestens in der Krise eine proaktive Kommunikation gegenüber den Kunden betrieben werden muss, um Vertrauen und Perspektiven für die weitere Geschäftsgrundlage zu schaffen. 80 Ein wichtiger Beitrag der Kunden zur Sanierung, auf den der Vertrieb durch entsprechende Maßnahmen mit hinwirken muss, ist die Verbesserung der Liquidität, d. h. die Optimierung des Working Capitals, z. B. durch die Verkürzung von Zahlungszielen, die Vereinbarung von Anzahlungen bzw. Vorauskasse, flankiert durch eine beschleunigte Fakturierung und ein konsequentes Mahnwesen. Dadurch wird das Unternehmen unabhängiger von Lieferantenkrediten bzw. kann diese schneller bedienen, was wiederum den Effekt hat, dass die für den operativen Betrieb überlebensnotwendige Lieferbereitschaft und -treue gesichert werden können. Im Optimalfall kann ein Finanzierungseffekt generiert werden, indem die Kundenziele kürzer ausfallen als die auf Lieferantenseite, was aber abhängig von der Geschäftstätigkeit ist und z. B. bei großen Handelsunternehmen der Fall ist. 81 Je größer die kurzfristige Abhängigkeit der einzelnen Kunden von dem Krisenunternehmen, desto höher wird die Bereitschaft sein, einen Sanierungsbeitrag zu leisten. Des Weiteren wird hiervon der Grad des Sanierungsbeitrags abhängen. Liquiditätsverschaffende Maßnahmen, wie die Verkürzung von Zahlungszielen, die Leistung von Anzahlungen oder liquiditätsentlastende Maßnahmen wie Materialbeistellungen oder die Übernahme von Dritt___________ 33) Werner/Balzer in: Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, 5. Aufl., 2017, S. 148. 34) Werner/Balzer in: Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, 5. Aufl., 2017, S. 149.

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Darstellender Teil des Insolvenzplans

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verbindlichkeiten von Lieferanten im Zusammenhang mit erteilten Aufträgen sind quasi kostenneutral für den Kunden. Preiserhöhungen oder der Verzicht auf vereinbarte Rabatte wirken sich beim Kunden allerdings auch ergebniswirksam aus und werden sich daher entsprechend schwieriger durchsetzen lassen. 3.3

Finanzwirtschaftliche Maßnahmen

Finanzwirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen haben in erster Linie die Liquiditätssiche- 82 rung als Grundlage für die Fortführung der Unternehmenstätigkeit zum Ziel. Im Kern geht es hier um die Restrukturierung der Passivseite, um kurz- und mittelfristig Handlungsspielräume für leistungswirtschaftliche Maßnahmen und damit für die nachhaltige Sanierung des Schuldnerunternehmens zu schaffen. Außerhalb eines Insolvenzverfahrens ist das dringlichste Gebot i. R. von Sofortmaßnahmen 83 die Verhinderung der Zahlungsunfähigkeit. Mit Blick auf die Passivseite der Bilanz gilt es also in einem ersten Schritt, die Möglichkeiten einer Eigen- und/oder Fremdfinanzierung zur Liquiditätsbeschaffung auszuloten. In beiden Fällen verbleibt in der Liquiditätskrise nur die Außenfinanzierung als kurzfristige Option, da der Innenfinanzierungsspielraum aus dem operativen Cashflow in der Situation des Schuldnerunternehmens regelmäßig nicht ausreichen wird. In einem zweiten Schritt geht es dann i. R. bilanzieller Maßnahmen um den Abbau einer evtl. bestehenden bilanziellen Überschuldung bzw. an den Aufbau einer für eine nachhaltige Finanzierung geforderten Eigenkapitalquote. Im Insolvenzverfahren ist die Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit ebenfalls eine übergeordnetes Ziel der Unternehmensfortführung. Diese ist auch nach erfolgreicher Umsetzung des Insolvenzplans erforderlich und durch entsprechende Maßnahmen sicherzustellen. 3.3.1 Sanierungseffekte aus dem Insolvenzrecht Das Insolvenzrecht sieht Regelungen vor, welche die Liquidität des Schuldnerunternehmens 84 kurzfristig entlasten und eine Unternehmensfortführung durch den Insolvenzverwalter bis zur Realisierung einer längerfristigen Lösung, wie z. B. die Umsetzung eines beschlossenen Insolvenzplans, sicherstellen sollen. Das Insolvenzgeld stellt ein sehr wichtiges Instrument dar, um dem Insolvenzverwalter 85 die erforderliche Zeit für einen Überblick über den genauen Finanzstatus, die tatsächlichen Vermögens- und Schuldverhältnisse sowie über die in Betracht kommenden Realoptionen zu geben. Durch das Insolvenzgeld wird das Schuldnerunternehmen von Lohn- und Gehaltszahlungen entlastet. Das Insolvenzgeld wird maximal für die letzten drei Monate vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens von der Bundesagentur für Arbeit gezahlt (§§ 165 ff. SGB III) und regelmäßig von einer Bank oder einem Bankenkonsortium vorfinanziert. Beim Bestehen von Betriebsrentensystemen spielt der Pensionssicherungsverein (PSVaG) 86 eine wichtige Rolle. Der PSVaG übernimmt die Finanzierung der laufenden Renten und unverfallbaren Rentenanwartschaften nach Insolvenzeröffnung (§§ 7 ff. BetrAVG). Ein Insolvenzplan soll jedoch vorsehen, dass bei einer nachhaltigen Besserung der wirtschaftlichen Lage des Arbeitgebers die vom PSVaG zu erbringenden Leistungen ganz oder zum Teil vom Arbeitgeber oder sonstigen Versorgungsträgern wieder übernommen werden (§ 7 Abs. 4 Satz 5 BetrAVG). Bestimmt der Insolvenzplan, dass der Arbeitgeber einen Teil der betrieblichen Altersversorgungsleistungen selbst zu erbringen hat, mindert sich die Leistungspflicht des PSVaG entsprechend (§ 7 Abs. 4 Satz 2 BetrAVG).

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§ 21

2. Teil Insolvenzplan – Inhalt

3.3.2 Eigenkapitalerhöhung 87 Eine Erhöhung der Eigenkapitalquote kann direkt durch Zufuhr von Eigenmitteln oder indirekt durch den entlastenden Abbau von Verbindlichkeiten erfolgen. Primäre Adressaten sowohl bei den direkten als auch bei den indirekten Maßnahmen werden in der Regel die bisherigen Gesellschafter und Eigner sein, gefolgt von Investoren, Gläubigern oder auch dem Management i. R. eines Management Buy-Outs. 88 Direkte Sanierungsmaßnahmen i. R. der Außenfinanzierung durch die Gesellschafter sind abhängig von den ihnen verbliebenen, finanziellen Handlungsspielräumen und je nach gesellschaftsrechtlicher Gestaltung von deren Bereitschaft, weiterhin Kapital und Liquidität in das Unternehmen einzubringen. Fallen die Signale seitens der bisherigen Gesellschafter negativ aus, gilt es, Investoren anzusprechen. 89 Besonders in umstrukturierungs- bzw. sanierungsgeprägten Situationen dominieren zunehmend Finanzierungen mit Eigenkapitalcharakter. Dieses Mischkapital wird häufig auch als Mezzanine- oder Hybridkapital bezeichnet.35) Hierunter fallen z. B. Wandelschuldverschreibungen oder Genussrechte. 90 Gläubiger tragen durch Forderungsverzichte (mit oder ohne Besserungsschein) indirekt zur Erhöhung des Eigenkapitals und zur Entlastung der Liquiditätssituation bei. 91 § 225a InsO sieht die Umwandlung von Fremdkapital in Eigenkapital (Debt Equity Swap) als Sanierungsmaßnahme vor. Bei dieser Sanierungsmaßnahme besteht für die Gläubiger die Möglichkeit auf zukünftige Mitbestimmung sowie die Aussicht, im Gegensatz zu Fremdkapitalgebern, an einer zukünftigen Wertsteigerung des sanierten Unternehmens zu partizipieren. 3.3.3 Fremdkapitalerhöhung 92 Bei der Außenfinanzierung durch Fremdkapitalerhöhung ist die Kreditwürdigkeit oder Bonität von maßgebender Bedeutung. Die Bonität wiederum wird durch ein Rating des Unternehmens bestimmt. In dieses fließen neben harten, quantitativen Faktoren (EKQuote, Ergebniszahlen, operativer Cashflow etc.) auch weiche, qualitative Faktoren und damit u. a. eine Beurteilung der Produkte, der Marktstellung und des Managements und somit nicht zuletzt auch das Vertrauen in die leistungswirtschaftliche Sanierungsfähigkeit eines Unternehmens mit ein. 93 Klassischerweise erfolgt die Fremdfinanzierung bei in der Krise befindlichen Unternehmen durch Banken, die, wenn sie bereits Gläubiger des Unternehmens sind, zudem ein gesteigertes Interesse am Fortbestehen des Unternehmens haben sollten. Unternehmensanleihen dürften aufgrund der gegebenen Krisensituation ausscheiden. 94 Für die Prolongation von Kreditlinien oder die Vergabe von Darlehen sind Sicherheiten notwendig. Dabei gilt es zu klären, welche unternehmenseigenen Vermögensgegenstände zur Sicherungsgewährung noch verfügbar sind. Vermögenswerte, die bereits als Sicherheit begeben sind, scheiden – ohne Nachteilsausgleich – aus. 95 Sofern unternehmenseigene Sicherheiten fehlen oder nicht ausreichen, sind wiederum die Möglichkeiten und die Bereitschaft der bisherigen Gesellschafter, durch Bürgschaften oder durch die Abgabe von harten Patronatserklärungen einzuspringen, abzuklären. Sollte dies nicht darstellbar sein, ist zu prüfen, ob ggf. die öffentliche Hand als Kredit- oder Bürgschaftsgeber in Frage kommt.

___________ 35) Ringelspacher in: Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, 5. Aufl., 2017, S. 324.

602

Geiwitz/v. Danckelmann

Darstellender Teil des Insolvenzplans 4.

§ 21

Vermögensübersicht, Ergebnis- und Finanzplan (§ 229 InsO)

Der darstellende Teil des Insolvenzplans muss neben den angeführten organisatorischen, 96 leistungs- und finanzwirtschaftlichen Maßnahmen alle sonstigen Angaben zu den Grundlagen und den Auswirkungen des Plans enthalten, die für die Entscheidung der Gläubiger über die Zustimmung zum Plan und für dessen gerichtliche Bestätigung erheblich sind. Die quantitativen Grundlagen, die dem Insolvenzplan als Anlagen beizufügen sind, bilden dabei die nach § 229 InsO geforderte Vermögensübersicht (Bilanz), der Ergebnisplan (GuV) und der Finanzplan (Kapitalflussrechnung). Diese sind zwar als Pflichtanlagen nur dann erforderlich, wenn aus den zukünftigen Erträgen eine Gläubigerbefriedigung erfolgen soll; es biete sich aber an, auch in anderen Fällen diese als vertrauensbildende Maßnahme anzuführen. In der Vermögensübersicht sind die Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten, die 97 sich bei einem Wirksamwerden des Insolvenzplans gegenüberstehen würden, aufzuführen. Ergänzend ist darzustellen, welche Erträge und Aufwendungen für den Zeitraum, in dem die Gläubiger befriedigt werden sollen, zu erwarten sind und durch welche Abfolge von Einnahmen und Ausgaben die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens in diesem Zeitraum gewährleistet werden soll. Die Vermögensübersicht sowie der Ergebnis- und Finanzplan bilden in die Zukunft ge- 98 richtet zusammen eine in sich verzahnte, integrierte Unternehmensplanung, wie sie auch im IDW S 6 für Sanierungskonzepte gefordert wird. Ausgehend von betrieblichen Teilplänen in Gestalt einer Absatz-, Investitions- oder Personalkostenplanung werden dabei eine Plan-Gewinn- und -Verlustrechnung und darauf aufbauend ein Finanzplan (Kapitalflussrechnung) und eine Plan-Bilanz entwickelt.36) Ausgangspunkt ist im Fall eines Insolvenzplanverfahrens der Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Insolvenzplans. VI.

Steuerrechtliche Verhältnisse

Aus den geplanten Sanierungsmaßnahmen ergeben sich oftmals steuerliche Implikationen, 99 die zwingend zu beachten sind, um den Sanierungserfolg des Insolvenzplans nicht zu gefährden. Die beiden wesentlichen Erscheinungsformen steuerrelevanter Sanierungsmaßnahmen, 100 der Gläubigerverzicht und die Kapitalerhöhung, werden im Folgenden dargestellt. Siehe i. Ü. unter Kahlert, HRI II, § 47 Rz. 143 ff. 1.

Forderungsverzicht

Im Rahmen eines Insolvenzplans wird mit den Gläubigern oftmals ein (teilweiser) Forde- 101 rungsverzicht als Sanierungsbeitrag vereinbart. Der Verzicht auf bestehende Forderungen kann dabei endgültig sein oder mit einem Besserungsschein versehen werden. Ein Forderungsverzicht gegen Besserungsschein eröffnet dem Gläubiger die Chance, dass seine Forderungen bei einer wirtschaftlichen Erholung des Insolvenzschuldners wieder aufleben und werthaltig werden. Bei einem Forderungsverzicht (mit oder ohne Besserungsschein) müssen die Forderungen 102 ertragswirksam aus der Bilanz ausgebucht werden. Dadurch entsteht ein sog. Sanierungsgewinn, der zu einer Steuerbelastung beim Unternehmen führen kann. Diese Folge tritt regelmäßig dann ein, wenn das Unternehmen zwar ausreichende Verlustvorträge besitzt, der Sanierungsgewinn jedoch 1 Mio. EUR übersteigt und somit die Regelungen der ___________ 36) Crone in: Crone/Werner, Modernes Sanierungsmanagement, 5. Aufl., 2017, S. 97.

Geiwitz/v. Danckelmann

603

§ 21

2. Teil Insolvenzplan – Inhalt

Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 EStG zur Anwendung kommen. Danach unterliegen 40 % des 1 Mio. EUR übersteigenden Gewinnes der Besteuerung. 103 Der sog. Sanierungserlass,37) der die Steuerfreistellung des Sanierungsertrags regelte, wurde durch den Großen Senat des BFH am 28.11.201638) für unwirksam erklärt. In seiner Begründung führt das Gericht an, dass der Sanierungserlass gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt und keine Rechtsgrundlage für dieses BMF-Schreiben besteht. Es wird allerdings darauf hingewiesen, dass auch künftig steuerliche Billigkeitsmaßnahmen im Allgemeinen zulässig sein können, wobei diese neuerdings einer Einzelfallprüfung unterliegen müssen. 104 Aufgrund dieser BFH-Entscheidung wurden die Sanierungsmöglichkeiten mittels Insolvenzplan faktisch eingeschränkt. Mit BMF-Schreiben vom 27.4.201739) wurde der Sanierungserlass für Altfälle bis einschließlich 8.2.2017 für uneingeschränkt wirksam erklärt, jedoch hat der BFH mit Entscheidung vom 23.8.201740) diese Regelung für nicht rechtmäßig erklärt. Der Gesetzgeber hat die Entscheidung des BFH zum Anlass genommen, die Steuerfreiheit eines Sanierungsgewinns in § 3a EStG gesetzlich zu regeln. Die EUKommission hat gegen die Regelung keine Bedenken und hat dies in einem sog. „letter of comfort“ mitgeteilt. Der „Letter of Comfort“ hat keine Bindungswirkung gegenüber Gerichten. Er begründet aber Vertrauensschutz gegenüber einer Rückabwicklung der Steuerbefreiung nach § 16 Abs. 3 BeihilfeVerfO zumindest für die nach seiner Kenntnisnahme bewirkten Maßnahmen.41) Die Regelung findet erstmals in den Fällen Anwendung, in denen die Schulden ganz oder teilweise nach dem 8.2.2017 erlassen wurden. Die (einschränkenden) Regelungen des § 3a EStG gilt nicht, wenn bei einem Schuldenerlass nach dem 8.2.2017 dem Steuerpflichtigen auf Antrag Billigkeitsmaßnahmen aus Gründen des Vertrauensschutzes für einen Sanierungsertrag auf Grundlage von § 163 Abs. 1 Satz 2 und den §§ 222, 227 der AO zu gewähren sind (§ 52 Abs. 4a EStG – Einzelheiten zur steuerlichen Bevorzugung von Sanierungsgewinnen und deren Voraussetzungen siehe unten Kahlert, HRI II, § 47 Rz. 143 ff.). 105 Für die Gewerbesteuer gilt §§ 3a und 3c Abs. 4 EStG entsprechend (§ 7b GewStG). 2.

Kapitalerhöhung

106 Bei einer Kapitalerhöhung werden dem Krisenunternehmen frische Mittel in Form von Bar- oder Sacheinlagen zugeführt. 107 Aus steuerlicher Sicht ist in diesem Zusammenhang § 8c KStG zu beachten. Danach können steuerliche Verlustvorträge bei Anteilserwerben ganz oder teilweise untergehen. Gleiches gilt für Kapitalerhöhungen, soweit sie zu einer Veränderung der Beteiligungsquoten am Kapital der Gesellschaft führen. Beträgt die Veränderung der Beteiligungsquoten nach Kapitalerhöhung mehr als 25 %, gehen die Verlustvorträge quotal unter; bei mehr als 50 % gehen die bestehenden Verlustvorträge vollständig unter. Diese Regelung findet gemäß § 10a Satz 10 GewStG auch für die Gewerbesteuer Anwendung. Siehe dazu unten Kahlert, HRI II, § 47 Rz. 153, 157. 108 Zu beachten ist die Vorschrift des § 8c KStG auch beim sog. Debt Equity Swap. Dabei beteiligt sich ein Gläubiger zum Zwecke der Sanierung an der Gesellschaft und bringt als Gegenleistung seine Forderung gegen die Gesellschaft ein. Sollte es in diesem Zusam___________ 37) 38) 39) 40) 41)

604

BMF-Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6 – S 2140 – 8/03, BStBl. I 2003, 240 – Sanierungserlass. BFH v. 28.11.2016 – GrS 1/15, BStBl. II 2017, 393 = ZIP 2017, 338, dazu EWiR 2017, 149 (Möhlenkamp). BMF-Schreiben v. 27.4.2017 – IV C 6 – S 2140/13/10003, BStBl. I 2017, 741. BFH v. 23.8.2017 – I R 52/14, DStR 2017, 2322 = dazu ZIP 2017, 2158, dazu EWiR 2017, 761 (Anzinger). Kanzler in: Leingärtner, Besteuerung der Landwirte, Kap. 36 Rz. 2 ff.

Geiwitz/v. Danckelmann

Darstellender Teil des Insolvenzplans

§ 21

menhang zu Veränderungen bei den Beteiligungsquoten von mehr als 25 % kommen, droht auch hier ein (anteiliger) Verlustuntergang. Hinsichtlich der Auswirkungen eines Sanierungsgewinns aus einem Debt Equity Swap siehe unten Kahlert, HRI II, § 47 Rz. 202 ff. Die Planersteller bzw. Berater der Gesellschafter haben zu berücksichtigen, dass der Ge- 109 setzeswortlaut des § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG a. F. (§ 8c Abs. 1 Satz 1 KStG n. F.) bei dem BVerfG (Aktenzeichen 2 BvL 19/17) seit 2017 zur Prüfung liegt. Wann und wie das BVerfG entscheiden wird, ist offen.42) Ob auf der Grundlage der Vorlage beim BVerfG und unter Hinweis auf BFH (Aktenzeichen I R 6/19) gegen die Nichtanerkennung eines Verlustabzugs Rechtsmittel eingelegt werden kann, ist im jeweiligen Einzelfall gesondert zu prüfen.43) VII. Geheimhaltungserfordernisse und Auswirkung auf den Insolvenzplan Der Planersteller wird sich regelmäßig damit auseinandersetzen müssen, welche Informa- 110 tionen er im Plan offenlegen darf und welche der Öffentlichkeit nicht bekannt gemacht werden dürfen oder sollen, sei es aufgrund vertraglicher Geheimhaltungserklärungen oder aufgrund strategischer Interessen. Zwar ist das Insolvenzverfahren nicht öffentlich, doch kann insbesondere bei Großverfahren mit mehreren tausend Gläubigern in der Praxis nicht davon ausgegangen werden, dass über den Planinhalt nur die verfahrensrechtlich Beteiligten Kenntnis erlangen. Um den Beteiligten dennoch die Möglichkeit zu geben, auch gesellschaftsinterne Sachverhalte zur Kenntnis zu nehmen, kann es im Einzelfall sachgerecht sein, im darstellenden Teil des Plans nur rudimentäre Ausführungen zu machen und die wesentlichen Passagen zur Einsicht auf der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts auszulegen. Das den Betroffenen dann möglicherweise zustehende Einsichtsrecht kann folglich durch das Insolvenzgericht kontrolliert werden – wobei hinsichtlich der Einsichtsgewährung enge Maßstäbe anzulegen sind.44)

___________ 42) Zur Vertiefung der Thematik Thonemann-Micker/Kanders in: BeckOK-KStG, § 8c Rz. 32 – 47. 43) Ziegler, Mustereinsprüche im Rechtsbehelfsverfahren vor den Finanzbehörden, ME 0486: „Vereinbarkeit des § 8c KStG mit dem Grundsatz des abschnittsübergreifenden Nettoprinzips?“. 44) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 234 Rz. 4; Breuer in: MünchKomm-InsO, § 234 Rz. 5; Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 234 Rz. 12.

Geiwitz/v. Danckelmann

605

§ 22 Gestaltender Teil des Insolvenzplans Balthasar

I. II. 1. 2. III. 1. 2.

Überblick ..................................................... 1 Funktionen des Insolvenzplans ................ 9 Rechtliche Funktion .................................. 10 Wirtschaftliche Funktion .......................... 11 Beteiligte.................................................... 12 Begriff der Beteiligten................................ 13 Zwangsweise Beteiligte.............................. 16 2.1 Insolvenzgläubiger ........................ 16 2.2 Nachrangige Insolvenzgläubiger .... 19 2.3 Absonderungsberechtigte Gläubiger ....................................... 24 2.4 Schuldner ....................................... 28 2.5 Gesellschafter ................................ 32 3. Freiwillig Beteiligte .................................... 34 3.1 Massegläubiger .............................. 35 3.2 Aussonderungsberechtigte Gläubiger ....................................... 40 3.3 Konzernverbundene Gesellschaften .......................................... 43 3.4 Auffang- bzw. Übernahmegesellschaften................................. 44 3.5 Insolvenzverwalter ........................ 45 3.6 Sonstige Dritte .............................. 46 4. Einbeziehung von Bürgen und sonstiger Drittsicherungsgeber................. 47 IV. Gruppenbildung ....................................... 50 1. Obligatorische Gruppen............................ 52 2. Fakultative Gruppen .................................. 55 3. Taktische Erwägungen............................... 58 V. Verfügungen ............................................. 61 1. Dingliche Rechte........................................ 66 1.1 Verwertung der Massegegenstände ............................................. 67 1.2 Einbeziehung von Drittrechten.... 70 1.3 Insolvenzfreies Vermögen und Vermögen Dritter.......................... 74 1.4 Betriebsnotwendiges vs. nicht betriebsnotwendiges Vermögen ..... 75 2. Vertragsverhältnisse................................... 77 2.1 Bestehende Vertragsverhältnisse .... 78 2.2 Neue Vertragsverhältnisse ............ 81 2.3 Kollektivrechtliche Vertragsverhältnisse .................................... 83 3. Anfechtungsrechte und sonstige Rechte..... 88 3.1 Anfechtungsrechte ........................ 89 3.1.1 Prozessführungsbefugnis nach Verfahrensaufhebung ........... 90 3.1.2 Regelung im Plan........................... 93 3.1.3 Änderungsbedarf des § 259 Abs. 3 InsO ................................... 97 3.1.4 Abtretbarkeit ................................ 98

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Schadensersatzansprüche............ 110 Schadensersatzansprüche gegenüber Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführern ................. 111 3.2.2 Schadensersatzansprüche gegenüber Dritten ....................... 117 3.3 Sonstige gesellschaftsund zivilrechtliche Ansprüche.... 118 3.3.1 Fehlerhafte Leistung des Grundbzw. Stammkapitals und fehlerhafte Kapitalerhöhung....... 118 3.3.2 Nachschusspflicht des Mitglieds einer Genossenschaft .................. 120 3.4 Geltendmachung der Ansprüche und Erlösverteilung....... 121 4. Haftung des Schuldners und der Gesellschafter ........................................... 123 4.1 Haftung von natürlichen Personen als Schuldner ............... 124 4.2 Haftung von juristischen Personen als Schuldner ............... 126 4.3 Haftung der persönlich haftenden Gesellschafter............. 129 VI. Gesellschafterleistungen und Leistungen Dritter.................................. 135 VII. Gestaltung der Insolvenzquote............ 138 1. Rechtliche Grundlagen ............................ 139 2. Grundformen ........................................... 152 2.1 Cash-out-Pläne............................ 153 2.2 Earn-out-Pläne ............................ 156 2.3 Mischformen ............................... 157 2.4 Leistung „an Quote Statt“ .......... 158 3. Sonderformen und Einzelfragen ............. 159 3.1 Verfahrensleitende bzw. verfahrensbegleitende Insolvenzpläne ..................................... 160 3.2 Masselose bzw. massearme Insolvenzpläne............................. 162 3.3 Besserungsscheine ....................... 165 3.4 Leistungen an Quote statt .......... 170 3.4.1 Übertragung einzelner Vermögenswerte.......................... 174 3.4.2 Gewährung von Unternehmensanteilen ......................... 178 3.4.3 Vereinbarung schuldrechtlicher Verpflichtungen........................... 180 VIII. Bedingungen und Befristungen ......... 191 1. Umfang und Grenzen.............................. 193 1.1 Ausdrückliche Regelung im Plan ......................................... 194

Balthasar

3.2 3.2.1

§ 22

Gestaltender Teil des Insolvenzplans 1.2

2.

Aufschiebende und auflösende Bedingungen ................................ 195 1.3 Nachfristsetzung durch das Insolvenzgericht (§ 249 Satz 2 InsO) ..................... 197 1.4 Rechtsmittel................................. 202 1.5 Ähnliche Regelungen .................. 206 1.5.1 Änderung sachenrechtlicher Verhältnisse (§ 228 InsO)........... 207 1.5.2 Schuldrechtliche Verpflichtung eines Dritten (§ 230 Abs. 3 InsO) ................................ 208 1.5.3 Echte Bedingung (§ 158 BGB) ... 209 1.5.4 Wiederauflebensklausel (§ 255 InsO) ................................ 210 Typische Ausgestaltungen....................... 213 2.1 Erbringung bestimmter Leistungen.................................... 214 2.1.1 Bestellung neuer Sicherheiten..... 215 2.1.2 Gewährung neuer Kredite........... 217 2.1.3 Sonstige Leistungen..................... 218 2.2 Verwirklichung anderer Maßnahmen ................................. 219 2.2.1 Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen ................................. 220 2.2.2 Gründung einer Auffang- bzw. Übernahmegesellschaft ............... 223 2.2.3 Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen ...................................... 224

2.2.4

Sanierungs- und Fortführungstarifverträge sowie Personalanpassungen..................................... 227 2.2.5 Sonstige Maßnahmen .................. 230 IX. Verfahrensregelungen und sonstige Regelungen............................... 233 1. Befriedigung der Massegläubiger (§ 258 Abs. 2 InsO) ................................. 234 2. Kreditrahmen (§ 264 InsO) .................... 240 2.1 Normzweck und praktische Bedeutung .................................... 241 2.2 Voraussetzungen ......................... 244 2.3 Rechtsfolgen ................................ 249 3. Salvatorische Klauseln.............................. 255 4. Präklusionsregelungen ............................. 262 4.1 Materiell-rechtliche Wirkungen des Insolvenzplans....................... 263 4.2 Wirkungen für und gegen sog. Nachzügler (§§ 254b, 254 Abs. 1 InsO) ......................... 266 4.3 Ausschlussklauseln im Insolvenzplan............................... 270 4.4 Vollstreckungsschutz gemäß § 259a InsO...................... 272 4.5 Verjährung gemäß § 259b Abs. 1 InsO.................................. 276 5. Planüberwachung ..................................... 277 X. Exkurs: Haftung des Insolvenzverwalters bei Scheitern des Plans ........ 282

Literatur: Skauradszun/Spahlinger/Tresselt, Insolvenzpläne auf dem Prüfstand, DZWIR 2015, 539.

I.

Überblick

Der gestaltende Teil des Insolvenzplans ist rechtlich der Kern des Insolvenzplans. Er regelt, welche Rechtsfolgen der Insolvenzplan für die Beteiligten bewirkt (§ 221 InsO). Die potenziellen Regelungsinhalte des gestaltenden Teils des Insolvenzplans kombinieren persönliche Elemente (Wessen Rechtstellung kann durch den Plan geregelt werden? Siehe Rz. 12 ff.) mit sachlichen Elementen (Welche Art von Regelungen sind zulässig? Siehe Rz. 61 ff.).1) Ein wesentliches Merkmal der gestaltenden Wirkung des Insolvenzplans ist die Möglichkeit, in gesetzlich definiertem Umfang durch Mehrheitsentscheidungen bestimmte Gruppen von Gläubigern sowie den Schuldner und dessen Anteilseigner zwangsweise den Regelungen des gestaltenden Teils zu unterwerfen (siehe Rz. 15). Weitere Gruppen von Gläubigern und sonstige Dritte können hingegen nur freiwillig am Plan beteiligt werden (siehe Rz. 34 ff.). Wesentliches Element des Abstimmungsverfahrens über einen Insolvenzplan ist die Bildung einzelner Gruppen von Beteiligten (siehe Rz. 50 ff.). Der gestaltende Teil eines Insolvenzplans greift in bestehende Rechte ein und kann neue Rechte schaffen (siehe Rz. 61 ff.). Die Einwirkung auf bestehende Rechte kann neben dinglichen und schuldrechtlichen Ansprüchen des Schuldners auch insolvenzspezifische Rechte (z. B. die Anfechtungsrechte der §§ 129 ff. InsO) und insolvenztypische Rechte (z. B. Schadensersatzansprüche gegenüber den Geschäftsleitern wegen verzögerter Insolvenzantragstellung) betreffen. ___________ 1)

Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 58.

Balthasar

607

1

2

3 4

§ 22

2. Teil Insolvenzplan – Inhalt

5 Eine Schlechterstellung der Gläubiger im Vergleich zum Regelinsolvenzverfahren ist i. R. des Insolvenzplanverfahrens unzulässig. Das wirtschaftliche Konzept des Plans und damit insbesondere die Gestaltung der Insolvenzquote (siehe Rz. 138 ff.) stellen daher einen erheblichen Teil des Aufwands der Erstellung des Plans dar. 6 Ein wichtiges Instrument zur Gestaltung eines Insolvenzplans stellen Bedingungen und Befristungen des Plans dar (siehe Rz. 191 ff.). Hierdurch kann insbesondere die Regelung insolvenzplanfremder Sachverhalte mit dem Plan verzahnt wird. 7 Schließlich bietet das Insolvenzplanverfahren einige Verfahrensregelungen und sonstige Regelungen, durch die das Procedere weiter vereinfacht und beschleunigt werden kann (siehe Rz. 233 ff.). 8 Ursprünglich für Unternehmensinsolvenzen geschaffen, ist der Insolvenzplan heut auch in Verbraucherinsolvenzverfahren anwendbar.2) Die nachfolgende Darstellung orientiert sich gleichwohl an der Unternehmensinsolvenz. II.

Funktionen des Insolvenzplans

9 Das deutsche Insolvenzrecht ist geprägt von dem Gedanken der Gläubigerautonomie. Geleitet von diesem Gedanken gewährte der Gesetzgeber der InsO folgerichtig den Gläubigern mit dem Insolvenzplanverfahren eine Option auf eine Privatisierung der Insolvenzabwicklung.3) 1.

Rechtliche Funktion

10 Der gestaltende Teil des Insolvenzplans stellt die rechtliche Realisierung der Ziele und ihre Motivationen im darstellenden Teil des Insolvenzplans dar. So treten mit der Rechtskraft der Bestätigung des Insolvenzplans die im gestaltenden Teil festgelegten Wirkungen für und gegen alle Beteiligten ein, § 254 Abs. 1 InsO. In ihm werden die für eine Realisierung des Planziels erforderlichen Rechtsänderungen sowohl schuldrechtlich als auch dinglich vollzogen.4) Neben diesen materiell-rechtlichen Auswirkungen besteht die Möglichkeit, i. R. eines Insolvenzplans teilweise auch auf die verfahrensrechtlichen Vorschriften der InsO Einfluss zu nehmen. Während der Inhalt des gestaltenden Teils eines Insolvenzplans den vertragsrechtlichen Beschränkungen des allgemeinen Zivilrechts unterliegt, ergeben sich die formalen Voraussetzungen des Plans als spezifisches insolvenzrechtliches Instrument aus der InsO. 2.

Wirtschaftliche Funktion

11 Die wirtschaftliche Funktion erklärt sich aus einem Vergleich der typischen Arten von Plänen mit dem Regelinsolvenzverfahren. Denn Letzteres bietet als Weg zur Erreichung des Verfahrensziels der Gläubigerbefriedigung lediglich die reine Verwertungs- und Zerschlagungsmaxime der Gesamtvollstreckung an.5) Zwar kann auch i. R. eines Regelinsolvenzverfahrens durch eine übertragende Sanierung der Erhalt (eines Teils) des schuldnerischen Unternehmens erreicht werden. Weitergehende Optionen – insbesondere die Fortführung des Unternehmens durch den bisherigen Rechtsträger, die sog. Eigensanierung, oder die Verwirklichung von Schadensvermeidungs- oder Schadensminimierungskonzepten – ___________ 2)

3) 4) 5)

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Art. 1 Nr. 38, Art. 9 des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte v. 15.7.2013, BGBl. I 2013, 2379. Zu Einzelheiten vgl. Beyer, ZVI 2013, 334; Heyer, ZVI 2012, 321; Rugullis, NZI 2013, 869, 871; Schmerbach, NZI 2012, 689. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 1. Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 7 Rz. 2. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, Vor §§ 217 – 269 Rz. 15.

Balthasar

§ 22

Gestaltender Teil des Insolvenzplans

sind hingegen nur möglich, sofern anstatt des Regelinsolvenzverfahrens der Weg eines Insolvenzplanverfahrens beschritten wird. III.

Beteiligte

Wirtschaftlich sind an einem Insolvenzverfahren neben dem Schuldner eine Vielzahl un- 12 terschiedlicher Gläubigertypen beteiligt. Dass innerhalb eines Insolvenzverfahrens bspw. die Rechtsposition der Anteilseigner eines Unternehmens weniger schützenswert ist als die dingliche Rechtsposition eines Eigentumsvorbehaltsverkäufers, ist selbsterklärend. Aufgrund derartiger Unterschiede variieren die Möglichkeiten eines Eingriffs in bestehende Rechtspositionen erheblich. 1.

Begriff der Beteiligten

Im Hinblick auf die Personen, deren Rechtsstellung durch einen Insolvenzplan beein- 13 flusst werden kann, werden in § 217 Satz 1 InsO die absonderungsberechtigten Gläubiger, die Insolvenzgläubiger und der Schuldner erwähnt.6) Die §§ 217 ff. InsO enthalten jedoch an verschiedenen Stellen den Begriff der „Beteiligten“, ohne dass das Gesetz diesen definiert. Der Sprachgebrauch im RegE InsO ist uneinheitlich, die Begründungen zu den einzelnen Vorschriften tragen zur Klärung nicht bei.7) Der für die personelle Reichweite eines Insolvenzplans maßgebliche Beteiligtenbegriff weist also erhebliche Unklarheiten auf.8) Die daher erforderliche Auslegung des Begriffs in der juristischen Literatur ist ebenfalls 14 uneinheitlich. So sehen Teile der Literatur als Beteiligte nur diejenigen an, deren Rechte und Pflichten durch einen Insolvenzplan abweichend von den Vorschriften der InsO geregelt werden können.9) Andere sehen in Anlehnung an die hingegen auch diejenigen als Beteiligte an, welche sich freiwillig an dem Plan beteiligen.10) Die letztgenannte weite Auslegung überzeugt. Denn gerade die freiwillige Beteiligung Dritter, wie etwa eines Investors oder eines Gesellschafters, ist ein in der Praxis häufig anzutreffender Weg zur Gestaltung der Planquote. Nachfolgend soll daher – ohne sich weiter i. E. der Begrifflichkeitsdiskussion hinzugeben – unterschieden werden zwischen zwangsweise Planbeteiligten und möglichen freiwillig Planbeteiligten.11) 2.

Zwangsweise Beteiligte

Die zwangsweise Beteiligten sind sämtliche Beteiligte, in deren zivilrechtliche Rechtsposi- 15 tion durch Mehrheitsentscheidungen gemäß §§ 244 f. InsO auch gegen ihren Willen eingegriffen werden kann. Diese Möglichkeit zum Eingriff in Rechte begründet zugleich die Notwendigkeit eines numerus clausus der zwangsweise Beteiligten und der gestaltbaren ___________ Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 59. So auch Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 20. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 59. U. a. Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 7 Rz. 26. Haas in: Kayser/Thole, HKInsO, § 221 Rz. 2; Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 284. 10) So Thies in: HambKomm-InsO, § 221 Rz. 5 f.; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 60; unklar Braun/Frank in: Braun, InsO, § 221 Rz. 17, die als Beteiligte diejenigen Rechtsträger ansehen, die „planunterworfene Rechtspositionen halten“. 11) Vgl. insbesondere Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 60, der den Begriff der Beteiligten in Anlehnung an die Begrifflichkeit der freiwilligen Gerichtsbarkeit funktional in die Gruppen der „zwangsweise Planunterworfenen“ und der „nicht zwangsweise Planunterworfenen“ unterteilt. Insbesondere die Bezeichnung „zwangsweise Planunterworfene“ stellt jedoch nicht hinreichend klar, dass außer den Insolvenzgläubigern sämtliche weiteren Zugehörigen dieser Gruppe nicht zwingend an jedem Insolvenzplan beteiligt sind, sondern nur insoweit, als ihre Rechte von dem Plan betroffen sind, vgl. §§ 217, 223 Abs. 1 Satz 1, § 225 Abs. 1, § 225a Abs. 1 InsO. 6) 7) 8) 9)

Balthasar

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§ 22

2. Teil Insolvenzplan – Inhalt

Rechtspositionen. Dieser numerus clausus12) des zwangsweisen Eingriffs umreißt einerseits die subjektive Rechtskraft des Insolvenzplans (in wessen Rechtsposition kann zwangsweise eingegriffen werden), als auch die objektive Rechtskraft (in welche Rechtsstellung kann eingegriffen werden?).13) Zu dem numerus clausus der möglichen zwangsweise Planbeteiligten gehören u. a. gemäß § 217 Satz 1 InsO die absonderungsberechtigten Gläubiger (§ 223 InsO) und die nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger (§ 224 InsO). Aber auch die nachrangigen Gläubiger (§ 225 InsO) und der Schuldner (§ 227 InsO) können zwangsweise den Regelungen eines Insolvenzplans unterworfen werden.14) Der Reformgesetzgeber des ESUG erweiterte die Gruppe der möglichen zwangsweise Planbeteiligten durch eine Ergänzung des § 217 InsO. Nach § 217 Satz 2 InsO können nunmehr die am Schuldner beteiligten Personen in den Plan mit einbezogen werden. Nach der Regelung des § 225a InsO kann dies auch gegen den Willen der betroffenen Anteilseigner und damit zwangsweise geschehen. 2.1

Insolvenzgläubiger

16 Zu den Beteiligten, deren Rechtsstellung gegen ihren Willen durch einen Plan geändert werden kann, gehören in erster Linie die Insolvenzgläubiger.15) Insolvenzgläubiger sind nach § 38 InsO diejenigen persönlichen Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten, auf Geld gerichteten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben. Mit dem Begriff der Insolvenzgläubiger sind im Folgenden jedoch nur die einfachen, also die nicht gesicherten und auch nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger gemeint. Wegen ihrer ausdrücklichen Nennung in § 217 InsO sind sie als mögliche zwangsweise Planbeteiligte einzuordnen.16) Regelmäßig bildet die Regelung ihrer Rechte den Hauptgegenstand des gestaltenden Teils des Insolvenzplans.17) 17 In einem Insolvenzplan können Änderungen der Rechtsstellung der beteiligten Insolvenzgläubiger getroffen werden. Nach dem Gesetz haben die Insolvenzgläubiger einen Anspruch auf Quote, vgl. §§ 187 ff. InsO. Hiervon kann im gestaltenden Teil des Insolvenzplans abgewichen werden.18) Diese Abweichung kann in einer Kürzung (bis hin zum vollständigen Erlass), einer Stundung oder einer Besicherung der Insolvenzforderung sowie jeder sonstigen Regelung liegen.19) Soll eine Sicherheit gegeben werden, so kann das Sicherungsgeschäft selbst zum Teil des Insolvenzplans gemacht werden.20) Als sonstige Regelungen kommen insbesondere Forderungsverzicht mit Besserungsschein, Rangrücktritt sowie die Umwandlung von Forderungen in Eigenkapital (Debt Equity Swap) in Betracht.21) 18 Hinsichtlich eines Debt Equity Swaps besteht die Möglichkeit, diesen ohne Zustimmung der (bisherigen) Anteilsinhaber durchzuführen, vgl. § 217 Satz 2 InsO.22) Die Zustimmung des betreffenden Gläubigers hingegen muss vorliegen, ohne diese können dessen Forderungen gemäß § 225a Abs. 2 Satz 2 InsO nicht in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte am ___________ 12) 13) 14) 15) 16) 17) 18) 19) 20) 21) 22)

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Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 7 Rz. 37 ff. Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 284 f. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 221 Rz. 3. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 61. Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 217 Rz. 10; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 61. Spahlinger in: KPB, InsO, § 224 Rz. 1; Breuer in: MünchKomm-InsO, § 224 Rz. 1. Vgl. Breuer in: MünchKomm-InsO, § 224 Rz. 4. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 82 ff.; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 221 Rz. 3. Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 224 Rz. 3. Breuer in: MünchKomm-InsO, § 224 Rz. 12 ff.; vgl. Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 217 Rz. 19. Willemsen/Rechel, ESUG, § 225a Rz. 15.

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§ 22

Gestaltender Teil des Insolvenzplans

schuldnerischen Unternehmen umgewandelt werden (zum Debt Equity Swap siehe unten Hölzle, HRI II, § 26). 2.2

Nachrangige Insolvenzgläubiger

Mögliche zwangsweise Planbeteiligten sind auch die nachrangigen Insolvenzgläubiger.23) 19 Nachrangige Insolvenzgläubiger i. S. des § 39 InsO sind solche Gläubiger, deren Forderungen erst nach Berichtigung der übrigen Forderungen der (einfachen) Insolvenzgläubiger berichtigt werden. Weitere Nachrangregelungen enthalten die § 327 InsO und § 51 Abs. 1 VAG sowie Art. 108 Abs. 1 EGInsO. Die Nachrangregelung der §§ 264, 265 InsO betrifft den Sonderfall einer Folgeinsolvenz, wenn in der vorangegangenen Insolvenz ein Kreditrahmen nach §§ 264 ff. InsO vereinbart wurde. In der Praxis sind insbesondere die Gläubiger nachrangiger Gesellschafterdarlehen (§ 39 20 Abs. 1 Nr. 5 InsO) sowie die Gläubiger von Forderungen, für die im Wege eines Rangrücktritts der Nachrang im Insolvenzverfahren vereinbart wurde (§ 39 Abs. 2 InsO), vom Nachrang ihrer Forderungen gegenüber den Forderungen der übrigen (einfachen) Insolvenzgläubiger betroffen. Begründung für die Planbeteiligung: Mit dem Begriff der Insolvenzgläubiger in § 217 21 InsO wollte der Gesetzgeber auch die nachrangigen Insolvenzgläubiger erfassen. Dies zeigen die Regelungen der §§ 222 und 225 InsO über die Einteilung der nachrangigen Insolvenzgläubiger in unterschiedliche Gruppen (§ 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO) sowie die Effekte des gestaltenden Teils eines Insolvenzplans für die nachrangigen Insolvenzgläubiger (§ 225 InsO).24) Regelungen durch den Plan: Gemäß § 174 Abs. 3 Satz 1 InsO sind die Forderungen 22 nachrangiger Insolvenzgläubiger bereits außerhalb eines Insolvenzplanverfahrens nur anzumelden, wenn das Insolvenzgericht gesondert zur Anmeldung dieser Forderungen auffordert. Ein solcher Beschluss ist in der Praxis eher die Ausnahme. Denn bereits die nicht nachrangigen, also einfachen Insolvenzgläubiger können in der Regel nicht mit einer vollständigen Befriedigung rechnen. Deshalb gelten im Insolvenzplanverfahren die Forderungen nachrangiger Insolvenzgläubiger gemäß § 225 Abs. 1 InsO grundsätzlich bereits kraft Gesetzes als erlassen, ohne dass es einer dahingehenden Regelung im Insolvenzplan bedarf.25) Ausnahmsweise kann eine abweichende Regelung im Insolvenzplan i. S. des § 225 23 Abs. 2 InsO dann in Betracht kommen, wenn eine besonders effektive Abwicklung der Insolvenz auf Grundlage des Plans mit vollständiger Befriedigung der nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger i. S. des § 38 InsO erwartet wird. Denn dann kann ein Überschuss für die Nachranggläubiger möglich sein.26) In der Praxis ist dieser Fall jedoch eher die Ausnahme. Die Bildung einer Gruppe der nachrangigen Gläubiger nach § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO zur Beteiligung an Quotenzahlungen kommt daher eher selten in Betracht. 2.3

Absonderungsberechtigte Gläubiger

Zu den möglichen zwangsweise Planbeteiligten gehören darüber hinaus absonderungsbe- 24 rechtigte Gläubiger.27) Absonderungsberechtigte sind solche Gläubiger, die Inhaber eines ___________ 23) 24) 25) 26) 27)

Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 63. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 63. Vgl. Breuer in: MünchKomm-InsO, § 225 Rz. 13. Breuer in: MünchKomm-InsO, § 225 Rz. 14; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 225 Rz. 2. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 64.

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§ 22

2. Teil Insolvenzplan – Inhalt

Absonderungsrechts nach den §§ 49–51 InsO sind. Ein Absonderungsberechtigter ist nicht zwingend gleichzeitig Insolvenzgläubiger, vgl. § 52 InsO.28) Dies ist bspw. dann der Fall, wenn das Absonderungsrecht an einem Massegegenstand für eine Forderung des Absonderungsberechtigten gegen einen Dritten besteht. Obwohl die InsO das Absonderungsrecht unabhängig von der sonstigen Gläubigereigenschaft behandelt, kann bei der Aufstellung eines Insolvenzplans zu berücksichtigen sein, ob der absonderungsberechtigte Gläubiger auch Insolvenzgläubiger ist.29) 25 Begründung für die Planbeteiligung: Bereits § 217 Satz 1 InsO nennt die „Befriedigung der absonderungsberechtigten Gläubiger“ als möglichen Regelungsgegenstand eines Insolvenzplans. Die § 222 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 223 InsO regeln sodann Details. 26 Regelungen durch den Plan: Die Absonderungsrechte werden durch den Plan grundsätzlich nicht berührt.30) Soll das Schicksal der Absonderungsrechte hingegen im Plan von der gesetzlichen Regelung abweichend geregelt werden, so muss dies ausdrücklich und hinreichend bestimmt geschehen.31) Hierbei kann auf unterschiedliche Weise von den §§ 165 bis 173 InsO abgewichen werden.32) Eine solche Abweichung i. S. des § 223 InsO kann den Inhalt oder die Ausübung des Absonderungsrechts, aber auch den von dem Absonderungsrecht erfassten Vermögensgegenstand selbst betreffen.33) Eine abweichende Regelung liegt auch vor, wenn der mit dem Absonderungsrecht belastete Vermögensgegenstand durch einen anderen Vermögensgegenstand ausgetauscht wird. Ein solcher Austausch ist schon im Grundsatz nur denkbar, wenn der tauschhalber gewährte Vermögensgegenstand gegenüber dem ursprünglichen zumindest gleichwertig ist.34) Mittelbare Beeinträchtigungen des Absonderungsrechts durch eine Bestimmung, die allein die dem Absonderungsrecht zugrunde liegende Insolvenzforderung regelt, stellen ebenfalls Abweichungen vom Gesetz dar.35) 27 In einem Insolvenzplan nicht vereinbart werden können abweichende Bestimmungen hinsichtlich der Absonderungsrechte aus Finanzsicherheiten i. S. von § 1 Abs. 17 KWG sowie der Sicherheiten, die dem Betreiber oder dem Teilnehmer eines Systems nach § 1 Abs. 16 KWG wegen seiner Ansprüche aus dem System oder der Zentralbank eines Mitgliedstaats der EU oder der Europäischen Zentralbank gestellt wurden, § 223 Abs. 1 Satz 2 InsO. Finanzsicherheiten sind solche, die einem Unternehmen des Finanzsektors zur Sicherung von Forderungen aus dem Erwerb von Finanztiteln gestellt werden, die im KWG und in den Richtlinien näher bezeichnet sind.36) 2.4

Schuldner

28 Der Schuldner selbst ist möglicher zwangsweise Planbeteiligter.37) Der Begriff des Schuldners i. S. des Insolvenzplanverfahrens ist verfahrensrechtlich zu verstehen: Schuldner ist

___________ Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 223 Rz. 2. Hass in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 223 Rz. 2. Thies in: HambKomm-InsO, § 223 Rz. 3; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 223 Rz. 4. Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 223 Rz. 1. Thies in: HambKomm-InsO, § 223 Rz. 5. Thies in: HambKomm-InsO, § 223 Rz. 5. Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 223 Rz. 6. Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 223 Rz. 4. Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 223 Rz. 7; ausführlich Obermüller, ZInsO 2004, 187; Meyer/Rein, NZI 2004, 367 m. w. N. 37) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 66.

28) 29) 30) 31) 32) 33) 34) 35) 36)

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derjenige, über dessen Vermögen gemäß § 11 und § 12 InsO das Insolvenzverfahren eröffnet wurde.38) Begründung für die Planbeteiligung: Der Schuldner wird zunächst ausdrücklich in § 217 29 Satz 1 InsO genannt. Zudem kann für den Zeitraum nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens auch eine Überwachung der Planerfüllung zulasten des Schuldners vereinbart werden, § 259 Abs. 2, § 260 Abs. 1 InsO. Regelungen durch den Plan: Die im Insolvenzplan aufgestellten Regelungen können 30 insbesondere unmittelbaren Einfluss auf die Haftung des Schuldners nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens haben, vgl. § 217 Satz 1 InsO. Zugunsten des Schuldners erfolgt gemäß § 227 Abs. 1 InsO im Regelfall durch den Insol- 31 venzplan eine Befreiung von sämtlichen restlichen Insolvenzverbindlichkeiten. Denn der Schuldner soll im Insolvenzplanverfahren nicht schlechtergestellt sein als in einem Regelinsolvenzverfahren. Bei einer natürlichen Person als Schuldner stünde am Ende des Verfahrens die Restschuldbefreiung.39) Die Möglichkeit zur Restschuldbefreiung dient hierbei u. a. der Motivation des Schuldners zur Mitwirkung bei der Realisierung des Plans.40) Aber auch wenn der Schuldner keine natürliche Person ist, sollen dessen Organe i. R. des Insolvenzplanverfahrens durch die Regelung des § 227 Abs. 1 InsO zur Mitwirkung motiviert werden. 2.5

Gesellschafter

Die Gesellschafter eines insolventen Unternehmens waren nach Ansicht der ganz h. L. 32 ursprünglich nicht mögliche zwangsweise Planbeteiligte.41) Denn ihre Rechtsstellung konnte nicht allein durch einen Insolvenzplan zu ihrem Nachteil verändert werden. Ob sie ohne einen Plan wegen Überschuldung keinen Verwertungserlös beanspruchen konnten, hatte hierbei keinerlei Bedeutung.42) Ein Insolvenzplan, der die Fortführung des Unternehmens unter dem bisherigen Rechtsträger vorsah oder der neue Kapitalgeber an diesem beteiligen sollte, war daher nach alter Rechtslage nicht durchführbar, wenn die Gesellschafter sich weigerten, Insolvenzgläubiger als neue Gesellschafter aufzunehmen.43) Die Gesellschafter konnten damit die Sanierungsbemühungen des Insolvenzverwalters und der Gläubiger konterkarieren, indem sie sich weigerten, ihre wertlosen Anteile ohne Gegenleistung abzutreten. Diese Art der gesetzlichen Regelung wurde von der h. M. als äußerst unzureichend empfunden, da insbesondere ein Debt Equity Swap oftmals als einziger Weg zur Erhaltung des Unternehmens angesehen wurde.44) Der Reformgesetzgeber des ESUG hat nunmehr auch die Inhaber von „Anteils- und Mit- 33 gliedschaftsrechten“ in die Gruppe der möglichen zwangsweise Planbeteiligten aufgenommen.45) ___________ 38) 39) 40) 41)

42) 43) 44) 45)

Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 66. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 227 Rz. 1 f. Vgl. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 227 Rz. 7 ff. Vgl. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 67; Eidenmüller, ZGR 2001, 680, 682; Smid/ Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 8.7; Noack, Gesellschaftsrecht, 1999, Rz. 7, 105, 114; Noack/ Bunke, KTS 2005, 129, 130; Sassenrath, ZIP 2003, 1517, 1518; Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 225a Rz. 1, 2; Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 217 Rz. 11; Kluth, ZInsO 2002, 258, 263; Haas/ Mock in: Gottwald/Haas, InsR-Hdb., § 92 Rz. 15. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 221 Rz. 5. Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 217 Rz. 13. Hierzu ausführlich Dahl, NJW-Spezial 2012, 21. Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 217 Rz. 13; Willemsen/Rechel, ESUG, § 225a Rz. 1 f.

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§ 22 3.

2. Teil Insolvenzplan – Inhalt Freiwillig Beteiligte

34 Zu den möglichen freiwillig Planbeteiligten gehören u. a. die Massegläubiger, die Sozialplangläubiger und die Aussonderungsberechtigten.46) Aber auch konzernverbundene Gesellschaften, eventuelle Auffang- oder Übernahmegesellschaften sowie sonstige Dritte können als mögliche freiwillig Planbeteiligte in Betracht kommen. Dazu bedarf es der Zustimmung jedes Einzelnen.47) 3.1

Massegläubiger

35 Zu den grundsätzlich freiwillig Beteiligten eines Insolvenzplans gehören die Massegläubiger.48) Massegläubiger sind solche Gläubiger, deren Ansprüche nach § 53 InsO vor den Ansprüchen der Insolvenzgläubiger zu berichtigen sind. 36 Regelungen durch den Plan: Eine Änderung der Rechtsposition von Massegläubigern kommt nur durch deren freiwillige vertragliche Bindung in Betracht. Auch im Insolvenzplanverfahren werden sie nicht als Gläubigergemeinschaft zusammengefasst, sondern vielmehr individuell vorweg befriedigt.49) 37 Die h. L. geht richtigerweise davon aus, dass Inhaber von Sozialplanansprüchen gemäß § 123 Abs. 1 InsO ebenfalls nicht gegen ihren Willen an einen Insolvenzplan gebunden werden können und daher lediglich als freiwillig Planbeteiligte in Betracht kommen.50) Dies liegt daran, dass Sozialplanverbindlichkeiten gemäß § 123 Abs. 2 Satz 1 InsO als Masseverbindlichkeiten einzuordnen sind. Die Gegenansicht51) vermag letztlich nicht zu überzeugen, verkennt sie doch die Frage des Zeitpunkts der Aufstellung eines eventuellen Sozialplans. Denn wurde dieser nach Insolvenzeröffnung und außerhalb eines Insolvenzplans bereits wirksam vereinbart, so können die hieraus resultierenden Ansprüche der Sozialplangläubiger nicht mehr gekürzt werden.52) Etwas anderes mag freilich gelten, wenn die Sozialplanansprüche erst in einem Insolvenzplan begründet werden.53) 38 Verzichten Gläubiger i. R. eines Insolvenzplans auf Teile ihrer Forderungen, so führt dies handels- und steuerbilanziell zu einem Sanierungsertrag. Bis zu einer Entscheidung des Großen Senats des BFH54) Ende 2016 konnten der aus einem solchen Sanierungsertrag resultierende Sanierungsgewinn aufgrund des sog. Sanierungserlasses des BMF55) unter bestimmten Voraussetzungen von der Steuer befreit werden. Nachdem dieser Erlass durch den BFH Ende 2016 mangels gesetzlicher Grundlage als Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung qualifiziert wurde, bedurfte es einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung. Diese schuf der Gesetzgeber bereits Mitte 2017 durch eine Neuregelung in § 3a Abs. 1 Satz 1 EStG.56) Hiernach ist nunmehr der Sanierungsertrag, der durch einen Forderungsverzicht entsteht, steuerfrei. Dies gilt aufgrund der gesetzlichen ___________ 46) Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 221 Rz. 2; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 20. 47) Thies in: HambKomm-InsO, § 221 Rz. 5; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 73. 48) Allg. M.; stellvertretend für viele vgl. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 74; Haas in: Kayser/ Thole, HK-InsO, § 221 Rz. 2; Spahlinger in: KPB, InsO, § 217 Rz. 30 f. 49) Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 217 Rz. 11. 50) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 76; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 217 Rz. 11. 51) Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 217 Rz. 30. 52) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 76; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 217 Rz. 11. 53) Vgl. zur Zulässigkeit eines solchen Vorgehens Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 77 und § 221 Rz. 101. 54) BFH v. 28.11.2016 – Grs 1/15, ZIP 2017, 338. 55) BMF-Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6 – S 2140 8/03, BStBl. I 2003, 240, und BMF-Schreiben v. 22.12.2009 – IV C 6 – S 2140/07/10001, BStBl. I 2010, 18. 56) Art. 2 ff. des Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken, v. 27.6.2017, BGBl. I 2017, 2074.

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§ 22

Gestaltender Teil des Insolvenzplans

Regelung sowohl für die Ertrags- bzw. Körperschaftsteuer als auch für die Gewerbesteuer (siehe ausführlich unten Kahlert, HRI II, § 47 Rz. 170 ff.). Nach § 210a InsO ist auch bei Masseunzulänglichkeit ein Insolvenzplanverfahren zuläs- 39 sig. Da ggf. die Forderungen der Massegläubiger nur noch quotal und die Forderungen der nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger überhaupt nicht mehr befriedigt werden können, treten nach der genannten Norm die Massegläubiger an die Stelle der nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger, § 210a Nr. 1 InsO. Damit kann die Befriedigung der Massegläubiger bei Masseunzulänglichkeit ebenfalls Gegenstand eines Insolvenzplans sein, § 210a Nr. 1 i. V. m. § 217 InsO. Die Massegläubiger sind dann ausnahmsweise zwangsweise Planbeteiligte. 3.2

Aussonderungsberechtigte Gläubiger

Anders als Massegläubiger sind aussonderungsberechtigte Gläubiger nie mögliche zwangs- 40 weise Planunterworfene.57) Wer aussonderungsberechtigter Gläubiger ist, ergibt sich aus den §§ 47 f. InsO. Nach § 47 Satz 1 InsO sind dies solche Gläubiger, die aufgrund eines dinglichen oder persönlichen Rechts geltend machen können, dass ein Gegenstand nicht zur Insolvenzmasse gehört. Regelungen durch den Plan: Die Rechte der aussonderungsberechtigten Gläubiger können 41 nur mittels vertraglicher Abrede geändert werden, eine Rechtsänderung kann also lediglich auf freiwilliger Basis stattfinden.58) Solche freiwilligen Abreden werden in der Praxis etwa zum Zweck einer optimalen Gläu- 42 bigerbefriedigung getroffen. Ergibt sich durch den Plan bspw. für den betreffenden Gläubiger eine schnellere Realisierung seines Aussonderungsrechts, so wird er dem Plan üblicherweise zustimmen. Im Gegenzug kann der aussonderungsberechtigte Gläubiger bspw. Zugeständnisse im Hinblick auf eine finanzielle Beteiligung der Insolvenzmasse machen. 3.3

Konzernverbundene Gesellschaften

Mit dem schuldnerischen Unternehmen konzernverbundene Unternehmen (Tochter-, 43 Mutter- oder Schwesterunternehmen) sind allein aus ihrer Konzernverbundenheit heraus nicht am Insolvenzverfahren beteiligt. Nichts anderes gilt bei einer vom Regelinsolvenzverfahren abweichenden Regelung durch einen Insolvenzplan. 3.4

Auffang- bzw. Übernahmegesellschaften

Gleiches gilt für eventuelle Auffang- bzw. Übernahmegesellschaften, die im Wege der 44 übertragenden Sanierung einen Teil oder den gesamten operativen Geschäftsbetrieb des schuldnerischen Unternehmens erworben haben. Soll im Plan bspw. festgelegt werden, dass den Gläubigern des Schuldners gegen eine Auffang- bzw. Übernahmegesellschaft ein bestimmter Anspruch zustehen soll, so kann dies nicht ohne Mitwirkung der Auffang- und Übernahmegesellschaft geschehen.59)

___________ 57) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 195; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 81; Smid/ Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 8.9; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 221 Rz. 2; Spahlinger in: KPB, InsO, § 217 Rz. 30 f. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 217 Rz. 63. 58) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 81. 59) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 91.

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§ 22 3.5

2. Teil Insolvenzplan – Inhalt Insolvenzverwalter

45 Durch einen Insolvenzplan bleiben Rechte des Insolvenzverwalters unberührt. Er kann mit diesen – bspw. seinem Vergütungsanspruch – nicht zwangsweise an einem Plan beteiligt werden. Nach Auffassung der Rechtsprechung kann die Vergütung des Insolvenzverwalters auch nicht freiwillig zum Gegenstand eines Insolvenzplans gemacht werden, um so die Entscheidung des Insolvenzgerichts vorwegzunehmen.60) 3.6

Sonstige Dritte

46 Sonstige Dritte – wie z. B. ein Investor oder neuer Kreditgeber – sind grundsätzlich keine Planbeteiligten. Geht jedoch ein Dritter i. R. eines Insolvenzplans gegenüber den Gläubigern Verpflichtungen ein (vgl. § 230 Abs. 3 InsO), so entfaltet der Plan auch diesem einzelnen Dritten gegenüber Wirkung nach Maßgabe des § 254 Abs. 1 Satz 1 InsO.61) 4.

Einbeziehung von Bürgen und sonstiger Drittsicherungsgeber

47 Der numerus clausus der zwangsweise am Plan Beteiligten schloss es bis Ende 2020 aus, Bürgen und andere Drittsicherungsgeber in die Rechtskraft des Insolvenzplans einzubeziehen. Dies führte insbesondere bei der Sanierung von Unternehmensgruppen zu Problemen, wenn neben der eigentlichen Schuldnerin eine Reihe weiterer Gruppenunternehmen durch Bürgschaft oder Stellung dinglicher Sicherungsrechte für die Verbindlichkeiten der Schuldnerin hafteten. Der numerus clausus der zwangsweise am Plan Beteiligten verbot es, solche Mithafter in die Rechtskraft des Plans mitaufzunehmen und sie aus der Haftung zu entlassen.62) Dies machte es häufig zumindest schwierig, Unternehmensgruppen durch einen Insolvenzplan nur über die Obergesellschaft zu sanieren, denn es drohte der Fortbestand der Sicherungsrechte gegen die gruppenzugehörigen Unternehmen.63) 48 Dieses Problem wurde mit dem zum 1.1.2021 in Kraft getretenen SanInsFoG64) durch § 217 Abs. 2 InsO weitestgehend beseitigt. Eingegriffen werden kann nunmehr nicht nur in die Rechte von Forderungsinhabern gegen das schuldnerische Unternehmen, sondern auch in Sicherungsrechte, die andere Gruppenunternehmen für diese Verbindlichkeit gestellt haben. Gemäß § 223a Satz 2 InsO ist ein solcher Eingriff in gruppeninterne Drittsicherheiten aber nur zulässig, sofern ein angemessener materieller Ausgleich erfolgt. 49 Diese Regelung entspricht weitestgehend inhaltlich der Regelung für den Restrukturierungsplan in § 2 Abs. 4 StaRUG. Allerdings sieht das StaRUG65) in § 49 Abs. 3 vor, dass i. R. einer sogen. Stabilisierungsanordnung ein Vollstreckungsverbot in die gruppeninternen Drittsicherheiten erlassen werden kann, wenn dies für die Verwirklichung der Sanierung erforderlich ist. Zwar hat es der Gesetzgeber versäumt, eine entsprechende Regelung auch in die InsO aufzunehmen. Doch spricht angesichts der ähnlichen Zielrichtung beider Verfahren und der Orientierung des Restrukturierungsplans des StaRUG am Insolvenzplan viel dafür, hierin eine unbeabsichtigte Regelungslücke zu sehen, die durch ana___________ 60) BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482 = DZWIR 2017, 334 m. Anm. Skauradszun, dazu EWiR 1017, 179 (Madaus). 61) Spahlinger in: KPB, InsO, § 221 Rz. 5. 62) Vgl. Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 287. 63) Zu Rechtskonstruktionen zur Bewältigung dieses Problems s. 1. Aufl. Rz. 47 f. 64) Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256. 65) Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz – StaRUG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256 (= Art. 1 des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts [Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG], v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256).

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Gestaltender Teil des Insolvenzplans

loge Anwendung des § 49 Abs. 3 StaRUG i. R. von Anordnungen des Insolvenzgerichts nach § 21 Abs. 2 InsO geschlossen werden kann. Andernfalls droht das mit einem Insolvenzplan angestrebte Sanierungsziel durch Vollstreckung in gruppenzugehörige Unternehmen vereitelt zu werden. IV.

Gruppenbildung

Ein wesentliches Element eines jeden Insolvenzplans ist die Bildung von gesondert über 50 den Insolvenzplan abstimmenden Gruppen von Beteiligten. Hierbei sollen die jeweiligen Gläubigertypen zu Interessengemeinschaften zusammengefasst werden, um dann kraft dieses Kollektivs zu einer gemeinschaftlichen Entscheidung über den Insolvenzplan zu kommen, vgl. § 244 InsO. Der Plan ist angenommen, wenn in jeder Gruppe die Kopfmehrheit der Gläubiger und die Summenmehrheit der festgestellten Forderungen gegeben ist, § 244 InsO.66) Der Zweck der Gruppenbildung besteht darin, den unterschiedlichen Interessen der 51 Gläubiger Rechnung zu tragen.67) Mit der Homogenität der Interessen innerhalb einer Gruppe geht die Gleichbehandlung innerhalb des Plans einher. Zwischen den einzelnen Gruppen hingegen sollte eine Heterogenität der Interessen bestehen. Diese ist jedoch nicht zwingend, so dass durchaus verschiedene Gruppen mit im Grunde gleichen Interessen gebildet werden können. Bei der Gruppenbildung ist zwischen obligatorischen und fakultativen Gruppen zu unterscheiden. 1.

Obligatorische Gruppen

§ 222 Abs. 1 Satz 1 InsO sieht die Bildung obligatorischer Gruppen vor, soweit Gläubiger 52 mit unterschiedlicher Rechtsstellung betroffen sind. § 222 Abs. 1 Satz 2 InsO nennt sodann exemplarisch vier Fälle, in denen in jedem Fall eine entsprechende Gruppe im Insolvenzplan zu bilden ist: 

Absonderungsberechtigte Gläubiger, wenn durch den Plan in deren Rechte eingegriffen wird;



nicht nachrangige Insolvenzgläubiger;



einzelne Rangklassen der nachrangigen Insolvenzgläubiger, soweit deren Forderungen nicht nach § 225 InsO als erlassen gelten;



am Schuldner beteiligte Personen, wenn deren Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte in den Plan einbezogen werden.

Nach § 222 Abs. 3 Satz 1 InsO sollen zudem die Arbeitnehmer eine besondere Gruppe 53 bilden, wenn sie als Insolvenzgläubiger mit nicht unerheblichen Forderungen beteiligt sind. Die Erheblichkeit des Forderungsvolumens wird hierbei nicht am Gesamtvolumen der Insolvenzforderungen gemessen, sondern es ist vielmehr auf die subjektive Betroffenheit der Arbeitnehmer abzustellen.68) Vernünftig erscheint es, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Arbeitnehmer zum Maßstab der Erheblichkeit zu machen.69) Sollte eine der vorgenannten Gläubigerklassen am Insolvenzverfahren überhaupt nicht 54 beteiligt sein, so ist auch in einem Insolvenzplan keine entsprechende Gruppe zu bilden. ___________ 66) 67) 68) 69)

Rattunde, GmbHR 2012, 455, 457. Koch/de Bra in: Gottwald/Haas, InsR-Hdb., § 65 Rz. 33. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 129; Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 222 Rz. 27. So auch Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 129, und Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 222, Rz. 28, die bei Insolvenzforderungen i. H. von mehr als 10 % des Jahreseinkommens von nicht unerheblichen Forderungen i. S. des § 222 Abs. 3 InsO ausgehen.

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§ 22

2. Teil Insolvenzplan – Inhalt

Es besteht damit letztlich die Möglichkeit, dass ein Plan nur die Gruppe der nicht nachrangigen und unbesicherten Insolvenzgläubiger vorsieht.70) 2.

Fakultative Gruppen

55 Gemäß § 222 Abs. 2 Satz 1 InsO besteht die Möglichkeit zur Bildung fakultativer Gruppen. Voraussetzung hierfür ist, dass Gläubiger mit gleichartigen wirtschaftlichen Interessen vorhanden sind. Die Gruppen müssen gemäß § 222 Abs. 2 Satz 2 InsO sachgerecht voneinander abgegrenzt werden und die Kriterien für die Abgrenzung sind gemäß § 222 Abs. 2 Satz 3 InsO im Plan anzugeben. 56 Von einer Erfüllung dieser Voraussetzungen geht das Gesetz nach § 222 Abs. 3 Satz 2 InsO aus, sofern es sich um Kleingläubiger handelt. 57 Auch für den Träger der Insolvenzsicherung, den Pensions-Sicherungs-Verein a. G., kann gemäß § 9 Abs. 4 Satz 1 BetrAVG in einem Insolvenzplan eine eigene Gruppe gebildet werden. Üblicherweise wird von dieser Möglichkeit auch Gebrauch gemacht, sofern der PSVaG aufgrund gesetzlichen Forderungsübergangs Insolvenzgläubiger im Verfahren ist. Denn hinsichtlich der Befriedigung des PSVaG ist stets die Sollvorschrift des § 7 Abs. 4 Satz 5 BetrAVG zu beachten. Danach soll in einem Insolvenzplan vorgesehen werden, dass bei einer nachhaltigen Besserung der wirtschaftlichen Lage des Schuldners die vom PSVaG zu erbringenden Leistungen ganz oder zum Teil vom Schuldner (oder sonstigen Träger der Versorgung) wieder übernommen werden. Fehlt eine derartige Besserungsklausel in einem Insolvenzplan, hat das Insolvenzgericht grundsätzlich den Plan von Amts wegen zurückzuweisen, vgl. § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO.71) Etwas anderes gilt ausnahmsweise nur dann, wenn gewichtige Gründe dafür sprechen, von der Sollvorschrift des § 7 Abs. 4 Satz 5 BetrAVG abzuweichen. Dies wurde in der Praxis etwa angenommen, wenn ein Großgläubiger am Plan nur unter der Bedingung mitwirkt, dass der PSVaG keine höhere Quotenzahlung erhält als die sonstigen (einfachen) Insolvenzgläubiger.72) 3.

Taktische Erwägungen

58 In der Praxis bietet es sich wegen der Mehrheitserfordernisse i. R. der Annahme des Plans an, im Plan eine ungerade Anzahl von Gruppen aufzunehmen. 59 Soweit rechtlich möglich, sollten zudem opponierende Gläubiger in Gruppen einbezogen werden, in denen sie mit hoher Wahrscheinlichkeit von dem Planinitiator wohlgesonnenen Gläubigern überstimmt werden. 60 Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten zur Gruppenbildung innerhalb des Plans wird auf Haneke, HRI II, § 24 verwiesen. V.

Verfügungen

61 Nach der allgemeinen Regelung des § 221 InsO wird im gestaltenden Teil des Insolvenzplans festgelegt, wie die Rechtsstellung der Beteiligten durch den Plan geändert werden soll. Die spezielleren Regelungen der §§ 222 bis 228 InsO bieten gewissermaßen das Handwerkszeug für diese Änderungen. Die Änderung der Rechtsstellung eines Beteiligten ist letztlich als Verfügung über ein Recht zu verstehen. In Betracht kommt insoweit die Begründung, Aufhebung, Übertragung oder Veränderung des Rechts. ___________ 70) Koch/de Bra in: Gottwald/Haas, InsR-Hdb., § 65 Rz. 35. 71) Rolfs in: Blomeyer/Rolfs/Otto, BetrAVG, § 7 Rz. 278; Steinmeyer in: ErfK, § 7 BetrAVG Rz. 48. 72) Ebenso Rieger, NZI 2013, 671, 674.

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Gestaltender Teil des Insolvenzplans

Die Rechte, über die i. R. eines Insolvenzplans verfügt werden kann, können sowohl 62 dinglicher als auch schuldrechtlicher Natur sein. Da dingliche und obligatorische Rechte typischerweise unterschiedliche Behandlung erfahren und hierfür auch unterschiedliche insolvenzrechtliche Instrumentarien zur Verfügung stehen – man denke nur an die Vorschriften zur Behandlung von Sicherungsvermögen in den §§ 166 ff. InsO einerseits und an die Vorschriften zur Behandlung von Dauerschuldverhältnissen in den §§ 103 ff. InsO andererseits –, werden Verfügungen über dingliche und obligatorische Rechte im Plan typischerweise in eigenen Abschnitten behandelt. Des Weiteren sollten die Gestaltungsregelungen frei von Begründungen oder Erläute- 63 rungen gehalten werden. Der gestaltende Teil des Insolvenzplans hat letztlich eine ähnliche Funktion wie der Tenor eines Urteils und sollte sich in der Abfassung an diesem orientieren. Erläuterungen und Begründungen gehören in den darstellenden Teil. Die häufig anzufindende Doppelung der Erläuterungen und Begründung im gestaltenden und darstellenden Teil ist unnötig, im Extremfall geht dabei sogar die notwendige Bestimmtheit und damit Vollstreckbarkeit der Regelungen verloren.73) Daneben tritt in einem Insolvenzplan oft die Notwendigkeit, Regelungen zu insolvenz- 64 spezifischen Ansprüchen (insbesondere Insolvenzanfechtungsrechte, Organhaftungsansprüche) sowie insolvenztypischen Ansprüchen (insbesondere gesellschaftsrechtlicher Natur, wie etwa Ansprüche aus fehlerhafter Kapitalerhöhung) aufzunehmen. Auch für diese findet sich üblicherweise wegen ihrer besonderen Natur ein eigener Abschnitt. Je nachdem, auf welchem Wege durch den Insolvenzplan eine gegenüber der Liquidation 65 im Regelverfahren verbesserte Befriedigung der Gläubiger erreicht werden soll, variieren die Verfügungen über die Rechte der Beteiligten. Die vier gängigsten Arten von Insolvenzplänen sind: 

die Fortführung des reorganisierten Unternehmens durch den bisherigen Rechtsträger (Eigensanierung),



die Veräußerung sämtlicher zum operativen Geschäftsbetrieb gehörenden Vermögensgegenstände an eine Auffanggesellschaft (übertragende Sanierung),



die vom Regelinsolvenzverfahren abweichende Liquidation des schuldnerischen Unternehmens sowie



die vom Regelinsolvenzverfahren abweichende Schuldenregulierung.

1.

Dingliche Rechte

Die Verwertung der zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögensgegenstände stellt in 66 einem Regelinsolvenzverfahren einen der wesentlichen Bestandteile der Aufgaben des Insolvenzverwalters dar. Innerhalb eines Insolvenzplanverfahrens kann die Bandbreite der erfassten Vermögensgegenstände aufgrund der getroffenen Vereinbarungen ebenso variieren wie die Art der Verwertung. 1.1

Verwertung der Massegegenstände

Nach der allgemeinen Regelung des § 217 InsO kann u. a. die Verwertung der Insolvenz- 67 masse in einem Insolvenzplan abweichend von den Vorschriften der InsO geregelt werden. Eine genaue Bezeichnung derjenigen Vorschriften, von denen abgewichen werden darf, ist der Regelung jedoch nicht zu entnehmen. Betrachtet man die Systematik der InsO, so ___________ 73) Vgl. Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 7 Rz. 30, 121 ff.

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2. Teil Insolvenzplan – Inhalt

sind die plandispositiven Regelungen zur Verwertung der Insolvenzmasse, nämlich die §§ 159 bis 164 InsO, in wenigen Schritten identifizierbar.74) 68 Von diesen plandispositiven Regelungen weicht nahezu jeder Insolvenzplan zumindest teilweise ab.75) Soll etwa der Unternehmensträger nach Abschluss des Insolvenzplanverfahrens zumindest teilweise mit seinem operativen Geschäftsbetrieb erhalten bleiben und die Gläubiger im Wege eines Earn-out-Plans (siehe hierzu Rz. 156) aus den künftigen Erträgen des reorganisierten Unternehmens befriedigt werden, so wäre eine solche Regelung schon mit dem gesetzlichen Auftrag des § 159 InsO unvereinbar. Auch die in einem Insolvenzplan geregelte übertragende Sanierung, also der Verkauf des operativen Geschäftsbetriebs als Sachgesamtheit an einen Dritten, würde von den Vorschriften der §§ 160 bis 163 InsO abweichen. 69 Nicht dispositiv sind hingegen die §§ 103 bis 128 InsO mit ihren Regelungen zur „Erfüllung der Rechtsgeschäfte“ und zur „Mitwirkung des Betriebsrats“.76) Denn §§ 103 ff. InsO werden von § 217 InsO, der die zulässigen Planregelungen abschließend bestimmt, nicht erfasst (Einzelheiten siehe Rz. 78 ff.). 1.2

Einbeziehung von Drittrechten

70 Die Einbeziehung von Drittrechten in den Insolvenzplan regelt § 223 InsO. Ist im Insolvenzplan nichts anderes bestimmt, so wird gemäß § 223 Abs. 1 Satz 1 InsO das Recht der absonderungsberechtigten Gläubiger zur Befriedigung aus den Gegenständen, an denen Absonderungsrechte bestehen, vom Plan nicht berührt. 71 Soweit hingegen im Insolvenzplan eine abweichende Regelung getroffen wird, ist gemäß § 223 Abs. 2 InsO im gestaltenden Teil des Insolvenzplans für die absonderungsberechtigten Gläubiger anzugeben, um welchen Bruchteil die Rechte gekürzt, für welchen Zeitraum sie gestundet oder welchen sonstigen Regelungen sie unterworfen werden sollen. Die gesetzliche Regelung nennt damit bereits exemplarisch zwei Regelungsvarianten, denen absonderungsberechtigte Gläubiger unter Beachtung der Mehrheitserfordernisse des Insolvenzplanverfahrens zwangsweise unterworfen werden können. Die betroffenen Gläubiger können sich dann nur noch mit den dem Insolvenzplanverfahren immanenten Möglichkeiten gegen derartige Regelungen wehren. Hierbei sind die Beschwerdemöglichkeiten der InsO, insbesondere aber der Minderheitenschutz nach § 251 InsO zu nennen. 72 Absonderungsberechtigte Gläubiger können sich ohne einen Plan grundsätzlich nach Abzug von Feststellungs- und ggf. auch Verwertungskosten der Insolvenzmasse voll aus dem betreffenden Vermögensgegenstand befriedigen (vgl. §§ 49, 50 InsO). Zudem darf kein Gläubiger, der dem Insolvenzplan widerspricht, durch diesen schlechtergestellt werden, als er ohne den Insolvenzplan stünde (vgl. § 245 und § 251 InsO). Es fragt sich daher, wann ein Eingriff in ein Absonderungsrecht i. R. eines Insolvenzplans überhaupt denkbar ist. Der häufigste Anwendungsfall dürfte derjenige sein, in dem der Fortführungswert eines Vermögensgegenstands deutlich über dessen Liquidationswert liegt. Soweit der jeweilige absonderungsberechtigte Gläubiger in einer Liquidation nicht mit voller oder sogar nur geringer Befriedigung rechnen kann, genügt für seine Besserstellung i. R. des Insolvenzplans bereits eine geringfügig höhere Quote. 73 Der Insolvenzplan kann im Hinblick auf Absonderungsrechte vielfältige Regelungen vorsehen. So ist zum einen denkbar, dass das materielle Sicherungsrecht durch eine Rege___________ 74) Zugänglich dargestellt durch Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 116. 75) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 117. 76) Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 217 Rz. 9; Andres in: Andres/Leithaus, InsO, Vor § 217 Rz. 5; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 121.

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Gestaltender Teil des Insolvenzplans

lung des Insolvenzplans beeinträchtigt wird. In Betracht kommt etwa, dass ein an sich der Verwertung zuzuführender Vermögensgegenstand zur Ermöglichung der Unternehmensfortführung im Schuldnervermögen verbleibt. Zum anderen ist denkbar, dass mittelbar die gesicherte persönliche Forderung des absonderungsberechtigten Gläubigers über den Wert des Absonderungsrechts hinaus beeinträchtigt wird. Üblicherweise wird der absonderungsberechtigte Gläubiger für denjenigen Teil seiner persönlichen Forderung, der den Wert seines Sicherungsrechts übersteigt, lediglich das an Insolvenzquote oder sonstiger Befriedigung bekommen, was alle ungesicherten Insolvenzgläubiger erhalten. 1.3

Insolvenzfreies Vermögen und Vermögen Dritter

Die Verwertung von eventuellem insolvenzfreien Vermögen des Schuldners77) sowie von 74 Vermögen Dritter kann nicht zwangsweise in einem Insolvenzplan geregelt werden, denn es gehört schon begrifflich nicht zur Insolvenzmasse. Eine Ausnahme besteht selbstverständlich, wenn der Schuldner oder der Dritte der Verwertung i. R. des Insolvenzplans zustimmen. 1.4

Betriebsnotwendiges vs. nicht betriebsnotwendiges Vermögen

Sinnvoll ist eine Unterteilung der gesondert zu verwertenden Vermögensgegenstände an- 75 hand deren Bedeutung im Falle einer Unternehmensfortführung. Während das betriebsnotwendige Vermögen für die Fortführung im Unternehmen belassen wird, kann sämtliches nicht betriebsnotwendige Vermögen dazu genutzt werden, die Quotenerwartung für die Gläubiger aufzubessern. In der Praxis geschieht die Verwertung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens häufig 76 i. R. von sog. Besserungsscheinen (siehe hierzu Rz. 165 ff.). Dadurch kann gewährleistet werden, dass das Insolvenzplanverfahren zügig zu einem erfolgreichen Ende geführt werden kann und die nicht betriebsnotwendigen Vermögensgegenstände dennoch einer bestmöglichen Verwertung zugunsten der Gläubiger, etwa i. R. einer Treuhandkonstruktion,78) zugeführt werden. Das betriebsnotwendige Vermögen hingegen verbleibt entweder im Vermögen des Unternehmensträgers oder wird als Sachgesamtheit i. R. einer übertragenden Sanierung auf einen Dritten übertragen. 2.

Vertragsverhältnisse

Hinsichtlich der Vertragsverhältnisse ist zwischen den bei Insolvenzeröffnung bereits be- 77 stehenden Vertragsverhältnissen und eventuell während des eröffneten Insolvenzverfahrens neu begründeten Vertragsverhältnissen zu unterscheiden. Zudem lohnt die Differenzierung zwischen individualrechtlichen und kollektivrechtlichen Vereinbarungen. 2.1

Bestehende Vertragsverhältnisse

Die Behandlung bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehender Vertragsver- 78 hältnisse des Insolvenzschuldners ist in den §§ 103 ff. InsO geregelt. Für das gewöhnliche Insolvenzverfahren gilt § 103 InsO. Nach dieser Norm hat der Insolvenzverwalter ein Wahlrecht, ob er die Erfüllung von Altverträgen des Schuldners verweigert. Die Verweigerung hat zur Folge, dass der jeweilige Vertragspartner seinen Anspruch wegen Nichter___________ 77) Zum Umfang des insolvenzfreien Vermögens vgl. Hirte in: Uhlenbruck, InsO, § 35 Rz. 69 ff. 78) Die Zulässigkeit der Vereinbarung einer solchen Treuhandkonstruktion sah § 253 Abs. 2 Nr. 2 RegE InsO ausdrücklich vor, vgl. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 49. Auf Empfehlung des Rechtsausschusses wurde § 253 Abs. 2 RegE InsO lediglich zur „redaktionellen Verkürzung des Gesetzes“ gestrichen, vgl. Beschlussempfehlung und Bericht d. RA, BT-Drucks. 12/7302, S. 181.

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2. Teil Insolvenzplan – Inhalt

füllung nur als Insolvenzgläubiger geltend machen kann (vgl. § 103 Abs. 2 InsO). Erfüllt der Insolvenzverwalter hingegen den bisher vom Schuldner nicht (vollständig) erfüllten Altvertrag, bleibt der Vertragspartner ebenfalls zur Erfüllung verpflichtet (vgl. § 103 Abs. 1 InsO).79) Dann fallen die Ansprüche des Schuldners gegenüber dem jeweiligen rechtsgeschäftlichen Partner auf Erfüllung schlicht in die Insolvenzmasse.80) 79 Die Regelungen der §§ 103 ff. InsO sind nicht dispositiv und bleiben vom Insolvenzplan unberührt.81) Denn § 217 InsO regelt die möglichen Dispositionen in einem Insolvenzplan abschließend.82) Nach der genannten Norm kann zwar „die Verwertung der Insolvenzmasse und deren Verteilung an die Beteiligten sowie die Verfahrensabwicklung“ in einem Insolvenzplan abweichend vom Regelinsolvenzverfahren geregelt werden. Zur Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse oder zur Verfahrensabwicklung zählt jedoch nicht die Ausübung des Wahlrechts des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO.83) Nur die von dem Wahlrecht erfassten und in die Insolvenzmasse fallenden Ansprüche können Regelungsgegenstand eines Insolvenzplans sein. Denn diese Ansprüche des Schuldners haben Einfluss auf den Bestand der verwertbaren Insolvenzmasse. 80 Ansprüche des jeweiligen Vertragspartners: Weiterhin kann von der Ausübung des Wahlrechts abhängig sein, ob der jeweilige Vertragspartner – bei Erfüllungswahl durch den Insolvenzverwalter – als Massegläubiger volle Befriedigung für einen nach Insolvenzeröffnung erbrachten Teil der Leistung erhält (vgl. hinsichtlich teilbarer Leistungen insbesondere § 105 InsO) oder ob er – bei Ablehnung der Erfüllung durch den Insolvenzverwalter – nur mit einer anteiligen Quote als Insolvenzgläubiger einzuordnen ist. Dies kann auch für die Gruppeneinordnung nach § 222 InsO von Bedeutung sein. Damit ist zumindest eine Regelung über das Schicksal der sich aus diesen Verträgen ergebenden Forderungen im Insolvenzplan sinnvoll. 2.2

Neue Vertragsverhältnisse

81 Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann nur der Insolvenzverwalter neue vertragliche Verpflichtungen zulasten der Insolvenzmasse eingehen, § 80 Abs. 1 InsO.84) Die Verpflichtungen aus solchen Verträgen sind nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO Masseverbindlichkeiten. Das heißt, die Vertragspartner sind gemäß § 53 InsO vorab, insbesondere also vor den Insolvenzgläubigern zu befriedigen. 82 Zur freiwilligen Beteiligung von Massegläubigern am Insolvenzplan siehe bereits oben Rz. 35 ff. 2.3

Kollektivrechtliche Vertragsverhältnisse

83 Im Rahmen der Erstellung eines Insolvenzplans ist weiterhin zu berücksichtigen, inwieweit eine Gestaltung kollektiver Vertragsverhältnisse möglich ist. Hierbei soll wegen der praktischen Bedeutung insbesondere auf die arbeitsrechtlichen Regelungen im gestaltenden Teil eingegangen werden. 84 Im Allgemeinen gilt für Arbeitnehmer dasselbe wie für sonstige Gläubiger. Entgeltansprüche der Arbeitnehmer aus der Zeit vor Verfahrenseröffnung sind in der Regel nur ___________ 79) 80) 81) 82) 83) 84)

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Für nähere Ausführungen s. Marotzke in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 103 Rz. 4 ff. Wegener in: Wimmer, FK-InsO, § 103 Rz. 2. Vgl. auch Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 217 Rz. 9. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 102. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 121. In der Eigenverwaltung werden durch den Schuldner begründete Verbindlichkeiten zu privilegierten Masseverbindlichkeiten i. S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 270 Rz. 13.

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Gestaltender Teil des Insolvenzplans

Insolvenzforderungen i. S. des § 38 InsO, wie § 108 Abs. 3 InsO klarstellend bestimmt.85) Dies gilt insbesondere auch dann, wenn die Arbeitnehmer von einem vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis von der Arbeit freigestellt werden.86) Nimmt ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis die Arbeitsleistung hingegen in Anspruch, so gilt § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO. Die dann entstehenden Entgeltansprüche der Arbeitnehmer sind als Masseverbindlichkeiten einzuordnen. Gleiches gilt für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Hingegen können im Insolvenzplan zwangsweise keine Änderungen der Arbeitsbedin- 85 gungen (wie z. B. Lohnkürzungen, Verkürzung von Kündigungsfristen etc.) für die Zukunft erfolgen. Denn solche Änderungen sind nicht in § 217 InsO vorgesehen. Sie sind folglich nur möglich, wenn die betroffenen Arbeitnehmer zustimmen, das Ziel einer möglichst effektiven Haftungsverwirklichung i. S. des Insolvenzplans verfolgt wird und die jeweilige, auf Arbeitsbedingungen bezogene Regelung aus Sicht der Erklärenden individualvertraglich disponibel ist.87) Letzteres ist insbesondere deshalb erforderlich, da der Insolvenzplan grundsätzlich nicht die normative Kraft von bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgestellten Tarifverträgen unterlaufen kann.88) Besonderes gilt für Sozialpläne. Hierbei handelt es sich gemäß § 112 Abs. 1 Satz 2 Be- 86 trVG um eine Einigung zwischen dem Unternehmen und dem Betriebsrat über den Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge der geplanten Betriebsänderung entstehen. Solche Sozialpläne können zum einen außerhalb des Insolvenzplans aufgestellt werden und sodann mittels aufschiebender Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB) oder Planbedingung (§ 249 InsO) mit diesem verbunden werden.89) Zum anderen wird überwiegend auch angenommen, dass eine unmittelbare Aufnahme des Sozialplans in den gestaltenden Teil des Insolvenzplans möglich ist. Dafür spricht, dass grundsätzliche Regelungen im gestaltenden Teil eines Insolvenzplans auf freiwilliger Basis immer zulässig sind. Voraussetzung ist jedoch stets, dass sie einen Bezug zu dem eigentlichen Ziel des Insolvenzplanverfahrens – einer möglichst effektiven Haftungsverwirklichung – herbeiführen.90) Derselbe Grundsatz ist auch auf sonstige kollektivrechtliche Vereinbarungen anwend- 87 bar. Das bedeutet, dass bspw. der Abschluss oder die Aufhebung eines Tarifvertrags i. R. eines Insolvenzplanverfahrens auf freiwilliger Basis möglich ist, sofern und soweit dies dem Ziel einer möglichst effektiven Haftungsverwirklichung dient.91) 3.

Anfechtungsrechte und sonstige Rechte

Neben den gewöhnlichen dinglichen und schuldrechtlichen Ansprüchen finden sich in der 88 Insolvenzmasse meist auch insolvenzspezifische sowie insolvenztypische Ansprüche. Hierzu gehören neben Anfechtungsrechten auch Schadensersatzansprüche sowie sonstige gesellschafts- und zivilrechtliche Ansprüche.

___________ Ries in: Uhlenbruck, InsO, § 108 Rz. 56. Ries in: Uhlenbruck, InsO, § 108 Rz. 55. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 99; Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 8.30. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 99. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 100. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 101; a. A. Maus in: Graf-Schlicker/Maus/Uhlenbruck, Die Unternehmensinsolvenz nach der InsO, S. 229, 238. 91) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 102.

85) 86) 87) 88) 89) 90)

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§ 22 3.1

2. Teil Insolvenzplan – Inhalt Anfechtungsrechte

89 Anfechtungsrechte sind in nahezu jedem Insolvenzverfahren vorzufinden. Sie bedürfen daher besonderer Beachtung i. R. der Gestaltung eines Insolvenzplans. 3.1.1 Prozessführungsbefugnis nach Verfahrensaufhebung 90 Nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens geht die Prozessführungsbefugnis für einen vom Insolvenzverwalter geführten anhängigen Prozess grundsätzlich wieder auf den Schuldner über.92) Eine Unterbrechung des Rechtsstreits tritt nur ein, wenn der Insolvenzverwalter nicht anwaltlich vertreten wurde. Ansonsten bleibt die Prozessvollmacht bestehen, so dass die Unterbrechung des Verfahrens nur in Form der Aussetzung auf Antrag erreicht werden kann. Das entspricht der Rechtslage des § 246 ZPO.93) 91 Eine Ausnahme sieht § 259 Abs. 3 InsO im Insolvenzplanverfahren für Anfechtungsansprüche vor. Der Insolvenzverwalter kann auch nach der Aufhebung des Verfahrens einen anhängigen Rechtsstreit fortführen, wenn dies im gestaltenden Teil des Insolvenzplans vorgesehen ist. Sinn und Zweck dieser Ausnahmeregelung besteht darin zu verhindern, dass der Anfechtungsgegner den Prozess in der Hoffnung auf Erledigung durch die Aufhebung verschleppt.94) 92 Des Weiteren ermöglicht die Norm, Anfechtungsansprüche noch bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens, d. h. auch nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans, anhängig zu machen, ohne dass das Risiko einer vorzeitigen Beendigung des Anfechtungsprozesses bei Verfahrensaufhebung besteht.95) Damit ist für die Berechtigung zur Fortführung des Rechtsstreits der Zeitpunkt der Aufhebung des Verfahrens maßgeblich. Unerheblich ist, ob der Anfechtungsanspruch zum Zeitpunkt der Abstimmung über diesen Plan bereits bekannt war oder ein Anfechtungsrechtsstreit zu diesem Zeitpunkt bereits anhängig war.96) Das Abstellen auf diesen Zeitpunkt erscheint sachgerecht, weil der Insolvenzverwalter oftmals insbesondere bei Prepackaged-Plänen zeitlich nicht in der Lage sein wird, allen anfechtungsrechtlich relevanten Sachverhalten in der Anfangsphase des Verfahrens nachzugehen.97) Schließlich mag es für den Insolvenzverwalter vorzugswürdig sein, mit der Geltendmachung der Ansprüche bis zur rechtskräftigen Bestätigung des Insolvenzplans zu warten, damit Gläubiger aufgrund bereits erhobener Anfechtungsklagen nicht gegen den Plan opponieren und die Plandurchführung maßgeblich bereits im Vorfeld erschweren.98) Insbesondere könnten gerade die nicht ad hoc ersetzbaren Lieferanten die Betriebsfortführung in der Insolvenz gefährden, wenn Anfechtungsklagen zu früh erhoben werden.99) Diese Regelung wird auch hinreichend dem Gläubigerschutz gerecht, weil Gläubiger, die etwas in anfechtbarer Weise erlangt haben, nicht vor dem Insolvenzanfechtungsverfahren geschützt werden, selbst wenn sie dem Insolvenzplanverfahren zugestimmt haben.100)

___________ 92) Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 259 Rz. 7. 93) Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 259 Rz. 25. 94) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 214; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 259 Rz. 7; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 259 Rz. 17. 95) Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 259 Rz. 7. 96) Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 259 Rz. 20. 97) Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 259 Rz. 20. 98) Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 259 Rz. 21; Michels, EWiR 2002, 293, 294 (Urteilsanm.). 99) Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 259 Rz. 21; Michels, EWiR 2002, 293, 294 (Urteilsanm.). 100) Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 259 Rz. 18.

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§ 22

Gestaltender Teil des Insolvenzplans 3.1.2 Regelung im Plan

Damit der Insolvenzverwalter anhängige Anfechtungsrechtsstreitigkeiten nach der Auf- 93 hebung des Verfahrens fortführen kann, muss eine entsprechende Regelung im gestaltenden Teil des Insolvenzplans enthalten sein. Dafür ist die Klausel: „§ 259 Abs. 3 InsO findet Anwendung“ ausreichend.101) Des Weiteren muss der Anfechtungsrechtsstreit bereits vor der Aufhebung des Verfah- 94 rens anhängig sein. Nach der Aufhebung kann die Anfechtungsklage nicht mehr erhoben werden, weil der Insolvenzverwalter dann nicht mehr prozessführungsbefugt ist.102) Die Prozessführungsbefugnis kann dem Insolvenzverwalter auch nicht durch die Entscheidung eines Insolvenzgerichts eingeräumt werden.103) Auf andere anhängige Prozesse ist die Vorschrift nicht entsprechend anwendbar, d. h. 95 durch den Insolvenzplan darf dem Insolvenzverwalter eine Fortführung anderer Prozesse nicht erlaubt werden.104) Ebenso wenig kann im Insolvenzplan vorgesehen werden, dass der Insolvenzverwalter streitige Ansprüche nach Verfahrensende gerichtlich durchsetzt und einer Nachtragsverteilung zuführt.105) Gemäß § 259 Abs. 3 Satz 2 InsO wird der Rechtsstreit grundsätzlich für Rechnung des 96 Schuldners geführt. Etwas anderes kann abweichend im Insolvenzplan geregelt werden.106) Empfehlenswert ist deshalb, die Wirkung des Insolvenzplans auf Anfechtungsprozesse explizit zu regeln, damit nicht nur aufgrund der Möglichkeit der Fortführung an sich, sondern auch weitergehend die Kostentragung und die Erlösverteilung geregelt sind.107) Ebenso sollte im Insolvenzplan bestimmt werden, was mit dem Erlös aus dem Anfechtungsrechtsstreit i. R. der Planerfüllung zu geschehen hat.108) So kann etwa im Plan geregelt werden, dass die Erlöse i. R. eines Besserungsscheins an die Insolvenzgläubiger verteilt werden. 3.1.3 Änderungsbedarf des § 259 Abs. 3 InsO § 259 Abs. 3 InsO zur Fortsetzung bereits bei Verfahrensaufhebung „anhängiger“ (richtig: 97 „rechtshängiger“)109) Insolvenzanfechtungsklagen greift oft zeitlich zu kurz. Denn auf der Grundlage des Insolvenzplans darf der Insolvenzverwalter nur einen bei Aufhebung des Verfahrens bereits rechtshängigen Anfechtungsprozess fortsetzen.110) Dem Insolvenzverwalter wird es oftmals zeitlich nicht möglich sein, vor Aufhebung des Verfahrens die Insolvenzanfechtungsansprüche zu prüfen und entsprechende Klagen anhängig zu machen. Um die Ansprüche jedoch nicht zu verlieren, müsste er sie trotz unvollständiger Prüfung anhängig machen, um so zumindest die Chance der Klagezustellung beim Anfechtungsgegner (Rechtshängigkeit) vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens zu wahren. Dies könnte zu ungerechtfertigten Klagen führen. Bedauerlicherweise wurde i. R. des ___________ 101) 102) 103) 104) 105) 106) 107) 108) 109) 110)

BGH v. 6.10.2005 – IX ZR 36/02, ZIP 2006, 39, dazu EWiR 2006, 87 (Bähr/Landry). BGH v. 10.12.2009 – IX ZR 206/08, ZIP 2010, 102, dazu EWiR 2010, 193 (Rendels/Körner). BGH v. 10.12.2009 – IX ZR 206/08, ZIP 2010, 102. Freund/Stadler, BeckOK-InsO, § 259 Rz. 13; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 259 Rz. 7; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 259 Rz. 23. BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2028, 691, dazu EWiR 2018, 405 (Madaus). Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 259 Rz. 19. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 259 Rz. 18; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 259 Rz. 18. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 259 Rz. 52 f. Vgl. BGH v. 11.4.2013 – IX ZR 122/12, Rz. 11, ZIP 2013, 998 = NZI 2013, 489, dazu EWiR 2013, 557 (Ruhe-Schweigel). BGH v. 11.4.2013 – IX ZR 122/12, ZIP 2013, 998 = NZI 2013, 489.

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2. Teil Insolvenzplan – Inhalt

ESUG keine Abhilfe geschafft. Wünschenswert wäre eine Regelung, die ausdrücklich die Erhebung von Haftungsklagen nach Insolvenzverfahrensaufhebung durch Planüberwacher ermöglicht. Ebenfalls sollte im gestaltenden Teil ausdrücklich die Nachtragsverteilung durch Planüberwacher angeordnet werden dürfen. Durch die Einsetzung von Planüberwachern wäre auch gewährleistet, dass kein Missbrauch einer solchen Regelung erfolgt. 3.1.4 Abtretbarkeit 98 Problematisch ist die Anwendung des § 259 Abs. 3 InsO auf Anfechtungsansprüche, die an einen Dritten abgetreten wurden. Ob Anfechtungsansprüche überhaupt abtretbar sind, war lange umstritten. Eckardt111) hat jedoch nachgewiesen, dass weder die haftungsrechtliche Zuordnung des anfechtbar weggegebenen Gegenstands noch ein Ausübungsmonopol des Insolvenzverwalters oder der Zweck von Insolvenzverfahren und Anfechtung einer Abtretung des Anfechtungsrechts entgegenstehen. Dies hat der BGH112) bestätigt. Dabei hat er insbesondere dargestellt, dass ein anfechtbar veräußerter, weggegebener oder aufgegebener Vermögensgegenstand ohne Veränderung des Anspruchsinhalts (§ 399 Halbs. 1 BGB) an einen anderen Gläubiger als die Insolvenzmasse „zurückgewährt“ werden kann. Die „Rückgewähr“ an einen Dritten widerspreche nicht dem Anfechtungsrecht, weil auch durch die Verwertung des Rückgewähranspruchs der Zweck der Insolvenzanfechtung gewahrt wird. Bereits zuvor ist der II. Zivilsenat des BGH in einer Entscheidung vom 10.12.2009 davon ausgegangen, dass der Insolvenzverwalter nach Bestätigung eines Insolvenzplans und vorbehaltsloser Aufhebung des Insolvenzverfahrens einen Anfechtungsrechtsstreit als Treuhandzessionar fortsetzen könne.113) 99 Auch werden die schutzwürdigen Interessen des Anfechtungsgegners hinreichend berücksichtigt. Es gelten die allgemeinen Regeln des Abtretungsrechts, so dass der Anfechtungsschuldner gemäß § 404 BGB dem neuen Gläubiger diejenigen Einwendungen entgegensetzen kann, die zur Zeit der Abtretung der Forderung gegen den bisherigen Gläubiger begründet waren.114) 100 Es besteht auch kein Widerspruch zu § 18 AnfG, nach dem Anfechtungsansprüche, die während des Insolvenzverfahrens vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden, nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens von den einzelnen Gläubigern geltend gemacht werden können. Mit der Rückgewähr des fraglichen Vermögensgegenstands zur Insolvenzmasse erlischt zugleich jeder Einzelanfechtungsanspruch. Der Insolvenzverwalter verfügt über ein eigenes Recht der Insolvenzmasse und nicht über ein fremdes Recht des zur Einzelanfechtung berechtigten Gläubigers.115) 101 Die Abtretung kann allerdings nur erfolgen, wenn eine hinreichende Gegenleistung zur Masse gelangt. Ansonsten würde eine „Verschlechterung“ des Anspruchs zu einem in Anbetracht aller Umstände unangemessenen niedrigen Preis zu einer Haftung des Insolvenzverwalters nach § 60 InsO führen. Dabei wirken sich die Erfolgsaussicht und Prozesskosten auf die Preisgestaltung aus.116) Ebenfalls kann vereinbart werden, dass die durch den Rechtsstreit erlangten Erlöse den Gläubigern in Form eines Besserungsscheins zugutekommen (siehe hierzu Rz. 165 ff.). ___________ 111) 112) 113) 114) 115) 116)

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Eckardt, KTS 1993, 585. BGH v. 17.2.2011 – IX ZR 91/10, ZIP 2011, 1114, dazu EWiR 2011, 433 (M. Huber). BGH v. 7.1.2008 – II ZR 283/06, Rz. 10, BGHZ 175, 86 = ZIP 2008, 546. Lohmann in: FS Wellensiek, 2011, S. 221, 224. Lohmann in: FS Wellensiek, 2011, S. 221, 224. Lohmann in: FS Wellensiek, 2011, S. 221, 224.

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Gestaltender Teil des Insolvenzplans

Der Insolvenzverwalter kann daher durch eine entgeltliche Veräußerung des Anfech- 102 tungsanspruchs dessen Wert zur Masse ziehen, statt den je nach Lage des Falles teuren und langwierigen Anfechtungsprozess selbst zu führen.117) Dadurch kann die Verwertung der Masse und damit die Abwicklung des Verfahrens beschleunigt werden.118) Daran schließt sich die Frage an, ob der Anfechtungsanspruch auch nach einer Abtre- 103 tung von der Fortdauer des Insolvenzverfahrens abhängig ist. Für eine Abhängigkeit wird angeführt, dass die Gegenleistung des Abtretungsempfängers endgültig erst geschuldet wird, wenn der Anfechtungsprozess abgeschlossen ist.119) Dies ist insbesondere der Fall, wenn die endgültige Zahlung der Gegenleistung für den Abtretungsanspruch von der rechtskräftigen Entscheidung über den Anfechtungsprozess abhängig gemacht oder auch ein Besserungsschein ausgestellt wird. So lange darf dann auch ein vom Abtretungsempfänger etwa gezahlter „Vorschuss“ nicht abschließend verteilt werden, sondern er ist für eine Nachtragsverteilung zurückzubehalten.120) Im Insolvenzverfahren findet jedoch eine Nachtragsverteilung nicht statt. Des Weiteren wird für eine Abhängigkeit angeführt, dass ansonsten die Rechtsstellung 104 des Abtretungsempfängers nicht sichergestellt werden könne.121) Würde das Insolvenzverfahren aufgehoben, könnten die Rechte des Anfechtungsgegners aus § 144 InsO nicht gewahrt werden. Sofern der Anfechtungsgegner etwas Erlangtes zurückgewähren muss, lebt seine Forderung wieder auf. Er kann mit seiner Forderung jedoch nicht mehr am Insolvenzverfahren teilnehmen, wenn dieses aufgehoben worden ist. Dies kann – je nach Quote – einen Nachteil darstellen.122) Allerdings treten gemäß § 254 Abs. 1 Satz 1 InsO mit Rechtskraft der Bestätigung des Insolvenzplans die im gestaltenden Teil festgelegten Wirkungen für und gegen alle Beteiligten ein. Gemäß § 254b InsO gilt dies auch für Insolvenzgläubiger, die ihre Forderungen nicht angemeldet haben, und für Beteiligte, die dem Insolvenzplan widersprochen haben. Gläubiger, die bisher nicht am Verfahren teilgenommen haben, können die rechtskräftigen Planregelungen für ihre Forderungen erlangen.123) Dies gilt auch für den Anfechtungsgegner, dessen Forderung nach erfolgreicher Anfechtung wieder auflebt. Dieses Recht besteht allerdings nur, solange der Anspruch nicht verjährt war. Nach § 259b Abs. 1 InsO verjährt die Forderung eines Insolvenzgläubigers, die nicht bis zum Abstimmungstermin angemeldet worden ist, in einem Jahr. Die Verjährung beginnt gemäß § 259b Abs. 2 InsO, wenn die Forderung fällig und der Beschluss rechtskräftig geworden ist, durch den der Insolvenzplan bestätigt wurde. Sollte nun ein Anfechtungsrechtsstreit mehrere Jahre dauern, ist eine Geltendmachung im Insolvenzverfahren nicht möglich. Dies gilt insbesondere, weil der Anspruch nicht erst mit dem Vollzug der Rückgewähr nach erfolgreicher Anfechtung neu entsteht, sondern die Forderung mit dem Vollzug der Rückgewähr nach § 143 InsO von Gesetzes wegen rückwirkend wieder auflebt und zwar in der Gestalt und in dem Bestand, die bzw. den sie vor der Erfüllung hatte.124) Damit der Anfechtungsgegner seinen Anspruch nicht verliert, müsste er diesen vor der 106 Verjährung zur Insolvenztabelle anmelden. Ansonsten könnte er sich lediglich mit seiner Forderung an den Zessionar halten. Denkbar wäre auch, für diesen Fall § 259b InsO teleolo___________ 117) 118) 119) 120) 121) 122) 123) 124)

Lohmann in: FS Wellensiek, 2011, S. 221, 224. Lohmann in: FS Wellensiek, 2011, S. 221, 224. Kayser/Freudenberg in: MünchKomm-InsO, § 129 Rz. 221. Kayser/Freudenberg in: MünchKomm-InsO, § 129 Rz. 221. So wohl Kayser/Freudenberg in: MünchKomm-InsO, § 129 Rz. 221. Lohmann in: FS Wellensiek, 2011, S. 221, 230. Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 254b Rz. 1. Thole in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 144 Rz. 3.

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gisch zu reduzieren. Dann bestünde aber die Gefahr, dass auch noch Jahre nach Bestätigung des Insolvenzplans der Anfechtungsgegner mit seinem wiederauflebenden Anspruch am Insolvenzplan teilnehmen kann. Der Insolvenzverwalter müsste dies bereits bei Abtretung des Anspruchs, insbesondere bei der Höhe der Gegenleistung, berücksichtigen. Um diese Rechtsunsicherheit zu vermeiden, ist es ratsam, in der Abtretungserklärung eine entsprechende Regelung zu treffen. 107 Schließlich ist der Anfechtungsgegner auch insoweit nicht schutzlos gestellt, weil er gegenüber dem Zessionar, der den Anfechtungsanspruch nach Aufhebung des „Ausgangsinsolvenzverfahrens“ durchsetzen will, seine Rechte aus § 144 Abs. 2 Satz 1 InsO geltend machen kann. Der Schuldner einer abgetretenen Forderung kann dem neuen Gläubiger nach § 404 BGB diejenigen Einreden entgegensetzen, die zur Zeit der Abtretung der Forderung gegen den bisherigen Gläubiger begründet waren. Ein Anspruch aus § 144 Abs. 2 Satz 1 InsO auf Erstattung der Gegenleistung oder des die Masse bereichernden Wertes begründet grundsätzlich ein Zurückbehaltungsrecht i. S. des § 273 BGB. Eine Ausnahme besteht, wenn es sich um eine Insolvenzforderung handelt. Diese begründet kein Zurückbehaltungsrecht gegenüber der Masse. Diesen Nachteil hat der Anfechtungsgegner hinzunehmen.125) 108 Demnach lässt sich festhalten, dass der Anfechtungsanspruch auch nach einer Abtretung von der Fortdauer des Insolvenzverfahrens unabhängig ist.126) Um Rechtsunsicherheiten jedoch vorzubeugen, ist es ratsam, im Plan sicherzustellen, dass die weitere Verfolgung der Anfechtungsrechte durch den Zessionar gegenüber dem Anfechtungsgegner möglich ist.127) 109 Schließlich stellt sich in diesem Zusammenhang noch die Frage, ob der Abtretungsempfänger den Anspruch erst nach Aufhebung des Verfahrens anhängig machen kann. Dies ist im Ergebnis zu bejahen. Immerhin wird es, sofern die Durchsetzung lange dauert, für alle Insolvenzgläubiger günstiger sein, wenn der Verwalter den Anspruch durch Verkauf zu einem angemessenen Preis – insbesondere nach Art des Factoring – verwertet und alsbald das Insolvenzverfahren abschließt.128) Auf diese Weise ist der Anfechtungsanspruch aus der Insolvenzmasse ausgeschieden. Dem Zessionar muss es deshalb freistehen, den Anspruch auch noch nach Aufhebung des Verfahrens, auf die er keinen Einfluss hat, geltend zu machen. 3.2

Schadensersatzansprüche

110 Auch sämtliche Schadensersatzansprüche des schuldnerischen Unternehmens gegenüber Dritten können Gegenstand des gestaltenden Teils des Insolvenzplans sein. Damit fallen insbesondere Ansprüche gegen die insolvenzantragspflichtigen Organvertreter wegen verspäteter Insolvenzantragstellung in den potenziellen Regelungsbereich des gestaltenden Teils.129) Bei juristischen Personen kommen darüber hinaus Schadensersatzansprüche aus Verstößen gegen Gründungsvorschriften, aus Pflichtverletzung der Leitung, aus der Überwachung der Geschäftsführung und Regeln über die Kapitalerhaltung in Betracht. 3.2.1 Schadensersatzansprüche gegenüber Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführern 111 Verzögerte Insolvenzantragstellung: Die verzögerte Insolvenzantragstellung durch den Geschäftsleiter kann zu einer Schadensersatzhaftung gegenüber der Gesellschaft führen. ___________ 125) Lohmann in: FS Wellensiek, 2011, S. 221, 230. 126) Lohmann in: FS Wellensiek, 2011, S. 221, 230; Henckel in: Jaeger, InsO, § 129 Rz. 221; ähnlich Eckardt, KTS 1993, 585; Borries/Hirte in: Uhlenbruck, InsO, § 129 Rz. 27. 127) Thole in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 129 Rz. 119. 128) Kayser/Freudenberg in: MünchKomm-InsO, § 129 Rz. 216. 129) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 119.

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Gestaltender Teil des Insolvenzplans

Der Anspruch ergibt sich rechtsformübergreifend für alle Gesellschaften aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a Abs. 1 InsO, nachdem § 15a Abs. 1 InsO als Schutzgesetz i. S. des § 823 Abs. 2 BGB qualifiziert wird.130) Im Mittelpunkt steht dabei von den Insolvenzantragsgründen die Überschuldung.131) Masseschmälerung: § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG i. V. m. § 92 Abs. 2 Satz 1 und 2 AktG, § 64 Satz 1 und 2 GmbHG, § 130a Abs. 2 HGB und § 99 GenG statuieren zudem eine besondere Ersatzverpflichtung des Geschäftsleiters gegenüber der Gesellschaft für diejenigen Zahlungen, die nach dem Zeitpunkt geleistet wurden, in dem Insolvenzantrag hätte gestellt werden müssen.132) Insolvenzverursachung: Diese Verpflichtung wird erweitert durch die Haftung nach § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG i. V. m. § 92 Abs. 2 Satz 3 AktG und § 64 Satz 3 GmbHG.133) Nach den genannten Regelungen trifft die Geschäftsleiter die gleiche Verpflichtung für Zahlungen an die Aktionäre bzw. Gesellschafter, soweit diese zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten, es sei denn, dies war auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters nicht erkennbar. Aus einer fehlerhaften Leistung des Grund- bzw. Stammkapitals und fehlerhaften Kapitalerhöhungen können sich ebenfalls Haftungsansprüche gegenüber den Geschäftsleitern ergeben (siehe hierzu sogleich Rz. 118 ff.). Sonstige nicht insolvenztypische Schäden: Die sonstige, nicht insolvenztypische Haftung der Geschäftsleiter richtet sich grundsätzlich nach § 93 AktG sowie § 43 Abs. 2 GmbHG. Ersatzansprüche können aber auch durch die Nicht- oder Schlechterfüllung anderer Verfahrensrechte begründet werden, die der Geschäftsleiter als Vertreter der Gesellschafter hätte wahrnehmen müssen.134) Regelungen im Plan: Sämtliche vorgenannten Ansprüche können grundsätzlich zum Gegenstand eines Insolvenzplans gemacht werden. Hierbei muss der Insolvenzverwalter insbesondere nicht die in § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG und § 64 Satz 4 i. V. m. § 43 Abs. 3 Satz 2, § 9b Abs. 1 GmbHG geregelten Einschränkungen hinsichtlich eines Verzichts auf oder Vergleichs über die Ansprüche der Gesellschaft wegen Masseschmälerung oder Insolvenzverursachung beachten.135)

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3.2.2 Schadensersatzansprüche gegenüber Dritten Des Weiteren kommen Schadenersatzansprüche gegenüber Dritten in Betracht, die unter 117 Ausnutzung ihres Einflusses der rechtlichen oder tatsächlichen Machtstellung auf die Gesellschaft dieser vorsätzlich Schaden zugefügt haben. 3.3

Sonstige gesellschafts- und zivilrechtliche Ansprüche

3.3.1 Fehlerhafte Leistung des Grund- bzw. Stammkapitals und fehlerhafte Kapitalerhöhung Kommt es zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Unterneh- 118 mens, so findet der Insolvenzverwalter nicht selten Ansprüche des Unternehmens gegen ___________ 130) 131) 132) 133) 134) 135)

Wagner in: MünchKomm-BGB, § 823 Rz. 161. Hirte in: Uhlenbruck, InsO, § 15a Rz. 31. Hirte in: Uhlenbruck, InsO, § 15a Rz. 20. Hirte in: Uhlenbruck, InsO, § 15a Rz. 26. Hirte in: Uhlenbruck, InsO, § 35 Rz. 324. Für die AG vgl. Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 288. m. w. N., und für die GmbH vgl. Altmeppen in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 64 Rz. 35 m. w. N.

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dessen Aktionäre bzw. Gesellschafter sowie dessen Geschäftsleiter aus fehlerhafter Leistung des Grund- bzw. Stammkapitals oder fehlerhaften Kapitalerhöhungen vor. Für den Fall der fehlerhaften Leistung des Grund- bzw. Stammkapitals resultiert ein solcher Anspruch aus § 46 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 37 Abs. 1 Satz 2 AktG und § 9a Abs. 1 i. V. m. § 8 Abs. 2 Satz 1 GmbHG. Für den Fall fehlerhafter Kapitalerhöhung gilt Entsprechendes, vgl. § 188 Abs. 2 AktG und § 57 Abs. 4 GmbHG. 119 Wurde in einem Konzernverbund zur Minimierung der Fremdkapitalkosten ein Cashpool eingerichtet, so finden sich besonders häufig derartige Ansprüche der am Cashpool teilnehmenden einzelnen Konzerngesellschaften. Denn nicht selten werden die zur Leistung des Grund- bzw. Stammkapitals oder der Kapitalerhöhung der jeweiligen Gesellschaft zugeführten liquiden Mittel taggleich oder zumindest in engem zeitlichem Zusammenhang wieder auf das Konto der Cashpool-Führerin ausgekehrt. Zwar führt ein solches Hin- und Herzahlen nach MoMiG und ARUG unter bestimmten Voraussetzungen dennoch zu einer wirksamen Leistung des Grund- bzw. Stammkapitals oder der Kapitalerhöhung (vgl. § 27 Abs. 4 AktG und § 19 GmbHG). Diese Voraussetzungen werden jedoch in der Praxis meist nicht erfüllt sein, da oft die jeweilige Anmeldung zum Handelsregister fehlerhaft ist, vgl. § 27 Abs. 4 Satz 2 AktG und § 19 Abs. 5 Satz 2 GmbHG. 3.3.2 Nachschusspflicht des Mitglieds einer Genossenschaft 120 Die Nachschusspflicht der Mitglieder einer eingetragenen Genossenschaft ist planregelbar. So kann im Plan vorgesehen werden, dass die Mitglieder überhaupt keine Nachschüsse zu leisten haben oder eine Nachschusspflicht in einer bestimmten Höhe besteht. Ein Plan darf jedoch nicht bestätigt werden, wenn er einem Mitglied höhere Nachschüsse zumutet, als dies gemäß § 6 Nr. 3 GenG im Regelinsolvenzverfahren der Fall wäre, und dieses Mitglied dem Plan widersprochen hat. Dem Mitglied steht dann das Beschwerderecht analog § 253 InsO zu.136) 3.4

Geltendmachung der Ansprüche und Erlösverteilung

121 Sofern der II. Zivilsenat des BGH bereits in einer Entscheidung vom 10.12.2009 davon ausgegangen ist, dass der Insolvenzverwalter nach Bestätigung eines Insolvenzplans und vorbehaltsloser Aufhebung des Insolvenzverfahrens einen Anfechtungsrechtsstreit als Treuhandzessionar fortsetzen kann,137) wird der Insolvenzverwalter auch die Haftungsansprüche als Treuhandzessionar geltend machen können. 122 In dem Insolvenzplan sollte die Verteilung der Erlöse festgelegt werden. Hierfür bestehen verschiedene Möglichkeiten. Zum Beispiel kann der Erlös an die Fortführungsgesellschaft fließen oder mit Hilfe von Besserungsscheinen an die Gläubiger ausgeschüttet werden. 4.

Haftung des Schuldners und der Gesellschafter

123 Auch die Haftung des Schuldners, gleich ob natürliche oder juristische Person, kann in einem Insolvenzplan abweichend zu den Bestimmungen des Regelinsolvenzverfahrens geregelt werden. 4.1

Haftung von natürlichen Personen als Schuldner

124 Die Haftung des Schuldners nach der Beendigung des Verfahrens als natürliche Person richtet sich grundsätzlich nach § 201 und § 202 InsO sowie nach den Vorschriften über ___________ 136) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 145. 137) BGH v. 7.1.2008 – II ZR 283/06, Rz. 10, BGHZ 175, 86 = ZIP 2008, 546.

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Gestaltender Teil des Insolvenzplans

die Restschuldbefreiung (§§ 286 bis 303a InsO).138) Für das Insolvenzplanverfahren sieht § 227 Abs. 1 InsO hingegen vor, dass mit der im gestaltenden Teil vorgesehenen Befriedigung der Insolvenzgläubiger der Schuldner von seinen rechtlichen Verbindlichkeiten gegenüber diesen Gläubigern befreit wird. Eine anschließende Haftung scheidet somit grundsätzlich aus. Allerdings handelt es sich bei §§ 201, 286 bis 303a InsO um dispositive Vorschriften.139) 125 Damit wird zum einen Flexibilität gewährleistet. Zum anderen steht der Insolvenzplan auch für eine Liquidation zur Verfügung. Somit kann die Weiterhaftung des Schuldners im Insolvenzplan abweichend von § 201 InsO geregelt werden, so dass die Möglichkeit der Restschuldbefreiung ausgeschlossen oder ihre materielle Wirkung modifiziert werden kann.140) Ebenfalls können Regelungen getroffen werden, die über § 227 Abs. 1 InsO hinausgehen, bspw. indem auf die Wiederauflebensklausel verzichtet wird. Der Schuldner bleibt durch die Planvorschriften (§§ 231, 247 und 251 InsO) ausreichend geschützt.141) Durch § 247 InsO wird ihm ein Widerspruchsrecht gegen den Plan eingeräumt, wenn er durch den Plan schlechtergestellt würde, als er ohne Plan stünde. Macht der Schuldner von diesem Recht Gebrauch, kann der Plan gemäß §§ 248, 250 Nr. 1 InsO nicht bestätigt werden.142) 4.2

Haftung von juristischen Personen als Schuldner

Ist der Schuldner keine natürliche Person, kann ebenfalls im Plan das Fortbestehen der 126 Haftung vereinbart werden. Dies wird allerdings nur relevant, wenn ein Fortsetzungsbeschluss gefasst wird, weil die Gesellschaft ansonsten aufgelöst bleibt.143) Gemäß § 225a Abs. 3 InsO kann der Fortsetzungsbeschluss bereits im Insolvenzplan gefasst werden. Die nach Verfahrensaufhebung fortbestehende Haftung wird in der Praxis häufig bei 127 Kreditverbindlichkeiten vereinbart. Diese bilden in den meisten Fällen einer Unternehmensinsolvenz einen nicht unerheblichen Teil der Gesamtpassiva. Durch Vereinbarung des Fortbestands (eines Teils) der Kreditverbindlichkeiten wird die im Fall der Fortführung wichtige Liquidität geschont. Denn auf die fortbestehenden Teile der Verbindlichkeiten muss keine Quote gezahlt werden. Zudem kann man durch die Vereinbarung des Fortbestands eines Teils der Kreditverbind- 128 lichkeiten eine ansonsten drohende Verwertung von Sicherheiten verhindern. Wenn die als Sicherheit dienenden Vermögensgegenstände für eine Fortführung des Unternehmens essentiell sind, ist die Verhinderung ihrer Verwertung für den Planinitiator oftmals alternativlos. Der Neuerwerb von Produktionsmitteln ist für ein gerade aus einem Insolvenzverfahren entlassenes Unternehmen meist nicht zu bewältigen. Der Zugriff auf die vorhandenen Produktionsmittel muss daher sichergestellt sein. Erhält der betreffende Gläubiger für den fortbestehenden Teil seiner Forderungen weiterhin die gleiche oder eine bessere Besicherung, so besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass er dem Plan zustimmt.

___________ 138) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 129; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 217 Rz. 6; Thies in: HambKomm-InsO, § 217 Rz. 6. 139) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 130; Thies in: HambKomm-InsO, § 217 Rz. 6; a. A. Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 217 Rz. 6, der lediglich die Vorschriften für dispositiv hält, die die Forderung und deren Geltendmachung betreffen. 140) Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 217 Rz. 6; Thies in: HambKomm-InsO, § 217 Rz. 6. 141) Thies in: HambKomm-InsO, § 217 Rz. 6. 142) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 247 Rz. 7. 143) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 132.

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§ 22 4.3

2. Teil Insolvenzplan – Inhalt Haftung der persönlich haftenden Gesellschafter

129 Gemäß § 227 Abs. 2 InsO findet § 227 Abs. 1 InsO entsprechend Anwendung für die persönliche Haftung der Gesellschafter. Damit wirkt ein Erlass von Forderungen gegenüber dem Schuldner auch im Verhältnis zu dessen persönlich haftenden Gesellschaftern. Dies gilt allerdings nur für die akzessorische Gesellschafterhaftung. Damit sind vom Gesellschafter wegen eines besonderen Schuldverhältnisses begründete Verbindlichkeiten, etwa durch Abschluss eines Bürgschaftsvertrags für Verbindlichkeiten des Schuldners, nicht erfasst.144) 130 In § 227 Abs. 2 InsO sind die Gesellschafter einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit oder einer KGaA genannt, so dass nach dem Wortlaut auch nur diese von dieser Norm erfasst sind. Darüber hinaus wird jedoch die Anwendung für eine Vorgründungsgesellschaft in Form einer GbR oder oHG bejaht.145) Eine Anwendung für die VorGmbH und Vor-AG wird jedoch abgelehnt, weil keine Außenhaftung besteht.146) 131 Umstritten ist, ob ausgeschiedene Gesellschafter von dieser Norm erfasst werden.147) Gegen die Anwendung der Erlassfiktion spricht, dass die ausgeschiedenen Gesellschafter das gesetzgeberische Ziel der Unternehmenserhaltung nicht mehr beeinflussen können.148) Die Vorschrift soll jedoch Anwendung finden, wenn eine Haftung des Kommanditisten nach § 176 HGB vorliegt oder der persönlich haftende Gesellschafter erst nach Bestätigung des Insolvenzplans ausscheidet.149) Dafür spricht, dass kein sachlich gerechtfertigter Grund besteht, die noch aktiven Gesellschafter anders zu behandeln als die bereits ausgeschieden.150) 132 Zustimmung der Gesellschafter bei abweichender Regelung: Sofern von der Befreiung abgewichen wird, bedarf es der Zustimmungen der Gesellschafter.151) Seit dem ESUG können auch die Inhaber von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten gemäß § 225a InsO als mögliche zwangsweise Planbeteiligte in Betracht kommen152) und alle gesellschaftsrechtlich zulässigen Regelungen im Insolvenzplan vereinbart werden. Damit ist ein Zugriff auf die Rechte der Anteilsinhaber als Beteiligte möglich.153) 133 Umstritten ist, ob Forderungen gegen die Gesellschaft als Schuldnerin erlassen werden können, die persönliche Haftung der Gesellschafter jedoch aufrechterhalten werden kann. Das RG hatte dies mit einer Entscheidung vom 31.1.1936154) für einen Zwangsvergleich nach § 211 KO für zulässig erklärt. Allerdings steht diese Auslegung in einem unauflösbaren Widerspruch zur Akzessorietät, weshalb eine solche Regelung als unzulässig angesehen wird.155) Dies hat der BGH in seiner Entscheidung vom 20.4.1967 klarge___________ 144) Breuer in: MünchKomm-InsO, § 227 Rz. 12; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 227 Rz. 7; Thies in: HambKomm-InsO, § 227 Rz. 10; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 227 Rz. 18. 145) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 137. 146) Breuer in: MünchKomm-InsO, § 227 Rz. 11; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 227 Rz. 15. 147) Für eine Anwendung Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 227 Rz. 19; Eidenmüller, ZGR 2001, 680, 684; Müller, KTS 2002, 209, 260; gegen eine Anwendung Breuer in: MünchKomm-InsO, § 227 Rz. 13; offengelassen Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 227 Rz. 7. 148) Breuer in: MünchKomm-InsO, § 227 Rz. 13; Thies in: HambKomm-InsO, § 227 Rz. 8. 149) Breuer in: MünchKomm-InsO, § 227 Rz. 13. 150) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 138, vgl. dazu ausführlich Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 227 Rz. 19. 151) Thies in: HambKomm-InsO, § 227 Rz. 9. 152) Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 221 Rz. 2. 153) Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 225a Rz. 5. 154) RG v. 31.1.1936 – II 209/35, RGZ 150, 163, 173 f. 155) So Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 227 Rz. 16.

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stellt.156) Zulässig dürfte eine solche Vereinbarung nur sein, wenn die Gesellschafter der Aufrechterhaltung der persönlichen Haftung zustimmen.157) Weiter ist fraglich, ob durch den Plan auf die persönliche Haftung der Gesellschafter 134 verzichtet bzw. diese weitergehend eingeschränkt werden kann. Dafür spricht, dass die Gläubiger nach § 93 InsO während der Dauer des Insolvenzverfahrens die Gesellschafter nicht in Anspruch nehmen können. Die spätere Durchsetzungsmöglichkeit der Gläubiger wird jedoch nicht beeinträchtigt, wenn im Insolvenzplan über die erlassenen Teilbeträge hinaus auf die persönliche Haftung der Gesellschafter verzichtet werden soll und die Gläubiger dieser Regelung nicht zugestimmt haben. Daher ist ein Verzicht auf die persönliche Haftung der Gesellschafter im Insolvenzplan vollumfänglich möglich.158) VI.

Gesellschafterleistungen und Leistungen Dritter

Häufig muss in Sanierungsfällen frisches Geld zur Verfügung gestellt werden, damit ein 135 Unternehmen überhaupt eine realistische Überlebenschance nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens haben kann. Üblicherweise geschieht dies durch eine Kapitalherabsetzung mit anschließender Kapitalerhöhung. Eine Kapitalerhöhung nach der Insolvenzeröffnung ist grundsätzlich zulässig, § 225a InsO. 136 Es bietet sich an, diese in einen Insolvenzplan, der auch einen (Teil-)Verzicht der Gläubiger vorsieht, aufzunehmen.159) Möglich ist auch ein Debt Equity Swap, bei dem der betreffende Gläubiger seine Forde- 137 rung gegen den Schuldner im Wege einer Kapitalherabsetzung mit anschließender Kapitalerhöhung als Sacheinlage einbringt.160) Die praktische Relevanz des Debt Equity Swaps ist signifikant.161) Weitere Details betreffend die Rechte der Anteilsinhaber sowie insbesondere den Debt Equity Swap siehe unten Hölzle, HRI II, § 26. VII. Gestaltung der Insolvenzquote Die Gestaltung der Insolvenzquote erfordert in der Praxis oft die meiste Schaffenskraft 138 des Planinitiators, nachdem im Insolvenzverfahren die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger erreicht werden muss.162) Die Herkunft der für eine Quotenzahlung erforderlichen Mittel stellt daher eine der wesentlichen Fragen eines jeden Insolvenzplanverfahrens dar. 1.

Rechtliche Grundlagen

Die par conditio creditorum ist einer der wichtigsten, wenn nicht gar der wichtigste Grund- 139 satz des deutschen Insolvenzrechts.163) Sie besagt, dass innerhalb des Insolvenzverfahrens sämtliche Gläubiger gleichmäßig befriedigt werden.164) Trotz aller Bekenntnisse hierzu ist jedoch in der InsO keine völlige Gleichbehandlung der Gläubiger gegeben.165) Zwar wird ___________ 156) BGH v. 20.4.1967 – II ZR 220/65, BGHZ 47, 376 = NJW 1967, 2155 ff. 157) So auch BGH v. 20.4.1967 – II ZR 220/65, BGHZ 47, 376, 378 = NJW 1967, 2155, 2156; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 227 Rz. 20. 158) So bereits Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 227 Rz. 20. 159) Apfelbacher/Niggemann in: Hölters, AktG, § 182 Rz. 78. 160) Dahl, NJW-Spezial 2012, 21. 161) Kremers/Hoffmann, ZInsO 2013, 289, 290; Römermann, GmbHR 2013, 337, 343. 162) Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 1 Rz. 20. 163) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 226 Rz. 1; Stürner in: MünchKomm-InsO, Einl. Rz. 62. 164) Stürner in: MünchKomm-InsO, Einl. Rz. 62; Koch/de Bra in: Gottwald/Haas, InsR-Hdb., § 64 Rz. 17. 165) Stürner in: MünchKomm-InsO, Einl. Rz. 62.

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2. Teil Insolvenzplan – Inhalt

auf der einen Seite innerhalb der InsO durch eine Vielzahl unterschiedlicher Regelungen sichergestellt, dass der Grundsatz der par conditio creditorum in ausreichendem Maße Berücksichtigung findet. Lediglich beispielhaft genannt seien hier die in den §§ 129 bis 147 InsO enthaltenen Anfechtungsregelungen. Durch sie sollen nachteilige vorinsolvenzliche Vermögensverschiebungen rückgängig gemacht werden können, um so eine gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger aus den betroffenen Vermögenswerten zu gewährleisten.166) Auf der anderen Seite finden sich aber auch etliche Abweichungen vom Grundsatz der par conditio creditorum. Hierzu gehört bspw. die in § 39 InsO geregelte Verweisung mancher Gläubiger in den Nachrang.167) Aber auch das Fiskusvorrecht in § 55 Abs. 4 InsO stellt ebenso einen Bruch des Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung dar168) wie die – zumindest formelle – Besserstellung von Sozialplanansprüchen nach § 123 Abs. 2 Satz 1 InsO.169) 140 Durch die Regelung des § 226 InsO erfährt der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung im Insolvenzplanverfahren eine erhebliche Modifikation.170) Die größere Relativierung dieses Grundsatzes für den Fall von Sanierungen erscheint auch durchaus wünschenswert mit der Folge, dass nach sachlichen Kriterien unterschiedliche Regelungen für die Gläubiger geboten sein können.171) Geschieht dies mit Zustimmung der betroffenen Gläubiger, ist gegen eine solche Modifikation des Gläubigergleichbehandlungsgrundsatzes ohnehin nichts einzuwenden.172) 141 Im Rahmen des § 226 InsO wird der allgemeine Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung sämtlicher Gläubiger transformiert in einen speziellen Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung innerhalb der einzelnen Gruppen des Insolvenzplans. Dieser spezielle Grundsatz wird flankiert von dem das Insolvenzplanverfahren beherrschenden Schlechterstellungsverbot, das insbesondere in den § 245 Abs. 1 und § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO geregelt ist. Es besagt letztlich, dass kein Gläubiger durch den Insolvenzplan schlechtergestellt werden darf, als er ohne den Insolvenzplan und damit in einem Regelinsolvenzverfahren stünde. 142 § 226 Abs. 1 InsO legt i. S. einer Gläubigergleichbehandlung innerhalb der einzelnen Gruppe zunächst fest, dass Angehörigen der gleichen im Insolvenzplan gebildeten Gruppe gleiche Rechte anzubieten sind. Erscheinen die Auswirkungen dieser Regelung aufgrund der Wortwahl („Rechte“) auf den ersten Blick recht umfangreich, so findet sie letztlich ihren deutlichsten Ausdruck in der Höhe der i. R. des Insolvenzplans angebotenen Quotenzahlung. Diese muss grundsätzlich für die Beteiligten ein und derselben Gruppe die gleiche prozentuale Höhe haben. 143 Von dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung innerhalb der einzelnen Gruppe sind Abweichungen nur im engen Rahmen des § 226 Abs. 2 InsO zulässig. § 226 Abs. 2 Satz 1 InsO besagt, dass eine unterschiedliche Behandlung der Beteiligten einer Gruppe nur mit Zustimmung aller betroffenen Beteiligten zulässig ist. Unter den Begriff des „betroffenen Beteiligten“ ist im Grundsatz jeder Beteiligte der Gruppe zu subsumieren.173) ___________ 166) BGH v. 15.3.1972 – VIII ZR 159/70, NJW 1972, 870, 871; BGH v. 25.9.1972 – VIII ZR 216/71, NJW 1972, 2084; BGH v. 30.9.1993 – IX ZR 227/92, ZIP 1993, 1653, dazu EWiR 1994, 373 (Henckel); Borries/ Hirte in: Uhlenbruck, InsO, § 130 Rz. 1; Leithaus in: Andres/Leithaus, InsO, § 129 Rz. 3. 167) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 39 Rz. 1 f. 168) Leithaus in: Andres/Leithaus, InsO, § 55 Rz. 20. 169) Hamacher in: Nerlich/Römermann, InsO, § 123 Rz. 37; Stürner in: MünchKomm-InsO, Einl. Rz. 62. 170) Braun/Frank in: Braun, InsO, § 226 Rz. 1; Breuer in: MünchKomm-InsO, § 226 Rz. 2 und 7. 171) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 226 Rz. 2. 172) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 226 Rz. 2. 173) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 202.

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Nur bei eindeutiger Besserstellung eines Beteiligten im Vergleich zu sämtlichen anderen Beteiligten der Gruppe wird man davon absehen können, die Zustimmung dieses Beteiligten zur unterschiedlichen Behandlung einzuholen.174) Den hohen Stellenwert des Gleichbehandlungsgrundsatzes innerhalb der jeweiligen Gruppe unterstreicht auch die formelle Regelung des § 226 Abs. 2 Satz 2 InsO, nach der sämtliche zustimmenden Erklärungen der betroffenen Beteiligten dem Insolvenzplan als Anlage beizufügen sind. Wird trotz des Verbots des § 226 Abs. 2 InsO abseits der Regelungen des Insolvenzplans 144 einem einzelnen Beteiligten ein nicht im Plan vorgesehener Vorteil für sein Verhalten bei Abstimmungen oder sonst im Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren vom Insolvenzverwalter, dem Schuldner oder einer anderen Person gewährt, so ist das entsprechende einzelvertragliche Abkommen nach § 226 Abs. 3 InsO nichtig. Aufgrund eines solchen Abkommens bereits geleistete Zahlungen oder sonstige Verfügungen sind i. R. des Bereicherungsrechts rückabzuwickeln. Innerhalb der einzelnen Gruppe erscheint der Grundsatz der Gläubigergleichbehand- 145 lung auf den ersten Blick ohne Schwierigkeiten umsetzbar. Betrachtet man etwa die Gruppe der Insolvenzgläubiger nach § 38 InsO, so mögen zwar die Ansprüche der jeweiligen Gläubiger aus den unterschiedlichsten Rechtsverhältnissen herrühren. Hinsichtlich ihrer Situation bei Verfahrenseröffnung eint die Gläubiger jedoch, dass sie allesamt unbesicherte Ansprüche gegen das schuldnerische Unternehmen haben. Eine quotale Befriedigung in gleicher Höhe scheint daher zumindest prima facie angemessen zu sein. Gleiches gilt für die einzelnen Rangklassen der nachrangigen Gläubiger nach § 39 InsO. In den meisten Fällen werden jedoch deren Forderungen i. R. des Insolvenzplanverfahrens so oder so gemäß § 225 Abs. 1 InsO als erlassen gelten. Denn meist wird die Insolvenzmasse nicht den Umfang haben, der für eine zumindest anteilige Befriedigung der nachrangigen Gläubiger erforderlich wäre. Betrachtet man hingegen andere Gruppen von Gläubigern, so zeigen sich teils erheb- 146 liche Schwierigkeiten. Bei der Gruppe der absonderungsberechtigten Gläubiger etwa wird man meist eine differenzierte Sicherheitenlage vorfinden. Lieferanten sind üblicherweise durch verlängerte Eigentumsvorbehalte am Waren- und Forderungsbestand des schuldnerischen Unternehmens besichert. Kreditgebende Banken hingegen können meist auf weitere Sicherungsrechte wie etwa Grundpfandrechte oder Pfandrechte an Geschäftsanteilen verbundener Unternehmen zurückgreifen. Stellt man einen Vergleich zwischen den beiden beispielhaft genannten Gläubigergruppen und deren üblichen Sicherheiten an, so gelten bereits unterschiedliche Regelungen hinsichtlich der Beteiligung der Insolvenzmasse an den Erlösen aus der Verwertung der als Sicherheit dienenden Vermögensgegenstände. Denn i. R. der Verwertung von beweglichen Sachen und Forderungen sind gemäß §§ 170, 171 InsO zugunsten der Insolvenzmasse die Feststellungskosten pauschal mit 4 % und die Verwertungskosten grundsätzlich pauschal mit 5 % der Verwertungserlöse zu ersetzen. Bei der Verwertung von Grundstücken im Wege der Zwangsversteigerung fallen hingegen gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG zugunsten der Insolvenzmasse lediglich pauschal 4 % als Ersatz der entstandenen Feststellungskosten an. Ein Ersatz von Verwertungskosten ist nicht vorgesehen, da der Insolvenzverwalter bei einer Verwertung von Grundstücken im Wege der Zwangsversteigerung nicht in das entsprechende Verfahren eingebunden ist. Allein diese unterschiedliche prozentuale Beteiligung der Insolvenzmasse an den erzielten Verwertungserlösen führt dazu, dass die betreffenden absonderungsberechtigten Gläubiger meist nicht gleichbehandelt werden können. Denn dies würde bereits ___________ 174) So auch schon der Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 202.

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zu Verzerrungen führen, die oft sogar eine Schlechterstellung einzelner Gläubiger im Vergleich zu einer Regelinsolvenz des schuldnerischen Unternehmens bedeuten würden. 147 Um den aufgezeigten Schwierigkeiten begegnen zu können, gibt das Gesetz dem Planersteller folgerichtig mit dem § 222 Abs. 2 InsO die Möglichkeit der Bildung weiterer Gruppen. Gläubiger mit formal der gleichen Rechtsstellung können erheblich voneinander abweichende Interessen haben. § 222 Abs. 2 InsO besagt folgerichtig, dass aus den Gläubigern mit gleicher Rechtsstellung einzelne Gruppen gebildet werden können, in denen Gläubiger mit gleichartigen wirtschaftlichen Interessen zusammengefasst werden. Diese Gruppenbildung kann letztlich auch Auswirkungen auf die Höhe der gewährten Quote haben. 148 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass innerhalb des Insolvenzplanverfahrens die Gleichbehandlung innerhalb der Gruppe gewährleistet ist, nicht aber die Gleichbehandlung der Gruppen untereinander. Bis zu einem gewissen Maße müssen dies die Gläubiger auch hinnehmen. Die Grenze des Hinzunehmenden ist nach § 245 Abs. 1 Nr. 2 InsO erst dann erreicht, wenn die Gläubiger einer Gruppe nicht angemessen an dem wirtschaftlichen Wert partizipieren, welcher der Gesamtheit der Gläubiger auf der Grundlage des Insolvenzplans zufließen soll. Gemäß § 245 Abs. 2 InsO liegt eine solche angemessene Beteiligung aber vor, wenn 

kein anderer Gläubiger eine Befriedigungsquote von 100 % erreicht,



weder einem nachrangigen Gläubiger, dem Schuldner oder einer an dem schuldnerischen Unternehmen beteiligten Person ein wirtschaftlicher Wert zufließt und



kein Gläubiger, der ohne Insolvenzplan gleichrangig mit dem betreffenden Gläubiger wäre, bessergestellt wird.

149 Insbesondere die letzte Voraussetzung stellt sicher, dass es nicht zu Ungleichbehandlungen zwischen gleichrangigen Gläubigern kommt. Andernfalls wäre der Willkür der Planinitiatoren Tür und Tor geöffnet und allein die Zuordnung eines Gläubigers zu einer bestimmten Gruppe könnte Unterschiede in der relativen Höhe der Quotenzahlung im Vergleich zu gleichrangigen Gläubigern bedeuten. 150 Schon im Jahr 1992 erkannte der Reformgesetzgeber der InsO die Gefahren einer eventuellen Ungleichbehandlung der Gläubiger im Hinblick auf das Wirksamwerden des Insolvenzplans.175) Er hat sich jedoch bei der gesetzlichen Regelung von der Überzeugung leiten lassen, die Planinitiatoren seien in der Lage, diese Risiken zu kontrollieren. Er erkannte, dass mit dem Widerspruchsrecht des § 251 InsO „[…] ein nicht immer leicht zu kalkulierendes Risiko für das Zustandekommen der einvernehmlichen Regelung verbunden“ ist. Es sei „möglich, dass ein Plan, der nach langwierigen Verhandlungen ausformuliert worden ist und anschließend die erforderlichen Zustimmungen der Mehrheiten in den Gläubigergruppen erhalten hat, dennoch nicht bestätigt wird, weil nach der Auffassung des Gerichts die für einzelne widersprechende Beteiligte vorgesehenen Leistungen dem Mindeststandard nicht entsprechen“. Dieses Risiko könne „jedoch dadurch ausgeschlossen oder vermindert werden, dass im Plan zusätzliche Leistungen an solche Beteiligte vorgesehen werden, die dem Plan widersprechen und den Nachweis führen, dass sie ohne solche Zusatzleistungen durch den Plan schlechter gestellt werden als ohne einen Plan“. Enthält „der Plan eine solche Bestimmung, [ist] die Finanzierung der Leistungen gesichert, und [ist] eindeutig, dass im Falle der zusätzlichen Leistungen der Mindeststandard erreicht [wird], so [steht] der Minderheitenschutz der Bestätigung des Plans nicht entgegen“. Ob die zusätzlichen Leistungen zu erbringen sind, könne „dann außerhalb des Insolvenzverfahrens geklärt werden“. ___________ 175) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 212.

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Aus Sicht des Gesetzgebers war daher bereits vor dem ESUG die Aufnahme salvatorischer 151 Klauseln in einen Insolvenzplan angezeigt, um so eventuelle Anträge nach § 251 InsO bereits auf der Zulässigkeitsebene scheitern zu lassen. Die Frage der Anwendbarkeit derartiger salvatorischer Klauseln wurde in der Rechtsprechung und in großen Teilen der Literatur bejaht,176) Teile der Literatur hielten sie aber zumindest für bedenklich.177) Der Reformgesetzgeber des ESUG verhalf den salvatorischen Klauseln nunmehr mit der Aufnahme des § 251 Abs. 3 InsO zu einer gesetzlichen Grundlage. Zu salvatorischen Klauseln siehe unten Rz. 255 ff. 2.

Grundformen

Eine Gruppierung typischer Gestaltungsformen von Insolvenzplänen kann insbesondere 152 anhand der Herkunft der Mittel vorgenommen werden, aus denen die im Insolvenzplan gewährten Quotenzahlungen generiert werden. Hierbei differenziert man zwischen Cashout-Plänen auf der einen Seite und Earn-out-Plänen auf der anderen Seite. 2.1

Cash-out-Pläne

Die Quotengestaltung i. R. von Cash-out-Plänen greift letztlich auf bei Planerstellung 153 bereits vorhandene Vermögenswerte zurück. Hierbei kommt eine weitere Untergliederung in originäre Cash-out-Pläne sowie derivative Cash-out-Pläne in Betracht. Die Gruppe der originären Cash-out-Pläne greift bei der Quotengenerierung ausschließ- 154 lich auf Mittel zurück, die im schuldnerischen Unternehmen im Zeitpunkt der Planerstellung bereits vorhanden sind. Dies können bspw. für eine Fortführung nicht erforderliche liquide Mittel sein. Zum anderen kommt in Betracht, i. R. des Insolvenzverfahrens nicht betriebsnotwendige Vermögenswerte zu liquidieren und so die für eine angemessene Quote erforderlichen liquiden Mittel zu beschaffen. Derivative Cash-out-Pläne hingegen zeichnen sich dadurch aus, dass die für Quotenzah- 155 lungen verwandten Mittel nicht aus dem schuldnerischen Unternehmen selbst stammen, sondern vielmehr außerhalb des Unternehmens generiert werden. Der häufigste Fall dürfte der Verkauf des schuldnerischen Unternehmens im Ganzen sein. Im Rahmen des Insolvenzverfahrens werden hierbei die ersten groben Schnitte im Hinblick auf eine Sanierung des Unternehmens vorgenommen. Sodann wird i. R. eines Unternehmenskaufvertrags der verbleibende Nukleus des schuldnerischen Unternehmens an einen Investor verkauft. Die aus dem Verkauf resultierenden Werte werden sodann zur Befriedigung der Gläubiger aufgewandt. Alternative derivative Cash-out-Pläne generieren die Mittel zur Quotenzahlung aus sonstigen Beiträgen Dritter. Hier kommt insbesondere in Betracht, dass die bisherigen Eigentümer des schuldnerischen Unternehmens Kapital nachschießen. Üblicherweise müssen Gläubiger in einem Insolvenzverfahren über das Vermögen ihres Schuldners teilweise erhebliche Verluste hinnehmen. Vor diesem Hintergrund wird häufig die Forderung erhoben, der bisherige Eigentümer oder aber ein neu hinzutretender Investor solle, etwa i. R. einer Kapitalerhöhung, Mittel zur Verfügung stellen, um somit zumindest eine Aufbesserung der Quotenzahlungen zu erreichen. Vor dem Hintergrund, dass dem Alteigentümer, aber auch einem neu hinzutretenden Investor mit Wirksamwerden des Insolvenzplans ein finanziell größtenteils saniertes Unternehmen übergeben wird, erscheint dies durchaus angemessen. Schließlich kommen auch Beiträge solcher sonstigen Dritten in Betracht, die in irgendeiner Weise von der Fortführung des Unternehmens profitieren. Zu denken wäre etwa an die Vertragspartner langlaufender Dauerschuldverhältnisse. ___________ 176) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 251 Rz. 33 ff. 177) Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 13.5 ff.

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§ 22 2.2

2. Teil Insolvenzplan – Inhalt Earn-out-Pläne

156 Die Gruppe der Earn-out-Pläne wiederum verfolgt einen zeitraumbezogenen Weg der Generierung der Quotenzahlungen. Ähnlich den Earn-out-Klauseln bei Unternehmenskaufverträgen soll den Gläubigern im Grundsatz dasjenige zufließen, was innerhalb eines bestimmten Zeitraums während und/oder nach erfolgreicher Beendigung des Insolvenzverfahrens i. R. der Unternehmensfortführung generiert wird. Üblicherweise wird in diesem Zusammenhang für den Zeitraum des Earn-out zur Absicherung der Gläubiger auf das Institut der Planüberwachung (vgl. § 260 InsO) zurückgegriffen. Die Gestaltungsmöglichkeit des Earn-out-Plans war im Regierungsentwurf ausdrücklich genannt, vgl. § 253 Abs. 2 Nr. 1 RegE InsO.178) Auf Empfehlung des Rechtsausschusses wurde § 253 Abs. 2 RegE InsO jedoch lediglich zur „redaktionellen Verkürzung des Gesetzes“ gestrichen.179) Zulässig bleibt die Gestaltung eines Earn-out-Plans trotz dieser verkürzenden Streichung. 2.3

Mischformen

157 Freilich kann in der Praxis keine trennscharfe Linie zwischen Cash-out-Plänen und Earnout-Plänen gezogen werden. So liegt es bspw. nahe, trotz eines grundsätzlichen Bekenntnisses zu einem Earn-out-Plan nicht betriebsnotwendiges Vermögen zu liquidieren. Auch wird auf Druck der Gläubiger hin in dem schuldnerischen Unternehmen nur das Maß an Liquidität verbleiben können, welches zur Fortführung erforderlich ist. Die zur Fortführung nicht erforderliche Liquidität kann dann ebenso an die Gläubiger ausgeschüttet werden wie die aus der Verwertung nicht betriebsnotwendigen Vermögens generierte Liquidität. 2.4

Leistung „an Quote Statt“

158 Denkbar sind auch Fälle, in denen statt einer Insolvenzquote an Gläubiger Naturalleistungen erbracht werden. Praktisch relevant sind solche Fälle v. a. dann, wenn sich im Unternehmen Vermögenswerte befinden, die keinen Marktwert haben oder deren Marktwert schwer zu realisieren ist, diese Vermögenswerte aber für einzelne Gläubiger einen spezifischen Wert haben, etwa Vorräte, die der Gläubiger benötigte und weiterverarbeiten kann, oder aufzugebende Betriebsteile, die zum Unternehmen des Gläubigers passen. Hier drängt sich dann der Gedanke auf, diese Vermögensgegenstände eben jenen Gläubigern zu überlassen, die damit etwas anzufangen wissen. Umgekehrt können solche Fälle dann aber auch erhebliche Probleme mit sich bringen, denn die Naturalleistung kann gerade wegen der schweren Bewertbarkeit auch Gefahr laufen, ein gegen § 226 Abs. 3 InsO verstoßender Sondervorteil zu sein.180) 3.

Sonderformen und Einzelfragen

159 Über die reinen Cash-out-Pläne und Earn-out-Pläne sowie deren Mischformen tauchen in der Praxis einige Sonderformen von Insolvenzplänen auf, auf die in der Folge eingegangen werden soll. 3.1

Verfahrensleitende bzw. verfahrensbegleitende Insolvenzpläne

160 Einerseits können nach der allgemeinen Meinung in einem Insolvenzplan alle Regelungen getroffen werden, die auf dem Gebiet des Privatrechts rechtsgeschäftlich vereinbart werden ___________ 178) RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 49. 179) Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. InsO, BT-Drucks. 12/7302, S. 181. 180) Vgl. hierzu insbes. Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 327; weiter Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 7 Rz. 43.

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Gestaltender Teil des Insolvenzplans

können und zulässig sind.181) Andererseits ist es ebenso allgemeine Meinung, dass § 217 InsO abschließenden Charakter hat.182) Die vier gängigsten Arten von Insolvenzplänen zielen auf eine vom Regelinsolvenzverfahren abweichende Liquidation, eine übertragende Sanierung, eine Eigensanierung oder eine vom Regelinsolvenzverfahren abweichende Schuldenregulierung ab. Über diese vier Grundrichtungen (sowie deren Mischformen) hinaus ist aber die Verfol- 161 gung weiterer Planziele in der Praxis wünschenswert. So ist denkbar, dass in hochkomplexen Insolvenzverfahren durch einen Insolvenzplan lediglich Vorfragen zur Beseitigung tatsächlicher oder rechtlicher Hindernisse geklärt werden. Die weitere Sanierung oder auch Abwicklung des schuldnerischen Unternehmens würde sodann i. R. des Regelinsolvenzverfahrens erfolgen. Bereits vor Inkrafttreten des ESUG wurden unter dem Stichwort des „verfahrensleitenden“ bzw. „verfahrensbegleitenden“ Insolvenzplans solche Pläne diskutiert, die lediglich Teilbereiche der Verfahrensabwicklung betreffen. Die Beendigung des Insolvenzverfahrens hingegen war durch derartige Pläne nicht angestrebt. § 217 Abs. 1 InsO erklärt nunmehr ausdrücklich „die Verfahrensabwicklung“ zu einem potenziellen Regelungsgegenstand eines Insolvenzplans. 3.2

Masselose bzw. massearme Insolvenzpläne

Schon vor Aufnahme des § 210a InsO sprach einiges für die Zulässigkeit des Insolvenz- 162 planverfahrens bei Masseunzulänglichkeit. Denn auch bei Masseunzulänglichkeit kann der Fortführungswert des schuldnerischen Unternehmens größer sein als der Liquidationswert.183) Ob die Masseunzulänglichkeit wegen eines gescheiterten Geschäftsmodells und einer eventuell anfänglichen Fehleinschätzung des Insolvenzverwalters im Hinblick auf die Fortführungsfähigkeit eintritt, oder nur externe Faktoren der Grund für die Masseunzulänglichkeit sind, spielt eine erhebliche Rolle. Die Aufnahme des § 210a InsO ist daher vollumfänglich zu begrüßen.184) Masselose bzw. massearme Insolvenzpläne müssen in jedem Fall mindestens eine weitere 163 Gruppe für nachrangige Massegläubiger (vgl. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO) vorsehen. Naturgemäß bietet sich jedoch die Bildung mehrerer Gruppen entsprechend der Regelung des § 222 Abs. 2 InsO an, der eine Differenzierung anhand unterschiedlicher wirtschaftlicher Interessen ermöglicht. Die Zustimmung der nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger gilt als erteilt, sofern diese 164 nicht an der Planabstimmung teilnehmen (vgl. § 210a Nr. 2 i. V. m. § 246 Nr. 2 InsO). Nachdem diese nach dem Eintritt der Masseunzulänglichkeit keine Befriedigungsaussichten mehr haben, ist die entsprechende Anwendung des § 246 Nr. 2 InsO nur folgerichtig. 3.3

Besserungsscheine

Eine häufig verwandte Komponente zur Gestaltung der Quote sind sog. Besserungs- 165 scheine. Durch sie sollen die begünstigten Gläubiger an potentiellen zukünftig erst entstehenden oder zufließenden Werten partizipieren. Rechtlich wird die mögliche Verbesserung der Quote meist durch die Konstruktion einer auflösenden Bedingung erreicht. Dem Schuldner werden zwar grundsätzlich die Schulden erlassen; sollte jedoch ein be___________ 181) Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, Vor §§ 217 ff. Rz. 10, § 217 Rz. 15. 182) Empfehlungen der Ausschüsse z. ESUG, BR-Drucks. 127/1/11, S. 12; Eidenmüller in: MünchKommInsO, § 217 Rz. 96. 183) Ebenso Vallender, MDR 2012, 125, 127; Willemsen/Rechel, ESUG, § 210 Rz. 1. 184) Im Ergebnis wohl auch Rattunde, GmbHR 2012, 455, 458.

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stimmtes Ereignis eintreten, so ist der gewährte Schuldenerlass (zumindest in Teilen) hinfällig. 166 Der Einsatz von Besserungsscheinen muss auch unter taktischen Erwägungen gesehen werden. Denn möglicherweise entsteht durch die Teilnahme an einem Besserungsschein bei manchen Gläubigern eine höhere Bereitschaft zur Erteilung der Zustimmung zum Insolvenzplan.185) Auch kann zwischen einzelnen Gläubigergruppen dahingehend differenziert werden, ob und in welchem Umfang diese an einem oder mehreren Besserungsscheinen teilnehmen. Beispielsweise wird es Gläubigergruppen geben, die durch zukünftige Verzichte die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens wieder herstellen. Zu denken ist hierbei insbesondere an Arbeitnehmer oder Vertragspartner langlaufender Dauerschuldverhältnisse wie Vermieter oder bestimmte Lieferanten. Demgegenüber wird es andere Gläubigergruppen geben, die durch ihre Zustimmung zum Insolvenzplan lediglich auf den die Quote übersteigenden Teil ihrer Forderungen verzichten, darüber hinaus aber keine weiteren Zugeständnisse machen. Dies ist insbesondere die Auffanggruppe der sonstigen Insolvenzgläubiger. Wenn nun ein Besserungsschein bspw. aus dem noch nicht vertraglich fixierten Kaufpreis für den verbliebenen Nukleus des schuldnerischen Unternehmens besteht, erscheint es angemessen, an diesem nur diejenigen Gläubiger partizipieren zu lassen, die auch Verzichte für die Zukunft erklärt haben. 167 Praxisrelevant sind Besserungsscheine insbesondere bei anhängigen Rechtsstreiten, aus denen der Insolvenzmasse potenziell Werte zufließen. Da das Wirksamwerden des Insolvenzplans und damit die Aufhebung des Insolvenzverfahrens meist nicht warten kann, bis laufende Prozesse womöglich durch mehrere Instanzen zu Ende geführt wurden, werden hieraus dem schuldnerischen Unternehmen zufließende Werte i. R. eines Besserungsscheins den Gläubigern zugeführt. 168 In den meisten Fällen wird es sich um Anfechtungsrechtsstreite oder die Durchsetzung sonstiger insolvenzverfahrenstypischer Ansprüche wie etwa solcher aus Geschäftsführerhaftung oder nicht wirksam geleisteten Gesellschafterleistungen handeln. Die bereits oben ausführlich behandelten Besonderheiten hinsichtlich Anfechtungsansprüchen sind hierbei zu beachten (siehe Rz. 88 ff.). 169 Aber auch die bereits angesprochene Verwertung nicht betriebsnotwendigen Vermögens kann i. R. eines Besserungsscheins geregelt werden. Insbesondere bei Vermögensgegenständen, die keinen Marktpreis haben und bei denen umfangreiche Bewertungen vorgenommen und langwierige Verkaufsverhandlungen geführt werden müssen, macht eine Herauslösung der Gegenstände durch einen Besserungsschein Sinn. Hierbei kann die Verwertung auch auf einen Dritten übertragen werden, der den nach Abzug der entstandenen Verwertungskosten sowie einer angemessenen Vergütung verbleibenden Restbetrag an die unter dem Besserungsschein berechtigten Gläubiger auskehrt. 3.4

Leistungen an Quote statt

170 Häufig treten an die Stelle der Auskehr liquider Mittel auch zugunsten der Gläubiger Leistungen an Quote statt. Der hauptsächliche Zweck solcher Regelungen besteht in der Entlastung der quotenberechtigten Passivseite des Unternehmens. Leistungen an Quote statt führen damit zur Reduzierung der für Quotenzahlungen erforderlichen Liquidität. Gerade aber das Vorhandensein ausreichender liquider Mittel ist bei einer Fortführung des schuldnerischen Unternehmens von besonderer Bedeutung. Denn im deutschen Rechtsraum sind durch Insolvenzpläne sanierte Unternehmen nicht per se kreditwürdig. Die Bandbreite der denkbaren Leistungen an Quote statt ist immens und wird letztlich ___________ 185) Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 326.

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lediglich durch die Gegebenheiten des jeweiligen Insolvenzverfahrens und die vorgefundene Insolvenzmasse begrenzt. In der Sache handelt es sich um schuld- oder sachenrechtliche Regelungen, durch die an die Stelle der Quote andere – meist vermögenswerte – Rechte treten. Leistungen an Quote statt sind aus einer Vielzahl von Gründen jedoch komplexer in der 171 Gestaltung, als eine reine Quotenzahlung dies überhaupt sein kann. Bei vielen Leistungen an Quote statt ergeben sich bereits Probleme, deren materiellen Gegenwert zu bestimmen. Dies ist aber bis zu einem gewissen Grad erforderlich, da nur so ein Vergleich zur Quotenerwartung in einem Regelinsolvenzverfahren angestellt werden kann. Dieser Vergleich ist erforderlich, damit der vorgelegte Insolvenzplan die erforderlichen Zustimmungen überhaupt erst erlangen kann. Auch die Regelungen zum Obstruktionsverbot (vgl. § 245 InsO) und zum Minderheitenschutz (vgl. § 251 InsO) gehen zu Recht davon aus, dass grundsätzlich jeder Gläubiger durch den vorgelegten Insolvenzplan bessergestellt werden muss, als er ohne Insolvenzplan und damit in einem Regelinsolvenzverfahren stünde. Bei der Übertragung von dinglichen Rechten wird die Bestimmung des materiellen Ge- 172 genwerts des übertragenen Rechts regelmäßig noch vergleichsweise einfach sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn das übertragene Recht einen Marktpreis hat. Aber auch ohne einen solchen wird in vielen Fällen durch die Einholung von Wertgutachten die Bestimmung des materiellen Gegenwerts möglich sein. Insbesondere bei der Gewährung schuldrechtlicher Leistungen an Quote statt wird es 173 sich in den meisten Fällen anbieten, diese als Optionsrechte außerhalb des Insolvenzplans auszugestalten. Dem betreffenden Gläubiger wird hierbei in einer separaten Vereinbarung das Recht eingeräumt, von der Option Gebrauch zu machen. Im Gegenzug wird er meist (zumindest teilweise) auf seine Forderungen gegenüber dem Schuldner verzichten. In dem Insolvenzplan selbst wird die Konstruktion der Option lediglich beschrieben. Darüber hinaus kann in dem gestaltenden Teil des Insolvenzplans eine aufschiebende Bedingung vorsehen, dass der Insolvenzplan erst wirksam wird, wenn von dem Optionsrecht Gebrauch gemacht wird. Wird mehreren Gläubigern die gleiche Option angeboten, so kann die aufschiebende Bedingung vorsehen, dass ein bestimmtes Quorum erreicht wird. Die Festlegung der Höhe dieses Quorums stellt die Planinitiatoren nicht selten vor schwierige taktische Überlegungen. Üblicherweise wird das Quorum nahe 100 % angesetzt, um den Druck auf die Optionsinhaber hochzuhalten. Auf der anderen Seite gibt einem eine Quote unter 100 % die Möglichkeit, den Plan nicht wegen einzelner, die Option nicht annehmender Gläubiger, scheitern lassen zu müssen. Diejenigen Gläubiger, welche die Option nicht annehmen, müssen sodann auch unter dem Insolvenzplan einen Wertzufluss in der Höhe erhalten, der ohne Insolvenzplan bei Abwicklung des schuldnerischen Unternehmens erreicht worden wäre. 3.4.1 Übertragung einzelner Vermögenswerte Bei den Fallgruppen der Leistungen an Quote statt kommen zunächst Vermögensüber- 174 tragungen an Quote statt in Betracht. Denkbar sind hierbei die Übertragung eines Grundstücks oder aber die Gewährung von Lizenzen. Rein tatsächliche Voraussetzung für das Zustandekommen derartiger Leistungen an Quote statt wird selbstverständlich immer der Nutzen der jeweiligen Leistung für den betreffenden Gläubiger sein. Wenn also einzelne Gläubiger an bestimmten Vermögensgegenständen der Insolvenzmasse ein besonderes wirtschaftliches oder sonstiges Interesse haben, wird deren Wille zur Zustimmung erheblich sein. Dieses Interesse kann letztlich durchaus nur darin bestehen, dass sich der Gläubiger bessere 175 Verwertungsmöglichkeiten erhofft, als der Insolvenzverwalter sie sieht. Oft spielen aber Balthasar

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weitergehende Interessen eine Rolle. So kann für Lieferanten oder Kunden des schuldnerischen Unternehmens die Gewährung von Lizenzen für Produkte des schuldnerischen Unternehmens interessant sein. Im Sinne einer vertikalen Diversifikation bietet sich dem einzelnen Gläubiger hierdurch die Möglichkeit, seine eigenen Erträge durch Ausweitung des Produktionsprogramms um Produkte aus vor- oder nachgelagerten Wirtschaftsstufen entlang der Wertschöpfungskette zu steigern. 176 Auch die Übertragung ganzer Produktionsstandorte kann für einzelne Gläubiger interessant sein. Vielfach herrscht in der produzierenden Industrie eine starke Abhängigkeit von einzelnen Zulieferern oder Abnehmern. Hat der Zulieferer oder Abnehmer aus langlaufenden Dauerschuldverhältnissen hohe Insolvenzforderungen gegen den Schuldner, so kann eine Übertragung des für diesen einzelnen Gläubiger wichtigen Produktionsstandorts gegen Verzicht auf die Forderungen eine interessante Gestaltungsvariante sein. Eine Alternative kann die Fortführung des schuldnerischen Unternehmens unter Abschluss neuer oder Bestätigung der alten Lieferverträge mit dem Zulieferer oder Abnehmer sein. 177 Wird der (wesentliche) operative Geschäftsbetrieb des schuldnerischen Unternehmens auf eine Auffanggesellschaft übertragen, so besteht für den Planinitiator die Möglichkeit, einzelne Gläubiger an der Auffanggesellschaft zu beteiligen. Da die Gläubiger nicht an der insolventen Gesellschaft, sondern vielmehr an der Auffanggesellschaft beteiligt werden, handelt es sich hierbei nicht um den Fall eines Debt Equity Swaps. 3.4.2 Gewährung von Unternehmensanteilen 178 Lieferanten und Kunden wählen häufig auch den Weg, durch einen Forderungs- und Quotenverzicht i. R. eines Debt Equity Swaps Anteile am schuldnerischen Unternehmen zu erwerben. Hierbei spielen zum einen wiederum Diversifikationspläne des Gläubigers eine Rolle. Aber auch die schlichte Alternativlosigkeit aufgrund starker Abhängigkeiten vom schuldnerischen Unternehmen kann der Grund für den Debt Equity Swap sein. Kreditgeber rechnen sich durch einen Tausch von Forderungen in Gesellschaftsanteile häufig höhere Wertzuflüsse zu einem späteren Zeitpunkt aus.186) Wenn sich an die grobe finanzielle Sanierung des Unternehmens durch das Insolvenzplanverfahren eine feingliedrigere finanzielle, v. a. aber auch eine operative Sanierung anschließt, können sich diese Vorstellungen durchaus als zutreffend erweisen. 179 Der Reformgesetzgeber des ESUG hat mit der Aufnahme des § 225a Abs. 2 InsO eine wesentliche Erleichterung im Hinblick auf die Vornahme eines Debt Equity Swaps geschaffen. Da § 225a Abs. 3 InsO i. R. eines Insolvenzplans darüber hinaus sämtliche Regelungen für aufnahmefähig erklärt, die gesellschaftsrechtlich zulässig sind, sind den Regelungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Geschäftsanteile am schuldnerischen Unternehmen keine zusätzlichen insolvenzrechtlichen Grenzen mehr gesetzt. Durch § 254 Abs. 4 und § 254a InsO wird darüber hinaus sichergestellt, dass die in einem Insolvenzplan aufgenommenen gesellschaftsrechtlichen Regelungen nicht nach Wirksamwerden des Insolvenzplans wegen formeller oder materieller Mängel angegriffen werden können. 3.4.3 Vereinbarung schuldrechtlicher Verpflichtungen 180 Schließlich ergibt sich eine weitere Quotengestaltungsmöglichkeit aus dem Interesse von Lieferanten und Kunden sowie weiteren Vertragspartnern langlaufender Dauerschuldverhältnisse, auch zukünftig mit ihrem Vertragspartner Geschäfte machen zu können. Die Planinitiatoren können das schuldnerische Unternehmen zum einen bestehende Vertragsverhältnisse fortsetzen lassen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, die bestehenden ___________ 186) Dazu auch Meyer-Löwy/Bruder, GmbHR 2012, 432, 433.

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Vertragsverhältnisse in Teilbereichen (meist der Vergütungsstruktur) zu modifizieren. Zum anderen können die Planinitiatoren aber auch im oder außerhalb des Insolvenzplans neue vertragliche Verpflichtungen des schuldnerischen Unternehmens begründen. Häufig wird dies aber außerhalb des Insolvenzplans i. R. von Einzelvereinbarungen ge- 181 schehen, damit die Details der Vereinbarung nicht offengelegt werden müssen. Die Einzelvereinbarung ist dann Anlage zum Insolvenzplan, wird aber nicht mit diesem ausgelegt. Im Insolvenzplan selbst werden nur die Eckpunkte der jeweiligen Vereinbarung genannt. Denn sowohl das schuldnerische Unternehmen als auch der jeweilige Vertragspartner wollen derartige in der Krise einer Partei getroffene Vereinbarungen nicht mit Signalwirkung ausstatten. Bei Marktteilnehmern könnte der Eindruck entstehen, der ihnen gewährte Tarif beinhalte im Vergleich zu hohe Margen des jeweiligen Vertragspartners. Hierbei wird jedoch nicht berücksichtigt, dass derartige Krisenvereinbarungen oft nur zur Vermeidung weiterer Schäden getroffen werden. Einen Gewinn für die Vertragschließenden bedeuten die Vereinbarungen hingegen oft nicht. Die Grenze derartiger Einzelvereinbarungen bildet zum einen die Regelung des § 226 182 Abs. 3 InsO. Sie besagt, dass jedes Abkommen des Insolvenzverwalters, des Schuldners oder anderer Personen mit einzelnen Beteiligten, durch das diesen für ihr Verhalten bei Abstimmungen oder sonst im Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren ein nicht im Plan vorgesehener Vorteil gewährt wird, nichtig ist. Letztlich darf man daher nicht dem Irrglauben erliegen, man könne durch eine Einzelvereinbarung Sondervorteile gewähren, die bei Aufnahme in den Text des Plans zu dessen Scheitern führen würden. Zum anderen wird die Möglichkeit des Abschlusses von Einzelvereinbarungen dadurch 183 begrenzt, dass trotz fehlender Kenntnis des Inhalts dieser Einzelvereinbarungen der Insolvenzplan in sich noch verständlich, also hinreichend bestimmt und klar sein muss. Die wesentlichen Eckpunkte müssen für den einzelnen Gläubiger insbesondere erkennbar machen, welche Zugeständnisse dem jeweiligen Vertragspartner einer solchen Einzelvereinbarung gemacht wurden. Beispiele: Wenn etwa zwischen dem Insolvenzverwalter und einem Gläubiger die betrags- 184 mäßige Höhe der quotenberechtigten Forderungen streitig ist, kann ein Vergleich hierüber Gegenstand einer solchen Einzelvereinbarung sein. Eventuelle Berechnungen zur Forderungshöhe, Verzichte des Gläubigers auf Teilforderungen oder Ähnliches gehören dann lediglich in den Text der bilateralen Vereinbarung. Die vereinbarte Höhe der Forderungen hingegen muss im Insolvenzplan genannt werden. Die Veröffentlichung der Einzelvereinbarungen könnte darüber hinaus die Gefahr bergen, 185 dass der Insolvenzplan möglicherweise nicht beizeiten wirksam werden kann. Denn die vollumfängliche Kenntnis der jeweiligen Einzelvereinbarung würde obstruierenden Gläubigern zusätzliches Material in die Hand geben, um gegen den Insolvenzplan vorgehen zu können. Hierbei hilft es wenig, wenn sich die Planinitiatoren sicher sind, dass die abgeschlossene Einzelvereinbarung den Regelungen des Obstruktionsverbots (vgl. § 245 InsO) und des Minderheitenschutzes (vgl. § 251 InsO) standhalten werden. Denn die Kenntnis des Inhalts eröffnet bereits neue Diskussionsfelder, die Folge kann eine vermeidbare Auseinandersetzung an mehreren Fronten sein. Die Erscheinungsformen schuldrechtlicher Verpflichtungen an Quote statt sind vielfältig. 186 Zu denken ist hier zunächst an den Abschluss von Lieferverträgen. Diese können zum einen mit bisherigen Lieferanten abgeschlossen werden und diesen den Abnehmer erhalten. Aber auch der Abschluss von Lieferverträgen mit Kunden kommt in Betracht. Haben diese aus Garantieversprechen oder Mängelgewährleistung des Schuldners hohe Insolvenzforderungen gegen diesen (die vielleicht sogar insolvenzauslösend waren), kann die Fortset-

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zung bestehender oder die Begründung neuer Lieferverträge ein geldwerter Ersatz für alternative Quotenzahlungen sein. 187 Eine weitere Gruppe stellen Mietverträge dar. Meist gegen Verzicht auf rückständige und Absenkung der zukünftigen Mietzinsen durch die Vermieter können Planinitiatoren oft erhebliche Reduzierungen sowohl bei der quotenberechtigten Passivseite als auch den zukünftigen Kosten des schuldnerischen Unternehmens erreichen. Gleiches gilt selbstredend für viele weitere langlaufende Dauerschuldverhältnisse. 188 Der Fortbestand oder Neuabschluss von Darlehensverträgen macht unter mehreren Gesichtspunkten Sinn. Denn zum einen wird auch hierbei der Abfluss von Liquidität verhindert, die für die Fortführung des schuldnerischen Unternehmens dringend erforderlich ist. Zum anderen wird durch den Fortbestand oder Neuabschluss der Darlehensverträge die Verwertung der vorinsolvenzlich ausgereichten Sicherheiten verhindert. Die betreffenden Vermögensgegenstände (Grundstücke mit Produktionsimmobilien, Geschäftsanteile an ebenfalls operativen verbundenen Unternehmen, der Bestand an Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen, usw.) werden für eine Fortführung des schuldnerischen Unternehmens nicht selten dringend benötigt. Der Fortbestand der Darlehensforderungen kann möglicherweise auch in nachrangiger Form vereinbart werden, um so eine sonst potentiell bald erneut eintretende Überschuldung des schuldnerischen Unternehmens zu verhindern. Freilich werden einer solchen Nachrangigkeit nur solche Darlehensgläubiger zustimmen, die vorher unbesichert waren. 189 Eine Regelung zum eventuellen Fortbestand entsprechender Verpflichtungen bietet sich ebenfalls an, wenn dem schuldnerischen Unternehmen vorinsolvenzlich Investitionszulagen gewährt wurden. Denn bei Fortbestand der Investitionsverpflichtungen aus öffentlicher Förderung an Quote statt wird auch hier der Abfluss von Liquidität verhindert. 190 Einen Sonderfall bilden schließlich arbeitsrechtliche Vereinbarungen: Denn bei diesen findet durch die Beteiligung von Gewerkschaften und Betriebsräten meist ein Geben und Nehmen statt, während in den vorgenannten Fällen die Position der Planinitiatoren meist die stärkere ist. Auf Arbeitnehmerseite muss meist mit Gehaltsverzichten gerechnet werden. Denn oft sind es die hohen Personalkosten, die viele Unternehmen in die Knie zwingen. Das deutsche Arbeitsrecht ist an dieser Stelle zu wenig flexibel, um die Personalkosten innerhalb eines vernünftigen zeitlichen und finanziellen Rahmens einer schwankenden Auftragslage anzupassen. Ist mit einer zeitnahen Sanierung des schuldnerischen Unternehmens zu rechnen, können die Gehaltsverzichte selbstverständlich auch auflösend bedingt erklärt werden (Stichwort „Sanierungstarifverträge/Fortführungstarifverträge“). Wenn innerhalb eines festgelegten zeitlichen Rahmens bestimmte Ertrags- oder sonstige Ziele erreicht werden, besteht die Verpflichtung des schuldnerischen Unternehmens, die zunächst nicht gezahlten Gehaltsbestandteile doch noch zur Auszahlung zu bringen. Üblich ist zudem, die Gehaltsverzichte nur für einen bestimmten Zeitraum zu erklären. Die Bestandteile des Verzichts sind meist eventuelles Urlaubs- und Weihnachtsgeld, können aber auch quotale Kürzungen des monatlichen Salärs sein. Auf Arbeitgeberseite muss damit gerechnet werden, dass für einen bestimmten Zeitraum im Gegenzug betriebsbedingte Kündigungen und Standortschließungen ausgeschlossen werden. Da die arbeitsrechtlich getroffenen Vereinbarungen häufig auch im Nachgang zu deren Abschluss recht emotionsgeladen abgewickelt werden, bietet sich an dieser Stelle die Nutzung des Instituts der Planüberwachung (vgl. § 260 InsO) an. VIII. Bedingungen und Befristungen 191 Namentlich bei auf Fortführung gerichteten Insolvenzplänen können neben den im Insolvenzplan enthaltenen Sanierungsbeiträgen der Gläubiger Beiträge oder die Mitwirkung 644

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von Gesellschaftern oder Dritten erforderlich sein.187) Vor Inkrafttreten des ESUG konnte hierüber sowohl im Hinblick auf Gesellschafter als auch auf Dritte im Plan keine zwangsweise Regelung geschaffen werden. Hinsichtlich einer eventuellen Beteiligung von Gesellschaftern hat der Gesetzgeber mit dem ESUG durch die Einführung zahlreicher Vorschriften, die sich mit den Mitglieds- und Anteilsrechten der am Schuldner beteiligten Personen beschäftigen (vgl. insbesondere die zentrale Norm des § 225a InsO), weitestgehend Abhilfe geschaffen. Soll aber ein Dritter am Plan beteiligt werden, so kann dies oftmals nur über die Auf- 192 nahme einer Planbedingung nach § 249 InsO erreicht werden. Neben ihrer Funktion als verfahrensrechtliche Vorschrift kommt der genannten Norm auch eine wesentliche materiell-rechtliche Rolle zu.188) Denn sie eröffnet auf der einen Seite die Möglichkeit, die Wirksamkeit des Plans von der Erbringung bestimmter Leistungen oder der Durchführung anderer Maßnahmen abhängig zu machen.189) Auf der anderen Seite brauchen die vereinbarten Leistungen erst erbracht zu werden, wenn es zu einer Annahme des Plans durch die Gläubiger kommt.190) Die Bedingung kann – muss jedoch nicht – in beide Richtungen wirken191) und ermöglicht daher eine Abwicklung Zug-um-Zug.192) 1.

Umfang und Grenzen

Die gesetzliche Regelung des § 249 InsO bleibt in vielen Teilen rudimentär. 1.1

193

Ausdrückliche Regelung im Plan

§ 249 InsO setzt eine ausdrückliche Regelung im Insolvenzplan voraus. Denn nur dann 194 ist die Regelung für das Insolvenzgericht hinreichend erkennbar.193) Im Insolvenzplan muss daher bestimmt sein, dass die vorzunehmende Handlung vor der Bestätigung des Insolvenzplans erfolgen muss.194) In der Praxis bietet es sich an, eventuelle Bedingungen eines Insolvenzplans nach § 249 InsO im Plan in einem eigenen Abschnitt zu behandeln. Hierdurch werden diese hinreichend transparent. 1.2

Aufschiebende und auflösende Bedingungen

§ 249 Satz 1 InsO spricht davon, dass vor der Bestätigung des Insolvenzplans bestimmte 195 Leistungen erbracht oder andere Maßnahmen verwirklicht werden sollen. Der bloße Wortlaut erweckt den Anschein, dass daher lediglich die Aufnahme aufschiebender Bedingungen möglich sein soll. Dies würde jedoch sowohl dem Sinn und Zweck des § 249 InsO als auch dem Sinn und Zweck des Insolvenzplanverfahrens zuwiderlaufen. Denn Ziel der Regelungen des Insolvenzplanverfahrens ist die Erreichung eines größtmöglichen Maßes an Flexibilität bei der Abwicklung von Insolvenzverfahren195) und eine Stärkung

___________ 187) 188) 189) 190) 191) 192) 193) 194) 195)

Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 249 Rz. 1. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 1. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 249 Rz. 1; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 2. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 2. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 2. Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 249 Rz. 1. Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 249 Rz. 2. Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 249 Rz. 4. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 78.

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der Gläubigerautonomie.196) Letztlich ist daher anerkannt, dass auch eine auflösende Bedingung Planbedingung i. S. des § 249 InsO sein kann.197) 196 Eintritt aufschiebender sowie Ausbleiben auflösender Bedingungen vs. Erfüllung der Voraussetzungen des Plans: Der Gesetzeswortlaut des § 249 InsO spricht nicht vom Bedingungseintritt (bei aufschiebenden Bedingungen) oder dem Ausbleiben des Bedingungseintritts (bei auflösenden Bedingungen). Vielmehr lautet die Vorgabe des § 249 InsO, dass der Plan nur bestätigt werden darf, wenn die im Plan vorgesehenen „Voraussetzungen erfüllt sind“. Bei strenger Auslegung des Wortlauts könnte man fordern, dass sämtliche im Plan vorgesehenen aufschiebenden Bedingungen eingetreten sein müssen198) und es zudem als sicher gelten muss, dass sämtliche auflösenden Bedingungen nicht mehr eintreten können. Sinn und Zweck der Vorschrift des § 249 InsO ist indes ein anderer. Vielmehr wollte der Gesetzgeber durch die Aufnahme der Norm sicherstellen, dass bestimmte Maßnahmen, die im darstellenden Teil des Plans als Grundlage für die durch den Plan vorgesehenen Rechtsänderungen aufgeführt sind, selbst aber nicht Bestandteil des Plans sein können, sinnvoll mit dem Plan verzahnt werden können.199) Daher steht auch die Aufnahme einer auflösenden Bedingung verbunden mit einer angemessenen Fristsetzung, bis wann die jeweilige Maßnahme getroffen sein muss, der rechtskräftigen Bestätigung des Plans nicht entgegen.200) Der betroffene Dritte wird damit faktisch gezwungen, die jeweilige Maßnahme vorzunehmen, will er nicht das Folgeinsolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners verursachen. Den Zielen der größtmöglichen Flexibilität des Verfahrens sowie der größtmöglichen Gläubigerautonomie dient ein derartiges Vorgehen allemal. 1.3

Nachfristsetzung durch das Insolvenzgericht (§ 249 Satz 2 InsO)

197 Die Nachfristsetzung durch das Insolvenzgericht nach § 249 Satz 2 InsO dient dazu, eine längere Ungewissheit über die Bestätigung des Plans zu vermeiden.201) Nach der genannten Norm ist das Insolvenzgericht verpflichtet, nach Ablauf einer in dem Plan genannten Frist für den Bedingungseintritt eine erneute Frist zu setzen; hierdurch soll dem Planinitiator eine letzte Chance gegeben werden, seinen Plan doch noch zu verwirklichen.202) 198 Die nach § 249 Satz 2 InsO vom Insolvenzgericht gesetzte Frist muss bereits nach dem gesetzlichen Wortlaut angemessen sein. Welche Dauer jeweils angemessen ist, bleibt letztlich eine Frage des Einzelfalls.203) Die Fristsetzung hat sich insbesondere an der Art der vorzunehmenden Handlung zu orientieren.204) Eine durch das Insolvenzgericht gesetzte Frist ist angemessen, wenn sie die Art der Bedingung sowie den Zeitraum berücksichtigt, der realistischerweise für deren Umsetzung benötigt wird.205) Es muss jedoch bei jeder ___________ 196) RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 90 f. 197) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 7 Rz. 85; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 249 Rz. 3; Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 249 Rz. 5; i. E. wohl auch Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 371, und Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 14 f., die einer Anwendbarkeit des § 249 InsO auf auflösende Bedingungen zumindest nicht widersprechen. 198) So Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 249 Rz. 3. 199) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 211. 200) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 249 Rz. 3. 201) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 211. 202) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 24. 203) Braun/Frank in: Braun, InsO, § 249 Rz. 5; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 25. 204) Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 249 Rz. 3. 205) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 25.

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Fristsetzung berücksichtigt werden, dass es nicht zu einer erheblichen zeitlichen Verzögerung des Verfahrens kommt.206) Eine Verlängerung der Frist durch das Insolvenzgericht ist grundsätzlich möglich.207) 199 Ein Anspruch hierauf, insbesondere des Planinitiators oder des Schuldners, besteht indes nicht. Die Verlängerung einer einmal gesetzten Frist ist nur dann angezeigt, wenn realistischerweise noch mit dem Eintritt der Bedingung gerechnet werden kann. Auch die mehrmalige Verlängerung der Frist ist möglich. So ist eine Planbedingung da- 200 hingehend denkbar, dass bis zu einem bestimmten Stichtag ein Kaufvertrag über das schuldnerische Unternehmen – sei es i. R. eines Asset Deals oder sei es i. R. eines Share Deals – abgeschlossen sein muss. Macht nun der Insolvenzverwalter dem Insolvenzgericht bei dessen Entscheidung über eine Nachfristsetzung deutlich, dass die Verhandlungen über einen solchen Unternehmenskaufvertrag immer weiter fortschreiten, so kann das Gericht auch bei ständigem Fortschritt der Verhandlungen eine mehrmalige Fristverlängerung erwägen. Geschieht dies mit Zustimmung eines Gläubigerausschusses, stehen einer mehrmaligen Fristverlängerung erst recht keine Bedenken mehr entgegen. Gleiches gilt, wenn bei erforderlichen Stundungen von oder Verzichten auf Gewerbesteuerforderungen eine Vielzahl von Städten und Gemeinden angesprochen werden muss (siehe Rz. 224 ff.). Auch hier kann sich der anfangs gesetzte Zeitrahmen als zu kurz erweisen und eine mehrmalige Fristverlängerung erforderlich werden. Steigt über den Zeitverlauf die Zahl der den Plan unterstützenden Städte und Gemeinden nachweisbar an, so wird das Insolvenzgericht nur schwer eine erneute Fristverlängerung verweigern können. Bleibt der Eintritt einer aufschiebenden Bedingung aus bzw. ist eine auflösende Bedin- 201 gung eingetreten oder macht die Verlängerung der Frist etwa aufgrund des Scheiterns von für den Bedingungseintritt erforderlichen Verhandlungen keinen Sinn mehr, hat das Insolvenzgericht die Bestätigung des vorgelegten Insolvenzplans von Amts wegen zu versagen.208) Dem Gericht ist hierbei kein Ermessensspielraum eingeräumt, weiterer Voraussetzungen bedarf es nicht.209) 1.4

Rechtsmittel

Kein Rechtsmittel gegen Versagung einer Nachfrist: Gegen die Entscheidung über die 202 Gewährung einer Nachfrist gibt es kein statthaftes Rechtsmittel.210) Dies ergibt sich aus dem in § 6 Abs. 1 InsO niedergelegten Grundsatz, gemäß dem nur bei ausdrücklicher Gewährung eines Beschwerderechts die sofortige Beschwerde statthaft ist.211) Sofortige Beschwerde gegen Versagung der Planbestätigung: Wird der Plan wegen Fehlens 203 des Bedingungseintritts vom Insolvenzgericht nicht bestätigt, so ist die sofortige Beschwerde nach § 253 InsO zwar statthaft.212) Das Rechtsmittel wird in der Sache aber ohne Erfolg bleiben, sofern die im Plan festgeschriebene aufschiebende Bedingung tatsächlich nicht eingetreten bzw. eine auflösende Bedingung eingetreten ist.213) Hat das Insolvenzgericht hingegen den Bedingungseintritt verkannt oder zu Unrecht verneint bzw. ___________ 206) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 26; Braun/Frank in: Braun, InsO, § 249 Rz. 5, die fälschlicherweise eine zeitliche Verzögerung über vier Wochen hinaus nicht hinnehmen wollen. 207) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 28. 208) Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 249 Rz. 7; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 30 f.; Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 249 Rz. 3. 209) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 31; Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 249 Rz. 3. 210) Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 249 Rz. 9; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 32. 211) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 32; Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 249 Rz. 9. 212) Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 249 Rz. 9; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 33. 213) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 33.

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bejaht, wird die sofortige Beschwerde Erfolg haben.214) Gleiches gilt, wenn das Insolvenzgericht den Bedingungseintritt durch Verweigerung einer Nachfrist vereitelt hat.215) 204 Sofortige Beschwerde gegen Planbestätigung nach vorheriger Fristverlängerung: Hat das Insolvenzgericht eine Nachfrist verlängert und ist die Bedingung innerhalb dieser Nachfrist tatsächlich eingetreten, so kann eine sofortige Beschwerde gegen den planbestätigenden Beschluss nicht auf eine zu Unrecht gewährte Verlängerung der Nachfrist gestützt werden.216) 205 Vorlage eines neuen Planentwurfs nach Versagung der Planbestätigung: Nachdem das Insolvenzgericht die Bestätigung eines vorgelegten Plans wegen fehlenden Eintritts einer im Plan festgeschriebenen aufschiebenden Bedingung abgelehnt hat, kann der Planinitiator erneut einen Planentwurf vorlegen.217) Dies wird jedoch selbstverständlich nur dann sinnvoll sein, wenn in dem neuen Planentwurf auf die jeweilige Bedingung verzichtet oder eine grundlegend andere Planstrategie verfolgt werden kann. 1.5

Ähnliche Regelungen

206 Es existieren mehrere Regelungen, die ähnliche Wirkung entfalten wie eine Planbedingung nach § 249 InsO. 1.5.1 Änderung sachenrechtlicher Verhältnisse (§ 228 InsO) 207 Nach § 228 InsO können bestimmte Willenserklärungen in den Plan aufgenommen werden, deren Wirkungen nach der allgemeinen Regelung des § 254 Abs. 1 InsO erst mit der Rechtskraft der Bestätigung des Insolvenzplans eintreten sollen.218) 1.5.2 Schuldrechtliche Verpflichtung eines Dritten (§ 230 Abs. 3 InsO) 208 Darüber hinaus kann der Insolvenzplan eine bloße schuldrechtliche Verpflichtung eines Dritten gegenüber den Gläubigern zur Vornahme einer Handlung enthalten.219) In diesem Fall ist die jeweilige Erklärung des Dritten dem Plan als Anlage beizufügen, § 230 Abs. 3 InsO. Möglich ist auch eine Regelung dergestalt, dass der Dritte die Verpflichtung nur Zug um Zug gegen eine Leistung oder andere Maßnahme des Schuldners oder eines weiteren Dritten erfüllen muss.220) 1.5.3 Echte Bedingung (§ 158 BGB) 209 Der Insolvenzplan kann auch zur Gänze unter eine aufschiebende oder auflösende Bedingung nach § 158 BGB gestellt werden.221) Durch die Bestätigung des Insolvenzplans ist dann zwar gesichert, dass das gerichtliche Verfahren ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Der Insolvenzplan hängt in seiner Wirksamkeit aber noch vom Eintritt oder dem Ausbleiben der Bedingung ab. Sofern der Insolvenzplan eine auflösende Bedingung enthält ___________ Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 249 Rz. 9; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 33. Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 249 Rz. 9; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 34. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 35. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 33. Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 249 Rz. 4. Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 249 Rz. 6. Als Alternative zur Aufnahme einer Planbedingung nach § 249 InsO schlug schon die Gesetzesbegründung vor, den Verzicht auf ein Pfandrecht bei gleichzeitiger Bestellung eines neuen Pfandrechts über eine schuldrechtliche Verpflichtung zur Leistung Zug um Zug zu regeln, Begr. RegE InsO, BTDrucks. 12/2443, S. 211. 221) Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 249 Rz. 5. 214) 215) 216) 217) 218) 219) 220)

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und das Insolvenzverfahren bereits aufgehoben wurde, wird freilich meist ein Folgeinsolvenzverfahren die unmittelbare Konsequenz sein. 1.5.4 Wiederauflebensklausel (§ 255 InsO) Erfüllungsrückstand: Gerät der Schuldner gegenüber einem oder mehreren Gläubigern 210 mit der Erfüllung des Plans erheblich in Rückstand, so wird eine in dem Insolvenzplan erklärte Stundung oder ein erklärter Erlass des jeweiligen Gläubigers hinfällig, § 255 Abs. 1 Satz 1 InsO. Folgeinsolvenzverfahren: Gleiches gilt, sofern vor vollständiger Erfüllung des Plans über das 211 Vermögen des Schuldners ein neues Insolvenzverfahren eröffnet wird, § 255 Abs. 2 InsO. Abweichende Regelung im Plan: Im Insolvenzplan kann von beiden vorgenannten Rege- 212 lungen abgewichen werden, von der den einzelnen Gläubiger schützenden Regelung des § 255 Abs. 1 InsO jedoch nicht zum Nachteil des Schuldners, § 255 Abs. 3 InsO. 2.

Typische Ausgestaltungen

Nicht selten wird ein Bedürfnis dafür bestehen, das Wirksamwerden von Rechtsänderun- 213 gen, die im gestaltenden Teil des Plans vorgesehen sind, davon abhängig zu machen, dass bestimmte Leistungen erbracht oder andere Maßnahmen verwirklicht werden.222) Aufgrund der hohen Praxisrelevanz von Planbedingungen soll daher auf einzelne Beispiele eingegangen werden. 2.1

Erbringung bestimmter Leistungen

Zum einen kann die Planbedingung vorsehen, dass bestimmte Leistungen zu erbringen sind. 214 2.1.1 Bestellung neuer Sicherheiten In Betracht kommt zunächst die Bestellung neuer Sicherheiten.223) Sicherheitenbestel- 215 lungen durch den Schuldner können insbesondere dann Bestandteil einer Planbedingung werden, wenn auch der jeweils Besicherte seinerseits eine Leistung zu erbringen hat. Soll dieser etwa ein Pfandrecht an einem bestimmten Vermögensgegenstand aufgeben, dies aber erst dann, wenn ihm an einem anderen Vermögensgegenstand ein neues Pfandrecht eingeräumt wurde, kann diese Zug-um-Zug-Abwicklung durch Aufnahme einer entsprechenden Planbedingung erreicht werden.224) Eine Alternative bildet freilich die Aufnahme einer nur Zug-um-Zug zu erfüllenden schuldrechtlichen Verpflichtung des Dritten nach § 230 Abs. 3 InsO (siehe hierzu bereits Rz. 208). Unter die praxisrelevanten Drittsicherheiten fallen sowohl Bürgschaften als auch Grund- 216 schulden. Die dingliche Wirkung Letzterer tritt wegen der Beurkundungspflicht nicht schon mit Inkrafttreten des Plans ein, sondern lediglich die erforderlichen Erklärungen der Beteiligten gelten als (in der vorgeschriebenen Form, § 254a Abs. 1 InsO) abgegeben.225)

___________ 222) So schon die Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 211. 223) Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 249 Rz. 2; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 8. 224) So schon die Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 211, der allerdings als Alternative die Aufnahme einer schuldrechtlichen Verpflichtung nennt, die aufgrund ausdrücklicher Regelung nur Zugum-Zug zu erfüllen ist. 225) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 8.

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2.1.2 Gewährung neuer Kredite 217 Die Gewährung neuer Kredite stellt ein weiteres Beispiel für einen nach § 249 InsO bedingten Plan dar,226) sie wird vereinzelt gar als der Hauptanwendungsfall des § 249 InsO angesehen.227) Sofern die i. R. einer Sanierung meist dringend erforderliche Liquidität nicht auf andere Weise (etwa durch eine Kapitalerhöhung) sichergestellt werden kann, ist der Schuldner richtigerweise auf neue Kredite angewiesen. Durch die lediglich bedingte Bereitstellung der Gelder können die Kreditgeber erreichen, dass sie die Kredite auch tatsächlich nur für den vereinbarten Zweck der Unternehmensfortführung und nicht etwa für sonstige Zwecke zur Verfügung stellen.228) In einer derartigen Konstellation sollte stets an die Regelung des § 264 InsO und die Festlegung eines Kreditrahmens gedacht werden (siehe Rz. 240 ff.). 2.1.3 Sonstige Leistungen 218 Letztlich kann jede hinsichtlich Umfang, Dauer und Kreis der Verpflichteten hinreichend bestimmte Leistung als Planbedingung i. S. des § 249 InsO aufgenommen werden.229) Insbesondere auf Seiten der Kunden und Lieferanten ist es für den Schuldner hilfreich, wenn diese beiden Gläubigergruppen faktisch durch Aufnahme entsprechender Bedingungen in den Plan zu bestimmten Vertragskonditionen gezwungen werden können. 2.2

Verwirklichung anderer Maßnahmen

219 Zum anderen kommt in Betracht, dass i. R. einer Planbedingung die Verwirklichung anderer Maßnahmen geregelt wird. 2.2.1 Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen 220 Einer der in der Literatur am häufigsten genannten Anwendungsfälle des bedingten Plans nach § 249 InsO waren früher gesellschaftsrechtliche Maßnahmen.230) Hierunter fielen Gesellschafterbeschlüsse aller Art, insbesondere Kapitalherabsetzungen oder Kapitalerhöhungen, der Austausch von Organvertretern oder die Änderung des Gesellschaftsvertrags. Schon der Gesetzgeber der InsO erklärte, dass durch § 249 InsO gesellschaftsrechtliche und insolvenzrechtliche Beschlussfassungen sinnvoll miteinander verzahnt werden können.231) 221 Am plastischsten wird dieser Gedanke am Beispiel des Fortsetzungsbeschlusses. Rechtsformübergreifend sind juristische Personen oder Personenhandelsgesellschaften mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöst (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG, § 131 Abs. 1 Nr. 3 HGB, § 101 GenG). Soll die Gesellschaft auf der Grundlage eines Insolvenzplans fortgeführt werden, so bedarf es hierfür eines entsprechenden Fortsetzungsbeschlusses der Gesellschafter (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, § 274 Abs. 2 Nr. 1 AktG, § 144 Abs. 1 HGB, § 117 Abs. 1 GenG). Durch die Aufnahme einer entsprechenden Planbedingung nach § 249 InsO sollte erreicht werden, dass die Gesellschafter faktisch gezwungen waren, zumindest nach einer rechtskräftigen Bestätigung des Insolvenzplans den Fortsetzungsbeschluss zu fassen.

___________ 226) 227) 228) 229) 230) 231)

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Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 249 Rz. 2. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 9. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 9. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 10. So auch die Einschätzung von Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 13. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 211.

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Es zeigten sich jedoch in der Praxis häufig erhebliche Schwächen dieser Gestaltungsart. 222 Denn nicht selten machten Gesellschafter die Fassung eines Fortsetzungsbeschlusses von weiteren Zugeständnissen der Gläubiger (wie etwa dem Verzicht auf sämtliche Schadensersatzansprüche gegenüber den bisherigen Organvertretern oder Gesellschaftern) abhängig.232) Die Reformbedürftigkeit233) erkennend entschloss sich der Gesetzgeber mit dem ESUG zu einer umfassenden Neuregelung in Bezug auf gesellschaftsrechtliche Beschlüsse. So können nunmehr im Plan alle Regelungen getroffen werden, die gesellschaftsrechtlich zulässig sind, insbesondere kann die Fortsetzung einer aufgelösten Gesellschaft beschlossen werden, § 225a Abs. 3 InsO. 2.2.2 Gründung einer Auffang- bzw. Übernahmegesellschaft Ein weiterer Anwendungsfall des bedingten Plans nach § 249 InsO ist es, die Wirkungen 223 des Plans davon abhängig zu machen, dass eine Auffanggesellschaft gegründet und das schuldnerische Unternehmen durch diese im Wege der übertragenden Sanierung weitergeführt wird.234) So können insbesondere diejenigen Gläubiger, die das schuldnerische Unternehmen als Vertragspartner erhalten wollen (z. B. Arbeitnehmer, Lieferanten oder Kunden), sicherstellen, dass ihre Verzichte nicht ohne Fortführung des Unternehmens Geltung entfalten. 2.2.3 Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen Durch die Verzichte der Gläubiger entsteht handelsbilanziell fast unvermeidbar ein ent- 224 sprechender Sanierungsgewinn des Schuldners. Dieser wird unter Anpassungen auch steuerrechtlich zur Ermittlung der Ertragsteuern (Körperschaftsteuer bzw. Einkommensteuer und Gewerbesteuer) herangezogen. Man käme zu dem widersinnigen Ergebnis, dass der Fiskus zulasten der sonstigen Gläubiger, die meist auf einen erheblichen Teil ihrer Forderungen verzichten, einen guten Schnitt machen würde. Grundlage für die ertragsteuerliche Behandlung derartiger Sanierungsgewinne ist nun- 225 mehr § 3a Abs. 1 Satz 1 EStG,235) der gemäß § 8 Abs. 1 KStG auch im Körperschaftsteuerrecht gilt. Hiernach sind Sanierungsgewinne, die aufgrund von Forderungsverzichten entstehen nunmehr steuerfrei, wenn sie der Unternehmenssanierung dienen (siehe ausführlich unten Kahlert, HRI II, § 47 Rz. 170 ff.). Diese Regelung gilt aufgrund des Verweises in § 7 Abs. 1 GewStG nunmehr auch für die 226 Gewerbesteuer. Das während der Geltungsdauer des sog. Sanierungserlasses236) v. a. bei Unternehmen mit mehreren Betriebsstätten auftretende Problem, dass es für eine vollkommene Steuerfreiheit der Sanierungsgewinne noch des Erlasses der Gewerbesteuer durch die zuständigen Gemeinden bedurfte, ist damit weggefallen. 2.2.4 Sanierungs- und Fortführungstarifverträge sowie Personalanpassungen Zwar haben die Arbeitnehmer meist bereits im Vorfeld einer Insolvenz erhebliche Ein- 227 schnitte hinnehmen müssen. Es ist mittlerweile nahezu üblich geworden, dass Arbeitnehmer zur Vermeidung einer ansonsten drohenden Insolvenz ihres Arbeitgebers auf Lohn- und ___________ Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 15. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 2. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 18. BMF-Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6 – S 2140 8/03, BStBl. I 2003, 240, und BMF-Schreiben v. 22.12.2009 – IV C 6 – S 2140/07/10001, BStBl. I 2010, 18. 236) BMF-Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6 – S 2140 8/03, BStBl. I 2003, 240, und BMF-Schreiben v. 22.12.2009 – IV C 6 – S 2140/07/10001, BStBl. I 2010, 18. 232) 233) 234) 235)

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Gehaltsbestandteile verzichten oder diese zumindest stunden. Der Verzicht auf Urlaubsund Weihnachtsgeld, aber auch ein prozentualer Verzicht auf einen Teil der Gesamtzahlungen kommt hier als mögliche Regelung in Betracht. 228 Im Rahmen eines Insolvenzplans werden aber häufig weitere Einschnitte bei den Lohnund Gehaltszahlungen oder etwa der betrieblichen Altersvorsorge erforderlich werden. Insbesondere wenn die Bereitwilligkeit zu solchen Zugeständnissen auf Arbeitnehmer- bzw. Gewerkschaftsseite nicht besonders groß ist, bietet es sich an, den Abschluss entsprechender arbeitsrechtlicher Vereinbarungen, insbesondere den von sog. Sanierungs- bzw. Fortführungstarifverträgen, als Planbedingung i. S. des § 249 InsO in den Plan aufzunehmen. Hierdurch wird der Druck auf Gewerkschaften und Arbeitnehmer erhöht, denn ohne ihr Zutun und ihre Verzichte kann eine Sanierung des Unternehmens meist nicht mehr gelingen. 229 Auch Maßnahmen der Personalanpassung können über eine Planbedingung nach § 249 InsO Teil des gestaltenden Teils eines Insolvenzplans werden. So kann bspw. zur Bedingung gemacht werden, dass die verantwortlichen Organvertreter ausscheiden und durch neue, aus Sicht der Gläubiger kompetentere Personen ersetzt werden.237) Auch der Abbau von Personal kann zur Planbedingung gemacht werden, wobei stets (insolvenz-)arbeitsrechtliche Beschränkungen beachtet werden müssen.238) 2.2.5 Sonstige Maßnahmen 230 Die Bandbreite der sonstigen Maßnahmen, die durch Aufnahme als verfahrensrechtliche Planbedingung auch materiell-rechtliche Auswirkungen herbeiführen können, ist immens. 231 Preisreduzierungen bei Lieferanten/Preiserhöhungen bei Kunden: Sofern bspw. zur Kostensenkung den Lieferanten zukünftig grundsätzlich niedrigere Preise bezahlt werden sollen, kann eine Bedingung lauten, dass eine bestimmte Prozentzahl der Lieferanten diesem neuen Preisgefüge zustimmt. Sofern es bei den Kunden des schuldnerischen Unternehmens langlaufende Vertragsbeziehungen gibt, funktioniert dort Gleiches in Form einer Preiserhöhung. 232 Optionsrecht an Quote statt: Soll einzelnen Gläubigern zur Liquiditätsschonung statt einer Quotenzahlung angeboten werden, dass der Schuldner bestimmte Verpflichtungen gegenüber diesen Gläubigern eingeht, so kann dieses Angebot als Optionsrecht neben dem Insolvenzplan ausgestaltet werden. Planbedingung i. S. des § 249 InsO kann dann das Erreichen eines bestimmten Quorums derjenigen sein, die dieses Optionsrecht wahrnehmen. IX.

Verfahrensregelungen und sonstige Regelungen

233 Schließlich existieren einige – in ihrem hauptsächlichen Sinn und Zweck – verfahrensrechtliche Vorschriften, die darüber hinaus materiell-rechtliche Komponenten aufweisen. 1.

Befriedigung der Massegläubiger (§ 258 Abs. 2 InsO)

234 Mit der rechtskräftigen Bestätigung des Insolvenzplans239) findet das Planverfahren seinen Abschluss; soweit im Plan nicht anders geregelt,240) folgt der gerichtliche Aufhebungsbeschluss, mit welchem das Insolvenzverfahren endet (§ 258 Abs. 1 InsO). Vor dem In___________ 237) 238) 239) 240)

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Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 20. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 21. Vgl. §§ 248, 253 InsO. Zum Hintergrund dieser in § 258 Abs. 1 InsO vorgenommenen Ergänzung, welche im Zusammenhang mit der Neufassung des § 217 InsO zu sehen ist, vgl. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 58.

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krafttreten des ESUG schrieb § 258 Abs. 2 InsO a. f. vor, dass die Aufhebung erst erfolgen darf, nachdem der Verwalter die unstreitigen Masseansprüche berichtigt und für die streitigen Masseansprüche Sicherheit geleistet hat. Anders der durch das ESUG eingeführte § 210a InsO: Danach ist ein Planverfahren auch im Fall der Masseunzulänglichkeit zulässig. Dem Gesetzgeber zufolge liegt der Fortführungswert eines Unternehmens u. U. auch in einer solchen Situation über dem Zerschlagungswert, weshalb die Erhaltung des Unternehmens auf Basis eines Insolvenzplans bei Masseunzulänglichkeit durchaus wirtschaftlich sinnvoll sein kann. Masseunzulänglichkeit könne demnach auf den verschiedensten Ursachen beruhen und müsse nicht zwangsläufig bedeuten, dass eine Sanierung des Unternehmens(kerns) aussichtslos wäre.241) Zuzugeben ist dieser Argumentation, dass es durchaus Konstellationen geben kann, in wel- 235 chen eine Gestaltung mittels Insolvenzplans den Gläubigern auch im Falle der Masseunzulänglichkeit einen Vorteil gegenüber einer Verwertung im Regelverfahren bietet. So nennt die Gesetzesbegründung beispielhaft den während des Verfahrens verursachten Umweltschaden, der die im Zweifel entscheidungserheblichen Ertragsaussichten nicht zwangsläufig beeinflussen müsse.242) Insgesamt aber erscheint eher zweifelhaft, dass es zukünftig zu einer signifikanten Anzahl derartiger Pläne kommen wird;243) dies nicht zuletzt, weil der Gesetzgeber bei der Abfassung des § 210a InsO offenbar v. a. die Insolvenzpläne vor Augen hatte, die bereits in Kenntnis der Masseunzulänglichkeit vorgelegt werden.244) Umfang der zu berichtigenden Masseverbindlichkeiten: Auch die weitere – ungleich 236 praxisrelevantere – Kontroverse im Zusammenhang mit § 258 Abs. 2 InsO a. f. betraf die Frage, wie umfassend das in der Norm statuierte Berichtigungsgebot verstanden werden musste: Nach einer verbreiteten Ansicht sollte sich die entsprechende Verpflichtung des Verwalters tatsächlich auf sämtliche denkbaren Masseansprüche beziehen; neben den Ansprüchen aus § 54 InsO also auch auf jene, die vom Verwalter selbst nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zur Fortführung des Unternehmens begründet worden sind, einschließlich der nach Planbestätigung entstandenen.245) Diesem wortgetreuen Ansatz ist zu Recht entgegengehalten worden, dass er eine Fortführungslösung erheblich erschwert, wenn nicht gar unmöglich macht.246) Auch der Lösung dieser umstrittenen Problematik im praktischen Umgang mit § 258 237 Abs. 2 InsO a. f. hat sich der ESUG-Gesetzgeber angenommen: Nach der Neufassung der Norm ist es nunmehr ausdrücklich ausreichend, wenn der Verwalter die unstreitigen fälligen Masseansprüche begleicht;247) für die streitigen oder noch nicht fälligen Masseansprüche hingegen genügt eine Sicherheitsleistung. Für die nicht fälligen Masseansprüche reicht es darüber hinaus gemäß § 258 Abs. 2 Satz 2 InsO ebenfalls aus, wenn die Berichtigung der Verbindlichkeiten zum Fälligkeitszeitpunkt durch eine belastbare Liquiditäts___________ 241) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 29; ebenso Bähr/Landry, EWiR 2005, 831, 832. 242) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 29; krit. zu dieser Begr. Frind, ZInsO 2011, 656, 657; Frind, ZInsO 2010, 1524, 1525; Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 313. 243) Ebenso Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 513; Frind, ZInsO 2010, 1524, 1525; Pape, ZInsO 2010, 2155, 2162; nach Zimmer, ZInsO 2012, 390, begegnet der Insolvenzplan bei Masseunzulänglichkeit sogar nach wie vor rechtlichen Bedenken. 244) Zutreffend Frind, ZInsO 2011, 656, 657, unter Verweis auf die entsprechende Gesetzesbegründung (Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 29). 245) Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 258 Rz. 11; Spahlinger in: KPB, InsO, § 258 Rz. 14. 246) Zu den weiteren Argumenten s. die 2. Aufl., § 26 Rz. 237. 247) Dies hat aus den liquiden Mitteln der Insolvenzmasse zu erfolgen; sind sie nicht ausreichend, muss der Verwalter entsprechende Verwertungsmaßnahmen vornehmen, Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 258 Rz. 6.

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rechnung gesichert ist. Durch diese – nicht zuletzt mit Blick auf § 60 InsO248) – begrüßenswerte Klarstellung249) dürften sich die früheren praktischen Schwierigkeiten im Umgang mit § 258 Abs. 2 InsO weitestgehend erledigt haben. Zwar findet sich auch in der Neufassung keine Unterscheidung zwischen Masseansprüchen nach § 54 InsO und § 55 InsO, weshalb der Verwalter die bis zur Aufhebung des Verfahrens fällig werdenden Masseansprüche nach wie vor sämtlich zu begleichen hat, auch wenn sie aus der Betriebsfortführung resultieren. Das aber war schon früher gelebte Praxis und nicht Kern der Anwendungsprobleme. Entscheidend ist, dass der Verwalter sich angesichts der gesetzlichen Regelung sicher sein kann, jedenfalls die nicht fälligen Masseansprüche nicht vor Verfahrensaufhebung befriedigen zu müssen. 238 Wenig nachvollziehbar ist allerdings die unterschiedliche Behandlung der nicht fälligen und der streitigen Masseansprüche. Ob Letztere später überhaupt befriedigt werden müssen, steht im Gegensatz zu den noch nicht fälligen Masseansprüchen schließlich nicht fest. Hier wäre eine Gleichbehandlung (Vorlage eines Finanzplans in beiden Fällen ausreichend) gemäß einem argumentum a maiori ad minus fraglos sachgerechter gewesen.250) 239 Da nähere Einzelheiten zur Art und Weise der Sicherheitsleistung in der InsO nicht geregelt sind, ist insoweit auf die §§ 232 ff. BGB zurückzugreifen.251) Erforderlich ist die gesonderte Sicherstellung jeder Forderung, um den einzelnen Massegläubigern die Möglichkeit einer unabhängigen Durchsetzung ihrer Ansprüche zu gewährleisten.252) Als Konsequenz der in § 259 Abs. 1 InsO festgelegten Wirkungen und mangels anderweitiger gesetzlicher Regelung haben die Gläubiger Streitigkeiten betreffend das Bestehen ihrer sichergestellten Masseansprüche nach Verfahrensaufhebung nicht mit dem Insolvenzverwalter, sondern mit dem Schuldner selbst zu führen.253) 2.

Kreditrahmen (§ 264 InsO)

240 § 264 InsO ermöglicht die besondere Form der Gewährung neuer Kredite innerhalb und nach Aufhebung eines Insolvenzverfahrens. 2.1

Normzweck und praktische Bedeutung

241 Die Phase nach rechtskräftiger Planbestätigung durch das Gericht und Aufhebung des Insolvenzverfahrens ist für das in der Sanierung befindliche Unternehmen regelmäßig kritisch. Einerseits wird sein Fortbestand nach der Entlassung aus der Insolvenz in den Wettbewerb der freien Marktwirtschaft häufig auch davon abhängen, ob es neues Kapital, namentlich Kredite zugeführt bekommt. Andererseits werden potenzielle Kreditgeber mit der Vergabe von (weiteren) Krediten zögern, solange sie sich der erfolgreichen Planumsetzung und damit der Fortführung des Unternehmens nicht sicher sein können:254) Schließlich laufen sie im Falle eines Fehlschlagens der Sanierung Gefahr, mit ihren Rückzahlungsforderungen in der sich anschließenden zweiten Insolvenz – bei der es sich nahezu ausnahmslos um ein Liquidationsverfahren handeln wird255) – auszufallen. Überdies fehlt ___________ 248) Dazu Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 258 Rz. 3. 249) Zust. ebenfalls Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 513; Pape, ZInsO 2010, 2155, 2162; Rattunde, AnwBl 2012, 144, 147; Willemsen/Rechel, BB 2010, 2059, 2026; krit. hingegen Stapper, ZInsO 2010, 1735, 1736, der für eine ersatzlose Streichung des § 258 Abs. 2 InsO plädiert. 250) Zutreffend Pape, ZInsO 2010, 2155, 2162; die Gesetzesbegründung schweigt in dieser Frage. 251) Spahlinger in: KPB, InsO, § 258 Rz. 15. 252) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 258 Rz. 4. 253) Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 258 Rz. 7. 254) So auch Dinstühler, ZInsO 1998, 243. 255) Ähnlich Braun/Frank in: Braun, InsO, § 264 Rz. 3.

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es in dieser Situation naturgemäß an (unbelastetem) Vermögen des Schuldners, welches als Sicherheit zur Verfügung stehen könnte. Mit dem in §§ 264 – 266 InsO niedergelegten Konzept einer Finanzierungserleichterung 242 unternimmt der Gesetzgeber den Versuch einer Auflösung dieses Dilemmas. So eröffnet § 264 Abs. 1 InsO die Möglichkeit, durch eine Regelung im Plan solche Darlehen oder sonstige Kredite gegenüber den Forderungen der Insolvenzgläubiger zu privilegieren, die der Schuldner oder die Übernahmegesellschaft256) während der Planüberwachung erhalten soll oder die ein Massegläubiger in diesen Zeitraum hinein stehen lässt.257) Bewertung der gesetzlichen Regelung: So unstreitig die besondere Bedeutung der „Kern- 243 aufgabe“ Finanzierung für die erfolgreiche Fortführung des Unternehmens nach Planbestätigung ist, so einhellig wird im Grundsatz der Ansatz des Gesetzgebers begrüßt, hier in dem genannten Sinne unterstützend tätig zu werden.258) Die konkrete Umsetzung der Finanzierungserleichterung in den §§ 264 ff. InsO hat indes Anlass zu verbreiteter Kritik gegeben (ausführlich zu den i. E. vorgebrachten Kritikpunkten siehe unten Nicht/Frege, HRI II, § 27 Rz. 10 ff.); die tatsächliche praktische Bedeutung der Kreditrahmenregelung wird denn auch als gering eingestuft.259) Der Gesetzgeber zeigt sich hiervon bisher unbeeindruckt, die in Rede stehenden Normen haben durch das ESUG keinerlei Änderung erfahren. Zu den durch das ESUG geschaffenen Neuerungen, die zumindest eine mittelbare Begünstigung einer Fortführungsfinanzierung bedeuten, siehe unten Nicht/Frege, HRI II, § 27 Rz. 17 ff. 2.2

Voraussetzungen

Voraussetzung für die rangmäßige Begünstigung ist zum einen, dass die Insolvenzgläubiger 244 im gestaltenden Teil des Plans ausdrücklich einen entsprechenden Rangrücktritt erklärt haben, § 264 Abs. 1 Satz 1 InsO. Bereits aus der ausdrücklichen Berücksichtigung der Übernahmegesellschaft folgt, dass 245 der Begriff der Insolvenzgläubiger in § 264 Abs. 1 Satz 1 InsO weiter gefasst ist als in § 38 InsO; erfasst werden soll nach dem Telos der Norm augenscheinlich jeder Gläubiger, für den im Plan ein Anspruch gegen den Schuldner oder die Übernahmegesellschaft vorgesehen ist.260) Daneben sind gemäß § 265 InsO auch diejenigen Gläubiger nachrangig, deren vertragliche Ansprüche erst während der Zeit der Überwachung begründet werden. Aus der gesetzgeberischen Unterscheidung zwischen „Darlehen oder sonstige[n] Kredi- 246 te[n]“ wiederum ergibt sich, dass der Kreditbegriff deutlich weiter zu verstehen ist als noch in der Vorgängernorm des § 106 VerglO: Erfasst sind insoweit neben Bar-, Avalund Diskontkrediten261) auch Stundungen von Forderungen, allen voran Lieferantenkredite.262) Ausdrücklich ausgeschlossen ist gemäß § 264 Abs. 3 i. V. m. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO hingegen die Privilegierung nachrangiger Darlehen und ihnen gleichgestellter Geschäfte, ___________ 256) Zum Begriff vgl. § 260 Abs. 3 InsO. 257) Die Berechtigung dieser Gleichbehandlung von Kreditforderung und stehengelassener Masseforderung folgt letztlich bereits aus §§ 53, 258 Abs. 2 InsO, vgl. dazu auch Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 264 Rz. 3 ff. 258) Vgl. etwa Koch/de Bra in: Gottwald/Haas, InsR-Hdb., § 69 Rz. 1. 259) Thies in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 1, 3: „[…] finden […] in der Praxis selten Anwendung“; Kern in: MünchKomm-InsO, § 266 Rz. 4: „nur äußerst selten zum Einsatz gekommen“; pessimistisch insoweit auch Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 264 Rz. 19 ff. In der Rspr. hat sich, soweit ersichtlich, bisher einzig das AG Duisburg v. 1.4.2003 – 62 IN 187/02, NZI 2003, 447 f., mit dem Kreditrahmen i. S. des § 264 InsO zu befassen gehabt. 260) Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 264 Rz. 4. 261) Ausführlich zu den insoweit denkbaren Kreditarten Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 264 Rz. 3 – 11. 262) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 216.

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da dies nicht mit dem Ziel einer ordnungsgemäßen Kapitalausstattung der sanierten bzw. zu sanierenden Gesellschaft zu vereinbaren wäre.263) 247 Zum anderen bedarf es für die in § 264 Abs. 1 InsO vorgesehene Rangwirkung der expliziten Festlegung eines sog. Kreditrahmens (§ 264 Abs. 1 Satz 2 InsO) im gestaltenden Teil, dessen Grenze die für die Privilegierung vorgesehenen Kredite nicht überschreiten dürfen. Der Kreditrahmen seinerseits darf gemäß § 264 Abs. 1 Satz 3 InsO den Wert des in der Vermögensübersicht des Plans nach § 229 Satz 1 InsO aufgeführten Aktivvermögens264) nicht überschreiten.265) Hierdurch sollen die Beteiligten, allen voran die Neugläubiger i. S. von § 265 InsO, die auf Zustandekommen und Inhalt des Plans ohne Einfluss sind, vor einer übermäßigen Kreditaufnahme geschützt werden.266) Die exakte Höhe des Kreditrahmens ist gemäß § 267 Abs. 2 Nr. 3 InsO bekannt zu machen und zudem nach § 267 Abs. 3 i. V. m. § 31 InsO in das Handels-, Genossenschafts-, Partnerschafts- oder Vereinsregister einzutragen, soweit dort eine entsprechende Eintragung des Schuldners oder der Übernahmegesellschaft vorliegt. 248 Schließlich verlangt § 264 Abs. 2 InsO, dass Schuldner oder Übernahmegesellschaft mit dem jeweiligen Kreditgeber genau vereinbaren, ob und inwieweit der von diesem gewährte Kredit nach Hauptforderung, Zinsen und Kosten dem Kreditrahmen unterfallen und damit in einer Anschlussinsolvenz privilegiert sein soll. Diese Vereinbarung ist zudem vom Insolvenzverwalter267) schriftlich (§ 126 BGB) zu bestätigen.268) Er hat dabei allein zu prüfen, ob sie einen eindeutigen Inhalt hat und der gewährte Kredit tatsächlich vom Kreditrahmen gedeckt ist; eine Zweckmäßigkeitsprüfung hinsichtlich der Kreditaufnahme selbst steht ihm hingegen nicht zu.269) 2.3

Rechtsfolgen

249 Liegen die vorgenannten Voraussetzungen vor, werden die in den Kreditrahmen eingestellten Kredite in einer etwaigen Folgeinsolvenz im Rang gegenüber den Insolvenzgläubigern aus dem ersten Verfahren bevorrechtigt, längstens allerdings für einen Zeitraum von drei Jahren, vgl. § 266 i. V. m. § 268 Abs. 1 Nr. 2 InsO.270) ___________ 263) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 216; Drukarczyk/Fridgen in: MünchKomm-InsO, § 264 Rz. 29. 264) Diese Bemessungsgrenze hat im Schrifttum erhebliche Kritik erfahren, vgl. ausführlich Koch/de Bra in: Gottwald/Haas, InsR-Hdb., § 69 Rz. 6; Pleister in: KPB, InsO, § 264 Rz. 17; Thies in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 5. 265) Zu den (teils streitigen) Rechtsfolgen im Falle der Verletzung dieser Höchstgrenze Andres in: Andres/ Leithaus, InsO, § 264 Rz. 11; Drukarczyk/Fridgen in: MünchKomm-InsO, § 264 Rz. 15; Haas in: Kayser/ Thole, HK-InsO, § 264 Rz. 6; Pleister in: KPB, InsO, § 264 Rz. 14 ff. 266) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 216. 267) Eine Bestätigung durch einen abweichend von § 261 Abs. 1 Satz 1 InsO für die Planüberwachung eingesetzten Sachwalter ist nicht ausreichend; die Anwendung des § 264 InsO scheidet in diesem Fall folglich aus, vgl. Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 264 Rz. 8. 268) Dies kann auch nachträglich geschehen, Braun/Frank in: Braun, InsO, § 264 Rz. 9; dort m. w. N. auch zur Frage der Widerruflichkeit der Bestätigung. 269) So ausdrücklich die Gesetzesbegründung, Begr. RegE InsO BT-Drucks. 12/2443, S. 216; anders wohl nur, wenn die Grenze des § 262 InsO erreicht oder im Plan ein Zustimmungsvorbehalt nach § 263 InsO vorgesehen ist. Krit. zu dieser Beschränkung Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 264 Rz. 15 f., sowie Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 6.82. 270) Dies gilt nach AG Duisburg v. 1.4.2003 – 62 IN 187/02, NZI 2003, 447, 448, selbst dann, wenn der Zeitraum der Überwachung im Plan abweichend von § 268 InsO auf mehr als drei Jahre festgesetzt worden ist, da § 268 Abs. 1 Nr. 2 InsO in Bezug auf die §§ 264 – 266 InsO zwingenden Charakter habe; krit. Knof, ZInsO 2010, 1999, 2004, der diese Frist gemessen an dem weiten zeitlichen Horizont einer Sanierung für zu kurz hält.

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Anders als noch in der Vorgängernorm des § 106 VerglO erfolgt jedoch keine Einord- 250 nung als Masseforderung,271) so dass der in § 53 InsO geregelte Vorrang auch gegenüber den nach § 264 Abs. 1 InsO privilegierten Forderungen fortbesteht. Ohne Einfluss bleibt die Kreditrahmenregelung überdies auf die durch Aus- und Abson- 251 derungsrechte gesicherten Gläubiger; ein Nachrang nach § 264 Abs. 1 InsO kann sich insoweit allein hinsichtlich des Teils der Forderung ergeben, mit welchem der Absonderungsberechtigte bei der Sicherheitenverwertung ausgefallen (§ 52 InsO) ist. Nicht zuletzt dieser fehlende gesetzliche Vorrang gegenüber den absonderungsberechtigten Gläubigern wird vielfach als Hemmschuh für eine durch § 264 Abs. 1 InsO motivierte Kreditvergabe nach Planbestätigung angesehen.272) Schließlich steht insoweit stets zu befürchten, dass nach der Befriedigung der aus- und absonderungsberechtigten Gläubiger und der Massegläubiger kein signifikantes Schuldnervermögen mehr verbleibt und der Vorrang des § 264 Abs. 1 InsO somit ins Leere läuft.273) Einen Ausweg bietet hier allein die Möglichkeit, die Rechte der absonderungsberechtig- 252 ten Gläubiger im Plan zu beschneiden bzw. dort zumindest aufschiebend bedingte Eingriffsrechte274) vorzusehen. Das aber setzt die Bildung einer eigenen Gruppe absonderungsberechtigter Gläubiger und damit – vorbehaltlich der Zustimmungsfiktion des § 245 InsO – deren Zustimmung voraus. Will der Planverfasser der gesetzlichen Kreditrahmenregelung durch eine derartige flankierende Plangestaltung zu einem stärkeren Anreiz verhelfen, wird er somit zweifelsohne „erhebliche Kreativität und Überzeugungskraft“275) aufzubieten haben, um die betroffenen Gläubiger tatsächlich zu entsprechenden Beitragsleistungen zu bewegen.276) Bei der konkreten Umsetzung im gestaltenden Teil des Plans hat er schließlich die Vor- 253 gaben des § 223 Abs. 2 InsO zu beachten, d. h. es ist i. E. anzugeben, welche Modifikationen in der rechtlichen Behandlung die Absonderungsrechte erfahren sollen. Aufgrund der Vielzahl rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten ist zwecks Vermeidung späterer Auslegungsschwierigkeiten dringend anzuraten, hier so eindeutige Regelungen wie möglich zu schaffen.277) Anfechtungen i. R. einer etwaigen Anschlussinsolvenz, die die Beseitigung der aus § 264 254 Abs. 1 InsO resultierenden Vorrangstellungen von Kreditgebern zum Ziel haben, sind nach h. M. ausgeschlossen.278) 3.

Salvatorische Klauseln

Korrelierend zum Obstruktionsverbot des § 245 InsO normiert § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO 255 das Verbot der Schlechterstellung:279) Gläubiger und Anteilseigner müssen nicht hinnehmen, wenn sie durch die Regelungen des Insolvenzplans schlechtergestellt werden, als sie im ___________ 271) Ganz h. M., vgl. nur Braun/Frank in: Braun, InsO, § 264 Rz. 10; Hess in: Hess/Weis/Wienberg, InsO, § 264 Rz. 8. 272) Krit. etwa Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 264 Rz. 14; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 264 Rz. 20 f.; Knof, ZInsO 2010, 1999, 2004. 273) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 264 Rz. 14. 274) Dazu Braun/Frank in: Kölner Schrift, S. 809, 822. 275) Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 264 Rz. 20. 276) Denkbare Argumentationsansätze und konkrete Gestaltungsvorschläge finden sich bei Braun/Frank in: Kölner Schrift, S. 809, 822 f. 277) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 223 Rz. 7 sowie § 264 Rz. 30. 278) Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 264 Rz. 12; Braun/Frank in: Braun, InsO, § 264 Rz. 11; Lüer/ Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 264 Rz. 32; a. A. Thies in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 12. 279) Braun/Frank in: Braun, InsO, § 251 Rz. 6.

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Regelinsolvenzverfahren stünden.280) Vielmehr haben sie folgende Möglichkeiten, gegen den Insolvenzplan einzuschreiten: Zunächst können sie dem Insolvenzplan widersprechen281) und gemäß § 251 InsO beantragen, die Bestätigung des Insolvenzplans zu versagen. Diese Antragsmöglichkeit ist eröffnet, wenn der Gläubiger voraussichtlich schlechtergestellt wird. Ferner können sie gemäß § 253 InsO im Wege der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss über die Bestätigung des Insolvenzplans vorgehen. Hierfür verlangt das Gesetz eine wesentliche Schlechterstellung durch den Plan (Einzelheiten zu den Rechtsmitteln siehe unten Burmeister/Tasma, HRI II, § 38 Rz. 112 ff.). 256 Das Vorgehen nach §§ 251, 253 InsO birgt erhebliches Störpotential. Durch das Antragsverfahren kommt es zu Verzögerungen bei der Planbestätigung. Zudem wirkt die sofortige Beschwerde suspensiv, so dass die Wirkungen des Plans gemäß § 254 Abs. 1 InsO erst mit Rechtskraft des Beschlusses eintreten. Dadurch kann es zu erheblichen Verzögerungen kommen, die den Insolvenzplan und damit das Sanierungsvorhaben insgesamt in Frage stellen.282) 257 Wie kann der Planersteller diesem Risiko begegnen? In der Praxis haben sich sog. salvatorische Klauseln283) bewährt, mittels derer der Schlechterstellung von Gläubigern durch das Inaussichtstellen von Kompensationen vorgebeugt wird.284) In diesem Zusammenhang hatte der Gesetzgeber bereits zum Regierungsentwurf der InsO ausgeführt, dass den geschilderten Gefahren dadurch Rechnung getragen werden könne, dass im Insolvenzplan für die vermeintlich schlechtergestellten, dem Plan widersprechenden Beteiligten zusätzliche Leistungen vorgesehen werden. Einer Bestätigung des Plans stehe der Minderheitenschutz gemäß § 251 InsO dann nicht mehr entgegen, wenn die zusätzlichen Leistungen zur Beseitigung der Schlechterstellung ausreichen und ihre Finanzierung gesichert ist.285) 258 Mit dem ESUG hat dieses Instrument Einzug in die InsO erhalten: So bestimmt § 251 Abs. 3 Satz 1 InsO, dass der Versagungsantrag gemäß § 251 Abs. 1 InsO abzuweisen ist, wenn im gestaltenden Teil des Insolvenzplans Mittel für den Fall der Schlechterstellung bereitgestellt werden. Der Streit darüber, ob der Gläubiger oder Anteilseigner einen Ausgleich aus diesen Mitteln erhält, wird gemäß § 251 Abs. 3 Satz 2 InsO vom Insolvenzplanverfahren abgekoppelt und ist im Wege der Leistungsklage vor den ordentlichen Gerichten auszutragen; das Störpotential wird damit beseitigt.286) 259 Sinngleich zu § 251 Abs. 3 Satz 1 InsO hat die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss über die Bestätigung des Insolvenzplans gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO nur dann Erfolg, wenn der Beschwerdeführer glaubhaft macht,287) dass der aus der Schlechterstellung resultierende Nachteil nicht durch die gemäß § 251 Abs. 3 InsO bereitgestellten ___________ 280) Die Schlechterstellung ist anhand einer Vergleichsberechnung zu ermitteln, in der die hypothetische Regelinsolvenzquote der Planquote gegenübergestellt wird, Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 1. S. hierzu auch unten Burmeister/Tasma, HRI II, § 38. 281) Der Widerspruch muss dabei spätestens im Abstimmungstermin erfolgen. Das Widerspruchsrecht steht auch dem nicht stimmberechtigten Gläubiger zu; eine Teilnahme an der Abstimmung (§ 235 InsO) ist nicht erforderlich, Braun/Frank in: Braun, InsO, § 251 Rz. 4 f. 282) Wutzke, ZInsO 1999, 1, 3; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 56. 283) Auch salvatorische Erhöhungsklauseln genannt, vgl. Wutzke, ZInsO 1999, 1, 4. 284) Mit einem Formulierungsbeispiel Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 251 Rz. 27. 285) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 212. 286) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 35; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 46. Smid/ Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 13.7, kritisieren, dass die Feststellung von Leistungen im Insolvenzplan, ohne dem Berechtigten damit einen Titel zu verschaffen, einen groben Systembruch darstelle. 287) An die Stelle des Vollbeweises tritt bei der Glaubhaftmachung eine Wahrscheinlichkeitsfeststellung, Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 19 ff.

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Mittel gedeckt ist. Schließlich fehlt es in der Regel an der erforderlichen Beschwer des Beschwerdeführers, wenn der Insolvenzplan für den Fall der Schlechterstellung in Gestalt einer salvatorischen Klausel einen finanziellen Ausgleich vorsieht.288) Bei der Ausgestaltung der salvatorischen Klausel ist darauf zu achten, dass es nicht um 260 Abreden außerhalb des Insolvenzplans geht mit dem Ziel, die Zustimmung einzelner Gläubiger zu erreichen.289) Vielmehr soll allein ein Ausgleich einer möglichen Schlechterstellung erreicht werden, ohne jedoch bestimmte Gläubig er zu bevorzugen.290) Vor diesem Hintergrund bietet es sich an, eine allgemeingültige salvatorische Klausel in den Insolvenzplan aufzunehmen, auch wenn keine Widersprüche drohen. Eine Gegenauffassung sieht in der salvatorischen Klausel kein Universalinstrument, sondern will diese nur dann in den Plan aufnehmen, wenn sich i. R. der Planerörterung abzeichnet, dass Gläubiger dem Plan wegen Schlechterstellung tatsächlich widersprechen werden.291) Schließlich wird vorgeschlagen, in der salvatorischen Klausel nur Leistungen an gemäß § 251 InsO widersprechende Beteiligte vorzusehen.292) In den Grenzen des § 222 InsO werden salvatorische Klauseln auch für Ein-Gläubiger-Gruppen für zulässig erachtet.293) Neben der Regelung im Insolvenzplan müssen auch die entsprechenden Rückstellungen 261 zur Kompensation der Schlechtergestellten gebildet werden,294) wobei sich insoweit freilich die Frage der Quantifizierbarkeit stellt.295) In diesem Zusammenhang wird diskutiert, in die salvatorische Klausel eine Frist aufzunehmen, binnen derer die Gläubiger die Ausgleichszahlung gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend machen müssen. Dadurch kann Rechtssicherheit erreicht werden; nicht abgerufene Mittel können nach Fristablauf unter den Gläubigern aufgeteilt werden.296) 4.

Präklusionsregelungen

Durch verschiedene Präklusionsregelungen soll sichergestellt werden, dass die durch einen 262 Insolvenzplan erreichte Regelung Bestand haben kann. 4.1

Materiell-rechtliche Wirkungen des Insolvenzplans

Während im Regelinsolvenzverfahren die Insolvenzgläubiger gemäß § 201 Abs. 1 InsO ihre 263 verbleibenden Forderungen nach Verfahrensaufhebung unbeschränkt gegen den Schuldner geltend machen können,297) wird der Schuldner im Insolvenzplanverfahren mit der im gestaltenden Teil vorgesehenen Befriedigung der Insolvenzgläubiger von seinen rechtlichen Verbindlichkeiten gegenüber diesen Gläubigern befreit, § 227 Abs. 1 InsO.298) Erlass und ___________ 288) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 36. 289) Der Einwand, es liege ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot vor, greift wegen der ausdrücklichen gesetzlichen Regelungen zur salvatorischen Klauseln nicht mehr, vgl. Begr. RegE ESUG, BTDrucks. 17/5712, S. 35. 290) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 251 Rz. 33. 291) Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 251 Rz. 10 f. 292) Kaltmeyer, ZInsO 1999, 316, 320. 293) Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 13.12. 294) Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 12. Ebenso kommen Rücklagen in Form von Bankbürgschaften in Betracht, vgl. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 35. 295) So zutreffend Wutzke, ZInsO 1999, 1, 4. 296) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 49. 297) Etwas anderes gilt freilich bei erteilter Restschuldbefreiung, § 201 Abs. 3, § 301 Abs. 1 InsO. Bei Kapitalgesellschaften läuft diese Haftung nach insolvenzbedingter Auflösung und Beendigung bzw. Erlöschen der juristischen Person naturgemäß ins Leere. 298) Ober in: Nerlich/Römermann, InsO, § 227 Rz. 1.

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2. Teil Insolvenzplan – Inhalt

Stundung von Forderungen i. R. des Insolvenzplans führen jedoch weder zu einer Änderung des Rechtsgrunds der Forderung (Novation)299) noch zu einer Aufhebung der Forderung hinsichtlich des erlassenen Teils. Vielmehr besteht die Restforderung als unvollkommene Verbindlichkeit bzw. Naturalobligation fort, die zwar nicht durchsetzbar, aber jederzeit erfüllbar ist.300) Unter den Voraussetzungen des § 255 InsO kann es auch zu einem Wiederaufleben der Forderung kommen. Forderungen nachrangiger Gläubiger gelten bereits gemäß § 225 Abs. 1 InsO als erlassen, wenn nicht der Insolvenzplan etwas Abweichendes regelt.301) 264 Die materiell-rechtlichen Wirkungen des Insolvenzplans, mit dessen Hilfe die Beteiligten auf Grundlage der Gläubigerautonomie die vermögens- und haftungsrechtlichen Verhältnisse des Schuldners abweichend von den plandispositiven302) gesetzlichen Vorschriften regeln, folgen aus § 254 InsO.303) Mit Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses treten die Wirkungen des gestaltenden Teils des Insolvenzplans für und gegen alle Beteiligte des Planverfahrens ein, § 254 Abs. 1 InsO. 265 Beteiligte i. S. dieser Vorschrift sind alle Personen, die an dem Insolvenzplanverfahren unmittelbar teilgenommen haben. Dies sind neben dem Schuldner die nicht nachrangigen (§ 38 InsO) und die nachrangigen Insolvenzgläubiger (§ 39 InsO), die absonderungsberechtigten Gläubiger und ggf. auch die Anteilsinhaber.304) Die Wirkungen des Plans treten als Konsequenz des Obstruktionsverbots (§ 245 InsO) gemäß § 254b InsO305) auch für und gegen jene Beteiligte ein, die in Ausübung ihres Stimmrechts gegen den Plan votiert haben.306) 4.2

Wirkungen für und gegen sog. Nachzügler (§§ 254b, 254 Abs. 1 InsO)

266 Die Gestaltungswirkung des § 254 InsO – dies stellt § 254b InsO307) explizit klar – erfasst auch die Insolvenzgläubiger, die ihre Forderungen nicht angemeldet haben und damit de facto am Insolvenzplanverfahren gerade nicht beteiligt waren. Dies betrifft sowohl jene Gläubiger, die (unverschuldet) keine Kenntnis von dem Insolvenzverfahren hatten,308) als auch jene, die wissentlich ihre Forderungen nicht geltend gemacht haben.309) Für die sog. Nachzügler ergeben sich daraus zwei Konsequenzen: 267 Zum einen werden nicht angemeldete Forderungen durch die Rechtskraft des Insolvenzplans gemäß § 254b InsO nicht präkludiert; der Schuldner haftet auch den Nachzüglern gegenüber. Letztere können ihre Forderungen nach Aufhebung des Insolvenz___________ 299) Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 254 Rz. 20. 300) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 227 Rz. 6. 301) Breuer in: MünchKomm-InsO, § 227 Rz. 8; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 227 Rz. 4. Dies gilt jedoch nicht für Forderungen gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO – die Haftung des Schuldners für Geldstrafen kann gemäß § 225 Abs. 3 InsO im Insolvenzplan nicht eingeschränkt werden. 302) Im Gegensatz zu sog. planfesten Vorschriften, die auch im Insolvenzplanverfahren zwingend zu beachten sind, vgl. BGH v. 5.2.2009 – IX ZB 230/07, ZIP 2009, 480, Rz. 25, dazu EWiR 2009, 251 (Landry). 303) Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 254 Rz. 1. 304) OLG Celle v. 14.7.2011 – 13 U 26/11, ZIP 2011, 1577, 1579, dazu EWiR 2011, 717 (Freudenberg); Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 254 Rz. 16; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 254b Rz. 18. 305) Mit identischem Wortlaut bereits § 254 Abs. 1 Satz 3 InsO a. F. 306) Braun/Frank in: Braun, InsO, § 254b Rz. 1. 307) Mit identischem Wortlaut bereits § 254 Abs. 1 Satz 3 InsO a. F. 308) Zu Recht weist die TMA Deutschland, InsVZ 2010, 476, 478, in ihrer Stellungnahme zum ESUGDiskE darauf hin, dass sich in Anbetracht der heutigen Publizitätspraxis jeder Gläubiger im Internet über die Insolvenzeröffnung informieren und die Forderungen rechtzeitig zur Insolvenztabelle anmelden kann. 309) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 254b Rz. 3.

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Gestaltender Teil des Insolvenzplans

planverfahrens folglich weiterhin gegen den Schuldner geltend machen.310) Dies gilt auch für die dem Schuldner unbekannten Insolvenzgläubiger. Für die Planverwirklichung und die Sanierung des schuldnerischen Unternehmens können solche unerwarteten, bei der Planerstellung nicht berücksichtigten Forderungen sehr gefährlich sein, insbesondere wenn die liquiden Mittel – wie dies regelmäßig der Fall ist – knapp bemessen sind.311) Vorbeugend ist in § 229 Satz 3 InsO vorgesehen, dass der dem Insolvenzplan zugrunde gelegte Finanzplan alle bei der Ausarbeitung des Insolvenzplans bekannten Gläubiger zu berücksichtigen hat, auch wenn diese ihre Forderungen nicht angemeldet haben.312) Dabei ist auf die Kenntnis des Planerstellers abzustellen.313) Der Gesetzgeber hat sich in der Begründung zum ESUG jedoch explizit gegen eine mate- 268 rielle Ausschlusswirkung des Insolvenzplans ausgesprochen. Für einen solchen Ausschluss hätte es aus verfassungsrechtlichen Gründen bei unverschuldeter Fristversäumung der Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand bedurft. Die diesbezügliche Regelung in § 14 GesO sah sich noch genau diesem Risiko zahlreicher und langwieriger Streitigkeiten über eine Wiedereinsetzung und der damit verbundenen Unsicherheit für die Planrealisierung ausgesetzt.314) Mit dem ESUG hat sich der Gesetzgeber im Hinblick auf die aufgezeigte Plangefährdung durch Nachzügler daher vielmehr zu einem besonderen Vollstreckungsschutz, flankiert von einer verkürzten Verjährung der Forderung (siehe dazu Rz. 276), durchgerungen.315) Die vor dem ESUG in der insolvenzrechtlichen Literatur diskutierte Lösung, über eine analoge Anwendung von § 301 InsO316) einen Ausschluss der Nachzügler zu erreichen, dürfte damit obsolet sein. Zum anderen erstreckt § 254b InsO auch den (Teil-)Erlass von Forderungen auf die In- 269 solvenzgläubiger, die ihre Forderungen nicht zur Insolvenztabelle angemeldet und damit am Insolvenzplanverfahren nicht mitgewirkt haben. Auch sie müssen die im Insolvenzplan festgeschriebenen Kürzungen ihrer Forderungen hinnehmen.317) Nachzügler teilen das Schicksal der Gläubigergruppe im Insolvenzplan, der sie zuzuordnen sind; sie können nur i. H. der für diese Gläubigergruppe vorgesehenen Insolvenzquote Zahlung verlangen.318) ___________ 310) OLG Celle v. 14.7.2011 – 13 U 26/11, ZIP 2011, 1577, 1579; Schreiber/Flitsch, BB 2005, 1173, 1176. Gleichwohl können sie nicht gemäß § 257 InsO aus dem Plan vollstrecken; ebenso wenig wird die Verjährung ihrer Forderung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB gehemmt, vgl. Eidenmüller in: MünchKommInsO, § 221 Rz. 54. A. A. LAG Chemnitz v. 22.11.2007 – 1 Sa 364/03, das entgegen dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes Ansprüche von Nachzüglern für ausgeschlossen hält, wenn diese erst nach Verfahrensaufhebung geltend gemacht werden. 311) Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 512. 312) Frind, ZInsO 2011, 656, 657. 313) Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 512. Es ist daher dringend zu empfehlen, dass der Planverfasser die Insolvenztabelle mit der Kreditoren-Buchhaltung des schuldnerischen Unternehmens abgleicht, vgl. hierzu Schreiber/Flitsch, BB 2005, 1173, 1176. 314) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 37. 315) Dies hatte bereits die Kommission für Insolvenzrecht in Leitsatz 2.2.30 und 2.2.31 vorgeschlagen, s. 1. Kommissionsbericht, S. 202 ff. Die neue gesetzliche Regelung wird in der insolvenzrechtlichen Literatur überwiegend begrüßt, vgl. Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 512. Für eine Ausschlussfrist für Forderungsanmeldungen hatte u. a. der DAV plädiert, vgl. Stellungahme Nr. 13/10 v. 10.3.2010, S. 5, ebenso der DIHK, Positionspapier v. 18.11.2009 zum Thema „Zehn Vorschläge zur Unternehmenssanierung in der Insolvenz“, S. 5. 316) Vor Einführung der §§ 259a, 259b InsO sprachen sich u. a. Breutigam/Kahlert, ZInsO 2002, 469, 472, für eine Restschuldbefreiung analog § 301 InsO aus. Wenn die Gläubiger von ihrem Recht, die Verteilung und Haftung abweichend von dem gesetzlichen Regelinsolvenzverfahren zu bestimmen, nur in Form von unzureichenden Verteilungsregelungen Gebrauch machen und Nachzügler ihre Gläubigerrechte im Planverfahren nicht wahrnehmen, solle dies nicht zulasten des Schuldners gehen. 317) OLG Celle v. 14.7.2011 – 13 U 26/11, ZIP 2011, 1577, 1579; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 54. 318) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 254 Rz. 5; Schreiber/Flitsch, BB 2005, 1173, 1176.

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§ 22 4.3

2. Teil Insolvenzplan – Inhalt Ausschlussklauseln im Insolvenzplan

270 Ein erhebliches praktisches Problem bereitet bei der Umsetzung von Insolvenzplänen die Tatsache, dass Forderungen nur zögerlich und oft erst nach der Beschlussfassung über den Insolvenzplan angemeldet werden. Es ist daher oft nicht klar, wieviel Liquidität zur Erfüllung der Planquote benötigt wird oder – umgekehrt, bei einem festen zur Verfügung stehenden Betrag – welche Planquote zu erwarten ist. Die Praxis hat sich lange Zeit damit beholfen, im Insolvenzplan einen Topf für Nachzügler vorzusehen und i. Ü. die Fristen zur Nachmeldung von Forderungen im Plan zu verkürzen.319) 271 Dabei ging die Praxis lange Zeit aufgrund einiger obergerichtlicher Entscheidungen320) und einer Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2010321) davon aus, dass solche Ausschlussklauseln zulässig sind.322) Der verbreiteten Praxis solcher Ausschlussklauseln wurde durch eine Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2015323) die Grundlage entzogen. Hiernach darf der Insolvenzplan keine Ausschlussklausel enthalten, die den Insolvenzgläubigern, die sich am Plan nicht beteiligt haben, nach Ablauf einer kürzeren Frist als in § 259b InsO von der Planquote ausschließt. Damit mag es zwar noch möglich sein, die Nachmeldung von Forderungen solcher Gläubiger auszuschließen, die bereits Forderungen angemeldet haben, der eigentliche Anwendungsbereich von Ausschlussklauseln ist aber entfallen. 4.4

Vollstreckungsschutz gemäß § 259a InsO

272 § 259a InsO gewährt Vollstreckungsschutz gegenüber Insolvenzgläubigern, die ihre Forderungen nicht bis zum Abstimmungstermin zur Tabelle angemeldet haben. Flankiert von der Verjährungsvorschrift des § 259b InsO soll damit der Gefahr entgegengewirkt werden, dass unbekannte Gläubiger mit nachträglichen Forderungen die dem Plan zugrunde liegende Finanzplanung zu Fall bringen und damit insgesamt die Realisierung des Insolvenzplans torpedieren. Siehe hierzu auch unten J. Schmidt, HRI II, § 40. 273 Ablauf und Voraussetzungen des Vollstreckungsschutzverfahrens: Auf Antrag des Schuldners kann die Vollstreckungsmaßnahme eines sog. Nachzüglers einstweilig eingestellt, ganz oder teilweise aufgehoben oder für bis zu drei Jahre untersagt werden. Zuständig ist das Insolvenzgericht.324) Voraussetzung ist, dass der Schuldner glaubhaft macht, die Durchführung des Insolvenzplans sei gefährdet.325) Von einer solchen Gefährdung wird man in jedem Fall sprechen können, wenn die Ansprüche, die den Gläubigern nach dem gestaltenden Teil des Plans gegen den Schuldner zustehen, wegen der Vollstreckungsmaßnahme des Nachzüglers nicht erfüllt werden können. Auch nach erfolgreicher Planerfüllung gemäß § 260 Abs. 2 InsO kann ein vollstreckender Nachzügler jedoch sehr wohl noch den Erfolg der ebenfalls mit dem Insolvenzplan bezweckten Sanierung des Schuldnerunternehmens gefährden. Fraglich ist, ob die „Durchführung“ des Insolvenzplans neben der Planerfüllung auch – soweit im Plan vorgesehen – den Erhalt des schuldnerischen Unternehmens meint. Um die Umsetzung des Plans nicht zu erschweren oder unmöglich zu machen, wird man den Begriff der Durchführung wohl weit auszulegen haben. So ist ___________ 319) Vgl. auch Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 344 f. 320) Insbesondere LAG Düsseldorf v. 15.9.2011 – 11 Sa 591/11, ZIP 2011, 2487, dazu EWiR 2012, 151 (Bähr/Höpker), OLG Hamm v. 3.12.2010 – I-30 U 98/10. 321) Vgl. BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499, dazu EWiR 2010, 681 (M. Huber). 322) Vgl. etwa Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 60, 56; Otte/Wiester, NZI 2005, 70, 77. Ausführlich Skauradszun/Spahlinger/Tresselt, DZWIR 2015, 539, 547. 323) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346 = NJW 2015, 2660, dazu EWiR 2015, 483 (Spliedt). 324) Krit. zur Zuständigkeit des Insolvenzgerichts Frind, ZInsO 2011, 656, 658. 325) Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 512. Die Rechte des Schuldners aus der Parallelvorschrift des § 765a ZPO bleiben unberührt.

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§ 22

Gestaltender Teil des Insolvenzplans

auch der Gesetzesbegründung zu entnehmen, dass das Vollstreckungsverbot dem Scheitern der Unternehmenssanierung entgegenwirken soll. So wird bspw. eine Gefährdung bejaht, wenn dem Unternehmen durch die Zwangsvollstreckung die zur Fortsetzung seiner Tätigkeit benötigten Gegenstände entzogen würden.326) Wenngleich dies aus dem Wortlaut des § 259a InsO so nicht hervorgeht, ist in der Gesetzes- 274 begründung in diesem Zusammenhang stets von einer Gefährdung wegen „beträchtlicher“ Forderungen die Rede, ohne dass allerdings ein Schwellenwert definiert wird.327) Des Weiteren ist der Gesetzesbegründung zu entnehmen, dass ein Vollstreckungsschutz nur dann zu gewähren ist, wenn die begründete Aussicht besteht, dass das sanierte Unternehmen die nachträglich geltend gemachte Forderung – wenn auch in Raten – aus den (künftig) erwirtschafteten Erträgen wird begleichen können.328) Aufhebung oder Änderung des gerichtlichen Beschlusses: Bei Änderung der Sachlage 275 hebt das Insolvenzgericht auf Antrag und soweit geboten den Beschluss gemäß § 259a Abs. 3 InsO auf oder ändert ihn ab.329) 4.5

Verjährung gemäß § 259b Abs. 1 InsO

Neben dem Vollstreckungsschutz des § 259a InsO statuiert § 259b Abs. 1 InsO eine beson- 276 dere Verjährungsfrist für Forderungen, die nicht bis zum Abstimmungstermin angemeldet worden sind: Diese verjähren nunmehr innerhalb eines Jahres ab Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses.330) Damit soll für das zu sanierende Unternehmen binnen angemessener Zeit Rechtssicherheit über noch nachträglich geltend gemachte Forderungen erreicht werden. Die kurze Verjährung des § 259b InsO gilt deshalb für alle Forderungen, auch für bereits titulierte Ansprüche.331) Der Fristlauf beginnt mit der Rechtkraft des Beschlusses gemäß § 248 Abs. 1 InsO,332) jedoch nicht vor Fälligkeit der Forderung. Verjähren die Forderungen nach den sonstigen Verjährungsvorschriften früher, so bleibt es bei der Geltung dieser Fristen. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Verjährung nicht zur Insolvenztabelle angemeldeter Forderungen nicht gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB gehemmt ist.333) Eine Verjährungshemmung tritt jedoch gemäß § 259b InsO ein, wenn der Vollstreckungsschutz gemäß § 259a InsO gerichtlich angeordnet wurde; sie endet drei Monate nach Beendigung des Vollstreckungsschutzes. Siehe hierzu auch unten J. Schmidt, HRI II, § 40. 5.

Planüberwachung

Im gestaltenden Teil des Insolvenzplans kann geregelt werden, dass die Planerfüllung 277 nach Aufhebung des Verfahrens überwacht werden soll, § 260 Abs. 1 InsO. Die Anordnung der Planüberwachung ist fakultativ und dient in erster Linie dem Gläubigerschutz.334) ___________ 326) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 37; in diesem Sinne auch Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 512; Hirte/Knof/Mock, DB 2011, 693, 694. Vgl. hierzu auch § 1 InsO, der den Erhalt des Unternehmens im Planverfahren ausdrücklich als Ziel des Insolvenzverfahrens festschreibt. 327) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 37. 328) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 37. 329) Vgl. hierzu auch die Parallelvorschrift des § 765a Abs. 4 ZPO. 330) Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 512; Hirte/Knof/Mock, DB 2011, 693, 694. 331) Begr. RegE ESUG z. Nr. 41, BT-Drucks. 17/5712, S. 38. 332) Gegen den Bestätigungsbeschluss ist gemäß §§ 6, 253 Abs. 1 InsO das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde eröffnet. Die Beschwerdefrist beträgt gemäß § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO zwei Wochen, Baumert in: Braun, InsO, § 6 Rz. 15. 333) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 54. 334) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 260 Rz. 17 f. Die Kosten trägt gemäß § 269 InsO der Schuldner bzw. die Übernahmegesellschaft.

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2. Teil Insolvenzplan – Inhalt

Nach der Vorstellung des Gesetzgebers obliegt die Planüberwachung grundsätzlich dem Insolvenzverwalter, § 261 Abs. 1 Satz 1 InsO; dies ist jedoch nicht zwingend, so dass eine Aufgabenübertragung auf andere Personen möglich ist.335) 278 Soweit der Insolvenzplan keine anderweitigen Vorgaben macht, beschränkt sich die Aufgabe des Insolvenzverwalters auf reine Informationsbeschaffungs- und Kontrolltätigkeiten sowie jährliche Berichtspflichten gegenüber dem Insolvenzgericht und dem Gläubigerausschuss, § 261 Abs. 2 InsO. Gegenstand der Überwachung sind einzig die Erfüllung und Erfüllbarkeit der Ansprüche, die den Gläubigern aus dem Insolvenzplan gegenüber dem Schuldner (§ 260 Abs. 2 InsO) oder gegenüber der Übernahmegesellschaft (§ 261 Abs. 3 InsO)336) zustehen.337) Stellt der Verwalter fest, dass die Erfüllung bzw. Erfüllbarkeit338) der im Plan geregelten Ansprüche nicht gewährleistet ist, ist er gemäß § 262 Satz 1 InsO zur unverzüglichen Anzeige gegenüber dem Insolvenzgericht und dem Gläubigerausschuss verpflichtet. Falls ein solcher nicht bestellt ist, sind sämtliche Gläubiger zu informieren, denen nach den Regelungen des gestaltenden Teils noch Forderungen gegen den Schuldner oder die Übernahmegesellschaft zustehen, § 262 Satz 2 InsO. Die Anzeige selbst löst keine unmittelbaren Rechtsfolgen aus; vielmehr bleibt es den Gläubigern überlassen, hieraus Konsequenzen zu ziehen, namentlich also über das Ob und Wie ihrer weiteren Rechtsdurchsetzung zu entscheiden.339) Ansprüche gegen Dritte sind nicht Gegenstand der Planüberwachung, erst recht nicht deren prozessuale Durchsetzung.340) 279 Bei Anordnung der Planüberwachung besteht das Amt des Insolvenzverwalters nach Aufhebung des Verfahrens insoweit fort, ohne dass es hierzu einer gerichtlichen Anordnung bedarf; die Bekanntmachung im Aufhebungsbeschlusses reicht aus, § 261 Abs. 1 Satz 2, § 267 Abs. 1 InsO.341) Der Gläubigerausschuss – soweit bestellt – bleibt ebenfalls im Amt, um den Verwalter zu überwachen. Schließlich beaufsichtigt das Insolvenzgericht den Verwalter und den Gläubigerausschuss, § 261 Abs. 1 InsO. Dem Insolvenzverwalter stehen die Befugnisse gemäß § 261 Abs. 1, § 22 Abs. 3, §§ 97, 98, 101 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 InsO zu.342) Kommt der Schuldner seinen Auskunfts- und Mitwirkungspflichten nicht nach, kann das Insolvenzgericht analog § 98 InsO Zwangsmittel anordnen.343) 280 Zwar geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach § 259 Abs. 1 Satz 2 InsO mit Verfahrensaufhebung zurück an den Schuldner; gemäß § 263 InsO kann im Insolvenzplan jedoch festgelegt werden, dass bestimmte Rechtsgeschäfte des Schuldners oder der Übernahmegesellschaft während der Planüberwachung zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung ___________ 335) Thies in: HambKomm-InsO, § 261 Rz. 5. 336) Str. ist insoweit, wann eine Übernahmegesellschaft i. S. von § 260 Abs. 3 InsO vorliegt. Zum einen wird – strikt am Wortlaut orientiert – vertreten, dass darunter nur solche Gesellschaften zu verstehen sind, die nach Insolvenzeröffnung auch mit dem Zweck gegründet wurden, das schuldnerische Unternehmen zu übernehmen und weiterzuführen, so Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 260 Rz. 6. Nach a. A. soll die Norm darüber hinaus auch solche Gesellschaften erfassen, die als Mantel- oder Vorratsgesellschaften bereits vor Insolvenzeröffnung existierten, so Thies in: HambKomm-InsO, § 260 Rz. 5. 337) Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 260 Rz. 3. 338) Hieraus ergibt sich letztlich eine prognostische Überwachungspflicht des Verwalters, Haas in: Kayser/ Thole, HK-InsO, § 262 Rz. 1. 339) Zu den sich insoweit bietenden Möglichkeiten Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 262 Rz. 2. 340) BGH v. 7.7.2008 – II ZR 26/07, ZIP 2008, 2094, 2095; Thies in: HambKomm-InsO, § 260 Rz. 6. 341) Thies in: HambKomm-InsO, § 260 Rz. 2 f. Der Insolvenzverwalter haftet für Pflichtverletzungen gemäß § 60 InsO analog, Thies in: HambKomm-InsO, § 261 Rz. 4. 342) Die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten treffen auch die Übernahmegesellschaft, vgl. Braun/Frank in: Braun, InsO, § 261 Rz. 5; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 261 Rz. 4; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 261 Rz. 15. 343) Thies in: HambKomm-InsO, § 261 Rz. 7.

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Gestaltender Teil des Insolvenzplans

des Insolvenzverwalters bedürfen.344) Zu denken ist hier v. a. an wirtschaftlich bedeutsame oder risikoreiche Geschäfte.345) Voraussetzung ist jedoch, dass die vom Zustimmungsvorbehalt erfassten Geschäfte hinreichend klar bestimmt sind;346) auch ein Universalvorbehalt ist nach h. M. unzulässig.347) Die Planüberwachung endet durch Aufhebungsbeschluss des Insolvenzgerichts. Die Auf- 281 hebung erfolgt gemäß 268 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn die Ansprüche, deren Erfüllung überwacht wird, befriedigt oder für sie Sicherheit geleistet wurde. Daneben tritt die Aufhebung wegen Zeitablaufs: Nach § 268 Abs. 1 Nr. 2 InsO soll die Planüberwachung nicht länger als drei Jahre seit Aufhebung des Insolvenzverfahrens dauern, es sei denn, es liegt ein neuer Insolvenzantrag vor.348) Mit der Aufhebung der Planüberwachung entfallen die insolvenzrechtlichen Beschränkungen.349) Siehe zur Planüberwachung auch unten Mönning, HRI II, § 42. X.

Exkurs: Haftung des Insolvenzverwalters bei Scheitern des Plans

Der Insolvenzverwalter haftet grundsätzlich gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 InsO bei schuldhafter 282 Pflichtverletzung allen Beteiligten auf Schadensersatz. Problematisch ist bei einem Insolvenzplan, dass dieser hauptsächlich auf Prognoseentscheidungen beruht. Damit beinhaltet jeder Plan zwangsläufig die Gefahr des Scheiterns. Des Weiteren steht dem Insolvenzverwalter oftmals nur ein begrenzter Zeitraum zur Verfügung, in dem er ein möglichst fehlerfreies Konzept für ein Unternehmen einer für ihn oft fremden Branche erstellen muss. Verlässliche Zahlen der Finanzbuchhaltung und des betrieblichen Rechnungswesens werden oftmals nicht vorhanden sein, so dass der Insolvenzverwalter auf die Unterstützung der Arbeitnehmer des Unternehmens angewiesen ist, deren Qualifikation er zu testen kaum Gelegenheit hatte.350) Das bloße Fehlschlagen eines Plans für sich allein kann die Haftung des Insolvenzver- 283 walters nicht auslösen, da es sich um die Verwirklichung eines dem unternehmerischen Handeln immanenten Risikos handelt.351) Der Insolvenzverwalter sollte jedoch, um einer Haftung vorzubeugen, die Beteiligten im 284 darstellenden Teil des Plans über die Risiken des Plans so vollständig wie nur möglich informieren. Dies ist auch dann, wenn dadurch die Gläubiger in Anbetracht der aufgezeigten Risiken von einem Fortführungsplan Abstand nehmen, um sich stattdessen für ein Regelinsolvenzverfahren und die sich hieraus ergebende Insolvenzquote zu entscheiden.352)

___________ 344) 345) 346) 347) 348) 349) 350) 351) 352)

Vertiefend Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 263 Rz. 2 f. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 216. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 263 Rz. 2. Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 263 Rz. 5; Braun/Frank in: Braun, InsO, § 263 Rz. 2; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 263 Rz. 2; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 263 Rz. 2. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 268 Rz. 3 f. Braun/Frank in: Braun, InsO, § 268 Rz. 7; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 268 Rz. 5. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 220 Rz. 86; Warrikoff, KTS 1996, 489, 502. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 220 Rz. 81; Warrikoff, KTS 1996, 489, 502. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 220 Rz. 83, 85; Warrikoff, KTS 1996, 489, 502.

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§ 23 Plananlagen Zabel

I. Vorbemerkungen........................................ 1 II. Allgemeine Plananlagen ............................ 6 1. Unterlagen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen................................................ 8 2. Unterlagen zu den rechtlichen Verhältnissen................................................ 9 III. Verzeichnis der Gläubiger ....................... 10 1. Begriff ......................................................... 10 2. Inhalt........................................................... 12 2.1 Gläubigergruppe............................ 13 2.2 Laufende Nummer ........................ 17 2.3 Bezeichnung des Gläubigers......... 19 2.4 Betrag und Grund der Forderung................................ 20 2.5 Ergebnis der Forderungsprüfung ... 22 2.6 Quotenzahlung.............................. 23 3. Beispiel........................................................ 24 IV. Plananlagen nach §§ 153, 229 InsO ....... 38 1. Plananlagen zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.... 38 1.1 Vermögensübersicht (§ 153 InsO) .................................. 39 1.1.1 Begriff ............................................ 39 1.1.2 Funktionen .................................... 42 1.1.3 Grundsätze .................................... 46 1.1.4 Rechenwerke der Vermögensübersicht ............... 53 1.1.4.1 Verzeichnis der Massegegenstände (§ 151 InsO) .................................. 54 1.1.4.1.1 Begriff ........................................ 54 1.1.4.1.2 Inventur ..................................... 55 1.1.4.1.3 Bewertung.................................. 60 1.1.4.1.4 Form .......................................... 64 1.1.4.2 Gläubigerverzeichnis (§ 152 InsO) .................................. 66 1.1.4.2.1 Begriff ........................................ 66 1.1.4.2.2 Inhalt.......................................... 68 1.1.4.2.3 Bewertung.................................. 72 1.1.4.2.4 Form .......................................... 73 1.1.5 Mustervorlage................................ 75 1.2 Handelsbilanz (§ 155 Abs. 2 Satz 1 InsO)................................... 76 1.2.1 Neues Geschäftsjahr ..................... 76 1.2.2 Schlussbilanz.................................. 77 1.2.3 Eröffnungsbilanz........................... 83 1.2.4 Exkurs: Schlussbilanz bei Aufhebung ............................... 85 1.2.5 Exkurs: Prüfung der handelsrechtlichen Abschlüsse.................. 88 2. Plananlagen zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Insolvenzplans ...... 92

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Vorbemerkungen........................... 92 Zweck der Regelung...................... 94 Integrierte Unternehmensplanung ................. 98 2.3.1 Begriff ............................................ 98 2.3.2 Vorgehensweise ........................... 101 2.3.2.1 Gewinn- und Verlustrechnung... 103 2.3.2.1.1 Schritt 1: Operative Planung der Gewinn- und Verlustrechnung...................... 104 2.3.2.1.2 Schritt 2: Planung der Sondereffekte aus dem Insolvenzplan............ 113 2.3.2.2 Bilanz ........................................... 120 2.3.2.2.1 Schritt 1: Operative Planung der Bilanz................................. 124 2.3.2.2.2 Schritt 2: Planung der Sondereffekte aus dem Insolvenzplan............ 137 2.3.2.3 Kapitalflussrechnung (Finanzplan) ................................ 141 2.3.3 Praxishinweise ............................. 144 2.4 Überleitungsrechnungen ............ 149 2.5 Vergleichsrechnung..................... 150 2.5.1 Alternative 1: Zerschlagung........ 154 2.5.2 Alternative 2: Asset Deal ............ 161 2.5.3 Alternative 3: Share Deal ............ 164 V. Plananlagen nach § 226 InsO ................ 165 1. Grundsatz................................................. 165 2. Inhalt der Erklärung ................................ 168 3. Fehlende oder fehlerhafte Erklärung...... 171 VI. Plananlagen nach § 230 InsO ................ 172 1. Erklärungen des Schuldners (§ 230 Abs. 1 InsO) ............................................ 173 1.1 Natürliche Personen ................... 176 1.1.1 Personenkreis .............................. 176 1.1.2 Inhalt der Erklärung.................... 178 1.1.3 Fehlende oder fehlerhafte Erklärung ..................................... 183 1.2 Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, KGaA ................. 184 1.2.1 Personenkreis .............................. 184 1.2.2 Inhalt der Erklärung.................... 187 1.2.3 Fehlende oder fehlerhafte Erklärung ..................................... 193 2. Erklärungen der Gläubiger (§ 230 Abs. 2 InsO) ................................. 194 2.1 Personenkreis .............................. 195 2.2 Inhalt der Erklärung.................... 197 2.3 Fehlende oder fehlerhafte Erklärung ..................................... 200

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2.1 2.2 2.3

§ 23

Plananlagen 3.

4.

Erklärungen Dritter (§ 230 Abs. 3 InsO) ................................. 201 3.1 Personenkreis............................... 202 3.2 Inhalt der Erklärung ................... 203 3.3 Exkurs: Erklärung der Finanzverwaltung.................. 209 Erklärungen verbundener Unternehmen (§ 230 Abs. 4 InsO)......... 212 4.1 Personenkreis............................... 214 4.2 Inhalt der Erklärung .................... 215

4.3

Fehlende oder fehlerhafte Erklärung ..................................... 218 VII. Stellungnahmen zum Insolvenzplan (§ 232 InsO)............................................. 219 1. Gläubigerausschuss (§ 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO) ....................... 221 2. Betriebsrat (§ 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO) .... 223 3. Schuldner (§ 232 Abs. 1 Nr. 2 InsO)...... 225 4. Insolvenzverwalter (§ 232 Abs. 1 Nr. 3 InsO) ....................... 227

Literatur: Carli/Rieder/Mückl, Debt-to-Equity Swaps in der aktuellen Transaktionspraxis, ZIP 2010, 1737; Heni, Rechnungslegung im Insolvenzverfahren, WPg 1990, 93; Klein, Handelsrechtliche Rechnungslegung im Insolvenzverfahren, 2004; Maus, Steuern im Insolvenzverfahren, 2004; Pink, Rechnungslegungspflichten in der Insolvenz der Kapitalgesellschaft, ZIP 1997, 177; Plagens/Brunow, Integrierte Planungsrechnung – Bestandteil des betrieblichen Rechnungswesens (Teil I), DStR 2004, 102, (Teil 2), DStR 2004, 151; Staufenbiel, Der Liquiditätsplan im Insolvenzverfahren, ZInsO 2010, 2059; Zabel/Pütz, Beurteilung der Insolvenzeröffnungsgründe nach IDW S 11, ZIP 2015, 913.

I.

Vorbemerkungen

Neben dem darstellenden und gestaltenden Teil bilden die Plananlagen eine weitere wich- 1 tige Säule des Insolvenzplans. Die Plananlagen haben in erster Linie den Zweck, die für die Entscheidung der Gläubiger über den Insolvenzplan erforderlichen Informationen zusammenzustellen, um damit die Nachvollziehbarkeit des Insolvenzplans sicherzustellen. Darüber hinaus dienen die Plananlagen dem Insolvenzgericht i. R. der Entscheidungen nach § 231 InsO über die Zurückweisung des Insolvenzplans als Entscheidungsgrundlage.1) Der Umfang der Plananlagen kann anhand der nachfolgenden Übersicht wie folgt zu- 2 sammengefasst werden:2) 

Allgemeine Plananlagen,



Verzeichnis der Gläubiger,



Plananlagen nach §§ 153, 155, 229 InsO, 



Plananlagen zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung, 

Vermögensübersicht (§ 153 InsO),



Handelsbilanz (§ 155 Abs. 2 Satz 1 InsO),

Plananlagen zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Insolvenzplans, 

Plan-Vermögensübersicht (§ 229 InsO),



Plan-Bilanzen,



Plan-Gewinn- und Verlustrechnung,



Plan-Liquiditätsrechnung;



zustimmende Erklärungen der Gläubiger (§ 226 InsO),



Erklärung des Schuldners (§ 230 Abs. 1 InsO),



Erklärung der Gläubiger (§ 230 Abs. 2 InsO),

___________ 1)

2)

So z. B. hat das Insolvenzgericht nach § 231 Abs. 1 Nr. 3 InsO den Insolvenzplan von Amts wegen zurückzuweisen, wenn die Ansprüche, die den Beteiligten nach dem gestaltenden Teil eines vom Schuldner vorgelegten Insolvenzplans zustehen, offensichtlich nicht erfüllt werden können. Zur Systematisierung, vgl. auch IDW Standard, Anforderungen an Insolvenzpläne (IDW S 2), Stand: 18.11.2019, Rz. 97 ff., IDW Life 1/2020, S. 45 ff.

Zabel

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§ 23

2. Teil Insolvenzplan – Inhalt



Erklärung Dritter (§ 230 Abs. 3 InsO),



ergänzende Plananlagen nach §§ 226, 230 InsO.

3 In den nachfolgenden Ausführungen werden die Plananlagen i. E. dargestellt und anhand von Praxisbeispielen erläutert. Die Reihenfolge der Plananlagen erfolgt dabei einem in der Praxis bewährten Gliederungsschema. 4 Praxishinweis: Nach § 235 Abs. 3 Satz 2 InsO ist den Gläubigern mit der Ladung zum Erörterungs- und Abstimmungstermin eine Ausfertigung des Insolvenzplans oder eine Zusammenfassung seines wesentlichen Inhalts zu übersenden. Sofern lediglich eine Zusammenfassung des Insolvenzplans den Gläubigern zur Verfügung gestellt wird, sollte der Umfang der beizufügenden Plananlagen im Vorfeld mit dem Insolvenzgericht abgestimmt werden, da die Handhabung seitens der Insolvenzgerichte teilweise sehr unterschiedlich ist. Für börsennotierte Gesellschaften ist dabei nach § 121 Abs. 4a AktG zu beachten, dass eine Zusammenfassung des wesentlichen Inhalts des Insolvenzplans über ihre Internetseite zugänglich zu machen ist (vgl. § 235 Abs. 3 Satz 4 InsO). 5 In der Literatur wird teilweise die Auffassung vertreten, dass in der Zusammenfassung des Insolvenzplans mindestens eine Vermögensübersicht, eine Plan-Gewinn- und Verlustrechnung sowie eine Liquiditätsplanung enthalten sein sollten, um den Gläubigern die Möglichkeit der Beurteilung zu geben, ob die Planvorschläge realistisch sind und insgesamt von nachvollziehbaren Planprämissen ausgegangen wurde.3) Es ist zu beachten, dass eine Zusammenfassung des Insolvenzplans stets das Risiko birgt, dass die Zusammenfassung unvollständig ist und einzelne Beteiligte den Inhalt wegen dieses Mangels rügen.4) II.

Allgemeine Plananlagen

6 Mit den allgemeinen Plananlagen sollen das Insolvenzgericht und die Gläubiger über die Ausführungen im darstellenden und gestaltenden Teil hinaus informiert werden, um den Insolvenzplan wirtschaftlich und rechtlich würdigen zu können. Insofern haben die allgemeinen Plananlagen eine Erläuterungs-, Ergänzungs- und Entlastungsfunktion. 7 Praxishinweis: Die allgemeinen Plananlagen sollten beim Insolvenzgericht hinterlegt werden, so dass die Gläubiger unter den Voraussetzungen des § 299 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 4 InsO Einsicht nehmen können. Aus Gründen der Übersichtlichkeit und Vertraulichkeit sollte vermieden werden, dass die vollständigen Unterlagen zu den allgemeinen Plananlagen allen Gläubigern zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus werden dadurch auch erhebliche Kosten (z. B. Kopierkosten) vermieden.5) 1.

Unterlagen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen

8 Zur wirtschaftlichen Beurteilung des Insolvenzplans und des zugrunde liegenden Sanierungskonzepts sollten dem Insolvenzplan die (geprüften) Jahresabschlüsse der letzten drei (vorzugsweise fünf) Geschäftsjahre beigefügt werden. Bei Konzerninsolvenzen sollte der Insolvenzplan zusätzlich die (geprüften) Konzernabschlüsse der letzten drei (vorzugsweise fünf) Geschäftsjahre enthalten.6) Diese Unterlagen sollten nur beigefügt werden, wenn dies für ein besseres Verständnis seines Inhalts erforderlich ist. Bei großen Filialunternehmen bietet es sich zudem an, aktuelle betriebswirtschaftliche Auswertungen der einzelnen ___________ 3) 4) 5) 6)

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Vgl. u. a. Pleister in: KPB, InsO, § 235 Rz. 20; Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 235 Rz. 12. Vgl. Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 235 Rz. 17. Vgl. auch Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 235 Rz. 12. Vgl. IDW Standard, Anforderungen an Insolvenzpläne (IDW S 2), Stand: 18.11.2019, Rz. 98, IDW Life 1/2020, S. 45 ff.

Zabel

§ 23

Plananlagen

Filialen dem Insolvenzplan als gesonderte Anlage beizufügen. Darüber hinaus sollten die letzten Steuerbescheide und ggf. Berichte über Betriebsprüfungen als allgemeine Plananlagen aufgenommen werden, sofern diese Informationen für die Gläubiger entscheidungsrelevant sind. 2.

Unterlagen zu den rechtlichen Verhältnissen

Für die rechtliche Beurteilung des Insolvenzplans sollten dem Insolvenzplan wichtige Ver- 9 tragsunterlagen des schuldnerischen Unternehmens beigefügt werden (z. B. Gesellschaftsvertrag, Ergebnisabführungsverträge, Mietverträge, Darlehensverträge, Sanierungstarifverträge, Betriebsvereinbarungen etc.). Darüber hinaus kann es im Einzelfall sinnvoll sein, wichtige Verträge im Zusammenhang mit dem Insolvenzplan (z. B. Darlehensvertrag mit einem Investor zur Sicherstellung der Gläubigerbefriedigung) als Plananlage in den Insolvenzplan aufzunehmen. III.

Verzeichnis der Gläubiger

1.

Begriff

Um eine eindeutige Zuordnung des einzelnen Gläubigers zu der im darstellenden und ge- 10 staltenden Teil des Insolvenzplans vorgesehenen Gläubigergruppe zu gewährleisten, sollte der Insolvenzplan für jede Gläubigergruppe ein Verzeichnis aller in der Gruppe vorgesehenen Gläubiger enthalten.7) Das Verzeichnis der Gläubiger sollte auf der Grundlage der Insolvenztabelle erstellt werden, 11 da die Insolvenztabelle insofern ebenfalls für die Erstellung des Verteilungsverzeichnisses nach § 188 InsO verwendet wird.8) Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 InsO hat der Insolvenzverwalter jede angemeldete Forderung mit Grund, Betrag und ggf. Rang der Forderung in eine Tabelle einzutragen. Bis zum Prüfungstermin obliegt die Führung der Insolvenztabelle dem Insolvenzverwalter.9) Im Fall der Eigenverwaltung wird die Insolvenztabelle vom Sachwalter geführt.10) Nach dem Prüfungstermin geht die Führung der Insolvenztabelle auf das Insolvenzgericht über, wobei der Insolvenzverwalter bzw. der Sachwalter die Insolvenztabelle grundsätzlich weiter pflegen.11) 2.

Inhalt

Das dem Insolvenzplan für jede Gläubigergruppe als Anlage beizufügende Verzeichnis 12 der Gläubiger sollte den nachfolgenden Mindestinhalt enthalten:12) 

Gläubigergruppe,



laufende Nummer,



Bezeichnung des Gläubigers,



Betrag und Grund der Forderung,



Ergebnis der Forderungsprüfung,



Quotenzahlung.

___________ 7) Vgl. IDW Standard, Anforderungen an Insolvenzpläne (IDW S 2), Stand: 18.11.2019, Rz. 105, IDW Life 1/2020, S. 45 ff. 8) Vgl. Jaffé in: MünchKomm-InsO, § 152 Rz. 3. 9) Vgl. Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 175 Rz. 2. 10) Vgl. Becker in: Nerlich/Römermann, InsO, § 175 Rz. 1. 11) Vgl. Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 175 Rz. 3. 12) In Anlehnung an die Mindestanforderungen an die Insolvenztabelle i. S. des § 175 InsO vgl. u. a. Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 175 Rz. 5; Riedel in: MünchKomm-InsO, § 175 Rz. 5 ff.

Zabel

669

§ 23 2.1

2. Teil Insolvenzplan – Inhalt Gläubigergruppe

13 Für jede einzelne im Insolvenzplan festgelegte Gläubigergruppe sollte ein gesondertes Verzeichnis der Gläubiger erstellt werden. Grundsätzlich wird zwischen Pflicht-, Wahl- und Sollgruppen unterschieden.13) Zu weiteren Einzelheiten der Gruppenbildung siehe unten Haneke, HRI II, § 24. 14 Nach § 222 Abs. 1 InsO sind im Insolvenzplan bei der Festlegung der Rechte der Beteiligten mindestens die folgenden vier Gruppen (Pflichtgruppen) zu bilden, soweit Beteiligte mit unterschiedlicher Rechtsstellung betroffen sind: 

absonderungsberechtigte Gläubiger, wenn durch den Insolvenzplan in deren Rechte eingegriffen wird (Nr. 1),



nicht nachrangige Insolvenzgläubiger (Nr. 2),



nachrangige Insolvenzgläubiger, soweit deren Forderungen nicht nach § 225 InsO als erlassen gelten sollen (Nr. 3),



beteiligte Personen (Anteilsinhaber)14), wenn deren Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte in den Insolvenzplan einbezogen werden (Nr. 4),



Inhabern von Rechten aus gruppeninternen Drittsicherheiten (Nr. 5).

15 Aus den Beteiligten mit gleicher Rechtsstellung können nach § 222 Abs. 2 InsO weitere Gruppen (Wahlgruppen) gebildet werden, in denen Beteiligte mit gleichartigen wirtschaftlichen Interessen zusammengefasst werden, wobei die Gruppen sachgerecht voneinander abgegrenzt werden müssen. Vor diesem Hintergrund kann auch nach § 7 Abs. 4, § 9 Abs. 4 Satz 1 BetrAVG für den Pensionssicherungsverein eine eigene Gruppe gebildet werden. Es kann ebenfalls sachgerecht erscheinen, für die Bundesagentur für Arbeit15), die Finanzverwaltung16), die Sozialversicherungsträger17) und die Anleihegläubiger18) gesonderte Gruppen zu bilden. 16 Nach § 222 Abs. 3 InsO sollen die Arbeitnehmer eine besondere Gruppe (Sollgruppe) bilden, wenn sie als Insolvenzgläubiger mit nicht unerheblichen Forderungen beteiligt sind. Ferner können für Kleingläubiger und geringfügig beteiligte Anteilsinhaber mit einer Beteiligung am Haftkapital von weniger als 1 % oder weniger als 1.000 € besondere Gruppen gebildet werden. 2.2

Laufende Nummer

17 Für jede im Verzeichnis der Gläubiger erfasste Forderung sollte eine fortlaufende Nummer vergeben werden. Zum Zwecke der besseren Identifizierbarkeit der Forderungen bietet es sich an, die laufende Nummer der angemeldeten Forderung in der Insolvenztabelle (§ 175 InsO) zu verwenden. In der Insolvenztabelle sind die angemeldeten Forderungen unter einer fortlaufenden Nummer in der Reihenfolge der Anmeldung einzutragen.19) Sofern mehrere Forderungen eines einzelnen Gläubigers gleichzeitig angemeldet werden, ist jede einzelne Forderung grundsätzlich unter einer gesonderten Nummer zu erfassen. Für Forderungsanmeldungen von Finanzämtern und Krankenkassen empfiehlt sich die Erfassung ___________ 13) 14) 15) 16) 17) 18) 19)

670

Zur Systematisierung vgl. Spahlinger in: KPB, InsO, § 222 Rz. 6 ff. Vgl. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 19. Vgl. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 26. Vgl. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 27. Vgl. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 28. Vgl. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 29. Vgl. Riedel in: MünchKomm-InsO, § 175 Rz. 4.

Zabel

§ 23

Plananlagen

unter einer laufenden Nummer, da sich die Forderungen meist aus einer Vielzahl von Einzelforderungen zusammensetzen und diese im Laufe des Verfahrens geändert werden können.20) Praxishinweis: Sofern die Forderung eines Gläubigers auf zwei Gläubigergruppen aufzu- 18 teilen ist, muss die Forderung in dem Verzeichnis der Gläubiger abweichend von der Insolvenztabelle nach § 175 InsO aufgeteilt werden. In diesem Fall sollte die Forderung gesondert gekennzeichnet werden, damit die Zuordnung zu der jeweiligen Gläubigergruppe seitens der Gläubiger nachvollzogen werden kann. 2.3

Bezeichnung des Gläubigers

Für sämtliche im Verzeichnis der Gläubiger erfasste Forderungen sind die Gläubiger mit 19 Namen und Vornamen (natürliche Personen) bzw. mit Firmierung und Rechtsform (juristische Personen) zu bezeichnen. Darüber hinaus sollte auch die zustellungsfähige Anschrift angegeben werden. Sofern ein Vertreter des Gläubigers bestellt wurde, sollte auch dieser in dem Verzeichnis der Gläubiger aufgenommen werden. 2.4

Betrag und Grund der Forderung

In dem Verzeichnis der Gläubiger ist jede einzelne angemeldete Forderung zu erfassen, wobei 20 jeweils zwischen Haupt- und Nebenforderungen (d. h. Zinsen und Kosten) unterschieden wird. Daneben ist in einem Begleittext der Grund der Forderung anzugeben, z. B. Gehaltsforderung, Warenlieferung, Mietforderung, Darlehen etc. Praxishinweis: Zwischen dem Verzeichnis der Gläubiger gemäß Insolvenzplan und der 21 Insolvenztabelle sollten nach Möglichkeit keine betragsmäßigen Differenzen bestehen. Da die Insolvenztabelle in der Praxis häufig erst unmittelbar vor dem Abstimmungstermin finalisiert wird, sollten die Planverfasser das Verzeichnis der Gläubiger fortlaufend aktualisieren. 2.5

Ergebnis der Forderungsprüfung

Neben dem Betrag und dem Grund der Forderung sollte in dem Verzeichnis der Gläubiger 22 auch das Ergebnis der Forderungsprüfung angegeben werden, so dass für den Gläubiger erkennbar ist, ob und inwieweit seine Forderung als festgestellt gilt oder nicht. Grundsätzlich nehmen nur im Prüfungstermin festgestellte Forderungen an der Verteilung in einem Insolvenzplan teil. Für bestrittene Insolvenzforderungen werden in Insolvenzplänen häufig Ausschüttungsrückbehalte i. H. des möglichen Quotenanspruchs des Gläubigers gebildet. Die Ausschüttungsrückbehalte werden dabei z. B. nur im Fall eines Obsiegens des Gläubigers i. R. eines Feststellungsrechtsstreits ausgezahlt. 2.6

Quotenzahlung

Aus dem Verzeichnis der Gläubiger sollte für jeden einzelnen Gläubiger die ihm nach dem 23 Insolvenzplan zustehende Quotenzahlung ersichtlich sein. Sofern im Insolvenzplan vorgesehen ist, dass die Quotenzahlung in mehreren Raten erfolgt, sollten die Einzelbeträge mit Angabe des jeweiligen Zahlungstermins angegeben werden. Obwohl nicht festgestellte Forderungen an der Verteilung in einem Insolvenzplan grundsätzlich nicht teilnehmen, sollten i. H. des möglichen Quotenanspruchs des Gläubigers Ausschüttungsrückbehalte berücksichtigt werden.

___________ 20) Vgl. Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 175 Rz. 5.

Zabel

671

§ 23 3.

2. Teil Insolvenzplan – Inhalt Beispiel

24 In dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Mustermann GmbH wurden Forderungen i. H. von 2.600.000 € zur Insolvenztabelle angemeldet. Der Insolvenzplan der Mustermann GmbH sieht die Bildung von fünf Gläubigergruppen vor und wurde vor der Einreichung mit den wichtigsten Gläubigern erörtert. Die Gläubigerbefriedigung soll nach dem Insolvenzplan wie folgt erfolgen: 

Die absonderungsberechtigten Gläubiger der Gruppe 1 erhalten als Tilgung insgesamt einen Betrag von 410.000 € über einen Zeitraum von drei Jahren, zahlbar jeweils am 31.12. eines Jahres.



Die ungesicherten Gläubiger der Gruppen 2 bis 5 erhalten insgesamt eine Quote von 5,0 % auf ihre festgestellte Forderung über einen Zeitraum von zwei Jahren, zahlbar jeweils am 31.12. eines Jahres.

25 Die Befriedigung der Gläubigergruppen ist i. E. im darstellenden und gestaltenden Teil des Insolvenzplans wie folgt geregelt: 26 Gruppe 1: In die Gruppe 1 werden sämtliche Kreditinstitute eingruppiert, soweit sie bei rechtlicher und wirtschaftlicher Betrachtung dinglich gesichert sind. Es handelt sich um die Bank A und die Bank B. Soweit Kreditinstitute bei wirtschaftlicher oder rechtlicher Betrachtung ganz oder teilweise ungesichert sind, erfolgt eine Eingruppierung in die Gruppe 5.21) Soweit Absonderungsrechte der Mitglieder der Gruppe 1 bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht werthaltig sind, sind diese Gläubiger mit den ungesicherten Forderungsanteilen (Ausfallforderung) in die Gruppe 5 einzugruppieren. Die betroffenen Gläubiger mit der Höhe ihrer jeweils gesicherten Forderung einschließlich der Bestimmung der Höhe des Ausfalls bei der abgesonderten Befriedigung ergeben sich aus den Anlagen 1 und 2. Anlage 1: Gesicherte Forderungen der Grundpfandrechtsgläubiger (Gruppe 1)

27

Angemeldete Forderung

Nennbetrag €

Bank A

a)

(Forderungs-Nr. 5)

Investitionsdarlehen Nr. 01

Wert der Sicherheit (Gruppe 1)

Ausfallforderungen (Gruppe 5)





100.000,00

vom 28.9.2017 b)

Investitionsdarlehen Nr. 02

100.000,00

vom 01.12.2019 d)

Kontokorrentkredit

30.000,00 230.000,00

Bank B

a)

(Forderungs-Nr. 6)

Investitionsdarlehen Nr. 01

210.000,00

20.000,00

630.000,00

200.000,00

430.000,00

860.000,00

410.000,00

450.000,00

500.000,00

vom 15.7.2018 b)

Kontokorrentkredit

130.000,00

___________ 21) Es ist das sog. Mischgruppenverbot, BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, ZIP 2005, 1648, dazu EWiR 2006, 279 (v. Gleichenstein), zu beachten, wonach i. R. einer Gruppe Gläubiger mit werthaltigen und nicht werthaltigen Absonderungsrechten nicht zusammengefasst werden dürfen.

672

Zabel

§ 23

Plananlagen Hinweise:

– Die Bank A hat Forderungen i. H. von insgesamt 230.000 € zur Insolvenztabelle angemeldet. Die Forderungen betreffen mit 30.000 € eine Kontokorrentlinie sowie mit jeweils 100.000 € zwei Investitionsdarlehen. Die Bankverbindlichkeiten wurden durch die Sicherungsübereignung von zwei Maschinen gesichert. Der Fortführungswert der Maschinen wurde durch ein sachverständiges Gutachten mit 210.000 € bewertet. Die Gesamtforderung ist auf die Gruppe 1 i. H. von 210.000 € und auf die Gruppe 5 i. H. von 20.000 € aufzuteilen. – Die Bank B hat Forderungen i. H. von insgesamt 630.000 € zur Insolvenztabelle angemeldet. Die Forderungen betreffen mit 130.000 € eine ungesicherte Kontokorrentlinie sowie mit 500.000 € ein Investitionsdarlehen, das durch eine Hypothek auf eine Lagerhalle gesichert ist. Der Fortführungswert der Lagerhalle wurde in einem Sachverständigengutachten mit 200.000 € bewertet. Die Gesamtforderung ist auf die Gruppe 1 i. H. von 200.000 € und auf die Gruppe 5 i. H. von 430.000 € aufzuteilen.

Anlage 2: Verzeichnis der Gläubiger nebst Tilgungsplan der Gruppe 1 Gruppe

Nr.

1

1

28

Gläubiger

Forderung €

Grund der Forderung

Prüfungsergebnis

Zahlung €

31.12.2023 €

31.12.2024 €

31.12.2025 €

5

Bank A Musterstraße 1 99999 Musterort

210.000,00

Darlehensforderung Wert der Sicherungsrechte: € 210.000,00 (ungesicherter Teil, Gruppe 5 – Nr. 5)

Festgestellt

210.000,00

70.000,00

70.000,00

70.000,00

6

Bank B Musterstraße 1 99999 Musterort

200.000,00

Darlehensforderung Wert der Sicherungsrechte: € 200.000,00 (ungesicherter Teil, Gruppe 5 – Nr. 6)

Festgestellt

200.000,00

66.666,67

66.666,67

66.666,66

410.000,00

136.666,67

136.666,67

136.666,66

410.000,00

Hinweise: – Die Bank A erhält als Tilgung einen Betrag i. H. von insgesamt 210.000 € (Wert der Sicherheit), der in drei gleichen Raten am 31.12.2023, 31.12.2024 und 31.12.2025 ausgezahlt wird. – Die Bank B erhält als Tilgung einen Betrag i. H. von insgesamt 200.000 € (Wert der Sicherheit), der in drei gleichen Raten am 31.12.2023, 31.12.2024 und 31.12.2025 ausgezahlt wird.

Gruppe 2:

29

In die Gruppe 2 werden sämtliche Vorbehaltslieferanten und sonstige Lieferanten eingruppiert. Da in die Aus- oder Absonderungsrechte von Vorbehaltslieferanten nicht durch den Insolvenzplan eingegriffen wird (sämtliche dinglichen Rechte der Lieferanten wurden durch außerhalb des Insolvenzplans getroffene Vereinbarungen abgefunden), sind in dieser Gruppe alle ungesicherten (Ausfall-)Forderungen von Vorbehaltslieferanten und/oder sonstigen Lieferanten erfasst. Die Lieferanten haben ein besonderes Interesse an dem Fortbestand der Kundenbeziehung. Gläubiger mit gleichartigen wirtschaftlichen Interessen können nach § 222 Abs. 2 InsO in einer Gruppe zusammengefasst werden. Die betroffenen Gläubiger ergeben sich mit ihren angemeldeten Forderungen aus Anlage 3.

Zabel

673

§ 23

2. Teil Insolvenzplan – Inhalt Anlage 3: Verzeichnis der Gläubiger nebst Quotenzahlung der Gruppe 2

30 Gruppe

Nr.

Gläubiger

Forderung €

Grund der Forderung

Prüfungsergebnis

2

1

Lieferant A Musterstraße 1 99999 Musterort

120.000,00

Warenlieferung

Festgestellt

2

2

Lieferant B Musterstraße 1 99999 Musterort

27.000,00

Warenlieferung

Bestritten in voller Höhe

2

3

Lieferant C Musterstraße 1 99999 Musterort

9.000,00

Warenlieferung

2

7

Lieferant D Musterstraße 1 99999 Musterort

86.000,00

Warenlieferung

31.12.2023 €

31.12.2024 €

31.12.2025 €

6.000,00

3.000,00

3.000,00

0,00

1.350,00

675,00

675,00

0,00

Festgestellt

450,00

225,00

225,00

0,00

Festgestellt

4.300,00

2.150,00

2.150,00

0,00

12.100,00

6.050,00

6.050,00

0,00

242.000,00

Zahlung €

Hinweise: – Der Lieferant A erhält eine Quotenzahlung i. H. von insgesamt 6.000 €, d. h. 5 % auf die festgestellte Forderung von 120.000 €, die in zwei gleichen Raten am 31.12.2023 und 31.12.2024 ausgezahlt wird. – Die Forderung des Lieferanten B wurde vom Insolvenzverwalter bestritten. Da nur festgestellte Forderungen an einer Quotenzahlung teilnehmen, ist i. H. des möglichen Quotenanspruchs des Gläubigers ein Ausschüttungsrückbehalt zu berücksichtigen. Dieser beträgt 1.350 €, d. h. 5 % auf die bestrittene Forderung von 27.000 €. In dem Verzeichnis der Gläubiger wurde dieser Betrag in zwei gleichen Raten am 31.12.2023 und 31.12.2024 als mögliche Auszahlung berücksichtigt.

31 Gruppe 3: In die Gruppe 3 wird nur der Pensionssicherungsverein eingruppiert. Der betroffene Gläubiger ergibt sich mit seiner angemeldeten Forderung aus Anlage 4. Anlage 4: Verzeichnis der Gläubiger nebst Quotenzahlung der Gruppe 3

32 Gruppe

Nr.

3

4

Gläubiger

Forderung €

Grund der Forderung

Prüfungsergebnis

Zahlung €

31.12.2023 €

31.12.2024 €

31.12.2025 €

PensionsSicherungsVerein Bahnstraße 6 50996 Köln

800.000,00

Pensionszusagen

Festgestellt

40.000,00

20.000,00

20.000,00

0,00

40.000,00

20.000,00

20.000,00

0,00

800.000,00

Hinweis: Der Pensionssicherungsverein erhält eine Quotenzahlung i. H. von insgesamt 40.000 €, d. h. von 5 % auf die festgestellte Forderung von 800.000 €, die in zwei gleichen Raten am 31.12.2023 und 31.12.2024 ausgezahlt wird. Ein etwaiger im darstellenden und gestaltenden Teil des Insolvenzplans geregelter Besserungsschein ist nicht in dem Verzeichnis der Gläubiger zu berücksichtigen, da dieser über die Quotenzahlung hinaus gewährt wird.

674

Zabel

§ 23

Plananlagen Gruppe 4:

33

In die Gruppe 4 werden alle Arbeitnehmerforderungen sowie Behörden, auf die Arbeitnehmerforderungen übergegangen sind, eingruppiert. Für Arbeitnehmer soll nach § 222 Abs. 3 Satz 1 InsO eine gesonderte Gruppe gebildet werden. Auch soweit Arbeitnehmerforderungen auf eine Behörde übergegangen sind, liegt ein sachgerechtes wirtschaftliches Abgrenzungskriterium (§ 222 Abs. 2 InsO) vor. Die betroffenen Gläubiger ergeben sich mit ihren angemeldeten Forderungen aus Anlage 5. Anlage 5: Verzeichnis der Gläubiger nebst Quotenzahlung der Gruppe 4 Gruppe

Nr.

Gläubiger

4

8

Arbeitnehmer A Musterstraße 1 99999 Musterort

4

9

4

Forderung €

Grund der Forderung

Prüfungsergebnis

600,00

Reisekosten

Festgestellt

Arbeitnehmer B Musterstraße 1 99999 Musterort

500,00

Reisekosten

10

Arbeitnehmer C Musterstraße 1 99999 Musterort

100,00

4

11

Arbeitnehmer D Musterstraße 1 99999 Musterort

4

12

4

13

31.12.2023 €

31.12.2024 €

31.12.2025 €

30,00

15,00

15,00

0,00

Festgestellt

25,00

12,50

12,50

0,00

Reisekosten

Festgestellt

5,00

2,50

2,50

0,00

150,00

Reisekosten

Festgestellt

7,50

3,75

3,75

0,00

Arbeitnehmer E Musterstraße 1 99999 Musterort

220,00

Reisekosten

Festgestellt

11,00

5,50

5,50

0,00

Bundesagentur für Arbeit Musterstraße 1 99999 Musterort

553.000,00

Insolvenzgeld

Festgestellt

27.650,00

13.825,00

13.825,00

0,00

27.728,50

13.864,25

13.864,25

0,00

554.570,00

Zahlung €

34

Gruppe 5:

35

In diese Gruppe werden alle sonstigen Insolvenzgläubiger eingruppiert. Auch die Kreditinstitute (vgl. Gruppe 1) gehören in diese Gruppe, soweit ihnen entweder bei rechtlicher Betrachtung aufgrund z. B. enger Sicherungszweckabreden oder sonstiger Gründe keine Sicherungsrechte zustehen oder bei wirtschaftlicher Betrachtung von einem Ausfall bei der abgesonderten Befriedigung auszugehen ist. Der maßgebliche Wert der Absonderungsrechte wurde mit den Kreditinstituten im Vorfeld der Einreichung des Insolvenzplans mit 410.000 € abgestimmt. Die Abgrenzung aller übrigen Gläubiger ergibt sich daraus, ob es sich um ungesicherte Insolvenzforderungen handelt, soweit keine Eingruppierung in eine der Gruppen 1 bis 4 erfolgt. Die betroffenen Gläubiger ergeben sich mit ihren angemeldeten Forderungen aus Anlage 6.

Zabel

675

§ 23

2. Teil Insolvenzplan – Inhalt Anlage 6: Verzeichnis der Gläubiger nebst Quotenzahlung der Gruppe 5

36 Gruppe

Nr.

Gläubiger

5

5

Bank A Musterstraße 1 99999 Musterort

5

6

5

Forderung €

Grund der Forderung

Prüfungsergebnis

20.000,00

Darlehensforderung ungesicherter Teil (gesicherter Teil, Gruppe 1 – Nr. 5)

Festgestellt

Bank B Musterstraße 1 99999 Musterort

430.000,00

Darlehensforderung ungesicherter Teil (gesicherter Teil, Gruppe 1 – Nr. 6)

14

Krankenkasse A Musterstraße 1 99999 Musterort

25.000,00

5

15

Krankenkasse B Musterstraße 1 99999 Musterort

5

16

Finanzamt Musterort Musterstraße 1 99999 Musterort

31.12.2023 €

31.12.2024 €

31.12.2025 €

1.000,00

500,00

500,00

0,00

Festgestellt

21.500,00

10.750,00

10.750,00

0,00

Beiträge zur Sozialversicherung

Festgestellt

1.250,00

625,00

625,00

0,00

48.430,00

Beiträge zur Sozialversicherung

Festgestellt

2.421,50

1.210,75

1.210,75

0,00

70.000,00

Umsatzsteuer 2016

Bestritten in voller Höhe

3.500,00

1.750,00

1.750,00

0,00

29.671,50

14.835,75

14.835,75

0,00

593.430,00

Zahlung €

Hinweise: – Die Bank A erhält für den ungesicherten Teil der Forderung eine Quotenzahlung i. H. von insgesamt 1.000 €, d. h. 5 % auf die festgestellte ungesicherte Forderung von 20.000 €, die in zwei gleichen Raten am 31.12.2023 und 31.12.2024 ausgezahlt wird. – Die Bank B erhält für den ungesicherten Teil der Forderung eine Quotenzahlung i. H. von insgesamt 21.500 €, d. h. 5 % auf die festgestellte ungesicherte Forderung von 430.000 €, die in zwei gleichen Raten am 31.12.2023 und 31.12.2024 ausgezahlt wird.

37 Neben den einzelnen Verzeichnissen der Gläubiger sollte die Gläubigerbefriedigung auch zusammenfassend in einer Übersicht dargestellt werden. Diese Übersicht kann als gesonderte Plananlage oder auch in den darstellenden Teil übernommen werden (siehe nächste Seite).

676

Zabel

Gruppe 1

Zabel 100,0 100,0

593.430,00

2.600.000,00

Gruppe 5

Übrige Gläubiger

100,0

100,0

100,0

100,0

554.570,00

800.000,00

242.000,00

410.000,00

%

Arbeitnehmerforderungen Bundesagentur für Arbeit

Gruppe 4

Pensions-SicherungsVerein

Gruppe 3

Lieferanten

Gruppe 2

Absonderungsberechtigte K r e d i t i ns t i t u t e

EUR

(laut Insolvenztabelle)

Angemeldete Forderungen

2.080.500,00

563.758,50

526.841,50

760.000,00

229.900,00

0,00

EUR

Erlass

80,0

95,0

95,0

95,0

519.500,00

29.671,50

27.728,50

40.000,00

12.100,00

410.000,00

0,0

95,0

EUR

%

gesamt

20,0

5,0

5,0

5,0

5,0

100,0

%

514.650,00

26.171,50

27.728,50

40.000,00

10.750,00

410.000,00

EUR

99,1

88,2

100,0

100,0

88,8

100,0

%

davon Tilgungs- bzw. Quotenzahlung

Tilgungs- bzw. Quotenzahlung

4.850,00

3.500,00

0,00

0,00

1.350,00

0,00

EUR

0,0

%

0,9

11,8

0,0

0,0

11,2

davon Ausschüttungsrückbehalt

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IV.

Plananlagen nach §§ 153, 229 InsO

1.

Plananlagen zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens

38 Der Insolvenzverwalter hat nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Verzeichnis der Massegegenstände (§ 151 InsO), ein Gläubigerverzeichnis (§ 152 InsO) sowie eine Vermögensübersicht (§ 153 InsO) zu erstellen. Darüber hinaus hat der Insolvenzverwalter auf den Tag der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Handelsbilanz (§ 155 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 InsO) aufzustellen. Nach § 281 Abs. 1 und 3 InsO gehen im Fall der Eigenverwaltung diese Pflichten auf den Schuldner über. Zum Zwecke der Information der Gläubiger sollten zumindest die Vermögensübersicht und die Handelsbilanz dem Insolvenzplan als gesonderte Anlagen beigefügt werden. 1.1

Vermögensübersicht (§ 153 InsO)

1.1.1 Begriff 39 Nach § 153 Abs. 1 InsO hat der Insolvenzverwalter auf den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine geordnete Übersicht aufzustellen, in der die Gegenstände der Insolvenzmasse und die Verbindlichkeiten des Schuldners aufgeführt und gegenübergestellt werden.22) Die Vermögensübersicht dient der übersichtlichen Gegenüberstellung von Vermögen und Schulden. 40 Das Insolvenzgericht kann auf Antrag des Insolvenzverwalters oder eines Gläubigers dem Schuldner nach § 153 Abs. 2 InsO aufgeben, die Vollständigkeit der Vermögensübersicht eidesstattlich zu versichern.23) Hieraus wird die besondere Bedeutung der Vermögensübersicht für das Insolvenzverfahren deutlich.24) 41 Die handels- und steuerrechtlichen Ansatz- und Bewertungsvorschriften sind für die Aufstellung der Vermögensübersicht ohne Bedeutung,25) so dass die Handelsbilanz zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht verwendet werden kann.26) In der Praxis wird allerdings die handelsrechtliche Buchführung für die Prüfung der Vollständigkeit der Vermögensübersicht herangezogen.27) 1.1.2 Funktionen 42 Die Vermögensübersicht soll insbesondere über das vorhandene Vermögen und die zu erwartenden Verwertungserlöse informieren, so dass sie für die Verfahrensbeteiligten die nachfolgenden Funktionen erfüllt:28) 43 Planungsfunktion, d. h. anhand der Vermögensübersicht sollen i. R. einer Prognoserechnung die zu erwartenden Verwertungsergebnisse der Gegenstände der Insolvenzmasse sowie die voraussichtliche Gläubigerbefriedigung (Quote) prognostiziert werden. ___________ 22) In Teilen der Literatur wird die Vermögensübersicht in Anlehnung an die Terminologie der KO als Insolvenzeröffnungsbilanz bezeichnet, vgl. Pelka/Niemann, Praxis der Rechnungslegung, Rz. 439; Wipperfürth in: KPB, InsO, § 153 Rz. 1 spricht von einer besonderen Insolvenzbilanz; krit. dazu u. a. Wegener in: Wimmer, FK-InsO, § 153 Rz. 2; Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 153 Rz. 1. 23) Zu weiteren Einzelheiten vgl. u. a. Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 153 Rz. 3 ff.; Jaffé in: MünchKommInsO, § 153 Rz. 10 ff. 24) Vgl. Wegener in: Wimmer, FK-InsO, § 153 Rz. 1. 25) Vgl. Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 153 Rz. 1. 26) Vgl. IDW, Insolvenzspezifische Rechnungslegung im Insolvenzverfahren (IDW RH HFA 1.011), Stand: 13.6.2008, Rz. 16, WPg Supplement 3/2008, S. 49 ff.; ebenso: Jaffé in: MünchKomm-InsO, § 153 Rz. 1. 27) Vgl. Pink, ZIP 1997, 177, 183. 28) In Anlehnung an IDW, Insolvenzspezifische Rechnungslegung im Insolvenzverfahren (IDW RH HFA 1.011), Stand: 13.6.2008, Rz. 13, WPg Supplement 3/2008, S. 49 ff.

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Vergleichsfunktion, d. h. anhand der Vermögensübersicht sollen i. R. einer Vergleichsrech- 44 nung die voraussichtlichen Verwertungsergebnisse der Gegenstände der Insolvenzmasse sowie die voraussichtliche Gläubigerbefriedigung (Quote) für den Fall der Fortführung und Liquidation gegenübergestellt werden. Kontrollfunktion, d. h. anhand der Vermögensübersicht sollen i. R. einer Schlussrechnung 45 die tatsächlichen Verwertungsergebnisse der Gegenstände der Insolvenzmasse sowie die tatsächliche Gläubigerbefriedigung (Quote) den prognostizierten Werten gegenübergestellt werden. 1.1.3 Grundsätze Bei der Vermögensübersicht handelt es sich um ein mit der Handelsbilanz vergleichbares Rechenwerk,29) für das die Grundsätze ordnungsmäßiger Bilanzierung (GoB) zu beachten sind.30) Dabei sind insbesondere die nachfolgenden Rahmengrundsätze i. E. zu berücksichtigen:31) Richtigkeit und Willkürfreiheit, d. h. die in der Vermögensübersicht enthaltenen Positionen sind den Tatbeständen entsprechend zu bezeichnen und richtig und willkürfrei zu bewerten. Da es sich bei der Bewertung um Schätzungen und Prognosen handelt, ist der Grundsatz in diesem Sinne auch als Grundsatz der sorgfältigen Prognose32) zu verstehen. Vollständigkeit, d. h. die in der Vermögensübersicht enthaltenen Positionen sind vollständig unter Berücksichtigung etwaiger Drittrechte zu erfassen. Um die Vollständigkeit sicherzustellen, ist die Durchführung einer Inventur erforderlich. Der Grundsatz der Vollständigkeit bezieht sich auf die Gegenstände der Insolvenzmasse und die Verbindlichkeiten des Schuldners. Wesentlichkeit, d. h. in der Vermögensübersicht sind nur solche Sachverhalte zu berücksichtigen, bei denen der Aufwand für die Informationsgewinnung in einem vertretbaren Verhältnis zum Mehrwert der erlangten Informationen für die Beteiligten steht. Insofern sind nur solche Sachverhalte zu berücksichtigen, die sich auf die voraussichtliche Gläubigerbefriedigung (Quote) auswirken.33) Klarheit, d. h. die in der Vermögensübersicht enthaltenen Positionen sind so zu ordnen, dass ein Dritter das Zahlenmaterial nachprüfen kann. Der Grundsatz der Klarheit bezieht sich somit auf die Qualität der äußeren Gestaltung, d. h. die Form der Aufzeichnungen der in der Vermögensübersicht enthaltenen Positionen.34) Neutrale Wertermittlung, d. h. die in der Vermögensübersicht enthaltenen Positionen sind von einer neutralen Bezugsbasis aus zu bewerten.35) Somit ist weder die günstigste noch ungünstige Verwertungsalternative zu unterstellen.36)

46

47

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50

51

Stichtagsprinzip, d. h. die Vermögensübersicht ist nach § 153 Abs. 1 Satz 1 InsO auf den 52 Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufzustellen, wobei wertaufhellende und wertbegründende Tatsachen zu berücksichtigen sind.37) ___________ 29) Vgl. Jaffé in: MünchKomm-InsO, § 153 Rz. 1. 30) Vgl. IDW, Insolvenzspezifische Rechnungslegung im Insolvenzverfahren (IDW RH HFA 1.011), Stand: 13.6.2008, Rz. 19, WPg Supplement 3/2008, S. 49 ff. 31) In Anlehnung an Pelka/Niemann, Praxis der Rechnungslegung, Rz. 473 ff.; Jaffé in: MünchKommInsO, § 153 Rz. 2 ff. 32) Vgl. Pelka/Niemann, Praxis der Rechnungslegung, Rz. 474. 33) Vgl. Jaffé in: MünchKomm-InsO, § 153 Rz. 5. 34) Zwei besondere Ausprägungen des Grundsatzes der Klarheit sind das grundsätzliche Saldierungsverbot i. S. des § 246 Abs. 2 Satz 1 HGB und der gesonderte Ausweis von Drittrechten auf der Aktivseite der Vermögensübersicht, vgl. Jaffé in: MünchKomm-InsO, § 153 Rz. 6. 35) Vgl. Pelka/Niemann, Praxis der Rechnungslegung, Rz. 479. 36) Vgl. Jaffé in: MünchKomm-InsO, § 153 Rz. 4. 37) Vgl. Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 153 Rz. 2.

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1.1.4 Rechenwerke der Vermögensübersicht 53 Die Vermögensübersicht wird aus dem Verzeichnis der Massegegenstände (§ 151 InsO) und dem Gläubigerverzeichnis (§ 152 InsO) abgeleitet, wobei auf die Darstellung von Einzelpositionen und Mengenangaben regelmäßig verzichtet wird. Insofern handelt es sich bei der Vermögensübersicht um ein dreiteiliges Rechenwerk. Vermögensübersicht Vermögen

Verbindlichkeiten

Verzeichnis der Massegegenstände (§ 151 InsO)

1.1.4.1

Gläubigerverzeichnis (§ 152 InsO)

Verzeichnis der Massegegenstände (§ 151 InsO)

1.1.4.1.1 Begriff 54 Nach § 151 Abs. 1 InsO hat der Insolvenzverwalter zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Verzeichnis der einzelnen Gegenstände der Insolvenzmasse aufzustellen.38) Bei der Eigenverwaltung ist das Verzeichnis der Massegegenstände nach § 281 Abs. 1 InsO durch den Schuldner aufzustellen. Mit dem Verzeichnis der Massegegenstände werden sämtliche zur Insolvenzmasse gehörenden Gegenstände erfasst, so dass es sich um eine Einzelaufstellung der durch den Insolvenzverwalter nach § 148 Abs. 1 InsO in Besitz und Verwaltung genommenen Gegenstände handelt. 1.1.4.1.2 Inventur 55 Die in das Verzeichnis der Massegegenstände aufzunehmenden Gegenstände sind grundsätzlich durch eine körperliche Bestandsaufnahme i. S. der §§ 240 ff. HGB durch Messen, Zählen oder Wiegen zu erfassen und aufzuzeichnen.39) Dabei sind die handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Inventur unter Berücksichtigung der insolvenzspezifischen Besonderheiten zu beachten:40) 

Klarheit, Nachprüfbarkeit und Dokumentation,



Vollständigkeit,



Wahrheit, Richtigkeit und Willkürfreiheit sowie



Einzelerfassung der Bestände.

56 Bei der Durchführung der Inventur können die handelsrechtlichen Inventurvereinfachungsverfahren i. S. des § 241 HGB (Stichprobenverfahren, permanente Inventur, vor- bzw. nach___________ 38) Der Zeitpunkt der Aufstellung des Verzeichnisses der Massegegenstände ergibt sich nicht aus der Vorschrift des § 151 InsO. Aufgrund der Funktion des Verzeichnisses als Teil-Rechenwerk der Vermögensübersicht ist vielmehr auf den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens abzustellen, vgl. Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 151 Rz. 2; Wegener in: Wimmer, FK-InsO, § 151 Rz. 13. 39) Vgl. Wegener in: Wimmer, FK-InsO, § 151 Rz. 10; Jaffé in: MünchKomm-InsO, § 151 Rz. 2. 40) Vgl. Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 151 Rz. 1 – mit Verweis auf IDW, Bestandsaufnahme im Insolvenzverfahren (IDW RH HFA 1.010), Stand: 13.6.2008, Rz. 7 m. w. N., WPg Supplement 3/2008, S. 37 ff.

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verlagerte Stichtagsinventur) grundsätzlich angewendet werden.41) Die Anwendung solcher Vereinfachungsverfahren sollte aber nur in Ausnahmefällen erfolgen.42) Es ist nicht zu beanstanden, wenn i. R. der Durchführung der körperlichen Bestandsaufnahme 57 Unterlagen des handelsrechtlichen Jahresabschlusses (z. B. Inventarlisten) als Orientierungshilfe verwendet werden.43) Hierbei ist jedoch zu beachten, dass derartige Unterlagen nicht ungeprüft verwendet werden dürfen.44) Sofern einzelne Massegegenstände nicht durch körperliche Bestandsaufnahme aufgenommen 58 werden können (z. B. Patente, Forderungen etc.), erfolgt die Bestandsaufnahme durch Urkunden, Verträge oder Saldenbestätigungen.45) In das Verzeichnis der Massegegenstände sind sämtliche zur Insolvenzmasse gehörende Ge- 59 genstände aufzunehmen. Hierzu gehören auch Gegenstände, an denen Absonderungsrechte bestehen. Insolvenzspezifische Rechte (z. B. Anfechtungsansprüche nach §§ 129 ff. InsO), die erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet werden, sind ebenfalls in das Verzeichnis der Massegegenstände aufzunehmen.46) Gegenstände, an denen Aussonderungsrechte bestehen, sind grundsätzlich nicht in das Verzeichnis der Massegegenstände aufzunehmen.47) 1.1.4.1.3 Bewertung Nach § 151 Abs. 2 InsO ist für jeden Gegenstand der Insolvenzmasse grundsätzlich der 60 Fortführungs- und Liquidationswert48) anzugeben. Mit den alternativen Wertangaben soll die Vorteilhaftigkeit der Fortführung bzw. der Liquidation des Unternehmens dokumentiert werden.49) Auf die Angabe des Fortführungswerts kann ausnahmsweise verzichtet werden, wenn eine Unternehmensfortführung aus objektiven Gründen nicht in Betracht kommt.50) Der Fortführungswert eines Gegenstands entspricht dem i. R. einer Gesamtveräußerung 61 voraussichtlich auf den einzelnen Gegenstand entfallenden Anteil des erzielbaren Gesamtkaufpreises des Unternehmens, wobei stille Reserven grundsätzlich zu berücksichtigen sind.51) Sofern Kaufpreisangebote nicht vorliegen, ist der Unternehmenswert52) anzusetzen. Der Liquidationswert eines Gegenstands entspricht dem i. R. einer Einzelveräußerung vo- 62 raussichtlich erzielbaren Verwertungserlös abzüglich noch zu erwartender Aufwendungen ___________ 41) Vgl. Jaffé in: MünchKomm-InsO, § 151 Rz. 3; Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 151 Rz. 4; Wegener in: Wimmer, FK-InsO, § 151 Rz. 12. 42) Vgl. IDW, Bestandsaufnahme im Insolvenzverfahren (IDW RH HFA 1.010), Stand: 13.6.2008, Rz. 27 f., WPg Supplement 3/2008, S. 37 ff. 43) Vgl. Wegener in: Wimmer, FK-InsO, § 151 Rz. 7. 44) Vgl. IDW, Bestandsaufnahme im Insolvenzverfahren (IDW RH HFA 1.010), Stand: 13.6.2008, Rz. 11, WPg Supplement 3/2008, S. 37 ff. 45) Vgl. IDW, Bestandsaufnahme im Insolvenzverfahren (IDW RH HFA 1.010), Stand: 13.6.2008, Rz. 8, WPg Supplement 3/2008, S. 37 ff. 46) Vgl. Jaffé in: MünchKomm-InsO, 151 Rz. 7; Wegener in: Wimmer, FK-InsO, § 151 Rz. 8. 47) Sofern Gegenstände unter Eigentumsvorbehalt erworben wurden und der Insolvenzverwalter die Erfüllung nach § 107 Abs. 2 InsO noch nicht abgelehnt hat, sollten die Gegenstände in das Verzeichnis der Massegegenstände aufgenommen werden, da noch nicht feststeht, ob ein Aussonderungsrecht besteht, vgl. Jaffé in: MünchKomm-InsO, § 151 Rz. 6. 48) In der Literatur werden u. a. auch die Begriffe „Zerschlagungswert“ oder „Realisationswert“ verwendet. 49) Vgl. Pelka/Niemann, Praxis der Rechnungslegung, Rz. 519; Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 151 Rz. 6 ff. 50) Vgl. IDW, Bestandsaufnahme im Insolvenzverfahren (IDW RH HFA 1.010), Stand: 13.6.2008, Rz. 32, WPg Supplement 3/2008, S. 37 ff. 51) Vgl. IDW, Bestandsaufnahme im Insolvenzverfahren (IDW RH HFA 1.010), Stand: 13.6.2008, Rz. 37, WPg Supplement 3/2008, S. 37 ff. 52) Zu den Verfahren der Unternehmensbewertung vgl. vertiefend IDW Standard, Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1 i. d. F. 2008), Stand: 4.7.2016, WPg Supplement 3/2008, S. 68 ff., IDW Life 8/2016, S. 731 ff.

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für die Veräußerung.53) Dabei ist der zu bewertende Gegenstand anhand seiner Art, technischen Qualität, wirtschaftlichen und rechtlichen Beschaffenheit sowie der vorhandenen Menge zu beurteilen und unter Berücksichtigung der Verwertungsstrategie des Insolvenzverwalters und den Besonderheiten des Insolvenzverfahrens zu bewerten.54) 63 Die Bewertung der Gegenstände der Insolvenzmasse führt in der Praxis häufig zu erheblichen Problemen.55) Neben zahlreichen Einzelfragen der Wertermittlung56) besteht bei der Ermittlung der Fortführungswerte insbesondere die Schwierigkeit der Aufteilung eines Unternehmenswerts auf die einzelnen zu bewertenden Gegenstände.57) In der Literatur werden in diesem Zusammenhang zahlreiche Bewertungsansätze diskutiert, die in der Praxis regelmäßig keine Anwendung finden. Dies führt dazu, dass in der Praxis die Bewertung häufig i. R. von Schätzungen durchgeführt wird.58) 1.1.4.1.4 Form 64 Für das Verzeichnis der Massegegenstände enthält das Gesetz keine gesonderten Gliederungsvorschriften, sondern lediglich den Hinweis auf die Angabe von Fortführungs- und Liquidationswerten. Für die vertikale Gliederung hat sich in der Praxis die Verwendung des Bilanzgliederungsschemas nach § 266 HGB bewährt, da dieses grundsätzlich der Gliederung der Aktivseite als Vermögensübersicht entspricht.59) Bei der horizontalen Gliederung sind die Fortführungs- und Liquidationswerte sowie informativ die Buchwerte aufzuführen. Beispiel Buchwert (informativ)

Fortführungswert

Liquidationswert







Anmerkungen

A. Anlagevermögen I. Immat. Vermögensgegenstände 1. Selbst geschaffene Schutzrechte etc. …







vgl. Anlage 1









vgl. Anlage 2















vgl. Anlage 3









vgl. Anlage 4













2. Entgeltlich erworbene Schutzrechte etc.



… …

___________ 53) Vgl. Deubert/Meyer in: Deubert/Förschle/Störk, Sonderbilanzen, Kap. P, Rz. 100; a. A. IDW, Bestandsaufnahme im Insolvenzverfahren (IDW RH HFA 1.010), Stand: 13.6.2008, Rz. 34, WPg Supplement 3/2008, S. 37 ff., wonach die Kosten der Verwertung unter den Masseverbindlichkeiten zu erfassen sind. 54) Vgl. Pelka/Niemann, Praxis der Rechnungslegung, Rz. 495 ff. 55) Vgl. Haffa in: Braun, InsO, § 151 Rz. 10; Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 151 Rz. 6. 56) Zu Einzelfragen der Wertermittlung vgl. u. a. Deubert/Meyer in: Deubert/Förschle/Störk, Sonderbilanzen, Kap. P, Rz. 110 ff.; IDW, Bestandsaufnahme im Insolvenzverfahren (IDW RH HFA 1.010), Stand: 13.6.2008, Rz. 39 ff., WPg Supplement 3/2008, S. 37 ff. 57) Vgl. Heni, WPg 1990, 93, 96. 58) Die Bewertung des beweglichen Anlagevermögens wird in der Praxis regelmäßig durch einen öffentlich bestellten Sachverständigen durchgeführt. Andres in: Nerlich/Römermann, InsO, § 151 Rz. 24 schlägt vor, die Ermittlung der Fortführungswerte auf einen Wirtschaftsprüfer zu übertragen. 59) Vgl. Jaffé in: MünchKomm-InsO, § 151 Rz. 8.

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Die für das Verzeichnis der Massegegenstände verwendeten Unterlagen (z. B. Aufnahme- 65 belege, Saldenlisten, Bestätigungen Dritter etc.) sowie ergänzende Erläuterungen sollten zur Dokumentation gesondert aufbewahrt werden. 1.1.4.2

Gläubigerverzeichnis (§ 152 InsO)

1.1.4.2.1 Begriff Nach § 152 Abs. 1 InsO hat der Insolvenzverwalter zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insol- 66 venzverfahrens ein Verzeichnis aller Gläubiger des Schuldners (Gläubigerverzeichnis) aufzustellen, die ihm aus den Büchern und Geschäftspapieren des Schuldners, durch sonstige Angaben des Schuldners, durch die Anmeldung ihrer Forderungen oder auf andere Weise bekannt geworden sind. Bei der Eigenverwaltung ist das Gläubigerverzeichnis nach § 281 Abs. 1 InsO durch den Schuldner aufzustellen. Das Gläubigerverzeichnis unterscheidet sich von dem als Anlage zum Insolvenzplan beige- 67 fügten Verzeichnis der Gläubiger dadurch, dass in das Gläubigerverzeichnis sämtliche bekannten Gläubiger mit ihren Forderungen aufzunehmen sind, in das Verzeichnis der Gläubiger hingegen nur Gläubiger, die eine Forderung zur Insolvenztabelle angemeldet haben und demnach an der Verteilung teilnehmen.60) 1.1.4.2.2 Inhalt In dem Gläubigerverzeichnis sind für jeden Gläubiger unter Angabe der ladungsfähigen An- 68 schrift der Grund und die Höhe der Forderung nach den folgenden vier Kategorien aufzunehmen:61) 

Massegläubiger,



absonderungsberechtigte Gläubiger,



nicht nachrangige Insolvenzgläubiger sowie



nachrangige Insolvenzgläubiger.

Mit der Aufnahme der Massegläubiger in das Gläubigerverzeichnis wird das Stichtagsprinzip 69 durchbrochen, da künftige Aufwendungen zum Zwecke der Quotenschätzung antizipiert werden.62) Es handelt sich um Verfahrenskosten nach § 54 InsO und sonstige Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO. Für absonderungsberechtigte Gläubiger (§§ 49 ff. InsO) sind nach § 152 Abs. 2 Satz 3 70 InsO zusätzlich der Gegenstand, an dem das Absonderungsrecht besteht, und die Höhe des mutmaßlichen Ausfalls (§ 52 InsO) zu bezeichnen, wobei bei der Bewertung Fortführungsund Liquidationswerte zu berücksichtigen sind. Aussonderungsberechtigte Gläubiger (§ 47 InsO) sind grundsätzlich nicht in das Gläubigerverzeichnis aufzunehmen.63) Die Aufnahme in das Gläubigerverzeichnis sollte aber im Einzelfall davon abhängig gemacht werden, ob der aussonderungsberechtigte Gegenstand in das Verzeichnis der Massegegenstände aufgenommen wurde.64) ___________ 60) Vgl. Jaffé in: MünchKomm-InsO, § 152 Rz. 3; Wegener in: Wimmer, FK-InsO, § 152 Rz. 7. 61) Vgl. Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 152 Rz. 4. 62) IDW, Bestandsaufnahme im Insolvenzverfahren (IDW RH HFA 1.010), Stand: 13.6.2008, Rz. 71, WPg Supplement 3/2008, S. 37 ff. 63) Vgl. Wipperfürth in: KPB, InsO, § 152 Rz. 13. 64) Sofern Gegenstände unter Eigentumsvorbehalt erworben wurden und der Insolvenzverwalter die Erfüllung nach § 107 Abs. 2 InsO noch nicht abgelehnt hat, sollten die Gegenstände in das Verzeichnis der Massegegenstände und der aussonderungsberechtigte Gläubiger in das Gläubigerverzeichnis aufgenommen werden, vgl. Jaffé in: MünchKomm-InsO, § 152 Rz. 6.

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71 Aus Gründen der Transparenz sollten aufrechnungsberechtigte Gläubiger im Gläubigerverzeichnis aufgenommen und die Aufrechnungsmöglichkeit gesondert dargestellt werden.65) 1.1.4.2.3 Bewertung 72 Hinsichtlich der Bewertung der Verbindlichkeiten im Gläubigerverzeichnis verweist § 152 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 3 InsO auf § 151 Abs. 2 Satz 2 InsO. Danach sind die in das Gläubigerverzeichnis aufzunehmenden Positionen zu Fortführungs- und Liquidationswerten zu bewerten (zu weiteren Einzelheiten siehe Rz. 60 ff.). Die Verbindlichkeiten sind unabhängig von einer Fortführung oder Zerschlagung mit dem Rückzahlungsbetrag anzusetzen. Folglich können sich unterschiedliche Bewertungsalternativen aus der Bewertung der Absonderungsrechte ergeben.66) Darüber hinaus wirken sich die unterschiedlichen Bewertungsalternativen auf die Höhe der Masseverbindlichkeiten aus. 1.1.4.2.4 Form 73 Für das Gläubigerverzeichnis enthält das Gesetz keine gesonderten Gliederungsvorschriften, sondern lediglich den Hinweis auf die aufzunehmenden Gläubiger sowie die Angabe von Fortführungs- und Liquidationswerten.67) Für die vertikale Gliederung hat sich in der Praxis eine Differenzierung nach den aufzunehmenden Gläubigern (Massegläubiger, absonderungsberechtigte Gläubiger, nicht nachrangige Insolvenzgläubiger und nachrangige Insolvenzgläubiger) bewährt.68) Bei der horizontalen Gliederung sind Name und Anschrift, Forderungsgrund, Betrag der Forderung sowie Drittrechte aufzuführen. Bei der Darstellung der Drittrechte sind alternativ Fortführung- und Liquidationswerte anzugeben. Beispiel Drittrechte Name, ForderungsBetrag Absonde- Aufrech- Anmerkungen Anschrift grund rung nung € A.





Massegläubiger I.

Kosten des Insolvenzverfahrens 1. Kosten nach § 54 Nr. 1 InsO











vgl. Anlage 1

2. Kosten nach § 54 Nr. 2 InsO











vgl. Anlage 2







II. Sonstige Masseverbindlichkeiten 1. Verbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO











vgl. Anlage 3

2. Verbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO











vgl. Anlage 4

3. Verbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO













4. Verbindlichkeiten nach § 55 Abs. 2 InsO













5. Verbindlichkeiten nach § 55 Abs. 3 InsO













6. Verbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO



















___________ 65) Vgl. Jaffé in: MünchKomm-InsO, § 152 Rz. 20. 66) Vgl. Wegener in: Wimmer, FK-InsO, § 152 Rz. 14. 67) Zum Aufbau eines Gläubigerverzeichnisses vgl. auch I IDW, Bestandsaufnahme im Insolvenzverfahren (IDW RH HFA 1.010), Stand: 13.6.2008, Rz. 57 ff., WPg Supplement 3/2008, S. 37 ff.; Heyn, Arbeitshilfen für Insolvenzsachbearbeiter, S. 229 ff., 947 ff. 68) Vgl. Jaffé in: MünchKomm-InsO, § 152 Rz. 21.

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Drittrechte Name, ForderungsBetrag Absonde- Aufrech- Anmerkungen Anschrift grund rung nung B.

C.

Insolvenzgläubiger



1.

Absonderungsberechtigte Gläubiger





2.

Aufrechnungsberechtigte Gläubiger





3.

Nicht nachrangige Insolvenzgläubiger





… …



… …









Nachrangige Insolvenzgläubiger



1.

Forderungen nach § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO











2.

Forderungen nach § 39 Abs. 1 Nr. 2 InsO











3.

Forderungen nach § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO











4.

Forderungen nach § 39 Abs. 1 Nr. 4 InsO











5.

Forderungen nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO











6.

Forderungen nach § 39 Abs. 2 InsO















Die für das Gläubigerverzeichnis verwendeten Unterlagen (z. B. Saldenlisten, Bestätigun- 74 gen Dritter etc.) sowie ergänzende Erläuterungen sollten zur Dokumentation gesondert aufbewahrt werden. 1.1.5 Mustervorlage In der Literatur wurde vereinzelt die Auffassung vertreten, dass Fortführungs- und Liquida- 75 tionswerte in der Vermögensübersicht dargestellt werden sollten. Zum Zwecke einer übersichtlichen Darstellung hat sich in der Praxis jedoch bewährt, die Vermögensübersicht alternativ mit Fortführungs- und Liquidationswerten in jeweils gesonderter Form zu erstellen.69) (Beispiel für eine Vermögensübersicht siehe unten Rendels/Zabel, HRI II, § 45 Musterplan, Anlage 2.1.2) 1.2

Handelsbilanz (§ 155 Abs. 2 Satz 1 InsO)

1.2.1 Neues Geschäftsjahr Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beginnt nach § 155 Abs. 2 Satz 1 InsO ein neues 76 Geschäftsjahr.70) Nach § 240 Abs. 2 Satz 2 InsO umfasst das neue Geschäftsjahr beginnend mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens höchstens zwölf Monate, es kann aber wie in der Praxis allgemein üblich auch zu einem weiteren Rumpfgeschäftsjahr verkürzt werden, um wieder zum gewöhnlichen Geschäftsjahresrhythmus zurückzukehren.71)

___________ 69) Vgl. Wipperfürth in: KPB, InsO, § 153 Rz. 14. 70) Die Vorschrift des § 155 Abs. 1 Satz 1 InsO gilt nur für schuldnerische Unternehmen, die bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur handelsrechtlichen Buchführung verpflichtet waren, vgl. IDW, Externe (handelsrechtliche) Rechnungslegung im Insolvenzverfahren (IDW RH HFA 1.012), Stand: 6.12.2018, Rz. 6, IDW Life 1/2019, S. 74 ff. 71) Vgl. IDW, Externe (handelsrechtliche) Rechnungslegung im Insolvenzverfahren (IDW RH HFA 1.012), Stand: 6.12.2018, Rz. 9, IDW Life 1/2019, S. 74 ff.; bei Kapitalgesellschaften ist eine Anmeldung zur Eintragung in das Handelsregister oder innerhalb von zwölf Monaten ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine sonstige Mitteilung an das Registergericht erforderlich (vgl. BGH v. 14.10.2014 – II ZB 20/13, Rz. 13, 22 f., DStR 2015, 178 = ZIP 2015, 88, dazu EWiR 2015, 223 (Wachter); BGH v. 21.2.2017 – II ZB 16/15, ZIP 2017, 732, dazu EWiR 2017, 341 (Nordholtz/Kubik)).

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2. Teil Insolvenzplan – Inhalt

1.2.2 Schlussbilanz 77 Da mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein neues Geschäftsjahr beginnt, ist nach § 242 Abs. 1 Satz 1 HGB auf den Tag vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens72) eine Schlussbilanz und nach § 242 Abs. 2 HGB eine Gewinn- und Verlustrechnung aufzustellen.73) Die Schlussbilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung bilden den (Rumpfgeschäftsjahres-)Abschluss nach § 242 Abs. 3 HGB. Dieser Zwischenabschluss umfasst folglich den Zeitraum zwischen dem Schluss des letzten regulären Geschäftsjahres und dem Tag vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens.74) 78 Nach § 264 Abs. 1 Satz 1 HGB ist für Kapitalgesellschaften und Personenhandelsgesellschaften i. S. des § 264a HGB dieser Zwischenabschluss um einen Anhang (§§ 284 ff. HGB) zu erweitern. Zudem haben mittelgroße und große Kapitalgesellschaften und Personenhandelsgesellschaften i. S. des § 264a HGB einen Lagebericht (§§ 289 f. HGB) aufzustellen.75) 79 Sofern das Unternehmen i. R. eines Insolvenzplanverfahrens saniert wird, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Unternehmen über den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortgeführt wird. Vor diesem Hintergrund ist die Schlussbilanz nach den allgemeinen (handelsrechtlichen) Bilanzierungsvorschriften des HGB aufzustellen,76) wobei i. R. der Bewertung von der Going-Concern-Prämisse nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB auszugehen ist.77) Grundlage für die Anwendung der Going-Concern-Prämisse ist jedoch das für den Insolvenzplan verfolgte Unternehmenskonzept,78) aus dem sich die Fortführung der Unternehmenstätigkeit ergibt. 80 Es ist darauf hinzuweisen, dass insolvenzspezifische Ansprüche (z. B. Anfechtungsansprüche nach §§ 129 ff. InsO) und Verpflichtungen (z. B. Vergütung des Insolvenzverwalters nach § 63 InsO) bei der Aufstellung der Schlussbilanz nicht zu erfassen sind. 81 Die Verpflichtung zur Aufstellung der handelsrechtlichen Schlussbilanz auf den Tag vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens obliegt grundsätzlich dem Insolvenzverwalter.79) Bei der Eigenverwaltung ist die Schlussbilanz nach § 281 Abs. 3 InsO durch den Schuldner aufzustellen.

___________ 72) Vgl. IDW, Externe (handelsrechtliche) Rechnungslegung im Insolvenzverfahren (IDW RH HFA 1.012), Stand: 6.12.2018, Rz. 12, IDW Life 1/2019, S. 74 ff. Nach Kübler in: KPB, InsO, § 155 Rz. 44 i. V. m. Rz. 27 ist die Schlussbilanz auf den Zeitpunkt (Datum und Uhrzeit) der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufzustellen. 73) Vgl. Kübler in: KPB, InsO, § 155 Rz. 44. 74) Vgl. IDW, Externe (handelsrechtliche) Rechnungslegung im Insolvenzverfahren (IDW RH HFA 1.012), Stand: 6.12.2018, Rz. 12, IDW Life 1/2019, S. 74 ff. 75) Die Verpflichtung zur Aufstellung der Schlussbilanz sowie für alle weiteren noch nicht aufgestellten Jahresabschlüsse und ggf. Lageberichte bzw. Konzernabschlüsse und -lageberichte liegt beim Insolvenzverwalter, vgl. IDW, Externe (handelsrechtliche) Rechnungslegung im Insolvenzverfahren (IDW RH HFA 1.012), Stand: 6.12.2018, Rz. 14, IDW Life 1/2019, S. 74 ff. 76) Vgl. Jaffé in: MünchKomm-InsO, § 155 Rz. 6, der darauf hinweist, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 155 Abs. 1 Satz 1 InsO keine Auswirkungen auf die Schlussbilanz hat, sondern allenfalls nur eine Betriebseinstellung. 77) Zur Beurteilung der Going-Concern-Prämisse vgl. IDW, Die Beurteilung der Fortführung der Unternehmenstätigkeit i. R. der Abschlussprüfung (IDW PS 270 n. F.), Stand: 11.7.2018, IDW Life 8/2018, S. 752 ff. Zu den handelsrechtlichen Folgen einer Abkehr von der Going-Concern-Prämisse vgl. IDW Stellungnahme zur Rechnungslegung: Auswirkungen einer Abkehr von der Going-Concern-Prämisse auf den handelsrechtlichen Jahresabschluss (IDW RS HFA 17), Stand: 11.7.2018, IDW Life 8/2018, S. 777 ff.; Zabel in: FS Kübler, 2015, S. 825. 78) Vgl. IDW, Externe (handelsrechtliche) Rechnungslegung im Insolvenzverfahren (IDW RH HFA 1.012), Stand: 6.12.2018, Rz. 15, IDW Life 1/2019, S. 74 ff. 79) Vgl. Haffa in: Braun, InsO, § 155 Rz. 4; Kübler in: KPB, InsO, § 155 Rz. 45.

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§ 23

Plananlagen

Im Rahmen eines Insolvenzplans sollte der vollständige (Rumpfgeschäftsjahres-)Abschluss 82 nach § 242 Abs. 3 HGB als gesonderte Anlage beigefügt werden. 1.2.3 Eröffnungsbilanz In der Literatur wird bisweilen kontrovers diskutiert, ob mit dem durch § 155 Abs. 2 Satz 1 83 InsO angeordneten Beginn eines neuen Geschäftsjahres eine handelsrechtliche Eröffnungsbilanz aufzustellen ist. Nach § 242 Abs. 1 Satz 1 HGB ist die Aufstellung einer Eröffnungsbilanz nur für den Beginn eines Handelsgewerbes vorgeschrieben, d. h. zum Beginn der Geschäftstätigkeit,80) nicht jedoch für den Beginn eines neuen Geschäftsjahres.81) Die gesonderte Aufstellung einer Eröffnungsbilanz kann auch nicht unmittelbar aus § 155 Abs. 2 Satz 2 InsO abgeleitet werden, weil dort die Aufstellung des Jahresabschlusses geregelt ist.82) Eine Aufstellungspflicht kann sich allenfalls aus einer analogen Anwendung der Vorschriften zur Liquidationsrechnungslegung ergeben,83) von der bei einem Insolvenzplan aber grundsätzlich nicht auszugehen ist. Im Übrigen ist nach § 252 Abs. 1 Nr. 1 HGB (Grundsatz der formellen Bilanzkontinuität)84) im Fall der Unternehmensfortführung die Eröffnungsbilanz mit der Schlussbilanz identisch.85) Hiervon abweichend wird vom IDW und teilweise in der Literatur86) die Auffassung ver- 84 treten, dass der Insolvenzverwalter auf den Tag der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine handelsrechtliche Eröffnungsbilanz mit einem erläuternden Bericht auf der Grundlage einer umfassenden Stichtagsinventur aufzustellen hat.87) In diesem Zusammenhang sind insolvenzspezifische Ansprüche (z. B. Anfechtungsansprüche nach §§ 129 ff. InsO) und Verpflichtungen (z. B. Vergütung des Insolvenzverwalters nach § 63 InsO) bei der Aufstellung der Eröffnungsbilanz zu erfassen. Der Grundsatz der formellen Bilanzkontinuität nach § 252 Abs. 1 Nr. 1 HGB wird damit durchbrochen. 1.2.4 Exkurs: Schlussbilanz bei Aufhebung Sofern das Insolvenzverfahren aufgrund eines bestätigten Insolvenzplans nach § 200 InsO 85 aufgehoben wird, ist nach § 242 Abs. 1 Satz 1 HGB auf den Tag der Aufhebung des Insolvenzverfahrens88) eine Schlussbilanz und nach § 242 Abs. 2 HGB eine Gewinn- und ___________ 80) 81) 82) 83)

84)

85) 86) 87) 88)

Vgl. Störk/Philipps in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 242 Rz. 3. Vgl. Jaffé in: MünchKomm-InsO, § 155 Rz. 8. Vgl. Jaffé in: MünchKomm-InsO, § 155 Rz. 8. Vgl. Jaffé in: MünchKomm-InsO, § 155 Rz. 8. Nach der Begr. RegE des § 155 InsO hat der Insolvenzverwalter in entsprechender Anwendung der Regelungen für die gesellschaftliche Liquidation von § 154 HGB, § 270 Abs. 1 AktG und § 71 Abs. 1 GmbHG auf den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Eröffnungsbilanz aufzustellen, vgl. Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, S. 377. Der Grundsatz der formellen Bilanzkontinuität verlangt die Übereinstimmung der Wertansätze der Eröffnungsbilanz mit den Wertansätzen in der Schlussbilanz des vorhergehenden Geschäftsjahres, vgl. Störk/Büssow in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 252 Rz. 3. Im Ergebnis ebenso IDW Standard, Anforderungen an Insolvenzpläne (IDW S 2), Stand: 18.11.2019, Rz. 51, IDW Life 1/2020, S. 45 ff. Vgl. Jaffé in: MünchKomm-InsO, § 155 Rz. 8. Vgl. u. a. Kübler in: KPB, InsO, § 155 Rz. 42, der die entsprechende Anwendung von § 270 Abs. 1 AktG und § 71 Abs. 1 GmbHG (für die Liquidation) auch für die externe Rechnungslegung in der Insolvenz vertritt. Vgl. IDW, Externe (handelsrechtliche) Rechnungslegung im Insolvenzverfahren (IDW RH HFA 1.012), Stand: 6.12.2018, Rz. 17 ff., IDW Life 1/2019, S. 74 ff. Vgl. IDW, Externe (handelsrechtliche) Rechnungslegung im Insolvenzverfahren (IDW RH HFA 1.012), Stand: 6.12.2018, Rz. 26, IDW Life 1/2019, S. 74 ff; a. A. Kübler in: KPB, InsO, § 155 Rz. 50, der als Stichtag grundsätzlich den Zeitpunkt des Vollzugs der Schlussverteilung (§ 200 InsO) und der Verteilung der Masse (§ 209 InsO) vorschlägt. Bei Einstellung wegen Wegfalls des Eröffnungsgrundes oder bei Einstellung mit Zustimmung der Gläubiger wird als Stichtag der Zeitpunkt vorgeschlagen, an dem der Insolvenzverwalter die letzte unstreitige Masseverbindlichkeit berichtigt oder für eine streitige Masseverbindlichkeit Sicherheit geleistet hat.

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§ 23

2. Teil Insolvenzplan – Inhalt

Verlustrechnung aufzustellen.89) Dieser „Zwischenabschluss“ umfasst folglich den Zeitraum zwischen dem Schluss des letzten regulären Geschäftsjahres und dem Tag der Aufhebung des Insolvenzverfahrens. 86 Nach § 264 Abs. 1 Satz 1 HGB ist für Kapitalgesellschaften und Personenhandelsgesellschaften i. S. des § 264a HGB dieser Zwischenabschluss um einen Anhang (§§ 284 ff. HGB) zu erweitern. Zudem haben mittelgroße und große Kapitalgesellschaften und Personenhandelsgesellschaften i. S. des § 264a HGB einen Lagebericht (§§ 289 f. HGB) aufzustellen.90) 87 Die Verpflichtung zur Aufstellung der Schlussbilanz auf den Tag der Aufhebung des Insolvenzverfahrens obliegt grundsätzlich dem Insolvenzverwalter.91) Bei der Eigenverwaltung ist die Schlussbilanz nach § 281 Abs. 3 InsO durch den Schuldner aufzustellen. Sofern das Unternehmen nach Beendigung des Insolvenzverfahrens fortgeführt wird, sind die zuständigen Organe zur Aufstellung der Schlussbilanz verpflichtet.92) 1.2.5 Exkurs: Prüfung der handelsrechtlichen Abschlüsse 88 Nach § 316 Abs. 1 HGB sind der Jahresabschluss (bestehend aus Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung und Anhang) und der Lagebericht von mittelgroßen und großen Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften i. S. des § 264a HGB durch einen Abschlussprüfer zu prüfen. Das Gleiche gilt auch nach § 316 Abs. 2 HGB für den Konzernabschluss und den Konzernlagebericht. Die Prüfungspflicht besteht grundsätzlich auch während des Insolvenzverfahrens nach § 155 Abs. 1 Satz 1 InsO fort.93) 89 Bei analoger Anwendung der Vorschriften von § 270 Abs. 3 AktG, § 71 Abs. 3 GmbHG kann das Registergericht auf Antrag des Insolvenzverwalters die Gesellschaft von der Prüfungspflicht befreien, wenn die Verhältnisse so überschaubar sind, dass eine Prüfung im Interesse der Gläubiger nicht geboten ist.94) Hiervon ist in der Regel bei fortgeschrittener Verwertung der Insolvenzmasse und nach Einstellung des Geschäftsbetriebs auszugehen.95) Im Rahmen der Sanierung eines Unternehmens mit Hilfe eines Insolvenzplans dürfte eine Befreiung von der Prüfungspflicht grundsätzlich nicht in Betracht kommen.96) 90 Sofern sich eine Prüfungspflicht ergibt, sind die Schlussbilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung der werbenden Gesellschaft zusammen mit Anhang und Lagebericht, sämtliche Zwischen-Jahresabschlüsse einschließlich Anhang und Lagebericht sowie die Schlussbilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung einschließlich Anhang und Lagebericht zu prüfen.97) 91 Die Bestellung des Abschlussprüfers erfolgt nach § 318 Abs. 1 HGB grundsätzlich durch die Gesellschafter. Nach § 155 Abs. 3 Satz 1 InsO gilt für die Bestellung des Abschlussprüfers während des Insolvenzverfahrens § 318 HGB mit der Maßgabe, dass der Abschluss___________ 89) Vgl. Kübler in: KPB, InsO, § 155 Rz. 49. 90) Vgl. IDW, Externe (handelsrechtliche) Rechnungslegung im Insolvenzverfahren (IDW RH HFA 1.012), Stand: 6.12.2018, Rz. 26, IDW Life 1/2019, S. 74 ff. 91) Vgl. Boochs/Nickel in: Wimmer, FK-InsO, § 155 Rz. 238. 92) Vgl. IDW, Externe (handelsrechtliche) Rechnungslegung im Insolvenzverfahren (IDW RH HFA 1.012), Stand: 6.12.2018, Rz. 26, IDW Life 1/2019, S. 74 ff. 93) Vgl. u. a. Jaffé in: MünchKomm-InsO, § 155 Rz. 21; Kübler in: KPB, InsO, § 155 Rz. 63. Die Notwendigkeit einer Abschlussprüfung ergibt sich zudem aus § 155 Abs. 3 InsO. 94) Vgl. u. a. Jaffé in: MünchKomm-InsO, § 155 Rz. 21, der darauf hinweist, dass nur der Insolvenzverwalter von der Prüfungspflicht befreit werden kann, nicht jedoch der Schuldner. 95) Vgl. Kübler in: KPB, InsO, § 155 Rz. 64. 96) Im Ergebnis ebenso für die Unternehmensfortführung IDW, Externe (handelsrechtliche) Rechnungslegung im Insolvenzverfahren (IDW RH HFA 1.012), Stand: 6.12.2018, Rz. 44, IDW Life 1/2019, S. 74 ff. 97) Nach IDW, Externe (handelsrechtliche) Rechnungslegung im Insolvenzverfahren (IDW RH HFA 1.012), Stand: 6.12.2018, Rz. 40, IDW Life 1/2019, S. 74 ff., soll die Prüfungspflicht auch für die Eröffnungsbilanz und den erläuternden Bericht zur Eröffnungsbilanz gelten.

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§ 23

Plananlagen

prüfer auf Antrag des Insolvenzverwalters durch das Registergericht bestellt wird. Bei der Eigenverwaltung erfolgt die Bestellung des Abschlussprüfers grundsätzlich nach § 318 Abs. 1 HGB unverändert durch die Gesellschafter. Sofern für das Geschäftsjahr vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits ein Abschlussprüfer bestellt wurde, wird nach § 155 Abs. 3 Satz 2 InsO die Wirksamkeit dieser Bestellung durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht berührt. 2.

Plananlagen zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Insolvenzplans

2.1

Vorbemerkungen

Zwischen dem Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und dem Zeitpunkt des 92 Inkrafttretens eines Insolvenzplans liegen regelmäßig zahlreiche Monate, oftmals auch Jahre. Vor diesem Hintergrund ist den Gläubigern als Grundlage für die Abstimmung über einen Insolvenzplan ein aktuelles Bild von der wirtschaftlichen Lage des schuldnerischen Unternehmens zu vermitteln. Sofern das schuldnerische Unternehmen ganz oder in Teilen fortgeführt und die Gläubiger 93 aus zukünftigen Erträgen befriedigt werden sollen, sind dem Insolvenzplan nach § 229 InsO Planrechnungen beizufügen. Hierbei handelt es sich um eine integrierte Planrechnung, bestehend aus einer Vermögensübersicht (Plan-Bilanz), einem Ergebnisplan (Plan-Gewinnund Verlustrechnung) und einem Finanzplan (Plan-Liquiditätsplanung).98) Die Planrechnungen i. S. des § 229 InsO stellen ergänzende Unterlagen des darstellenden Teils des Insolvenzplans dar.99) 2.2

Zweck der Regelung

Mit den Planrechnungen sollen die Gläubiger und das Insolvenzgericht umfassend infor- 94 miert werden, um eine Beurteilung der Durchführbarkeit des Insolvenzplans und damit des Risikos der Gläubigerbefriedigung zu ermöglichen.100) Gleichzeitig soll mit Hilfe der Planrechnungen sichergestellt werden, dass die Gläubiger die Chancen und Risiken anhand einer Plausibilitätsbeurteilung einschätzen können.101) Die Notwendigkeit dieser Beurteilung entfällt, wenn das Unternehmen auf einen neuen Rechtsträger übertragen wird (übertragende Sanierung) und die Gläubiger aus dem Verwertungserlös abzüglich der Masseverbindlichkeiten bedient werden.102) Sofern mit dem Insolvenzplan die Sanierung und Fortführung eines Unternehmens er- 95 reicht werden soll, muss die Durchführbarkeit und Finanzierbarkeit durch nachvollziehbare betriebswirtschaftliche Daten auf der Grundlage der Annahmen des darstellenden Teils des Insolvenzplans belegt werden.103) Insofern handelt es sich bei den Planrechnungen um Planverprobungsrechnungen, da in zusammengefasster Form die zahlenmäßige Planung des Sanierungsablaufs abgebildet wird.104) ___________ Zu den verwendeten Begriffen Braun/Frank in: Braun, InsO, § 229 Rz. 1. Vgl. u. a. Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 229 Rz. 1.; Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 229 Rz. 1. Vgl. Eilenberger in: MünchKomm-InsO, § 229 Rz. 3. Vgl. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 229 Rz. 3. Vgl. Eilenberger in: MünchKomm-InsO, § 229 Rz. 4.; Spahlinger in: KPB, InsO, § 229 Rz. 2.; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 229 Rz. 1. In Einzelfällen kann es aber nach hier vertretener Auffassung sinnvoll sein, die wirtschaftlichen Auswirkungen der übertragenden Sanierung für die Gläubiger anhand von integrierten Planungsrechnungen darzustellen. 103) Vgl. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 229 Rz. 2. 104) Vgl. auch IDW Standard, Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten (IDW S 6), Stand: 16.5.2018, Rz. 72, IDW Life 8/2018, S. 813 ff. 98) 99) 100) 101) 102)

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2. Teil Insolvenzplan – Inhalt

96 Somit können die Gläubiger die in den Planrechnungen unterstellten Planungsprämissen insbesondere unter Berücksichtigung der im darstellenden Teil des Insolvenzplans enthaltenen vergangenheitsbezogenen finanz- und leistungswirtschaftlichen Daten des Unternehmens beurteilen.105) 97 Beispiele: (1) Die in dem Insolvenzplan der Mustermann GmbH enthaltene Planung der Gewinn- und Verlustrechnung enthält im Vergleich zum Geschäftsjahr vor der Einleitung des Insolvenzverfahrens um 25 % gestiegene Umsatzerlöse. Sofern im darstellenden Teil keine entsprechende Erläuterung hierzu enthalten ist, erscheint diese Planungsprämisse unplausibel.106) (2) Die in dem Insolvenzplan der Mustermann GmbH enthaltene Planung der Gewinn- und Verlustrechnung enthält eine im Vergleich zum Geschäftsjahr vor der Einleitung des Insolvenzverfahrens um 5 %-Punkte verbesserte Materialeinsatzquote.107) Sofern im darstellenden Teil keine entsprechende Erläuterung hierzu enthalten ist, erscheint diese Planungsprämisse unplausibel.108) 2.3

Integrierte Unternehmensplanung

2.3.1 Begriff 98 Im Rahmen der Unternehmensführung ist es üblich und auch erforderlich,109) eine Unternehmensplanung nach einem integrierten Modell, d. h. aus einer Plan-Gewinn- und Verlustrechnung, einer Plan-Bilanz und darauf aufbauend einer Plan-Kapitalflussrechnung zu erstellen.110) Der Ansatz einer integrierten Unternehmensplanung wird dabei in der betriebswirtschaftlichen Literatur und vom IDW insbesondere bei der Erstellung von Unternehmensbewertungen und Sanierungskonzepten gefordert: 99 Für die Unternehmensbewertung bildet die Unternehmensplanung auf der Basis einer eingehenden Analyse des Unternehmens und seiner Umwelt eine notwendige Voraussetzung. Das IDW betont dabei insbesondere, dass eine ordnungsgemäße Unternehmensbewertung aufeinander abgestimmte Plan-Bilanzen, Plan-Gewinn- und Verlustrechnung sowie Finanzplanungen (Kapitalflussrechnungen) voraussetzt.111) Hierzu wird in der Regel in einem ersten Schritt die Plan-Gewinn- und Verlustrechnung sowie die Plan-Bilanz aufgestellt und in einem zweiten Schritt daraus die Plan-Kapitalflussrechnung abgeleitet.112) Zwischen der Planung der Gewinn- und Verlustrechnung und der Bilanz bestehen Verknüpfungen, die erforderlich sind, um eine konsistente Cashflow- und Jahresabschlussplanung zu erstel___________ 105) Vgl. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 229 Rz. 4. 106) Eine plausible Erklärung könnte z. B. sein, dass es dem Unternehmen während der Insolvenz gelungen ist, einen Neukunden zu gewinnen, der bereits entsprechende Aufträge an das schuldnerische Unternehmen vergeben hat. 107) Die Materialeinsatzquote stellt vereinfacht das prozentuale Verhältnis der Materialaufwendungen bezogen auf die Gesamtleistung des Unternehmens dar. 108) Eine plausible Erklärung könnte z. B. sein, dass i. R. der Sanierung des Unternehmens ein defizitärer Produktbereich geschlossen wurde und sich dementsprechend die Materialeinsatzquote bezogen auf die verbleibenden Produktbereiche verbessert. 109) Nach Plagens/Brunow, DStR 2004, 102, 103, kann eine Unternehmensführung ohne eine integrierte Unternehmensplanung nur eingeschränkt erfolgreich sein. 110) Zu den Anforderungen an eine integrierte Unternehmensplanung wird nach Plagens/Brunow, DStR 2004, 102, 103, in der Literatur nur vereinzelt Stellung bezogen. In der Literatur finden sich neben der Finanzplanung vorwiegend diverse Planungsverfahren der Kostenrechnung. 111) Vgl. IDW Standard, Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1 i. d. F. 2008), Stand: 4.7.2016, Rz. 81, WPg Supplement 3/2008, S. 68 ff., IDW Life 8/2016, S. 731 ff. 112) Vgl. Ernst/Schneider/Thielen, Unternehmensbewertungen erstellen und verstehen, S. 17.

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len.113) Das Ergebnis dieser Verknüpfungen stellt eine integrierte und konsistente Unternehmensplanung dar.114) Die in der betriebswirtschaftlichen Literatur in diesem Zusammenhang dargestellten Beispiele gehen regelmäßig von einem integrierten Planungsansatz aus, in dem aus der Kapitalflussrechnung die zukünftige Liquiditätsentwicklung abgeleitet wird. Für die Erstellung von Sanierungskonzepten ist der sog. integrierte Sanierungsplan (Er- 100 gebnis-, Finanz- und Vermögensplan) unabdingbarer Bestandteil.115) Das IDW fordert dabei insbesondere, dass der im Sanierungskonzept verankerte Sanierungsplan integriert als Ergebnis-, Finanz- und Vermögensplan zu erstellen ist.116) Dabei ist, ausgehend von den betrieblichen Teilplänen (Absatzplanung, Investitionsplanung, Personalplanung usw.), eine Plan-Gewinn- und Verlustrechnung und darauf aufbauend ein Finanzplan und eine PlanBilanz zu entwickeln. 2.3.2 Vorgehensweise Eine integrierte Unternehmensplanung ist dadurch gekennzeichnet, dass auf der Basis eines 101 Unternehmenskonzepts (bzw. Sanierungskonzepts) ein wirtschaftlicher Zusammenhang und ein laufender Datenaustausch zwischen der Gewinn- und Verlustrechnung (leistungswirtschaftlicher Bereich) einerseits und der Bilanz sowie der Liquiditätsplanung in Form der Kapitalflussrechnung (finanzwirtschaftlicher Bereich) andererseits erfolgt.117) Integrierte Unternehmensplanung Absatzplanung

Produktionsplanung

Personalplanung

Investitionsplanung

...

Plan-Gewinn- und Verlustrechnung

Plan-Bilanz

Finanzplanung

___________ Vgl. Peemöller, Praxishdb. Unternehmensbewertung, S. 142 f. Vgl. IDW, WP-Handbuch 2014, Bd. II, Kap. A Rz. 240. Vgl. IDW, WP-Handbuch 2014, Bd. II, Kap. L Rz. 565. Vgl. IDW Standard, Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten (IDW S 6), Stand: 16.5.2018, Rz. 78, IDW Life 8/2018, S. 813 ff. 117) Zu der Differenzierung zwischen dem leistungs- und finanzwirtschaftlichen Bereich vgl. Plagens/Brunow, DStR 2004, 102, 107. 113) 114) 115) 116)

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102 Die integrierte Unternehmensplanung muss in ihrem Aufbau konsistent sein und bis zur plangemäß vorgesehenen Gläubigerbefriedigung durchgeführt werden, wobei die PlanGewinn- und Verlustrechnung (Ergebnisplan) und der aus den Plan-Bilanzen abgeleitete Finanzplan nach einem identischen phasenorientierten Zeitraster aufbereitet werden.118) 2.3.2.1

Gewinn- und Verlustrechnung

103 Nach § 229 Satz 2 InsO (Fall 1) ist im Insolvenzplan in Form einer Plan-Gewinn- und Verlustrechnung darzustellen, welche Aufwendungen und Erträge während der Laufzeit des Insolvenzplans zu erwarten sind.119) Als Laufzeit des Insolvenzplans gilt dabei der Zeitraum zwischen dem Wirksamwerden des Insolvenzplans bis zur Beendigung der Gläubigerbefriedigung.120) Die Plan-Gewinn- und Verlustrechnung ist als Prognoserechnung unter handelsrechtlichen Gesichtspunkten zu erstellen.121) Der Aufbau sollte dabei nach dem Gesamtkostenverfahren (§ 275 Abs. 2 HGB) oder dem Umsatzkostenverfahren (§ 275 Abs. 3 HGB) auf Monatsbasis erfolgen.122) Die Planung der Gewinn- und Verlustrechnung sollte grundsätzlich unter vorsichtigen und konservativen Gesichtspunkten erfolgen, um die Durchführbarkeit des Insolvenzplans sicherzustellen.123) 2.3.2.1.1 Schritt 1: Operative Planung der Gewinn- und Verlustrechnung 104 In einem ersten Schritt ist die Plan-Gewinn- und Verlustrechnung auf der Basis betrieblicher Teilplanungen (z. B. Absatz-, Produktions- und Personalplanung)124) ohne Berücksichtigung der Sondereffekte aus dem Insolvenzplan aufzustellen (operative Planung der Gewinn- und Verlustrechnung). Dabei werden in der Praxis die wesentlichen Einzelpositionen der Gewinn- und Verlustrechnung wie folgt geplant: 105 Die Umsatzerlöse werden anhand der von der Vertriebsabteilung prognostizierten Absatzplanung unter Berücksichtigung der Marktaussichten ermittelt.125) Dabei sind die prognostizierten Absatzmengen unter Berücksichtigung der zukünftigen Preisentwicklung zu bewerten. Die Absatz- und Umsatzplanung sollte nach Produktbereichen oder nach Kundenkategorien durchgeführt werden. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die zukünftigen Ist-Daten mit den prognostizierten Plan-Daten verglichen und etwaige Planabweichungen analysiert werden können. ___________ 118) Vgl. IDW Standard, Anforderungen an Insolvenzpläne (IDW S 2), Rz. 52, Stand: 18.11.2019, IDW Life 1/2020, S. 45 ff. 119) In der Literatur wird dieser Zeitraum auch als Sanierungszeitraum bezeichnet, vgl. Eilenberger in: MünchKomm-InsO, § 229 Rz. 11. 120) Vgl. Flöther/Wehner in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 229 InsO Rz. 6. 121) Vgl. u. a. Flöther/Wehner in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 229 InsO Rz. 6; Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 229 Rz. 4. 122) Vgl. Plagens/Brunow, DStR 2004, 151. Die Vergleichbarkeit mit den Werten aus der Zeit vor der Insolvenzeröffnung wird insbesondere dadurch gefördert, wenn die Plan-Gewinn- und Verlustrechnung auf der gleichen Grundlage aufbaut wie die Darstellung und Ermittlung der periodischen Unternehmensergebnisse aus der Zeit vor der Insolvenzeröffnung. 123) Sofern zu optimistische Planansätze verwendet werden, birgt dies die Gefahr, dass die Vorgaben des Insolvenzplans nicht erreicht werden und die vorgesehene Gläubigerbefriedigung nicht gewährleistet werden kann. 124) Vgl. Plagens/Brunow, DStR 2004, 102, 107. 125) Da in der Praxis häufig festzustellen ist, dass die Absatz- und Umsatzplanung optimistisch erstellt wird, sollten hier entsprechende Risikoabschläge berücksichtigt werden. Eilenberger in: MünchKomm-InsO, § 229 Rz. 12, weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Beauftragung eines Sachverständigen unumgänglich ist. Nach hier vertretener Auffassung dürften aber geeignete Plausibilitätsprüfungen ausreichen; ebenso Plagens/Brunow, DStR 2004, 151, 152.

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Plananlagen

Die sonstigen betrieblichen Erträge betreffen z. B. Mieterträge, Auflösung von Rückstel- 106 lungen oder Erträge aus dem Verkauf von Gegenständen des Anlagevermögens. Bei der Planung dieser Erträge sollte zwischen wiederkehrenden und einmaligen Erträgen unterschieden werden. Bei den Materialaufwendungen handelt es sich bezogen auf die Umsatzerlöse grundsätzlich 107 um variable Aufwendungen, so dass die prognostizierten Umsatzerlöse als Bezugsgröße für die Planung der Materialaufwendungen herangezogen werden sollten. Die zukünftige Materialeinsatzquote sollte sich dabei grundsätzlich an dem Verhältnis der Vorperioden orientieren.126) Die Personalaufwendungen werden regelmäßig anhand einer gesonderten Personalkosten- 108 planung ermittelt. Dabei sollte auf der Basis aktueller Lohn- und Gehaltsjournale eine mitarbeiterbezogene Personalbedarfsplanung erfolgen. In diesem Zusammenhang sind auch voraussichtliche Sonderzahlungen aus Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, Lohnund Gehaltsanpassungen (z. B. aufgrund von Tariferhöhungen) und zukünftige Veränderungen in der Personalstruktur zu berücksichtigen. Die Abschreibungen werden auf der Grundlage der in der Planung der Bilanz unterstellten 109 Prämissen für das Anlagevermögen berechnet. In diesem Zusammenhang werden üblicherweise Abschreibungssimulationen mit Hilfe der eingesetzten Anlagenbuchhaltungs-Software durchgeführt. Im Bereich der sonstigen betrieblichen Aufwendungen ist zwischen fixen und variablen 110 Aufwendungen zu unterscheiden. Während die fixen Aufwendungen anhand der Werte der Vergangenheit unter Berücksichtigung von Sanierungsmaßnahmen fortgeschrieben werden, sind die variablen Aufwendungen anhand geeigneter Bezugsgrößen zu planen (z. B. sollten Ausgangsfrachten anhand der voraussichtlichen Absatzmengen geplant werden). Die Zinserträge und Zinsaufwendungen werden anhand der in der Planung der Bilanz 111 prognostizierten Finanzmittelbestände, Inanspruchnahmen von Kontokorrentlinien und Darlehensbeträge anhand geschätzter bzw. vereinbarter Zinssätze berechnet. Auf der Grundlage der prognostizierten Jahresergebnisse werden die Steuern vom Ein- 112 kommen und Ertrag unter Berücksichtigung der aktuellen Steuergesetze berechnet, wobei steuerliche Verlustvorträge entsprechend zu berücksichtigen sind. 2.3.2.1.2 Schritt 2: Planung der Sondereffekte aus dem Insolvenzplan Auf der Grundlage der operativen Planung der Gewinn- und Verlustrechnung sind in einem 113 zweiten Schritt die ertragswirksamen Besonderheiten des Insolvenzplans zu berücksichtigen.127) Dazu gehören insbesondere die folgenden Sachverhalte: Die i. R. des Insolvenzplans umzusetzenden Maßnahmen zur Reduzierung der Aufwen- 114 dungen sind bei den jeweiligen Aufwandspositionen in Abzug zu bringen. Hierzu gehören z. B. die Berücksichtigung der ertragswirksamen Auswirkungen eines Sanierungstarifvertrags (z. B. Reduzierung von Weihnachts- oder Urlaubsgeld) oder die mit den Leasinggesellschaften vereinbarten Reduzierungen von Leasingaufwendungen. Die i. R. des Insolvenzplans beabsichtigten Gläubigerverzichte (Erlasse) sind unter Be- 115 rücksichtigung der Gläubigerverzeichnisse und des gestaltenden Teils des Insolvenzplans zu berechnen und unter der Position „sonstige betriebliche Erträge“ i. S. des § 275 Abs. 2 ___________ 126) Die Bestimmung der Materialeinsatzquote kann in der Praxis insbesondere bei unterschiedlichen Produktbereichen zu Problemen führen. 127) Vgl. Flöther/Wehner in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 229 InsO Rz. 6.

Zabel

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§ 23

2. Teil Insolvenzplan – Inhalt

Nr. 4 HGB (Gesamtkostenverfahren) bzw. § 275 Abs. 3 Nr. 6 HGB (Umsatzkostenverfahren) auszuweisen.128) 116 Für bestimmte Gläubigergruppen kann der gestaltende Teil des Insolvenzplans eine Besserungsklausel vorsehen, wonach das schuldnerische Unternehmen auf die erlassene Verbindlichkeit Nachzahlungen zu leisten hat, falls und soweit sich die wirtschaftlichen Verhältnisse verbessern.129) Der (auflösend bedingte) Erlass führt zunächst zu einer Ausbuchung der Verbindlichkeit und damit zu einem Ertrag. Sofern die Bedingungen in der Besserungsklausel zu einem späteren Zeitpunkt erfüllt sind, ist die hieraus resultierende Verpflichtung antragswirksam zu berücksichtigen.130) Der Ausweis erfolgt in diesem Fall unter der Position „sonstige betriebliche Aufwendungen“ i. S. des § 275 Abs. 2 Nr. 8 HGB (Gesamtkostenverfahren) bzw. § 275 Abs. 3 Nr. 7 HGB (Umsatzkostenverfahren). 117 Sofern der gestaltende Teil des Insolvenzplans für einzelne Gläubigergruppen eine Verzinsung der Quotenzahlungen vorsieht (z. B. bei den absonderungsberechtigten Gläubigern), sind die daraus resultierenden Zinsaufwendungen unter Berücksichtigung des vereinbarten Zinssatzes zu berechnen und unter der Position „Zinsen und ähnliche Aufwendungen“ i. S. des § 275 Abs. 2 Nr. 13 HGB (Gesamtkostenverfahren) bzw. § 275 Abs. 3 Nr. 12 HGB (Umsatzkostenverfahren) auszuweisen. 118 Die Verfahrenskosten (Kosten des Insolvenzverwalters, Kosten des Sachwalters bei angeordneter Eigenverwaltung, Kosten des Gläubigerausschusses und Gerichtskosten) sind unter der Position „sonstige betriebliche Aufwendungen“ i. S. des § 275 Abs. 2 Nr. 8 HGB (Gesamtkostenverfahren) bzw. § 275 Abs. 3 Nr. 7 HGB (Umsatzkostenverfahren) auszuweisen.131) Hierzu gehören auch die voraussichtlichen Kosten im Zusammenhang mit der Überwachung des Insolvenzplans. Sofern externe Berater mit der Erstellung des Insolvenzplans beauftragt wurden, sind auch diese Aufwendungen zu berücksichtigen. 119 Bei der Berechnung der Steuern vom Einkommen und vom Ertrag sind die Besonderheiten der Besteuerung des Sanierungsgewinns zu berücksichtigen (siehe hierzu i. E. Kahlert, HRI II, § 47 Rz. 143 ff., 170 ff.). (Beispiel für eine Entwicklung der Gewinn- und Verlustrechnung siehe unten Rendels/ Zabel, HRI II, § 45 Musterplan, Anlage 2.2.2) 2.3.2.2

Bilanz

120 Sofern die Gläubiger aus den Erträgen des vom Schuldner oder von einem Dritten fortgeführten Unternehmens befriedigt werden sollen, ist dem Insolvenzplan nach § 229 Satz 1 InsO eine (aktualisierte) Vermögensübersicht beizufügen, in der die Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten aufgeführt sind, die sich im Fall des Wirksamwerdens des ___________ 128) Durch das Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz (Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.6.2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates [BilRUG], v. 17.7.2015, BGBl. I 2015, 1245) ist ein gesonderter Ausweis als außerordentliche Erträge nicht mehr möglich. 129) Die Vereinbarung von Besserungsklauseln i. R. eines Insolvenzplans kann in der Praxis zu Auslegungsproblemen führen, da durch zulässige bilanzpolitische Maßnahmen die Bemessungsgrundlage durch das schuldnerische Unternehmen maßgeblich beeinflusst werden kann. 130) Vgl. Schubert in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 247 Rz. 233 ff. 131) Durch das Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz (Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.6.2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates [BilRUG], v. 17.7.2015, BGBl. I 2015, 1245) ist ein gesonderter Ausweis als außerordentliche Aufwendungen nicht mehr möglich.

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Plananlagen

Insolvenzplans gegenüberstünden. Dabei sind die Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten mit den beizulegenden Werten zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Insolvenzplans zu bewerten.132) Inhaltlich entspricht die Vermögensübersicht nach § 229 Satz 1 InsO der Vermögensüber- 121 sicht nach § 153 InsO. Die beiden Vermögensübersichten unterscheiden sich jedoch durch die unterschiedlichen Erstellungszeitpunkte. Die Vermögensübersicht nach § 229 Satz 1 InsO ist auf den Zeitpunkt der Wirksamkeit des Insolvenzplans zu erstellen, während die Vermögensübersicht nach § 153 InsO auf den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu erstellen ist.133) Die Vermögensübersicht nach § 229 Satz 1 InsO sollte um Plan-Bilanzen ergänzt werden,134) 122 die die gesamte Laufzeit des Insolvenzplans umfassen. Als Laufzeit des Insolvenzplans gilt dabei der Zeitraum zwischen dem Wirksamwerden des Insolvenzplans bis zur Beendigung der Gläubigerbefriedigung.135) Die Plan-Bilanzen sind als Prognoserechnungen unter handelsrechtlichen Gesichtspunkten zu erstellen.136) Der Aufbau sollte dabei nach dem Bilanzgliederungsschema (§ 266 HGB) auf Monatsbasis erfolgen. Die Planung der Bilanzen sollte zudem grundsätzlich unter vorsichtigen und konservativen Gesichtspunkten erfolgen, um die Durchführbarkeit des Insolvenzplans sicherzustellen.137) In einem ersten Schritt ist die Plan-Bilanz auf der Grundlage der letzten verfügbaren Bi- 123 lanz138) ohne Berücksichtigung der Sondereffekte aus dem Insolvenzplan zu erstellen (operative Planung der Bilanz). 2.3.2.2.1 Schritt 1: Operative Planung der Bilanz Aktivseite: Die wesentlichen Einzelpositionen werden in der Praxis grundsätzlich wie folgt 124 geplant: Im Bereich des Anlagevermögens ist nach § 266 Abs. 2 lit. A HGB zwischen immateriellen 125 Vermögensgegenständen,139) Sachanlagen140) und Finanzanlagen141) zu unterscheiden. Für ___________ 132) Vgl. Braun/Frank in: Braun, InsO, § 229 Rz. 3. 133) Vgl. Flöther/Wehner in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 229 InsO Rz. 4; Spahlinger in: KPB, InsO, § 229 Rz. 4. 134) Vgl. Eilenberger in: MünchKomm-InsO, § 229 Rz. 6. 135) Vgl. Flöther/Wehner in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 229 InsO Rz. 6; Ober in: Nerlich/Römermann, InsO, § 229 Rz. 6. Die Autoren weisen zutreffend darauf hin, dass das Gesetz zwar keine Plan-Vermögensübersichten bzw. Plan-Bilanzen verlangt, diese jedoch im Interesse einer höheren Transparenz i. S. der Gläubiger erstellt werden sollten. 136) Vgl. Flöther/Wehner in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 229 InsO Rz. 5. 137) Sofern zu optimistische Planansätze verwendet werden, birgt dies die Gefahr, dass die Vorgaben des Insolvenzplans nicht erreicht werden und die vorgesehene Gläubigerbefriedigung nicht geleistet werden kann. 138) Zur Eröffnungsbilanz als Ausgangsbasis vgl. Plagens/Brunow, DStR 2004, 151. 139) Unter den immateriellen Vermögensgegenstände i. S. des § 266 Abs. 2 lit. A, Ziff. I. HGB werden selbst geschaffene sowie entgeltlich erworbene gewerbliche Schutzrechte und ähnliche Rechte und Werte sowie Lizenzen an solchen Rechten und Werten, Geschäfts- oder Firmenwerte sowie geleistete Anzahlungen ausgewiesen. Zu weiteren Einzelheiten vgl. u. a. Schubert/F. Huber in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 266 Rz. 59 ff. 140) Unter den Sachanlagen i. S. des § 266 Abs. 2 lit. A Ziff. II. HGB werden Grundstücke, grundstücksgleiche Rechte und Bauten einschließlich der Bauten auf fremden Grundstücken, technische Anlagen und Maschinen, andere Anlagen, Betriebs- und Geschäftsausstattung sowie geleistete Anzahlungen und Anlagen im Bau ausgewiesen. Zu weiteren Einzelheiten vgl. u. a. Schubert/F. Huber in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 266 Rz. 65 ff. 141) Unter den Finanzanlagen i. S. des § 266 Abs. 2 lit. A Ziff. III. HGB werden Anteile an verbundene Unternehmen, Ausleihungen an verbundene Unternehmen, Beteiligungen, Ausleihungen an Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht, Wertpapiere des Anlagevermögens sowie sonstige Ausleihungen ausgewiesen. Zu weiteren Einzelheiten vgl. u. a. Schubert/Kreher in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 266 Rz. 69 ff.

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§ 23

2. Teil Insolvenzplan – Inhalt

jede Kategorie sind die Zugänge und Abgänge anhand eines Investitionsplans sowie die Abschreibungen zu planen. Dabei sind insbesondere die nachfolgenden Verknüpfungen zur Plan-Gewinn- und Verlustrechnung zu berücksichtigen: 

Die Abschreibungen auf immaterielle Vermögensgegenstände und Sachanlagen sind ergebniswirksam in der Plan-Gewinn- und Verlustrechnung unter der Position „Abschreibungen“ i. S. des § 275 Abs. 2 Nr. 7 HGB (Gesamtkostenverfahren) bzw. § 275 Abs. 3 Nr. 4 und 5 HGB (Umsatzkostenverfahren) zu erfassen.



Sofern aus den geplanten Anlagenabgängen Gewinne entstehen, sind die entsprechenden Beträge unter der Position „sonstige betriebliche Erträge“ i. S. des § 275 Abs. 2 Nr. 4 HGB (Gesamtkostenverfahren) bzw. § 275 Abs. 3 Nr. 6 (Umsatzkostenverfahren) auszuweisen.



Sofern aus den geplanten Anlagenabgängen Verluste entstehen, sind die entsprechenden Beträge unter der Position „sonstige betriebliche Aufwendungen“ i. S. des § 275 Abs. 2 Nr. 8 HGB (Gesamtkostenverfahren) bzw. § 275 Abs. 3 Nr. 7 HGB (Umsatzkostenverfahren) auszuweisen.

126 Bei den Vorräten ist entsprechend dem Leistungsfortschritt nach § 266 Abs. 2 lit. B. Ziff. I HGB zwischen Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen, unfertigen Erzeugnissen und Leistungen, fertigen Erzeugnissen und Leistungen sowie geleisteten Anzahlungen zu unterscheiden. Für jede Kategorie ist die voraussichtliche Entwicklung anhand eines Mengen-/Preisgerüstes zu planen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Erhöhungen oder Verminderungen der unfertigen Erzeugnisse und Leistungen sowie der fertigen Erzeugnisse und Leistungen in der Gewinn- und Verlustrechnung unter der Position „Erhöhung oder Verminderung des Bestands an fertigen und unfertigen Erzeugnissen“ i. S. des § 275 Abs. 2 Nr. 2 HGB (Gesamtkostenverfahren) zu berücksichtigen sind. Bei Anwendung des Umsatzkostenverfahrens entfällt diese Verknüpfung grundsätzlich. Unabhängig von den Bestandsveränderungen ist zu berücksichtigen, dass es unmittelbar nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens verstärkt zu geleisteten Anzahlungen kommen kann, da die Lieferanten ggf. aufgrund fehlender Warenkreditversicherungen nicht bereit sind, ohne Vorkasse an das schuldnerische Unternehmen zu liefern. 127 Die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen142) werden unter Zugrundelegung der in der Plan-Gewinn- und Verlustrechnung geplanten Umsatzerlöse unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Zahlungsziele der Kunden143) geplant. Vor dem Hintergrund umsatzsteuerlicher Effekte sollte hierbei zwischen Inlands- und Auslandsforderungen differenziert werden. 128 Unter den sonstigen Vermögensgegenständen werden alle Posten des Umlaufvermögens zusammengefasst, die nicht gesondert ausgewiesen werden. Es handelt sich um sonstige Forderungen und andere Vermögensgegenstände, die nicht zum Anlagevermögen oder zu den Vorräten gehören, z. B. Steuererstattungsansprüche, Reisekostenvorschüsse, Mitarbeiterdarlehen etc.144) Die Entwicklung der sonstigen Vermögensgegenstände sollte für die wesentlichen Einzelposten mit ihren jeweiligen Zugängen und Abgängen geplant werden.

___________ 142) Unter den Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sind Ansprüche aus gegenseitigen Verträgen auszuweisen, die aus Verträgen i. R. der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit resultieren. Es handelt sich somit um Vorgänge, die in der Gewinn- und Verlustrechnung als Umsatzerlöse ausgewiesen werden, vgl. Adler/Düring/Schmalz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, § 266 HGB Rz. 120. 143) Bei der Festlegung der durchschnittlichen Zahlungsziele der Kunden sollte die Entwicklung der letzten zwölf Monate Berücksichtigung finden. 144) Vgl. Schubert/Waubke in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 247 Rz. 128 ff.

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§ 23

Plananlagen

Die Entwicklung der Liquidität kann nicht i. R. der Fortschreibung der Aktivseite der Bi- 129 lanz gesondert geplant werden. Hierfür ist vielmehr eine gesonderte Liquiditätsrechnung in Form einer Kapitalflussrechnung erforderlich (zu weiteren Einzelheiten siehe Rz. 141 ff.). Passivseite: Die wesentlichen Einzelpositionen werden in der Praxis grundsätzlich wie 130 folgt geplant. Im Bereich der Darstellung des Eigenkapitals ist grundsätzlich zwischen Kapitalgesellschaf- 131 ten und Personengesellschaften145) wie folgt zu unterscheiden: 

Nach § 266 Abs. 3 lit. A HGB setzt sich das Eigenkapital bei Kapitalgesellschaften aus dem gezeichneten Kapital, der Kapitalrücklage, den Gewinnrücklagen,146) dem Gewinn- oder Verlustvortrag sowie dem Jahresüberschuss bzw. -fehlbetrag zusammen.



Nach § 264c Abs. 2 HGB setzt sich das Eigenkapital bei Personengesellschaften grundsätzlich aus den Kapitalanteilen, den Rücklagen, dem Gewinn- oder Verlustvortrag sowie dem Jahresüberschuss bzw. -fehlbetrag zusammen.

Veränderungen des Eigenkapitals resultieren u. a. aus den in der Gewinn- und Verlustrech- 132 nung geplanten Periodenergebnissen. Darüber hinaus sind sonstige Änderungen des Eigenkapitals (z. B. Kapitalerhöhungen, Kapitalherabsetzungen, Einzahlungen in die Kapitalrücklagen etc.) gesondert zu berücksichtigen. Die Rückstellungen betreffen nach § 266 Abs. 3 lit. B HGB die Rückstellungen für Pen- 133 sionen und ähnlichen Verpflichtungen, die Steuerrückstellungen und sonstigen Rückstellungen. Für jede Kategorie sind die Zuführungen, Verbräuche und Auflösungen gesondert zu planen. Dabei sind insbesondere die nachfolgenden Verknüpfungen zur Plan-Gewinnund Verlustrechnung zu berücksichtigen: 

Sofern Rückstellungen zugeführt werden (z. B. ratierliche Zuführung zur Rückstellung für Altersteilzeit), sind die entsprechenden Aufwendungen in der Gewinn- und Verlustrechnung ertragswirksam zu erfassen.



Sofern Rückstellungen aufgelöst werden (z. B. wenn der Grund der Rückstellung entfällt), sind die entsprechenden Erträge unter der Position „sonstige betriebliche Erträge“ i. S. des § 275 Abs. 2 Nr. 4 HGB (Gesamtkostenverfahren) bzw. § 275 Abs. 3 Nr. 6 (Umsatzkostenverfahren) auszuweisen.

Sofern unter den Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten Darlehen ausgewiesen 134 werden, sind die entsprechenden Zuführungen und Tilgungsleistungen in der Planung zu berücksichtigen. Die in diesem Zusammenhang anfallenden Zinsen sind in der Gewinnund Verlustrechnung unter der Position „Zinsen und ähnliche Aufwendungen“ i. S. des § 275 Abs. 2 Nr. 13 HGB (Gesamtkostenverfahren) bzw. § 275 Abs. 3 Nr. 12 HGB (Umsatzkostenverfahren) zu erfassen. Die Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen147) werden unter Zugrundelegung 135 der in der Plan-Gewinn- und Verlustrechnung berücksichtigten Aufwendungen (insbesondere Materialaufwendungen und sonstige betriebliche Aufwendungen) unter Berücksich-

___________ 145) Gemeint sind hierbei Personengesellschaften i. S. des § 264a HGB. 146) Im Bereich der Gewinnrücklagen wird zwischen der gesetzlichen Rücklage, der Rücklage für Anteile an einem herrschenden oder mehrheitlich beteiligten Unternehmen, satzungsmäßige Rücklagen und andere Gewinnrücklagen unterschieden. I. E. vgl. Schubert/Waubke in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 266 Rz. 177 ff. 147) Unter den Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen sind sämtliche Verpflichtungen aus vom Vertragspartner bereits erfüllten Umsatzgeschäften auszuweisen, bei denen die eigene Gegenleistung noch aussteht, vgl. Schubert in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 266 Rz. 228 f.

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2. Teil Insolvenzplan – Inhalt

tigung der durchschnittlichen Zahlungsziele der Lieferanten148) geplant. Bei der Planung der zukünftigen Zahlungsziele ist zu beachten, dass es unmittelbar nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens verstärkt zu einer Verkürzung von Zahlungszielen kommen kann, da die Lieferantenforderungen ggf. nicht umfassend über Warenkreditversicherungen gesichert sind. 136 Unter den sonstigen Verbindlichkeiten werden alle Verbindlichkeiten zusammengefasst, die nicht einem gesonderten Posten i. S. des § 266 Abs. 3 lit. C HGB zuzuordnen sind. Es handelt sich z. B. um einbehaltene und abzuführende Steuern und Sozialversicherungsbeiträge, rückständige Löhne und Gehälter etc.149) Die Entwicklung der sonstigen Verbindlichkeiten sollte für die wesentlichen Einzelposten mit ihren jeweiligen Zugängen und Abgängen geplant werden. 2.3.2.2.2 Schritt 2: Planung der Sondereffekte aus dem Insolvenzplan 137 Auf der Grundlage der operativen Planung der Aktivseite und Passivseite der Bilanz sind in einem zweiten Schritt die bilanziellen Besonderheiten des Insolvenzplans zu berücksichtigen. Dazu gehören insbesondere die folgenden Sachverhalte: 138 Entsprechend den Vorgaben des gestaltenden Teils des Insolvenzplans sind die Gläubigerverzichte und die Zahlungen an die Gläubiger in der Bilanzplanung bei den Rückstellungen und Verbindlichkeiten zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang ist sicherzustellen, dass die Rückstellungen und Verbindlichkeiten in der handelsrechtlichen Buchführung dem Grunde und der Höhe nach mit dem Gläubigerverzeichnis übereinstimmen.150) 

Die Gläubigerverzichte sind als Inanspruchnahmen respektive Verringerungen der Rückstellungen und Verbindlichkeiten sowie zusätzlich in der Gewinn- und Verlustrechnung unter der Position „sonstige betriebliche Erträge“ i. S. des § 275 Abs. 2 Nr. 4 HGB (Gesamtkostenverfahren) bzw. § 275 Abs. 3 Nr. 6 HGB (Umsatzkostenverfahren) auszuweisen. Auf die Zahlungsmittelbestände haben die Gläubigerverzichte keine Auswirkungen.



Die Zahlungen an die Gläubiger sind als Inanspruchnahmen respektive Verringerungen der Rückstellungen und Verbindlichkeiten zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass mit § 229 Satz 3 InsO sichergestellt wird, dass auch die Gläubiger zu berücksichtigen sind, die zwar ihre Forderungen nicht angemeldet haben, jedoch bei der Ausarbeitung des Insolvenzplans bekannt sind.

139 Sofern der gestaltende Teil des Insolvenzplans Gesellschafter- oder Investorenbeiträge vorsieht, sind die bilanziellen Auswirkungen in der Bilanzplanung zu erfassen. Idealtypisch handelt es sich hierbei um Eigenkapitalerhöhungen respektive Einzahlungen in die Kapitalrücklage, die unter der Position „Eigenkapital“ zu berücksichtigen sind, oder um nachrangige Gesellschafterdarlehen, die unter den Verbindlichkeiten auszuweisen sind. 140 Der Insolvenzplan kann eine neue Finanzierungsstruktur des schuldnerischen Unternehmens vorsehen. Dies kann z. B. der Fall sein, wenn die absonderungsberechtigten Gläubiger die zugrunde liegenden Darlehen dem schuldnerischen Unternehmen weiterhin langfristig zur Verfügung stellen oder ein Kreditinstitut ein (langfristiges) Darlehen zur Verfügung ___________ 148) Bei der Festlegung der durchschnittlichen Zahlungsziele der Lieferanten sollte die Entwicklung der letzten zwölf Monate Berücksichtigung finden. 149) Vgl. Schubert in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 266 Rz. 246. 150) Die Anpassung der handelsrechtlichen Verbindlichkeiten an die Verbindlichkeiten laut Gläubigerverzeichnis erfolgt in der Regel im Zwischenabschluss zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, vgl. insbesondere IDW, Externe (handelsrechtliche) Rechnungslegung im Insolvenzverfahren (IDW RH HFA 1.012), Stand: 6.12.2018, Rz. 19, IDW Life 1/2019, S. 74 ff.

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Plananlagen

stellt. In diesen Fällen sind die Auswirkungen in der Bilanzplanung entsprechend zu berücksichtigen. (Beispiel für die Aktivseite und Passivseite der Bilanz siehe unten Rendels/Zabel, HRI II, § 45 Musterplan, Anlage 2.2.1) 2.3.2.3

Kapitalflussrechnung (Finanzplan)

Nach § 229 Satz 2 InsO (Fall 2) ist im Insolvenzplan in Form eines Finanzplans darzu- 141 stellen, welche Einnahmen und Ausgaben151) für den Zeitraum der Gläubigerbefriedigung zu erwarten sind, um die Zahlungsfähigkeit152) des Unternehmens zu gewährleisten.153) Es handelt sich um eine Plan-Liquiditätsrechnung (Kapitalflussrechnung),154) die aus der PlanBilanz und Plan-Gewinn- und Verlustrechnung in der Weise entwickelt wird, dass sämtliche Aufwendungen und Erträge auf ihre Auswirkungen auf die Liquidität überprüft werden und als Einzahlungen oder Auszahlungen berücksichtigt werden.155) Darstellung und Umfang einer Kapitalflussrechnung sind gesetzlich nicht geregelt. Das 142 Deutsche Rechnungslegungs Standards Committee e. V. hat in dem Deutschen Rechnungslegungs-Standard Nr. 21 (DRS 21) Darstellung und Umfang einer Kapitalflussrechnung festgelegt, der für Konzernabschlüsse zwingend anzuwenden ist. Danach sind die Zahlungsströme getrennt nach dem Cashflow aus der laufenden Geschäftstätigkeit, aus der Investitionstätigkeit und aus der Finanzierungstätigkeit darzustellen. Die Summe der Cashflows aus diesen drei Tätigkeitsbereichen entspricht der Veränderung des Finanzmittelfonds in der Berichtsperiode, soweit diese nicht auf Wechselkurs- oder sonstigen Wertänderungen beruht. Der Cashflow aus der laufenden Geschäftstätigkeit kann dabei nach der direkten oder indirekten Methode dargestellt werden (vgl. DRS 21, Rz. 24), wobei beide Methoden zum identischen Ergebnis führen. Exkurs: Das deutsche Handelsrecht hat sich in den letzten Jahren der internationalen Ent- 143 wicklung der externen Rechnungslegung angeschlossen und die Kapitalflussrechnung zu einem zentralen Pflichtbestandteil der externen Rechnungslegung gemacht. Mit dem Bilanzrechtsreformgesetz vom 4.12.2004 (BilReG) wurde die Vorschrift des § 297 Abs. 1 HGB dahingehend geändert, dass für alle Konzernabschlüsse ab dem 1.1.2005 die Kapitalflussrechnung einen Pflichtbestandteil des Konzernabschlusses darstellt. Zuvor galt dies nur für börsennotierte Mutterunternehmen. Bezogen auf den Einzelabschluss wurde mit dem Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts vom 25.5.2009 (BilMoG) zudem die Vorschrift des § 264 Abs. 1 HGB dahingehend ergänzt, dass die gesetzlichen Vertreter einer kapitalmarktorientierten Kapitalgesellschaft, die nicht zur Aufstellung eines Konzernabschlusses verpflichtet sind, den Jahresabschluss u. a. um eine Kapitalflussrechnung zu erweitern haben, die mit der Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung und dem Anhang eine Einheit bilden.

___________ 151) Anstelle von Einnahmen und Ausgaben sind Einzahlungen und Auszahlungen gemeint, vgl. Flöther/ Wehner in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 229 InsO Rz. 9. Unter Einnahmen und Ausgaben fallen unter betriebswirtschaftlicher Betrachtung auch nicht zahlungswirksame Sachverhalte, wie z. B. Veränderung von Forderungen oder Verbindlichkeiten, während Einzahlungen und Auszahlungen lediglich zahlungswirksame Veränderungen des Finanzmittelbestands umfassen, vgl. Braun/Frank in: Nerlich/ Römermann, InsO, § 229 Rz. 7. 152) IDW Standard, Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen (IDW S 11), Stand: 23.8.2021, Rz. 1, IDW Life 1/2022, S. 107 ff.; Zabel/Pütz, ZIP 2015, 913. 153) Vgl. Flöther/Wehner in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 229 InsO Rz. 9 f. 154) Vgl. auch Eilenberger in: MünchKomm-InsO, § 229 Rz. 22, im Zusammenhang mit der strukturellen Liquiditätsentwicklung durch den Einsatz von Kapitalbindungsplänen. 155) Vgl. Spahlinger in: KPB, InsO, § 229 Rz. 13.

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(Beispiel für eine Kapitalflussrechnung siehe unten Rendels/Zabel, HRI II, § 45 Musterplan, Anlage 2.2.3) 2.3.3 Praxishinweise 144 Die Aufbereitung der Plananlagen nach § 229 InsO führt in der Praxis insbesondere im Zusammenhang mit der Erstellung von sog. „Pre-Packaged-Plänen“156) oder Insolvenzplänen i. R. eines Schutzschirmverfahrens wegen der Drei-Monats-Frist i. S. des § 270d Abs. 1 InsO zu erheblichen Schwierigkeiten:157) 145 Für die Aufstellung der (aktualisierten) Vermögensübersicht, der Plan-Bilanz, der PlanGewinn- und Verlustrechnung und der Plan-Kapitalflussrechnung ist der Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung und der Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Insolvenzplans vorsichtig zu schätzen, wobei der Zeitraum zwischen den beiden Zeitpunkten158) nicht zu kurz gewählt werden sollte.159) 146 Die Basis für die Erstellung der Plan-Bilanz, der Plan-Gewinn- und Verlustrechnung und der Plan-Kapitalflussrechnung stellen die aktuellen Daten der Finanzbuchhaltung dar, aus denen die handelsrechtlichen Monatsabschlüsse abgeleitet werden. Sofern die Daten der Finanzbuchhaltung einen erheblichen Buchungsrückstand aufweisen, ist die zeitnahe Erstellung von Planungsrechnungen nicht möglich. 147 Sofern der Insolvenzplan mit dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch den Schuldner eingereicht werden soll, sind die rechtlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen des Insolvenzverfahrens (z. B. Schadensersatzansprüche, Insolvenzgeld, Kundenverluste etc.) in den Planungsrechnungen zu antizipieren. 148 Die Planungsrechnungen sollten auf Monatsbasis erstellt werden und laufend mit den IstDaten der Finanzbuchhaltung abgeglichen werden. Sofern sich bei dem Vergleich wesentliche Abweichungen ergeben, sind die Prämissen der Planungsrechnungen laufend zu prüfen und ggf. anzupassen. 2.4

Überleitungsrechnungen

149 In dem Zeitraum zwischen Insolvenzeröffnung und Wirksamwerden des Insolvenzplans können sich erhebliche wirtschaftliche Veränderungen ergeben, die durch nachvollziehbare Überleitungsrechnungen als gesonderte Anlagen zum Insolvenzplan dokumentiert werden sollten. 2.5

Vergleichsrechnung

150 Nach § 217 InsO kann in einem Insolvenzplan die Befriedigung der absonderungsberechtigten Gläubiger und der Insolvenzgläubiger, die Verwertung der Insolvenzmasse und deren Verteilung an die Beteiligten sowie die Verfahrensabwicklung und die Haftung des Schuldners nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens abweichend von den allgemeinen Vorschriften der InsO geregelt werden. ___________ 156) Unter einem „Pre-Packaged Plan“ versteht man einen Insolvenzplan, der vor Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner erstellt wird, vgl. IDW Standard, Anforderungen an Insolvenzpläne (IDW S 2), Stand: 18.11.2019, Rz. 7, IDW Life 1/2020, S. 45 ff. 157) Nach Braun/Frank in: Braun, InsO, § 229 Rz. 14, sind die Plananlagen nach § 229 InsO konzeptionell eine hervorragende gesetzgeberische Idee, praktisch aber nicht ganz einfach zu realisieren. 158) In einem von dem Verfasser erstellten Insolvenzplan für eine große Kapitalgesellschaft betrug der Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung und dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Insolvenzplans nahezu drei Jahre. 159) Vgl. Braun/Frank in: Braun, InsO, § 229 Rz. 10.

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§ 23

Plananlagen

Es ist davon auszugehen, dass die Gläubiger einem Insolvenzplan nur zustimmen, wenn 151 die im Insolvenzplan vorgesehene Gläubigerbefriedigung zu einem höheren Ergebnis als im Falle der Regelabwicklung führt. Vor diesem Hintergrund sind die Gläubiger über die verschiedenen Alternativen zum Insolvenzplan umfassend zu informieren. In der Praxis erfolgt dies mit sog. Vergleichsrechnungen (siehe hierzu J. Schmidt, HRI II, § 29), in denen die verschiedenen Alternativen gegenübergestellt werden. Neben einem Insolvenzplan kommen grundsätzlich die Einstellung des Geschäftsbetriebs (Alternative 1), die Veräußerung der Vermögensgegenstände des schuldnerischen Unternehmens i. R. eines Asset Deals (Alternative 2) sowie die Übernahme von Geschäftsanteilen an dem zu erhaltenden Rechtsträger durch einen Investor (Alternative 3) in Betracht. Um den Gläubigern eine Entscheidungsgrundlage zu geben, sollten für die in Betracht 152 kommenden Alternativen fiktive Gläubigerbefriedigungen ermittelt werden. Dabei ist die Höhe der fiktiven Gläubigerbefriedigung allein nicht ausreichend. Es sollten vielmehr darüber hinausgehende Vor- und Nachteile für die Gläubiger sowie für das schuldnerische Unternehmen gegenübergestellt werden, wie z. B. 

die Sicherheit der Gläubigerbefriedigung,160)



der Zeitpunkt der Gläubigerbefriedigung,161)



die Eigenkapitalausstattung des schuldnerischen Unternehmens sowie



Synergieeffekte durch den Eintritt eines Investors.

Praxishinweis: Die verschiedenen Alternativen sollten in Form von integrierten Planungs- 153 rechnungen, bestehend aus Plan-Gewinn- und Verlustrechnung, Plan-Bilanz und Plan-Kapitalflussrechnung simuliert werden. Anhand der integrierten Planungsrechnungen können insbesondere die wirtschaftlichen Auswirkungen für das schuldnerische Unternehmen (z. B. Ergebnis- und Liquiditätsentwicklung) und für die Gläubiger (z. B. Höhe und Zeitpunkte der Zahlungszuflüsse) dargestellt werden. 2.5.1 Alternative 1: Zerschlagung Im Fall der Einstellung des Geschäftsbetriebs (Zerschlagung) sollte eine gesonderte inte- 154 grierte Unternehmensplanung erstellt werden. Dabei sind insbesondere die nachfolgenden Besonderheiten zu berücksichtigen: Die Umsatzerlöse sind anhand eines Auslaufszenarios zu prognostizieren, wobei zu beachten 155 ist, dass die vorhandenen Aufträge über einen befristeten Zeitraum abgewickelt werden. Unter Berücksichtigung des unterstellten Auslaufszenarios sind die Materialaufwendungen 156 zu planen. Dabei werden die Materialaufwendungen in der Regel im Verhältnis zu den Umsatzerlösen ermittelt. Die Personalaufwendungen sind unter Beachtung der Kündigungsfristen der Mitarbeiter 157 zu planen. Hierbei sind ggf. die Aufwendungen aus einem Sozialplan und weitere damit im Zusammenhang stehende Aufwendungen (z. B. aus einem Sanierungstarifvertrag) zu berücksichtigen. Im Bereich der sonstigen betrieblichen Aufwendungen sind die fixen Aufwendungen (z. B. 158 Miet- und Leasingaufwendungen) unter Berücksichtigung der bestehenden Kündigungsfristen zu planen. Darüber hinaus sind etwaige zusätzliche Verpflichtungen aus der Einstellung des Geschäftsbetriebs (z. B. Schadensersatzansprüche) vorsichtig zu schätzen. ___________ 160) Die Sicherheit der Gläubigerbefriedigung erhöht sich z. B. durch den Eintritt eines neuen Investors, der den Insolvenzplan mit Hilfe einer Eigenkapitalerhöhung finanziert. 161) Bei der Gegenüberstellung der Alternativen zum Insolvenzplan sollte stets auf die Barwerte der Zahlungszuflüsse aus der Gläubigerbefriedigung abgestellt werden.

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§ 23

2. Teil Insolvenzplan – Inhalt

159 Mit Hilfe der Integration der Gewinn- und Verlustrechnung mit der Plan-Bilanz und der Plan-Kapitalflussrechnung können die bilanziellen und liquiditätswirksamen Auswirkungen der oben dargestellten Sondereffekte ermittelt werden. Darauf aufbauend können ebenfalls die Auswirkungen auf die Gläubigerbefriedigung prognostiziert werden. Häufig führt die Einstellung des Geschäftsbetriebs zur Masseunzulänglichkeit nach § 208 InsO. Die i. R. der Vergleichsrechnung unterstellte Alternative (Einstellung des Geschäftsbetriebs) sollte im darstellenden Teil ausführlich beschrieben und deren Auswirkungen dargestellt werden. 160 Musterformulierung: Alternativen zum Insolvenzplan – Szenario Zerschlagung (darstellender Teil) Ohne die Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens ist davon auszugehen, dass wegen fehlender potenter Erwerbsinteressenten für einen Asset Deal die Einstellung des Geschäftsbetriebs konkret droht. Eine weitere Fortführung innerhalb der Insolvenz würde bei Kunden, Lieferanten und Mitarbeitern einen erheblichen Vertrauensverlust auslösen. Einer der Hauptkunden der Schuldnerin macht die Fortsetzung der Geschäftsbeziehungen von einer kurzfristigen Insolvenzplanlösung abhängig. Einige Schlüsselkunden haben inzwischen den Aufbau von Vertragsbeziehungen zu Wettbewerbern angekündigt, sofern das Insolvenzverfahren nicht kurzfristig beendet würde. Sollte eine Insolvenzplanlösung nicht kurzfristig zustande kommen, drohen zahlreiche Kunden mit dem Abzug aller Aufträge, was zu einer nachhaltigen Umsatz- und Ergebnisverschlechterung führen würde. Dies wiederum hätte eine kurzfristige Einstellung des Geschäftsbetriebs zur Folge. Die Einstellung des Geschäftsbetriebs des schuldnerischen Unternehmens würde zu erheblichen Auslaufkosten führen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt verfügt die Schuldnerin auf der Beschaffungsseite über ein offenes Bestellvolumen von ca. 10 Mio. €, das im Wesentlichen aus rechtsverbindlich abgeschlossenen Kaufverträgen für Rohmaterialien für die Herstellung der Produkte der Schuldnerin resultiert. Die Reichweite für diese Bestellungen liegt bei bis zu einem halben Jahr. Eine Rückabwicklung dieser Bestellungen würde zu erheblichen Schadenersatzansprüchen führen. Gleichzeitig hat die Schuldnerin auf der Absatzseite in erheblichem Umfang Kaufverträge mit Kunden abgeschlossen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt beträgt der Auftragsbestand ca. 29 Mio. € und hat ebenfalls eine Reichweite von bis zu einem halben Jahr. Auch hier würde eine Rückabwicklung der Aufträge zu erheblichen Schadenersatzansprüchen führen. Unabhängig hiervon würde die Einstellung des Geschäftsbetriebs erhebliche weitere Auslaufkosten zur Folge haben (z. B. Kosten für den Personalabbau i. H. von mindestens 4 Mio. € oder Abbaukosten für die Produktion i. H. von 5 Mio. € bis 6 Mio. €). Eine detaillierte Vergleichsrechnung für den Fall der Liquidation ist in der Anlage dargestellt. 2.5.2 Alternative 2: Asset Deal 161 Im Fall eines Asset Deals162) sollte ebenfalls eine gesonderte integrierte Unternehmensplanung erstellt werden. Dabei sind insbesondere die nachfolgenden Besonderheiten zu berücksichtigen: 

Da der (laufende) Geschäftsbetrieb zu einem bestimmten Stichtag auf den Erwerber entgeltlich übertragen wird, sind die operativen Auswirkungen in der Plan-Gewinnund Verlustrechnung zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund entfallen die Umsatzerlöse, die Materialaufwendungen, die Personalaufwendungen und ein Großteil der sonstigen betrieblichen Aufwendungen grundsätzlich ab dem Übertragungsstichtag.

___________ 162) Bei einem Asset Deal werden sämtliche Vermögensgegenstände des Geschäftsbetriebs auf einen Erwerber entgeltlich übertragen. In diesem Zusammenhang gehen regelmäßig auch die bestehenden Arbeitsverhältnisse nach § 613a BGB (Betriebsübergang) auf den Erwerber über.

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§ 23

Plananlagen 

In der Plan-Bilanz sind die Verkäufe der Vermögensgegenstände des Geschäftsbetriebs darzustellen. Gegenläufig wirkt sich der in dem Unternehmenskaufvertrag vereinbarte Kaufpreis aus. Die Ergebnisse aus dem Verkauf der Vermögensgegenstände sind in der Gewinn- und Verlustrechnung zu berücksichtigen.

Auf der Grundlage der Plan-Gewinn- und Verlustrechnung, der Plan-Bilanz und der Plan- 162 Kapitalflussrechnung können die bilanziellen und damit liquiditätswirksamen Auswirkungen des Asset Deals ermittelt werden. Darauf aufbauend können ebenfalls die Auswirkungen auf die Gläubigerbefriedigung prognostiziert werden. Die i. R. der Vergleichsrechnung unterstellte Alternative (Asset Deal) sollte im darstellenden Teil ausführlich beschrieben und deren Auswirkungen dargestellt werden. Musterformulierung: Alternativen zum Insolvenzplan – Szenario Asset Deal

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(darstellender Teil) Die Schuldnerin hat auf Wunsch der Gläubigerbanken und in Abstimmung mit dem Sachwalter sowie dem Gläubigerausschuss einen Investorenprozess eingeleitet, der durch die M&A GmbH geführt wurde. Nach gegenwärtigem Stand liegen keine detaillierten und belastbaren Angebote für den Kauf der Vermögensgegenstände des schuldnerischen Unternehmens i. R. eines Asset Deals vor. Die Schuldnerin ist ein weltweit agierendes Konzernunternehmen mit zahlreichen in- und ausländischen Tochtergesellschaften. Im Rahmen eines Asset Deals müssten die ausländischen Beteiligungen nach ausländischem Recht übertragen werden. Darüber hinaus sind zahlreiche Sanierungsbeiträge unter der auflösenden Bedingung vereinbart worden, dass ein von der Schuldnerin vorgelegter Insolvenzplan rechtskräftig wird. Zudem ist davon auszugehen, dass ein potenzieller Investor i. R. eines Asset Deal-Angebots erheblich mehr Liquidität als i. R. des vorliegenden Insolvenzplans aufwenden müsste. Neben einem angemessenen Kaufpreis für die Assets (Sachanlagevermögen, Finanzanlagen und Vorratsbestände) müsste ein Investor die durch den Insolvenzverwalter ausgelösten Masseverbindlichkeiten (Bestellobligo) in einer Größenordnung von ca. 10 Mio. € ablösen und daneben die laufende Liquidität für die Fortführung des Geschäftsbetriebs sicherstellen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist nicht davon auszugehen, dass kurzfristig ein potenzieller Investor bereit wäre, i. R. eines Asset Deals einen Kaufpreis zu zahlen, der zu einer höheren Gläubigerbefriedigung führen würde. 2.5.3 Alternative 3: Share Deal In besonders gelagerten Fällen (z. B. Filialbetriebe) kann es vorkommen, dass Investoren 164 ein besonderes Interesse an dem Erhalt des Rechtsträgers des schuldnerischen Unternehmens haben und daher einen Asset Deals ausschließen. Dabei kann es in der Praxis durchaus vorkommen, dass Investoren einen erheblichen Einfluss auf die Struktur des Insolvenzplans (z. B. Struktur der Gläubigerbefriedigung) nehmen und damit die Gläubiger überzeugen. In diesem Fall sollten durch die Planverfasser gesonderte integrierte Unternehmensplanungen erstellt werden, in der die ergebniswirksamen und bilanziellen Besonderheiten des Insolvenzplans berücksichtigt werden (siehe hierzu i. E. Rz. 103 ff. und Rz. 120 ff.). V.

Plananlagen nach § 226 InsO

1.

Grundsatz

Nach § 226 Abs. 1 InsO sind innerhalb einer Gläubigergruppe grundsätzlich allen Betei- 165 ligten die gleichen Rechte anzubieten. Sofern in einem Insolvenzplan Beteiligte mit gleicher Rechtsstellung und gleichartigen wirtschaftlichen Interessen zu einer Gläubigergruppe nach § 222 InsO zusammengefasst werden, hat jeder Beteiligte einen Anspruch auf Gleichbe-

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§ 23

2. Teil Insolvenzplan – Inhalt

handlung163) mit den Beteiligten der Gruppe.164) Mit der Vorschrift soll nicht die Gleichbehandlung der Gruppen untereinander gewährleistet werden. 166 Ausnahmsweise ist nach § 226 Abs. 2 InsO eine unterschiedliche Behandlung der Beteiligten einer Gläubigergruppe zulässig. In diesem Fall sind dem Insolvenzplan die zustimmenden Erklärungen der schlechter behandelten Beteiligten beizufügen. Die Ausnahme der unterschiedlichen Behandlung gilt nicht, wenn gesicherte und ungesicherte Gläubiger in einer Gruppe zusammengefasst werden.165) 167 Praxishinweis: Bei der Bildung der Gläubigergruppen sollte eine Ungleichbehandlung der Gläubiger innerhalb einer Gruppe vermieden werden, da dies zu einem erheblichen Mehraufwand bei der Durchsetzung des Insolvenzplans führen kann. 2.

Inhalt der Erklärung

168 Nach § 226 Abs. 2 InsO hat jeder schlechter behandelte Beteiligte der Gruppe zu erklären, dass er mit der unterschiedlichen Behandlung innerhalb der Gruppe einverstanden ist. 169 Beispiel: Der Insolvenzplan der Mustermann GmbH sieht die Bildung von fünf Gläubigergruppen vor. In der Gruppe 2 werden alle ungesicherten Lieferanten eingruppiert. Der Insolvenzplan sieht vor, dass alle Gläubiger der Gruppe 2 eine Quote von 5 % auf ihre festgestellte Forderung über einen Zeitraum von drei Jahren erhalten. Davon abweichend soll der Hauptgläubiger der Gruppe 2, der zugleich Hauptlieferant der Mustermann GmbH und für die weitere Fortführung des Geschäftsbetriebs wichtig ist, lediglich eine einmalige Quotenzahlung i. H. von 5 % auf die festgestellte Forderung erhalten. 170 Musterformulierung: Verbindliche Erklärung eines Insolvenzgläubigers nach § 226 Abs. 2 InsO (Anlage zum Insolvenzplan) Hiermit erklären wir, die Meier GmbH, Bahnhofstraße 5 in Entenhausen, als nicht nachrangige Insolvenzgläubigerin der Gruppe 5 der Mustermann GmbH, dass wir mit einer Schlechterstellung auf der Grundlage des beim Insolvenzgericht Köln am 15.1.2023 eingereichten Insolvenzplans einverstanden sind. [Ort, Datum, Unterschrift] 3.

Fehlende oder fehlerhafte Erklärung

171 Sofern ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vorliegt und der Insolvenzplan nicht die nach § 226 Abs. 2 InsO erforderliche Zustimmungserklärung der betroffenen Beteiligten enthält, handelt es sich um einen inhaltlichen Mangel. Dieser kann nach § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu einer Zurückweisung des Insolvenzplans von Amts wegen führen, sofern er nicht innerhalb einer vom Gericht festzusetzenden angemessenen Frist behoben wird.166) ___________ 163) Die Gleichbehandlung i. S. des § 226 InsO erfordert eine wirtschaftliche Gleichbehandlung, d. h. eine gleichmäßige Verteilung des Verwertungserlöses an die Gruppenmitglieder, vgl. Breuer in: MünchKommInsO, § 226 Rz. 8; a. A. Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 226 Rz. 2, der von einer lediglich rechtlichen Gleichbehandlung ausgeht, da eine wirtschaftliche Gleichbehandlung vom Insolvenzgericht und den über den Insolvenzplan abstimmenden Insolvenzgläubigern nur schwerlich beurteilt werden kann und so zu Rechtsunsicherheiten führen würde. 164) Vgl. Breuer in: MünchKomm-InsO, § 226 Rz. 7, der von einem gruppenimmanenten Gleichbehandlungsgebot spricht. 165) Vgl. Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 226 Rz. 3. 166) Vgl. Breuer in: MünchKomm-InsO, § 226 Rz. 12.

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§ 23

Plananlagen VI.

Plananlagen nach § 230 InsO

Nach § 230 InsO sind dem Insolvenzplan sachverhaltsbezogene Erklärungen als weitere 172 Anlagen beizufügen. Es handelt sich um Zustimmungserklärungen zum Insolvenzplan, die von unterschiedlichen Personengruppen (Schuldner, Gläubiger oder Dritte) abzugeben sind. Der Gesetzgeber unterscheidet dabei zwischen Erklärungen im Zusammenhang mit 

der Fortführung des Unternehmens durch den Schuldner (Abs. 1),



der Fortführung des Unternehmens durch eine Auffanggesellschaft (Abs. 2),



der Übernahme von Verpflichtungen durch einen Dritten (Abs. 3) und



Eingriffen in die Rechte von Gläubigern aus gruppeninternen Drittsicherheiten (Abs. 4).

1.

Erklärungen des Schuldners (§ 230 Abs. 1 InsO)

Sofern der Insolvenzplan eine Fortführung des Unternehmens durch den Schuldner vor- 173 sieht, ist dem Insolvenzplan eine Erklärung des Schuldners beizufügen, dass er zur Fortführung des Unternehmens auf der Grundlage des Insolvenzplans bereit ist. Es handelt sich um eine Fortführungserklärung167) des Schuldners, mit der sichergestellt wird, dass die Bereitschaft des Schuldners besteht, auf Basis des Insolvenzplans die Fortführung des Unternehmens zu gewährleisten. Somit kann die Fortführung des Unternehmens nicht gegen den Willen des Schuldners mit Hilfe eines Insolvenzplans durch die Gläubiger durchgesetzt werden.168) Mit der Fortführungserklärung soll zudem sichergestellt werden, dass der Schuldner die 174 sich aus der Fortführung des Unternehmens ergebenden persönlichen und unbeschränkten Haftungsrisiken weiterhin übernimmt. Insofern handelt es sich auch um eine Haftungserklärung des Schuldners.169) § 230 Abs. 1 InsO unterscheidet nach der Person des Schuldners zwischen natürlichen 175 Personen einerseits und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit sowie KGaA andererseits. Eine Erklärung der Gesellschafter einer Gesellschaft, die durch die Insolvenz aufgelöst und mit Hilfe des Insolvenzplans fortgeführt werden soll, wird vom Gesetzgeber nicht verlangt.170) 1.1

Natürliche Personen

1.1.1 Personenkreis Für den Fall, dass die im Insolvenzplan vorgesehene Fortführung des Unternehmens durch 176 eine natürliche Person als Schuldner erfolgt, ist dem Insolvenzplan nach § 230 Abs. 1 Satz 1 InsO eine persönliche Erklärung des Schuldners beizufügen, dass er zur Fortführung des Unternehmens auf der Grundlage des Insolvenzplans bereit ist. Als typische Anwendungsfälle kommen Unternehmen in Betracht, die als Einzelunternehmen fortgeführt werden. Die Fortführungserklärung ist jeweils von dem Einzelunternehmer abzugeben. ___________ 167) 168) 169) 170)

Vgl. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 4. Vgl. u. a. Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 230 Rz. 2. und Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 230 Rz. 3. Vgl. Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 230 Rz. 2; vgl. Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, S. 468. In der Begr. RegE z. § 230 InsO (BT-Drucks. 12/2443) wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein derartiger Beschluss der Gesellschafter nicht erforderlich ist vgl. Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, S. 468. Krit. hierzu Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 230 Rz. 3, der in diesem Zusammenhang von einer erforderlichen sog. Fortsetzungserklärung spricht. Ein solcher Beschluss kann seit Inkrafttreten des ESUG, d. h. in Verfahren aufgrund Insolvenzantragstellung ab dem 1.3.2012, gemäß § 225a Abs. 3 InsO in den Insolvenzplan aufgenommen werden und entfaltet dann über § 254a Abs. 2 InsO Wirkung, ohne dass es einer zusätzlichen Erklärung nach § 230 InsO bedarf.

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§ 23

2. Teil Insolvenzplan – Inhalt

177 Sofern der Insolvenzplan durch den Schuldner selbst vorgelegt wird, ist nach § 230 Abs. 1 Satz 3 InsO die Fortführungserklärung nicht erforderlich. In diesem Fall gilt die Erklärung des Schuldners mit der Vorlage des Insolvenzplans an das Insolvenzgericht als konkludent abgegeben.171) Dies gilt jedoch nicht, wenn der Insolvenzplan vom Insolvenzverwalter oder vom Sachwalter im Fall der Eigenverwaltung im Auftrag der Gläubigerversammlung eingereicht wird.172) 1.1.2 Inhalt der Erklärung 178 Nach § 230 Abs. 1 Satz 1 InsO hat der Schuldner verbindlich zu erklären, dass er zur Fortführung des Unternehmens auf der Grundlage des Insolvenzplans bereit ist. Es handelt sich insofern um eine materiell-rechtliche Willenserklärung,173) mit der die Fortführungsbereitschaft erklärt wird. In diesem Zusammenhang ist die Aufnahme von Bedingungen (§ 158 BGB) oder Befristungen (§ 163 BGB) grundsätzlich möglich. 179 Beispiel: Der Insolvenzplan des Einzelunternehmers Max Muster sieht vor, dass für den Fall der Rechtskraft des Insolvenzplans der Einzelunternehmer einen Sanierungsbeitrag i. H. von 20.000 € zur Befriedigung der Gläubiger leistet. In der dem Insolvenzplan beigefügten Fortführungserklärung erklärt der Einzelunternehmer verbindlich, dass er zur Fortführung des Unternehmens auf der Grundlage des Insolvenzplans bereit ist und den Sanierungsbeitrag unter der aufschiebenden Bedingung leisten wird, dass der Insolvenzplan bis zum 30.6.2023 rechtskräftig wird. Der Insolvenzplan wird von den Gläubigern am 15.2.2023 im Abstimmungstermin angenommen und am 31.3.2023 vom Insolvenzgericht bestätigt. Die Rechtskraft des Insolvenzplans tritt am 15.4.2023 ein. 180 Musterformulierung: Verbindliche Erklärung des Einzelunternehmers nach § 230 Abs. 1 Satz 1 InsO (Anlage zum Insolvenzplan) Hiermit erkläre ich, Max Muster, geboren am 29.3.1968, wohnhaft in Köln, Rheinstraße 5, dass ich zur Fortführung meines Einzelunternehmens auf der Grundlage des beim Insolvenzgericht Köln am 15.1.2023 eingereichten Insolvenzplans bereit bin. Zudem erkläre ich, dass ich unter der aufschiebenden Bedingung der Rechtskraft des Insolvenzplans bis zum 30.6.2023 den im Insolvenzplan auf Seite 10 beschriebenen Sanierungsbeitrag i. H. von 20.000 € fünf Tage nach Rechtskraft des Insolvenzplans auf das Anderkonto des Insolvenzverwalters zur Befriedigung der Gläubiger einzahlen werde. [Ort, Datum, Unterschrift] 181 Praxishinweis: Sofern die Fortführungserklärung von dem Schuldner unter eine Bedingung gestellt wird, die nicht Bestandteil des Insolvenzplans ist (z. B. Darlehensgewährung an den Schuldner), und diese Bedingung nicht eintritt, liegt keine wirksam abgegebene Fortführungserklärung vor.174) 182 Beispiel: Der Insolvenzplan eines Einzelunternehmers sieht vor, dass für den Fall der Rechtskraft des Insolvenzplans der Einzelunternehmer einen Sanierungsbeitrag i. H. von 20.000 € an das schuldnerische Unternehmen zur Befriedigung der Gläubiger leistet. In der dem Insolvenzplan beigefügten Fortführungserklärung erklärt der Einzelunternehmer verbindlich, dass er zur Fortführung des Unternehmens auf der Grundlage des Insolvenzplans bereit ist und den Sanierungs___________ 171) Vgl. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 8. 172) Nach Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 7, wird in den genannten Fällen der Insolvenzplan nicht aus eigenem Recht des Schuldners nach § 218 Abs. 1 Satz 1 InsO, sondern nach § 284 Abs. 1 Satz 1 InsO im Gläubigerauftrag eingereicht. 173) Vgl. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 10. 174) Vgl. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 15.

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§ 23

Plananlagen

beitrag unter der Bedingung leisten wird, dass seine Hausbank ihm ein Darlehen i. H. von 20.000 € gewährt. Der Insolvenzplan wird von den Gläubigern am 15.2.2023 im Abstimmungstermin angenommen und am 31.3.2023 vom Insolvenzgericht bestätigt. Die Rechtskraft des Insolvenzplans tritt am 15.4.2023 ein. Am 20.4.2023 lehnt die Hausbank den Darlehensantrag des Einzelunternehmers ab. 1.1.3 Fehlende oder fehlerhafte Erklärung Sofern ein Insolvenzplan die nach § 231 Abs. 1 Satz 1 InsO erforderliche Fortführungs- 183 erklärung des Schuldners nicht oder nicht mit dem vorgeschriebenen Inhalt enthält, handelt es sich um einen inhaltlichen Mangel. Dieser kann nach § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu einer Zurückweisung des Insolvenzplans von Amts wegen führen, sofern der Mangel nicht innerhalb einer vom Gericht festzusetzenden angemessenen Frist behoben wird. 1.2

Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, KGaA

1.2.1 Personenkreis Für den Fall, dass die im Insolvenzplan vorgesehene Fortführung des Unternehmens durch 184 eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit i. S. des § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO oder eine KGaA erfolgt, ist dem Insolvenzplan nach § 230 Abs. 1 Satz 2 InsO eine Fortführungserklärung der Personen beizufügen, die nach dem Insolvenzplan persönlich haftende Gesellschafter des Unternehmens sein sollen. Die Fortführungserklärung ist von allen persönlich haftenden Gesellschaftern des Unternehmens abzugeben. Als typische Anwendungsfälle kommen Unternehmen in Betracht, die als oHG, KG, KGaA, Partnerschaftsgesellschaft oder Gesellschaft des bürgerlichen Rechts fortgeführt werden. Die Fortführungserklärung ist jeweils von den persönlich haftenden Gesellschaftern abzugeben. § 230 Abs. 1 Satz 2 InsO findet keine Anwendung bei juristischen Personen, wie z. B. AG, 185 GmbH, rechtsfähige Vereine175) und eingetragene Genossenschaften. Daneben gilt die Vorschrift nicht für Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit oder KGaA, wenn deren persönlich haftende Gesellschafter keine natürlichen Personen sind (z. B. GmbH & Co. KG).176) Auch für den Fall, dass der Insolvenzplan durch den Schuldner selbst vorgelegt wird, 186 ist die Fortführungserklärung der persönlich haftenden Gesellschafter erforderlich. Die Ausnahmeregelung des § 230 Abs. 1 Satz 3 InsO ist nach der h. M. im Schrifttum nicht anwendbar.177) 1.2.2 Inhalt der Erklärung Nach § 230 Abs. 1 Satz 2 InsO haben die Personen, die nach dem Insolvenzplan persönlich 187 haftende Gesellschafter des Unternehmens sein sollen, verbindlich zu erklären, dass sie zur Fortführung des Unternehmens auf der Grundlage des Insolvenzplans bereit sind. Es handelt sich insofern um eine materiell-rechtliche Willenserklärung,178) mit der die Fortführungsbereitschaft erklärt wird. Im Hinblick auf die Aufnahme von Bedingungen (§ 158 ___________ 175) Nach Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 23, ist die Rechtslage bei nicht rechtsfähigen Vereinen zweifelhaft. Grundsätzlich ist der nicht rechtsfähige Verein nach § 11 Abs. 1 Satz 2 InsO im Hinblick auf die Insolvenzfähigkeit und das gesamte Insolvenzverfahren einschließlich des Insolvenzplanverfahrens wie eine juristische Person zu behandeln, was aber nicht für die Haftung i. S. des § 230 Abs. 1 Satz 2 InsO gelten kann. 176) Zu den Besonderheiten bei der Vorgründungsgesellschaft und Vorgesellschaft vgl. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 25. 177) Hierzu krit. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 26. Eine Klarstellung durch das ESUG ist nicht erfolgt. 178) Vgl. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 28.

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2. Teil Insolvenzplan – Inhalt

BGB) oder Befristungen (§ 163 BGB) wird auf die obigen Ausführungen und Beispiele verwiesen (siehe Rz. 180 f.). 188 Die Fortführungserklärung der persönlich haftenden Gesellschafter ist von dem gesellschaftsrechtlichen Fortsetzungsbeschluss der Gesellschafter abzugrenzen. Der Fortsetzungsbeschluss kann nach den einschlägigen gesetzlichen Regelungen gefasst werden, wenn das Insolvenzverfahren nach Bestätigung eines Insolvenzplans, der den Fortbestand der Gesellschaft vorsieht, aufgehoben wurde. 189 Beispiel: Über das Vermögen der Max & Moritz oHG wurde am 15.1.2023 das Insolvenzverfahren eröffnet. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird die Max & Moritz oHG nach § 131 Abs. 1 Nr. 3 HGB aufgelöst. Am 31.3.2023 wird das Insolvenzverfahren nach der Rechtskraft eines vom Schuldner vorgelegten Insolvenzplans aufgehoben. Nach § 144 Abs. 1 HGB können die Gesellschafter die Fortsetzung der Gesellschaft beschließen. 190 Musterformulierung: Gesellschafterbeschluss Unter Verzicht auf Form und Frist beschließen die bisherigen Gesellschafter der Max & Moritz oHG die Fortführung der Gesellschaft. [Ort, Datum, Unterschrift] 191 Mit der Verpflichtung der persönlich haftenden Gesellschafter zur Abgabe einer Fortführungserklärung soll erreicht werden, dass sich die Gesellschafter verbindlich bereit erklären, auf die Fassung eines Fortsetzungsbeschlusses hinzuwirken.179) Die Fortführungserklärung ist von dem erforderlichen Gesellschafterbeschluss zur Fortführung der Gesellschaft zu unterscheiden. 192 Musterformulierung: Verbindliche Erklärung eines persönlich haftenden Gesellschafters nach § 230 Abs. 1 Satz 2 InsO (Anlage zum Insolvenzplan) Hiermit erkläre ich, Max Muster, geboren am 29.3.1968, wohnhaft in Köln, Rheinstraße 5, in meiner Eigenschaft als persönlich haftender Gesellschafter der Meyer & Muster oHG, dass ich zur Fortführung der Meyer & Muster oHG auf der Grundlage des beim Insolvenzgericht Köln am 15.1.2023 eingereichten Insolvenzplans bereit bin. [Ort, Datum, Unterschrift] 1.2.3 Fehlende oder fehlerhafte Erklärung 193 Sofern ein Insolvenzplan die nach § 230 Abs. 1 Satz 2 InsO erforderlichen Fortführungserklärungen der Personen, die nach dem Insolvenzplan persönlich haftende Gesellschafter des Unternehmens sein sollen, nicht oder nicht mit dem vorgeschriebenen Inhalt enthält, handelt es sich um einen inhaltlichen Mangel. Dieser kann nach § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu einer Zurückweisung des Insolvenzplans von Amts wegen führen, sofern der Mangel nicht innerhalb einer vom Gericht festzusetzenden angemessenen Frist behoben wird. 2.

Erklärungen der Gläubiger (§ 230 Abs. 2 InsO)

194 Sofern der Insolvenzplan vorsieht, dass Gläubiger Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte oder Beteiligungen an einer juristischen Person, einem nicht rechtsfähigen Verein oder einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit übernehmen, ist dem Insolvenzplan eine zustimmende Erklärung eines jeden Gläubiger beizufügen. Es handelt sich um eine Zustimmungserklärung180) des Gläubigers mit der sichergestellt wird, dass „keinem Gläubiger […] gegen seinen ___________ 179) Vgl. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 30. 180) Vgl. Ober in: Nerlich/Römermann, InsO, § 230 Rz. 9.

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§ 23

Plananlagen

Willen Anteils- oder Mitgliedsrechte oder eine Beteiligung anstelle einer Befriedigung in Geld aufgedrängt werden“.181) Es handelt sich insofern um eine Ausprägung des Verbots von Verträgen zulasten Dritter.182) In der Praxis findet § 230 Abs. 2 InsO insbesondere bei Insolvenzplanverfahren Anwendung, bei denen Großgläubiger (z. B. Banken) Anteile oder Beteiligungen i. R. eines Debt Equity Swaps183) übernehmen. 2.1

Personenkreis

Als Gläubiger i. S. des § 230 Abs. 2 InsO kommen Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO), nach- 195 rangige Insolvenzgläubiger (§ 39 InsO) oder absonderungsberechtigte Gläubiger (§§ 49 bis 51 InsO) in Betracht. Voraussetzung ist jedoch, dass die betroffenen Gläubiger i. R. des Insolvenzplans Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte oder Beteiligungen übernehmen. Dabei ist unerheblich, ob die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte oder Beteiligungen an dem Rechtsträger des schuldnerischen Unternehmens oder an einer im Insolvenzplan vorgesehenen Übernahme- und Auffanggesellschaft bestehen.184) Als typische Anwendungsfälle kommen unmittelbare oder mittelbare Beteiligungen an einer GmbH oder AG in Betracht. § 230 Abs. 2 InsO findet keine Anwendung bei Einräumung von Optionsrechten (z. B. 196 Optionsschuldverschreibungen) und erfolgsabhängigen schuldrechtlichen Ansprüchen (z. B. Genussrechte).185) 2.2

Inhalt der Erklärung

Nach § 230 Abs. 2 InsO haben Gläubiger, die nach dem Insolvenzplan Anteils- oder Mit- 197 gliedschaftsrechte oder Beteiligungen übernehmen, verbindlich zu erklären, dass sie zu der Übernahme bereit sind. Es handelt sich insofern um eine materiell-rechtliche Willenserklärung.186) In diesem Fall muss jedoch der gestaltende Teil des Insolvenzplans eine gesellschaftsrechtlich erforderliche Willenserklärung enthalten (Beitrittserklärung), die nach § 254 Abs. 1 Satz 2 InsO mit Rechtskraft der Bestätigung des Insolvenzplans als abgegeben gilt. Insofern handelt es sich bei der Zustimmungserklärung um eine Tatbestandsvoraussetzung des § 254 Abs. 1 Satz 2 InsO. Beispiel: Der Insolvenzplan der Muster GmbH sieht vor, dass für den Fall der Rechtskraft des 198 Insolvenzplans die Volksbank Entenhausen eG auf ihre Forderung i. H. von 100.000 € verzichtet und stattdessen eine Beteiligung von 10 % an der Muster GmbH übernimmt. In dem gestaltenden Teil des Insolvenzplans wurde eine entsprechende gesellschaftsrechtlich erforderliche Willenserklärung aufgenommen. Musterformulierung: Verbindliche Erklärung eines Insolvenzgläubigers nach § 230 Abs. 2 199 InsO (Anlage zum Insolvenzplan) Hiermit erklären wir, die Volksbank Entenhausen eG, Bahnhofstraße 5 in Entenhausen, als nicht nachrangiger Insolvenzgläubiger der Gruppe 2 der Muster GmbH, dass wir zu der Über___________ 181) Vgl. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 203. 182) Vgl. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 230 Rz. 10. 183) Unter einem Debt Equity Swap versteht man eine Transaktion, bei der eine Forderung eines Gläubigers gegenüber einem Schuldnerunternehmen zugunsten einer entsprechenden Beteiligung an diesem erlischt. So z. B. wurde bei der Sanierung der Ihr Platz GmbH & Co. KG im Jahr 2006 das Sanierungsinstrument des Debt Equity Swaps i. R. eines Insolvenzplanverfahrens angewendet, vgl. Carli/Rieder/Mückl, ZIP 2010, 1737. 184) Vgl. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 53. 185) Vgl. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 57 f. 186) Vgl. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 59.

Zabel

709

§ 23

2. Teil Insolvenzplan – Inhalt

nahme einer unmittelbaren Beteiligung i. H. von 10 % anstelle einer Befriedigung in Geld auf der Grundlage des beim Insolvenzgericht Köln am 15.1.2023 eingereichten Insolvenzplans bereit sind. [Ort, Datum, Unterschrift] 2.3

Fehlende oder fehlerhafte Erklärung

200 Sofern ein Insolvenzplan die nach § 230 Abs. 2 InsO erforderliche Zustimmungserklärung eines Gläubigers, der nach dem Insolvenzplan Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte oder Beteiligungen übernehmen soll, nicht oder nicht mit dem vorgeschriebenen Inhalt enthält, handelt es sich um einen inhaltlichen Mangel. Dieser kann nach § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu einer Zurückweisung des Insolvenzplans von Amts wegen führen, sofern der Mangel nicht innerhalb einer vom Gericht festzusetzenden angemessenen Frist behoben wird. 3.

Erklärungen Dritter (§ 230 Abs. 3 InsO)

201 Sofern der Insolvenzplan vorsieht, dass ein Dritter für den Fall der Bestätigung des Insolvenzplans Verpflichtungen gegenüber den Gläubigern übernommen hat, ist dem Insolvenzplan eine Erklärung des Dritten beizufügen. Die Erklärung ist dem Insolvenzplan jedoch nur beizufügen, wenn sie vor Einreichung des Insolvenzplans vorliegt und der Insolvenzplan hierauf Bezug nimmt.187) Während die Fortführungserklärung (§ 230 Abs. 1 InsO) und die Zustimmungserklärung (§ 230 Abs. 2 InsO) eigenständige Willenserklärungen i. R. des Insolvenzplanverfahrens darstellen, dient die Erklärung nach § 230 Abs. 3 InsO grundsätzlich der Information der Gläubiger. Als typische Anwendungsfälle kommen Erklärungen von Investoren in Betracht, die das schuldnerische Unternehmen fortführen und sich verpflichten, die Gläubigerbefriedigung teilweise oder vollständig zu übernehmen, oder das Finanzamt oder die Gemeinden, die auf die Erhebung von Steuern auf den Sanierungsgewinn verzichten. 3.1

Personenkreis

202 Als Dritte i. S. des § 230 Abs. 3 InsO kommen grundsätzlich alle natürlichen und juristischen Personen in Betracht, die nicht Schuldner und nicht Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO), nachrangige Insolvenzgläubiger (§ 39 InsO) oder absonderungsberechtigte Gläubiger (§§ 49 bis 51 InsO) sind. Voraussetzung ist jedoch, dass die betroffenen Personen i. R. des Insolvenzplans Verpflichtungen übernehmen. Als typische Anwendungsfälle kommen Bürgschaftserklärungen, Schuldübernahmeerklärungen, Garantieerklärungen, Erklärungen von Investoren über den Eintritt in das Unternehmen und die Bereitstellung von Barmitteln in Betracht.188) 3.2

Inhalt der Erklärung

203 Nach § 230 Abs. 3 InsO haben Dritte, die für den Fall der Bestätigung des Insolvenzplans Verpflichtungen übernehmen, verbindlich zu erklären, dass sie zu der Übernahme bereit sind. Es handelt sich insofern um eine Verpflichtungserklärung, die unter der aufschiebenden Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB) der Bestätigung des Insolvenzplans steht.189) Sofern ein vorgelegter Insolvenzplan zurückgenommen wird, tritt die aufschiebende Bedingung nicht ein. ___________ 187) Vgl. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 203. 188) Vgl. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 76 m. w. N. und Beispielen. 189) Vgl. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 79.

710

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§ 23

Plananlagen

Beispiel: Der Insolvenzplan der Muster GmbH sieht vor, dass für den Fall der Bestätigung des 204 Insolvenzplans die Investor AG die Gläubigerbefriedigung i. H. von 100.000 € an die nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger der Gruppen 2 bis 5 innerhalb von 10 Tagen nach Rechtskraft der Aufhebung des Insolvenzverfahrens leistet. Musterformulierung: Verbindliche Erklärung des Investors nach § 230 Abs. 3 InsO

205

(Anlage zum Insolvenzplan) Hiermit erklären wir, die Investor AG, Bahnhofstraße 5 in München, vertreten durch den alleinvertretungsberechtigten Vorstand Dr. Max Kohle, das wir die Gläubigerbefriedigung für die nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger der Gruppen 2 bis 5 i. H. von insgesamt 100.000 € auf der Grundlage des beim Insolvenzgericht Köln am 15.1.2023 eingereichten Insolvenzplans innerhalb von 10 Tagen nach Rechtskraft der Aufhebung des Insolvenzverfahrens an die entsprechenden Gläubiger leisten werden. [Ort, Datum, Unterschrift] Nach dem Wortlaut des § 230 Abs. 3 InsO ist die Vorschrift grundsätzlich nur auf Verpflich- 206 tungserklärungen gegenüber Gläubigern anzuwenden. Die Vorschrift ist jedoch auch auf Verpflichtungserklärungen gegenüber der Schuldnerin analog anzuwenden, sofern diese für die Erfüllung des Insolvenzplans maßgeblich sind.190) Beispiel: Der Insolvenzplan der Muster GmbH sieht vor, dass für den Fall der Bestätigung 207 des Insolvenzplans die Investor AG der Muster GmbH ein nachrangiges Darlehen i. H. von 100.000 € gewährt. Das Darlehen soll innerhalb von 10 Tagen nach Rechtskraft der Aufhebung des Insolvenzverfahrens an die Muster GmbH ausgezahlt werden. Musterformulierung: Verbindliche Erklärung des Investors nach § 230 Abs. 3 InsO

208

(Anlage zum Insolvenzplan) Hiermit erklären wir, die Investor AG, Bahnhofstraße 5 in Entenhausen, vertreten durch den alleinvertretungsberechtigten Vorstand Dr. Max Kohle, dass wir der Muster GmbH innerhalb von 10 Tagen nach Rechtskraft der Aufhebung des Insolvenzverfahrens ein nachrangiges Darlehen i. H. von 100.000 € gewähren. [Ort, Datum, Unterschrift] 3.3

Exkurs: Erklärung der Finanzverwaltung

Im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens wird der Rechtsträger neben operativen leis- 209 tungswirtschaftlichen Maßnahmen v. a. durch finanzwirtschaftliche Maßnahmen saniert. Die finanzwirtschaftliche Sanierung wird dabei insbesondere durch Forderungsverzichte der Gläubiger erreicht. Diese führen zu einem Sanierungsgewinn, da die Verbindlichkeiten gegenüber den Gläubigern zum Zeitpunkt der Bestätigung des Insolvenzplans durch das Insolvenzgericht (§ 248 InsO) in der Handels- und Steuerbilanz der Schuldnerin i. H. des Verzichts ertragswirksam auszubuchen sind.191) Aufgrund fehlender gesetzlicher Vorschriften war der durch einen Insolvenzplan entstehende Sanierungsgewinn in der Vergangenheit grundsätzlich in voller Höhe der Besteuerung zu unterwerfen.192) ___________ 190) Vgl. Thies in: HambKomm-InsO, § 230 Rz. 9. 191) Der Zeitpunkt der Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses oder die vollständige Erfüllung des Insolvenzplans ist für die Entstehung des Sanierungsgewinns unerheblich, vgl. Maus, Steuern im Insolvenzverfahren, Rz. 430. 192) Nach der bis zum 31.12.1997 geltenden Vorschrift des § 3 Nr. 66 EStG a. F. waren „Erhöhungen des Betriebsvermögens, die dadurch entstehen, dass Schulden zum Zweck der Sanierung ganz oder teilweise erlassen werden“, in voller Höhe steuerfrei.

Zabel

711

§ 23

2. Teil Insolvenzplan – Inhalt

210 Das BMF hat in seinem BMF-Schreiben vom 27.3.2003 (Sanierungserlass)193) festgestellt, dass die Besteuerung des Sanierungsgewinns mit den Zielen der InsO in Konflikt stehe, da die Erhebung der Steuer auf einen nach Ausschöpfen der Verlustverrechnungsmöglichkeiten verbleibenden Sanierungsgewinn für den Steuerpflichtigen eine erhebliche Härte darstelle. Voraussetzungen für einen steuerbegünstigten Sanierungsgewinn i. S. des Sanierungserlasses sind die Sanierungsbedürftigkeit und Sanierungsfähigkeit des Schuldners, die Sanierungseignung des Schuldenerlasses und die Sanierungsabsicht der Gläubiger (siehe hierzu Kahlert, HRI II, § 47 Rz. 143 ff.). Der BFH hat mit Beschluss vom 28.11.2016194) jedoch entschieden, dass der in dem BMF-Schreiben v. 27.3.2003 vorgesehene Billigkeitserlass der auf einen Sanierungsgewinn entfallenden Steuern gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt. 211 Der Gesetzgeber hat zwischenzeitlich die steuerlichen Voraussetzungen einer unternehmensbezogenen Sanierung in § 3a Abs. 2 EStG n. F. neu geregelt. 4.

Erklärungen verbundener Unternehmen (§ 230 Abs. 4 InsO)

212 Nach § 217 Abs. 2 InsO kann der Insolvenzplan die Rechte der Inhaber von Insolvenzforderungen gestalten, die diesen aus einer von einem verbundenen Unternehmen i. S. des § 15 AktG als Bürge, Mitschuldner oder aufgrund einer anderweitig übernommenen Haftung oder an Gegenständen des Vermögens dieses Unternehmens (gruppeninterne Drittsicherheit) zustehen. 213 Mit der Vorschrift sollen auch die von Mutter- und Schwesterunternehmen gestellten Drittsicherheiten einbezogen werden. Sofern der Insolvenzplan derartige Eingriffe in die Rechte von Gläubigern aus gruppeninternen Drittsicherheiten vor, so ist dem Insolvenzplan die Zustimmung des verbundenen Unternehmens beizufügen, das die Sicherheit gestellt hat. 4.1

Personenkreis

214 Als verbundene Unternehmen i. S. des § 230 Abs. 4 InsO kommen mit Verweis auf § 15 AktG rechtlich selbständige Unternehmen in Betracht, die im Verhältnis zueinander in Mehrheitsbesitz stehen und mit Mehrheit beteiligte Unternehmen (§ 16 AktG), abhängige und herrschende Unternehmen (§ 17 AktG), Konzernunternehmen (§ 18 AktG), wechselseitig beteiligte Unternehmen (§ 19 AktG) oder Vertragsteile eines Unternehmensvertrags (§§ 291, 292 AktG) sind. 4.2

Inhalt der Erklärung

215 Nach § 230 Abs. 4 InsO haben verbundene Unternehmen, die für den Fall der Bestätigung des Insolvenzplans Verpflichtungen übernehmen, verbindlich zu erklären, dass sie zu der Übernahme bereit sind. Es handelt sich insofern um eine Verpflichtungserklärung, die unter der aufschiebenden Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB) der Bestätigung des Insolvenzplans steht. 216 Beispiel: Der Insolvenzplan der Muster GmbH sieht vor, dass für den Fall der Bestätigung des Insolvenzplans die Schwester-AG aus einer Bürgschaft einen Betrag i. H. der Gläubigerbefriedigung i. H. von 100.000 € an die nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger der Gruppen 2 bis 5 innerhalb von 10 Tagen nach Rechtskraft der Aufhebung des Insolvenzverfahrens leistet.

___________ 193) BMF-Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6 – S 2140 – 8/03 (Sanierungserlass), BStBl. I 2003, 240 = ZIP 2003, 690. 194) BFH v. 28.11.2016 – GrS 1/15, ZIP 2017, 338 = BB 2017, 481, dazu EWiR 2017, 149 (Möhlenkamp).

712

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§ 23

Plananlagen

Musterformulierung: Verbindliche Erklärung eines verbundenen Unternehmens nach 217 § 230 Abs. 4 InsO (Anlage zum Insolvenzplan) Hiermit erklären wir, die Schwester AG, Bahnhofstraße 5 in München, vertreten durch den alleinvertretungsberechtigten Vorstand Dr. Max Bonze, das wir die aus einer Bürgschaft die Gläubigerbefriedigung für die nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger der Gruppen 2 bis 5 i. H. von insgesamt 100.000 € auf der Grundlage des beim Insolvenzgericht Köln am 15.1.2023 eingereichten Insolvenzplans innerhalb von 10 Tagen nach Rechtskraft der Aufhebung des Insolvenzverfahrens an die entsprechenden Gläubiger leisten werden. [Ort, Datum, Unterschrift] 4.3

Fehlende oder fehlerhafte Erklärung

Sofern ein Insolvenzplan eine wirksam abgegebene Verpflichtungserklärung entgegen § 230 218 Abs. 4 InsO nicht enthält, handelt es sich um einen inhaltlichen Mangel. Dieser kann nach § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu einer Zurückweisung des Insolvenzplans von Amts wegen führen, sofern der Mangel nicht innerhalb einer vom Gericht festzusetzenden angemessenen Frist behoben wird. VII. Stellungnahmen zum Insolvenzplan (§ 232 InsO) Das Insolvenzplanverfahren ist dadurch gekennzeichnet, dass mit allen Beteiligten wirt- 219 schaftlich vertretbare Lösungen erarbeitet werden, die den Erhalt des Rechtsträgers ermöglichen. Dabei sind neben den Gläubigern auch die sonstigen Beteiligten (z. B. Mitglieder des Gläubigerausschusses, Betriebsrat etc.) von dem Insolvenzplan zu überzeugen. Dieses geschieht in der Praxis durch zahlreiche formelle und informelle Gespräche und Informationsveranstaltungen. Sofern einzelne Beteiligte dem Insolvenzplan positiv gegenüberstehen und ihn unterstützen, sollte dies auch im Insolvenzplan zum Ausdruck kommen und den Gläubigern mitgeteilt werden. Dies erhöht auf allen Ebenen die Bereitschaft, den Insolvenzplan zu unterstützen. Vor diesem Hintergrund bietet es sich an, etwaige Erklärungen von den Beteiligten einzuholen und dem Insolvenzplan als obligatorische Anlage beizufügen. Sofern das Insolvenzgericht den Insolvenzplan nicht nach § 231 InsO zurückgewiesen 220 hat, holt es Stellungnahmen ein. Dabei sollen sich die Stellungnahmen nach dem Wortlaut des § 232 Abs. 1 InsO insbesondere auf die Vergleichsrechnung beziehen. Im Hinblick auf eine Beschleunigung des Verfahrens kann es vorteilhaft sein, derartige Stellungnahmen im Vorfeld einzuholen und dem Insolvenzplan beizufügen.195) Das Insolvenzgericht kann nach § 232 Abs. 4 InsO den im Gesetz genannten Personenkreis den Insolvenzplan bereits vor der Entscheidung nach § 231 InsO zur Stellungnahme zuleiten. Sofern eine daraufhin eingehende Stellungnahme einen neuen Tatsachenvortrag enthält, auf den das Insolvenzgericht eine Zurückweisungsentscheidung stützen will, hat das Insolvenzgericht die Stellungnahme dem Planvorleger und den anderen zur Stellungnahme Berechtigten zur Stellungnahme binnen einer Frist von höchstens einer Woche zuzuleiten. 1.

Gläubigerausschuss (§ 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO)

Nach § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist von dem Gläubigerausschuss, sofern ein solcher bestellt 221 ist, durch das Insolvenzgericht eine Stellungnahme einzuholen. Die Mitglieder des Gläubi___________ 195) Sofern die Stellungnahme bereits mit dem Insolvenzplan vorgelegt wird, kann von der Einholung einer weiteren Stellungnahme dann abgesehen werden, wenn seitens des Gerichts keine Zweifel an deren Richtigkeit bestehen, vgl. Breuer in: MünchKomm-InsO, § 232 Rz. 8.

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713

§ 23

2. Teil Insolvenzplan – Inhalt

gerausschusses unterstützen und überwachen den Insolvenzverwalter bei seiner Geschäftsführung (vgl. § 69 InsO) und sollten auch bei der Erstellung eines Insolvenzplans regelmäßig einbezogen werden. Vor diesem Hintergrund sollte bereits bei Einreichung des Insolvenzplans eine entsprechende Stellungnahme vorliegen, die dem Insolvenzplan als gesonderte obligatorische Anlage beizufügen ist. 222 Musterformulierung: Stellungnahme eines Gläubigerausschussmitglieds zum Insolvenzplan nach § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO (Anlage zum Insolvenzplan) Hiermit erkläre ich, Hans Meyer, wohnhaft in Köln, Uferstaße 3, in meiner Eigenschaft als Mitglied des Gläubigerausschusses die Zustimmung zu dem mir mit Schreiben vom 5.2.2023 im Entwurf zur Verfügung gestellten Insolvenzplan mit Vergleichsrechnung. Der vorliegende Entwurf des Insolvenzplans und die Vergleichsrechnung wurden mir am 10.2.2023 durch die Geschäftsführung und dem Sachwalter ausführlich erläutert. Etwaige Fragen zur Unternehmensfortführung und zur Vergleichsrechnung wurden vollständig von der Geschäftsführung beantwortet. Der mir vorliegende Entwurf des Insolvenzplans soll nach Rücksprache mit dem Sachwalter in unveränderter Form am 15.2.2023 beim Insolvenzgericht Köln eingereicht werden. [Ort, Datum, Unterschrift] 2.

Betriebsrat (§ 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO)

223 Nach § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist von Betriebsrat und Sprecherausschuss der leitenden Angestellten durch das Insolvenzgericht eine Stellungnahme einzuholen. Die Arbeitnehmer sind in der Regel maßgeblich an der leistungswirtschaftlichen Sanierung eines Unternehmens mit häufig einschneidenden Maßnahmen (z. B. Lohn- und Gehaltsverzichte) beteiligt. Diese Maßnahmen sind in der Regel nur durchsetzbar, wenn die Verhandlungen auf Augenhöhe mit hoher Transparenz geführt werden. Dazu gehört auch, dass der Betriebsrat i. R. der Erstellung eines Insolvenzplans regelmäßig informiert und angehört werden sollte. Vor diesem Hintergrund sollte bereits bei Einreichung des Insolvenzplans eine entsprechende Stellungnahme vorliegen, die dem Insolvenzplan als gesonderte obligatorische Anlage beizufügen ist. 224 Musterformulierung: Stellungnahme des Betriebsrats zum Insolvenzplan nach § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO (Anlage zum Insolvenzplan) Hiermit erklären wir die Zustimmung zu dem uns mit Schreiben vom 5.2.2023 im Entwurf zur Verfügung gestellten Insolvenzplan mit Vergleichsrechnung. Der vorliegende Entwurf des Insolvenzplans und die Vergleichsrechnung wurden uns am 11.2.2023 durch die Geschäftsführung und dem Sachwalter ausführlich erläutert. Darüber hinaus wurden wir regelmäßig von der Geschäftsführung und dem Sachwalter über die Maßnahmen des Insolvenzplans informiert. Die in dem Insolvenzplan im darstellenden Teil genannte Betriebsvereinbarung hinsichtlich der geänderten Arbeitszeitregelung während der Dauer der Laufzeit des Insolvenzplans wurde zwischenzeitlich von Betriebsrat und Geschäftsführung unterschrieben. Der uns vorliegende Entwurf des Insolvenzplans soll nach Rücksprache mit dem Sachwalter in unveränderter Form am 15.2.2023 beim Insolvenzgericht Köln eingereicht werden. [Ort, Datum, Unterschrift]

714

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§ 23

Plananlagen 3.

Schuldner (§ 232 Abs. 1 Nr. 2 InsO)

Nach § 232 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist von dem Schuldner eine Stellungnahme durch das In- 225 solvenzgericht einzuholen, sofern der Insolvenzplan von dem Insolvenzverwalter vorgelegt wurde. Durch einen Insolvenzplan soll der Rechtsträger erhalten bleiben. Es ist in der Praxis davon auszugehen, dass ein vom Insolvenzverwalter eingereichter Insolvenzplan regelmäßig in Zusammenarbeit mit dem Schuldner erstellt, zumindest aber abgestimmt wurde. Vor diesem Hintergrund sollte bereits bei Einreichung des Insolvenzplans eine entsprechende Stellungnahme vorliegen, die dem Insolvenzplan als gesonderte obligatorische Anlage beizufügen ist. Musterformulierung: Stellungnahme des Schuldners zum Insolvenzplan nach § 232 226 Abs. 1 Nr. 2 InsO (Anlage zum Insolvenzplan) Hiermit erkläre ich als Allein-Gesellschafter der Meyer GmbH meine Zustimmung zu dem mir mit Schreiben vom 5.2.2023 im Entwurf zur Verfügung gestellten Insolvenzplan. Der mir vorliegende Entwurf des Insolvenzplans soll nach Rücksprache mit dem Sachwalter in unveränderter Form am 15.2.2023 beim Insolvenzgericht Köln eingereicht werden. [Ort, Datum, Unterschrift] 4.

Insolvenzverwalter (§ 232 Abs. 1 Nr. 3 InsO)

Nach § 232 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist von dem Insolvenzverwalter eine Stellungnahme durch 227 das Insolvenzgericht einzuholen, sofern der Insolvenzplan von dem Schuldner vorgelegt wurde. Die Vorschrift ist im Fall der Eigenverwaltung analog auf den Sachwalter anzuwenden. Durch einen Insolvenzplan soll der Rechtsträger erhalten bleiben. Es ist in der Praxis davon auszugehen, dass ein vom Schuldner eingereichter Insolvenzplan regelmäßig in Zusammenarbeit mit dem Insolvenzverwalter bzw. Sachwalter erstellt, zumindest aber abgestimmt wurde. Vor diesem Hintergrund sollte bereits bei Einreichung des Insolvenzplans eine entsprechende Stellungnahme vorliegen, so dass diese dem Insolvenzplan als gesonderte obligatorische Anlage beigefügt werden sollte. Musterformulierung: Stellungnahme des Insolvenzverwalters/Sachwalters zum Insol- 228 venzplan nach § 232 Abs. 1 Nr. 3 InsO (Anlage zum Insolvenzplan) Hiermit erkläre ich als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Meyer GmbH meine Zustimmung zu dem mir mit Schreiben vom 5.2.2023 im Entwurf zur Verfügung gestellten Insolvenzplan mit Vergleichsrechnung. In diesem Zusammenhang verweise ich auf die Vergleichsrechnung in Anlage [Nr. …]. Nach dem vorliegenden Insolvenzplan erhalten die ungesicherten Gläubiger 14 Tage nach Rechtskraft der Aufhebung des Insolvenzverfahrens eine Quote von 10 % auf die festgestellten Forderungen. Sofern der vorliegende Insolvenzplan nicht von den Gläubigern angenommen wird, ist der Geschäftsbetrieb einzustellen. In diesem Fall ist mit einer Quotenzahlung für die Gläubiger nicht zu rechnen. [Ort, Datum, Unterschrift]

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715

C. Einzelaspekte des darstellenden und gestaltenden Teils § 24 Gruppenbildung Haneke

I.

Einführung in die Grundsätze der Gruppenbildung................................... 1 1. Zweck der Gruppenbildung ........................ 1 2. Grundlagen der Gruppenbildung................ 6 3. Ein-Gruppen-Plan/keine Gruppenbildung ......................................... 12 4. Standort der Gruppenbildung im Insolvenzplan........................................ 14 5. Darstellung der Gruppenbildung im Plan ........................................................ 15 6. Gefahren für den Plan im Zusammenhang mit den Gruppenbildungsregeln ...... 17 6.1 Vorprüfung durch das Insolvenzgericht (§ 231 InsO).............. 18 6.2 Ablehnung durch die Gläubiger im Abstimmungstermin................ 23 6.3 Versagung der gerichtlichen Bestätigung i. R. von § 248 InsO.... 24 6.4 Rechtsmittel................................... 28 7. Einflussnahmemöglichkeiten der Gläubiger auf die Gruppenbildung..... 29 7.1 Im Planerstellungsauftrag an den Insolvenzverwalter ............ 30 7.2 Durch den Gläubigerausschuss bei der Planaufstellung.................. 32 7.3 Informelle Einflussnahmemöglichkeiten ................................ 33 II. Obligatorische Gruppenbildung nach § 222 Abs. 1 InsO............................. 35 1. Allgemeines ................................................ 35 2. Absonderungsberechtigte Gläubiger (§ 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO) .............. 40 3. Nicht nachrangige Insolvenzgläubiger (§ 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO) .............. 47 3.1 Ungesicherte persönliche Forderungen .................................. 47 3.2 Gesicherte persönliche Forderungen .................................. 50 4. Einzelne Rangklassen nachrangiger Insolvenzgläubiger (§ 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO) ................................................ 57 4.1 Regelfall: Erlasswirkung................ 57 4.2 Zinsen und Säumniszuschläge gesicherter Gläubiger .................... 61

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Gesellschafterdarlehen bei Debt Equity Swaps.................. 63 5. Anteilseigner (§ 222 Abs. 1 Nr. 4 InsO) .... 64 6. Inhaber von gruppeninternen Drittsicherheiten (§ 222 Abs. 1 Nr. 5 InsO).... 65 7. Pensionssicherungsverein – PSVaG (§ 9 Abs. 4 Satz 1 BetrAVG)..................... 66 III. Fakultative Gruppenbildung nach § 222 Abs. 2 und Abs. 3 InsO .................. 67 1. Differenzierungskriterien.......................... 68 2. Pflicht zur Bildung fakultativer Gruppen?.................................................... 75 3. Taktisches Verhalten bei der Gruppenbildung ............................ 78 4. Dokumentationspflicht gemäß § 222 Abs. 2 Satz 3 InsO ..................................... 83 5. Gleichbehandlungsgrundsatz innerhalb der Gruppen (§ 226 InsO) ........................ 84 6. Fakultative Untergruppen im Einzelnen..... 85 6.1 Arbeitnehmer ................................ 85 6.2 Kleingläubiger ............................... 92 6.3 Geringfügig Beteiligte ................... 95 6.4 Spezialgesetzliche fakultative Gruppen ........................................ 96 6.5 Weitere Beispiele für typische fakultative Gruppen ...................... 99 IV. Sonderfälle der (obligatorischen) Gruppenbildung ..................................... 101 1. Obligatorische Gruppen im Insolvenzplan bei Masseunzulänglichkeit (§§ 208 f. InsO) ....................................... 101 1.1 Zulässigkeit eines Insolvenzplans bei Masseunzulänglichkeit... 101 1.2 Gruppenbildung im Insolvenzplan bei Masseunzulänglichkeit ... 102 2. Obligatorische Gruppen im Folgeinsolvenzplan nach Kreditrahmenregelung gemäß §§ 264 ff. InsO.... 109 2.1 Situation der Kreditrahmenregelung.......... 110 2.2 Gruppenbildung im Folgeinsolvenzplan .................................. 111

Haneke

4.3

§ 24

Gruppenbildung

Literatur: Kaltmeyer, Der Insolvenzplan als Sanierungsmittel des Schuldners – Unter Berücksichtigung des EGInsOÄndG v. 19.12.1998, ZInsO 1999, 255; Rugullis, Nachrangige Insolvenzforderungen als Problem des Schuldrechts, ZInsO 2021, 2189; Smid, Kontrolle der sachgerechten Abgrenzung von Gläubigergruppen im Insolvenzplanverfahren, InVo 1997, 169; Weßling, Zur Gruppenbildung nach § 222 II InsO, ZInsO 2021, 1127.

I.

Einführung in die Grundsätze der Gruppenbildung

1.

Zweck der Gruppenbildung

Im Insolvenzplan werden die Gläubiger zum Zwecke der Abstimmung über den Plan mit 1 ihren Forderungen in verschiedene Gruppen eingeteilt. Die Gruppenbildung ist eine der zentralen Aufgaben bei der Erstellung eines Insolvenzplans. Von einer umsichtigen Gruppenbildung kann abhängen, ob der Plan von den Gläubigern angenommen oder abgelehnt wird. § 222 Abs. 1 InsO regelt, dass bestimmte Gläubigergruppen zwingend zu bilden sind (sog. 2 obligatorische Gruppenbildung), in denen Gläubiger gleicher Rechtsstellung zusammengefasst werden. § 222 Abs. 2 InsO ermöglicht darüber hinaus die Bildung weiterer Gruppen (sog. fakultative Gruppenbildung), was anhand der Kriterien der Gleichartigkeit bzw. Unterschiedlichkeit wirtschaftlicher Interessen zu erfolgen hat. Durch die Gruppenbildung soll einerseits eine Bündelung gleichartiger Gläubigerinte- 3 ressen, andererseits aber auch eine Trennung verschiedenartiger Gläubigerinteressen erreicht werden. Sie soll im Ergebnis auch dazu beitragen, die Legitimität und damit die Annahmewahrscheinlichkeit des Plans zu erhöhen.1) Dabei steht der Vorgang der Gruppenbildung, wie das gesamte Instrument des Insolvenzplans, in einem gewissen Spannungsverhältnis: Zum einen soll der Insolvenzplan eine für die Gläubiger günstigere Alternative zu dem normalen Fall der Regelinsolvenz darstellen und damit vorrangig der besseren Gläubigerbefriedigung dienen. Zum anderen wird in der Durchführung eines Insolvenzplans oftmals auch die Chance zur Eigensanierung des Schuldners liegen und ihm damit neue Perspektiven eröffnen. Ein Aspekt der Gruppenbildung ist deshalb auch das Interesse (des Schuldners, aber ggf. auch der Gläubigermehrheit), einen bestimmten Plan durchzusetzen. Zweck der Gruppenbildung ist es jedenfalls nicht, dass einzelne Gläubiger durch einen Plan 4 benachteiligt werden, wogegen sie durch die Regelungen zum Minderheitenschutz nach § 251 InsO geschützt werden. Es geht allenfalls darum, den auch dem Interesse der Gläubigermehrheit widersprechenden Widerstand einzelner Planopponenten gegen einen sachgerechten und mehrheitlich akzeptierten Plan zu überwinden. Dazu muss und darf eine geschickte Gruppenbildung vorgenommen werden. Die Legitimität taktischen Verhaltens ergibt sich also schon aus dem berechtigten Interesse des Planerstellers und der Gläubigermehrheit, einen im Gläubigerinteresse erarbeiteten Insolvenzplan auch zur Annahme zu bringen (weiterführend zur Legitimität taktischen Verhaltens bei der Untergruppenbildung siehe Rz. 78 ff.). Die Gruppenbildung im Insolvenzplan muss für jedes Verfahren stark einzelfallabhängig 5 erfolgen. Schematische Lösungen sind auch in einfacheren Fallgestaltungen oftmals untunlich, denn die Besonderheiten des konkreten Insolvenzplans erfordern individuelle Regelungen und Gruppeneinteilungen.

___________ 1) So auch die Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 92.

Haneke

717

§ 24 2.

2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte Grundlagen der Gruppenbildung

6 In die verschiedenen (obligatorischen und fakultativen) Gruppen werden – anders als der Wortlaut des § 222 InsO es vermuten lässt – nicht die Gläubiger, sondern vielmehr deren Forderungen eingeteilt.2) 7 Grundlage für die obligatorische Gruppenbildung gemäß § 222 Abs. 1 InsO ist die unterschiedliche Rechtsstellung von Gläubigerforderungen. Gemeint ist damit eine spezifisch insolvenzrechtlich unterschiedliche Rechtsstellung, also ein unterschiedlicher Befriedigungsrang.3) Sind Gläubiger mit unterschiedlichem Befriedigungsrang beteiligt, sind deren Forderungen zwingend in unterschiedliche Gruppen einzuteilen. 8 Innerhalb der obligatorischen Gruppen können4) gemäß § 222 Abs. 2 InsO weitere, fakultative (Unter-)Gruppen gebildet werden, wenn dabei gewisse Vorgaben beachtet werden: Es können zum einen nur Gläubiger mit gleichem wirtschaftlichem Interesse zusammengefasst werden; zum anderen muss die Abgrenzung zwischen den verschiedenen Gläubigergruppen anhand unterschiedlicher wirtschaftlicher Interessen sachgerecht erfolgen (siehe dazu eingehend Rz. 68 ff.). 9 Beispiel: Gesicherte Geldkreditgeber und gesicherte Lieferanten sind grundsätzlich als absonderungsberechtigte Gläubiger zusammen in die Gruppe gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO einzuordnen. Gesicherte Lieferanten könnten sich allerdings u. U. – im Vergleich zu gesicherten Geldkreditgebern – mit weitreichenderen Eingriffen in ihr jeweiliges Absonderungsrecht durch den Insolvenzplan abfinden, da sie sich von der Sanierung des Schuldners vielleicht eine Fortsetzung der Geschäftsbeziehungen und damit einen langfristigen Vorteil erhoffen. Ein unterschiedliches wirtschaftliches Interesse von gesicherten Lieferanten und Darlehensgebern lässt sich aus eben diesem Grund feststellen und eine gruppenmäßige Differenzierung gemäß § 222 Abs. 2 InsO rechtfertigen (siehe dazu auch Rz. 100 f.). 10 Bei der Gruppenbildung ist auch stets die Regelung des § 226 InsO im Blick zu behalten: Nach dieser Vorschrift sind den einer Gruppe zugeteilten Gläubigern grundsätzlich gleiche Rechte anzubieten, wenn nicht die betroffenen Gläubiger einer Ungleichbehandlung einzeln zustimmen. Wenn also in die Rechte von Gläubigern mit gleicher Rechtsstellung in unterschiedlicher Art oder Intensität eingegriffen werden soll, so ist dies nur dann möglich, wenn diese anhand eines unterschiedlichen wirtschaftlichen Interesses gemäß § 222 Abs. 2 InsO voneinander abgegrenzt und in unterschiedliche Gruppen eingeteilt werden können oder sie mit der Ungleichbehandlung innerhalb ihrer Gruppe einverstanden sind. Eine Aufteilung stärker beeinträchtigter Gläubiger auf verschiedene Gruppen zum Zwecke der Überstimmung durch weniger beeinträchtigte Gläubiger und eine damit einhergehende Entwertung ihrer Stimmrechte ist somit erschwert. 11 Die Grundsätze der Gruppenbildung können dazu führen, dass auch Ein-Gläubiger-Gruppen gebildet werden müssen (z. B. im Falle der obligatorischen Gruppenbildung für Inhaber gruppeninterner Drittsicherheiten gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 5 InsO, siehe dazu Rz. 65, für den PSVaG gemäß § 9 Abs. 4 Satz 1 BetrAVG, siehe dazu Rz. 66, oder wenn bspw. nur ein absonderungsberechtigter Gläubiger vorhanden ist) oder können.5) Entscheidend ist bei Bildung einer fakultativen Ein-Gläubiger-Gruppe allein, ob die Gruppenbildung entspre___________ 2) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 11; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 28; auch BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, ZIP 2005, 1648, dazu EWiR 2006, 279 (v. Gleichenstein) stellt fest, dass ein Gläubiger mit einer teilweise gesicherten und teilweise ungesicherten Forderung in unterschiedliche Gruppen einzuordnen ist und dass diese Situation in dem konkreten Fall nur nicht vorliege. 3) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 49; Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 92. 4) Zur Frage der Pflicht einer fakultativen Gruppenbildung s. Rz. 75 ff. 5) So u. a. auch Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 31 m. w. N.

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§ 24

Gruppenbildung

chend der gesetzlichen Vorgaben sachgerecht erfolgt. Fakultative Ein-Gläubiger-Gruppen können z. B. gebildet werden für den Fiskus oder die Bundesagentur für Arbeit wegen der auf sie i. R. des Insolvenzgelds übergegangenen Ansprüche.6) 3.

Ein-Gruppen-Plan/keine Gruppenbildung

Ein Plan mit nur einer Gruppe ist – wenn keine obligatorische Gruppenbildung gemäß § 222 12 Abs. 1 InsO erforderlich ist – grundsätzlich zulässig,7) wobei die Gruppenbildung dann u. U. auch ganz unterbleiben kann.8) Eine Begründung, warum nur eine Gruppe gebildet wird bzw. warum die Gruppenbildung unterbleibt, ist aber auf jeden Fall erforderlich. Der Vorteil eines Ein-Gruppen-Plans kann darin bestehen, dass sich der Planersteller die 13 mitunter aufwendige Arbeit der Gruppenbildung spart. Er hat dabei jedoch zu beachten, dass er in diesem Fall allen Gläubigern des Insolvenzverfahrens gemäß § 226 Abs. 1 InsO gleiche Rechte anzubieten hat, wenn sich nicht alle betroffenen Gläubiger mit einer Ungleichbehandlung einverstanden erklären, § 226 Abs. 2 InsO. Dadurch ist der Gestaltungsspielraum des Planerstellers hinsichtlich der Planregelungen stark eingeschränkt. 4.

Standort der Gruppenbildung im Insolvenzplan

Die Gruppenbildung wird im gestaltenden Teil des Insolvenzplans vorgenommen, denn 14 sie erfolgt ausweislich des Wortlauts des § 222 Abs. 1 Satz 1 InsO „bei der Festlegung der Rechte der Beteiligten“ (siehe dazu auch den Musterinsolvenzplan unten Rendels/Zabel, HRI II, § 45). Ob die Abgrenzungskriterien für die fakultative Gruppenbildung gemäß § 222 Abs. 2 Satz 3 InsO nun im gestaltenden oder darstellenden Teil angegeben werden, spielt keine Rolle.9) 5.

Darstellung der Gruppenbildung im Plan

Im Plan empfiehlt es sich, die Gruppenbildung folgendermaßen darzustellen:

15



Zunächst ist abstrakt darzulegen, dass und aus welchem Grund die konkrete Gruppe in diesem Verfahren gebildet wird.



Sodann erfolgt die Zuteilung der passenden Gläubiger zu dieser Gruppe.



Zuletzt ist die Zuteilung der einzelnen Gläubiger zu der Gruppe zu begründen.

Die Darstellung kann je nach Planumfang und Komplexität kurz oder umfangreich erfolgen. 16 In ganz einfachen Fällen kann die Zuteilung der Gläubiger zu den gebildeten Gruppen und die Begründung dieser Zuteilung auch in einem einzigen Darstellungsschritt vorgenommen werden. Die saubere Zuordnung und Abgrenzung samt Begründung ist jedoch unerlässlich.

___________ 6) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 31 a. E. 7) Thies in: HambKomm-InsO, § 222 Rz. 4. 8) So Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 37 ff. Ob nun eine Gruppe gebildet wird oder die Gruppenbildung unterbleibt, ist lediglich eine Frage der Sichtweise, die aber keine Auswirkung auf das Ergebnis hat. 9) So BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, Rz. 10, ZIP 2015, 1346, dazu EWiR 2015, 483 (Spliedt); für eine Angabe im darstellenden Teil Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 22; Thies in: HambKommInsO, § 220 Rz. 4. Eine Angabe bereits im gestaltenden Teil könnte u. U. die Lesbarkeit des Plans verbessern.

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§ 24 6.

2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte Gefahren für den Plan im Zusammenhang mit den Gruppenbildungsregeln

17 Ein Insolvenzplan kann auf seinem Weg zur Rechtskraft mit vielfältigen Hürden und Hindernissen konfrontiert sein. An dieser Stelle wird nur darauf eingegangen, inwieweit diese Hindernisse gerade im Zusammenhang mit der Gruppenbildung auftreten können. 6.1

Vorprüfung durch das Insolvenzgericht (§ 231 InsO)

18 Gemäß § 231 Abs. 1 InsO hat das Insolvenzgericht schon vor der Abstimmung der Gläubiger den Plan von Amts wegen zurückzuweisen, sofern die in der Vorschrift genannten Vorgaben nicht eingehalten wurden. Im Zusammenhang mit der Gruppenbildung ist hier § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO relevant, wonach eine Zurückweisung erfolgt, wenn die Vorschriften über „den Inhalt des Plans, insbesondere zur Bildung von Gruppen, nicht beachtet sind“. 19 Problematisch ist dabei insbesondere die Reichweite des Prüfungsrechts des Insolvenzgerichts im Hinblick auf die Gruppenbildung (siehe auch Stahlschmidt, HRI II, § 30 Rz. 7 ff.). Unzweifelhaft überprüft werden kann und muss, ob die Regeln des § 222 InsO verletzt sind. Das Insolvenzgericht prüft daher, ob alle notwenigen obligatorischen Gruppen gebildet sind und ob bei eventueller fakultativer Gruppenbildung die Vorgaben des § 222 Abs. 2 InsO, also die Erfordernisse der Gleichartigkeit der wirtschaftlichen Interessen und der Sachgerechtigkeit der Abgrenzung, gewahrt sind. 20 Ob aber darüber hinaus vom Insolvenzgericht auch überprüft werden kann, ob der Planersteller die Gruppenbildung „manipulativ“ ausgestaltet hat, ist umstritten.10) Auch eine taktisch motivierte Gruppenbildung, die die Annahme des Plans wahrscheinlich machen soll, ist durch das Gesetz nicht verboten, solange sie sachgerecht ist (siehe Rz. 78 ff.). 21 Es dürfte allerdings kaum abgrenzbar sein, ob eine verbotene, „manipulative“, oder noch erlaubte, „legitime“ Gruppenbildung vorliegt. Wegen der sich daraus ergebenden Unsicherheiten ist ein zu weitgehendes Vorprüfungsrecht des Insolvenzgerichts abzulehnen und die Entscheidung darüber, ob die Gruppeneinteilung den Rahmen des Erlaubten sprengt, in Zweifelsfällen den Gläubigern zu überlassen. Sollten einzelne Gläubiger durch die Gruppenbildung in ihren Rechten verletzt werden, haben sie – neben der Wahrnehmung ihres Stimmrechts – ggf. die Möglichkeit, Minderheitenschutz gemäß § 251 InsO für sich in Anspruch zu nehmen und sofortige Beschwerde gegen die Bestätigung des Insolvenzplans einzulegen, § 253 InsO. Sie sind zur Wahrung ihrer Rechte daher nicht auf eine über den Gesetzeswortlaut hinausgehende Vorprüfung durch das Insolvenzgericht angewiesen. 22 § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO sieht eine Nachbesserungsmöglichkeit für den Planersteller vor, mit deren Hilfe die Vorprüfung ggf. noch bestanden werden kann. Änderungen sind jedoch nicht in beliebigem Umfang möglich. Der Plan darf durch die Nachbesserung nicht grundlegend und weitreichend verändert werden.11) 6.2

Ablehnung durch die Gläubiger im Abstimmungstermin

23 Der Gefahr der Ablehnung des Insolvenzplans im Abstimmungstermin gemäß § 244 InsO (siehe Stahlschmidt, HRI II, § 33) kann der Planersteller entscheidend durch eine sinnvolle ___________ 10) Gegen eine weitreichende Prüfungskompetenz die wohl h. M.: Breuer in: MünchKomm-InsO, § 231 Rz. 16; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 231 Rz. 24; Thies in: HambKomm-InsO, § 231 Rz. 10; Kebekus/Handschumacher in: Graf-Schlicker, InsO, § 231 Rz. 3; Kaltmeyer, ZInsO 1999, 255, 263; a. A. und für eine weitreichende Prüfungskompetenz Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 231 Rz. 15; Smid, InVo 1997, 169, 176 f. Die Entscheidungen BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346, dazu EWiR 2015, 483 (Spliedt), und AG Köln v. 6.4.2016 – 74 IN 45/15, ZIP 2016, 1240, fordern zu Recht die Angabe nachprüfbarer und belastbarer Differenzierungskriterien im Insolvenzplan. 11) Ober in: Nerlich/Römermann, InsO, § 231 Rz. 8 – nur Änderungen ohne wesentlichen Einfluss auf andere Planregelungen.

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Gruppenbildung

Gruppenbildung unter Beachtung der gesetzlichen Regeln des § 222 InsO entgegenwirken. Planfeindliche Gläubiger können bspw. dergestalt auf verschiedene Gruppen verteilt werden, dass innerhalb einer jeden Gruppe trotzdem noch die erforderliche Kopf- und Summenmehrheit gemäß § 244 Abs. 1 InsO erreicht werden kann. Alternativ dazu können planfeindlich eingestellte Gläubiger in einer Gruppe zusammengefasst werden. Dies offenbart die Möglichkeit, dass, falls nur diese eine Gruppe den Plan ablehnt, ihr Widerstand über das Obstruktionsverbot gemäß § 245 InsO überwunden werden kann. Auch die Regelungen zum Obstruktionsverbot gemäß § 245 InsO sind bei der Gruppenbildung daher immer im Auge zu behalten und sinnvoll in die Überlegungen einzubeziehen. 6.3

Versagung der gerichtlichen Bestätigung i. R. von § 248 InsO

Nach einer positiven Abstimmung der Gläubiger über den und der Zustimmung des Schuld- 24 ners zu dem Plan bedarf dieser, um in Rechtskraft zu erwachsen und seine im gestaltenden Teil vorgesehenen Wirkungen zu entfalten, noch der Bestätigung durch das Insolvenzgericht gemäß § 248 InsO. Diese Bestätigung kann in den Fällen der §§ 249 f. InsO, insbesondere gemäß § 250 InsO bei Verstößen gegen Verfahrensvorschriften, versagt werden (siehe unten Westpfahl, HRI II, § 37). Für Fehler bei der Gruppenbildung relevant ist der Fall des § 250 Nr. 1 InsO, nach dem die Bestätigung des Plans von Amts wegen zu versagen ist, „wenn die Vorschriften über den Inhalt […] des Insolvenzplans […] in einem wesentlichen Punkt nicht beachtet worden sind und der Mangel nicht behoben werden kann“. Auch hier gilt wieder, dass die Gruppenbildungsvorschriften des § 222 InsO Vorschriften über den Inhalt des Plans in diesem Sinne sind (siehe dazu oben Rz. 18). Da es sich um zwingende Vorschriften handelt, ist bei einem Verstoß immer „ein wesentlicher Punkt nicht beachtet“.12) Da die hier vorzunehmende Prüfung vom Umfang her deckungsgleich ist mit derjenigen 25 der Vorprüfung gemäß § 231 InsO, sollten fehlerhafte Pläne in diesem Stadium eigentlich schon aussortiert sein. Etwas anderes kann natürlich insbesondere dann gelten, wenn der Inhalt des Plans zwischenzeitlich gemäß § 240 InsO geändert wurde. Der Prüfungsumfang bezüglich der Gruppenbildung ist auch i. R. der §§ 248 ff. InsO auf die Einhaltung der Regeln des § 222 InsO beschränkt und erstreckt sich wie auch die Prüfung nach § 231 InsO nicht auch auf etwaige „Manipulationen“ des Abstimmungsergebnisses durch die Gruppenbildung (mit derselben Begründung wie oben, siehe Rz. 19 ff.). Zu beachten ist, dass auch vor der gerichtlichen Bestätigung gemäß §§ 248 ff. InsO noch 26 eine Nachbesserungsmöglichkeit für den Planersteller besteht.13) Dabei gelten die Einschränkungen des § 240 InsO. Änderungen sind demnach nicht in beliebigem Umfang möglich, sondern nur bezüglich „einzelner Regelungen des Insolvenzplans“. Der Plan darf durch die Nachbesserung nicht in seinem Kern, d. h. seinen prägenden Gestaltungen, verändert werden. Kriterium dafür wiederum ist, dass die abstimmenden Gläubiger durch die Neuerungen nicht die Übersicht über die Wirkungen, die der Plan für sie haben wird, verlieren dürfen.14) Für die Praxis bedeuten diese indes wenig griffigen Formulierungen, dass die Zulässigkeit von Gruppenänderungen nach Planvorlage nicht abstrakt beurteilt werden kann, sondern Ergebnis einer konkreten Einzelfallprüfung ist15) (siehe zur Planänderung auch unten Stahlschmidt, HRI II, § 33 Rz. 35 ff. und Pleister/Theusinger, HRI II, § 34). ___________ 12) 13) 14) 15)

Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 10. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 248 Rz. 39. So auch Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 240 Rz. 4 m. w. N. Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 8.

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2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

27 Beispiel: Als zulässig angesehene Änderungen der Gruppenbildung sind: die Unterteilung einzelner gebildeter Gruppen in Untergruppen; die Zusammenfassung mehrerer Gruppen zu einer Gruppe; der Austausch einzelner Gläubiger von der einen in die andere Gruppe sowie Korrekturen fehlerhafter Gruppenbildungen.16) 6.4

Rechtsmittel

28 Wird die Bestätigung trotz Verstoßes gegen Verfahrensvorschriften erteilt, steht den Gläubigern sowie dem Schuldner gemäß § 253 InsO hiergegen das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zu, soweit diese beschwert sind (siehe auch unten Burmeister/Tasma, HRI II, § 38).17) Die sofortige Beschwerde kann sich auf alle Verletzungen von Vorschriften über das gerichtliche Bestätigungsverfahren,18) also wegen § 250 Nr. 1 InsO auch auf eine Verletzung der Gruppenbildungsregeln, stützen. Diese Rechtsschutzmöglichkeit ist jedoch nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer dem Plan spätestens im Abstimmungstermin schriftlich oder zu Protokoll widersprochen hat, gegen den Plan gestimmt hat und glaubhaft macht, dass er durch den Plan wesentlich schlechtergestellt wird, als er ohne einen Plan stünde, ohne dass dieser Nachteil durch eine Zahlung aus den in § 251 Abs. 3 InsO genannten Mitteln ausgeglichen werden kann. 7.

Einflussnahmemöglichkeiten der Gläubiger auf die Gruppenbildung

29 Eine möglichst frühzeitige Gläubigerbeteiligung und Einbindung gebietet nicht nur die Fairness, sondern sie liegt auch im Interesse des Planerstellers, da die Umsetzung des Plans sonst am Widerstand der Gläubiger scheitern könnte. Abgesehen davon gibt es jedoch auch Möglichkeiten für die Gläubiger, aus eigener Initiative Einfluss auf die Gestaltungen des Insolvenzplans zu nehmen. 7.1

Im Planerstellungsauftrag an den Insolvenzverwalter

30 Gemäß § 157 Satz 2 InsO kann die Gläubigerversammlung den Insolvenzverwalter mit der Ausarbeitung eines Insolvenzplans beauftragen. Dabei kann sie ihm das Ziel des Plans vorgeben. Demgegenüber kann sie dem Verwalter nicht den von den Planzielen streng zu unterscheidenden Planinhalt – etwa mit bestimmten Anweisungen für die Gruppenbildung – vorgeben oder gar die Vorlage eines schon ausgearbeiteten Plans verlangen.19) 31 Beispiel: Verschiedene Planziele können sein: die Sanierung, die Übertragung oder auch die Liquidation zu anderen Bedingungen als in der Regelinsolvenz. 7.2

Durch den Gläubigerausschuss bei der Planaufstellung

32 Gemäß § 218 Abs. 3 InsO wirkt u. a. der Gläubigerausschuss beratend bei der Planaufstellung mit. Er kann in diesem Zusammenhang jedenfalls Stellungnahmen an den Insolvenzverwalter abgeben. Es besteht jedoch seitens des Verwalters keine rechtliche Pflicht, diese Stellungnahmen im Plan umzusetzen. Ihn trifft aber – zumindest faktisch – die im darstellenden Teil des Plans zu tragende Argumentationslast, wenn er den Stellungnahmen des ___________ 16) Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 9, und Eidenmüller, in MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 44 m. w. N. 17) Nur für den planvorlegenden Schuldner reicht eine formelle Beschwer. Sonst bedarf es formeller und materieller Beschwer; das Erfordernis der auch formellen Beschwer für Gläubiger schreibt § 253 Abs. 2 Nr. 2 InsO vor. 18) Kebekus/Handschumacher in: Graf-Schlicker, InsO, § 253 Rz. 1. 19) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 16 und 18 ff. jeweils m. w. N.; diff. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 157 Rz. 12.

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§ 24

Gruppenbildung

Gläubigerausschusses nicht folgt,20) insbesondere um eine Ablehnung des Plans durch die Gläubiger in der Abstimmung zu verhindern. 7.3

Informelle Einflussnahmemöglichkeiten

Auch wenn den planerstellenden Insolvenzverwalter oder Schuldner keine rechtliche Pflicht 33 trifft, konkrete Vorstellungen der Gläubiger insbesondere in Bezug auf die Gruppenbildung zu berücksichtigen, so haben die Gläubiger doch ein entscheidendes Argument auf ihrer Seite, wenn sie ihre Vorstellungen – natürlich nur i. R. der gesetzlichen Vorgaben – in den Plan einbringen möchten. Denn letztendlich müssen sie dem Plan zustimmen und ihm so zur Rechtskraft und damit zur Wirksamkeit verhelfen. Der Planersteller, dem grundsätzlich daran gelegen sein muss, einen Plan aufzustellen, der Aussicht auf die Bestätigung durch die Gläubiger hat, kann sich dem Willen der Gläubiger(-mehrheit) deshalb nicht ohne Weiteres, sondern nur mit guten Argumenten widersetzen. Entscheidend ist, dass die Gläubiger in allen Teilen des Plans objektiv und transparent informiert und fair behandelt werden. Dies gilt insbesondere für die Gruppenbildung, bei der die Gläubiger nicht den Eindruck einer aus ihrer Sicht manipulativen oder gar missbräuchlichen Gruppenbildung bekommen dürfen. Denn auch wenn dies gesetzlich nicht sanktioniert werden kann, könnten die Gläubiger so zu einer Ablehnung des Plans in der Abstimmung oder dem Einlegen von Rechtsmitteln bewegt werden. Der Planersteller muss die Gruppenbildung und die Gruppenzuteilung gut begründen und sollte schon frühzeitig die beabsichtigte Gruppenbildung gegenüber den Planbetroffenen kommunizieren, um nachträglichem Ablehnungsverhalten vorzubeugen oder es einzudämmen. Zu beachten ist auch in diesem Zusammenhang für den Fall nachträglicher Korrekturen 34 die Vorschrift des § 240 InsO, die Änderungen von Regelungen in dem Plan nicht mehr in beliebigem Umfang zulässt. Korrekturen insbesondere im Bereich der Gruppenbildung sind demgemäß nur zulässig, soweit sie noch als Änderung „einzelner Regelungen“ aufzufassen sind (siehe oben Rz. 26 f.). Auch dies spricht für eine möglichst frühzeitige Einbindung der Gläubiger. II.

Obligatorische Gruppenbildung nach § 222 Abs. 1 InsO

1.

Allgemeines

Gemäß § 222 Abs. 1 Satz 1 InsO sind zwingend Gruppen zu bilden, soweit Gläubiger mit 35 unterschiedlicher Rechtsstellung betroffen sind. § 222 Abs. 1 Satz 2 InsO zählt hierzu fünf Fälle auf, in denen eine entsprechende Gruppe obligatorisch im Insolvenzplan zu bilden ist: „Es ist zu unterscheiden zwischen 1. den absonderungsberechtigten Gläubigern, wenn durch den Plan in deren Rechte eingegriffen wird; 2. den nicht nachrangigen Insolvenzgläubigern; 3. den einzelnen Rangklassen der nachrangigen Insolvenzgläubiger, soweit deren Forderungen nicht nach § 225 als erlassen gelten sollen; 4. den am Schuldner beteiligten Personen, wenn deren Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte in den Plan einbezogen werden; 5. den Inhabern von Rechten aus gruppeninternen Drittsicherheiten.“ ___________ 20) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 38; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 53.

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§ 24

2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

36 Die unterschiedliche Rechtsstellung der aufgezählten Gläubigergruppen begründet sich dabei aus der unterschiedlichen wirtschaftlichen Werthaltigkeit der Forderungen in der Insolvenz infolge der Rangfolge der Befriedigungsrechte bzw. der Art der Befriedigungsrechte.21) Die „unterschiedliche Rechtsstellung“ ist demnach eine spezifisch insolvenzrechtliche.22) 37 Die Aufzählung des § 222 Abs. 1 Satz 2 InsO ist nicht abschließend,23) zählt also nicht alle möglichen obligatorischen Gläubigergruppen auf. Abschließend ist die Aufzählung allenfalls für den Regelinsolvenzplan, da in diesem Fall keine Gläubiger mit einer anderen als den aufgezählten Rechtsstellungen im oben definierten Sinne denkbar sind. Es sind jedoch Insolvenzpläne in Sondersituationen vorstellbar, an denen aufgrund der Sondersituation, in der sie gelten, auch Gläubiger mit anderen Rechtsstellungen als den in § 222 Abs. 1 Satz 2 InsO aufgezählten beteiligt sein können. Dies sind namentlich der Insolvenzplan bei Masseunzulänglichkeit sowie der Folgeinsolvenzplan nach Kreditrahmenregelung gemäß §§ 264 f. InsO im ersten Insolvenzplan: 38 Für den Insolvenzplan bei Masseunzulänglichkeit ergeben sich die unterschiedlichen Rechtsstellungen der Gläubiger nicht aus § 222 Abs. 1 Satz 2 InsO, sondern wegen der anderen Zielsetzung eines solchen Plans vielmehr aus der Befriedigungsreihenfolge des § 209 Abs. 1 InsO.24) Siehe dazu i. E. Rz. 101 ff. 39 Für den Folgeinsolvenzplan nach Kreditrahmenregelung gemäß §§ 264 f. InsO ergibt sich aus diesen Vorschriften, dass die in § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO vorgesehene einheitliche Gruppe der nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger in einem solchen Insolvenzplan in zwei Gruppen aufgespalten werden muss: Denn für einige nicht nachrangige Insolvenzgläubiger wird in §§ 265 f. InsO ein Vorrang vor anderen Gläubigern dieser Kategorie begründet. Aus diesem „Befriedigungsvorrang“ ergibt sich eine unterschiedliche Rechtsstellung gemäß § 222 Abs. 1 Satz 1 InsO, so dass ggf. zwei getrennte Gruppen gebildet werden müssen.25) Siehe dazu i. E. Rz. 109 ff. 2.

Absonderungsberechtigte Gläubiger (§ 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO)

40 § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO schreibt die Bildung einer Gruppe der absonderungsberechtigten Gläubiger vor, „wenn durch den Plan in deren Rechte eingegriffen wird“. Wer absonderungsberechtigter Gläubiger ist, bestimmt sich nach den allgemeinen Regeln der §§ 49 ff. InsO. Zu beachten ist hier aber insbesondere, dass die Gruppeneinteilung nicht die Gläubiger als solche, sondern nur deren Forderungen erfasst (siehe oben Rz. 6 ff.). In die Gruppe der absonderungsberechtigten Gläubiger sind Gläubiger also insoweit einzuordnen, als auch ihr Absonderungsrecht reicht. Besteht auch eine schuldrechtliche Forderung gegen den Insolvenzschuldner, was nur in absoluten Ausnahmefällen nicht der Fall sein wird, so ist der absonderungsberechtigte Gläubiger ggf. zusätzlich auch in der Gruppe der nicht nachrangigen bzw. nachrangigen Gläubiger einzuordnen (zu dieser Problematik siehe unten Rz. 50 ff.). 41 Eine Gruppe für die absonderungsberechtigten Gläubiger ist jedoch nach dem eindeutigen Wortlaut des § 222 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO nur dann zu bilden, wenn in deren Absonde___________ 21) Denn die Absonderungsrechte sind den übrigen Forderungen nicht vorrangig, sondern werden nur auf andere Art befriedigt, vgl. Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 18, und Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 24 m. w. N. 22) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 49. 23) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 50. 24) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 78. 25) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 74 ff.

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§ 24

Gruppenbildung

rungsrechte durch den Insolvenzplan eingegriffen wird, und auch nur für diejenigen Gläubiger, in deren Rechte tatsächlich eingegriffen wird. Aus § 223 Abs. 2 InsO ergeben sich einige denkbare Möglichkeiten, wie in Absonderungs- 42 rechte eingegriffen werden kann, also insbesondere in Form einer teilweisen Kürzung oder Stundung der Rechte. Daneben kommt bspw. oftmals auch eine Pauschalabfindung in Betracht. Beispiel: Insbesondere Vermieterpfandrechte oder Eigentumsvorbehalte können auf diese Weise 43 ggf. mit einem Bruchteil der bestehenden Forderung abgelöst werden, weil deren Gläubiger in vielen Fällen ein Interesse an der Fortsetzung der Geschäftsbeziehung haben werden und von dieser noch in Zukunft profitieren wollen. Darüber hinaus sind der Kreativität des Planerstellers hinsichtlich der Eingriffe in Abson- 44 derungsrechte grundsätzlich keine gesetzlichen Grenzen gesetzt, soweit nicht gegen die Gruppenbildungsregeln und den Gleichbehandlungsgrundsatz innerhalb der Gruppen verstoßen wird. Als tatsächliche, weitere Begrenzung ist jedoch in der Regel die Schlechterstellung der Gläubiger gegenüber dem Regelverfahren zu beachten: Hat ein Eingriff eine Schlechterstellung zur Folge, so ist immer mit Minderheitenschutzanträgen gemäß § 251 InsO oder Rechtsmitteln gemäß § 253 InsO zu rechnen. Außerdem ist die Möglichkeit einer Ausschaltung des oder der betroffenen Gläubiger über das Obstruktionsverbot nicht mehr möglich, § 245 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO. Beispiel: Denkbar wäre z. B. auch die Festlegung einer Ausschlussfrist vor Auszahlung eines 45 im Insolvenzplan festgelegten Fixums an die Gläubiger, innerhalb derer absonderungsberechtigte Gläubiger einen Ausfall oder Verzicht nachzuweisen haben, wenn sie berücksichtigt werden wollen (entsprechend § 190 Abs. 1, § 189 Abs. 1 und 3 InsO). Dies empfiehlt sich insbesondere bei Absonderungsrechten an Immobilien, deren Verwertung oft nicht vor Abschluss des Insolvenzplanverfahrens zu erwarten ist. Es besteht prinzipiell auch die Möglichkeit, einige Absonderungsrechte im Vergleich zu 46 anderen anders zu behandeln, indem nicht in alle Rechte (gleichermaßen) eingegriffen wird. Allerdings kann dann das Obstruktionsverbot wegen § 245 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 InsO nicht mehr greifen. Die Wahrscheinlichkeit einer ablehnenden Entscheidung wird zudem umso höher liegen, je niedriger die Legitimationswirkung der Gruppenbildung wegen einer Ungleichbehandlung von im Wesentlichen gleichen Sicherungsrechten ist. 3.

Nicht nachrangige Insolvenzgläubiger (§ 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO)

3.1

Ungesicherte persönliche Forderungen

In die Gruppe des § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO sind die nicht nachrangigen Insolvenz- 47 gläubiger gemäß § 38 InsO einzuordnen, also die persönlichen Forderungen von Gläubigern des Schuldners, die nicht gemäß § 39 InsO als nachrangige Forderungen gelten. Dazu zählen vor allem alle vertraglichen (gegenüber Lieferanten, Dienstleistern, Darlehens- 48 gebern, Vermietern, Kleingläubigern, Arbeitnehmern), aber auch öffentlich-rechtlichen (gegenüber Finanzamt, Sozialversicherungsträgern) und sonstigen gesetzlichen (gegenüber der Bundesagentur für Arbeit, dem PSVaG; im Falle der Insolvenz einer natürlichen Person ggf. auch private Unterhaltspflichten) Verpflichtungen des Schuldners. Für die Bildung der Gruppe nach § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO besteht keine Beschrän- 49 kung der Art, dass sie nur erfolgen soll, wenn in die Rechte der betreffenden Gläubiger eingegriffen wird, wie das bei § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO der Fall ist. Eine Gruppe für die nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger ist deshalb in jedem Insolvenzplan zwingend

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§ 24

2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

zu bilden,26) es sei denn, die Gruppenbildung kann ausnahmsweise unterbleiben (siehe dazu Rz. 12). 3.2

Gesicherte persönliche Forderungen

50 Wegen der Rechtebezogenheit der Gruppeneinteilung sind absonderungsberechtigte Gläubiger nicht nur in der Gruppe gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO, sondern mit einer ggf. bestehenden persönlichen Forderung auch in die Gruppe der nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger einzuordnen. Streitig ist allerdings, in welcher Höhe die jeweilige Zuordnung in die beiden Gruppen erfolgt: Nach einer Auffassung kann eine Zuordnung zur Gruppe gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO nur insoweit erfolgen, als das Absonderungsrecht, also die zur Verfügung stehende Sicherheit, auch werthaltig ist, und zur Gruppe gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO nur insoweit, als der absonderungsberechtigte Gläubiger mit seinem Absonderungsrecht ausfällt.27) Nach a. A. ist der absonderungsberechtigte Gläubiger in die Gruppe gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO mit seiner vollen persönlichen Forderung einzuordnen,28) was konsequenter Weise bedeutet, dass er in die Gruppe gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO mit dem nominellen Wert seiner Sicherheit und nicht nur mit dem wirtschaftlichen Wert dieser Sicherheit einzuordnen ist. Nach letztgenannter Ansicht spielt die Frage des Ausfalls erst eine Rolle bei der Bemessung des Stimmrechts des jeweiligen Gläubigers. 51 In der Praxis werden gesicherte Gläubiger in die Gruppe gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO oft einfach „mit ihrer Ausfallforderung“ eingeordnet, ohne die konkrete Höhe schon zu benennen. Im Stadium der Gruppenbildung mag diese Unbestimmtheit noch unproblematisch sein; spätestens bei der Abstimmung über den Plan bedarf es aber einer Festlegung des Stimmrechts, sodass die unbezifferte Zuordnung einer Forderung zu einer Gruppe das Problem lediglich verschiebt. 52 Richtig ist die Ansicht, die den absonderungsberechtigten Gläubiger in die Gruppe gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO mit seiner vollen persönlichen Forderung und in die Gruppe gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO mit dem nominellen Wert seiner Sicherheit und nicht nur mit dem wirtschaftlichen Wert dieser Sicherheit einordnet. Es gilt zwischen den verschiedenen Stadien, nämlich der Gruppenbildung, der Stimmrechtsermittlung und der Befriedigung, zu unterscheiden.29) Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO sind nicht nachrangige Insolvenzgläubiger ohne Ausnahme, insbesondere ohne Ausnahme hinsichtlich irgendeines Ausfalls, in die Gruppe(n) gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO einzuordnen. 53 Für eine Einordnung der gesicherten persönlichen Gläubiger in die Gruppe gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO i. H. ihrer vollen persönlichen Forderung spricht auch die Existenz des § 237 Abs. 1 Satz 2 InsO: Danach sind absonderungsberechtigte Gläubiger als Insolvenzgläubiger nur insoweit zur Abstimmung berechtigt, als ihnen der Schuldner auch persönlich haftet und sie mit ihrer Sicherheit ausgefallen sind, auf sie verzichtet haben oder mit ihrer Sicherheit mutmaßlich ausfallen werden.30) Diese Vorschrift verlöre ihren Sinn, wenn die absonderungsberechtigten Gläubiger schon nur i. H. ihres Ausfalls in die Gruppe der nicht nachrangigen Gläubiger eingeordnet wären. Der Gesetzgeber hat eben erst auf ___________ 26) 27) 28) 29) 30)

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Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 17. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 16. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 57 m. w. N. So auch die Forderung von Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 57. Der Ausfall kann dabei gemäß § 77 Abs. 2 Satz 2 InsO geschätzt werden. Empfehlenswert ist aber eine Einigung über das Stimmrecht im Abstimmungstermin; dazu kann schon im Plan ein Vorschlag gemacht werden.

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Gruppenbildung

der Stufe der Stimmrechtsermittlung die Berücksichtigung des konkreten Ausfalls vorgesehen. Da § 237 InsO ausweislich der Gesetzesbegründung auch hinsichtlich des Stimmrechts der absonderungsberechtigten Gläubiger in deren Gruppe gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO gelten soll,31) spricht dies auch für die Einordnung der absonderungsberechtigten Gläubiger in diese Gruppe gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO i. H. des nominellen Werts seiner Sicherheit. Gegen die hier vertretene Ansicht spricht auch nicht das Urteil des BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 54 266/04.32) Denn dieses Urteil lässt die Frage, in welcher Höhe absonderungsberechtigte Gläubiger mit ihren persönlichen Forderungen (auch) in die Gruppe gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO einzuordnen sind, ausdrücklich offen. Es konstatiert lediglich, dass die Einordnung in die Gruppe gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO jedenfalls durch den nominellen Wert der Sicherheit zzgl. dinglicher Zinsen im Fortführungsfalle beschränkt ist und eine Einordnung in diese Gruppe mit einer den nominellen Wert der Sicherheit zzgl. dinglicher Zinsen im Fortführungsfalle überschießenden, also formell ungesicherten persönlichen Forderung ausscheidet. Der erste Leitsatz der Entscheidung findet in den Urteilsgründen keinen Stütze, denn die zitierte Entscheidung des BGH besagt nicht, dass auch eine ggf. geringere Verwertungsaussicht der Sicherheit (also ein nach unten abweichender „wirtschaftlicher Wert“ der Sicherheit) schon bei der Gruppenbildung gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO zu berücksichtigen wäre, indem die absonderungsberechtigten Gläubiger nur mit dem wirtschaftlichen Wert ihres Absonderungsrechts in die Gruppe gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO einzuordnen wären.33) Auch die vom BGH selbst herangezogene Gesetzesbegründung diskutiert das Problem des (mutmaßlichen) Ausfalls erst bei der Frage der Stimmrechte der absonderungsberechtigten Gläubiger in den beiden Gruppen,34) nicht jedoch schon bei der Gruppenbildung. Gegen die vom BGH vermeintlich identifizierte Gefahr, dass „der Verwertungserlös [innerhalb der Gruppe der absonderungsberechtigten Gläubiger] gleichmäßig an die Gruppenmitglieder zu verteilen“ sei und dadurch die fehlende Werthaltigkeit einzelner Absonderungsrechte unberücksichtigt bleiben könnte, bietet der BGH im gleichen Absatz die sachgerechte Lösung an: nämlich die Bildung von Untergruppen, in die die absonderungsberechtigten Gläubiger je nach Werthaltigkeit ihres Sicherungsrechtes eingeordnet werden. Beispiel: Angenommen eine Bank hat dem Schuldner ein Darlehen über 1 Mio. € ausbezahlt 55 und nun einen fälligen Rückzahlungsanspruch in dieser Höhe. Die dafür bestellte Sicherheit wird nur einen Verwertungserlös von 400.000 € bringen, i. H. der restlichen 600.000 € wird die Bank mit der Sicherheit ausfallen. Die Bank ist der Gruppe der absonderungsberechtigten Gläubiger mit einem Absonderungsrecht über 1 Mio. € zuzuteilen. In dieser hat sie jedoch nur ein Stimmrecht entsprechend dem Wert ihres Absonderungsrechts, also i. H. von 400.000 €. Sie ist aber zugleich auch in die Gruppe der nicht nachrangigen Gläubiger mit einer Forderung über 1 Mio. € einzuordnen. Dort hat sie dann ein Stimmrecht i. H. von 600.000 € gemäß § 237 Abs. 1 Satz 2 InsO. Letztendlich führen aber beide Ansichten zum gleichen Ergebnis. Wichtig ist nur, dass die 56 Stimmrechtverteilung sowie die Verteilung im Ergebnis richtig, also der Werthaltigkeit der Rechte entsprechend vorgenommen werden. ___________ 31) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 206. 32) BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, ZIP 2005, 1648, dazu EWiR 2006, 279 (v. Gleichenstein). 33) Der erste Leitsatz der Entscheidung müsste eigentlich lauten: „Im Rahmen eines Insolvenzplans ist die Bildung einer Gruppe, die Gläubiger mit gesicherten und ungesicherten Forderungen in sich vereint, grundsätzlich unzulässig.“ statt „Im Rahmen eines Insolvenzplans ist die Bildung einer Gruppe, die Gläubiger mit werthaltigen und nicht werthaltigen Absonderungsrechten in sich vereint, grundsätzlich unzulässig.“ 34) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 206.

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2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

4.

Einzelne Rangklassen nachrangiger Insolvenzgläubiger (§ 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO)

4.1

Regelfall: Erlasswirkung

57 Gemäß § 225 Abs. 1 InsO gelten die Forderungen der gemäß § 39 Abs. 1 InsO nachrangigen Gläubiger durch den Insolvenzplan als erlassen, wenn nicht der Insolvenzplan etwas anderes bestimmt. Die Erlasswirkung des § 225 InsO hat nicht zur Folge, dass die betroffene Forderung erlischt, sondern nur, dass sie zu einer unvollkommenen und damit nicht mehr durchsetzbaren Forderung wird.35) Gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO sind Gruppen für die nachrangigen Insolvenzgläubiger konsequenterweise auch nur dann zu bilden, wenn und soweit deren Forderungen nicht gemäß § 225 InsO als erlassen gelten sollen. Werden Gläubiger aus verschiedenen Rangklassen des § 39 Abs. 1 InsO in den Insolvenzplan einbezogen, ist für jede Rangklasse (mindestens) eine Gruppe zu bilden. 58 Gemäß § 225 Abs. 3 InsO ist die Erlasswirkung des § 225 Abs. 1 InsO für Geldstrafen und Forderungen i. S. von § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO ausgeschlossen. Es ist für diese Forderungen aber entgegen dem Wortlaut von § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO nicht notwendig, eine Gruppe zu bilden,36) da sie gemäß § 225 Abs. 3 InsO von den Planwirkungen nicht betroffen werden können und daher auch nicht an den Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Plan beteiligt werden müssen (so wie auch die Gläubiger der Gruppe des § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO, wenn in ihre Rechte nicht eingegriffen werden soll). 59 Bei der Erlasswirkung des § 225 Abs. 1 InsO ist aber zu beachten, dass auch die dadurch nicht am Zustandekommen des Insolvenzplans beteiligten nachrangigen Gläubiger die Möglichkeit haben, Minderheitenschutzantrag gemäß § 251 InsO zu stellen.37) Eine dafür erforderliche Schlechterstellung durch den Plan im Vergleich zur Regelinsolvenz ist aber nur in Fällen denkbar, in denen die nachrangigen Gläubiger im Regelinsolvenzverfahren überhaupt mit einer Quote rechnen können, was die seltene Ausnahme bleiben dürfte. 60 In der Regel besteht kein Anlass, von der Erlasswirkung des § 225 InsO im Insolvenzplan abzuweichen, es sei denn, man erwartet, mithilfe des Plans ein ganz außerordentlich gutes Ergebnis zu erzielen. In zwei Ausnahmenfällen ist jedoch ggf. eine Gruppenbildung für nachrangige Insolvenzgläubiger in Erwägung zu ziehen bzw. wird sie in der Literatur diskutiert: 4.2

Zinsen und Säumniszuschläge gesicherter Gläubiger

61 Gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind die seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens laufenden Zinsen und Säumniszuschläge auf Forderungen der Insolvenzgläubiger nachrangig. Weil § 225 Abs. 1 InsO vorsieht, dass nachrangige Forderungen als erlassen gelten, wird in Teilen der Literatur empfohlen, für Zinsen und Säumniszuschläge gesicherter Gläubiger ggf. eine eigene Gruppe zu bilden und für diese Gruppe eine von § 225 Abs. 1 InsO abweichende Regelung zu treffen, also die Erlasswirkung auszuschließen, um den Gläubigern die Möglichkeit zu bewahren, auch wegen der nachrangigen Zinsen und Säumniszuschläge die Si-

___________ 35) Rugullis, ZInsO 2021, 2189; zur Erlassfiktion des § 227 Abs. 1 InsO BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 222/08, ZIP 2011, 1271; BFH v. 8.3.2022 – VI R 33/19, NZI 2022, 752. 36) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 62. 37) Pleister in: KPB, InsO, § 251 Rz. 4.

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Gruppenbildung

cherheit in Anspruch nehmen zu können.38) Allerdings bestimmt § 223 Abs. 1 Satz 1 InsO, dass die Rechte der absonderungsberechtigten Gläubiger durch den Insolvenzplan nicht berührt werden, wenn und soweit keine abweichende Reglung getroffen wird.39) Wegen dieser expliziten gesetzlichen Anordnung sind auch akzessorische und nicht akzessorische Sicherungsrechte trotz Umwandlung der Forderung in eine unvollkommene Verbindlichkeit durch § 225 Abs. 1 InsO noch durchsetzbar. Die Bildung einer eigenen Gruppe gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO für die seit Er- 62 öffnung des Insolvenzverfahrens laufenden Zinsen und die Aufnahme einer Bestimmung für diese Forderungen, dass sie nicht als erlassen gelten, könnte sich sogar als kontraproduktiv erweisen, selbst wenn für die Mitglieder dieser Gruppe bestimmt würde, dass sie nicht an der Verteilung der Insolvenzmasse durch den Plan beteiligt werden.40) Denn die Ausnahme von der Erlasswirkung wäre ja auch mit der Folge verbunden, dass diese Gläubiger die nachrangigen Forderungen nicht nur aus der Sicherheit, sondern auch gegen den Schuldner durchsetzen könnten. Eine solche Regelung würde also möglicherweise über das Ziel hinausschießen. 4.3

Gesellschafterdarlehen bei Debt Equity Swaps

Gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO sind auch Forderungen auf Rückgewähr eines Gesellschafter- 63 darlehens und ähnliche Forderungen nachrangig. Wenn man im Plan von der Möglichkeit des Debt Equity Swaps Gebrauch machen will, kann es zur Durchsetzung des Plans erforderlich sein, die Gesellschafter hinsichtlich der von ihnen gewährten Darlehen nicht ganz leer ausgehen zu lassen. Dann sind sie evtl. eher bereit, einen Eingriff in ihre Gesellschaftsanteile hinzunehmen. Gerade bei inhabergeführten Unternehmen dürfte zumindest eine geringe Beteiligung dieser Forderungen an der Verteilung der Insolvenzmasse auch die Bereitschaft zur ordentlichen Übergabe oder weiteren Mitarbeit erheblich erhöhen. Durch den durch das SanInsFoG41) neu eingefügten § 245 Abs. 2 Satz 3 InsO kann auch dann der Widerstand einzelner Gläubigergruppen durch das Obstruktionsverbot überwunden werden, wenn die im Regelinsolvenzverfahren leer ausgehenden Inhaber von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten, die zugleich an der Geschäftsführung beteiligt sind, wirtschaftliche Werte aus dem Insolvenzplan erhalten. 5.

Anteilseigner (§ 222 Abs. 1 Nr. 4 InsO)

§ 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 InsO schreibt vor, dass auch für die am Schuldner beteiligten Per- 64 sonen, soweit deren Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte in den Plan einbezogen werden, eine Gruppe zu bilden ist. Dies ist insbesondere in Fällen eines Debt Equity Swaps erforderlich, bei dem auch gegen den Willen der am Schuldner beteiligten Personen in deren Rechte eingegriffen werden kann (siehe dazu vertiefend Hölzle, HRI II, § 26). ___________ 38) So neben den Vorauflagen an dieser Stelle auch Braun/Frank in: Braun, InsO, § 225 Rz. 4; Breuer in: MünchKomm-InsO, § 225 Rz. 14. Ohne eine von § 225 Abs. 1 InsO abweichende Regelung könne der Gläubiger sich hinsichtlich der Zinsen nach Abschluss des Insolvenzplanverfahrens sonst nicht mehr aus seinem Absonderungsrecht befriedigen und vom Planersteller unbemerkt und ungewollt, eine Schlechterstellung des absonderungsberechtigten Gläubigers im Vergleich zum Regelinsolvenzverfahren eintreten und die Gefahr eines erfolgreichen Minderheitenschutzantrags nach § 251 InsO bzw. einer sofortigen Beschwerde nach § 253 InsO entstehen. 39) Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 225 Rz. 4. So auch schon § 193 Satz 2 KO und § 82 Abs. 2 Satz 1 VerglO. 40) So die Empfehlung von Braun/Frank in: Braun, InsO, § 225 Rz. 4, und Breuer in: MünchKomm-InsO, § 225 Rz. 14. 41) Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256.

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§ 24 6.

2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte Inhaber von gruppeninternen Drittsicherheiten (§ 222 Abs. 1 Nr. 5 InsO)

65 Im Rahmen der Reformen durch das SanInsFoG wurde eine eigene obligatorische Gruppe für die Inhaber von gruppeninternen Drittsicherheiten neu eingeführt. Diese Gruppe ist – wenn gruppenintern drittbesicherte Gläubiger vorhanden sind – zwingend zu bilden. Nach der Begründung des Gesetzgebers findet das seinen Grund darin, dass sich aus der unterschiedlichen Wirkungsweise von Dritt- und Eigensicherheiten eine unterschiedliche rechtliche Stellung der jeweiligen Gläubiger ergebe.42) Ob solche Gläubiger tatsächlich eine „unterschiedliche Rechtsstellung“ i. S. von § 222 Abs. 1 InsO haben, darf allerdings bezweifelt werden, weil sie in dem konkreten Insolvenzverfahren keinen anderen Befriedigungsrang als andere Gläubiger haben. Es ist eher so, dass sie ein von anderen Gläubigern unterschiedliches wirtschaftliches Interesse haben, sodass eher eine fakultative Differenzierung gemäß § 222 Abs. 2 InsO angezeigt wäre. 7.

Pensionssicherungsverein – PSVaG (§ 9 Abs. 4 Satz 1 BetrAVG)

66 Gemäß § 9 Abs. 4 Satz 1 BetrAVG ist für den Träger der Insolvenzsicherung für die betriebliche Altersvorsorge, den Pensionssicherungsverein auf Gegenseitigkeit (PSVaG), im Insolvenzplan zwingend eine besondere Gruppe zu bilden, wenn der Insolvenzplan auf eine Betriebsfortführung gerichtet ist. Durch das SanInsFoG wurde die früher nur fakultative Gruppenbildungsmöglichkeit in eine obligatorische Gruppenbildungspflicht geändert, um zu verhindern, dass „der Insolvenzschuldner im Zusammenwirken mit anderen Gläubigern die Plangestaltung gezielt auf eine Überstimmung des Trägers der Insolvenzsicherung hin ausrichtet“.43) III.

Fakultative Gruppenbildung nach § 222 Abs. 2 und Abs. 3 InsO

67 Neben der obligatorischen Gruppenbildung kommt gemäß § 222 Abs. 2 und Abs. 3 InsO auch eine sog. fakultative Gruppenbildung in Betracht, bei der die obligatorischen Gruppen in weitere Untergruppen und ggf. Unter-Untergruppen eingeteilt werden. Dadurch kann die Legitimität des Plans weiter erhöht werden (siehe dazu oben Rz. 3). Außerdem ermöglicht die Untergruppenbildung dem Planersteller, hinsichtlich der Befriedigung der Gläubiger unter Beachtung von § 226 InsO differenziertere Regelungen zu treffen. Daneben können auch taktische Erwägungen hier eine Rolle spielen, um den Insolvenzplan einem Abstimmungserfolg zuzuführen. 1.

Differenzierungskriterien

68 § 222 Abs. 2 Satz 1 und 2 InsO stellen die allgemeinen Kriterien für eine zulässige fakultative Gruppenbildung auf: Zum einen müssen die Gläubiger, die in eine Gruppe eingeteilt werden, gleichartige wirtschaftliche Interessen haben und zum anderen müssen die Gruppen sachgerecht voneinander abgegrenzt werden. Die Unterschiede zwischen diesen beiden Kriterien und die Art und Weise des Zusammenwirkens sind nicht immer ganz klar erkennbar.44) 69 Vor allem ist fraglich, ob eines der beiden Elemente dominantes oder gar alleiniges Abgrenzungskriterium ist oder ob beide gleichgewichtig nebeneinanderstehen. Im Ergebnis sind beide Kriterien kumulativ anzuwenden,45) was sich schon aus ihrer unterschiedlichen Zielrichtung ergibt. Denn das Erfordernis von gleichartigen wirtschaftlichen Interessen stellt die Voraussetzung dar, mit deren Hilfe die Zusammenfassung bestimmter Gläubiger zu ___________ 42) 43) 44) 45)

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Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 200. Begr. RegE SanInsFoG z. BetrAVG, BT-Drucks. 19/24181, S. 223. Vgl. dazu auch Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 81. So auch Thies in: HambKomm-InsO, § 222 Rz. 20; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 82.

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Gruppenbildung

einer gesonderten Gruppe gerechtfertigt wird, wohingegen durch das Kriterium der Sachgerechtigkeit der Abgrenzung verhindert werden soll, dass Gläubiger mit gleichartigen wirtschaftlichen Interessen getrennt werden. Die Ausfüllung des Kriteriums der gleichartigen wirtschaftlichen Interessen ist in dem 70 insolvenzrechtlichen Kontext zu sehen, in dem es i. R. der Regelung des § 222 Abs. 2 InsO steht. Das wirtschaftliche Interesse eines Gläubigers bestimmt sich in diesem Rahmen danach, in welchem wirtschaftlichen Verhältnis er zu dem Insolvenzschuldner steht und in welcher Art und Weise dieses individuelle Verhältnis gerade durch die Insolvenz beeinflusst wird.46) Beispiel: Ein Lieferant, der (fast) ausschließlich an das insolvente Unternehmen zuliefert, ist in 71 ganz anderer Weise von der Insolvenz betroffen als ein Lieferant mit vielen verschiedenen Kunden, hat in dem Insolvenzverfahren also ggf. ein anders gelagertes wirtschaftliches Interesse. Auf seine Belange kann daher bei der Planerstellung in ganz anderem Maße Rücksicht genommen werden oder aber ihm können andere Sanierungsbeiträge abverlangt werden. Er kann im Einzelfall anders zu behandeln und daher ggf. in eine eigene Gruppe einzuordnen sein. Ferner sind Einflüsse auf das wirtschaftliche Interesse durch die spezifischen Sanierungs- 72 maßnahmen im Zuge der Insolvenz, durch die im Plan vorgesehenen Regelungen oder durch persönliche Beziehungen zu berücksichtigen. Dieses wirtschaftliche Interesse liegt bspw. bei einem Geschäftspartner des Schuldners, der eher an der Fortsetzung der Geschäftsbeziehungen interessiert sein wird, anders als bei einem absonderungsberechtigten Gläubiger, dem es auf eine Fortsetzung der Geschäftsbeziehung nicht ankommt.47) Beispiel: Bei der Plansanierung einer Einzelhandelskette kann es z. B. geboten sein, zwischen 73 verschiedenen Vermietern von Ladenlokalen zu differenzieren. In Kategorie A werden solche Räumlichkeiten eingeordnet, die aufgrund ihrer guten Lage unbedingt gehalten werden sollen. In Kategorie B werden Objekte eingeteilt, die nur bei deutlicher Anpassung der Mietkonditionen gehalten werden sollen. Zuletzt werden in Kategorie C solche Ladenlokale zusammengefasst, bei denen eine Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht in Betracht kommt. Die Vermieter dieser unterschiedlichen Kategorien haben jeweils andere wirtschaftliche Interessen, welche auch Gestaltungsspielraum zur unterschiedlichen Befriedigung hinsichtlich Vermieterpfandrechten oder aus der Quote bieten (den Gläubigern der Gruppen B und C müssen z. B. höhere Planzahlungen angeboten werden), so dass eine Untergruppenbildung erfolgen kann und ggf. auch sollte. Die Sachgerechtigkeit erfordert im Wesentlichen, dass für die vorgenommene Differen- 74 zierung ein sachlicher Grund besteht. Es dürfen also insbesondere nicht Gläubiger mit im Wesentlichen gleichartigen wirtschaftlichen Interessen in unterschiedliche fakultative Gruppen eingeteilt werden, ohne dass dafür ein sachlicher Grund bestünde. Im Ergebnis soll einer missbräuchlichen Inanspruchnahme der Möglichkeit der fakultativen Gruppenbildung entgegengewirkt werden. 2.

Pflicht zur Bildung fakultativer Gruppen?

Die Vorschriften der § 222 Abs. 2 und Abs. 3 InsO sind – mit Ausnahme des § 222 Abs. 3 75 Satz 1 InsO (siehe dazu Rz. 86) – bloße Kann-Vorschriften. Es besteht also in der Regel, anders als bei der Gruppenbildung gemäß § 222 Abs. 1 InsO, keine Pflicht zur Bildung fakultativer Gruppen. Das gilt auch, soweit die InsO oder Spezialgesetze besondere Gruppen___________ 46) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, 2. LS, ZIP 2015, 1346 („[…] auf Grund welcher gleichartigen insolvenzbezogenen wirtschaftlichen Interessen die Gruppe gebildet wurde […]“, Hervorhebung durch d. Verf.); Weßling, ZInsO 2021, 1127, 1128. 47) Weitere Bsp. dazu in Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 199.

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2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

bildungen ermöglichen, wie z. B. § 222 Abs. 3 Satz 2 InsO oder § 116 Nr. 3 GenG, die ebenfalls keine Pflicht zur Untergruppenbildung begründen. 76 Nach einer Mindermeinung soll in besonderen Fällen dennoch eine Pflicht zur Bildung fakultativer Untergruppen bestehen.48) Der Planersteller soll zur Bildung fakultativer Gruppen gemäß § 222 Abs. 2 InsO verpflichtet sein, wenn sich nach der Gruppenbildung gemäß § 222 Abs. 1 InsO in einer Gruppe Gläubiger befinden, „deren wichtigste insolvenzbezogene wirtschaftliche Interessen offensichtlich divergieren“.49) 77 Dieser Auslegung, die dem klar geäußerten Willen des Gesetzgebers zuwiderläuft,50) kann jedoch nicht gefolgt werden. Eine Notwendigkeit für eine Verpflichtung zur Bildung fakultativer Gruppen ist schon nicht dargetan. Selbst wenn u. U. ein Gläubiger von anderen Gläubigern mit wesentlich unterschiedlichen wirtschaftlichen Interessen in einer gemeinsamen Gläubigergruppe überstimmt wird, ist er doch keineswegs völlig schutzlos dem angenommenen Insolvenzplan ausgeliefert. Er hat, wie jeder andere Gläubiger auch, die Möglichkeit, gegen den Plan mit Hilfe der §§ 251, 253 InsO vorzugehen. 3.

Taktisches Verhalten bei der Gruppenbildung

78 Oberstes Gebot bei der Erstellung eines Insolvenzplans und insbesondere bei der Gruppenbildung ist eine objektive und faire Behandlung der Insolvenzgläubiger. Das erfordert besonders ein nachvollziehbares Vorgehen bei der Gruppenbildung und ihre transparente Darstellung. Wie bereits oben angedeutet, kann und ggf. muss sich der Planersteller bei der Bildung von Gruppen aber auch von taktischen Erwägungen leiten lassen. Vor allem der Schuldner selbst, aber auch der planerstellende Insolvenzverwalter hat naturgemäß ein Interesse daran, dass der Plan letztendlich von den Gläubigern auch angenommen wird. Da nicht immer alle Gläubiger mit einem Insolvenzplan in vollem Umfang einverstanden sein werden, kann in solchen Fällen eine geschickte Gruppenbildung dem Plan zur Annahme verhelfen. Wenn es auch vorzuziehen wäre, die Gläubigergesamtheit von den Vorzügen des vorgelegten Plans zu überzeugen, wird es immer wieder Fälle geben, in denen dieses Ziel nicht erreicht werden kann. Der Widerstand einzelner Gläubiger ist in der Praxis teilweise überraschend und beruht mitunter auf Gründen, die nicht im wirtschaftlichen, sondern vielmehr im persönlichen Bereich liegen.51) 79 Die denkbaren Fallgestaltungen sind mannigfaltig. Die erfolgreiche Plan- und dort insbesondere die Gruppengestaltung setzt daher auch Überlegungen über das schuldnerische Unternehmen, das Marktumfeld und die beteiligten Gläubiger voraus, um auf denkbare Opposition vorbereitet zu sein. So könnten sich bspw. Konkurrenten durch Forderungskauf eine Gläubigerstellung „beschafft“ haben, um so eine Sanierung des Schuldners durch einen Insolvenzplan zu torpedieren. Denkbar ist auch, dass ein Darlehensgeber zwei in einem kriselnden Markt miteinander konkurrierende Unternehmen kreditiert hat und nun daran interessiert ist, dass nur eines von beiden den Markt in Zukunft gewinnbringend abschöpfen kann. 80 Technisch kann die Durchsetzung eines Plans gegen den Widerstand einzelner Gläubiger auf zwei Wegen erreicht werden: Der Planersteller kann entweder mutmaßlich opponierende Gläubiger auf verschiedene Gruppen verteilen und darauf setzen, dass diese inner___________ 48) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 119; zur gegenteiligen h. M. vgl. die Nachweise bei Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 115. 49) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 119. 50) Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. InsO, BT-Drucks. 12/7302, S. 182, Nr. 140. 51) Z. B. wenn es mit einem dem Schuldner nahestehenden Gläubiger zum Zerwürfnis gekommen ist, „ExSchwiegermutter-Gruppe“.

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halb ihrer Gruppen jeweils durch eine Kopf- und Summenmehrheit überstimmt werden (§ 244 Abs. 1 InsO). Dieser Weg ist allerdings nur dann gangbar, wenn genügend Gruppen vorhanden sind, auf die die opponierenden Gläubiger unter Beachtung der Gruppenbildungsregeln so verteilt werden können, dass in den einzelnen Gruppen noch eine Annahme des Plans möglich erscheint. Eine alternative Möglichkeit zu versuchen, opponierende Gläubiger zu überstimmen, be- 81 steht darin, diese opponierenden Gläubiger in einer oder mehreren Gruppen zusammenzufassen und die ablehnende Entscheidung dieser Gruppe(n) über das Obstruktionsverbot gemäß § 245 InsO zu überwinden. Auch dieser Weg ist aber nur unter bestimmten Voraussetzungen umsetzbar. Zum einen müssen natürlich die Gruppenbildungsregeln beachtet werden. Außerdem müssen die Voraussetzungen des § 245 Abs. 1 Nr. 1 – 3 InsO gewahrt sein, insbesondere muss eine Mehrheit der abstimmenden Gruppen dem Plan zugestimmt haben. Solch taktisches Verhalten ist, wenn es die gesetzlichen Anforderungen an die Gruppenbil- 82 dung erfüllt, grundsätzlich legitim und kann von den Planbeteiligten nicht ohne weiteres verhindert werden. Vereinzelt wird vorgeschlagen, taktisches Verhalten durch ein ungeschriebenes Missbrauchsverbot in Form einer korrigierenden Auslegung des § 222 InsO weiter einzuschränken,52) was aber die Ausgewogenheit und Zielsetzung der gesetzlichen Regelungen stören würde und daher abzulehnen ist.53) Denn mit den – wenn auch unbestimmten – Begriffen der „gleichartigen wirtschaftlichen Interessen“ und der „Sachgerechtigkeit“ zieht das Gesetz selbst der Untergruppenbildung ausreichende Grenzen. Darüber hinaus stellt das Gesetz dem überstimmten Gläubiger ausreichende Möglichkeiten zur Verfügung, um sich gegen eine eventuelle Benachteiligung zu wehren: Er kann einen Minderheitenschutzantrag gemäß § 251 InsO stellen oder sofortige Beschwerde gemäß § 253 InsO gegen die Planbestätigung einlegen, wenn er durch den Plan schlechtergestellt wird als im Regelinsolvenzverfahren. Wird er aber durch den Plan nicht schlechtergestellt, muss er gegen den Plan auch nicht geschützt werden. Wird durch taktisches Verhalten mit Hilfe des Obstruktionsverbots eine ganze Gläubigergruppe überstimmt, so genießt sie sogar den noch weitergehenden Schutzmechanismus des § 245 InsO, nach dem sie nicht nur nicht schlechtergestellt werden darf, sondern auch angemessen an dem wirtschaftlichen Wert gemäß § 245 Abs. 2 InsO zu beteiligen ist. 4.

Dokumentationspflicht gemäß § 222 Abs. 2 Satz 3 InsO

Gemäß § 222 Abs. 2 Satz 3 InsO sind die Kriterien, anhand derer die Abgrenzung der fa- 83 kultativen Gruppen voneinander vorgenommen wurde, sowie die Subsumtion unter die unbestimmten Rechtsbegriffe der gleichartigen wirtschaftlichen Interessen und der Sachgerechtigkeit im Plan anzugeben. Ob diese Angaben im gestaltenden oder darstellenden Teil erfolgen, spielt keine Rolle (siehe Rz. 14). Sie sind Grundlage für die Überprüfung durch das Insolvenzgericht, ob der Planersteller die Vorgaben des § 222 Abs. 2 Satz 1 und 2 InsO bei der Gruppenbildung eingehalten hat. Denn das Insolvenzgericht hat dabei nicht etwa eigene Überlegungen anzustellen, ob und wie eine bestimmte Gruppenbildung gerechtfertigt werden könnte, sondern es hat sich bei dieser Prüfung nur auf die im Plan angegebenen Kriterien zu stützen.54)

___________ 52) Smid, InVo 1997, 169, 175 ff., dem folgend Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 231 Rz. 15. 53) So auch Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 110 ff. 54) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 109.

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§ 24 5.

2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte Gleichbehandlungsgrundsatz innerhalb der Gruppen (§ 226 InsO)

84 Die Pflicht zur Gleichbehandlung innerhalb der Gruppen gemäß § 226 InsO ist zwar eigentlich erst Folge der Gruppenbildung, da nach dem Wortlaut innerhalb der gebildeten Gruppen allen Beteiligten gleiche Rechte anzubieten sind. Für den Planersteller ist diese Regelung aber schon bei der Gruppenbildung stets im Blick zu behalten. Bei den taktischen Überlegungen zur Gruppenbildung ist nämlich immer zu beachten, dass die beste Taktik im Hinblick auf die Abstimmung über den Plan nichts wert ist, wenn wegen § 226 InsO die geplante Zuteilung von Masseanteilen an die einzelnen Gläubiger nicht aufrechterhalten werden kann. 6.

Fakultative Untergruppen im Einzelnen

6.1

Arbeitnehmer

85 Für die Forderungen der Arbeitnehmer im Rang des § 38 InsO soll eine eigene Gruppe gebildet werden, wenn sie mit nicht unerheblichen Forderungen beteiligt sind, § 222 Abs. 3 Satz 1 InsO. Begründet wird diese Vorschrift durch den Gesetzgeber damit, dass sich die Interessenlage der Arbeitnehmer in der Regel von derjenigen der übrigen Insolvenzgläubiger unterscheidet.55) 86 Die Formulierung als Soll-Vorschrift wirft die Frage auf, ob eine Gruppe für die Arbeitnehmerforderungen zwingend zu bilden ist, wenn die Voraussetzungen der Vorschrift vorliegen. Dagegen könnte sprechen, dass der Gesetzgeber gerade davon abgesehen hat, für die Arbeitnehmerforderungen eine obligatorische Gruppe gemäß § 222 Abs. 1 InsO vorzuschreiben. Nach richtiger h. M.56) besteht bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 222 Abs. 3 Satz 1 InsO eine Pflicht zur Gruppenbildung für die Arbeitnehmerforderungen, von der nur in besonderen Ausnahmefällen und mit eingehender Begründung Abstand genommen werden kann.57) Dass die Gruppenbildung für die Arbeitnehmerforderungen nicht bereits in § 222 Abs. 1 InsO vorgeschrieben wird ist systematisch damit zu erklären, dass die Gruppenbildung in § 222 Abs. 1 InsO auf einem unterschiedlichen Befriedigungsrang beruht und die Arbeitnehmerforderungen keinen solchen unterschiedlichen Befriedigungsrang zu den übrigen ungesicherten Insolvenzforderungen aufweisen. 87 Aufgrund der gesetzlichen Sonderregelung dürfte eine detaillierte Begründung für die Bildung einer Arbeitnehmergruppe überflüssig sein.58) Nur im umgekehrten Fall, wenn trotz Vorliegens nicht unerheblicher Arbeitnehmerforderungen keine eigene Gruppe für diese Forderungen gebildet wird, ist eine hinreichende Begründung erforderlich. In jedem Fall sollte aber im Plan eine Auseinandersetzung damit erfolgen, ob und warum bestehende Arbeitnehmerforderungen als erheblich bewertet werden oder nicht. 88 Arbeitnehmer i. S. der Vorschrift sind Arbeitnehmer im arbeitsrechtlichen Sinne. Nicht erfasst sind also grundsätzlich Geschäftsführer oder freie Mitarbeiter.59) Wenn freie Mitarbeiter aber tatsächlich als Arbeitnehmer im arbeitsrechtlichen Sinne zu qualifizieren sind (Scheinselbstständige), sind auch ihre Forderungen in die Gruppe des § 222 Abs. 3 Satz 1 InsO einzuordnen, weil sie dann Arbeitnehmer im arbeitsrechtlichen Sinne sind. In die Gruppe der Arbeitnehmer können ggf. auch die auf die Bundesagentur für Arbeit i. R. ___________ 55) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 200. 56) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 132; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 31; Spahlinger in: KPB, InsO, § 222 Rz. 44. 57) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 31, gehen sogar so weit, die Gruppe ebenfalls als obligatorische Gruppe zu bezeichnen. 58) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 132. 59) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 32.

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§ 24

Gruppenbildung

des Insolvenzgeldes übergegangenen Forderungen eingeordnet werden.60) Diese Forderungen können aber auch in eine fakultative Ein-Gläubiger-Gruppe eingeordnet werden.61) Die Gruppe ist nach dem Gesetzeswortlaut nur dann zu bilden, wenn Arbeitnehmer mit 89 nicht unerheblichen Forderungen beteiligt sind. Dieses Kriterium wirft schwierige Abgrenzungs- und Auslegungsfragen auf: Es stellt sich die Frage, ob sich die Erheblichkeit auf einen Vergleich mit den Gesamtverbindlichkeiten des Schuldners bezieht, eine absolute Größe ist oder sich an den (Einkommens-)Verhältnissen der Arbeitnehmer bemisst? Für letztes könnte sprechen, dass die Gesetzesbegründung auf die besondere Situation der Arbeitnehmer abstellt, sodass es auf deren persönliche Betroffenheit ankommen könnte. Die in Literatur und Rechtsprechung insoweit vorgeschlagenen Schwellenwerte variieren beträchtlich und werden meist durch die zusätzliche – ebenfalls stark variierende – Anforderung ergänzt, dass ein bestimmter Anteil der Arbeitnehmer in dem jeweiligen Maße betroffen sein muss.62) Gegen eine Bemessung an den individuellen Verhältnissen der Arbeitnehmer könnte allerdings sprechen, dass nicht nur diejenigen Arbeitnehmer in die Gruppe des § 222 Abs. 3 Satz 1 InsO eingeordnet werden, bei denen eine individuelle Erheblichkeit bejaht wird, sondern alle Arbeitnehmer. Das könnte dafür sprechen, die Erheblichkeit eher anhand eines Vergleichs zu den Gesamtverbindlichkeiten des Schuldners zu bemessen und so darauf abzustellen, wie groß die Betroffenheit der Belegschaft im Vergleich zu den übrigen Gläubigern ist. Am leichtesten handhabbar wäre sicherlich das Abstellen auf eine feste, absolute Erheblichkeitsschwelle.63) Im Ergebnis dürfte es auf eine wohl begründete Einzelfallentscheidung hinauslaufen. Die Gruppe des § 222 Abs. 3 Satz 1 InsO soll nur Insolvenzforderungen aufnehmen. Masse- 90 verbindlichkeiten gegenüber den Arbeitnehmern sind – zumindest in einem regulären Insolvenzplan, in dem diese Forderungen durch den Insolvenzplan schon nicht berührt werden – nicht in diese Gruppe einzuordnen. Lediglich im Fall eines Insolvenzplans bei Masseunzulänglichkeit (siehe dazu im Einzelnen Rz. 101 ff.) ist die Vorschrift des § 222 Abs. 3 Satz 1 InsO bei Bildung der Gruppe für die Altmassegläubiger gemäß § 210a Nr. 1 InsO entsprechend anzuwenden, wenn zu den Altmassegläubigern Arbeitnehmer mit nicht unerheblichen Masseforderungen zählen. Wenn die Kriterien des § 222 Abs. 3 Satz 1 InsO nicht vorliegen, ist nach den allgemeinen 91 Regeln dennoch die Bildung einer fakultativen Gruppe gemäß § 222 Abs. 2 InsO für die Arbeitnehmer möglich, wenn deren Interessen sachgerecht von den Interessen der übrigen Gläubiger abgegrenzt werden können.64) Auch innerhalb der Soll-Gruppe des § 222 Abs. 3 Satz 1 InsO ist – wiederum, wenn die Interessen eines Teils der Arbeitnehmer sachgerecht von den Interessen anderer Arbeitnehmer abgegrenzt werden können – die Bildung fakultativer Untergruppe zulässig.65) 6.2

Kleingläubiger

Nach dem Willen des Gesetzgebers ist allein die geringe Höhe der Forderung geeignet, ein 92 besonderes wirtschaftliches Interesse und damit ein sachgerechtes Abgrenzungskriterium ___________ 60) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, Rz. 20, ZIP 2015, 1346, dazu EWiR 2015, 483 (Spliedt); Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 26. 61) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 31 a. E.; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 26. 62) Überblick bei Spahlinger in: KPB, InsO, § 222 Rz. 46. 63) So z. B. LAG Düsseldorf v. 15.9.2011 – 11 Sa 591/11, ZIP 2011, 2487, dazu EWiR 2012, 151 (Bäher/ Höpker). 64) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 31. 65) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 133.

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2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

zu begründen.66) Die Bildung einer Gruppe für Kleingläubiger soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers insbesondere der Verfahrensvereinfachung dienen, indem den Kleingläubigern eine volle Befriedigung ihrer Forderungen gewährt und somit eine Abstimmung dieser Gläubiger über den Plan gemäß § 237 Abs. 2 InsO obsolet gemacht wird.67) Eine Gruppenbildung für Kleingläubiger ist aber nicht nur in diesen Fällen zulässig.68) 93 Welche Gläubiger als Kleingläubiger zu qualifizieren sind, ist nicht absolut bestimmbar, sondern hängt vom Einzelfall ab.69) Angesichts der Vielzahl dazu vertretener Ansichten erscheint auch die Bezifferung einer absoluten Untergrenze70) nicht praktikabel. Auch der Ansatz, Kleingläubiger seien alle Gläubiger, die zusammen weniger als 10 % der Gesamtforderungen auf sich vereinen,71) erscheint nicht sachgerecht, weil dies in gleichartigen Konstellationen zu signifikant unterschiedlichen Behandlungen führen kann. 94 Beispiel: In einem Verfahren mit einer Passivmasse von 100.000,00 € werden 10 % der Forderungen von 20 Gläubigern mit einer Forderung von je 500,00 € gehalten und in einem anderen Verfahren mit gleicher Passivmasse von zwei Gläubigern, von denen der eine Gläubiger eine Forderung i. H. von 9.500,00 € und der andere i. H. von 500,00 € hat; alle diese Gläubiger wären aber als Kleingläubiger zu qualifizieren. 6.3

Geringfügig Beteiligte

95 Ebenso wie im Fall der Kleingläubiger ist auch bei den Anteilsinhabern nach dem Willen des Gesetzgebers allein die Höhe der Beteiligung sachgerechtes Abgrenzungskriterium zur Bildung einer fakultativen Gruppe für geringfügig Beteiligte.72) Die Vorschrift gilt jedoch nur für Anteilsrechte, nicht für Mitgliedschaftsrechte und ist deshalb in Fällen von Vereinen oder Genossenschaften in der Regel nicht anwendbar.73) Nach dem Gesetzeswortlaut sind geringfügig beteiligt solche Anteilsinhaber, die mit weniger als 1 % oder mit weniger als 1.000 € am Haftkapital beteiligt sind; auch höhere Beteiligungen können jedoch je nach den Umständen des Einzelfalls noch eine geringfügige Beteiligung darstellen.74) 6.4

Spezialgesetzliche fakultative Gruppen

96 Neben den insolvenzrechtlichen Gruppenbildungsvorgaben finden sich auch in einigen Spezialgesetzen Vorschriften, die auf eine besondere Differenzierungsmöglichkeit oder ein besonderes Differenzierungshindernis hinweisen. 97 Zu beachten ist bei der Gruppenbildung etwa die Regelung des § 19 Abs. 4 SchVG, die festlegt, dass in einem Insolvenzplan sämtlichen Schuldverschreibungsgläubigern einer Schuldverschreibungsgattung gleiche Rechte anzubieten sind. Das bedeutet zwar weder, dass diese Gläubiger in einer Gruppe zusammengefasst werden müssten, da auch unterschiedlichen Gruppen gleiche Rechte angeboten werden können,75) noch, dass für diese Gläubiger zwingend eine eigene Gruppe gebildet werden müsste. In der Praxis wird man der Anfor___________ 66) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 200 – einen dahingehend möglicherweise bestehenden Zweifel möchte der Gesetzgeber durch die Vorschrift ausdrücklich beseitigen. 67) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 200. 68) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 37; a. A. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 140. 69) Thies in: HambKomm-InsO, § 222 Rz. 29; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO § 222 Rz. 37. 70) Zu den verschiedenen vorgeschlagenen Untergrenzen Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 138. 71) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 139. 72) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 31. 73) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 31. 74) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 31. 75) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 162.

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§ 24

Gruppenbildung

derung des § 19 Abs. 4 SchVG aber durch Bildung einer eigenen, einzigen Gruppe für die Gläubiger einer Schuldverschreibungsgattung am ehesten gerecht werden. Für den Fall eines Insolvenzplans in einem Insolvenzverfahren über das Vermögen einer 98 Genossenschaft erlaubt § 116 Nr. 3 GenG, dass bei der Gruppenbildung zwischen den Gläubigern, die zugleich Mitglieder der Genossenschaft sind, und den übrigen Gläubigern unterschieden werden kann. Diese Vorschrift hat nicht lediglich deklaratorischen Charakter, sondern bestimmt, dass die Mitgliedschaft in der Genossenschaft in der Regel sachgerechtes und ausreichendes Abgrenzungskriterium für eine fakultative Gruppenbildung ist.76) 6.5

Weitere Beispiele für typische fakultative Gruppen

Darüber hinaus bieten sich vielgestaltige Gruppenbildungsmöglichkeiten. Abgegrenzt wer- 99 den kann etwa nach: 

Rechtsgrund der Forderung bzw. des Absonderungsrechts,



Art der Forderung bzw. des Absonderungsrechts,



Laufzeit/Fälligkeit der Forderung bzw. des Absonderungsrechts,



Art der Gegenleistung,



spezifischen Leistungsrisiken, insbesondere Rang von Absonderungsrechten und Werthaltigkeit von Forderungen und Absonderungsrechten,



wirtschaftlicher Bedeutung für den einzelnen Gläubiger.

Im Folgenden sollen beispielhaft einige Typen von Insolvenzgläubigern aufgezählt werden, 100 für die in der Praxis – neben den unter den vorstehenden Ziffern beschriebenen Gruppen – eigene Gruppen mit guten Gründen gebildet werden können: 

Geschäftspartner des Insolvenzschuldners (Lieferanten u. Ä.), weil sie u. U. ein besonderes Interesse an einer Sanierung des Schuldners haben, um ihre Geschäftsbeziehungen fortzusetzen;



Absonderungsberechtigte, deren Sicherheit im Falle einer späteren Verwertung umfangreichere Forderungen (namentlich auflaufende Zinsforderungen) sichert als im Falle einer früheren Verwertung;77)



Forderungen, die durch Sicherheiten an Nichtmassevermögen oder an Vermögen eines Dritten gesichert sind (Achtung: bei gruppeninternen Drittsicherheiten ist eine obligatorische Gruppenbildung vorgeschrieben, siehe Rz. 65);



Absonderungsberechtigte, die sich hinsichtlich des Rangs, des Typus oder des Entstehungsgrunds ihrer Sicherheit unterscheiden;



Unterscheidung zwischen Mobiliar- und Immobiliarsicherheiten;



Gläubiger, die gleichzeitig Gesellschafter des Schuldners sind;



Gläubiger, die mit dem Schuldner konzernrechtlich verbunden sind;



Gläubiger, deren Forderungen einen unterschiedlichen Entstehungsgrund haben (Vertragstypen);



Gläubiger bzw. Absonderungsberechtigte, deren Rechte unterschiedlich werthaltig bzw. durchsetzbar sind;

___________ 76) So auch Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 153 f. 77) So wie in dem Fall, der der Entscheidung des BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, ZIP 2005, 1648, dazu EWiR 2006, 279 (v. Gleichenstein), zugrunde liegt.

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2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte



fällige und nicht fällige Forderungen, da die Gläubiger der letzteren Kategorie regelmäßig nicht an einer ganz so schnellen Befriedigung interessiert sind wie die Gläubiger schon fälliger Forderungen;



Unterscheidung der Forderungen danach, ob ihre Gläubiger persönliche oder familiäre Beziehungen zum Insolvenzschuldner aufweisen;



Forderungen aus unerlaubter Handlung, vor allem im Hinblick auf die Privilegierung bei der Restschuldbefreiung in der Regelinsolvenz (nicht zu beachten ist aber das persönliche Genugtuungsinteresse, denn es zählen nur wirtschaftliche Interessen);



Dauerschuldverhältnisse: Unterteilung der Forderungen aus zu beendenden und fortzuführenden Dauerschuldverhältnisse.

IV.

Sonderfälle der (obligatorischen) Gruppenbildung

1.

Obligatorische Gruppen im Insolvenzplan bei Masseunzulänglichkeit (§§ 208 f. InsO)

1.1

Zulässigkeit eines Insolvenzplans bei Masseunzulänglichkeit

101 Auch im Falle einer angezeigten Masseunzulänglichkeit i. S. von § 208 Abs. 1 InsO ist ein Insolvenzplan zulässig, § 210a InsO. Von einem Insolvenzplan bei Masseunzulänglichkeit muss immer dann gesprochen werden, wenn die Masseunzulänglichkeit bei Einreichung des Insolvenzplans angezeigt ist. Nicht zulässig sein soll ein Insolvenzplan allerdings bei Neumasseunzulänglichkeit, wenn also noch nicht einmal die Neumasseverbindlichkeiten befriedigt werden können.78) Allerdings finden sich dafür keine Anhaltspunkte, insbesondere schließt § 210a InsO nach seinem Wortlaut einen solchen Insolvenzplan nicht aus.79) Ob ein solcher Insolvenzplan Sinn ergäbe, kann pauschal nicht beurteilt werden, wenngleich zuzugeben ist, dass in der Situation der Neumasseunzulänglichkeit ein Insolvenzplan ausgesprochen unrealistisch sein dürfte. 1.2

Gruppenbildung im Insolvenzplan bei Masseunzulänglichkeit

102 Wegen des – auch für den Fall des Insolvenzplans geltenden – absoluten Befriedigungsvorrangs der Masseverbindlichkeiten gemäß § 53 InsO ergeben sich im Hinblick auf die Gruppenbildung im Insolvenzplan bei Masseunzulänglichkeit einige Besonderheiten: 103 Die Zustimmung der Kostengläubiger des Insolvenzverfahrens gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist nicht erforderlich, da ihre Rechtsstellung durch den Plan in keiner Weise berührt werden kann; können sie nicht voll befriedigt werden, ist ein Insolvenzverfahren und damit ein Insolvenzplan nicht möglich,80) § 26 Abs. 1, § 207 Abs. 1 InsO. Deshalb ist für die Kostengläubiger – entsprechend dem Gedanken des § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO, nach dem für die absonderungsberechtigten Gläubiger nur dann eine Gruppe zu bilden ist, wenn in ihre Rechte eingegriffen werden soll – auch keine eigene Gruppe zu bilden. 104 Ebenso verhält es sich bei den Neumassegläubigern: Wenn in deren Rechte nicht eingegriffen werden soll, muss für sie auch keine eigene Gruppe gebildet werden. Wenn aber in die Rechte der Neumassegläubiger eingegriffen werden soll,81) sind die Alt- und Neumasse___________ 78) Ries in: Uhlenbruck, InsO, § 210a Rz. 6 m. w. N.; Pape in: KPB, InsO, § 210a Rz. 15. 79) Westphal in: Nerlich/Römermann, InsO, § 210a Rz. 7 m. w. N. Weiterhin unzulässig bleibt ein Insolvenzplan bei Massearmut, d. h., wenn noch nicht einmal die Verfahrenskosten aus der Insolvenzmasse beglichen werden können, Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 217 Rz. 2; Thies in: HambKomm-InsO, Vor § 217 Rz. 22. 80) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 217 Rz. 2; Thies in: HambKomm-InsO, Vor § 217 Rz. 22. 81) Wogegen grundsätzlich nichts spricht, wovon offenbar auch Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 79 ausgeht; a. A. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 217 Rz. 36.

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§ 24

Gruppenbildung

gläubiger jedenfalls in unterschiedliche Gruppen einzuordnen. Aus den in § 209 Abs. 1 Nr. 2 und 3 InsO festgeschriebenen unterschiedlichen Rängen dieser Gläubiger ergibt sich deren insolvenzrechtlich unterschiedliche Rechtsstellung i. S. von § 222 Abs. 1 Satz 1 InsO, weshalb für sie zwingend unterschiedliche Gruppen zu bilden sind. Gemäß § 210a Nr. 1 InsO treten die sog. Altmassegläubiger an die Stelle der nicht nach- 105 rangigen Gläubiger, so dass für sie entsprechend § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO eine Gruppe zu bilden ist. Wegen des Vorrangs der Masseverbindlichkeiten und der zur Befriedigung der Insolvenz- 106 gläubiger im Rang des § 38 InsO in diesen Fällen nicht ausreichenden Masse kommt auch eine Befriedigung dieser Gläubiger nicht in Betracht. § 210a Nr. 2 InsO sieht vor, dass die Insolvenzgläubiger im Rang des § 38 InsO an die Stelle der nachrangigen Insolvenzgläubiger treten, so dass für sie entsprechend § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO nur dann eine Gruppe zu bilden ist, wenn ihre Forderungen nicht entsprechend § 225 Abs. 1 InsO als erlassen gelten sollen. Wenn für sie eine Gruppe gebildet wird, gilt § 246 Nr. 2 InsO (Zustimmungsfiktion bei Nichtbeteiligung an der Abstimmung) entsprechend. Einer Gruppenbildung für die nachrangigen Insolvenzgläubiger bedarf es – wie im Falle 107 eines Regelinsolvenzplans – nur dann, wenn ihre Forderungen nicht gemäß § 225 Abs. 1 InsO als erlassen gelten. Da im Falle der angezeigten Masseunzulänglichkeit auch durch einen Plan die Befriedigung von nachrangigen Insolvenzforderungen so gut wie ausgeschlossen ist, wird eine Abweichung von der Erlassfiktion des § 225 Abs. 1 InsO im Falle der Masseunzulänglichkeit in der Regel nicht in Betracht kommen. Für die absonderungsberechtigten Gläubiger und Anteilsinhaber bleibt es auch im Falle 108 eines Insolvenzplans bei Masseunzulänglichkeit bei den Regelungen des § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bzw. Nr. 4 InsO, nach denen für sie nur dann eine eigene Gruppe zu bilden ist, wenn in ihre Rechte eingegriffen oder ihre Rechte in den Plan einbezogen werden. Das Recht zur abgesonderten Befriedigung wird durch die Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht berührt. 2.

Obligatorische Gruppen im Folgeinsolvenzplan nach Kreditrahmenregelung gemäß §§ 264 ff. InsO

In einer weiteren Sondersituation wird deutlich, dass die Aufzählung in § 222 Abs. 1 Satz 2 109 InsO nicht für alle Fälle abschließend sein kann (siehe oben Rz. 37 ff.). Dies offenbart sich im Fall eines sog. Folgeinsolvenzplans nach Kreditrahmenregelung gemäß §§ 264 ff. InsO. 2.1

Situation der Kreditrahmenregelung

Die Vorschriften zur Kreditrahmenregelung in §§ 264 ff. InsO lassen es zu, dass in einem 110 ersten Insolvenzplan solchen (Kredit-)Gläubigern ein Vorrang vor den übrigen Insolvenzgläubigern für eine mögliche Folgeinsolvenz eingeräumt wird, die ihre Kredite oder vertraglichen Leistungen im Zeitraum der Planüberwachung gewähren, falls die zweite Insolvenz vor Aufhebung der Planüberwachung eintritt, § 266 InsO. Diese Handhabung soll i. R. des ersten Insolvenzplans eine weitere Kreditierung des Schuldners vor allem zur Fortführung des Unternehmens ermöglichen, indem für potenzielle Kreditgläubiger auch dann, wenn eine dingliche Sicherung der Ansprüche aufgrund der schlechten Lage des Unternehmens nicht mehr möglich oder sinnvoll ist, eine gewisse Sicherheit hergestellt wird.

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739

§ 24 2.2

2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte Gruppenbildung im Folgeinsolvenzplan

111 Auch bei einem ersten Plan mit Kreditrahmenregelung ist es grundsätzlich denkbar, dass auch die zweite Insolvenz mit Hilfe eines Insolvenzplans abgewickelt wird.82) Dann muss das von §§ 264 f. InsO festgeschriebene besondere Vor- und Nachrangverhältnis auch bei der Gruppenbildung gemäß § 222 Abs. 1 Satz 1 InsO im zweiten Insolvenzplan beachtet werden. Die obligatorische Gruppenbildung in einem Folgeinsolvenzplan nach Kreditrahmenregelung ist dabei folgendermaßen vorzunehmen: 112 Die Stellung der absonderungsberechtigten Gläubiger wird durch §§ 264 ff. InsO nicht berührt. Für sie ändert sich daher hinsichtlich der obligatorischen Gruppenbildung nichts, für sie ist weiterhin zumindest dann eine Gruppe gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO zu bilden, wenn in ihre Rechte eingegriffen wird. 113 Auch bezüglich der einzelnen Rangklassen der nachrangigen Insolvenzgläubiger ergeben sich keine Änderungen zum Normalfall der Regelinsolvenz, so dass für sie gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO nur Gruppen zu bilden sind, soweit ihre Forderungen nicht gemäß § 225 InsO als erlassen gelten. 114 Nicht berührt wird außerdem die Gruppenbildungsregel für Anteilseigner, für die deshalb gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 InsO auch im Folgeinsolvenzplan eine Gruppe zu bilden ist, wenn ihre Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte in den Plan einbezogen werden. 115 Ebenfalls unberührt bleibt die Pflicht zur Bildung einer Gruppe für Gläubiger mit gruppeninternen Drittsicherheiten gemäß § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 InsO. 116 Zu beachten sind die Regelungen der §§ 264 ff. InsO aber bei der Gruppenbildung für die nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger. Denn diese werden durch §§ 264 ff. InsO in ein Rangverhältnis gesetzt, welches auch bei der Gruppenbildung Beachtung finden muss, weil sich daraus ein unterschiedlicher Befriedigungsrang und damit eine unterschiedliche Rechtsstellung i. S. von § 222 Abs. 1 Satz 1 InsO ergibt. Nach den entsprechenden Regelungen gehen Kreditrahmengläubiger, Neugläubiger auf gesetzlicher Grundlage83) und Altgläubiger, die in dem ersten Insolvenzplan ausdrücklich von der Zurücksetzung ausgenommen sind,84) den übrigen Insolvenzgläubigern vor. Es ist daraus folgend also mindestens eine jeweils eigene Gruppe für die vorrangigen und die zurückgesetzten Insolvenzgläubiger zu bilden. 117 Die Tatsache, dass §§ 264 ff. InsO für einige Gläubiger in der Folgeinsolvenz nach Kreditrahmenregelung einen Nachrang gegenüber anderen Insolvenzgläubigern vorsieht, bedingt aber nicht, dass diese zurückgesetzten Gläubiger nun den gleichen Rang wie die nachrangigen Insolvenzgläubiger i. S. von § 39 InsO einnehmen. Sie sind diesen nach wie vor vorrangig. Deshalb ist auch bei der Gruppenbildung im Folgeinsolvenzplan nach Kreditrahmenreglung zwischen den aufgrund §§ 264 ff. InsO zurückgesetzten und den gemäß § 39 InsO von Haus aus nachrangigen Gläubigern gruppenmäßig zu differenzieren. Für die gemäß §§ 264 ff. InsO zurückgesetzten Gläubiger gilt – weil sie keine per se nachrangigen Gläubiger sind – § 225 InsO nicht, so dass für sie in jedem Fall eine eigene Gruppe zu bilden ist.

___________ 82) Wenn dies in der Praxis auch eher selten der Fall sein wird, da sich das Instrument des Insolvenzplans in dem ersten Verfahren ja schon nicht bewährt hat. Da aber unterschiedliche Arten von Insolvenzplänen vorgelegt werden können (neben Sanierungsplänen eben auch reine Liquidationspläne oder Übertragungspläne), ist eine solche Situation nicht von vornherein völlig auszuschließen. 83) Letzteres gründet sich auf ein argumentum e contrario aus § 265 InsO. 84) So auch Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 75.

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§ 25 Absonderungsberechtigte Gläubiger, Eingriffe Hölzle

I.

Grundsätzliche Bedeutung von Absonderungsrechten im Insolvenzplanverfahren .............................................. 1 II. Eingriffe in Absonderungsrechte und Zustimmungserfordernisse...................... 14 1. Grundsatz: Nur konsensualer Eingriff (§§ 217, 223 InsO) ..................................... 14 2. Grundlagen der Mehrheitsentscheidung und des Obstruktionsverbots in Bezug auf Absonderungsberechtigte ........ 19 2.1 Obstruktionsverbot als Widerstreit zwischen Wertschöpfung und Wertbeanspruchung............... 19 2.2 Grenze der Wertbeanspruchung durch absonderungsberechtigte Gläubiger........................................ 21 2.3 Niederringen widerstreitender Interessen absonderungsberechtigter Gläubiger (Cram-down) ..... 23 2.3.1 Die Anwendung des Best Interest Test (§ 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO) auf absonderungsberechtigte Gläubiger (keine Schlechterstellung) ... 23

2.3.2

Die Anwendung der Absolute Priority Rule (§ 245 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 3 InsO) auf absonderungsberechtigte Gläubiger (keine vorrangige Befriedigung gleichrangiger Gläubiger) ...................................... 32 III. Rangverhältnis zwischen absonderungsberechtigten und ungesicherten Gläubigern? ............................................... 39 IV. Einstweiliger Verwertungsstopp (§ 233 InsO)............................................... 44 V. Präklusion von für den Ausfall festgestellten Forderungen im Insolvenzplan ..................................................... 47 VI. Das Verhältnis von absonderungsberechtigten Gläubigern zu Gesellschaftern des Schuldners im Fortführungsplan ............................................. 49 VII. Drittsicherheiten ..................................... 66

Literatur: Bultmann, Absonderungsrechte im „schweigenden“ Insolvenzplan, ZInsO 2022, 1327; Eidenmüller, Obstruktionsverbot, Vorrangregel und Absonderungsrechte, in: Festschrift für Jochen Drukarczyk, 2003, S. 187; Eidenmüller, Gesellschafterstellung und Insolvenzplan, ZGR 2001, 680; Grub, Die angemessene Zahlungsquote im Insolvenzplan, in: Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck, 2001, S. 501; Henckel, Deregulierung im Insolvenzverfahren?, KTS 1989, 477; Hölzle, Überlagerung des Gesellschaftsrechts durch das Insolvenzrecht und die Schlechterstellungsprüfung zu Lasten des (Minderheits-)Gesellschafters, ZIP 2014, 1819; Smid, Ungleichbehandlung von (Insolvenz)Gläubigern durch Regelungen des Insolvenzplans, ZInsO 2019, 1981; Wittig, Obstruktionsverbot und Cram Down, ZInsO 1999, 373.

I.

Grundsätzliche Bedeutung von Absonderungsrechten im Insolvenzplanverfahren

Anders als aussonderungsberechtigte Gläubiger sind absonderungsberechtigte Gläubiger 1 nach § 52 InsO am Insolvenzverfahren beteiligt. Der Katalog der Absonderungsrechte ist abschließend in den §§ 49 bis 51 InsO geregelt. Darüberhinausgehende Absonderungsrechte können nur durch Gesetz oder Gewohnheitsrecht geschaffen werden. Die Vorschriften zur Begründung von Absonderungsrechten sind demgegenüber aber nicht dispositiv, weshalb zwar ein Verzicht auf begründete Absonderungsrechte möglich ist, nicht aber eine parteiautonome Erweiterung des Katalogs der Absonderungsrechte.1) Wegen der Verfahrensbeteiligung von absonderungsberechtigten Gläubigern nach § 52 InsO sind diese Gläubiger auch am Insolvenzplanverfahren zu beteiligen. Die Rechte der Absonderungsberechtigten rangieren dabei, soweit der Wert der Sicherheit reicht, noch vor den Verfahrenskosten (§ 54 InsO) und den sonstigen Masseverbindlichkeiten (§ 55 InsO), da mit Absonderungsrechten belastete Vermögensgegenstände oder die Erlöse aus ihrer Verwertung nicht zur ___________ 1) Scholz in: HambKomm-InsO, Vor §§ 49 – 51 Rz. 1.

Hölzle

741

§ 25

2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

Deckung der Verfahrenskosten, der sonstigen Masseverbindlichkeiten oder auch zur Zahlung einer Insolvenzquote zur Verfügung stehen. 2 Daraus folgt, dass die absonderungsberechtigten Gläubiger bei der Gruppenbildung nach § 222 InsO zu berücksichtigen sind (siehe oben Haneke, HRI II, § 24 Rz. 40 ff.). Dies allerdings in der Gruppe der Absonderungsberechtigten allein mit dem Wert der jeweiligen Sicherheit. Übersteigt die schuldrechtliche Forderung den Wert der Sicherheit, sind die Rechte zwingend in einen gesicherten und einen ungesicherten Teil aufzuteilen und nehmen die Gläubiger nur mit dem gesicherten Teil ihrer Forderung in der Gruppe der Absonderungsberechtigten teil. Mit dem ungesicherten Teil der Forderung sind sie einfache Insolvenzgläubiger im Rang des § 38 InsO und müssen wegen des Verbots der Bildung von Mischgruppen2) auch entsprechend eingruppiert werden (siehe ausführlich sogleich Rz. 4 ff.). 3 Dabei müssen nicht sämtliche Absonderungsberechtigten in einer einheitlichen Gruppe zusammengefasst werden. Es gilt vielmehr die allgemeine Regel des § 222 Abs. 2 InsO, wonach bei sachgerechten Differenzierungskriterien auch mehrere Gruppen gleichen Rangs gebildet werden können. Insbesondere für Absonderungsberechtigte hat der BGH3) dies für die Differenzierung nach absonderungsberechtigten Gläubigern im Fortführungsbereich des Schuldners und außerhalb dieses Fortführungsbereichs zugelassen. 4 Außerhalb der erst durch das SanInsFoG4) geschaffenen Möglichkeit, nach §§ 217 Abs. 2, 223a, 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 InsO auch Rechte aus konzerninternen Drittsicherheiten zu gestalten (siehe dazu unten Rz. 67 ff.) gilt auch weiterhin die Regel des § 254 Abs. 2 InsO, wonach die Rechte aus Drittsicherheiten durch den Plan unberührt bleiben. Im Grundsatz keine weitere Differenzierung rechtfertigen daher auch weiterhin nicht von § 217 Abs. 2 InsO erfasste Drittsicherheiten eines Gläubigers, insbesondere von einem Gesellschafter oder Geschäftsführer gegebene Bürgschaften. Auch wenn der Gläubiger bereit ist, im Interesse des Gelingens des Plans einstweilen auf die Durchsetzung solcher Drittsicherheiten zu verzichten, rechtfertigt dies keine gesonderte Gruppenbildung, die nämlich ihrerseits dazu dienen könnte, das gruppenbezogene Gleichbehandlungsgebot des § 226 Abs. 1 InsO zu unterlaufen. Soweit der Plan wegen § 254 Abs. 2 InsO aber auf Drittsicherheiten keinen Einfluss nehmen kann und da eine in die Drittsicherheiten eingreifende Regelung auch keine Auswirkung auf die Befriedigung der Insolvenzgläubiger haben kann, kann das Bestehen einer solchen Drittsicherheit auch nicht als taugliches Differenzierungskriterium für die Gruppenbildung herangezogen werden. Unterstrichen wird dies durch § 44a InsO, wonach eine Beteiligung als Insolvenzgläubiger erst nach Inanspruchnahme der Drittsicherheit möglich ist; dann kann nicht zugleich die Tatsache des Bestehens oder der Nichtinanspruchnahme der Drittsicherheit eine differenzierte Behandlung im Insolvenzplan rechtfertigen, die immer die Gefahr eines Unterlaufens des aus § 226 Abs. 1 InsO folgenden Gleichbehandlungsgebots begründet. 5 Sind – wie im absoluten Regelfall – die Absonderungsberechtigten zugleich Inhaber einer persönlichen Forderung gegen den Schuldner,5) entsteht die Besonderheit, dass die absonderungsberechtigten Gläubiger zweifach auf das Abstimmungsergebnis Einfluss nehmen, weil sie einmal mit ihren Sicherungsrechten in einer eigenen Gläubigergruppe erfasst und ggf. darüber hinaus auch als Gläubiger mit ihrer schuldrechtlichen Forderung an der Abstimmung beteiligt werden (siehe dazu schon oben Haneke, HRI II, § 24 Rz. 50 ff.). ___________ 2) BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, ZIP 2005, 1648. 3) BGH v. 26.4.2007 – IX ZB 5/06, NZI 2007, 521. 4) Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256. 5) Dazu ausführlich Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 7.13.

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Absonderungsberechtigte Gläubiger, Eingriffe

§ 25

Zunächst gilt i. R. des § 52 InsO unstreitig das Ausfallprinzip. Der absonderungsberech- 6 tigte Gläubiger nimmt deshalb, soweit er aus seinem Sicherungsrecht keine vollständige Befriedigung erlangen kann oder auf die Sicherheit verzichtet hat, als einfacher Insolvenzgläubiger im Rang des § 38 InsO am Insolvenzverfahren teil. Daraus ist abzuleiten, dass die Absonderungsberechtigten mit dem der Sicherheit im Insolvenzplan beigemessenen Wert in der Gruppe der Absonderungsberechtigten am Insolvenzplan teilnehmen und i. H. des Ausfallbetrags in der Gruppe der einfachen, ungesicherten Insolvenzgläubiger nochmals Einfluss auf das Abstimmungsergebnis nehmen.6) Diese doppelte Einflussnahme auf das Planergebnis ist systemisch bedingt hinzunehmen, 7 da anderenfalls die Berücksichtigung des absonderungsberechtigten Gläubigers mit seinem Absonderungsrecht und seiner verbleibenden Ausfallforderung in nur einer Gruppe dem Vorwurf der Bildung einer unzulässigen Mischgruppe ausgesetzt wäre.7) Hierin läge ein Verstoß gegen § 250 Nr. 1 InsO und damit ein von Amts wegen zu beachtendes Bestätigungshindernis des Plans. Unzulässig ist die Bildung einer solchen Mischgruppe zunächst unstreitig dann, wenn der absonderungsberechtigte Gläubiger auch mit einer von der Sicherungsvereinbarung (rechtlich) nicht erfassten Forderung in der Gruppe der Absonderungsberechtigten erfasst würde. In diesem Fall nämlich würde ein Gläubiger mit Forderungen unterschiedlicher Rechtsstellung in einer Gruppe erfasst. Dies gilt z. B. bei beschränkten Zweckerklärungen für Grundpfandrechte. Die von der Zweckerklärung nicht erfassten Forderungen dürfen unzweifelhaft nicht auch in der Gruppe der Absonderungsberechtigten auftauchen. Problematischer stellt sich der Sachverhalt dar, wie er vom BGH zu entscheiden war,8) in 8 dem die Sicherheit nominell den Wert der Forderung nicht erreicht, das eingetragene Grundpfandrecht also hinter der Forderung zurückbleibt. Der Plan sah vor, dass der Gläubiger auch mit dem Differenzbetrag von rund 200.000 €, um den die Forderung die nominelle Grundschuldhöhe überstieg, in der Gruppe der Absonderungsberechtigten einzuordnen war. Hiergegen richtete sich die Rüge, welcher die Vorinstanz wegen der Annahme eines Verstoßes gegen §§ 250, 222 InsO stattgegeben hat. Der BGH pflichtete zwar der Vorinstanz im Grundsatz bei, dass die Bildung von Mischgruppe unzulässig sei, stellte im vorliegenden Fall jedoch nicht auf den Nominalbetrag der Grundschuld, sondern auf den Fortführungswert des Grundstücks ab, der unter Berücksichtigung der dinglichen Zinsen, auf die sich das Absonderungsrecht ebenfalls erstrecke, eine vollständige Sicherung des Gläubigers erlaube, weshalb eine Mischgruppe im konkreten Fall nicht anzunehmen sei. Die Bildung einer einheitlichen Gruppe für absonderungsberechtigte Gläubiger ist daher 9 mit dem erheblichen Planvollzugsrisiko behaftet, dass es zu der Bildung einer unzulässigen Mischgruppe kommt, wenn und soweit ein Beschwerdeführer nachweist, dass der Wert der Sicherheit die Höhe der erfassten Forderung nicht deckt. Aus diesem Grunde empfiehlt es sich nicht zuletzt aus dem Gesichtspunkt der Vollzugssicherheit des Plans, in der Gruppe der Absonderungsberechtigten nur den durch den nachgewiesenen Wert der Sicherheiten gedeckten Teil der Forderung zu erfassen und für die Ausfallforderung entweder eine eigene Gläubigergruppe nicht nachrangiger, ungesicherter Gläubiger zu bilden, soweit hierfür Differenzierungskriterien greifen, oder aber diesen Teil der Forderung in die allgemeine Gruppe der einfachen Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO) einzuordnen.

___________ 6) In diesem Sinne Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 222 Rz. 6; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 222 Rz. 6; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 12 a. E, 13 ff. 7) BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, ZIP 2005, 1648, dazu EWiR 2006, 279 (v. Gleichenstein). 8) BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, ZIP 2005, 1648.

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2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

10 Dem steht auch nicht entgegen, dass bei der Berechnung des Ausfalls stets davon auszugehen ist, dass Zahlungen des Insolvenzverwalters (oder auch des Schuldners bei Eigenverwaltung) zunächst auf das Absonderungsrecht anzurechnen sind. Bei Bestehen von Absonderungsrechten darf der Insolvenzverwalter Zahlungen auf die persönliche Schuld nicht leisten. Entsprechende Anrechnungsklauseln und z. B. formularvertragliche Tilgungsbestimmungen sind nicht insolvenzfest und insoweit unwirksam. Sollte irrtümlich auf die persönliche Schuld bzw. die gesicherte Forderung geleistet werden, so sind solche Zahlungen nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB zu kondizieren.9) 11 Dieser Vorrang der Zahlung auf das Sicherungsrecht findet seine rechtliche Grundlage in § 190 Abs. 1 InsO, wonach die absonderungsberechtigten Gläubiger nur nach erfolgtem Nachweis des Verzichts auf die Befriedigung aus dem Absonderungsgut oder des Ausfalls mit ihrer Forderung berücksichtigt werden. Nicht zuletzt durch diese Klausel kommt es auch bei rechtsdogmatisch nicht akzessorischen Sicherheiten zu einer insolvenzrechtlichen Akzessorietät von Forderung und Sicherungsrecht. 12 Daraus folgt aber nicht, dass der Absonderungsgläubiger auch mit dem nicht gesicherten Teil seiner persönlichen Forderung die rechtliche Qualität des Absonderungsrechts teilt. Zwar folgt aus der insolvenzrechtlichen Akzessorietät ein Rangverhältnis der Forderungen zueinander und eine Vorherigkeit des Absonderungsrechts. Das spricht aber vielmehr dafür, dass der Gläubiger mit dem ungesicherten Teil seiner Forderung gerade keinerlei Bezug mehr zu der dinglichen Sicherheit hat und sich deshalb mit diesem Teil der Forderung im Grundsatz nicht von den übrigen ungesicherten Gläubigern unterscheidet, was im Grundsatz die Anwendung des gruppenbezogenen Gleichbehandlungsgrundsatzes (§ 226 Abs. 1 InsO) nach sich ziehen muss, gibt es keine sonstigen Differenzierungskriterien. 13 Dasselbe gilt im Ergebnis, wenn sich der Absonderungsberechtigte aus einer vertraglich bedungenen Sicherheit bereits befriedigt und i. R. der Fortführung des Unternehmens seinen vertraglichen Anspruch auf Wiederauffüllung der Sicherheit geltend gemacht hat, wie es i. R. von Miet- und Pachtverträgen häufig der Fall ist. Hat der Schuldner zur Sicherung von Mietforderungen vertragsgerecht eine Mietbürgschaft oder Mietkaution gestellt, hat sich der Vermieter hieraus für vorinsolvenzlich nicht gezahlte Mieten befriedigt und sieht der Insolvenzplan nunmehr die Fortsetzung des Geschäftsbetriebes unter Fortführung des Vertrages vor, so stellt der Anspruch auf Wiederauffüllung der Mietkaution oder Neugestellung einer Mietbürgschaft eine Insolvenzforderung im Rang des § 38 InsO dar. Der Anspruch ist dem Grunde nach vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden und infolge der Inanspruchnahme der bereits gestellten Sicherheit zur Erfüllung einer Insolvenzforderung in Gestalt der offenen Miete aufgelebt. Würde der geltend gemachte Anspruch auf Wiederauffüllung der Mietsicherheit erfüllt, so läge hierin eine Besserstellung des Vermieter-Gläubigers, die zwar bei Eingruppierung in einer eigenen Gruppe keinen Verstoß gegen § 226 Abs. 1 InsO begründet, wohl aber gegen § 254 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 InsO. Das Obstruktionsverbot wäre in diesem Fall nicht mehr anwendbar, weshalb der Plan nur noch einstimmig annahmefähig wäre. Aus diesem Grunde sollte in solchen Konstellationen die Wiederauffüllung der Mietsicherheit über einen der Insolvenzquote entsprechenden Betrag hinaus ausdrücklich ausgeschlossen werden. II.

Eingriffe in Absonderungsrechte und Zustimmungserfordernisse

1.

Grundsatz: Nur konsensualer Eingriff (§§ 217, 223 InsO)

14 Nach § 217 Abs. 1 Satz 1 InsO kann durch den Insolvenzplan auch die Befriedigung der absonderungsberechtigten Gläubiger abweichend von der Regelabwicklung des Insolvenz___________ 9) Hess, Sanierungshandbuch, Rz. 20.159.

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Absonderungsberechtigte Gläubiger, Eingriffe

§ 25

verfahrens gestaltet werden. § 223 Abs. 1 InsO bestimmt dabei jedoch, dass Absonderungsrechte in ihrem Bestand von dem Insolvenzplanverfahren grundsätzlich unberührt bleiben, solange nicht der Plan etwas Anderes ausdrücklich vorsieht. Der mögliche Regelungskanon wird dabei durch die schuldrechtliche Dispositionsfreiheit und den sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz umrissen. Der Plan kann daher grundsätzlich jede bürgerlichrechtlich mögliche Gestaltung vorsehen, ohne dass dem gestaltungs-rechtliche Grenzen durch das Insolvenzrecht gesetzt wären. Grenzen geben sich allein aus der wirtschaftlichen Rechtfertigung des Eingriffs und der Bereitschaft des jeweiligen Gläubigers, dies hinzunehmen (siehe dazu ausführlich Rz. 17 ff.). Soweit eine abweichende Regelung, nämlich ein Eingriff in die Rechte vorgesehen ist, ist dieser nach § 223 Abs. 2 InsO in Tatbestand, Rechtsfolgen und Auswirkungen genau zu beschreiben. Die Darstellung muss den Absonderungsberechtigten die Möglichkeit geben, Art, Umfang und Regelungstiefe des Eingriffs nachzuvollziehen und die Auswirkungen auf ihre individuelle Befriedigungssituation bewerten zu können.10) Wird in die Absonderungsrechte nicht eingegriffen und erhalten die absonderungsbe- 15 rechtigten Gläubiger Befriedigung aus dem Gegenstand, an dem das Absonderungsrecht besteht, steht den absonderungsberechtigten Gläubigern kein Stimmrecht zu, wenn vollständige Tilgung eingetreten ist, § 237 Abs. 1 Satz 2 InsO. Ist durch die uneingeschränkte Verwertung wegen unzureichender Besicherung nur eine anteilige Tilgung eingetreten, nehmen die absonderungsberechtigten Gläubiger als nicht nachrangige, ungesicherte Gläubiger im Rang des § 38 InsO und in der/einer Gruppe nach § 222 Abs. 1 Nr. 2 InsO an der Abstimmung über den Plan teil. Wird den absonderungsberechtigten Gläubigern nach dem Insolvenzplan der Erlös unter 16 Abzug der Feststellungs- und Verwertungskosten nach §§ 170, 171 InsO zugewiesen, so greift der Plan in die Rechte der Absonderungsberechtigten nicht ein, weshalb ihnen ein Stimmrecht nicht zusteht, §§ 238 Abs. 2, 237 Abs. 2 InsO. Wird in die Rechte zwar eingegriffen, z. B. durch Verwertungsstopp, erhalten die Gläubiger aber den Erlösanteil zugewiesen, der dem Verwertungserlös abzüglich Feststellungs- und Verwertungskosten entspricht, so stehen sie durch den Plan nicht schlechter und eine fehlende Zustimmung könnte nach § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO ersetzt werden.11) Wegen der ihnen zustehenden Absonderungsrechte und der in § 222 Abs. 1 Nr. 1 InsO 17 angeordneten Bildung einer eigenen Gläubigergruppe für die absonderungsberechtigten Gläubiger nehmen diese im Verfahren eine bedeutende und starke Stellung ein. Zugeständnisse und Verzichte sind beinahe ausschließlich mit deren Zustimmung und kaum je gegen deren Willen durchsetzbar. Aus diesem Grund ist es verständlich, nach Rechtsgrundlagen für eine Verpflichtung der Gläubiger zur Zustimmung zu einem Insolvenzplan unter bestimmten Voraussetzungen zu suchen. Eine Übertragung der für Gesellschafter geltenden Girmes-Rechtsprechung des BGH12) (siehe dazu ausführlich unten Hölzle, HRI II, § 26 Rz. 1 ff.) auch auf einfache und/oder absonderungsberechtigte Gläubiger ist jedoch nicht möglich. Zweifelhaft ist aus einer methodischen Perspektive nämlich bereits, ob nicht die Regelungen des Insolvenzplanverfahrens über die Annahme und Bestätigung eines Plans als lückenloses Gefüge anzusehen sind, das für eine entsprechende Pflicht von vornherein keinerlei Raum mehr lässt, dass also die vom Gesetzgeber gelegten systematischen Grundlagen ein absichtsvolles Unterlassen begründen, das jede Erweiterung um eine Zu___________ 10) Vgl. BGH v. 19.7.2012 – IX ZB 250/11, WM 2012, 1640. 11) AG Göttingen v. 19.12.2001 – 74 IN 112/00, ZIP 2002, 953, dazu EWiR 2002, 877 (Otte). 12) BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, ZIP 1995, 819, dazu EWiR 1995, 525 (Rittner); vgl. auch nachfolgend BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, ZIP 2009, 2289, dazu EWiR 2009, 739 (Armbrüster).

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2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

stimmungspflicht verbietet.13) Jedenfalls aber besteht für eine solche Verpflichtung kein Bedürfnis, da die Abstimmungsregeln des Insolvenzplanverfahrens mit dem Obstruktionsverbot des § 245 InsO bereits Institutionen vorsehen, um gegen den Willen einzelner „renitenter“ Gläubiger und u. U. sogar gegen den Willen ganzer Gläubigergruppen Planergebnisse durchzusetzen.14) Für die Herleitung und Annahme von darüber hinausgehenden Zustimmungspflichten besteht daher grundsätzlich kein Raum (siehe aber unten Rz. 43 ff., 49 ff.). 18 Ist ein echter Eingriff in die Absonderungsrechte daher grundsätzlich nur mit Zustimmung der absonderungsberechtigten Gläubiger möglich, so erweist sich die Anwendung des Obstruktionsverbots (§ 245 InsO) auf absonderungsberechtigte Gläubiger als besonders problematisch, was die Übertragung der unten (siehe Becker, HRI II, § 36) ausführlich dargestellten Grundsätze auf Absonderungsberechtigte in einem besonderen Licht erscheinen lässt und deshalb eine genauere Betrachtung rechtfertigt. 2.

Grundlagen der Mehrheitsentscheidung und des Obstruktionsverbots in Bezug auf Absonderungsberechtigte

2.1

Obstruktionsverbot als Widerstreit zwischen Wertschöpfung und Wertbeanspruchung

19 Die Vorschriften über das Insolvenzplanverfahren verlangen für die Annahme und die anschließende gerichtliche Bestätigung des Insolvenzplans keinen 100 %igen Konsens. Vielmehr hat sich der Gesetzgeber aus Gründen der Transaktionskosteneffizienz15) für ein zweistufiges System entschieden, welches im ersten Schritt eine Mehrheitsentscheidung zulässt, nämlich in jeder Gläubigergruppe die Kopf- und die Summenmehrheit genügen lässt (§ 244 Abs. 1 InsO), und auf der zweiten Stufe mit dem Obstruktionsverbot (§ 245 InsO) die Zustimmung einer negativ abstimmenden Gläubigergruppe unter bestimmten Voraussetzungen fingiert. In der Gesetzesbegründung zur InsO16) stellt der Gesetzgeber deshalb auch ausdrücklich klar, dass es sich bei der Verankerung einer Mehrheitsregel im Insolvenzverfahren nicht um ein Instrument politischer oder verbandsrechtlicher Demokratie handelt, sondern dass hier ein technischer Behelf zur Erleichterung der Entscheidungsfindung einer unkoordinierten Vielzahl von Beteiligten geschaffen worden ist. Dies gilt in derselben Weise für die Ersetzung der Zustimmung auch der Gruppe der absonderungsberechtigten Gläubiger, wodurch das mit § 223 Abs. 1 InsO grundsätzlich angelegte konsensuale Element relativiert wird. 20 Das Obstruktionsverbot lässt sich dabei am besten als Antwort auf das Spannungsverhältnis zwischen Wertschöpfung und Wertbeanspruchung begreifen: Verteilungskämpfe zwischen einzelnen Gläubigergruppen werden von der InsO nur bis zur Grenze der Angemessenheit toleriert. Eine Gläubigergruppe, die angemessen an dem durch einen Plan geschaffenen wirtschaftlichen Wert beteiligt wird, soll durch ihr obstruktives Verhalten den Plan nicht zu Fall bringen können.17) Dies gilt in besonderem Maße für die ohnehin im Insolvenzverfahren bevorzugt zu behandelnde Gruppe der absonderungsberechtigten Gläubiger.

___________ 13) 14) 15) 16) 17)

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Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 885. Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 885. Vgl. dazu ausführlich Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 77 ff. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 79. So wörtlich Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 79.

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Absonderungsberechtigte Gläubiger, Eingriffe 2.2

§ 25

Grenze der Wertbeanspruchung durch absonderungsberechtigte Gläubiger

Wann allerdings die Grenzen der Wertbeanspruchung nach diesem institutionellen Rahmen 21 des § 245 InsO für Absonderungsberechtigte erreicht sind, ist häufig schwer zu bestimmen. Berühmtheit hat in diesem Zusammenhang eine Beschwerdeentscheidung des LG Traunstein18) unter dem Stichwort des sog. Cram-down erlangt. Dort hat das Insolvenzgericht einen Insolvenzplan bestätigt, der vorsah, dass die nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO) eine Quote erhielten, während die kreditgebende und mit diesem Kredit grundpfandrechtlich besicherte und damit absonderungsberechtigte Bank verpflichtet wurde, den Kredit stehen zu lassen und auf die Verwertung des Absonderungsguts (Grundstücke) zu verzichten, weil Verwertungsreife wegen der Fortgewährung des Kredits nicht eingetreten sei. Das LG Traunstein folgte der Vorinstanz darin, dass eine Schlechterstellung der absonderungsberechtigten Gläubiger nicht gegeben sei, weil die Forderungen dieser Gläubiger nach dem Insolvenzplan nicht gekürzt und auch vertragsgemäß verzinst werden sollten. In der Aussetzung der Tilgung sei wirtschaftlich keine Schlechterstellung zu sehen, da auch die Sicherheitenverwertung im Falle der zerschlagenden Regelabwicklung der Insolvenz einen erheblichen Zeitraum in Anspruch genommen haben würde, in dem eine Befriedigung der Gläubiger nicht verwirklicht worden wäre. Die Entscheidung des LG Traunstein hat in der Literatur erhebliche Kritik erfahren,19) beansprucht aber auch heute noch unverändert Gültigkeit. Neuere, vor allem widerstreitende höhergerichtliche Rechtsprechung gibt es zu diesem Problemkreis – soweit erkennbar – nicht.20) Diese nach dem US-amerikanischen Vorbild sog. Cram-down-Entscheidungen machen 22 jedoch den Spielraum deutlich, der möglicherweise für einen Eingriff in Absonderungsrechte unter Heranziehung des Obstruktionsverbots nach § 245 InsO verbleibt.21) 2.3

Niederringen widerstreitender Interessen absonderungsberechtigter Gläubiger (Cram-down)

2.3.1 Die Anwendung des Best Interest Test (§ 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO) auf absonderungsberechtigte Gläubiger (keine Schlechterstellung) Die Verweigerung der Zustimmung der Gruppe der absonderungsberechtigten Gläubiger 23 (§ 222 Abs. 1 Nr. 1 InsO) ist nur dann obstruktiv und kann über § 245 InsO durch Fiktion eines positiven Votums umgangen werden, wenn die dort genannten Voraussetzungen vorliegen. § 245 InsO folgt dabei dem US-amerikanischen Vorbild des Chapter 11-Verfahrens und dort insbesondere des § 1129 BC (Bankruptcy Code). Die hierzu ergangene Literatur stellt deshalb vielfach auf die US-amerikanische Rechtsprechung und die hierzu diskutierten Grundlagen ab. Weitgehend wird versucht, diese auch in das deutsche Recht zu übertragen.22) § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO folgt dabei dem US-amerikanischen Institut des Best Interest 24 Test. Danach soll die obstruierende Haltung der Gläubigergruppe unbeachtlich sein, wenn sie durch den Insolvenzplan voraussichtlich nicht schlechtergestellt wird, als sie ohne den Plan stünde. Das Tatbestandsmerkmal der voraussichtlichen Schlechterstellung ist erst ___________ 18) LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461, im Nachgang zu AG Mühldorf/Inn v. 27.7.1999 – 1 IN 26/99, NZI 1999, 422. 19) Vgl. ausführlich Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 13.53, 13.88. 20) Zur Vergleichsberechnung und zu den Voraussetzungen, unter denen von einer Schlechterstellung ausgegangen werden kann, vgl. in der causa Suhrkamp BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14, ZIP 2014, 1442, dazu EWiR 2014, 521 (Madaus); Hölzle, ZIP 2014, 1819. 21) Vgl. jüngst allerdings BVerfG v. 28.10.2020 – 2 BvR 765/20, ZIP 2021, 46. 22) Vgl. z. B. Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 245 Rz. 1; Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 13.51 ff.

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2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

in letzter Sekunde des Gesetzgebungsverfahrens in den Tatbestand eingefügt worden. Eine solche soll vorliegen, wenn die Schlechterstellung wahrscheinlicher ist als die Nichtschlechterstellung.23) Die Cram-down-Entscheidung des LG Traunstein24) befasste sich im Wesentlichen mit dem Tatbestand des § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Die Tauglichkeit dieses Best Interest Test als Instrument der Solidarisierung der Gläubigerinteressen unter gleichzeitiger Wahrung der individuellen Rechtsposition eines jeden Gläubigers genießt inzwischen allgemeine Akzeptanz und ist durch das SanInsFoG25) auch in §§ 26, 27 StaRUG übernommen worden. 25 Der Best Interest Test stellt in der Sache zunächst auf ein relativ simples Rechenexempel ab. Es ist eine Vergleichsrechnung (siehe ausführlich unten J. Schmidt, HRI II, § 29 und Becker, HRI II, § 36 Rz. 11 ff.) zwischen der Befriedigungssituation der die Zustimmung zum Plan verweigernden Gläubiger mit und ohne den Insolvenzplan anzustellen. Bei der Bildung des Vergleichspaares darf demgegenüber z. B. nicht auf ein alternatives Planszenario abgestellt werden, das aus Sicht des Gläubigers ggf. vorzugswürdig erschiene;26) in Ansehung der Neufassung des § 220 Abs. 2 InsO durch das SanInsFoG gilt allerdings auch i. R. der Vergleichsbetrachtung nach § 245 InsO, dass dem Planszenario, das die (teilweise) Fortführung des Unternehmens vorsieht, die Zerschlagung im Szenario ohne Plan nur ausnahmsweise gegenübergestellt werden darf. Die Schwierigkeit hierbei besteht deshalb immer darin, das zugrunde zu legende Alternativszenario zu bestimmen.27) Darüber hinaus bestehen Unsicherheiten in Bezug auf die i. R. des Reorganisationsverfahrens, also i. R. des Insolvenzplans zu realisierenden Erlöse, da auch hier regelmäßig nur Prognosen zugrunde gelegt werden.28) 26 Im Ergebnis besteht die Intention des § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO darin, dass in das zeit- und kostenaufwändige Insolvenzplanverfahren nur eingetreten und dann die Zustimmung einer obstruierenden Gläubigergruppe nur ersetzt werden soll, wenn die begründete Aussicht besteht, durch die Realisierung des Insolvenzplans einen Mehrwert in Bezug auf die beste Alternative zu erzielen.29) Durch den Insolvenzplan sollen daher Quasi-Renten realisiert werden, womit ökonomisch derjenige Mehrwert der besten gegenüber der zweitbesten Allokationsmöglichkeit wirtschaftlicher Ressourcen betitelt wird.30) 27 Sollen durch den Insolvenzplan aber Quasi-Renten realisiert werden, so ist die Vornahme einer Bewertung des reorganisierten Unternehmens nahezu unerlässlich. Die so ermittelte Zielgröße ist dann der besten Verwertungsalternative gegenüberzustellen.31) Das Gesetz erteilt dem Insolvenzgericht mit dem in § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO angelegten Best Interest Test den Auftrag einer möglichst präzisen Nachprüfung der Wertverhältnisse.32) Der

___________ 23) 24) 25) 26) 27) 28) 29) 30) 31) 32)

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M. w. N. Drukarczyk/Schüler in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 42. LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181. Dazu ausführlich Hölzle, ZIP 2014, 1819. Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 13.52; Drukarczyk/Schüler in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 44. Ausführlich Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 85 f. So zutreffend Drukarczyk/Schüler in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 49. Hierzu ausführlich Hölzle, Verstrickung durch Desinformation, S. 175 ff. Vgl. Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 87. Henckel, KTS 1989, 477, 492; Stürner in: Leipold, Insolvenzrecht im Umbruch: Analysen und Alternativen, S. 41, 46 ff. Ausführlich auch Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 87 ff.

Hölzle

Absonderungsberechtigte Gläubiger, Eingriffe

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vom Gesetz verlangte exakte Maßstab ist dabei jedoch nicht zu erfüllen, weil es einen solchen nicht gibt.33) Um das breite Obstruktionspotential, das der große Bewertungs- und Ermessensspielraum, 28 den die Vergleichsrechnung auf beiden Seiten mit sich bringt, zu begrenzen, hat der Gesetzgeber den Forderungen der Literatur34) folgend eine Erheblichkeitsschwelle für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels gegen den Bestätigungsbeschluss aufgenommen. Gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO ist die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde seit Inkrafttreten des ESUG zum 1.3.2012 davon abhängig, dass der Beschwerdeführer glaubhaft macht, er werde durch den Plan wesentlich schlechtergestellt, als er ohne einen Plan stünde, und dieser Nachteil könne nicht durch eine Zahlung aus den in § 251 Abs. 3 InsO genannten Mitteln ausgeglichen werden. In der Gesetzesbegründung35) geht der Gesetzgeber davon aus, dass eine erhebliche Schlechterstellung i. S. des Tatbestands bei Überschreiten einer Schwelle von 10 % gegeben sei.36) Mit dieser Wesentlichkeitsschwelle ist der Gesetzgeber einer Forderung gefolgt, die Eidenmüller37) schon 1999 formuliert hat. Mit Beschluss vom 18.5.2016 hat das LG Wuppertal38) die sich aus § 253 Abs. 2 InsO er- 29 gebenden Anforderungen mit der Folge einer noch zügigeren Plandurchführung konkretisiert und verschärft. Zum einen entschied es, dass sich die Glaubhaftmachung des obstruierenden Gläubigers auch auf eine Prognose in die Zukunft zu erstrecken habe, wolle dieser eine wesentliche Schlechterstellung behaupten. Darüber hinaus nahm es neben dem Erfordernis der relativen Erheblichkeit auch eine absolute Geringwertigkeitsschwelle an. Danach könne vom Beschwerdeführer verlangt werden, dass dieser einen wesentlichen Nachteil auch in seiner absoluten Höhe glaubhaft macht, sodass Beträge im vierstelligen Eurobereich allenfalls in Kleinverfahren ausreichten. Eine solche absolute Grenze ist im Gesetzeswortlaut nicht angelegt.39) Gleichwohl entspricht diese Anforderung der herrschenden Lehre und ist uneingeschränkt zu begrüßen.40) Denn durch die Wesentlichkeitsschwelle sollen nach der Gesetzesbegründung Beschwerden solcher Personen ausgeschlossen werden, die kleine Forderungen nur zu dem Zweck erworben haben, um gegen den Plan zu opponieren und sich ihr Obstruktionspotential ggf. abkaufen zu lassen.41) Dies kann nur durch eine Kombination von absoluter und relativer Erheblichkeitsschwelle erreicht werden.42) Die mit der Vergleichsrechnung verbundenen Unwägbarkeiten belasten daher heute mehr 30 den obstruierenden Gläubiger, da dieser die erhebliche Schlechterstellung im Beschwerdeverfahren glaubhaft machen muss, soll seine Beschwerde nicht als unzulässig zurückgewiesen werden. Betreffend die absonderungsberechtigten Gläubiger sollte allerdings ungeachtet der bereits zu verlangenden absoluten Erheblichkeit nicht allein eine quantitative Betrachtung vorgenommen werden, sondern sollten ergänzend auch qualitative Gesichts___________ Henckel, KTS 1989, 477 f. Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 91 f. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 54. Vgl. auch BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14, ZIP 2014, 1442, Rz. 10, dazu Hölzle, ZIP 2014, 1819. Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 91 f. LG Wuppertal v. 18.5.2016 – 16 T 116/16, ZInsO 2016, 1164. Vgl. Martini, jurisPR-InsR 17/2017 Anm. 6. Vgl. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 31; Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 253 Rz. 19; Lüer/ Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 253 Rz. 8; Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 510; Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 21.18; ähnlich auch Fischer, NZI 2013, 513, 514. 41) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 35 f. 42) Vgl. zur Bestimmung der Höhe dieser absoluten Grenze Martini, jurisPR-InsR 17/2017 Anm. 6; Lüer/ Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 253 Rz. 8; aber auch Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 31; Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 253 Rz. 19.

33) 34) 35) 36) 37) 38) 39) 40)

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punkte eine Rolle spielen,43) die eine „wesentliche Schlechterstellung“ trotz rechnerisch wesentlicher Differenz ausschließen. Denn ihre Rechte gehen der Befriedigung einfacher, ungesicherter Insolvenzgläubiger im Rang des § 38 InsO bezogen auf den absonderungsbelasteten Gegenstand vor, so dass sich Eingriffe in Absonderungsrechte in aller Regel nur als Eingriffe in zeitlicher Hinsicht, nämlich als Aufschub in der Verwertungsbefugnis oder aber als betragsmäßig fixierte Ablösung von Absonderungsrechten darstellen. Von den Verwertungsrisiken werden die absonderungsberechtigten Gläubiger in solch einem Fall regelmäßig zugunsten einer eindeutigen Anrechnungs-, Verzinsungs- oder Ablöseregelung befreit, was bei allen quantitativen Unwägbarkeiten einer qualitativen Besserstellung gleichkommen und deshalb einer eindeutigen Schlechterstellung i. S. des § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO entgegenstehen kann. 31 Die – auch verfassungsrechtliche – Rechtfertigung des Obstruktionsverbots auf Grundlage des Best Interest Test“ nach § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO beruht auf dem Gedanken des Verbots eines Rechtsmissbrauchs, das vor diesem Hintergrund nur gerechtfertigt ist, wenn es verhältnismäßig ist. Die Verhältnismäßigkeit setzt allerdings voraus, dass auch die berechtigten Interessen des Betroffenen Berücksichtigung finden. Dies wiederum ist nur dann der Fall, wenn die betroffenen absonderungsberechtigten Gläubiger eine i. S. des Insolvenzplanverfahrens vollwertige wirtschaftliche Entschädigung erhalten.44) Auf Grundlage des vorstehend erarbeiteten Maßstabs einer qualitativ und quantitativ eindeutigen Schlechterstellung, die nach § 251 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu verlangen ist, war der Gesetzgeber gehalten, die Verfassungsmäßigkeit dieses den Gläubigern oktroyierten Vertragsschlusses zu gewährleisten. Dies hat er getan, indem er einen auf Eidenmüller45) zurückgehenden Vorschlag der Einführung einer „salvatorischen Klausel“ aufgegriffen und die Möglichkeit eines Fonds für Ausgleichszahlungen in § 251 Abs. 3 InsO geschaffen hat.46) Der Insolvenzplan sollte daher vorsehen, dass etwaige, aus Prognoseunsicherheiten resultierende Schlechterstellungen über den Ausgleichsfonds nach § 251 Abs. 3 InsO ausgeglichen werden. Dieser Ausgleich findet außerhalb des Insolvenzplanverfahrens statt, weshalb die Bestätigung des Plans unter Anwendung des Obstruktionsverbots nach § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO in diesem Fall nicht scheitert. 2.3.2 Die Anwendung der Absolute Priority Rule (§ 245 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 3 InsO) auf absonderungsberechtigte Gläubiger (keine vorrangige Befriedigung gleichrangiger Gläubiger) 32 Grundsätzlich ist die Fiktion der Zustimmung einer obstruierenden Gläubigergruppe nur dann möglich, wenn kumulativ neben dem positiven Best Interest Test nach § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO auch eine angemessene Beteiligung für die obstruierende Gruppe der Gläubiger vorgesehen ist, § 245 Abs. 1 Nr. 2 InsO (siehe ausführlich unten Becker, HRI II, § 36 Rz. 43 ff.). Eine „angemessene Beteiligung“ liegt für eine Gläubigergruppe unter den Voraussetzungen des § 245 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 InsO und für die Anteilsinhaber unter den Voraussetzungen des § 245 Abs. 3 Nr. 1 und 2 InsO vor. Das ist tatrichterliche Frage, die im Rechtsbeschwerdeverfahren nur eingeschränkt nachgeprüft werden kann.47) 33 Die angemessene Beteiligung der Gläubiger nach § 245 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 InsO folgt dabei ebenfalls dem US-amerikanischen Vorbild aus dem Chapter 11-Verfahren, nämlich der ___________ Vgl. auch Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 91 f. Madaus, Der Insolvenzplan, S. 279 ff. Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 92. Vgl. nochmals Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 92; unter Gesichtspunkten der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung zust. Madaus, Der Insolvenzplan, S. 285. 47) BGH v. 26.4.2007 – IX ZB 5/06, NZI 2007, 521. 43) 44) 45) 46)

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sog. Absolute Priority Rule. Danach darf im Vergleich der Rangstruktur der Gläubiger zueinander ein nachrangiger Gläubiger erst dann Befriedigung aus dem Insolvenzplan erhalten, wenn alle vorrangigen Gläubiger aus den ihnen zustehenden Rechten vollständig befriedigt sind. Dazu gehört auch, dass die Anteilseigner keine wirtschaftlichen Werte aus dem Plan erhalten dürfen, bevor nicht die Gläubiger Befriedigung erlangt haben (§ 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO), was i. R. des SanInsFoG48) durch die Einführung des § 245 Abs. 2 Satz 2 InsO einerseits noch einmal klar herausgestellt, andererseits mit einer Ausnahmeregel für den unternehmerisch tätigen und für die Fortsetzung des Unternehmens wesentlichen Gesellschafter versehen worden ist. Darüber hinaus darf kein Gläubiger wirtschaftliche Werte erhalten, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen (§ 245 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO), und es darf kein Gläubiger, der ohne einen Plan gleichrangig mit den Gläubigern der obstruierenden Gruppe zu befriedigen wäre, bessergestellt werden als diese (§ 245 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO). Die Überprüfung, ob kein gleichrangiger Gläubiger bessergestellt ist als die den Plan ab- 34 lehnende Gruppe, wirft dieselben Bewertungsprobleme auf, wie soeben unter Rz. 29 erläutert. Hierauf kann verwiesen werden. Insbesondere ist i. R. der Prüfung auch auf qualitative Bewertungs- und Befriedigungsunterschiede abzustellen. Grundsätzlich ist einfach zu ermitteln, ob nachrangige Insolvenzgläubiger etwas erhalten 35 haben, bevor eine vorrangige Gläubigergruppe befriedigt worden ist. Der Sinn und Zweck der Angemessenheitsprüfung des § 245 Abs. 2 Satz 1 InsO besteht in einem Schutz des Gläubigergleichbehandlungsgrundsatzes, weil der Insolvenzplan nicht zuletzt der Gewährleistung der Solidarität der in einer Schicksalsgemeinschaft verbundenen Gläubiger eines Insolvenzschuldners dient. Jedes Vorzugsabkommen49) verletzt den Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz und ist deshalb nur bei vollständigem Konsens – freilich unter Wahrung des Mehrheitsprinzips (§ 244 InsO) – zu tolerieren.50) Als besonders problematisch erweist sich dies im Verhältnis der absonderungsberechtigten Gläubiger zu den einfachen, ungesicherten Gläubigern im Rang des § 38 InsO und im Verhältnis zu den Gesellschaftern des Insolvenzschuldners, weil hier jeweils unterschiedliche Interessenlagen vorherrschen, die bereits die Begründung einer gemeinsamen Solidar- i. S. einer Schicksalsgemeinschaft fraglich erscheinen lassen. Die Frage der Befriedigung einer nachrangigen Gruppe vor vollständigem Ausgleich der 36 Rechte von etwaig vorrangigen Gläubigern war dementsprechend auch einer der wesentlichen Gegenstände der Cram-down-Entscheidung des LG Traunstein. Dort wurde die Befriedigung der absonderungsberechtigten Gläubiger gegen Fortzahlung der vertraglich vereinbarten Zinsen ausgesetzt, während die einfachen Insolvenzgläubiger Quotenzahlungen erhielten. Das LG Traunstein hat sich als Beschwerdeinstanz darauf zurückgezogen, dass der Insolvenzgesetzgeber mit der InsO von der noch in der KO enthaltenen Rangordnung von Gläubigern untereinander Abstand genommen und das Rangverhältnis nunmehr (ausschließlich) in § 39 InsO geregelt habe. Dieses Rangverhältnis jedoch sei im Verhältnis der absonderungsberechtigten zu den ungesicherten Gläubigern nicht betroffen. Zwischen diesen beiden Gläubigergruppen handele es sich nicht um ein Verhältnis der Vorund Nachrangigkeit, sondern vielmehr um ein rechtliches Aliud (so auch unten, siehe Becker, HRI II, § 36 Rz. 56). Aus diesem Grund sei die Absolute Priority Rule nicht verletzt, ___________ 48) Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256. 49) Zur Nichtigkeit solcher Vorzugsabreden vgl. z. B. BGH v. 16.6.1952 – IV ZR 131/51, BGHZ 6, 232, 236. 50) Instruktiv Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 13.68.

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weshalb der Fiktion der Zustimmung der Gläubigergruppe vor dem Hintergrund des § 245 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 InsO nichts entgegenstehe.51) 37 Zunächst ist klarzustellen, dass es für die Anwendung der Absolute Priority Rule des § 245 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 InsO ausschließlich auf den werthaltigen Teil der valutierenden Sicherheit ankommt, dass also nicht die Höhe der schuldrechtlichen und gesicherten Forderung den Ausschlag gibt, sondern der im Falle der Liquidation realisierbare Wert der Sicherheit. Nur der realisierbare Wert der Sicherheit repräsentiert nämlich einen tatsächlichen wirtschaftlichen Vorrang für den gesicherten Gläubiger.52) Soweit eine Sicherheit (z. B. eine Grundschuld) zwar valutiert, das Sicherungsobjekt (im Beispiel: das Grundstück) jedoch nicht werthaltig ist, wird auch ein etwaiges Vorrangverhältnis nicht verletzt, wenn der Sicherungsnehmer i. H. des werthaltigen Teils der Sicherheit befriedigt wird und der Plan ab diesem Zeitpunkt eine Berücksichtigung auch der grundsätzlich nachrangigen Gläubiger vorsieht.53) 38 Fraglich bleibt, wie der Wert der Sicherheit nachzuweisen ist. Dies kann auf zweierlei Weise geschehen, nämlich einmal durch Einholung von Drittgeboten i. R. eines marktüblichen Verkaufsprozesses, zum anderen durch die Vorlage von Gutachten. Letztere birgt im Verfahren jedoch immer die Gefahr, dass i. R. des Erörterungs- und Abstimmungstermins Gegengutachten vorgelegt werden, auf welche das Gericht sodann grundsätzlich noch im Termin zu reagieren gehalten wäre, was kaum je möglich ist. Damit sind im besten Fall nur Verzögerungen des Verfahrens und nachfolgende Zweit- und Drittgutachten vorprogrammiert; im schlechtesten Fall platzt der Plan wegen eines Fehlers in der Gruppenbildung, der nach § 250 InsO gerügt wird. Es ist deshalb, ungeachtet der i. R. von Insolvenzplanverfahren ohnehin gebotenen Marktwertbetrachtung i. R. eines sog. Dual-Track (siehe dazu sogleich Rz. 53 ff.) dringend anzuraten, den Sicherheitenwert durch die Einholung marktgerechter Angebote nachzuweisen und sich nicht allein auf die Gutachten zu verlassen. III.

Rangverhältnis zwischen absonderungsberechtigten und ungesicherten Gläubigern?

39 Problematisch bleibt jedoch der Fall des Fortführungsplans, in dem die gesicherten Gläubiger zu einem Stehenlassen verpflichtet werden, während die ungesicherten Gläubiger eine Quote ausgezahlt erhalten. 40 Richtigerweise wird darüber hinaus anzunehmen sein, dass entgegen der Auffassung des LG Traunstein54) zwischen den gesicherten und den ungesicherten Gläubigern auch ein Rangverhältnis i. S. des § 245 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO besteht und es sich nicht schlicht um ein Aliud handelt.55) Dieses Rangverhältnis kommt nicht zuletzt in dem gemeinsamen Rechtsgedanken der §§ 52, 223 InsO zum Ausdruck. Danach sind absonderungsberechtigte Gläubiger Insolvenzgläubiger nur insoweit, wie sie mit der Geltendmachung ihrer Sicherheit ausfallen. Das Recht, Befriedigung aus der Sicherheit zu verlangen, bleibt nach § 223 Abs. 1 InsO, soweit der Plan nichts anderes bestimmt, aber jedenfalls unberührt. Daraus folgt, dass zwischen den gesicherten und den ungesicherten Gläubigern jedenfalls ein untechnisches Rangverhältnis besteht, das § 245 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO auf das Verhältnis dieser beiden Gläubigergruppen zueinander im Grundsatz anwendbar erscheinen ___________ 51) 52) 53) 54) 55)

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So i. E. auch Grub in: FS Uhlenbruck, 2001, S. 501, 515. In diesem Sinne auch BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, ZIP 2005, 1648. Dazu ausführlich Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 13.104. LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461. Ebenso Herweg, Das Obstruktionsverbot bei der Unternehmenssanierung, S. 83.

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lässt.56) Da sich aber das Vorrangverhältnis lediglich auf den Wert der Sicherheit bezieht, sollte § 245 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO auf solche Fälle beschränkt werden, in denen die absonderungsberechtigten Gläubiger durch den Plan nicht wenigstens den Wert erhalten, der dem Erlös des Sicherungsguts entspricht.57) Der aus dem Absonderungsrecht folgende Vorrang ist deshalb dinglich auf den Verwertungserlös des Absonderungsgegenstandes beschränkt. Die hiergegen vorgebrachte Kritik,58) damit würde die Partizipation des gesicherten Gläu- 41 bigers am „Plangewinn“ bzw. genauer an dem aufgrund des Plans erzielten Mehrerlös ausgeschlossen, verfängt demgegenüber nicht. Die Partizipation der absonderungsberechtigten Gläubiger am Mehrerlös bzw. an dem Plangewinn erstreckt sich lediglich auf den ungesicherten Teil ihrer Forderung, mit dem sie gemäß § 52 Satz 2 InsO als ungesicherte Insolvenzgläubiger im Rang des § 38 InsO an dem Planverfahren teilnehmen. Der Umstand der Besicherung berechtigt demgegenüber nicht dazu, über den Wert der Sicherheit hinaus Wertsteigerungen im sonstigen Vermögen des Schuldners aus dem Sicherungsrecht abzuleiten. Dass sich das Sicherungsrecht auf den Wert der Sicherheit beschränkt, kommt bereits in § 172 InsO zum Ausdruck, der dem Insolvenzverwalter bzw. der Insolvenzmasse ein Nutzungsrecht gegen Entschädigung i. H. des Wertverzehrs einräumt. In § 172 InsO kommt zugleich die Wertung zum Ausdruck, die es erlaubt, die Absonde- 42 rungsberechtigten zu einem Stillhalten zu bewegen, wenn der Insolvenzplan gleichzeitig die damit verbundenen Nachteile, nämlich Wertverzehr und/oder Zinsverluste ausgleicht. Aus diesem Grunde erweist sich der Beschluss des LG Traunstein zwar nicht in der Begründung, wohl aber in der Sache als richtig. Die Frage des angemessenen Ausgleichs für einen Wertverzehr, der auch in einer z. B. nachhaltigen Verschlechterung des Immobilienmarkts und deshalb einer Verschlechterung des zu erwartenden Verwertungserlöses bestehen können sollte, sollte über § 251 Abs. 3 InsO abgegolten und geltend gemacht werden, so dass die Planbestätigung unter einem etwaigen Streit hierüber nicht leidet. Letztlich folgt daraus zwar eine Art fortbestehender Kontrahierungszwang für die ab- 43 sonderungsberechtigten Gläubiger. Dieser lässt sich m. E. jedoch neben dem Rechtsgedanken der §§ 169, 172 InsO, § 30d ZVG sowie des § 103 InsO auch aus einem vertraglichen Residualrecht herleiten. Die Absonderungsberechtigten waren ursprünglich zur Gewährung der von ihnen vertraglich übernommenen Leistungen bereit. Für den Fall des ökonomischen Scheiterns des Austauschverhältnisses haben sie sich Sicherheiten einräumen lassen. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens haben sich das wirtschaftliche Risiko und damit der Fall, für den die Sicherheit bestellt ist, realisiert. Jedoch ist dieser Zustand nicht irreversibel. Vielmehr dient das Insolvenzplanverfahren dazu, die ökonomischen Rahmenbedingungen, die dem ursprünglichen Konsens zugrunde gelegen haben, wiederherzustellen. Die Absonderungsberechtigten besitzen demnach Residualrechte an der von ihnen zur Verfügung zu stellenden Leistung, die es ihnen grundsätzlich freistellen, diese zu eigenem oder zu gemeinsamem Nutzen i. S. des Vertrags einzusetzen. Auch wenn eine Verpflichtung zur Erbringung von Sanierungsbeiträgen grundsätzlich nicht besteht und auch eine Verpflichtung zur Zustimmung zu einem Insolvenzplan im Allgemeinen nicht hergeleitet werden kann, so geht es bei § 245 InsO um die Vermeidung von Missbräuchen (siehe oben Rz. 19 f.). Soweit aber die ursprünglich beabsichtigte ökonomische Grundlage des Vertrags wiederherstellbar scheint und der betroffene Gläubiger dadurch gesichert wird, dass er erstens nicht schlechtersteht als ohne den Insolvenzplan und zweitens angemessen ___________ 56) Vgl. erneut Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 13.89. 57) So zutreffend Eidenmüller in: FS Drukarczyk, 2003, S. 187, 188, 197. 58) Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 13.98.

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am Ergebnis des Insolvenzplans beteiligt wird, dürfen die Residualrechte nicht ausschließlich zu eigenem Nutzen im Widerstreit zum Interesse der übrigen Gläubiger und den Interessen des Insolvenzschuldners ausgeübt werden.59) IV.

Einstweiliger Verwertungsstopp (§ 233 InsO)

44 Als Besonderheit im Insolvenzplanverfahren sieht § 233 InsO in Ergänzung von §§ 157, 159 InsO vor, dass die weitere Verwertung des schuldnerischen Vermögens einstweilen ausgesetzt werden kann, wenn durch die Fortsetzung der Verwertung die Durchführung eines vorgelegten Insolvenzplans gefährdet würde. Die Anordnung des Verwertungsstopps erfolgt durch Beschluss. Antragsberechtigt sind der Schuldner oder der Insolvenzverwalter. 45 Insbesondere bei einem Übertragungs- oder Sanierungsplan würde die Verwertung betriebsnotwendiger Vermögensgegenstände die Umsetzbarkeit des Insolvenzplans gefährden. Soweit es um den Erhalt der Zusammensetzung des schuldnerischen Vermögens geht, verfolgt § 233 InsO daher denselben Zweck, wie §§ 21 Abs. 2 Nr. 5, 166 InsO. 46 Die Aussetzung wegen einer Gefährdung des Planziels ist von dem Zeitpunkt an zulässig, zu dem der Plan vorliegt und die Vorprüfung nach § 231 InsO bestanden hat.60) V.

Präklusion von für den Ausfall festgestellten Forderungen im Insolvenzplan

47 Soweit in die Absonderungsrechte nicht eingegriffen wird, muss das Absonderungsgut verwertet und der Gläubiger hieraus befriedigt werden. Da sein Ausfall im Zeitpunkt der Forderungsprüfung demgemäß noch nicht feststeht, wird die zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung lediglich für den Ausfall festgestellt (§ 190 InsO). Ist die Verwertung bis zum Zeitpunkt der Rechtskraft des Plans noch nicht erfolgt, so stellt sich i. R. der Planabwicklung die Frage, wie mit der Ausfallforderung umzugehen und wie die Quote für alle (übrigen) Gläubiger zu berechnen ist. Im Rahmen der Planerstellung ist deshalb dringend anzuraten, für die nachlaufende Feststellung von Ausfallforderungen Regelungen zu treffen und sicherzustellen, dass die Quote ermittel- und der Plan damit innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit erfüllbar bleibt. 48 Zu empfehlen ist, dass im Plan auf die Präklusionsvorschriften der §§ 190, 189 InsO Bezug genommen und als zeitlicher Bezugspunkt die Bekanntgabe des Bestätigungsbeschlusses gewählt wird. Dann ist es, unter dem Vorbehalt des ausschließlichen Verwertungsrechts des Verwalters (§ 190 Abs. 3 InsO), für das im Vorfeld oder im Plan selbst Vereinbarungen getroffen oder Erklärungen abgegeben werden können, allein an dem absonderungsberechtigten Gläubiger, die Fristen zu wahren und entweder seinen Ausfall rechtzeitig mitzuteilen oder auf das Absonderungsrecht zu verzichten. Das Fehlen einer solchen Regelung jedoch kann zu erheblichen Abwicklungsschwierigkeiten bei der Quotenberechnung und -ausschüttung führen. VI.

Das Verhältnis von absonderungsberechtigten Gläubigern zu Gesellschaftern des Schuldners im Fortführungsplan

49 Ähnlich problematisch wie die Prüfung einer Verpflichtung der absonderungsberechtigten Gläubiger zum Stillhalten am Maßstab des § 245 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 InsO ist das Verhältnis des Best Interest Test gemäß § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO zur Absolute Priority ___________ 59) Ähnlich, aber etwas zurückhaltender Madaus, Der Insolvenzplan, S. 287 f.; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 245 Rz. 37 ff.; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 21. 60) Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 233 Rz. 7.

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Rule i. S. des § 245 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 InsO, wenn im Falle einer Fortführung des Insolvenzplans das Unternehmen im Anschluss an die Reorganisation (wieder) ganz oder anteilig den Alteigentümern zufällt (siehe dazu ausführlich unten Becker, HRI II, § 36 Rz. 57 ff.). In der Rechtsprechung besteht Einigkeit darüber, dass die Tatbestandsmerkmale des § 245 50 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 InsO wegen der im Tatbestand vorgesehenen „Und-Verknüpfung“ kumulativ vorliegen müssen.61) Zweifel hieran könnten deshalb berechtigt sein, weil eine strenge Dogmatisierung des Kumulationsgrundsatzes die Absolute Priority Rule des § 245 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu einer Sperrvorschrift auch in dem Fall aufwerten würde, in dem die Absonderungsberechtigten oder übrigen vorrangigen Gläubiger jedenfalls durch den Insolvenzplan nicht schlechtergestellt werden, als sie ohne Insolvenzplan stünden. Es stellt sich dann die Frage, ob allein die Tatsache, dass der Fortführungsplan insbesondere den künftigen, nachinsolvenzlichen Unternehmenswert den Gesellschaftern zuweist, ein durch das Obstruktionsverbot des § 245 InsO nicht überwindliches Vetorecht der nicht schlechtergestellten Gläubiger auslöst,62) was letztlich einen Liquidationszwang auch ohne sachlich gerechtfertigten Grund bedeutete.63) Allerdings scheint auch der Gesetzgeber genau davon auszugehen und hat dies in der Neufassung des § 245 Abs. 2 Satz 2 InsO durch das SanInsFoG noch einmal deutlich zum Ausdruck gebracht. Denn in der Neufassung ist klargestellt, dass allein in der fortwährenden Beteiligung des Gesellschafters die Zuweisung wirtschaftlicher Werte in Gestalt des Sanierungsmehrwerts und künftigen, durch die Beteiligung vermittelten Ertragswerts liegt. Wie bereits dargestellt, dient § 245 InsO der Durchsetzung der par conditio creditorum, 51 also des Gläubigergleichbehandlungsgrundsatzes (siehe oben Rz. 35). Daraus folgt, dass der Plan im Hinblick auf eine Anwendung des § 245 InsO keinen Vermögenswert der Insolvenzmasse dem Zugriff der Gläubiger vorenthalten und entschädigungslos auf nachrangige Gläubiger oder den Schuldner verlagern darf. Hierdurch ginge dem Befriedigungsinteresse der Gläubiger ein Gegenstand verloren, der im Regelinsolvenzverfahren zu ihren Gunsten zu verwerten gewesen wäre.64) Voraussetzung hierfür ist aber zunächst, dass das fortgeführte Unternehmen überhaupt noch einen Wert hat. Die Frage ist dann weiter, ob die Alt-Eigentümer durch eigene Leistungen, z. B. eine Abgeltungszahlung in die auf die Gläubiger zu verteilende Insolvenzmasse, diesen Wert auszugleichen haben.65) Dies entspräche abermals dem US-amerikanischen Vorbild, nach dem der künftige Erwartungswert, die sog. „new value exception“, durch sog. „cash contributions“ ausgeglichen werden muss, wobei sich hier abermals die Frage nach der Angemessenheit des Ausgleichs stellt.66)

___________ 61) OLG Köln v. 5.1.2001 – 2 W 228/00, NZI 2001, 660; LG Göttingen v. 7.9.2004 – 10 T 78/04, ZInsO 2004, 1318, 1320; AG Köln v. 14.11.2017 – 73 IN 173/15, ZInsO 2018, 195. Höchstrichterliche Rspr. hierzu liegt soweit erkennbar nicht vor. Ebenso Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 4; Vgl. i. Ü. die Rspr.-Übersicht bei Paul, ZInsO 2004, 73, mit dem zu kurz gegriffenen Einwand, angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 245 InsO sei verwunderlich, warum es zu dieser Frage überhaupt Judikatur bedürfe. 62) Ausführlich Drukarczyk/Schüler in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 78 ff. 63) In diesem Sinne Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 13.81 ff. 64) So Madaus, Der Insolvenzplan, S. 288 f. 65) Diese Ausgleichspflicht übersieht Schmidt-Preuß, NJW 2016, 1269, wenn er für den Fall des Eingriffs in Gesellschafterrechte eine Entschädigungspflicht immer dann verlangt, wenn der Gesellschaftsanteil wegen des künftigen Erwartungswertes einen Residualwert hat. Dieser steht nämlich gerade nicht den Gesellschaftern, sondern den Gläubigern zu. 66) Zum Ganzen noch einmal ausführlich Drukarczyk/Schüler in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 82 ff.

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2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

52 Spätestens67) seit der Einfügung des § 245 Abs. 2 Satz 2 InsO durch das SanInsFoG ist eine Ausgleichs- und Abgeltungspflicht der Gesellschafter in einem Fortführungsplan, der nicht von den Möglichkeiten des § 225a InsO Gebrauch macht, obligatorisch. Schon in der Gesetzesbegründung zur Insolvenzordnung68) hat der Gesetzgeber dieses Problem jedoch gesehen und eine Einschränkung formuliert. Danach ist die „new value exception“ nicht in jedem Falle zwingend auszugleichen, sondern nur dann, wenn entweder Fremdinvestoren vorhanden sind oder aus dem Kreis der Gläubiger ernsthaftes Kaufinteresse besteht. Anderenfalls nämlich hat das Unternehmen offenbar keinen einem Drittvergleich standhaltenden positiven Marktwert, der auszugleichen wäre.69) 53 Schwierigkeiten bereitet dann aber die Bestimmung des Marktwerts des Unternehmens einerseits und der Nachweis der Ernsthaftigkeit der Verkaufsbemühungen zur Feststellung eines drittvergleichsfähigen Marktinteresses andererseits. Gerade in – zum Teil auch prominenten – Eigenverwaltungsverfahren ist das Problem der Reservierung des Unternehmenswerts für die Alt-Gesellschafter unter der Überschrift des Missbrauchs nicht zu Unrecht in der Diskussion. Aus diesem Grund ist i. R. der nicht erst seit Neufassung des § 220 Abs. 2 InsO durch das SanInsFoG erforderlichen Vergleichsberechnung des Insolvenzplans grundsätzlich zu verlangen, dass die Vergleichswerte anhand eines durchgeführten ordnungsmäßigen Verkaufsprozesses und der in diesem Prozess erlangten Drittangebote validiert werden. Die Notwendigkeit, parallel zu den Insolvenzplanbemühungen einen Verkaufsprozess durchführen zu müssen, wird auch als Dual-Track-Verfahren bezeichnet. 54 Bei der Durchführung des Dual-Track handelt es sich indes nicht allein um ein empfehlenswertes Instrumentarium zur Absicherung des Insolvenzplans. Vielmehr handelt es sich um ein dogmatisch grundsätzlich zwingendes Erfordernis, von dem nur im begründeten Einzelfall Ausnahmen zugelassen werden können. Dies umso mehr, als § 220 Abs. 2 InsO in der Fassung des SanInsFoG nun ausdrücklich verlangt, dass auch in dem der Vergleichsrechnung zugrundeliegenden Alternativszenario die Fortführung des Unternehmens zu unterstellen, solange diese nicht ausgeschlossen ist. Die Darlegungslast für den Ausschluss alternativer Fortführungsoptionen trägt der Planersteller. Die Substantiierte Darlegung wird indes regelmäßig allein durch Nachweis der Durchführung eines Verkaufsprozesses möglich sein. 55 Aber auch darüber hinaus bestehen zwingende dogmatische Gründe für die grundsätzlich obligatorische Durchführung eines Dual-Track-Verfahrens. Die Insolvenzschuldnerin hat im eigenverwalteten Insolvenzverfahren nach § 270 Abs. 1 InsO den wesentlichen Teil der Pflichten zu erfüllen, die im Regelinsolvenzverfahren dem Insolvenzverwalter obliegen. Der Aufgabenkreis sowohl des vorläufigen als auch des endgültigen Insolvenzverwalters besteht in jedem Stadium des Insolvenzverfahrens darin, die bestmögliche Gläubigerbefriedigung zu ermöglichen, wie sich bereits aus § 1 InsO ergibt. Diesem Ziel ist daher auch die Eigenverwaltung bzw. der eigenverwaltende Schuldner verpflichtet, was in § 270b InsO noch einmal besonders zum Ausdruck kommt. Da sich regelmäßig nicht auf den ersten Blick offenbart, auf welchem Weg die bestmögliche Gläubigerbefriedigung realisiert wird, ist das handelnde Verwaltungsorgan zur aktiven rechtlichen und betriebswirtschaftlichen ___________ 67) Bereits vor Einführung des § 245 Abs. 2 Satz 2 InsO in diesem Sinne: Madaus, Der Insolvenzplan, S. 289, mit Hinweis auf Eidenmüller, ZGR 2001, 680, 705; Wittig, ZInsO 1999, 373, 376. Auch der Gesetzgeber scheint diesem Grundgedanken zu folgen, vgl. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 209. 68) Vgl. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 209. 69) Madaus, Der Insolvenzplan, S. 290; LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461; s. dazu ausführlich sogleich Rz. 53 ff.

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Gestaltung des Verfahrens auf der einen Seite70) und zur Prüfung weiterer Aussichten für die Unternehmensfortführung und für das letztendlich zu verwirklichende Insolvenzziel auf der anderen Seite verpflichtet. Die InsO kennt drei gleichberechtigt nebeneinanderstehende Insolvenzziele: die Liquida- 56 tion, die übertragende Sanierung und die Sanierung im Insolvenzverfahren durch Insolvenzplan.71) Die Entscheidung darüber, welches Insolvenzziel letztendlich verfolgt werden soll, steht ausschließlich der Gläubigergesamtheit in Gestalt der Entscheidung durch die Gläubigerversammlung (§ 157 InsO) zu. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Schuldner i. R. der nach § 270a InsO vorzulegenden Eigenverwaltungsplanung zunächst ein angestrebtes Eigenverwaltungsziel zu bestimmen hat. Das in der Planung definierte Ziel ist weder verbindlich noch starr vorgegeben, sondern erstens an die dynamische Entwicklung des Verfahrens anpassbar und zweitens der Gläubigerautonomie untergeordnet.72) Die Gläubiger haben demnach autonom zu entscheiden, welche Alternative sie für den Fortgang des Verfahrens wählen.73) Aus dieser alleinigen Entscheidungskompetenz der Gesamtgläubigerschaft folgt die unmittelbare Rechtspflicht eines jeden Verwaltungsorgans, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass jedes der gleichrangig nebeneinander stehenden Insolvenzziele sich potenziell im eröffneten Verfahren auch verwirklichen lassen wird. Diese allgemeine Pflicht konkretisiert sich mit fortschreitendem Verfahrensverlauf zu einer qualifizierten Pflicht, die Sanierungsaussichten für das Schuldnerunternehmen zu prüfen und die nötigen Entscheidungsgrundlagen für die Gläubigerversammlung i. S. einer informierten Entscheidung zu schaffen.74) Ausfluss dieser qualifizierten Pflicht zur Vorbereitung einer informierten Entscheidung der Gläubigerversammlung ist die umfassende Berichtspflicht nach § 156 InsO.75) Aus der Alleinentscheidungskompetenz der Gläubigerversammlung (§ 157 InsO), der 57 Pflicht zur Herstellung der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung (§ 1 InsO) und der damit einhergehenden Pflicht zur Aufrechterhaltung aller alternativ in Betracht kommenden Verfahrensziele folgt die Pflicht zur Vorbereitung einer umfassenden Entscheidungsgrundlage für die Gläubigerversammlung (§§ 156, 157 InsO). Im Umkehrschluss folgt hieraus das Verbot für das Verwaltungsorgan, aus eigener Entscheidungsmacht mögliche Verfahrensziele tatsächlich oder faktisch dadurch auszuschließen, dass die Grundlagen für eine Entscheidung der Gläubigerversammlung nicht geschaffen, mögliche Verfahrensziele nicht verfolgt und dadurch Entscheidungsgrundlagen über Befriedigungsoptionen für die Gläubiger nicht lege artis eröffnet werden. Legt sich das Verwaltungsorgan also bspw. frühzeitig auf einen Befriedigungsweg, z. B. 58 durch Insolvenzplan fest, und verfolgt es die anderen möglichen Befriedigungswege nicht mit dem sachgerecht gebotenen Aufwand weiter, so liegt hierin eine Amtspflichtverletzung und, wichtiger noch, eine Verletzung der in § 1 InsO an prominenter Stelle definierten erstrangigen Verfahrensziele. Dabei ist unerheblich, ob die Festlegung auf einen Befriedi___________ 70) Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch der vorläufigen Insolvenzverwaltung, § 1 Rz. 8 ff. 71) Statt vieler Janssen in: MünchKomm-InsO, § 157 Rz. 5. 72) Dies folgt bereits daraus, dass der Gläubigerausschuss im Eröffnungs- und die Gläubigerversammlung im eröffneten Verfahren die (vorläufige) Eigenverwaltung ohne Angabe von Gründen jederzeit beenden können. 73) Janssen in: MünchKomm-InsO, § 157 Rz. 1 ff. 74) Das Erfordernis der Schaffung einer ausreichenden Tatsachengrundlage für unternehmerische Entscheidungen ist bekannt aus der Rspr. zur Business Judgment Rule, vgl. Spindler in: MünchKommAktG, § 93 Rz. 48 ff.; zur Anwendung auch auf unternehmerische Entscheidungen i. R. eines Insolvenzverfahrens vgl. Oldiges, Die Haftung des Insolvenzverwalters unter der Business Judgment Rule, S. 130 ff. 75) Hölzle, ZIP 2011, 1889, 1891 f.

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gungsweg unter Vorspiegelung einer Legende oder aber stillschweigend erfolgt. Jedenfalls obliegt es nicht der Entscheidungsprärogative des Verwaltungsorgans, darüber zu präjudizieren, ob der eine oder andere Befriedigungsweg zu besseren oder schlechteren Ergebnissen führt, und ihn auf Grundlage eines solchen – unzulässigen – Präjudizes faktisch z. B. allein durch Zeitablauf auszuschließen. Vielmehr hat das Verwaltungsorgan alles Erforderliche zu unternehmen, den Verwertungsweg offenzuhalten und zur Abstimmung durch die Gläubigerversammlung bzw. den Gläubigerausschuss zu stellen. Hierzu gehört die ausdrückliche Pflicht des Verwalters, im Berichtstermin die Möglichkeiten einer übertragenden Sanierung als Alternative zur Liquidation zu erörtern und ggf. einen Sanierungsplan vorzulegen.76) 59 Im Konkreten bedeutet dies, dass auch in dem Fall, in dem die Gesellschafter, und auch die eigenverwaltende Schuldnerin das Ziel der Sanierung über einen Insolvenzplan verfolgen, der Insolvenzplanlösung zwingend das realisierbare Ergebnis einer übertragenden Sanierung gegenüberzustellen ist. Dem folgt die damit nicht zuletzt aus § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO hergeleitete Pflicht, zur Vorbereitung der Entscheidung der Gläubiger eine plausible und transparente Vergleichsrechnung zu erstellen.77) 60 Der Insolvenzverwalter bzw. die eigenverwaltende Schuldnerin haben daher, selbst wenn ihre eigenen Präferenzen andere sind, sämtliche Szenarien der Verfahrenszielerreichung ebenbürtig zu verfolgen und zu unterstützen.78) Auch das Inkrafttreten des ESUG am 1.3.2012 hat an der gegenüber sonstigen Verfahrenslösungen in der Praxis bestehenden Dominanz der übertragenden Sanierung und damit der Verpflichtung, diese als mindestens gleichberechtigtes Verfahrensziel offen zu halten, nichts geändert.79) 61 Alles in allem dürfte daher ein Dual-Track-Verfahren nur auf Grundlage eines Beschlusses jedenfalls des Gläubigerausschusses überhaupt verzichtbar sein. Fehlt es an einem Dual Track-Verfahren, trägt der Initiator des Insolvenzplans, regelmäßig also die Schuldnerin, das Darlegungsrisiko i. R. der Vergleichsrechnung, was nicht zuletzt sowohl zur Zurückweisung des Plans nach § 250 Nr. 1 InsO wegen Verstoßes gegen § 220 Abs. 2 InsO und auch zu einer Umkehr der Darlegungslast i. R. eines Verfahrens nach § 253 Abs. 4 InsO führen kann. 62 Ein Gesichtspunkt, der in der bisherigen Diskussion noch zu kurz gekommen ist, bedarf dabei noch besonderer Erwähnung: § 245 InsO, der auf den Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz zurückgeht, soll gewährleisten, dass kein Vermögenswert der Insolvenzmasse dem Zugriff der Gläubiger vorenthalten und/oder entschädigungslos auf nachrangige Gläubiger oder den Schuldner verlagert wird. Der Unternehmenswert als solcher ist jedoch, jedenfalls in den Fällen korporierter Unternehmen (Kapital- und Personengesellschaften), kein Wert des Unternehmens an sich, sondern ein Wert, der durch die Geschäftsanteile an der Gesellschaft repräsentiert wird. Er gehört daher zunächst einmal nicht zu dem nach § 1 InsO der Gläubigerbefriedigung dienenden Vermögen „des Schuldners“. Dem Insolvenzverwalter ist es zwar grundsätzlich möglich, i. R. eines Asset Deals den Gesamtwert nicht ausschließlich entsprechend dem Einzelwert der Wirtschaftsgüter, sondern auch entsprechend dem durch die Sachgesamtheit vermittelten Ertragswert zu realisieren. Ebenso kann der Insolvenzverwalter die Firma veräußern und den darin gebundenen immateriellen Vermögenswert zur Masse ziehen. Der Unternehmenswert selbst jedoch ist verkörpert in der Werthaltigkeit der Geschäftsanteile an dem Unternehmen. ___________ 76) 77) 78) 79)

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BAG v. 18.7.2013 – 6 AZR 420/12, ZIP 2014, 391, dazu EWiR 2014, 261 (Lindemann). AG Hamburg v. 20.12.2013 – 67g IN 419/12, ZIP 2014, 237, dazu EWiR 2014, 155 (Hofmann). Westpfahl in: Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, Rz. 12.24. Undritz in: Thierhoff/Müller, Unternehmenssanierung, Rz. 258.

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Absonderungsberechtigte Gläubiger, Eingriffe

§ 25

Die Geschäftsanteile an dem insolventen Unternehmen sind jedoch im Grundsatz nicht 63 Bestandteil der Soll-Insolvenzmasse (§ 35 InsO) und unterfallen deshalb grundsätzlich nicht der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters (§ 80 InsO). Anders gestaltet sich dies allerdings im Insolvenzplanverfahren gemäß § 217 Satz 2, § 225a InsO (siehe dazu ausführlich Hölzle, HRI II, § 26). Wenn aber das mit dem Insolvenzplan geförderte Wertsteigerungspotenzial der Geschäftsanteile durch künftige Gewinnchancen bei den Gesellschaftern verbleibt, so verbleibt diesen zunächst ein Vermögenswert, der überhaupt nicht dem Insolvenzbeschlag unterfiel und deshalb den Gläubigern auch nicht vorenthalten werden konnte. Anderes gilt nur, soweit dieses Wertsteigerungspotential i. R. eines Veräußerungsprozesses entweder der Geschäftsanteile nach § 225a InsO i. R. eines Insolvenzplans oder durch übertragende Sanierung hätte realisiert werden können. Auch hier schließt sich der Kreis erneut und ist der Nachweis, dass eine unzulässige Zuwendung von Vermögenswerten an Gesellschafter, weil sie nicht drittverwertungsfähig waren, nicht vorliegt, erforderlich. Dieser Nachweis kann regelmäßig nur i. R. eines Dual-Track-Verfahrens sinnhaft geführt werden. Erhalten die Gesellschafter etwas, was auch durch Verwertung am Markt nicht realisationsfähig für die Insolvenzmasse gewesen wäre, ist ein Verstoß gegen § 245 InsO ausgeschlossen. Daraus folgt dann, dass künftiges Dividendenausschüttungspotenzial aus der Zeit nach der Restrukturierung den Alt-Gesellschaftern (ganz oder teilweise) zugutekommt und i. R. des § 245 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 InsO keine Rolle spielen darf. Auf diese Weise wird ausgeschlossen, dass Gläubiger, die durch das Insolvenzplanverfahren i. S. des § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht benachteiligt werden, kein Akkordstörerpotenzial in die Hand bekommen, den Insolvenzplan durch Verfolgung opportunistischer Interessen zum Scheitern zu bringen. Dies gilt umso mehr, als einem jeden Gläubiger die Möglichkeit zum Debt Equity Swap 64 freisteht und er deshalb, geht er von einer überschießenden „new value exception“ aus, die Möglichkeit hat, sich daran zu beteiligen und in dieselbe Erwartungssituation zu begeben (siehe ausführlich unten Becker, HRI II, § 36 Rz. 67). Statt der bisher vorgeschlagenen Klausel, wonach für etwaig überschießende Werte eine Ausgleichszahlung des Schuldners zu leisten ist,80) kann daher auch eine Debt-Equity-Swap-Option vorgesehen werden und als Nachteilsausgleichsklausel i. S. des § 245 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2, § 251 Abs. 3 InsO genügen. Der Tatbestand des § 251 Abs. 3 InsO, der von „Mitteln“ spricht, die für den Fall bereitgestellt werden, dass ein Beteiligter eine Schlechterstellung nachweist, ist dann dahingehend auszulegen, dass „Mittel“ in diesem Sinne auch Beteiligungsrechte an dem Schuldner sein können. Gesellschaftsrechtlich ist dies in der Planarchitektur problemlos dadurch zu gewährleis- 65 ten, dass neben dem von § 251 Abs. 3 InsO vorrangig intendierten Ausgleichsfond z. B. auch ein genehmigtes Kapital für Kapitalerhöhungen durch Debt Equity Swap i. R. des Plans vorgesehen wird.81) Auch wenn § 251 Abs. 3 Satz 2 InsO anordnet, dass die Frage, ob der Beteiligte einen solchen Ausgleich erhält, außerhalb des Insolvenzverfahrens zu klären ist, so dürfte unbestritten bleiben, dass für den Fall, dass der Gläubiger sich einen Debt Equity Swap aus einem im Plan bereitgestellten genehmigten Kapital erstreitet, es sich um einen Debt Equity Swap i. R. des Insolvenzplans handelt, auf den § 254 Abs. 4 InsO (Ausschluss der Differenzhaftung) ohne weiteres Anwendung findet.

___________ 80) Vgl. Eidenmüller, ZGR 2001, 680, 705; Wittig, ZInsO 1999, 373, 376. 81) Die Vorhaltung von genehmigtem Kapital ist seit dem Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen – MoMiG, v. 1.11.2008, BGBl. I 2008, 2026, gemäß § 55a GmbHG auch bei der GmbH möglich.

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2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

VII. Drittsicherheiten 66 Eine besondere Beachtung verdient die Behandlung von Sicherheiten, die dem Gläubiger aus einem Drittvermögen, also nicht von Seiten des Insolvenzschuldners selbst, gestellt werden. Hierauf kann der Insolvenzplan grundsätzlich keinen Einfluss nehmen (zur Gruppenbildung siehe oben Rz. 4); der Zugriff auf die Drittsicherheit bleibt auch dann uneingeschränkt möglich, wenn der Gläubiger i. R. des Plans auf Teile seiner Forderung verzichtet (§ 254 Abs. 2 InsO). Dogmatisch folgt dies daraus, dass der i. R. eines Insolvenzplans ausgesprochene Verzicht nicht zu einem Erlöschen der Forderung, sondern nur dazu führt, dass diese sich in eine unvollkommene Verbindlichkeit wandelt, für die Sicherheiten noch geltend gemacht werden können.82) 67 Das fortbestehende, uneingeschränkte Recht des Zugriffs auf Drittsicherheiten war in der Vergangenheit insbesondere in Konzernlagen problematisch, wenn und soweit mit dem Schuldner verbundene Unternehmen Sicherheiten gewährt hatten, aber erhalten bleiben sollten. Die nicht gestaltbare Realisation dieser Sicherheiten begründete nicht selten ein Insolvenzrisiko auch für die Sicherheiten gebende Gesellschaft. 68 Dieses Problem hat der Gesetzgeber des SanInsFoG erkannt und mit §§ 217 Abs. 2, 223a InsO eine Lösung geschaffen, die wortgleich auch im StaRUG umgesetzt worden ist. Danach können in die Gestaltungswirkung des Plans auch solche Sicherheiten einbezogen werden, die von einem verbundenen Unternehmen gewährt wurden. Da es sich dabei nicht um Absonderungsrechte handelt, sei dies hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt. 69 Das Eingriffsrecht in konzerninterne Drittsicherheiten stellt dabei allerdings weniger eine materiell-rechtliche Eingriffsbefugnis als vielmehr lediglich eine verfahrensrechtliche Eingriffsbefugnis dar, die dem Ziel des Zusammenhalts der Insolvenzmasse in ihrer über das konkrete Unternehmen hinausgehenden Zusammensetzung dient und ist daher an den Rechtsgedanken des § 166 InsO angenähert. Dies folgt aus § 223a Satz 2 InsO, wonach der Eingriff in gruppeninterne Drittsicherheiten angemessen zu entschädigen ist und zum Zwecke der Beurteilung der Angemessenheit im darstellenden Teil des Insolvenzplans im Falle eines Eingriffs in diese Sicherheiten nach § 220 Abs. 3 InsO auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des verbundenen, die Sicherheit stellenden Unternehmens einzubeziehen sind. 70 Probleme im Zusammenhang mit der Entschädigungspflicht können sich daraus ergeben, dass die Entschädigung aus dem Vermögen des Insolvenzschuldners zu leisten ist, der Verzicht auf die Verwertung der Sicherheit vermögensrechtlich unmittelbar aber allein dem verbundenen Unternehmen zugutekommt. Durch die Verhinderung des Zugriffs auf die Sicherheit verschlechtert sich rein arithmetisch daher die Befriedigungsaussicht der Insolvenzgläubiger zunächst. Der Ausgleich dieses unmittelbaren Nachteils durch entsprechende wirtschaftliche Vorteile, die sich unmittelbar auf die Befriedigungsquote der Gläubiger auswirken, muss im darstellenden Teil des Plans nachvollzieh- und prüfbar erläutert werden. Ein ausgleichender Vorteil kann sich z. B. aus dem Erhalt der Übertragbarkeit des schuldnerischen Unternehmens einschließlich nicht insolventer Tochtergesellschaften ergeben, wodurch unmittelbar ein höherer Kaufpreis realisiert wird. Ebenso kann die Aufrechterhaltung von Produktions- und Lieferantenketten entsprechend mess- und bewertbare Vermögensvorteile begründen.

___________ 82) So BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 222/08, ZIP 2011, 1271; anschließend BFH v. 13.12.2016 – X R 4/15, Rz. 43, BFHE 256, 392 = ZIP 2017, 1767, dazu EWiR 2017, 507 (Anzinger).

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§ 26 Anteilsinhaber, Eingriff in Anteilsrechte Hölzle

I. Anteilsinhaber als Gläubigergruppe......... 1 II. Rechtfertigung des Eingriffs in Anteilsrechte........................................... 6 III. Insolvenzspezifische Gestaltungsfreiheit: Katalog der gesellschaftsrechtlich zulässigen Maßnahmen............ 14 1. Gesetzliche Grundlagen............................. 14 2. Reichweite im Einzelnen ........................... 21 2.1 Entscheidungsbefugnisse im Schuldnerbereich ...................... 21 2.2 Die Notwendigkeit des Eingriffs in die Anteilsrechte vor dem Hintergrund der Absolute Priority Rule des § 245 Abs. 2 InsO ................... 27 2.3 Abgrenzung von Gesellschafterrechten und Gesellschafterforderungen............ 32 2.4 „ABC“ zulässiger Gestaltungsmaßnahmen................ 36 IV. Sonderfall: Debt Equity Swap ................. 62 1. Debt Equity Swap als Gestaltungsmittel und als Maßnahme der Sanierung vor ESUG ................................................... 62

2. 3.

Ablauf eines Debt Equity Swap................. 65 Zustimmungserfordernis der betroffenen Gläubiger ......................... 70 4. Anrechnungsbetrag und Haftung ............. 74 4.1 Notwendigkeit einer Haftungsbegrenzung ........... 74 4.2 Aufbringung des Mindestnennkapitals durch Bareinlage? .......................... 77 4.3 Anrechnungsbetrag ....................... 83 4.4 Berücksichtigung von Sicherheiten ............................ 93 4.5 Berücksichtigung von Drittsicherheiten .................... 98 4.6 Verbleibendes Haftungspotenzial....................... 100 5. Steuerliche Folgen des Debt Equity Swap .......................................................... 107 V. Mitwirkungs- und Zustimmungserfordernisse der Alt-Gesellschafter .... 113 VI. Formerfordernisse .................................. 119 VII. Kollision mit schuldrechtlichen Vertragsklauseln ..................................... 122

Literatur: Bauer/Dimmling, Endlich im Gesetz(entwurf): Der Debt-Equity-Swap, NZI 2011, 517; Hölzle, Die Sanierung des Insolvenzsteuerrechts – oder: Die Besteuerung von Sanierungsgewinnen, ZIP 2020, 301; Hölzle, Überlagerung des Gesellschaftsrechts durch das Insolvenzrecht und die Schlechterstellungsprüfung zu Lasten des (Minderheits-)Gesellschafters, ZIP 2014, 1819; Hölzle, Der Insolvenzantrag als Sanierungsoption – auch gegen den Willen von Gesellschaftern?, ZIP 2013, 1846; Hölzle, Bindung von Gesellschafterhilfen in der Krise der GmbH durch Richterrecht? – Zur Vermeidung von Schutzlücken im MoMiG, ZIP 2011, 650; Hölzle, Die Legitimation des Gesellschaftersonderopfers in der insolvenzrechtlichen Finanzierungsverstrickung, ZIP 2010, 913; Hölzle, Unternehmensumwandlung in Krise, Sanierung und Insolvenz, FR 2006, 447; Hölzle/Kahlert, Der sog. Sanierungserlass ist tot – Es lebe die Ausgliederung, ZIP 2017, 510; Löbbe, Gesellschaftsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten des Debt Equity Swap, in: Liber Amicorum für Martin Winter, 2011, S. 423; Madaus, Keine Reorganisation ohne die Gesellschafter, ZGR 2011, 749; Müller, H. F., Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen im Insolvenzplan, KTS 2012, 419; Müller, H. F., Die Kapitalerhöhung in der Insolvenz, ZGR 2004, 842; Schäfer, Zur Einbeziehung der Gesellschafter in ein vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren nach dem Regierungsentwurf eines „StaRUG“, ZIP 2020, 2164; Schäfer, Einbeziehung der Gesellschafter in ein vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren?, ZIP 2019, 1645; Scheunemann/Hoffmann, Debt-EquitySwap, DB 2009, 983; Schmidt, K., Schöne neue Sanierungswelt: Die Gläubiger okkupieren die Burg, ZIP 2012, 2085; Simon/Merkelbach, Gesellschaftsrechtliche Strukturmaßnahmen im Insolvenzplanverfahren nach dem ESUG, NZG 2012, 121; Spliedt, Insolvenz der Gesellschaft ohne Recht der Gesellschaft?, ZInsO 2013, 2155; Urlaub, Notwendige Änderungen im Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) zur Verhinderung von Missbräuchen, ZIP 2011, 1040; Verse, Anteilseigner im Insolvenzverfahren, ZGR 2010, 299.

I.

Anteilsinhaber als Gläubigergruppe

Bereits nach Inkrafttreten der durch das ESUG eingeführten Möglichkeit eines Eingriffs 1 in die Rechte der Gesellschafter durch einen Insolvenzplan war vor allem der Aufschrei in

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§ 26

2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

der gesellschaftsrechtlichen Literatur groß.1) Auch i. R. der Einführung des SanInsFoG2) ist versucht worden, den Einfluss des Insolvenzrechts auf das Gesellschaftsrecht klein zu halten.3) Im Ergebnis vergeblich.4) Die bereits durch das ESUG eröffnete Möglichkeit des Zugriffs auf Gesellschafterrechte i. R. eines Insolvenzplans – der von wenig praktisch gewordenen Versuchen,5) aus gesellschaftsrechtlichen Treupflichten auch die Pflicht zur Beteiligung an einer Sanierung und sogar zur Aufopferung von Gesellschaftsanteilen herzuleiten,6) abgesehen, zuvor nicht möglich war – hat sich bewährt. Eine sanierungsfähige Gesellschaft kann im Insolvenz(plan)verfahren gegen den Willen der Gesellschafter saniert oder auf einen Investor übertragen werden, wenn und soweit der Erhalt des Rechtsträgers nötig oder sinnvoll ist.7) Durch das SanInsFoG ist das durch §§ 217 Abs. 1 Satz 2, 225a InsO eröffnete gesellschaftsrechtliche Gestaltungspotential noch einmal gestärkt und die Möglichkeit der Einflussnahme der Gesellschafter und vor allem deren Beteiligung an dem durch den Insolvenzplan geschaffenen Sanierungsmehrwert durch § 245 Abs. 2 Satz 2, 3 InsO noch einmal deutlich beschränkt. 2 § 217 Abs. 1 Satz 2 InsO, wonach auch die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen in den Plan einbezogen werden können, und § 225a Abs. 3 InsO, wonach im Plan jede Regelung getroffen werden kann, die gesellschaftsrechtlich zulässig ist, waren bis zum Inkrafttreten des ESUG zum 1.3.2012 in der deutschen Insolvenz- und Restrukturierungslandschaft zwar ohne Vorbild,8) sind jedoch binnen weniger Jahre zu einem der Stützpfeiler der Grundausrichtung der InsO als einem Rechtsrahmen zur Unterstützung der Unternehmenssanierung geworden. Die gesetzliche Systematik, die Grundaussage, dass im Insolvenzplan eine jede gesellschaftsrechtlich zulässige Maßnahme vorgesehen werden kann, erst in § 225a Abs. 3 InsO zu regeln und mit den Absatz 1 und 2 zwei Sonderfälle vorausgehen zu lassen, erschließt sich dabei jedoch nicht. Nahe gelegen hätte es, die in Absatz 3 enthaltene Regelung als Grundprinzip in Absatz 1 voranzustellen und sodann in den Absätzen 2 und 3 die Sonderfälle der Einbeziehung von Mitgliedschaftsrechten und der Klarstellung in Beziehung auf die Zulässigkeit eines Debt Equity Swap zu regeln. 3 Durch das SanInsFoG ist eine Neuordnung nicht erfolgt, der in den Normen angelegte Grundsatz, dass der durch die Einbeziehung der Gesellschafterrechte zu erzielende Sanierungsmehrwert grundsätzlich den Gläubigern und nicht den Gesellschaftern zusteht, durch ___________ 1) 2) 3) 4) 5)

6)

7) 8)

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Vgl. z. B. Hirte, ZGR 2010, 224; Madaus, ZGR 2011, 749, 757; Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 125; vgl. zuletzt noch einmal Westermann, NZG 2015, 134. Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256. Z. B. Schäfer, ZIP 2019, 1645 – insb. auch in Bezug auf das StaRUG. Vgl. im Nachgang z. B. Schäfer, ZIP 2020, 2164. Hölzle, KTS 2011, 291, 317; BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136 = ZIP 1995, 819; BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, BGHZ 183, 1 = ZIP 2009, 2289. Für Gläubiger gibt es demgegenüber außerhalb des Insolvenzplanverfahrens überhaupt keine Kooperationspflichten, vgl. BGH v. 12.12.1991 – IX ZR 178/91, BGHZ 116, 319 = ZIP 1992, 191 (sog. „Akkordstörerurteil“), dazu EWiR 1992, 255 (Tiedtke). Bitter, ZGR 2010, 147. Einzig rechtspraktisch geworden ist bislang die sog. Girmes-Rspr. des BGH, vgl. BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136 = ZIP 1995, 819, wonach Minderheitsgesellschafter jedenfalls einer mehrheitlich gewünschten Sanierung ihre Zustimmung nicht versagen dürfen, was bis zu einem gebotenen Ausschluss der Minderheitsgesellschafter führen kann, dazu EWiR 1995, 525 (Rittner); BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, BGHZ 183, 1 = ZIP 2009, 2289 – Verfestigung des Grundsatzes: „Sanieren oder Ausscheiden“–, dazu EWiR 2009, 739 (Armbrüster). Ein Überblick zu der insoweit ergangenen Rspr. findet sich bei Müller, Der Verband in der Insolvenz, S. 322 ff.; s. a. Brüning, Gesellschafter und Insolvenzplan, S. 192 ff.; K. Schmidt, JZ 2010, 125, 126 ff.; Haas, NJW 2010, 984. Madaus, Der Insolvenzplan, S. 590. Allg. zur Verzahnung von Insolvenz- und Gesellschaftsrecht Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121; K. Schmidt, BB 2011, 1603; Göb, NZI 2012, 14; mit europarechtlicher Betrachtung auch Bormann, NZI 2011, 892.

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§ 26

Anteilsinhaber, Eingriff in Anteilsrechte

§ 245 Abs. 2 Satz 2, 3 InsO aber noch einmal deutlich herausgestellt worden. Die Gesellschafter treten daher im Insolvenzplanverfahren als Stakeholder mit nachrangig zu berücksichtigenden Interessen neben die Gläubiger. Die Einbeziehung gesellschaftsrechtlich zulässiger Maßnahmen in den Insolvenzplan 4 sowie die Übertragung von Eingriffsbefugnissen auch auf das grundsätzlich nicht insolvenzbefangene Vermögen der Gesellschafter in Bezug auf die Mitgliedschaftsrechte9) erfordert eine Beteiligung der Anteilsinhaber auch auf verfahrensrechtlicher Seite, nämlich bei der Beschlussfassung. Diesem Gebot wird in § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 InsO Rechnung getragen, wonach für die am Schuldner beteiligten Personen eine eigenständige Gläubigergruppe zu bilden ist, wenn deren Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte in den Plan einbezogen werden. Konsequent spricht das Gesetz in den Regelungen des Planverfahrens deshalb auch nicht von Gläubigern, sondern von Beteiligten. Die Regelung beinhaltet dabei keine Beschränkung dergestalt, dass für die Gesellschafter nur eine Gruppe gebildet werden dürfte. Vielmehr verbleibt es bei der allgemeinen Vorschrift des § 222 Abs. 1, 2 InsO, wonach Gruppen für Beteiligte unterschiedlicher Rechtsstellung in den Grenzen des Willkürverbots gebildet werden können.10) Soweit es unter den Gesellschaftern sachgerechte Differenzierungsgründe gibt, ist hiervon auch Gebrauch zu machen. § 245 Abs. 2 Satz 3 InsO unterstreicht dies für den unternehmerisch und geschäftsleitend tätigen Gesellschafter. Eine Einbeziehung von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten in den Insolvenzplan i. S. des 5 § 217 Abs. 1 Satz 2 InsO liegt nicht nur dann vor, wenn eine Veränderung auf Anteilseignerebene oder in der Eigenkapitalstruktur der Gesellschaft im Plan vorgesehen ist, sondern bereits dann, wenn in die den Anteilseignern grundsätzlich vorbehaltenen Beschlusskompetenzen11) eingegriffen wird. Diese sind nämlich Ausfluss der Anteilsrechte. (Mindestens) Eine Gläubigergruppe für die Anteilsinhaber ist deshalb immer schon dann zu bilden, wenn durch den bestätigten Insolvenzplan Beschlüsse ersetzt werden (§ 254a Abs. 2 InsO), die außerhalb des Insolvenz- und des Insolvenzplanverfahrens der Gesellschafterversammlung vorbehalten wären. Das gilt bspw. bereits bei der Einbeziehung des Fortsetzungsbeschlusses in die Regelungen des Insolvenzplans. II.

Rechtfertigung des Eingriffs in Anteilsrechte

Die Möglichkeit, i. R. des insolvenzgestützten Restrukturierungsprozesses bzw. des Insol- 6 venzplans auch in den gesellschaftsrechtlichen Bestand des schuldnerischen Unternehmens einzuwirken, wurde insbesondere im europäischen und auch im Vergleich mit dem USamerikanischen Recht bei Schaffung des ESUG als unabdingbare Voraussetzung für die Entwicklung eines sanierungsfreundlichen Rechtsrahmens in Deutschland genannt.12) Dies nicht zuletzt, um den Gesellschaftern die opportunistische Ausnutzung der Sanierungsbereitschaft der Gläubiger abzuschneiden und Blockaden der Gesellschafter von vornherein auszuschließen.13) Die Kommission zur Evaluierung des ESUG hat in ihrem Bericht aus ___________ 9) Zur Differenzierung zwischen dem sog. Verdrängungsbereich, in dem der Übergang der Verwaltungsund Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter dem mitgliedschaftlichen Verfügungsbereich der Gesellschafter vorgeht, dem Schuldnerbereich, in welchem die mitgliedschaftlichen Rechte erhalten bleiben, und dem Überschneidungsbereich, in dem nach der InsO 1999 eine Kooperation erforderlich sein soll, Vuia in: MünchKomm-InsO, § 80 Rz. 112 ff. 10) Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 222 Rz. 16 m. w. N. 11) Ausführlich Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, §§ 217, 225a Rz. 33 ff.; Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rz. 228 ff. 12) S. z. B. Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541; Bork, ZIP 2010, 397, 403; Eidenmüller/Frobenius/Prusko, NZI 2010, 545, 549; Hölzle, KTS 2011, 291, 317. 13) Eidenmüller, ZIP 2007, 1729.

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2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

April 201814) die Bedeutung der Einbeziehung der Gesellschafter in Planregelungen noch einmal unterstrichen und klargestellt, dass diese allgemein begrüßt wird. Handlungsbedarf sei eher in der Ausgestaltung im Detail angezeigt.15) Dieselben Erwägungen, wie sie für die Einbeziehung von Gesellschafterrechten in das ESUG gelten, haben nunmehr auch i. R. der außerinsolvenzlichen Restrukturierung nach StaRUG16) Pate gestanden.17) 7 Anders als im US-amerikanischen Recht gibt es im deutschen Recht keine mit der dortigen „Bankruptcy Clause“ vergleichbare verfassungsrechtliche Legitimationsgrundlage für den Eingriff in Gesellschaftsrechte.18) Soweit es nämlich um Kompetenzen geht, die nicht die Insolvenzmasse betreffen (sog. Schuldnerbereich), werden diese Kompetenzen auch im eröffneten Insolvenzverfahren grundsätzlich von den bestehen bleibenden Gesellschaftsorganen wahrgenommen.19) Dies betrifft Beschlussfassungen über Anteilsveräußerungen, -einziehungen, Kapitalerhöhungen, Fortsetzungsbeschlüsse etc.20) Soll in diesen ausschließlich den Gesellschaftern zugewiesenen Bereich eingegriffen werden, so bedarf es einer Rechtfertigung. Auf einfach gesetzlicher Ebene mag dazu die Aufopferungslehre21) dienen. Jedoch – und dies darf nicht übersehen werden – haben solche Eingriffe auch eine verfassungsrechtliche Dimension, die das deutsche Insolvenzrecht nicht uneingeschränkt mit dem Chapter 11-Verfahren des US-amerikanischen Rechts vergleichbar machen, weil nach USamerikanischem Recht der dortige Bundesgesetzgeber nicht nur die Regeln für ein Insolvenzverfahren bestimmen, sondern auch in die Rechte der von der Insolvenz betroffenen Personen eingreifen darf, wozu nicht nur die Gläubiger des Schuldners, sondern auch dessen Gesellschafter gehören.22) Eine solche Legitimationsgrundlage auf übergesetzlicher Ebene kennt das deutsche Recht nicht. 8 Über die Verfassungskonformität der §§ 217 Abs. 1 Satz 2, 225a InsO ist bereits vielfach geschrieben worden,23) wenn auch die Diskussion zuletzt nicht mehr verfassungsrechtlich bestimmt ist, sondern mehr die Ausgestaltung und Reichweite im Detail betrifft. Einigkeit besteht darüber, dass auch das Anteilseigentum am Schutzgehalt der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie des Art. 14 GG teilhat.24) Dieser Schutz erstreckt sich regelmäßig nicht allein auf die durch die Beteiligung vermittelte Vermögensposition, sondern auch auf die ___________ 14) Vgl. Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, abrufbar unter https://www.bmj.de/ SharedDocs/Downloads/DE/News/Artikel/101018_Gesamtbericht_Evaluierung_ESUG.html (Abrufdatum: 14.2.2023). 15) Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 182, abrufbar unter https://www.bmj.de/ SharedDocs/Downloads/DE/News/Artikel/101018_Gesamtbericht_Evaluierung_ESUG.html (Abrufdatum: 14.2.2023). 16) Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz – StaRUG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256 (= Art. 1 des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts [Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG], v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256. 17) Vgl. dazu Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, §§ 2 – 4 StaRUG Rz. 28 ff. 18) Ausführlich zur verfassungsrechtlichen Legitimation in Deutschland Madaus, Der Insolvenzplan, S. 595 ff.; Verse, ZGR 2010, 299, 309. 19) Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rz. 82 ff. 20) Vgl. z. B. BGH v. 26.1.2006 – IX ZR 282/03, ZInsO 2006, 260; BGH v. 21.4.2005 – IX ZR 281/03, ZIP 2005, 1034, dazu EWiR 2005, 603 (Flitsch); Ott/Braukmann, ZIP 2004, 2117; H. F. Müller, ZGR 2004, 842; grundlegend bereits Weber, KTS 1970, 73, 77 ff. 21) Bitter, ZGR 2010, 147, 191; Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 549 f.; Jaffé/Friedrich, ZIP 2008, 1849, 1854; BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136 = ZIP 1995, 819; BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, BGHZ 183, 1 = ZIP 2009, 2289. 22) Madaus, Der Insolvenzplan, S. 594. 23) Zur Vereinbarkeit mit der Zweiten gesellschaftsrechtlichen Kapitalmarktrichtlinie vgl. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 225a Rz. 124 ff.; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 14. 24) Vgl. Engels, BKR 2009, 365, 366 m. w. N.

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Anteilsinhaber, Eingriff in Anteilsrechte

damit verbundenen Mitgliedschafts- und Teilhaberrechte.25) Allerdings lassen sich die (verfassungsrechtlichen) Grundsätze für das Sacheneigentum nicht uneingeschränkt auch auf das gesellschaftsrechtlich mediatisierte26) Anteilseigentum übertragen. Allein die Tatsache, dass die gestaltende Wirkung des Insolvenzplans auch einen Eingriff in die Mitgliedschaftsrechte erlaubt, reicht für die Beantwortung der Frage, ob darin zugleich ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG zu erkennen ist, nicht aus. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Anteilsrechte nach Einleitung des Insolvenzverfahrens vor dem Hintergrund des § 199 Satz 2 InsO, wonach die Gesellschafter erst nach allen Gläubigern aus der Masse bedient werden, keinen signifikanten Vermögenswert mehr vermitteln27) und aus diesem Grunde ein Eingriffssubstrat im Wesentlichen nicht verbleibt.28) Soweit ein Eingriff in den vermögensrechtlichen Schutzgehalt des Art. 14 GG nur gegen Entschädigung möglich sein sollte,29) würde sich die Entschädigung hier an der verbleibenden Auszahlungserwartung im Rang des § 199 Satz 2 InsO orientieren und damit im absoluten Regelfall ebenfalls null betragen. Im Übrigen steht es den Anteilseignern frei, jederzeit auf den durch die Beteiligung noch vermittelten Vermögenswert zuzugreifen, indem und wenn sie den Insolvenzgrund beseitigen.30) Eine teleologische Reduktion des § 245 Abs. 3 InsO, wonach die Zustimmung der Gruppe der Gesellschafter stets notwendig wäre,31) ist daher strikt abzulehnen.32) Auch der zweite grundsätzlich anerkannte Schutzgehalt der Teilhabe- und Mitwirkungs- 9 rechte verliert im Insolvenzverfahren an signifikanter Bedeutung: Nach § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG gilt eine GmbH mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens als aufgelöst; in den übrigen Gesellschaftsrechten finden sich entsprechende Regelungen. Die Anteilsrechte, hinsichtlich derer verfassungsrechtlicher Schutz zu gewährleisten wäre, sind daher in ihrem Bestand bereits auf die Abwicklung der Liquidationsgesellschaft beschränkt, unterstellt man für die Betrachtung des Eingriffssubstrats die Abwicklung im Regelinsolvenzverfahren, also die Liquidation. Entscheidungen zu treffen, die sich in Widerspruch zu den insolvenzrechtlichen Abwicklungszielen setzen, sind die Gesellschafter ohnehin nicht mehr befugt.33) Es ist daher davon auszugehen, dass im Insolvenz- und im Insolvenzplanverfahren grundsätzlich nur wirkungsentkleidete Mitglieds- und Teilhaberrechte bestehen,34) die in praktische Konkordanz zu den Eigentumsrechten der Gläubiger treten. Im Rahmen der Auflösung dieser praktischen Konkordanz kann eine missbräuchliche Verweigerungshaltung der Gesell___________ 25) BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289, 301 f. = ZIP 1999, 1436, dazu EWiR 1999, 751 (Neye). 26) Engels, BKR 2009, 365, 366 – m. Hinweis auf BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvR 532, 533/77, 1 BvR 419/78 und 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290, 342 = NJW 1979, 699; BVerfG v. 20.9.1999 – 1 BvR 168/93, ZIP 1999, 1801, dazu EWiR 1999, 1033 (Luttermann). 27) So auch Eidenmüller, ZIP 2010, 649, 657; Hölzle, KTS 2011, 291, 318 f.; diff. Verse, ZGR 2010, 299; Madaus, Der Insolvenzplan, S. 595 f. 28) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus einem etwaigen Fortführungswert des Unternehmens, so noch Lüer in: Uhlenbruck, InsO, § 217 Rz. 18 f., da sich der Wert der Rechte der Beteiligten in einem Insolvenzverfahren stets nach der Abwicklung des Unternehmens im Regelinsolvenzverfahren, also nach dem Liquidationswert zu bestimmen hat, was für Insolvenzforderungen durch das BVerfG v. 26.4.1995 – 1 BvL 19/94, 1 BvR 1454/94, BVerfGE 92, 262, 272 = ZIP 1995, 923, dazu EWiR 1995, 669 (Fuchs), bereits festgestellt wurde. So nunmehr auch Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 217 Rz. 29. 29) Hierbei ist aber bereits zu bedenken, dass auch verfassungsrechtlich nicht in jedem Fall eine Entschädigung als rechtfertigendes Element des Eingriffs zu verlangen ist, a. A. Smid, DZWIR 2010, 397, 403, da die Entziehung nicht werthaltiger Vermögenspositionen auch nicht entschädigt werden muss, so Madaus, Der Insolvenzplan, S. 596. 30) Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 8. 31) So aber Madaus, ZGR 2011, 749, 756 ff., 771. 32) Wie hier Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rz. 221. 33) Vgl. Hirte in: Uhlenbruck, InsO, § 11 Rz. 137; K. Schmidt in: Scholz, GmbHG, Vor § 64 Rz. 65. 34) Ähnlich Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 10 f.

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schafter zum Zwecke einer im volkswirtschaftlichen Gesamtinteresse liegenden Verwendung der Eigentumsrechte des Gesellschafters überwunden werden, soweit dem Gesellschafter eine Beschwerde- bzw. Rechtsschutzmöglichkeit grundsätzlich eingeräumt ist.35) Die grundsätzliche Rechtfertigung der §§ 217 Abs. 1 Satz 2, 225a InsO vor dem Hintergrund des Art. 14 GG ist daher gegeben. 10 Etwas differenzierter zu betrachten ist jedoch die mit einer jeden gesellschaftsrechtlichen Maßnahme, die in die Anteilsrechte als solche eingreift, verbundene Einflussnahme auf den vereinigungsfreiheitsrechtlichen Bestand. Geschützt sind dabei sowohl die positive als auch die negative Vereinigungsfreiheit, Art. 9 GG.36) Daraus folgt, dass sowohl die Mitgliedschaft des Gesellschafters in der Gesellschaft als auch der konkrete mitgliedschaftliche Bestand verfassungsrechtlichen Schutz genießen, worunter dementsprechend auch die Aufnahme neuer Gesellschafter z. B. i. R. einer Kapitalerhöhung gehört.37) Aus der Vereinigungsfreiheit folgt darüber hinaus auch das Recht zur organisatorischen Selbstbestimmung,38) wozu auch die freie Satzungsgewalt der Gesellschafter gehört. Es wird damit insbesondere die Autonomie der Willensbildung in der Gesellschaft durch die Gesellschafter besonders geschützt.39) 11 Regelmäßig wird der Eingriff in die Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 GG, der dem engen Schrankenvorbehalt des Art. 9 Abs. 2 GG unterliegt, auf kollidierendes Verfassungsrecht, nämlich auf den Eigentumsschutz der Gläubiger aus Art. 14 GG gestützt.40) Danach müsse sich der in § 199 InsO zum Ausdruck kommende Vorrang der Gläubigerrechte vor den Gesellschafterrechten auch gegenüber der Vereinigungsfreiheit durchsetzen.41) Soweit gegen die kollisionsrechtliche Auflösung des Eingriffs in Art. 9 Abs. 1 GG durch Rückgriff auf die Gläubigerrechte aus Art. 14 GG unter Inanspruchnahme der sich aus § 199 InsO ergebenden Argumentation eingewandt wird, dass es zwischen Art. 14 und Art. 9 GG grundsätzlich keine Kollision und keine Entscheidungszuständigkeit der Gläubiger für die Vermögensmehrung der Gesellschafter nach Abschluss des Reorganisationsverfahrens gebe,42) wird übersehen, dass die Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 GG bereits insoweit mit Art. 14 Abs. 1 GG auf Gläubigerseite kollidiert, als der Gesetzgeber mit den Gesellschaften in haftungsbeschränkender Rechtsform eine potenzielle Kollision systemisch bedingt anlegt. Durch die Haftungsbeschränkung nämlich, die allein volkswirtschaftlich geboten ist,43) nicht aber verfassungsrechtlichen Rang genießt, wird volkswirtschaftlich denjenigen Marktteilnehmern, die das Recht der Vereinigungsfreiheit in einer haftungsbeschränkenden Rechtsform für sich in Anspruch nehmen, eine potenzielle Möglichkeit an die Hand gegeben, ohne Schmälerung des eigenen Vermögens in die Eigentumsrechte ihrer Gläubiger einzugreifen. Stellt der Gesetzgeber aber Vereinigungsmöglichkeiten in haftungsbeschränkender Rechtsform zur Ver___________ 35) Madaus, Der Insolvenzplan, S. 596. 36) Zu Art. 9 GG vgl. auch Brinkmann, WM 2011, 97, 100. 37) Vgl. Madaus, Der Insolvenzplan, S. 597, der zu Recht darauf hinweist, dass die Auffassung von Sassenrath, ZIP 2003, 1517, 1524, wonach die Gesellschafter den Gläubigern die generelle Befugnis erteilen, in der Insolvenz in alle Aspekte ihrer Gesellschafterstellung einzugreifen, so ohne weiteres nicht tragbar ist. 38) Vgl. BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvR 532, 533/77, 1 BvR 419/78 und 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290, 354 = NJW 1979, 699. 39) Müller, Der Verband in der Insolvenz, S. 364; Madaus, Der Insolvenzplan, S. 597. 40) Bitter, ZGR 2010, 147, 193 f.; Verse, ZGR 2010, 299, 312. 41) BGH v. 15.4.2010 – IX ZR 188/09, ZIP 2010, 1039, 1041, dazu EWiR 2010, 465 (Mock); Bitter, ZGR 2010, 147, 191; Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 549 f.; Jaffé/Friedrich, ZIP 2008, 1849, 1854. Dazu ausführlich Madaus, Der Insolvenzplan, S. 596 ff., 600. 42) So insbesondere Madaus, Der Insolvenzplan, S. 600. 43) Röhricht in: FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 93, 97 ff.

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Anteilsinhaber, Eingriff in Anteilsrechte

fügung, weil er sich hierdurch gesamtökonomische Vorteile verspricht,44) so ist er gleichermaßen gehalten, ein Schutzinstrumentarium für die von der Haftungsbegrenzung potenziell betroffenen Gläubiger zu schaffen. Ausfluss dieses Schutzinstrumentariums ist die Statuierung von Insolvenzantragspflichten (§ 15a InsO) für Gesellschaften, in denen keine natürliche Person die Vollhaftereigenschaft innehat, deren Haftung also auf das eigene oder ein fremdes Gesellschaftsvermögen (wie z. B. in der GmbH & Co. KG) beschränkt ist. In dieser gesetzgeberischen Wertung und der Wechselwirkung zwischen Haftungsbegrenzung und Schutzanspruch der dadurch potenziell betroffenen Gläubiger, die damit zum wesentlichen Gehalt des Schutzbereichs bereits auf Ebene des Art. 9 GG wird, kommt jedenfalls i. R. der praktischen Konkordanz ein genereller Vorrang der Gläubigerrechte aus Art. 14 GG gegenüber der Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 GG in der Insolvenz- und insolvenzbedingten Reorganisationssituation zum Ausdruck.45) Die Interessen der Alt-Gesellschafter der insolvenzbefangenen Gesellschaft müssen daher 12 hinter den Reorganisationsinteressen der Gläubiger in der Insolvenzsituation und insbesondere im Insolvenzplanverfahren zurücktreten. Einzig, und daran fehlt es nach wie vor in der InsO, ist den Alt-Gesellschaftern, die z. B. durch Kapitalerhöhung und/oder den Beitritt neuer Gesellschafter nur herunter und nicht heraus verwässert werden, ein außerordentliches Kündigungsrecht einzuräumen. Einen Ansatz dazu enthält § 225a Abs. 5 InsO, der ein Austrittsrecht unter der Voraussetzung gewährt, dass eine Maßnahme nach § 225a Abs. 2 oder 3 InsO für eine an dem Insolvenzschuldner beteiligte Person einen „wichtigen Grund zum Austritt aus der juristischen Person oder Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit“ darstellt und von diesem Austrittsrecht auch Gebrauch gemacht wird. Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ist davon auszugehen, dass jede gesellschaftsrechtliche Maßnahme i. S. des § 225a InsO, die zu einer Veränderung in der Beteiligungsstruktur führt, einen solchen wichtigen Grund darstellt.46) Anderenfalls bestünden tatsächlich Bedenken hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Legitimation der Vorschriften vor dem Hintergrund des Art. 9 Abs. 1 GG.47) Fraglich bleibt allerdings, ob und inwieweit nicht den auch weiterhin beteiligungswilligen 13 Alt-Gesellschaftern i. R. von Kapitalmaßnahmen (Debt Equity Swap; sonstige Kapitalerhöhungen) aus verfassungsrechtlichen Gründen ein Bezugsrecht eingeräumt werden muss.48) Soweit der oder die Alt-Gesellschafter nämlich beteiligungswillig und leistungsfähig (vgl. § 230 Abs. 3 InsO) sind, fehlt es, soweit nicht das Investitionsinteresse der Neu-Gesellschafter den Ausschluss der Alt-Gesellschafter zur Voraussetzung hat, an einer Rechtfertigung, sie zwar nicht i. R. eines Debt Equity Swap mit etwaigen Gesellschafter-Forderungen an der Kapitalmaßnahme zu beteiligen; wohl aber sind sie zu einer – ggf. parallelen – Barkapitalerhöhung zuzulassen, um ihnen die Möglichkeit einzuräumen, einer vollständigen Enteignung entgegen zu wirken.49) Da jedoch die Mitgliedschaftsrechte durch die Einleitung des Insolvenzverfahrens vollständig entwertet sind und die Gläubigerinteressen Vorrang genießen, bedarf es keiner weiteren Rechtfertigung für den vollständigen Ausschluss der Alt-Gesellschafter, wenn das Sanierungskonzept der oder des eintrittswilligen Inves___________ 44) Dazu ausführlich Hölzle, ZIP 2009, 1939; Hölzle, ZIP 2003, 1376. 45) Ähnlich Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 12 ff. 46) Anders Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 225a Rz. 116; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 40, wonach es allein auf gesellschaftsrechtliche Maßstäbe ankommen könne. Für ein Austrittsrecht aus Insolvenzrecht demgegenüber Haas, NZG 2012, 961, 965 f.; H. F. Müller, KTS 2012, 419, 425. 47) Vgl. Hölzle, KTS 2011, 291, 322. 48) Ausführlich Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, §§ 217, 225a InsO Rz. 43; K. Schmidt, ZIP 2012, 2085, 2088; Madaus, ZGR 2011, 749, 761 f.; Urlaub, ZIP 2011, 1040, 1044; Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 125 f.; H. F. Müller, KTS 2012, 419, 441 f.; Hölzle, KTS 2011, 291, 321 f. 49) Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, §§ 217, 225a InsO Rz. 43.

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2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

tors den Ausschluss der Alt-Gesellschafter zur Voraussetzung macht und keine für die Gläubiger gleichwertigen Alternativen unter Beibehaltung einer Beteiligung der Alt-Gesellschafter unmittelbar umsetzbar sind. Der Insolvenzplan, der eine solche Regelung vorsieht, kann sich für deren Legitimation daher allein auf § 225a Abs. 3 stützen. Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit des Bezugsrechtsausschlusses, wie sie gesellschaftsrechtlich regelmäßig zu fordern sind, bedarf es im Insolvenzplan grundsätzlich nicht. Um Nachfragen des Registergerichts zu vermeiden, empfiehlt es sich dennoch, im Plan vorsorglich auch die aus dem zugrunde liegenden Investitions- und Sanierungskonzept abzuleitende Verhältnismäßigkeit des Eingriffs darzulegen und so zu gewährleisten, dass es bei der (konstitutiven) Eintragung nicht zu ungewollten Verzögerungen kommt. III.

Insolvenzspezifische Gestaltungsfreiheit: Katalog der gesellschaftsrechtlich zulässigen Maßnahmen

1.

Gesetzliche Grundlagen

14 Nicht erst durch das ESUG hat sich das Insolvenzrecht weg von einem reinen Abwicklungsverfahren hin zu einem weitreichenden wirtschaftsrechtlichen Faktor entwickelt und ist inzwischen in weiten Teilen gesellschaftsrechtlich geprägt. Dennoch war das mit dem ESUG vollzogene veränderte Rollenverständnis der vom Insolvenzverfahren Betroffenen durch Einbeziehung auch der Gesellschafterrechte geradezu revolutionär50) und ist aus der heutigen Restrukturierungspraxis nicht mehr wegzudenken. Wenn aus Sicht der Gesellschafter und des Managements auch eine noch stärkere Orientierung des Insolvenzverfahrens am US-amerikanischen Vorbild der Pre-Voted Bankruptcy wünschenswert wäre,51) so liegt der wesentliche Grund für die Einbeziehung der Gesellschafterrechte vor allem in dem praktischen Bedürfnis nach einem koordinierten Abwicklungs- und Sanierungsverfahren durch Mitwirkung der Gesellschafter am Insolvenzplanverfahren, da sich gerade die Gesellschafter in der Vergangenheit als Sanierungshemmer erwiesen haben. Dass die bereits in der Insolvenzrechtsreform 1994 (Übergang von der KO zur InsO mit Wirkung ab dem 1.1.1999) vorgetragenen, insbesondere verfassungsrechtlichen Bedenken sich gegen eine solche Einbeziehung in der Reform durch das ESUG nicht durchgesetzt haben und auch die Evaluation daher zu keinerlei Einschränkungen mit Inkrafttreten des SanInsFoG geführt hat, liegt in einem sich ändernden Rechtsbild von der Gesellschafterrolle, in der Entwicklung der betrieblichen Finanzierungslehre und darüber hinaus im systematischen Grundverständnis von Gesellschafts- und Insolvenzrecht begründet.52) 15 So sieht § 217 Abs. 1 Satz 2 InsO vor, dass, ist der Schuldner keine natürliche Person, auch die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen in den Plan einbezogen werden können. § 225a InsO konkretisiert diese Grundsatzregel und ordnet in Absatz 3 an, dass im Insolvenzplan jede Regelung getroffen werden kann, die gesellschaftsrechtlich zulässig ist, insbesondere – aber nicht nur – die Fortsetzung einer aufgelösten Gesellschaft oder die Übertragung von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten. Nach Absatz 1 des § 225a InsO bleiben die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen nur dann vom Insolvenzplan unberührt, wenn der Plan nichts Anderes vorsieht. Gemäß § 225a Abs. 2 InsO kann im gestaltenden Teil des Insolvenzplans (auch bzw. abermals: insbesondere) vorgesehen werden, dass Forderungen von Gläubigern in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte am Schuldner umgewandelt werden. Eine Umwandlung gegen den Willen der betroffenen Gläubiger ist ausgeschlossen. Insbesondere kann der Plan eine Kapi___________ 50) Instruktiv K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1605, 1607. 51) Vgl. Madaus, NZI 2011, 622. 52) K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1607.

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§ 26

Anteilsinhaber, Eingriff in Anteilsrechte

talherabsetzung oder -erhöhung, die Leistung von Sacheinlagen, den Ausschluss von Bezugsrechten oder die Zahlung von Abfindungen an ausscheidende Anteilsinhaber vorsehen, womit der mechanische Ablauf eines Debt Equity Swap hinreichend beschrieben und dessen Zulässigkeit ausdrücklich vorausgesetzt ist. Obwohl der Debt Equity Swap nach englischrechtlichem Vorbild Motiv für die Schaffung der Eingriffsbefugnisse war, ist seine praktische Bedeutung im Verhältnis zu anderen gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen wie Anteilsübertragungen oder dem Kapitalschnitt gering. Werden Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte in den Plan einbezogen, ist nach § 222 Abs. 1 16 Satz 2 Nr. 4 InsO für die am Schuldner beteiligten Personen eine eigene Gläubiger-/Abstimmungsgruppe zu bilden. Nach § 238a Abs. 1 InsO richtet sich das Stimmrecht der Anteilsinhaber allein nach der Beteiligung am gezeichneten Kapital oder Vermögen des Schuldners, wobei Stimmrechtsbeschränkungen, Sonder- oder Mehrheitsstimmrechte außer Betracht bleiben. Auch aus dem Gesellschaftsverhältnis hergeleitete Sonderstimmrechte oder -verbote, z. B. als Ausfluss der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht, bleiben außer Betracht (siehe ausführlich Rz. 58). Maßgeblich ist daher allein die nominale Beteiligung am statutarischen Kapital der Gesellschaft. Beteiligen sich die Anteilsinhaber nicht an der Abstimmung, so wird ihre Zustimmung nach § 246a InsO fingiert. Zum Abstimmungstermin sind nach § 241 Abs. 2 InsO grundsätzlich alle stimmberech- 17 tigten Beteiligten zu laden. Dies gilt jedoch nicht für Aktionäre oder Kommanditaktionäre. Für diese reicht es aus, den Termin öffentlich bekannt zu machen. Für börsennotierte Gesellschaften findet dabei § 121 Abs. 4a AktG entsprechende Anwendung. Dasselbe gilt für die Übersendung von Unterlagen nach § 252 Abs. 2 InsO. Der Gesetzgeber geht grundsätzlich davon aus, dass die Anteile der Gesellschafter in der 18 Regel wertlos sind, weshalb im Falle der Einbeziehung von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten eine Entschädigung für die Anteilsinhaber wohl vorgesehen werden kann, im Regelfall aber nicht vorgesehen werden muss (vgl. § 225a Abs. 2 Satz 3 Alt. 5 InsO).53) Im Gegenteil: Hat der Gesellschaftsanteil wegen eines als Folge der Sanierung entstehenden künftigen Erwartungswertes einen Residualwert, so steht dieser vorrangig den Gläubigern zu und wäre er, soweit ein Eingriff in die Gesellschafterrechte nicht erfolgt, von diesen ggf. sogar zu vergüten (siehe Hölzle, HRI II, § 25 Rz. 49 ff.).54) Soweit die Alt-Gesellschafter dennoch der Meinung sind, dass das Fehlen einer Entschädigungsregelung sie gegenüber der Regelabwicklung benachteilige, können solche Ansprüche nur außerhalb des Insolvenzverfahrens nach § 251 Abs. 3 Satz 2 InsO geltend gemacht werden.55) Konnten gesellschaftsrechtliche Maßnahmen vor Inkrafttreten des ESUG nur durch einen 19 bedingten Insolvenzplan (§ 249 InsO) mit den im Insolvenzplan vorgesehenen Sanierungsmaßnahmen koordiniert werden, konnte also ein Insolvenzplan erst bestätigt werden, wenn und soweit gesellschaftsrechtlich erforderliche Erklärungen in der nötigen Form tatsächlich abgegeben und eingetragen waren,56) so hat sich dieses Problem durch § 254a Abs. 2 InsO erübrigt, da sämtliche in den Plan aufgenommenen Beschlüsse der Anteilsinhaber oder sonstige Willenserklärungen der Beteiligten als in der vorgeschriebenen Form abgegeben gelten. Gesellschaftsrechtlich erforderliche Ladungen, Bekanntmachungen und sonstige Maßnahmen zur Vorbereitung von Beschlüssen der Anteilsinhaber gelten als in der vorgeschriebenen Form bewirkt. Der Insolvenzverwalter ist berechtigt, die erforderlichen Anmeldungen beim ___________ 53) Vgl. Begr. RegE z. Nr. 17 ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 32. 54) Dies übersieht auch Schmidt-Preuß, NJW 2016, 1269, wenn er für den Fall eines sanierungsbedingten Restwertes des entzogenen Geschäftsanteils eine Entschädigungspflicht zugunsten des Alt-Gesellschafters fordert. 55) Vgl. hierzu Drukarczyk, NZI 2015, 110, 116. 56) K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1608.

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2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

Registergericht vorzunehmen. Dies betrifft allein die Aktivlegitimation und nicht die Form der Anmeldung. An dem Erfordernis der Beglaubigung der Erklärung des Insolvenzverwalters dürfte daher festzuhalten sein. 20 Bei Betrachtung der gesetzlichen Grundlagen für die Einbeziehung von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten in den Insolvenzplan fällt auf, dass es sich um eine grundlegende Neuordnung des systematischen Verständnisses zwischen Insolvenz- und Gesellschaftsrecht handelt und die Gesellschafter vollständig als Beteiligte in die Abwicklung des Insolvenzverfahrens einbezogen werden, wenn auch zwangsweise. Dementsprechend ergeht sich der Gesetzgeber auch nicht in Detailregelungen, sondern ordnet die dem Insolvenzplanverfahren eigene Dispositions- und Gestaltungsfreiheit ganz grundsätzlich auch für das Gesellschaftsrecht an. Dies anerkennend, empfiehlt auch die Evaluationskommission,57) dass die Bedeutung gesellschaftsrechtlicher Anforderungen an Planmaßnahmen in § 225a Abs. 3 InsO zugunsten des Insolvenzrechts und somit die Verdrängungswirkung des Insolvenzrechts i. S. eines Verdrängungsbereichs II klargestellt werden sollte. Dies ist vor allem deshalb richtig, weil die Auswahl und die Gestaltung der gebotenen Sanierungsmaßnahmen durch das Sanierungsziel vorgegeben werden und das Korsett einer Beschränkung der Gestaltungsmöglichkeiten durch eine Begrenzung des gesellschaftsrechtlichen Könnens durch ein gesellschaftsrechtliches Dürfen den mit der Schaffung der §§ 217 Abs. 1 Satz 2, 225a InsO verfolgten Zielen zuwiderliefe. Der Rahmen wird allein durch den gesellschaftsrechtlichen numerus clausus und i. Ü. durch das Insolvenzrecht bestimmt. 2.

Reichweite im Einzelnen

2.1

Entscheidungsbefugnisse im Schuldnerbereich

21 War hinsichtlich der Kompetenzverteilung zwischen dem Insolvenzverwalter und den Gesellschaftsorganen vor Inkrafttreten des ESUG differenziert worden zwischen dem Verdrängungsbereich, in dem der Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach § 80 InsO auf den Insolvenzverwalter Vorrang vor sämtlichen Entscheidungskompetenzen der Gesellschaftsorgane genießt, dem Schuldnerbereich, der das insolvenzfreie Vermögen und die Innenorganisation der Gesellschaft betrifft und in dem die Gesellschaftsorgane ihre Kompetenzen behalten, sowie dem Überschneidungsbereich, in dem zwar der Schuldnerbereich betroffen ist, sich aber doch nachteilige Auswirkungen auf die Insolvenzmasse ergeben können und in dem die Gesellschaftsorgane und der Insolvenzverwalter deshalb zusammenwirken müssen sollen,58) so ist insoweit eine grundlegende Neuordnung für das Insolvenzplanverfahren erforderlich geworden. 22 Während es für Entscheidungen im insolvenzfreien Bereich, also insbesondere dann, wenn vom Insolvenzverwalter aus dem Insolvenzbeschlag freigegebene Gegenstände betroffen sind,59) bei der alleinigen Entscheidungskompetenz der Gesellschaftsorgane verbleibt, wird insbesondere der das Eigenkapital betreffende Bereich und die Innenorganisation der Gesellschaft bis hin zur Satzungskompetenz im Insolvenzplanverfahren nicht mehr dem insolvenzfreien Schuldnerbereich zugeordnet. Die Aussage, dass den Organen und Anteilseignern von Korporationen Umstrukturierungen im Insolvenzplanverfahren nicht aufgenötigt wer___________ 57) Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung), S. 182, abrufbar unter https://www.bmjv.de/ SharedDocs/Downloads/DE/News/Artikel/101018_Gesamtbericht_Evaluierung_ESUG.pdf (Abrufdatum: 14.2.2023). 58) Grundlegend dazu bereits Weber, KTS 1970, 73, 77 ff.; vgl. auch OLG Köln v. 11.7.2001 – 2 Wx 13/01, ZIP 2001, 1553; BayObLG v. 17.3.2004 – 3Z BR 46/04, ZIP 2004, 1426 = DNotZ 2004, 881; grundlegend auch noch einmal H. F. Müller, ZGR 2004, 842 ff. 59) Dazu Vuia in: MünchKomm-InsO, § 80 Rz. 112a; Hirte in: Uhlenbruck, InsO, § 11 Rz. 122.

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Anteilsinhaber, Eingriff in Anteilsrechte

den können,60) ist rechtstatsächlich überholt. Der Insolvenzverwalter bzw. die am Insolvenzverfahren Beteiligten haben nunmehr Einfluss auch auf rein verbandsinterne Vorgänge, die noch keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Insolvenzmasse haben, wozu z. B. Satzungsänderungen insbesondere zur Durchführung von Kapitalerhöhungen, Kapitalherabsetzungen und ähnlich nunmehr von § 225a InsO erfasste Maßnahmen gehören.61) Ein Bezug der im Insolvenzplan vorgesehenen gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen zur Gläubigerbefriedigung, zum insolvenzrechtlichen Restrukturierungsvorhaben oder zu den Sanierungsmaßnahmen ist nicht erforderlich.62) Diese können auch allein aus Anlass und bei Gelegenheit der insolvenzplangestützten Restrukturierung vorgesehen und umgesetzt werden. Die von Weber63) begründete Verdrängungslehre hat, soweit sie zwischen Eigenkapital 23 (Schuldnerbereich) und Fremdkapital (Verdrängungsbereich) bzw. zwischen Massezugehörigkeit und Einflussnahme auf die Insolvenzmasse und insolvenzfreiem Bereich unterscheidet, im Insolvenzplanverfahren keinen bestimmenden Einfluss mehr. Mit der Verzahnung des Insolvenzrechts mit dem Gesellschaftsrecht hat sich der Gesetzgeber von der Einbeziehung nur massezugehöriger Rechte in das Insolvenzverfahren distanziert. Wenn und soweit der Gesetzgeber anordnet, dass eine jede gesellschaftsrechtlich zulässige Maßnahme im Insolvenzplan vorgesehen werden kann, so stellt er damit zugleich klar, dass eine unmittelbare Masseauswirkung dieser Maßnahme für ihre Zulässigkeit nicht erforderlich ist.64) Im Gegenteil: In der Gesetzesbegründung zu der grundlegenden Vorschrift des § 217 InsO kommt klar zum Ausdruck, dass die Einbeziehung der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte ausdrücklich der Umgehung von bislang gegebenen Blockademöglichkeiten und Mitnahmeeffekten durch die Alt-Gesellschafter dienen soll. Darüber hinaus stellt die Gesetzesbegründung heraus, dass die Grenze zwischen Eigenkapital und Fremdkapital, zwischen Beteiligung an einer Gesellschaft und Forderung gegen eine Gesellschaft in der jüngeren Entwicklung fließend ist.65) Damit bricht der Gesetzgeber in diesem Bereich ausdrücklich mit den überkommenen Grundsätzen der Kompetenzzuweisung. Ein Grund, warum diese grundsätzliche Neuordnung des Verhältnisses des Insolvenzrechts 24 zum Gesellschaftsrecht sich auf den finanzwirtschaftlichen Bereich, also auf eigenkapitalrelevante Maßnahmen beschränken sollte, ist weder erkennbar noch kommt er in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck. Vielmehr liegt der durch das ESUG vorgenommenen Neuordnung ein Paradigmenwechsel zugrunde, den es auf das gesamte Recht der Kompetenzkollisionen auszudehnen gilt. Dementsprechend sind dem Regelungsbereich des Insolvenzplanverfahrens auch solche Maßnahmen, die keinen unmittelbaren Einfluss auf die Finanzverfassung der Gesellschaft haben und zuvor ausschließlich dem Schuldnerbereich zuzuordnen waren, nicht entzogen. Hierzu können beispielhaft aufgezählt gehören: 

Abberufung und Bestellung von Organmitgliedern;



Widerruf und Erteilung von Prokura und Handlungsvollmacht;

___________ 60) Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 28.42b. 61) Vgl. zur alten Rechtslage H. F. Müller, ZGR 2004, 842, 847 ff. 62) Hölzle, ZIP 2014, 1819 – m. Hinweis auf BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14 (Suhrkamp), ZIP 2014, 1442, dazu EWiR 2014, 521 (Madaus). 63) Weber, KTS 1970, 73, 77 ff. 64) In der Gesetzesbegründung (Begr. RegE z. Nr. 17 ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 32) heißt es dazu: „Absatz 3 ermöglicht es, die gesellschaftsrechtlichen Strukturen des Schuldners auch außerhalb eines Debt Equity Swap grundlegend umzugestalten und sie den Bedürfnissen des Insolvenzplanverfahrens anzupassen. Die Rechte der am Schuldner beteiligten Personen werden dabei hinreichend gewahrt, da sie nach § 222 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 des Entwurfs eine eigene Gruppe bei der Abstimmung über den Plan bilden, sofern ihre Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte in den Plan einbezogen worden sind.“ 65) Begr. RegE z. Nr. 14 ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 30.

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satzungsändernde Beschlüsse in Bezug auf die Finanzverfassung der Gesellschaft wie auf Gesellschaftszweck, Sitz, Firma etc.;



Feststellung von Jahresabschlüssen;



Teilung, Zusammenlegung sowie Einziehung von Geschäftsanteilen;



Umwandlungsvorgänge (siehe Rz. 59);



Maßregeln zur Prüfung und Überwachung der Geschäftsführung bis hin zur Aufstellung einer Geschäftsordnung.

25 Zusammenfassend bedeutet dies, dass der gesamte, z. B. nach § 46 GmbHG dem Aufgabenkreis der Gesellschafter zugewiesene Kompetenzkatalog, auch soweit er nicht bereits durch Zugehörigkeit zum Verdrängungsbereich der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters unterliegt, Gegenstand einer Regelung im Insolvenzplan sein kann. 26 Im Klartext führt dies dazu, dass zwischen zwei verschiedenen Verdrängungsbereichen zu differenzieren ist. Außerhalb des Insolvenzplanverfahrens bleibt es bei der überkommenen Verdrängungslehre. Durch die Gestaltungsfreiheit im Insolvenzplanverfahren (§§ 217 Abs. 1 Satz 2, 225a InsO) wird der Verdrängungsbereich zulasten des Schuldnerbereichs deutlich ausgedehnt und entsteht ein „Verdrängungsbereich II“,66) der zuvor den schuldnerischen Organen vorbehaltene Kompetenzen zwar nicht dem Insolvenzverwalter (§ 80 InsO), wohl aber der über den Insolvenzplan beschließenden Beteiligtenversammlung (Gläubiger und am Schuldner beteiligte Personen) zuweist. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers liegt die Rechtfertigung für die Schaffung dieses „Verdrängungsbereichs II“ in der Beteiligung auch der Anteilseigner an der Abstimmung über den Insolvenzplan.67) Mit denselben Erwägungen rechtfertigt der Gesetzgeber auch die Einbeziehung der Gesellschafter in den Anwendungsbereich eines Restrukturierungsplans nach StaRUG und hält auch dort verfassungsrechtliche Bedenken nicht für angezeigt.68) 2.2

Die Notwendigkeit des Eingriffs in die Anteilsrechte vor dem Hintergrund der Absolute Priority Rule des § 245 Abs. 2 InsO

27 Der Gesetzgeber hat die absolute Vorrangregel des § 245 Abs. 1 Nr. 2 InsO in Bezug auf die Position der Gesellschafter im Insolvenzverfahren einerseits durch die Neufassung von Absatz 2 Nr. 2, andererseits durch die Ergänzung des § 245 Abs. 2 um die Sätze 2 und 3 neu gefasst und klargestellt, dass der Sanierungs- und Fortführungsmehrwert, der durch den Insolvenzplan realisiert wird, nicht entschädigungslos beim Schuldner belassen werden darf. Der Schuldner ist vielmehr verpflichtet, diesen Fortführungsmehrwert, d. h. die (künftige) Aufwertung des Eigenkapitals auszugleichen, anderenfalls das Obstruktionsverbot nach § 245 Abs. 1 InsO wegen Verstoßes gegen die Absolute Priority Rule keine Anwendung findet.69) 28 Hierin kommt das klare Bekenntnis des Gesetzgebers zum Ausdruck, dass die Beteiligung der Anteilseigner an dem Schuldner im Grundsatz in den Insolvenzplan einzubeziehen und eine „Verschonung“ der Gesellschafter bzw. deren Anteilsrechte nur gegen Ausgleich des Sanierungsmehrwerts zulässig ist. Sieht der Insolvenzplan in seiner Architektur die Bildung einer Gruppe für die Anteilseigner nach § 222 Abs. 2 Nr. 4 InsO nicht vor, so bedarf dies ___________ 66) Mit dieser Terminologie nunmehr auch Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 182, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/News/Artikel/101018_Gesamtbericht_Evaluierung_ESUG.pdf (Abrufdatum: 14.2.2023). 67) Begr. RegE z. Nr. 14 ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 30. 68) Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 113. 69) Ebenso Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, §§ 217, 223a u. a., 225a, 245 InsO Rz. 35.

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daher grundsätzlich der besonderen Erläuterung. Prima Vista ist in diesem Fall davon auszugehen, dass das Obstruktionsverbot auf einen solchen Plan keine Anwendung finden kann, fehlt es an eben dieser besonderen Rechtfertigung für die Nichteinbeziehung der Anteilseigner. Durch § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO bringt der Gesetzgeber deutlich zum Ausdruck, dass ein 29 Eingriff in die Rechte der Insolvenzgläubiger nur dann gerechtfertigt ist, wenn nicht gleichzeitig der Sanierungsmehrwert dem Gesellschafter kompensationslos verbleibt und diesem durch entschädigungsloses Behaltendürfen seiner Beteiligung jedenfalls anteilig zugewiesen wird. Der Sanierungs- und Fortführungsmehrwert steht den Gläubigern des Schuldners zu, weshalb dieser nicht beim Gesellschafter allokiert werden darf bzw. der Plan entsprechende wirtschaftliche Vorsorge in Form einer Ausgleichszahlung für den Fall treffen muss, dass die Alt-Gesellschafter beteiligt bleiben sollen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist nur dann ohne Verstoß gegen die Absolut Prio- 30 rity Rule des § 245 Abs. 2 InsO möglich, wenn die Mitwirkung der an dem Schuldner beteiligten Person an der konzeptbedingten Fortführung des Unternehmens infolge besonderer, in seiner Person liegenden Umstände unerlässlich ist, um den Planwert zu verwirklichen. Seine Beiträge dürfen nicht durch eine andere Person substituiert war oder keine andere Person darf zur Substitution bereit oder in der Lage sein.70) Nicht nur aus der Gesetzesbegründung, sondern auch aus dem Charakter der Norm als Aus- 31 nahmevorschrift folgt das Gebot einer strengen und restriktiven Auslegung. Die Rechtfertigung für die gesetzlich geforderte Unerlässlichkeit der Beteiligung des Anteilseigners an dem fortzuführenden Unternehmen aus in seiner Person liegenden Gründen muss sich aus objektiven, sachlich prüfbaren Kriterien ergeben. Dies können z. B. besondere Sach- und Fachkenntnisse, wie besondere Ausbildung, Zertifizierung, personengebundene Erlaubnisse etc. sein, die sich kurzfristig nicht ersetzen lassen, weil Zertifizierungsprozesse in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht durchgeführt oder abgeschlossen werden können oder schlicht übernahmebereite Dritte mit entsprechender fachlicher Qualifikation am Markt nicht verfügbar sind. Gerade aber das aus der Praxis bekannte und beliebte (Schein-)Argument, nur der betreffende Anteilseigner verfüge über die nötigen Kundenkontakte, das nötige Kundenvertrauen und die erforderlichen Beziehungen, weshalb ohne ihn eine massive Abwanderung der Kunden zu besorgen sein würde, verfängt grundsätzlich nicht. Erstens handelt es sich um ein nicht nachprüfbares Kriterium, zweitens ist dies ein Risiko, das der Investor alleine zu tragen und i. R. seiner Investitionsentscheidung einzupreisen hat. Die Entscheidung, ob in Umsetzung eines Sanierungskonzepts die Besorgnis einer Kundenabwanderung in Kauf genommen wird, ist eine Abwägungsentscheidung allein der betroffenen Gläubiger. Sie rechtfertigt aber nicht die Allokation des Sanierungsmehrwerts beim Anteilseigner während gleichzeitig in die Rechte der Gläubiger (signifikant) eingegriffen wird. 2.3

Abgrenzung von Gesellschafterrechten und Gesellschafterforderungen

Mit der Feststellung, dass der Verdrängungsbereich II eine jede gesellschaftsrechtlich zu- 32 lässige Maßnahme erfasst, ohne dass es eines Massebezuges bedürfte, ist noch nichts darüber gesagt, welche Rechte der Gesellschafter damit im gegenständlich-sachlichen Anwendungsbereich erfasst sind.71) ___________ 70) Ebenso und mit Hinweis auf Begr. RegE SanInsFoG z. StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 130, Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, §§ 25 – 28 StaRUG Rz. 34. 71) Wie hier insgesamt Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, §§ 217, 225a InsO Rz. 29 ff.

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33 Die Anteilseigener einer Gesellschaft treten dieser häufig in verschiedenster Funktion gegenüber, nämlich in Ausübung ihrer mit dem Anteil verbundenen Rechte einerseits, als Gläubiger andererseits. Letzteres nicht nur wegen z. B. der Gesellschaft gewährten Darlehen oder Sicherheiten, sondern auch wegen Forderungen aus Aufwandserstattung (z. B. § 110 HGB), Miete etc. Für die Anwendbarkeit der auf Rechte der Gesellschafter bezogenen Regelungen des Insolvenzplans ist deshalb vorab festzustellen, welche Gesellschafterrechte hiervon erfasst sind und wegen welcher Rechte die Gesellschafter nur als nachrangige Insolvenzgläubiger (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) zu berücksichtigen sind. 34 Die Abgrenzung danach, ob der Anspruch causa societatis oder causa mutui entstanden ist,72) ist hierfür ungeeignet, da z. B. Abfindungsansprüche ausgeschiedener Gesellschafter oder auch Aufwendungsersatzansprüche nicht in der Gruppe der Anteilsinhaber,73) sondern bei den nicht nachrangigen (§ 38 InsO) oder den nachrangigen (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) Gläubigern zu berücksichtigen sind. Hinzu kommt, dass z. B. auch Gesellschafterdarlehen infolge der bereits durch das MoMiG74) im Jahr 2007 vollzogenen Reform des Eigenkapitalersatzrechts im Falle der Insolvenz als typisiert gesellschaftsrechtlich subordiniert behandelt werden. Dies ist nur auf der Grundlage einer gesellschaftsrechtlichen causa möglich,75) was aber nicht zur Folge haben kann, dass mit der gesellschaftsrechtlichen Qualifizierung der Ansprüche die Wertung des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO unterlaufen wird und die Ansprüche in der Plangruppe der Anteilseigner nach § 222 Abs. 1 Nr. 4 InsO einzuordnen wären. 35 Richtiges Abgrenzungskriterium ist daher, worauf Spliedt76) zu Recht hinweist, das gesellschaftsrechtliche Abspaltungsverbot:77) Von § 225a InsO sind nur diejenigen Rechtspositionen erfasst, die von der Mitgliedschaft nicht getrennt werden können. Was abgespalten werden kann, ist in einer gesonderten Gläubigergruppe zu regeln, soweit Eingriffe erfolgen sollen. 2.4

„ABC“ zulässiger Gestaltungsmaßnahmen78)

36 Die Aufzählung der im Insolvenzplan möglichen gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen in § 225a Abs. 3 InsO ist nicht abschließend. Eine umfassende Aufzählung der dem Verdrängungsbereich II zuzuordnenden Maßnahmen ist auch nicht möglich.79) 37 Das Insolvenzrecht überlagert das Gesellschaftsrecht mit § 225a InsO vollständig. Eine gesellschaftsrechtliche Beschlusskontrolle auf Grundlage von Stimmbindungen, gesellschaftsrechtlicher Treuepflicht, Gleichbehandlung oder sonst wichtigen Gründen ist ausgeschlossen und wird ausschließlich durch das insolvenzrechtliche Instrumentarium zur Beschlusskontrolle (§§ 245, 251, 253 InsO) ersetzt.80) § 225a InsO enthält daher keine Verweisung auf das Gesellschaftsrecht als Rechtsgrundverweisung, die eine jeweils gesellschaftsrechtliche Zulässigkeitsprüfung, insbesondere auch unter Berücksichtigung z. B. gesellschaftsrecht___________ So Madaus, ZIP 2010, 1214, 1216, 1220. Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 19. Zu den insolvenzrechtlichen Auswirkungen ausführlich Hölzle, GmbHR 2007, 729 ff. Vgl. Hölzle, ZIP 2009, 1939; Hölzle, ZIP 2010, 913; Hölzle, ZIP 2011, 650. Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 19. Vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 19 III 4. Das „ABC“ zulässiger Gestaltungsmaßnahmen entstammt der weitgehend inhaltsgleichen Darstellung bei Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, §§ 217, 225a Rz. 33 ff. 79) So wohl auch Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rz. 233 ff. 80) Vgl. OLG Frankfurt/M. v. 1.10.2013 – 5 U 145/13 (Suhrkamp), ZIP 2013, 2018, dazu EWiR 2013, 753 (Bähr/Schwartz); ebenso Hölzle, EWiR 2013, 589; Haas, NZG 2012, 961, 965; Spliedt, GmbHR 2012, 462, 466; Hirte/Knof/Mock, DB 2011, 632, 638; K. Schmidt, BB 2011, 1603 ff.

72) 73) 74) 75) 76) 77) 78)

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licher Minderheitsrechte, voraussetzen würde,81) sondern vielmehr lediglich einen Verweis auf den gesellschaftsrechtlichen numerus clausus, der auch im Insolvenzplanverfahren nicht unterlaufen werden darf, i. Ü. aber der umfassenden Regelung durch den Insolvenzplan unter ausschließlich geltendem Insolvenzverfahrensrecht zugänglich ist, da der gesellschaftsrechtliche Prüfungsmaßstab insoweit vollständig von den Planvorschriften überlagert wird.82) Zu den regelmäßig in einem das schuldnerische Unternehmen auch auf gesellschaftsrecht- 38 licher Seite restrukturierenden Insolvenzplan erforderlichen Maßnahmen gehören insbesondere die nachfolgenden, wobei auch diese Aufzählung nicht abschließend ist: 

Anteilsübertragung/-abtretung (Schuldner): Der Insolvenzplan kann vorsehen, dass 39 einzelne oder sämtliche Gesellschafter ihre Geschäftsanteile an dem Schuldner anteilig oder vollständig an Dritte abtreten,83) seien es Gläubiger (unechter Debt Equity Swap), Investoren oder sonstige Dritte. Die Zustimmung der Alt-Anteilsinhaber dazu ist nicht erforderlich. Die Rechte der Alt-Gesellschafter sollen auch insoweit durch deren Beteiligung an der Abstimmung über den Insolvenzplan hinreichend gewahrt sein. Dabei ist zu beachten, dass eine Ersetzung der Zustimmung der Gruppe der Anteilsinhaber (§ 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 InsO) nur möglich ist, wenn alle Anteilsinhaber verhältnismäßig gleich gezwungen werden, Anteile zu übertragen, da anderenfalls das Gleichbehandlungsgebot (§ 226 InsO) und die Besserstellung einzelner Gesellschafter der Anwendung des Obstruktionsverbotes nach § 245 Abs. 3 Nr. 2 InsO der Anteilsübertragung entgegenstünden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die unterschiedliche Behandlung auch außerhalb des Insolvenzverfahrens gesellschaftsrechtlich zulässig wäre und wegen § 226 InsO für die Gesellschafter unterschiedliche Beteiligungsgruppen im Planverfahren gebildet werden.84) Die nötigen Erklärungen der Alt-Gesellschafter gelten mit der Bestätigung des Insolvenzplans als in der dafür erforderlichen Form abgegeben (§ 254a Abs. 1 InsO); und zwar auch dann, wenn der betreffende Gesellschafter dem Plan nicht zugestimmt hat. Sollen die Anteile der Alt-Gesellschafter nur anteilig übertragen werden, so kann der Insolvenzplan vorher die Neuordnung, Teilung oder Zusammenlegung von Geschäftsanteilen im Wege einer Satzungsänderung vorsehen und sodann die durch Teilung oder Zusammenlegung neu geschaffenen Anteile übertragen. Auch insoweit gilt die nötige Form nach § 254a Abs. 1 InsO als gewahrt. Auch wegen der zwangsweisen Abtretung von Geschäftsanteilen gilt, dass der Insolvenzplan zwar vorsehen kann, dass hierfür eine Abfindung gezahlt wird (§ 225a Abs. 2 Satz 3 Alt. 5 InsO), eine solche aber grundsätzlich nicht vorsehen muss. Vielmehr geht der Gesetzgeber davon aus, dass wegen der grundsätzlichen Wertlosigkeit der Anteile nach dem Maßstab des § 199 Satz 2 InsO eine Entschädigung im Regelfall nicht zu zahlen ist.85)

___________ 81) So aber H. F. Müller, KTS 2012, 419, 441 f.; Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 125; Madaus, ZIP 2012, 2133; Hirte in: Uhlenbruck, InsO, § 225a Rz. 40 f.; vermittelnd Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 35, wonach zwingendes Gesellschaftsrecht beachtlich sei, eine inhaltliche Prüfung etwa der Minderheitenschutzrechte aber nicht stattfinde; wieder anders Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 225a Rz. 76, nach welchem grundsätzlich zwingende gesellschaftsrechtliche Vorschriften zu beachten seien, diese aber insoweit aufgeweicht werden dürften, wie es in der InsO selbst angelegt sei. 82) Wie hier Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rz. 233 f.; Rühle/Ober in: Nerlich/ Römermann, InsO, § 225a Rz. 47; LG Berlin v. 20.10.2014 – 51 T 696/14, ZIP 2014, 2197, Rz. 25, dazu EWiR 2015, 23 (Leib/Rendels); Decher/Voland, ZIP 2013, 103, 106; Haas, NZG 2012, 961, 965; Hölzle, ZIP 2014, 1819, 1821; Klausmann, NZG 2015, 1300, 1303. 83) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 32 – Grundlegende Umgestaltung der gesellschaftsrechtlichen Strukturen auch außerhalb eines Debt Equity Swap. 84) Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 35. 85) Vgl. z. B. Bauer/Dimmling, NZI 2011, 517, 518.

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2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

Fühlen sich die Gesellschafter durch die entschädigungslose Zwangsabtretung benachteiligt und halten sie ihre vermögensmäßigen Ansprüche im Verhältnis zur Regelabwicklung im Liquidationsverfahren für nicht hinreichend gewahrt, so können sie entsprechende Entschädigungsansprüche grundsätzlich nur außerhalb des Insolvenzplanverfahrens geltend machen (§ 251 Abs. 3 Satz 2. InsO) und die Umsetzung des Plans und damit den mit seiner Bestätigung wirksam werdenden Vollzug der Abtretung jedoch grundsätzlich nicht verhindern. 40 

Anteilsübertragung/-abtretung (Tochtergesellschaften): Die Möglichkeit, Anteilsübertragungen vorzusehen, bezieht sich nicht allein auf die Anteile an der schuldnerischen Gesellschaft, sondern auch auf Anteile an Tochtergesellschaften des Schuldners.86) Einer solchen Klarstellung hätte es indes nicht bedurft, da es sich dabei um eine Verwertungshandlung in Bezug auf das schuldnerische Vermögen handelt, die auch bereits vor Inkrafttreten des ESUG möglich war.

41 

Ausschluss von Gesellschaftern: Der Plan kann auch den Ausschluss von Gesellschaftern vorsehen. Dies kann durch Einziehung des Geschäftsanteils ebenso erfolgen wie durch eine Kapitalherabsetzung auf null mit anschließender Kapitalerhöhung unter Ausschluss des Bezugsrechts (vgl. § 225a Abs. 2 Satz 3 InsO).87) Dass den Alt-Gesellschaftern keine Beteiligungsoption an der nachfolgenden Kapitalerhöhung in Gestalt der Gewährung eines Bezugsrechts einzuräumen ist, folgt bereits daraus, dass es keinen Unterschied machen kann, ob die Anteile durch Abtretung auf einen Dritten übertragen werden oder im Wege einer Kapitalherabsetzung auf Null mit anschließender Kapitalerhöhung unter Ausschluss des Bezugsrechts für die Alt-Gesellschafter88) untergehen. Eine besondere Begründung für die Regelung eines Bezugsrechtsausschlusses ist im Insolvenzplan nicht erforderlich. Bei dem allgemeinen Begründungserfordernis, das grundsätzlich Voraussetzung für die Eintragungsfähigkeit der gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen in das Handelsregister ist, handelt es sich um eine rein gesellschaftsrechtliche Anforderung, die insolvenzrechtlich überlagert wird, weil § 225a Abs. 3 InsO die Umsetzungsfähigkeit gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen voraussetzungslos anordnet. Um jedoch Verzögerungen bei der Eintragung der im Insolvenzplan geregelten gesellschaftsrechtliche Maßnahmen infolge von Rückfragen des Handelsregisters zu vermeiden, empfiehlt es sich, den Plan im Vorfeld mit dem Handelsregister abzustimmen und jedenfalls eine rudimentäre Begründung im Plan vorzunehmen. Der Bezugsrechtsausschluss begegnet auch keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, soweit er Bestandteil des Sanierungskonzepts des eintrittswilligen Investors ist und für die Gläubiger eine gleichwertige Alternative nicht unmittelbar umsetzbar ist, unter der etwaig beteiligungswillige und auch leistungsfähige Alt-Gesellschafter in der Gesellschaft belassen werden können89) (siehe Rz. 13).

Aufsichtsrat (in der GmbH)/Beirat: Nach § 52 Abs. 1 GmbHG kann auch für die GmbH durch Anordnung in der Satzung ein Aufsichtsrat bestellt werden, für den die Vorschriften des AktG weitgehend entsprechend gelten. Unterhalb dieser Schwelle kann die Satzung für die interne Willensbildung auch die Schaffung eines Beirats vorsehen, ___________

42 

86) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 32; Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 225a Rz. 48 f. 87) Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 225a Rz. 16; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 14, 39; a. A. Häfele, Die Treuepflicht der Aktionäre bei der vorinsolvenzlichen Sanierung durch einen Debt Equity Swap, S. 139 f. 88) Vgl. zum Ablauf BGH v. 5.7.1999 – II ZR 126/98, BGHZ 142, 167, 169 f. = ZIP 1999, 1444. 89) Vgl. K. Schmidt, ZIP 2012, 2085, 2088; Madaus, ZGR 2011, 749, 761 f.; Urlaub, ZIP 2011, 1040, 1044; Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 125 f.; H. F. Müller, KTS 2012, 419, 441 f.; Hölzle, KTS 2011, 291, 321 f., welche die verfassungsrechtlichen Bedenken, wie auch noch in der Vorauflage vertreten, etwas strenger beurteilen.

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§ 26

Anteilsinhaber, Eingriff in Anteilsrechte

der formal kein Organ der Gesellschaft, aber satzungsgemäß in die interne Willensbildung einzubeziehen ist. Beteiligen sich i. R. einer insolvenzrechtlichen Restrukturierung Gläubiger an dem Unternehmen, sei es im Wege eines Debt Equity Swap, sei es durch Anteilsübertragung oder auf sonstige Weise, können diese Gläubiger ein großes Interesse daran haben, auch auf die operative Geschäftsführung gesteigerten Einfluss auszuüben. Im Insolvenzplan kann demgemäß durch Satzungsänderung die Schaffung eines Aufsichtsrats oder die Installation eines Beirats ohne weiteres vorgesehen werden. 

Debt Equity Swap: siehe dazu90) sogleich Rz. 62 ff.



Feststellung von Jahresabschlüssen: Während für die Aufstellung des Jahresabschlusses 44 ohnehin der Insolvenzverwalter zuständig ist (§ 155 InsO), ist über § 225a Abs. 3 InsO auch die Fassung des Feststellungsbeschlusses im Insolvenzplan möglich.



Firma: Die Firma der Gesellschaft ist Gegenstand der Regelung der Satzung (vgl. z. B. 45 § 3 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG). Die Änderung der Firma ist daher eine Satzungsänderung. Satzungsänderungen (siehe Rz. 56) fallen in den Anwendungsbereich des § 225a Abs. 3 InsO, weshalb auch die Änderung der Firma Gegenstand einer Regelung im Insolvenzplan sein kann.



Fortsetzungsbeschluss: Personen- ebenso wie Kapitalgesellschaften gelten als mit der 46 Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöst (§ 131 Abs. 1 HGB; § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG; § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG; § 101 GenG); sie werden kraft des Eröffnungsbeschlusses zur Liquidationsgesellschaft. Soll der Geschäftsbetrieb fortgesetzt und das restrukturierte Unternehmen saniert werden, ist ein Fortsetzungsbeschluss erforderlich, durch den die Gesellschaft wieder zu einer werbenden Gesellschaft wird. Dieser Umstand begründete vor Inkrafttreten des ESUG erhebliches Obstruktionspotential für die Alt-Gesellschafter, weil diese den Fortsetzungsbeschluss schlicht verweigern konnten. Da der Insolvenzplan insoweit gemäß § 249 InsO unter die Bedingung eines wirksamen Fortsetzungsbeschlusses zu stellen war, konnte der Plan ohne Mitwirkung der Gesellschafter nicht bestätigt werden. Dem hat das ESUG durch die Einführung des § 225a Abs. 3 InsO und der Formfiktion des § 254a Abs. 1 InsO abgeholfen. Der Fortsetzungsbeschluss kann im Insolvenzplan (form)wirksam gefasst werden.



Geschäftsanteil (Abtretung und Einziehung): siehe Rz. 39.



Geschäftsanteil (Teilung, Zusammenlegung): Auch die Teilung und Zusammenlegung 48 von Geschäftsanteilen ist durch Festsetzung im Insolvenzplan möglich. Die Form gilt nach § 254a Abs. 1 InsO als gewahrt. Zu Einzelheiten siehe Rz. 39.



Geschäftsführer (Abberufung, Neubestellung): siehe Rz. 54.



Geschäftsordnung: Der Insolvenzplan kann ebenso vorsehen, dass für die Organe des 50 Schuldners eine Geschäftsordnung erlassen wird. Dies kann insbesondere im Zusammenhang mit einem Debt Equity Swap Sinn machen, wenn die Gläubiger ihren Einfluss über einen bestehenden oder zu installierenden Beirat auch im Tagesgeschäft sichern und Zustimmungserfordernisse für die Geschäftsführung im Innenverhältnis festschreiben wollen; siehe auch Rz. 42.



Grundlagengeschäfte: siehe Rz. 56.

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Kaduzierung: Der Insolvenzplan kann auch die Kaduzierung (§ 21 GmbHG) von Ge- 52 schäftsanteilen vorsehen, wenn einzelne Gesellschafter ihrer Verpflichtung zur Leistung der Stammeinlage nicht oder nicht vollständig nachgekommen sind. Dies kann insbesondere wegen der weiteren Rechtsfolgen der Haftung von Rechtsvorgängern (§ 22 GmbHG) oder der Mithaft der übrigen Gesellschafter für die rückständige Stammeinlage ___________



90) Vgl. auch Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, §§ 217, 225a InsO Rz. 63 ff.

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2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

(§ 24 GmbHG) von praktischem Nutzen sein. Der Fristsetzung gegenüber dem säumigen Gesellschafter nach § 21 Abs. 1 GmbHG bedarf es nicht. Die Frist soll den säumigen Gesellschafter vor dem vorschnellen Ausschluss aus der Gesellschaft schützen und ihn in die Lage versetzen, diesen durch fristgerechte Leistung der säumigen Einlage abzuwenden. Eine Abwendungsbefugnis für den Verlust des Geschäftsanteils gibt es im Insolvenzplanverfahren aber ohnehin nicht, da der Plan nach § 225a Abs. 3 InsO die Einziehung des Geschäftsanteils jedenfalls vorsehen kann. Wo die mit der Frist zu eröffnende und bezweckte Abwendungsbefugnis aber ins Leere läuft, ist auch die Frist entbehrlich. Der Nachteil für den säumigen Gesellschafter liegt einzig darin, dass das aus seiner Säumnis folgende Recht zu seiner vom Regelgesellschafter abweichenden Behandlung auch die Rechtfertigung für die Herausnahme aus der Gruppe der übrigen Gesellschafter und für die Einordnung in eine eigene Gruppe liefert (§ 222 Abs. 1 InsO). Da es im Insolvenzplanverfahren jedoch nur ein Gleichbehandlungsgebot innerhalb der jeweiligen Gruppe (§ 226 Abs. 1 InsO), nicht aber ein allgemeines, gruppenübergreifendes Gleichbehandlungsgebot gibt,91) eröffnet die Säumnis mit der Stammeinlage eine Ungleichbehandlung dieses Gesellschafters gegenüber den übrigen Gesellschaftern. Eine Überprüfung findet dann erst i. R. des Obstruktionsverbots (§ 245 Abs. 2 Nr. 3 InsO) statt. Im Übrigen hat der säumige Gesellschafter ausreichend Gelegenheit, auf eine abweichende Behandlung im Plan zu reagieren. Der Insolvenzplan ist nach § 234 InsO auf der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts niederzulegen. Nach § 235 Abs. 2 InsO wird die Bestimmung des Erörterungs- und Abstimmungstermins öffentlich bekannt gemacht und dabei darauf hingewiesen, dass der Plan auf der Geschäftsstelle eingesehen werden kann. Die Änderung des Plans und der Gruppeneinteilung ist im Abstimmungstermin noch möglich, § 240 InsO, weshalb der säumige Gesellschafter seine auf die Säumnis zurückgehende abweichende Behandlung mit ausreichender Frist durch Zahlung vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin auch im Insolvenzverfahren abwenden kann. 53 

Nachschüsse: Soweit die Satzung des Schuldners Nachschusspflichten auch grundsätzlich beschränkt haftender Gesellschafter92) vorsieht, kann ein zu deren Anforderung nötiger Gesellschafterbeschluss im Insolvenzplan gefasst werden. Auf satzungsgemäße Mehrheitserfordernisse kommt es nicht an (vgl. § 238a Abs. 1 Satz 2 InsO).

54 

Organe: In dem Insolvenzplan kann auch die Abberufung und Neubestellung von Organen, soweit gesellschaftsrechtlich zulässig, vorgesehen werden. Fiel in die Zuständigkeit des Insolvenzverwalters früher ausschließlich das Recht, Anstellungsverträge mit Organen zu beenden, nicht aber das Recht, Organe abzuberufen oder zu bestellen bzw. solche Änderungen zum Handelsregister anzumelden, so ist diese Kompetenz nunmehr vom Verdrängungsbereich II, also von der verdrängenden Kompetenzzuweisung an die Beteiligtenversammlung, die über den Insolvenzplan abstimmt, ohne weiteres gedeckt. Mit der Bestätigung des Insolvenzplans werden die im Plan vorgesehene Abberufung eines Organs und eine etwaig gleichzeitige Neubestellung wirksam. Die Anmeldung zum Handelsregister kann der Insolvenzverwalter vornehmen (§ 254a Abs. 2 InsO). Die gesellschaftsrechtliche Abberufung hat keinen Einfluss auf den bestehenden Dienstvertrag mit dem Organ. Da dieser auch von § 116 InsO nicht erfasst wird,93) muss der Insolvenzverwalter eine Kündigung nach § 113 Satz 1 InsO in der Höchstfrist von drei Monaten (§ 113 Satz 2 InsO) aussprechen. Die Bezüge bis zum Auslauf der Kündigungs-

___________ 91) Vgl. Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 226 Rz. 1. 92) Vgl. z. B. §§ 27 f. GmbHG; für PersG: BGH v. 9.2.2009 – II ZR 231/07, ZIP 2009, 864 = MDR 2009, 702; für Genossenschaft: BGH v. 13.10.2008 – II ZR 229/07, ZIP 2008, 2261 = WuM 2008, 736. 93) OLG Hamm v. 29.3.2000 – 8 U 156/99, ZInsO 2001, 43 = NZI 2001, 75; Ahrendt in: HambKomm-InsO, § 116 Rz. 6.

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§ 26

Anteilsinhaber, Eingriff in Anteilsrechte

frist sind Masseverbindlichkeiten, Ersatzansprüche wegen der vorzeitigen Beendigung gegenüber einer Mindestvertragslaufzeit sind gemäß § 113 Satz 3 InsO Insolvenzforderung im Rang des § 38 InsO bei einem Fremdgeschäftsführer und im Rang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO bei einem Gesellschafter-Geschäftsführer (vgl. § 39 Abs. 5 InsO). 

Prokura: Die Erteilung von Prokura ist keine gesellschaftsrechtliche Maßnahme, son- 55 dern ein Akt der Geschäftsführung. Bei der Prokura i. S der §§ 49 ff. HGB handelt es sich um eine rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht mit gesetzlich bestimmtem Umfang. Maßnahmen der Geschäftsführung sind allerdings von § 225a Abs. 3 InsO nicht erfasst, weshalb die Einräumung von Prokura i. R. des Insolvenzplans nicht wirksam möglich ist.



Satzungsänderung: Unabhängig von gesellschaftsvertraglichen Mehrheitserfordernissen 56 (vgl. § 238a InsO), Sonderstimmrechten o. Ä. sind i. R. des Insolvenzplans auch Satzungsänderungen jeder Art möglich. Eine inhaltliche Begrenzung des Katalogs möglicher Satzungsänderungen gibt es nicht. Insbesondere ist, wie einleitend erläutert, ein Massebezug für die Satzungsänderung nicht erforderlich. Auch Grundlagengeschäfte94) sind hiervon nicht ausgenommen. Die Grenzen der Satzungsfreiheit für Zuständigkeitsverlagerungen (vgl. z. B. § 45 GmbHG), die bei einer die Gesellschafterversammlung bis zur Bedeutungslosigkeit aushöhlenden Selbstentmündigung grundsätzlich überschritten ist und den individuellen Kernbereich der Gesellschafterversammlung schützen soll,95) gelten hier in Ansehung der Stimmrechtsausübung gerade nicht. Das Gesellschaftsrecht wird insoweit vom Insolvenzrecht überlagert. Selbstverständlich ist aber, da der Rahmen des Zulässigen durch die gesellschaftsrechtliche Zulässigkeit bestimmt wird, auch der Insolvenzplan nicht in der inhaltlichen Gestaltung der Satzung frei ist. Diese muss den gesellschaftsrechtlichen Anforderungen an die Grenzen der Satzungsfreiheit genügen. Andererseits folgt aus der nur inhaltlichen Bindung an das Gesellschaftsrecht, dass für die Beschlussfassung über die Satzung auch gesellschaftsrechtliche Mehrheitserfordernisse und Quoren außer Betracht bleiben. Die Regularien der Abstimmung, das Erreichen nötiger Quoren und die Frage der Wirksamkeit eines Beschlusses richten sich ausschließlich nach Insolvenzrecht, hier insbesondere nach §§ 245, 251, 253 InsO.96)



Teilung von Geschäftsanteilen: siehe Rz. 48.



Treuepflicht, gesellschaftsrechtliche: Der Fall „Suhrkamp“ hat die Diskussion aufge- 58 worfen, ob die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht in das Insolvenzverfahren fortwirkt und das Stimmverhalten der Gesellschafter innerhalb ihrer Plangruppe zu beeinflussen vermag. Eine höchstrichterliche Klärung steht nach wie vor aus. Die wohl h. A.97) geht derzeit aber – zu Recht – davon aus, dass die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht im Insolvenz-, jedenfalls im Insolvenzplanverfahren unbeachtlich ist und keinen Einfluss auf das Stimmverhalten, die Gruppenbildung oder etwaig erforderliche Mehrheitsquoten hat und haben kann.98) Wie andernorts ausgeführt,99) dient das Insolvenzverfahren als

57

___________ 94) K. Schmidt in: Scholz, GmbHG, § 46 Rz. 2, 4, 178 ff. 95) K. Schmidt in: Scholz, GmbHG, § 46 Rz. 10. 96) So auch OLG Frankfurt/M. v. 1.10.2013 – 5 U 145/13 (Suhrkamp), ZIP 2013, 2018, dazu EWiR 2013, 753 (Bähr/Schwartz). 97) OLG Frankfurt/M. v. 1.10.2013 – 5 U 145/13 (Suhrkamp), ZIP 2013, 2018, dazu EWiR 2013, 753 (Bähr/Schwartz); Haas, NZG 2012, 961, 965; Thole, ZIP 2013, 1937 ff.; Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rz. 283; Hölzle, EWiR 2013, 589; Lang/Muschalle, NZI 2013, 953; Pape, ZInsO 2013, 2129, 2136; Wertenbruch, ZIP 2013, 1693, 1700; Eidenmüller, NJW 2014, 17, 18; wohl auch Brinkmann, ZIP 2014, 197, 201. 98) Dagegen Schäfer, ZIP 2013, 2237; H. F. Müller, DB 2014, 41, 44; diff., nämlich für ein Fortbestehen der Treuepflicht allerdings mit inhaltlicher Beschränkung Spliedt, ZInsO 2013, 2155; Stöber, ZInsO 2013, 2457, 2463; Meyer, ZInsO 2013, 2361, 2367. 99) Hölzle, ZIP 2013, 1846.

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2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

Korrelat der Haftungsbeschränkung in erster Linie den Interessen der Gläubiger. Es ist daher vornehmlich auf deren Befriedigung ausgerichtet und folgt damit einem wertbezogenen Schutzzweck.100) Mit diesem an den Gläubigerinteressen ausgerichteten Schutzzweck ist es nicht vereinbar, dass den Gesellschaftern mit ihren im Grundsatz nachrangigen Forderungen (§ 199 Satz 2, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) über die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht vorrangige Einflussnahmemöglichkeiten eingeräumt werden, die sich auf das Befriedigungsergebnis der Gläubiger insgesamt auswirken können. Wie in § 238a InsO unzweifelhaft zum Ausdruck kommt, erschöpft sich das Beteiligungsrecht der Gesellschafter im Verhältnis zu den übrigen Gläubigern ebenso wie im Verhältnis untereinander in dem an der Höhe der Beteiligung am statutarischen Kapital ausgerichteten Stimmrecht.101) Jede andere Auffassung würde außerdem zu unpraktikablen Ergebnissen führen, da das Insolvenzgericht dann gehalten wäre, in dem Erörterungs- und Abstimmungstermin über den Insolvenzplan (§ 235 InsO) auch Fragen der Stimmrechtsbefugnisse am Maßstab der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht zu prüfen. Damit aber kann das Insolvenz(plan)verfahren nicht belastet werden, da die Pflicht zu einer solchen Prüfung auch die Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach sich ziehen müsste, was den Planvollzug ins Ungewisse verlagern könnte. Gerade die Erhöhung der Planungssicherheit aber war eines der vorrangigen Ziele des ESUG-Gesetzgebers, das auch bei der Nichtberücksichtigung von gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten Beachtung finden muss. 59 

Umwandlung: Obwohl in der Literatur auch bereits vor Einführung des ESUG diskutiert,102) hat der Gesetzgeber auch das SanInsFoG nicht genutzt, das Umwandlungsrecht in § 225a InsO gesondert aufzugreifen.103) Das bedeutet jedoch nicht, dass umwandlungsrechtliche Maßnahmen i. R. eines Insolvenzplans ausgeschlossen blieben. Im Gegenteil: Neben Verschmelzung und Formwechsel kann sich vor allem die Ausgliederung als sinnvolle und vorteilhafte Alternative zum Asset Deal erweisen104) und ist ebenfalls von der Ausweitung des Verdrängungsbereichs erfasst. Dass der Insolvenzplan auch eine Umwandlung als gesellschaftsrechtliche Maßnahme unabhängig von der Beschlussfassung in einer Gesellschafterversammlung grundsätzlich vorsehen kann, steht damit außer Zweifel105) und ist zwischenzeitlich auch in der Rechtsprechung anerkannt.106) Soweit durch die Umwandlung Nachteile für einzelne, mehrere oder alle Gesellschafter entstehen, ist bei der Prüfung, ob es sich i. S. der §§ 251, 253 InsO um einen beachtlichen Nachteil handelt, große Sorgfalt auf die Bildung des hypothetischen Vergleichsszenarios zu legen, da die Alternative zum Insolvenzplan mit Umwandlung nicht ein anderer Insolvenzplan, sondern allein die Liquidation ist.107) Auch die umwandlungsrechtlich der Beteiligung von insolventen Rechtsträgern entgegengebrachten Bedenken greifen bei einer Umwandlung i. R. eines Insolvenzplans nicht durch, wenn und soweit die insolvente Gesellschaft durch den Plan uno actu bilanziell saniert und deren Fortsetzung

___________ 100) Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rz. 283. 101) Hölzle, EWiR 2013, 589 (Urteilsanm.). 102) Vgl. z. B. Hölzle, FR 2006, 447; Brinkmann, WM 2011, 97, 102; Drouven, ZIP 2009, 1052; Wallner, ZInsO 2010, 1419. 103) Vgl. schon Madaus, ZIP 2012, 2133, 2135 ff. 104) Dazu Hölzle/Kahlert, ZIP 2017, 510; Kahlert/Gehrke, DStR 2013, 975. 105) Vgl. z. B. Simon/Brünkmans, ZIP 2014, 657; Madaus, ZIP 2012, 2133; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 45 f. 106) OLG Bremen v. 2.5.2016 – 2 W 23/16, ZIP 2016, 1480. 107) Dazu ausführlich Hölzle, ZIP 2014, 1819 – m. entsprechender Kritik an BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14 (Suhrkamp), ZIP 2014, 1442, dazu EWiR 2014, 521 (Madaus).

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§ 26

Anteilsinhaber, Eingriff in Anteilsrechte

beschlossen wird.108) Auch die Ausgliederung als Alternative zum Asset-Deal ist dank § 225a Abs. 3 InsO möglich.109) Sie war vorrangige Gestaltungsalternative, solange die steuerlichen Folgen einer Insolvenzplan gestützten Sanierung infolge des Fortfalls des Sanierungserlasses ungeklärt waren (siehe unten Rz. 107 ff.).110) Haftungsrechtliche Bedenken im Zusammenhang mit einer insolvenzplangestützten Umwandlung insbesondere aus § 133 UmwG sind nicht angezeigt, da § 133 UmwG, ähnlich wie § 25 HGB, auf eine im Insolvenzplanverfahren vollzogene Umwandlung keine Anwendung findet.111) 

Versammlung (Gesellschafter- oder Hauptversammlung): Die Durchführung einer 60 Gesellschafter- oder Hauptversammlung zur Fassung gesetzlich vorgeschriebener Beschlüsse (z. B. Feststellung des Jahresabschlusses; siehe Rz. 44) ist entbehrlich, da sämtliche Beschlüsse der Gesellschafterversammlung im Insolvenzplan nach § 254a Abs. 1 InsO formwirksam substituiert werden können. An die Stelle der Gesellschafter- bzw. Hauptversammlung tritt im Insolvenzverfahren die Beteiligtenversammlung nach §§ 235 ff. InsO.



WpÜG: Handelt es sich bei dem Schuldner um eine börsennotierte AG (Börsennotie- 61 rung erfordert eine Notierung im geregelten Markt; die Notierung im Freiverkehr reicht nicht aus), so würden grundsätzlich auch bei einer Anteilsübertragung i. R. eines Insolvenzplanverfahrens die Regularien des WpÜG gelten. Erlangt ein Gläubiger z. B. i. R. eines Debt Equity Swap mindestens 30 % der Stimmrechte an dem Schuldner und erwirbt er somit i. S. des § 29 Abs. 2 WpÜG die Kontrolle über das Unternehmen, so wäre er grundsätzlich verpflichtet, den übrigen Aktionären ein Übernahmeangebot zu unterbreiten. Der Gesetzgeber hat es versäumt, die Vorschriften des Insolvenzplanverfahrens mit denen des WpÜG zu verzahnen. Das WpÜG dient dem Schutz der Kleinaktionäre, das Insolvenzverfahren dem Schutz der gesamten Gläubigerschaft. Die Interessen des Eigenkapitals treten im Insolvenzverfahren allerdings notwendigerweise hinter den Interessen des Fremdkapitals zurück, wie sich eindeutig aus § 39 Abs. 1 Nr. 5, §§ 44a, 199 InsO ergibt. Der Minderheitenschutz im Insolvenzplanverfahren wird überdies durch §§ 251, 253 InsO abschließend112) geregelt. Der Schutzzweck des WpÜG muss daher hinter den insoweit vorrangigen Schutzzielen des Insolvenz- und des Insolvenzplanverfahrens zurücktreten. Für die Anwendung des WpÜG verbleibt daher kein Raum.113) Äußerst vorsorglich ist der Planverfasser jedoch gehalten, im Falle der Tatbestandserfüllung einen Antrag auf Befreiung von der Angebotspflicht nach § 37 WpÜG zu stellen.

IV.

Sonderfall: Debt Equity Swap

1.

Debt Equity Swap als Gestaltungsmittel und als Maßnahme der Sanierung vor ESUG

Der Debt Equity Swap ist keine Erfindung des ESUG. Zwar fehlt es in Bezug auf § 225a 62 Abs. 2 Satz 1 InsO, der die Zulässigkeit der Umwandlung von Forderungen von Gläubigern in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte am Schuldner ausdrücklich vorsieht, an einer Vorgängerregelung, jedoch war der Debt Equity Swap selbstverständlich auch vor Einführung ___________ Madaus, ZIP 2012, 2133, 2135 ff. Dazu Kahlert/Gehrke, DStR 2013, 975; Simon/Brünkmans, ZIP 2014, 657. Ausführlich Hölzle/Kahlert, ZIP 2017, 510. Ausführlich Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, §§ 217, 223a u. a., 225a, 245 InsO Rz. 68 ff. Vgl. OLG Frankfurt/M. v. 1.10.2013 – 5 U 145/13 (Suhrkamp), ZIP 2013, 2018, dazu EWiR 2013, 753 (Bähr/Schwartz). 113) Im Ergebnis so auch Bauer/Dimmling, NZI 2011, 517, 519; Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 225a Rz. 47.

108) 109) 110) 111) 112)

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§ 26

2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

dieser mehr klarstellenden Klausel als Sanierungsmittel bekannt und als Gestaltungsinstrument i. R. eines Insolvenzplanverfahrens grundsätzlich möglich.114) Das ESUG hat jedoch mit der Aufnahme der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte einschließlich des Debt Equity Swap in den „Verdrängungsbereich II“ (siehe oben Rz. 26) und damit in den förmlichen Gestaltungsbereich des Insolvenzplanverfahrens zunächst einmal zwei wesentliche Risiken des Debt Equity Swap als Gestaltungsmittel beseitigt. Die Blockademacht der Alt-Gesellschafter115) ist einerseits durch deren Einbeziehung als Gläubigergruppe, die dem Obstruktionsverbot des § 245 InsO unterliegt, und andererseits durch die Möglichkeit des Bezugsrechtsausschlusses nach § 225a Abs. 2 Satz 3 Alt. 4 InsO ausgeschlossen. Andererseits besteht das vor 2012 überbordende Risiko der Differenzhaftung im Falle eines Scheiterns der Sanierung nach der Neufassung des § 254 Abs. 4 InsO nicht mehr, wonach Ansprüche der Gesellschaft wegen einer Überbewertung der in Eigenkapital umzuwandelnden Forderungen später grundsätzlich nicht mehr geltend gemacht werden können.116) Obwohl der Debt Equity Swap auch nach Inkrafttreten des ESUG von geringer praktischer Relevanz geblieben ist, hat der Gesetzgeber in § 67 Abs. 5 StaRUG einen entsprechenden Haftungsausschluss ebenfalls vorgesehen. 63 Allerdings ist der Debt Equity Swap vor Inkrafttreten des ESUG überwiegend als Instrument der außer- bzw. vorinsolvenzlichen Sanierung diskutiert worden.117) Hierbei bot er sich insbesondere für ungesicherte Gläubiger an, weil dem Risiko des Totalausfalls eine überproportionale Gewinnchance in der Rolle als künftiger Gesellschafter einerseits gegenüberstand und andererseits das Risiko, den durch etwaige Sicherheiten repräsentierten Wert zu verlieren, nicht besteht, wo gesicherte Gläubiger durch den Debt Equity Swap ihre Sicherheiten einbüßen, weil mit Wegfall der Gläubigerforderung infolge des Akzessorietätsprinzips auch die Sicherheit untergeht.118) Da ein zu Sanierungszwecken durchzuführender Debt Equity Swap in der Regel nicht aus dem genehmigten Kapital erfolgen konnte, das seit dem MoMiG mit § 55a GmbHG auch für die GmbH möglich ist,119) weil dieses maximal i. H. von 50 % des Grund- bzw. Stammkapitals gewährt werden kann, war zur Durchführung des Debt Equity Swap die mehrheitliche (mindestens 75 %) Zustimmung der Alt-Gesellschafter erforderlich. Zwar konnte die Zustimmungspflicht von Minderheitsgesellschaftern grundsätzlich aus der Girmes-Rechtsprechung hergeleitet werden,120) jedoch hatte die Anfechtungsklage eines Alt-Gesellschafters, auch wenn im Ergebnis erfolglos, zunächst eine Registersperre zur Folge. Eine solche Registersperre war jedoch geeignet, den Erfolg der Sanierung nachhaltig zu vereiteln. Jedenfalls i. R. von Insolvenzplanverfahren war die praktische Bedeutung von Debt Equity Swaps daher gering. 64 Die Vorstellung des ESUG-Gesetzgebers, dass sich dies mit den vorgesehenen Änderungen grundlegend ändern und auch der Debt Equity Swap zu einem adäquaten Sanierungsinstrument in der Insolvenz werde, hat sich in einigen Großverfahren bestätigt;121) die Evalua-

___________ 114) 115) 116) 117) 118) 119) 120) 121)

782

Vgl. z. B. K. Schmidt in: K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH, Teil 1 I., Rz. 372 ff. Vgl. z. B. Eidenmüller, ZIP 2010, 649. Vgl. z. B. Bauer/Dimmling, NZI 2011, 517, 519. M. Schmidt/Schlitt, Der Konzern 2009, 279; Oelke/Wöhlert/Degen, BB 2010, 299; Drouven/Nobiling, DB 2009, 1895. Vgl. z. B. Schlitt/Ries in: Theiselmann, Praxishdb. Restrukturierungsrecht, Kap. 9 Rz. 10. Dazu i. E. Schnorbus/Donner, NZG 2009, 1241. Vgl. BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136 = ZIP 1995, 819; Priester, ZIP 2010, 497 (im Detail zu der weitergehenden Rspr. des BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, BGHZ 183, 1 = ZIP 2009, 2289). Pleister, GWR 2013, 220; zum Fall „Pfleiderer“ Decher/Voland, ZIP 2013, 103.

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§ 26

Anteilsinhaber, Eingriff in Anteilsrechte

tion des ESUG122) hat aber ebenso zutage gefördert, dass die praktische Bedeutung des Debt Equity Swap insbesondere im Verhältnis zu anderen gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen nach wie vor gering ist. 2.

Ablauf eines Debt Equity Swap

In der Regel erfolgt, da der Debt Equity Swap als Sanierungsmittel zunächst eine Buch- 65 sanierung voraussetzt, im ersten Schritt eine Kapitalherabsetzung – im Insolvenzfall im Regelfall auf Null –, die regelmäßig im vereinfachten Verfahren nach §§ 58a ff. GmbHG durchgeführt wird.123) Im Anschluss wird eine Kapitalerhöhung beschlossen (Kapitalschnitt). Die Kapitalerhöhung erfolgt als Sachkapitalerhöhung durch Einbringung der in Eigenkapital 66 umzuwandelnden Forderungen der Gläubiger (zur Notwendigkeit der Aufbringung des Mindeststammkapitals als Barkapitalerhöhung siehe unten Rz. 77).124) Die Einbringung der Gläubigerforderung geschieht rechtstechnisch entweder im Wege des Verzichts (§ 387 BGB) oder durch Abtretung der Forderung an die Gesellschaft mit der Rechtsfolge des Erlöschens der Forderung durch Konfusion.125) Dass sich die Forderung gegen die Gesellschaft selbst richtet, hindert ihre Einlagefähigkeit nicht.126) Vor dem Inkrafttreten des MoMiG (2008) waren eigenkapitalersetzende Forderungen 67 i. S. der §§ 32a, 32b GmbHG (bis einschließlich 31.10.2008) nicht einlagefähig.127) Daran ist für Gesellschafterforderungen i. S. des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO festzuhalten.128) Es ist nämlich zu vergegenwärtigen, dass eine Beteiligung auch der Alt-Gesellschafter an der einer Kapitalherabsetzung nachfolgenden Kapitalerhöhung i. R. eines Verfahrens nach § 225a Abs. 2 InsO zu einem insolvenzrechtlichen Wertungswiderspruch führen würde. Während nämlich Drittgläubiger ihre Forderungen zum Nennwert (vgl. dazu sogleich) umwandeln können und hierfür Gesellschaftsanteile erhalten, können die Alt-Gesellschafter mit ihren i. S. des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nachrangigen Forderungen i. R. des Debt Equity Swap nicht gleichrangig behandelt werden. Dies ist unabhängig davon, dass seit Inkrafttreten des MoMiG Forderungen aus einem Gesellschafterdarlehen nach der Rechtsprechung des BGH nicht mehr in der Durchsetzung blockiert, sondern eben nur nachrangig sind.129) Die insolvenzrechtliche Rangordnung stellt nämlich nicht auf die Durchsetzbarkeit der Forderung ab, sondern regelt die Befriedigungsreihenfolge. Aus diesem Grunde ist eine wertkongruente Behandlung nicht nachrangiger und nachrangiger Insolvenzforderungen mit der Nominale ausgeschlossen. Hieran ändert sich auch dann nichts, wenn man entgegen der hier vertretenen Ansicht die Einbringung nur i. H. des Teilwerts (also regelmäßig der ___________ 122) Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 165 abrufbar unter https://www.bmjv.de/ SharedDocs/Downloads/DE/News/Artikel/101018_Gesamtbericht_Evaluierung_ESUG.pdf (Abrufdatum: 14.2.2023). 123) Vgl. Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541; zum Kapitalschnitt i. A. Arnold/Spahlinger/Maske-Reiche in: Theiselmann, Praxishdb. Restrukturierungsrecht, Kap. 1 Rz. 236 ff. 124) Dass es sich hierbei um eine Sachkapitalerhöhung handelt, entspricht ständiger Rspr., vgl. BGH v. 15.1.1990 – II ZR 164/88, BGHZ 110, 47, 60 = ZIP 1990, 156, dazu EWiR 1990, 223 (Lutter); BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 341 f. = ZIP 1991, 511, dazu EWiR 1991, 1213 (Frey); BGH v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 93 f. = ZIP 1992, 995; BGH v. 21.2.1994 – II ZR 60/93, BGHZ 125, 141 = ZIP 1994, 701, dazu EWiR 1994, 467 (v. Gerkan); BGH v. 16.1.2006 – II ZR 76/04, ZIP 2006, 665, dazu EWiR 2006, 523 (Kleinschmidt/Hoos). Ausführlich zu den möglichen Gestaltungen Löbbe in: Liber Amicorum M. Winter, 2011, S. 423, 430 ff. 125) Ausführlich Cahn/Simon/Theiselmann, CFL 2010, 238. 126) BGH v. 15.1.1990 – II ZR 164/88, BGHZ 110, 47, 60 = ZIP 1990, 156, dazu EWiR 1990, 223 (Lutter). 127) Vgl. Fastrich in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 5 Rz. 28, dort Rz. 95. 128) A. A. Leitzen in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, § 5 Rz. 93 f.; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 21; K. Schmidt, ZGR 2012, 566, 580 f. 129) BGH v. 26.1.2009 – II ZR 217/07, BGHZ 179, 285 = ZIP 2009, 662.

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Quotenerwartung) und nicht der Nominale zulässt (siehe hierzu sogleich Rz. 83 ff.). Da nämlich auf die nachrangigen Insolvenzforderungen im Rang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO regelmäßig überhaupt keine Quote entfällt, könnten diese Forderungen nur mit einem Einbringungswert von Null belegt werden, was ihre Einlagefähigkeit ausschließt.130) Ob die Einlagefähigkeit einer Forderung aus Gesellschafterdarlehen aber bereits aus formalen oder erst aus materiellen Gründen ausscheidet, ist für die Praxis gleichgültig. Sie ist jedenfalls nicht möglich. 68 Die Beteiligung der Alt-Gesellschafter an einem Debt Equity Swap i. R. eines Insolvenzplanverfahrens ist daher ausgeschlossen. Den Alt-Gesellschaftern kann jedoch unter engen Voraussetzungen die Beteiligung an der Kapitalerhöhung durch Bareinlage aus dem Gesichtspunkt des Schutzes der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte aus Art. 14 Abs. 1 GG zu ermöglichen sein (siehe oben Rz. 13). 69 Neben den Regelungen im gestaltenden Teil des Insolvenzplans, die unter einem gesonderten Abschnitt zusammengefasst werden sollten, bedarf es außer der beglaubigten Anmeldung der Kapitalmaßnahmen zum Handelsregister durch den Insolvenzverwalter (§ 254a Abs. 2 Satz 3 InsO) keiner weiteren Formerfordernisse. Insbesondere ist die notarielle Beurkundung des Insolvenzplans bzw. der gesellschaftsrechtlichen Erklärungen nicht erforderlich. Den im Insolvenzplan enthaltenen gesellschaftsrechtlichen Erklärungen ist lediglich der Beschluss über die Fortsetzung der Gesellschaft, der ebenfalls im gestaltenden Teil des Insolvenzplans gefasst werden kann (§ 225a Abs. 3 InsO), voranzustellen. 3.

Zustimmungserfordernis der betroffenen Gläubiger

70 Noch im Diskussionsentwurf zum ESUG vom 29.6.2010 war eine Änderung des § 230 InsO vorgesehen, wonach dem § 230 Abs. 2 InsO der Satz angefügt werden sollte: „Die Zustimmung des Gläubigers, der keine persönliche Haftung übernehmen soll, gilt als erteilt, wenn 1. der Insolvenzverwalter oder der Schuldner ihm die geplante Maßnahme schriftlich erläutert und ihn dabei aufgefordert hat, binnen einer Frist von mindestens 2 Wochen seine Zustimmung zu erklären, und 2. der Gläubiger innerhalb der Frist nicht schriftlich geantwortet hat, obwohl er bei der Aufforderung auf die Rechtsfolge eines solchen Verhaltens hingewiesen worden ist.“ 71 Im Referentenentwurf vom 25.1.2011 und im Regierungsentwurf vom 23.2.2011 war eine entsprechende Änderung des § 230 InsO dann nicht mehr vorgesehen. Die Möglichkeit der Zustimmungsersetzung ist schließlich auch nicht Gesetz geworden. Grund hierfür waren dem Vernehmen nach nicht nur erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, einen Gläubiger zwangsweise in die Gesellschafterrolle drängen zu können, sondern auch massive Widerstände von Seiten der institutionellen öffentlich-rechtlichen Gläubiger, allen voran der Finanzverwaltung und der Sozialversicherungsträger, die sich nicht der Notwendigkeit ausgesetzt sehen wollten, künftig regelmäßig auf entsprechende Hinweisschreiben eines Insolvenzverwalters reagieren zu müssen, um sich nicht in der Gesellschafterrolle wiederzufinden. Der Organisationsaufwand, den jeweils fristgerechten Widerspruch zu gewährleisten, schien zu groß, als dass eine entsprechende Regelung hätte toleriert werden können. 72 Die sodann Gesetz gewordenen Regelungen sehen daher eine Möglichkeit des cram down, anders als es z. B. das englische Vorbild tut, nicht vor. Es verbleibt damit in Fällen, in denen gerade eine Vielzahl kleiner Forderungen von Anleihegläubigern in die finanzwirtschaftliche Restrukturierung einbezogen werden soll, bei einem Akkordstörpotenzial durch die be___________ 130) Im Ergebnis ebenso Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 21.

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troffenen Gläubiger.131) Auch im deutschen Recht wäre eine Regelung zur zwangsweisen Durchsetzung des Debt Equity Swap bei Vorliegen eines entsprechenden Abstimmungsquorums (75 %) zu begrüßen gewesen.132) Die Übertragbarkeit der Girmes-Rechtsprechung, in der aus gesellschaftsrechtlichen Treue- 73 pflichten die Zustimmungsverpflichtung zu einer Sanierungsmaßnahme auch mit gesellschaftsrechtlicher Auswirkung hergeleitet wurde,133) auf eine Zustimmungspflicht von Gläubigern zu einer entsprechenden Maßnahme dürfte zweifelhaft sein. Einzig denkbare Rechtsgrundlage für eine Zustimmungspflicht wäre § 241 Abs. 2 BGB, aus dem sich jedoch eine schuldvertragliche Nebenpflicht zur Zustimmung zu einem Debt Equity Swap nur im Ausnahmefall wird herleiten lassen. Einen solchen Ausnahmefall könnte z. B. die Insolvenzforderung des stillen Gesellschafters nach § 236 Abs. 1 HGB darstellen, da sich der stille Gesellschafter mit seiner Verlustbeteiligung bereits in eine gesellschafterähnliche Stellung begeben hat, was eine erweiterte Verpflichtung zur Beteiligung an der Sanierung und ggf. die Übertragbarkeit der für eine oHG bereits ergangenen Rechtsprechung134) nach sich ziehen könnte und im Geiste des ESUG auch nach sich ziehen sollte.135) 4.

Anrechnungsbetrag und Haftung

4.1

Notwendigkeit einer Haftungsbegrenzung

Nach GmbH-Recht ist eine Unterpari-Emission, also die Ausgabe von Gesellschaftsanteilen 74 im Wege der (Sach-)Kapitalerhöhung zu einem Wert oberhalb des Werts des eingelegten Vermögensgegenstands, unzulässig136) und führt nach (dennoch erfolgter) Eintragung der Kapitalerhöhung (jedenfalls) zu Differenzhaftungsansprüchen der Gesellschaft gegen ihre(n) Gesellschafter, § 19 GmbHG.137) Dies hat der BGH mit Beschluss vom 22.3.2010138) für die verdeckte (gemischte) Sacheinlage noch einmal eindrucksvoll bestätigt: Zu § 19 Abs. 4 GmbHG in der seit dem 1.11.2008 (MoMiG) geltenden Fassung führt er aus, dass auf den Teil der Gegenleistung der Gesellschaft, der den Nominalbetrag der Bareinlage übersteigt, §§ 30, 31 GmbHG Anwendung finden können, wenn im Zeitpunkt der verdeckten gemischten Sachkapitalerhöhung eine Unterbilanz bestand oder die Gesellschaft sogar bilanziell überschuldet war. Dabei geht der BGH davon aus, dass die verdeckte Sacheinlage von dem Versuch der Um- 75 gehung der Kapitalaufbringungsregeln gekennzeichnet ist.139) Bei einer Unterpari-Emission scheint ein solcher Versuch ebenfalls auf der Hand zu liegen, wenn sehenden Auges ein Anrechnungsbetrag oberhalb des Teilwerts festgesetzt wird. Im Rahmen einer Kapitalerhöhung ___________ 131) Gerade eine solche Gestaltung lag dem Fall der Deutschen Nickelwerke AG zugrunde, die ihren Sitz nach England verlegt hat, um einen Debt Equity Swap für Anleihegläubiger zwangsweise durchsetzen zu können (vgl. dazu Eidenmüller, Finanzkrise, Wirtschaftskrise und das Deutsche Insolvenzrecht, S. 8; Paulus, DB 2008, 2523 f.; Weller, ZGR 2008, 835). 132) So auch Bork, ZIP 2010, 397, 409 ff.; Hölzle, KTS 2011, 291, 323. 133) Vgl. BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136 = ZIP 1995, 819. Im Nachgang weitergehend BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, BGHZ 183, 1 = ZIP 2009, 2289; dazu Priester, ZIP 2010, 497. 134) BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, BGHZ 183, 1 = ZIP 2009, 2289; dazu Priester, ZIP 2010, 497. 135) Zur Einbeziehung der stillen Gesellschafter in den Anwendungsbereich der Regeln über die Gesellschafterfremdfinanzierung (§ 39 Abs. 1 Nr. 5, § 135 InsO), soweit es sich um atypische stille Beteiligungen handelt, vgl. OLG Köln v. 27.10.2011 – I-18 U 34/11, ZIP 2011, 2208, dazu EWiR 2012, 27 (Hölzle). 136) BGH v. 14.3.1977 – II ZR 156/75, BGHZ 68, 191, 195 = NJW 1977, 1196; Schwandtner in: MünchKommGmbHG, § 5 Rz. 49. 137) Winter/Westermann in: Scholz, GmbHG, § 5 Rz. 34; Ulmer/Casper in: Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, § 5 Rz. 176. 138) BGH v. 22.3.2010 – II ZR 12/08, ZIP 2010, 978, dazu EWiR 2010, 421 (Wenzel). 139) Vgl. BGH v. 20.11.2006 – II ZR 176/05 (Warenlager), BGHZ 170, 47 = ZIP 2007, 178.

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besteht der Zweck der Kapitalaufbringungsregeln darüber hinaus nicht allein darin, sicherzustellen, dass der Wert der eingebrachten Sachen oder Forderungen den Wert der dafür gewährten Kapitalbeteiligung (bilanziell) abdeckt;140) vielmehr zielt die Kapitalerhöhung gerade (auch) – über den Erhalt des gebundenen Kapitals hinaus – auf eine effektive Mehrung des Gesellschaftsvermögens;141) jedenfalls erweckt sie diesen (berechtigten) Eindruck bei den beteiligten Verkehrskreisen. Und um deren Schutz geht es, da Kapitalaufbringungsschutz nun einmal zu allererst Gläubigerschutz ist.142) 76 Um den Debt Equity Swap im Insolvenzplanverfahren dennoch praktikabel zu machen, hat der Gesetzgeber das Einlage- und Differenzhaftungsrisiko für die Neugesellschafter regeln müssen, da sich anderenfalls keine Verbesserung gegenüber dem bereits zuvor möglichen (freiwilligen) Debt Equity Swap143) eingestellt hätte, für den es an einem solchen Haftungsprivileg gerade fehlt,144) was regelmäßig prohibitive Wirkung hatte. Diesem Anspruch an ein praxistaugliches Rechtsinstitut hat der Gesetzgeber mit der Regelung in § 254 Abs. 4 InsO Rechnung tragen wollen, wonach im Anschluss an die Bestätigung des Insolvenzplans Ansprüche gegen die Gesellschafter wegen einer Überbewertung der eingebrachten Forderungen nicht geltend gemacht werden können. Mit dem Ausschluss allein von Differenzhaftungsansprüchen hat der Gesetzgeber noch keine Entscheidung über die zulässige Höhe des Anrechnungsbetrags und eine etwaige Beschränkung auf den Teilwert getroffen. 4.2

Aufbringung des Mindestnennkapitals durch Bareinlage?

77 Wird der Debt Equity Swap im Verfahren der erleichterten Kapitalherabsetzung nach §§ 58a ff. GmbHG bzw. §§ 229 ff. AktG durchgeführt, so ist in der Literatur bislang weitgehend unbeachtet geblieben, dass eine Kapitalherabsetzung unter das Mindeststamm- bzw. -grundkapital kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung in § 58a Abs. 4 Satz 1 GmbHG bzw. in § 229 Abs. 3 AktG i. V. m. § 228 Abs. 1 AktG grundsätzlich nur i. V. m. einer Barkapitalerhöhung zulässig ist.145) Da die Einlage von Forderungen aber Sacheinlage ist, wäre eine vereinfachte Kapitalherabsetzung mit anschließender Kapitalerhöhung ausschließlich im Wege des Swap nicht möglich, sondern es müsste zwingend eine gemischte Bar-/Sachkapitalerhöhung erfolgen. Jedenfalls das Mindeststamm- bzw. Mindestgrundkapital ist nämlich grundsätzlich in bar aufzubringen. Ein etwaig überschießender Kapitalerhöhungsbetrag kann sodann durch Sacheinlage,146) also unproblematisch auch im Swap aufgebracht werden. 78 Der Gesetzgeber hat im Zuge der Eröffnung des Debt Equity Swap im Insolvenzplanverfahren offensichtlich übersehen, dass jedenfalls für diesen besonderen Fall der Sachkapitalerhöhung eine Befreiung von § 58a Abs. 4 Satz 1 GmbHG, § 228 Abs. 1 AktG sinnvoll und ___________ 140) Priester in: FS Maier-Reimer, 2010, S. 525, 533 ff., will das allerdings grundsätzlich genügen lassen und die Lösung i. Ü. nicht über die Kapitalaufbringung, sondern über die Anwendung der Kapitalerhaltungsvorschriften herstellen. 141) So instruktiv Kleindiek, ZGR 2011, 334, 346. 142) Fleischer in: MünchKomm-GmbHG, Einl. Rz. 136. 143) Die Möglichkeit der Einbringung von Forderungen des Inferenten gegen die Gesellschaft im Wege der Sacheinlage entspricht einhelliger Meinung, vgl. stellvertretend BGH v. 18.9.2000 – II ZR 365/98, ZIP 2000, 2021, dazu EWiR 2001, 325 (Rawert). 144) Nach der Rspr. des BGH ist auch bei einem Debt Equity Swap – wie bei der Einbringung einer Forderung gegen Dritte – der objektive Wert der einzubringenden Forderung maßgeblich für die Höhe des Anrechnungsbetrags und im Falle der Überschuldung der Gesellschaft ein entsprechender Wertabschlag vorzunehmen, vgl. BGH v. 15.1.1990 – II ZR 164/88, BGHZ 110, 47 = ZIP 1990, 156; BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335 = ZIP 1991, 511, dazu EWiR 1991, 1213 (Frey). 145) Zum Ganzen wie hier Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, §§ 217, 223a u. a., 225a, 245 Rz. 70 ff. 146) Vgl. Priester in: Scholz, GmbHG, § 58a Rz. 40; Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 228 Rz. 7 f.

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nötig gewesen wäre. Jedenfalls lässt sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen, dass dem Ausschluss einer ausschließlichen Wiederherstellung auch der Mindestkapitaleinlage durch Debt Equity Swap eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers zugrunde liegt. § 58a Abs. 4 Satz 1 GmbHG, § 228 Abs. 1 AktG dienen dem Gläubigerschutz. Durch die 79 Vorschriften soll sichergestellt werden, dass das gesetzlich vorgeschriebene Mindestkapital nicht durch stets mit Bewertungsrisiken behaftete Sacheinlagen aufgebracht und damit die Gefahr begründet wird, dass der reale Wert der Einlage das Mindestkapital unterschreitet. Außerhalb eines Insolvenzverfahrens ist dieser Gläubigerschutz gerechtfertigt und zwingend zu berücksichtigen. Ob dem aber auch im Insolvenz(plan)verfahren Geltung zukommt, darf bezweifelt werden. Der Schutz der Alt-Gläubiger vollzieht sich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens in der insolvenzrechtlichen Verteilungsordnung. Durch den Debt Equity Swap werden die daran nicht teilnehmenden Alt-Gläubiger zudem wirtschaftlich begünstigt, weil die swappenden Gläubiger mit ihren grundsätzlich quotenberechtigten Forderungen freiwillig in den Rang des § 199 Satz 2 InsO zurücktreten und somit an dem Verteilungsverfahren nicht weiter teilnehmen. Sie tauschen die Quotenaussicht zum Vorteil der übrigen Gläubiger in eine künftige Gewinnerwartung. Ein Schutz der Alt-Gläubiger durch die Vorschriften über die vereinfachte Kapitalherabsetzung ist daher nicht von Nöten. Auch die etwaigen Neugläubiger der Gesellschaft bedürften jedoch keines besonderen 80 Schutzes durch Aufbringung des Mindestkapitals in bar. Durch den Debt Equity Swap kann eine Vermögensunterdeckung, d. h. ein bilanzieller Eigenkapitalausweis oberhalb der tatsächlich durch Aktivvermögen gedeckten Kapitalziffer nicht erfolgen (siehe dazu ausführlich Rz. 83 ff.). Das Risiko einer Täuschung der Neugläubiger und des Rechtsverkehrs wird nicht begründet, weil diese regelmäßig die Bonität der Gesellschaft nicht nach dem historisch eingetragenen Satzungskapital, sondern nach dem aktuellen Eigenkapital beurteilen.147) Erfordert also i. R. eines im Insolvenzplanverfahren durchgeführten Debt Equity Swap 81 weder der Schutz der Alt- noch derjenige der Neu-Gläubiger der Gesellschaft eine Barkapitalerhöhung bis zur Höhe der Mindestkapitalziffer und liegt nach einem Blick in die Gesetzesbegründung zu § 225a InsO nahe, dass der Gesetzgeber eine Befreiung von § 58a Abs. 4 Satz 1 GmbHG, § 228 Abs. 1 AktG schlicht übersehen hat, so ist der Anwendungsbereich dieser Vorschriften teleologisch zu reduzieren und sind diese auf den Fall des Debt Equity Swap im Insolvenzplanverfahren nach § 225a Abs. 2 InsO nicht anzuwenden. Eine entsprechende Klarstellung des Gesetzgebers wäre jedoch mehr als wünschenswert. Folgt man der hier vertretenen Auffassung von einer gebotenen teleologischen Reduktion 82 von § 58a Abs. 4 Satz 1 GmbHG, § 228 Abs. 1 AktG für den Fall des Debt Equity Swap im Insolvenzplanverfahren mit der Folge von deren Unanwendbarkeit nicht, wäre eine Kapitalerhöhung ausschließlich im Wege des Swap rechtlich unzulässig, und wäre ein Plan, der einen Debt Equity Swap ohne Barkapitalerhöhung auf die Mindestkapitalziffer vorsähe, nicht annahmefähig i. S. des § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Er müsste durch das Gericht zurückgewiesen werden. 4.3

Anrechnungsbetrag

Der Gesetzgeber hat § 254 Abs. 4 InsO offenbar die Bedeutung beigemessen, dass zwar eine 83 Anrechnung der eingebrachten Forderungen (nur) zum Teilwert erfolgen solle, dass aber der spätere Streit über die Richtigkeit der Bewertung der eingebrachten Forderungen vermieden und dem Inferenten so Rechtssicherheit gewährt werden soll. Anderenfalls hätte es, dies zur Erinnerung, nicht des Hinweises in der Gesetzesbegründung auf die Einholung ___________ 147) Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 24; Schall, ZGR 2009, 126 ff.

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eines Wertgutachtens148) zur Bestimmung des Anrechnungsbetrags bedurft. Dementsprechend wird herrschend in der Literatur auch vertreten, dass die Einbringung der Forderungen zum Nennwert praktisch ausgeschlossen149) und eine entsprechende Wertberichtigung der Forderungen im Insolvenzplan in jedem Fall erforderlich sei.150) Mag diese Aussage auf den ersten Blick auch das leitgebende Motiv des Gesetzgebers für sich haben, so ist sie in dieser Absolutheit jedoch nicht vertretbar.151) 84 Sinn und Zweck der Kapitalaufbringungs- und der Kapitalerhaltungsregeln ist nach der ständigen und über Jahre stetig weiter ausdifferenzierten Rechtsprechung des BGH der Schutz des Rechtsverkehrs und der mit der in haftungsbeschränkender Rechtsform am Markt auftretenden Gesellschaft in Geschäftsbeziehung tretenden Gläubiger.152) Diese sollen wegen der ihnen nur eingeschränkt zur Verfügung stehenden Möglichkeit, Einsicht in die wahren wirtschaftlichen Verhältnisse ihres Geschäftspartners zu nehmen, jedenfalls darauf vertrauen dürfen, dass das statutarische Stammkapital wirksam aufgebracht, im Unternehmen erhalten und die Gesellschaft nicht insolvenzreif, das ausgewiesene und aufzubringende Stammkapital also tatsächlich durch Vermögen gedeckt ist. 85 Übertragen auf den Fall der Sachkapitalerhöhung scheint dies zunächst zu erfordern, dass der Kapitalerhöhungsbetrag wirksam aufzubringen ist. Doch welche Anforderungen sind an eine wirksame Aufbringung in Fällen einer Sachkapitalerhöhung durch Debt Equity Swap zu stellen? Die Besonderheit des Debt Equity Swap liegt nämlich darin, dass es im Vermögen der Gesellschaft und dessen handelsbilanzieller Abbildung lediglich zu einem bloßen Passivtausch kommt, der die Gefahr einer Aufblähung der Bilanz und der Vorspiegelung eines in Wahrheit nicht gegebenen Verlustdeckungspotenzials gar nicht in sich trägt und bereits buchhalterisch nicht begründen kann.153) 86 Folgendes, stark vereinfachtes Bilanzbeispiel möge dies verdeutlichen: Aktiva

Passiva

AV

40

EK

UV

60

Verbindlichkeit

Nicht durch EK gedeckter Fehlbetrag

30 120

50 150

150

Anm.: Die Darstellung nach Ausweis des statutarischen Kapitals auf der Passivseite und des nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrages auf der Aktivseite ist nicht üblich und hier nur aus darstellerischen Gründen gewählt, weil dadurch die vermögensrechtlichen Auswirkungen des D-E-S auf Ebene des Eigenkapitals deutlicher hervorgehoben werden können.

87 Kommt es i. R. eines Insolvenzplanverfahrens für diese stark überschuldete Beispielsgesellschaft zu einem Debt Equity Swap und werden Gläubigerforderungen i. H. von 100 zum Debt Equity Swap zur nominalen Anrechnung zugelassen, so vollzieht sich dies wie folgt: Zunächst ist i. R. eines Kapitalschnitts das Stammkapital auf null herabzusetzen. Es ist zu ___________ 148) Vgl. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 48. 149) Urlaub, ZIP 2011, 1040, 1044. 150) Etwa Meyer/Degener, BB 2011, 846, 849; Hirte/Knof/Mock, DB 2011, 632, 642; Urlaub, ZIP 2011, 1040, 1044 f.; Rühle/Ober in: Nerlich/Römermann, InsO, § 225a Rz. 36. 151) In diesem Sinne etwa Cahn/Simon/Theiselmann, CFL 2010, 238, 242 ff.; Eidenmüller in: Habersack/ Mülbert/Nobbe/Wittig, Stärkung des Anlegerschutzes, 2011, S. 129, 149; Maier-Reimer in: VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2011, Bd. 17, 2012, S. 107, 113 ff.; Wansleben, WM 2012, 2083, 2086 ff.; Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 225a Rz. 24; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 24. 152) Dazu ausführlich m. w. N. Hölzle, ZIP 2009, 1939. 153) So sehr instruktiv Cahn/Simon/Theiselmann, CFL 2010, 238; ebenso Eidenmüller in: Habersack/ Mülbert/Nobbe/Wittig, Stärkung des Anlegerschutzes, 2011, S. 129 ff.

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Anteilsinhaber, Eingriff in Anteilsrechte

buchen „Stammkapital 30 an Rücklage aus Kapitalherabsetzung 30“.154) Der nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag reduziert sich hierdurch auf 20. Im nächsten Schritt verzichten die Gläubiger der Gesellschaft i. H. von 100 auf ihre Forderungen oder treten diese mit der Rechtsfolge ihres Untergangs im Wege der Konfusion an die Gesellschaft ab. Es ist zu buchen: „Verbindlichkeiten 100 an Eigenkapital 100“. Hierdurch wird der verbliebene, nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag i. H. von 20 vollständig ausgeglichen und es wird ein neues Stammkapital i. H. von 80 aufgebracht. Die (vereinfachte) Bilanz stellt sich wie folgt dar: Aktiva

Passiva

AV

40

EK

80

UV

60

Verbindlichkeit

20

Nicht durch EK gedeckter Fehlbetrag

0 100

100

Daraus aber wird deutlich, was zu vergegenwärtigen ist, dass auch die Festsetzung des An- 88 rechnungsbetrags zur Nominale ihre Grenze in den tatsächlichen Bilanzwerten des (noch) vorhandenen Gesellschaftsvermögens findet und der Anrechnungsbetrag nicht gleich dem neu auszuweisenden Kapital ist, weil durch die Einbringung buchhalterisch zunächst immer der nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag, also frühere Verluste ausgeglichen werden.155) Diese früheren Verluste sind aber gerade Abbild der Verbindlichkeiten, die jetzt zur Umwandlung in Eigenkapital verwendet werden, also mit diesen vollständig kongruent sind. Der bloße Passivtausch i. R. des Debt Equity Swap führt deshalb stets dazu, dass das neu ausgewiesene Kapital auch durch Vermögen tatsächlich gedeckt ist, wodurch eine informatorische Fehlleitung156) künftiger Gesellschaftsgläubiger von vornherein ausgeschlossen ist. Auch die grundsätzlich berechtigte Auffassung, wonach die Kapitalerhöhung gerade (auch) 89 darauf abzielt, – über den Erhalt des gebundenen Kapitals hinaus – eine effektive Mehrung des Gesellschaftsvermögens herbeizuführen,157) steht dem in dieser besonderen Konstellation nicht entgegen. Denn leitendes Motiv auch für diese Auffassung ist der Gläubigerschutz, da die Gläubiger auf eine entsprechende Kapitalzuführung sollen vertrauen dürfen. Der Debt Equity Swap aber gefährdet diese Gläubigerinteressen in keiner Weise. Ganz im Gegenteil: Durch den Debt Equity Swap treten die ihre Forderungen einbringenden Gläubiger freiwillig in den Rang des § 199 Satz 2 InsO zurück. Dies grundsätzlich zum Vorteil aller übrigen gegenwärtigen wie zukünftigen Gläubiger, weil sie die Swappenden als konkurrierende Gläubiger verlieren,158) die ihre gegen die Gesellschaft gerichteten Forderungen gegen eine bloße Geschäftschance eintauschen,159) die sich nur realisieren kann, wenn und soweit sämtliche Gläubiger befriedigt oder jedenfalls aus dem Gesellschaftsvermögen zu befriedigen sind. Bilanziell ist die Vermögensmehrung daher tatsächlich in nomineller Höhe abgebildet ___________ 154) Förschle/Hoffmann in: Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 272 HGB Rz. 31 ff. 155) Insoweit erscheint der ansonsten sehr instruktive Praxisbericht von Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, buchhalterisch verfehlt und bilanziell fehlerhaft, was sich sodann auch auf die inhaltliche Richtigkeit der zum Handelsregister abgegebenen Erklärungen auswirken muss, vgl. dazu sogleich Rz. 103 und Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, §§ 217, 223a u. a., 225a, 245 InsO Rz. 41 ff. 156) Zu den informatorischen Grundlagen der Kapitalerhaltungsgrundsätze vgl. Hölzle, ZIP 2011, 650; Hölzle, ZIP 2010, 913; Hölzle, ZIP 2009, 1939. 157) Vgl. Kleindiek, ZGR 2011, 334, 346. 158) So ausdrücklich auch Löbbe in: Liber Amicorum M. Winter, 2011, S. 423, 427. 159) Cahn/Simon/Theiselmann, CFL 2010, 238; ebenso Eidenmüller in: Habersack/Mülbert/Nobbe/Wittig, Stärkung des Anlegerschutzes, 2011, S. 129 ff.

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und bildet auch den Maßstab für die künftige Kapitalbindung, die durch das MoMiG wieder deutlich auf die bilanzielle Betrachtungsweise zurückgeführt worden ist.160) Die (bilanzielle) Kapitalbindung der Gesellschafter in der Zukunft ist aber Spiegelbild des vermögensrechtlichen Gläubigerschutzes, weshalb eine bilanzielle Vermögensmehrung beim reinen Passivtausch von Fremd- in Eigenkapital ausreichend ist. 90 Einen Grund, die Zulässigkeit des Debt Equity Swap im Insolvenzplanverfahren auf den Teilwert der einzubringenden Forderungen zu beschränken, gibt es daher ebenso wenig wie eine Veranlassung, ein – kostenträchtiges – Gutachten über deren Werthaltigkeit einzuholen. Es besteht nach alledem keine Rechtfertigung aus dem Grundsatz der realen Kapitalaufbringung, den Debt Equity Swap nicht zur Nominale zuzulassen. Soweit es dadurch zu einer nominellen Überbewertung kommt, sind Differenzhaftungsansprüche der Gesellschaft gegen den (neuen) Gesellschafter infolge einer fehlenden auch materiellen Überbewertung zu Recht nach § 254 InsO ausgeschlossen.161) 91 Ungeachtet der dogmatischen Richtigkeit der Anrechnung der einzulegenden Forderung zur Nominale ist in der Praxis aber dennoch der sicherste Weg zu gehen und ist die bislang wohl h. M. auch auf den Debt Equity Swap i. R. des Insolvenzplanverfahrens anzuwenden. Nur hierdurch bleiben Zeitverluste durch langwierige Beschwerde- und Obstruktionsverfahren vermieden. Tatsächlich ist in den bislang bekannten größeren Verfahren, in denen es zu einem Debt Equity Swap kam oder kommen soll, auch so verfahren worden.162) 92 Die Befolgung des Gebots des sichersten Weges führt dann zwangsläufig zu einer Anrechnung der Forderung nur zum Teilwert und damit zu der Notwendigkeit der Wertfestsetzung und ihrer Erläuterung.163) Maßgeblich ist der Wert der Forderung im Zeitpunkt der Anmeldung der Kapitalerhöhung zum Handelsregister.164) Problematisch ist insoweit die weitere Frage, ob vom Fortführungs-165) oder vom Liquidationswert166) auszugehen ist. Dabei kann es richtigerweise nur auf die im Einzelfall höhere Quotenerwartung ankommen, weil maßgeblich i. R. des Insolvenzplanverfahrens nur die hypothetisch optimale Verwertung zuzüglich des Wertes von für die Forderung unanfechtbar bestellten Sicherheiten167) sein kann.168) 4.4

Berücksichtigung von Sicherheiten169)

93 Kritik hat die hier vertretene Auffassung von der Einlagefähigkeit der Gläubigerforderung im Debt Equity Swap zur Nominale erfahren, weil hierdurch der Wert von für die Forderung bestellten Sicherheiten unbeachtet bliebe. Soweit nämlich jeder Gläubiger im Rang des § 38 InsO seine Forderung zur Nominale einbringen könne, führe dies zu einer Sozialisierung von Absonderungsrechten, da die Einbringung der Forderung des gesicherten Gläu-

___________ 160) Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 26, 41 f.; dazu ausführlich Hölzle, GmbHR 2007, 729. 161) Anders die bisher h. M. zum Debt Equity Swap Eidenmüller in: Habersack/Mülbert/Nobbe/Wittig, Stärkung des Anlegerschutzes, 2011, S. 129 ff. 162) Vgl. Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, §§ 217, 225a Rz. 87 f. 163) Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 25. 164) Veil in: Scholz, GmbHG, § 5 Rz. 58. 165) Etwa K. Schmidt, ZIP 2012, 2085, 2087; Merten, Die neue Insolvenzrechtsreform 2012 (ESUG), S. 78. 166) So etwa Altmeppen in: FS Hommelhoff, 2012, S. 1, 15; Kleindiek in: FS Hommelhoff, 2012, S. 543, 555 f.; Simon, CFL 2010, 488, 451; Priester, DB 2010, 1445, 1448; Wertenbruch, ZIP 2013, 1693, 1699. 167) Zu deren Bewertung Eckert/Harig, ZInsO 2012, 2318, 2323. 168) Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 25 m. w. N. 169) Wie hier: Hölzle, Praxisleitfaden SanInsFoG, §§ 217, 223a u. a., 225a, 245 InsO Rz. 97 ff.

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bigers gegen Gewährung von Anteilsrechten letztlich einem Verzicht auf die Sicherheit zugunsten der Gläubigergesamtheit gleichkomme.170) Dieses Problem stellt sich tatsächlich nur dann, wenn der Planarchitekt der hier vertretenen 94 Auffassung von der Nominalanrechnung folgt. In diesem Fall jedoch steht es dem Gläubiger frei, nur mit dem nach Verwertung des Absonderungsrechts unbesichert verbleibenden, überschießenden Teil seiner Forderung an einem Debt Equity Swap teilzunehmen. Da der Swap nur mit Zustimmung des Gläubigers möglich ist, steht es ihm auch frei, nur mit dem ungesicherten Teil seiner Forderung zu swappen. Allerdings kann im Plan selbstverständlich vorgesehen werden, dass die Möglichkeit des 95 Swap nur solchen Gläubigern angeboten wird, die mit ihrer gesamten Forderung an dem Swap teilnehmen. In diesem Fall wäre der Gläubiger gefordert, sich zu entscheiden. Da es jedoch keinen Anspruch auf Teilhabe an dem Debt Equity Swap gibt,171) bestehen auch keine Bedenken dagegen, dass im Plan entsprechende Opfer von den swappenden Gläubigern erwartet werden. In der Sache scheint dies auch richtig: Die swappenden Gläubiger entscheiden sich, ihre Erlös- bzw. Quotenerwartung gegen ein unternehmerisches Risiko und eine Gewinnoption einzutauschen. Dies verlangt eine konsequente Gläubigerentscheidung, welche den regelmäßig kompromisslosen Wechsel von der Fremd- auf die Eigenkapitalseite gebietet. Geht der Planarchitekt demgegenüber den sicheren Weg und sieht er eine Anrechnung der 96 einzubringenden Forderung nur zum Teilwert vor, bestimmt sich der Teilwert nach dem Wert der unanfechtbar bestellten Sicherheit aus dem Vermögen des Schuldners (Absonderungsrecht) und der Quotenerwartung, wobei die Quote auf den Nominalbetrag bis zur vollständigen Befriedigung der Forderung geltend gemacht werden kann.172) Hat der Gläubiger seine auf diese Art bewertete Forderung eingebracht, so erlischt sie. 97 Da die Besicherung von Einlageforderungen wegen des Verbots der Einlagerückgewähr (§ 30 GmbHG, § 57 AktG) unzulässig ist, setzt sich die Sicherheit auch nicht im Wege der Surrogation an der Einlageforderung fort. Der Vermögensgegenstand ist frei von Absonderungsrechten und steht dem Gesellschaftsvermögen zur Verfügung. 4.5

Berücksichtigung von Drittsicherheiten

Problematischer war dies bis zum Inkrafttreten des SanInsFoG für Drittsicherheiten, die 98 dem Gläubiger nicht aus dem Gesellschaftsvermögen, sondern von dritter Seite (insb. von anderen konzernzugehörigen Gesellschaften) zur Verfügung gestellt worden sind, da der unkoordinierte Zugriff auf diese von dritter Seite gestellten Sicherheiten regelmäßig das Potential hatte, den Zusammenbruch des Gesamtkonzerns zu bewirken. Der Gesetzgeber hat dieses Problem jedoch erkannt und mit §§ 217 Abs. 2, 223a InsO 99 hierfür Abhilfe geschaffen (siehe Hölzle, HRI II, § 25 Rz. 66 ff.). 4.6

Verbleibendes Haftungspotenzial

Ungeachtet der Tatsache, dass die Sachkapitalerhöhung i. R. eines Debt Equity Swap bilan- 100 ziell betrachtet nur bis zu dem Betrag des Bilanzwerts der Aktiva abzüglich etwaig verbleibender Passiva durchgeführt werden kann, also stets und jedenfalls die bilanzielle Vermögensdeckung des neu geschaffenen Eigenkapitals sichergestellt ist, verbleibt es dennoch dabei, dass bei ausschließlich wirtschaftlicher Betrachtungsweise eine reale Einlageleistung auf ___________ 170) Brinkmann in: Kübler, HRI, 1. Aufl., 2012, ZIP 2012, 39. 171) Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 31. 172) Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 254 Rz. 9 a. E.

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den Kapitalerhöhungsbetrag nicht stattgefunden hat, sondern sich die Kapitalerhöhung letztlich aus dem bilanziellen Wegfall ohnehin wertloser Verbindlichkeiten speist. 101 Gerade diese wirtschaftliche Betrachtungsweise hat der II. Zivilsenat des BGH173) aber zum Ausgangspunkt seiner Rechtsprechung im Eigenkapitalersatzrecht gemacht, als er die wirtschaftliche Neugründung einer Gesellschaft in Fällen der Mantelverwendung und der Vorratsgründung den Kapitalaufbringungsvorschriften unterwarf. In seiner Grundlagenentscheidung aus dem Jahre 2003174) zur Übertragung der Kapitalaufbringungsgrundsätze bei der Verwendung einer Vorratsgesellschaft auch auf Mantelgesellschaften hat er ausgeführt, dass wesentliche Ratio des von ihm entwickelten Haftungsinstituts der wirtschaftlichen Neugründung der aus dem Anspruch der Rechtsordnung an das einmal real aufzubringende Stammkapital gekoppelte Schutz der im Rechtsverkehr mit der betreffenden Gesellschaft in Rechtsbeziehungen tretenden künftigen Gläubiger ist. Wörtlich heißt es im 3. Leitsatz des Beschlusses: „Die reale Kapitalaufbringung ist sowohl bei der Mantelverwendung als auch bei der Aktivierung einer Vorratsgesellschaft durch entsprechende Anwendung des Haftungsmodells der Unterbilanzhaftung – bezogen auf den Stichtag der Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung gegenüber dem Registergericht – sicherzustellen.“ Weiter heißt es in den Beschlussgründen: „In beiden Fällen besteht die Gefahr einer Umgehung der Gründungsvorschriften mit der Folge, dass die gesetzliche und gesellschaftsvertragliche Kapitalausstattung bei Aufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit nicht gewährleistet ist.“ 102 Wäre der Tatbestand der wirtschaftlichen Neugründung auf den Debt Equity Swap nach einem Kapitalschnitt i. R. eines Insolvenzplans zu übertragen, so ist fraglich, ob die an der Bewertungsvorschrift des § 9 GmbHG orientierte Haftungsnorm des § 254 InsO auch eine Haftung wegen der fehlenden, jedenfalls fehlend nachgewiesenen Kapitalaufbringung insgesamt erfasst. Tatbestandlich erfordert eine wirtschaftliche Neugründung i. S. der Rechtsprechung des BGH, dass 

eine unternehmenslose Gesellschaft wiederbelebt wird



durch Ausstattung mit einem neuen Unternehmen



bei gleichzeitigem Eintritt neuer Gesellschafter und



der Auswechslung der Geschäftsführung.175)

103 Alle diese Tatbestandsmerkmale ließen sich unter den hier zu beurteilenden Fall subsumieren, da eine nach § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG kraft Gesetzes aufgelöste Gesellschaft durch Fortsetzungsbeschluss wiederbelebt, rechtlich also neu gegründet und im Wege einer finanz- und leistungswirtschaftlichen Sanierung neu aufgestellt wird, was nicht selten einer weitgehenden Neugestaltung des unternehmerischen Rahmens gleichkommt. Durch den Kapitalschnitt werden die Gesellschafter ausgetauscht, was in aller Regel auch einen Wechsel in der Geschäftsführung nach sich zieht, insbesondere, wenn es in den Augen der Gläubiger bzw. Investoren um die Auswechslung der insolvenzverursachenden Geschäftsführer geht. 104 Mit der Anmeldung der Fortsetzung der Gesellschaft und der Kapitalerhöhung zum Handelsregister gerät das Registergericht damit ggf. in die Pflicht, die Anmeldung als wirtschaftliche Neugründung qualifizieren und – unbeschadet einer nach Vorstehendem nicht erfor___________ 173) BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, ZIP 2003, 1698, dazu EWiR 2003, 967 (Keil); BGH v. 9.12.2002 – II ZB 12/02, ZIP 2003, 251, dazu EWiR 2003, 327 (Keil); zuletzt BGH v. 12.7.2011 – II ZR 71/11, ZIP 2011, 1761, dazu EWiR 2011, 639 (Nolting). 174) BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, ZIP 2003, 1698, dazu EWiR 2003, 967 (Keil). 175) Grundlegend BGH v. 9.12.2002 – II ZB 12/02, ZIP 2003, 251, dazu EWiR 2003, 327 (Keil); die Auswechslung der Geschäftsführung ist allerdings keine zwingende Voraussetzung, vgl. Bayer in: Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, § 3 Rz. 99.

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Anteilsinhaber, Eingriff in Anteilsrechte

derlichen Werthaltigkeitsprüfung der eingebrachten Forderungen – eine vollständige Gründungsprüfung verlangen zu müssen. § 254 Abs. 4 InsO hilft dabei über das bei formeller Unterpari-Emission real nicht aufgebrachte Stammkapital nicht hinweg, da diese Vorschrift nur die Differenzhaftung der neuen Gesellschafter ausschließt,176) nicht aber das Gebot der realen Kapitalaufbringung für grundsätzlich verzichtbar erklärt. Die Verzichtbarkeit folgt indes aus der Ratio der Vorschriften über die wirtschaftliche Neugründung, die nach der Auffassung des BGH einzig gläubigerschützende Zwecke verfolgt und die Umgehung der Kapitalaufbringungsvorschriften verhindern soll.177) Da eine solche Umgehung jedoch im Fall des Debt Equity Swap nicht droht, weil es wegen der im Falle des Passivtauschs gewährleisteten Vermögensdeckung nicht auch zu einer materiellen Unterpari-Emission kommt, besteht nach dem Sinn und Zweck des Rechtsinstituts der wirtschaftlichen Neugründung im konkreten Fall kein Anwendungsbedarf. Anders ist dies nur dann zu beurteilen, wenn die Bilanzbuchwerte der Handelsbilanz auf 105 Aktivseite die wahre Vermögenslage der Gesellschaft nicht mehr zutreffend abbilden, insbesondere weil bestehender Wertberichtigungsbedarf bilanziell nicht umgesetzt wurde. In diesem Fall nämlich kann es, wie die obigen (verkürzten) Bilanzbeispiele zeigen, sehr wohl zu einer Aufblähung der Bilanz und zu der Vorspiegelung eines tatsächlich nicht gegebenen Verlustdeckungspotenzials der sanierten Gesellschaft kommen. Dies wiederum führt zur vollen Anwendbarkeit der Regeln über die wirtschaftliche Neugründung, worüber auch § 254 InsO nicht hinweghelfen kann, weil der Debt Equity Swap dann nicht an der Haftung der Neugesellschafter, sondern bereits an der Verweigerung der Eintragung durch das Registergericht scheitert. Die Beteiligten tun daher gut daran, in den Anlagen zum Insolvenzplan die Validität der verbliebenen Handelsbilanzwerte z. B. durch Beifügung des Inventarisierungs- und Bewertungsgutachtens zu dokumentieren. Ein weiteres Problem ergibt sich im Zusammenhang mit der Eintragung, weil der Ge- 106 schäftsführer nach § 8 GmbHG bei Anmeldung der Fortsetzung der Gesellschaft und der Kapitalerhöhung zu versichern hat, dass die Stammeinlagen bzw. die i. R. der Sachgründung eingebrachten Gegenstände zu seiner endgültig freien Verfügung stehen. Das aber ist bei einer formellen Unterpari-Emission weder möglich noch richtig, weil er über die eingebrachten Forderungswerte, die anderenfalls nur mit einer Insolvenzquote bedient worden wären, gerade nicht in nominaler Höhe verfügen kann. Um hier Haftungsgefahren für den Geschäftsführer nach § 9a GmbHG und § 11 Abs. 2 GmbHG analog178) einerseits und Eintragungshindernisse andererseits zu vermeiden, sollte eine modifizierte Erklärung des Geschäftsführers zum Handelsregister empfohlen und akzeptiert werden, nämlich die Erklärung, dass das zur Deckung der neu aufgebrachten Stammeinlagen erforderliche Vermögen der Gesellschaft zu seiner freien Verfügung steht und den Wert des Stammkapitals tatsächlich deckt. Inhaltlich könnte die Erklärung wie folgt gefasst werden: „Die Gesellschaft hat einen Kapitalschnitt durch vereinfachte Kapitalherabsetzung auf Null und anschließende Kapitalerhöhung mit einem neuen Nennkapital in Höhe von […] beschlossen. Das neu gebildete Stammkapital ist durch Einbringung von Forderungen im Wege der Sacheinlage vollzogen worden (Debt Equity Swap). Das zur Deckung des neu gebildeten Kapitals vorhandene Vermögen steht zu meiner freien Verfügung.“

___________ 176) Dies kommt insbesondere noch einmal in der Gesetzesbegründung und dem dort unterstellten Erfordernis der Einholung eines Wertgutachtens zum Ausdruck, Begr. RegE ESUG, BR-Drucks. 127/11, S. 45. 177) BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, ZIP 2003, 1698, dazu EWiR 2003, 967 (Keil). 178) BGH v. 12.7.2011 – II ZR 71/11, ZIP 2011, 1761, dazu EWiR 2011, 639 (Nolting).

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§ 26 5.

2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte Steuerliche Folgen des Debt Equity Swap

107 Während die gesellschaftsrechtlichen und die Haftungsprobleme im Zusammenhang mit dem Debt Equity Swap beherrschbar erscheinen, fehlt es an der Abstimmung des ESUG mit den steuerlichen Rahmenbedingungen (Einzelheiten siehe Kahlert, HRI II, § 47 Rz. 202 ff., 269 ff.). 108 Der dem Debt Equity Swap regelmäßig vorausgehende Kapitalschnitt führt zwar grundsätzlich buchhalterisch zu einem außerordentlichen Ertrag. Dieser ist aber auf Ebene der Gesellschaft über § 8 Abs. 1 KStG i. V. m. § 4 Abs. 1 EStG als Vorgang ausschließlich im Vermögensbereich außerbilanziell wieder zu korrigieren, so dass es insoweit nicht zur Besteuerung kommt.179) 109 Anders bei der anschließenden Kapitalerhöhung durch Debt Equity Swap. Da es sich hierbei letztlich um einen Forderungsverzicht handelt, finden die Grundsätze aus der Rechtsprechung des Großen Senats des BFH180) aus dem Jahre 1997 Anwendung.181) Das heißt, dass eine steuerneutrale Einlage nur insoweit anzunehmen ist, als die in Eigenkapital umgewandelten Forderungen werthaltig sind, also nur i. H. des Teilwerts.182) Im Übrigen entsteht ein grundsätzlicher steuerpflichtiger außerordentlicher Ertrag.183) 110 Bis zum Beschluss des Großen Senats beim BFH vom 28.11.2016184) war unklar, ob hierauf der Sanierungserlass des BMF185) Anwendung findet. Dieser wurde nun durch den Großen Senat wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verworfen (siehe Kahlert, HRI II, § 47 Rz. 170). Die nach dem BFH erforderliche gesetzliche Regelung ist mittlerweile mit § 3a EStG, der im Wesentlichen dem Wortlaut der Verwaltungsvorschrift entspricht, geschaffen.186) 111 Auch in gesetzlicher Form stellt sich weiterhin die Frage, ob die durch einen Debt Equity Swap erzeugten Sanierungsgewinne durch einen „Schuldenerlass“ erzeugt sind und somit am Steuererlass teilnehmen (siehe hierzu auch Kahlert, HRI II, § 47 Rz. 173 und Rz. 283).187) Voraussetzung hierfür dürfte nach allgemein schuldrechtlicher Dogmatik sein, dass der Sanierungsgewinn insbesondere auf einem Erlassvertrag (§ 397 Abs. 1 BGB) oder einem Anerkenntnis über das Nichtbestehen (§ 397 Abs. 2 BGB) der Schuld beruht.188) Der im Wege der Einbringung zivilrechtlich auf seine Forderung verzichtende Gläubiger erhält als Gegenleistung Gesellschaftsrechte und damit eine Geschäftschance. Es könnte daher zu fragen sein, ob der Verzicht auf die Forderung zwar der zivilrechtlichen Konstruktion geschuldet, nicht aber für das Geschäft, das vielmehr als Austauschgeschäft zu werten wäre, prägend ist. Das eine schließt das andere jedoch nicht aus: Denn auch der Verzicht kann zivilrechtsdogmatisch um einer Gegenleistung willen ausgesprochen werden, so dass auf ___________ 179) Vgl. z. B. BFH v. 10.8.2005 – VIII R 26/03, DStR 2005, 1807; BFH v. 29.7.1992 – I R 31/91, GmbHR 1993, 380. 180) BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, ZIP 1998, 471, dazu EWiR 1997, 1028 (Wilken). 181) Scheunemann/Hoffmann, DB 2009, 983. 182) Ausführlich Hölzle, FR 2004, 1193. 183) BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, ZIP 1998, 471, dazu EWiR 1997, 1028 (Wilken); vgl. in ähnlichem Zusammenhang FG Münster v. 15.6.2011 – 9 K 2731/08, rkr. nach Rücknahme der Revision. 184) BFH v. 28.11.2016 – GrS 1/15, BFHE 255, 482 = ZIP 2017, 338. 185) BMF-Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6 – S 2140 – 8/03, BStBl. I 2003, 240 = ZIP 2003, 690. 186) Dazu und zu verbliebenen Anwendungsfragen Hölzle, ZIP 2020, 301. 187) In der Literatur weitestgehend bejaht, vgl. Desens, FR 2017, 981, 983; Förster/Hechtner, DB 2017, 1536, 1538 f.; Kahlert/Schmidt, DStR 2017, 1897, 1900; Sistermann/Beutel, DStR 2017, 1065, 1066; Krumm in: Blümich, EStG, § 3a Rz. 20. 188) Vgl. Rz. 3 des Sanierungserlasses, BMF-Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6 – S 2140 – 8/0, BStBl. I 2003, 240 = ZIP 2003, 690.

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§ 26

Anteilsinhaber, Eingriff in Anteilsrechte

das Verhältnis von Verzicht und Gewährung von Gesellschaftsrechten die §§ 320 ff. BGB Anwendung finden.189) Da die ihre Forderungen einbringenden Gläubiger freiwillig in den Rang des § 199 InsO zurücktreten, sind Leistung und Gegenleistung jedenfalls auch nach Auffassung der Parteien nicht als gleichwertig einzustufen, weshalb das Verzichtselement deutlich überwiegt. Es sollte deshalb kein Zweifel daran bestehen, dass der Sanierungserlass auch auf einen Debt Equity Swap Anwendung findet. Richtigerweise sollte der konkrete Fall jedoch vor Bestätigung des Insolvenzplans durch eine verbindliche Auskunft abgesichert werden.190) Und ein Problem bleibt, ohne dass es zu lösen wäre: Der Eintritt der neuen Gesellschafter 112 führt zu einem Anteilseignerwechsel i. S. des § 8c KStG und damit zu einem (jedenfalls anteiligen) Untergang der bestehenden Verlustvorträge mit der Folge, dass auch Gewinne, die im Jahr (Veranlagungszeitraum) der Planbestätigung entstehen, unabhängig davon, ob sie vor oder nach dem Anteilseignerwechsel realisiert sind,191) nicht mehr mit früheren Verlusten verrechnet werden können (siehe hierzu auch Kahlert, HRI II, § 47 Rz. 271).192) Da das Sanierungsprivileg des § 8c Abs. 1a KStG nach einer Entscheidung der EU-Kommission vom 26.1.2011193) zunächst durch BMF-Schreiben und inzwischen auch gesetzlich suspendiert wurde,194) besteht derzeit auch keine sanierungsrechtliche Privilegierung für einen Debt Equity Swap im Insolvenzplanverfahren. Zwar hat der EuGH mit Urteil vom 28.6.2018195) die Entscheidung der EU-Kommission für rechtswidrig erklärt, jedoch ist damit – anders als vielfach kommentiert – keine materielle Entscheidung verbunden, dass ein sanierungsbedingter Steuererlass beihilfekonform wäre. Vielmehr hat der EuGH in den Mittelpunkt seiner Entscheidung die Feststellung gerückt, dass das Referenzsystem, an dem die Maßnahme zu prüfen ist, ausschließlich aus dem nationalen Recht entwickelt werden müsse. Daran fehlte es in der Kommissionsentscheidung, bzw. war von der Kommission ein fehlerhaftes Referenzsystem zugrunde gelegt worden, was den EuGH veranlasste, die Entscheidung aufzuheben. Eine verbindliche Aussage für die Zukunft ist damit allerdings (noch) nicht verbunden. Der Untergang der Verlustvorträge kann sich so nach wie vor als reales Sanierungshindernis auswirken, insbesondere wenn der Sanierungserlass gemäß § 3a EStG n. F. im Einzelfall, aus welchen Gründen auch immer, auf die Besteuerung der Einbringung der Forderungen i. R. des Debt Equity Swap keine Anwendung finden sollte. V.

Mitwirkungs- und Zustimmungserfordernisse der Alt-Gesellschafter

Der Gesetzgeber sieht die Rechtfertigung der Einbeziehung von Mitgliedschafts- und An- 113 teilsrechten in den Insolvenzplan im Wesentlichen darin, dass den Alt-Anteilsinhabern für den Fall, dass ihre Anteile noch werthaltig sein sollten, nach § 251 Abs. 3 InsO eine Entschädigung zuzusprechen ist, grundsätzlich aber davon auszugehen sei, dass die Anteile wertlos sind. Der verfassungsrechtlich gebotene Eigentumsschutz der betroffenen Anteilsinhaber werde durch die Regelungen zum Minderheitenschutz (§§ 245, 251 InsO) und zum Rechtsmittel gegen die Planbestätigung (§ 253 InsO) gewährleistet.196) ___________ 189) Schlüter in: MünchKomm-BGB, § 397 Rz. 6. 190) Scheunemann/Hoffmann, DB 2009, 983. 191) So jedenfalls die Auffassung der Finanzverwaltung, BMF-Schreiben v. 4.7.2008 – IV C 7 – S 2745 a/08/10001, BStBl. I 2008, 736, Rz. 31. 192) Hierstetter, DStR 2010, 882, 884. 193) Vgl. z. B. Ehrmann, DStR 2011, 5; Hackemann/Momen, BB 2011, 2135. 194) I. R. des BeitrRLUmsG (RegE BeitrRLUmsG BT-Drucks. 17/6263) ist § 8c Abs. 1a KStG endgültig suspendiert worden, zum Gesetzentwurf vgl. Hörster, NWB 2011, 1690. 195) EuGH v. 28.6.2018 – Rs. C-219/16 P, DStR 2018, 1434. 196) Begr. RegE z. Nr. 14 ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 30.

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§ 26

2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

114 In der Rechtswirklichkeit dürften die Beteiligungsrechte der Gesellschafter aber regelmäßig leerlaufen.197) Wie in den Vorbildern des englischen und auch des US-amerikanischen Chapter 11-Verfahrens auch, ist die Durchführung eines Debt Equity Swap i. R. eines Insolvenzplans von der Zustimmung der Alt-Gesellschafter de facto unabhängig.198) Zwar ist nach § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 InsO für die Anteilseigner eine eigene Gläubigergruppe zu bilden, der nach § 238a InsO ein Stimmrecht nach Maßgabe (allein) ihrer Beteiligung am gezeichneten Kapital eingeräumt ist; jedoch werden die Gesellschafter im Insolvenzplanverfahren wie nachrangige Gläubiger behandelt (§ 199 Satz 2 InsO) und wird insbesondere das Obstruktionsverbot gemäß § 245 Abs. 3 InsO auf die Gesellschafter erstreckt.199) Danach gilt die Zustimmung der Gruppe der Anteilseigner gemäß § 245 Abs. 1 InsO als erteilt, wenn 

kein Gläubiger wirtschaftliche Werte erhält, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen, und



kein Anteilsinhaber, der ohne einen Plan den Anteilsinhabern der Gruppe gleichgestellt wäre, bessergestellt wird als diese.

115 Die Voraussetzung des § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wonach eine Schlechterstellung durch den Plan nicht eintreten darf, dürfte in Person der Anteilsinhaber stets erfüllt sein, da die Beteiligung in der Alternative der sanierenden Übertragung oder der Zerschlagung wirtschaftlich unterginge, was sogar einen Totalverlust i. R. des Insolvenzplanverfahrens rechtfertigt.200) Insbesondere steht den Anteilseignern kein Anteil an dem durch den Insolvenzplan im Vergleich zur Liquidation des Unternehmens realisierten Fortführungswert zu,201) weil sie sich nämlich durch die Aufnahme von Fremdkapital der insolvenzrechtlichen Vorrangregel unterworfen haben, weshalb die Beachtung des Obstruktionsverbots zur Wahrung ihrer Interessen ausreichend ist.202) 116 Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Alt-Gesellschafter am Insolvenzplanverfahren zwar formell beteiligt sind, jedoch im Ergebnis wenig Einfluss auf das Abstimmungsergebnis haben. Sie werden in einer eigenen Gläubigergruppe isoliert, wobei die Zustimmung dieser Gläubigergruppe unter den einfachen Voraussetzungen des § 245 InsO fingiert werden kann.203) 117 Soweit die Alt-Gesellschafter oder einzelne von ihnen für sich reklamieren, dass die Anteile – ohne Berücksichtigung eines Fortführungswerts – (noch) nicht wertlos gewesen seien und ihnen deshalb im Plan eine Abfindung zuzugestehen sei, hätte der Plan zwar grundsätzlich die hierfür erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen (§ 251 Abs. 3 InsO); darauf bezogene Rechte können die Gläubiger jedoch allein und ausschließlich außerhalb des Plans geltend machen, wodurch die Vollziehbarkeit des Plans und damit die Umsetzung der gesellschaftsrechtlichen Maßnahme nicht gehindert wird. Das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegen die Bestätigung des Insolvenzplans ist darüber hinaus durch § 253 InsO eingeschränkt. Insbesondere die Zulassungshürde des § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO, ___________ 197) Mit diesem Befund zu Recht auch Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 164, abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/News/Artikel/101018_Gesamtbericht_Evaluierung_ESUG.pdf (Abrufdatum: 14.2.2023). 198) Ebenso K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1607; Hölzle, KTS 2011, 291, 322; a. A. J. M. Schmidt, GWR 2010, 568. 199) K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1608: „Die Dramatik dieses Ansatzes ist erheblich.“ 200) So auch Brinkmann, WM 2011, 97, 99. 201) Zur Frage, ob die Zuwendung eines Fortführungswerts durch Belassen der Gesellschafterstellung i. S. des § 245 InsO einen den Alt-Gesellschaftern zugewandten Vermögenswert darstellt, s. Hölzle, HRI II, § 25 Rz. 49 ff. 202) So zu Recht Eidenmüller, ZIP 2010, 649, 657. 203) Im Ergebnis wie hier K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1607: Die Gesellschafter werden in das gläubiger- und unternehmensorientierte Insolvenzplanverfahren „hereingezwungen“.

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§ 26

Anteilsinhaber, Eingriff in Anteilsrechte

wonach der Gesellschafter glaubhaft machen muss, dass er durch den Plan wesentlich schlechtergestellt wird, als er ohne einen Plan stünde, dürfte für den Alt-Gesellschafter schwer zu nehmen sein (siehe näher oben Hölzle, HRI II, § 25 Rz. 28 f.).204) Darüber hinaus hat der Regierungsentwurf des ESUG durch den Rechtsausschuss auch in § 253 InsO noch eine Änderung in letzter Minute erfahren: § 253 InsO wurde nämlich durch einen Absatz 4 ergänzt, wonach eine sofortige Beschwerde auf Antrag des Insolvenzverwalters unverzüglich zurückzuweisen ist, wenn das alsbaldige Wirksamwerden des Insolvenzplans vorrangig erscheint, weil die Nachteile einer Verzögerung des Planvollzugs nach freier Überzeugung des Gerichts die Nachteile für den Beschwerdeführer überwiegen. Die Regelung ist dem UMAG205) nachgebildet. Zeichnet sich der Widerstand der Alt-Gesellschafter gegen einen im Insolvenzplan vorge- 118 sehenen Debt Equity Swap ab, so wird der Insolvenzverwalter voraussichtlich beim zuständigen LG eine Schutzschrift entsprechend § 253 Abs. 4 InsO hinterlegen. Dabei wird in der Regel davon auszugehen sein, dass die Nachteile einer Verzögerung des Planvollzugs nach freier Überzeugung des Gerichts die Nachteile für den Beschwerdeführer überwiegen werden, weil die Rechte des Beschwerdeführers bereits der generellen Bewertung des § 199 InsO unterliegen und deshalb die Gläubigerinteressen vor den Gesellschafterinteressen im Insolvenzplanverfahren grundsätzlich Vorrang genießen. VI.

Formerfordernisse

Nach § 254a Abs. 2 InsO gelten sämtliche Maßnahmen i. S. des § 225a InsO und sämt- 119 liche Willenserklärungen der Beteiligten als in der vorgeschriebenen Form abgegeben. Gesellschaftsrechtlich erforderliche Ladungen, Bekanntmachungen und sonstige Maßnahmen zur Vorbereitung von Beschlüssen der Anteilsinhaber gelten als in der vorgeschriebenen Form bewirkt. In formeller Hinsicht bedarf es daher keiner weiteren Erfordernisse als der Aufnahme der entsprechenden Erklärungen in den gestaltenden Teil des Insolvenzplans. Dem Gebot der Übersichtlichkeit und der Bestimmtheit folgend, ist jedoch zu empfehlen, 120 in den gestaltenden Teil einen eigenen Abschnitt zu den gesellschaftsrechtlichen Beschlüssen aufzunehmen. Dies erleichtert nicht nur für die am Insolvenzplanverfahren Beteiligten die Lesbarkeit des Plans und die Übersichtlichkeit in Bezug auf die mit dem Plan verbundenen Rechtsfolgen, sondern erleichtert auch dem Registergericht die registerrechtliche Kontrolle, nachdem der Insolvenzverwalter gemäß § 254a Abs. 2 Satz 3 InsO die Änderungen angemeldet hat. Hinsichtlich der nach FamFG erforderlichen Formvoraussetzungen enthält § 254a InsO keine Erleichterung, so dass die notarielle Beglaubigung der vom Insolvenzverwalter berechtigterweise vorzunehmenden Anmeldung nach wie vor erforderlich bleibt. Hinsichtlich des Inhalts der Anmeldung sollte insbesondere beim Debt Equity Swap be- 121 rücksichtigt werden, dass hier eine modifizierte Erklärung erforderlich ist, folgt man der hier vertretenen Auffassung, wonach eine Umwandlung stets zum Nennwert der Gläubigerforderung erfolgen kann, darf und sollte (siehe oben Rz. 83 ff., 106). VII. Kollision mit schuldrechtlichen Vertragsklauseln Nach Vorlage des Regierungsentwurfs zum ESUG hat es zum Teil erhebliche Kritik206) 122 insoweit gegeben, als der Entwurf keine Regelung hinsichtlich der Wirkung von Change___________ 204) Zum eingeschränkten Rechtsschutz auch Bauer/Dimmling, NZI 2011, 517, 519. 205) Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG), v. 22.9.2005, BGBl. I 2005, 2802. 206) Statt vieler Brinkmann, WM 2011, 97, 101 f.

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§ 26

2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

of-Control-Klauseln207) enthalte, so dass für den Fall eines Kontrollwechsels durch Änderung der gesellschaftsrechtlichen Struktur den Vertragspartnern Sonderkündigungsrechte vorbehalten blieben, die den Sanierungszweck des Insolvenzplans vereiteln könnten. Wenn dieser Kritik auch Argumente entgegenzusetzen waren,208) so ist die durch den Rechtsausschuss in den Gesetzentwurf noch eingefügte Ergänzung des § 225a InsO um einen Absatz 4, wonach Kündigungsrechte auf Grundlage von Change-of-Control-Klauseln oder Change-of-Ownership-Klauseln ausgeschlossen werden, doch begrüßenswert. 123 Im gestaltenden Teil des Insolvenzplans vorgesehene gesellschaftsrechtliche Maßnahmen können daher keine ungewollten Folgen auf schuldrechtlicher Ebene in den Vertragsbeziehungen zu den bisherigen Lieferanten, Kunden und Kreditgebern der Gesellschaft begründen. Der Debt Equity Swap ist damit als finanzwirtschaftliches Sanierungselement im Insolvenzplanverfahren angekommen.

___________ 207) Dazu allg. Mielke/Nguyen-Viet, DB 2004, 2515. 208) Vgl. Hölzle, NZI 2011, 124, 129.

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§ 27 Der Kreditrahmen im Insolvenzplan Frege/Nicht

I.

Regelungsinhalt der §§ 264 ff. InsO und Bedeutung für die Unternehmenssanierung............................................. 5 1. Regelungsinhalt ............................................ 5 2. Normzweck der Kreditrahmenvorschriften – Bedeutung für die Unternehmenssanierung...................................... 10 3. Weitere Effekte für die Fortführungsfinanzierung................................................ 17 II. Tatbestandsmerkmale für eine Privilegierung von Darlehen ........................... 22 1. Forderung aus Darlehen ............................ 23 2. Forderungen aus sonstigen Krediten ........ 24 3. Kreditaufnahme durch die Insolvenzschuldnerin oder die Übernahmegesellschaft.................................................. 26

4.

Kreditaufnahme während der Überwachungsphase (sog. Neukredit).............. 27 5. Stehenlassen eines Massedarlehens (sog. Altkredit) .......................................... 28 6. Notwendige Festlegung eines Gesamtbetrags......................................................... 30 III. Rechtliche Grenzen für den Darlehensvorrang ............................................... 31 IV. Notwendige Vereinbarung mit den Darlehensgebern und Bestätigung durch den Insolvenzverwalter................. 35 V. Behandlung von Gesellschafterdarlehen...................................................... 37 VI. Umfang der Privilegierung...................... 38 VII. Zeitpunkt der Privilegierung ................. 41 VIII. Öffentliche Bekanntmachung .............. 43

Literatur: Dinstühler, Kreditrahmenabreden gem. den §§ 264 ff. InsO, ZInsO 1998, 243; Ganter, Echte und unechte Massekredite, NZI 2020, 249; Heni, Funktionen und Konzeption insolvenzrechtlicher Planbilanzen, ZInsO 2006, 57; Jaffé/Friedrich, Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des Insolvenzstandorts Deutschland, ZIP 2008, 1849; Knof, Erfordert die Fortführungsfinanzierung (doch) einen Umverteilungstatbestand im Insolvenzrecht?, ZInsO 2010, 1999; Madaus/Knauth, Die Wirkungsweise des Schutzes von Sanierungsfinanzierungen durch eine Restrukturierungsrichtlinie am Beispiel des unechten Massekredits, ZIP 2018, 149; Parzinger, Der Vorrang für neues Geld nach der Restrukturierungsrichtlinie, ZIP 2019, 1748; Uhlenbruck, Von der Notwendigkeit eines eigenständigen Sanierungsgesetzes, NZI 2008, 201; Westphal/Janjuah, Zur Modernisierung des deutschen Sanierungsrechts, Beilage zu ZIP 3/2008, S. 1.

Das Gelingen einer operativen Sanierung im eröffneten Insolvenzverfahren – sei es auf der 1 Grundlage von Insolvenzplan (§§ 217 ff. InsO) und Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO) oder auf eher traditionelle Art und Weise durch eine übertragende Sanierung – setzt regelmäßig voraus, dass der Insolvenzschuldnerin frisches Kapital – zumeist in Form von Krediten – zur Verfügung gestellt wird, mit dem der Sanierungsplan (vgl. § 220 Abs. 1 und Abs. 2, 229, 230 InsO) umgesetzt werden kann.1) In der Praxis muss die angespannte Liquiditätslage bereits sehr früh im Eröffnungsverfahren durch Kreditaufnahmen entspannt werden.2) Es stehen mit dem echten und dem unechten Massekredit nutzbare verfahrensrechtliche Gestaltungen zur Verfügung.3) Hiergegen befassen sich die §§ 264 ff. InsO über den Kreditrahmen im Insolvenzplan mit denjenigen Krediten (Darlehen und vergleichbare Schuldverhältnisse), die das (spätere) Zeitfenster der sog. Überwachung der Insolvenzplanerfüllung (§§ 260 ff. InsO) betreffen, also während der Planüberwachungsphase aufgenommen bzw. in dieses Zeitfenster hinein stehengelassen werden. ___________ 1) S. a. zum Liquiditätsmanagement und zur Liquiaditätsplanung Rendels/Zabel, Insolvenzplan, B. III. S. 32, 33; Wiegand in: Brühl/Göpfert, Unternehmensrestrukturierung, S. 165 ff.; Mazur/Wentzler in: Borchardt/Frind, Die Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, Kap. 9 E., S. 410 ff.; Thiele in: Buth/ Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 14 Rz. 245 ff.; zu Überbrückungs- und Sanierungskrediten Kemper in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 3 Rz. 50 ff.; Pluta/ Keller in: Mönning, Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz, § 8 Rz. 59 ff.; Gless/Undritz/ Lambrecht in: Brühl/Göpfert, Unternehmensrestrukturierung, S. 261, 280. 2) Vgl. Madaus/Knauth, ZIP 2018, 149. 3) S. Ganter, NZI 2020, 249 ff.

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§ 27

2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

2 Die wirtschaftliche Notwendigkeit der Aufnahme von Fremdmitteln bleibt auch von der mit dem ESUG4) geschaffenen Möglichkeit des Debt Equity Swaps im Insolvenzplan gemäß § 225 Abs. 2 InsO grundsätzlich unberührt, denn dieser mit dem Debt Equity Swap bewirkte Tausch von Insolvenzforderungen in Beteiligungsrechte am Schuldner-Rechtsträger führt lediglich zu einer (partiellen) Entschuldung und verschafft der Insolvenzschuldnerin selbst noch nicht die benötigte frische Liquidität. Der Debt Equity Swap kann allenfalls die Voraussetzungen für eine Neukreditierung schaffen, weil er mit der Beseitigung der Überschuldung die Kreditwürdigkeit wiederherstellen kann. 3 Das Insolvenzrecht bot potenziellen Kreditgebern bislang wenige Anreize, sich während des Eröffnungsverfahrens und des eröffneten Insolvenzverfahrens zu engagieren.5) Auch das ESUG als Reformgesetz im Jahr 2012 mit dem Ziel der Verbesserung der Rahmenbedingungen für Betriebssanierungen sah keine Vorschriften vor, mit denen die Finanzierung einer Fortführung und Sanierung der Insolvenzschuldnerin unter erleichterten Voraussetzungen unmittelbar bewirkt werden kann (zu den mittelbaren Finanzierungserleichterungen siehe sogleich Rz. 16 ff.).6) 4 Die in der Rechtspraxis als wenig wirksam7) empfundenen Vorschriften der InsO über den sog. Kreditrahmen im Insolvenzplan (§§ 264 bis 266, 267 Abs. 2 Nr. 3 InsO) gelten unverändert fort.8) Sie sollen auch im Anschluss an die jüngeren Reformen der InsO durch das ESUG und das SanInsFoG9) in bekannter Ausgestaltung dafür sorgen, dass der Insolvenzschuldnerin oder – bei übertragender Sanierung durch den Insolvenzplan (§ 260 Abs. 3 InsO) – der Übernahmegesellschaft Liquidität in Form von Darlehen10) unter bevorzugter Behandlung der Kreditgeber zugeführt werden kann,11) wobei zu beachten ist, dass es hier um stehengelassene Massekredite oder neue Kredite nach Bestätigung des Insolvenzplans geht. I.

Regelungsinhalt der §§ 264 ff. InsO und Bedeutung für die Unternehmenssanierung

1.

Regelungsinhalt

5 In § 264 Abs. 1 Satz 1 InsO sieht das Gesetz vor, dass der Planverfasser in den gestaltenden Teil des Insolvenzplans eine Regelung aufnehmen kann, wonach die Insolvenzgläubiger in der Zukunft nachrangig sind, gegenüber Gläubigern mit Forderungen aus Darlehen oder sonstigen Krediten, die die Insolvenzschuldnerin oder die Übernahmegesellschaft12) während der Zeit der Planüberwachung aufnimmt oder die ein Massegläubiger13) in die Zeit der Planüberwachung hinein stehen lässt.14) Die vorbezeichneten Darlehensgläubiger ___________ 4) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), v. 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2582. 5) S. Madaus/Knauth, ZIP 2018, 149 ff.; Parzinger, ZIP 2019, 1748 ff. 6) Zur Fortführungsfinanzierung Knof, ZInsO 2010, 1999. 7) Parzinger, ZIP 2019, 1748, 1749. 8) Zur Kritik an den Vorschriften Braun/Frank in: Kölner Schrift, S. 809 ff.; Knof, ZInsO 2010, 1999, 2004 f. 9) Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256. 10) Zu den Alternativen Rendels/Zabel, Insolvenzplan, B. III., S. 33. 11) S. a. Thies in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 1; Drukarczyk/Fridgen in: MünchKomm-InsO, § 264 Rz. 1. 12) Vgl. die Legaldefinition der Übernahmegesellschaft in § 260 Abs. 3 InsO. 13) Vgl. Ganter, NZI 2020, 249 ff. 14) Drukarczyk/Fridgen in: MünchKomm-InsO, § 264 Rz. 1.

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§ 27

Der Kreditrahmen im Insolvenzplan

werden mithin – soweit sämtliche Formalien des § 264 InsO eingehalten sind und der Insolvenzplan rechtskräftig zustande kommt – nach Maßgabe des § 264 InsO privilegiert.15) Dies bedeutet, dass es in einem Folgeinsolvenzverfahren zu einer Rangbildung innerhalb der dann zu berücksichtigenden Insolvenzgläubiger gemäß § 38 InsO kommt.16) Nach den Massekosten und Masseverbindlichkeiten gemäß §§ 53 ff. InsO werden in dem Anschlussinsolvenzverfahren zunächst die Kreditrahmenverbindlichkeiten befriedigt und erst nach deren Ausgleichung die weiteren Insolvenzgläubiger im Rang des § 38 InsO und hiernach – sofern vorhanden – die nachrangigen Insolvenzgläubiger gemäß § 39 InsO.17) Die Grundregel des § 264 InsO wird durch § 265 Satz 1 und 2 InsO ergänzt und erwei- 6 tert, indem der Nachrang auch sonstige vertragliche Ansprüche erfasst, die erst während der Zeit der Planüberwachung begründet werden, und ferner Ansprüche aus vertraglichen Dauerschuldverhältnissen, deren Rechtsgrund vor Eintritt in die Planüberwachungsphase gelegt wurde. Insoweit entfaltet der Kreditrahmen auch materielle Auswirkungen auf neu hinzutretende Gläubiger, die über den Insolvenzplan nicht mit abgestimmt haben, sondern diesen als gegeben vorfinden. Gleichwohl mutet man auch ihnen den Nachrang gegenüber Kreditrahmenforderungen zu, weil sie mit der Insolvenzschuldnerin oder der Übernahmegesellschaft im Bewusstsein der bestehenden Insolvenzplanregelungen kontrahiert haben (zur öffentlichen Bekanntmachung der Kreditrahmenregelung siehe Rz. 43). Gemäß § 266 Abs. 1 und Abs. 2 InsO wirkt sich die Privilegierung der in § 264 InsO be- 7 zeichneten Darlehensgläubiger erst in einem zukünftigen Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin oder der Übernahmegesellschaft aus, wenn dieses vor der Aufhebung der Planüberwachung eröffnet wurde.18) Diese Regelung bewirkt zusammen mit § 268 Abs. 1 Nr. 2 InsO, dass der Nachrang der sonstigen Ansprüche hinter den privilegierten Darlehensforderungen längstens für einen Zeitraum von drei Jahren besteht, denn drei Jahre nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens – gleichbedeutend mit dem Eintritt in die Planüberwachungsphase (§ 259 Abs. 2, § 260 InsO) – hat das Insolvenzgericht die Aufhebung der Planüberwachung zu beschließen. Insoweit sollte die Kreditlaufzeit drei Jahre nicht überschreiten, wenn nicht der Begünstigte der Planregelung mit der Kreditrahmenregelung ausfallen möchte.19) Wird erst im Anschluss an diesen Drei-Jahres-Zeitraum nach Aufhebung des Insolvenz- 8 verfahrens ein weiteres Insolvenzverfahren über das Vermögen der vormaligen Insolvenzschuldnerin oder über dasjenige der Übernahmegesellschaft eröffnet, greift die Privilegierung aufgrund des sog. Kreditrahmens gemäß § 264 InsO nicht mehr ein. Die Kreditrahmengläubiger sind dann lediglich einfache Insolvenzgläubiger im Rang des § 38 InsO ohne entsprechende Vorrechte gegenüber den sonstigen Insolvenzgläubigern. Für potenzielle Kreditgeber der Insolvenzschuldnerin, die eine Sanierung i. R. des Insol- 9 venzplanverfahrens durch die Zuführung frischer Darlehensmittel oder durch das Stehenlassen von Masseverbindlichkeiten unterstützen möchten, ist es deshalb von großer Bedeutung, dass der Vorrang dieser Kreditverbindlichkeiten wirksam begründet und innerhalb der Drei-Jahres-Frist nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens realisiert wird. Sie gehen durch Bereitstellung neuer Mittel in der Krise des Unternehmens ein erhöhtes Risiko ein20) und ___________ 15) Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 264 Rz. 8, 9. 16) Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 266 Rz. 1; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 264 Rz. 8, 9. 17) Zur Befriedigungsreihenfolge gemäß § 266 InsO Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 266 Rz. 17; Kebekus/ Wehler in: Graf-Schlicker, InsO, § 266 Rz. 1. 18) Pleister in: KPB, InsO, § 264 Rz. 4; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 264 Rz. 25. 19) S. Thies in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 3. 20) S. Thies in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 1.

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§ 27

2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

werden regelmäßig ein besonderes Interesse an der ordnungsgemäßen Planüberwachung gemäß § 260 Abs. 2 und 3 InsO haben, um das Risiko einer Anschlussinsolvenz nach Ablauf des Drei-Jahres-Zeitraums möglichst gering zu halten. 2.

Normzweck der Kreditrahmenvorschriften – Bedeutung für die Unternehmenssanierung

10 Die Vorschriften der §§ 264 ff. InsO dienen dazu, die Sanierungschancen des insolventen Unternehmens zu erhöhen.21) Bereits der Gesetzgeber der InsO hat gesehen, dass eine Sanierung der Insolvenzschuldnerin häufig nur gelingen wird, wenn dem wirtschaftlich angeschlagenen Unternehmen nach der Bestätigung des Insolvenzplans und der sich anschließenden Aufhebung des Insolvenzverfahrens neue Kredite gewährt werden, „mit denen die schwierige Anlaufzeit nach dem Insolvenzverfahren überbrückt wird“.22) Der Gesetzgeber ging zutreffend davon aus, dass die Bereitschaft von Banken, Lieferanten und Versicherern zur Vergabe neuer Kredite an die Insolvenzschuldnerin nur – wenn überhaupt – vorhanden sein wird, wenn die Kreditgeber bei gescheitertem Sanierungsversuch in einem Anschlussinsolvenzverfahren ihre Rechtsposition durchsetzen können.23) Hierzu soll die Schaffung des Rangverhältnisses zwischen den Kreditrahmengläubigern und den weiteren Insolvenzgläubigern dienen. Zutreffend wird in der Literatur darauf hingewiesen, dass die Regeln über den Kreditrahmen das Risiko der Kreditgeber nicht vollständig beantworten können, sondern lediglich zu einer Risikominderung führen.24) 11 Aus gesellschafts- und bankaufsichtsrechtlichen Gründen werden die Kreditinstitute darauf dringen müssen, marktübliche Kreditsicherheiten für die Gewährung der Neukredite zu erhalten. Diese Kreditsicherheiten werden im Zeitpunkt der Insolvenzplanlösung üblicherweise – dies berücksichtigt auch der Gesetzgeber der InsO – nicht zur Verfügung stehen,25) so dass die Privilegierung gemäß §§ 264 ff. InsO regelmäßig die einzige „Kreditsicherheit“ für die neuen Darlehensmittel darstellen wird. Die Rechtsposition von Aussonderungsberechtigten gemäß § 47 InsO und auch diejenige von Absonderungsberechtigten i. S. der §§ 49 ff., 52, 190 InsO, in deren Hand sich die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens überlassenen Kreditsicherheiten befinden, wird durch die Kreditrahmenvorschriften nicht tangiert.26) 12 Im Schrifttum27) werden erhebliche Zweifel an der Tauglichkeit der §§ 264 ff. InsO zur Zielerreichung – Stärkung der Kreditvergabebereitschaft der Fremdkapitalgeber – artikuliert: 13 Hier wird zunächst die durch § 266 Abs. 1, § 268 Abs. 1 Nr. 2 InsO bewirkte zeitliche Befristung des Vorrangs genannt, die im Vergleich zur realen Dauer einer Unternehmenssanierung recht kurz ausfällt.28) 14 Daneben wird die Verengung des sachlichen Anwendungsbereichs der §§ 264, 265 InsO, d. h. das Zurücktreten lediglich der einfachen Insolvenzgläubiger im Rang des § 38 InsO, ___________ 21) Pleister in: KPB, InsO, § 264 Rz. 2, 3; Thies in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 1; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 264 Rz. 1. 22) Begr. RegE InsO z. § 311, BT-Drucks. 12/2443, S. 216. 23) Begr. RegE InsO z. § 311, BT-Drucks. 12/2443, S. 216; s. Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, S. 132, Rz. 6.92; Drukarczyk/Fridgen in: MünchKomm-InsO, § 264 Rz. 1. 24) Thies in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 1. 25) Braun/Frank in: Kölner Schrift, S. 809, 812; Drukarczyk/Fridgen in: MünchKomm-InsO, § 264 Rz. 2; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 264 Rz. 8. 26) Eingehend Braun/Frank in: Kölner Schrift, S. 809, 819 f., 822; Pleister in: KPB, InsO, § 264 Rz. 5; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 264 Rz. 10; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 264 Rz. 27 ff. 27) Vgl. die Auseinandersetzung bei Drukarczyk/Fridgen in: MünchKomm-InsO, § 264 Rz. 20 ff. 28) Knof, ZInsO 2010, 1999, 2004.

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§ 27

Der Kreditrahmen im Insolvenzplan

kritisch besprochen. Die Rechte der Aussonderungsberechtigten und der Absonderungsberechtigten bleiben von §§ 264, 265 InsO unangetastet (siehe auch unten Schultze, HRI II, § 41 Rz. 57 ff.).29) Dies würde in der Praxis die Kreditvergabebereitschaft nicht stärken, denn es wird damit gerechnet, dass außerhalb des Absonderungsbereichs kein nennenswertes Vermögen hinzugewonnen werden kann, so dass die Privilegierung in einem Folgeinsolvenzverfahren ins Leere laufen könnte.30) Schließlich wird eine Unzulänglichkeit der Kreditrahmenregelung in § 264 Abs. 3 InsO 15 gesehen, wonach der Kreditrahmen, der vom Insolvenzplanverfasser im gestaltenden Teil des Insolvenzplans betragsmäßig festgelegt werden muss, den Wert der Vermögensgegenstände nicht übersteigen darf, die in der Vermögensübersicht des Plans (§ 229 Satz 1 InsO) aufgeführt sind. Im Schrifttum wird hiergegen vorgetragen, dass diesen Werten in einem Folgeinsolvenzverfahren keine echte Aussagekraft mehr zukomme.31) Denn es könne zwischenzeitlich – in der geplanten Sanierungsphase zwischen der Aufhebung des Ausgangsinsolvenzverfahrens und der Eröffnung des Folgeinsolvenzverfahrens – zu einer Entwertung der Vermögensgegenstände kommen. Zudem werde das Folgeinsolvenzverfahren üblicherweise als Liquidationsinsolvenzverfahren nach gescheitertem Sanierungsversuch durchgeführt, so dass im Vermögensstatus mit Liquidationswerten anzusetzen ist, was vor Aufhebung des Ausgangsinsolvenzverfahrens aufgrund der zu diesem Zeitpunkt bestehenden Fortführungsprognose noch mit Fortführungswerten anzusetzen war.32) Ob diese Umstände in der Wirtschaftspraxis tatsächlich zu einer mangelnden Finanzie- 16 rungsbereitschaft potenzieller Kreditgeber führen, mithin eine ungeeignete gesetzliche Konstruktion vorliegt, kann wegen fehlender statistischer Erhebungen nicht abschließend bewertet werden.33) Die Erfahrung lehrt jedoch, dass die Kreditvergabebereitschaft regelmäßig an das Vorhandensein von Kreditsicherheiten gebunden wird. Denn bereits der Umstand, dass es zu einer Folgeinsolvenz innerhalb von drei Jahren nach Insolvenzplanbestätigung kommt, in der der Vorrang der Kreditrahmendarlehen geltend gemacht werden soll, zeigt, dass die Insolvenzschuldnerin nicht in der Lage gewesen ist, neues Vermögen zur Befriedigung ihrer Gläubiger zu bilden. 3.

Weitere Effekte für die Fortführungsfinanzierung

Das ESUG hat eine Reihe von Neuerungen herbeigeführt, die eine Fortführungsfinanzie- 17 rung mittelbar begünstigen:34) Zunächst müssen gemäß § 258 Abs. 2 InsO nicht mehr sämtliche Masseverbindlichkei- 18 ten vor der Bestätigung des Insolvenzplans und der Aufhebung des Insolvenzverfahrens beglichen werden. Dies war ein wesentlicher Kritikpunkt an den früheren Insolvenzplanregeln.35) Die nunmehr geltende Rechtslage bewirkt, dass z. B. Massedarlehen vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens anlässlich der Planbestätigung nicht mehr vollständig zu___________ 29) Braun/Frank in: Kölner Schrift, S. 809, 819 f., 822; Drukarczyk/Fridgen in: MünchKomm-InsO, § 264 Rz. 18; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 264 Rz. 20; Knof, ZInsO 2010, 1999, 2004; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 264 Rz. 27 ff.; Pleister in: KPB, InsO, § 264 Rz. 5. 30) Braun/Frank in: Kölner Schrift, S. 809, 812. 31) Knof, ZInsO 2010, 1999, 2004; s. bereits Heni, ZInsO 2006, 57, 60 – unter Bezugnahme auf Braun in: Kölner Schrift, 1997, S. 866. 32) Knof, ZInsO 2010, 1999, 2004; Thies in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 5. 33) S. jedoch Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 264 Rz. 2; Tetzlaff/Kern in: MünchKomm-InsO, § 266 Rz. 5; Thies in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 1; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 264 Rz. 19 ff. 34) Knof, ZInsO 2010, 1999, 2008. 35) S. nur Jaffé in: Kölner Schrift, S. 743 ff.; Jaffé/Friedrich, ZIP 2008, 1849, 1853; Uhlenbruck, NZI 2008, 201, 205; Westpfahl/Janjuah, ZIP Beilage z. Heft 3/2008, S. 1 ff.

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rückgeführt werden müssen. Es reicht aus, dass ein Finanzplan hinreichende Aussichten für die Rückführung nach Verfahrensaufhebung belegt.36) Die Regelung könnte im Zusammenwirken mit einem frühzeitig eingereichten Insolvenzplan (z. B. einem „PrepackagedInsolvenzplan“)37) zu einer Steigerung der Kreditvergabebereitschaft führen. 19 Nach Ansicht der Literatur wird sich auch die Regelung in § 259a und § 259b InsO (Vollstreckungsschutz und besondere Verjährung), wonach Forderungen, die nicht dem Insolvenzplan unterworfen waren, weil sie bislang nicht bekannt waren, nur noch unter erschwerten Bedingungen geltend gemacht werden können, mittelbar auf die Fortführungsfinanzierung auswirken, denn sie bewirke mehr Rechts- und Planungssicherheit für den Insolvenzplanverfasser und schütze „die Finanzplanung des Sanierungskonzepts vor bösen Überraschungen“.38) 20 Schließlich kommt eine besondere Bedeutung dem mit dem ESUG eingeführten Debt Equity Swap gemäß § 225a InsO zu, denn dieses Instrument führt aufgrund seiner Tauschwirkung von Krediten zu Eigenkapital zu einer Verringerung der Fremdkapitalbelastung des zu sanierenden Unternehmens und zu einer Erhöhung von dessen Eigenkapitalquote.39) Insoweit fallen auch Zinsbelastungen aus den umgewandelten Darlehen weg bzw. wandeln sich in günstigere Dividendenerwartungen; Kreditsicherheiten könnten damit frei werden und fortan zur anderweitigen Verwendung stehen. Schließlich verbessert sich durch die Verschiebung der Fremd- und Eigenkapitalquoten die Kreditwürdigkeit der Insolvenzschuldnerin.40) 21 Die hier beschriebenen Maßnahmen und Instrumente wirken sich mittelbar auf die Finanzverfassung der Insolvenzschuldnerin aus. Sie können innerhalb der Fortführungsfinanzierung ergänzend zu Kreditrahmenkrediten i. S. der §§ 264 ff. InsO eingesetzt werden. II.

Tatbestandsmerkmale für eine Privilegierung von Darlehen

22 Durch die Reformen der InsO in den letzten Jahren – insbesondere durch das ESUG und das SanInsFoG – wurden die Tatbestandsmerkmale der §§ 264 ff. InsO nicht geändert. Insoweit kann für die Gesetzesanwendung grundsätzlich auf die vorhandene Rechtsprechung und Literatur zurückgegriffen werden. 1.

Forderung aus Darlehen

23 Die Privilegierung aufgrund von §§ 264 ff. InsO erfasst zunächst Forderungen aus Darlehensverträgen gemäß § 488 Abs. 1 BGB, d. h. die Rückzahlungspflicht des Darlehensnehmers. Sie entsteht mit Valutierung des Darlehens.41) Hinzu kommen Ansprüche auf Zahlung von Zinsen und Kosten. In die Privilegierung durch §§ 264 ff. InsO einbezogen sind

___________ 36) Begr. RegE ESUG z. § 258 InsO, BT-Drucks. 17/5712, S. 55. 37) Zum Einreichungszeitpunkt für den Insolvenzplan Frege/Nicht in: Theiselmann, Praxishdb. des Restrukturierungsrechts, Kap. 17 D. I., Rz. 101 ff.; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 218 Rz. 12; s. dazu oben Rendels, HRI II, § 19 Rz. 22 ff. und Körner/Rendels, HRI II, § 20 Rz. 13 ff. 38) Knof, ZInsO 2010, 1999, 2008. 39) Zum Debt Equity Swap gemäß § 225a InsO s. nur Heckschen in: Reul/Heckschen/Wienberg, Insolvenzrecht in der Gestaltungspraxis, § 4 C. I., Rz. 411 ff.; Knecht/Haghani in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 18 Rz. 45 ff.; Spahlinger in: KPB, InsO, § 225a Rz. 8 ff.; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 19 ff. 40) Hierzu Knof, ZInsO 2010, 1999, 2008. 41) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 264 Rz. 3; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 264 Rz. 10.

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Der Kreditrahmen im Insolvenzplan

ferner Sachdarlehen gemäß §§ 607 f. BGB, Kontokorrentkredite, Wechselkredite und selbst partiarische Darlehen.42) Die Vorschrift ist grundsätzlich weit auszulegen.43) 2.

Forderungen aus sonstigen Krediten

Im Gegensatz zur überkommenen Vorschrift in § 106 VglO, wonach ausschließlich Dar- 24 lehensforderungen bevorzugt worden waren, sieht das geltende Recht in § 264 Abs. 1 InsO auch die Besserstellung von Forderungen aus „sonstigen Krediten“ vor.44) Die Literatur möchte dieses Tatbestandsmerkmal sehr weit auslegen.45) Es werden alle geldwerten Leistungen erfasst, denen „rechtlich Kreditcharakter“ zukommt.46) Sie sind abzugrenzen gegen Geld- und Sachleistungen, die nicht als Fremdkapitalzuführungen anerkannt sind, d. h. sämtliche Eigenkapitalüberlassungen und Finanzierungshilfen durch Gesellschafter, die funktional als Eigenkapital zu qualifizieren sind.47) Es ist hierbei darauf abzustellen, ob das jeweilige Finanzierungsinstrument Kennzeichen unternehmerischer Verlustbeteiligung aufweist. Die Begründung des RegE zur InsO nennt als „sonstige Kredite“ insbesondere die Liefe- 25 rantenkredite in Form von Stundungen von Kaufpreisforderungen.48) In der Literatur werden zudem Kredite durch Warenkreditversicherer sowie Aval- und Diskontkredite unter dem Tatbestand des § 264 Abs. 1 InsO erfasst.49) 3.

Kreditaufnahme durch die Insolvenzschuldnerin oder die Übernahmegesellschaft

Die §§ 264 ff. InsO erfassen sowohl Kredite, welche die Insolvenzschuldnerin selbst auf- 26 genommen hat – dies können sog. Altkredite aus der Zeit vor der Planüberwachung sein und sog. Neukredite, die in der Überwachungsphase zusätzlich aufgenommen werden –, als auch Kredite der Übernahmegesellschaft (vgl. § 260 Abs. 3 InsO), die lediglich in Form von Neukrediten vorliegen dürften, da die Übernahmegesellschaft erst mit Planbestätigung das Unternehmen bzw. Teile hiervon übernimmt und als eigenständige juristische Person fortführt.50) 4.

Kreditaufnahme während der Überwachungsphase (sog. Neukredit)

Das Gesetz zeigt, dass Kreditaufnahmen in der Überwachungsphase unter dem Kredit- 27 rahmen zulässig sind, soweit der Kreditrahmen noch nicht ausgeschöpft ist.51) Die bevorzugte Behandlung solcher Neukredite setzt voraus, dass sie vor dem Aufhebungszeitpunkt des § 268 Abs. 1 InsO gewährt werden.52) Am Abschluss der Darlehensverträge wirkt der Insolvenzverwalter grundsätzlich nicht mit, da gemäß § 259 Abs. 1 InsO sein Amt mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens endet und die Insolvenzschuldnerin die Ver___________ 42) Drukarczyk/Fridgen in: MünchKomm-InsO, § 264 Rz. 6, 7; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 264 Rz. 4; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 266 Rz. 5. 43) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 264 Rz. 3; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 264 Rz. 3. 44) Vgl. Pleister in: KPB, InsO, § 264 Rz. 9, 10; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 266 Rz. 5. 45) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 264 Rz. 3; Thies in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 3. 46) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 264 Rz. 3. 47) Auch kapitalersetzende Darlehen erfahren eine von § 264 InsO abweichende Sonderbehandlung; Drukarczyk/Fridgen in: MünchKomm-InsO, § 264 Rz. 7, 32. 48) Begr. RegE InsO § 311, BT-Drucks. 12/2443, S. 216; Pleister in: KPB, InsO, § 264 Rz. 10. 49) Ausführlich Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 264 Rz. 4 und 5. 50) Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 266 Rz. 6. 51) Vgl. Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 266 Rz. 6, 7, 8. 52) S. Thies in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 6.

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fügungszuständigkeit wieder erlangt. Es kann jedoch im gestaltenden Teil des Insolvenzplans vorgesehen werden, dass der Insolvenzverwalter dem Vertragsabschluss zustimmen muss (vgl. § 263 InsO). Ungeachtet dessen muss der Insolvenzverwalter aber auch bei Neukrediten die schriftliche Bestätigung gemäß § 264 Abs. 2 InsO erteilen.53) In diesem Zusammenhang kann es für den Insolvenzverwalter i. R. der Planüberwachung geboten sein, die Gefährdung der Planerfüllung gemäß § 262 InsO anzuzeigen. 5.

Stehenlassen eines Massedarlehens (sog. Altkredit)

28 Massedarlehen sind diejenigen Kredite, die ein vorläufiger Insolvenzverwalter gemäß § 22 Abs. 1, § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO oder ein Insolvenzverwalter gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO mit Wirkung für und gegen die Insolvenzmasse aufgenommen hat. Ebenfalls hierzu zählen die Kreditverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2, § 103 InsO aus Darlehensverträgen, deren Erfüllung der Insolvenzverwalter gewählt hat. Das „Stehenlassen“ ist einer Neuausreichung eines Kredits gleichzustellen, denn der Verzicht eines Gläubigers auf rechtzeitige Befriedigung ist als Kreditvergabeentscheidung zu qualifizieren.54) 29 Vor dem Inkrafttreten des ESUG hatte man solche Massedarlehen für privilegierungsfähig gemäß § 264 Abs. 1 InsO gehalten, wenn ein ausdrückliches „Stehenlassen“ des Gläubigers vorlag.55) Da gemäß § 258 Abs. 2 InsO die Verpflichtung bestand, vor der Bestätigung des Insolvenzplans und der Aufhebung des Insolvenzverfahrens sämtliche Masseverbindlichkeiten auszugleichen, konnte ein Stehenlassen nur begründet werden, wenn ein ausdrücklicher Verzicht auf diese zeitgemäße Rückzahlung zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Kreditgeber vereinbart wurde. Mit dem ESUG wurde die Rechtspflicht zur Ausgleichung der Masseverbindlichkeiten vor Verfahrensaufhebung in § 258 Abs. 2 InsO aufgehoben bzw. modifiziert. Nunmehr reicht es aus, wenn für die streitigen und nicht fälligen Verbindlichkeiten Sicherheit geleistet wird; im Hinblick auf die noch nicht fälligen Masseansprüche ist es ausreichend, wenn ein Finanzplan die Erfüllbarkeit der Masseverbindlichkeiten belegt. Insoweit dürfte für das Stehenlassen die Bezugnahme auf diesen Finanzplan genügen. 6.

Notwendige Festlegung eines Gesamtbetrags

30 Gemäß § 264 Abs. 1 Satz 2 InsO muss ein Gesamtbetrag für die vorrangig zu befriedigenden Darlehen im gestaltenden Teil des Insolvenzplans angegeben werden.56) Hiermit formuliert der Gesetzgeber die Legaldefinition des Kreditrahmens. Zwar ist dem Planverfasser zu empfehlen, die unter die §§ 264 ff. InsO fallenden Darlehensforderungen im gestaltenden Teil des Insolvenzplans einzeln oder geordnet nach Gruppen auszuweisen.57) Ausreichend ist jedoch die Angabe einer maximalen Gesamthöhe für sämtliche privilegierten Darlehen.58) Diese Angabe einer Gesamthöhe ist bereits wegen § 264 Abs. 1 Satz 3 InsO erforderlich, wonach der Kreditrahmen den Wert der Vermögensgegenstände aus der Vermögensübersicht (vgl. § 229 InsO) nicht übersteigen darf. Die Einhaltung dieser Relation ist vom Insolvenzgericht zwingend i. R. der Rechtmäßigkeitsprüfung (§ 231 Abs. 1 Nr. 1, § 250 Nr. 1 InsO) sicherzustellen. Darüber hinaus ist die Einzeldarstellung der besserge___________ 53) Vgl. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 264 Rz. 21, 22. 54) Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 264 Rz. 3. 55) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 264 Rz. 11; vgl. auch Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 264 Rz. 3. 56) Drukarczyk/Fridgen in: MünchKomm-InsO, § 264 Rz. 8 ff.; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 266 Rz. 2, 3, 4. 57) S. a. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 264 Rz. 12. 58) Thies in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 5.

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Der Kreditrahmen im Insolvenzplan

stellten Kredite im gestaltenden Teil des Insolvenzplans jedoch bereits deshalb opportun, weil gemäß § 264 Abs. 2 InsO mit den entsprechenden Darlehensgebern vereinbart werden muss, dass und in welcher Höhe der von ihnen jeweils gewährte Kredit nach Hauptforderung, Zinsen und Kosten (vgl. auch § 367 BGB) in die Privilegierung durch den Kreditrahmen fällt. Die Einzeldarstellung führt für alle Beteiligten zu mehr Sicherheit im Hinblick auf die angestrebte Besserstellung, weil sowohl die planbeteiligten Darlehensgläubiger als auch die übrigen Planbeteiligten einen besseren Überblick über die Finanzplanung gewinnen können.59) III.

Rechtliche Grenzen für den Darlehensvorrang

Gemäß § 264 Abs. 1 Satz 3 InsO darf der als Kreditrahmen definierte Gesamtbetrag der 31 privilegierten Kredite den Wert der Vermögensgegenstände nicht übersteigen, die in der Vermögensübersicht des Insolvenzplans gemäß § 229 Satz 1 InsO aufgeführt sind.60) Hiermit ist als Obergrenze für den Darlehensvorrang die Summe der Werte festgelegt, mit denen der Planverfasser die Aktiva in der Vermögensübersicht abbildet; auf die Passiva kommt es insoweit nicht an. Der Gesetzgeber hat in der Begründung zur InsO niedergelegt, dass der Kreditrahmen das nach der Bestätigung des Plans vorhandene Aktivvermögen nicht übersteigen darf. Dies diene dem Schutz aller Beteiligten vor einer übermäßigen Kreditaufnahme, vor allem aber den Interessen der gemäß § 265 InsO ebenfalls zurückgedrängten Neugläubiger.61) Die Wertobergrenze wird durch gesetzliche Bezugnahme auf die Vermögensübersicht 32 gemäß § 229 Satz 1 InsO festgelegt.62) Insoweit sind auch die ex-ante-Wertansätze der Vermögensübersicht für die Bestimmung des Kreditrahmens maßgeblich. Die Motive des Gesetzgebers und der Wortlaut von § 264 Abs. 1 Satz 3 InsO sprechen dafür, die in der Vermögensübersicht aufgeführten Gegenstände nicht ex post im Zeitpunkt der Eröffnung des Anschlussinsolvenzverfahrens auf der Grundlage anderer Wertansätze zu bewerten.63) Denn die Vorschrift soll ein Verhalten – die Aufnahme bevorzugter Kredite – steuern, weshalb auf die Annahmen im Zeitpunkt der Planfeststellung und Verfahrensaufhebung abzustellen ist.64) Hingegen dient die Vorschrift nicht dazu, den tatsächlichen Sicherungswert festzulegen, denn es ist bei Eintritt in die Planüberwachungsphase ungewiss, wann der Privilegierungsfall infolge der Eröffnung eines Anschlussinsolvenzverfahrens eintritt, welche Aktiva aus der Vermögensübersicht dann noch vorhanden sind und welcher tatsächliche Wert ihnen zuzuordnen ist. Fehlt die Angabe des Kreditrahmens im gestaltenden Teil des Insolvenzplans, kommt 33 die Privilegierung nicht zustande.65) Die Bezugnahme des § 264 Abs. 1 Satz 3 InsO auf § 229 Satz 1 InsO ist nicht in der Weise zu interpretieren, dass der Wert der Aktiva gleichsam „automatisch“ den Kreditrahmen festlegt. Bei fehlender Angabe des Kreditrahmens im Insolvenzplan ist die Planergänzung geboten. Das Insolvenzgericht prüft i. R. seiner Rechtmäßigkeitsaufsicht im Insolvenzverfahren 34 (§ 231 Abs. 1 Nr. 1, § 250 Nr. 1 InsO), ob die Kreditrahmenfestlegung gemäß § 264 Abs. 1 ___________ 59) S. hierzu auch Pleister in: KPB, InsO, § 264 Rz. 6 ff. 60) Zur Verknüpfung von Planbilanz und Kreditrahmen Heni, ZInsO 2006, 57, 60; Dinstühler, ZInsO 1998, 243, 245. 61) Begr. RegE z. InsO § 311, BT-Drucks. 12/2443, S. 216. 62) Thies in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 5. 63) So auch Thies in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 5. 64) Krit. Heni, ZInsO 2006, 57, 60 – unter Bezugnahme auf Braun in: Kölner Schrift, S. 866; ferner Pleister in: KPB, InsO, § 264 Rz. 6, 14 ff., 17 ff. 65) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 264 Rz. 5; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 266 Rz. 2.

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2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

InsO sich in den finanziellen Grenzen bewegt, die sich durch die Bezugnahme auf die Vermögensübersicht gemäß § 229 InsO ergeben.66) Wird der Plan vom Insolvenzgericht trotz Überschreitung der Vermögenswerte bestätigt, ist streitig, ob eine Privilegierung bis zur Obergrenze gegeben ist67)oder ob kein privilegierter Kreditrahmen besteht.68) IV.

Notwendige Vereinbarung mit den Darlehensgebern und Bestätigung durch den Insolvenzverwalter

35 Um die Privilegierung wirksam zu begründen, muss gemäß § 264 Abs. 2 InsO mit dem jeweiligen Darlehensgläubiger genau vereinbart werden, dass und in welcher Höhe der von ihm gewährte Kredit nach Hauptforderung, Zinsen und Kosten in den Kreditrahmen fällt. Zusätzlich muss der Insolvenzverwalter gegenüber diesem Gläubiger die getroffene Vereinbarung bestätigen, nachdem er die formale Richtigkeit der Vereinbarung geprüft, mithin nachgerechnet hat, ob das konkrete Darlehen vom vorhandenen Kreditrahmenbetrag noch abgedeckt ist; der Insolvenzverwalter entscheidet jedoch nicht darüber, ob die Aufnahme des zu bestätigenden Darlehens sinnvoll und geboten ist.69) 36 Diese Voraussetzungen sind auch dann zu beachten, wenn die betroffenen Kredite im gestaltenden Teil des Insolvenzplans i. E. aufgeführt und dargestellt sind. Zu beachten ist hierbei, dass die Vereinbarung nicht zwischen dem Kreditgeber und dem Insolvenzverwalter abgeschlossen wird, sondern unmittelbar mit der Insolvenzschuldnerin oder – im Fall des § 260 Abs. 3 InsO – mit der Übernahmegesellschaft. Hintergrund ist die Rückübertragung der Verfügungsbefugnis auf die Insolvenzschuldnerin gemäß § 259 Abs. 1 Satz 2 InsO mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach Planfeststellung. V.

Behandlung von Gesellschafterdarlehen

37 Die Möglichkeit zur Privilegierung von Darlehensgläubigern erstreckt sich nach § 264 Abs. 3 InsO nicht auf Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen bzw. deren wirtschaftliche Äquivalente, die gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO im Insolvenzverfahren nachrangig sind.70) In den Kommentierungen wird darauf hingewiesen, dass die Vorschriften über den Kreditrahmen nicht dazu geeignet sein dürften, Gesellschafter von ihrer Finanzierungsverantwortung gegenüber der Gesellschaft zu befreien.71) Insoweit erstreckt § 264 Abs. 3 InsO das Konzept des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO auf Alt- und Neukredite i. S. der §§ 264 ff. InsO, mithin auf stehengelassene Massedarlehen und Neukredite nach Eintritt in die Planüberwachungsphase. Nachrangige Darlehen gelten gemäß § 225 Abs. 1 InsO mit Rechtskraft des Insolvenzplans als erlassen, soweit nicht der Insolvenzplan etwas anderes bestimmt.

___________ 66) Vgl. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 264 Rz. 12. 67) Drukarczyk/Fridgen in: MünchKomm-InsO, § 264 Rz. 14; Pleister in: KPB, InsO, § 264 Rz. 14. 68) Kebekus/Wehler in: Graf-Schlicker, InsO, § 264 Rz. 2; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 266 Rz. 2; Lüer/ Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 264 Rz. 15. 69) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 264 Rz. 22; Thies in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 6; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 264 Rz. 7; Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, S. 133, Rz. 6.95. 70) Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 266 Rz. 10; Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 264 Rz. 6; Drukarczyk/Fridgen in: MünchKomm-InsO, § 264 Rz. 7, 32; Kebekus/Wehler in: Graf-Schlicker, InsO, § 264 Rz. 1; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 266 Rz. 11. 71) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 264 Rz. 6; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 264 Rz. 18; Pleister in: KPB, InsO, § 266 Rz. 8; Thies in: HambKomm-InsO, § 264 Rz. 3.

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§ 27

Der Kreditrahmen im Insolvenzplan VI.

Umfang der Privilegierung

Der Umfang der bevorzugten Behandlung der Kreditrahmengläubiger wird durch die § 264 38 Abs. 1, § 265 InsO vorgegeben. Hiernach treten sowohl die ungesicherten Insolvenzgläubiger des Ausgangsverfahrens hinter die Kreditrahmendarlehen zurück als auch die Neugläubiger nach Maßgabe des § 265 InsO. Neugläubiger i. S. des § 265 Abs. 1 InsO sind vertragliche Gläubiger der Insolvenzschuld- 39 nerin oder der Übernahmegesellschaft, deren Forderungen im Zeitraum der Planüberwachung begründet werden. § 265 Abs. 2 InsO bezieht auch Gläubiger aus ungekündigten Dauerschuldverhältnissen ein, soweit diese nach Anordnung der Planüberwachung und Aufhebung des Insolvenzverfahrens von ihrem Kündigungsrecht keinen Gebrauch gemacht haben. Die Rückstufung dieser Gläubiger hinter die Kreditrahmendarlehen wird vom Gesetzgeber mit der Erwägung gerechtfertigt, dass die Festlegung eines Kreditrahmens und dessen Höhe gemäß § 267 Abs. 2 Nr. 3 InsO öffentlich bekannt gemacht werde und dass es potenziellen Vertragspartnern hiernach freistehe, in Ansehung der Kreditrahmenprivilegierung mit der Insolvenzschuldnerin oder der Übernahmegesellschaft zu kontrahieren.72) Im Umkehrschluss ergibt sich, dass Ansprüche aus gesetzlichen Schuldverhältnissen nicht hinter die Kreditrahmenforderungen zurücktreten; sie stehen mit den Kreditrahmenforderungen im Rang des § 38 InsO gleichstufig an erster Stelle und werden – soweit möglich – quotal bedient. Aus- und Absonderungsberechtigte sind von den Regelungen nicht betroffen.73) Insbe- 40 sondere die Rechtsposition der absonderungsberechtigten Gläubiger bleibt unangetastet bestehen, soweit nicht im Insolvenzplan eine Regelung enthalten ist, die einen Sanierungsbeitrag der Absonderungsgläubiger vorsieht, z. B. in Form der teilweisen Freigabe von Kreditsicherheiten (eine solche Regelung ist wegen § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO jedoch nicht unproblematisch). Auswirkungen auf Absonderungsberechtigte ergeben sich naturgemäß, soweit die Beteiligten mit der Sicherheit ausfallen und folglich als persönliche Gläubiger zu behandeln sind (vgl. § 52 Satz 1, § 190 InsO). VII. Zeitpunkt der Privilegierung Der Wirksamkeitszeitpunkt der bevorzugten Behandlung wird durch § 266 Abs. 1 InsO 41 definiert, wonach der Nachrang nach Maßgabe der §§ 264, 265 InsO in einem Anschlussinsolvenzverfahren zu berücksichtigen ist, wenn dieses vor der Aufhebung der Insolvenzplanüberwachung eröffnet wird. In Zusammenschau mit § 268 Abs. 1 Nr. 2 InsO bedeutet dies, dass sich die Privilegierung längstens auf einen Zeitraum von drei Jahren ab der Aufhebung des Ausgangsinsolvenzverfahrens erstreckt. Wird das Anschlussinsolvenzverfahren erst nach dem in § 268 InsO genannten Zeitpunkten eröffnet, greift die Kreditrahmenregelung nicht mehr. Dies gilt selbst dann, wenn im Insolvenzplan ein längerer Überwachungszeitraum festgelegt wurde und dies mit Zustimmung der Gläubiger und mit Zustimmung der Insolvenzschuldnerin beschlossen wurde.74) In § 266 Abs. 2 InsO wird die neue Rangordnung für den Fall eines Anschlussinsolvenz- 42 verfahrens im Drei-Jahres-Zeitraum definiert.75) Hiernach werden zunächst die Kreditrahmenforderungen und diejenigen aus gesetzlichen Schuldverhältnissen bedient, soweit ___________ 72) Vgl. Pleister in: KPB, InsO, § 265 Rz. 2 und 3; Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, S. 133, Rz. 6.93. 73) Umfassend Braun/Frank in: Kölner Schrift, S. 809 ff.; Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 264 Rz. 10, 11, 12; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 264 Rz. 19, 20; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 266 Rz. 15. 74) AG Duisburg v. 1.4.2003 – 62 IN 187/02, NZI 2003, 447 f. 75) Vgl. auch Pleister in: KPB, InsO, § 266 Rz. 6.

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§ 27

2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

das Vermögen ausreicht im Rang danach die zurückgetretenen Insolvenzgläubiger nach Maßgabe von § 264 Abs. 1 und § 265 InsO und schließlich die nachrangigen Gläubiger gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 InsO. Da die nachrangigen Altverbindlichkeiten gemäß § 225 Abs. 1 InsO regelmäßig – vorbehaltlich einer abweichenden Insolvenzplanregelung – mit Planbestätigung als erlassen gelten, dürften in einem Anschlussinsolvenzverfahren insoweit nur Neuverbindlichkeiten im Rang des § 39 InsO zu korrigieren sein. VIII. Öffentliche Bekanntmachung 43 Gemäß § 267 Abs. 2 Nr. 3 InsO ist gemeinsam mit dem Beschluss über die Aufhebung des Insolvenzverfahren öffentlich bekannt zu machen, in welcher Höhe ein Kreditrahmen vorgesehen ist. Es muss die konkrete Höhe des Kreditrahmens angegeben werden, damit erkennbar ist, in welchem Umfang die Bevorrechtigung in einem Anschlussinsolvenzverfahren greift. Die öffentliche Bekanntmachung erfolgt gemäß § 9 Abs. 1 InsO. Die Aufhebung des Insolvenzverfahrens und die Anordnung der Planüberwachung werden im Bundesanzeiger bekannt gemacht; daneben ist die Bekanntmachung gemäß § 9 InsO i. V. m. § 2 InsNetV vorzunehmen.76)

___________ 76) Pleister in: KPB, InsO, § 267 Rz. 3 f.

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§ 28 Umwandlungen im Planverfahren Madaus

I.

Die Zulässigkeit einer Umwandlung in der Insolvenz der Gesellschaft.............. 1 1. Die insolvente Gesellschaft als übertragender Rechtsträger................................. 2 2. Die insolvente Gesellschaft als aufnehmender Rechtsträger.............................. 9 II. Die mit Umwandlungsmaßnahmen erreichbaren Sanierungseffekte............... 14 1. Überblick .................................................... 14 2. Effekte der Gesamtrechtsnachfolge.......... 15 3. Die Nichtübertragbarkeit steuerlicher Verlustvorträge........................................... 16 4. Die über eine Umwandlung erreichbare Entschuldungswirkung ...................... 18 4.1 Beim Formwechsel ........................ 19 4.2 Bei der Fusion................................ 20 4.3 Bei der Abspaltung und der Ausgliederung................................ 21 4.3.1 Problem: § 133 Abs. 1 UmwG ..... 22 4.3.2 Die teleologische Reduktion des § 133 Abs. 1 UmwG...................... 23 5. Das Erlöschen von Pfandrechten an Gesellschaftsanteilen ................................. 25 III. Die Nutzung der Wirkungsmacht eines Insolvenzplans für Umwandlungen......................................................... 31 1. Die (drohende) Insolvenz als Eingriffslegitimation........................................ 32 2. Vereinfachung der Willensbildung der Gesellschafter ............................................ 35 2.1 Materielle Regelungsbefugnis des Insolvenzplans im Gesellschaftsrecht .................................... 36 2.1.1 Herabsetzung von Mehrheitserfordernissen ................................ 37 2.1.2 Reichweite der materiellen Regelungsmacht des Insolvenzplans .... 38 2.2 Formelle Vereinfachungen durch das Planverfahren................ 41 3. Die begrenzte Vereinfachung der Planumsetzung ........................................... 46 3.1 Der Zugang von Willenserklärungen aus dem Insolvenzplan ..... 47 3.2 Realakte sowie Handlungen jenseits der Planbeteiligten ........... 50 3.3 Der Vorrang des Insolvenzplans gegenüber dem Registerverfahren ........................................ 52 4. Zusammenfassung der Hilfen im Planverfahren für Umwandlungsmaßnahmen........................................................ 55

IV. Die einzelnen Umwandlungsarten als Plangegenstand ......................................... 59 1. Formwechsel (§§ 190 ff. UmwG)............. 60 1.1 Zielvorstellung ............................... 60 1.2 Darstellender Teil des Insolvenzplans........................................ 62 1.3 Gestaltender Teil des Insolvenzplans........................................ 63 1.3.1 Der Fortsetzungsbeschluss (§ 225a Abs. 3 InsO)..................... 64 1.3.2 Das vereinfachte Zustandekommen des Umwandlungsbeschlusses ..................................... 65 1.3.3 Der Inhalt des Umwandlungsbeschlusses ..................................... 66 1.3.4 Die Ermächtigung des Insolvenzverwalters (§ 221 Satz 2 InsO) ..... 70 1.4 Plananlagen .................................... 71 1.5 Planwirkungen ............................... 72 2. Verschmelzung durch Aufnahme des insolventen Rechtsträgers durch einen solventen Rechtsträger (§ 2 Nr. 1, §§ 4 ff. UmwG).......................................... 74 2.1 Zielvorstellung ............................... 74 2.2 Darstellender Teil des Insolvenzplans........................................ 75 2.3 Gestaltender Teil des Insolvenzplans........................................ 77 2.3.1 Kein Fortsetzungsbeschluss (§ 225a Abs. 3 InsO)..................... 77 2.4 Der Verschmelzungsbeschluss des übertragenden Rechtsträgers ................................................. 78 2.4.1 Der Verschmelzungsbeschluss des aufnehmenden Rechtsträgers... 80 2.4.2 Bezugsrechtsausschluss statt Kapitalerhöhung/Gesellschafterzuwachs .......................................... 81 2.4.3 Das Barabfindungsangebot des § 29 UmwG.................................... 82 2.4.4 Die Ermächtigung des Insolvenzverwalters (§ 221 Satz 2 InsO) ..... 83 2.5 Plananlagen .................................... 84 2.6 Planwirkungen ............................... 85 2.7 Keine Organhaftung nach § 25 UmwG bei Verwalterhandeln ....... 87 3. Verschmelzung durch Aufnahme eines solventen Rechtsträgers durch den insolventen Rechtsträger (§ 2 Nr. 1, §§ 4 ff. UmwG).......................................... 88 3.1 Zielvorstellung ............................... 88

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811

§ 28

2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

3.2

4. 5.

Darstellender Teil des Insolvenzplans........................................ 90 3.3 Gestaltender Teil des Insolvenzplans........................................ 92 3.3.1 Fortsetzungsbeschluss (§ 225a Abs. 3 InsO)..................... 92 3.3.2 Der Verschmelzungsbeschluss des aufnehmenden Rechtsträgers .. 93 3.3.3 Der Verschmelzungsbeschluss des übertragenden Rechtsträgers ... 95 3.3.4 Die Anteilsübertragung ................ 96 3.3.5 Das Barabfindungsangebot des § 29 UmwG ................................... 97 3.3.6 Die Ermächtigung des Insolvenzverwalters (§ 221 Satz 2 InsO) ..... 98 3.4 Plananlagen .................................... 99 3.5 Planwirkungen............................. 100 Verschmelzung durch Neugründung (§ 2 Nr. 2, §§ 36 ff. UmwG) ................... 102 Abspaltung (§ 123 Abs. 2 UmwG) oder Ausgliederung (§ 123 Abs. 3, §§ 152 ff. UmwG) ertragreicher Unternehmensteile............................................................ 103 5.1 Zielvorstellung............................. 103 5.2 Darstellender Teil des Insolvenzplans...................................... 105

5.3

6. 7.

Gestaltender Teil des Insolvenzplans ..................................... 106 5.3.1 Kein Fortsetzungsbeschluss ....... 106 5.3.2 Der Abspaltungs- oder Ausgliederungsbeschluss des insolventen Rechtsträgers........... 108 5.3.3 Der Abspaltungs- oder Ausgliederungsbeschluss des aufnehmenden Rechtsträgers........... 109 5.3.4 Die Zustimmung zum Abspaltungs- bzw. Ausgliederungsund Übertragungsvertrag............ 110 5.3.5 Verzicht auf Ansprüche aus § 133 UmwG ............................... 111 5.3.6 Bezugsrechtsausschluss............... 112 5.3.7 Das Barabfindungsangebot des § 29 UmwG bei der Abspaltung........................................ 113 5.3.8 Die Ermächtigung des Insolvenzverwalters (§ 221 Satz 2 InsO) .... 114 5.4 Plananlagen .................................. 115 5.5 Planwirkungen............................. 116 Aufspaltung (§ 123 Abs. 1 Nr. 1 UmwG) .................................................... 118 Vermögensübertragung (§§ 174 ff. UmwG) .................................................... 119

Literatur: Becker, Umwandlungsmaßnahmen im Insolvenzplan und die Grenzen einer Überlagerung des Gesellschaftsrechts durch das Insolvenzrecht, ZInsO 2013, 1885; Bitter/Laspeyres, Rechtsträgerspezifische Berechtigungen als Hindernis übertragender Sanierung, ZIP 2010, 1157; Böttcher, Insolvenzrecht in der gesellschaftsrechtlichen Gestaltungspraxis des Notars – ausgewählte Grundfragen der Unternehmenssanierung, NotBZ 2012, 361; Brünkmans, Rechtliche Möglichkeiten und Grenzen von Umwandlungen im Insolvenzplanverfahren, ZInsO 2014, 2533; Brünkmans/Greif-Werner, Die Prüfung gesellschaftsrechtlicher Regelungen im Insolvenzplan durch Insolvenzgericht und Registergericht, ZInsO 2015, 1585; Haas, Mehr Gesellschaftsrecht im Insolvenzplanverfahren, NZG 2012, 961; Heckschen, Anteilsgewähr bei Verschmelzung, Spaltung und Formwechsel – aktuelle Entwicklungen, GmbHR 2021, 8; Heckschen, Differenzhaftung und existenzvernichtender Eingriff bei der Verschmelzung in der Krise, NZG 2019, 561; Heckschen, Die Umwandlung in der Krise und zur Bewältigung der Krise, ZInsO 2008, 824; Heckschen/Weitbrecht, Aktuelle Probleme der Umwandlung in der Krise, ZIP 2021, 179; Heckschen/Weitbrecht, Fortsetzung einer GmbH nach Aufhebung des Insolvenzplanverfahrens, ZIP 2020, 1737; Heckschen/Weitbrecht, Sicherungsrechte an Gesellschaftsanteilen und Unternehmensumwandlung, ZIP 2019, 1189; Hölzle/Kahlert, Der sog. Sanierungserlass ist tot – Es lebe die Ausgliederung, ZIP 2017, 510; Horstkotte/Martini, Die Einbeziehung der Anteilseigner in den Insolvenzplan nach ESUG, ZInsO 2012, 557; Kahlert/Gehrke, ESUG macht es möglich: Ausgliederung statt Asset Deal im Insolvenzplanverfahren, DStR 2013, 975; Klausmann, Gesellschaftsrechtlich zulässige Regelungen im Insolvenzplan im Sinne von § 225a III InsO, NZG 2015, 1300; Madaus, Schutzschirme für streitende Gesellschafter? Die Lehren aus dem Suhrkamp-Verfahren für die Auslegung des neuen Insolvenzrechts, ZIP 2014, 500; Madaus, Umwandlungen als Gegenstand eines Insolvenzplans nach dem ESUG, ZIP 2012, 2133; Mulert, Gesellschaftsrechtlich zulässige Regelungen im Insolvenz- und Restrukturierungsplan, NZG 2021, 673; Rubner/Leuering, Verschmelzung einer überschuldeten Gesellschaft, NJW-Spezial 2012, 179; Schröder/Berner, Die Ausgliederung eines einzelkaufmännischen Unternehmens im Insolvenzplanverfahren: Rechtliche Grundlagen und Praxisbericht, NZI 2017, 837; Simon/Merkelbach, Gesellschaftsrechtliche Strukturmaßnahmen im Insolvenzplanverfahren nach dem ESUG, NZG 2012, 121; Spliedt, Insolvenz der Gesellschaft ohne Recht der Gesellschaft?, ZInsO 2013, 2155; Thole, Treuepflicht-Torpedo? Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht im Insolvenzverfahren, ZIP 2013, 1937; Wachter, Umwandlung insolventer Gesellschaften, NZG 2015, 858.

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§ 28

Umwandlungen im Planverfahren I.

Die Zulässigkeit einer Umwandlung in der Insolvenz der Gesellschaft

Bei der Öffnung des Insolvenzplanverfahrens für gesellschaftsrechtliche Maßnahmen durch 1 das ESUG hatte der Gesetzgeber zwar hauptsächlich die Ermöglichung eines Debt Equity Swaps im Fokus.1) Die zu diesem Zweck normierten Regelungsbefugnisse eines Insolvenzplans erlauben es jedoch auch, Umwandlungen nach dem Umwandlungsgesetz (UmwG) über einen Insolvenzplan noch in der Insolvenz der Gesellschaft durchzuführen.2) Das deutsche Insolvenzrecht schließt insofern zum U.S.-Insolvenzrecht auf, das derartige Lösungen in 11 U.S.C. § 1123(a)(5)(C) ausdrücklich erlaubt. 1.

Die insolvente Gesellschaft als übertragender Rechtsträger

Umwandlungen nach dem UmwG waren bis 2012 in der Insolvenz einer Gesellschaft gene- 2 rell nicht möglich. Dies folgte aus § 3 Abs. 3 UmwG i. V. m. der gesellschaftsrechtlichen Abstinenz des Insolvenzrechts vor Inkrafttreten des ESUG. Schon die Aufgabe dieser Abstinenz durch die Öffnung des Insolvenzplans für gesellschaftsrechtliche Regelungen im ESUG genügte daher, um den Bereich des Umwandlungsrechts nach dem UmwG für das Insolvenzplanrecht zu erschließen. § 3 Abs. 3 UmwG lässt die Beteiligung aufgelöster Rechtsträger an einer Verschmelzung 3 als übertragender Rechtsträger nur zu, wenn „die Fortsetzung dieser Rechtsträger beschlossen werden könnte“. Entsprechendes gilt für die Spaltung und den Formwechsel, bei denen § 124 Abs. 2 und § 191 Abs. 3 UmwG auf § 3 Abs. 3 UmwG verweisen bzw. dessen Regelung wiederholen. Aus der Perspektive des Gesellschaftsrechts führt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Gesellschaft stets und zwingend zu deren Auflösung (vgl. § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG; § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG; § 101 GenG; § 131 Abs. 1 Nr. 3 HGB) und ihre Fortsetzung kann nach gesellschaftsrechtlichen Regelungen erst wieder nach der Bestätigung eines Insolvenzplans beschlossen werden (vgl. § 274 Abs. 2 Nr. 1 AktG; § 60 Abs. 1 Nr. 4 letzter Halbs. GmbHG; § 117 GenG; § 144 HGB). Die Fortsetzung der Gesellschaft ist dagegen (endgültig) ausgeschlossen, wenn die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt (§ 26 Abs. 1 Satz 1 InsO) oder das Insolvenzverfahren mangels Masse eingestellt wurde (§ 207 Abs. 1 Satz 1 InsO).3) Dann scheidet nach der Regel des § 3 Abs. 3 UmwG auch eine Umwandlung von vornherein aus. Das Gesellschaftsrecht sieht also einen Fortsetzungsbeschluss im laufenden Insolvenz- 4 (plan)verfahren nicht vor, weshalb man bis zum ESUG folgerichtig davon ausging, dass ein insolventer Rechtsträger während seiner Insolvenz nicht fortsetzungsfähig und folglich auch nicht verschmelzungsfähig i. Satz des § 3 Abs. 3 UmwG ist. Umwandlungsmaßnahmen im eröffneten Insolvenzverfahren wurden als unzulässig angesehen.4) Seit dem 1.3.2012 erlaubt § 225a Abs. 3 InsO nun den Beteiligten ausdrücklich, den Fort- 5 setzungsbeschluss für die insolvente Gesellschaft schon in den Insolvenzplan aufzunehmen, sodass die Fortsetzung der Gesellschaft nun bereits im Insolvenzplanverfahren beschlossen werden kann. Die Sperre der gesellschaftsrechtlichen Fortsetzungsregeln, die ___________ 1) 2)

3) 4)

S. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 18. Im Grundsatz wohl unstreitig, wenngleich noch nicht explizit höchstrichterlich geklärt. Der BGH beanstandete den Suhrkamp-Insolvenzplan jedenfalls nicht im Hinblick auf das Vorliegen eines Formwechsels für einen insolventen Rechtsträger im Plan; vgl. BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14 (Suhrkamp), Rz. 41, ZIP 2014, 1442, dazu EWiR 2014, 521 (Madaus). BGH v. 25.1.2022 – II ZB 8/21, Rz. 6, ZRI 2022, 366 = NZI 2022, 532; implizit schon BGH v. 28.4.2015 – II ZB 13/14, Rz. 11, NZI 2015, 775. Vgl. zur alten Rechtslage Heckschen in: FS Widmann, 2000, S. 31, 44; Limmer in: Kölner Schrift, S. 859, 894 f., Rz. 80.

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§ 28

2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

unverändert einen Fortsetzungsbeschluss in der Insolvenz ausschließen, wird damit bewusst durchbrochen. Ein Fortsetzungsbeschluss, der bereits in der Insolvenz als Teil eines Insolvenzplans zustande kommt, ersetzt sogar den gesellschaftsrechtlichen Fortsetzungsbeschluss.5) Dazu muss im Plan nicht einmal konkret dargelegt werden, in welcher Art und Weise die Fortsetzung der Gesellschaft erfolgen soll. Ein Insolvenzplan sieht den Fortbestand der Gesellschaft vielmehr bereits dann vor, wenn er die Fortführung der Gesellschaft als eine Möglichkeit darstellt, die nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens im Ermessen der Gesellschafter steht.6) 6 Subsumiert man diese neue insolvenzrechtliche Rechtslage unter § 3 Abs. 3 UmwG, so ist hervorzuheben, dass das Umwandlungsrecht für die Umwandlungsfähigkeit nicht einmal einen solchen Fortsetzungsbeschluss im Insolvenzplan verlangt. Es genügt vielmehr, dass die Fortsetzung „beschlossen werden könnte“. Die rein potenzielle Fortsetzungsfähigkeit des aufgelösten Rechtsträgers ist mithin ausreichend und eine solche seit dem 1.3.2012 in jedem Insolvenzverfahren vorhanden, da die Fortsetzung der Gesellschaft in einem solchen durch einen entsprechenden Insolvenzplan beschlossen werden kann. Folglich muss nun jede Gesellschaft schon im Zeitpunkt der Insolvenzverfahrenseröffnung sowohl als aufgelöst als auch als (potenziell) fortsetzungsfähig angesehen werden. Damit erfüllt das neue Insolvenzrecht die Anforderung des § 3 Abs. 3 letzter Halbs. UmwG, der nur diese potenzielle Fortsetzungsfähigkeit verlangt.7) 7 Die Bejahung der Umwandlungsfähigkeit eines insolventen Rechtsträgers verlangt nicht nach einer Prüfung der materiellen Fortführungsfähigkeit der Gesellschaft. Der II Zivilsenat hat insofern zutreffend hervorgehoben, dass bei der Beendigung des Insolvenzverfahrens durch einen Insolvenzplan, der nicht auf die Liquidation der Gesellschaft ausgerichtet ist, davon ausgegangen werden darf, dass das Unternehmen unter Mitwirkung seiner Gläubiger die zur Insolvenz führende unternehmerische Krise beseitigt und grundsätzlich – für die beteiligten Verkehrskreise erkennbar – als wirtschaftliche Einheit aus Sach- und Personalmitteln am Markt erhalten bleibt.8) Die fehlende Insolvenzreife der fortzusetzenden Gesellschaft ergibt sich in diesem Fall aus der Entscheidung des Insolvenzgerichts über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens. Eine darüber hinausgehende Mindestkapitalausstattung können die Gläubiger – und damit auch das Registergericht – jenseits des Gründungsvorgangs nicht verlangen, soweit nicht ausnahmsweise eine wirtschaftliche Neugründung vorliegt.9) Folgerichtig geht es zu weit, die Umwandlungsfähigkeit nach § 3 Abs. 3 UmwG nur im Fall einer im Plan beschriebenen Sanierungslösung zu bejahen.10) Vielmehr genügt nach dem klaren Wortlaut des § 3 Abs. 3 UmwG die potenzielle Fortsetzungsfähigkeit des insolventen Rechtsträgers, um ihn als umwandlungsfähig anzusehen, und diese Fortsetzungsfähigkeit entfällt im Insolvenzverfahren nur und erst dann, wenn die Fortsetzung des insolventen Rechtsträgers zugunsten seiner Zerschlagung tatsächlich ausgeschlossen ist, da mit der Vermögensverteilung begonnen wird.11) ___________ 5) So ausdrücklich Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 32: „Damit bedarf es keines förmlichen Fortsetzungsbeschlusses der Gesellschafter mehr, wenn die Gesellschaft weitergeführt werden soll.“ 6) BGH v. 8.4.2020 – II ZB 3/19, Rz. 21, ZRI 2020, 297 = NZI 2020, 635 m. Anm. Madaus; dazu Heckschen/ Weitbrecht, ZIP 2020, 1737. Diese, vom II. Zivilsenat für § 60 Abs. 1 Nr. 4 letzter Halbs. GmbHG definierten Anforderungen, dürften auf die Parallelregelungen für die anderen Gesellschaftsformen (§ 274 Abs. 2 Nr. 1 AktG; § 117 GenG; § 144 HGB) übertragbar sein. 7) Vgl. Drygala in: Lutter, UmwG, § 3 Rz. 26; Stengel in: Semler/Stengel/Leonard, UmwG, § 3 Rz. 43. 8) BGH v. 8.4.2020 – II ZB 3/19, Rz. 28, ZRI 2020, 297 = NZI 2020, 635. 9) BGH v. 8.4.2020 – II ZB 3/19, Rz. 40 f., ZRI 2020, 297 = NZI 2020, 635. 10) So noch Becker, ZInsO 2013, 1885, 1887 f. 11) BGH v. 8.4.2020 – II ZB 3/19, Rz. 40 f., ZRI 2020, 297 = NZI 2020, 635.

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§ 28

Umwandlungen im Planverfahren

Ein insolventer Rechtsträger ist mithin im Insolvenzverfahren bis zur Zerschlagung seines 8 Vermögens verschmelzungs- (§ 3 Abs. 3 UmwG) und spaltungsfähig (§ 124 Abs. 2, § 3 Abs. 3 UmwG), wenn er als übertragender Rechtsträger auftritt.12) Zugleich folgt aus § 191 Abs. 3 UmwG die Fähigkeit zum Formwechsel. Der vom Gesetzgeber ursprünglich mit § 3 Abs. 3 UmwG verfolgte Zweck, Sanierungsfusionen zu fördern,13) wird so respektiert. 2.

Die insolvente Gesellschaft als aufnehmender Rechtsträger

Jenseits des Formwechsels und der Spaltung bleibt die Frage offen, ob auch die umge- 9 kehrte Verschmelzung eines gesunden Rechtsträgers auf den insolventen Schuldner zulässig ist. Eine solche Umwandlung könnte v. a. in Konzernstrukturen dazu genutzt werden, eine zweite (solvente) Gesellschaft durch das eröffnete Insolvenzverfahren des Zielrechtsträgers mit abzuwickeln (Abwicklungsfusion).14) Auf die Frage nach der Zulässigkeit derartiger Umwandlungsmaßnahmen mit insolventen, also aufgelösten Gesellschaften als aufnehmendem Rechtsträger gibt § 3 Abs. 3 UmwG unmittelbar keine Antwort. Dessen Wortlaut lässt sich nur die Aussage zur Verschmelzungsfähigkeit einer aufgelösten Gesellschaft als übertragender Rechtsträger entnehmen. Die Beschränkung des Regelungsinhalts des § 3 Abs. 3 UmwG folgt aus der wortgetreuen 10 Umsetzung von EU-Recht. Auch die Verschmelzungsrichtlinie15) sieht in Art. 3 Abs. 2 eine Verschmelzung auf einen aufgelösten Rechtsträger nicht vor. Hieran hat auch die Übernahme der Regelung in Art. 89 Abs. 2 der Richtlinie über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts16) nichts geändert. Ob das Schweigen des europäischen wie deutschen Gesetzgebers als Sperre zu interpretieren ist, wird folgerichtig keineswegs einheitlich beurteilt. Während wohl überwiegend aus der beschränkten Zuweisung der Verschmelzungsfähigkeit in § 3 Abs. 3 UmwG der Umkehrschluss gezogen und eine Fusion auf einen aufgelösten Rechtsträger für unzulässig gehalten wird,17) verweisen andere18) auf die bloße Förmelei einer derartigen Gesetzesauslegung, die vom Rechtsanwender nur verlange, spätestens zeitgleich mit dem Verschmelzungsbeschluss die Fortsetzung des aufgelösten Rechtsträgers zu beschließen.19) Dieser gesellschaftsrechtliche Streit muss hier nicht entschieden werden, da beide Ansichten eine Verschmelzung auf den aufgelösten Rechtsträger zu Sa___________ 12) Dies scheint inzwischen unstreitig; vgl. Becker, ZInsO 2013, 1885, 1887 f.; Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2534; Drygala in: Lutter, UmwG, § 3 Rz. 27; Kahlert/Gehrke, DStR 2013, 975; Madaus, ZIP 2012, 2133, 2134; Rattunde, AnwBl. 2012, 144, 148; Schröder/Berner, NZI 2017, 837, 839; Simon/ Merkelbach, NZG 2012, 121, 128; Wachter, NZG 2015, 858, 860. Diese Folge des ESUG übersahen noch Böttcher, NotBZ 2012, 361, 367; Rubner/Leuering, NJW-Spezial 2012, 179. 13) Begr. Fraktionsentwurf UmwBerG, BT-Drucks. 12/6699, S. 82. 14) Ein Beispielsfall findet sich in OLG Brandenburg v. 27.1.2015 – 7 W 118/14, ZIP 2015, 929. Zur praktischen Relevanz dieser Art der Fusion s. Heckschen, DB 1998, 1385, 1387. 15) Dritte Richtlinie 78/855/EWG des Rates v. 9.10.1978 gemäß Artikel 54 Absatz 3 lit. g des Vertrages betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften, ABl. (EG) L 195/36 v. 20.10.1978. 16) Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts, ABl. (EU) L 169/46 v. 30.6.2017. 17) Vgl. OLG Brandenburg v. 27.1.2015 – 7 W 118/14, ZIP 2015, 929; OLG Naumburg v. 12.2.1997 – 10 Wx 1/97, NJW-RR 1998, 178, 179 f.; Drygala in: Lutter, UmwG, § 3 Rz. 31; Heidinger in: Henssler/ Strohn, GesR, § 3 UmwG Rz. 21; Stengel in: Semler/Stengel/Leonard, UmwG, § 3 Rz. 46 f.; Trölitzsch, WiB 1997, 795, 798; an dem Umkehrschluss zweifelnd Fronhöfer in: Widmann/Mayer, UmwR, § 3 UmwG Rz. 70 ff. 18) Etwa Heckschen, DB 1998, 1385, 1387; Winter in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, § 3 Rz. 47 f.; wohl auch Fronhöfer in: Widmann/Mayer, UmwR, § 3 UmwG Rz. 71 f. 19) Vgl. OLG Naumburg v. 12.2.1997 – 10 Wx 1/97, NJW-RR 1998, 178, 180; Heckschen, Rpfleger 1999, 357, 359; Stengel in: Semler/Stengel/Leonard, UmwG, § 3 Rz. 46. Anders aber nun ausdrücklich OLG Brandenburg v. 27.1.2015 – 7 W 118/14, ZIP 2015, 929.

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2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

nierungszwecken erlauben, sofern zeitgleich mit dem Verschmelzungsbeschluss auch ein Fortsetzungsbeschluss für den aufgelösten Rechtsträger zustande kommt20) – eine Voraussetzung, die durch die Aufnahme beider Beschlüsse in den Insolvenzplan gemäß §§ 225a Abs. 1 und 3, 254a Abs. 1 InsO garantiert wird. Ist danach aber eine Umwandlungsmaßnahme für den insolventen Zielrechtsträger gesellschaftsrechtlich (im Ergebnis unstreitig) zulässig, so darf sie auch Gegenstand eines Insolvenzplans sein.21) 11 Von der Frage der Zulässigkeit zu trennen ist die nach der Existenzvernichtungshaftung der Gesellschafter der beteiligten Rechtsträger im Fall des Scheiterns der Sanierung. Für den insolventen Rechtsträger scheidet eine solche Haftung aus, da die Beschlussfassung hier insolvenzrechtlich überlagert wird und so in den Händen der Insolvenzgläubiger liegt. Für den solventen übertragenden Rechtsträger werden hingegen nur die Gesellschafter durch Beschluss tätig. Die Gesamtrechtsachfolge in die Verbindlichkeiten des Zielrechtsträgers kann insofern Haftungsrisiken erzeugen (siehe Rz. 20). 12 Der gesellschaftsrechtliche Streit um die Zulässigkeit einer Verschmelzung auf einen insolventen Rechtsträger wird mithin nur relevant, wenn eine Abwicklungsfusion geplant ist, da in dieser Fallkonstellation gerade keine Fortsetzung der Schuldnergesellschaft gewollt ist. Für die wohl überwiegende restriktive Ansicht spricht, dass für die Gläubiger des solventen übertragenden Rechtsträgers eine Abwicklungsfusion auf einen insolventen (und damit im Regelfall überschuldeten) Rechtsträger eine Minderung der Bonität ihres Schuldners und damit eine Erhöhung des Ausfallsrisikos in der Abwicklung bedeutet. Diese Risikoerhöhung wird auch in einem Insolvenzplanverfahren nicht aufgefangen, sind doch die Gläubiger des solventen übertragenden Rechtsträgers am Verfahren über den insolventen Rechtsträger (auch in Konzernsachverhalten) nicht beteiligt und damit auch nicht abstimmungsberechtigt. Auch läuft der Schutz dieser Gläubiger über den Anspruch auf Sicherheitsleistung nach der Verschmelzung in § 22 UmwG leer.22) Zwar gehört es zu den typischen Folgen einer Verschmelzung, dass die Gläubiger der beteiligten Rechtsträger unfreiwillig einen neuen Schuldner mit vorher unbekannter, neuer Bonität erhalten; dennoch benachteiligt man die Gläubiger eines übertragenden Rechtsträgers in der Insolvenz des aufnehmenden Rechtsträgers außerordentlich, wenn aufgrund der Zielsetzung einer Abwicklungsfusion klar ist, dass für die Zielgesellschaft keine positive Fortführungsprognose besteht. Diese Schutzlücke kann auch durch das Planverfahren mangels Beteiligung der schutzbedürftigen Gläubiger am Verschmelzungsbeschluss nicht geschlossen werden. Die Abwicklungsfusion solventer auf insolvente Rechtsträger ist daher im Regelfall unzulässig; ein entsprechender Insolvenzplan wäre zurückzuweisen.23) 13 Hindert somit der lückenhafte Gläubigerschutz die generelle Zulassung einer Abwicklungsfusion, so wird man diese praxisrelevante Verschmelzungsart in dem Ausnahmefall zulassen dürfen, in dem der solvente Rechtsträger als Tochtergesellschaft der insolventen Mutterund Zielgesellschaft keine eigenen Gläubiger (mehr) hat.24) Hier ist jeder Gläubigerschutz irrelevant. In dieser Konstellation ist eine Abwicklungsfusion als einfache und laut___________ 20) Fronhöfer in: Widmann/Mayer, UmwR, § 3 UmwG Rz. 73. 21) Ebenso Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 217 Rz. 84; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 48. Allein auf den engen Wortlaut des § 3 Abs. 3 UmwG lässt sich daher nicht die gesellschaftsrechtliche Unzulässigkeit einer Umwandlung auf einen insolventen Rechtsträger stützen; so aber OLG Brandenburg v. 27.1.2015 –7 W 118/14, ZIP 2015, 929; Becker, ZInsO 2013, 1885, 1888; auch Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2534. 22) Zutreffend Lutter/Drygala in: Lutter, UmwG, § 3 Rz. 31. 23) Allein insofern zutreffend: OLG Brandenburg v. 27.1.2015 – 7 W 118/14, ZIP 2015, 929. 24) Entgegen Wachter, NZG 2015, 858, 862, wird man verlangen müssen, dass die Gläubiger vor der Abwicklungsfusion befriedigt werden; die bloße Sicherstellung ihrer Ansprüche analog § 122j UmwG genügt nicht, da der Eintritt des Sicherungsfalls aufgrund der beabsichtigten Abwicklung feststeht.

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Umwandlungen im Planverfahren

lose Gesamtliquidation gesellschaftsrechtlich – und damit auch in der Insolvenz – zuzulassen.25) Entsprechendes wird für die Fallgestaltungen gelten dürfen, in denen die schutzwürdigen Belange dieser Gläubiger durch ein Insolvenzverfahren über die (ebenfalls) insolvente übertragende Gesellschaft und die damit einhergehende Beteiligung an der Fusionsentscheidung hinreichend gesichert erscheinen. Auch in solchen Ausnahmekonstellationen scheint kein überzeugender Grund ersichtlich, kostengünstige Abwicklungsfusionen zu verbieten.26) II.

Die mit Umwandlungsmaßnahmen erreichbaren Sanierungseffekte

1.

Überblick

Die durch das UmwG eröffneten Umwandlungsoptionen können in Sanierungsfällen auf 14 sehr einzelfallbezogene Art und Weise eingesetzt werden.27) Umwandlungsmaßnahmen sind dabei etwa Hilfsmittel für leistungs- und finanzwirtschaftliche Restrukturierungen. So kann insbesondere über einen Formwechsel die Rechtsform der sanierten Schuldnergesellschaft an das neue Geschäfts- und Risikomodell angepasst werden. Die Umwandlung kann aber auch selbst Kern eines Sanierungskonzepts sein und etwa im Wege der Fusion, aber auch über eine Abspaltung oder Ausgliederung, eine wichtige Alternative zu einer sonst notwendigen übertragenden Sanierung darstellen. Auch kann ein Formwechsel von einer Kapital- in eine Personengesellschaft finanzielle Reserven nutzbar machen. In der Konzerninsolvenz sind Umwandlungen von Konzernunternehmen ein Mittel, um die gewünschte Neustrukturierung des Konzerns zu organisieren. 2.

Effekte der Gesamtrechtsnachfolge

Gerade gegenüber der klassischen übertragenden Sanierung hat eine Vermögensübertra- 15 gung nach dem Umwandlungsrecht (etwa durch eine Verschmelzung oder Ausgliederung) den Vorteil, dass hier keine Einzelrechtsnachfolge, sondern eine (partielle) Gesamtrechtsnachfolge stattfindet. Der Vermögensübergang wird dadurch nicht nur vereinfacht, da auf diese Weise Rechtsgesamtheiten wie Unternehmen ohne aufwendige Einzelaufstellungen übertragen werden können. Vor allem wird es möglich, rechtsträgergebundene Berechtigungen – wie etwa günstige Mietkonditionen, öffentlich-rechtliche Genehmigungen, Lizenzen usw.28) – ohne Zustimmung der anderen Vertragspartei oder Genehmigungsbehörde zu übertragen. Sogar Abtretungsverbote können überwunden werden.29) 3.

Die Nichtübertragbarkeit steuerlicher Verlustvorträge

Während eine Ausgliederung gegenüber anderen Sanierungsoptionen auch steuerliche Vor- 16 teile haben kann, da steuerbare Sanierungsgewinne vermieden werden,30) sind die steuerlichen Verlustvorträge der insolventen Gesellschaft (§ 8c KStG, § 10d EStG, § 10a GewStG) nach der derzeitigen Rechtslage nicht mittels einer Verschmelzung oder Ausgliederung übertragbar, sondern von der Gesamtrechtsnachfolge ausgeschlossen. Sie können daher insbesondere nicht auf einen solventen aufnehmenden Rechtsträger verschmolzen wer___________ 25) So auch Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 217 Rz. 84; Wachter, NZG 2015, 858, 862. Allg. zu dieser Fallgruppe Heckschen, ZInsO 2008, 824, 828. 26) So aber OLG Brandenburg v. 27.1.2015 – 7 W 118/14, ZIP 2015, 929 (s. die krit. Anm. von Madaus, NZI 2015, 565, 567). 27) Vgl. auch den Überblick bei Heckschen in: Reul/Heckschen/Wienberg, Insolvenzrecht in der Gestaltungspraxis, § 4 Rz. 502 ff. 28) S. die Auflistung bei Bitter/Laspeyres, ZIP 2010, 1157. 29) S. BGH v. 22.9.2016 – VII ZR 298/14, ZIP 2016, 2015, dazu EWiR 2016, 689 (Wachter). 30) Hierzu Hölzle/Kahlert, ZIP 2017, 510.

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den. Für eine solche Fusion (§ 3 Abs. 3 UmwG) schließt das Umwandlungssteuerrecht in §§ 4 Abs. 2 Satz 2, 12 Abs. 3 Satz 2 UmwStG den Übergang von steuerlichen Verlustvorträgen ausdrücklich aus.31) Ein Sanierungsprivileg wie in § 8c Abs. 1a KStG, das diesen empfindlichen Nachteil mildern könnte, findet sich im UmwStG nicht, weshalb steuerliche Verlustvorträge der insolventen Gesellschaft derzeit bei einer Sanierungsfusion auf einen solventen Rechtsträger verloren gehen. 17 Da die i. R. einer Umwandlung erfolgende Vermögensübertragung die Zuordnung steuerlicher Verlustvorträge nicht berührt, bleibt ihr Vermögenswert nur beim insolventen Rechtsträger nutzbar. Die Zulässigkeit einer Sanierungsfusion auf einen insolventen Rechtsträger (siehe Rz. 10) eröffnet hier die Möglichkeit, den Verlustvortrag des insolventen Rechtsträgers zu erhalten und auch für den übertragenden solventen Rechtsträger zu erschließen.32) 4.

Die über eine Umwandlung erreichbare Entschuldungswirkung

18 Die mit einer übertragenden Sanierung verbundene Entschuldung des übertragenden Unternehmens beruht auf der Trennung von Aktiva und Passiva im Wege einer Einzelrechtsnachfolge nur in die Aktiva. Eine derartig gezielte Rechtsnachfolge lässt sich durch eine Umwandlung nach dem UmwG nur im Ausnahmefall der Abspaltung/Ausgliederung erreichen. 4.1

Beim Formwechsel

19 Ein Formwechsel bewahrt die Identität des Rechtsträgers, sodass dieser auch unter der neuen Rechtsform seine Rechte, aber auch seine Pflichten behält. Eine Entschuldung kann der Formwechsel als solcher daher nicht bewirken; hierzu bedarf es zusätzlicher Vereinbarungen mit den Gläubigern. 4.2

Bei der Fusion

20 Eine Fusion führt zu einer Vermögensübertragung durch Gesamtrechtsnachfolge, sodass mit den Aktiva auch die Passiva, also die Verbindlichkeiten, auf die Zielgesellschaft übergehen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG). Die Zielgesellschaft „saniert“ so den insolventen Rechtsträger durch ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die idealerweise durch die Fusion gesteigert wird. In dieser durch die Gesamtrechtsnachfolge bewirkten Übernahme von Verbindlichkeiten liegt aber auch ein Haftungsrisiko für die Gesellschafter des übernehmenden Rechtsträgers, falls sich herausstellt, dass diese Leistungsfähigkeit fehlt und ein Insolvenzverfahren eröffnet wird. Der BGH hat dann in der Übernahme von Verbindlichkeiten im Verschmelzungswege einen existenzvernichtenden Eingriff der Gesellschafter gesehen und sie aus § 826 BGB haften lassen.33) Diese Grundsätze dürften nicht nur für den entschiedenen Fall einer außerinsolvenzlichen Verschmelzung eines insolvenzreifen Rechtsträgers gelten, sondern in gleicher Weise auch für die Verschmelzung mit formal insolventen Rechtsträgern Bedeutung erlangen. Auch strafbares Verhalten ist dann denkbar.34) ___________ 31) Nitzschke in: Brandis/Heuermann, EStR, § 12 UmwStG 2006 Rz. 62; Limmer in: Kölner Schrift, S. 859, 867 f., Rz. 22. 32) Limmer in: Kölner Schrift, S. 859, 868, Rz. 22. 33) S. BGH v. 6.11.2018 – II ZR 199/17, ZIP 2019, 114, dazu EWiR 2019, 135 (Heckschen). 34) Hiervor hatte auch der II. Zivilsenat gewarnt, BGH v. 6.11.2018 – II ZR 199/17, ZIP 2019, 114, 120 m. V. a. Heckschen, NotBZ 2018, 352, 352; hierzu ausführlich Brandt, ZIP 2019, 1993, sowie Heckschen, NZG 2019, 561, 566.

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Umwandlungen im Planverfahren 4.3

Bei der Abspaltung und der Ausgliederung

Im Fall einer Abspaltung wie auch einer Ausgliederung findet hingegen eine nur partielle 21 Gesamtrechtsnachfolge des übernehmenden Rechtsträgers statt. Hier gehen nur diejenigen Vermögensgegenstände im Wege der Sonderrechtsnachfolge auf den Zielrechtsträger über, die im Spaltungs- bzw. Ausgliederungsvertrag benannt werden. Dies ermöglicht es grundsätzlich, nur werthaltige Aktiva und Vertragsverhältnisse im Wege der Sonderrechtsnachfolge zu übertragen und zugleich andere Verbindlichkeiten beim übertragenden Rechtsträger zu belassen. Es entsteht – wie bei einer übertragenden Sanierung – ein entschuldeter und zugleich mit allen zukunftsfähigen Vermögensteilen ausgestatteter Zielrechtsträger, der in der Folge außerhalb der Insolvenz fortgeführt oder veräußert werden kann.35) 4.3.1 Problem: § 133 Abs. 1 UmwG Der Entschuldungseffekt der Sonderrechtsnachfolge wird derzeit durch § 133 Abs. 1 UmwG 22 bedroht, der die gesamtschuldnerische Haftung aller an der Abspaltung/Ausgliederung beteiligten Rechtsträger für die Verbindlichkeiten des übertragenden Rechtsträgers anordnet und eine Haftung des übernehmenden Rechtsträgers aus § 25 HGB zulässt. Diese gesetzliche Haftungsanordnung dient dem Gläubigerschutz, der gemäß Art. 146 Abs. 6 der Richtlinie über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts36) durch eine solche gesamtschuldnerische Haftung erfolgen kann. Europarechtlich notwendig ist eine solche generelle Haftungsanordnung nicht. Art. 146 Abs. 2 der Richtlinie lässt den in § 22 UmwG normierten Anspruch auf Sicherheitsleistung genügen und verlangt in Art. 146 Abs. 3 der Richtlinie für ausfallende Gläubiger nur einen Haftungszugriff auf die übertragenden Aktiva. Zugleich ist zu bedenken, dass die Richtlinie ohnehin nur für Aktiengesellschaften gilt und primär Aufspaltungen regelt. Ob eine Abspaltung bzw. eine Ausgliederung ebenso den Anforderungen des Art. 146 der Richtlinie an den Gläubigerschutz genügen muss, ist zweifelhaft. Art. 159 der Richtlinie, der die Aufspaltungsregelungen auf Spaltungsvorgänge nach Art. 135 der Richtlinie erweitert, die nicht zu einer Auflösung des übertragenden Rechtsträgers führen, scheint diese Umwandlungsarten nicht erfassen zu können, da hier anders als bei den in Art. 135 genannten Vorgängen (Art. 136, 155 der Richtlinie) gerade keine Gesamt-, sondern eine Sonderrechtsnachfolge stattfindet.37) 4.3.2 Die teleologische Reduktion des § 133 Abs. 1 UmwG Wird die Abspaltung oder Ausgliederung zum Gegenstand eines Insolvenzplans, so finden 23 sich spezielle verfahrensrechtliche Garantien für die betroffenen Gläubiger des übertragenden Rechtsträgers, die einem zusätzlichen Schutz über § 133 Abs. 1 UmwG und § 25 HGB widersprechen. Anders als in Umwandlungsfällen außerhalb der Insolvenz sind es hier die Gläubiger, die neben den Gesellschaftern des insolventen übertragenden Rechtsträgers darüber entscheiden, ob die Ausgliederung oder Abspaltung nach Maßgabe des Insolvenzplans erfolgen soll. Die Gläubiger sind mithin keine schutzbedürftigen Dritten, sondern Entscheidungsträger. Sind sie mit den im Insolvenzplan vorgesehenen Kompensationen nicht einverstanden, so können sie die Umwandlung durch die mehrheitliche Ablehnung des Plans verhindern. Das Planverfahren der §§ 231 ff. InsO bietet zugleich besondere Verfahrensrechte (Gruppenbildung, Minderheitenschutz), die sicherstellen, dass ___________ 35) Vgl. Limmer in: Kölner Schrift, S. 859, 882 f., Rz. 52. 36) Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts, ABl. (EU) L 169/46 v. 30.6.2017. 37) Vgl. Seulen in: Semler/Stengel/Leonard, UmwG, § 133 Rz. 6 m. w. N.

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auch die werthaltigen Forderungsrechte der überstimmten Gläubiger nicht beeinträchtigt werden. Diese speziellen Schutzvorkehrungen gehen den allgemeinen umwandlungsrechtlichen Mechanismen vor und rechtfertigen die Nichtanwendung des § 133 UmwG im Wege der teleologischen Reduktion.38) Folgerichtig haftet der übernehmende Rechtsträger nicht für Verbindlichkeiten des insolventen übertragenden Rechtsträgers (nicht einmal i. H. der Planquote).39) Entsprechende (deklaratorische) Verzichtsklauseln im Plan sind zulässig.40) 24 Die Insolvenzgläubiger des übertragenden Rechtsträgers haben folgerichtig auch keinen Anspruch gegen den übernehmenden Rechtsträger aus § 25 HGB, wie ihn § 133 Abs. 1 Satz 2 UmwG zulassen würde.41) Es gelten insofern zusätzlich die Erwägungen, die gegen eine Anwendung des § 25 HGB auf Firmenfortführungen, die aus der Insolvenz des Handelsgeschäfts heraus erfolgen, vorgebracht und höchstrichterlich anerkannt wurden.42) Auch hier ist es der Widerspruch zu den Grundsätzen des Insolvenzverfahrens, der zu einem Vorrang des Insolvenzrechts geführt hat. Die Gläubiger entscheiden in der Sondersituation der Insolvenz nach den besonderen verfahrensrechtlichen Bestimmungen des Insolvenzrechts über die Verwertung des Schuldnervermögens. Die Sonderrechtsnachfolge infolge einer Ausgliederung oder Abspaltung kann daher, wenn sie auf der Grundlage eines Insolvenzplans erfolgt, einen entschuldeten Zielrechtsträger erzeugen. 5.

Das Erlöschen von Pfandrechten an Gesellschaftsanteilen

25 Umwandlungsmaßnahmen in der Insolvenz können schließlich auch zur Folge haben, dass Pfandrechte an Gesellschaftsanteilen der an der Umwandlung beteiligten Rechtsträger erlöschen.43) Insbesondere der Formwechsel einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft ermöglicht es, Pfandrechte an Anteilen des Ausgangsrechtsträgers erlöschen zu lassen, da Personengesellschaften nach ganz h. M.44) keine eigenen Anteile halten können. Daher erlöschen im Zuge des Formwechsels die eigenen Anteile und mit ihnen gehen auch an ihnen bestehende Pfandrechte unter. Allen Verschmelzungs- und Spaltungsvorgängen ist weiterhin gemein, dass sie im Hinblick auf Pfandrechte an Gesellschaftsanteilen mit dem Institut der dinglichen Surrogation gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 (i. V. m. § 125 Satz 1) UmwG arbeiten. Danach bestehen Pfandrechte an Anteilen des Ausgangsrechtsträgers an den neu gewährten Anteilen am Zielrechtsträger fort, sofern im Zuge der Verschmelzung oder Spaltung denn überhaupt Anteile am Zielrechtsträger gewährt werden. ___________ 38) Dies ist methodengerecht möglich, da der Gesetzgeber über den Ausschluss der Haftung nach § 133 UmwG in der Insolvenz nicht entschieden hatte, dazu eingehend Kahlert/Gehrke, DStR 2013, 975, 978; ebenso Schröder/Berner, NZI 2017, 837, 841; zust. Heckschen/Weitbrecht, ZIP 2021, 179, 183 ff. 39) Ebenso Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2552; Kahlert/Gehrke, DStR 2013, 975, 977 f.; Hölzle/Kahlert, ZIP 2017, 510, 513 f.; Schröder/Berner, NZI 2017, 837, 841; auch Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 49; a. A. aber Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 128 (ohne Diskussion). Becker, ZInsO 2013, 1885, 1891, hält die Regelung in § 133 UmwG einerseits für zwingend, schlägt dann aber einen Verzicht der Gläubiger auf ihre Ansprüche durch eine Verzichtsklausel im Plan vor. Dann ist die Regelung in § 133 UmwG aber eben nicht zwingend, sondern plandispositiv. Die Abweichung in der Ansicht Beckers reduziert sich dann auf die Frage nach der Notwendigkeit einer expliziten Verzichtsklausel. 40) Ebenso Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2552 f.; Kahlert/Gehrke, DStR 2013, 975, 977 f.; Schröder/ Berner, NZI 2017, 837, 841. Becker, ZInsO 2013, 1885, 1891, hält solche Verzichtsklauseln im Plan für zwingend, um § 133 UmwG abzuwenden. 41) Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2552; Kahlert/Gehrke, DStR 2013, 975, 978; Hölzle/Kahlert, ZIP 2017, 510, 513; Schröder/Berner, NZI 2017, 837, 841; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 49. 42) Vgl. BGH, Urteil v. 3.12.2019 – II ZR 457/18, Rz. 9, ZIP 2020, 263; BGH v. 11.4.1988 – II ZR 313/87, ZIP 1988, 727 = NJW 1988, 1912; BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 215/06, ZIP 2007, 386 = NJW 2007, 942, dazu EWiR 2007, 497 (Joost). 43) Ausführlich Heckschen/Weitbrecht, ZIP 2019, 1189 ff. 44) S. nur K. Schmidt in: MünchKomm-HGB, § 105 Rz. 93; a. A. nur Priester, ZIP 2014, 245, 246 f.

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Umwandlungen im Planverfahren

Folglich versagt die dingliche Surrogation, wenn (gemäß § 20 Nr. 3 Satz 1 Halbs. 2, § 131 Abs. 1 Nr. 3 UmwG) keine solchen Anteile gewährt werden. Gerade in Konzernsituationen bietet es sich daher an, die Anteilsgewährung auszuschließen bzw. auf sie zu verzichten (§ 54 Abs. 1 Satz 3, § 68 Abs. 1 Satz 3 UmwG). Sieht der Insolvenzplan derartig gestaltete Umwandlungsmaßnahmen vor, so stellt sich 26 i. R. der Plangestaltung die Frage, ob der Insolvenzplan nicht nur die Umwandlungsmaßnahme selbst, sondern auch die Pfandrechte regelt, sodass es sich um einen (mittelbaren) „Eingriff“ in Absonderungsrechte45) i. S. der §§ 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 223 InsO handelt. Hieraus würde die Verpflichtung zur Bildung einer eigenen Gruppe für die Rechtsstellungen der betroffenen Pfandgläubiger folgen. Überzeugender scheint es hingegen, im Erlöschen der Pfandrechte nur einen Reflex des Umwandlungsrechts, nicht aber einen Planeingriff zu erkennen. Zum einen zeigt schon der Vergleich mit der außerinsolvenzlichen Situation, dass die 27 Pfandgläubiger nicht davor geschützt sind, dass durch umwandlungsrechtliche Maßnahmen ihr Sicherungsgegenstand, das Anteilsrecht, erlischt. Vielmehr beschränkt sich der umwandlungsrechtliche Gläubigerschutz nach vorzugswürdiger Ansicht46) darauf, den betroffenen Sicherungsgläubigern nach Abschluss der Umwandlungsmaßnahme gemäß § 22 UmwG Sicherheit zu leisten. Ein Mitsprache- oder gar Vetorecht gegen die Umwandlung selbst fehlt, ohne dass man hierin eine planwidrige Regelungslücke erkennen kann. Dem Gesetzgeber war vielmehr bewusst, dass das Surrogationsprinzip des § 20 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 UmwG (der von „soweit“ spricht) nicht lückenlos greift; er hielt insofern offenbar die Gläubigerschutzvorschrift des § 22 UmwG für ausreichend, ohne deren Schwächen besonders zu erwähnen.47) Diese Wertung entspricht auch allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen, nach denen 28 Pfandgläubiger Verfügungen an den belasteten Gegenständen nicht widersprechen können. Gehen dabei Sicherungsrechte unter (vgl. § 936 BGB), so ändert dies an der Rechtsbeständigkeit der Verfügung nichts. Aus der Sicherungsabrede kann sich aber ein Anspruch auf neue Besicherung ergeben, was der Rechtsfolge aus § 22 UmwG exakt entspricht. Zum anderen ist zu bedenken, dass der Insolvenzplan einen (mittelbaren) Eingriff in die Pfandrechte überhaupt nur enthalten dürfte, wenn es sich entweder um Absonderungsrechte am Schuldnervermögen (§§ 217 Abs. 1 Satz 1, 223 InsO; Pfandrechte an eigenen Anteilen) oder um verpfändete Anteile an Gruppenunternehmen (§§ 217 Abs. 2, 223a InsO; Pfandrechte an Anteilen des Tochterunternehmens) handelt. Bei Anteilsbesitz jenseits des Konzernverbundes fehlt eine explizite Eingriffsbefugnis des Plans in § 217 InsO. Zugleich ordnet § 254 Abs. 2 Satz 1 InsO den Fortbestand von Pfandrechten an massefremden Gegenständen an. Im Unterschied zu einem unmittelbaren Eingriff in das Sicherungsrecht (§ 223 InsO) und 29 einem nur mittelbaren Eingriff in selbiges durch Eingriff in die gesicherte Forderung adressiert der Insolvenzplan im Fall der Umwandlung kein Recht des Pfandgläubigers. Er verändert nur den Sicherungsgegenstand. Dies kann der Pfandgläubiger außerinsolvenzlich nicht verhindern, sodass er auch nicht privilegiert werden sollte, wenn die Umwandlung in der Insolvenz erfolgt. Stattdessen werden seine Interessen in den umwandlungsrechtlichen Schutzbestimmungen beachtet, sodass der Plan und dessen Umwandlungsmaßnahme wirk___________ 45) Dazu Weitbrecht, Mittelbare Planeingriffe in Sicherungsrechte, passim. 46) Ausführlich Heckschen/Weitbrecht, ZIP 2019, 1189, 1194; J. Vetter in: Lutter, UmwG, § 54 Rz. 105; a. A. Kocher in: Kallmeyer, UmwG, § 54 Rz. 20; Simon/Nießen in: KölnKomm-UmwG, § 54 Rz. 47. 47) Vgl. Begr. RegE UmwBerG, BT-Drucks. 75/94, S. 91.

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sam sind und der Pfandgläubiger einen Anspruch aus § 22 UmwG erhält, wenn und soweit die Surrogation des Pfandguts ausnahmsweise nicht funktioniert.48) 30 Handelt es sich beim Pfandrecht ausnahmsweise um eine konzerninterne Drittsicherheit oder um ein Absonderungsrecht an eigenen Anteilen der Schuldnerin, so gilt nichts anderes. Auch hier bezweckt der Plan weder unmittelbar noch mittelbar einen Eingriff in diese Rechtsposition. Sie entfällt als Reflex durch das Erlöschen des Sicherungsgutes. An seine Stelle tritt der Anspruch des Gläubigers aus § 22 Abs. 1 Satz 1 UmwG gegen den Zielrechtsträger, der erst nach Wirksamwerden der Umwandlung geltend gemacht werden kann.49) III.

Die Nutzung der Wirkungsmacht eines Insolvenzplans für Umwandlungen

31 Die Sanierungseffekte von Umwandlungen lassen sich in der Insolvenz nur über einen Insolvenzplan erreichen. Das dazu notwendige Insolvenzplanverfahren bietet hierzu verschiedene Hilfestellungen. So ist seit dem 1.3.2012 nicht nur die Fassung des Fortsetzungsbeschlusses für die insolvente Gesellschaft schon im Insolvenzplan möglich; die gesamte gesellschaftsrechtliche Willensbildung kann nun im Planverfahren gemäß den §§ 235 ff. InsO erfolgen. Die Ergebnisse dieser Willensbildung finden sich in gesellschaftsrechtlich bindenden Planregelungen wieder (vgl. §§ 225a, 254a InsO). Die Reichweite dieser neuen insolvenzrechtlichen Regelungsmacht im Gesellschaftsrecht mag im Detail noch unsicher sein. Insgesamt bieten sich aber Vereinfachungs- und Konzentrationspotenziale, die in der Praxis auch schon vor einer höchstrichterlichen Klärung aller Detailfragen genutzt werden sollten. 1.

Die (drohende) Insolvenz als Eingriffslegitimation

32 Die gesellschaftsrechtliche Regelungskompetenz eines Insolvenzplans erstreckt sich gemäß § 217 Satz 2, § 254a Abs. 2 InsO auf den Eingriff in die „Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen“. Die Bedeutung dieser Regelungskompetenz sowie ihr Sanierungs-, aber auch Missbrauchspotenzial wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Veränderungen dieser Rechte im Gesellschaftsrecht einer Satzungsänderung und daher eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung bzw. der Hauptversammlung bedürfen, wozu – je nach Gesellschaftsform – eine Dreiviertel-Mehrheit oder gar Einstimmigkeit erreicht werden muss. Zugleich sind, insbesondere im Aktienrecht, formale Anforderungen zu erfüllen, die u. a. die Einberufung und Beschlussfassung der Gesellschafter betreffen (vgl. etwa die §§ 118 ff. AktG). Diese Anforderungen gelten seit dem ESUG nicht mehr, wenn die Rechtsänderung durch einen Insolvenzplan erfolgen soll und daher die Willensbildung in der Schuldnergesellschaft durch die Willensbildung der Gesellschafter und Insolvenzgläubiger über den Insolvenzplan nach Maßgabe der §§ 235 ff. InsO ersetzt wird. Die Mitbestimmungs- und Vetorechte der betroffenen Gesellschafter sind dann wesentlich reduziert. 33 Diese starken Rechtseinbußen hat der Gesellschafter nur hinzunehmen, wenn die Gesellschaft insolvent ist. Nur im Fall der Überschuldung der Gesellschaft sind seine Anteilsrechte allerdings wirtschaftlich wertlos, da die Vermögensrechte der Gesellschaft nun allein den Gläubigern zuzuordnen sind. Hieraus leitet der Gesetzgeber auch eine Herabstufung der Mitgliedschaftsrechte, insbesondere der Organisationshoheit der Gesellschafter, ab. Diese Rechtfertigung wird vollends fraglich, wenn die Gesellschaft weder überschuldet ___________ 48) So die umwandlungsrechtliche Lösung bei Versagen der Surrogation – s. ausführlich Heckschen/ Weitbrecht, ZIP 2019, 1189, 1194; J. Vetter in: Lutter, UmwG, § 54 Rz. 105; a. A. Kocher in: Kallmeyer, UmwG, § 54 Rz. 20; Simon/Nießen in: KölnKomm-UmwG, § 54 Rz. 47. 49) Zu den Schwächen des Anspruchs aus § 22 UmwG Heckschen/Weitbrecht, ZIP 2019, 1189, 1197 f.; der Anspruch wird von der Praxis nicht genutzt, Mayer in: Widmann/Mayer, UmwR, § 54 UmwG Rz. 10.2.

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noch zahlungsunfähig, sondern nur drohend zahlungsunfähig ist. Der ESUG-Gesetzgeber sah auch in diesem Fall eine hinreichende Grundlage für Eingriffe in die Gesellschafterrechte. Wird der Eröffnungsgrund des § 18 InsO nicht von einer Überschuldung begleitet, so sind die Anteilsrechte allerdings werthaltig. Auch dies führt nach der neuen Rechtslage aber nur zu einer geringen Erhöhung der Entscheidungsmacht der Gesellschafter. So kann die ablehnende Haltung in der Gruppe der Gesellschafter nun nur noch über das Obstruktionsverbot des § 245 Abs. 1 InsO überwunden werden, wenn die Gesellschafter durch den Plan nicht schlechtergestellt werden (§ 245 Abs. 3 Nr. 2 InsO). Stimmt die Gesellschaftergruppe mehrheitlich zu, so ist dem einzelnen Minderheitsgesellschafter ein Wertverlust durch den Plan auszugleichen (§ 251 Abs. 3 InsO); ansonsten kann er den Plan durch einen Antrag auf Minderheitenschutz verhindern (§ 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Dem Unternehmensmanagement bietet sich vor dem Hintergrund dieser Rechtslage die 34 Chance, dringend benötigte Umwandlungen über § 18 InsO in ein Insolvenzplanverfahren zu verschieben, die ansonsten an den hohen gesellschaftsrechtlichen Mehrheits- oder gar Einstimmigkeitsanforderungen zu scheitern drohen. 2.

Vereinfachung der Willensbildung der Gesellschafter

Der erste wesentliche Vorteil der Einbindung einer Umwandlung in ein Insolvenzplanver- 35 fahren liegt in der Vereinfachung der gesellschaftsrechtlichen Willensbildung. Die Beschlussfassung der Gesellschafter in der Haupt- oder Gesellschafterversammlung wird formal wie auch materiell in das Planverfahren integriert. 2.1

Materielle Regelungsbefugnis des Insolvenzplans im Gesellschaftsrecht

Die §§ 217 Satz 2, 225a, 254a Abs. 2 InsO normieren im Bereich der materiellen gesell- 36 schaftsrechtlichen Regelungsmacht des Insolvenzplans eine Ersetzungswirkung der Planabstimmung für sämtliche Beschlüsse der Anteilseigner einer insolventen Gesellschaft, die nach dem im Insolvenzplan verkörperten Sanierungskonzept für gesellschaftsrechtliche Umstrukturierungen notwendig sind. 2.1.1 Herabsetzung von Mehrheitserfordernissen Dies bedeutet für eine geplante Umwandlung, dass der Umwandlungsbeschluss nun in 37 den Insolvenzplan aufgenommen werden kann und zusammen mit dem Insolvenzplan, also mit den Mehrheiten der §§ 243 ff. InsO, zustande kommt. Das gesellschaftsrechtliche Erfordernis einer satzungsändernden Mehrheit wird damit durch die in § 244 Abs. 3 InsO bestimmte einfache Summenmehrheit der Gesellschafter in ihrer Gruppe ersetzt. Eine hinreichende Gesellschafterzustimmung liegt also bereits vor, wenn die Summe der Beteiligungen der zustimmenden Gesellschafter mehr als die Hälfte der Summe der Beteiligungen der abstimmenden Gesellschafter beträgt; eine Kopfmehrheit der Gesellschafter ist nicht erforderlich. Folgerichtig genügt anstelle der Einstimmigkeit bei Personengesellschaften bzw. einer Dreiviertelmehrheit bei Kapitalgesellschaften schon ein Zustimmungsquorum i. H. einer einfachen Kapitalmehrheit der abstimmenden Gesellschafter für die Gesellschafterzustimmung zum Insolvenzplan. Im Anwendungsbereich der Obstruktionsverbote (§ 245 Abs. 3, § 246a InsO) kann die Zustimmung sogar ganz entbehrlich sein (siehe näher bei Becker, HRI II, § 36 Rz. 2 ff.). 2.1.2 Reichweite der materiellen Regelungsmacht des Insolvenzplans Die gesellschaftsrechtliche Regelungskompetenz ist dem Insolvenzplan nicht unbeschränkt 38 zugewiesen worden. Zwar kann in einem Insolvenzplan nach dem Wortlaut des § 225a Madaus

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Abs. 3 InsO „jede Regelung getroffen werden, die gesellschaftsrechtlich zulässig ist“. Diese Befugnis darf allerdings nicht ohne Hinzuziehen der grundsätzlichen Kompetenznorm des § 217 Satz 2 InsO interpretiert werden,50) die dem Plan nur einen Eingriff in die „Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen“ erlaubt (siehe Hölzle, HRI II, § 26 Rz. 15 ff.). Die Planregelung muss eben Rechte betreffen, die den Beteiligten am Planverfahren vermögens- oder gesellschaftsrechtlich zugewiesen sind. 39 Gegenstand einer Regelung im Insolvenzplan und damit einer vereinfachten insolvenzrechtlichen Willensbildung der Gesellschafter können mithin etwa sein: 

der Fortsetzungsbeschluss der aufgelösten Gesellschaft (§ 225a Abs. 3 InsO),



die Übertragung von Anteilen an Dritte (§ 225a Abs. 3 InsO) und damit u. a. auch: 

eine Kapitalerhöhung gegen Sach- oder Bareinlage, auch als Debt Equity Swap (§ 225a Abs. 2 InsO),



ein Kapitalschnitt (vereinfachte Kapitalherabsetzung auf null und anschließende Kapitalerhöhung),



ein Ausschluss des Bezugsrechts der Anteilseigner,



ein Umwandlungsbeschluss (§ 13 UmwG).

40 Nicht in die materielle Regelungsmacht des Insolvenzplans fallen demgegenüber solche gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen, die nicht die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der Gesellschafter berühren, sondern Eingriffe in die Stellung anderer, nicht am Insolvenzverfahren beteiligter Gesellschaftsorgane beinhalten. Insbesondere die Abberufung und Neubestellung des Aufsichtsrats liegt daher nicht in der Kompetenz der Planmehrheit, sondern obliegt der infolge der Planumsetzung neu zusammengestellten Hauptversammlung bzw. Gesellschafterversammlung.51) 2.2

Formelle Vereinfachungen durch das Planverfahren

41 Eine Vereinfachung der Willensbildung der Gesellschafter wird durch das Planverfahren auch in formeller Hinsicht geleistet. § 254a Abs. 2 Satz 2 InsO macht insofern nochmals deutlich, dass die formellen Anforderungen des Gesellschaftsrechts an Vorbereitungsmaßnahmen zur Beschlussfassung der Gesellschafter wie Ladungen, Bekanntmachungen oder Rederechte im Planverfahren nicht gelten. An ihre Stelle treten die entsprechenden Verfahrensregeln des Insolvenzrechts (§§ 231 ff. InsO, insbesondere § 235 InsO). Deren Einhaltung stellt das Insolvenzgericht im Bestätigungsbeschluss fest (§ 250 Nr. 1 InsO). Die damit einhergehende Feststellung der rechtmäßigen Beschlussfassung der Gesellschafter kann dann nur noch mit den Rechtsmitteln des Insolvenzplanverfahrens (sofortige Beschwerde, § 253 InsO), nicht aber mit gesellschaftsrechtlichen Klagen (etwa einer Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage) angegriffen werden. Wird die richterliche Planbestätigung rechtskräftig, so ist die Beschlussfassung auch gesellschaftsrechtlich unanfechtbar. § 254a Abs. 2 Satz 2 InsO kann daher die Einhaltung der gesellschaftsrechtlichen Verfahrensregeln fingieren. 42 Die insolvenzrechtliche Überlagerung der Willensbildung der Gesellschafter betrifft nicht nur die gesellschaftsrechtlichen Verfahrensregeln, sondern auch gesellschaftsrechtliche Stimmverbote, -beschränkungen oder -bindungen. Dies ergibt sich eindeutig aus § 238a Abs. 1 Satz 2 InsO. „Die Stimmrechte im Planverfahren entsprechen damit nicht zwangsläufig den Stimmrechten, die den jeweiligen Anteilsinhabern nach Maßgabe des einschlägi___________ 50) So aber etwa Becker, ZInsO 2013, 1885, 1886 f. 51) Anders (allein im Hinblick auf die entsprechende Hauptversammlungskompetenz): Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 564, Rz. 50.

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Umwandlungen im Planverfahren

gen Gesellschaftsrechts zustehen.“52) So gewähren eigentlich stimmrechtslose Vorzugsaktien (§ 139 AktG) i. R. der Planabstimmung durchaus ein Stimmrecht.53) Eigene Anteile sind demgegenüber keine Basis für ein Stimmrecht in der Planabstimmung,54) Die daraus folgende Verschiebung von Herrschaftsmacht in der Gesellschaft im Plan- 43 verfahren beruht nicht auf der Wertlosigkeit der Anteile aller Gesellschafter; der Gedanke der Inkorporation der gesellschaftsrechtlichen Willensbildung in das Planverfahren würde im Gegenteil sogar eher dafür sprechen, die Stimmgewichte ebenso zu importieren. Der Grund der Regelung sollte vielmehr aus der Funktion der Gesellschafterbeteiligung im Insolvenzplanverfahren erkannt werden, die hier zum einen den Zugriff auf den (nicht pfändbaren) Rechtsträger rechtlich legitimiert und zugleich die bei den Gesellschaftern schlummernden Informationen und Einschätzungen zum Plankonzept aggregiert.55) Zu beidem bedarf es einer ungehinderten Willensbildung aller vom Insolvenzplan betroffenen Gesellschafter. Folgerichtig müssen auch Stimmbindungen, die sich außerhalb des Planverfahrens aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht ergeben können, bei der Planabstimmung ohne Wirkung bleiben. Auf Stimmverbote gerichtete einstweilige Verfügungen, wie man sie im Suhrkamp-Planverfahren zwischen den Gesellschaftern erlebt hat, entbehren damit jeder rechtlichen Grundlage. Das mit ihnen verfolgte Rechtsschutzbegehren zielt allein auf das Plankonzept ab und muss daher im Planverfahren selbst berücksichtigt werden. Hier hat das Insolvenzgericht Einwände des Minderheitsgesellschafters zu hören sowie die Rechtmäßigkeit des Planinhalts zu prüfen. Pläne, die einzelnen Gesellschaftergruppen Sondervorteile gewähren, dürfen nicht bestätigt werden (§ 250 Nr. 1, § 226 Abs. 1 InsO).56) Eine missbräuchliche Verwendung des Planverfahrens ist hingegen bereits bei der Ent- 44 scheidung über die Verfahrenseröffnung zu prüfen; eine nochmalige Prüfung bei der Bestätigung verhindert die Rechtskraftwirkung des rechtskräftigen Eröffnungsbeschlusses. Ein rechtmäßiger Insolvenzplan ist daher zu bestätigen, wobei das Insolvenzgericht die Einhaltung der Anforderungen an den Planinhalt, insbesondere das Gleichbehandlungsgebot (§ 226 InsO), genau zu prüfen hat.57) Insgesamt ist mithin festzuhalten, dass über die Vorteile, die das Planverfahren seit dem 45 ESUG für die gesellschaftsrechtliche Umstrukturierung bietet, allein das Insolvenzrecht bestimmt und damit das Insolvenzgericht wacht. Parallele gesellschaftsrechtliche Prozesse sind zum einen mangels Rechtsschutzbedürfnisses der Parteien unzulässig58) und zum anderen mangels Verfügungsanspruchs unbegründet.59)

___________ 52) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 33. 53) Madaus in: MünchKomm-InsO, § 238a Rz. 11. 54) Eigene Anteile dagegen gewähren auch i. R. der Planabstimmung kein Stimmrecht, Madaus in: MünchKomm-InsO, § 238a Rz. 11. 55) S. zu Letzterem Madaus, Der Insolvenzplan, S. 512 ff. 56) Ausführlich hierzu am Bsp. des Suhrkamp-Insolvenzplans Madaus, ZIP 2014, 500 ff. 57) Madaus, ZIP 2014, 500, 506 f. Die Versagung der Planbestätigung ist, entgegen Spliedt, ZInsO 2013, 2155, 2157, eben nicht der einzige Ausweg aus einem auf zweifelhafter Grundlage eröffneten Insolvenzverfahren. Das Planverfahren zwingt zerstrittene Gesellschafter idealerweise zu einer einvernehmlichen oder zumindest angemessenen Lösung oder leitet die Regelinsolvenz und damit die Liquidation ein. 58) Zutreffend OLG Frankfurt/M. v. 1.10.2013 – 5 U 145/13, ZIP 2013, 2018 ff., dazu EWiR 2013, 753 (Bähr/Schwartz), m. abl. Anm. Fölsing, ZInsO 2013, 2115 f., und Spliedt, ZInsO 2013, 2155 ff.; anders auch noch die erstinstanzliche Entscheidung des LG Frankfurt/M. v. 10.9.2013 – 3-09 O 96/13, ZIP 2013, 1831 ff. (krit. hierzu die Urteilsanm. v. Hölzle, EWiR 2013, 589). 59) Thole, ZIP 2013, 1937, 1942 ff.

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2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte Die begrenzte Vereinfachung der Planumsetzung

46 Das Insolvenzrecht vereinfacht v. a. das Zustandekommen eines Insolvenzplans mit Gesellschafterbeteiligung. Daneben erleichtert es die Umsetzung der im Insolvenzplan enthaltenen gesellschaftsrechtlichen Beschlüsse, soweit Planbeteiligte von der umzusetzenden Planbestimmung betroffen sind. So gelten die in den Plan aufgenommenen Willenserklärungen der Planbeteiligten mit seinem Inkrafttreten als formgerecht abgegeben (§ 254a Abs. 1 und 2 InsO). 3.1

Der Zugang von Willenserklärungen aus dem Insolvenzplan

47 Die Vereinfachung der Planumsetzung endet allerdings schon mit der Abgabe von Willenserklärungen nach Maßgabe des Insolvenzplans. Die Fiktion des § 254a InsO umfasst ausdrücklich nur die Abgabe, nicht aber den Zugang der in den Plan aufgenommenen Willenserklärungen. Dieser Zugang ist folglich nach den allgemeinen Regeln zu bewerkstelligen. Bei Erklärungen zwischen den Planbeteiligten wird er häufig schon im Abstimmungstermin als Erklärung unter Anwesenden, ansonsten über § 151 BGB anzunehmen sein.60) 48 Bei Erklärungen gegenüber nicht beteiligten Dritten wird die Planerklärung hingegen erst dann ihre Wirkung entfalten, wenn sie diesen tatsächlich zugeht. Aus diesem Grund kann der Plan insbesondere die Anmeldung zum Handelsregister (vgl. § 16 UmwG) bzw. zum Grundbuchamt nicht fingieren. Die Registeranmeldung muss als Verfahrenshandlung stets tatsächlich gegenüber dem Registergericht bzw. dem Grundbuchamt erfolgen, wozu § 254a Abs. 2 Satz 3 InsO ausdrücklich den Insolvenzverwalter ermächtigt. Die Formfiktion des § 254a Abs. 2 Satz 1 und 2 InsO erstreckt sich auf diese Anmeldung nicht, weshalb sie der Form des § 12 HGB bedarf. 49 Eine Ermächtigung zur Anmeldung kann zudem gemäß § 221 Satz 2 InsO im gestaltenden Teil des Insolvenzplans vorgesehen werden. Diese sollte dann auch andere Durchführungshandlungen als Registeranmeldungen abdecken (etwa Handlungen, die der Vorbereitung des Gesellschafterbeschlusses dienen, wie die Beauftragung eines Prüfers für die Sacheinlagenprüfung nach § 183 Abs. 3 AktG, und daher vor der Planabstimmung vorgenommen werden müssen). Fehlt eine entsprechende Planermächtigung, so scheint eine analoge Anwendung des § 254a Abs. 2 Satz 3 InsO in diesen Bereichen gerechtfertigt, um das Planverfahren nicht unnötig zu verzögern.61) 3.2

Realakte sowie Handlungen jenseits der Planbeteiligten

50 Der Insolvenzplan ist ein Rechtsgeschäft; Realakte (etwa die Übergabe von Gegenständen) kann er nicht ersetzen. 51 Entsprechendes gilt aufgrund seiner subjektiven Reichweite für Handlungen unter nicht plangebundenen Dritten. So können etwa bei Verschmelzungen die Beschlussfassung der Anteilsinhaber des solventen Rechtsträgers (§ 13 UmwG) sowie dessen Annahme des Verschmelzungsvertrags (§ 4 UmwG) nicht in den gestaltenden Teil des Insolvenzplans integriert werden. Wird letztere Vertragserklärung allerdings mit dem Einverständnis der solventen Gesellschaft in die Plananlagen aufgenommen (§ 230 Abs. 3 InsO), so hat sie über § 254a Abs. 3 InsO an der Formfiktion teil. 3.3

Der Vorrang des Insolvenzplans gegenüber dem Registerverfahren

52 Eine weitere Vereinfachung findet sich für solche Planregelungen, die zu ihrer Umsetzung der Eintragung in das Handelsregister oder Grundbuch bedürfen. Hier bindet der rechts___________ 60) Ausführlich dazu Madaus, Der Insolvenzplan, S. 241 f. 61) Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 565, Rz. 59.

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Umwandlungen im Planverfahren

kräftige Planbestätigungsbeschluss über seine Rechtskraftwirkung62) in deren Umfang auch das Registergericht und verwehrt diesem nach hier vertretener Ansicht63) daher insoweit eine erneute materielle Prüfung. Das Registergericht hat also aus prozessualen Gründen nicht die Kompetenz, i. R. des Eintragungsverfahrens Entscheidungen des Insolvenzgerichts über die Rechtmäßigkeit auch der gesellschaftsrechtlichen Beschlussfassung erneut zu überprüfen, weshalb es insoweit tatsächlich nur beurkundend tätig wird.64) Dies gilt v. a., wenn das Registergericht die Entscheidung des Insolvenzgerichts für falsch hält.65) Der rechtskräftig bestätigte Insolvenzplan dient dem Registergericht allein als Tatsache, etwa für die Fragen nach dem Vorliegen eines Fortsetzungsbeschlusses im Plan; dessen Rechtmäßigkeit prüft es nicht.66) Da in der Praxis die Registergerichte weiter dazu tendieren, sich ein vollumfängliches Prüfungsrecht zuzugestehen,67) ist vorerst dringend anzuraten, eine Vorabstimmung mit dem Registergericht zu suchen, um eine reibungslose Eintragung zu gewährleisten. Offensichtliche Fehler des Insolvenzplans können über das Berichtigungsrecht des Insol- 53 venzverwalters in § 221 Satz 2 InsO korrigiert werden, ohne den Plan durch ein Vetorecht des Registergerichts insgesamt zu gefährden.68) Soweit sich allerdings zwingende Eintragungsvoraussetzungen nicht aus dem Insolvenzplan und dessen Plananlagen ergeben und damit auch noch nicht vom Insolvenzgericht einer Prüfung unterzogen wurden, hat das Registergerichts die Möglichkeit, das Eintragungsverfahren bis zur Plankorrektur bzw. bis zur Nachholung fehlender Maßnahmen auszusetzen. Muss die Eintragung binnen einer bestimmten Frist nach der Beschlussfassung erfolgen 54 (vgl. § 228 Abs. 2 AktG – sechs Monate), so wird der Fristablauf gehemmt, solange der Beschluss nicht umsetzbar ist (vgl. § 228 Abs. 2 Satz 2 AktG). Die Frist läuft damit erst ab dem Zeitpunkt, in dem diesbezügliche Gerichtsverfahren rechtskräftig enden. Für Beschlüsse, die Teil eines Insolvenzplans sind, beginnt der Lauf der Eintragungsfrist mithin erst mit dem Eintritt der Rechtskraft der gerichtlichen Planbestätigung.69) 4.

Zusammenfassung der Hilfen im Planverfahren für Umwandlungsmaßnahmen

In den Umwandlungsinsolvenzplan darf jede Regelung aufgenommen werden, die gesell- 55 schaftsrechtlich zulässig ist und die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der Gesellschafter berührt, insbesondere also:  der Fortsetzungsbeschluss der aufgelösten Gesellschaft (§ 225a Abs. 3 InsO),  ein Ausschluss des Bezugsrechts der Anteilseigner,  ein Umwandlungsbeschluss (§ 13 UmwG). ___________ 62) Zum Gegenstand und Umfang der Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses ausführlich Madaus, Der Insolvenzplan, S. 409 ff. 63) Madaus, ZIP 2012, 2133, 2138 f.; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 225a Rz. 103; Haas, NZG 2012, 961, 966; a. A. (eingeschränktes Prüfungsrecht in Bezug auf evidente Fehler); Brünkmans/GreifWerner, ZInsO 2015, 1585, 1594; Klausmann, NZG 2015, 1300, 1305; Mulert, NZG 2021, 673, 681 f. m. w. N.; wieder anders etwa Becker, ZInsO 2013, 1885, 1890: „eigenes Prüfungsrecht der gesellschaftsrechtlichen Aspekte“. 64) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 37; wie hier Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 254a Rz. 7 m. w. N. 65) Anders aber explizit Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 567, Rz. 67. 66) In diesem Sinne nun auch BGH v. 6.11.2018 – II ZR 199/17, Rz. 15, 29, ZIP 2019, 114, dazu EWiR 2019, 135 (Heckschen), wenngleich der II. Zivilsenat eine ausdrückliche Streitentscheidung vermeidet. 67) S. OLG Brandenburg v. 27.1.2015 – 7 W 118/14, ZIP 2015, 929; AG Charlottenburg v. 9.2.2015 – HRB 153203 B, NZI 2015, 415, dazu EWiR 2015, 617 (Körner/Rendels)– mit in diesem Punkt abl. Anm. 68) Genau dazu dient das Berichtigungsrecht in § 221 Satz 2 InsO – vgl. Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 48. 69) Im Ergebnis ebenso Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 562, Rz. 40.

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2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

56 Die schuldnerseitige Vertragserklärung zum Verschmelzungsvertrag kann im eröffneten Insolvenzverfahren der Insolvenzverwalter (bei Eigenverwaltung der Schuldner) kraft seiner Verwaltungsbefugnis (§ 80 InsO) abgeben; sie kann aber auch als Schuldnererklärung in den Insolvenzplan aufgenommen werden (vgl. § 254a Abs. 1 InsO). Ist nur ein Spaltungsplan notwendig (Spaltung zur Neugründung, § 136 UmwG), so kann dieser in den Insolvenzplan integriert werden. 57 Nicht Teil des Insolvenzplans sind demgegenüber alle Handlungen, die nicht planbeteiligte Dritte vorzunehmen haben, wie insbesondere 

die Beschlussfassung der Anteilsinhaber des solventen Rechtsträgers über die Umwandlungsmaßnahme (§ 13 UmwG) und über eventuelle Kapitalerhöhungen aus diesem Grund; diese Personengruppe ist nicht Beteiligte des Insolvenzplanverfahrens;



die Annahme des Verschmelzungsvertrags (§ 4 UmwG) bzw. des Spaltungs- und Aufnahmevertrags (§ 126 UmwG) durch den nicht insolventen Rechtsträger; mit dessen Einverständnis kann seine Annahmeerklärung nach § 230 Abs. 3 InsO in die Plananlagen aufgenommen werden und so über § 254a Abs. 3 InsO an der Formfiktion teilhaben;



eine nach dem Plankonzept notwendige Neugründung von Gesellschaften durch Dritte;



die Anmeldung der beschlossenen Umwandlungsmaßnahme beim Handelsregister durch die Vertretungsorgane (vgl. § 16 UmwG); sie kann durch den Insolvenzverwalter erfolgen;



die Eintragung der Umwandlung in das Handelsregister der beteiligten Rechtsträger (§ 19 UmwG).

58 Der Verschmelzungs-/Spaltungsvertrag wie auch der Verschmelzungsbericht (§ 8 UmwG)/ Spaltungsbericht (§ 127 UmwG) und ein ggf. notwendiger Prüfungsbericht (§ 12 UmwG) sind dem Insolvenzplan als Plananlagen beizufügen, da sie für die Willensbildung wesentliche Informationen enthalten. Handlungen Dritter, die erst nach der Abstimmung über den Insolvenzplan erfolgen sollen, können als Planbedingung (§ 249 InsO) in den Insolvenzplan aufgenommen werden. Dies gilt etwa für eine nach dem Plankonzept notwendige Neugründung von Unternehmen oder auch eine Kapitalerhöhung unter Mitwirkung von Personen, die bislang nicht am Planverfahren beteiligt sind. Insofern bleibt § 249 InsO die Norm, die das Gesellschaftsrecht mit dem Insolvenzplanverfahren verzahnt.70) IV.

Die einzelnen Umwandlungsarten als Plangegenstand

59 Überträgt man die aufgezeigten Regelungsmöglichkeiten auf die einzelnen Umwandlungsarten, so ergibt sich folgendes Bild. 1.

Formwechsel (§§ 190 ff. UmwG)

1.1

Zielvorstellung

60 Der Formwechsel hat weder eine Vermögensübertragung noch einen Liquiditätszufluss oder eine Entschuldung zur Folge (siehe Rz. 19). Er kann daher für sich allein die Insolvenzgründe nicht beseitigen und daher auch nicht die Sanierung der Gesellschaft bewirken. Die hohe Sanierungsbedeutung des Formwechsels folgt allein daraus, dass sich mit seiner Hilfe eine Rechtsform für den Schuldner schaffen lässt, die nach dem Sanierungskonzept ___________ 70) Zur Bedeutung des § 249 InsO vor dem ESUG, um Verschmelzungslösungen überhaupt zu ermöglichen: Heckschen in: FS Widmann, 2000, S. 31, 45 f.; Limmer in: Kölner Schrift, S. 859, 896 ff., Rz. 84.

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§ 28

Umwandlungen im Planverfahren

für das künftige Geschäftsmodell passgenau erscheint. Ein Formwechsel kann insofern als Sanierungshilfe sinnvoll sein, um bspw.: 

den Wunsch nach einer Haftungsbeschränkung auf die Gesellschaft in der Zukunft zu erfüllen (Formwechsel von der Personen- in eine Kapitalgesellschaft oder eine GmbH & Co. KG);71)



künftig den Insolvenzantragspflichten des § 15a InsO zu entgehen (Wechsel von einer Kapital- in eine Personengesellschaft jenseits der GmbH & Co. KG);72)



der Arbeitnehmermitbestimmung zu entfliehen (Wechsel von einer Kapital- in eine Personengesellschaft);



Publizitätspflichten zu beenden und so Verwaltungskosten zu senken (Wechsel von einer Kapital- in eine Personengesellschaft);



eine unterkapitalisierte Kapitalgesellschaft fortzuführen (Formwechsel in eine Personengesellschaft oder von einer AG in eine GmbH);73)



Corporate-Governance-Strukturen zu verändern (Formwechsel von der AG in eine GmbH);74)



existenzgefährdende Gesellschafterstreitigkeiten zu beenden (Formwechsel von einer KG in eine AG).75)

Die über einen Formwechsel erreichte Anpassung der Rechtsform an das künftige Ge- 61 schäftsmodell erlaubt es, Kapitalgeber zu finden (etwa aus dem Kreis der Gesellschafter oder Gläubiger, aber auch durch die Aufnahme neuer Gesellschafter) und so die Insolvenz der Gesellschaft auch materiell zu überwinden. 1.2

Darstellender Teil des Insolvenzplans

Der darstellende Teil des Insolvenzplans erläutert das Sanierungskonzept, in das der 62 Formwechsel eingebunden ist, in allen Einzelheiten (vgl. § 220 Abs. 2 UmwG). Er enthält damit alle Informationen, die in § 192 UmwG für einen Umwandlungsbericht zur Vorbereitung eines Formwechsels verlangt werden, und richtet sich zumindest auch an die Gesellschafter. Ein gesonderter Umwandlungsbericht ist daher überflüssig. Die Formalien, die § 230 UmwG an die Zuleitung und Auslage des Umwandlungsberichts knüpft, werden durch die Informationsvorschriften des Planverfahrens verdrängt (vgl. § 254a Abs. 2 Satz 2 InsO); Entsprechendes gilt für die in § 260 UmwG normierte Vorbereitung der Generalversammlung der Mitglieder einer Genossenschaft oder (über § 274 UmwG) eines Vereins. Auch die Mitteilung eines Abfindungsangebots an die Gesellschafter nach den §§ 231, 207 UmwG erfolgt durch die Erläuterung des Angebots im darstellenden Teil des Insolvenzplans. Schließlich wird auch die Zuleitung des Entwurfs des Umwandlungsbeschlusses an den Betriebsrat (§ 194 Abs. 2 UmwG) durch die Zuleitung des Plans an den Betriebsrat nach § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO ersetzt.76)

___________ 71) Heckschen in: FS Widmann, 2000, S. 31, 40; Limmer in: Kölner Schrift, S. 859, 889, Rz. 69. 72) Heckschen, ZInsO 2008, 824, 829; Limmer in: Kölner Schrift, S. 859, 866, Rz. 16. 73) Heckschen in: FS Widmann, 2000, S. 31, 41; ausführlich Limmer in: Kölner Schrift, S. 859, 891 ff., Rz. 74 ff. 74) Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 128. 75) Vgl. das Suhrkamp-Verfahren (etwa OLG Frankfurt/M. v. 1.10.2013 – 5 U 145/13, ZIP 2013, 2018). 76) So i. E. auch Becker, ZInsO 2013, 1885, 1889.

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§ 28 1.3

2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte Gestaltender Teil des Insolvenzplans

63 Der gestaltende Teil des Insolvenzplans hat neben anderen Sanierungsmaßnahmen (insbesondere denjenigen mit Gläubigerbezug) die beabsichtigten gesellschaftsrechtlichen Rechtsänderungen festzuhalten (§ 221 Satz 1 InsO). Er hat daher v. a. den Fortsetzungsund den Umwandlungsbeschluss nach § 193 Abs. 1 Satz 1 UmwG zu enthalten. 1.3.1 Der Fortsetzungsbeschluss (§ 225a Abs. 3 InsO) 64 Zur Fortführung der Schuldnergesellschaft in neuer Rechtsform muss die Auflösung der Gesellschaft infolge der Insolvenzeröffnung durch einen Fortsetzungsbeschluss beendet werden. Dieser Beschluss ist gemäß § 225a Abs. 3 InsO zulässiger und zugleich notwendiger Teil des gestaltenden Teils des Insolvenzplans. Zur Relevanz der Kapitalausstattung des Zielrechtsträgers siehe Rz. 66. 1.3.2 Das vereinfachte Zustandekommen des Umwandlungsbeschlusses 65 Der Umwandlungsbeschluss kommt als Teil des Insolvenzplans nicht nach den Mehrheiten des Umwandlungsrechts (§§ 217, 233, 240, 252, 262, 275, 284, 293 UmwG), sondern allein nach den Anforderungen der §§ 243 ff. InsO zustande. Die hohen Zustimmungserfordernisse des Umwandlungsrechts77) werden verdrängt und die Beschlussfassung auf diese Weise vereinfacht. Auch gesellschaftsrechtliche Stimmrechtsverbote und Stimmbindungen gelten für diese Abstimmung nicht; sie kann daher auf einer solchen Grundlage auch nicht – wie im Suhrkamp-Verfahren – torpediert78) werden (siehe ausführlich Rz. 42 ff.). Lediglich in dem Fall, dass ein bislang nicht persönlich haftender Gesellschafter künftig persönlich haften soll (vgl. § 240 Abs. 2 UmwG), ist auch nach den § 245 Abs. 1 Nr. 1 bzw. § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO (Schlechterstellungsverbot) dessen individuelle Zustimmung erforderlich. Der bloße Eingriff in bestehende Anteilsrechte (etwa eine Verwässerung) ist hingegen mehrheitsfähig und bedarf keiner individuellen Zustimmung (vgl. § 217 InsO). Eine Aktionärsklage (§ 195 UmwG) findet gegen den Beschluss nicht statt; es gilt allein der Rechtsschutz der §§ 251, 253 InsO gegen den Insolvenzplan, der auch den Gesellschaftern offensteht. Mit Eintritt der Rechtskraft der Planbestätigung gilt der Beschluss als formwirksam gefasst (§ 254a Abs. 2 Satz 1 InsO). 1.3.3 Der Inhalt des Umwandlungsbeschlusses 66 Der notwendige Inhalt des Umwandlungsbeschlusses ergibt sich aus § 194 UmwG. Die neue Rechtsform ist zu benennen und die Anteile an der neuen Gesellschaft sind zu bilden und zuzuweisen. Hierbei sind die Gründungsvorschriften der neuen Rechtsform zu beachten (§ 197 UmwG i. V. m. § 225a Abs. 3 InsO), sodass insbesondere eine neue Satzung Teil des Umwandlungsbeschlusses sein muss. Ebenso ist sicherzustellen, dass durch die Planmaßnahmen keine Überschuldung des Zielrechtsträgers mehr vorliegt und ggf. einschlägige Kapitalaufbringungsanforderungen erfüllt werden. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die hierfür notwendige Kapitalausstattung schon im Zeitpunkt der gerichtlichen Bestätigungsentscheidung im Zielrechtsträger vorhanden sein muss. Eine entsprechende Kapitalzufuhr kann auch erst in der Planumsetzung erfolgen, wenn sich die Gläubiger im Planverfahren hierauf mit den erforderlichen Mehrheiten einlassen. Die Umsetzung des Plans ist dann erst für die Anmeldung des Formwechsels relevant und hier ___________ 77) S. §§ 217 Abs. 1 Satz 1, 233 Abs. 1, 252 Abs. 1, 275 Abs. 1, 284 UmwG – Einstimmigkeit; §§ 233 Abs. 2, 245 Abs. 1, 252 Abs. 2, 262, 275 Abs. 2, 293 UmwG – mind. 75 %-Mehrheit; § 193 Abs. 2 und 3 UmwG – Einzelzustimmungen in notarieller Form. 78) Zutreffend (auch in der Begriffswahl) Thole, ZIP 2013, 1937.

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§ 28

Umwandlungen im Planverfahren

vom Registergericht zu prüfen (vgl. §§ 197, 222 f., 245 f. UmwG, §§ 36 ff. AktG). Folgerichtig ist auch eine Beseitigung des Auflösungsgrundes (Überschuldung) nicht schon vor der Planbestätigung erforderlich. Eine Überschuldung nach § 19 InsO wird vielmehr aufgrund der positiven Fortführungsprognose nach erfolgreicher Planbestätigung regelmäßig zeitgleich mit dem Fortsetzungsbeschluss im Moment des Eintritts der Planwirkungen wegfallen. Beim Formwechsel in eine Personengesellschaft ist insofern nur für den Wechsel in die KG 67 sicherzustellen, dass die haftungsausschließende Einlage der Kommanditisten erbracht wird.79) Beim Formwechsel einer Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft sind gemäß §§ 220, 245 UmwG die Sachgründungsnormen, insbesondere die Kapitalaufbringungsvorschriften, des Kapitalgesellschaftsrechts zu beachten. Dabei darf das nach Abzug der (nicht im Plan erlassenen) Schulden verbleibende Vermögen der Gesellschaft nicht den Nennbetrag des Stammkapitals einer GmbH bzw. den Mindestbetrag des Grundbetrags einer AG unterschreiten. Es gelten die Sachgründungsvorschriften des Zielrechtsträgers.80) Ist die Schuldnergesellschaft überschuldet, so ist bereits im Insolvenzplan die notwendige Kapitalausstattung sicherzustellen; die konkrete Kapitalaufbringung kann aber – wie in jedem Gründungsvorgang – nach der Beschlussfassung und Planbestätigung erfolgen. Die gründungsrechtlichen Vorgaben sind hier erst bei der Anmeldung des Formwechsels beim Handelsregister zu erfüllen und dort vom Registergericht zu überprüfen. Beim Wechsel von einer Kapitalgesellschaft in eine andere ordnet § 245 Abs. 1 Satz 2 68 UmwG die Anwendung des § 220 UmwG und damit die Einhaltung der Gründungsvorschriften nur für den Formwechsel in eine AG oder KGaA, nicht aber für den Formwechsel in eine GmbH an (vgl. § 245 Abs. 4 UmwG). Vor allem der Formwechsel einer AG in eine GmbH kann also auch dann erfolgen, wenn das nach dem Insolvenzplan für die ZielGmbH vorgesehene Vermögen den Nennbetrag des Stammkapitals nicht erreicht, sodass eine materielle Unterbilanz vorliegt.81) Notwendig ist hier mithin allein die Überwindung der Überschuldung nach § 19 InsO als Auflösungsgrund der Gesellschaft, wofür es bei einer materiellen Unterbilanz allein auf die positive Fortführungsprognose ankommt. Der Umwandlungsbeschluss hat auch unter den Voraussetzungen des § 194 Abs. 1 Nr. 6 69 UmwG nur in dem Ausnahmefall ein Barabfindungsangebot nach § 207 UmwG zu enthalten, dass die Anteilsrechte eventuell opponierender Gesellschafter noch im Insolvenzverfahren werthaltig sind. Dies ist wohl nur im Fall einer Verfahrenseröffnung über § 18 InsO zu prüfen. Für die Bestimmung der Werthaltigkeit gilt § 225a Abs. 5 Satz 1 InsO (Liquidationswert).82) Haben die Anteile danach einen Restwert, so hat der Umwandlungsbeschluss ein Barabfindungsangebot nach § 207 UmwG zu enthalten. Das Angebot des formwechselnden Rechtsträgers auf Übernahme der Altanteile gegen die Barabfindung (§ 207 Satz 1 UmwG) ist als (aufschiebend vom formgerechten Widerspruch des Gesellschafters nach § 251 Abs. 1 Nr. 1 InsO bedingte) Verpflichtungserklärung in den gestaltenden Teil des Insolvenzplans aufzunehmen. Ist eine Übernahme der Anteile durch die Gesellschaft nicht möglich (§ 207 Satz 2 UmwG), so richtet sich das aufschiebend bedingte Angebot des formwechselnden Rechtsträgers nicht auf einen Erwerbsvertrag, sondern nur auf eine (auf den Austritt des Gesellschafters bedingte) Abfindungsleistung. Auch diese ist bereits in den Plan aufzunehmen. Die Abfindungsauszahlung kann nach Maßgabe des § 225a Abs. 5 Satz 2 und 3 InsO gestundet werden.83) Zur Bedienung der ___________ 79) 80) 81) 82) 83)

Heckschen in: FS Widmann, 2000, S. 31, 41. Heckschen in: FS Widmann, 2000, S. 31, 40. Limmer in: Kölner Schrift, S. 859, 893, Rz. 76. Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2548. Ebenso Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2548.

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2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

Barabfindungsansprüche sind im Plan Mittel bereitzustellen, also Rücklagen zu bilden oder Bankbürgschaften zu besorgen, da sie eine Schlechterstellung der opponierenden Gesellschafter verhindern. Den Streit um die Abfindung hat dann jeder opponierende Gesellschafter außerhalb des Planverfahrens nach seiner Anteilsveräußerung bzw. nach seinem Austritt zu führen (§ 251 Abs. 3 Satz 2 InsO). 1.3.4 Die Ermächtigung des Insolvenzverwalters (§ 221 Satz 2 InsO) 70 Der gestaltende Teil des Insolvenzplans muss schließlich die Ermächtigung des Insolvenzverwalters zu Umsetzungsmaßnahmen und Berichtigungen aus § 221 Satz 2 InsO vorsehen. Die Umsetzung des Insolvenzplans durch den Insolvenzverwalter ist nur dadurch auch jenseits der begrenzten Vertretungsmacht aus § 254a Abs. 2 Satz 3 InsO gesichert (siehe Rz. 49). 1.4

Plananlagen

71 Sieht die neue Rechtsform persönlich haftende Gesellschafter vor, so sind deren Zustimmungserklärungen zur Haftungsübernahme nach § 230 Abs. 1 Satz 2 InsO dem Insolvenzplan beizufügen. In die Plananlagen können gemäß § 230 Abs. 3 InsO zudem Verpflichtungserklärungen Dritter aufgenommen werden, um diese an der Formfiktion des § 254a Abs. 3 InsO teilhaben zu lassen. Dies bietet sich für die Beitrittserklärungen von Dritten an, die Gesellschafter in der neuen Gesellschaft werden sollen. 1.5

Planwirkungen

72 Kommt der Insolvenzplan durch seine rechtskräftige Bestätigung zustande, so werden damit auch die gesellschaftsrechtlichen Beschlüsse unmittelbar wirksam (§ 254a Abs. 2 Satz 1 InsO). Die weiterhin notwendige Registeranmeldung kann durch den Insolvenzverwalter erfolgen. Die dazu notwendigen Unterlagen zählt § 199 UmwG auf; weitere Vorlagepflichten können sich aus dem nach § 197 Satz 1 UmwG anzuwendenden Gründungsrecht der Zielrechtsform ergeben (etwa eine Versicherung des Geschäftsführers oder eine Gesellschafterliste beim Formwechsel in eine GmbH). Der erforderliche Nachweis des Umwandlungsbeschlusses wie auch der sonstigen im Planinhalt oder in den Plananlagen befindlichen Erklärungen erfolgt durch die Vorlage des bestätigten Insolvenzplans. Ein Umwandlungsbericht wie auch die Zuleitung an den Betriebsrat ist entbehrlich und daher nicht vorzulegen (siehe Rz. 75). 73 Eine Prüfungsbefugnis hinsichtlich der im Insolvenzplan enthaltenen gesellschaftsrechtlichen Beschlussfassung hat das Registergericht nicht, sodass diesbezüglich keine nochmalige Beschlusskontrolle erfolgt (siehe Rz. 52). Das Registergericht prüft allerdings die Eintragungsvoraussetzungen, die nicht durch den Insolvenzplan nachgewiesen sind. Dies sind in der Regel nach dem Gründungsrecht notwendige Unterlagen, die nicht die Anteilsund Mitgliedschaftsrechte der Gesellschafter betreffen (siehe Rz. 40) und daher nicht Plangegenstand sind und zugleich nicht als Verpflichtungserklärungen Dritter gegenüber Planbeteiligten (§ 230 Abs. 3 InsO – siehe Rz. 51) in die Plananlagen aufgenommen werden können (etwa eine Geschäftsführer- oder Aufsichtsratsbestellung, eine Gesellschafterliste, die Versicherung des Geschäftsführers zur Kapitalaufbringung). 2.

Verschmelzung durch Aufnahme des insolventen Rechtsträgers durch einen solventen Rechtsträger (§ 2 Nr. 1, §§ 4 ff. UmwG)

2.1

Zielvorstellung

74 Die Verschmelzung des insolventen auf einen solventen Rechtsträger schafft ein neues solventes Unternehmen und wird daher als Sanierungsfusion bezeichnet. Die Entschul832

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§ 28

Umwandlungen im Planverfahren

dungswirkung basiert dabei allein auf der Finanzkraft des aufnehmenden Rechtsträgers, ist doch ein Zurücklassen der Verbindlichkeiten des übertragenden Rechtsträgers infolge der Gesamtrechtsnachfolge nicht möglich (siehe Rz. 18). Der Anreiz zur Aufnahme eines insolventen Rechtsträgers liegt auch nicht im Interesse an der Nutzung seines Verlustvortrags, da dieser von der Gesamtrechtsnachfolge ausgeschlossen ist (siehe Rz. 16). Das Interesse eines aufnehmenden Rechtsträgers an einem insolventen Rechtsträger speist sich in der Regel allein am Interesse an der Übernahme rechtsträgergebundener Berechtigungen (siehe Rz. 15). Der Insolvenzplan des übertragenden Rechtsträgers kann allerdings neben der Verschmelzung auch einen weitreichenden Forderungserlass vorsehen.84) 2.2

Darstellender Teil des Insolvenzplans

Die Verschmelzung ist Teil eines Sanierungskonzepts, das der darstellende Teil des Insol- 75 venzplans erläutert. Dieser Teil des Insolvenzplans übernimmt die Information der Gesellschafter des insolventen Rechtsträgers, die ansonsten über den Verschmelzungs- und Prüfbericht (vgl. §§ 8, 12 UmwG) bzw. eine Gesellschafterunterrichtung (§§ 42, 45c, 47 UmwG) geleistet wird. Für diese Zielgruppe sind diese Berichte daher entbehrlich.85) Da diese Berichte aber trotz des Insolvenzverfahrens für die Anteilsinhaber des solventen Zielrechtsträgers anzufertigen sind, können sie effizient auch zum Bestandteil des darstellenden Teils des Insolvenzplans werden und so die Information der Anteilsinhaber des übertragenden insolventen Rechtsträgers sicherstellen. Verzichtet diese Gruppe auf den Verschmelzungsbericht (vgl. § 8 Abs. 3 UmwG), so kann dieser Verzicht formwahrend im gestaltenden Teil des Insolvenzplans erfolgen. Die Unterrichtung der Anteilseigner des insolventen Rechtsträgers (§§ 42, 45c, 47 UmwG) wird unabhängig von einem Verzicht stets durch das Planverfahren übernommen (vgl. § 235 Abs. 3 InsO). Ansonsten gelten die umwandlungsrechtlichen Regelungen; insbesondere die Verschmelzungsprüfung erfolgt nach Maßgabe der §§ 9 – 12 UmwG ohne Beteiligung des Insolvenzgerichts. Eine Zuleitung (des Entwurfs86)) des Verschmelzungsvertrags an den Betriebsrat des in- 76 solventen Rechtsträgers nach § 5 Abs. 3 UmwG ist entbehrlich, da auch der Inhalt des Verschmelzungsvertrags (§ 5 Abs. 1 UmwG) im darstellenden Teil zu offenbaren ist und dem Betriebsrats nach § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO zugeleitet wird.87) Die Informations- und Verfahrensvorschriften des Planverfahrens verdrängen insofern die des Umwandlungsrechts (vgl. § 254a Abs. 2 Satz 2 InsO). Entsprechendes gilt für die in § 60 UmwG geforderte Bekanntmachung des Verschmelzungsvertragsentwurfs für eine insolvente AG. Das Planverfahren verdrängt zudem die Hauptversammlungsvorbereitung und -durchführung (§§ 63, 64 UmwG) für diesen Rechtsträger, ebenso die in § 49 UmwG normierte Vorbereitung der Gesellschafterversammlung für eine insolvente GmbH und die Vorbereitung und Durchführung der Generalversammlung der Mitglieder einer Genossenschaft (§§ 83, 84 UmwG). 2.3

Gestaltender Teil des Insolvenzplans

2.3.1 Kein Fortsetzungsbeschluss (§ 225a Abs. 3 InsO) Die Verschmelzung der insolventen Gesellschaft auf den übernehmenden Rechtsträger hat 77 deren Aufgehen im Zielrechtsträger zur Folge. Eine eigenständige Fortführung der Schuld___________ 84) Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2536. 85) Zutreffend Becker, ZInsO 2013, 1885, 1889; Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2537 f. 86) Gemäß § 4 Abs. 2 UmwG ist vor dem Verschmelzungsbeschluss nach § 13 UmwG zumindest ein schriftlicher Entwurf des Vertrags aufzustellen (dazu Drygala in: Lutter, UmwG, § 4 UmwG Rz. 15 ff.). 87) Ebenso Becker, ZInsO 2013, 1885, 1889; Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2538.

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§ 28

2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

nergesellschaft ist mithin nach der rechtskräftigen Planbestätigung nicht vorgesehen, weshalb auch die Auflösung der Gesellschaft infolge der Insolvenzeröffnung nicht durch einen Fortsetzungsbeschluss beendet werden muss.88) Auch die Verschmelzungsfähigkeit des insolventen Rechtsträgers setzt einen solchen Beschluss nicht voraus (siehe Rz. 7). 2.4

Der Verschmelzungsbeschluss des übertragenden Rechtsträgers

78 Der Verschmelzungsbeschluss des insolventen übertragenden Rechtsträgers kommt als Teil des Insolvenzplans nicht nach den Mehrheiten des Umwandlungsrechts (§§ 43, 45d, 50, 65, 84, 103 UmwG), sondern allein nach den Anforderungen der §§ 243 ff. InsO zustande.89) Die hohen Zustimmungserfordernisse des Umwandlungsrechts90) werden verdrängt und die Beschlussfassung auf diese Weise vereinfacht. Eine Aktionärsklage (vgl. § 14 UmwG) findet gegen den Beschluss nicht statt; sie wird durch das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde (§§ 251, 253 InsO) verdrängt.91) Mit Eintritt der Rechtskraft der Planbestätigung gilt der Beschluss als formwirksam gefasst (§ 254a Abs. 2 Satz 1 InsO). 79 Der Verschmelzungsbeschluss beinhaltet die Zustimmung der Anteilseigner der beteiligten Rechtsträger zum Verschmelzungsvertrag (vgl. § 13 Abs. 1 UmwG). Er ist ein Akt der Willensbildung und legitimiert den von den Vertretungsorganen geschlossenen Verschmelzungsvertrag (vgl. § 4 Abs. 1 UmwG). Diese Vertragserklärungen können ebenfalls in den Insolvenzplan aufgenommen werden: die Vertragserklärung der Schuldnergesellschaft (abgegeben durch den Insolvenzverwalter) in den gestaltenden Teil, die des aufnehmenden Rechtsträgers als Verpflichtungserklärung eines Dritten in die Plananlagen (§ 230 Abs. 3 InsO).92) 2.4.1 Der Verschmelzungsbeschluss des aufnehmenden Rechtsträgers 80 Der solvente aufnehmende Rechtsträger ist nicht am Insolvenzplanverfahren beteiligt (vgl. § 217 InsO), sodass dessen Beschlussfassung allein nach gesellschafts- und umwandlungsrechtlichen Regeln erfolgen muss. Der Verschmelzungsbeschluss des solventen Rechtsträgers wie auch ein eventuell erforderlicher Beschluss über eine Kapitalerhöhung zur Durchführung der Verschmelzung sollten daher zur Bedingung nach § 249 InsO gemacht werden, um eine Verknüpfung der Beschlussfassung zu ermöglichen. 2.4.2 Bezugsrechtsausschluss statt Kapitalerhöhung/Gesellschafterzuwachs 81 Eine Verschmelzung beinhaltet im Regelfall die Aufnahme der Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft in den Kreis der Gesellschafter der übernehmenden. Bei Kapitalgesellschaften ist dazu eine Kapitalerhöhung auf Seite des übernehmenden Rechtsträgers notwendig, bei Personengesellschaften die Aufnahme neuer Gesellschafter. Ist der übertragende Rechtsträger allerdings insolvent, so sind die Anteilsrechte seiner Gesellschafter der Regelungshoheit des Insolvenzplans unterworfen, sodass ihr Bezugsrecht an Anteilen am Zielrechtsträger im gestaltenden Teil des Insolvenzplans geregelt und ggf. sogar ausgeschlossen werden kann. Da das Umwandlungsrecht einen Verzicht auf die Anteilsge___________ 88) Anders aber (ohne Begr. zur Notwendigkeit) Becker, ZInsO 2013, 1885, 1889. 89) Becker, ZInsO 2013, 1885, 1889; Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2539. 90) S. §§ 43 Abs. 1, 45d, 252 Abs. 1, 275 Abs. 1, 284 UmwG – Einstimmigkeit; §§ 50 Abs. 1 Satz 1, 65 Abs. 1 Satz 1, 84 Satz 1, 103 Satz 1 UmwG – mind. 75 %-Mehrheit; § 13 Abs. 3 UmwG – Einzelzustimmungen in notarieller Form. 91) Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2540. 92) Becker, ZInsO 2013, 1885, 1888.

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Umwandlungen im Planverfahren

währ zulässt, ist ein solcher (konkludent möglicher)93) Verzicht gesellschaftsrechtlich erlaubt und daher tauglicher Gegenstand einer Planregelung (vgl. § 225a Abs. 3 InsO).94) Eine Kapitalerhöhung durch die Zielgesellschaft ist dann i. R. der Verschmelzung nicht erforderlich, weshalb sich das Problem der Werthaltigkeit des Vermögens des übertragenden Rechtsträgers als Sacheinlage einer Kapitalerhöhung nicht stellt.95) Ergänzend sei erwähnt, dass ein solcher Ausschluss auch gegen den Willen der Betroffenen möglich ist (vgl. § 245 Abs. 3, § 251 Abs. 1 InsO), da durch den Ausschluss des Bezugsrechts keine Schlechterstellung der Gesellschafter gegenüber einer Liquidation der Schuldnergesellschaft ohne Plan erfolgt, ist doch in einem solchen Liquidationsszenario das Bezugsrecht mangels Umwandlungsoption nicht existent und damit stets wertlos. Sein Ausschluss im Plan kann daher nie eine Schlechterstellung begründen. 2.4.3 Das Barabfindungsangebot des § 29 UmwG Ein Barabfindungsangebot nach § 29 Abs. 1 UmwG muss den widersprechenden Anteils- 82 eignern des übertragenden Rechtsträgers nur gemacht werden, wenn deren Anteile trotz der Insolvenz noch werthaltig sind. Für die Bestimmung der Werthaltigkeit gilt § 225a Abs. 5 Satz 1 InsO (Liquidationswert). Haben die Anteile danach einen Restwert, so hat der Verschmelzungsvertrag ein Barabfindungsangebot nach § 29 UmwG zu enthalten. Wird die Vertragserklärung des übernehmenden Rechtsträgers auf Abschluss des Verschmelzungsvertrags in die Plananlagen aufgenommen, hat sie an den Planwirkungen teil und beinhaltet zugleich verbindlich das Angebot einer im Verschmelzungsvertrag vorgesehenen Barabfindung. Für die Annahme gilt § 31 UmwG. 2.4.4 Die Ermächtigung des Insolvenzverwalters (§ 221 Satz 2 InsO) Der gestaltende Teil des Insolvenzplans sollte schließlich die Ermächtigung des Insolvenz- 83 verwalters zu Umsetzungsmaßnahmen und Berichtigungen aus § 221 Satz 2 InsO vorsehen. Die Umsetzung des Insolvenzplans durch den Insolvenzverwalter wird so umfassend gesichert (siehe Rz. 49). Die Befugnis des Vertretungsorgans des übernehmenden Rechtsträgers aus § 16 Abs. 1 Satz 2 UmwG, die Anmeldung der Verschmelzung auch zur Eintragung in das Register des Sitzes des übertragenden Rechtsträgers anzumelden, wird dadurch nicht berührt. 2.5

Plananlagen

In die Plananlagen sollten bereits die Verpflichtungserklärungen Dritter, insbesondere die 84 des solventen Rechtsträgers, aufgenommen werden, um diese an der Formfiktion des § 254a Abs. 3 InsO teilhaben zu lassen. Namentlich die Vertragserklärung zum Verschmelzungsvertrag ist daher zur Plananlage zu machen. Zugleich sollte die Schlussbilanz des insolventen Rechtsträgers Teil der Plananlagen werden, um dem Insolvenzverwalter die spätere Anmeldung der Verschmelzung allein durch Vorlage des Insolvenzplans zu ermöglichen.

___________ 93) OLG Köln v. 22.1.2010 – 18 Wx 22/19, NZG 2020, 421 (für Verschmelzung zweier beteiligungsidentischer Schwestergesellschaften), dazu EWiR 2020, 299 (Wachter); J. Vetter in: Lutter, UmwG, § 54 Rz. 88, rät für die Praxis zu stets ausdrücklichen Verzichtserklärungen; dazu auch Heckschen, GmbHR 2021, 8, 10. 94) §§ 54 Abs. 1 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 3 UmwG; dazu Heckschen, ZInsO 2008, 824, 826; Limmer in: Kölner Schrift, S. 859, 872 f., Rz. 32. S. a. Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2539. 95) Dazu Heckschen in: FS Widmann, 2000, S. 31, 35 f.

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§ 28 2.6

2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte Planwirkungen

85 Wird der Verschmelzungsbeschluss des solventen Rechtsträgers im gestaltenden Teil zur Planbedingung nach § 249 InsO, so darf der Plan erst nach dessen Zustandekommen bestätigt werden. Wird dann die Bestätigung rechtskräftig, treten die Planwirkungen umfassend ein. Der Verschmelzungsbeschluss des übertragenden Rechtsträgers wie auch beide Vertragserklärungen zum Verschmelzungsvertrag (siehe Rz. 78 f.) gelten als formgerecht (vgl. § 6 UmwG – notarielle Form) zustande gekommen bzw. abgegeben (vgl. § 254a Abs. 1 und 3 InsO). Einer zusätzlichen Beurkundung bedarf es damit gerade auch für die Annahmeerklärung des nicht insolventen Rechtsträgers nicht.96) Für die Reichweite von § 254a Abs. 1 und 3 InsO ist zu berücksichtigen, dass sich die Pflicht zur notariellen Beurkundung des Verschmelzungsvertrags nach § 6 UmwG auf sämtliche Abreden bezieht, die nach dem Willen der Beteiligten mit diesem ein einheitliches Ganzes bilden, also mit ihm stehen und fallen sollen.97) 86 Die Anmeldung der Verschmelzung zum Handelsregister erfolgt dann weiter nach § 16 Abs. 1 UmwG, also durch den Insolvenzverwalter für den insolventen Rechtsträger sowie das Organ des solventen Rechtsträgers für diesen (oder beide). Einer Erklärung nach § 16 Abs. 2 UmwG bedarf es für den insolventen Rechtsträger nicht, da gegen dessen Beschluss keine Klage mehr rechtshängig sein kann. Der rechtskräftig bestätigte Insolvenzplan erbringt für den übertragenden Rechtsträger den Nachweis des Verschmelzungsvertrags, des Verschmelzungsbeschlusses, der Entbehrlichkeit der Zustimmung einzelner seiner Anteilsinhaber sowie der rechtzeitigen Information des Betriebsrats (§ 17 Abs. 1 UmwG).98) Eine nochmalige materielle Prüfungskompetenz des Registergerichts besteht diesbezüglich nicht (siehe Rz. 52). Die nach § 17 Abs. 2 UmwG vorzulegende Schlussbilanz kann durch ihre Aufnahme in die Plananlagen ebenfalls mit dem Plan eingereicht werden. 2.7

Keine Organhaftung nach § 25 UmwG bei Verwalterhandeln

87 § 25 Abs. 1 UmwG ordnet eine Haftung der Mitglieder des Vertretungsorgans und, wenn ein Aufsichtsorgan vorhanden ist, des Aufsichtsorgans eines übertragenden Rechtsträgers für den Schaden an, den der Rechtsträger, seine Anteilsinhaber oder seine Gläubiger durch die Verschmelzung erleiden. Diese Haftung ist bei einer Verschmelzung in der Insolvenz nicht gerechtfertigt, da hier das insolvenzrechtliche Haftungsregime sowohl die Entscheidungen des Insolvenzverwalters als auch die der Beteiligten in Eigenverwaltung vorrangig und anders bewertet. Außerdem sind die nach § 25 UmwG anspruchsberechtigten Beteiligten im Planverfahren an der Willensbildung zu beteiligen und daher nicht schutzbedürftig. 3.

Verschmelzung durch Aufnahme eines solventen Rechtsträgers durch den insolventen Rechtsträger (§ 2 Nr. 1, §§ 4 ff. UmwG)

3.1

Zielvorstellung

88 Die Verschmelzung eines solventen auf den insolventen Rechtsträger ist nach vorzugswürdiger Auffassung zulässig, wenn auf diesem Wege ein zur Fortführung bestimmtes Unternehmen geschaffen wird und die Fusion daher als Sanierungsfusion angesehen werden kann (siehe Rz. 10). Die Sanierungswirkung basiert dabei wiederum allein auf der Finanzkraft des solventen Rechtsträgers, da ein Zurücklassen der Verbindlichkeiten des insolventen Rechtsträgers infolge der Gesamtrechtsnachfolge nicht möglich ist (siehe Rz. 18). ___________ 96) Anders aber Becker, ZInsO 2013, 1885, 1888 f. 97) BGH v. 23.2.2021 – II ZR 65/19 (3. Leitsatz), ZIP 2021, 738, 745, dazu EWiR 2021, 323 (Heckschen). 98) Ebenso Becker, ZInsO 2013, 1885, 1890.

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§ 28

Umwandlungen im Planverfahren

Der Anreiz zur Verschmelzung auf einen insolventen Rechtsträger liegt bei dieser Verschmelzungsvariante v. a. im Interesse an der Nutzung des Verlustvortrags des insolventen Rechtsträgers, der hier unberührt und daher nutzbar bleibt (siehe Rz. 17). Daneben kann auch diese Variante das Interesse an der Nutzung rechtsträgergebundener Berechtigungen bedienen (siehe Rz. 15). Nach der hier vertretenen Auffassung ist auch eine Abwicklungsfusion in dem Ausnahme- 89 fall zuzulassen, in dem der solvente übertragende Rechtsträger als Tochtergesellschaft der insolventen Mutter- und Zielgesellschaft keine eigenen Gläubiger hat (siehe Rz. 12 f.). Die Abwicklungsfusion kann hier auch in der Konzerninsolvenz für eine einfache und lautlose Gesamtliquidation genutzt werden.99) 3.2

Darstellender Teil des Insolvenzplans

Der darstellende Teil des Insolvenzplans erläutert die Zielsetzung und den Hintergrund der 90 beabsichtigten Verschmelzung. Er enthält dazu auch den Inhalt des beabsichtigten Verschmelzungsvertrags sowie den für den solventen Rechtsträger ohnehin anzufertigenden Verschmelzungs- und Prüfbericht (vgl. §§ 8, 12 UmwG – siehe Rz. 75). Verzichten die Anteilsinhaber des insolventen Rechtsträgers auf den Verschmelzungsbericht (vgl. § 8 Abs. 3 UmwG), so kann dieser Verzicht formwahrend im gestaltenden Teil des Insolvenzplans erfolgen. Das Insolvenzplanverfahren übernimmt stets die Information der Gesellschafter des insolventen Rechtsträgers, die ansonsten über den Verschmelzungsbericht bzw. eine Gesellschafterunterrichtung (§§ 42, 45c, 47 UmwG) geleistet wird. Ansonsten gelten die umwandlungsrechtlichen Regelungen; insbesondere die Verschmelzungsprüfung erfolgt nach Maßgabe der §§ 9 – 12 UmwG ohne Beteiligung des Insolvenzgerichts. Eine Zuleitung des Verschmelzungsvertrags an den Betriebsrat des insolventen Rechts- 91 trägers nach § 5 Abs. 3 UmwG ist entbehrlich, da auch der Inhalt des Verschmelzungsvertrags (§ 5 Abs. 1 UmwG) im darstellenden Teil zu offenbaren ist und dem Betriebsrat nach § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO zugeleitet wird. Die Informations- und Verfahrensvorschriften des Planverfahrens verdrängen insofern die des Umwandlungsrechts (vgl. § 254a Abs. 2 Satz 2 InsO – siehe schon Rz. 75). 3.3

Gestaltender Teil des Insolvenzplans

3.3.1 Fortsetzungsbeschluss (§ 225a Abs. 3 InsO) Die Verschmelzung einer solventen Gesellschaft auf den insolventen Rechtsträger zielt – 92 außer im Fall einer Abwicklungsfusion – auf die Fortführung der insolventen Schuldnergesellschaft ab. Die Auflösung der Gesellschaft infolge der Insolvenzeröffnung muss daher durch einen Fortsetzungsbeschluss beendet werden, der gemäß § 225a Abs. 3 InsO in den gestaltenden Teil des Insolvenzplans aufgenommen werden muss. Zugleich ist die Überwindung des Auflösungsgrundes (Überschuldung nach § 19 InsO) im Plan sicherzustellen (siehe Rz. 66). 3.3.2 Der Verschmelzungsbeschluss des aufnehmenden Rechtsträgers Der Verschmelzungsbeschluss des insolventen aufnehmenden Rechtsträgers ist Teil des 93 Insolvenzplans und unterliegt daher nicht den Mehrheiten des Umwandlungsrechts (§§ 43, 45d, 50, 65, 84, 103 UmwG). Es gelten die §§ 243 ff. InsO. Eine Aktionärsklage (vgl. § 14 UmwG) findet gegen den Beschluss nicht statt; sie wird durch das Rechtsmittel der so___________ 99) Heckschen, ZInsO 2008, 824, 828.

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§ 28

2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

fortigen Beschwerde (§§ 251, 253 InsO) verdrängt. Mit Eintritt der Rechtskraft der Planbestätigung gilt der Beschluss als formwirksam gefasst (§ 254a Abs. 2 Satz 1 InsO). 94 Der Verschmelzungsbeschluss beinhaltet die Zustimmung der Anteilseigner der beteiligten Rechtsträger zum Verschmelzungsvertrag (vgl. § 13 Abs. 1 UmwG). Er ist ein Akt der Willensbildung und legitimiert den von den Vertretungsorganen geschlossenen Verschmelzungsvertrag (vgl. § 4 Abs. 1 UmwG). Diese Vertragserklärungen können ebenfalls in den Insolvenzplan aufgenommen werden: die Vertragserklärung der Schuldnergesellschaft – abgegeben durch den Insolvenzverwalter – in den gestaltenden Teil, die des übertragenden Rechtsträgers als Verpflichtungserklärung eines Dritten in die Plananlagen (§ 230 Abs. 3 InsO). 3.3.3 Der Verschmelzungsbeschluss des übertragenden Rechtsträgers 95 Der solvente Rechtsträger ist nicht am Insolvenzplanverfahren beteiligt (vgl. § 217 InsO), sodass dessen Beschlussfassung allein nach gesellschafts- und umwandlungsrechtlichen Regeln erfolgen muss. Der Verschmelzungsbeschluss des solventen Rechtsträgers sollte daher zur Bedingung nach § 249 InsO gemacht werden, um eine Verknüpfung der Beschlussfassung zu ermöglichen. 3.3.4 Die Anteilsübertragung 96 Die Aufnahme des übertragenden Rechtsträgers erfordert in der Regel die Aufnahme seiner Gesellschafter beim aufnehmenden Rechtsträger (siehe Rz. 81). Da dem Insolvenzplan über § 225a Abs. 3 InsO Eingriffe in die Anteilsrechte der Gesellschafter des insolventen Rechtsträgers erlaubt sind, muss dieser dazu im gestaltenden Teil die Übertragung von Anteilen auf Gesellschafter des übertragenden Rechtsträgers vorsehen. Sind die Anteilsrechte der Gesellschafter des insolventen Rechtsträgers wirtschaftlich wertlos, so kann diese Übertragung sogar ohne Abfindung erfolgen. Ein alternativ ebenfalls durch den Insolvenzplan regelbarer Kapitalschnitt zulasten der Alteigentümer ist dann entbehrlich. 3.3.5 Das Barabfindungsangebot des § 29 UmwG 97 § 29 Abs. 1 UmwG verlangt unter bestimmten Voraussetzungen ein Barabfindungsangebot an die widersprechenden Anteilseigner des übertragenden Rechtsträgers. In einem solchen Fall ist ein entsprechendes Barabfindungsangebot in den Verschmelzungsvertrag aufzunehmen. Für die Annahme gilt § 31 UmwG. 3.3.6 Die Ermächtigung des Insolvenzverwalters (§ 221 Satz 2 InsO) 98 Der gestaltende Teil des Insolvenzplans sollte schließlich die Ermächtigung des Insolvenzverwalters zu Umsetzungsmaßnahmen und Berichtigungen aus § 221 Satz 2 InsO vorsehen. Die Umsetzung des Insolvenzplans durch den Insolvenzverwalter wird so umfassend gesichert (siehe Rz. 49). Die Befugnis des Vertretungsorgans des übernehmenden Rechtsträgers aus § 16 Abs. 1 Satz 2 UmwG, die Anmeldung der Verschmelzung auch zur Eintragung in das Register des Sitzes des übertragenden Rechtsträgers anzumelden, wird dadurch nicht berührt. 3.4

Plananlagen

99 In die Plananlagen sollten die Verpflichtungserklärungen des solventen Rechtsträgers aufgenommen werden, um diese an der Formfiktion des § 254a Abs. 3 InsO teilhaben zu lassen. Namentlich die Vertragserklärung zum Verschmelzungsvertrag ist daher zur Plananlage zu machen.

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§ 28

Umwandlungen im Planverfahren 3.5

Planwirkungen

Wird der Verschmelzungsbeschluss des solventen Rechtsträgers im gestaltenden Teil zur 100 Planbedingung nach § 249 InsO, so darf der Plan erst nach dessen Zustandekommen bestätigt werden. Wird dann die Bestätigung rechtskräftig, treten die Planwirkungen umfassend ein. Der Verschmelzungsbeschluss des aufnehmenden Rechtsträgers wie auch beide Vertragserklärungen zum Verschmelzungsvertrag gelten als formgerecht zustande gekommen bzw. abgegeben, ohne dass es einer zusätzlichen notariellen Beurkundung nach § 6 UmwG bedarf (vgl. § 254a Abs. 1 und 3 InsO; zur Reichweite von § 6 UmwG siehe oben Rz. 78, 79, 85). Die Anmeldung der Verschmelzung zum Handelsregister erfolgt nach § 16 Abs. 1 UmwG, 101 also durch den Insolvenzverwalter für den insolventen Rechtsträger sowie das Organ des solventen Rechtsträgers für diesen. Das Vertretungsorgan des nun wieder werbenden übernehmenden Rechtsträgers darf ebenfalls die Anmeldungen vornehmen (vgl. § 16 Abs. 1 Satz 2 UmwG). Einer Erklärung nach § 16 Abs. 2 UmwG bedarf es für den insolventen Rechtsträger nicht, da für dessen Beschluss keine Klage mehr rechtshängig sein kann. Der rechtskräftig bestätigte Insolvenzplan erbringt für den aufnehmenden Rechtsträger den Nachweis des Verschmelzungsvertrags, des Verschmelzungsbeschlusses, der Entbehrlichkeit der Zustimmung einzelner seiner Anteilsinhaber sowie der rechtzeitigen Information des Betriebsrats (§ 17 Abs. 1 UmwG). Eine nochmalige materielle Prüfungskompetenz des Registergerichts besteht diesbezüglich nicht (siehe Rz. 52). 4.

Verschmelzung durch Neugründung (§ 2 Nr. 2, §§ 36 ff. UmwG)

Die Sanierungswirkung einer Sanierungsfusion beruht maßgeblich auf der Finanzkraft des 102 nicht insolventen Rechtsträgers, sodass eine Verschmelzung durch Neugründung wegen des damit verbundenen Kapitalbedarfs nur selten attraktiv sein wird.100) Da an einer solchen Verschmelzung nur der insolvente Rechtsträger beteiligt ist, besitzt der Insolvenzplan hier weitreichende Regelungsbefugnisse. Für die Neugründung sind zusätzlich die Gründungsvorschriften, die für die Rechtsform des Zielrechtsträgers gelten, zu beachten. 5.

Abspaltung (§ 123 Abs. 2 UmwG) oder Ausgliederung (§ 123 Abs. 3, §§ 152 ff. UmwG) ertragreicher Unternehmensteile

5.1

Zielvorstellung

Eine Abspaltung wie auch eine Ausgliederung ermöglichen es, in der Insolvenz die fort- 103 führungsfähigen Unternehmensteile im Wege einer partiellen Gesamtrechtsnachfolge aus dem Schuldnerrechtsträger herauszulösen und auf einen Investor zu übertragen. Es handelt sich also um einen verfahrensbegleitenden Plan; die beim insolventen Rechtsträger verbleibenden Vermögensgegenstände werden im Regelfall zum Gegenstand des fortzuführenden Regelinsolvenzverfahrens. Die durch die Ausgliederung erreichte Gesamtrechtsnachfolge ist der alternativen Übertragung des Unternehmensteils durch Einzelrechtsnachfolge (in der Regel eine übertragende Sanierung) v. a. dann überlegen, wenn nicht nur Aktiva, sondern auch rechtsträgergebundene Genehmigungen und Vertragsbeziehungen transferiert werden sollen (siehe Rz. 15). Da zugleich ein Zurücklassen der Altverbindlichkeiten beim übertragenden insolventen Rechtsträger möglich erscheint (siehe Rz. 21 ff. zur Unanwendbarkeit des § 133 UmwG), wird diese Handlungsoption nicht selten Vorteile vermitteln können, die den Mehraufwand eines Insolvenzplanverfahrens gegenüber einer Unternehmensveräußerung rechtfertigen.101) Schließlich kann eine Ausgliederung gegen___________ 100) Heckschen in: FS Widmann, 2000, S. 31, 35. 101) Ebenso Kahlert/Gehrke, DStR 2013, 975, 977.

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§ 28

2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

über anderen Sanierungsoptionen auch steuerliche Vorteile haben, da steuerbare Sanierungsgewinne vermieden werden.102) 104 Handelt es sich beim insolventen Ausgangsrechtsträger nicht um eine insolvente Gesellschaft, sondern um einen insolventen Einzelkaufmann, so findet die Ausgliederungssperre des § 152 Satz 2 UmwG, die eine Ausgliederung bei überschuldeten Kaufleuten verbietet und nach h. M. ohnehin nicht analog auf die Verschmelzung auf den Alleingesellschafter nach § 120 UmwG anwendet werden kann,103) im Insolvenzverfahren keine Anwendung.104) Zwar fehlt eine diese Norm überwindende Sonderregelung in den §§ 217 ff. InsO, weshalb eigentlich der in § 225a Abs. 3 InsO normierte Grundsatz gilt, dass die im Insolvenzplan vorgesehenen Regelungen gesellschaftsrechtlich zulässig sein müssen. Das Ausgliederungsverbot würde bei einer solch schematischen Betrachtung mithin auch für Umwandlungen in einem Insolvenzplan Geltung beanspruchen können. Die gebotene teleologische Betrachtung macht allerdings deutlich, dass die Ausgliederungssperre im Insolvenzverfahren funktionslos ist, da ihre Schutzfunktion zugunsten der Gläubiger des Kaufmanns im Insolvenzplanverfahren bereits verfahrensrechtlich gesichert ist. Wer die Aufgabe des Ausgliederungsverbots im Schutz der Altgläubiger des Kaufmanns verortet,105) muss erkennen, dass diese Gläubiger am Insolvenzplanverfahren als Insolvenzgläubiger des Kaufmanns beteiligt sind und daher sogar über die Ausgliederung als Teil des Insolvenzplans mitentscheiden. Wer hingegen den Zweck des Ausgliederungsverbots in einem Schutz des übernehmenden Rechtsträgers vor den Gefahren einer unentdeckten Überschuldung des aufzunehmenden kaufmännischen Unternehmens für die eigene Kapitalaufbringung sieht,106) der wird bemerken, dass im eröffneten Insolvenzverfahren die Insolvenz des Kaufmanns ebenso offenbart wird wie sein Verschuldungsgrad, der in der Forderungstabelle (§ 175 InsO) und den Plananlagen (§ 229 InsO) für jeden Beteiligten nachprüfbar ist. Das Ausgliederungsverbot des § 152 Satz 2 UmwG ist daher im Anwendungsbereich eines Insolvenzplans ohne jede Funktion, in seiner absoluten Wirkung ohnehin rechtspolitisch fragwürdig107) und sollte daher vom Gesetzgeber jedenfalls für Ausgliederungen i. R. eines Insolvenzplanverfahrens suspendiert werden. Bis dahin ist sein Anwendungsbereich auf Ausgliederungen außerhalb der Insolvenz teleologisch zu reduzieren. 5.2

Darstellender Teil des Insolvenzplans

105 Der darstellende Teil des Insolvenzplans muss Informationen über die Unternehmenslage wie auch eine detaillierte Erläuterung des Sanierungskonzepts enthalten. Hierzu bedarf es auch der Darstellung des Inhalts des beabsichtigten Spaltungs- bzw. Ausgliederungs- und Übertragungsvertrags (vgl. § 126 UmwG). Da an einer Abspaltung oder Ausgliederung nicht nur der übertragende, sondern auch der aufnehmende Rechtsträger zu beteiligen ist, ___________ 102) Hierzu Hölzle/Kahlert, ZIP 2017, 510. 103) Zuletzt OLG Hamm v. 3.11.2020 – 27 W 98, NZG 2021, 238, dazu EWiR 2021, 231 (Wachter) im Anschluss an Heckschen in: Widmann/Mayer, UmwG, § 120 Rz. 8.17.1; Heckschen/Weitbrecht, ZIP 2021, 179, 180 (dort auch zur Bedeutung der Verschmelzung auf den Alleingesellschafter als Ersatz für Blitzlöschungen). 104) Ebenso AG Norderstedt v. 7.11.2016 – 66 IN 226/15, ZIP 2017, 586; Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2554; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rz. 50; Schröder/Berner, NZI 2017, 837, 840; der hier vertretenen Ansicht zust. auch Heckschen/Weitbrecht, ZIP 2021, 179; a. A. noch Hirte in: Uhlenbruck, InsO, § 225a Rz. 44 a. E. 105) So etwa Ihrig, GmbHR 1995, 622, 638; Mayer in: Widmann/Mayer, UmwG, § 152 Rz. 76; Hörtnagl in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, § 152 Rz. 24. 106) So etwa Karollus/M. T. Schwab in: Lutter, UmwG, § 152 Rz. 43; Seulen in: Semler/Stengel/Leonard, UmwG, § 152 Rz. 74; Simon in: KölnKomm-UmwG, § 152 Rz. 40. 107) Hörtnagl in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, § 152 Rz. 25.

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§ 28

Umwandlungen im Planverfahren

kann der darstellende Teil des Insolvenzplans – wie bei einer Verschmelzung – nur die Information der Planbeteiligten, also der Gesellschafter des insolventen Rechtsträgers, sicherstellen. Für diesen Personenkreis bedürfte es folglich keines Spaltungs- bzw. Ausgliederungsberichts (vgl. § 127 UmwG). Da dieser Bericht aber für die Anteilsinhaber des aufnehmenden Rechtsträgers anzufertigen ist, kann er zum Gegenstand des darstellenden Teils des Insolvenzplans gemacht werden. Verzichten die Anteilsinhaber des insolventen Rechtsträgers auf den Bericht (vgl. § 127 Satz 2, § 8 Abs. 3 UmwG), so kann dieser Verzicht formwahrend im gestaltenden Teil des Insolvenzplans erfolgen. Einer Gesellschafterunterrichtung nach § 126 Abs. 3 UmwG bedarf es für die Anteilsinhaber des insolventen übertragenden Rechtsträgers nicht (siehe Rz. 75). Im Fall einer Ausgliederung findet eine Prüfung i. Satz der §§ 9 – 12 UmwG nicht statt (§ 125 Satz 2 UmwG), sodass hier auch kein Prüfungsbericht zuzuleiten ist. Auch eine Zuleitung (des Entwurfs) des Spaltungs-/Ausgliederungsvertrags an den Betriebsrat des insolventen Rechtsträgers nach § 126 Abs. 3 UmwG ist entbehrlich, da dieser dem Betriebsrat nach § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO als Teil des Insolvenzplans zugeleitet wird. 5.3

Gestaltender Teil des Insolvenzplans

5.3.1 Kein Fortsetzungsbeschluss Eine Abspaltung oder Ausgliederung der werthaltigen Unternehmensteile führt stets da- 106 zu, dass der insolvente übertragende Rechtsträger im Insolvenzverfahren als chancenlose Hülle zurückbleibt und dort nach Maßgabe der §§ 159 ff. InsO liquidiert wird. Die Auflösung der Schuldnergesellschaft infolge der Insolvenzeröffnung muss folglich nicht durch einen Fortsetzungsbeschluss beendet werden. Auch die Spaltungsfähigkeit des insolventen Rechtsträgers nach § 124 Abs. 2, § 3 Abs. 3 UmwG setzt einen solchen Beschluss nicht voraus (siehe Rz. 7). Ebenso bedarf es keiner Kapitaldeckungserklärung nach § 140 UmwG für eine über- 107 tragende (insolvente) GmbH, da deren Fortsetzung eben nicht vorgesehen ist und jeder Gläubigerschutz entbehrlich wird bzw. durch das Insolvenzverfahren zu leisten ist. Der Insolvenzplan zur Abspaltung oder Ausgliederung ist insofern ein verfahrensbegleitender Plan.108) 5.3.2 Der Abspaltungs- oder Ausgliederungsbeschluss des insolventen Rechtsträgers Der Abspaltungs- oder Ausgliederungsbeschluss des insolventen übertragenden Rechts- 108 trägers kann nach § 254a Abs. 2 Satz 1 InsO wirksam als Teil des Insolvenzplans zustande kommen und unterliegt dann nicht den Mehrheiten des Umwandlungsrechts (§ 125 Satz 1 i. V. m. §§ 43, 45d, 50, 65, 84, 103 UmwG), sondern allein den Anforderungen der §§ 243 ff. InsO.109) Die Zustimmungserfordernisse des Umwandlungsrechts werden verdrängt. Eine Aktionärsklage (vgl. § 125 Satz 1, § 14 Abs. 1 UmwG) findet gegen den Beschluss nicht statt; sie wird durch das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde (§§ 251, 253 InsO) verdrängt. Mit Eintritt der Rechtskraft der Planbestätigung gilt der Beschluss als formwirksam gefasst (§ 254a Abs. 2 Satz 1 InsO). 5.3.3 Der Abspaltungs- oder Ausgliederungsbeschluss des aufnehmenden Rechtsträgers Der solvente aufnehmende Rechtsträger beschließt allein nach gesellschafts- und um- 109 wandlungsrechtlichen Regeln über die Beteiligung an der Abspaltung bzw. Ausgliederung. ___________ 108) Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2553 f.; Hölzle/Kahlert, ZIP 2017, 510, 511 f. 109) Kahlert/Gehrke, DStR 2013, 975, 979.

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2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

Dessen Abspaltungs- oder Ausgliederungsbeschluss (wie auch ein nur selten erforderlicher Beschluss über eine Kapitalerhöhung zur Durchführung der Abspaltung oder Ausgliederung) kann daher nur zur Bedingung nach § 249 InsO gemacht werden.110) 5.3.4 Die Zustimmung zum Abspaltungs- bzw. Ausgliederungs- und Übertragungsvertrag 110 Die Beschlüsse der beteiligten Rechtsträger enthalten allein die interne Willensbildung über den Umwandlungsvorgang. Die im Außenverhältnis zu erklärende Zustimmung zum Abspaltungs- bzw. Ausgliederungs- und Übertragungsvertrag übernimmt grundsätzlich das dazu befugte Vertretungsorgan. Diese Vertragserklärungen können hier ebenfalls in den Insolvenzplan aufgenommen werden: die Vertragserklärung der Schuldnergesellschaft, abgegeben durch den Insolvenzverwalter, in den gestaltenden Teil, die des aufnehmenden Rechtsträgers als Verpflichtungserklärung eines Dritten in die Plananlagen (§ 230 Abs. 3 InsO).111) 5.3.5 Verzicht auf Ansprüche aus § 133 UmwG 111 Zur Absicherung der Entschuldungswirkung einer Abspaltung bzw. Ausgliederung sollte bis zur höchstrichterlichen oder gesetzlichen Klärung der Anwendbarkeit des § 133 UmwG, der die gesamtschuldnerische Haftung aller an der Abspaltung/Ausgliederung beteiligten Rechtsträger für die Verbindlichkeiten des übertragenden Rechtsträgers anordnet (siehe Rz. 22), ein Verzicht aller Gläubiger auf derartige Ansprüche in den Plan aufgenommen werden (siehe Rz. 23). 5.3.6 Bezugsrechtsausschluss 112 Die Vermögensübertragung i. R. einer Abspaltung oder Ausgliederung darf außerhalb der Insolvenz nur erfolgen, wenn im Gegenzug zum Vermögenszuwachs Anteilsrechte am übernehmenden Rechtsträger gewährt werden. Sollen diese Anteile den Gesellschaftern der übertragenden Gesellschaft zukommen, so spricht man von einer Abspaltung; sollen diese Anteilsrechte dem übertragenden Rechtsträger selbst zufließen, liegt eine Ausgliederung vor. Dieses umwandlungsrechtliche Bezugsrecht ist bei der Abspaltung Teil des Anteils- und Mitgliedschaftsrechts jedes Gesellschafters des insolventen Rechtsträgers und kann daher im gestaltenden Teil beschränkt oder durch Aufnahme eines Verzichts112) auch gänzlich ausgeschlossen werden. Dies ist auch gegen den Willen der Betroffenen möglich (vgl. § 245 Abs. 3, § 251 Abs. 1 bzw. § 247 Abs. 2 InsO), da durch den Ausschluss oder die Beschränkung des Bezugsrechts keine Schlechterstellung gegenüber einer Liquidation der Schuldnergesellschaft ohne Plan erfolgt (siehe Rz. 81). Die Durchführung der Abspaltung bedarf im Fall eines Verzichts keiner Erweiterung des Gesellschafterkreises beim übernehmenden Rechtsträger und damit bei Kapitalgesellschaften keiner Kapitalerhöhung. Bei einer Ausgliederung sind demgegenüber die Anteile am übernehmenden Rechtsträger Teil der Insolvenzmasse der Schuldnergesellschaft selbst; ihre Übertragung kann folglich als Verwertungshandlung sowohl durch den Insolvenzverwalter erfolgen als auch im Plan geregelt werden. Ein Verzicht auf die Gewährung dieser Anteile i. R. der Aus-

___________ 110) Kahlert/Gehrke, DStR 2013, 975, 979. 111) Kahlert/Gehrke, DStR 2013, 975, 979. 112) Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2544. Zur umwandlungsrechtlichen und damit insolvenzrechtlichen Zulässigkeit eines solchen Verzichts s. schon die Nachweise bei Rz. 81.

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Umwandlungen im Planverfahren

gliederung scheint daher nicht notwendig, wenngleich er in der Praxis häufig gewünscht zu sein scheint.113) 5.3.7 Das Barabfindungsangebot des § 29 UmwG bei der Abspaltung Ein Barabfindungsangebot nach § 29 Abs. 1 UmwG muss den widersprechenden Anteils- 113 eignern des übertragenden Rechtsträgers nur im Fall einer Abspaltung (vgl. § 125 Satz 1 UmwG) und nur dann gemacht werden, wenn deren Anteile trotz der Insolvenz noch werthaltig sind (siehe dann die Ausführungen in Rz. 82). 5.3.8 Die Ermächtigung des Insolvenzverwalters (§ 221 Satz 2 InsO) Der gestaltende Teil des Insolvenzplans sollte schließlich die Ermächtigung des Insol- 114 venzverwalters zu Umsetzungsmaßnahmen und Berichtigungen aus § 221 Satz 2 InsO vorsehen. Die Umsetzung des Insolvenzplans durch den Insolvenzverwalter wird so umfassend gesichert (siehe Rz. 49). Die Befugnis des Vertretungsorgans des übernehmenden Rechtsträgers aus § 125 Satz 1, § 16 Abs. 1 Satz 2 UmwG, die Anmeldung der Abspaltung/Ausgliederung auch zur Eintragung in das Register des Sitzes des übertragenden Rechtsträgers anzumelden, wird dadurch nicht berührt. 5.4

Plananlagen

In die Plananlagen sollte die Vertragserklärung des aufnehmenden Rechtsträgers zum Ab- 115 spaltungs-/Ausgliederungs- und Übertragungsvertrag aufgenommen werden, um die Planwirkungen auf sie zu erstrecken.114) 5.5

Planwirkungen

Wird der Beschluss des aufnehmenden Rechtsträgers im gestaltenden Teil zur Planbedin- 116 gung nach § 249 InsO, darf der Plan erst nach dessen Zustandekommen vom Insolvenzgericht bestätigt werden. Wird diese Bestätigung in der Folge rechtskräftig, so gelten der Abspaltungs- oder Ausgliederungsbeschluss des übertragenden Rechtsträgers als formgerecht zustande gekommen und beide Vertragserklärungen zum Abspaltungs-/Ausgliederungs- und Übertragungsvertrag als formgerecht abgegeben, ohne dass es einer zusätzlichen notariellen Beurkundung nach § 125 Satz 1 i. V. m. § 6 UmwG (zur Reichweite des Beurkundungserfordernisses schon Rz. 85) bedarf (vgl. § 254a Abs. 1 und 3 InsO). Die Anmeldung der Abspaltung/Ausgliederung zum Handelsregister unterliegt § 125 117 Satz 1, § 16 Abs. 1 UmwG und kann danach durch den Insolvenzverwalter für den insolventen Rechtsträger sowie das Organ des solventen Rechtsträgers für diesen (oder beide) erfolgen. Einer Negativerklärung nach § 16 Abs. 2 UmwG bedarf es für den insolventen Rechtsträger nicht, da gegen dessen Beschluss zum Zeitpunkt der Anmeldung keine Klage mehr rechtshängig sein kann. Auch die Soliditätserklärung seitens einer übertragenden AG (§ 146 UmwG) ist entbehrlich, da diese nicht fortgeführt, sondern im eröffneten Insolvenzverfahren liquidiert wird. Der rechtskräftig bestätigte Insolvenzplan erbringt für den übertragenden Rechtsträger zudem den Nachweis des Abspaltungs-/Ausgliederungsund Übernahmevertrags, des Abspaltungs- oder Ausgliederungsbeschlusses, der Entbehrlichkeit der Zustimmung einzelner seiner Anteilsinhaber sowie der rechtzeitigen Information des Betriebsrats (§ 17 Abs. 1 UmwG). Eine nochmalige materielle Prüfungskompetenz des Registergerichts besteht diesbezüglich nicht (siehe Rz. 52). Die nach § 17 Abs. 2 UmwG ___________ 113) S. Brünkmans, ZInsO 2014, 2533, 2546; Schröder/Berner, NZI 2017, 837, 839. 114) Kahlert/Gehrke, DStR 2013, 975, 979.

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§ 28

2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

vorzulegende Schlussbilanz (Ausgliederungsbilanz) kann durch ihre Aufnahme in die Plananlagen ebenfalls mit dem Plan eingereicht werden. 6.

Aufspaltung (§ 123 Abs. 1 Nr. 1 UmwG)

118 Im Gegensatz zur Ausgliederung bzw. zur (wenngleich selteneren) Abspaltung spielt die Aufspaltung in der Praxis keine Rolle. Ihre fehlende Attraktivität folgt aus dem Umstand, dass bei einer Aufspaltung das gesamte Vermögen des übertragenden Rechtsträgers auf zwei übernehmende Rechtsträger zu verteilen ist. Schon das vollständige Erfassen aller Vermögenspositionen ist sehr aufwendig. Das nachträgliche Auftauchen nicht berücksichtigter Positionen kann zudem über § 131 Abs. 3 UmwG zu deren Zuweisung an alle übernehmenden Rechtsträger führen, was gerade bei Passivvermögen problematisch sein kann. Die fehlende Attraktivität der Aufspaltung wird durch den Umstand der Insolvenz des übertragenden Rechtsträgers nicht beseitigt, sondern eher verstärkt, da hier in der Regel nur Teile des Vermögens als werthaltig anzusehen sind und daher einem neuen (sanierten) Rechtsträger zugeordnet werden. Die Zuordnung des Restvermögens auf einen zweiten übernehmenden Rechtsträger macht daneben keinen Sinn, wäre dieser doch unmittelbar überschuldet und in die Insolvenz zu führen. Dieses Resultat lässt sich effizienter über eine Ausgliederung/Abspaltung aus der Insolvenz heraus erreichen. 7.

Vermögensübertragung (§§ 174 ff. UmwG)

119 Da § 175 UmwG den Kreis möglicher Beteiligter an einer Vermögensübertragung äußerst eng begrenzt, spielt auch diese Option für eine Sanierung praktisch keine Rolle.

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§ 29 Vergleichsrechnung J. Schmidt

I. Einführung .................................................. 1 II. Gesetzliche Regelungen zur Vergleichsrechnung .......................................... 4 1. Mittelbare gesetzliche Anknüpfungspunkte ........................................................... 4 2. Kodifizierung durch § 220 Abs. 2 InsO und § 6 Abs. 2 StaRUG...................... 7 3. Plan- und Alternativszenario....................... 9 III. Sinn und Zweck der Vergleichsrechnung............................................................ 16 IV. Adressaten und Prüfung der Vergleichsrechnung ........................................ 18 1. Adressaten der Vergleichsrechnung im Überblick .................................................... 19 2. Adressaten und Prüfungskompetenz im Einzelnen............................................... 21 2.1 Insolvenzgericht ............................ 21 2.1.1 Gerichtliche Vorprüfung (§ 231 InsO) .................................. 22 2.1.1.1 Umfassende rechtliche Prüfungskompetenz ..................................... 24 2.1.1.2 Eingeschränkte tatsächliche Prüfungsmöglichkeit und -kompetenz .................................... 25 2.1.2 Entscheidung Minderheitenschutzantrag (§ 251 InsO)............ 28 2.1.3 Gerichtliche Bestätigung und Zustimmungsersetzung (§§ 248 ff. InsO) ........................... 32 2.1.4 Abhilfeverfahren (§ 253 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 InsO) ........ 34 2.2 Beschwerdegericht......................... 35 2.3 Insolvenzverwalter – Sachwalter – Schuldner ......................... 37 2.3.1 Schuldner bei Planerstellung durch Insolvenzverwalter.............. 37 2.3.2 Schuldner bei Planerstellung durch Sachwalter............................ 42 2.3.3 Insolvenzverwalter beim Schuldnerplan............................................ 45 2.3.4 Sachwalter beim Schuldnerplan .... 47 2.3.5 Gläubigerausschuss ....................... 49 2.3.6 Gläubigerversammlung ................. 53 2.4 Weitere Beteiligte .......................... 56 3. Adressaten und Prüfungskompetenz: Zusammenfassende Bewertung für die Insolvenzpraxis........................................... 59 V. Formelle Anforderungen an die Vergleichsrechnung ........................................ 66 1. Bestandteil des darstellenden Teils ........... 66

2.

Typischer Aufbau – Anlehnung an Masseverzeichnis und Vermögensübersicht (§§ 151 ff. InsO)........................ 71 VI. Materielle Anforderungen an die Vergleichsrechnung.................................. 76 1. Darstellung der Vermögensgegenstände (Aktiva)........................................... 76 1.1 Grundsatz der Einzelerfassung..... 76 1.2 Massezugehörigkeit....................... 79 1.3 Aktualität und maßgeblicher Bezugszeitpunkt ............................ 81 1.4 Besonderheiten im Umgang mit insolvenzspezifischen Ansprüchen......................................... 84 2. Darstellung der Verbindlichkeiten (Passiva)...................................................... 87 2.1 Grundsatz der Einzelbewertung ................................................ 90 2.2 Aktualität und maßgeblicher Bezugszeitpunkt ............................ 91 2.3 Streitige Verbindlichkeiten ........... 92 3. Darstellung des Ergebnisses der Vergleichsrechnung: Gegenüberstellung der Quoten ................................................. 93 4. Zusammenfassung – materielle Anforderungen an die Vergleichsrechnung unter Berücksichtigung des Prognosecharakters.................................................... 96 VII. Vergleichsmaßstab................................... 97 1. Liquidationsszenario als Vergleichsmaßstab..................................................... 101 1.1 Darstellung der Liquidationswerte (Aktiva) ............................. 101 1.2 Begründung des Vergleichsmaßstabs....................................... 102 1.3 Begriff des Liquidationswerts (Aktiva)........................................ 104 1.4 Ermittlung des Liquidationswerts im Einzelnen ...................... 107 1.4.1 Anlagevermögen.......................... 108 1.4.2 Umlaufvermögen......................... 109 1.4.3 Insolvenzspezifische Ansprüche ......................................... 115 1.5 Bewertung von Verbindlichkeiten im Liquidationsszenario (Passiva) ....................................... 120 1.5.1 Berücksichtigung von Aus- und Absonderungsberechtigten......... 123 1.5.2 Liquidationsschicksal von Konzernfinanzierungen...................... 124

J. Schmidt

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§ 29

2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

1.5.3

2.

Wegfall von Sanierungsbeiträgen ...................................... 127 1.5.4 Vorzeitige Beendigung von Dauerschuldverhältnissen bei Liquidation................................... 129 1.5.5 Streitige Verbindlichkeiten (z. B. Gewährleistungsforderungen).... 130 1.5.6 Masseverbindlichkeiten/Rückstellungen für auslaufende Kündigungsfristen............. 131 1.5.7 Maßgeblichkeit der Drittelgrenze bei Sozialplanverbindlichkeiten ... 133 1.5.8 Verfahrenskosten ........................ 134 Fortführungsszenario als Vergleichsmaßstab..................................................... 137 2.1 Zwingende Darstellung von Fortführungswerten bei „echter“ Alternativlosigkeit?.............. 139 2.2 Zwingende Darstellung von Fortführungswerten bei „echter“ (= verbindlicher) Alternative!............................................... 143 2.3 Zwingende Darstellung von Fortführungswerten bei „möglicher“ Alternative? ..................... 145

3.

Verpflichtung zur aktiven Suche eines Fortführungsszenarios – Verpflichtung zum Dual Track?...................................... 149 3.1 Grundsatz: Verpflichtung zum Investorenprozess ....................... 152 3.2 Ausnahme: Verzicht auf Investorenprozess bei Vorliegen von Sachgründen ................................ 155 3.3 Ausgestaltung des Investorenprozesses ...................................... 161 3.4 Notwendigkeit der Unternehmensbewertung bei Verzicht auf Investorenprozess ................. 167 VIII. Besonderheiten der Vergleichsrechnung bei selbstständig tätigen Personen .................................................. 175 1. Berücksichtigung der Unpfändbarkeit ... 176 2. Vergleichsmaßstab ................................... 177 2.1 Einkommensprognose unter Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse ................................. 179 2.2 Finanzierung der Planquote durch Fortsetzung der Selbstständigkeit ................................... 181

Literatur: Berner/Köster/Lambrecht, Fallstricke der vorläufigen Eigenverwaltung und des Schutzschirmverfahrens – Zugleich Plädoyer für einen differenzierten Umgang mit dem „vorgeschlagenen“ Sachwalter, NZI 2018, 425; Doebert/Krüger, Die strategische Gestaltung von Restrukturierungsplänen, NZI 2021, 614; Fröhlich, Vergleichswertermittlung in Restrukturierungs-Planverfahren: Alternativen zum Dual-Track-Investorenprozess, ZInsO 2022, 186; Harig, Der neue § 245a InsO – Schlechterstellung in Insolvenzplänen natürlicher Personen, VIA 2021, 41; Horstkotte/Pickartz, Abtretung massezugehöriger Forderungen an einen Treuhänder im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens, ZInsO 2020, 710; Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt, H./Thole, Evaluierung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) v. 7.12.2011 (zit.: Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung), abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/News/Artikel/ 101018_Gesamtbericht_Evaluierung_ESUG.pdf; Kübler/Dietmar, Aspekte der Insolvenzplan-Vergleichsrechnung in der Eigenverwaltung, in Festschrift für Hanns Prütting, 2018, S. 697; Kübler/Rendels, Aspekte des M&A-Prozesses in der vorläufigen Eigenverwaltung, ZIP 2018, 1369; Madaus, Insolvenzpläne im Verbraucherinsolvenzverfahren, NZI 2017, 697; Ringelspacher/Fehl-Weileder, Die Vergleichsrechnung: Streitfragen und Erfahrungen oder Business as usual, ZRI 2022, 210; Schröder/Rekers, Bedeutung eines Investorenprozesses und einer Unternehmensbewertung für die Vergleichsrechnung im Insolvenzplan, ZInsO 2019, 711; Skauradszun, Die Vergleichsrechnung nach § 220 Abs. 2 InsO n. F., ZIP 2021, 1091; Skauradszun, Grundfragen zum StaRUG – Ziele, Rechtsnatur, Rechtfertigung und Schutzinstrumente, KTS 2021, 1; Spahlinger, Gruppen, Stimmrechte und erforderliche Mehrheiten, NZI Beilage z. Heft 5/2021, S. 32; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985.

I.

Einführung

1 Das Insolvenzverfahren dient dazu, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt oder in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen wird. Diese wörtliche Formulierung der mit – „Ziele des Insolvenzverfahrens“ – überschriebenen Regelung des § 1 Satz 1 InsO zeigt die Bedeutung des Insolvenzplanverfahrens für den Gesetzgeber. Dass mit dem „Sechsten Teil (§§ 217 – 269 InsO)“ dem Insolvenzplanverfahren ein eigener Teil der InsO zugewiesen wird, bestätigt diese Bewertung. Versucht man im Lichte dieser Vorgaben des Gesetzes eine zusammenfassende Umschrei-

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J. Schmidt

§ 29

Vergleichsrechnung

bung der Zulässigkeit eines Insolvenzplans, so wird man formulieren, dass die Gläubiger durch den Insolvenzplan voraussichtlich nicht schlechtergestellt werden dürfen, als sie ohne Plan stünden. Das Insolvenzplanverfahren bildet damit den Verfahrensrahmen im „Wettbewerb um die beste Verwertungsart“1), der Insolvenzplan muss sich daher an alternativen Szenarien messen lassen, die voraussichtlich eine höhere Quotenerwartung nach sich ziehen. Dass sich die im Insolvenzplan getroffene Regelung buchstäblich als Sieger hervortut, die Gläubiger mithin nicht schlechterstellt als ohne Plan, ist im Insolvenzplan nachvollziehbar zu belegen. Die Überprüfung einer solchen Schlechterstellung ist Gegenstand der sog. Vergleichs- 2 rechnung. In ihrem Rahmen ist (hypothetisch) darzustellen, wie die Gläubiger ohne einen Insolvenzplan – d. h. in einem Regelverfahren – stünden. Nur wenn im Vergleich hiermit keine Schlechterstellung festzustellen ist, kann entsprechend § 1 Satz 1 InsO „in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen (werden)“. Weil die Darstellung künftiger Szenarien naturgemäß mit Unsicherheiten verbunden ist, sind nur überwiegend bzw. hinreichend wahrscheinliche Szenarien darzustellen. Das Schlechterstellungsverbot und seine Überprüfung anhand der Vergleichsrechnung sichert mithin die bestmögliche Gläubigerbefriedigung ab und legt den Grundstein für die gerichtliche Planbestätigungsentscheidung (vgl. §§ 248 Abs. 1, 250 Nr. 1, 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Daher erkennt nunmehr das Gesetz in § 220 Abs. 2 Satz 2 InsO n. F. die Vergleichsrechnung als einen zwingenden Bestandteil des Insolvenzplans an. Neu ist außerdem, dass die Vergleichsrechnung den Betroffenen zur Stellungnahme zuzuleiten ist, vgl. § 232 Abs. 1 InsO n. F. Die ausdrückliche Kodifizierung hebt das Postulat der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung (§ 1 Satz 1 InsO) weiter hervor und verdeutlicht zugleich, dass auch der Gesetzgeber diesem Postulat uneingeschränkt folgt. In Relation zu der unbestrittenen Wichtigkeit einer geordneten Gegenüberstellung von 3 Plan- und Regelverfahren im darstellenden Teil des Insolvenzplans sind gesetzliche Vorgaben zur Vergleichsrechnung in der InsO eher rar. Nachdem die Vergleichsrechnung im Gesetzestext noch bis zuletzt gar keine Erwähnung gefunden hatte, ist sie nunmehr in § 220 Abs. 2 Satz 2 InsO n. F. positivrechtlich festgehalten. Zunächst betrifft dies ihre Notwendigkeit (das „Ob“), wobei sie auch früher, d. h. ohne unmittelbare gesetzliche Anknüpfung als zwingender Bestandteil des Insolvenzplans begriffen wurde. Die Neufassung geht auf das SanInsFoG2) vom 22.12.2020 zurück, dieses wiederum beruht auf europarechtlichen Vorgaben. § 220 Abs. 2 Satz 3 und 4 InsO n. F. betrifft das der Vergleichsrechnung zugrunde zu legende Alternativszenario und regelt damit jedenfalls in Teilen die Ausgestaltung der Vergleichsrechnung (das „Wie“). Gleichwohl löst das „Wie“ weiterhin berechtigte Fragen aus, die für das Schrifttum Kontroversen und die Insolvenzpraxis (Rechts-)Unsicherheit bedeuten. Hier offenbaren sich weiterhin Unklarheiten hinsichtlich formeller wie materieller Anforderungen an die Vergleichsrechnung, z. B. zur Darstellung von Vermögensgegenständen, Bewertungsmethoden oder zur (wichtigen) Frage, welche Hürden der Planersteller konkret nehmen muss, um der Vergleichsrechnung anstelle des Fortführungsszenarios (§ 220 Abs. 2 Satz 3 InsO) redlicherweise das Liquidations- bzw. Zerschlagungsszenario (§ 220 Abs. 2 Satz 4 InsO) zugrunde legen zu dürfen. Insbesondere bleibt unklar, ob mit der Neufassung eine Änderung der bisherigen Rechtspraxis einhergehen wird (siehe hierzu Rz. 6 ff.).

___________ 1) 2)

Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 92. Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256.

J. Schmidt

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§ 29

2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

II.

Gesetzliche Regelungen zur Vergleichsrechnung

1.

Mittelbare gesetzliche Anknüpfungspunkte

4 Ausgehend von der Prämisse, dass das Insolvenzplanverfahren (nur) einen Rechts- und Verfahrensrahmen für eine i. Ü. konsensuale Lösung der Planbeteiligten über die Verwertung des haftenden Schuldnervermögens bietet, enthält die InsO nur fragmentarische Regelungen zum Planinhalt. § 217 Abs. 1 InsO regelt lediglich, dass die Rechte der Absonderungsberechtigten, der Insolvenzgläubiger, des Schuldners oder der an der Schuldnergesellschaft beteiligten Personen sowie nach Absatz 2 die Rechte etwaiger Drittsicherungsgeber einer Gestaltung durch den Insolvenzplan zugänglich sind. Hinsichtlich der Ausgestaltung dieser Rechte herrscht weitgehende Gestaltungsfreiheit. 5 Dort, wo eine konsensuale Lösung nicht erreicht werden kann, hat der Gesetzgeber verfahrensrechtliche Vorgaben geschaffen. Dies betrifft vor allem die §§ 245 Abs. 1 Nr. 1, 244 Abs. 1 Nr. 2 InsO, die es ermöglichen, den Willen einzelner Gläubiger zu überwinden. Dabei dürfen die Gläubiger voraussichtlich nicht schlechtergestellt werden als sie ohne den Plan stünden. Die Einhaltung der Verfahrensvorschriften muss der Insolvenzplan nachvollziehbar und verständlich abbilden. Hierzu dient die Vergleichsrechnung als notwendige Informationsgrundlage, von der auch die gerichtliche Planbestätigung abhängt. § 220 Abs. 2 Satz 2 InsO n. F. bestätigt dies, indem er ihr die Bedeutung eines zwingenden Kernbestandteils jedes Insolvenzplans zumisst. Der Normbestand der §§ 217, 219 ff. InsO zum Planinhalt lässt allerdings Vorschriften zur Ausgestaltung der Vergleichsrechnung (dem „Wie“) oder sonstige inhaltliche Vorgaben weitgehend vermissen. Dies mag dem Umstand geschuldet sein, dass der Inhalt der Vergleichsrechnung mit der konkreten Plangestaltung – dem Planszenario – „steht und fällt“. Vielmehr obliegt die Entscheidung, welche Angaben die Gläubiger benötigen, bewusst zunächst dem Planverfasser und sodann gemäß §§ 231 Abs. 1 Nr. 1, 248 Abs. 1, 250 Nr. 1 InsO dem Insolvenzgericht, welches über Annahme und Zurückweisung des Plans entscheidet. Trotzdem zeigen die Insolvenzpraxis im Allgemeinen und Missbrauchsfälle im Besonderen, dass ein Bedürfnis für – nicht zwingend gesetzliche – Regelungen und Vorgaben besteht. Diesem Befund ist § 220 Abs. 2 InsO n. F. zumindest teilweise nachgekommen. 6 Schon vor der Neufassung war die Notwendigkeit der Vergleichsrechnung (das „Ob“) anerkannt. Aus diesem Grunde hatte man ihre Existenz an andere Vorschriften anzuknüpfen versucht, etwa an § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO („Obstruktionsverbot“), § 247 Abs. 2 Nr. 1 InsO („Zustimmung des Schuldners“), § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO („Minderheitenschutz“) und § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO („Rechtsmittel“). Die einzelnen Regelungen sind in ihrer Gesamtheit als Ausfluss des Schlechterstellungsverbots zu begreifen und lassen die Existenz der Vergleichsrechnung und ihre Darstellung im Insolvenzplan als nahezu zwingend erscheinen. Ohne eine geordnete und konkrete Darstellung der Szenarien sind die Planbetroffenen nicht in der Lage zu beurteilen, ob sie „durch den Insolvenzplan voraussichtlich nicht schlechtergestellt werden, als sie ohne den Plan stünden“, vgl. § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Daraus folgt, dass ein gewisser Grundbestand an Informationen grundsätzlich enthalten sein muss, der den Gläubigern ein sachgerechtes Urteil über den Insolvenzplan, gemessen an ihren eigenen Interessen, ermöglicht.3) So beinhaltete schon der ursprüngliche Regierungsentwurf Vorgaben zum Inhalt des darstellenden Teils, wozu auch und vor allem die Vergleichsrechnung, also die Angabe gehörte, „in welchem Umfang die Gläubiger voraussichtlich bei einer Verwertung der Insolvenzmasse ohne einen Insolvenzplan befriedigt werden könnten“.4) Von konkreten Vorgaben ist man dann aus Gründen der redaktionel___________ 3) 4)

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BGH v. 13.10.2011 – IX ZB 37/08, Rz. 8 ff., NZI 2012, 139; Bork, ZZP 109 (1996) 473, 476. Begr. RegE z. § 259 InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 50.

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len Straffung abgerückt.5) Eine inhaltliche Absenkung der Detailtiefe sollte aus der Streichung indes nicht folgen. Verankern ließ sich die Vergleichsrechnung ohnehin in der Generalklausel des § 220 Abs. 2 InsO, wonach der darstellende Teil des Insolvenzplans „alle sonstigen Angaben zu den Grundlagen und den Auswirkungen des Plans enthalten (soll), die für die Entscheidung der Beteiligten über die Zustimmung zum Plan und für dessen gerichtliche Bestätigung erheblich sind.“ Dass die Vergleichsrechnung eine für die Entscheidung der Beteiligten erhebliche Angabe ist, wurde in Praxis und Rechtsprechung einheitlich beantwortet, sodass an der Notwendigkeit eines geordneten und nachvollziehbaren Vergleichs keinerlei Zweifel bestanden, schon bevor die Vergleichsrechnung Eingang in den Gesetzestext gefunden hat. 2.

Kodifizierung durch § 220 Abs. 2 InsO und § 6 Abs. 2 StaRUG

Mit dem SanInsFoG hat der Gesetzgeber zahlreiche Neuerungen auf den Weg gebracht, 7 die zum Großteil zum 1.1.2021 in Kraft getreten sind.6) Das Gesetzespaket enthält zum einen das StaRUG7), das im Wesentlichen auf der EU-Richtlinie 2019/10238) beruht, sowie Neuerungen der InsO, die der Gesetzgeber auch zum Anlass nahm, das Insolvenzplanverfahren neu zu justieren.9) Nachdem sich die Notwendigkeit einer Vergleichsrechnung (das „Ob“) bislang lediglich aus einer Zusammenschau derjenigen Vorschriften ergeben hat, in denen das Schlechterstellungsverbot zum Ausdruck kommt, ist sie nunmehr in § 220 Abs. 2 Satz 2 InsO bzw. § 6 Abs. 2 Satz 1 StaRUG10) ausdrücklich geregelt. Nach dem weitgehend gleichlautenden Inhalt beider Vorschriften enthält der Insolvenz- bzw. Restrukturierungsplan „insbesondere eine Vergleichsrechnung, in der die Auswirkungen des Plans auf die voraussichtliche Befriedigung der Gläubiger dargestellt werden“. Auffallend ist, dass beide Vorschriften, anders als die ursprüngliche Entwurfsfassung, keine 8 unmittelbare Aussage zum Vergleichsmaßstab („Verwertung der Insolvenzmasse ohne einen Insolvenzplan“) enthalten. Für den Restrukturierungsplan ist dies konsequent, weil im Stadium drohender Zahlungsunfähigkeit nicht nur das (Regel-)Verfahren ohne Plan als Vergleichsmaßstab in Betracht kommt, sondern in gleicher Weise die außergerichtliche Sanierung oder ein reguläres Insolvenzplanverfahren.11) Im Gesetzgebungsprozess dürfte der Gesetzgeber die Vergleichsrechnung zeitlich zunächst im Restrukturierungsplan verankert haben (§ 6 Abs. 2 Satz 1 StaRUG), um den Kriterien der Restrukturierungsrichtlinie gerecht zu werden. Zwecks Herleitung der Vergleichsrechnung bediente er sich der Vorschriften zum Insolvenzplan (§§ 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO, 247 Abs. 2 Nr. 1 InsO), obwohl das StaRUG in §§ 26 Abs. 1 Nr. 1, 64 Abs. 1 und 66 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG eigene Vor___________ 5) Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. InsO, BT-Drucks. 12/7302, S. 182. 6) Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256. 7) Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz – StaRUG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256 (= Art. 1 des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts [Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG], v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256). 8) Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) – Restrukturierungsrichtlinie, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019. 9) Allg. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 84. 10) AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZRI 2021, 377 = NZI 2021, 433 m. Anm. Thole; AG Hamburg v. 12.4.2021 – 61a RES 1/21, ZRI 2021, 473 = NZI 2021, 544 m. Anm. Grau/Pohlmann/Radunz, NZI 2021, 522. 11) Skauradszun, ZIP 2021, 1091, 1095; Skauradszun, KTS 2021, 1, 63 – „fünf Szenarien“.

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schriften enthält, die das Schlechterstellungsverbot regeln. Die Gesetzesbegründung zu § 220 Abs. 2 InsO verweist weitgehend auf § 6 Abs. 2 StaRUG. Begründen lässt sich dies mit den funktionalen Übereinstimmungen des Restrukturierungsrahmens mit dem eigenverwaltungsbasierten Insolvenzplanverfahren.12) Letztendlich kommt für den Insolvenzplan als Vergleichsmaßstab nur das Regelinsolvenzverfahren in Betracht. Die nach den Grundsätzen des Regelinsolvenzverfahrens ermittelte Quote bildet das Mindestmaß für den Insolvenzplan. Für die Ermittlung dieser – hypothetischen – Quote macht § 220 Abs. 2 Satz 3 und Satz 4 InsO nähere Vorgaben. Nach § 220 Abs. 2 Satz 3 InsO (bzw. § 6 Abs. 2 Satz 2 StaRUG) ist bei Ermittlung der voraussichtlichen Verfahrensergebnisse ohne Plan zu unterstellen, dass das Unternehmen fortgeführt wird (Fortführungsprämisse).13) Eine Ausnahme enthält § 220 Abs. 2 Satz 4 InsO (bzw. § 6 Abs. 2 Satz 3 StaRUG) für den Fall, dass „ein Verkauf des Unternehmens oder eine anderweitige Fortführung aussichtslos ist“. Erst in dieser Aussage gehen die Vorschriften über den bisherigen Konsens (über das „Ob“) hinaus. 3.

Plan- und Alternativszenario

9 Ohne eine geordnete und substantiierte Vergleichsrechnung sind die Planbetroffenen nicht in der Lage zu beurteilen, „ob sie durch den Insolvenzplan voraussichtlich nicht schlechtergestellt werden, als sie ohne den Plan stünden“, vgl. § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Die Vergleichsrechnung besteht deshalb aus einer Gegenüberstellung zweier Szenarien, dem Planszenario, also der Situation bei rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans, und dem Alternativszenario, also der Situation ohne einen Insolvenzplan. Unmittelbar bestätigt wird dies durch die Vorschrift des § 220 Abs. 2 Satz 3 InsO, wonach die Ermittlung der voraussichtlichen Befriedigung „ohne Plan“ erforderlich ist. Die Grundvorschrift (§ 220 Abs. 2 Satz 2 InsO) ist indes offen ausgestaltet und enthält keine Aussage zum Vergleichsmaßstab. Das Alternativszenario ist dasjenige der Abwicklung im Regelinsolvenzverfahren, an dessen Ende typischerweise die „Liquidation“ des Schuldners steht. Weil Liquidation im Regelverfahren gleichermaßen „stückweiser Verkauf des Unternehmens“ wie „Verkauf als fortgeführtes Unternehmen“ bedeuten kann,14) ist weiterhin danach zu unterscheiden, ob als Gegenstand des Alternativszenarios Zerschlagungs- oder Fortführungswerte herangezogen werden. 10 Bei der Differenzierung kommt es auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise und die konkreten Befriedigungsaussichten der Gläubiger an. Aufgrund des Prognosecharakters muss das zugrunde zu legende Szenario realistischerweise in Betracht kommen, womit nur überwiegend wahrscheinliche Tatsachen zu berücksichtigen sind. Theoretische Szenarien sind nicht geeignet, um den Planbetroffenen eine Beurteilung über die Schlechterstellung zu ermöglichen. Weiterhin gebietet es das Schlechterstellungsverbot, dass Maßstab dessen, was die Gläubiger ohne Insolvenzplan voraussichtlich erwarten können, das wirtschaftlich nächst___________ 12) Allg. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 89. 13) Jedenfalls für das Restrukturierungsverfahren als einem Verfahren, das explizit auf die Fortführung des Unternehmens ausgerichtet ist, wäre es kaum zu rechtfertigen, überstimmte Gläubiger auf Zerschlagungswerte zu verweisen, so Thole, ZIP 2020, 1985, 1989; sieht der Insolvenzplan ebenfalls eine Fortführung vor, so gilt dies auch für das Insolvenzplanverfahren. 14) Begrifflichkeit nach Skauradszun, ZIP 2021, 1091, 1093 f., der Liquidation als Überbegriff versteht. Darunter fallen die Fortführung im Wege der übertragenden Sanierung („Verkauf als fortgeführtes Unternehmen“) sowie die Zerschlagung als Liquidation im engeren Sinne („Stückweiser Verkauf des Unternehmens“). Teilweise wird nochmals zwischen Zerschlagungs- und Liquidationswerten im engeren Sinne unterschieden, vgl. Harmann in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 13 Rz. 119. Dieser Beitrag begreift Zerschlagung bzw. Liquidation auf der einen und Fortführung auf der anderen Seite als Alternativen.

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beste Verfahrensergebnis sein muss („nächstbestes Alternativszenario“).15) Dieses markiert die Mindestquote im Insolvenzplanverfahren. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass typischerweise („in der Regel“, vgl. § 220 Abs. 2 Satz 3 InsO) das Fortführungsszenario bessere Quotenerwartungen nach sich zieht. Ist das nächstbeste Alternativszenario tatsächlich ein Fortführungsszenario, so ist dieses 11 als Vergleichsmaßstab zugrunde zu legen, andernfalls das Liquidations- bzw. Zerschlagungsszenario. Die Ausweisung eines Liquidationsszenarios ist insbesondere deshalb empfehlenswert, da die Liquidation nicht als sofortige Stilllegung des Unternehmens (Zerschlagung im wahrsten Sinne) zu begreifen ist, sondern – als gestreckte Liquidation – durchaus zukünftige Entwicklungen berücksichtigen kann und muss. Auch deshalb ist das so verstandene Liquidationsszenario als Mindestmaß einer jeden Vergleichsrechnung zu begreifen (siehe Rz. 101). Die Heranziehung von Liquidations- bzw. Zerschlagungswerten steht auch nicht im Widerspruch zu § 220 Abs. 2 Satz 3 InsO n. F., der das Fortführungsszenario wegen der besseren Befriedigungsaussichten zwar zum Regelfall erklärt (was auch der insolvenzrechtlichen Wirklichkeit entspricht), Ausnahmen dennoch zulässt. Mit Rücksicht auf das Schlechterstellungsverbot sind Zerschlagungswerte dann anzusetzen, wenn sie zu einer besseren Verwertung führen als alle hinreichend wahrscheinlichen Fortführungsszenarien.16) Um den Planbetroffenen und dem Gericht eine Prüfung der Vergleichsrechnung zu ermöglichen, sind Auswahl und Berechnung des nächstbesten Szenarios im Insolvenzplan detailliert zu begründen. Stehen mehrere Alternativszenarien in Konkurrenz, ist der Grund für die Heranziehung des gewählten Szenarios im Insolvenzplan anzugeben. Wenn es kein klares nächstbestes Szenario gibt, sind mehrere Alternativszenarien zu prüfen17) und darzustellen.18) Im Anschluss werden die voraussichtlichen Verfahrensergebnisse des auf diese Weise ermittelten Alternativszenarios mit denjenigen des Planszenarios verglichen. Diese Leitplanken konnten schon vor dem SanInsFoG aus dem Schlechterstellungsver- 12 bot abgeleitet werden, gleichwohl wurden der Vergleichsrechnung seitens der Praxis vor der Einführung des § 220 Abs. 2 Satz 3 InsO häufig nur Zerschlagungswerte als Basis zugrunde gelegt.19) Diese Herangehensweise wurde auch von den Gerichten nicht beanstandet. So meint das LG Stade20), dass das Szenario einer Unternehmensfortführung nur dann als Vergleichsmaßstab in Betracht komme, wenn im Zeitpunkt der Beurteilung „konkrete Angebote“ für eine Gesamtveräußerung vorlägen. Ausgangspunkt war damit zunächst der Zerschlagungswert. Aus § 220 Abs. 2 Satz 3 InsO geht nunmehr Gegenteiliges hervor. Denn es ist zu unterstellen, dass es möglich ist, das Unternehmen (auch) ohne Plan fortzuführen. Konsequenterweise ist dieses Szenario im Insolvenzplan auch darzustellen. Dies gilt gemäß § 220 Abs. 2 Satz 4 InsO nur dann nicht, wenn ein Verkauf des Unternehmens oder eine anderweitige Fortführung aussichtslos ist (zur Wahl des Vergleichsmaßstabs Rz. 97). Richtigerweise wird man daher annehmen müssen, dass ein Liquidationsszenario i. S. ei- 13 ner Unternehmenszerschlagung gemäß § 220 Abs. 2 Satz 4 InsO (nur, aber immerhin) in ___________ 15) Der Begriff des nächstbesten Alternativszenarios geht aus der Richtlinie (EU) 2019/1023 (ErwG 49) hervor, Spahlinger in: KPB, InsO, § 220 Rz. 20c. 16) Spahlinger in: KPB, InsO, § 220 StaRUG Rz. 20e; Spahlinger, NZI Beilage z. Heft 5/2021, S. 32, 33 f.; Friel/Ellers in: HambKomm-InsO, § 6 Rz. 31 f. – zum Restrukturierungsplan; zum Begriff der überwiegenden Wahrscheinlichkeit LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, ZInsO 1999, 577, 580, und Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 220 Rz. 7. 17) Thole, NZI 2021, 433, 437 (Urteilsanm. zu AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZRI 2021, 377 = NZI 2021, 433) – zum Restrukturierungsplan. 18) Ringelspacher/Fehl-Weileder, ZRI 2022, 210, 213 – zum Restrukturierungsplan. 19) Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 220 Rz. 7. 20) LG Stade v. 29.12.2017 – 7 T 151/17, NZI 2019, 31 = ZInsO 2018, 614.

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Betracht kommt, wenn kein Fortführungsszenario hinreichend bzw. überwiegend wahrscheinlich ist.21) Den Planersteller die Heranziehung von Zerschlagungswerten zu verwehren, wenn eine nur vage, unkonkrete Aussicht auf Fortführung besteht, würde der Natur des Planverfahrens als „Wettbewerb um die beste Verwertungsart“ und dem „Kriterium des Gläubigerinteresses“ zuwiderlaufen. Da sich der Planersteller weiterhin an den Befriedigungsaussichten der Gläubiger orientieren muss, sind nur realistische Werte bzw. realisierbare Konzepte zu berücksichtigen. Theoretische Szenarien sind hingegen nicht geeignet, den Planbetroffenen respektive dem Insolvenzgericht eine Entscheidung über die Zulässigkeit des Insolvenzplans zu ermöglichen. Dennoch: Ausgangspunkt ist zunächst der Fortführungswert (Fortführungsprämisse). Das bedeutet, dass etwaige Fortführungsszenarien bei der Planerstellung ernsthaft in Betracht zu ziehen und durchzurechnen sind.22) Möchte der Planersteller das Zerschlagungsszenario darauf stützen, dass eine anderweitige Fortführung aussichtslos ist, muss er detailliert begründen, warum anstelle des Planszenarios kein alternatives Fortführungsszenario mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in Betracht kommt. 14 Ausgehend von der Abhängigkeit des Fortführungswerts von einem Erwerber des gesamten Unternehmens liegt daher der Schluss nahe, dass eine den gesetzlichen Vorgaben entsprechende Vergleichsrechnung im Regelfall – anders als es das LG Stade vertritt – eine Marktansprache zwingend voraussetzt (siehe hierzu Rz. 149 ff.). Denn ohne Durchführung eines Investorenprozesses (Dual-Track-Verfahren) mag es im Einzelfall nur schwer zu begründen sein, warum die Fortführung des Unternehmens tatsächlich „aussichtslos“ (§ 220 Abs. 2 Satz 4 InsO) ist. Dies gilt selbst dann, wenn man § 220 Abs. 2 Satz 4 InsO mit der h. M. korrigierend auslegt, mithin Zerschlagungswerte schon dann für ausreichend erachtet, wenn das Fortführungsszenario als die nächstbeste Alternative nicht hinreichend bzw. überwiegend wahrscheinlich ist. 15 Insofern dürfte in der Neuregelung eine Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses zum Ausdruck kommen. Die Gesetzesbegründung führt diesbezüglich aus, die Neufassung verhindere den Einstieg in das Planverfahren mit dem bloßen Verweis auf Zerschlagungswerte, ohne tatsächliche Fortführungsalternativen auszuloten.23) Welche konkreten Anforderungen auf den Planersteller zukommen, um ein realisierbares Fortführungsszenario zu ermitteln, bleibt allerdings – bewusst – unbeantwortet. Der Gesetzgeber jedenfalls hat sich gegen einen Vorschlag der ESUG-Evaluierung entschieden, das Dual-Track-Verfahren zu einem zwingenden Bestandteil der Wertermittlung zu machen.24) Ausgeschlossen ist die (alleinige) Zuhilfenahme alternativer Methoden der Unternehmensbewertung durch die Neufassung nicht, sofern der Rückgriff auf die Schätzung substantiiert begründet ist.25) Überdies muss es dem Planersteller erlaubt sein, die Aussichtslosigkeit der Fortführung auf andere Weise nachzuweisen. Festzuhalten bleibt, dass der Begründungsauf___________ 21) Skauradszun, ZIP 2021, 1091, 1092 f.; ähnlich Spahlinger in: KPB, InsO, § 220 Rz. 20d – „überwiegende Wahrscheinlichkeit“. 22) So hat das AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZRI 2021, 377 = NZI 2021, 433, die Vergleichsrechnung i. R. eines Restrukturierungsplans für unschlüssig erklärt, weil die Schuldnerin das Restrukturierungsszenario nicht mit einem anderen Fortführungsszenario verglichen hat. 23) Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 Abs. 2 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 116; zu § 220 Abs. 2 InsO vgl. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 200. 24) Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 191. 25) Nach LG Köln v. 17.12.2020 – 1 T 440/20, NZI 2021, 397 m. zust. Anm. Madaus = ZRI 2021, 470, genügt es, die mangelnden Erfolgsaussichten eines Investorenprozesses über eine Marktwertstudie zu belegen. Spahlinger in: KPB, InsO, § 220 Rz. 20 f., hält ein Dual-Track-Verfahren für empfehlenswert, aber nicht verpflichtend.

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wand des Planerstellers durch die Neufassung eher steigen als sinken wird, sofern er von der Fortführungsprämisse abkehren möchte.26) III.

Sinn und Zweck der Vergleichsrechnung

Die Herleitung der Notwendigkeit der Vergleichsrechnung aus dem Grundgedanken von 16 § 245 Abs. 1 Nr. 1, § 247 Abs. 2 Nr. 1, § 253 Abs. 2 Nr. 3 und § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO („nicht schlechtergestellt werden, als sie ohne einen Plan stünden“) zeigt bereits den ihr vom Gesetzgeber zugedachten Sinn und Zweck: 

Die Vergleichsrechnung sichert das Schlechterstellungsverbot ab.



Das Schlechterstellungsverbot rechtfertigt die Zustimmungsersetzung.27)



Die Zustimmungsersetzung ermöglicht die gruppenübergreifende Mehrheitsbildung.28)



Diese stellt den Wesensunterschied zur Regelinsolvenz dar.

Dieser Wirkungs- und Rechtfertigungszusammenhang zeigt die zentrale Bedeutung der 17 Vergleichsrechnung. Er lässt – wie beschrieben (siehe Rz. 4) – die Einordnung der Vergleichsrechnung als entscheidungserhebliche Angabe i. S. des § 220 Abs. 2 InsO als selbstverständlich erscheinen und rechtfertigt ihre Einordnung und Behandlung als Herzstück eines jeden Insolvenzplans.29) Dieser Wirkungszusammenhang zwischen Zustimmungsersetzung und Vergleichsrechnung bestätigt weiterhin den Grundsatz: „Pläne schreibt man nicht für die Gläubiger, die für, sondern die gegen den Plan sind.“ IV.

Adressaten und Prüfung der Vergleichsrechnung

Ausgehend von der Notwendigkeit der Vergleichsrechnung (§ 220 Abs. 2 Satz 2 InsO) 18 sowie der ihr zugewiesenen Bedeutung stellt sich die Frage nach dem Inhalt der Vergleichsrechnung in formeller (siehe Rz. 66 f.) und materieller (siehe Rz. 76 f.) Hinsicht. Angesichts weniger gesetzlicher Vorgaben gilt der Blick für Vorgaben an diese Inhalte denjenigen, denen 

der Insolvenzplan nebst Vergleichsrechnung vorgelegt werden muss und die



die Vergleichsrechnung prüfen (müssen).

1.

Adressaten der Vergleichsrechnung im Überblick

Die Vergleichsrechnung ist zentraler Bestandteil des Insolvenzplans. Zur Vorlage eines In- 19 solvenzplans berechtigt sind der Insolvenzverwalter und der Schuldner, § 218 Abs. 1 Satz 1 InsO. Die Vorlage erfolgt an das Insolvenzgericht, das damit ein zentraler, aber nicht der alleinige Adressat der Vergleichsrechnung ist. Daneben treten 

Insolvenzverwalter,



Sachwalter,



Schuldner,



Betriebsrat,



Sprecherausschuss der leitenden Angestellten,

 Beschwerdegericht, ___________ 26) Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 Abs. 2 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 116, wonach es einer „fundierten Begründung“ bedarf; Skauradszun, ZIP 2021, 1091, 1094; Doebert/Krüger, NZI 2021, 614, sowie Skauradszun/Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 6 Rz. 58 – zum Restrukturierungsplan. 27) Ahrens, NZI 2011, 425. 28) Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 245 Rz. 1, § 251 Rz. 1. 29) Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 220 Rz. 3; Kübler/Rendels in: FS Prütting, 2018, S. 697.

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(vorläufiger) Gläubigerausschuss sowie



Gläubigerversammlung bzw. einzelne (besonders interessierte) Gläubiger.

20 Die Berührungspunkte dieser Beteiligten zum Insolvenzplan und damit ihre Adressatenstellung hinsichtlich der Vergleichsrechnung stellen sich hierbei im Ergebnis folgendermaßen dar: 2.

Adressaten und Prüfungskompetenz im Einzelnen

2.1

Insolvenzgericht

21 Gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG ist der Insolvenzrichter für das Verfahren über einen Insolvenzplan funktionell zuständig. 2.1.1 Gerichtliche Vorprüfung (§ 231 InsO) 22 Nach Vorlage entscheidet das Gericht von Amts wegen über die Zurückweisung des Insolvenzplans i. R. der Vorprüfung gemäß § 231 Abs. 1 InsO.30) Das Gericht prüft hierbei das Vorliegen der gesetzlichen Mindestanforderungen. Werden vorgelegte Pläne diesen nicht gerecht, oder haben sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, oder sind die im gestaltenden Teil vorgesehenen (Plan-)Ansprüche offensichtlich unerfüllbar, so soll das aufwendige (Plan-)Verfahren gar nicht erst eingeleitet werden.31) Wegen der Einzelheiten siehe Stahlschmidt, HRI II, § 30. 23 Bis zu der Entscheidung des BGH vom 7.5.201532) wurden Prüfungsmaßstab und -umfang kontrovers diskutiert.33) Mit der Entscheidung des BGH steht fest, dass das Gericht unter Berücksichtigung sämtlicher rechtlicher Gesichtspunkte prüft, ob die gesetzlichen Bestimmungen über das Vorlagerecht und den Planinhalt eingehalten wurden. Dabei sind nicht nur offensichtliche Rechtsfehler zu beanstanden.34) Zu den Bestimmungen über den Planinhalt zählt die Gliederung des Plans in einen darstellenden und gestaltenden Teil.35) Sollte der darstellende Teil fehlen oder nur ungenügend ausgearbeitet sein, genügt er nicht den Mindestanforderungen an eine Plandarstellung.36) Hierzu gehört auch die Vergleichsrechnung, vgl. § 220 Abs. 2 Satz 2 InsO.37) Vollständigkeit und Richtigkeit in tatsächlicher Hinsicht sind weder überprüfbar noch zu überprüfen. Gleiches gilt für die Zweckmäßigkeit und die Erfolgsaussichten. Im Einzelnen: 2.1.1.1

Umfassende rechtliche Prüfungskompetenz

24 Die Unvollständigkeit oder das Fehlen der Vergleichsrechnung kann daher Anlass für eine Zurückweisung nach § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO sein. Wie sich aus § 220 Abs. 2 Satz 1 InsO ___________ 30) Die Vorprüfung des Restrukturierungsplans erfolgt gemäß § 46 Abs. 1 StaRUG nur auf Antrag des Schuldners oder gemäß § 46 Abs. 3 StaRUG von Amts wegen, wenn dies zweckmäßig ist. Werden die gesetzlichen Vorgaben über den Inhalt des darstellenden Teils nicht eingehalten, weist das Restrukturierungsgericht auf etwaige Mängel hin. Zu einem die Vorprüfung betreffenden Hinweisbeschluss AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, ZRI 2021, 377 = NZI 2021, 433 m. Anm. Thole. 31) Laroche in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 14 Rz. 15; Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 231 Rz. 1. 32) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346, dazu EWiR 2015, 483 (Spliedt). 33) Horstkotte, ZInsO 2014, 1297; Laroche in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 14 Rz. 19; Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 231 Rz. 5. 34) Laroche in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 14 Rz. 20. 35) Laroche in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 14 Rz. 21. 36) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346. 37) BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 220 Rz. 4; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 220 Rz. 3.

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ergibt, sind Angaben zu den Grundlagen und den Auswirkungen des Plans zwingend, wenn sie für die Entscheidung der Beteiligten über die Zustimmung zum Plan erheblich sind. Zu diesen Angaben gehört gemäß § 220 Abs. 2 Satz 2 InsO „insbesondere“ die Vergleichsrechnung, womit auch diese zwingender Bestandteil des darstellenden Teils des Insolvenzplans ist. 2.1.1.2

Eingeschränkte tatsächliche Prüfungsmöglichkeit und -kompetenz

Die inhaltliche Prüfungskompetenz jenseits rechtlicher Gesichtspunkte muss indes aus 25 verschiedenen Gründen und in verschiedener Hinsicht begrenzt sein: 

Im Rahmen der Vorprüfung nach § 231 InsO gilt – anders als beim Minderheitenschutzantrag oder der Beschwerdeentscheidung – der Beibringungsgrundsatz. Aus diesem Grund hat das Gericht die Vergleichsrechnung weder auf Richtigkeit noch auf Vollständigkeit hin zu überprüfen.38)



Die Begrenzung der Prüfungskompetenz ist weiterhin praktischen Gegebenheiten geschuldet. Es fehlen die erforderliche Zeit und Sachnähe. Dem Insolvenzgericht ist eine Überprüfung und Bewertung der Massegegenstände in der Kürze der Zeit („[…] soll innerhalb von zwei Wochen […]“) kaum möglich.



Die inhaltlich eingeschränkte Prüfungskompetenz ist weiterhin der Gläubigerautonomie geschuldet; das Gericht muss also die Entscheidungskompetenz der Gläubigerversammlung bestmöglich wahren.39)

Das Insolvenzgericht muss im Lichte bzw. ungeachtet dieser eingeschränkten tatsächlichen 26 Prüfungskompetenz aus der Vergleichsrechnung das Planergebnis und das davon abweichende (hypothetische) Ergebnis des Insolvenzverfahrens ablesen können. Es muss hierbei erkennen können, ob etwa das Planergebnis die „Taube auf dem Dach“ und das Verwertungsergebnis nach dem Gesetz „der Spatz in der Hand“ ist.40) Um diesem Prüfungsauftrag gerecht werden zu können, darf und muss der gestaltende Teil des Plans auf seine Informationsfunktion hin überprüft werden.41) Maßgeblich hierbei ist, ob die vorliegenden Informationen der Vergleichsrechnung für eine Entscheidungsfindung des Gerichts und der Gläubiger ausreichen.42) Der BGH spricht von einem „gewissen Grundtatbestand an Informationen“.43) Vor diesem Hintergrund lässt sich folgender Prüfungsmaßstab zusammenfassen, aus dem wiederum der Planverfasser Vorgaben für die Inhalte ableiten kann: 

Fehlen Angaben zum Vermögen des Schuldners oder sind sie unvollständig so rechtfertigt dies die Zurückweisung.



Nicht zu überprüfen ist die Richtigkeit der Einzelwerte.44) Daher kann – jedenfalls im Grundsatz – mit der Bewertung der Massegegenstände die Vergleichsrechnung im Vorprüfungsverfahren nicht beanstandet werden kann.45)

___________ 38) Jüngst LG Hamburg v. 15.1.2018 – 326 T 40/17, ZIP 2018, 389; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 231 Rz. 18. 39) Laroche in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 14 Rz. 22. 40) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 220 Rz. 4. 41) Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 231 Rz. 7. 42) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346; Laroche in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 14 Rz. 30. 43) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346. 44) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346; LG Hamburg v. 15.1.2018 – 326 T 40/17, ZIP 2018, 389. 45) Laroche in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 14 Rz. 39 m. w. N.

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2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte



Überprüfbar ist allerdings, ob die angegebenen Zahlen in sich stimmig sind und die verschiedenen Szenarien plausibel dargestellt werden. So ist die rechnerische Schlussfolgerung zu überprüfen. Offenkundige Fehler sind zu beanstanden.46) In der Literatur wird dies Evidenz- und Plausibilitätskontrolle47) oder auch Schlüssigkeitsprüfung48) genannt.



Zu überprüfen ist die Aktualität der Wertangaben.49) Hieran fehlt es bei der bloßen Übernahme der Zahlen aus dem Eröffnungsgutachten.



Gleiches gilt bei fehlender Differenzierung der Wertangaben bei Gegenüberstellung verschiedener Szenarien.50)

27 Von diesem Prüfungsmaßstab zu unterscheiden ist die Überprüfung der Zweckmäßigkeit oder der Erfolgsaussichten des Plans.51) Diese sind ebenso wie die – so jüngst das LG Hamburg52) – inhaltliche Angemessenheit oder wirtschaftliche Sinnhaftigkeit des Plans vom Prüfungsmaßstab ausgenommen. 2.1.2 Entscheidung Minderheitenschutzantrag (§ 251 InsO) 28 Das Insolvenzgericht ist – mit dem funktionell zuständigen Insolvenzrichter – weiterhin auch deshalb (besonderer) Adressat der Vergleichsrechnung, da es die Entscheidung über den Minderheitenschutzantrag nach § 251 InsO erlässt.53) Hat der Antragsteller die Schlechterstellung glaubhaft gemacht, muss das Insolvenzgericht i. R. der Amtsermittlung (§ 5 InsO) prüfen, ob der Antragsteller durch den Insolvenzplan voraussichtlich schlechtergestellt wird.54) 29 Es genügt hierbei die überwiegende Wahrscheinlichkeit der Schlechterstellung. Diese Prognosewahrscheinlichkeit kommt damit doppelt zum Tragen: zunächst bei den glaubhaft gemachten Tatsachen und sodann bei der tatsächlich vorliegenden Schlechterstellung.55) 30 Die Verteidigung des Insolvenzplans gegen den mit dem Minderheitenschutzantrag verfolgten Vorwurf erfordert eine durch Tatsachen unterlegte Vergleichsrechnung.56) Der sich auf die Schlechterstellung stützende Planbetroffene muss mit anderen Worten die Unrichtigkeit oder die Unmaßgeblichkeit der durch den Planersteller vorgelegten Vergleichsrechnung nachweisen. Ohne einen Einblick in das schuldnerische Unternehmen kann dies eine Herausforderung darstellen, wobei die durch das SanInsFoG eingefügten Vorschriften, die die Unternehmensfortführung auch ohne Plan zur Regel erklären (§ 220 Abs. 2 Satz 3 und Satz 4 InsO), Abhilfe schaffen könnten. Liegen der Vergleichsrechnung Liquidationswerte zugrunde, kann der Planbetroffene etwa durch den Nachweis von (hinreichend wahrscheinlichen) Fortführungsalternativen einen Verstoß gegen § 220 Abs. 2 Satz 3 InsO und damit die Unmaßgeblichkeit der Vergleichsrechnung darlegen. Die Behauptung eines ___________ 46) 47) 48) 49) 50) 51) 52) 53) 54) 55) 56)

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Laroche in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 14 Rz. 40. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 231 Rz. 28. Laroche in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 14 Rz. 40. Thies/Lieder in: HambKomm-InsO § 231 Rz. 7. Laroche in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 14 Rz. 42. Horstkotte, ZInsO 2014, 1297, 1299; Laroche in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 14 Rz. 22; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 231 Rz. 13. LG Hamburg v. 15.1.2018 – 326 T 40/17, ZIP 2018, 389 ff., dazu EWiR 2018, 313 (Harig). Im Restrukturierungsverfahren entscheidet nach § 64 StaRUG das Restrukturierungsgericht. Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 6. Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 6. BGH v. 19.7.2012 – IX ZB 250/11, WM 2012, 1640; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 251 Rz. 9; Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 251 Rz. 9; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 6.

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Vergleichsrechnung

besseren Szenarios „durch Zuruf“ genügt hierzu nicht, vielmehr sind substantiierte Hinweise erforderlich, die die Plausibilität und Schlüssigkeit der Vergleichsrechnung infrage stellen.57) Da von dem einzelnen Planbetroffenen eine Marktansprache nicht abverlangt werden kann, genügt es, dass er ein privates Bewertungsgutachten vorlegt, welches für ihn eine bessere Befriedigungsaussicht ausweist.58) In Gegenüberstellung mit dem Maßstab bei der gerichtlichen Vorprüfung nach § 231 InsO 31 gilt der Amtsermittlungsgrundsatz. Voraussetzung für seine Anwendbarkeit ist die Glaubhaftmachung der Schlechterstellung durch den Antragsteller. Hiermit ändert sich die Vortragslast dahingehend, dass nunmehr die Amtsermittlung des Gerichts greift (§ 5 InsO).59) Die in diesem Umfang gebotene Prüfung der Begründetheit hat sich indes auf die glaubhaft gemachten Tatsachen zu beschränken. Aus ihnen muss sich eine voraussichtliche Schlechterstellung ergeben. Hierbei besteht keine Begrenzung auf die präsenten Beweismittel, was den im Verhältnis zur gerichtlichen Vorprüfung intensivierten Prüfungsmaßstab zeigt.60) Auch wegen der Möglichkeiten obstruierender Gläubiger ist auf die Darstellungstiefe der Vergleichsrechnung besonderes Augenmerk zu legen. Denn eine inhaltlich überzeugende Vergleichsrechnung kann den Insolvenzplan vor der Gegenwehr durch Minderheitenschutzantrag und sofortige Beschwerde bewahren. 2.1.3 Gerichtliche Bestätigung und Zustimmungsersetzung (§§ 248 ff. InsO) Nach der Annahme des Insolvenzplans durch die Beteiligten und der Zustimmung des 32 Schuldners bedarf der Plan der Bestätigung durch das Insolvenzgericht (§ 248 InsO).61) Sofern nicht die zur Annahme erforderlichen Mehrheiten i. S. des § 244 InsO vorliegen und es der Zustimmungsersetzung bedarf, erfolgt diese als Teil der Entscheidung über die Planbestätigung.62) Im Rahmen dieser erfolgt weiterhin eine abschließende Prüfung etwaiger Verstöße gegen Vorschriften u. a. über den Inhalt und die verfahrensmäßige Behandlung (§ 250 InsO). Diese Inhalts- und Verfahrenskontrolle nach § 250 InsO ist insoweit gemeinsam mit der Zustimmungsersetzung bzw. dem Obstruktionsverbot (§§ 245 ff. InsO) und dem Minderheitenschutz ein einheitlicher Prüfungsvorgang. Der einheitliche Maßstab hierbei ist – wie beim Minderheitenschutz beschrieben (siehe 33 Rz. 28) – durch den Amtsermittlungsgrundsatz geprägt. Zu prüfen ist daher die Richtigkeit der der Vergleichsrechnung zugrunde liegenden Tatsachen. Anders als beim Minderheitenschutz ist die voraussichtliche Schlechterstellung bei der Zustimmungsersetzung nicht glaubhaft zu machen; auch muss eine Gruppe ihre ablehnende Entscheidung nicht begründen. Der Rahmen der Amtsermittlung ist daher weniger definiert als beim Minderheitenschutz, aber gleichwohl gesetzt durch den Vortrag des Planverfassers, die Stellungnahmen nach § 232 InsO sowie die Einlassungen der Beteiligten. In diesem Rahmen erstreckt sich die Amtsermittlung auf die Richtigkeit der (behaupteten) Tatsachen durch Befragen der Beteiligten und Einholung ergänzender Informationen.63) ___________ 57) Thole, NZI 2021, 433, 437 (Anm. zu AG Köln v. 3.3.2021 – RES 1/21) – zum Restrukturierungsverfahren. 58) Skauradszun, ZIP 2021, 1091, 1093. 59) BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14, ZIP 2014, 1442, dazu EWiR 2014, 521 (Madaus); Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 28. 60) BGH v. 19.5.2009 – IX ZB 236/07, ZIP 2009, 1384, dazu EWiR 2010, 29 (Lau). 61) Im Restrukturierungsverfahren erfolgt die Bestätigungsentscheidung nach § 60 Abs. 1 StaRUG; hierzu AG Dresden v. 7.6.2021 – 574 RES 2/21, NZI 2021, 893. 62) A. A. Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 245 Rz. 3. 63) Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 245 Rz. 38.

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2.1.4 Abhilfeverfahren (§ 253 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 InsO) 34 Nach Einlegung einer sofortigen Beschwerde erfolgt keine erneute Befassung des Insolvenzgerichts mit der Vergleichsrechnung i. R. des Abhilfeverfahrens gemäß §§ 6, 4 InsO i. V. m. § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO; für die sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung nach § 248 InsO sieht das Gesetz nach Maßgabe des § 253 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 InsO kein Abhilfeverfahren vor. 2.2

Beschwerdegericht

35 Gegen den Beschluss, durch den der Insolvenzplan bestätigt oder die Bestätigung versagt wird, steht den Gläubigern und dem Schuldner die sofortige Beschwerde zu (§ 253 Abs. 1 InsO). Das Beschwerdegericht (LG) prüft bereits i. R. der Zulässigkeit der Beschwerde, ob die wesentliche Schlechterstellung glaubhaft gemacht wird, § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO.64) Für die Glaubhaftmachung gilt § 294 ZPO. Die Schlechterstellung ergibt sich – wie bei § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO – aus dem Vergleich des Planszenarios mit dem nächstbesten Alternativszenario. Wiederum gilt § 220 Abs. 2 Satz 3 und 4 InsO n. F. Damit ist auch i. R. des § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO in der Regel zu unterstellen, dass das Unternehmen ohne Plan fortgeführt wird,65) was die Glaubhaftmachung der Schlechterstellung erleichtern dürfte. Ist der Schuldner eine natürliche Person, wird gemäß § 245a InsO vermutet, dass seine Einkommens-, Vermögens und Familienverhältnisse für die gesamte Verfahrensdauer maßgeblich bleiben. Wirtschaftlich muss das glaubhaft gemachte, ggf. zu unterstellende (Fortführungs-)Szenario zu einer besseren Befriedigungsquote führen. Die bloße Behauptung des Beschwerdeführers, bei Durchführung eines Investorenprozesses wäre eine höhere Planquote nicht ausgeschlossen gewesen, genügt nach Ansicht des LG Köln nicht den Anforderungen einer Glaubhaftmachung i. S. einer substantiierten Darlegung. Die Durchführung eines M&A-Prozesses werde auch von der Neufassung nicht gefordert.66) 36 Von einer wesentlichen Schlechterstellung ist auszugehen, wenn der Beschwerdeführer durch den Plan mindestens zehn Prozent schlechtergestellt wird als bei Durchführung des Insolvenzverfahrens ohne den Plan.67) Dabei bietet die Zehn-Prozent-Hürde den Ausgangspunkt, von dem im Einzelfall abgewichen werden kann. Darüber hinaus muss der Beschwerdeführer glaubhaft machen, dass der Nachteil nicht durch eine Ausgleichszahlung kompensiert werden kann, § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO. Auf Zulässigkeitsebene muss das Gericht nicht zur vollständigen Überzeugung gelangen, dass eine wesentliche Schlechterstellung tatsächlich vorliegt. Während für die Zulässigkeitsvoraussetzungen die Glaubhaftmachung innerhalb der Beschwerdefrist genügt, greift für die Prüfung der Begründetheit die Amtsermittlung ein.68) In diesem jeweils maßgeblichen Umfang prüft das Beschwerdegericht die der Vergleichsrechnung zugrunde liegenden Tatsachen auf eine Schlechterstellung und wird damit zum Adressaten der Vergleichsrechnung.

___________ 64) Vgl. zum Restrukturierungsplan § 66 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG, hierzu LG Dresden v. 1.7.2021 – 5 T 363/21, ZRI 2021, 868 m. Anm. Skauradszun/Kümpel. 65) Pleister in: KPB, InsO, § 253 Rz. 17. 66) LG Köln v. 17.12.2020 – 1 T 440/20, NZI 2021, 397 m. zust. Anm. Madaus = ZRI 2021, 470. 67) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 35; jüngst LG Köln v. 17.12.2020 – 1 T 440/20, NZI 2021, 397, 398 m. Anm. Madaus = ZRI 2021, 470, dazu EWiR 2021, 438 (Harig). 68) BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14, ZIP 2014, 1442; LG Köln v. 17.12.2020 – 1 T 440/20, NZI 2021, 397 = ZRI 2021, 470.

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Vergleichsrechnung 2.3

Insolvenzverwalter – Sachwalter – Schuldner

2.3.1 Schuldner bei Planerstellung durch Insolvenzverwalter Bei der Aufstellung des Plans durch den Insolvenzverwalter wirkt der Schuldner in bera- 37 tender Funktion mit (§ 218 Abs. 3 InsO), ohne hierzu nach h. M. in der Literatur verpflichtet zu sein.69) In erster Linie dient die Beratungsfunktion des Schuldners und der weiteren dort genannten Organe (siehe Rz. 49, 53, 55) der Konsensfähigkeit des zu entwickelnden Plans.70) Die Vorschrift des § 218 Abs. 3 InsO soll es aber auch dem dort genannten Personenkreis und dem Schuldner ermöglichen, kritisch Einfluss auf die Plankonzeption des Insolvenzverwalters zu nehmen. Der Insolvenzverwalter ist hieran jedoch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gebunden. Gemäß § 232 Abs. 1 Nr. 2 InsO wird dem Schuldner weiterhin der Insolvenzplan zur Stel- 38 lungnahme durch das Insolvenzgericht zugeleitet, wenn dieses nicht nach § 231 Abs. 1 Satz 1 InsO zurückweist. Nach der Neufassung des § 232 Abs. 1 InsO durch das SanInsFoG ist dem Schuldner insbesondere die Vergleichsrechnung zuzuleiten. Daraus folgt, dass seine Stellungnahme sich zu dieser auch zu verhalten hat.71) Insgesamt dient die Norm der Vorbereitung der Beteiligten auf die Entscheidung durch Schaffung einer breiteren Informationsgrundlage.72) Die Stellungnahmen sollen den Beteiligten die Problematiken des Plans und seine Auswirkungen verdeutlichen.73) Durch die Ergänzung des § 232 Abs. 1 InsO (Zuleitung der Vergleichsrechnung zwecks Stellungnahme) tritt ihr Charakter als maßgebliche Informationsgrundlage für den Schuldner (Nr. 2), aber auch für die Gläubiger (Nr. 1) bzw. den Verwalter (Nr. 3), abermals hervor. Über die Beratungsfunktion des Schuldners und sein Recht zur Stellungnahme hinaus ist 39 seine Zustimmung zum Insolvenzplan Voraussetzung der Bestätigung (§ 248 Abs. 1 InsO), zu der er vor der gerichtlichen Entscheidung angehört werden soll (§ 248 Abs. 2 InsO). Diese beim Verwalterplan bestehende Rechtsmacht wird durch die Zustimmungsfiktion und Ersetzungsmöglichkeit des § 247 InsO eingeschränkt. So gilt die Zustimmung zum Plan als erteilt, wenn der Schuldner dem Plan nicht spätestens im Abstimmungstermin schriftlich widerspricht (§ 247 Abs. 1 InsO). Der Schuldner ist insbesondere aufgrund dieses Widerspruchsrechts zwar (Prüfungs-)Ad- 40 ressat des Insolvenzplans im Allgemeinen und der Vergleichsrechnung im Besonderen, rechtliche Relevanz hat sein Prüfungsergebnis indes nur in dem Umfang des § 247 Abs. 2 InsO. Hiernach ist sein Widerspruch unbeachtlich, wenn er durch den Plan voraussichtlich nicht schlechtergestellt wird, als er ohne einen Plan stünde, und kein Gläubiger einen wirtschaftlichen Wert erhält, der den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigt. Hierüber entscheidet das Insolvenzgericht i. R. der gerichtlichen Bestätigung (§ 248 Abs. 1 41 i. V. m. § 247 InsO). Wegen des i. R. dieser Entscheidung gebotenen Prüfungsmaßstabs wird auf obige Ausführungen (siehe Rz. 24) verwiesen. 2.3.2 Schuldner bei Planerstellung durch Sachwalter Der Schuldner wird auch dann zum (Prüfungs-)Adressaten der Vergleichsrechnung, wenn 42 die Ausarbeitung des Plans – trotz Anordnung der Eigenverwaltung (§ 270 Abs. 1 InsO) ___________ 69) Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 218 Rz. 13 m. w. N.; a. A. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 4 ff.; Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 218 Rz. 14. 70) Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 218 Rz. 14. 71) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 200. 72) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 204. 73) BGH v. 22.2.2007 – IX ZB 106/06, ZIP 2007, 784.

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2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

– im Auftrag der Gläubigerversammlung durch den Sachwalter erfolgt.74) Dieses Vorlagerecht des Sachwalters lässt das Gesetz in § 284 Abs. 1 Satz 1 InsO ausdrücklich zu. Die Regelung des § 284 Abs. 1 Satz 1 InsO ist insoweit eine Modifikation der allgemeinen Regelungen zur Vorlageberechtigung nach § 218 InsO, da hiernach zwar der Schuldner, nicht aber – anders als der Insolvenzverwalter – der Sachwalter einen Plan vorlegen kann.75) 43 Dass § 284 Abs. 1 Satz 2 InsO für die Ausarbeitung des Plans durch den Sachwalter keine Beratungsfunktion des Schuldners anordnet, ist unschädlich, da sich diese aus der – nach Ansicht des Verfassers auch in der Eigenverwaltung anwendbaren – Regelung des § 218 Abs. 3 InsO ergibt. Hiernach wirkt der Schuldner beratend mit bei der Planerstellung durch den Verwalter. Eine Bindungswirkung besteht hierbei nicht. 44 Insoweit ist der Schuldner in der Eigenverwaltung bei der Ausarbeitung des Plans durch den Sachwalter im gleichen Umfang (Prüfungs-)Adressat. Denn neben die Beratungsfunktion treten das – auch in der Eigenverwaltung existierende – Recht zur Stellungnahme nach § 232 Abs. 1 Nr. 2 InsO und die Notwendigkeit seiner Zustimmung bzw. sein Widerspruchsrecht (§ 247 InsO). Relevanz besitzt diese Rechtsposition indes nur, wenn die Voraussetzungen der Zustimmungsfiktion des § 247 Abs. 2 InsO nicht vorliegen. Maßgeblich ist mithin die gerichtliche Prüfungsinstanz (siehe Rz. 22). 2.3.3 Insolvenzverwalter beim Schuldnerplan 45 Anders als für den Schuldner beim Verwalterplan sieht das Gesetz für den Insolvenzverwalter beim Schuldnerplan explizit keine Beratungsfunktion vor. Die gesetzliche Anknüpfung der Prüfung des Insolvenzplans im Allgemeinen und der Vergleichsrechnung im Besonderen beschränkt sich damit auf das Recht zur Stellungnahme nach § 232 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Auch wenn dies auf den ersten Blick eine reduzierte Rechtsposition zum Ausdruck bringt, ist dies tatsächlich nicht der Fall. Im Gegenteil. Unabhängig von der Maßgeblichkeit der Planannahme durch die Gläubigerversammlung ist die Stellungnahme des Insolvenzverwalters beim Schuldnerplan die wichtigste Prüfungsinstanz. Insoweit darf auch die fehlende Beratungsfunktion nicht als geschwächte Rechts- und Prüfungsposition verstanden werden. Der Insolvenzverwalter ist die entscheidende Prüfungs- und damit auch Integrationsfigur für die spätere Akzeptanz der Vergleichsrechnung in der Gläubigerversammlung. 46 Den Insolvenzverwalter trifft hierbei eine umfassende Prüfungs- und Hinweispflicht hinsichtlich der Vergleichsrechnung, vgl. nunmehr § 232 Abs. 1 InsO. Er muss zugunsten aller Beteiligten auf Vermögensgegenstände hinweisen, die in der Vergleichsrechnung nicht, nicht vollständig oder fehlerhaft (bewertet) dargestellt worden sind. Diese Prüfungspflicht ist haftungsbewehrt gemäß § 60 Abs. 1 InsO für den Fall, dass Beteiligte mangels Kenntnis keine Schlechterstellung gegenüber der Regelabwicklung geltend gemacht haben.76) In Gegenüberstellung zur gerichtlichen Prüfung bestehen keine Einschränkungen in der Prüfungskompetenz in tatsächlicher Hinsicht oder die Begrenzung auf bestimmte glaubhaft gemachte Tatsachen; die Prüfungskompetenz ist insoweit tatsächlich, rechtlich und auch hinsichtlich der Zweckmäßigkeit umfassend. 2.3.4 Sachwalter beim Schuldnerplan 47 Bei der Planerstellung durch den eigenverwaltenden Schuldner wirkt der Sachwalter beratend mit (§ 284 Abs. 1 Satz 2 InsO). Aufgrund der grundsätzlichen Anwendbarkeit der allgemeinen Vorschriften der InsO auf die Eigenverwaltung (§ 270 Abs. 1 Satz 2 InsO), ___________ 74) Undritz in: K. Schmidt, InsO, § 284 Rz. 2. 75) Fiebig in: HambKomm-InsO, § 284 Rz. 1. 76) Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 232 Rz. 2.

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Vergleichsrechnung

ist nach Ansicht des Verfassers der Sachwalter auch zur Stellungnahme nach § 232 Abs. 2 Nr. 3 InsO berechtigt.77) Da das Prüfungs- und Pflichtenprogramm des Sachwalters i. R. der Beratungsfunktion identisch ist mit demjenigen i. R. der Stellungnahme und in gleicher Weise an dem Haftungsregime des § 60 Abs. 1 i. V. m. § 274 InsO auszurichten ist, kommt es auf die Anwendbarkeit des § 232 Abs. 2 Nr. 3 InsO nicht zwingend an, obgleich diese mit guten Argumenten naheliegt und der herrschenden Praxis entspricht. In inhaltlicher Hinsicht ist der Sachwalter der identischen Prüfungspflicht ausgesetzt. Er 48 hat – über seine allgemeine Aufsichtspflicht hinaus – den Insolvenzplan im Allgemeinen und die Vergleichsrechnung im Besonderen umfassend tatsächlich und rechtlich am Maßstab der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung zu prüfen. Mit Rücksicht auf seine originäre Rechtszuständigkeit hinsichtlich der Insolvenzanfechtung (§ 280 InsO) ist die Berücksichtigung und Behandlung dieser und weiterer insolvenzspezifischer Ansprüche von besonderer Bedeutung. Rein faktisch wird der Sachwalter damit – wie auch der Insolvenzverwalter – zu der entscheidenden Integrationsfigur für die spätere Akzeptanz des Schuldnerplans durch den Gläubigerausschuss bzw. die Gläubigerversammlung. 2.3.5 Gläubigerausschuss Bei der Aufstellung des Plans durch den Verwalter wirkt weiterhin der Gläubigerausschuss 49 beratend mit (§ 218 Abs. 3 InsO); ihm ist durch das Insolvenzgericht gemäß § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen. Wie beschrieben, bestehen Sinn und Zweck der Stellungnahme in der Vorbereitung der Beteiligten auf die Entscheidung durch Schaffung einer breiteren Informationsgrundlage.78) In dieser Hinsicht genießt die Stellungnahme des Gläubigerausschusses sowohl für das Insolvenzgericht als auch die Gläubigerversammlung eine große Bedeutung; dies gilt – wie auch für die Stellungnahme des Insolvenzverwalters – beim Schuldnerplan in besonderer Weise. Wiederum ist insbesondere die Vergleichsrechnung zur Stellungnahme zuzuleiten (§ 232 Abs. 1 InsO n. F.). Aus diesem Grund und wegen des im Gläubigerausschuss vertretenen Stimmgewichts be- 50 mühen sich Planverfasser üblicherweise um einen zustimmenden Beschluss des Gläubigerausschusses zur Vorlage des Insolvenzplans, infolgedessen die Stellungnahme i. S. des § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO regelmäßig zur bloßen Formalität wird. Bei dieser Beschlussfassung ist der Gläubigerausschuss – vergleichbar dem Sachwalter und 51 Insolvenzverwalter – den Interessen der Gläubigergesamtheit verpflichtet; mit diesem Fokus erfolgt die Prüfung der Vergleichsrechnung. Im Hinblick auf dieses „Pflichtenheft“ und die Gefahr einer persönlichen Haftung bei Pflichtverletzungen (§ 71 InsO) ist die Prüfungskompetenz intensiv. Anders als das Insolvenzgericht i. R. des § 231 InsO, kann sich der Gläubigerausschuss hierbei nicht auf eine Plausibilitätskontrolle beschränken. Eine Einschränkung der Prüfungskompetenz ergibt sich allein daraus, dass der Gläubigerausschuss für seine Prüfung und Entscheidung in erster Linie auf die durch den Planverfasser geschaffene tatsächliche Grundlage angewiesen ist. Die zentrale Pflicht für den Gläubigerausschuss besteht daher darin, sich eine vollständige Tatsachengrundlage verschaffen zu lassen bzw. sich notfalls selbst zu schaffen, und weniger darin, eigene Ermittlungen durchzuführen. Im Hinblick auf die Vergleichsrechnung ist dies für die nachstehend behandelte Frage bedeutsam, ob eine ordnungsgemäße Vergleichsrechnung die aktive Suche nach Sanierungsalternativen fordert. Insbesondere aus der Gefahr einer persönlichen Haftung ist der Gläubigerausschuss neben 52 dem Sachwalter und dem Insolvenzverwalter eine weitere entscheidende Prüfungsinstanz ___________ 77) A. A. Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 232 Rz. 2. 78) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 204.

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2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

im Vorfeld der Vorlage des Insolvenzplans. Unter Best-Practice-Gesichtspunkten greift es zu kurz, den Gläubigerausschuss auf das bloße Recht zur Stellungnahme nach § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu reduzieren und ihn hierbei in einem Atemzug mit den Interessenvertretern aus dem Betriebsrat und dem Sprecherausschuss für leitende Angestellte zu nennen. Richtigerweise sollte der Planverfasser einen zustimmenden Beschluss des Gläubigerausschusses einholen. Allein dies wird der Bedeutung, aber auch der Verantwortlichkeit des Gläubigerausschusses gerecht und sichert zugleich die Annahmefähigkeit, die auch i. R. der gerichtlichen Vorprüfung nach § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO eine Rolle spielen kann, auch wenn nach einhelliger Meinung das Tatbestandsmerkmal „keine Aussicht auf Annahme“ restriktiv ausgelegt werden muss. 2.3.6 Gläubigerversammlung 53 Anders als bei der Beschlussfassung über besonders bedeutsame Rechtshandlungen (§ 160 Abs. 1 Satz 2 InsO) kann eine Entscheidung des Gläubigerausschusses nicht die Befassung der Gläubigerversammlung ersetzen. Allein ihr obliegt die Abstimmung über den Insolvenzplan und damit die Entscheidung. 54 Damit sind die in der Gläubigerversammlung vereinten Insolvenzgläubiger natürliche Adressaten des Insolvenzplans im Allgemeinen und der Vergleichsrechnung im Besonderen. Anders als die beschriebenen Beteiligten sind die Insolvenzgläubiger für sich und die Gläubigerversammlung als Organ keine Prüfungsinstanz im eigentlichen Sinne. Die Entscheidung über die Zustimmung kann sich an dem Kriterium der bestmöglichen Gläubigerbefriedigungen orientieren, wie es für den Gläubigerausschuss zwingend ist, muss sie aber nicht. Es können auch reine Nützlichkeits- und Zweckmäßigkeitsüberlegungen führend sein. 55 Insoweit kann auch ein Insolvenzplan, der nicht die beste Lösung für die Gläubiger darstellt, bei entsprechenden Mehrheiten angenommen und bestätigt werden, wenn kein Verstoß gegen Verfahrensvorschriften (§ 250 InsO) vorliegt. Voraussetzung ist allein, dass keine Zustimmungsersetzung (§§ 245 ff. InsO) erforderlich ist und kein Minderheitenschutz beantragt wird (§ 251 InsO). 2.4

Weitere Beteiligte

56 Beratende Mitwirkung und die Möglichkeit zur Stellungnahme gebührt weiterhin – sofern existent – auch dem Betriebsrat sowie dem Sprecherausschuss der leitenden Angestellten (§ 218 Abs. 3, § 232 Abs. 2 Nr. 1 InsO). Hierbei geht es um die Einbindung in den Erstellungs- und Vorlageprozess und nicht um eine besondere Adressatenstellung hinsichtlich der Vergleichsrechnung. Dies ändert sich dann, wenn z. B. der Betriebsrat eine Sanierungsalternative und nicht den Insolvenzplan unterstützt. 57 Innerhalb der Gläubigergemeinschaft können besonders interessierte Gläubiger existieren, entweder aufgrund besonderer Expertise, wirtschaftlicher Betroffenheit oder gesetzlicher Regelung. Letzteres trifft z. B. auf den Pensions-Sicherungs-Verein (PSVaG) zu, zu dessen Gunsten gemäß § 7 Abs. 4 Satz 5 BetrAVG eine gesetzliche Besserungsklausel existiert. Diese Gläubiger sind nicht von Rechts wegen, sondern aufgrund der Professionalität des Planverfassers oder etwaiger Majorisierung oder strategischer Mehrheitsüberlegungen u. U. besonders sorgsam einzubinden und damit – je nach Interessenlage – auch besonderer Adressat. 58 Gleiches gilt für solche (Groß-)Gläubiger, die entweder selbst an der Übernahme des Unternehmens bzw. der wesentlichen Vermögensgegenstände interessiert sind, oder Dritte hierbei mit ihrer Gläubigerposition unterstützen. In einer solchen (Fall-)Konstellation muss der Fokus des Planverfassers bei der Erstellung der Vergleichsrechnung anders geschärft sein als bei einer Plansanierung im Zustand der Alternativlosigkeit.

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§ 29

Vergleichsrechnung 3.

Adressaten und Prüfungskompetenz: Zusammenfassende Bewertung für die Insolvenzpraxis

Dieser umfassende Adressatenkreis bestätigt die Bedeutung der Vergleichsrechnung und 59 die Behandlung als „Herzstück des Insolvenzplans“. Dass sich die gerichtliche Vorprüfung (§ 231 InsO) in tatsächlicher Hinsicht auf eine Schlüssigkeits- und Plausibilitätsprüfung beschränkt, könnte zu dem Schluss führen, dass ihre praktische Bedeutung und ihre Kontrollfunktion im Vergleich zu anderen Adressaten gering sind. Dies ist aus verschiedenen Gründen mitnichten so: 

Das Gericht kann und soll sich auf eine summarische Prüfung beschränken,79) d. h. es muss sich hierauf nicht zwingend beschränken. Das Gebot der summarischen Prüfung ist der gewünschten Verfahrenseffizienz und der aus praktischen Gründen gewünschten Schnelligkeit geschuldet. Hieraus wird regelmäßig die fehlende Möglichkeit des Gerichts geschlossen, eigene Nachforschungen und Bewertungen, etwa unter Hinzuziehung von Sachverständigen, anzustellen.80) Dies ist im Grundsatz nicht zu beanstanden, lässt aus Sicht des Verfassers aber wohl begründete Ausnahmen zu, die für den Fall von Rückfragen an den vormals als Gutachter tätigen Sach- bzw. Insolvenzverwalter auch in der gebotenen Frist aufzuklären sind. So z. B. bei Abweichungen zwischen den in der Vergleichsrechnung und in der Vermögensübersicht (§ 151 InsO) angesetzten Werten oder Rückfragen zu deren Aktualität.



Die Prüfungskompetenz ist lediglich in tatsächlicher Hinsicht eingeschränkt; in rechtlicher Hinsicht findet eine allumfassende und abschließende Prüfung statt.81)



Ebenso kommt auch einer bloßen Schlüssigkeits- und Plausibilitätsprüfung eine erhebliche Kontrollfunktion zu.



Bedarf es keiner Zustimmungsersetzung, erfolgt nach Vorlage des Insolvenzplans seitens des Gerichts nur noch die Prüfung von Verfahrensverstößen (§ 250 InsO); auch wenn keine Bindung an das Ergebnis der gerichtlichen Vorprüfung besteht,82) erfährt die Prüfung nach § 250 InsO ihren wesentlichen praktischen Anwendungsbereich aus (nachträglichen) Planänderungen im Erörterungs- und Abstimmungstermin.

Dieser Bedeutung entsprechend sind Planverfasser gut beraten, die Abstimmung mit dem 60 Insolvenzgericht nicht erst mit der förmlichen Vorlage und dem hiermit verbundenen Beginn der Zwei-Wochen Frist des § 231 Abs. 1 Satz 2 InsO aufzunehmen, sondern bereits auf der Grundlage eines finalisierten Entwurfs. Ein transparenter Austausch zur Vergleichsrechnung zu diesem (frühen) Zeitpunkt schafft in mehrfacher Hinsicht Transaktionssicherheit und Integrationskraft: 

Ist das Insolvenzgericht rechtzeitig und transparent eingebunden und waren hierdurch gerichtliche Anmerkungen möglich, die – unter der Berücksichtigung der Maßgeblichkeit der Gläubigerautonomie83) –zu Plananpassungen führten, kann das Insolvenzgericht das gerichtliche Verfahren und die im Zusammenhang mit dem Erörterungs- und Abstimmungstermin bedeutsame Kommunikation aktiv begleiten, z. B. durch Leitung des Erörterungs- und Abstimmungstermins (ggf. Präsentation des Insolvenzplans) und mit der Objektivität des Gerichts „Rückendeckung“ leisten. Hierdurch wird die Integra-

___________ 79) 80) 81) 82) 83)

Thies in: HambKomm-InsO, § 231 Rz. 26. Breuer in: MünchKomm-InsO, § 231 Rz. 5; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 231 Rz. 11. Thies in: HambKomm-InsO, § 231 Rz. 26. BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482, dazu EWiR 2017, 179 (Madaus). Laroche in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 14 Rz. 22.

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2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

tionskraft in einer Art und Weise erhöht, wie es der Schuldner unter keinem und der Insolvenzverwalter nur unter besonderen Gesichtspunkten leisten kann. 

Erfolgt zur Vergleichsrechnung eine – die Anforderungen an eine summarische Prüfung übersteigende – Auseinandersetzung, z. B. zur Durchführung eines M&A-Prozesses, so reduziert sich das in solchen Fällen bestehende Risiko einer Versagung nach § 250 Nr. 2 InsO.84)

61 Dieser Appell, eine gründliche gerichtliche Prüfung zuzulassen und nicht mit Fristendruck den Eintritt in das gerichtliche Verfahren (vermeintlich) zu vereinfachen, soll die Bedeutung der Prüfung der Vergleichsrechnung durch den Insolvenzverwalter und den Gläubigerausschuss nicht reduzieren. Dies gilt besonders für die Stellungnahme des Gläubigerausschusses; aus dem Grund empfiehlt es sich auch, einen den Insolvenzplan bzw. die Vergleichsrechnung bestätigenden Beschluss einzuholen. Insbesondere bei fehlender Erfahrung des Insolvenzgerichts können die Stellungnahmen von Gläubigerausschuss und Insolvenzverwalter die in einem Kommunikationsprozess immer erforderliche Integrationswirkung entweder übernehmen oder dem Gericht die Möglichkeit geben, diese für sich selbst daraus (nach Prüfung) abzuleiten. 62 Sämtliche weiteren gerichtlichen „Prüfungsinstanzen“ – insbesondere im Zusammenhang mit Minderheitenschutz, Zustimmungsersetzung und Beschwerdeverfahren – zeigen mit ihrer umfassenden (tatsächlichen) Prüfungskompetenz einerseits den Maßstab an die Vergleichsrechnung: vollständig, richtig, aktuell, hinreichend ausführlich, aber gleichwohl verständlich, klar und transparent. 63 Andererseits zeigt diese Prüfungskompetenz aber auch, dass es hierauf (streng genommen) nur dann ankommt, wenn mit der Ablehnung durch eine Gruppe, mit Minderheitenschutz oder sofortige Beschwerde zu rechnen ist. Hieraus den Schluss zu folgern, dass der inhaltliche Anspruch geringer sein kann, wenn eine (vermeintliche) Einigkeit besteht, ist falsch und gefährlich. 64 Gleichwohl hat die Prognose zur Annahme des Insolvenzplans eine Bedeutung, nicht nur i. R. des § 231 Abs. 1 Nr. 2 InsO („[…] offensichtlich keine Aussicht auf Annahme“), sondern auch in der Darstellungstiefe. So ist in Erwartung einer Zustimmungsersetzung und Verteidigung gegen Minderheitenschutz ein deutlich weitgehender Sachvortrag in der Vergleichsrechnung erforderlich. Bei (vermeintlicher) Einigkeit hat die Darstellung in letzter Konsequenz die gleiche Funktion, kann aber aus Sicht des Planverfassers aufgrund der gebotenen Einzelfallbetrachtung einen geringeren Detaillierungsgrad aufweisen. Im Grundsatz ist der Maßstab jedoch identisch, so dass der vorsichtige und richtige Weg darin besteht, bei der Planerstellung „Plangegner“ zu suchen und erforderlichenfalls solche zu simulieren. 65 Insoweit beansprucht der oft zu vernehmende Satz „Pläne schreibt man nicht für die Gläubiger, die für, sondern die gegen den Plan sind“ seine eigentliche Richtigkeit und Gültigkeit im Zusammenhang mit der Vergleichsrechnung. Denn diese unterliegt nur dann einer uneingeschränkten tatsächlichen Prüfung, wenn es Gläubiger gibt, die gegen den Plan sind. V.

Formelle Anforderungen an die Vergleichsrechnung

1.

Bestandteil des darstellenden Teils

66 Die Vergleichsrechnung ist eine entscheidungserhebliche Tatsache i. S. des § 220 Abs. 2 Satz 1 InsO. Wie § 220 Abs. 2 Satz 2 InsO nunmehr klarstellt, enthält der darstellende Teil des Insolvenzplans „insbesondere eine Vergleichsrechnung“. Endlich geht aus der Vor___________ 84) Laroche in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 14 Rz. 37.

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Vergleichsrechnung

schrift hervor, dass es sich bei den im Insolvenzplan darzustellenden Angaben um zwingende Angaben handelt („muss“, § 220 Abs. 2 Satz 1). Dies gilt gerade für die Vergleichsrechnung. Vorliegend interessiert allein die Ableitung der formellen Anforderungen an die Vergleichs- 67 rechnung aus den Grundprinzipien und den Funktionen des darstellenden Teils. Letztere sind mit Informations-, Transparenz-, Entscheidungsunterstützungs-, Dokumentations-, Kontroll- und Überwachungsfunktion vielschichtig.85) Die Erfüllung dieser Funktionen verlangt dem darstellenden Teil im Allgemeinen und der Vergleichsrechnung im Besonderen ab, sich an den Grundsätzen der Vollständigkeit, Wesentlichkeit, Richtigkeit sowie Klarheit und Übersichtlichkeit messen lassen zu müssen. Nur dann kann die Vergleichsrechnung die beschriebenen Funktionen gegenüber den dargestellten (Prüfungs-)Adressaten erfüllen (siehe Rz. 18). Weist die Vergleichsrechnung – wie jüngst in einem vom LG Hamburg entschiedenen Fall – Mängel auf, die darauf schließen lassen, dass die Gläubiger bei deren Erkennbarkeit den Plan nicht angenommen hätten, so droht eine Zurückweisung.86) Der Grundsatz der Vollständigkeit soll gewährleisten, dass alle sanierungsrelevanten Sach- 68 verhalte für die (Prüfungs-)Adressaten vollständig aufbereitet werden. Die Vollständigkeitsbedingung soll Entscheidungen auf Basis unvollständiger Daten verhindern.87) Mit dem Grundsatz der Richtigkeit soll gewährleistet werden, dass Angaben und darge- 69 stellte Zusammenhänge im Insolvenzplan sachlich wahrheitsgemäß wiedergegeben werden. Dabei müssen Tatsachen an objektiven Verhältnissen ausgerichtet, zutreffend und nachvollziehbar sein, sie dürfen weder verfälscht noch unterdrückt sein. Die Anwendung dieses Grundsatzes auf die Vergleichsrechnung muss den Prognose- und Bewertungscharakter derselben berücksichtigen. Dies wird möglich durch schlüssige und willkürfreie Darstellung von Prämissen und Prognosen unter ausgewogener Berücksichtigung von Chancen und Risiken.88) Ebenso wie die anderen Prinzipien erklärt sich die Existenz und Bedeutung des Grundsat- 70 zes der Klarheit und Übersichtlichkeit aus Sicht der (Prüfungs-)Adressaten. Ihnen gegenüber sollen die vermittelten Informationen so aufbereitet sein, dass sie nachvollziehbar sind. Dieser Grundsatz soll dadurch gewährleistet werden, dass der Insolvenzplan eindeutig, verständlich und systematisch ist. Etwaige Unklarheiten gegen zulasten des Planverfassers, mit der Konsequenz, dass z. B. eine Zurückweisung nach § 231 InsO erfolgt oder eine Zustimmungsersetzung nicht erfolgen kann. 2.

Typischer Aufbau – Anlehnung an Masseverzeichnis und Vermögensübersicht (§§ 151 ff. InsO)

Diesen ihr zugedachten Funktionen und abverlangten Grundprinzipien kommt die Ver- 71 gleichsrechnung regelmäßig am effektivsten und gesichertsten durch die Anlehnung, insbesondere an das Verzeichnis der Massegegenstände (§ 151 InsO), das Gläubigerverzeichnis (§ 152 InsO) und die Vermögensübersicht (§ 153 InsO) nach.89)

___________ 85) Harmann in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 6 Rz. 6 ff. 86) LG Hamburg v. 18.8.2017 – 326 T 10/17, ZIP 2017, 1920; zust. BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141. 87) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 220 Rz. 1. 88) Harmann in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 6 Rz. 19. 89) BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499, dazu EWiR 2010, 681 (Huber); Bähr in: Mohrbutter/ Ringstmeier, Hdb. Insolvenzverwaltung, § 14 Rz. 46.

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72 Da die Vermögensübersicht – als der dritte Bestandteil der Trias der internen Rechnungslegung90) – auf dem Verzeichnis der Massegegenstände und dem Gläubigerverzeichnis basiert, ist sie strukturgebend für die Vergleichsrechnung. Auch wenn das Gesetz in den §§ 151 ff. InsO keine näheren Angaben zur Darstellung und Gliederung macht, ist die Vermögensübersicht eine Orientierungshilfe. Ausgehend von den Gesetzesmaterialen91) („[…] ähnlich einer Bilanz“) kennt die Praxis mit der kontoförmigen Gliederung, bei der Aktiva und Passiva ähnlich einer Handelsbilanz nebeneinander, oder der staffelförmigen Darstellung,92) bei der Aktiva und Passiva untereinander angeordnet werden, im Wesentlichen zwei Vorgehensweisen.93) 73 Die Anordnung der Aktiva hat vertikal zu erfolgen. In Sanierungsfällen mit laufendem Geschäftsbetrieb wird regelmäßig eine Aufgliederung erforderlich sein, die über die Bilanzpositionen von Anlage- und Umlaufvermögen sowie insolvenzspezifische Ansprüche hinausgeht. Auch aus den nachstehenden Anforderungen an den Detaillierungsgrad und die Entscheidungserheblichkeit i. R. der Bewertung wird insbesondere im Umlaufvermögen wie folgt weitergehend differenziert werden müssen: 







Vorräte 

Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe,



unfertige Erzeugnisse, unfertige Leistungen,



fertige Erzeugnisse und Waren,



geleistete Anzahlungen;

Forderungen und sonstige Vermögensgegenstände 

Forderungen aus Lieferungen und Leistungen,



Forderungen gegen verbundene Unternehmen,



Forderungen gegen Unternehmen mit Beteiligungsverhältnis,



sonstige Vermögensgegenstände;

Wertpapiere 

Anteile an verbundenen Unternehmen,



sonstige Wertpapiere;

Kassenbestand, Bankguthaben, Guthaben bei Kreditinstituten und Schecks.

74 Die vertikale Anordnung auch der Passiva bietet sich an und ergibt sich überdies durch den Verweis auf § 152 Abs. 2 Satz 1 InsO aus dem Gesetz. Hiernach wird innerhalb der Passiva regelmäßig zumindest in 

Verfahrenskosten,



sonstige Masseverbindlichkeiten,



aussonderungsberechtigte Gläubiger,



absonderungsberechtigte Gläubiger,



Insolvenzgläubiger und



nachrangige Insolvenzgläubiger

aufgegliedert werden müssen. ___________ 90) 91) 92) 93)

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Jungmann in: K. Schmidt, InsO, § 153 Rz. 3. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 172. Wipperfürth in: KPB, InsO, § 153 Rz. 13 ff. Thies in: HambKomm-InsO, § 153 Rz. 11.

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§ 29

Vergleichsrechnung

In der Praxis erfolgt diese kontoförmige oder sattelförmige Darstellung der Vermögens- 75 verhältnisse regelmäßig im eigentlichen (Plan-)Text und nicht in einer Anlage. Begründet ist dies durch die zu den jeweiligen Vermögensgegenständen und Passivpositionen erforderlichen Erläuterungen. Außerdem ist die der Vergleichsrechnung dienende Bilanz keine Anlage i. S. der §§ 229 f. InsO. Die Darstellung der Vermögensverhältnisse im (Plan-)Text und nicht in einer Anlage erklärt sich mitunter auch durch die Orientierung des Planverfassers an dem regelmäßig auch ihm obliegenden Bericht zur Gläubigerversammlung (§ 156 i. V. m. §§ 151 – 153 InsO). Sie ermöglicht eine gewisse Wiedererkennung für den Gläubiger. Dies erleichtert die Übersichtlichkeit und ist daher empfehlenswert, um transparent und effektiv bei den Gläubigern um die Zustimmung für den Insolvenzplan zu werben. VI.

Materielle Anforderungen an die Vergleichsrechnung

1.

Darstellung der Vermögensgegenstände (Aktiva)

1.1

Grundsatz der Einzelerfassung

Innerhalb der jeweiligen Bilanzposition sind die Vermögensgegenstände im Grundsatz ein- 76 zeln darzustellen. Es gelten die Grundsätze der Einzelerfassung und Vollständigkeit. Von der Einzelerfassung muss insbesondere in Großverfahren aus tatsächlichen Gründen abgewichen werden.94) Insoweit kann die Darstellung von Vermögensgegenständen auch in Gruppen95) oder mit Hilfe von Pauschalierungen und Zusammenfassungen nach Art und Menge von gleichartigen Gegenständen in Anlehnung an § 240 Abs. 4, § 241 HGB96) zulässig sein. Die Zulässigkeit von Zusammenfassungen und die Darstellung in Gruppen entschei- 77 den sich indes nicht allein mit der Entscheidungserheblichkeit der jeweiligen Vermögensgegenstände,97) sondern auch an den Maßstäben des Einzelfalls. Anzugeben sind jedenfalls die Werte, die im Verhältnis zur Größe des Verfahrens von Bedeutung sind für die Meinungsbildung der Gläubiger und des Gerichts.98) Ebenso entscheidet sich der Detaillierungsgrad mit einer Abwägung von inhaltlichem Mehrwert einerseits und den Grundsätzen der Wesentlichkeit und Klarheit andererseits. Vor dem Hintergrund dieser Kriterien wird i. R. des Umlaufvermögens regelmäßig eine Darstellung in Gruppen erfolgen und ausreichend sein. Dies gilt indes nicht für die Darstellung von Kassenbestand, Bundesbankguthaben, Guthaben bei Kreditinstituten und Schecks (§ 266 Abs. 2 HGB). Diese Gegenstände des Anlagevermögens sind stets einzeln und unter Angabe sämtlicher individualisierender Angaben zu bezeichnen. Im Anlagevermögen ist die Darstellung in Gruppen ebenso zulässig, aber die Ausnahme, 78 insbesondere bei Grundvermögen. Die damit im Grundsatz gebotene Individualisierung im Anlagevermögen erfolgt regelmäßig durch die Beifügung des (aktualisierten) Masseverzeichnisses (§ 151 Abs. 1 Satz 1 InsO) als Anlage. Etwaige Erläuterungen hierzu erfolgen im (Plan-)Text. Hierbei werden indes umfassende Ausführungen zu Details der Vermögensgegenstände nicht verlangt.99) 1.2

Massezugehörigkeit

Da auch diejenigen Gegenstände in das Verzeichnis der Massegegenstände aufzunehmen 79 sind, die mit Rechten Dritter belastet sind, ist eine Darstellung dieser Drittrechte unter ___________ 94) 95) 96) 97) 98) 99)

Jungmann in: K. Schmidt, InsO, § 151 Rz. 10. Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 220 Rz. 7. Jungmann in: K. Schmidt, InsO, § 151 Rz. 10. So Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 220 Rz. 7. BGH v. 17.5.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499. BGH v. 17.5.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499.

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2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

Zuordnung zu den jeweiligen Vermögensgegenständen unerlässlich. Entscheidend für die Vergleichsrechnung ist – wie auch für das Masseverzeichnis – allein die Massezugehörigkeit. Unterliegen Vermögensgegenstände der Absonderung, sind hinsichtlich der für das Regelverfahren zu unterstellenden (Verwertungs-)Erlöse lediglich Kostenbeiträge i. S. der §§ 170 f. InsO anzusetzen. Bei Aussonderungsrechten verbleibt der freien Insolvenzmasse keinerlei Zufluss. 80 Wie bei der Darstellung der Vermögensgegenstände gilt auch hinsichtlich dieser Drittrechte der Grundsatz der Einzelerfassung. Er findet Bestätigung in § 152 Abs. 2 Satz 3 InsO, nach dessen Maßgabe im Gläubigerverzeichnis bei den absonderungsberechtigten Gläubigern der Gegenstand, an dem das Absonderungsrecht besteht, und die Höhe des mutmaßlichen Ausfalls anzugeben sind. Aus Gründen der Praktikabilität, des Prognosecharakters und der anerkannten Einordnung des Masseverzeichnisses als Schätzgrundlage müssen Vereinfachungen indes möglich und zulässig sein. 1.3

Aktualität und maßgeblicher Bezugszeitpunkt

81 Die Darstellung der Vermögensgegenstände – und ihre Bewertung (siehe Rz. 76) – muss aktuell sein. Dies steht nicht im Widerspruch mit der vom BGH und der Literatur für die Vergleichsrechnung angenommenen Orientierung an den §§ 151 ff. InsO. So stellt insbesondere § 151 InsO für das Masseverzeichnis – anders als § 153 Abs. 1 InsO für die Vermögensübersicht – nicht zwingend auf den Stichtag der Verfahrenseröffnung ab. Aus diesem Umkehrschluss aus § 153 Abs. 1 Satz 1 InsO und unterstützt von § 35 InsO („Neuerwerb“) ist das Masseverzeichnis nicht zwingend auf den Tag der Verfahrenseröffnung zu erstellen. Ausgehend davon, dass das Masseverzeichnis eine wesentliche Grundlage für die Beschlussfassungen im Berichts- und Prüfungstermin, z. B. zur Fortführung oder Veräußerung ist, sollte es (das Masseverzeichnis) möglichst ein zu diesem Zeitpunkt aktuelles Bild wiedergeben und nicht nur die Wirtschaftlichkeit der Unternehmensfortführung bis zum Berichtstermin ermöglichen.100) 82 Dieser Maßstab beansprucht auch für die Vergleichsrechnung Richtigkeit und Gültigkeit. Insoweit droht die Zurückweisung nach § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn die Vergleichsrechnung auf der bloßen Übernahme der zum Stichtag der Verfahrenseröffnung existenten Vermögensgegenstände beruht. Gleiches kann für ein Verzeichnis zum Stichtag des Berichtsund Prüfungstermins gelten, ohne dass Literatur und Rechtsprechung feste Zeiträume definieren. Bedenkt man die Zeiträume, die das Insolvenzplanverfahren nach Vorlage des Insolvenzplans bis zur Annahme und Bestätigung noch beansprucht, sollte der Bezugszeitpunkt aus Sicht des Verfassers nicht älter als zwei Monate sein. Insoweit sind etwaige auf den Stichtag der Verfahrenseröffnung erstellte Verzeichnisse im Laufe des eröffneten Verfahrens sowohl hinsichtlich der Existenz als auch hinsichtlich der Bewertung (siehe Rz. 91) weiterzuentwickeln und fortzuschreiben. 83 Diese Forderung nach größtmöglicher Aktualität steht auch nicht im Widerspruch mit der Regelung des § 309 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 a. E. InsO, nach der im Zweifel für die Zustimmungsersetzung davon auszugehen ist, dass die Einkommens- und Vermögensverhältnisse zum Zeitpunkt der Antragstellung im Laufe des Verfahrens unverändert geblieben sind. Diese Regelung enthält keinen über ihren gesetzlichen Anwendungsbereich („gerichtliche Schuldenbereinigung“) hinaus maßgeblichen Rechtsgedanken. Vielmehr stellt § 245a InsO n. F., eingeführt durch das SanInsFoG, eine solche Vermutung ausschließlich für natürliche Personen auf. Eine analoge Anwendung des § 309 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 a. E. InsO kann daher nicht in Betracht kommen: weder für natürliche Personen, denen die Vorschrift des ___________ 100) Jarchow in: HambKomm-InsO, § 151 Rz. 5; Jungmann in: K. Schmidt, InsO, § 151 Rz. 8.

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Vergleichsrechnung

§ 245a InsO n. F. gebührt, noch für Unternehmen, für die gerade keine entsprechende Regelung geschaffen wurde. 1.4

Besonderheiten im Umgang mit insolvenzspezifischen Ansprüchen

In der Vergleichsrechnung sind auch insolvenzspezifische Ansprüche, wie z. B. Anfech- 84 tungsansprüche nach §§ 129 ff. InsO und Ansprüche aus § 15b InsO (§ 64 GmbHG a. F.) zu berücksichtigen. Hinsichtlich dieser insolvenzspezifischen „Sonder-Aktiva“ ist weder die Orientierung an § 151 Abs. 1 InsO noch an § 266 HGB hilfreich. Gleichwohl ist – soweit ersichtlich – unstreitig, dass es sich bei diesen Ansprüchen um Vermögensgegenstände i. S. der §§ 151 ff. InsO handelt.101) Insoweit gelten im Grundsatz die beschriebenen Maßstäbe. Mit Rücksicht auf die Sensibi- 85 lität entsprechender (Haftungs-)Ansprüche und die in der Natur der Ansprüche angelegten Interessenkonflikte – insbesondere in der Eigenverwaltung – ist das Transparenzgebot von besonderer Bedeutung. Hieran ändert auch nichts die vom BGH im Zusammenhang mit insolvenzspezifischen Ansprüchen getroffene Feststellung, dass umfassende Ausführungen zu Details der Vermögensgegenstände nicht verlangt werden könnten102) und Erinnerungswerte bei fehlender Erheblichkeit zulässig sind.103) Denn der BGH stellt ganz entscheidend darauf ab, dass die Gläubiger auf derartige (Darlehens-)Forderungen gegenüber Gesellschaftern hinzuweisen und diese zu bewerten sind, um eine Grundlage für die Abstimmung oder ggf. zuvor für Nachfragen und Erörterungen zu schaffen. Wenn die Darstellung diesen Anforderungen gerecht wird, liegt selbst dann kein Fehler zu einem wesentlichen Punkt vor, wenn die Bewertung durch den Planverfasser unzureichend ist. Anders ist nur dann zu urteilen, wenn bestehende Anfechtungs- und Haftungsansprüche in einem relevanten Umfang vom Planverfasser verschwiegen worden sind. Der BGH ist mithin streng bei der grundsätzlichen Darstellung und Angabe solcher Ansprüche und mutmaßlich großzügig(er) bei der detaillierten Aufarbeitung und Bewertung. Diese Rechtsprechung aus dem Jahre 2000 kann sowohl für die Zeit nach Inkrafttreten 86 des ESUG als auch für vom Schuldner vorgelegte Insolvenzpläne für maßgeblich erklärt werden. So verlangt der BGH in seinem Grundsatzurteil vom 7.5.2015 für die Insolvenzgläubiger „keine Angaben dazu, welche Anfechtungsprozesse der Insolvenzverwalter plant, um eine sachgerechte Entscheidung über den vom Schuldner vorgelegten Plan fällen zu können.“104) Aus Sicht des Verfassers ist diese Rechtsprechung gleichwohl mit gewisser Vorsicht anzuwenden, denn es sind gerade die sensiblen Haftungs- bzw. Anfechtungsansprüche und deren verkürzte Darstellung und Bewertung, die einen Mangel – i. S. des vom LG Hamburg105) jüngst entschiedenen Falls – darstellen können, bei dem davon ausgegangen werden kann, dass die Gläubiger bei dessen Erkennbarkeit den Plan nicht angenommen hätten.106) 2.

Darstellung der Verbindlichkeiten (Passiva)

Diesen Vermögensgegenständen sind in Anlehnung an §§ 152 f. InsO die Verbindlichkei- 87 ten gegenüberzustellen (zur Bewertung der Verbindlichkeiten siehe Rz. 90). Auch wenn ___________ Jarchow in: HambKomm-InsO, § 151 Rz. 9 m. w. N. BGH v. 17.5.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499. BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346; Kübler/Rendels in: FS Prütting, 2018, S. 704. BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346. LG Hamburg v. 18.8.2017 – 326 T 10/17, ZIP 2017, 1920; zust. BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141. 106) Laroche in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 14 Rz. 45 m. w. N. 101) 102) 103) 104) 105)

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2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

sich der Wortlaut der §§ 152 f. InsO – mit Ausnahme des § 152 Abs. 3 InsO – nicht zu Masseverbindlichkeiten verhält, sind auch diese unerlässlicher Bestandteil der Vermögensübersicht und damit auch der Vergleichsrechnung. So wie Gläubiger in einem Berichtsund Prüfungstermin nur in Kenntnis dieser (Masse-)Verbindlichkeiten über eine Betriebsfortführung entscheiden können, kann auch über einen Insolvenzplan nur auf dieser Grundlage entschieden werden. 88 Wie beschrieben bietet sich eine vertikale Gliederung innerhalb der Passiva an, bspw. in der Reihenfolge 

Verfahrenskosten,



sonstige Masseverbindlichkeiten,



aussonderungsberechtigte Gläubiger,



absonderungsberechtigte Gläubiger,



Insolvenzgläubiger und



nachrangige Insolvenzgläubiger.

89 Diese an der Befriedigungsreihenfolge der §§ 53 ff. InsO orientierte und Drittrechte berücksichtigende Gliederung zielt auf die Ermittlung der freien Masse und damit die Quotenerwartung im Regelverfahren. 2.1

Grundsatz der Einzelbewertung

90 Korrespondierend zum Grundsatz der Einzelerfassung gilt für die Passivseite der Grundsatz der Einzelbewertung. Das Gläubigerverzeichnis i. S. von § 152 InsO ist hierbei mit der oben vorgeschlagenen Reihenfolge strukturgebend (siehe Rz. 87). Während bei Insolvenzgläubigern aufgrund der schuldnerischen Buchhaltung und insbesondere der Forderungsanmeldungen eine Einzelbewertung möglich ist und bei der Forderungsprüfung verlangt wird, können Masseverbindlichkeiten (§ 152 Abs. 3 Satz 2 InsO) und Absonderungsrechte geschätzt und ggf. in (getrennten) Gruppen dargestellt werden. So sind Absonderungsberechtigte mit dem absonderungsbefangenen Vermögensgegenstand und dem mutmaßlichen Ausfall in die Vergleichsrechnung aufzunehmen. 2.2

Aktualität und maßgeblicher Bezugszeitpunkt

91 Für die Darstellung der Vermögensgegenstände (Aktiva) ist die Aktualität der Angaben von größter Bedeutung. Für die Verbindlichkeiten gilt dies aufgrund der Auswirkungen auf die Vergleichsrechnung in gleicher Weise. Vor diesem Hintergrund wird sich eine ordnungsgemäße Vergleichsrechnung hinsichtlich der zu berücksichtigenden Verbindlichkeiten bei Planvorlage nicht auf die zu diesem Stichtag angemeldeten und geprüften Verbindlichkeiten beschränken können. Neben noch streitigen Verbindlichkeiten (siehe Rz. 92) sind insbesondere solche Verbindlichkeiten zu berücksichtigen, die sich aus der schuldnerischen Buchhaltung ergeben, aber noch nicht angemeldet sind. Insoweit kann die Parallele zu § 229 Satz 3 InsO bemüht werden. Ebenso zu berücksichtigen sind solche Forderungen, die im Zusammenhang mit der Anfechtung wieder aufleben (§§ 143 f. InsO). 2.3

Streitige Verbindlichkeiten

92 Aus Vorsichtsgründen und i. S. des Grundsatzes der Vollständigkeit sind auch streitige Verbindlichkeiten zu berücksichtigen.107) Gleiches gilt für Eventualforderungen. Anders wäre lediglich dann zu urteilen, wenn die Forderungen offensichtlich unbegründet sind bzw. ___________ 107) Jarchow in: HambKomm-InsO, § 152 Rz. 4.

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die Eintrittswahrscheinlichkeit sehr gering ist. Dies aber wird die Ausnahme sein. Aus dem Risiko der notwendigen Rückstellungsbildung sind Planverfasser gut beraten, insbesondere hinsichtlich der streitigen Verbindlichkeiten Vereinbarungen zu schließen aus Anlass des Bestreitens. Hierdurch entfallen das Bewertungs- und Rückstellungsproblem. Weiterhin kann in diesem Zuge die Zustimmung zum Insolvenzplan eingeworben werden. Der Wert „geklärter Verhältnisse“ ist sowohl für den Planverfasser als auch für den (potentiellen) Gläubiger deutlich höher als eine streitige Klärung abseits des – hierdurch ggf. gefährdeten – Insolvenzplans. 3.

Darstellung des Ergebnisses der Vergleichsrechnung: Gegenüberstellung der Quoten

Das Ergebnis dieser sattelförmigen Darstellung der Vermögensverhältnisse ist nach Gegen- 93 überstellung von Aktiva und Passiva eine (hypothetische) Quote im Regelinsolvenzverfahren. Dieser ist die Planquote gegenüberzustellen. Für den Fall unterschiedlicher – nach Gruppen differenzierender – Planquoten bedarf 94 es der Gegenüberstellung der jeweiligen Planquote mit der für das Regelverfahren errechneten Quote. Dies ist unkompliziert im Fall der Gegenüberstellung von Quoten für nicht nachrangige Insolvenzforderungen, wenn eine feste und unbedingte Quote im Insolvenzplan zugesagt wird. Maßstab ist hierbei, dass die Planregelung die erforderliche Klarheit und Widerspruchsfreiheit aufweist, um den Gläubigern zum einen die notwendige Beurteilung der Vergleichsszenarien und zum anderen die Vollstreckung aus dem Insolvenzplan zu ermöglichen. Hierbei darf die Planquote weder von aufschiebenden Bedingungen abhängig gemacht werden, deren Eintritt tatsächlich unmöglich ist, noch darf die Regelung der Planquote hinsichtlich des Fälligkeitszeitpunkts unklar sein. Eine aufschiebende Bedingung, deren Eintritt unmöglich ist, kann bspw. vorliegen, wenn die Planquote (auch) aus insolvenzrechtlichen Anfechtungsansprüchen bedient werden soll, deren Geltendmachung der Insolvenzplan unter Umgehung des § 259 Abs. 3 InsO vorsieht. Gleiches gilt, wenn die Geltendmachung einer Forderung nach Verfahrensaufhebung durch einen Treuhänder erfolgen soll. Eine Massezugehörigkeit scheidet nach Verfahrensaufhebung aus, so dass auch eine Nachtragsverteilung nicht in Betracht kommt. In einer solchen Regelung ist ein wesentlicher Verfahrensverstoß i. S. des § 250 Nr. 1 InsO zu sehen.108) Bei Absonderungsberechtigten verlangt die Gegenüberstellung der Planquote einen Ver- 95 gleich mit der hypothetischen Quote und der hypothetischen Absonderungsberechtigung bei unterstellter Verwertung nach §§ 166 ff. InsO.109) Zu Eingriffen in Absonderungsrechte siehe ausführlich Rz. 123. 4.

Zusammenfassung – materielle Anforderungen an die Vergleichsrechnung unter Berücksichtigung des Prognosecharakters

Die Einzelanalyse der Adressaten der Vergleichsrechnung und deren vielschichtige Prü- 96 fungskompetenz zeigt die Bedeutung der Vergleichsrechnung. Ihre verständige Würdigung und Prüfung findet den Ausgangspunkt in der Art und Weise der förmlichen Darstellung der Vergleichsrechnung. Zentral hierfür ist – wie aufgezeigt – die Anlehnung an die Vermögensübersicht. Diese ist strukturgebend. Die Orientierung hieran zwingt den Planverfasser zur Vollständigkeit, Klarheit und Wesentlichkeit. Dies bedingt nicht zwingend die ___________ 108) BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141. Zu den Schwierigkeiten variabler Quoten vgl. AG Hannover v. 30.9.2016 – 902 IN 607/14, ZIP 2016, 2081, dazu EWiR 2017, 23 (Körner/Rendels) – im Hinblick auf die Bestimmtheit i. S. des § 257 InsO. 109) Zum Vergleich bei Absonderungsrechten und zu der gebotenen wirtschaftlichen Durchschnittsbetrachtung vgl. Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 245 Rz. 14.

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Richtigkeit der Angaben, schafft aber die beste Grundlage für eine ordnungsgemäße Prüfung derselben und damit einen gewissen Vertrauenstatbestand zur Beurteilung der Vermögensprognose. Insoweit dient die Einhaltung der materiellen Anforderungen – wie auch die nachstehend zu erörternde Bewertung – als Lackmustest für Professionalität, Qualität und Seriosität des Planverfassers. VII. Vergleichsmaßstab 97 Nunmehr soll der Frage der Bewertung und damit dem konkreten (Vergleichs-)Maßstab nachgegangen werden, anhand dessen sich die Schlechterstellung durch die Planquote bemisst. Schon vor der Neufassung des § 220 Abs. 2 InsO durch das SanInsFoG entschied sich die Zulässigkeit eines Planverfahrens mit dem substantiiert dargelegten Ausbleiben eines Alternativszenarios, das realistischerweise zu einer höheren Quotenerwartung „ohne Plan“ führen würde. Anders gewendet, das nächstbeste Alternativszenario bildet den Vergleichsmaßstab, an dem sich die Regelungen des Insolvenz- bzw. Restrukturierungsplans messen lassen müssen.110) Jedenfalls für den Insolvenzplan gilt, dass das Regelverfahren die einzig in Betracht kommende Alternative ist, beim Restrukturierungsplan erweisen sich die Optionen hingegen als vielgestaltiger.111) Im Rahmen des Regelverfahrens sind mit der Liquidation und der Zerschlagung (siehe Rz. 101) sowie alternativen Fortführungsoptionen (siehe Rz. 137) zwei Vergleichsmaßstäbe denkbar.112) Während Planersteller vor der gesetzlichen Neufassung oftmals ohne nähere Begründung Zerschlagungswerte angesetzt haben und dies von den Gerichten nicht beanstandet wurde, enthält § 220 Abs. 2 Satz 3 InsO nunmehr die Vorgabe, dass „in der Regel zu unterstellen (ist), dass das Unternehmen fortgeführt wird“ (Fortführungsprämisse). Ausweislich der Gesetzesbegründung113) und in Reaktion auf die ESUG-Evaluierung114) soll verhindert werden, dass die Befriedigungsquote ohne Plan künstlich klein gerechnet wird. Damit ist die Neufassung zumindest als Appell (an Planersteller und Gerichte) zu verstehen, alle in Betracht kommenden Fortführungsoptionen gründlich auszuloten und nicht vorschnell – und in der Regel zulasten der Gläubiger – Liquidations- bzw. Zerschlagungswerte anzusetzen. Die Neufassung setzt damit das Kriterium des Gläubigerinteresses um, ohne die praktischen Bedürfnisse des Planerstellers nach Flexibilität zu negieren. Mit Rücksicht darauf, in welchem Stadium sich das Unternehmen befindet, ist die Fortführung nicht „um jeden Preis“, sondern „in der Regel“ (vgl. § 220 Abs. 2 Satz 3 InsO) zu unterstellen. Eine andere Formulierung hat der Gesetzgeber im Hinblick auf das vorinsolvenzliche Restrukturierungsverfahren gewählt, indem die Parallelvorschrift (§ 6 Abs. 2 Satz 2 StaRUG) auf den Zusatz „in der Regel“ verzichtet.115)

___________ 110) EU-Richtlinie 2019/1023 (ErwG 49); Spahlinger in: KPB, InsO, § 220 Rz. 20c; AG Dresden v. 7.6.2021 – 574 RES 2/21, NZI 2021, 893; AG Hamburg v. 12.4.2021 – 61a RES 1/21, ZRI 2021, 473 = NZI 2021, 544 – zum Restrukturierungsplan. 111) Skauradszun, ZIP 2021, 1091, 1095; Skauradszun, KTS 2021, 1, 63; Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 6 Rz. 60. 112) Das Zerschlagungs- bzw. Liquidationsszenario auf der einen und das Fortführungs- bzw. Übertragungsszenario auf der anderen Seite werden als Alternativen begriffen, vgl. auch Schröder/Rekers, ZInsO 2019, 711; zur weiteren Unterscheidung zwischen Zerschlagungs- und Liquidationsszenario Harmann in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 13 Rz. 119. 113) Begr. RegE SanInsFoG z. § 8 Abs. 2 StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, S. 116. 114) Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 188 ff. 115) Die Differenzierung ist wohl dem unterschiedlichen Verfahrensstadium geschuldet. Aber auch im Restrukturierungsplan ist die Ausweisung von Liquidationswerten nicht ausgeschlossen, vgl. Skauradszun/ Fridgen in: BeckOK-StaRUG, § 6 Rz. 62 f.

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Solange der Planersteller die Aussichtslosigkeit der Unternehmensfortführung ohne Plan 98 (§ 220 Abs. 2 Satz 4 InsO) nicht substantiiert begründen kann, ist die Fortführung zu unterstellen. Fortführung meint ein Szenario der Gesamtveräußerung, typischerweise im Wege der übertragenden Sanierung. Die konkrete Wertermittlung der Gesamtveräußerung bleibt indes unklar: Darf der Wertansatz ausschließlich anhand konkreter, ernst zu nehmender Angebote erfolgen oder genügen alternative Bewertungsmethoden zur Wertermittlung. Der Planersteller ist im Vorteil, wenn mangels Kaufinteressen keine Sanierungsalternative besteht. Dann sind die Anforderungen und die Hürde für den Schlechterstellungsvorwurf scheinbar geringer. Für diesen Fall stellt sich die nachstehend erörterte Frage (siehe Rz. 149), ob eine Verpflichtung besteht, Kaufinteressenten zu identifizieren, um nicht die Zwangsläufigkeit fehlender Alternativen und die Gegenüberstellung der Planquote mit der Zerschlagung zu provozieren. So liegt es auch die Neufassung nahe: Nur wenn „[…] ein Verkauf des Unternehmens oder eine anderweitige Fortführung aussichtslos ist“ (Hervorhebung durch d. Verf.), darf der Planersteller Zerschlagungswerte zugrunde legen, vgl. § 220 Abs. 2 Satz 4 InsO. Zum Begriff der „anderweitigen Fortführung“ vgl. Rz. 106. Der Vergleich mit Alternativplänen wird von der h. M. in der Literatur angesichts des 99 eindeutigen Wortlauts („[…] Ermittlung der voraussichtlichen Befriedigung ohne Plan […]“, vgl. § 220 Abs. 2 Satz 3 InsO; „[…] als sie ohne Plan stünden […]“, vgl. z. B. § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO) nicht gefordert.116) Dies gilt für Insolvenz- und Restrukturierungsplan gleichermaßen. Das LG Wuppertal konnte diese Fragestellung offenlassen:117) „Selbst wenn ein Vergleich mit alternativen Insolvenzplanen zulässig wäre, würde es an der Glaubhaftmachung einer wesentlichen Schlechterstellung fehlen […]“. Das AG Köln hat jüngst, jedenfalls für den Restrukturierungsplan und die Parallelvorschrift in § 6 Abs. 2 StaRUG klargestellt, dass die Vergleichsrechnung keine alternativen Planszenarien enthalten muss.118) Denn dies würde faktisch zu einer gerichtlichen Überprüfung jeder Regelung eines Plans auf seine Erforderlichkeit führen, was gerade nicht intendiert sei. Die Argumentation trifft gleichermaßen auf Insolvenz- wie auf Restrukturierungspläne zu. Ob nicht gerade der Vergleich mit alternativen Insolvenzplänen als „anderweitige Fortführung“ i. S. des § 220 Abs. 2 Satz 4 InsO zu kategorisieren und damit – jedenfalls im Einzelfall – als Alternativszenario in Betracht zu ziehen ist, ist unklar. Gegen ein solches Verständnis streitet allerdings, wie beschrieben, der Wortlaut des § 220 Abs. 2 Satz 3 InsO. Bedeutsame Unterschiede zwischen den Verfahrensarten nach InsO und StaRUG liegen 100 allerdings in der Heranziehung des jeweils anderen Verfahrens als Vergleichsmaßstab. Während in der Vergleichsrechnung des Restrukturierungsplans (§ 6 Abs. 2 StaRUG) u. U. das Planverfahren als das nächstbeste Alternativszenario darzustellen ist, ist im Planverfahren (§ 220 Abs. 2 InsO) das Restrukturierungsverfahren als Vergleichsmaßstab keine taugliche Alternative. Denn ab Eröffnung des Insolvenz(plan)verfahrens ist eine Einstellung nur noch möglich, wenn der Eröffnungsgrund tatsächlich weggefallen ist (vgl. § 212 InsO). Ab diesem Zeitpunkt kommt ein Restrukturierungsverfahren – auch bei bloß drohender Zahlungsunfähigkeit – als echte Alternative zum Insolvenzplanverfahren nicht mehr in Betracht, ebenso wenig eine Unternehmenssanierung außerhalb der Insolvenz. Damit scheidet auch die Darstellung dieser Szenarien, selbst wenn sie potenziell zu besseren Befriedi___________ 116) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 2 Rz. 85 m. w. N.; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 245 Rz. 8 m. w. N; Spahlinger in: KPB, InsO, § 220 Rz. 20a; Friel/Ellers in: HambKommInsO, § 6 Rz. 33; Spahlinger, NZI Beilage z. Heft 5/2021, S. 32, 33 – zum Restrukturierungsplan; a. A. Ringelspacher/Fehl-Weileder, ZRI 2022, 210, 213. 117) LG Wuppertal v. 18.5.2016 – 16 T 116/16, ZInsO 2016, 1164. 118) AG Köln v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, Rz. 32, ZRI 2021, 377 = NZI 2021, 433 m. Anm. Thole.

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gungsaussichten führen würden, in der Vergleichsrechnung des Insolvenzplans aus.119) Insoweit reduziert sie sich auf die Gegenüberstellung der Planquote mit der Liquidation bzw. Zerschlagung (siehe Rz. 101) auf der einen sowie mit Fortführungsvarianten im Regelverfahren (siehe Rz. 137) auf der anderen Seite. 1.

Liquidationsszenario als Vergleichsmaßstab

1.1

Darstellung der Liquidationswerte (Aktiva)

101 Aus Sicht des Verfassers muss jede Vergleichsrechnung – zumindest auch – die Liquidationswerte (verstanden als Zerschlagungswerte) darstellen. Aktiva und Passiva sind daher stets (auch) zwingend unter Liquidationsgesichtspunkten darzustellen. Hiervon zu unterschieden ist die Frage, ob in ihnen der zutreffende Vergleichsmaßstab zu suchen ist. Das hiervon unabhängige Postulat der grundsätzlichen Darstellung der Liquidationswerte erklärt sich durch das Transparenzgebot zum einen und die Möglichkeit, dass Liquidationswerte nicht bei Planvorlage, aber im weiteren Verlauf zum Vergleichsmaßstab werden, zum anderen. 1.2

Begründung des Vergleichsmaßstabs

102 Existiert keine (Sanierungs-)Alternative zum Insolvenzplan, wird das Liquidations- bzw. Zerschlagungsszenario zum Maßstab für die Überprüfung der Schlechterstellung. Dies hervorhebend formuliert § 220 Abs. 2 Satz 4 InsO, dass das Zerschlagungsszenario (nur) anzusetzen ist, sofern „ein Verkauf des Unternehmens oder eine anderweitige Fortführung aussichtslos ist“. Das Fortführungsszenario wird damit spätestens seit der Neufassung zur Regel. Der Begriff „aussichtslos“ darf indes nicht so weit zu verstanden werden, dass Zerschlagungsszenarien per se ignoriert werden, sofern eine noch so vage Fortführungsperspektive oder -aussicht in Betracht kommt. Vielmehr muss § 220 Abs. 2 Satz 4 InsO in der Gestalt korrigierend ausgelegt werden, dass die Fortführung ohne Insolvenzplan aussichtslos ist, wenn kein alternatives Fortführungsszenario hinreichend bzw. überwiegend wahrscheinlich ist.120) Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn die Eintrittswahrscheinlichkeit des Vergleichsszenarios über 50 % liegt. 103 Dass ohne Plan eine Fortführung nicht plausibel ist, ist ausführlich zu begründen, auch unter Auseinandersetzung mit den im Zusammenhang mit Sanierungsalternativen erfolgten, aber erfolglos gebliebenen oder unterbliebenen Aktivitäten (siehe Rz. 139). Dies gilt vor allem für das auf Unternehmenssanierung ausgerichtete Restrukturierungsverfahren. Aber auch für das auf Unternehmenserhalt gerichtete Insolvenzplanverfahren ist eine fundierte Begründung erforderlich, warum der Insolvenzplan die einzig in Betracht kommende Möglichkeit sein soll, das Unternehmen fortzuführen. Ohne Begründung des Vergleichsmaßstabs ist von einem Verstoß gegen § 220 Abs. 2 Satz 3 und 4 InsO und damit einem Zurückweisungsgrund i. S. von § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO auszugehen. Dies gilt bspw. für folgende (ausschließliche) Formulierung: „Für die Vergleichsrechnung ist der Zerschlagungs- bzw. Liquidationswert maßgeblich. Die nachfolgenden Werte sind Schätzwerte der Schuldnerin. Der Insolvenzplan wird zeigen, dass die Gläubiger durch die Planlösung bessergestellt sind, als dies bei Zerschlagung des Unternehmens der Fall wäre.“

___________ 119) Weiterführend Skauradszun, ZIP 2021, 1091, 1094 – zur Haftung wegen „verschleppter besserer Alternativen“. 120) Skauradszun, ZIP 2021, 1091, 1093.

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Vergleichsrechnung 1.3

Begriff des Liquidationswerts (Aktiva)

Wie auch bei den formellen Anforderungen ist die Orientierung an den §§ 151 ff. InsO 104 geboten und sinnvoll. Ausgehend von dem beschriebenen Grundsatz der Einzelerfassung (§ 151 Abs. 1 Satz 1 InsO) formuliert § 151 Abs. 2 Satz 1 InsO: „Bei jedem Gegenstand ist dessen Wert anzusetzen.“ Zu einer Differenzierung zwischen Liquidations- und Fortführungswert gelangt das Gesetz für den Fall, dass die Wertbildung davon abhängt, ob ein schuldnerisches Unternehmen stillgelegt oder fortgeführt wird (§ 151 Abs. 2 Satz 2 InsO). In diesem gesetzlichen Kontext definiert die h. M. den Liquidationswert mit dem voraussichtlichen Verwertungserlös, der objektorientiert die Art und Qualität des Vermögensgegenstands, die tatsächliche Marktsituation,121) den Umstand der Einzelveräußerung122) (und nicht der Sachgesamtheit) sowie den negativen Verwertungszwang des Insolvenzverfahrens123) berücksichtigt. Die durch das SanInsFoG eingeführten Vorschriften zum Vergleichsmaßstab regeln das 105 Stufenverhältnis zwischen Fortführungs- und Liquidationswert. Auf den ersten Blick enthält das Gesetz weder zur Detailtiefe noch zum Bewertungsmaßstab des Liquidationsszenarios nähere Vorgaben. Vieles spricht dafür, dass der Gesetzgeber „Fortführung“ (§ 220 Abs. 2 Satz 3 InsO) als „Verkauf als fortgeführtes Unternehmen im Wege der übertragenden Sanierung“ verstanden wissen will.124) Dieser steht die Liquidation – bzw. Zerschlagung – als „stückweiser Verkauf des Unternehmens“ gegenüber. Die Annahme eines solchen Szenarios, an dessen Ende die Zerschlagung des Unternehmens steht, ist von Gesetzes wegen nur in Ausnahmefällen möglich; § 220 Abs. 2 Satz 4 InsO lautet insoweit: „Dies gilt nicht, wenn ein Verkauf des Unternehmens oder eine anderweitige Fortführung aussichtslos ist.“ Dieses Stufenverhältnis lässt sich damit begründen, dass durch den Verkauf bzw. die Fortführung des Unternehmens typischerweise höhere Werte erzielt werden, weil die funktionsfähige Einheit nicht zerschlagen wird. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welches Szenario der Gesetzgeber bei einer 106 „anderweitigen Fortführung“ im Blick hatte. Richtigerweise dürfte ein (Liquidations-)Szenario gemeint sein, das eine Stilllegung erst für die Zukunft und bis dahin eine zumindest teilweise Fortführung des Betriebs vorsieht (Ausproduktionsszenario bzw. gestreckte Liquidation). Mithin gilt die Vorschrift des § 220 Abs. 2 Satz 4 InsO auch innerhalb des Liquidationsszenarios. Sie normiert nach diesem Verständnis ein (weiteres) Stufenverhältnis zwischen sofortiger Zerschlagung einerseits und gestreckter Liquidation unter Fortführungsgesichtspunkten andererseits. Die Parameter der Zerschlagungsintensität und -dauer sind dabei so zu wählen, dass eine größtmögliche Gläubigerbefriedigung erreicht wird. Die sofortige Betriebsstilllegung hat typischerweise die größten Wertverluste zur Folge. Vielmehr ist eine geordnete, langsamere Stilllegung des operativen Geschäfts zu unterstellen, die in der Regel zu höheren Verwertungserlösen führt. Verankert sind diese Grundsätze nunmehr in § 220 Abs. 2 Satz 4 InsO. 1.4

Ermittlung des Liquidationswerts im Einzelnen

Der Liquidationswert ist grundsätzlich für jeden Gegenstand einzeln vorzunehmen. In der 107 Praxis wird dies nicht nur, aber insbesondere bei größeren Unternehmensinsolvenzen erhebliche Bewertungsschwierigkeiten mit sich bringen. In dieser Hinsicht sind die auch bei ___________ 121) Jungmann in: K. Schmidt, InsO, § 151 Rz. 7. 122) Harmann in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 35 Rz. 35, unter Verweis auf IDW Standard, Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1 i. d. F. v. 2008). 123) Jarchow in: HambKomm-InsO, § 151 Rz. 17. 124) Skauradszun, ZIP 2021, 1091, 1093.

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der Darstellung der Vermögensgegenstände zugelassenen Erleichterungen (Gruppen und Zusammenfassungen) zulässig. 1.4.1 Anlagevermögen 108 Anders als für das Umlaufvermögen (siehe Rz. 109) wird ein Rückgriff auf diese Erleichterungen für das Anlagevermögen kaum erforderlich sein. Angesichts der gebotenen Inventarisierung, der in gewissen Grenzen zulässigen Hinzuziehung von Sachverständigen (§ 151 Abs. 2 Satz 3 InsO) und geringeren Umschlagshäufigkeit sind sowohl eine Einzelerfassung als auch eine Einzelbewertung möglich und üblich. Abweichungen hiervon sind dort vorzunehmen, wo einzelne Gegenstände nur in ihrer Gesamtheit veräußerbar sind oder ein konkretes (Verwertungs-)Angebot vorliegt.125) 1.4.2 Umlaufvermögen 109 Die größte praktische Bedeutung bei der Ermittlung des Liquidationswerts i. R. der Vergleichsrechnung hat das Umlaufvermögen, namentlich 



Vorräte: 

Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe,



unfertige Erzeugnisse, unfertige Leistungen,



fertige Erzeugnisse und Waren,



geleistete Anzahlungen;

Forderungen und sonstige Vermögensgegenstände: 

Forderungen aus Lieferungen und Leistungen,



Forderungen gegen verbundene Unternehmen,



Forderungen gegen Unternehmen mit Beteiligungsverhältnis,



sonstige Vermögensgegenstände.

110 Hintergrund dieser Bedeutung sind die besondere Abhängigkeit der Bewertung von der werbenden Tätigkeit des Unternehmens und die damit einhergehenden Wertabschläge im Fall der Liquidation. Diese sind regelmäßig erheblich, müssen es aber nicht immer sein. Insoweit verbietet sich aus verschiedenen Gründen der unreflektierte Ansatz von „Schrottwerten“ bzw. Wertabschlägen auf unbegründete 20 – 50 % des Einkaufswerts („Vorräte werden mit 20 % des Einkaufswertes angesetzt, da es sich um schwer verwertbare Spezialpapiersorten handelt; Forderungen mit 50 %.“). Unbestritten ist der Umstand der Fortführung wertbildend. Ebenso unbestritten bestehen im Liquidationsszenario erhebliche Prognoseschwierigkeiten, die unter Berücksichtigung des Vorsichtigkeitsprinzips Wertabschläge rechtfertigen. Dieser Rahmen erlaubt indes keine (unbegründeten) Pauschalwertberichtigungen. Maßgeblich sind vielmehr die Verwertungs- und Liquidationsstrategie, der Stilllegungsund Bewertungsstichtag und die Umstände des Einzelfalls. 111 Entscheidend ist zunächst die Verwertungsstrategie. Die Darstellung des Umlaufvermögens in der Vergleichsrechnung liest sich regelmäßig wie das Szenario einer sofortigen Betriebsstilllegung. Dies ist jedoch bei Unternehmensinsolvenzen im Allgemeinen und bei solchen, die auf eine Plansanierung zielen, im Besonderen nicht nur die absolute Ausnahme, sondern regelmäßig gar nicht möglich. Jedenfalls für einen gewissen Zeitraum werden Auftragsbestand, halbfertige Leistungen, Materialdisposition und Kundenerwartung regelmäßig eine Fortführung nicht nur erfordern, sondern insbesondere möglich machen. Die Parameter ___________ 125) Jarchow in: HambKomm-InsO, § 151 Rz. 17.

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der Zerschlagungsintensität und -dauer müssen – auch im Interesse größtmöglicher Gläubigerbefriedigung – im Zweifel so gewählt werden, dass das Unternehmen für einen gewissen Zeitraum fortgeführt wird, etwa um Unternehmenswerte zunächst zu erhalten und zielgerichtet zu verwerten. Diese Grundsätze haben jüngst durch das SanInsFoG eine normative Anknüpfung erfahren. Jedenfalls nach hiesigem Verständnis gilt § 220 Abs. 2 Satz 4 InsO auch innerhalb des Liquidationsszenarios (hierzu Rz. 104). Ein Szenario der sofortigen Betriebsstilllegung darf daher bereits von Gesetzes wegen nur dann als Vergleichsmaßstab herangezogen werden, wenn eine „anderweitige Fortführung“ aussichtslos ist. Dies ist fundiert zu begründen. Maßgeblich sind daher die tatsächlichen betrieblichen Möglichkeiten im Einzelfall. Stellen 112 diese sich so dar, dass der Insolvenzverwalter über alle erforderlichen Produktionsmittel verfügt, so wird er denjenigen Stilllegungszeitpunkt zu wählen haben (wählen müssen), der der Insolvenzmasse das bestmögliche Ergebnis verspricht. Wohlwissend, dass die Umstände der Fortführung und das Zusammenhalten der unternehmerischen Einheit im gekündigten Zustand deutlich erschwert sind, ist es seine Pflicht, die vorhandenen personellen, räumlichen und maschinellen Kapazitäten zu nutzen, d. h. die Entstehung von unproduktiven Leerkosten (ungenutzte Fixkosten) möglichst zu vermeiden. Je nach dem Stilllegungszeitpunkt wird der Liquidationswert der Gegenstände des Umlaufvermögens ein völlig anderer sein. Erlauben die Umstände die beschriebene zielgerichtete Ausproduktion, so können an 113 die Stelle wertloser unfertiger Arbeiten werthaltige Forderungen aus Lieferungen und Leistungen treten. Maßgeblich ist insoweit der Wert, den der Insolvenzverwalter in seiner zielgerichteten Ausproduktionsstrategie erwarten darf.126) Innerhalb dieser Bewertungsprämisse wiederum sind vielschichtige Differenzierungen möglich und zulässig. So z. B. unterschiedliche Wertansätze innerhalb der Vorräte, d. h. ein geringerer Wertansatz für Roh-, Hilfsund Betriebsstoffe als für Fertigerzeugnisse, die selbst bei einer sofortigen Betriebsschließung – unter absichernder Vereinbarung einer Vorkasse – nicht sofort ihre Verkehrsfähigkeit verlieren. Ist eine zielgerichtete Ausproduktionsstrategie nicht möglich, verlangt eine geordnete Vergleichsrechnung eine Auseinandersetzung hiermit und eine Begründung für die Notwendigkeit einer sofortigen Betriebsschließung. Neben diese grundsätzliche Verpflichtung zur Entwicklung einer Ausproduktions- und 114 Liquidationsstrategie treten besondere Umstände des Einzelfalls. Hierbei gilt der Blick der prognostischen Bewertung des Kundenverhaltens. Nicht selten bestehen Abhängigkeiten von Kunden. Diese sind mitunter, aber bei weitem nicht immer von einer solchen Intensität, dass auf ihrer Grundlage Verlustübernahmen und Finanzierungsbeiträge gefordert werden könnten (z. B. Insolvenz eines Automobilzulieferers). Eine Abhängigkeit des Kunden, die die Vorfinanzierung des Wareneinsatzes, die Abnahme des Wirtschaftsguts und eine gesicherte Zahlung, u. U. mit einem freiwillig eingeräumten Sicherheitseinbehalt möglich macht, ist von keinem Seltenheitswert. Gleiches gilt für Auftragsausweitungen bzw. außerordentliche Eindeckungen, sog. „Hamsterkäufe“. Zweifelsohne müssen diesen Optionen für eine Ausproduktion auch Risiken gegenübergestellt werden. Hierzu zählen der Kunden- und Umsatzverlust sowie der Weggang von Leistungsträgern. Die Beurteilung und Entwicklung von Maßnahmen zur Beherrschung dieser Risiken (Halteprämien etc.) wiederum ist Teil der verpflichtenden Prüfung einer Abwicklungsstrategie, so dass auch nicht unreflektiert mit dem Hinweis auf den Abkehrwillen von Mitarbeitern die sofortige Betriebsschließung als Annahme formuliert werden darf, obgleich die derzeit gute Arbeitsmarktsituation solche Vereinbarungen deutlich erschwert. ___________ 126) Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 151 Rz. 7.

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1.4.3 Insolvenzspezifische Ansprüche 115 Wie bei den formellen Anforderungen (siehe Rz. 66) nehmen insolvenzspezifische Ansprüche bei der Darstellung der Vermögensverhältnisse eine besondere Rolle ein. Daher auch die besondere Hervorhebung des Transparenzgebots und eine eigenständige Behandlung dieser Vermögensgegenstände auf der Ebene der formellen Anforderungen an die Darstellung und vorliegend der Bewertung. 116 Die Bewertung im Liquidationsfall wird hinsichtlich der Haftungs- und Anfechtungsansprüche gegenüber Organen und Gesellschaftern maßgeblich auf deren Vermögenssituation beruhen. Entscheidend hierbei wird die Veränderung der Vermögenslage durch die Stilllegung sein. Die Wertlosigkeit der Beteiligung ist unbestritten. Der Wegfall der Vergütung ist alsbald zu unterstellen, je nach Einzelfall indes keineswegs dauerhaft, da die Wiederaufnahme anderweitiger beruflicher Tätigkeiten je nach Qualifikation möglich bleibt. Entscheidender ist für den Verfasser indes die Haftungsverwirklichung im Übrigen. Löst die Stilllegung den Sicherungsfall im Finanzierungskreis aus und ist dieser durch persönliche Mitverpflichtungen gekennzeichnet, so verlängert sich die Passivseite regelmäßig in einem Umfang, der außer Verhältnis steht zu etwaigen Prognosen zukünftiger Einnahmen. Fehlt relevantes – in der Bewertung vom Betrieb – unabhängiges Vermögen, ist die Wertlosigkeit etwaiger Ansprüche eher der Grundsatz als die Ausnahme. 117 Diese Schlussfolgerung verlangt indes die detaillierte Auseinandersetzung und Begründung, ohne hierbei zwingend private Vermögensverhältnisse der Gesamtgläubigerschaft gegenüber zu offenbaren. Möglich ist insoweit die Vorlage an den Sachwalter und Insolvenzverwalter bzw. (vorläufigen) Gläubigerausschuss unter der Auflage der Vertraulichkeit. 118 Insolvenzspezifische Haftungs- und Anfechtungsansprüche gegenüber Dritten sind in der Bewertung im Liquidationsfall geringeren Besonderheiten ausgesetzt. Entscheidend ist, ob die Werthaltigkeit des mutmaßlichen Anspruchs nicht in Abhängigkeit zur Unternehmensfortführung steht. 119 Soweit der Plan vorsieht, dass die Planquote (auch) aus Mitteln gezahlt wird, welche aus der Verwertung von schuldnerischem Vermögen erzielt werden, muss beachtet werden, dass diese Verwertung grundsätzlich bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens abgeschlossen sein muss. Der Insolvenzplan kann nicht dem Insolvenzverwalter die Befugnis verleihen, Anfechtungsansprüche nach Verfahrensaufhebung gerichtlich geltend zu machen. In der Konsequenz kann ein Insolvenzplan insoweit auch nicht vorsehen, dass ein (anwaltlicher) Treuhänder nach Verfahrensaufhebung eine Masseforderung zum Zwecke einer Nachtragsverteilung zugunsten der Gläubigergemeinschaft einzieht.127) Kann der Insolvenzverwalter auf der Grundlage eines Insolvenzplans infolge der Regelung des § 259 Abs. 3 Satz 1 InsO nur bereits anhängige Anfechtungsrechtsstreite nach Verfahrensende weiterverfolgen, kann einem Treuhänder durch einen Insolvenzplan keine weitergehende Befugnis verliehen werden. 1.5

Bewertung von Verbindlichkeiten im Liquidationsszenario (Passiva)

120 Während bei den Vermögensgegenständen durch § 151 Abs. 2 InsO ein Dualismus von Liquidations- und Fortführungswert angelegt ist, ist in der InsO zur Bewertung der Verbindlichkeiten keinerlei Regelung vorgesehen. Die Literatur stellt daher – auf der Grundlage der Buchwerte – regelmäßig auf den Nennwert ab. Sonstige Masseverbindlichkeiten sind nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung zu schätzen.128) ___________ 127) BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141; Gestaltungsmöglichkeiten erläutern Horstkotte/ Pickartz, ZInsO 2020, 710. 128) Jarchow in: HambKomm-InsO, § 153 Rz. 17; Harmann in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 36 Rz. 32.

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Dies mag im Ausgangspunkt zutreffend sein. Aus Sicht des Verfassers empfiehlt sich in- 121 des eine Differenzierung zwischen Liquidation und Fortführung aus verschiedenen Gründen – jedenfalls im Grundsatz – auch für die Passiva. Lediglich dann, wenn unter keinem Gesichtspunkt eine zum Insolvenzplan alternative Fortführung wahrscheinlich oder gar möglich ist, kann auf die Bewertung der Verbindlichkeiten im Fortführungsfall verzichtet werden. Denn in diesem Fall erfolgt bereits bei den Aktiva keine Darstellung von Fortführungswerten. Erfolgt eine solche indes, so ergeben sich hieraus zwingend Auswirkungen für die Passiva. Denn eine unterschiedliche Bewertung von Aus- und Absonderungsgut führt zu einem veränderten Ausfall bei zur Aus- und Absonderung berechtigten Insolvenzforderungen. Diese Parallelität von Aktiva und Passiva ist zugleich das entscheidende Argument für eine Bewertung der Verbindlichkeiten, sowohl unter dem Gesichtspunkt der Liquidation als auch unter dem der Fortführung. Über diese notwendige Differenzierung hinaus kann die Bewertung der Verbindlichkeit 122 zum Nennwert sowohl für den hier in Rede stehenden Liquidationsfall als auch für die Fortführung (siehe Rz. 137) nur der Ausgangspunkt sein. Folgende Abweichungen können im Liquidationsfall geboten erscheinen: 1.5.1 Berücksichtigung von Aus- und Absonderungsberechtigten Wie beschrieben hat die Bewertung der Vermögensgegenstände für Drittrechtsberechtigte 123 unmittelbare Auswirkungen auf das Sicherungsrecht zum einen und die mögliche nicht nachrangige Ausfallforderung (§§ 38, 52 InsO) zum anderen. Diese Auswirkungen beschränken sich aber nicht auf die Höhe des erlittenen Ausfalls, sondern können im Liquidationsfall auch für die Entstehung weitergehender (Schadens-)Ersatzansprüche sorgen, z. B. Kosten der Abholung. 1.5.2 Liquidationsschicksal von Konzernfinanzierungen Handelt es sich bei der Schuldnerin um eine Gesellschaft, die Teil eines Konzerns oder 124 einer Unternehmensgruppe ist (§ 15 AktG), so müssen im Liquidationsfall die Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten unter Berücksichtigung sämtlicher Mithaftungs- und Regressansprüche definiert werden. Das Bild im Fall der Plansanierung sieht aufgrund des bei entsprechenden Sicherheiten denkbaren „Stehenlassens von Finanzierung und Sicherheiten“ gänzlich anders aus. Denn dann müssen keine (zusätzlichen) Verbindlichkeiten aus Mithaftungserklärungen nach Maßgabe des § 43 InsO berücksichtigt werden. Während bislang, blickt man auf die Beteiligten des Insolvenzplanverfahrens, (nur) die 125 Rechte der absonderungsberechtigten Gläubiger, der Insolvenzgläubiger sowie der am Schuldner beteiligten Personen einer Plangestaltung zugänglich waren (vgl. § 217 Abs. 1 InsO), können nunmehr auch die Rechte der Inhaber von gruppeninternen Drittsicherheiten in die Plangestaltung einbezogen werden (§ 217 Abs. 2 InsO n. F.). Möchte der Planersteller von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, hat er im Insolvenzplan eine ausdrückliche Regelung zu treffen, wie sich aus § 223a InsO ergibt. Welche Rechte gekürzt, gestundet oder einer sonstigen Regelung unterworfen werden, ist Gegenstand des gestaltenden Teils des Insolvenzplans. Sieht der Plan auf Basis vorgenannter Vorschriften einen Eingriff vor, ist eine gesonderte Gruppe zu bilden, § 222 Abs. 1 Nr. 5 InsO. Durch gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung (§ 245 InsO) ist eine Plangestaltung auch gegen den Willen der Inhaber von gruppeninternen Drittsicherheiten möglich.129) Ein entsprechender Eingriff ist nach § 223a Satz 2 InsO angemessen zu entschädigen. Richtigerweise tritt die Entschädigungspflicht nur ein, wenn die Betroffenen durch den Plan im Vergleich ___________ 129) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 200.

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zur Regelverwertung tatsächlich schlechtergestellt werden. Die Schlechterstellung bemisst sich demnach – wie bei sämtlichen Beteiligten – nach dem nächstbesten Alternativszenario, dem das Szenario der Regelverwertung ohne Plan zugrunde liegt. Dieses ist auch im Hinblick auf die Inhaber gruppeninterner Drittsicherheiten in der Vergleichsrechnung darzustellen.130) 126 Nach § 220 Abs. 3 InsO n. F. sind in die Darstellung im Insolvenzplan auch die Verhältnisse des die Sicherheit gewährenden verbundenen Unternehmens und die Auswirkungen des Plans auf dieses Unternehmen einzubeziehen. Während durch § 220 Abs. 2 Satz 2 InsO nunmehr klargestellt ist, dass „insbesondere die Vergleichsrechnung“ zu den notwendigen Angaben über die Grundlagen und Auswirkungen des Plans gehört, die i. S. des § 220 Abs. 2 Satz 1 InsO für die Entscheidung der Beteiligten über die Zustimmung zum Plan und dessen gerichtliche Bestätigung erheblich sind, ist eine entsprechende Konkretisierung in Absatz 3 unterblieben. Nichtsdestotrotz dürften die nach Absatz 2 erforderlichen Inhalte auch hinsichtlich des konzernverbundenen Unternehmens Beachtung finden. Daraus lässt sich folgern, dass gemäß § 220 Abs. 2 Satz 3 InsO auch die Fortführung des konzernverbundenen Unternehmens zu unterstellen ist, was Auswirkungen auf die Werthaltigkeit der Sicherheit haben kann. Vor allem folgt aus der Kongruenz, dass den Wirkungen des Plans die Wirkungen einer Regelabwicklung des schuldnerischen Unternehmens auf die Verhältnisse des verbundenen Unternehmens gegenüberzustellen sind. Hierzu bedarf es einer separaten bzw. integrierten Vergleichsrechnung.131) Hinsichtlich der Darstellung gelten dieselben Grundsätze. 1.5.3 Wegfall von Sanierungsbeiträgen 127 Überaus praxisrelevant sind Zugeständnisse von Gläubigern mit besonderem Fortführungsinteresse. Solche Gläubiger signalisieren für den Fall der Unternehmensfortführung die Bereitschaft zum Forderungsverzicht oder anderweitigen (Sanierungs-)Beitrag. Beispielhaft sind Grundpfandgläubiger, die bei erfolgreicher Plansanierung auf eine etwaige Nutzungsentschädigung für die massezugehörige Betriebsimmobilie oder einen Zinsanspruch nach § 169 Satz 1 InsO verzichten. Im Liquidationsfall gelten solche Verzichte in der Regel nicht und zwingen daher zur Berücksichtigung von (Masse-)Verbindlichkeiten, die sich nicht bereits aus den Buchwerten ergeben. 128 Relevant kann dieser Gedanke auch für Verlustfinanzierungen durch Großkunden i. R. von Fortführungsvereinbarungen sein. Insbesondere in der Insolvenz des Zulieferers ist eine (Verlust-)Finanzierung durch den Automobilhersteller denkbar und üblich. Sofern man den Forderungen aus der (Verlust-)Finanzierung die Qualität eines (Schadensersatz-)Anspruchs beimessen möchte, kann in dieser Hinsicht durchaus zwischen Liquidation und Fortführung unterschieden werden. Scheitert letztere, könnte beispielhaft die Anmeldung entsprechender (Schadensersatz-)Forderungen zugestanden werden. Im Fall der Plansanierung bestünden solche Verbindlichkeiten bei entsprechender Vertragsgestaltung nicht. 1.5.4 Vorzeitige Beendigung von Dauerschuldverhältnissen bei Liquidation 129 Für nicht nachrangige Insolvenzforderungen sind zusätzliche – nicht in der Finanzbuchhaltung ausgewiesene – Verbindlichkeiten insbesondere unter dem Gesichtspunkt einer etwaigen Schadensersatzpflicht und den Rechtsfolgen der vorzeitigen Beendigung von Dauerschuldverhältnissen zu berücksichtigen. Reduzieren sich z. B. Leasingraten im Fall der Unternehmensfortführung bzw. fallen solche als Insolvenzforderungen nach erfolgtem ___________ 130) Spahlinger in: KPB, InsO, § 223a Rz. 6. 131) Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 220 Rz. 10;

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Eintritt (§ 103 InsO) gänzlich weg, muss im Liquidationsszenario entweder i. R. der Bewertung oder bei einer Rückstellung ein weitergehendes Volumen berücksichtigt werden. 1.5.5 Streitige Verbindlichkeiten (z. B. Gewährleistungsforderungen) Weiterhin praxisrelevant sind streitige Verbindlichkeiten und diesbezügliche Vergleichs- 130 vereinbarungen, die angesichts des Fortführungsinteresses des Gläubigers nur Geltung beanspruchen sollen für eine Unternehmensfortführung. Denn diese soll regelmäßig durch einen an der Fortführung interessierten Gläubiger nicht mit einer streitigen – zur Rückstellung verpflichtende – Forderung gefährdet werden. Um dies sicherzustellen bei gleichzeitiger (Teil-)Kompensation des Gläubigers, haben Vergleichsvereinbarungen im Fortführungsfall eine große praktische Bedeutung. Gegenstand solcher Vergleiche ist regelmäßig die Feststellung eines Forderungsbetrags, der geringer ist als die vom Gläubiger behauptete Forderung. Dieses Vergleichsinteresse fällt bei Stilllegung wechselseitig weg und zwingt aus Vorsichtsgründen zur Berücksichtigung weitergehender Verbindlichkeiten und Rückstellungen für die Kosten der möglichen gerichtlichen Klärung. 1.5.6 Masseverbindlichkeiten/Rückstellungen für auslaufende Kündigungsfristen Die Bewertung von Masseverbindlichkeiten i. S. des § 55 InsO verlangt eine Schätzung 131 nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung.132) Dies wird in der Literatur regelmäßig in Gegenüberstellung zu der Bewertung der sonstigen Verbindlichkeiten nach ihrem Nennwert formuliert. Das könnte fehlerhafter Weise so verstanden werden, dass Masseverbindlichkeiten keinen Nennwert hätten, was nicht der Fall ist. Richtigerweise geht es den Literaturvertretern im Zusammenhang mit § 153 InsO um die Notwendigkeit einer Schätzung, da es sich zum Aufstellungszeitpunkt (Verfahrenseröffnung) um künftige Verbindlichkeiten handelt. Diese Situation ist i. R. der Vergleichsrechnung identisch. Im Rahmen der für maßgeblich erklärten vernünftigen kaufmännischen Beurteilung gel- 132 ten die oben im Zusammenhang mit der Liquidationsbewertung angestellten Überlegungen (siehe Rz. 111). Hierbei war zusammenfassend die Abwicklungsstrategie maßgeblich. Ausgehend von der grundsätzlichen Verpflichtung, die vorhandenen personellen, räumlichen und maschinellen Kapazitäten zu nutzen, ist die Entstehung von unproduktiven Leerkosten (ungenutzte Fixkosten) möglichst zu vermeiden. Nach Maßgabe dieses grundsätzlichen Pflichtenprogramms dürfen insbesondere oktroyierte Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 2, §§ 108, 109, 113 InsO) nicht zum Anlass genommen werden für Rückstellungen i. H. der Verbindlichkeiten aus den Arbeitsverhältnissen für die Dauer der auslaufenden Kündigungsfrist. Wie auch bei der Bewertung des Umlaufvermögens bedarf es einer Analyse des Einzelfalls und der entsprechenden Behandlung. Ist zumindest teilweise eine Ausproduktion, z. B. aufgrund des Leistungsgrades von (Halb-)Fertigerzeugnissen, sinnvoll und möglich, ist nicht der Ansatz der (Masse-)Verbindlichkeiten aus den gekündigten Dauerschuldverhältnissen maßgeblich, sondern der sich errechnende Verlust nach Berücksichtigung der möglichen Wertschöpfungen. 1.5.7 Maßgeblichkeit der Drittelgrenze bei Sozialplanverbindlichkeiten Die Vergleichsrechnung sieht für den Liquidationsfall notwendiger- und richtigerweise die 133 Betriebsschließung und damit die Kündigung sämtlicher Mitarbeiter vor. Bei entsprechender Sozialplanpflicht bedarf es der Aufstellung eines Sozialplans nach Maßgabe der insolvenzrechtlichen Bestimmungen der §§ 123 ff. InsO. Mithin muss i. R. der Vergleichsrechnung das Sozialplanvolumen für die gesamte Belegschaft errechnet werden. Dieses (hypo___________ 132) Harmann in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 36 Rz. 32.

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thetische) Volumen darf indes nicht „einfach“ abgezogen werden von der (hypothetischen) Masse. Denn es gilt die sog. Drittelgrenze des § 123 Abs. 2 Satz 2 InsO. Hiernach darf für die Berichtigung von Sozialplanforderungen nicht mehr als ein Drittel der Masse verwendet werden, die ohne einen Sozialplan für die Verteilung an die Insolvenzgläubiger zur Verfügung stünde. Ein Verstoß hiergegen rechtfertigt eine Zurückweisung nach § 231 InsO. 1.5.8 Verfahrenskosten 134 Im Rahmen der Vergleichsrechnung bedarf es weiterhin der Berücksichtigung der Verfahrenskosten. Im Liquidationsfall errechnen sich diese auf der Grundlage des skizzierten Liquidationsszenarios. Es handelt sich mithin um eine rein hypothetische Betrachtung der Verfahrenskosten. Nicht selten wird in der Praxis aus Anlass dieser Bilanzposition zur Vergütung diskutiert. Streng genommen haben diese Ausführungen indes nichts gemein mit der tatsächlichen Vergütung bei erfolgreicher Plansanierung. Die tatsächliche Vergütung ist „lediglich“ eine Rechengröße bei der betriebswirtschaftlichen Herleitung und hängt in letzter Konsequenz von der (unentbehrlichen) gerichtlichen Festsetzung133) ab, die auch nicht durch abweichende Planregelungen entbehrlich wird. Sofern dem Insolvenzplan Erklärungen des (vorläufigen) Sachwalters oder Insolvenzverwalters i. S. von § 230 Abs. 3 InsO zu maximalen Planzahlen beigefügt werden, stehen sie ohne jeden Zusammenhang zu der vorliegenden Bilanzposition. 135 Errechnet man die hypothetische Vergütung im Liquidationsfall, so ist – wie beschrieben – die Berechnungsgrundlage durch die Vergleichsrechnung definiert. Im Fall der Eigenverwaltung ist regelmäßig die Aufgabe derselben zu unterstellen. Dies führt zum Wegfall des § 12 InsVV (60 %) und macht korrekterweise die Auseinandersetzung mit drei Vergütungstatbeständen, d. h. vorläufige und endgültige Sachwaltung134) sowie endgültige Insolvenzverwaltung und deren Abstimmung aufeinander erforderlich. Für etwaige Zuschlagstatbestände muss berücksichtigt werden, dass solche auch im Liquidationsfall mit guten Argumenten begründbar sind. Überdies bleiben die für die Betriebsfortführung anerkannten Zuschlagstatbestände relevant, da der Liquidation eine Fortführung vorausging. 136 Diese Gesamtumstände werden nicht selten bemüht, die Verfahrenskosten im Liquidationsfall als wesentlichen Faktor für die Vorteilhaftigkeit des Insolvenzplans darzustellen. Das kann im Einzelfall richtig sein, bedarf aber der kritischen Prüfung, insbesondere unter dem Gesichtspunkt wegfallender (Beratungs-)Kosten. 2.

Fortführungsszenario als Vergleichsmaßstab

137 Mit dem beschriebenen Liquidationsszenario sieht die Vergleichsrechnung in jedem Fall ein Vergleichsszenario vor, an dem sich die Planquote messen lassen kann bzw. bei Alternativlosigkeit messen lassen muss. Bemüht man die für die Vergleichsrechnung für maßgeblich erklärte Parallele zu den §§ 151 – 153 InsO, so stellt sich die Frage, ob nicht jeder Vergleichsrechnung sowohl das Liquidations- als auch ein Fortführungsszenario zugrunde liegen muss. So ließe sich argumentieren, wenn man in § 151 Abs. 2 InsO mit Teilen der Literatur in Anlehnung an die Gesetzesmaterialien den zwingenden Dualismus von Liquidations- und Fortführungswert erkennt, d. h. für jeden Vermögenswert selbst dann beide Bewertungen fordert, wenn dem schuldnerischen Betrieb keine Fortführungschancen einge___________ 133) BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482 ff. 134) BGH v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, ZIP 2016, 1592 ff., dazu EWiR 2016, 499 (Beck); BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981 ff., dazu EWiR 2016, 763 (Körner/Rendels).

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räumt werden.135) Das zentrale Argument für dieses Vorgehen wird nachvollziehbar in den Gesetzesmaterialien gesehen. Da die Insolvenzgläubiger im Berichtstermin über die Stilllegung des schuldnerischen Unternehmens oder seine vorläufige Fortführung beschließen oder den Insolvenzverwalter mit der Ausarbeitung eines Insolvenzplans beauftragen, muss das Verzeichnis der Massegegenstände nach § 151 InsO eine Entscheidungsgrundlage durch Angabe der Liquidations- und Fortführungswerte enthalten. Die Gegenüberstellung dieser beiden Werte ist nach der Gesetzesbegründung eine der wichtigsten Entscheidungsgrundlagen für die Frage der Fortführung.136) Unabhängig von der Richtigkeit dieses Verständnisses zu § 151 Abs. 2 InsO137) wird man 138 für die Vergleichsrechnung eine eigene Antwort zu der Frage nach der zwingenden Darstellung der Fortführungswerte ermitteln müssen. Denn der Umstand der Plansanierung als solcher indiziert bereits die grundsätzliche Fortführungsmöglichkeit. Diese Annahme liegt nunmehr auch dem Gesetz zugrunde, wonach „in der Regel zu unterstellen [ist], dass das Unternehmen fortgeführt wird“, sofern auch der Insolvenzplan – und dies ist der Regelfall – eine Unternehmensfortführung vorsieht, vgl. § 220 Abs. 2 Satz 3 InsO. Die Fragestellung ist daher bei der Vergleichsrechnung eine andere: 

Bei § 151 Abs. 2 InsO lautet die Frage, ob man Vermögensgegenstände unter Fortführungsgesichtspunkten bewerten muss, wenn keine grundsätzliche Fortführungsaussicht besteht.



Bei der Vergleichsrechnung lautet die Frage, ob man aufgrund der durch den Insolvenzplan indizierten Fortführungsaussicht auch dann das Vermögen nach Fortführungswerten bestimmen muss, wenn es keinen fortführungsbereiten Dritten gibt. Hierfür streitet § 220 Abs. 2 Satz 4 InsO, der anhand des Kriteriums der „Aussichtslosigkeit“ die Hürden für den Ansatz von Zerschlagungswerten noch höher zu setzen scheint.



In der Folge stellt sich die Frage, ob man aufgrund des Gebots der zweifachen Bewertung i. R. der Vergleichsrechnung zu aktiven Maßnahmen („Bieter- und Investorenprozess“) verpflichtet ist, um einen solchen fortführungswilligen Dritten zu identifizieren (hierzu und zur Verpflichtung zum Dual Track siehe Rz. 149).

2.1

Zwingende Darstellung von Fortführungswerten bei „echter“ Alternativlosigkeit?

Doch zunächst zu der Frage, ob der Planverfasser auch dann das Vermögen nach Fortfüh- 139 rungswerten bestimmen und sich daran bei der Gestaltung der Planquote messen lassen muss, wenn es keinen fortführungsbereiten Dritten gibt und sich ein solcher auch nicht i. R. der Vermarktungs- und Veräußerungsbemühungen finden ließ. Dafür könnte die beschriebene Orientierung an § 151 InsO und das dort verankerte Gebot der zweifachen Bewertung sprechen. Seit dem SanInsFoG weist auch § 220 Abs. 2 Satz 4 InsO in diese Richtung, wonach die Darstellung von Zerschlagungswerten nur bei echter Aussichtslosigkeit statthaft ist. Misst man dieser Formulierung besonders starkes Gewicht zu, spricht dies für eine zwingende Darstellung von Fortführungswerten, da vage Fortführungsszenarien nie gänzlich auszuschließen sind.138) Notwendigerweise müsste die Bewertung dann, mit all ihren Unsicherheiten, auf Gutachtenbasis erfolgen. Gleiches gilt für den beschrie___________ 135) Jungmann in: K. Schmidt, InsO, § 151 Rz. 13; Jaffé in: MünchKomm-InsO, § 151 Rz. 10 ff.; Wegener in: Wimmer, FK-InsO, § 151 Rz. 20. 136) Vgl. Depré in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 151 Rz. 5, obwohl dieser das Gebot der zweifachen Bewertung ablehnt, wenn keine Fortführungsmöglichkeit besteht. 137) Zur Kritik vgl. Depré in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 151 Rz. 5; Haffa in: Braun, InsO, § 151 Rz. 89. 138) Skauradszun, ZIP 2021, 1091, 1093.

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benen Regelungszweck, der darin besteht, den Gläubigern eine Entscheidungsgrundlage für die ihnen obliegende Beschlussfassung über die Fortführung zu bereiten. 140 Gegen eine zwingende Darstellung im Szenario der „echten“ Alternativlosigkeit spricht der Fokus der Vergleichsrechnung i. S. von § 245 Abs. 1 Nr. 1, § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO und der in dieser Hinsicht unmissverständliche Wortlaut. Hiernach kommt es entscheidend auf die Frage an, wie der Beteiligte „ohne einen Plan stünde“. Nimmt man diesen Vergleichsmaßstab ernst, so bleibt bei „echter“ Alternativlosigkeit kein Raum für die Berücksichtigung von Fortführungswerten. Die Neufassung ist zwar geeignet, den Blick des Planerstellers weiter in Richtung der Unternehmensfortführung zu lenken („in der Regel zu unterstellen“, § 220 Abs. 2 Satz 3 InsO; „Fortführung aussichtslos“, § 220 Abs. 2 Satz 4 InsO), womit gleichermaßen sein Begründungsaufwand steigt, wenn er von der Fortführungsprämisse abkehren will. Dennoch bleibt das Zerschlagungsszenario als Alternative denkbar, wenn kein alternatives Fortführungsszenario hinreichend oder überwiegend wahrscheinlich ist. Es wäre widersinnig, ein solches gleichwohl als nächstbestes Szenario zugrunde legen zu müssen, wenn es nicht hinreichend wahrscheinlich (und dennoch nicht gänzlich aussichtlos) ist.139) Die nicht hinreichend wahrscheinliche Fortführung ist in diesem Kontext als echte Alternativlosigkeit zu begreifen, welche die Heranziehung von Zerschlagungswerten rechtfertigt. 141 Des Weiteren findet diese Auslegung ihre Bestätigung in der wohl herrschenden inhaltlichen Bestimmung des Begriffs des Fortführungswerts. Dieser ist Gegenstand einer kontroversen Diskussion im Schrifttum.140) Ausgehend von der Fortführung des Buchwerts erstreckt sich die Diskussion über den steuerlichen Teilwertbegriff des § 6b EStG, den Substanzwert bzw. den Wiederherstellungswert bis hin zum Ertragswert. Diese in der Literatur für § 151 InsO vorgeschlagenen Bewertungsansätze können nur ansatzweise überzeugen.141) Die Insolvenzpraxis behilft sich in solchen und vergleichbaren Situationen regelmäßig mit der Anlehnung an die Vorgaben des IDW. Das IDW beschreibt den Fortführungswert als den Wert, den ein Erwerber des gesamten Unternehmens i. R. eines Gesamtkaufpreises auf der Basis eines konkreten Fortführungs- und Sanierungskonzepts für den einzelnen Vermögensgegenstand zu zahlen bereit wäre.142) 142 Existiert ein solcher Erwerber nicht, fehlt dem Ansatz der Vermögensbewertung zu Fortführungswerten qua Definition die rechtliche, aber v. a. tatsächliche Grundlage. In diesem Moment ist „ein Verkauf des Unternehmens oder eine anderweitige Fortführung aussichtslos“ i. S. des § 220 Abs. 2 Satz 4 InsO, womit die Angabe von Zerschlagungswerten von Gesetzes wegen zulässig ist. In diesem Szenario der Alternativlosigkeit definiert das Liquidationsszenario nach den oben beschriebenen Vorgaben den Vergleichsmaßstab (siehe Rz. 101). Es bedarf auch nicht der Darstellung von hypothetischen Fortführungswerten. Erforderlich und für die Vermeidung der Zurückweisung nach § 231 InsO unerlässlich ist indes die Darstellung der „echten“ Alternativlosigkeit, d. h. der zur Abwendung der Alternativlosigkeit unternommenen Maßnahmen („Investoren- und Bieterprozess“) und deren Erfolglosigkeit, was nunmehr in § 220 Abs. 2 Satz 3 und 4 InsO explizit zum Ausdruck kommt. Wurde auf solche bewusst verzichtet, gelten die nachstehend beschriebenen Grund___________ 139) Skauradszun, ZIP 2021, 1091, 1093; so hat das AG Dresden v. 7.6.2021 – 574 RES 2/21, NZI 2021, 893, wegen der besonderen Kunden- und Produktstruktur ein Liquidationsszenario zugrunde gelegt. 140) Harmann in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 36 Rz. 36 f. 141) Zu den Schwächen des jeweiligen Bewertungsansatzes vgl. Jungmann in: K. Schmidt, InsO, § 151 Rz. 16. 142) IDW, Bestandsaufnahme im Insolvenzverfahren (RH HFA 1.010), Stand: 13.6.2008, Rz. 37, WPg Supplement 3/2008, S. 37 ff., FN-IDW 8/2008, S. 309 ff.

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sätze (siehe Rz. 155). Für die Darstellungstiefe solcher Ausführungen kommt es auf die Entscheidungserheblichkeit zum einen und den Konsens der Beteiligten zum anderen an.143) 2.2

Zwingende Darstellung von Fortführungswerten bei „echter“ (= verbindlicher) Alternative!

Ausgehend von der inhaltlichen Bestimmung ihres Begriffs sind Fortführungswerte zwin- 143 gend darzustellen und Vergleichsmaßstab, wenn ein Erwerber auf der Grundlage eines konkreten Fortführungs- und Sanierungskonzepts ein verbindliches Gesamtkaufpreisangebot zur Übernahme des Unternehmens bzw. sämtlicher Vermögensgegenstände abgibt. Für dieses in der Praxis seltene Szenario eines verbindlichen Drittangebots kann kein Zweifel daran bestehen, dass ein Insolvenzplan sich an dem durch den Gesamtkaufpreis vermittelten Fortführungswert orientieren muss. Genau dies meint § 220 Abs. 2 Satz 3 InsO, wonach der Planersteller „in der Regel zu unterstellen (hat), dass das Unternehmen fortgeführt wird.“ Um Bewertungs- und Vergleichsschwierigkeiten zu vermeiden, sollte der Gesamtkaufpreis sehr weitgehend einzelnen Vermögensgegenständen zugeordnet werden können. Sollte ausnahmsweise die Liquidation (und nicht die Fortführung) das „nächstbeste Alternativszenario“, so genügt die Begründung, dass das hinreichend wahrscheinliche Fortführungsszenario voraussichtlich zu geringeren Befriedigungsquoten führen wird. Über die Fortführungswerte und das diese definierende Gesamtkaufpreisangebot hinaus 144 bedarf es der Darstellung der zur Identifikation solcher Dritten unternommenen Maßnahmen und der Kriterien zur Entscheidungsfindung, sofern mehrere Erwerber verbindliche Angebote unterbreitet haben. Sind für das Regelverfahren mehrere Szenarien denkbar und überwiegend wahrscheinlich, so ist das wahrscheinlichste Szenario maßgeblich. Sind mehrere Szenarien annähernd gleich wahrscheinlich, sind Alternativrechnungen durchzuführen.144) In dieser Hinsicht beansprucht das Transparenzgebot konkrete Ausführungen, denn wie der sachgrundlose Verzicht auf die aktive Investorensuche kann auch die Fokussierung auf einen einzelnen Investor die Zurückweisung nach § 231 InsO rechtfertigen. Für die Darstellungstiefe kommt es auch hierbei auf die Entscheidungserheblichkeit und den Konsens zwischen den Beteiligten an.145) 2.3

Zwingende Darstellung von Fortführungswerten bei „möglicher“ Alternative?

Regelmäßig fehlt zum Zeitpunkt der Vorlage des Insolvenzplans ein verbindliches Ge- 145 samtkaufpreisangebot. Daher fokussiert die Vergleichsrechnung auf die Darstellung des Investorenprozesses. Diese zielt auf die (anonymisierte) Offenlegung der Anzahl der beteiligten Interessenten und deren (Verhandlungs-)Status. Abhängig vom Prozessstand und Zeitpunkt der Vorlage des Insolvenzplans liegen regelmäßig indikative Kaufpreisangebote vor.146) Mit indikativem Angebot wird ein unverbindliches erstes Angebot bezeichnet, das Investoren im Bieterprozess abgeben. Auf Basis dieses Angebots und etwaig formulierter (Rahmen-)Bedingungen für den Unternehmenserwerb findet regelmäßig eine Fortsetzung der Due Diligence – ggf. unter Ausweitung der bereit gestellten Informationen – statt, um in die Verhandlungen für ein konkretes Kaufpreisangebot („binding offer“) zu treten. Es ist fraglich, ob indikative Kaufpreisangebote einen Vergleichsmaßstab in der Vergleichs- 146 rechnung darstellen können. Bedenken könnten bestehen aufgrund der fehlenden Rechts___________ 143) Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 220 Rz. 6. 144) Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 220 Rz. 5 m. w. N., insbesondere zu den aus betriebswirtschaftlicher Sicht erforderlichen Prüfungen und Darlegungen. 145) Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 220 Rz. 6. 146) Rendels/Zabel, Insolvenzplan, S. 53, Rz. 145.

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verbindlichkeit. Sie greifen aufgrund des Prognosecharakters der Vergleichsrechnung indes nicht durch. Mit dem Prognosecharakter wäre es unvereinbar, wenn (Gesamt-)Kaufpreisangebote von Investoren nur bei Rechtsverbindlichkeit den Vergleichsmaßstab begründen würden. Außerdem kann in diesem Fall nicht ohne Not davon ausgegangen werden, dass ein Verkauf des Unternehmens i. S. des § 220 Abs. 2 Satz 4 InsO „aussichtslos“ ist. Nach Auffassung des Verfassers wird die Heranziehung von Zerschlagungswerten mit der Neufassung nicht per se unmöglich. Stellt der Planersteller plausibel dar, dass kein alternatives Fortführungsszenario hinreichend wahrscheinlich ist, genügt er den Anforderungen des § 220 Abs. 2 Satz 4 InsO. Gleichwohl steigen von Gesetzes wegen die Anforderungen an seine Begründung, die nunmehr vor allem substantiierte Ausführungen umfassen muss, warum die Fortführung trotz eines (indikativen) Angebots „aussichtslos“ sein soll. Maßgebliches Kriterium ist die hinreichende bzw. überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass das Fortführungsszenario realisierbar ist. 147 Nicht „jedes“ indikative Angebot ist geeignet, als Fortführungsszenario und damit Vergleichsmaßstab berücksichtigt zu werden. Andernfalls könnten Insolvenzpläne allzu leicht durch Scheinangebote manipuliert und torpediert werden.147) Ausgehend vom Wortlaut der die Vergleichsrechnung mittelbar regelnden Bestimmungen (§ 245 Abs. 1 Nr. 1, § 251 InsO etc.) darf durch den Insolvenzplan voraussichtlich keine Schlechterstellung eintreten. Unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Vergleichsrechnung muss der Maßstab für diese Prognose streng sein und voraussichtlich als überwiegend bzw. hinreichend wahrscheinlich verstanden werden.148) Voraussetzung hierfür ist zunächst ein konkretes und ernst zu nehmendes Angebot.149) Die Konkretheit indiziert hierbei nicht nur die Ernsthaftigkeit des Interesses, sondern ermöglicht insbesondere die Messbarkeit der Erfolgsaussichten im weiteren Prozessverlauf. Das Hauptaugenmerk gilt etwaigen Bedingungen, die entweder nicht oder nur schwerlich erfüllbar sind und deren Nichteintritt entweder das Verhandlungsende oder die Anpassung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bedeuten, so z. B. das Ausscheiden von Führungskräften oder die arbeitsrechtliche Restrukturierung. Weiterhin Indizwirkung für die Ernsthaftigkeit und damit die überwiegende Wahrscheinlichkeit hat die Vereinbarkeit der Angebotsstruktur mit den rechtlichen Rahmenbedingungen eines Unternehmenserwerbs in der Insolvenz (z. B. keine Garantien, Risikotragung gemäß § 613a BGB etc.) und die Intensität der Prüfungs- und Verhandlungstätigkeit. Prozessual aus Anlass eines indikativen Angebots nicht zwingend, aber als positives Indiz zu werten ist die Vorlage eines Finanzierungsnachweises. 148 Nur wenn die Prämissen für eine Unternehmensveräußerung im Ganzen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit realisierbar und die darauf aufbauenden Schlussfolgerungen schlüssig sind, kann hierin ein Vergleichsmaßstab erkannt werden und die Gegenüberstellung sämtlicher wirtschaftlichen Vor- und Nachteile erfolgen.150) 3.

Verpflichtung zur aktiven Suche eines Fortführungsszenarios – Verpflichtung zum Dual Track?

149 Ausgehend von der Abhängigkeit des Fortführungswerts von einem Erwerber des gesamten Unternehmens i. R. eines Gesamtkaufpreises liegt die Schlussfolgerung nahe, dass eine ___________ 147) Thies in: HambKomm-InsO, § 220 Rz. 7. 148) Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 220 Rz. 5; Pleister in: KPB, InsO, § 245 Rz. 11; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 220 Rz. 6; Thies in: HambKomm-InsO, § 220 Rz. 7; für die Neufassung in § 220 Abs. 2 Satz 4 InsO nunmehr Skauradszun, ZIP 2021, 1091, 1093; für § 6 Abs. 2 Satz 3 StaRUG Skauradszun, KTS 2021, 1, 64. 149) Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 220 Rz. 7; AG Cuxhaven v. 14.9.2017 – 12 IN 168/16, ZInsO 2017, 2128, 2129; a. A. wohl Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 220 Rz. 6. 150) Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 245 Rz. 10.

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ordnungsgemäße Vergleichsrechnung eine Marktansprache zwingend voraussetzt. Denn ohne aktive (Investoren-)Suche besteht entweder keine Vergleichsmöglichkeit oder Unsicherheit darüber, ob das Vergleichsszenario zutreffend gewählt ist, da Sanierungsalternativen nicht gesucht worden sind. Die Insolvenzpraxis spricht in diesem Zusammenhang regelmäßig vom sog. Dual-Track-Verfahren. Bei diesem erfolgt neben der Ausarbeitung eines Insolvenzplans die Suche nach Investoren für einen Asset Deal. Ergänzend hierzu kann die Investorensuche auch zusätzlich auf einen Investor für einen Share Deal ausgerichtet werden.151) Die Maßgeblichkeit des Dual-Track-Verfahrens und eine diesbezügliche Verpflichtung sind 150 indes nicht unbestritten. So gibt es Stimmen in der Literatur152) und mittlerweile auch in der Rechtsprechung,153) die eine Verpflichtung zum Investorenprozess ablehnen. Soweit ersichtlich beruht die Argumentation der Literaturvertreter in erster Linie auf der Unvereinbarkeit eines Investorenprozesses mit der Eigenverwaltung im Allgemeinen („zwei komplexe sich in ihren Zielen ausschließende Prozesse“) und dem Schutzschirmverfahren im Besonderen. Nach Ansicht des Verfassers kommt es für die Antwort auf die Frage nach der Verpflichtung zum Investorenprozess nicht auf die Anordnung der Eigenverwaltung (§§ 270a, 270b InsO) an. Auch bei dieser Verfahrensart handelt es sich um ein Insolvenzverfahren, das auf die bestmögliche Gläubigerbefriedigung gerichtet ist und daher jedenfalls im Grundsatz zur aktiven Marktansprache verpflichtet. § 220 Abs. 2 Satz 3 InsO, der mit dem SanInsFoG Einzug in die InsO gehalten hat und 151 das Heranziehen von Zerschlagungswerten nur in Ausnahmefällen vorsieht, enthält keine Vorgaben zur Durchführung eines Investorenprozesses;154) dies, obwohl sich der Gesetzgeber über die Kontroverse im Klaren war. Entsprechende Vorschläge sind etwa im Forschungsbericht zur ESUG-Evaluierung enthalten.155) Teilweise wird daraus geschlossen, dass sich der Gesetzgeber damit endgültig gegen die Verpflichtung zum Dual-Track-Verfahren entschieden hat.156) In Verbindung mit § 220 Abs. 2 Satz 4 InsO lässt sich allerdings aus der Neufassung ableiten, dass der Gesetzgeber das Fortführungsszenario als Regelfall begreift. Abweichungen sind nur zulässig, wenn die Fortführung „aussichtslos“ ist. Von echter Aussichtslosigkeit kann nur ausgegangen werden, wenn sämtliche Fortführungsalternativen ausgelotet worden sind und keine hinreichend wahrscheinlich ist. Erst dann genügt die Vergleichsrechnung den Anforderungen an eine fundierte Begründung. Damit spricht die Neufassung jedenfalls mittelbar für die Verpflichtung zum Dual-Track.157) Von diesem Grundsatz kann allerdings im Einzelfall abgewichen werden. Auch dem IDW S 2 liegt ein flexibles Verständnis zugrunde. Ein M&A-Prozess könne insbesondere in Konflikt mit der Eigenverwaltung geraten.158) In diesem Fall könne eine Unternehmensbewertung einen ___________ 151) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 2 Rz. 89 ff.; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 245 Rz. 41. 152) Buchalik/Schröder, ZInsO 2016, 189, 190; Berner/Köster/Lambrecht, NZI 2018, 425, 430; Schröder/ Rekers, ZInsO 2019, 711, 713; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 245 Rz. 41, wenn auch mit einem anderen Ziel und Ergebnis. 153) LG Köln v. 17.12.2020 – 1 T 440/20, NZI 2021, 397 m. Anm. Madaus = ZRI 2021, 470 – zu § 220 Abs. 2 InsO n. F.; LG Stade v. 29.12.2017 – 7 T 151/17, NZI 2019, 31 = ZInsO 2018, 614; AG München v. 14.8.2018 – 1511 IN 2637/17, ZInsO 2018, 1925 – jeweils zu § 220 Abs. 2 InsO a. F. 154) Vorschläge für eine Regelung de lege ferenda unterbreiten Kübler/Rendels, ZIP 2018, 1369. 155) Jacoby/Madaus/Sack/H. Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, S. 191. 156) LG Köln v. 17.12.2020 – 1 T 440/20, NZI 2021, 397 m. zust. Anm. Madaus = ZRI 2021, 470. 157) Thies in: HambKomm-InsO, § 220 Rz. 7; Spahlinger in: KPB, § 220 Rz. 20f, hält das Dual-TrackVerfahren für empfehlenswert, aber nicht für verpflichtend. 158) IDW Standard, Anforderungen an Insolvenzpläne (IDW S 2), Stand: 18.11.2019, Rz. 78 ff., IDW Life 1/2020, S. 45 ff.

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ersten Aufschluss über die Sinnhaftigkeit eines M&A-Prozesses geben. Zu der Frage, einen M&A-Prozess durchzuführen, könne ein Votum des (vorläufigen) Gläubigerausschusses eingeholt werden. 3.1

Grundsatz: Verpflichtung zum Investorenprozess

152 Aus dem allumfassenden Postulat des § 1 Satz 1 InsO heraus besteht im Grundsatz eine Verpflichtung zur Durchführung eines aktiven Investorenprozesses.159) Eine Auseinandersetzung mit Initiativansprachen und -angeboten ist nicht ausreichend. Es bedarf einer aktiven Marktansprache. Nur diese grundsätzliche Verpflichtung schafft auch die Absicherung und das Vertrauen der Beteiligten, deren Prüfung entscheidend ist für den Planprozess („Wir haben ja nie gesucht?“). Sämtliche Argumente im Zusammenhang mit etwaigen Kosten, der Bindung schuldnerischer und persönlicher Ressourcen der Beteiligten können im Einzelfall (siehe Rz. 155) ausnahmsweise relevant sein. Bei der Festlegung des Grundsatz-(Dual-Track-Verfahren)/Ausnahme-(Verzicht auf das Dual-Track-Verfahren)-Verhältnisses können diese Argumente aufgrund der Maßgeblichkeit des § 1 Satz 1 InsO nicht relevant sein. 153 Die Anwendung dieses Grundsatzes auf die Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung führt auch nicht zu dem von der Literatur angenommenen Sanierungshindernis. Hierfür bedarf es besonderer Umstände, die darzulegen und im Hinblick auf eine Ausnahme von dem angenommenen Grundsatz (siehe Rz. 155) zu begründen sind. Gleiches gilt für das Argument der von der notwendigen Offenlegung der sensiblen und vertraulichen Daten ausgehenden „Spionagegefahr“. Es ist in dieser Allgemeinheit nicht geeignet, auf Maßnahmen i. S. der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung zu verzichten. Soweit hierbei insbesondere eine besondere Unvereinbarkeit mit dem Schutzschirmverfahren160) und dem Restrukturierungsverfahren161) angenommen wird, kann auch dies nicht überzeugen. Die Anordnung des Schutzschirmverfahrens rechtfertigt das Privileg der fortbestehenden Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis unter Verzicht auf Sicherungsmaßnahmen bei gleichzeitiger Anordnung eines Vollstreckungsverbots. Hinsichtlich des Verfahrensziels sollen die Privilegien der Eigenverwaltung im Allgemeinen und des Schutzschirms im Besonderen indes keine Erleichterungen erfahren. Bestätigung findet diese Wertung durch die Entscheidung des BGH v. 26.4.2018 zur analogen Anwendbarkeit der §§ 60, 61 InsO auf die Geschäftsleiter in der Eigenverwaltung,162) die nunmehr auch von Gesetzes wegen angeordnet ist, vgl. § 276a Abs. 2 InsO. Die Neuregelung bringt (nochmals) den Gleichlauf des Pflichtenkatalogs von (vorläufigem) Insolvenzverwalter und (vorläufigem) Eigenverwalter zum Ausdruck. In diesem Lichte muss die von der Rechtsprechung163) für den (vorläufigen) Insolvenzverwalter angenommene Haftungsgefahr bei unterbliebener Investorensuche auch für den (vorläufigen) Eigenverwalter gelten.164) ___________ 159) Leib/Rendels, EWiR 2015, 23, 24 (Urteilsanm.); Fröhlich/Eckhardt, ZInsO 2015, 925; wohl auch Drukarczyk in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 80 ff.; Kübler/Rendels, ZIP 2018, 1369; anders zumindest im Hinblick auf das Grundsatz-Ausnahme-Verständnis, LG Stade v. 29.12.2017 – 7 T 151/17, NZI 2019, 31= ZInsO 2018, 614 – jeweils zu § 220 Abs. 2 InsO a. F. 160) Riggert, NZI Editorial Heft 23/2016. 161) Böhm in: Braun, StaRUG, § 26 Rz. 24; Ringelspacher/Fehl-Weileder, ZRI 2022, 210, 213; AG Hamburg v. 12.4.2021 – 61a RES 1/21, ZRI 2021, 473 = NZI 2021, 544, dazu EWiR 2021, 440 (Stahlschmidt). 162) BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977 m. Anm. Bitter. 163) BGH v. 3.3.2016 – IX ZR 119/15, ZIP 2016, 727, dazu EWiR 2016, 309 (Jungmann); OLG München v. 21.3.1997 – 14 U 520/96, NZI 1998, 84. 164) Hierzu zutreffend Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 2 Rz. 90, bereits im Vorfeld der Entscheidung des BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977 m. Anm. Bitter, dazu EWiR 2018, 339 (Thole).

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Diese Wertung lässt auch nicht den – ebenso in § 1 Satz 1 InsO angelegten – Sanierungs- 154 gedanken unberücksichtigt.165) Denn ein Investorenprozess kann in gleicher Weise Sanierungsoptionen hervorbringen, die entweder favorisiert zu berücksichtigen sind oder erst Bedeutung bekommen, wenn die Erfolgsaussichten der Eigensanierung im laufenden Sanierungsprozess geringer werden. Insoweit sichert der Dual Track die Sanierung sogar ab. Die Annahme einer Verpflichtung zum Dual Track erst bei Erkennbarkeit des Scheiterns der Eigensanierung166) ist weder i. S. der Sanierung des Unternehmens noch vereinbar mit dem Zeit- und Handlungsdruck, der bei Erkennbarkeit des Scheiterns besteht. Insoweit kann von der aktiven Marktansprache sogar ein positiver Wettbewerb der Sanierungsszenarien ausgehen, indem das (Eigen-)Sanierungskonzept frühzeitiger verbindlich und zur Umsetzung bereit ist, um für Alternativkonzepte die Hürden zu erhöhen und den natürlichen Vorsprung der Eigenverwaltung zu nutzen.167) 3.2

Ausnahme: Verzicht auf Investorenprozess bei Vorliegen von Sachgründen

Die Festlegung des Grundsatz-(Dual-Track-Verfahren)/Ausnahme-(Verzicht auf Dual- 155 Track-Verfahren)-Verhältnisses ist in erster Linie dem Postulat des § 1 Satz 1 InsO geschuldet. Die für einen Verzicht auf einen Dual Track vorgetragenen Argumente mögen im Einzelfall relevant sein, können aber nicht zu einem grundsätzlichen Verzicht auf einen Investorenprozess in der Eigenverwaltung führen. Ebenso wenig können sie dazu führen, dass diese Fragestellung bei ungeklärtem Grundsatz-Ausnahme-Verhältnis in das Ermessen des Planverfassers gestellt wird. Es besteht daher die Notwendigkeit der Festlegung von Grundsatz und Ausnahme in dem beschriebenen Verhältnis, der Analyse des Einzelfalls und der Festlegung von Kriterien zur Abweichung vom Grundsatz. Ausgehend hiervon bedarf es der Überprüfung des Einzelfalls und des Vorliegens einer 156 Ausnahmesituation. Die Annahme einer solchen erfordert einen Sachgrund: Die Anordnung der Eigenverwaltung und/oder das Vorliegen der Voraussetzungen des § 270d InsO rechtfertigen wie beschrieben keine Generalausnahme, können aber als ein Kriterium für den Ausnahmecharakter berücksichtigt werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn die durch die Eigenverwaltung beabsichtigte Sanierung sehr weitgehend ausgestaltet, bestenfalls rechtsverbindlich ist. Hierbei können die Vorlage eines Insolvenzplans mit den entscheidungserheblichen Tatsachen i. S. des § 220 InsO im Antragsverfahren und ein verbindlicher Gesellschafterbeitrag Indizwirkung haben. Die Annahme einer Ausnahmesituation beruht dann im Kern auf der Abwägung, ob die mit der Öffnung des Investorenprozesses erhoffte Besserstellung der Gläubiger in einem angemessenen Verhältnis steht zu den mit dem Investorenprozess verbundenen Risiken für die schon rechtsverbindlich ausgestaltete Eigensanierung. Beruht letztere auf dem Vergleich mit der Liquidation, so ist im Zweifeln der Investorenprozess durchzuführen; liegt der Vergleichsrechnung eine faire Unternehmensbewertung des plansanierten Unternehmens (siehe Rz. 167) zugrunde, so kann sogar eine Ermessensreduzierung auf null vorliegen und (verpflichtend) auf den Investorenprozess verzichtet werden. Ebenso relevant sind die nachstehenden Fallgruppen, die im gemeinsamen Nenner auf 157 Transaktionsrisiken i. R. einer übertragenden Sanierung zielen und dadurch Zweifel an ___________ 165) Nicht zwingend vom Ergebnis, aber von der grundsätzlichen Annahme anders: LG Stade v. 29.12.2017 – 7 T 151/17, NZI 2019, 31 = ZInsO 2018, 614. 166) So Riggert, NZI Editorial Heft 23/2016. 167) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 2 Rz. 90, räumt Gesellschaftern zu diesem Zweck zutreffend das Recht ein, in Reaktion auf das Ergebnis des Investorenprozesses den Gesellschafterbeitrag zu erhöhen.

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der überwiegenden Wahrscheinlichkeit einer Fortführungsvariante durch Dritte begründen können: 

Existenz betriebsnotwendiges Vermögen im (insolvenzfesten) Eigentum Dritter (z. B. Marken-, Lizenz- und Patentrechte);



Aufspaltung von Besitz- und Betriebsgesellschaft und fehlendes Insolvenzereignis bei der Besitzgesellschaft;



Konzernsachverhalte, z. B. fehlende Insolvenz der Vertriebsgesellschaft;



vermögensmäßiger Schwerpunkt im Bereich immaterieller Vermögensgegenstände (Asset Lean).

158 Neben diese rechtlich motivierten Sachgründe können sog. weiche Faktoren treten, wie z. B. 

Kundenpositionierung und (Führungs-)Mitarbeiterbindung;



Integrationskraft des Unternehmers („Die Sanierung steht und fällt mit […]“);



besonderes Vertraulichkeitsbedürfnis/Spionage- und Wettbewerbsgefahr.

159 Diese Fallgruppen sind mit größter Zurückhaltung zu bemühen und verlangen einen über Dritte objektivierten Tatsachenkern. Für eine für den Sanierungserfolg bedeutsame Kundenpositionierung (OEM) sei folgendes Praxisbeispiel genannt: „[…] bitte berücksichtigen Sie, dass die Entscheidung in unseren Gremien zum Verbleib der Neu-Aufträge bei XY u. a. aufgrund der Zusage der XY Gruppe getätigt wurde. Sollte sich abzeichnen, dass die XY Gruppe nicht mehr die Inhaberin von XY sein wird, wird der Verbleib der Neu-Aufträge erneut intern diskutiert werden müssen. Darüber hinaus möchten wir Ihnen mitteilen, dass wir es für außerordentlich herausfordernd halten, zeitnah geeignete Alternativen zu finden, denen wir die Abarbeitung der Neuprojekte auch zutrauen würden.“ 160 Ein ähnlicher Maßstab ist zu fordern für eine mögliche Mitarbeiterbindung. An die Stelle unreflektierter Aussagen der Geschäftsleitung muss die Erklärung der betroffenen Mitarbeiter/Teams treten. 3.3

Ausgestaltung des Investorenprozesses

161 Sämtlichen Fallkonstellationen ist gemein, dass es sich um echte Einzelfallentscheidungen handelt. Die hierfür erforderliche Abwägung erfordert eine offene Auseinandersetzung zwischen Schuldnerin, Sachwalter bzw. Insolvenzverwalter und (vorläufigem) Gläubigerausschuss unmittelbar nach Antragstellung. 162 Diese Abwägung muss in eine Entscheidung des (vorläufigen) Sachwalters/Insolvenzverwalters bzw. (vorläufigen) Eigenverwalters münden. Ungeachtet ihrer Tragweite für die Erfolgsaussichten und Hürden der Plansanierung, die mögliche Parallelität von Sanierungsund Investorenprozess und die hiermit verbundenen Kosten und Ressourcenbindung muss diese Entscheidung in der ersten Hälfte des Insolvenzantragsverfahrens getroffen werden.168) Die Dynamik des Sanierungsprozesses und die Vorbereitung der gerichtlichen Eröffnungsentscheidung erfordern eine solche zeitliche Strenge. Die dokumentierte Darstellung und Begründung erfolgt im weiteren Prozess im Insolvenzplan im Zusammenhang mit der Festlegung des Vergleichsmaßstabs unter Berücksichtigung der dargestellten Prüfungsinstanzen. 163 Die Darlegungslast liegt bei dem für die Sanierung verantwortlichen (vorläufigen) Sachwalter/Insolvenzverwalter oder Eigenverwalter; sie ist qualifiziert, da sie auf den „Genuss“ ___________ 168) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 2 Rz. 93.

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einer Ausnahme zielt. Bei etwaigen Zweifeln ist der Investorenprozess durchzuführen. Diese Auslegungsregel bei Schwierigkeiten im Entscheidungsprozess hat in der Insolvenzpraxis mitunter zur Durchführung sog. Schein- oder Feigenblattprozesse169) geführt. Auch wenn die Entscheidung für oder gegen den Investorenprozess in Anlehnung an die (Haftungs-)Rechtsprechung170) für den (vorläufigen) Insolvenzverwalter bei unterbliebener Investorensuche haftungsbewehrt sein kann, ist die Durchführung eines solchen Scheinoder Feigenblattprozesses die schlechteste Entscheidung der denkbaren Möglichkeiten. Denn die Prozessorganisation bringt weder die Vorteile der aktiven Marktansprache (z. B. Akzeptanzgewinn für die Plansanierung bei den Beteiligten, erhöhte Integrationskraft des Plankonzepts, Absicherung des Planprozesses durch Identifikation echter – ggf. ergänzender – Alternativen) noch werden hierdurch die befürchteten Nachteile (z. B. Kosten, Vertraulichkeit, persönliche Ressourcen etc.) vermieden. Abgesehen hiervon verursacht ein Schein- oder Feigenblattprozess einen Reputationsschaden für die investorenbasierte Sanierung durch Insolvenz, da keine Bereitschaft zur ernsthaften (zeit- und kostenintensiven) Prüfung besteht, wenn der Investor weiß, dass er nur dem Markttest und als „Spielball“ dient.171) Dieses Vorgehen kann Ausdruck fehlender Individualität in der Ausgestaltung des In- 164 vestorenprozesses sein. Dies wiederum kann eine „Schwarz-weiß“-Betrachtung bei der Entscheidung für oder gegen einen Investorenprozess sein. Denn regelmäßig wird mit der Entscheidung für einen Investorenprozess das „große Rad“ des strukturierten Bieterprozesses verbunden. Das ist indes nicht zwingend. In einem echten Zweifelsfall der Entscheidungsfindung beim Dual-Track-Verfahren bestehen keine Bedenken, den Investorenprozess individuell auszugestalten. Hierzu gehört die Möglichkeit des sog. stillen Investorenprozesses. Dieser ist gekennzeichnet durch eine individuelle und gezielte Ansprache von Investoren anstelle des unreflektierten Abarbeitens einer Long List („Qualität statt Quantität“). Denkbar erscheint der Einsatz unterschiedlicher Informationsmemoranden (IM) anstelle von Prozessbriefen. Angesichts der Gratwanderung zum Schein- und Feigenblattprozess muss die Prozess- 165 steuerung beim (vorläufigen) Sachwalter bzw. Insolvenzverwalter liegen; für den (vorläufigen) Sachwalter ist dies rechtlich keineswegs zwingend. Im Gegenteil stößt eine originäre Prozessverantwortung auf Widerspruch mit der reinen Überwachungsfunktion des (vorläufigen) Sachwalters und dem rechtlich notwendigen Handeln der Schuldnerin. Allein diese ist – in den Grenzen des § 275 InsO – verwaltungs- und verfügungsbefugt und damit taugliche Partei von Verschwiegenheitsvereinbarungen (Non-Disclosure Agreement) und geeignete Empfängerin von Absichts- oder Angebotserklärungen. Insoweit kann die Steuerung im Fall der (vorläufigen) Sachwaltung nur faktisch gemeint sein. Gleichwohl bleibt ein Konflikt, den die Rechtsprechung des BGH zur Vergütung des (vorläufigen) Sachwalters („Der (vorläufige) Sachwalter kann seine Aufgaben nicht eigenmächtig in zulasten der Masse vergütungspflichtiger Weise erweitern […]“) erkennt, aber nicht sachgerecht zu lösen vermag. Zumindest förderlich für die Auflösung des möglichen Konflikts zwischen rechtlicher und 166 faktischer Steuerung ist die Entscheidung BGH v. 26.4.2018 zur analogen Anwendbarkeit ___________ 169) Diese Praxis wird auch als Argument gegen einen verpflichtenden M&A-Prozess angeführt. Insbesondere das Eigenverwaltungsverfahren berge die Gefahr, dass der der Verkaufsprozess nicht mit der notwendigen Ernsthaftigkeit verfolgt werde, IDW Standard, Anforderungen an Insolvenzpläne (IDW S 2), Stand: 18.11.2019, Rz. 80, IDW Life 1/2020, S. 45 ff.; Schröder/Rekers, ZInsO 2019, 711, 714. 170) BGH v. 3.3.2016 – IX ZR 119/15, ZIP 2016, 727; OLG München v. 21.3.1997 – 14 U 520/96, NZI 1998, 84. 171) Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 245 Rz. 41.

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2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

der §§ 60, 61 InsO auf die Geschäftsleiter in der Eigenverwaltung, die den Gesetzgeber dazu bewogen hat, eine entsprechende Norm (§ 276a Abs. 2 InsO) zu schaffen. Sie bringt den Gleichlauf des Pflichtenkatalogs von (vorläufigem) Insolvenzverwalter und (vorläufigem) Eigenverwalter zum Ausdruck. In diesem Lichte muss die von der Rechtsprechung für den (vorläufigen) Insolvenzverwalter angenommene Haftungsgefahr bei unterbliebener Investorensuche auch für den (vorläufigen) Eigenverwalter gelten. 3.4

Notwendigkeit der Unternehmensbewertung bei Verzicht auf Investorenprozess

167 Gelangt die Abwägung und Entscheidungsfindung zu einer Ausnahme in dem beschriebenen Sinne, so kann auf die Durchführung eines Investorenprozesses verzichtet werden. Im Lichte der Gefahr eines „Schein- und Feigenblattprozesses“ ist ein verantwortliches Bekenntnis zum Vorliegen einer Ausnahme und die Verteidigung dieser Positionierung i. R. der Vergleichsrechnung die bessere Entscheidung. 168 Anders als mitunter in der Insolvenzpraxis angenommen, bedingt diese Entscheidung nicht zwingend, dass die Liquidation zum (alleinigen) Vergleichsmaßstab wird (vgl. nunmehr § 220 Abs. 2 Satz 3 InsO). Die Anerkennung des Ausnahmecharakters führt zunächst „nur“ dazu, dass der Insolvenzplan sich nicht an den Ergebnissen einer aktiven Marktansprache messen lassen muss. Dieses Privileg ist gerechtfertigt durch einen Sachgrund, der i. R. der Prognose mögliche Ergebnisse aus dem Investorenprozess für weniger wahrscheinlich und gewichtig erachtet als Gefahren für das Plankonzept. 169 Dieses Privileg sichert indes nicht die Liquidation als Vergleichsmaßstab. Richtig ist, dass die Bedeutung der Liquidationsrechnung – als notwendiger Bestandteil einer jeden Vergleichsrechnung – als Ausgangspunkt der Bewertung steigt, wenn man auf einen Investorenprozess verzichtet. Insoweit ist die Durchführung der Liquidationsrechnung lege artis (siehe Rz. 97) von größter Bedeutung. Dies gilt insbesondere für die Bewertung des Umlaufvermögens und notwendige Rückstellungen, beides unter Berücksichtigung einer Schließungsstrategie und nicht mit der Annahme der sofortigen Schließung. 170 Die Quotenerwartung in diesem Liquidationsszenario ist die Grundlage zur Beurteilung der Notwendigkeit weiterer Maßnahmen zur Unternehmensbewertung. Denkbar ist die Gegenüberstellung mit hypothetischen Gesamtkaufpreisangeboten. Im Lichte der in Anlehnung an die IDW-Standards angenommenen Definition des Fortführungswerts als den Wert, den ein Erwerber des gesamten Unternehmens i. R. eines Gesamtkaufpreises auf der Basis eines konkreten Fortführungs- und Sanierungskonzepts für den einzelnen Vermögensgegenstand zu zahlen bereit wäre,172) geht diese Gegenüberstellung in die richtige Richtung. Insoweit zielt die Frage nach der Notwendigkeit weiterer Maßnahmen zur Unternehmensbewertung auf die Diskussion bei der allgemeinen Unternehmensbewertung und der Aktivierung des Firmenwerts im Überschuldungsstatus. In diesem Kontext ist der Ansatz eines Geschäftswerts nur dann zulässig, wenn greifbare Aussichten bestehen, Unternehmensbestandteile zu veräußern und dabei einen über den – auf der Aktivseite ohnehin bereits berücksichtigten – Substanzwert hinausgehenden Erlös zu erzielen.173) 171 Voraussetzung hierfür sind – wie dargestellt (siehe Rz. 97) – konkrete Erwerbsangebote, die nachgewiesen werden müssen.174) Wird jedoch entgegen der angenommenen grund___________ 172) IDW, Bestandsaufnahme im Insolvenzverfahren (RH HFA 1.010), Stand: 13.6.2008, Rz. 37, WPg Supplement 3/2008, S. 37 ff., FN-IDW 8/2008, S. 309 ff. 173) Harmann in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 35 Rz. 18 ff. 174) OLG Frankfurt/M. v. 25.10.2000 – 17 U 63/99, NZG 2001, 173 ff.; IDW Standard, Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen (IDW S 11), Stand: 23.8.2021, Rz. 79, IDW Life 1/2022, S. 107 ff.

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sätzlichen Verpflichtung auf die Durchführung eines Investorenprozesses verzichtet, können die Fragen nach der grundsätzlichen Veräußerbarkeit, der Transaktionsfähigkeit i. R. einer übertragenden Sanierung sowie dem realistischer Weise zu erwartenden Kaufpreis nicht durch eine Marktansprache beantwortet bzw. indiziell bewertet werden. Für dieses Szenario kann das Fehlen von Angeboten keine Indizwirkung für die Wahrscheinlichkeit der Veräußerbarkeit darstellen. In diesem Fall muss die Überprüfung der Wahrscheinlichkeit von Sanierungsalternativen 172 durch Marktansprache ersetzt werden durch eine Unternehmensbewertung.175) Wie ausgeführt können die in der allgemeinen Unternehmensbewertung denkbaren methodischen Ansätze – ausgehend von der Fortführung des Buchwerts über den steuerlichen Teilwertbegriff des § 6b EStG, den Substanzwert bzw. den Wiederherstellungswert bis hin zum Ertragswert – nur eingeschränkt überzeugen. Methodische und praktische Schwierigkeiten bereitet die angemessene Berücksichtigung der Insolvenzsituation auf der einen und des Zukunftserfolgswerts auf der anderen Seite. Letzteres ist unerlässlich, da Gegenstand der Unternehmensbewertung das nach den Vorstellungen des Planverfassers (plan-)sanierte Unternehmen ist. Ungeachtet dieser methodischen Unsicherheiten muss der Aufwand der Unternehmensbewertung aus Anlass der Vergleichsrechnung sowohl in zeitlicher als auch kostenmäßiger Hinsicht im Verhältnis bleiben. Methodisch begründbar und praktisch beherrschbar erscheint eine gutachterliche Stellung- 173 nahme in Anlehnung an den Bewertungsstandard IDW S 8 des IDW176). Dieser Standard legt vor dem Hintergrund der in Theorie und Praxis entwickelten Standpunkte die Grundsätze dar, nach denen Wirtschaftsprüfer Stellung zur finanziellen Angemessenheit von Transaktionspreisen nehmen (sog. Fairness Opinions). Fairness Opinions sind insofern fachliche Stellungnahmen zu dem Ergebnis eines Entscheidungsprozesses i. R. einer unternehmerischen Initiative und hierbei insbesondere zur finanziellen Angemessenheit eines aus dieser Initiative resultierenden Transaktionspreises. Typischerweise kommen Fairness Opinions bei unternehmerischen Initiativen zum Einsatz, die mit zeitlichen Restriktionen, finanziellen und rechtlichen Zwängen sowie einem eingeschränkten Informationszugang einhergehen. Diese Rahmenbedingungen entsprechen dem Bewertungsbedürfnis aus Anlass der Ver- 174 gleichsrechnung und sind auch der Anlass für die für sinnvoll erachtete Orientierung am IDW S 8 und nicht am Bewertungsstandard IDW S 1177). Vor dem Hintergrund, dass Fairness Opinions i. S. des IDW S 8 für sich alleine genommen kein Instrument zur Ermittlung von Unternehmenswerten sind, ist weiterhin eine Orientierung am IDW S 1 i. V. m. dem IDW-Praxishinweis 1/2014178) geboten. Diese Orientierung kann indes nur ergänzend zu verstehen sein, da eine Unternehmensbewertung nach dem IDW S 1 aus Anlass der in Rede stehenden Situation des Unternehmens aufgrund der beschriebenen Zwänge weder erforderlich noch sinnvoll ist. Eine Unternehmensbewertung des (plan-)sanierten Unternehmens nach diesem methodischen Rahmen wäre insoweit der „Preis“ für den Planverfasser, um auf die aktive Marktansprache zu verzichten. Weitere Voraussetzung für diesen ___________ 175) Hierzu AG München v. 14.8.2018 – 1511 IN 2637/17, ZInsO 2018, 1925; Schröder/Rekers, ZInsO 2019, 711; Fröhlich, ZInsO 2022, 186. 176) IDW Standard, Grundsätze für die Erstellung von Fairness Opinions (IDW S 8), Stand: 17.1.2011, FN-IDW3/2011, S. 151 ff. 177) IDW Standard, Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1 i. d. F. 2008), Stand: 4.7.2016, WPg Supplement 3/2008, S. 68 ff., IDW Life 8/2016, S. 731. 178) IDW, Besonderheiten bei der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswertes kleiner und mittelgroßer Unternehmen (IDW Praxishinweis 1/2014), Stand: 5.2.2014, WPg Supplement 2/2014, S. 28 ff.

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2. Teil Insolvenzplan – Einzelaspekte

Verzicht ist das Vorliegen des beschriebenen Sachgrundes, um von der Verpflichtung zum Dual Track abweichen zu dürfen. VIII. Besonderheiten der Vergleichsrechnung bei selbstständig tätigen Personen 175 Bei Insolvenzplanverfahren über das Vermögen selbstständiger natürlicher Personen bedarf es für die Zwecke der Vergleichsrechnung über die beschriebenen Notwendigkeiten hinaus der Auseinandersetzung mit der Arbeitskraft des Schuldners. Diese stellt regelmäßig den einzigen oder zumindest den zentralen Unternehmenswert dar. 1.

Berücksichtigung der Unpfändbarkeit

176 Für die Darstellung und Bewertung der in der Vermögensübersicht aufgenommenen Vermögensgegenstände (Aktiva) auf der einen und der Verbindlichkeiten (Passiva) auf der anderen Seite gelten die obigen Ausführungen. Besonderheiten können sich allenfalls im Zusammenhang mit der Unpfändbarkeit ergeben, wenn es z. B. um Vermögensgegenstände geht, die zur Fortsetzung einer Erwerbstätigkeit auf der Grundlage geistiger oder körperlicher Arbeit erforderlich sind (§ 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO, §§ 4, 36 InsO). Für den Fall der Unpfändbarkeit wäre die Beschlagnahmewirkung abzulehnen. Anders könnte geurteilt werden, wenn der Pfändungsschutz i. R. der für die Vergleichsrechnung zu unterstellenden Liquidation wegen Wegfall der Tätigkeit, z. B. i. S. des § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO entfallen würde. 2.

Vergleichsmaßstab

177 Wie auch bei werbend tätigen Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften muss jede Vergleichsrechnung stets die Vermögensbewertung unter Liquidationsgesichtspunkten vornehmen. Insoweit besteht – mit Ausnahme der Arbeitskraft – Parallelität zu den obigen Ausführungen. Ebenso sind Sanierungsalternativen als Vergleichsmaßstab zu berücksichtigen, wenn solche überwiegend wahrscheinlich sind. Mit Rücksicht auf die regelmäßige Abhängigkeit des Unternehmenswerts von der Person des Schuldners sind Sanierungsalternativen die Ausnahmen, aber gleichwohl denkbar, wie z. B. im Fall der Praxisveräußerung oder dem Verkauf einer Apotheke. 178 Für die Prüfung der voraussichtlichen Schlechterstellung (§ 245 InsO) gilt seit dem SanInsFoG § 245a InsO. Er erleichtert die Darstellung des Alternativszenarios in zweierlei Hinsicht: Zum einen ist im Zweifel davon auszugehen, dass die Einkommens-, Vermögensund Familienverhältnisse des Schuldners zum Zeitpunkt der Abstimmung über den Insolvenzplan maßgeblich bleiben, sowohl für die die Verfahrensdauer als auch für den Zeitraum, in dem die Insolvenzgläubiger ihre restlichen Forderungen gegen den Schuldner unbeschränkt geltend machen können (Satz 1). Zum anderen ist im Zweifel davon auszugehen, dass dem Schuldner, der einen zulässigen Antrag auf Restschuldbefreiung gestellt hat, die Restschuldbefreiung zum Ablauf der Abtretungsfrist des § 287 Abs. 2 InsO erteilt werden wird (Satz 2). § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO ordnet für den Minderheitenschutzantrag und § 254 Abs. 2 Nr. 3 InsO für die sofortige Beschwerde eine entsprechende Anwendung des § 245a InsO an. Damit gelten die Vermutungen des § 245a InsO für sämtliche Entscheidungen des Gerichts, die das Schlechterstellungsverbot und dessen Überprüfung zum Gegenstand haben.179) Auf die analoge Anwendbarkeit des § 309 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 a. E. InsO kommt es damit nicht mehr an.

___________ 179) Hierzu Harig, VIA 2021, 41.

894

J. Schmidt

§ 29

Vergleichsrechnung 2.1

Einkommensprognose unter Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse

Vor dem Hintergrund der Maßgeblichkeit der Arbeitskraft des Schuldners zielt die Plan- 179 sanierung regelmäßig auf die Fortsetzung der unternehmerischen Tätigkeit in Gegenüberstellung zu der Vermögens- und Befriedigungssituation des Schuldners bei Aufgabe der Selbstständigkeit, sofern keine Sanierungsalternative (siehe Rz. 137) besteht. Für die Bewertung der Vermögens- und Befriedigungssituation bei Aufgabe der Selbst- 180 ständigkeit bedarf es der Darstellung der persönlichen Verhältnisse, insbesondere im Hinblick auf Ausbildung, Berufserfahrung und Reintegration in den Arbeitsmarkt als Angestellter auf der einen und Verdienstmöglichkeiten unter Berücksichtigung von Pfändungsfreibeträgen auf der anderen Seite. Ausgehend von dem Regelcharakter eines sechsjährigen Insolvenzverfahrens sind die Einkommenserwartungen für diesen Zeitraum hochzurechnen.180) Wenn der Planersteller davon ausgeht, dass der Schuldner dauerhaft kein pfändbares Einkommen mehr erwirtschaften wird, und hiervon unter Berücksichtigung der Obliegenheiten auch ausgehen darf, entfällt ein Vermögenswert unter dem Gesichtspunkt der selbstständigen Tätigkeit.181) Angesichts der Üblichkeit eines Restschuldbefreiungsantrags sind – mit Ausnahme von privilegierten Forderungen i. S. von § 302 InsO – keine Erlöserwartungen i. R. des bei Gesellschaften üblichen Nachforderungsrechts zu berücksichtigen. 2.2

Finanzierung der Planquote durch Fortsetzung der Selbstständigkeit

Der – auf der hypothetischen Einordnung des Schuldners in den Arbeitsmarkt beruhenden 181 – Vermögens- und Befriedigungssituation stellt der Planverfasser regelmäßig eine Planquote gegenüber, die auf der Fortsetzung der Selbstständigkeit beruht. Für bestimmte Berufsgruppen ergibt sich die Besserstellung bereits aus berufsrechtlichen Zulassungsvoraussatzungen, die lediglich im Fall der erfolgreichen Plansanierung erfüllt werden können (z. B. Zulassung, Approbation, Erlaubnis i. S. des Apothekengesetzes). Für die Selbstständigkeit i. Ü. ergibt sich die Besserstellung regelmäßig aus den besseren Verdienst- und Einkommensmöglichkeiten auf der Grundlage der Selbstständigkeit. Fehlt es – was regelmäßig der Fall ist – an Vermögensgegenständen, deren Verwertung bei 182 Aufhebung des Insolvenzplanverfahrens eine Einmalzahlung und damit einen sog. Cashout-Plan ermöglicht, wird die Planquote regelmäßig durch zukünftige Erträge aufgebracht (Earn-out-Plan). Diese wird – soweit nach den Maßstäben der jeweiligen Vergleichsrechnung möglich – regelmäßig auf einen geringeren (Überwachungs-)Zeitraum als sechs Jahre strukturiert. Diesen durch die Fortführungsmöglichkeit bestehenden wirtschaftlichen (Mehr-)Wert 183 muss der Schuldner auch nicht ausgleichen. Eine Ausgleichspflicht entsteht auch nicht dann, wenn ein wirtschaftlicher Mehrwert beim Schuldner verbleibt und die Bestätigung des Insolvenzplans die Zustimmungsersetzung nach § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO erfordert. Zwar formuliert diese Bestimmung als Voraussetzung für die Zustimmungsersetzung, dass der Schuldner keinen wirtschaftlichen Wert erhält. Resultiert dieser Wert indes aus der Betriebsfortführung durch den Schuldner und ermöglicht erst diese eine Quotenerwartung, so kann der Verbleib eines wirtschaftlichen Werts beim Schuldner nicht dazu führen, dass das Obstruktionsverbot keine Anwendung mehr findet.182) ___________ 180) AG Hamburg v. 24.5.2017 – 67c IN 164/15, ZIP 2017, 2220 = NZI 2017, 567. 181) Madaus, NZI 2017, 697, 699. 182) So das AG Osnabrück v. 12.7.2017 – 38 IN 25/15, ZVI 2018, 24, für den Fall einer erst durch die Fortführung durch den Schuldner ermöglichten Veräußerung eines Betriebsteils; a. A. Eidenmüller, ZIP 2010, 649, 657.

J. Schmidt

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D. Verfahrensablauf § 30 Vorprüfung durch das Insolvenzgericht, Niederlegung Stahlschmidt

I. II. 1. 2. 3. 4. 5.

Funktionelle Zuständigkeit....................... 1 Vorprüfung durch das Gericht ................. 7 Allgemeines .................................................. 7 Vorlageberechtigung.................................. 14 Inhalt des Insolvenzplans .......................... 20 Sachgerechte Gruppenbildung .................. 50 Erfolgsaussichten und Erfüllbarkeit des Insolvenzplans ..................................... 57

6. 7. 8. III. 1. 2.

Wiederholte Planvorlage............................ 60 Entscheidung des Gerichts........................ 62 Fristen......................................................... 67 Niederlegung des Insolvenzplans ........... 68 Öffentlichkeit ............................................ 68 Einsichtsrechte........................................... 70

Literatur: Buchalik/Schröder, Kann der eigenverwaltende Schuldner auch gegen seinen Willen verpflichtet werden einen M&A-Prozess einzuleiten und zu finanzieren?, ZInsO 2016, 189; Graeber, Vergütungsbestimmung durch Vereinbarungen zwischen einem Insolvenzverwalter und den weiteren Beteiligten eines Insolvenzverfahrens, ZIP 2013, 916; Horstkotte, Der Insolvenzplan in der gerichtlichen Vorprüfung, ZInsO 2014, 1297; Madaus, Keine Erteilung der Restschuldbefreiung durch Insolvenzplan, NZI 2021, 284; Martini/Horstkotte, Häufige Fehler bei der Aufstellung von Insolvenzplänen und der Durchführung von Insolvenzplanverfahren, ZInsO 2017, 1913; Müller, H.-F., Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen im Insolvenzplan, KTS 2012, 419; Paul, Rechtsprechungsübersicht zum Insolvenzplanverfahren 2020, ZInsO 2021, 888; Schröder, Die Vergleichs- und Regelungsbefugnis hinsichtlich § 44a InsO und § 254 Abs. 2 InsO im Insolvenzplan, ZInsO 2015, 1040; Schröder/Rabenhorst, Darf dem Schuldner nach dem Insolvenzplan ein wirtschaftlicher Wert verbleiben?, ZInsO 2017, 1769; Smid, Fragen der insolvenzgerichtlichen Vorprüfung von Insolvenzplänen, ZInsO 2021, 424; Smid, Pläne bei Masseunzulänglichkeit, ZInsO 2017, 2085; Smid, Vorprüfung des Insolvenzplans (Teil 1), ZInsO 2016, 61; Weßling, Zur Gruppenbildung nach § 222 Abs. 2 InsO, ZInsO 2021, 1127; Zimmer, Insolvenzplan bei Masseunzulänglichkeit nach § 210a InsO (ESUG), ZInsO 2012, 390.

I.

Funktionelle Zuständigkeit

1 Die am 1.3.2012 mit dem ESUG1) in Kraft getretenen Änderungen des Insolvenzplanverfahrens betreffen auch die Zuständigkeiten innerhalb des Insolvenzgerichts. Insbesondere ist in § 18 Abs. 1 RPflG eine neue Nr. 2 eingefügt worden, in der die Durchführung des Insolvenzplanverfahrens dem Insolvenzrichter zugewiesen wird. Hiervon ausgenommen ist § 257 InsO, so dass für das Klauselverfahren weiterhin der Rechtspfleger bzw. die Geschäftsstelle zuständig ist. Diese Zuständigkeitsänderungen innerhalb des Insolvenzgerichts sind am 1.1.2013 in Kraft getreten. 2 Bei der Übertragung der Zuständigkeit vom Rechtspfleger auf den Insolvenzrichter fehlte ursprünglich eine klare zeitliche Abgrenzung. Da § 8 Abs. 4 RPflG eine Unwirksamkeit sämtlicher Entscheidungen der Rechtspfleger bei fehlender Zuständigkeit statuiert, wird diskutiert, ob nicht schon die Beauftragung der Gläubiger zur Planerstellung während der Gläubigerversammlung nach § 218 Abs. 2 InsO den Beginn der Richterzuständigkeit markieren soll.2) Dafür spricht der Gesetzeswortlaut, der in § 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG die Zuständigkeit des Insolvenzrichters beim Insolvenzplanverfahren nach den §§ 217 bis 256 InsO übertragt und damit den § 218 Abs. 2 InsO dem Wortlaut nach einschließt. Dies kann jedoch vom Gesetzgeber nicht gewollt sein, da dies das Verfahren vor Einreichung eines In___________ 1)

2)

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Vgl. die Stellungnahmen zum ESUG während des Gesetzgebungsverfahrens von Braun/Heinrich, NZI 2011, 505; Rechel/Willemsen, BB 2011, 834; Frind, ZInsO 2010, 1473, und Frind, ZInsO 2011, 373; Hirte/Knof/Mock, DB 2011, 632; Hölzle, NZI 2011, 124; Kresser, ZInsO 2010, 1409; Smid, DZWIR 2010, 397. Frind, ZInsO 2011, 656.

Stahlschmidt

Vorprüfung durch das Insolvenzgericht, Niederlegung

§ 30

solvenzplans betrifft. Die richterliche Zuständigkeit kann jedoch erst mit Einreichung des Insolvenzplans beginnen, an die sich die Vorprüfung des Insolvenzplans durch den nunmehr zuständigen Insolvenzrichter nach § 231 InsO anschließt. Nach einer Ansicht tritt kein Zuständigkeitswechsel ein, wenn verfahrensabweichende oder 3 verfahrensleitende Insolvenzpläne (siehe Rz. 31 f.) vorgelegt werden, die lediglich Teile des Regelinsolvenzverfahrens – wie bspw. die Art der Verteilung – modifizieren sollen. Dabei würde es sich nämlich nicht um vollwertige Planverfahren handeln, deren Zuständigkeit nach dem Willen des Gesetzgebers insbesondere aufgrund der nun möglichen Eingriffsmöglichkeiten in die Gesellschafterrechte auf den Richter übertragen werden sollte.3) Diese Ansicht widerspricht jedoch dem Willen des Gesetzgebers, der insoweit keine explizite Einschränkung des Zuständigkeitswechsels statuiert, sondern vielmehr sämtliche Insolvenzplanverfahren – unabhängig auch von Eingriffen in Gesellschafterrechte – nunmehr der richterlichen Zuständigkeit zuweist. Auch nach dem Wortlaut des § 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG gilt der Zuständigkeitswechsel für das Insolvenzplanverfahren nach den §§ 217 ff. InsO und damit eben auch für die im § 217 InsO erwähnten verfahrensbegleitenden Insolvenzpläne. Die Abgrenzung eines verfahrensbegleitenden von einem „vollwertigen“ Plan dürfte im Übrigen in der Praxis oftmals nicht ganz einfach sein. Vor dem Hintergrund der Unwirksamkeit der Rechtshandlungen des unzuständigen Rechtspflegers nach § 8 Abs. 4 RPflG dürfte aus Praktikabilitätsgründen und unter Auslegung des Wortlauts des § 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG sowie des Willens des Gesetzgebers davon auszugehen sein, dass nunmehr alle Planverfahren und damit auch diejenigen auf Grundlage eines verfahrensbegleitenden Plans der Zuständigkeit des Richters unterliegen. Zu berücksichtigen ist noch, dass die materiell-rechtlichen Änderungen zum Insolvenz- 4 planverfahren durch das ESUG erst auf Insolvenzverfahren anzuwenden sind, die ab dem 1.3.2012 beantragt worden sind. Angesichts des Umstands, dass Insolvenzpläne nach § 218 Abs. 1 Satz 3 InsO bis zum Schlusstermin eingereicht werden können, ist davon auszugehen, dass auch noch in Insolvenzverfahren, die vor dem 1.3.2012 beantragt worden sind (Folge: ESUG gilt nicht), Insolvenzpläne erst nach dem 1.1.2013 bei Gericht eingehen. Da die Zuständigkeitsänderung zum Insolvenzplanverfahren nach § 18 RPflG ursprünglich hierbei nicht differenzierte, wäre eigentlich der Insolvenzrichter somit auch für ab dem 1.1.2013 eingereichte Insolvenzpläne zuständig, die sich auf ein vor dem 1.3.2012 beantragtes Insolvenzverfahren beziehen und bei dem damit noch die alte vor dem ESUG geltende materiell-rechtliche Rechtslage zum Insolvenzplan gilt. Diese Unklarheiten hat der Gesetzgeber durch Einfügung des Art. 103g EGInsO Ende 5 des Jahres 2012 beseitigt. Danach gilt die richterliche Zuständigkeit für Insolvenzplanverfahren nur für solche Insolvenzverfahren, die ab dem 1.1.2013 beantragt worden sind. Zusammenfassend ist infolge der Änderung des § 18 RPflG und der Einführung des 6 Art. 103g des EGInsO der Insolvenzrichter für bei Gericht eingehende „vollwertige“ Insolvenzpläne und lediglich verfahrensabwickelnde Insolvenzpläne zuständig, wenn das zugrunde liegende Insolvenzverfahren ab dem 1.1.2013 beantragt worden ist. Wenn man bedenkt, dass die Zuständigkeitsänderung für die Durchführung des Insolvenzplanverfahrens lediglich infolge der nunmehr möglichen Eingriffsbefugnisse in Gesellschafterrechte eingeführt worden ist, ist der Gesetzgeber mit dieser Zuständigkeitsregelung deutlich über das Ziel hinausgeschossen. Eine Einschränkung der Zuständigkeit zugunsten der Insolvenzrichter für Insolvenzpläne, bei denen in die Rechte der Anteilseigner eingegriffen werde, wäre ausreichend gewesen.4) ___________ 3) 4)

Frind, ZInsO 2011, 2249, 2259. Frind, ZInsO 2011, 656.

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§ 30

2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

II.

Vorprüfung durch das Gericht

1.

Allgemeines

7 Der Gesetzgeber hat bezüglich der anzulegenden Prüfungsmaßstäbe verschiedene Punkte definiert, teilweise gibt es Unterschiede, die in Abhängigkeit vom Vorlageverfasser zu sehen sind. Es gibt Anforderungen, die sowohl für Insolvenzpläne, die seitens des Insolvenzverwalters vorgelegt werden, gelten, als auch für Pläne, die durch den Insolvenzschuldner vorgelegt werden. Darüber hinaus gibt es zusätzliche Voraussetzungen, die nur bei Vorlage eines Plans durch den Schuldner erfüllt werden müssen. 8 Gemäß § 231 InsO hat das Insolvenzgericht den eingereichten Plan auf die Einhaltung der gesetzlichen Mindestanforderungen zu prüfen. Hierbei wird zwischen einem vom Insolvenzverwalter vorgelegten Plan und einem vom Schuldner vorgelegten Insolvenzplan unterschieden. So sind nach § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO bei einem Verwalterplan die Vorlageberechtigung und die Einhaltung der Vorschriften über den Inhalt des Plans zu prüfen. Bei einem Schuldnerplan sind darüber hinaus noch die Erfolgsaussichten und die Erfüllbarkeit des Plans nach § 231 Abs. 1 Nr. 2 und 3 InsO zu verifizieren. Diese Voraussetzungen sind abschließend. 9 Im Rahmen der Vorprüfung gilt der Beibringungsgrundsatz, so dass das Gericht keine Sachverständigen hinzuziehen kann und darf.5) Dafür spricht, dass § 5 InsO, in dem der Amtsermittlungsgrundsatz gesetzlich verankert ist, nur für das Regelinsolvenzverfahren gilt und der Insolvenzplan dagegen gerade eine abweichende Regelung hiervon durch vertragliche Vereinbarung der Beteiligten vorsieht. Dann muss aber auch der Beibringungsgrundsatz gelten, so dass das Gericht auch keine Ermittlungen anstellen und keine Sachverständigen heranziehen darf.6) Das Insolvenzgericht hat bei der Prüfung in erster Linie den Planinhalt selbst zu berücksichtigen. Es kann jedoch auch bereits erfolgte Stellungnahmen von Gläubigern heranziehen, wobei hierbei einschränkend zu berücksichtigen ist, dass sich die Meinung der Gläubiger bis zur Abstimmung noch ändern kann.7) Insbesondere kann auch das in einem vorherigen Abstimmungstermin erfolgte Abstimmungsverhalten eines Gläubigers Berücksichtigung finden, und zwar insbesondere dann, wenn der neue Plan nur marginale Änderungen vorsieht.8) 10 Nach der zum 1.1.2021 in Kraft getretenen Vorschrift des § 232 Abs. 4 InsO9) kann das Gericht seine Zurückweisungsentscheidung ausdrücklich auch auf neuen Tatsachenvortrag stützen, den es aus den Stellungnahmen der gemäß § 232 InsO genannten Beteiligten, denen der Insolvenzplan zur Stellungnahme zuzuleiten ist, erlangt hat. Horstkotte spricht hierbei von einem „modifizierten Beibringungsgrundsatz“, da bei der rechtlichen Prüfung der im Plan und den Anlagen wiedergegebene Sachverhalt, ergänzt um offenkundige Tatsachen i. S. von § 291 ZPO, zugrunde zu legen sei.10) Danach muss der Plan sämtliche Sachverhaltsangaben beinhalten, die für die Prüfung der Zulässigkeit der Gruppenbildung und der Rechtsfolgen des gestaltenden Teils relevant sind. Diese Rechtsfolgen dürfen dann auch nicht im Widerspruch zu zwingenden gesetzlichen Vorschriften stehen. Rechtsfragen sind auf dieser Grundlage abschließend zu entscheiden. ___________ 5) A. A. Smid, ZInsO 2016, 61, 69, der vom Amtsermittlungsgrundsatz ausgeht. 6) Breuer in: MünchKomm-InsO, § 231 Rz. 5; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 231 Rz. 4. 7) BGH v. 16.12.2010 – IX ZB 21/09, ZIP 2011, 340, 341; BGH v. 30.6.2011 – IX ZB 30/10, ZInsO 2011, 1550; Paul, ZInsO 2012, 259 ff. 8) AG Düsseldorf v. 30.3.2020 – 513 IK 220/17, ZInsO 2020, 1328. 9) Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256. 10) Horstkotte, ZInsO 2014, 1297, 1302.

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Vorprüfung durch das Insolvenzgericht, Niederlegung

§ 30

Im Hinblick auf den Prüfungsmaßstab hat der BGH in einer grundlegenden Entscheidung 11 ausgeführt, dass die vom Insolvenzgericht i. R. des § 231 Abs. 1 InsO vorzunehmende Prüfung die Entscheidungskompetenz der Gläubigerversammlung bestmöglich wahren soll. Eine Prüfung, ob der Plan wirtschaftlich zweckmäßig gestaltet ist und ob er voraussichtlich Erfolg haben wird, sei verwehrt.11) Vor dem Hintergrund dürfte die Prüfung der Erfolgsaussichten des im Plan dargestellten Sanierungskonzepts des Unternehmens den Gläubigern vorbehalten sein.12) Bei offensichtlicher Unerfüllbarkeit der Planansprüche ist beim Schuldnerplan allerdings § 231 Abs. 1 Nr. 3 InsO zu beachten. Zu einer eigenen wirtschaftlichen Bewertung der Vergleichsrechnung ist das Gericht erst befugt, wenn es nach den § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO bzw. § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO i. R. des Minderheitenschutzes zu einer Entscheidung berufen wird.13) Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO hat das Gericht anders 12 als bei § 231 Abs. 1 Nr. 2 und 3 InsO nicht nur offensichtliche Rechtsfehler zu beanstanden, so dass es sich hierbei nicht um eine bloße summarische Prüfung bzw. „Evidenzkontrolle“,14) sondern um eine abschließende Prüfung aller – auch komplexer – Rechtsfragen handelt.15) Für den Planverfasser ist es unbedingt ratsam, den Planentwurf mit dem Gericht i. R. eines 13 Vorgesprächs abzustimmen, um hier frühestmöglich Planungssicherheit zu erhalten. Nach den Erfahrungen des Verfassers besteht hierzu auch auf Seiten des Gerichts in den meisten Fällen großes Interesse und Bereitschaft. Im Übrigen dürfte ein Anspruch auf die Erörterung des Planentwurfs aus dem Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG und dem Justizgewährungsanspruch gemäß Art. 19 Abs. 4 GG begründet sein.16) 2.

Vorlageberechtigung

Nach § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO hat das Gericht zu prüfen, ob der Plan von einem zur Vor- 14 lage Berechtigten gemäß § 218 bzw. § 284 InsO eingereicht worden ist. Die Beachtung der Mitwirkungsrechte nach den § 218 Abs. 3, § 284 Abs. 1 Satz 3 InsO ist dagegen nach herrschender Ansicht nicht Gegenstand der Vorprüfung.17) So hat die Mitwirkung den Zweck, dem Planvorleger möglichst frühzeitig Divergenzen auf Seiten der Mitwirkungsberechtigten aufzuzeigen, wobei unstrittig ist, dass der Planvorleger von diesen Vorstellungen abweichen kann. Angesichts der insoweit fehlenden Eingriffsrechte der Mitwirkungsberechtigten wäre es dann aber zweckwidrig, wenn die fehlende Beachtung dieser Mitwirkungsrechte zur Zurückweisung des Plans führen würde.18) Dafür spricht auch, dass in § 250 InsO explizit die Beachtung von Verfahrensvorschriften Gegenstand der Prüfung ist, während dies in § 231 InsO gerade nicht der Fall ist. Die Beachtung der Mitwirkungsrechte als reine Verfahrensvorschrift kann somit konsequenterweise nach § 231 InsO nicht Prüfungsgegenstand sein. Bei einem Verwalterplan nach § 218 Abs. 1 Satz 1 InsO muss verifiziert werden, ob das 15 Verfahren eröffnet ist und der Vorlegende zum Verwalter bestellt ist, denn der vorläufige Insolvenzverwalter ist nicht zur Planvorlage berechtigt.19) Eine entsprechende Beauftra___________ 11) 12) 13) 14) 15) 16) 17) 18) 19)

BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZInsO 2015, 1398 ff. = ZIP 2015, 1346, dazu EWiR 2015, 483 (Spliedt). S. a. LG Hamburg v. 15.1.2018 – 326 T 40/17, ZInsO 2018, 331 = ZIP 2018, 389. LG Hamburg v. 15.1.2018 – 326 T 40/17, ZInsO 2018, 331 = ZIP 2018, 389. BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZInsO 2015, 1398 ff. = ZIP 2015, 1346; AG Köln v. 6.4.2016 – 74 IN 45/15, ZIP 2016, 1240 = ZInsO 2016, 1218. Martini/Horstkotte, ZInsO 2017, 1913, 1916. Martini/Horstkotte, ZInsO 2017, 1913, 1914. So Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 231 Rz. 9, 13; Ober in: Nerlich/Römermann, InsO, § 231 Rz. 7; a. A.: Breuer in: MünchKomm-InsO, § 231 Rz. 10. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 231 Rz. 9. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 32 ff.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

gung durch die Gläubigerversammlung ist grundsätzlich nicht erforderlich. So hat der Verwalter ein Eigeninitiativrecht zur Vorlage eines Insolvenzplans. 16 Im Falle des Schuldnerplans muss nach § 218 Abs. 1 Satz 2 InsO ggf. überprüft werden, ob bereits ein Insolvenzantrag eingereicht ist. Es muss nicht zwingend ein Eigenantrag vorliegen. Beim Schuldnerplan einer natürlichen Person ist ein vorheriger Restschuldbefreiungsantrag nicht zwingend erforderlich.20) Insbesondere ist aber bei juristischen Personen und Personengesellschaften zu überprüfen, ob auch die jeweils vertretungsberechtigten Organe den Plan eingereicht haben. In beiden Fällen bietet es sich an, § 18 Abs. 3 InsO analog anzuwenden.21) 17 Ein Plan kann auch gemäß § 218 Abs. 2 InsO nach Beauftragung durch die Gläubigerversammlung durch den Insolvenzverwalter vorgelegt werden. Damit wird den Gläubigern mittelbar ein Initiativrecht zur Planvorlage gewährt, wobei es dem Insolvenzverwalter daneben möglich ist, einen weiteren Insolvenzplan aufgrund seines eigenen Initiativrechts nach § 218 Abs. 1 InsO vorzulegen. In diesem Fall muss aber bei einem der beiden Insolvenzpläne die Gläubigerbeauftragung tatsächlich vorliegen, denn zwei Pläne gleichzeitig können nicht durch denselben Vorlageberechtigten eingereicht werden. Dafür spricht schon der Wortlaut, der von der Vorlage „eines Insolvenzplans“ spricht.22) Es bietet sich im Falle der Gläubigerbeauftragung an, dies dann im Plan mitzuteilen und das Protokoll der Beauftragung als Anlage dem Plan beizufügen.23) 18 Im Falle der Eigenverwaltung hat der Schuldner weiterhin ein originäres Initiativrecht zur Planvorlage nach § 218 Abs. 1 Satz 1 InsO. So ist § 284 Abs. 1 InsO lediglich als Sonderregelung zu verstehen, mit der Konsequenz, dass dann die Gläubiger entweder den Schuldner oder den Sachwalter zur Planerstellung und Vorlage beauftragen können. Neu seit dem 1.1.2021 ist die Möglichkeit, bereits im vorläufigen Verfahren den vorläufigen Sachwalter oder den Schuldner hiermit zu beauftragen. Die Beauftragung erfolgt durch den vorläufigen Gläubigerausschuss (§284 Abs. 1 Satz 2 InsO). Diese Möglichkeit war zuvor über eine analoge Anwendung des § 284 Abs. 1 InsO angenommen worden.24) Dagegen ist strittig, ob der Sachwalter ein originäres Initiativrecht zur Planvorlage hat. Dagegen spricht der Gesetzeswortlaut des § 284 Abs. 1 Satz 1 InsO, der insoweit dem Sachwalter nur im Falle der Gläubigerbeauftragung die Vorlage eines Insolvenzplans ermöglicht. In § 218 Abs. 1 InsO wird lediglich dem Insolvenzverwalter – und eben nicht dem Sachwalter – ein originäres Initiativrecht zugesprochen. Dies entspricht auch der Funktion und der Stellung des Sachwalters, der nach § 274 InsO lediglich eine Überwachungsfunktion innehat.25) Inzwischen hat der BGH in seinem Beschluss vom 22.9.2016 klargestellt, dass dem Sachwalter – anders als dem Insolvenzverwalter – kein eigenes Planinitiativrecht i. S. des § 218 Abs. 1 InsO zukomme.26)

___________ 20) LG Hamburg v. 15.1.2018 – 326 T 40/17, ZInsO 2018, 331 = ZIP 2018, 389. 21) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 75 und Rz. 82. 22) Str.; so wie hier Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 1; diff. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 119 ff.; a. A. Vogl, DZWIR 2004, 490. 23) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 231 Rz. 10. 24) BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981; Riggert in: Nerlich/Römermann, InsO, § 284 Rz. 2. 25) Kern in: MünchKomm-InsO, § 284 Rz. 16; Kreutz/Ellers in: BeckOK-InsR, § 284 InsO Rz. 16; a. A. für eine analoge Anwendung des § 218 InsO Warrikoff, KTS 1997, 532; für den vorläufigen Sachwalter: BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981 = ZInsO 2016, 2077, dazu EWiR 2016, 763 (Körner/ Rendels). 26) BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981 = ZInsO 2016, 2077, dazu EWiR 2016, 763 (Körner/ Rendels).

900

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Vorprüfung durch das Insolvenzgericht, Niederlegung

§ 30

Insbesondere in Großverfahren ist zu beobachten, dass von dritter Seite, insbesondere von 19 Gläubigergruppen, konkurrierende Pläne in einem Erörterungs- und Abstimmungstermin eingeführt werden. Ein solcher Plan, der per se schon am Planinitiativrecht scheitert, kann nicht zur Abstimmung stehen.27) 3.

Inhalt des Insolvenzplans

Neben der Vorlageberechtigung hat das Insolvenzgericht immer zu prüfen, ob die Vor- 20 schriften zum Inhalt des Plans nach den §§ 217, 219 – 230 InsO erfüllt sind. Bei der Prüfung dieser Regelungen gilt die Prämisse, dass es den Beteiligten ermöglicht werden soll, im Interesse der bestmöglichen Befriedigung das Verfahren möglichst flexibel zu gestalten.28) Gleichwohl hat insbesondere die Rechtsprechung der vergangenen Jahre diverse Planvorgaben gemacht, die zwingend eingehalten werden müssen. Gemäß § 217 InsO kann der Plan in die Befriedigungsrechte der Absonderungsberech- 21 tigten und der Insolvenzgläubiger eingreifen. Hierbei ist zu beachten, dass sich dies auf die Befriedigung beschränkt. Insbesondere kann der Plan nicht von den Vorschriften zur Feststellung der Forderungen dieser Gläubiger, die in §§ 174 – 186 InsO geregelt sind, abweichen. Ansonsten könnten diesen Gläubigern durch Mehrheitsbeschluss ihre Forderungen ganz oder teilweise entzogen werden.29) Der Insolvenzplan darf dagegen nicht in Rechte der Aussonderungsberechtigten eingreifen. 22 Dies gilt auch zugunsten eines Gläubigers, der einen vormerkungsgesicherten Anspruch auf Übereignung eines Grundstückes hat. Ein Eingriff in einen solchen vormerkungsgesicherten Anspruch mittels eines Insolvenzplans ist ein offensichtlicher Verstoß gegen § 217 InsO.30) Bei der Frage, ob der Insolvenzplan in die Befriedigungsrechte der Massegläubiger nach den 23 §§ 53 – 55 InsO eingreifen darf, ist insbesondere nach der Änderung der InsO durch das ESUG zu differenzieren. Grundsätzlich darf der Insolvenzplan nicht in die Rechte der Massegläubiger eingreifen, denn diese sind in § 217 InsO nicht erwähnt. Wird ein Insolvenzplan ohne Berücksichtigung der Deckung der Massekosten eingereicht, ist der Plan von Amts wegen zurückzuweisen.31) Im Falle der Anzeige der Masseunzulänglichkeit vor Einreichung des Insolvenzplans ist jedoch § 210a InsO zu berücksichtigen. Durch diese Regelung hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass auch im Falle der Masseunzulänglichkeit ein Insolvenzplan möglich ist. Der bis zur Einführung des § 210a InsO herrschende Streit ist damit nunmehr obsolet.32) § 210a InsO macht jetzt im Falle der Masseunzulänglichkeit deutlich, dass dann auch in die Befriedigungsrechte der Massegläubiger, deren Forderungen vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind (Altmassegläubiger), eingegriffen werden kann.33) Dagegen kann auch im Falle der Masseunzulänglichkeit weiterhin nicht in die Befriedigungsrechte der Neumassegläubiger, also derjenigen, deren Forderungen nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, eingegriffen werden.34)

___________ 27) Martini/Horstkotte, ZInsO 2017, 1913. 28) Vgl. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 195; hierauf Bezug nehmend BGH v. 5.2.2009 – IX ZB 230/07, ZIP 2009, 480, dazu EWiR 2009, 251 (Landry). 29) BGH v. 5.2.2009 – IX ZB 230/07, ZIP 2009, 480. 30) Hierzu klar und eindeutig: BVerfG v. 28.10.2020 – 2 BvR 765/20, ZInsO 2020, 2601 = ZIP 2021, 46. 31) LG Düsseldorf v. 28.11.2018 – 25 T 556/18, ZVI 2019, 198 = ZInsO 2019, 913. 32) Zum ehemaligen Streitstand vgl. die Nachweise in der Vorauflage. 33) S. dazu Smid, ZInsO 2017, 2085 f. 34) Zum Insolvenzplan bei Masseunzulänglichkeit s. Zimmer, ZInsO 2012, 390 und Smid, ZInsO 2017, 2085.

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24 Wie sich aus § 123 Abs. 2 Satz 2 InsO ergibt, können allerdings grundsätzlich die nach Verfahrenseröffnung entstandenen Sozialplanansprüche, die ebenfalls Masseverbindlichkeiten sind, im Insolvenzplan abweichend geregelt werden. 25 Im Übrigen können die betroffenen nicht zwangsweise planunterworfenen Gläubiger dem Eingriff in ihre Rechte im Insolvenzplan zustimmen.35) Rechtswirkungen diesbezüglich entfaltet dann aber nicht der Insolvenzplan als solcher, sondern die jeweils getroffene Vereinbarung zwischen diesen Beteiligten.36) 26 Zum 1.3.2012 ist mit dem ESUG § 217 Abs. 1 Satz 2 InsO in Kraft getreten, wonach bei juristischen Personen und Personengesellschaften auch die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen in den Plan mit einbezogen werden können.37) Im Falle der Umgestaltung der Rechte der Anteilsinhaber ist nach § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 InsO eine gesonderte Gruppe der Anteilsinhaber zu bilden. 27 Es ist auch zulässig, dass der Plan in die Rechte sog. Neugläubiger, die erst mit Bestätigung des Plans Gläubiger werden, eingreift. Allerdings ist dann nach Ansicht des LG Düsseldorf die ausdrückliche Zustimmung dieser Gläubiger notwendig gemäß § 230 Abs. 2 InsO analog. Stimmt der Gläubiger dem Plan nicht zu, so kann dieser Gläubiger die sofortige Beschwerde einreichen. Eine Ersetzung der Zustimmung kommt nicht in Betracht.38) 28 Neu geregelt ist in § 217 Abs. 2 InsO39) nunmehr die Möglichkeit, auch in sog. gruppeninterne Drittsicherheiten einzugreifen. Hiermit reagiert der Gesetzgeber auf das Bedürfnis, gerade bei der Sanierung von Unternehmensgruppen auch gruppenintern gestellte Sicherheiten in die Restrukturierung einzubeziehen.40) Zugehörige Regelungen finden sich in § 223a InsO (Ausgleichsanspruch), § 220 Abs. 3 InsO (Ausführungen im darstellenden Teil), § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 InsO (eigene Gruppe), § 230 Abs. 4 InsO (Zustimmung bei Planvorlage als Anlage) und § 238b InsO (Stimmrechtsfestsetzung). 29 Nach § 217 InsO kann der Plan auch hinsichtlich der Verwertung der Insolvenzmasse und deren Verteilung an die Beteiligten eine vom Regelinsolvenzverfahren abweichende Regelung treffen. Vor dem Hintergrund dürfte im Insolvenzplan auch eine von § 44a InsO abweichende Regelung zulässig sein.41) Auch kann der Insolvenzplan vorsehen, dass dem Schuldner noch ein wirtschaftlicher Wert verbleibt.42) Ansonsten wäre auch die Regelung in § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO überflüssig. Sie geht nämlich gerade davon aus, dass der Plan dem Schuldner einen wirtschaftlichen Wert zugestehen kann. 30 Im Hinblick auf die Gläubigerautonomie wurde ehemals eine Regelung der Verwaltervergütung im Plan von einigen Stimmen befürwortet.43) Der BGH hat dagegen in einer Ent___________ 35) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 73 ff.; zust. LG Frankfurt/M. v. 29.10.2007 – 2/9 T 198/07, ZIP 2007, 2229, dazu EWiR 2008, 115 (Hörmann). 36) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 73. 37) Vgl. hierzu Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 506; Bauer/Dimmling, NZI 2011, 517; Meyer/Degener, BB 2011, 846; H.-F. Müller, KTS 2012, 419. 38) LG Düsseldorf v. 21.9.2015 – 25 T 404/15, ZIP 2015, 2182 = ZInsO 2015, 2186 (in dem zugrunde liegenden Fall ging es um künftige Steuern auf Sanierungsgewinne). 39) Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256. 40) Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsR, § 217 InsO Rz. 35. 41) Schröder, ZInsO 2015, 1040 f. 42) AG Osnabrück v. 12.7.2017 – 38 IN 25/15, ZIP 2017, 1624, dazu EWiR 2017, 765 (Hofmann); Schröder/ Rabenhorst, ZInsO 2017, 1769. 43) LG München I v. 2.8.2013 – 14 T 16050/13, ZIP 2013, 2273 = ZInsO 2013, 1966; LG Münster v. 1.10.2015 – 5 T 526/15, ZIP 2016, 1179 = ZInsO 2016, 213 – bejahend für den Fall einer einstimmigen Gläubigerzustimmung zum Plan; Horstkotte, ZInsO 2014, 1297; früher Haarmeyer, ZInsO 2013, 1967, jetzt im Anschluss an BGH zustimmend in ZInsO 2017, 543, 544.

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scheidung aus dem Jahr 2017 ausgeführt, dass die Verwaltervergütung keiner Regelung im Plan zugänglich sei, da es sich hierbei um eine Masseverbindlichkeit handele, in die der Plan nicht eingreifen könne. Im Übrigen werde hierdurch die Festsetzungskompetenz des Gerichts verletzt. Allerdings kann der Verwalter bzw. Sachwalter eine Erklärung nach § 230 Abs. 3 InsO abgeben, in der er sich verpflichtet, keine, einen bestimmten Betrag übersteigende Vergütung zu beantragen.44) Dasselbe gilt auch für die Vergütung der Planüberwachung durch den Insolvenzverwalter.45) Infolge der Änderung der InsO durch das ESUG können in einem Insolvenzplan nun auch 31 von der Verfahrensabwicklung abweichende Vereinbarungen getroffen werden. So war vor der Gesetzesänderung höchst umstritten, ob ein sog. verfahrensleitender oder verfahrensbegleitender Plan zulässig ist. Hierunter versteht man Insolvenzpläne, die nicht auf eine möglichst schnelle Verfahrensaufhebung nach Bestätigung des Insolvenzplans gerichtet sind. Vielmehr sollen durch solche Pläne lediglich Unternehmensteile entschuldet und saniert fortgeführt werden. Die daneben vorhandenen nicht kurzfristig liquidierbaren Vermögensgegenstände und Haftungsansprüche sollen dann weiterhin im Regelinsolvenzverfahren realisiert werden. In § 217 InsO heißt es jetzt explizit, dass die Verfahrensabwicklung abweichend vom Regel- 32 insolvenzverfahren im Insolvenzplan vereinbart werden kann. Die Regelung des § 258 InsO ist insoweit ergänzt worden, wonach nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans das Insolvenzverfahren nur aufgehoben werden kann, wenn der Insolvenzplan nicht etwas anderes vorsieht. Durch diese Gesetzesänderungen hat der Gesetzgeber klargestellt, dass auch ein verfahrensleitender oder verfahrensbegleitender Plan zulässig ist. Nach Ansicht des BGH46) ist im Insolvenzplanverfahren keine Nachtragsverteilung vor- 33 gesehen. Sog. materielle Präklusionsvorschriften im Insolvenzplan, durch die Gläubiger von nicht 34 angemeldeten Forderungen auch im Hinblick auf die vereinbarte Planquote ausgeschlossen sind, sind nicht zulässig. Nach Ansicht des BGH stellt dies einen erheblichen Eingriff in das Eigentumsrecht dar, für das es keine gesetzliche Grundlage gebe, seitdem der Gesetzgeber mit §§ 259a f. InsO Sonderregelungen getroffen habe. Entsprechende Regelungen im Plan sind deswegen unwirksam, solange sie über die Wirkung der Verjährungsvorschriften hinausgehen.47) Eine solche Klausel ist selbst dann unzulässig, wenn der Schuldner Restschuldbefreiung beantragt hat. Obwohl sie in diesem Fall mit dem Verlust ihrer Forderung rechnen müssen, rechtfertigt dies nicht den Ausschluss dieser Gläubiger i. H. der Insolvenzquote.48) Die Unzulässigkeit materieller Ausschlussklauseln gilt auch gegenüber zwar angemeldeten, aber bestrittenen Forderungen, bei denen nicht rechtzeitig Feststellungsklage zur Insolvenztabelle erhoben wurde.49) Anders sind dagegen rein verfahrensmäßige Ausschlussklauseln zu beurteilen. Hierbei werden nicht angemeldete oder bestrittene und nicht feststellungsklageweise geltend gemachte Forderungen nur von der Verteilung der im Insolvenzplan vorgesehenen Ausschüttung und sonstigen in §§ 255 ff. InsO geregelten prozessualen ___________ 44) BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482 = ZInsO 2017, 538, dazu EWiR 2017, 179 (Madaus). 45) LG Hamburg v. 7.2.2018 – 326 T 120/16, NZI 2018, 261 = ZInsO 2020, 1204. 46) BGH v. 10.12.2009 – IX ZR 206/08, ZIP 2010, 102, dazu EWiR 2010, 193 (Rendels/Körner); so auch: OLG Celle v. 20.11.2006 – 4 U 166/06, ZIP 2006, 2394, dazu EWiR 2007, 87 (Bähr/Landry), und Hingerl, ZInsO 2008, 404. 47) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZInsO 2015, 1398 ff. = ZIP 2015, 1346; daran anschließend LG Hamburg v. 7.2.2018 – 326 T 120/16, NZI 2018, 261 m. Anm. Madaus – zur nachfolgenden Version desselben Plans; s. a. Brünkmans, ZInsO 2016, 245, und Takjas/Kunkel, ZInsO 2017, 1186 f. 48) BGH v. 3.12.2015 – IX ZA 32/14, ZInsO 2016, 148 ff. = ZIP 2016, 85, dazu EWiR 2016, 277 (Bähr). 49) Brünkmans, ZInsO 2016, 245.

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Wirkungen ausgenommen. Im Übrigen bleiben diese Forderungen i. H. der vorgesehenen Planregelung bestehen. Nach einer Entscheidung des BAG sind solche verfahrensmäßigen Ausschlussklauseln zulässig.50) 35 Nach § 217 InsO kann im Plan die Haftung des Schuldners abweichend von den gesetzlichen Regelungen vereinbart werden. Damit kann bei natürlichen Personen von den Vorschriften der §§ 201, 286 bis 303 InsO abgewichen werden.51) Ist im Plan nichts anderes bestimmt, dann erlangt der Schuldner nach § 227 InsO die Restschuldbefreiung hinsichtlich der Verbindlichkeiten, die er laut dem Plan nicht befriedigen soll. Bei Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit gilt dies nach § 227 Abs. 2 InsO entsprechend für die persönliche Haftung der Gesellschafter. Bei juristischen Personen und Personengesellschaften kann aufgrund des § 217 Abs. 1 Satz 2 InsO nunmehr auch in die Anteilsrechte der am Schuldner beteiligten Personen eingegriffen werden (siehe Rz. 33). 36 Nur zulässige Planregelungen können Gegenstand von Planbedingungen sein und sie müssen vor der Bestätigung des Plans eintreten können, was bspw. bei der Verwaltervergütung nicht der Fall ist.52) 37 Nicht nur die Schlussrechnungslegung nach § 66 Abs. 1 InsO, sondern auch die gerichtliche Schlussrechnungsprüfung nach § 66 Abs. 2 InsO kann im Insolvenzplan wirksam abbedungen werden.53) 38 Der Plan selbst muss nach § 219 InsO zwingend in einen darstellenden und einen gestaltenden Teil gegliedert sein. Insoweit prüft das Gericht, ob überhaupt ein darstellender und gestaltender Teil vorliegt. 39 Im darstellenden Teil nach § 220 InsO soll beschrieben sein, welche Maßnahmen nach Verfahrenseröffnung getroffen worden sind bzw. noch getroffen werden. Daneben muss der Plan alle Angaben zu Grundlagen und Auswirkungen beinhalten, die den Gläubigern ermöglichen, eine Entscheidung über den Plan zu treffen. Dies läuft darauf hinaus, dass das Planziel (Fortführung/Sanierung oder Liquidierung) angegeben wird. Der BGH führt in seiner wegweisenden Entscheidung vom 7.5.2015 aus, dass im darstellenden Teil des Plans diejenigen Angaben unerlässlich sind, die die Gläubiger für ein sachgerechtes Urteil über den Insolvenzplan, gemessen an ihren eigenen Interessen, benötigen.54) Die Vorschrift des § 220 Abs. 2 InsO enthalte demnach keine fakultative Angabe, sondern eine zwingende Regelung.55) Daneben ist eine Vergleichsrechnung zwischen der Position der Gläubiger im Regelinsolvenzverfahren und derjenigen, die durch den Plan bewirkt wird, aufzustellen,56) welche es den Gläubigern ermöglicht, das unterschiedliche wirtschaftliche Ergebnis des Insolvenzverfahrens abzulesen.57) Nur dadurch kann den Gläubigern im Ergebnis eine Entscheidungsgrundlage gegeben werden. Im Ergebnis ist somit ein Quotenvergleich notwendig.58) Hierbei sind die Vermögensgegenstände einzeln anzugeben und vollständig zu er___________ 50) BAG v. 19.11.2015 – 6 AZR 559/14, ZIP 2016, 178 = ZInsO 2016, 220, dazu EWiR 2016, 179 (Klasen); vgl. auch Brünkmans, ZInsO 2016, 245, 247. 51) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 217 Rz. 130. 52) BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482 = ZInsO 2017, 538. 53) AG Ludwigshafen v. 10.4.2015 – 3 f IN 27/14 Lu, ZIP 2015, 991 = ZInsO 2015, 859, dazu EWiR 2015, 523 (Henkel/Kanschik). 54) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZInsO 2015, 1398 ff. = ZIP 2015, 1346. 55) BGH v. 13.10.2011 – IX ZB 37/08, ZInsO 2012, 173 ff. = ZIP 2012, 187, dazu EWiR 2012, 215 (Rendels/ Körner); BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZInsO 2015, 1398 ff. = ZIP 2015, 1346. 56) Zur Frage der Kontrolltiefe der Vergleichsrechnung durch das Gericht s. Smid, ZInsO 2016, 61, 74. 57) BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141 = NZI 2018, 691. 58) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 220 Rz. 14.

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fassen,59) wobei umfassende Ausführungen zu Details der Vermögensgegenstände nicht erforderlich sind.60) Jedoch sind jedenfalls die Werte, die im Verhältnis zur Größe des Verfahrens von Bedeutung für die Meinungsbildung der Gläubiger und des Gerichts sind, anzugeben.61) Die Werte sind möglichst aktuell einzustellen und weiterzuentwickeln.62) Hierbei müssen bei einem Schuldnerplan alle rechtlichen, wirtschaftlichen und tatsächlichen Verhältnisse angegeben und offengelegt werden, z. B. Angaben zu Beteiligungen an angeblich ruhenden Gesellschaften.63) Ein Verheimlichen von Vermögensgegenständen stellt eine unlautere Herbeiführung der Annahme des Plans dar, so dass dann der Plan nach § 231 InsO zurückgewiesen werden kann.64) Grundsätzlich sind Erinnerungswerte und Rückstellungen bei unklarer Sach- und Rechtslage zulässig.65) Wenn innerhalb der Vergleichsrechnung Fehler vorhanden sind, die für die Gläubigerbefriedigung von Bedeutung sind, kann der Plan unzulässig sein.66) Bei natürlichen Personen muss bei der fiktiven Vergleichsrechnung für die Dauer des Restschuldbefreiungsverfahrens ggf. eine angemessene Gehaltssteigerung einkalkuliert sein.67) Mit dem seit dem 1.1.2021 in Kraft getretenen § 220 Abs. 2 Satz 3 InsO68) stellt der Gesetz- 40 geber klar, dass die Vergleichsrechnung bei einer Fortführungslösung durch den Insolvenzplan ebenfalls von einer Fortführung des Unternehmens auszugehen hat. Im Vergleichsszenario sind also Fortführungswerte anzusetzen. Dies gilt nach dem seit 1.1.2021 geltenden § 220 Abs. 2 Satz 4 InsO nur dann nicht, wenn ein Verkauf des Unternehmens oder eine anderweitige Fortführung aussichtslos ist. Sofern eine Vergleichsrechnung mangels alternativer Fortführungslösung anhand eines Liquidationsszenarios erfolgen soll, hat der Planersteller darzulegen, dass ein Verkauf des Unternehmens oder eine anderweitige Fortführung aussichtslos ist. Hinsichtlich der Aussichtslosigkeit eines Verkaufs wird der Planersteller sich in der Regel auf eine Expertise eines Dritten stützen können. Eine Pflicht, als Alternativszenario auch einen Investorenprozess einzuleiten, besteht dagegen nicht,69) insbesondere wenn das fehlende Aufsetzen eines Investorenprozesses gut begründet ist (z. B. keine Vermögenswerte, Unternehmen steht und fällt mit Gesellschafter, Aufspaltung in Besitzund Betriebsgesellschaft, wichtiges Vermögen wie Lizenzen und Patente im Eigentum Dritter oder Change-of-Control-Klausel bei wichtigen Verträgen etc.). Das Szenario einer Gesamtveräußerung kann nur in Betracht kommen, wenn konkrete Angebote hierfür im Beurteilungszeitraum vorliegen. Abstrakte Übertragungs- und Gesamtverkaufsmöglichkeiten müssen gerade nicht als Vergleichsmaßstab herangezogen werden.70) Angesichts des Erfordernisses einer Entscheidungsgrundlage für die Gläubiger sind im Plan 41 bei natürlichen Personen, der eine Unternehmensfortführung vorsieht, strafrechtliche Verurteilungen des Schuldners wegen Insolvenzstraftaten anzugeben, die eine Versagung ___________ 59) 60) 61) 62) 63) 64) 65) 66) 67) 68)

AG Hamburg v. 20.5.2014 – 67c IN 232/13, ZInsO 2014, 2530 ff. = ZIP 2014, 1601. BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499 = NZI 2010, 734, dazu EWiR 2010, 681 (Huber). BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141 = NZI 2018, 691. BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499 = NZI 2010, 734. AG Köln v. 15.5.2019 – 72 IN 269/17, ZIP 2019, 1182 = ZInsO 2019, 1754. LG Wuppertal v. 15.9.2015 – 16 T 324/24, NZI 2016, 494. BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZInsO 2015, 1398 ff. = ZIP 2015, 1346. BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141. LG Hamburg v. 18.11.2015 – 326 T 109/15, ZInsO 2016, 47. Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256. 69) Buchalik/Schröder, ZInsO 2016, 189 f.; Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsR, § 220 InsO Rz. 25b, so auch LG Stade v. 29.12.2017 – 7 T 151/17, NZI 2019, 31; a. A. Fröhlich/Bächstädt, ZInsO 2011, 985. 70) LG Stade v. 29.12.2017 – 7 T 151/17, NZI 2019, 31.

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der Restschuldbefreiung rechtfertigen würden.71) Daneben sind im darstellenden Teil des Plans bestehende Forderungen gegen Gesellschafter aus Darlehen, vorhandene Haftungsansprüche gegen Geschäftsführer nach § 64 GmbHG und wahrscheinlich bestehende Anfechtungsansprüche, mitzuteilen,72) wobei die finanziellen Verhältnisse des geschäftsführenden Gesellschafters anzugeben sind, wenn eine Forderung gegen ihn als nicht in Gänze werthaltig dargestellt wird.73) 42 Wenn die Gläubiger aus den Erträgen des fortgeführten schuldnerischen Unternehmens befriedigt werden sollen, ist die nach § 229 InsO dem Plan beizufügende Plan-Vermögensübersicht, Plan-Erfolgsrechnung und Plan-Liquiditätsrechnung im darstellenden Teil zu erläutern. Bei natürlichen Personen sind die Möglichkeit einer selbstständigen Tätigkeit und mögliche Erlöse hieraus aufzuzeigen. Dies soll auch gelten, wenn der Schuldner für sich entschieden hat, keine selbstständige Tätigkeit mehr aufzunehmen.74) Zur Plan-Liquiditätsrechnung hat der BGH ausgeführt, dass diese nicht zwingend in tabellarischer Form vorliegen muss. Es genügt, wenn im Plan schriftliche Ausführungen zu den Einnahmen und Ausgaben des Schuldners während des Planzeitraums gemacht werden.75) Wenn der Insolvenzplan die Zahlung von Drittmitteln zur Befriedigung der Gläubiger vorsieht, dann muss eine Erklärung des Dritten beigefügt sein, aus der sich ergibt, dass diese Drittmittel frei verfügbar und bestandssicher zur Verfügung stehen.76) Nach § 229 Satz 3 InsO sind bei der Vermögensübersicht sowie dem Ergebnis- und Finanzplan auch die dem Planersteller bekannten Forderungen zu berücksichtigen, die aber bisher noch nicht angemeldet worden sind. Hierdurch soll nach dem Willen des Gesetzgebers verhindert werden, dass der Plan nach rechtskräftiger Bestätigung durch nachträglich angemeldete Forderungen nicht mehr erfüllt werden kann. Für die gerichtliche Vorprüfung bedeutet dies, dass hierzu vom Planersteller eine Aussage im Plan enthalten sein muss. Entweder der Planersteller macht im Plan deutlich, dass keine weiteren Gläubiger mehr bekannt sind, oder er bildet für diese möglichen Gläubiger eine Rückstellung. 43 Falls der Insolvenzplan in die Rechte von Insolvenzgläubigern aus gruppeninternen Drittsicherheiten (§ 217 Abs. 2 InsO) eingreift, sind im darstellenden Teil nach dem neuen seit 1.1.2021 geltenden § 220 Abs. 3 InsO auch die Verhältnisse des die Sicherheit gewährenden verbundenen Unternehmens und die Auswirkungen des Plans auf dieses Unternehmen darzustellen. 44 Falls der Insolvenzplan eine Fortführung des schuldnerischen Unternehmens vorsieht, ist § 230 Abs. 1 InsO zu beachten. Danach ist bei einem Verwalterplan zwingend eine Erklärung des Schuldners oder bei Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit bzw. KGaA solcher Personen, die nach dem Plan nunmehr Gesellschafter des Unternehmens sein sollen, beizufügen. Aus dieser Erklärung muss sich ergeben, dass diese Personen zur Fortführung des Unternehmens bereit sind.77) Nach § 230 Abs. 3 InsO können Dritte Verpflichtungen

___________ 71) BGH v. 13.10.2011 – IX ZB 37/08, ZInsO 2012, 173 = ZIP 2012, 187, dazu EWiR 2012, 215 (Rendels/ Körner); anders noch die Vorinstanz, die grundsätzlich die Angabe von Insolvenzstraftaten verlangte (LG Berlin v. 27.12.2007 – 86 T 657/07, ZIP 2008, 324, dazu EWiR 2008, 411 (Bähr)). 72) BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499 = NZI 2010, 734. 73) AG Köln v. 19.4.2018 – 73 IN 145/17, ZInsO 2018, 2124. 74) LG Wuppertal v. 15.9.2015 – 16 T 324/14, NZI 2016, 494. 75) BGH v. 3.12.2009 – IX ZB 30/09, ZIP 2010, 341. 76) LG Hamburg v. 18.11.2015 – 326 T 109/15, ZInsO 2016, 47; LG Düsseldorf v. 16.4.2020 – 25 T 135/20, ZInsO 2020, 1935. 77) S. hierzu BGH v. 8.4.2020 – II ZB 3/19, ZRI 2020, 297 = ZInsO 2020, 31.

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gegenüber den Gläubigern übernehmen. Allerdings ist im Rahmen einer solche Erklärung die „Umwandlung“ von Masseverbindlichkeiten in Insolvenzforderungen nicht möglich.78) Hinsichtlich des gestaltenden Teils des Insolvenzplans nach § 221 InsO ist zu berück- 45 sichtigen, dass dieser neben dem gerichtlichen Bestätigungsbeschluss und dem Tabelleneintrag einen Vollstreckungstitel bildet.79) Vor diesem Hintergrund müssen die Änderungen in der Rechtsstellung der Beteiligten hinreichend bestimmt sein. Daran kann es fehlen, wenn der Plan nach einer Abschlagszahlung noch eine Schlusszahlung vorsieht, bei der unklar ist, an wen und mit welchem Anteil der Restbetrag ausgeschüttet werden soll.80) Auch die Fälligkeit der Planquote muss hinreichend bestimmt sein. Dies ist nicht der Fall, wenn sie von aufschiebenden Bedingungen abhängig ist, deren Eintritt möglicherweise nicht sicher ist.81) Es fehlt auch dann an einer hinreichenden Bestimmtheit, wenn der endgültige aktualisierte Plan auf eine vorherige Planversion Bezug nimmt, weil dann mehrere Planfassungen hätten zugestellt werden müssen.82) Nach § 221 Satz 2 InsO kann im gestaltenden Teil des Plans auch bestimmt sein, dass der 46 Verwalter ermächtigt wird, die zur Umsetzung des Plans notwendigen Maßnahmen zu ergreifen und offensichtliche Fehler des Plans zu berichtigen. Hierdurch soll nach dem Willen des Gesetzgebers der Verwalter ermächtigt sein, in Abstimmung mit dem Gericht mögliche Formfehler ohne erneute Einberufung der Gläubigerversammlung zu berichtigen, um die Umsetzung des Plans zu ermöglichen. Der Gesetzgeber nennt hier explizit Formfehler, die ggf. die Eintragung von im Plan vorgesehenen Umständen in das jeweilige Register verhindern, und bezieht sich dabei auf entsprechende Durchführungsvollmachten in Notarverträgen, die sich dort bewährt haben.83) § 248a InsO sieht dann jedoch vor, dass eine Berichtigung des Insolvenzplans der Bestätigung des Insolvenzgerichts bedarf.84) Eine solche Planberichtigungsklausel kann jedoch unzulässig sein, wenn sie unbestimmt ist und die Planberichtigungsbefugnis des Verwalters nach § 221 Satz 2 InsO sowie das gerichtliche Planberichtigungsbestätigungsverfahren leerlaufen lässt.85) Die in einem Insolvenzplan enthaltene salvatorische Klausel, wonach die Wirksamkeit der übrigen Bestimmungen nicht berührt sein soll, wenn eine Bestimmung des Insolvenzplans unwirksam ist, ist unzulässig. So führen Planregelungen, die gegen gesetzliche Vorgaben verstoßen, immer zur Zurückweisung des Plans bzw. zur Versagung der Planbestätigung. Dem könne man nicht mit einer salvatorischen Klausel entgegenwirken.86) Die Erteilung der Restschuldbefreiung kann nur durch das Insolvenzgericht erfolgen, 47 nicht durch den Insolvenzplan. Das AG Göttingen vertritt hierzu aber die Ansicht, dass auch nach Bestätigung des Insolvenzplans zusätzlich ein Antrag auf Restschuldbefreiung gestellt werden kann.87) Ein solches Bedürfnis kann durchaus bestehen, da der SchufaEintrag oft erst nach Vorzeigen einer gerichtlichen Erteilung der Restschuldbefreiung nach § 300 InsO gelöscht wird. Angesichts der eindeutigen Regelung des § 227 Abs. 1 InsO ist ___________ 78) LG Neuruppin v. 3.5.2018 – 1 O 74/17, ZInsO 2018, 2365. 79) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 16. 80) AG Hannover v. 30.9.2016 – 902 IN 607/14, ZIP 2016, 2081 = ZInsO 2016, 2093, dazu EWiR 2017, 23 (Körner). 81) BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141. 82) AG Hamburg v. 19.4.2016 – 67c IN 232/13, ZInsO 2016, 2209 = NZI 2016, 1002. 83) Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. § 221 Satz 2 und § 248a InsO, BT-Drucks. 17/7511. 84) Vgl. hierzu Frind, ZInsO 2011, 2249, 2260. 85) AG Hamburg v. 20.5.2014 – 67c IN 232/13, ZInsO 2014, 2530 ff. = ZIP 2014, 1601. 86) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZInsO 2015, 1398 ff. = ZIP 2015, 1346. 87) AG Göttingen v. 11.12.2020 – 74 IN 76/18, NZI 2021, 283 = ZInsO 2021, 403.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

allerdings für eine Erteilung der Restschuldbefreiung nach § 300 InsO kein Raum, so dass sich die Restschuldbefreiung ausschließlich aus dem Insolvenzplan ergeben kann.88) 48 Der Insolvenzplan kann auch nicht den Insolvenzverwalter bevollmächtigen, nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens eine bisher noch nicht anhängig gemachte Insolvenzanfechtungsklage zu erheben. Eine solche Regelung ist unzulässig und verstößt gegen § 221 Satz 1 InsO sowie gegen § 259 Abs. 3 InsO.89) Auch eine Bevollmächtigung eines anwaltlichen Treuhänders, der eine Masseforderung zwecks Nachtragsverteilung nach Verfahrensaufhebung einziehen soll, ist unzulässig. Dies stellt einen Verstoß gegen § 259 Abs. 3 InsO dar, da diese Regelung angesichts ihres Ausnahmecharakters nicht auf andere als schwebende Insolvenzanfechtungsklagen analog anzuwenden ist.90) Andererseits ist es aber zulässig, dass der Insolvenzverwalter nach dem Insolvenzplan auf die Geltendmachung von Anfechtungsansprüchen verzichten soll.91) 49 Wenn in der Insolvenz einer Genossenschaft ein Plan vorgelegt wird, muss das Gericht daneben noch prüfen, ob insoweit die besonderen Inhaltsbestimmungen des Plans nach § 116 GenG erfüllt sind. 4.

Sachgerechte Gruppenbildung

50 Nach § 231 InsO unterliegt auch die Gruppenbildung nach § 222 InsO der Vorprüfung durch das Insolvenzgericht (siehe zur Gruppenbildung ausführlich Haneke, HRI II, § 24). Hierbei ist vom Insolvenzgericht zu prüfen, ob der Insolvenzplan bei der Festlegung der Rechte die in § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 2 und 4 InsO genannten obligatorischen Gruppen der absonderungsberechtigten Gläubiger, der nicht nachrangigen Gläubiger und der am Schuldner beteiligten Personen vorsieht, soweit der Insolvenzplan in deren Rechte eingreift. Die in § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 InsO benannte obligatorische Gruppe der Anteilsinhaber ist hinzugefügt worden, da nunmehr der Insolvenzplan nach § 217 Satz 2 InsO auch in die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte dieser Anteilsinhaber eingreifen kann.92) 51 Neu eingefügt als Nr. 5 ist seit dem 1.1.2021 die Gruppe der Inhaber von Rechten aus gruppeninternen Sicherheiten, die nur dann notwendig zu bilden ist, wenn in die Rechtsposition eingegriffen wird.93) Nach § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO sind auch für die nachrangigen Gläubiger eigene Gruppen zu bilden, soweit deren Forderungen nach § 225 InsO nicht als erlassen gelten. Angesichts der gegebenen Gestaltungsfreiheit kann auch eine im System des § 39 InsO weiter hinten angesiedelte Rangklasse im Plan geregelt werden, ohne dass zwangsläufig vorangehende Klassen abweichend im Plan geregelt werden müssen.94) 52 Innerhalb einer Gruppe von Beteiligten mit gleicher Rechtsstellung können nach § 222 Abs. 2 Satz 1 InsO Gruppen von Beteiligten mit gleichartigen wirtschaftlichen Interessen gebildet werden, sog. fakultative Gruppenbildung. Sowohl Gläubiger als auch Inhaber von Anteilsoder Mitgliedschaftsrechten am Schuldner müssen also nicht zwangsläufig gleichbehandelt werden, auch wenn sie die gleiche Rechtsstellung haben. Die innerhalb dieser Gruppe mögliche Gruppenaufspaltung nach gleichartigen wirtschaftlichen Interessen muss dann aber nach § 222 Abs. 2 InsO sachgerecht erfolgen, wobei die Abgrenzungskriterien im Plan ___________ 88) Nach Kenntnis des Verfassers entspricht dies auch einer Handhabung in der gerichtlichen Praxis; so auch Madaus, NZI 2021, 284. 89) BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141. 90) BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141. 91) LG Mannheim v. 24.7.2020 – 4 T 127/17, ZInsO 2021, 456. 92) S. hierzu auch Martini/Horstkotte, ZInsO 2017, 1913, 1918. 93) Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsR, § 222 InsO Rz. 15a. 94) Martini/Horstkotte, ZInsO 2017, 1913, 1919.

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Vorprüfung durch das Insolvenzgericht, Niederlegung

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nach § 222 Abs. 2 Satz 3 InsO angegeben werden müssen. Im Rahmen der Vorprüfung hat das Insolvenzgericht im Falle einer fakultativen Gruppenbildung somit zu überprüfen, ob überhaupt die dabei berücksichtigten Abgrenzungskriterien im Plan dargestellt worden sind.95) Es ist im Plan zu erläutern, aufgrund welcher gleichartiger insolvenzbezogener wirtschaftlicher Interessen eine bestimmte Gruppe gebildet wurde und inwieweit alle Beteiligten, deren diesbezügliche wirtschaftliche Interessen übereinstimmen, derselben Gruppe zugeordnet worden sind.96) Diese Abgrenzungskriterien dürfen nicht rein floskelhaft und unbestimmt formuliert sein.97) Es hat dann weiter zu überprüfen, ob die Gruppenbildung den im Plan dargelegten Krite- 53 rien entspricht.98) Nach der Entscheidung des AG Köln vom 6.4.201699) erfordert die sachgerechte Abgrenzung der Gruppen nach § 222 Abs. 2 Satz 2 InsO die Darlegung, dass es für die Unterscheidung von zwei oder mehr gebildeten Gruppen einen sachlich gerechtfertigten Grund gibt, was einem Differenzierungsverbot gleichkommt. Ferner hat das Gericht entschieden, dass Gläubiger mit im Wesentlichen gleichartigen wirtschaftlichen Interessen in einer Gruppe zusammengefasst werden müssen. Darüber hinaus ist eine über § 222 Abs. 1 InsO hinausgehende Gruppendifferenzierung nur dann gerechtfertigt, wenn den so separierten Gläubigern jeweils andere Rechte zugewiesen werden. In einem konkreten Fall hat der BGH es nicht beanstandet, dass alle Forderungen der Arbeitnehmer und der Agentur für Arbeit, soweit die Arbeitnehmerforderungen auf die Agentur übergegangen sind, in einer Gruppe zusammengefasst wurden, da hier für beide Gläubiger der Erhalt der Arbeitsplätze eine besondere Rolle spiele. Da dies auf der Hand liege, führt auch eine fehlende Begründung dieser Gruppenbildung nicht zur Zurückweisung.100) Auch die Zusammenfassung der Sozialversicherungsträger, der Krankenkassen und des Fiskus in einer Gruppe ist zulässig, da diese Forderungen öffentlich-rechtlich festgesetzt und verfolgt werden.101) Das AG Cuxhaven hat festgestellt, dass auch die Bildung einer eigenen Gruppe für Gläubiger mit Drittsicherheiten zulässig und sachgerecht sein kann.102) Für gruppeninterne Drittsicherheiten ist dies nun in § 222 Abs. 1 Nr. 5 InsO Gesetz geworden. In § 222 Abs. 3 Satz 2 InsO hat der Gesetzgeber klargestellt, dass neben den Kleingläubi- 54 gern auch die Anteilsinhaber besonders behandelt werden dürfen, die nur mit einem äußerst geringen Anteil, nämlich mit weniger als 1 % oder mit weniger als 1.000 €, am Schuldner beteiligt sind und keinen unternehmerischen Einfluss haben. Insoweit stellt die Beteiligungshöhe ein zulässiges Abgrenzungskriterium dar. Falls jedoch innerhalb der Gruppe der Kleingläubiger mehrere Gruppen gebildet werden, ist ebenfalls eine sachgerechte Abgrenzung und die Angabe der Abgrenzungskriterien im Plan erforderlich.103) Auch für die Abgrenzung der Zugehörigkeit zur Gruppe der Kleingläubiger ist eine Begründung erforderlich, wobei willkürliche fixe betragsmäßige Kriterien ohne Erläuterung nach Ansicht des AG Ludwigshafen104) dabei regelmäßig ungeeignet sind. Allerdings setzt nach Meinung des AG Ludwigshafen die Bildung einer Gruppe von Kleingläubigern nicht deren vollstän___________ 95) 96) 97) 98) 99) 100) 101) 102) 103)

AG Köln v. 6.4.2016 – 74 IN 45/15, ZIP 2016, 1240 = ZInsO 2016, 1218. BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZInsO 2015, 1398 ff. = ZIP 2015, 1346. LG Mainz v. 2.11.2015 – 8 T 132/15, ZIP 2016, 587, dazu EWiR 2016, 183 (Storz). Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 109. AG Köln v. 6.4.2016 – 74 IN 45/15, ZIP 2016, 1240 = ZInsO 2016, 1218. BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZInsO 2015, 1398 ff. = ZIP 2015, 1346. BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZInsO 2015, 1398 ff. = ZIP 2015, 1346. AG Cuxhaven v. 14.9.2017 – 12 IN 168/16, ZInsO 2017, 2128. LG Neuruppin v. 19.4.2013 – 2 T 33/13, ZIP 2013, 1541 = NZI 2013, 646 m. Anm. Lojowsky, dazu EWiR 2013, 661 (Frind). 104) AG Ludwigshafen v. 26.1.2021 – 3a IN 139/19 LU, ZVI 2021, 266 = ZIP 2021, 809.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

dige Befriedigung voraus.105) Das AG Hamburg hatte vertreten, dass der Insolvenzplan über das Vermögen einer natürlichen Person für Gläubiger mit Forderungen, die nicht der Restschuldbefreiung nach § 302 InsO unterliegen, eine gesonderte Gruppe bilden muss.106) Eine Differenzierung ist nach der Entscheidung des LG Hamburg allerdings nicht notwendig, wenn für alle Gläubiger die Restschuldbefreiung mangels eines entsprechenden Antrags des Schuldners nicht greift.107) Die Bildung einer „Sondergruppe“ für Insolvenzgläubiger, die nicht rechtzeitig ihre Forderungen angemeldet haben mit materiellen Ausschluss von der Verteilung ist unzulässig.108) 55 In der Literatur ist vornehmlich in der Vergangenheit vereinzelt vertreten worden, dass das Insolvenzgericht den Plan auch auf manipulative Gruppenbildung zu überprüfen hat. Danach verstößt der Plan gegen § 222 InsO, wenn die Gruppenbildung gezielt auf die Herstellung eines bestimmten Abstimmungsergebnisses gerichtet ist.109) Die Ansicht wird inzwischen überwiegend abgelehnt, mit der Begründung, dass die Gestaltungsgrenze lediglich in einer sachgerechten Gruppenbildung bestehe. Dagegen dürfe der Planverfasser bei der Gruppenbildung sehr wohl strategische Gesichtspunkte insbesondere im Zusammenhang mit dem Abstimmungsergebnis berücksichtigen.110) Diese Ansicht hat der Gesetzgeber in seiner Begründung zum geänderten § 231 InsO nach dem ESUG bestätigt. Danach soll die Ergänzung von § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO durch den Wortlaut „insbesondere zur Bildung von Gruppen“ deutlich machen, dass das Gericht „insbesondere die sachgerechte Gruppenbildung überprüfen müsse“. Im Rahmen der Vorprüfung durch das Gericht besteht die Möglichkeit die Gruppenbildung dahingehend zu analysieren, ob ein Mindestmaß an überprüfbaren Kriterien berücksichtigt wurde, um ggf. Manipulationen bei der Abstimmung über den Plan zu vermeiden. Das Insolvenzgericht hat daher die Möglichkeit, die Bestätigung des Insolvenzplans zu versagen oder auch gemäß § 231 InsO den Insolvenzplan von Amts wegen zurückzuweisen. Es ist befugt, dies schon vor der Abstimmung zu tun, wenn die Vorschriften über die Gruppenbildung verletzt worden sind.111) 56 Eine Gruppe mit nur einem Gläubiger (Ein-Personen-Gruppe) oder ein Insolvenzplan mit nur einer Gruppe (Ein-Gruppen-Plan) ist grundsätzlich zulässig.112) 5.

Erfolgsaussichten und Erfüllbarkeit des Insolvenzplans

57 Im Rahmen der Vorprüfung obliegt dem Insolvenzgericht auch die Aufgabe, einen vom Schuldner vorgelegten Insolvenzplan auf seine offensichtlich fehlenden Erfolgsaussichten und offensichtlich fehlende Erfüllbarkeit hin nach § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 InsO zu überprüfen. Insbesondere, wenn schon bei der gerichtlichen Vorprüfung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass ein erfolgreicher Minderheitenschutzantrag gestellt wird, der auch nicht durch eine gesicherte Kompensationszahlung ausgeglichen werden kann, kann das Gericht den Plan mangels Erfolgsaussichten nach § 231 Abs. 1 Satz 1 ___________ 105) So auch Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 37. 106) AG Hamburg v. 19.4.2016 – 67 c IN 232/13, ZInsO 2016, 2209. 107) LG Hamburg v. 15.1.2018 – 326 T 40/17, ZInsO 2018, 331 = ZIP 20118, 389; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 30. 108) LG Hamburg v. 7.2.2018 – 326 T 120/16, NZI 2018, 261 = ZInsO 2020, 1204. 109) Smid, InVo 1997, 169, 177. 110) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 110 ff.; Thies in: HambKomm-InsO, § 222 Rz. 3; Lüer/ Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 222 Rz. 4; Weßling, ZInsO 2021, 1127; so auch LG Mannheim v. 24.7.2020 – 4 T 127/17, ZInsO 2021, 456. 111) Raab, jurisPR-InsR 15/2013 Anm. 4. 112) Thies in: HambKomm-InsO, § 222 Rz. 4; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 31; zur EinPersonen-Gruppe Hingerl, ZInsO 2007, 1337; zum Ein-Gruppen-Plan Bilgery, DZWIR 2001, 316; LG Hamburg v. 15.1.2018 – 326 T 40/17, ZInsO 2018, 331 = ZIP 2018, 389.

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Vorprüfung durch das Insolvenzgericht, Niederlegung

§ 30

Nr. 2 InsO zurückweisen.113) Im Übrigen darf nur in eindeutigen Fällen von der Befugnis zur Zurückweisung Gebrauch gemacht werden.114) Im Hinblick auf die offensichtliche Unerfüllbarkeit des Plans sind die im gestaltenden Teil 58 dargestellten Ansprüche zu überprüfen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es sich in der Regel um Prognosen zur wirtschaftlichen Zukunft des Unternehmens handelt, deren Eintreten von verschiedenen Bedingungen abhängig und somit schwierig zu beurteilen ist. Für das Gericht empfiehlt es sich, in diesem Bereich eher eine defensive Rolle einzunehmen.115) Die Erfüllbarkeit sollte grundsätzlich nur dann in Zweifel gezogen werden, wenn die entsprechenden Probleme objektiv aus dem vorgelegten Plan hervorgehen. Sie muss sich dem Gericht ohne die Beteiligung Dritter, z. B. Sachverständiger, erschließen. Das BSG spricht in diesem Zusammenhang ausdrücklich von einer sog. Evidenzprüfung.116) Anders als im Falle von behebbaren inhaltlichen Mängeln nach § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 59 InsO ist für den Fall der offensichtlich fehlenden Erfolgsaussichten oder Erfüllbarkeit des Plans nach § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 InsO nach dem Gesetzeswortlaut keine Nachbesserungsmöglichkeit vorgesehen.117) Die h. M. geht aber zu Recht nunmehr davon aus, dass Argumente des rechtlichen Gehörs und auch der sinnvollen Verfahrensbeschleunigung dafür sprechen, auch bei Vorlage eines Schuldnerplans, dem vorlegenden Schuldner Gelegenheit zur Nachbesserung zu geben.118) 6.

Wiederholte Planvorlage

Legt der Insolvenzschuldner einen Insolvenzplan vor, muss das Insolvenzgericht nach § 231 60 Abs. 2 InsO zur Vermeidung von Verfahrensverzögerungen überprüfen, ob es sich um eine erneute Planvorlage handelt. Hierbei sind die drei folgenden Arten von Insolvenzplänen zu unterscheiden, Pläne die 

von den Gläubigern abgelehnt,



vom Gericht nicht bestätigt oder



vom Schuldner nach der öffentlichen Bekanntmachung des Erörterungstermins zurückgezogen worden sind.

Liegt eine dieser Voraussetzungen bei einem vom Schuldner vorgelegten vorherigen Plan 61 vor, ist der neue Insolvenzplan des Schuldners durch das Gericht zurückzuweisen, sofern der Insolvenzverwalter dies beantragt. Ist ein Gläubigerausschuss bestellt, bedarf der Antrag des Verwalters der Zustimmung dieses Gläubigerausschusses, § 231 Abs. 2 InsO. Ziel der Regelung ist es zu vermeiden, dass der Insolvenzschuldner sein Recht, einen eigenen Plan vorzulegen, missbraucht und durch erneute bzw. wiederholte Planvorlagen die Befriedung der Gläubiger sowie den Fortgang des Verfahrens beeinträchtigt.119)

___________ 113) BGH v. 20.7.2017 – IX ZB 13/16, ZIP 2017, 1576 = NZI 2017, 751 m. Anm. Madaus, dazu EWiR 2017, 601 (Horstkotte). 114) LG Mannheim v. 24.7.2020 – 4 T 127/11, ZInsO 2021, 456. 115) Vgl. hierzu auch LG Hamburg v. 15.1.2018 – 326 T 40/17, ZInsO 2018, 331 = ZIP 2018, 389. 116) BSG v. 21.11.2002 – B 11 AL 35/02 R, ZIP 2003, 445, 447. 117) So vertreten in der Vorauflage; gleichfalls in der Vorauflage Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, 14. Aufl., § 231 Rz. 38; AG Hamburg v. 19.4.2016 – 67c IN 232/13, ZInsO 2016, 2209 = NZI 2016, 1002. 118) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 231 Rz. 38; Breuer in: MünchKomm-InsO, § 231 Rz. 7; Ober in: Nerlich/Römermann, InsO, § 231 Rz. 4; Thies in HambKomm-InsO, § 231 Rz. 28. 119) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, Rz. 42, ZInsO 2015, 1398 ff. = ZIP 2015, 1346.

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§ 30 7.

2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf Entscheidung des Gerichts

62 Die Zurückweisung des Insolvenzplans erfolgt im Beschlusswege. Das zulässige Rechtsmittel gegen diese Entscheidung des Insolvenzgerichts ist die sofortige Beschwerde, § 231 Abs. 3 InsO. 63 Sofern der vorgelegte Plan nicht zurückgewiesen wird, erfolgt nach Abschluss der Vorprüfung eine Übersendung des Plans zur Stellungnahme nach § 232 Abs. 1 InsO an den Gläubigerausschuss, falls ein solcher bestellt ist, den Betriebsrat und den Sprecherausschuss der leitenden Angestellten sowie den Insolvenzverwalter bzw. den Insolvenzschuldner, je nachdem, wer den Plan vorgelegt hat. 64 Problematisch war bislang, dass sich aus der Übersendung des Plans zur Stellungnahme eben auch Gründe für die Zurückweisung finden konnten. Nach Veranlassung der Stellungnahmen war aber ein Zurückweisungsbeschluss nach § 231 InsO nicht zulässig, da das Gesetz davon ausging, dass die Stellungnahmen erst eingeholt werden, wenn die Vorprüfung abgeschlossen ist und sich keine Zurückweisungsgründe finden lassen. Der BGH hat hierzu in einer Entscheidung Stellung genommen und betont, dass die Einholung einzelner Stellungnahmen dann zulässig ist, wenn dies ausdrücklich der Vorbereitung der gerichtlichen Entscheidung dient und sich dementsprechend auch nur an diejenigen richtet, denen eine Schlechterstellung droht. Dann liege keine Zuleitung nach § 232 InsO und somit keine konkludente Zulassung des Plans vor. Das Gericht könne den Plan dann noch zurückweisen.120) 65 Nunmehr ist durch das SanInsFoG vom 22.12.2020121) die Vorschrift des § 232 Abs. 4 InsO neu eingefügt worden, die als weiterer Baustein der Verfahrensbeschleunigung und Aufdeckung von Zustimmungshindernissen durch frühzeitige Einbindung der beteiligten Personengruppen dient. Hiernach kann das Gericht den in den Absatz 1 und 2 Genannten den Plan auch bereits vor seiner Entscheidung nach § 231 InsO zur Stellungnahme zuleiten und den so ggf. gewonnenen neuen Tatsachenvortrag auch zur Grundlage seiner Zurückweisungsentscheidung machen. Dann allerdings muss das Gericht die fragliche eingegangene Stellungnahme zur erneuten Stellungnahme dem Planvorleger und den anderen nach Absatz 1 Berechtigten zur erneuten Stellungnahme binnen einer Frist von höchstens einer Woche zuzuleiten. Zur Verfahrensbeschleunigung empfiehlt es sich, wenn der Planvorleger den Plan direkt mit den Stellungnahmen der beteiligten Personengruppen einreicht. 66 Darüber hinaus kann das Insolvenzgericht außerdem Stellungnahmen der berufsständischen Vertretungen oder anderer sachkundiger Stellen einholen, sofern es dies für geboten erachtet, § 232 Abs. 2 InsO. 8.

Fristen

67 Nach § 231 Abs. 1 Satz 2 InsO soll die Entscheidung des Gerichts innerhalb von zwei Wochen nach Vorlage des Insolvenzplans erfolgen. Vor dem ESUG fehlte eine solche Fristenregelung. Damit wird einem Bedürfnis der Praxis nach einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung getragen, da dies die Sanierungschancen von Unternehmen erhöht. Durch die insoweit hinzugefügte Regelung als Sollvorschrift betont der Gesetzgeber die Notwendigkeit einer unverzüglichen Prüfung.122) Gleichwohl soll dem Insolvenzrichter bei komplexeren Sachverhalten die Möglichkeit offenbleiben, eine längere Vorprüfung vorzunehmen. ___________ 120) BGH v. 20.7.2017 – IX ZB 13/16, ZIP 2017, 1576 = NZI 2017, 751 m. Anm. Madaus; s. a. Paul, ZInsO 2012, 259; anders bereits (Gesetzeslage vor dem 1.1.2021) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, 15. Aufl., § 231 Rz. 36. 121) Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256. 122) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 231 Rz. 34.

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Vorprüfung durch das Insolvenzgericht, Niederlegung

§ 30

Im Sinne der Verfahrensbeschleunigung wird im Falle eines Schuldnerplans, der mit dem Insolvenzantrag eingereicht wird, richtigerweise vertreten, dass das Gericht auch schon vor Verfahrenseröffnung den Plan nach § 231 InsO prüfen und ggf. bei Mängeln beheben lassen kann. Auch die Zustellung zwecks Stellungnahmen kann sodann – anders als noch in der Vorauflage vertreten – bereits vor Verfahrenseröffnung erfolgen. Das ergibt sich daraus, dass dem Eilcharakter des Verfahrens gerade mit Blick auf umzusetzende Sanierungsmaßnahmen Rechnung zu tragen ist. Auch besteht kein Grund, die Stellungnahmen nicht so frühzeitig wie möglich einzuholen, wie sich aus der Wertung des mit Wirkung zum 1.1.2021 neu eingefügten § 232 Abs. 4 InsO ergibt. Dabei ist anstelle des Gläubigerausschusses der vorläufige Gläubigerausschuss nach §§ 21 Abs. 1 Nr. 1a, 22 InsO zur Stellungnahme berufen.123) Hinsichtlich der Fristen zur Abgabe der Stellungnahme siehe Stahlschmidt, HRI II, § 32 Rz. 10 f. III.

Niederlegung des Insolvenzplans

1.

Öffentlichkeit

Die Niederlegung des Insolvenzplans nach § 234 InsO zur Einsicht der Beteiligten stellt 68 einen wesentlichen Punkt im Verfahren zur Aufstellung des Insolvenzplans dar. Durch die Niederlegung soll allen Verfahrensbeteiligten eine Chance auf eine angemessene Beteiligung und die Gelegenheit zur Einsicht in die gerichtlichen Unterlagen gegeben werden. Das hiermit verbundene Recht zur Einsicht der Beteiligten richtet sich ausschließlich gegen das Insolvenzgericht, nicht etwa auch gegen den Insolvenzverwalter. Somit können die Beteiligten auch Abdrucke oder Auszüge von Insolvenzplänen sowie sonstigen Unterlagen nur vom Insolvenzgericht erbitten. Der Insolvenzplan nebst Plananlagen und alle eventuell eingegangenen Stellungnahmen 69 sind auf der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts niederzulegen. Hierdurch soll den Beteiligten die Gelegenheit für eine optimale Vorbereitung auf den Erörterungs- und Abstimmungstermin geben werden. Eine nicht ordnungsgemäß erfolgte Niederlegung kann möglicherweise zu „Rügen“ der Verfahrensbeteiligten und damit Verfahrensverzögerungen führen. Sie kann außerdem dazu führen, dass sich Verfahrensbeteiligte aufgrund unvollständig niedergelegter Unterlagen gegen eine Teilnahme an dem Erörterungs- und Abstimmungstermin entscheiden; dies kann ebenfalls negative Auswirkungen auf den weiteren Verfahrensablauf sowie eventuelle Haftungsansprüche begründen. Unter Umständen ist sogar die gerichtliche Bestätigung zu versagen (§ 250 Nr. 1 InsO), wobei es dann davon abhängt, welche Unterlage nicht niedergelegt wurde.124) 2.

Einsichtsrechte

Ein Einsichtsrecht in die niedergelegten Unterlagen haben alle Beteiligten am Insolvenz- 70 planverfahren, dies sind die Insolvenzgläubiger, die Forderungen angemeldet haben, die absonderungsberechtigten Gläubiger, sofern durch den Plan in ihre Rechte eingegriffen werden soll (§ 223 Abs. 2 Satz 2 InsO), der Insolvenzverwalter, der Insolvenzschuldner, der Betriebsrat und der Sprecherausschuss der leitenden Angestellten. Aus der Regelung des § 235 Abs. 2 Satz 2 InsO, die eine Bekanntmachung fordert, dass der Plan und die eingegangenen Stellungnahmen auf der Geschäftsstelle eingesehen werden können, ist zu schließen, dass die Niederlegung spätestens zum Zeitpunkt dieser Bekanntmachung zu erfolgen hat. Mit der Niederlegung des Insolvenzplans zur Einsicht der Beteiligten endet dieser Ver- 71 fahrensabschnitt. ___________ 123) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 232 Rz. 4; Breuer in: MünchKomm-InsO, § 232 Rz. 8. 124) Paul, ZInsO 2021, 888; Breuer in: MünchKomm-InsO, § 234 Rz. 12.

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§ 31 Gläubigerausschuss Ampferl

I. Vorbemerkungen........................................ 1 II. Auftrag zur Ausarbeitung eines Insolvenzplans (§ 284 Abs. 1 Satz 2 InsO).......................... 3 III. Beratende Mitwirkung bei der Planerstellung (§ 218 Abs. 3 InsO)................... 6 1. Zweck der beratenden Mitwirkung............. 6 2. Anwendungsbereich .................................... 8 3. Umfang und Ausgestaltung der Mitwirkung .......................................... 13 4. Einbeziehung der Stellungnahmen des Ausschusses ......................................... 19 5. Pflicht zur Mitwirkung.............................. 22 6. Rechtsfolgen bei unterlassener Beteiligung.................................................. 23 7. Vergütung................................................... 25 IV. Zustimmungsrechte ................................. 26 1. Zurückweisung des Plans bei erneuter Planvorlage (§ 231 Abs. 2 InsO)............... 26 1.1 Grundlagen des Zurückweisungsrechts............ 26 1.2 Prüfungsmaßstab und Prüfungstiefe des Gläubigerausschusses ............. 27 2. Fortsetzung der Verwertung und Verteilung (§ 233 Satz 2 InsO) ................. 30 2.1 Einordnung der Regelung............. 30 2.2 Antrag des Verwalters und Zustimmungsentscheidung des Ausschusses............................. 33 2.3 Rechtsmittel................................... 35 V. Informationsrechte................................... 36 1. Stellungnahme zum Insolvenzplan (§ 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO) ......................... 36 1.1 Zweck der Stellungnahme............. 37 1.2 Zuleitung des Plans ....................... 40 1.3 Frist zur Stellungnahme................ 42

I.

1.4

Form und Folgen der Stellungnahme......................... 44 1.5 Rechtsfolgen einer fehlenden Stellungnahme ............................... 48 1.5.1 Keine Stellungnahme innerhalb der Frist.......................................... 48 1.5.2 Unterlassene Anhörung durch das Gericht .......................... 50 2. Beteiligung bei Planbestätigung und Planberichtigung ........................................ 52 2.1 Zweck der Anhörung zur Planbestätigung....................... 52 2.2 Keine Anhörungspflicht ............... 54 2.3 Art und Weise der Anhörung....... 57 2.4 Anhörung bei der Planberichtigung ............... 59 2.5 Versagungsantrag bei der Planberichtigung ............... 61 3. Information vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 258 Abs. 3 Satz 3 InsO) ........................ 63 4. Aufgaben und Befugnisse des Gläubigerausschusses bei der Planüberwachung........................... 66 4.1 Fortbestand der Ämter ................. 66 4.2 Aufgaben des Gläubigerausschusses ............. 68 4.3 Anzeigepflicht des Insolvenzverwalters (§ 262 InsO) ................ 73 4.3.1 Normzweck ................................... 73 4.3.2 Gegenstand der Anzeigepflicht .... 75 4.3.3 Unverzüglichkeit der Anzeige...... 78 4.3.4 Form der Anzeige ......................... 80 4.3.5 Folgen einer Anzeige für den Gläubigerausschuss .......... 81 VI. Haftungsfragen ......................................... 83

Vorbemerkungen

1 Zur Wahrung der Interessen der Gläubiger sind dem Gläubigerausschuss – soweit bestellt – auch im Planverfahren Mitwirkungsrechte gemäß § 218 Abs. 3, § 231 Abs. 2, § 232 Abs. 1 Nr. 1, § 233 Satz 2, § 248 Abs. 2, § 248a Abs. 2, § 258 Abs. 3 Satz 3, § 261 Abs. 2, § 262 und § 284 Abs. 1 Satz 2 InsO eingeräumt, durch die er Einfluss auf die wesentlichen verfahrensrechtlichen Schritte hat. 2 Im Rahmen des Planverfahrens finden – soweit der Plan keine abweichende Regelung trifft – die allgemeinen Vorschriften Anwendung. Für den Gläubigerausschuss gelten damit die §§ 67 bis 73 InsO sowie die besonderen in verschiedenen Vorschriften normierten Rechte und Pflichten (siehe oben Ampferl, HRI II, § 11). In diesem Kapitel werden lediglich die

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Ampferl

§ 31

Gläubigerausschuss

spezifischen Rechte und Pflichten des Gläubigerausschusses i. R. eines Insolvenzplans beleuchtet. II.

Auftrag zur Ausarbeitung eines Insolvenzplans (§ 284 Abs. 1 Satz 2 InsO)

In der Eigenverwaltung hat gemäß § 218 Abs. 1 Satz 1 InsO nur der Schuldner ein origi- 3 näres Recht zur Planvorlage. Die Gläubigerversammlung kann den Sachwalter mit der Erstellung eines Insolvenzplans beauftragen (§ 284 Abs. 1 Satz 1 InsO). Im Anschluss an die Rechtsprechung des BGH1) wurde durch das SanInsFoG2) in § 284 Abs. 1 Satz 2 InsO dem vorläufigen Gläubigerausschuss die Möglichkeit übertragen, dem vorläufigen Sachwalter einen Auftrag zur Erstellung eines Insolvenzplans zu erteilen. Ziel der Regelung ist es, durch die Übertragung der Planerstellung an den vorläufigen Sachwalter als Vertrauensperson – anstelle des Schuldners – Sanierungen zu beschleunigen.3) Der Gläubigerausschuss kann gemäß § 284 Abs. 1 Satz 2 InsO auch den Schuldner mit der 4 Planerstellung beauftragen. Dieser hat gemäß § 218 Abs. 1 Satz 1 InsO allerdings ohnehin ein originäres Planvorlagerecht. Im Rahmen einer Beauftragung kann der Gläubigerausschuss jedoch Vorgaben zu Zielen und zum Zeitplan machen, die für den Schuldner bindend sind.4) Im Rahmen seiner allgemeinen Überwachungs- und Unterstützungspflichten gemäß § 69 5 InsO muss der Gläubigerausschuss prüfen, ob ein entsprechender Auftrag zu erteilen ist, weil sich durch ein Planverfahren bessere Ergebnisse für die Gläubiger erzielen lassen und wer zu beauftragen ist – in der Eigenverwaltung also vorrangig der Schuldner. III.

Beratende Mitwirkung bei der Planerstellung (§ 218 Abs. 3 InsO)

1.

Zweck der beratenden Mitwirkung

Die Erstellung eines Insolvenzplans ist ein längere Zeit andauernder strukturierter Prozess, 6 einschließlich der Erstellung betriebswirtschaftlicher Planrechnungen und Analysen sowie der Vergleichsrechnung gemäß § 220 Abs. 2 Satz 2 InsO. Zielsetzung der Regelung ist eine aktive Mitgestaltung des Ausschusses, im Gegensatz zur 7 rein passiven Entgegennahme des ausgearbeiteten Plans.5) Durch die Beteiligung der potentiell Betroffenen am Prozess werden die Meinungsvielfalt bei der Planaufstellung erhöht, nicht annahmefähige Regelungen erkannt und zugleich aus verfahrenspsychologischer Sicht die Chancen auf Akzeptanz des vorgelegten Plans gesteigert.6) Um durch die Mitwirkung eine zügige Planung nicht zu behindern, hat der Gesetzgeber den Kreis der Teilhabenden auf den Gläubigerausschuss und andere explizit genannte Gläubigergruppen beschränkt.7) 2.

Anwendungsbereich

Nach Maßgabe des § 218 Abs. 3 InsO wirkt der Gläubigerausschuss bei der Planaufstellung 8 durch den Verwalter beratend mit. Ob der Plan im Auftrag der Gläubigerversammlung ___________ 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7)

BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981. Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 210. So für die Gläubigerversammlung: Kern in: MünchKomm-InsO, § 284 Rz. 17. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 50: „System multilateraler Verhandlungspflichten“. Spahlinger in: KPB, InsO, § 218 Rz. 51; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 218 Rz. 51; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 37. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 218 Rz. 51.

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§ 31

2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

oder aufgrund der Eigeninitiative des Verwalters aufgestellt wird, ist insoweit unerheblich.8) Die Vorschrift des § 218 Abs. 3 InsO bezieht sich gleichermaßen auf die beiden vorherigen Absätze.9) 9 Nach allgemeiner Ansicht gilt § 218 Abs. 3 InsO seinem Wortlaut nach nicht, wenn der Schuldner den Plan aufstellt. Die Vorschrift ist auch nicht entsprechend anwendbar.10) Der Schuldner würde der gesetzlich beabsichtigten Möglichkeit beraubt, den Gläubigern mit einem vollständig ausgearbeiteten Plan zu begegnen, ihnen also eine Alternative zur Abwicklung des Verfahrens durch den Insolvenzverwalter aufzuzeigen. 10 Erarbeitet der Schuldner als Eigenverwalter einen Plan, muss § 218 Abs. 3 InsO zur Anwendung kommen.11) Die Verfahrensführung obliegt dem Schuldner und ist an den Interessen der Gläubiger auszurichten.12) Die Mitglieder der Vertretungsorgane haften den Beteiligten hierfür auch gemäß §§ 276a Abs. 2 Satz 1, 60, 61 InsO. Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu rechtfertigen, wenn der eigenverwaltende Schuldner ohne Einbindung wesentlicher Verfahrensbeteiligter Ressourcen und ggf. auch Massemittel in die Erstellung eines Insolvenzplans investiert, ohne die in § 218 Abs. 3 InsO genannten Beteiligten bei der Aufstellung einzubinden. Aufgrund der Verweisung des § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO ist i. R. des § 218 Abs. 3 InsO der eigenverwaltende Schuldner dem Insolvenzverwalter gleichzusetzen. Wird der Schuldner von der Gläubigerversammlung mit der Ausarbeitung eines Insolvenzplans beauftragt, sieht § 284 Abs. 3 InsO eine beratende Mitwirkung des (vorläufigen) Sachwalters vor. Durch diese Regelung wird § 218 Abs. 3 InsO als allgemeine Vorschrift aber nicht gesperrt, so dass der Gläubigerausschuss vom Schuldner gemäß § 218 Abs. 3 InsO einzubeziehen ist.13) 11 Dem Sachwalter steht ein originäres Planvorlagerecht nicht zu.14) Beauftragt die Gläubigerversammlung gemäß § 284 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 InsO oder der vorläufige Gläubigerausschuss gemäß § 284 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 InsO den (vorläufigen) Sachwalter mit der Planausarbeitung, kommt es zu einer analogen Anwendung des § 218 Abs. 3 InsO, da zwischen einem Sachwalter- und einem Insolvenzverwalterplan kein sachlicher Unterschied besteht.15) 12 Ob die Norm des § 218 Abs. 3 InsO über ihren Wortlaut hinaus auch auf die Planaufstellung durch einen vorläufigen Insolvenzverwalter/Sachwalter Anwendung findet, ist umstritten. Dies wird teilweise verneint, da ein solcher Plan allenfalls Entwurfscharakter haben kann. Nach Eröffnung des Verfahrens und vor Vorlage an das Insolvenzgericht habe das Mitwirkungsverfahren nach § 218 Abs. 3 InsO stattzufinden.16) Dem ist nicht zuzustimmen. Durch die Einführung der §§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a und 22a InsO wurde die Zulässigkeit des vorläufigen Gläubigerausschusses im Gesetz statuiert, um dadurch eine frühzeitige Gläubigermitwirkung zu erreichen. Die Beteiligung erst nach Eröffnung, nachdem die Planvorbereitungen schon weit fortgeschritten sind, kommt in der Regel zu spät. ___________ 8) 9) 10) 11) 12) 13) 14) 15) 16)

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Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 218 Rz. 16. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 36. Spahlinger in: KPB, InsO, § 218 Rz. 51; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 36. Gegen eine Anwendbarkeit: Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 36; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 218 Rz. 16. BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 977. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, § 284 Rz. 4. BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981, dazu EWiR 2016, 763 (Körner/Rendels); Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 104. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 110. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 39. Zur Frage, ob ein freiwillig vom vorläufigen Verwalter durchgeführtes Mitwirkungsverfahren ein solches nach Eröffnung entbehrlich macht, Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 40.

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§ 31

Gläubigerausschuss

Wesentliche Weichenstellungen werden im Antragsverfahren getroffen. Dies spiegelt sich auch in den Mitwirkungsrechten des vorläufigen Gläubigerausschusses bei der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, § 56a InsO, bei der Entscheidung über die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270b Abs. 3 InsO oder bei der Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270e Abs. 1 Nr. 4 InsO wider. Wenn der Plan im Antragsverfahren entworfen wird, ist der Gläubigerausschuss auch zu diesem Zeitpunkt einzubinden.17) 3.

Umfang und Ausgestaltung der Mitwirkung

Nach h. A. begründet § 218 Abs. 3 InsO einen Anspruch des Gläubigerausschusses gegen 13 den Insolvenzverwalter auf beratende Mitwirkung.18) Ohnehin liegt die Einbindung des Gläubigerausschusses im Interesse des um Zustimmung zum Plan bemühten Insolvenzverwalters. Zunächst hat der Gläubigerausschuss gemäß § 218 Abs. 3 InsO einen Informationsan- 14 spruch gegen den Insolvenzverwalter, bezogen auf dessen Absicht einen Plan aufzustellen, die Planstruktur sowie mögliche Einzelregelungen.19) Die beratende Mitwirkung gemäß § 218 Abs. 3 InsO beschränkt sich allerdings nicht auf 15 die bloße Information über den aufzustellenden Plan. Die Aufstellung des Plans durch den Insolvenzverwalter erfolgt als Verfahrensvorschlag an die Gläubiger. Vor diesem Hintergrund muss der Ausschuss zu allen wesentlichen wirtschaftlichen Regelungen des Plans die Möglichkeit erhalten, konkret und substantiiert Stellung zu nehmen.20) Hintergründe und Plangrundlagen sind dem Ausschuss darzulegen, wie dies später ohnehin im darstellenden Teil des Plans zu erfolgen hat. Das Mitwirkungsrecht steht dem Gläubigerausschuss als Kollegialorgan zu.21) Der Insol- 16 venzverwalter hat den Gläubigerausschuss als Gesamtheit zu informieren, so wie dieser insgesamt durch Beschluss seine Vorschläge zu unterbreiten hat. Die Ausübung von Informationsrechten und das Unterbreiten von Vorschlägen durch einzelne Mitglieder des Gläubigerausschusses gefährdet die Stellung des Organs und ist deshalb nicht möglich.22) Das Recht zur Stellungnahme des Gläubigerausschusses kann sich nicht in einer einmaligen 17 Anhörung erschöpfen.23) Die Planaufstellung kann – je nach Regelungskomplexität – einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen, in dem sich der Plan „weiterentwickelt“. In der Praxis erfolgt die Einbindung des Gläubigerausschusses dergestalt, dass der Insolvenz- 18 verwalter i. R. der Gläubigerausschusssitzungen mit den Mitgliedern mögliche Planregelungen diskutiert, die Eckpunkte des Plans festlegt24) und den Ausschuss über den Fortgang der Planerstellung unterrichtet.

___________ 17) Nur für eine freiwillige Einbindung Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 218 Rz. 15. 18) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 51 m. w. N.; Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 196. 19) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 51. 20) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 52. 21) Allg. Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 69 Rz. 3; Schmitt in: Wimmer, FK-InsO, § 69 Rz. 12. 22) Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 69 Rz. 6. 23) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 196; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 218 Rz. 17; Lüer/ Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 39. 24) Vgl. Spahlinger in: KPB, InsO, § 218 Rz. 55.

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§ 31 4.

2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf Einbeziehung der Stellungnahmen des Ausschusses

19 Aus der Formulierung „wirken beratend mit“ ist zunächst zu schlussfolgern, dass es kein Mitbestimmungsrecht des Gläubigerausschusses gibt. Es besteht keine Bindung des Insolvenzverwalters an die Vorschläge des Gläubigerausschusses.25) 20 Unabhängig von der rechtlichen Lage wird der Insolvenzverwalter die Einschätzungen des Gläubigerausschusses bereits im eigenen Interesse einbeziehen bzw. dem Ausschuss verschiedene Varianten zur Diskussion und Entscheidung vorlegen. In der Regel dürfte ein nicht vom Gläubigerausschuss unterstützter Plan keine Zustimmung der Gläubigerversammlung finden. Der Insolvenzverwalter hat i. R. der Gläubigerausschusssitzungen zu versuchen, einen konsensfähigen Plan zu entwickeln. 21 In formeller Hinsicht ist umstritten, ob im darstellenden Teil des Insolvenzplans die Stellungnahmen des Gläubigerausschusses aufzunehmen sind.26) Gemäß § 220 Abs. 2 InsO soll der Plan alle Angaben enthalten, die für die Entscheidung der Beteiligten erheblich sind. Eine derartige Bedeutung haben nur die abschließenden Beschlüsse des Gläubigerausschusses, die damit dem Plan als Anlage beizufügen sind, während dagegen die Diskussionsschritte und verworfenen Ideen nicht erläutert werden müssen (siehe dazu auch oben Zabel, HRI II, § 23 Rz. 217). 5.

Pflicht zur Mitwirkung

22 Ob sich aus § 218 Abs. 3 InsO eine Verpflichtung des Gläubigerausschusses zur Mitberatung ergibt, ist umstritten.27) Festzuhalten ist zunächst, dass sich für das Planverfahren aus der fehlenden Mitwirkung des Gläubigerausschusses keine Konsequenzen ergeben, eine Verweigerung des Gläubigerausschusses führt also nicht zur Zurückweisung des Plans.28) Eine Pflicht kann weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus den Gesetzesmaterialien abgeleitet werden.29) Insofern begründet § 218 Abs. 3 InsO für sich genommen keine Verpflichtung zur Mitwirkung des Gläubigerausschusses. Allerdings normiert § 69 Satz 1 InsO die allgemeine Verpflichtung des Gläubigerausschusses, den Insolvenzverwalter bei seiner Geschäftsführung zu unterstützen. Vor diesem Hintergrund hat der Ausschuss auch die Pflicht, den Insolvenzverwalter auf nicht zustimmungsfähige oder nicht umsetzbare Regelungsinhalte des Planentwurfes hinzuweisen, um zu verhindern, dass Massemittel in einen nicht annahmefähigen Plan investiert werden oder andere Sanierungsoptionen durch Zeitablauf nicht mehr umgesetzt werden können.30) 6.

Rechtsfolgen bei unterlassener Beteiligung

23 Im Rahmen des Vorprüfungsverfahrens hat das Gericht den Plan gemäß § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO zurückzuweisen, wenn dieser einen nicht behebbaren Mangel bezogen auf die Vorschriften über das Recht zur Vorlage des Plans und über den Planinhalt aufweist. Eine Nichtbeachtung von § 218 Abs. 3 InsO stellt keinen solchen nicht behebbaren Verfahrensmangel ___________ 25) Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 218 Rz. 17. 26) Dafür Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 53; dagegen Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 218 Rz. 52. 27) Dafür: Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 218 Rz. 14; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 48; dagegen: Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 218 Rz. 18; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 39. 28) Laroche in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 14 Rz. 11. 29) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 196. 30) Für den Insolvenzverwalter besteht die Pflicht zur Planvorlage, wenn durch den Plan bessere Ergebnisse zu erwarten sind: Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 218 Rz. 14; dem besten Verfahrensergebnis ist auch der Gläubigerausschuss verpflichtet.

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§ 31

Gläubigerausschuss

dar.31) Zwar ist es nicht zielführend, wenn der Insolvenzverwalter ohne Einbindung der Beteiligten einen Plan ausarbeitet und erst nach Fertigstellung den wesentlichen Gläubigergruppen, die im Gläubigerausschuss repräsentiert sind, zur Kenntnis bringt. Daraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass der Plan bei Nichtbeteiligung des Gläubigerausschusses vom Gericht zurückzuweisen ist. Dagegen spricht bereits die Systematik des Gesetzes.32) Gemäß § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist der Plan im weiteren Verfahrensverlauf dem Gläubigerausschuss zur Stellungnahme zuzuleiten. Damit kommt eine Zurückweisung nicht in Betracht, weil die Beteiligung auf diese Weise nachgeholt werden kann und damit behebbar ist. Eine unterlassene Beteiligung des Gläubigerausschusses führt auch nicht zur Versagung der 24 gerichtlichen Bestätigung.33) Mit der Annahme des Plans durch die Gläubigerversammlung ist ein ggf. vorhandener Mangel i. R. der Beteiligung im Vorfeld geheilt. 7.

Vergütung

Für die Mitwirkung bei der Aufstellung des Plans erhalten die Mitglieder des Gläubigeraus- 25 schusses keine gesonderte Vergütung oder Entschädigung. Auch dieser Aufwand wird von der abschließenden Vergütungsregelung des § 73 InsO abgedeckt.34) IV.

Zustimmungsrechte

1.

Zurückweisung des Plans bei erneuter Planvorlage (§ 231 Abs. 2 InsO)

1.1

Grundlagen des Zurückweisungsrechts

Bei einer erneuten Planvorlage durch den Schuldner muss das Gericht nach Maßgabe des 26 § 231 Abs. 2 InsO diesen neuen Plan zurückweisen, wenn ein erster Plan des Schuldners von den Beteiligten abgelehnt, vom Gericht nicht bestätigt oder vom Schuldner nach der öffentlichen Bekanntmachung des Erörterungstermins zurückgezogen worden ist und der Insolvenzverwalter mit Zustimmung des Gläubigerausschusses die Zurückweisung beantragt. Das Insolvenzgericht hat den neuen Schuldnerplan ohne eigene Ermessenserwägungen zurückzuweisen.35) 1.2

Prüfungsmaßstab und Prüfungstiefe des Gläubigerausschusses

Nach dem Telos der Norm soll der Schuldner daran gehindert werden, sein Planinitiativ- 27 recht durch die wiederholte Vorlage neuer Pläne zu missbrauchen, um dadurch das Verfahren zu verschleppen.36) Die Verwertung des Vermögens könnte sich dadurch verzögern. Zudem würde eine erneute Abstimmung notwendig werden. Andererseits soll das Interesse der Gläubiger an der bestmöglichen Befriedigung nicht da- 28 durch gefährdet werden, dass ein zweiter Insolvenzplan vorschnell zurückgewiesen wird.37) In diesem Kontext sind der für die Zurückweisung notwendige Antrag des Insolvenzverwalters und die dazu nötige Zustimmung des Gläubigerausschusses zu verstehen. Sie haben gesondert zu prüfen, ob die Neuvorlage eines Plans das Verfahren nur verzögert oder ob ___________ 31) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 39 und § 231 Rz. 9; a. A. Breuer in: MünchKomm-InsO, § 231 Rz. 10; Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 231 Rz. 5. 32) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 231 Rz. 9. 33) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 39; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 19. 34) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 40; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 64. 35) Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 231 Rz. 10. 36) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, Rz. 42, ZIP 2015, 1346. 37) Schmid-Burgk in: MünchKomm-InsO, § 69 Rz. 23.

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§ 31

2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

er eine reelle Chance auf Annahme hat, weil sich – im Verhältnis zum ersten Plan – wesentliche Grundlagen geändert haben. Der Ausschuss kann nicht allein die Zurückweisung beschließen und den Insolvenzverwalter verpflichten, den Antrag gemäß § 231 Abs. 2 InsO zu stellen, wie andererseits ein Antrag des Insolvenzverwalters bei Bestehen eines Gläubigerausschusses ohne dessen Zustimmung unzulässig ist. 29 Prüfungskriterium ist damit die Frage, ob sich entweder der Plan derart verbessert hat, dass ihn die Gläubiger nunmehr annehmen könnten, oder ob eine Veränderung der Ausgangslage den ursprünglich abgelehnten Plan nunmehr annahmefähig erscheinen lässt. 2.

Fortsetzung der Verwertung und Verteilung (§ 233 Satz 2 InsO)

2.1

Einordnung der Regelung

30 Gemäß § 233 Satz 1 InsO ordnet das Gericht auf Antrag des Schuldners oder des Insolvenzverwalters die Aussetzung der Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse an, soweit deren Fortsetzung die Durchführung eines vorgelegten Insolvenzplans gefährden würde. 31 Von der Aussetzung sieht das Gericht gemäß § 233 Satz 2 InsO ab oder hebt sie nach erfolgter Anordnung wieder auf, soweit damit die Gefahr erheblicher Nachteile für die Masse verbunden ist (Alt. 1) oder der Verwalter die Fortsetzung des Insolvenzverfahrens mit der Zustimmung des Gläubigerausschusses beantragt (Alt. 2). 32 Dadurch soll einer möglichen Verzögerungstaktik des Schuldners begegnet werden.38) Verhindert wird, dass der Schuldner eine vereinbarte und für die Gläubiger günstige Unternehmensveräußerung durch die Vorlage eines Fortführungsplans blockiert oder gar vollumfänglich zum Scheitern bringt. Der Schuldner soll seinen Aussetzungsantrag nicht dazu benutzen können, eine in Umsetzung befindliche Masseverwertung zu vereiteln.39) 2.2

Antrag des Verwalters und Zustimmungsentscheidung des Ausschusses

33 Sind sich Insolvenzverwalter und Gläubigerausschuss einig, dass die Verwertung und Verteilung der Masse fortgesetzt werden muss, so kann der Verwalter dies beantragen. Der Antrag bedarf keiner besonderen Rechtfertigung oder Begründung. Das Gericht ist an ihn gebunden und hat dem Verlangen der Beteiligten ohne eigene Prüfung zu entsprechen – auch dann, wenn mit der Aussetzung keine Nachteile für die Masse verbunden sind.40) Bei übereinstimmenden Voten von Verwalter und Gläubigerausschuss geht der Gesetzgeber davon aus, dass der Plan des Schuldners aussichtslos ist und die Beschränkungen des § 233 Satz 1 InsO zu unterlassen oder aufzuheben sind.41) Der Gläubigerausschuss selbst ist nicht antragsbefugt. Wegen der Bedeutung der Entscheidung ist der Insolvenzverwalter mit eingebunden.42) 34 Der Ausschuss muss nicht eingehend prüfen, ob der vorgelegte Plan vorteilhafter ist als die sofortige Verwertung. Ihm steht ein weiter Ermessenspielraum zugunsten der Fortsetzung der Verwertung des Vermögens zu. Dies ergibt sich aus der gesetzgeberischen Grundentscheidung des § 159 InsO, wonach der Insolvenzverwalter nach dem Berichtstermin das Vermögen unverzüglich verwerten soll. ___________ 38) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 205; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 233 Rz. 1. 39) Breuer in: MünchKomm-InsO, § 233 Rz. 15. 40) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 205; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 233 Rz. 13; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 233 Rz. 12. 41) Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 233 Rz. 19. 42) Breuer in: MünchKomm-InsO, § 233 Rz. 15.

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§ 31

Gläubigerausschuss 2.3

Rechtsmittel

Ein Rechtsmittel ist gegen die nach § 233 getroffenen gerichtlichen Entscheidungen nicht 35 gegeben, nachdem es gesetzlich nicht vorgesehen ist (§ 6 InsO).43) V.

Informationsrechte

1.

Stellungnahme zum Insolvenzplan (§ 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO)

Findet keine Zurückweisung des Insolvenzplans nach § 231 InsO statt, so leitet ihn das In- 36 solvenzgericht gemäß § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO zwingend an den Gläubigerausschuss zur Stellungnahme weiter. 1.1

Zweck der Stellungnahme

Die in § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO gesetzlich vorgesehene Stellungnahme des Gläubigeraus- 37 schusses zum Insolvenzplan verfolgt – neben der Information des Gremiums – den Zweck, Regelungen zu identifizieren, die zu einer Ablehnung des Plans durch die Gläubiger führen würden, um durch entsprechende Änderungen des Plans die Chancen einer Zustimmung zu steigern.44) Zudem werden Insolvenzgläubiger, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen nicht ausführlich mit dem Planinhalt beschäftigen, durch die dem Plan beizufügenden Stellungnahmen informiert. Dadurch können sie die Schwerpunkte des Plans und die damit verbundenen Konsequenzen erkennen und nachvollziehen.45) Die Stellungnahme hat insbesondere die Vergleichsrechnung und ihre gemäß § 220 Abs. 2 Satz 2 InsO vorgeschriebenen Darstellungen zu würdigen. Wurde der Plan vom Verwalter vorgelegt, hat der Gläubigerausschuss in aller Regel zuvor 38 bereits gemäß § 218 Abs. 3 InsO an der Aufstellung mitgewirkt. Da der Verwalter aber weder die Anregungen des Ausschusses zwingend zu beachten hat,46) noch der Plan bei einer fehlenden oder unvollständigen Beteiligung an der Aufstellung zurückgewiesen wird,47) ist eine (erneute) Stellungnahme des Ausschusses gesetzlich vorgesehen. Die Zuleitung des Plans ist entbehrlich, wenn der Planvorlage die Stellungnahme des Gläubigerausschusses bereits beigefügt und zudem sichergestellt ist, dass sich die Stellungnahme auf die vorgelegte Planversion bezieht.48) Stammt der Plan vom Schuldner, ist § 218 Abs. 3 InsO nicht einschlägig, so dass der 39 Gläubigerausschuss i. R. der Aufstellung des Plans nicht mitgewirkt hat.49) Zur Auslotung der Annahmechancen ist eine Weiterleitung an den Gläubigerausschuss in dieser Konstellation zwingend erforderlich. 1.2

Zuleitung des Plans

Die Zuleitung erfolgt von Amts wegen. Zu übersenden ist dabei der vollständige Plan 40 einschließlich aller Anlagen, um dem Gläubigerausschuss eine sachkundige Stellungnahme ___________ Breuer in: MünchKomm-InsO, § 233 Rz. 16; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 233 Rz. 19. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 232 Rz. 1. Spahlinger in: KPB, InsO, § 232 Rz. 2; Breuer in: MünchKomm-InsO, § 232 Rz. 1. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 38; nach Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 53, hat der Verwalter sich mit den Stellungnahmen aber eingehend zu befassen und darf diese bei der Planaufstellung nicht völlig außen vor lassen. 47) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 39. 48) Breuer in: MünchKomm-InsO, § 232 Rz. 9. 49) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 41; Spahlinger in: KPB, InsO, § 218 Rz. 51; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 36.

43) 44) 45) 46)

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§ 31

2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

zu ermöglichen.50) Bloße Zusammenfassungen des Plans sind nicht ausreichend.51) Die notwendigen Exemplare hat der Planvorleger bei Gericht einzureichen.52) 41 Der Begriff der Zuleitung bedeutet Zustellung des Plans.53) Die Zuleitung zur Stellungnahme hat erst nach Eröffnung zu erfolgen, um die Erkenntnisse aus dem bisherigen Verfahrensverlauf ausreichend einbeziehen zu können.54) Der Erörterungs- und Abstimmungstermin kann gemäß § 236 InsO ohnehin frühestens zusammen mit dem Prüfungstermin stattfinden. 1.3

Frist zur Stellungnahme

42 Das Gericht bestimmt gemäß § 232 Abs. 3 InsO eine Frist für die Abgabe der Stellungnahme. Die Fristsetzung ist nicht fakultativ, sondern hat schon wegen der notwendigen Beschleunigung des Verfahrens verpflichtend zu erfolgen.55) 43 Gemäß § 232 Abs. 3 Satz 2 InsO soll die Frist zwei Wochen nicht überschreiten. Anträgen auf Fristverlängerung – sieht man sie überhaupt als zulässig an56) – sollte nur in besonderen Ausnahmefällen entsprochen werden.57) Um eine substantielle Stellungnahme zu ermöglichen, sollte die Frist mindestens eine Woche betragen. 1.4

Form und Folgen der Stellungnahme

44 Um dem Gesetzeszweck einer gebührenden Vorbereitung des Erörterungs- und Abstimmungstermins gerecht zu werden, hat die Stellungnahme schriftlich zu erfolgen. Dies zeigt bereits der Wortlaut des § 234 InsO, wonach der Plan mit seinen Anlagen und den eingegangenen Stellungnahmen zur Einsicht der Beteiligten niederzulegen ist. 45 Spricht sich der Ausschuss uneingeschränkt für den Insolvenzplan aus, wird die Stellungnahme mit dem Plan niedergelegt. Das Verfahren läuft plangemäß weiter. 46 Empfiehlt der Ausschuss Änderungen, hat dies grundsätzlich keine Auswirkungen auf das weitere Verfahren. Der Plan kann dennoch zur Abstimmung gestellt werden. Der Planverfasser sollte allerdings prüfen, ob Änderungen geboten sind, um die erforderlichen Mehrheiten für den Plan zu erreichen. Gemäß § 240 InsO besteht die Möglichkeit, diese Änderungen vorzunehmen. 47 Lehnt der Ausschuss den Plan ab, ist dies grundsätzlich ebenfalls ohne Auswirkungen auf das weitere Verfahren. Umstritten ist, ob das Insolvenzgericht nach Weiterleitung des Plans gemäß § 232 InsO noch zur Zurückweisung gemäß § 231 InsO berechtigt ist. Mit der Weiterleitung sei die Zulassung des Plans erfolgt, so dass eine Zurückweisung ausscheide.58) Dieser Einschränkung des Zurückweisungsrechts ist nicht zuzustimmen. Aus verfahrensökonomischen Gründen kann das Gericht den Plan auch erst den weiteren Beteiligten zuleiten und dann seine Entscheidung treffen.59) ___________ 50) Breuer in: MünchKomm-InsO, § 232 Rz. 7. 51) Im Gegensatz zur Ladung zum Erörterungs- und Abstimmungstermin nach § 235 Abs. 3 Satz 2 InsO: vgl. Breuer in: MünchKomm-InsO, § 232 Rz. 7. 52) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 33. 53) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 232 Rz. 5. 54) A. A. Breuer in: MünchKomm-InsO, § 232 Rz. 8. 55) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 232 Rz. 7. 56) Verneinend wohl Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 232 Rz. 7. 57) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 232 Rz. 7. 58) Paul, ZInsO 2012, 613, 614. 59) Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 412.

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§ 31

Gläubigerausschuss 1.5

Rechtsfolgen einer fehlenden Stellungnahme

1.5.1 Keine Stellungnahme innerhalb der Frist Legt der Gläubigerausschuss innerhalb der Frist keine Stellungnahme zum Plan vor, setzt 48 das Gericht das Verfahren fort. Die Stellungnahme ist also nicht Voraussetzung für das weitere Planverfahren. Legt der Gläubigerausschuss nach Ablauf der Frist noch eine Stellungnahme vor, wird im 49 Hinblick auf eine zügige Vorbereitung des Erörterungs- und Abstimmungstermins nach § 235 Abs. 1 Satz 1 InsO teilweise vertreten, dass diese nicht mehr zu berücksichtigen sei. Die Frist wird damit als Ausschlussfrist angesehen.60) Dem ist nicht zu folgen. Liegt eine fristgerechte Stellungnahme vor, wird sie mit dem Plan gemäß § 234 InsO zur Information der Beteiligten niedergelegt. Es ist kein Sachgrund ersichtlich, warum später eingehende Stellungnahmen den bereits niedergelegten Unterlagen nicht hinzugefügt werden sollten, um die Informationsbasis für die Beteiligten zu verbreitern.61) 1.5.2 Unterlassene Anhörung durch das Gericht Unterlässt es das Gericht, die Stellungnahme des Gläubigerausschusses einzuholen, liegt 50 hierin kein Versagungsgrund der Planbestätigung i. S. des § 250 Nr. 1 InsO62) und auch kein Beschwerdegrund nach § 253 InsO.63) Zum einen sind die Gläubiger, die Forderungen angemeldet haben, gemäß § 235 Abs. 3 InsO zu laden. Die Gläubiger – einschließlich der Ausschussmitglieder – erhalten damit die Möglichkeit, sich zu informieren und im Termin ihre Stellungnahmen abzugeben.64) Zum anderen ist es nicht gerechtfertigt, dem Plan die Bestätigung aufgrund eines Fehlers des Gerichts zu versagen, wenn er i. Ü. verfahrensgemäß durch Zustimmung der Gläubigerversammlung zustande gekommen ist. Aus den beiden vorgenannten Gründen ist erst recht kein Grund für eine Versagung der 51 gerichtlichen Planbestätigung gegeben, wenn es das Gericht versäumt, eine Frist zu setzen oder die Frist zu kurz bemessen ist.65) 2.

Beteiligung bei Planbestätigung und Planberichtigung

2.1

Zweck der Anhörung zur Planbestätigung

Nach Maßgabe des § 248 Abs. 2 InsO soll das Gericht vor der Entscheidung über die Be- 52 stätigung des Plans u. a. den Gläubigerausschuss hören, wenn ein solcher bestellt ist. Die Norm des § 248 InsO dient einer finalen Kontrolle des Insolvenzplans. Dieser muss 53 sowohl verfahrens- als auch materiell-rechtlich den gesetzlichen Anforderungen genügen.66) Der Gläubigerausschuss hat vor diesem Hintergrund gemäß § 248 Abs. 2 InsO letztmalig vor Rechtskraft des Insolvenzplans die Möglichkeit, das Insolvenzgericht auf etwaige Fehler aufmerksam zu machen.67)

___________ 60) 61) 62) 63) 64) 65) 66) 67)

Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 232 Rz. 7. Breuer in: MünchKomm-InsO, § 232 Rz. 15. Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 232 Rz. 6; Breuer in: MünchKomm-InsO, § 232 Rz. 10. A. A. Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 232 Rz. 4. Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 232 Rz. 4. Wie hier Breuer in: MünchKomm-InsO, § 232 Rz. 10. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 248 Rz. 1. Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 248 Rz. 1; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 248 Rz. 2.

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§ 31 2.2

2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf Keine Anhörungspflicht

54 Da es sich bei § 248 Abs. 2 InsO um eine „Soll-Vorschrift“ handelt, ist die Anhörung rein fakultativ.68) Unterbleibt sie, führt dies nicht zur Aufhebung des Bestätigungsbeschlusses. 55 In der Praxis empfiehlt es sich für das Gericht dennoch, vor der Bestätigung des Plans noch einmal mögliche Versagungsgründe durch Anhörung zu eruieren.69) 56 Soweit in der Literatur unter Verweis auf Art. 103 Abs. 1 GG hingegen vertreten wird, dass die Vorschrift über ihren Wortlaut hinaus als zwingend anzusehen ist, kann dem nicht gefolgt werden.70) Als Rechtsfolge eines Verstoßes stünde die Versagung der Bestätigung des Plans nach einer sofortigen Beschwerde gemäß § 253 InsO im Raum. Diese Rechtsfolge wäre aber zu weitgehend, da eine Anhörung regelmäßig bereits i. R. der gerichtlichen Vorprüfung nach § 232 InsO erfolgt ist bzw. für den Ausschuss und seine Mitglieder im Erörterungs- und Abstimmungstermin die Möglichkeit bestand, sich zu äußern.71) 2.3

Art und Weise der Anhörung

57 Dem Gläubigerausschuss ist Gelegenheit zu geben, sich zum bisherigen Verfahrensgang zu äußern.72) 58 In der Regel wird die Anhörung im Abstimmungstermin nach der Abstimmung erfolgen. Die Möglichkeit zur schriftlichen Stellungnahme genügt.73) 2.4

Anhörung bei der Planberichtigung

59 Dem Insolvenzverwalter kann gemäß § 221 Satz 2 InsO im Plan das Recht eingeräumt werden, offensichtliche Fehler zu berichtigen. Die Berichtigung bedarf der Bestätigung durch das Insolvenzgericht, § 248a Abs. 1 InsO. Das Gericht soll gemäß § 248a Abs. 2 InsO davor den Insolvenzverwalter, den Gläubigerausschuss – soweit bestellt –, die Gläubiger und die Anteilsinhaber, sofern ihre Rechte betroffen sind, sowie den Schuldner hören. Durch den Gesetzeswortlaut wird die Anhörung für die Anteilsinhaber eingeschränkt auf den Fall, dass sie in ihren Rechten betroffen sind. Nach der Gesetzesbegründung gilt diese Einschränkung auch für die Gläubiger.74) Auf den Insolvenzverwalter und den Gläubigerausschuss ist sie hingegen nicht zu beziehen. Der Gläubigerausschuss ist anzuhören, damit er über die aktuelle Planversion informiert ist. 60 Die Sollvorschrift des § 248a Abs. 2 InsO intendiert eine Anhörung im Regelfall. Eine Verletzung der Anhörungsvorschrift führt aber nicht zu einem Verfahrensfehler, der i. R. einer sofortigen Beschwerde gegen den Bestätigungsbeschluss geltend gemacht werden könnte. 2.5

Versagungsantrag bei der Planberichtigung

61 Das Gericht hat gemäß § 248a Abs. 3 InsO die Bestätigung der Planberichtigung auf Antrag zu versagen. Voraussetzung ist, dass ein Beteiligter durch die mit der Berichtigung einhergehende Planänderung voraussichtlich schlechter gestellt wird, als er i. R. des Plans stünde. 62 Antragsberechtigt ist jeder Gläubiger bzw. Anteilsinhaber, der eine Schlechterstellung gegenüber dem ursprünglichen Plan geltend machen kann. Da der Gläubigerausschuss ___________ 68) 69) 70) 71) 72) 73) 74)

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Sinz in: MünchKomm-InsO, § 248 Rz. 13; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 248 Rz. 8. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 248 Rz. 10. So aber Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 248 Rz. 10. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 248 Rz. 15; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 248 Rz. 4. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 248 Rz. 4. LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, ZInsO 1999, 577, 582. Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 36.

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§ 31

Gläubigerausschuss

gemäß § 248a Abs. 2 InsO vor der Bestätigung anzuhören ist, steht ihm auch eine Antragsbefugnis zu.75) Nachdem der Gläubigerausschuss die Interessen der Gläubiger repräsentiert, hat er eine Schlechterstellung ihrer Rechte geltend zu machen. 3.

Information vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 258 Abs. 3 Satz 3 InsO)

Wird das Insolvenzverfahren aufgehoben, so sind die Mitglieder des Gläubigerausschusses 63 gemäß § 258 Abs. 3 Satz 3 InsO über den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Aufhebung vorab zu unterrichten. Mit der Wirksamkeit der Aufhebung enden gemäß § 259 Abs. 1 Satz 1 InsO die Ämter der Ausschussmitglieder. Die Ausschussmitglieder sollen sich aus Gründen der Rechtssicherheit beizeiten auf die mit 64 der Aufhebung des Verfahrens verbundenen veränderten Umstände einstellen können.76) Um diesem Zweck gerecht zu werden, hat das Gericht den Mitgliedern des Gläubigerausschusses den genauen Termin zu benennen, an dem der Aufhebungsbeschluss bekannt gegeben wird, weil sich daran die Wirksamkeit anschließt.77) Unterlässt das Gericht die Vorabinformation, sind damit keine Rechtsfolgen verbunden.78) 4.

Aufgaben und Befugnisse des Gläubigerausschusses bei der Planüberwachung

4.1

Fortbestand der Ämter

65

Gemäß § 259 Abs. 1 Satz 1 InsO erlöschen die Ämter der Mitglieder des Gläubigeraus- 66 schusses mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens kraft Gesetzes. Eine Ausnahme hiervon macht § 261 Abs. 1 Satz 2 InsO. Danach bleibt der Gläubigerausschuss trotz der Aufhebung für den Fall bestehen, dass die Planüberwachung im gestaltenden Teil des Insolvenzplans gemäß § 260 Abs. 1 InsO vorgesehen ist und diese Aufgabe – wie im Regelfall des § 261 Abs. 1 Satz 1 InsO – dem Insolvenzverwalter übertragen wurde. Angesichts des geringen Aufgabenspektrums des Gläubigerausschusses wurde die Frage 67 aufgeworfen, ob sein Fortbestand nach Verfahrensaufhebung sinnvoll ist. Vorgeschlagen wurde, dass die Gläubigerversammlung im Abstimmungstermin eine Entscheidung über die Entlassung des Ausschusses ohne Neuwahl herbeiführt (siehe unten Mönning, HRI II, § 42 Rz. 121). Dem kann nicht zugestimmt werden, weil der Gläubigerausschuss nach seiner Wahl zur Stärkung seiner Unabhängigkeit von der Gläubigerversammlung nicht abgesetzt werden kann.79) Nachdem die Planüberwachung aber dispositiver Natur ist, erscheint es zulässig, abweichend von § 261 InsO das Erlöschen des Gläubigerausschusses im Plan zu regeln. 4.2

Aufgaben des Gläubigerausschusses

Der Gläubigerausschuss bleibt bestehen, soweit dies zum Zwecke der Überwachung des 68 Insolvenzverwalters erforderlich ist.80) Der Insolvenzverwalter selbst ist allerdings nur noch Kontrollorgan des Schuldners. Die Aufgaben des Gläubigerausschusses beschränken sich gemäß § 261 Abs. 2 InsO auf Informationsrechte gegenüber dem Insolvenzverwalter.81) ___________ Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 248a Rz. 9. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 258 Rz. 12, 15; Spahlinger in: KPB, InsO, § 258 Rz. 8. Spahlinger in: KPB, InsO, § 258 Rz. 9; Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 258 Rz. 24. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 258 Rz. 4. BGH v. 1.3.2007 – IX ZB 47/06, ZIP 2007, 781, dazu EWiR 2007, 403 (Gundlach/Frenzel). Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 215; krit. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 261 Rz. 19, wonach eine Beibehaltung des Gläubigerausschusses kaum sinnvoll ist. 81) Lissner, ZInsO 2012, 1452, 1454.

75) 76) 77) 78) 79) 80)

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

Dieser hat dem Gläubigerausschuss jährlich über den aktuellen Stand sowie die weiteren Aussichten auf Erfüllung des Insolvenzplans zu berichten. Es ist daher Aufgabe des Gläubigerausschusses, für die Einhaltung der Berichtspflicht des Insolvenzverwalters zu sorgen.82) Aus Gründen des Nachweises wird die Erteilung der Verwalterberichte in der Regel schriftlich erfolgen.83) Der Bericht hat sowohl zur Erfüllung des Plans als auch zu dessen Erfüllbarkeit umfassend Stellung zu nehmen.84) Hierdurch wird der Gläubigerausschuss mit Informationen versorgt. Er kann anhand der Berichte feststellen, ob die im gestaltenden Teil des Plans festgelegten Verpflichtungen erfüllt werden und ob – bei der Unternehmensfortführung durch den Schuldner – die Unternehmensplanungen eintreffen.85) Wie der Gläubigerausschuss mit den Informationen umzugehen hat und welche Konsequenzen er daraus ziehen muss, ist gesetzlich nicht geregelt.86) Der Ausschuss kann sich nur mit dem überwachenden Insolvenzverwalter abstimmen und beratend einen Prozess begleiten, der ggf. in einer Anzeige gemäß § 262 InsO mündet. 69 Gemäß § 261 Abs. 2 Satz 2 InsO hat der Ausschuss das Recht, jederzeit Zwischenberichte oder konkrete Einzelauskünfte anzufordern. Soweit in der Literatur die Auffassung vertreten wird, dass – um die Pflichten des Verwalters klar abzustecken und die mit den Auskünften verbundenen Kosten zu beschränken – eine diesbezügliche Regelung im Plan aufzunehmen sei,87) kann dem nicht ohne Einschränkungen gefolgt werden. Es ist vielmehr wie folgt zu differenzieren: 

Für Auskünfte und Zwischenberichte ohne konkreten Anlass empfiehlt sich eine explizite Regelung im Plan, etwa dergestalt, dass der Ausschuss halbjährlich Berichte verlangen kann. Dies ist dann sinnvoll, wenn eine schnellere Reaktionszeit bei Plannichterfüllung erreicht werden soll oder dem Schuldner ein besonderer Überwachungsdruck deutlich zu machen ist.



Darüber hinaus kann das Recht auf Auskünfte oder Zwischenberichte dann nicht eingeschränkt werden, wenn der Gläubigerausschuss Zweifel an der Erfüllung des Plans hat. Auch dieser Fall kann aber im Plan in Bezug auf seine Ausgestaltung geregelt werden, und zwar vom Initiativrecht jedes Mitglieds, der Beschlussfassung des Gläubigerausschusses (im Umlaufverfahren) über das Verlangen an den Verwalter bis hin zu den Rechten des Insolvenzverwalters gegenüber dem Schuldner.

70 Macht der Gläubigerausschuss von dem Recht Gebrauch, ist dem Verwalter eine angemessene Frist für seine Stellungnahme einzuräumen, nachdem er selbst wiederum auf die Informationen des Schuldners angewiesen ist.88) Bezüglich der Länge dieser Frist ist ebenfalls eine konkrete Regelung im Insolvenzplan von Vorteil. 71 Neben diesen speziellen Rechten gemäß § 261 Abs. 2 InsO treten die allgemeinen Rechte und Pflichten des Gläubigerausschusses gemäß §§ 69, 160 InsO in den Hintergrund oder fallen gänzlich weg. Insbesondere entfällt die Pflicht zur Kassenprüfung und zur Zustimmung besonders bedeutsamer Rechtshandlungen.89)

___________ 82) 83) 84) 85) 86) 87) 88) 89)

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Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 261 Rz. 19. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 261 Rz. 10; Pleister in: KPB, InsO, § 261 Rz. 12. Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 261 Rz. 3. Stephan in: MünchKomm-InsO, § 261 Rz. 1. Lissner, ZInsO 2012, 1452, 1454. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 261 Rz. 10. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 261 Rz. 10. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 261 Rz. 19.

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Gläubigerausschuss

Eine Pflicht für den Gläubigerausschuss zur Anforderung von Zwischenberichten außer- 72 halb des jährlichen Zyklus besteht mangels gesetzlicher Regelung grundsätzlich nicht.90) Etwas anderes gilt nur dann, wenn dem Ausschuss schwerwiegende, das Unternehmen betreffende Sachverhalte zur Kenntnis gelangen, die eine Gefährdung der Planerfüllung befürchten lassen.91) Eine Pflicht für den Ausschuss, ohne Veranlassung selbstständig den Schuldner zu überwachen, besteht nicht. 4.3

Anzeigepflicht des Insolvenzverwalters (§ 262 InsO)

4.3.1 Normzweck Die Norm des § 262 InsO ist eine Schutzvorschrift für die Gläubiger im Planverfahren.92) 73 Der Insolvenzverwalter hat den Gläubigerausschuss gemäß § 262 Satz 1 InsO unverzüglich zu informieren, falls nach seiner Feststellung die im Plan geregelten Verpflichtungen nicht erfüllt werden oder zukünftig nicht erfüllt werden können. Durch die Anzeige soll dem vom Gesetzgeber bezweckten Schutz der Gläubiger Geltung 74 verschafft werden,93) da sie den Gläubigern die notwendigen Informationen liefert, um über Maßnahmen gemäß §§ 255, 256 und 257 InsO zu entscheiden oder ggf. einen neuen Insolvenzantrag zu stellen.94) 4.3.2 Gegenstand der Anzeigepflicht Die Anzeigepflicht bezieht sich auf zwei zu unterscheidende Konstellationen. Anzuzeigen 75 ist zum einen die Feststellung, dass überwachte Ansprüche nicht rechtzeitig, d. h. bei Fälligkeit, erfüllt werden.95) Mit „nicht erfüllt“ meint das Gesetz nicht ein endgültiges Ausbleiben der Erfüllung, sondern es genügt, wenn der Schuldner mit der Erfüllung rückständig ist.96) An die Erheblichkeit des Rückstands stellt § 262 Satz 1 InsO keine besonderen Anforderungen. Ausreichend ist bereits die Nichterfüllung eines einzigen Anspruchs.97) Eine Nichterfüllung ist demnach auch bei einer nur vorübergehenden zeitlichen Verzögerung der Erfüllung und einer geringen Höhe des Anspruchs anzunehmen.98) Erfüllt der Schuldner nach Anzeige der Nichterfüllung seine Verpflichtungen, hat der Insolvenzverwalter zu prüfen, ob auch zukünftige Zahlungen des Schuldners hinreichend sicher zu vermuten sind. Bejaht er dies, so hat er darüber den Gläubigerausschuss zu informieren.99) Anzeigepflichtig ist für den Verwalter aber auch die Feststellung, dass die im Plan festge- 76 legten Verpflichtungen zukünftig nicht erfüllt werden können. Dabei sind verschiedene Stufen denkbar, an die für die Anzeige angeknüpft werden kann, angefangen von der Gefährdung der Ansprüche der Plangläubiger über eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Nichterfüllung bis hin zur sicheren Feststellung der Nichterfüllbarkeit. Nicht jede Abweichung der tatsächlichen wirtschaftlichen Lage des Unternehmens von 77 den – dem Plan zugrunde liegenden – Unternehmensplanungen rechtfertigt eine Anzeige ___________ Stephan in: MünchKomm-InsO, § 261 Rz. 9; Pleister in: KPB, InsO, § 261 Rz. 16. Ähnlich Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 261 Rz. 10, 19. So Pleister in: KPB, InsO, § 262 Rz. 2 f. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 262 Rz. 1. Stephan in: MünchKomm-InsO, § 262 Rz. 1. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 262 Rz. 3; Pleister in: KPB, InsO, § 262 Rz. 9. Stephan in: MünchKomm-InsO, § 262 Rz. 3 – weder Verzug noch ein Verschulden des Schuldners sind zu fordern. 97) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 262 Rz. 2. 98) Stephan in: MünchKomm-InsO, § 262 Rz. 4. 99) Stephan in: MünchKomm-InsO, § 262 Rz. 5.

90) 91) 92) 93) 94) 95) 96)

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

nach § 262 InsO. Vielmehr hat eine Anzeige dann zu erfolgen, wenn der Insolvenzverwalter gewissenhaft die Chancen einer zukünftigen Erfüllung der Ansprüche geprüft hat und den Erfüllungseintritt im Ergebnis mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ablehnt.100) Maßgeblich i. R der Prognoseentscheidung ist, inwieweit die Betriebsergebnisse hinter den Planungen zurückbleiben und welche Gründe für die geringeren Betriebsergebnisse bestehen. Zudem ist auch von Bedeutung, ob aus dem vorhandenen Aktivvermögen die Planforderungen bedient werden können.101) 4.3.3 Unverzüglichkeit der Anzeige 78 Der Zeitpunkt für die Anzeige steht in einem Spannungsverhältnis. Sie darf nicht zu spät erfolgen, um die Rechte der Gläubiger nicht zu gefährden. Sie darf aber auch nicht verfrüht abgegeben werden, weil dadurch die Fortführung des Unternehmens des Schuldners gefährdet wird, und zwar insbesondere dadurch, dass die Gläubiger – soweit sie immer noch Geschäftspartner des Schuldners sind – für das aktuelle Geschäft dem Schuldner kein Vertrauen mehr entgegenbringen werden. 79 Gerade im Hinblick auf die Tragweite dieser Entscheidung, die das Ende der Sanierungsbemühungen des Schuldners bedeuten kann,102) ist dem Insolvenzverwalter hinreichend Zeit zur Beurteilung einzuräumen. Ist sein Bild der Lage gereift, hat er gemäß § 262 Satz 1 InsO seine Anzeige aber unverzüglich zu erstatten. Unverzüglich meint eine Verlautbarung ohne schuldhaftes Zögern nach Abschluss seiner Prüfung. Dies erfordert, dass sich der Insolvenzverwalter fortlaufend und aktiv über die Entwicklung im Unternehmen des Schuldners informiert.103) 4.3.4 Form der Anzeige 80 Die Anzeige durch den Insolvenzverwalter kann (in Eilfällen) mündlich erfolgen. Zu Nachweiszwecken und um dem Gläubigerausschuss eine hinreichend fundierte Entscheidungsgrundlage zu geben, empfiehlt sich aber regelmäßig die Schriftform.104) 4.3.5 Folgen einer Anzeige für den Gläubigerausschuss 81 Die Rechtsfolgen einer Anzeige nach § 262 Satz 1 InsO sind gesetzlich nicht geregelt. Bei einer Nichterfüllung der Planforderungen stehen den Gläubigern folgende Möglichkeiten zu: 

Die Gläubiger können – einzeln oder in Gemeinschaft – gemäß § 257 InsO die Zwangsvollstreckung aus dem Plan betreiben.



Sie können das Wiederaufleben ihrer Forderungen gemäß § 255 InsO einfordern, und zwar in dem Umfang und mit der Fälligkeit, die diese vor der Planbestätigung hatten.



Schließlich ist es ihnen auch möglich, einen Antrag auf Eröffnung eines erneuten Insolvenzverfahrens zu stellen. Einvernehmliche Regelungen zwischen dem Schuldner und den Gläubigern bleiben jederzeit denkbar.105)

82 Der Gläubigerausschuss hat dagegen keine eigenen Rechte als Gremium. Die Regelung des § 262 InsO ist damit untauglich, weil Regelungsgegenstand und rechtliche Konsequenzen ___________ 100) 101) 102) 103) 104) 105)

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Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 262 Rz. 3; Pleister in: KPB, InsO, § 262 Rz. 10. Flöther/Wehner in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 262 InsO Rz. 8. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 262 Rz. 3. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 262 Rz. 4; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 262 Rz. 11. Hierzu Stephan in: MünchKomm-InsO, § 262 Rz. 10. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 262 Rz. 5.

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Gläubigerausschuss

nicht zusammenpassen.106) Für die Mitglieder entsteht ein Konflikt mit ihren eigenen Interessen, da sie aufgrund der Anzeige ggf. Zeitvorteile gegenüber anderen Gläubigern nutzen könnten. Wie auch sonst bei der Nutzung von Insiderinformationen ist dies unzulässig.107) Aus der Verpflichtung des Gläubigerausschusses zur Wahrung der Interessen der Gläubigergesamtheit folgt, dass er nach Eingang der Anzeige die Voraussetzungen der §§ 255 ff. InsO zu prüfen und den Schuldner über das Ergebnis und weitere Schritte zu informieren hat. Der Ausschuss hat auf eine einvernehmliche Regelung zur Planerfüllung hinzuwirken. Scheitert diese, ist der Insolvenzverwalter – entgegen dem Wortlaut des § 262 InsO – zur Information aller Gläubiger verpflichtet, um eine Chancengleichheit herzustellen. VI.

Haftungsfragen

Zur Haftung des Gläubigerausschusses kann auf die Darstellungen in § 14 Rz. 53 ff. ver- 83 wiesen werden. Die i. R. dieses Kapitels definierten Pflichten führen – wie alle anderen Pflichten des Gläubigerausschusses auch – bei ihrer Verletzung zu einer Haftung gemäß § 71 InsO.

___________ 106) In diese Richtung auch: Lissner, ZInsO 2012, 1452, 1454. 107) Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 69 Rz. 17.

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§ 32 Ladung und Terminvorbereitung Stahlschmidt

I. 1. 2. 3. II. 1.

I.

Beteiligungsverfahren ................................ 1 Zustellung..................................................... 3 Stellungnahmen............................................ 6 Fristen......................................................... 10 Terminvorbereitung................................. 12 Aussetzung von Verwertung und Verteilung ................................................... 12

2. 3. 4. 5. 6.

Terminierung und Verbindung von Terminen (§ 236 InsO) ...................... 17 Tagesordnung............................................. 26 Bekanntmachung des Termins .................. 28 Ladung ........................................................ 33 Publikation im Internet ............................. 41

Beteiligungsverfahren

1 Wenn der vorgelegte Plan vom Insolvenzgericht nicht zurückgewiesen wird, sind nach § 232 InsO bestimmte Personengruppen zur Stellungnahme aufzufordern. Dies soll nach dem Willen des Gesetzgebers der Vorbereitung von Erörterungs- und Abstimmungstermin dienen, da durch die Stellungnahmen mögliche Zustimmungshindernisse aufgedeckt werden können. Selbst bei einem vom Insolvenzverwalter vorgelegten Insolvenzplan ist diese Regelung sinnvoll, da § 218 Abs. 3 InsO, der die Beteiligung dieser Personengruppen schon bei der Aufstellung eines Verwalterplans vorsieht, nicht zwingend ist. Zudem ist der Verwalter bei der Planaufstellung nicht an die Auffassung dieser Personengruppen gebunden. 2 Das Gericht hat im Hinblick auf eine mögliche Zurückweisung des Plans sämtliche rechtliche Gesichtspunkte zu prüfen, hierzu gehört auch, ob die gesetzlichen Bestimmungen über das Vorlagerecht und den Inhalt des Plans beachtet sind. Dabei hat es nicht nur offensichtliche Rechtsfehler zu beanstanden.1) Die Zurückweisung eines vom Schuldner vorgelegten Insolvenzplans im Vorprüfungsverfahren ist z. B. möglich, wenn offensichtlich ist, dass ein erfolgreicher Antrag auf Versagung der gerichtlichen Bestätigung zum Schutz von Minderheiten gestellt werden wird2) oder wenn Mängel in Gestalt der im Plan enthaltenen Präklusionsregelung für nachträgliche Forderungsanmeldungen, einer Vergütungsregelung für den die Planüberwachung vornehmenden Insolvenzverwalter und eines inhaltlichen Fehlers in der Vergleichsrechnung des Plans nicht binnen angemessener Frist vom Vorlegenden behoben werden können.3) Ausführlich zur Vorprüfung durch das Gericht siehe Stahlschmidt, HRI II, § 30. 1.

Zustellung

3 Die Zustellung zwecks Stellungnahmen kann – anders als noch in der Vorauflage vertreten – auch bereits vor Verfahrenseröffnung erfolgen, wenn der Schuldner den Insolvenzplan gemäß § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO bereits im Eröffnungsverfahren eingereicht hat. Dann ist es denkbar, dass dessen gerichtliche Vorprüfung bereits vor Verfahrenseröffnung abgeschlossen ist. In diesem Fall kann der Plan bereits zur Stellungnahme zugeleitet werden. Das ergibt sich daraus, dass dem Eilcharakter des Verfahrens gerade mit Blick auf umzusetzende Sanierungsmaßnahmen Rechnung zu tragen ist. Auch besteht kein Grund, die Stellungnahmen nicht so frühzeitig wie möglich einzuholen. Dabei ist anstelle des Gläubigerausschusses der vorläufige Gläubigerausschuss nach §§ 21 Abs. 1 Nr. 1a, 22 InsO zur Stellungnahme berufen.4) ___________ 1) 2) 3) 4)

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BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346, dazu EWiR 2015, 483 (Spliedt). BGH v 20.7.2017 – IX ZB 13/16, ZIP 2017, 1576, dazu EWiR 2017, 601 (Horstkotte). LG Hamburg v. 7.2.2018 – 326 T 120/16, NZI 2018, 261 – 263. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 232 Rz. 4; Breuer in: MünchKomm-InsO, § 232 Rz. 8.

Stahlschmidt

§ 32

Ladung und Terminvorbereitung

Bei der Beteiligung gemäß § 232 InsO ist immer der vollständige Insolvenzplan mit allen 4 notwendigen Plananlagen zuzusenden, wobei der Planersteller dem Gericht bereits die notwendigen Abschriften zur Verfügung stellt. Insbesondere reicht die Zuleitung einer Planzusammenfassung nicht aus.5) Bereits mit Einholung der Stellungnahmen kann gemäß § 235 Abs. 1 Satz 3 InsO der Er- 5 örterungs- und Abstimmungstermin angesetzt werden. Dies dient nach der Gesetzesbegründung der Beschleunigung des Planverfahrens. 2.

Stellungnahmen

Nach § 232 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 InsO ist der Plan zwingend dem Gläubigerausschuss, falls ein 6 solcher bestellt ist, dem Betriebsrat und dem Sprecherausschuss der leitenden Angestellten, sowie dem Schuldner bei einem Verwalterplan und dem Verwalter, falls ein Schuldnerplan vorliegt, zuzustellen. Daneben muss das Gericht bei einem Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Genossenschaft nach § 116 Nr. 4 GenG den Plan an den zuständigen Prüfungsverband weiterleiten und darüber anhören, ob der Plan mit den Interessen der Mitglieder vereinbar ist. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Zuleitung gemäß § 232 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 InsO ist indes kein Verfahrensmangel, welcher nach § 250 Nr. 1 InsO der Bestätigung des Plans entgegensteht (anders noch die Vorauflage). Die in Absatz 1 Nr. 1 bis 3 InsO genannten Beteiligten erhalten nämlich gemäß § 235 Abs. 3 InsO ohnehin eine Ladung zum Erörterungs- und Abstimmungstermin sowie den Plan oder dessen Zusammenfassung und können daraufhin noch vor oder im Termin ggf. Stellung nehmen. Vor diesem Hintergrund sind Mängel im Hinblick auf die Zuleitung nicht von einer solchen Bedeutung, dass sie als wesentliche, nicht behebbare Mängel zur Versagung der Bestätigung eines von den Beteiligten mit den notwendigen Mehrheiten konstituierten Plans führen können.6) Allerdings ist keine gesonderte Stellungnahme erforderlich, wenn der Plan bereits mit den Stellungnahmen dieser Personengruppen eingereicht worden ist.7) Neu eingefügt worden durch SanInsFoG8) vom 22.12.2020 ist der Zusatz „insbesondere 7 zur Vergleichsrechnung“, auf die sich die Stellungnahmen zukünftig explizit auch beziehen sollen, da es sich bei der Vergleichsrechnung um ein zentrales Planelement handelt.9) Ebenfalls durch das vorgenannte Gesetz neu eingefügt ist Absatz. 4 in § 232 InsO, der als weiterer Baustein der Verfahrensbeschleunigung und Aufdeckung von Zustimmungshindernissen durch frühzeitige Einbindung der beteiligten Personengruppen dient. Hiernach kann das Gericht den in den § 232 Abs. 1 und 2 InsO Genannten den Plan auch bereits vor seiner Entscheidung nach § 231 InsO zur Stellungnahme zuleiten und den so ggf. gewonnenen neuen Tatsachenvortrag auch zur Grundlage seiner Zurückweisungsentscheidung machen. Dann allerdings muss das Gericht die fragliche eingegangene Stellungnahme zur erneuten Stellungnahme dem Planvorleger und den anderen nach Absatz 1 Berechtigten zur erneuten Stellungnahme binnen einer Frist von höchstens einer Woche zuzuleiten. Gerade vor dem Hintergrund ist es empfehlenswert, den Insolvenzplan von Anfang an mit den Stellungnahmen dieser Personengruppen einzureichen, um das Vorprüfungsverfahren bei Gericht zu beschleunigen. ___________ 5) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 232 Rz. 5. 6) So die allg. Meinung, z. B. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 232 Rz. 8; Breuer in: MünchKomm-InsO, § 232 Rz. 10; jetzt auch Thies in: HambKomm-InsO, § 232 Rz. 4 (anders noch Haas in: HambKommInsO, § 232 Rz. 4). 7) Breuer in: MünchKomm-InsO, § 232 Rz. 5; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 323 Rz. 4. 8) Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256. 9) Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsR, § 232 InsO Rz. 5a.

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§ 32

2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

8 Daneben kann das Gericht den Plan auch zur Stellungnahme den in § 232 Abs. 2 InsO bezeichneten Gremien zuleiten, also der zuständigen amtlichen Berufsvertretung der Industrie, des Handels, des Handwerks oder der Landwirtschaft oder anderen sachkundigen Stellen, und ihnen Gelegenheit zur Äußerung geben. Dies liegt jedoch im Ermessen des Gerichts. 9 Das Gesetz normiert in § 232 InsO keine Pflicht zur Stellungnahme. Eine Antwort der insoweit aufgerufenen Personengruppen ist daher lediglich fakultativ; sie hat aber im Falle einer Stellungnahme schriftlich zu erfolgen.10) 10 Die Kosten der Stellungnahme sind von den Beteiligten selbst zu tragen, wobei die Kosten der Verwalterstellungnahme über dessen Vergütung zulasten der Masse gehen.11) Eine Erhöhung des Regelsatzes rechtfertigt sich allerdings nur bei relevanter Mehrarbeit.12) 3.

Fristen

11 Das Gericht bestimmt zur Abgabe der Stellungnahmen eine Frist, die gemäß § 232 Abs. 3 Satz 2 InsO nicht länger als zwei Wochen sein soll. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass längere Fristen grundsätzlich nicht gesetzt werden sollen.13) 12 Auch nicht fristgerecht eingegangene Stellungnahmen sind allerdings noch für das weitere Verfahren zu berücksichtigen und noch nachträglich bei Gericht niederzulegen, da es sich bei der Frist nach § 232 Abs. 3 InsO nicht um eine Ausschlussfrist handelt.14) II.

Terminvorbereitung

1.

Aussetzung von Verwertung und Verteilung

13 Um den auf Fortführung des schuldnerischen Unternehmens zielenden Insolvenzplan nicht zu gefährden, kann das Insolvenzgericht nach § 233 InsO auf Antrag des Schuldners bzw. des Verwalters die Aussetzung der Verwertung und Verteilung anordnen. 14 Antragsberechtigt ist sowohl der Schuldner als auch der Verwalter, ohne dass diese Beteiligten zwingend auch den Plan vorgelegt haben müssen. Im Falle der Eigenverwaltung ist auch der Sachwalter, der in § 233 InsO nicht genannt ist, in analoger Anwendung antragsberechtigt, wenn er selbst den Plan vorlegt.15) Der Antrag kann frühestens bei der Vorlage des Plans und spätestens bis zur Rechtskraft der Bestätigung des Plans gestellt werden.16) 15 Die Aussetzungsanordnung, die erst erfolgen kann, wenn die Vorprüfung des Plans abgeschlossen ist und nicht zu einer Zurückweisung des Plans führt,17) erfolgt allgemein für Vermögensgegenstände, zu deren Verwertung der Insolvenzverwalter nach §§ 166 ff. InsO berechtigt ist. Somit gilt § 233 InsO nicht für drittrechtsbelastete Gegenstände, die sich im Besitz dieser Sicherungsgläubiger befinden und bei denen das Verwertungsrecht nach § 173 InsO beim Gläubiger liegt. Die Aussetzungsanordnung kann auch nicht für Immobilien gelten, für die insoweit § 30d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 ZVG relevant ist. Sie kann sich aller-

___________ Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 232 Rz. 6. Breuer in: MünchKomm-InsO, § 232 Rz. 18. Ober in: Nerlich/Römermann, InsO, § 232 Rz. 6. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 33. Breuer in: MünchKomm-InsO, § 232 Rz. 15; Ober in: Nerlich/Römermann, InsO, § 232 Rz. 8; a. A. wohl nur Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 232 Rz. 6. 15) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 233 Rz. 8. 16) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 233 Rz. 9. 17) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 233 Rz. 9.

10) 11) 12) 13) 14)

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Stahlschmidt

§ 32

Ladung und Terminvorbereitung

dings auf lediglich einzelne konkrete Vermögensgegenstände erstrecken, wenn nur diese für eine erfolgreiche Umsetzung des Insolvenzplans erforderlich sind.18) Falls mit der Aussetzungsanordnung die Gefahr erheblicher Nachteile für die Masse 16 entsteht, lehnt das Gericht die Aussetzung der Verwertung und Verteilung ab bzw. hebt die Aussetzungsanordnung auf. Eine solche Gefahr wäre nach der Gesetzesbegründung z. B. eine befürchtete Minderung der Befriedigungsquote der Gläubiger im Falle einer schon ausgehandelten und für die Gläubiger günstigen Unternehmensveräußerung. Daneben kann der Verwalter die Aussetzungsanordnung der Verwertung und Verteilung verhindern oder aufheben lassen, wenn er mit Zustimmung des Gläubigerausschusses oder der Gläubigerversammlung die Fortsetzung der Verwertung und Verteilung beantragt. Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Gerichts nach § 233 InsO bestehen nicht (vgl. 17 § 6 Abs. 1 Satz 1 InsO). 2.

Terminierung und Verbindung von Terminen (§ 236 InsO)

Nach § 235 hat das Gericht einen nichtöffentlichen Termin, bei dem die Beteiligten über 18 den Plan und das Stimmrecht diskutieren (Erörterungstermin), und einen nichtöffentlichen Termin zur Abstimmung über den Plan (Abstimmungstermin) festzusetzen, die jedoch nach § 236 InsO nicht vor dem Prüfungstermin stattfinden, jedoch mit diesem verbunden werden dürfen. Bei der Terminierung ist zu berücksichtigen, dass regelmäßig ein erhebliches Interesse aller Beteiligten daran besteht, das Insolvenzplanverfahren möglichst zügig abzuschließen und somit das schuldnerische Unternehmen schnell aus der Insolvenz herauszuführen. So führt das Insolvenzverfahren bei Unternehmen, die fortgeführt werden, zu erheblicher Unsicherheit bei den Lieferanten und Kunden. Dieses Vertrauen kann oft erst wiederhergestellt werden, wenn das Unternehmen durch ein zügiges Insolvenzplanverfahren innerhalb kurzer Zeit wieder aus der Insolvenz entlassen wird. Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber dem Insolvenzgericht diverse Möglichkeiten 19 gegeben, durch eine gezielte Terminierung für einen zügigen Ablauf des Insolvenzplanverfahrens zu sorgen. So sollen nach § 235 InsO der Erörterungs- und der Abstimmungstermin regelmäßig 20 zusammengelegt werden. In Ausnahmefällen kann auch ein gesonderter Abstimmungstermin bestimmt werden, 21 wobei hierfür dann die §§ 241, 242 InsO gelten. Neben einem von Anfang an bestimmten gesonderten Abstimmungstermin ist es auch zulässig, wenn i. R. des ursprünglich einheitlich terminierten Erörterungs- und Abstimmungstermins ein gesonderter Abstimmungstermin festgelegt wird, weil bspw. im Erörterungstermin Planänderungen vorgenommen wurden, durch die insbesondere vorher unbelastete Gläubiger beeinträchtigt werden.19) Gemäß § 235 Abs. 1 Satz 2 InsO soll der Erörterungs- und Abstimmungstermin nicht 22 über einen Monat hinaus angesetzt werden. Die Monatsfrist beginnt gemäß § 235 Abs. 1 Satz 3 InsO schon mit der Bekanntmachung. Sie ist jedoch lediglich eine Sollvorschrift und hindert bei Nichtbeachtung nicht die Bestätigung des Plans.20) Gegen die Terminierung, die grundsätzlich im Ermessen des Gerichts steht, ist auch kein 23 Rechtsmittel zulässig.21) ___________ 18) 19) 20) 21)

Thies in: HambKomm-InsO, § 233 Rz. 3; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 233 Rz. 10. Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsR, § 241 InsO Rz. 5, 9; Thies in: HambKomm-InsO, § 241 Rz. 4. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 235 Rz. 24; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 235 Rz. 5. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 235 Rz. 6.

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§ 32

2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

24 Aus § 236 InsO ergibt sich, dass der Erörterungs- und Abstimmungstermin nicht vor dem Prüfungstermin stattfinden darf. Hintergrund ist, dass die Prüfung der Forderungen Klarheit über die Festsetzung der Stimmrechte für die Abstimmung des Plans schafft. Unter Berücksichtigung des § 29 Abs. 2 InsO kann eine Verfahrensbeschleunigung erzielt werden, wenn der Prüfungstermin mit dem Berichtstermin verbunden wird. 25 Damit können Erörterungs- und Abstimmungstermin, Berichts- und Prüfungstermin verbunden werden. Unter Berücksichtigung der Fristenregelung nach § 28 Abs. 1 Satz 2 und § 29 Abs. 1 Nr. 2 InsO sowie § 9 Abs. 1 Satz 3 InsO können diese Termine bei Vorliegen eines Insolvenzplans zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung frühestens drei Wochen und zwei Tage nach dem Tag der Bekanntmachung der Verfahrenseröffnung terminiert werden. Dies zeigt, dass es tatsächlich möglich ist, ein Insolvenzplanverfahren zügig durchzuführen. 26 Bei – in der Praxis selten vorkommenden – konkurrierenden Plänen kann für alle Pläne ein gemeinsamer Erörterungs- und Abstimmungstermin festgesetzt werden, soweit dies wegen der Terminierungsfristen möglich ist, was nur bei in engem zeitlichem Zusammenhang eingegangenen Plänen der Fall sein dürfte.22) 3.

Tagesordnung

27 Unabhängig davon, ob Berichts-, Prüfungs-, Erörterungs- und Abstimmungstermin miteinander verbunden werden oder nicht, muss die Bekanntmachung und Ladung zum Erörterungs- und Abstimmungstermin über einen Insolvenzplan immer die Zeit, den Ort und die Tagesordnung nach § 74 Abs. 2 Satz 1 InsO entsprechend enthalten.23) Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Bekanntmachung der Tagesordnung ist jedoch eine wenigstens schlagwortartige Bezeichnung der Tagesordnungspunkte.24) 28 Werden Erörterungs- und Abstimmungstermin miteinander verbunden, ergeben sich regelmäßig drei Tagesordnungspunkte, die im Beschluss mitzuteilen sind. So dient der Termin zur Erörterung des Insolvenzplans und des Stimmrechts der Gläubiger sowie zur Abstimmung über den Insolvenzplan. In der Regel heißt es dort: In dem Insolvenzverfahren über das Vermögen von […] ist Termin zur Erörterung des Insolvenzplans und des Stimmrechts der Gläubiger sowie zur Abstimmung über den Insolvenzplan bestimmt auf […], im Gebäude des AG […], Saal […]. 4.

Bekanntmachung des Termins

29 Nach § 235 Abs. 2 Satz 1 InsO ist der Erörterungs- und Abstimmungstermin öffentlich bekannt zu machen, wobei § 9 InsO gilt. 30 Auch wenn der Erörterungs- und Abstimmungstermin nicht zusammen mit dem Prüfungstermin verbunden werden, muss nach § 74 Abs. 1 Satz 1 InsO immer die Zeit, der Ort und die Tagesordnung, inklusive der schlagwortartigen Bezeichnung der Tagesordnungspunkte, öffentlich bekannt gegeben werden.25) 31 In der Bekanntmachung ist nach § 235 Abs. 2 Satz 2 InsO auch noch mitzuteilen, dass der Plan und die eingegangenen Stellungnahmen auf der Geschäftsstelle eingesehen werden

___________ 22) 23) 24) 25)

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Vgl. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 235 Rz. 7. BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499, dazu EWiR 2010, 681 (Huber). BGH v. 20.3.2008 – IX ZB 104/07, ZIP 2008, 1030, dazu EWiR 2008, 373 (Blank). BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499; BGH v. 20.3.2008 – IX ZB 104/07, ZIP 2008, 1030.

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§ 32

Ladung und Terminvorbereitung

können. Hierbei ist immer auch bekanntzugeben, wo und wann die Unterlagen eingesehen werden können.26) Einer Bekanntmachung bedarf es nicht nach §§ 235 Abs. 2 Satz 3, 74 Abs. 2 Satz 2 InsO, 32 wenn der Termin bereits in einer früheren Gläubigerversammlung bestimmt worden ist oder wenn eine Vertagung im Erörterungs- und Abstimmungstermin selbst vorgenommen wird. Eine fehlende oder nicht ordnungsgemäße Bekanntmachung ist ein wesentlicher Ver- 33 fahrensmangel, der einer Bestätigung des Plans nach § 250 Nr. 1 InsO entgegensteht.27) Die nicht zumindest schlagwortartige Bezeichnung einzelner Beschlussgegenstände als Punkte der Tagesordnung führt zu einer Nichtigkeit der mit diesen Tagesordnungspunkten verbundenen Beschlüsse.28) Allerdings führt die ungenaue Bezeichnung des Abstimmungstermins in der Bekanntmachung nicht zwangsläufig zu einem wesentlichen Verfahrensmangel.29) 5.

Ladung

Wie sich aus § 235 Abs. 3 Satz 1 InsO ergibt, sind die Insolvenzgläubiger, die Forderungen 34 angemeldet haben, die absonderungsberechtigten Gläubiger, der Insolvenzverwalter, der Schuldner, der Betriebsrat und der Sprecherausschuss der leitenden Angestellten besonders zu laden. Bei der Ladung des Betriebsrats und des Sprecherausschusses richtet sich die Ladung an das Gremium als solches und nicht an jedes einzelne Mitglied, so dass sich diese Personengruppe im Termin von ihrem vertretungsberechtigten Vorsitzenden vertreten lassen muss.30) Zu beachten ist, dass nach § 235 Abs. 3 Satz 3 InsO auch die Personen, die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte am Schuldner haben, zu laden sind, wenn der Plan diese mit einbezieht. Dagegen müssen nach § 235 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 InsO Aktionäre und Kommanditak- 35 tionäre nicht gesondert geladen werden. Dies wird damit begründet, dass es sich oftmals um breit gestreute Anteile handelt und die Namen und Adressen dieser Anteilsinhaber nicht bekannt sein dürften. Nach den Erwägungen des Gesetzgebers reicht für diese Personengruppen die öffentliche Bekanntmachung des Erörterungs- und Abstimmungstermins aus.31) Bei börsennotierten Gesellschaften i. S. von § 3 Abs. 2 AktG sind jedoch gemäß § 235 Abs. 3 Satz 5 InsO die Regelungen über die Ladung zur Hauptversammlung nach § 121 Abs. 4a AktG entsprechend anzuwenden. Daneben ist eine Zusammenfassung des Plans über die Internetseite des Schuldners zu- 36 gänglich zu machen (Veröffentlichungspflicht bei börsennotierten Gesellschaften z. B. § 124a AktG). Im Übrigen bietet es sich an, den Insolvenzplan passwortgeschützt auf der Internetseite des Insolvenzverwalters einzustellen.32) Völlig unberücksichtigt bleibt die Frage der Ladungsadressaten im Falle eines – nach 37 § 210a InsO zulässigen – Insolvenzplans bei Masseunzulänglichkeit. Obwohl nicht ausdrücklich in § 235 InsO erwähnt, sind in diesem Fall auch die Altmassegläubiger nach den Bestimmungen des § 235 InsO gesondert zu laden. ___________ 26) 27) 28) 29) 30) 31) 32)

Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 235 Rz. 11. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 235 Rz. 11. BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 128/10, ZIP 2011, 1626. LG Köln v. 17.12.2020 – 1 T 440/20 70a IN, ZInsO 2021, 218. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 235 Rz. 12. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 33. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 33.

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§ 32

2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

38 Falls der Insolvenzplan in Abweichung von § 225 Abs. 1 InsO auch gegenüber den nachrangigen Gläubigern eine Regelung vorsieht, sind diese ebenfalls nach § 235 InsO gesondert zu laden.33) 39 Hinsichtlich der Art und Weise der Ladung bestimmt § 235 Abs. 3 Satz 2 InsO, dass der Ladung entweder ein Abdruck des Plans oder eine Zusammenfassung seines wesentlichen Inhalts beizufügen ist, wobei die Entscheidung hierüber im Ermessen des Gerichts liegt. Falls eine Zusammenfassung übersandt wird, hat der Planersteller diese zu fertigen. Angesichts des Umstands, dass der Insolvenzplan die entscheidende Beurteilungsgrundlage für die Beteiligten darstellt, ist es jedoch ratsam, grundsätzlich den vollständigen Abdruck des Plans beizufügen, da im Falle der Zusammenfassung die Gefahr besteht, dass wesentliche Fakten nicht erwähnt sind. Dieses Risiko kann durch Zusendung des vollständigen Plans vermieden werden. 40 Nach den §§ 235 Abs. 3 Satz 4, 8 Abs. 3 InsO kann das Gericht den Insolvenzverwalter mit der Ladung beauftragen, wovon in der Praxis regelmäßig Gebrauch gemacht wird. In Eigenverwaltungsverfahren kann der Sachwalter mit der Zustellung beauftragt werden.34) Ist die Übertragung auf den Insolvenzverwalter erfolgt, ist diesem für jede Zustellung der Sach- und Personalaufwand zu ersetzen. Die Höhe der Vergütung bemisst sich außerhalb der sonstigen Zuschlagstatbestände durch einen angemessenen Betrag pro Zustellung, der nach dem tatsächlichen Aufwand geschätzt werden kann.35) 41 Eine fehlerhafte oder eine unterbliebene Ladung stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, der der Bestätigung des Plans nach § 250 Nr. 1 InsO entgegensteht,36) wobei das Fehlen einer Seite des Insolvenzplans noch keinen Verfahrensmangel darstellt.37) Diese Mängel können geheilt werden, wenn der insoweit fehlerhaft oder nicht Geladene zum Termin erscheint und diesen Mangel nicht rügt.38) 6.

Publikation im Internet

42 Die Bestimmung des Erörterungs- und Abstimmungstermins ist öffentlich bekannt zu machen, vgl. § 235 Abs. 2 InsO. Dies bedeutet, neben der Ladung an die bekannten Verfahrensbeteiligten erfolgt auch eine Veröffentlichung der Termininformation im Internet. Hierfür haben die Länder das Fachportal www.insolvenzbekanntmachungen.de als Teil des Gemeinsamen Justizportals des Bundes und der Länder eingerichtet. Über diese Internetplattform haben alle Veröffentlichungen zu erfolgen. Dies gilt auch für die Bekanntmachung von Beschlüssen an den Insolvenzschuldner, der entgegen seiner Auskunftsobliegenheit einen Wohnsitzwechsel nicht mitteilt und unbekannten Aufenthalts ist. Das Insolvenzgericht kann in diesem Fall Beschlüsse ohne weitere Ermittlungen öffentlich bekannt machen.39) Zwei Tage nach der Publikation im Internet gilt die Bekanntmachung als bewirkt. Diese gesetzliche Fiktion greift unabhängig von der parallelen Zustellung der Ladung an die Beteiligten, insbesondere auch wenn diese zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt.40) Die Berechnung des Beginns dieser „Zwei-Tage-Frist“ richtet sich nach § 4 InsO, § 222 Abs. 1 ___________ 33) 34) 35) 36) 37) 38) 39) 40)

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Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 235 Rz. 12. Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsR, § 235 InsO Rz. 13. BGH v. 21.3.2013 – IX ZB 209/10, ZIP 2013, 833, dazu EWiR 2013, 383 (U. Keller). BGH v. 13.1.2011 – IX ZB 29/10, ZInsO 2011, 280. OLG Dresden v. 21.6.2000 – 7 W 951/00, ZIP 2003, 1303. Vgl. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 235 Rz. 18. BGH v. 16.5.2013 – IX ZB 272/11, NZI 2013, 703. BGH v. 14.11.2013 – IX ZB 101/11, ZIP 2013, 2425.

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§ 32

Ladung und Terminvorbereitung

ZPO, § 187 Abs. 2, § 188 Abs. 2 Fall 2 BGB.41) Die Bekanntmachung über das Internet gilt für und gegen alle Verfahrensbeteiligten, § 9 InsO. Der Ausdruck des Sendeberichts für die Internetveröffentlichung begründet aber keinen Anscheinsbeweis für die tatsächlich erfolgte öffentliche Bekanntmachung durch Veröffentlichung im Internet.42) Die Notwendigkeit einer öffentlichen Bekanntmachung im Internet ist nicht nur auf die 43 nationale Ebene begrenzt. Durch die zunehmenden grenzüberschreitenden Aktivtäten der Marktteilnehmer hat die EU in der EuInsVO entsprechende Regelungen für die Veröffentlichung von Insolvenzinformationen auf europäischer Ebene geschaffen.43) In Art. 24 ff. EuInsVO ist geregelt, dass die Mitgliedstaaten sog. Insolvenzregister errichten und unterhalten, um Informationen über Insolvenzverfahren bekannt zu machen. Die Insolvenzregister, die im Wesentlichen dem entsprechen, was in Deutschland bereits über die Plattform www.insolvenzbekanntmachungen.de veröffentlicht wird, sind in allen Mitgliedstaaten bis zum 26.6.2018 einzurichten. Gemäß Art. 25 EuInsVO wurden die durch die Mitgliedsstaaten unterhaltenen Register bis zum 26.6.2019 miteinander verbunden. Dies ist zwischenzeitlich geschehen, so dass aktuell44) Informationen in den Registern der teilnehmenden Länder abgefragt werden können.

___________ 41) BGH v. 14.11.2013 – IX ZB 101/11, ZIP 2013, 2425. 42) BGH v. 6.7.2017 – IX ZB 73/16, NZI 2017, 950. 43) Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.5.2015 über Insolvenzverfahren, ABl. (EU) L 141/19 v. 5.6.2015. 44) Abrufbar unter https://e-justice.europa.eu/content_insolvency_registers-110-de.do (Abrufdatum: 14.2.2023).

Stahlschmidt

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§ 33 Prüfungs-, Erörterungs- und Abstimmungstermin Stahlschmidt

I. II. III. IV.

Ablauf des Termins..................................... 2 Verbindung von Terminen........................ 7 Gesonderter Abstimmungstermin ........... 9 Verbindung mit dem Prüfungstermin......................................................... 13

V. Erörterung des Insolvenzplans ............... 19 VI. Das Abstimmungsverfahren ................... 26 VII. Änderung des Insolvenzplans ................ 35 VIII. Weitere Verfahrensschritte ................... 41

1 Das Insolvenzgericht hat gemäß § 235 Abs. 1 InsO einen Termin zur Erörterung und Abstimmung über den Insolvenzplan zu bestimmen. Die Leitung des Prüfungs-, Erörterungs- und Abstimmungstermins obliegt nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG dem Insolvenzrichter (siehe oben Stahlschmidt, HRI II, § 30 Rz. 1). I.

Ablauf des Termins

2 Auf den Ablauf des Termins finden sowohl die allgemeinen Vorschriften der InsO über Gläubigerversammlungen (§§ 74 ff. InsO) als auch die besonderen Verfahrensvorschriften der §§ 235 ff. InsO Anwendung. Darüber hinaus gelten nach § 4 InsO die allgemeinen Verfahrensregeln der ZPO. Die Durchführung eines (mündlichen) Erörterungs- und Abstimmungstermins während der COVID-19-Pandemie steht im pflichtgemäßen Ermessen des Insolvenzgerichts.1) 3 Über den Ablauf der Termine ist ein Protokoll entsprechend § 159 ZPO zu fertigen, wobei hierfür ein Protokollführer hinzugezogen werden kann. 4 Nach dem Aufruf der Sache nach § 220 Abs. 1 ZPO sind zuerst die Erschienenen protokollarisch festzustellen, wobei sich die Beteiligten durch eine schriftliche Vollmacht vertreten lassen können. Gesetzliche Vertreter müssen ihre Vertretungsmacht z. B. durch Vorlage eines aktuellen Handelsregisterauszugs nachweisen. Dieser sollte in der Regel nicht älter als zwei Wochen sein. 5 Die Anwesenheit des Insolvenzverwalters ist zwingend, selbst wenn er nicht den Insolvenzplan vorgelegt hat, so dass der Termin im Falle seines Nichterscheinens zu vertagen ist.2) Daneben können die Verfahrensbeteiligten (z. B. die Insolvenzgläubiger oder der Insolvenzschuldner bzw. die gesetzlichen Vertreter) an dem Termin teilnehmen. Ihre Teilnahme ist jedoch nicht verpflichtend. Aus besonderen Gründen kann auch weiteren Personen die Anwesenheit im Termin gestattet werden, § 175 Abs. 1 GVG, hierzu gehören u. a. Referendare, Arbeitnehmer- und Pressevertreter. Bei der Anwesenheit von Pressevertretern empfiehlt sich, falls möglich, eine vorherige Abstimmung zwischen Insolvenzgericht, Insolvenzverwalter und Pressesprecher der Justiz. Hintergrund ist, dass es aufgrund des komplexen Insolvenzverfahrens zu Missverständnissen bei der Berichterstattung über das Verfahren kommen kann. Diese können die weitere Abwicklung des Verfahrens erheblich behindern. 6 Nach der Feststellung der Erschienenen wird die Ordnungsmäßigkeit der Bekanntmachung und Ladung festgestellt. Eine nicht ordnungsgemäß durchgeführte Bekanntmachung verhindert die wirksame Durchführung von Abstimmungen im Termin, dies gilt insbesondere, wenn neben einer unwirksamen oder unterbliebenen Bekanntmachung Beteiligte nicht ordnungsgemäß geladen wurden. Das Insolvenzgericht hat dies von Amts wegen zu prü___________ 1) AG Hamburg v. 4.3.2021 – 67g IN 137/20, ZRI 2021, 376. 2) Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 235 Rz. 25.

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fen. Ein Verstoß gegen § 235 Abs. 3 InsO stellt in der Regel einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, der die Versagung des Plans zur Folge hat.3) Wichtig ist hierbei auch, dass die Tagesordnung des Termins bekannt gemacht wurde. Dies bedeutet, dass wenigstens eine schlagwortartige Bezeichnung der einzelnen Punkte erfolgt ist.4) Nur über ordnungsgemäß publizierte Tagesordnungspunkte kann im Termin wirksam abgestimmt werden. Falls der Sitzungsraum zu klein ist, kann der Terminort vor oder bei der Sitzung auch in einen anderen Sitzungssaal verlegt werden, wenn der neue Sitzungssaal durch Aushang bekannt gemacht und in kurzer Zeit leicht zu erreichen ist. Dies stellt keinen Verfahrensmangel nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 InsO dar.5) II.

Verbindung von Terminen

Der Gesetzgeber hat zur „Straffung des Verfahrens“6) die Möglichkeit der Verbindung 7 des Erörterungs- und Abstimmungstermins eingeführt. Hierbei handelt es sich um den Regelfall, von dem das Gericht aus besonderen Gründen jedoch abweichen kann und zwei getrennte Termine bestimmen darf. Gemäß § 235 Abs. 1 Satz 2 InsO soll der gemeinsame Erörterungs- und Abstimmungs- 8 termin nicht über einen Monat hinaus angesetzt werden. Der Gesetzgeber hat insoweit in § 235 Abs. 1 Satz 3 InsO bestimmt, dass für die Terminierung nicht erst der Ablauf der Stellungnahmefrist nach § 232 InsO abgewartet werden muss, die Monatsfrist mithin schon mit Bekanntmachung beginnt. Diese Monatsfrist ist jedoch lediglich eine Sollvorschrift und hindert bei Nichtbeachtung nicht die Bestätigung des Plans.7) Im Rahmen der Bekanntmachung hat das Insolvenzgericht die Beteiligten darauf hinzuweisen, dass der Insolvenzplan und die hierzu eingegangenen Stellungnahmen in der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts zur Einsicht niedergelegt sind. III.

Gesonderter Abstimmungstermin

Sofern das Insolvenzgericht ausnahmsweise einen gesonderten Termin zur Abstimmung 9 über den Insolvenzplan bestimmt, soll der Zeitraum zwischen dem Erörterungstermin und dem Abstimmungstermin nicht mehr als einen Monat betragen (§ 241 Abs. 1 Satz 2 InsO). Im Hinblick auf die vom Gesetzgeber mit dem Insolvenzplanverfahren beabsichtigte Verfahrensbeschleunigung empfiehlt sich ein besonderer Abstimmungstermin nur in Ausnahmefällen, z. B. bei sehr komplexen Insolvenzplänen oder Änderungen des Plans im Erörterungstermin (siehe oben Stahlschmidt, HRI II, § 32 Rz. 17 ff.). Zu dem besonderen Abstimmungstermin sind die stimmberechtigten Gläubiger und der 10 Schuldner gesondert zu laden. Dies gilt nicht für Aktionäre oder Kommanditaktionäre. Für diese reicht es aus, dass das Insolvenzgericht den Termin öffentlich bekannt gemacht hat, § 241 Abs. 2 InsO. Für börsennotierte Gesellschaften hat die Ladung nach Maßgabe des § 121 Abs. 4a AktG zu erfolgen. Weitere Beteiligte sind ebenfalls zu diesem Termin nicht zu laden. Hintergrund ist, dass in dem Termin keine weiteren Erörterungen stattfinden sollen;8) somit ist die Anwesenheit der anderen Beteiligten überflüssig. Die Stimmberechtigten können ihr Stimmrecht zu dem Termin auch schriftlich ausüben 11 § 242 Abs. 1 InsO. Zu diesem Zwecke hat das Insolvenzgericht den Beteiligten nach dem ___________ 3) 4) 5) 6) 7) 8)

BGH v. 13.1.2011 – IX ZB 29/10, ZIP 2011, 781. BGH v. 20.3.2008 – IX ZB 104/07, ZIP 2008, 1030, dazu EWiR 2008, 373 (Blank). BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499, dazu EWiR 2010, 681 (Huber). Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht d. RA, BT-Drucks. 12/7302, S. 183. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 235 Rz. 24; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 235 Rz. 5. Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 241 Rz. 14; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 241 Rz. 11.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

Erörterungstermin und der Festlegung der Stimmrechte einen Stimmzettel zu übersenden, aus dem auch ihr jeweiliges Stimmrecht hervorgeht. Die schriftliche Ausübung des Stimmrechts ist nur wirksam, wenn die Abstimmungsunterlagen dem Gericht spätestens am Tag vor dem Abstimmungstermin zugegangen sind. Es ist Aufgabe des Gerichts, die Beteiligten hierauf zusammen mit der Übersendung der Abstimmungsunterlagen gesondert hinzuweisen, § 242 Abs. 2 InsO. Fällt der Abstimmungstermin auf einen Montag, ist abweichend von § 242 Abs. 2 InsO eine schriftlich abgegebene Stimme nicht deshalb ungültig, weil der Stimmzettel erst am Tag des Abstimmungstermins bei Gericht eingegangen ist. Dies folgt aus § 222 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 4 InsO, demzufolge eine Frist, deren Ende auf einen Sonntag fällt, mit Ablauf des nächsten Werktags endet.9) Es steht den Abstimmenden jedoch frei, trotz schriftlicher Stimmabgabe zu dem Abstimmungstermin zu erscheinen. In diesem Termin ist der Erschienene nicht an seine vorherige Abstimmung in schriftlicher bzw. elektronischer Form gebunden; er kann in dem Termin erneut und auch von seiner vorherigen Meinungsäußerung abweichend abstimmen, jedoch nur, bevor seine schriftliche Stimmabgabe verlesen worden ist.10) 12 Der Gesetzgeber hat die Ausübung des Stimmrechts in § 242 Abs. 1 InsO verfahrensrechtlich als schriftliches Verfahren ausgestaltet, i. V. m. § 4 InsO kommen jedoch auch die entsprechenden Regelungen des elektronischen Rechtsverkehrs der ZPO zur Anwendung. Der elektronische Rechtsverkehr ist zum 1.1.2018 kraft Gesetzes bundesweit flächendeckend eröffnet worden.11) Rechtsanwälte, Notare, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts dürfen seit diesem Zeitpunkt elektronisch mit der Justiz kommunizieren, eine Verpflichtung hierzu bestand jedoch vor dem 1.1.2022 nicht. Für die Einreichung elektronischer Dokumente gelten die Regelungen des § 130a ZPO. IV.

Verbindung mit dem Prüfungstermin

13 Aus § 236 InsO ergibt sich noch, dass der Erörterungs- und Abstimmungstermin nicht vor dem Prüfungstermin stattfinden darf. Hintergrund ist, dass die Prüfung der Forderungen Klarheit über die Festsetzung der Stimmrechte für die Abstimmung des Plans schafft. 14 Das Ergebnis des Prüfungstermins legt die Stimmrechte der Beteiligten fest. Daher ist die Aufgabe des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, in einem Verzeichnis (sog. Stimmliste) festzuhalten, welche Stimmrechte den Beteiligten nach dem Ergebnis der Erörterung im Termin zustehen, § 239 InsO. 15 Stimmberechtigt sind grundsätzlich alle nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger, absonderungsberechtigte Gläubiger, sofern der Insolvenzschuldner auch persönlich für die dinglichen Forderungen haftet, und nachrangige Insolvenzgläubiger, sofern deren Forderungen nicht gemäß § 225 InsO als erlassen gelten und eine entsprechende Gruppe gebildet wurde. Die Stimmrechte der Anteilsinhaber des Schuldners bestimmen sich nach § 238a InsO. Zu den Stimmrechten der Beteiligten im Detail siehe unten Kolmann, HRI II, § 35. 16 Unter Berücksichtigung des § 29 Abs. 2 InsO kann eine weitere Verfahrensbeschleunigung erzielt werden, wenn der Prüfungstermin mit dem Berichtstermin verbunden wird. Ein entsprechendes Vorgehen empfiehlt sich sowohl für Insolvenzpläne, die vom Schuldner bereits zusammen mit dem Insolvenzantrag eingereicht werden, als auch für Pläne, die der Insolvenzverwalter zeitnah nach der Eröffnung des Verfahrens vorlegt. Hierbei ist zu be___________ 9) AG Duisburg v. 1.4.2003 – 62 IN 187/02, NZI 2003, 447 – schriftliche Abstimmung über den Insolvenzplan/Dauer der Überwachung. 10) Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 242 Rz. 7, § 243 Rz. 4. 11) Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten, v. 10.10.2013, BGBl. I 2013, 3786.

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achten, dass auch eine nachträgliche Verbindung der Termine möglich ist, § 4 InsO i. V. m. § 227 ZPO; Voraussetzung ist jedoch das Vorliegen entsprechender erheblicher Gründe. Unter Berücksichtigung aller gesetzlichen Möglichkeiten können Erörterungs- und Ab- 17 stimmungstermin, Berichts- und Prüfungstermin verbunden werden. Aufgrund der Fristenregelung nach § 28 Abs. 1 Satz 2 InsO und § 29 Abs. 1 Nr. 2 InsO sowie § 9 Abs. 1 Satz 3 InsO können diese Termine frühestens drei Wochen und zwei Tage nach dem Tag der Bekanntmachung der Verfahrenseröffnung terminiert werden. Bei der Berechnung bezüglich des Wirksamwerdens der Bekanntmachung sind die Regelungen des § 4 InsO, § 222 Abs. 1 ZPO und der §§ 187 Abs. 2, 188 Abs. 2 Fall 2 BGB anzuwenden.12) Im Ergebnis zeigt dies, dass es tatsächlich möglich ist, ein Insolvenzplanverfahren zügig 18 durchzuführen. V.

Erörterung des Insolvenzplans

Im Erörterungsteil des Termins soll den Beteiligten Gelegenheit gegeben werden, zu den 19 Regelungen des Plans Stellung zu nehmen. Demnach beginnt der Erörterungstermin mit der Vorstellung des Insolvenzplans. Der Planverfasser stellt in der Regel die wesentlichen Inhalte des Plans dar; es ist nicht erforderlich, dass der Verfasser, den gesamten Plan vorträgt.13) Die Verlesung und Vorstellung des Insolvenzplans wird immer vom Planvorlegenden 20 (Schuldner oder Insolvenzverwalter) durchgeführt, so dass diesem am Anfang des Erörterungstermins Gelegenheit gegeben werden muss, seinen Insolvenzplan den Beteiligten vorzustellen. Hierbei sollen nicht nur die Planvorschläge mitgeteilt werden, sondern es sollen auch die Hintergründe und Überlegungen, welche zu den Planvorschlägen geführt haben, erläutert werden.14) Schlussendlich ist dies der Zeitpunkt für den Planverfasser, die Beteiligten, die möglicherweise dem Plan ablehnend gegenüberstehen, vom Gegenteil zu überzeugen. Vor diesem Hintergrund kommt dem Planverfasser hier eine mediative Rolle zu. Danach ist den Beteiligten die Möglichkeit zu geben, Fragen zu stellen, die auch ausführ- 21 lich und umfassend durch den Planvorlegenden beantwortet werden sollten. Letztendlich kann nur hierdurch die Akzeptanz des Insolvenzplans erhöht werden. Falls ein Beteiligter seine Verfahrenssituation nicht richtig einordnet, ist das Insolvenzgericht verpflichtet, unter Berücksichtigung des Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG einen sachlichen Hinweis zu geben.15) Allerdings kann der Insolvenzrichter auch dann die Erörterung des Plans beenden und 22 zur Abstimmung übergehen, wenn ein Beteiligter seine Frage als nicht hinreichend beantwortet ansieht. Da dies ansonsten zu einer Blockade des Verfahrensfortgangs führen würde, ist diesem Beteiligten dann mitzuteilen, dass er die Konsequenzen der nach seiner Meinung unzureichenden Beantwortung in der Abstimmung ziehen müsse.16) Die weitere Erörterung ist selbst auf Verlangen einzelner ablehnender Beteiligter nicht 23 zwingend geboten, wenn sich bereits i. R. der Erörterung eine erforderliche Mehrheit für den Plan abzeichnet.17) ___________ 12) 13) 14) 15) 16) 17)

BGH v. 14.11.2013 – IX ZB 101/11, ZIP 2013, 2425. Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 235 Rz. 26. Vgl. Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 235 Rz. 26. Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 235 Rz. 26. BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499. BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

24 Eine im Sitzungssaal auftretende Unruhe stellt nur dann einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, wenn durch sie die Willensbildung in relevanter Weise beeinträchtigt wird.18) 25 Weiterhin hat das Gericht die Möglichkeit, bei Bedarf den einheitlichen Erörterungs- und Abstimmungstermin zu unterbrechen und zu vertagen, so dass der Erörterungs- und Abstimmungstermin dann am Folgetag oder wenige Tage später fortgesetzt wird. Eine neue öffentliche Bekanntmachung ist wegen § 235 Abs. 2 Satz 3 InsO nicht erforderlich. Es bedarf auch keiner neuerlichen Ladung.19) VI.

Das Abstimmungsverfahren

26 Die Abstimmung im Termin erfolgt in Gruppen. Die einzelnen im Insolvenzplan festgelegten Gruppen (siehe dazu oben Haneke, HRI II, § 24) stimmen über den Plan gesondert (§ 243 InsO) nacheinander ab. Die Leitung der Abstimmung im Termin obliegt dem Insolvenzgericht, § 76 Abs. 1 InsO. Im Rahmen dieser Leitungsfunktion entscheidet das Insolvenzgericht sowohl über die Reihenfolge, in der die Gruppen abstimmen, als auch – bei konkurrierenden Insolvenzplänen – über die Reihenfolge, in der über die Pläne abgestimmt wird. Die Mitglieder stimmen grundsätzlich mündlich über den Plan ab, sofern kein gesonderter Abstimmungstermin bestimmt wird. Dann kann nach § 242 Abs. 1 InsO das Stimmrecht auch schriftlich ausgeübt werden. Die Einzelheiten zum konkreten Abstimmungsverfahren sind in der InsO nicht festgelegt. 27 Das Gericht hat das jeweilige Stimmrecht der Beteiligten festzusetzen. Diese Stimmrechtsfestsetzung hat immer vor der Abstimmung zu erfolgen. Führt das Gericht zunächst eine Probeabstimmung durch, um zu ermitteln, ob eine Erörterung über strittige Stimmrechte ggf. entbehrlich ist, hat es erst nach der Erörterung und Festsetzung der Stimmrechte die eigentliche Abstimmung durchzuführen. Das Ergebnis der Probeabstimmung darf nicht als endgültiges Abstimmungsergebnis gewertet werden; eine Rückwirkung der Stimmrechtsfestsetzung auf die bereits erfolgte Abstimmung kommt nicht in Betracht.20) Das Stimmrecht des Beteiligten ist mit der Abgabe des Votums aufgebraucht, eine nachträgliche Änderung einer bereits abgegebenen Stimme ist abzulehnen. 28 Im Hinblick auf die häufig geringe Beteiligung von Gläubigern an den Terminen kann es sich für den Planvorlegenden, auch den Insolvenzverwalter, anbieten, mit Vollmachten zu operieren. Beteiligte, die nicht beabsichtigen, zu dem Termin zu erscheinen, jedoch den Plan unterstützen, können einen der Anwesenden oder ggf. auch einen Mitarbeiter des Büros des Insolvenzverwalters entsprechend bevollmächtigen, in ihrem Namen über den Insolvenzplan und soweit erforderlich auch dessen Anpassung im Termin abzustimmen. Sollte ein Mitarbeiter des Insolvenzverwalters bevollmächtigt werden, empfiehlt es sich, dies zuvor mit dem Gericht abzustimmen. 29 Die Durchführung der Abstimmung nimmt das Insolvenzgericht in das Protokoll auf. Hierbei sind das Stimmergebnis des einzelnen Beteiligten, der jeweiligen Gruppen und zum Schluss das finale Ergebnis der Abstimmung gesondert zu erfassen. 30 Die Mehrheiten, die zur Annahme des Insolvenzplans erforderlich sind, regelt § 244 InsO. In jeder der festgelegten Gruppen ist eine doppelte Mehrheit zu erzielen. Sie setzt sich zusammen aus der Mehrheit der anwesenden Beteiligten der Gruppe (sog. Kopfmehrheit) und die Mehrheit von mehr als der Hälfte der Summe der Ansprüche der abstimmenden Gläubiger (sog. Summenmehrheit), § 244 Abs. 1 InsO. ___________ 18) BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499. 19) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 241 Rz. 5. 20) BGH v. 17.12.2020 – IX ZB 38/18, ZRI 2021, 186 = ZIP 2021, 203.

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Einzelne Gläubiger können Inhaber mehrerer Forderungen sein. Mit diesen Forderungen 31 können sie in verschiedenen Gruppen zur Abstimmung berufen sein. Bei diesen unterschiedlichen Abstimmungen sind sie nicht an ihr Stimmverhalten in den anderen Gruppen gebunden. Sie können in jeder Gruppe individuell abstimmen. Im Rahmen der Abstimmung haben Insolvenzgericht und Insolvenzverwalter bei der Auf- 32 stellung der Insolvenztabelle und der Stimmliste darauf zu achten, dass alle Forderungen einer Person dieser auch zugeordnet werden. Besondere Schwierigkeiten kann es bei juristischen Personen geben, insbesondere den Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts (Bund, Länder und Kommunen). Aufgrund der häufig komplexen Verwaltungsstruktur fällt es den Beteiligten oft schwer zu erkennen, dass es sich um dieselbe juristische Person handelt. Gleiches gilt für Konzerne und Holdings, in denen es oft schwierig ist zu unterscheiden, ob es sich um eine selbstständige Firma handelt oder eine rechtlich unselbstständige Zweigniederlassung. Des Weiteren hat der fortlaufende Zusammenschluss von Krankenkassen dazu beigetragen, dass die Anforderungen an die Prüfung durch das Gericht weiter gestiegen sind. Es ist jedoch wichtig, diesem Punkt besonderes Augenmerk zu schenken, da es ansonsten leicht zu Problemen bei der Durchführung der Abstimmungen kommen kann, die dadurch entstehen, dass vermeintlich mehr Gläubiger anwesend sind, als es sich bei genauer juristischer Betrachtung ergibt (z. B. sind Finanzämter und Gerichtskassen beides „Behörden“ des jeweiligen Landes, die eine juristische Person repräsentieren). Bezüglich der Fusion von Unternehmen können die notwendigen Informationen dem entsprechenden Register (z. B. Handels- oder Genossenschaftsregister) entnommen werden bzw. sind durch einen aktuellen Registerauszug nachzuweisen. Bei Krankenkassen bieten die durch das Bundesamt für Soziale Sicherung (ehemals Bundesversicherungsamt) über das Internet publizierten Informationen ein Indiz für den Zeitpunkt der Vereinigung von Krankenkassen.21) In allen genannten Fällen müssen sich, sofern mehrere Vertreter derselben juristischen 33 Person im Termin anwesend sind, die Vertreter einigen, wie sie abstimmen werden. Sie sind hierbei nicht an die ggf. vorher schriftlich oder im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs abgegebene Stimme gebunden; es kann in dem Termin erneut und auch von einer vorherigen Meinungsäußerung abweichend abgestimmt werden.22) Gleiches gilt für Gläubiger, denen ein Recht gemeinschaftlich zusteht oder deren Rechte 34 bis zum Eintritt des Eröffnungsgrunds ein einheitliches Recht gebildet haben; sie werden bei der Abstimmung ebenfalls als ein Gläubiger gerechnet, § 244 Abs. 2 InsO. Die Regelung des § 244 Abs. 2 InsO ist insbesondere von Bedeutung für sog. Pools23) (Lieferanten- oder Bankenpools). Für den gemeinsamen Vertreter nach dem SchVG ist pro Anleihe nur eine Kopfstimme bei der Abstimmung zu berücksichtigen.24) Werden die am Schuldner beteiligten Personen als eigene Gruppe am Zustandekommen des Insolvenzplans beteiligt, so können sie mit Mehrheit entscheiden, ob der Teil des Unternehmenswerts ausreichend ist, den ihnen der Insolvenzplan zuweist. Die Zustimmung ihrer Gruppe liegt vor, wenn die Summe der Beteiligungen der zustimmenden Anteilsinhaber mehr als die Hälfte der Summe der Beteiligungen der abstimmenden Anteilsinhaber beträgt. Auf eine Kopfmehrheit nach § 244 Abs. 1 Nr. 1 InsO kommt es hingegen nicht an. Hier legt

___________ 21) Abrufbar unter https://www.bundesamtsozialesicherung.de/fileadmin/redaktion/Krankenversicherung/ 20211227_Vereinigungen_Liste.pdf (Abrufdatum: 16.1.2023). 22) Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 242 Rz. 7. 23) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 244 Rz. 6. 24) AG Düsseldorf v. 20.3.2020 – 502 IN 155/19, ZInsO 2020, 905 m. Anm. Martini.

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der Gesetzgeber die Wertungen des jeweiligen Gesellschaftsrechts zugrunde, nach denen für Beschlüsse in der Regel die Mehrheit des Kapitals entscheidet.25) VII. Änderung des Insolvenzplans 35 Da der Insolvenzplan nach dem Willen des Gesetzgebers eine effektive und flexible privatautonome Regelungsmöglichkeit zwischen den Beteiligten zur Überwindung der Insolvenz des schuldnerischen Unternehmens bieten soll, ist in § 240 InsO auch vorgesehen, dass einzelne Regelungen im Insolvenzplan aufgrund der Erörterungen im Termin geändert werden können. Einzelheiten siehe unten Pleister/Theusinger, HRI II, § 34. 36 Zu einer solchen Änderung ist lediglich der Planvorlegende berechtigt, wobei er die Änderungen bereits vor dem Erörterungstermin, im Erörterungstermin selbst oder danach vornehmen kann, falls ein gesonderter Abstimmungstermin erfolgt. Tragen die im Erörterungstermin anwesenden Beteiligten Änderungswünsche vor, so ist dies als Anregung zu verstehen, auf die der Planvorlegende entweder eingehen kann oder nicht. 37 Zum Umfang der Änderungen ist zu beachten, dass der Plan im Kern nicht geändert werden kann.26) Demnach muss die Zielrichtung des Plans erhalten bleiben, so dass ein ursprünglich auf Fortführung gerichteter Plan nicht in einen Liquidationsplan umgeändert werden kann. Dagegen können einzelne Regelungen im gestaltenden Teil, wie bspw. die Befriedigungsquote der Gläubiger, Fälligkeiten und Stundungsvereinbarungen sowie die Eingriffe in die Absonderungsrechte und die Gruppenstruktur, geändert werden.27) Unzulässig ist allerdings die Erweiterung um zwei neue Gruppen.28) Im Hinblick auf den Grundsatz der Gläubigerautonomie sind auch umfangreiche und gravierende Änderungen möglich, solange sie den Plan nicht unübersichtlich machen und jedem einzelnen Beteiligten noch einen Überblick auf die konkreten Auswirkungen auf seine Rechtsposition ermöglichen.29) Wichtig ist hierbei, dass der Plan für den Beteiligten, der von den Änderungen betroffen ist, weiterhin nachvollziehbar und in vollem Umfang prüfbar bleibt. 38 Strittig ist, ob auch erstmalige Eingriffe in Rechte von Beteiligten, die bisher durch den ursprünglichen Plan nicht berührt worden sind, zulässig sind. Teilweise wird vertreten, dass solche Änderungen gar nicht im Zuge der Planänderung sondern nur im Wege der Neueinreichung30) bzw. nur bei Anwesenheit dieser Beteiligten zulässig sind oder ein besonderer Abstimmungstermin angesetzt wird.31) Abweichend hiervon wird vertreten, dass grundsätzlich auch solche Änderungen selbst bei Abwesenheit dieser Beteiligten zulässig sein sollen.32) So müsse jeder Beteiligte mit Planänderungen rechnen und könne nicht darauf vertrauen, dass in seine Rechte nicht eingegriffen werde. Das Planverfahren beruhe eben auch auf dem Grundsatz, dass ein Gläubiger, der seine Rechte nicht wahrnimmt, das Zustandekommen des Plans nicht behindern solle.33) Im Hinblick auf diese Erwägungen und vor dem Hintergrund, dass den Beteiligten i. S. der Gläubigerautonomie flexible Ge-

___________ 25) 26) 27) 28) 29) 30) 31) 32) 33)

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Vgl. Begr. RegE ESUG z. § 244 InsO, BT-Drucks. 17/5712, S. 34. Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 8. Vgl. Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 9. AG Düsseldorf v. 8.10.2019 – 513 IK 220/17, ZInsO 2020, 425, bestätigt vom LG Düsseldorf v. 20.12.2019 – 25 T 665/19, ZRI 2020, 199, m. Anm. Madaus in NZI 2020, 436. Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 8. Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsR, § 240 InsO Rz. 7. Thies in: HambKomm-InsO, § 240 Rz. 5. Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 14; Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 7. Vgl. Begr. RegE z. § 289 InsO 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 208.

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staltungen ermöglicht werden sollen, dürften auch solche erstmaligen Eingriffe in Rechte von Beteiligten durch eine Änderung des ursprünglichen Insolvenzplans zulässig sein. Das Insolvenzgericht muss prüfen, ob sich die vom Planvorlegenden eingebrachten Än- 39 derungen i. R. des § 231 und § 240 InsO bewegen (siehe oben Stahlschmidt, HRI II, § 30 Rz. 8 ff.), und – falls dem nicht so ist – einen richterlichen Hinweis gemäß § 139 ZPO geben. Bei der Prüfung sind die gleichen Maßstäbe anzulegen wie bei neu eingereichten Insolvenzplänen. Außerdem ist jedem anwesenden Beteiligten, dessen Rechte durch die Änderungen betroffen sind, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Insoweit hat das Gericht zu prüfen, ob die Vorschriften über den Inhalt des Plans und ggf. den Ablauf des Insolvenzplanverfahrens beachtet wurden. Hierbei erfolgt eine Beschränkung auf die formalen Anforderungen; eine Prüfung, ob der Plan durch die Änderungen weiterhin wirtschaftlich zweckmäßig gestaltet ist und ob er voraussichtlich Erfolg haben wird, ist dem Gericht versagt.34) Der sorgfältigen Prüfung durch das Insolvenzgericht kommt besondere Bedeutung zu, da ein Mangel ggf. durch Nachbesserung oder Neuvornahme behoben werden muss. Sofern ein wesentlicher Verstoß gegen die Verfahrensgrundsätze erst festgestellt wird, nachdem der Abstimmungstermin über den Insolvenzplan stattgefunden hat, liegt ein unbehebbarer Mangel vor, der einer Bestätigung entgegensteht.35) Werden die Änderungen des Insolvenzplans nicht zugelassen, bleibt der Insolvenzplan in seiner ursprünglichen Fassung Gegenstand der Abstimmung.36) Gegen die Zurückweisung einer Planänderung ist kein Rechtsmittel gegeben. Zu mögli- 40 chen Planänderungen im Detail siehe unten Pleister/Theusinger, HRI II, § 34, zu Rechtsmitteln Burmeister/Tasma, HRI II, § 38. VIII. Weitere Verfahrensschritte Abhängig vom Ausgang des Abstimmungstermins entscheidet sich der Fortgang des Ver- 41 fahrens. Sofern die Gruppen mit den notwendigen Mehrheiten dem vorgelegten Insolvenzplan zugestimmt haben, obliegt es dem Insolvenzgericht zu prüfen, ob ein Widerspruch des Insolvenzschuldners gegen den Plan vorliegt. Gemäß § 247 Abs. 1 InsO muss der Insolvenzschuldner bis zum Ende des Abstimmungstermins seinen Widerspruch schriftlich erklären, ansonsten gilt seine Zustimmung als erteilt. Ist der Insolvenzschuldner im Abstimmungstermin anwesend, kann der Widerspruch auch im Termin erklärt werden.37) Das Widerspruchsrecht steht grundsätzlich dem Schuldner zu, sofern es sich um eine natürliche Person handelt, oder dessen gesetzlichen Vertreter, bei juristischen Personen. Liegt kein Widerspruch vor, hat das Insolvenzgericht im nächsten Schritt zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine gerichtliche Bestätigung des Plans vorliegen (Einzelheiten zur Planbestätigung siehe unten Westpfahl, HRI II, § 37). Vor der Entscheidung über die Bestätigung soll das Gericht den Insolvenzverwalter, den Gläubigerausschuss, wenn ein solcher bestellt ist, und den Schuldner anhören, § 248 InsO. Danach kann die Entscheidung im Beschlusswege unmittelbar verkündet werden. In Ausnahmefällen kann das Gericht einen besonderen Termin zur Verkündung der Entscheidung bestimmen. Die Bestimmung des Termins soll kurzfristig erfolgen, § 252 Abs. 1 InsO. Der Termin ist öffentlich bekannt zu machen.

___________ 34) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, Rz. 8, ZIP 2015, 1346, dazu EWiR 2015, 483 (Spliedt); BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141. 35) BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141. 36) LG Düsseldorf v. 20.12.2019 – 25 T 665/19, ZRI 2020, 199, m. Anm. Madaus in NZI 2020, 436. 37) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 247 Rz. 18.

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§ 33

2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

42 Mit der rechtskräftigen Bestätigung des Insolvenzplans ist das Insolvenzverfahren beendet. Das Insolvenzgericht hat dann gemäß § 252 Abs. 2 InsO den bestätigten Insolvenzplan oder eine Zusammenfassung seines wesentlichen Inhalts an die Insolvenzgläubiger, die Forderungen angemeldet haben, und die absonderungsberechtigten Gläubiger zu übersenden. Eine erneute Übersendung des Plans oder einer Zusammenfassung kann unterbleiben, wenn alle Beteiligten, insbesondere die Gläubiger, die Forderungen angemeldet haben, diese bereits mit der Ladung zum Erörterungs- und Abstimmungstermin erhalten haben und der Plan nicht mehr geändert worden ist.38) Mit dieser Entscheidung enden auch die Ämter des Insolvenzverwalters und die der Mitglieder des Gläubigerausschusses, falls ein solcher bestellt ist. Sofern das Insolvenzgericht die Bestätigung versagt oder der Plan nicht die erforderlichen Mehrheiten erreicht, wird das Verfahren nach den Vorschriften des Regelinsolvenzverfahrens fortgesetzt. Bis zur Beendigung des Schlusstermins oder der Beendigung des Verfahrens in einer sonstigen Art und Weise können die Vorlageberechtigten erneut einen Insolvenzplan vorlegen, § 218 Abs. 1 InsO. 43 Gegen die Entscheidung des Gerichts ist das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben. Es steht den Gläubigern, dem Schuldner und, wenn dieser keine natürliche Person ist, den am Schuldner beteiligten Personen zu, § 253 Abs. 1 InsO. Das Rechtsmittel gegen die Bestätigung des Insolvenzplans, dem die Beteiligten und das Gericht zugestimmt haben, ist nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer 

dem Plan spätestens im Abstimmungstermin schriftlich oder zu Protokoll widersprochen hat,



gegen den Plan gestimmt hat und



glaubhaft macht, dass er durch den Plan wesentlich schlechtergestellt wird, als er ohne einen Plan stünde, und dass dieser Nachteil nicht durch eine Zahlung aus den in § 251 Abs. 3 InsO genannten Mitteln ausgeglichen werden kann.

44 Mit dieser Änderung der InsO zum 1.3.2012 sind die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde verschärft worden, nachdem allgemein kritisiert worden war, dass einzelnen Beschwerdeberechtigten erhebliches Störpotential zukommt; denn mit der sofortigen Beschwerde gegen die Bestätigung des Plans verzögert sich der Eintritt der Wirkungen des Insolvenzplans, zum Teil sogar über viele Monate. Dies ist für die Beteiligten meist schwer erträglich und verringert die Chance nicht unerheblich, das Unternehmen mittels eines Insolvenzplans zu sanieren.39) Einzelheiten siehe unten bei Burmeister/Tasma, HRI II, § 38.

___________ 38) AG Ludwigshafen v. 8.7.2016 – 3 e IN 380/15, NZI 2016, 918. 39) Vgl. Begr. RegE ESUG z. § 253 InsO, BT-Drucks. 17/5712, S. 34 f.

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Stahlschmidt

§ 34 Planänderungen Pleister/Theusinger

I. Bedeutung.................................................... 1 II. Inhaltliche Reichweite der Änderungen .......................................................... 2 III. Zeitpunkt der Änderungen ..................... 15 1. Planänderungen bis zum Erörterungsund Abstimmungstermin........................... 16 2. Planänderungen im Erörterungs- und Abstimmungstermin .................................. 21

I.

IV. Berechtigung zur Planänderung ............. 24 V. Mitwirkung des Gerichts; erneute Prüfung nach § 231 InsO ......................... 26 VI. Abgrenzung zu Planänderungen nach rechtskräftiger Bestätigung............ 30 VII. Abgrenzung von Planberichtigung und Planänderung..................................... 32

Bedeutung

Die §§ 217 ff. InsO stellen mit dem Insolvenzplanverfahren den Beteiligten einen „Rechts- 1 rahmen für die einvernehmliche Bewältigung der Insolvenz im Wege von Verhandlungen und privatautonomen Austauschprozessen“ zur Verfügung.1) Innerhalb dieses Verfahrens können Situationen entstehen, die es erfordern, einen einmal gemäß § 218 InsO vorgelegten Plan zu ändern, bspw. um ein drohendes Scheitern in der Abstimmung zu verhindern, die gerichtliche Bestätigung zu ermöglichen,2) oder auch nur, um neuen Entwicklungen und Erkenntnissen Rechnung zu tragen.3) Deshalb berechtigt § 240 InsO den Planvorlegenden, einzelne Regelungen des Insolvenzplans aufgrund der Erörterung im Termin inhaltlich zu ändern. Durch die Möglichkeit zur Planänderung wird die Verfahrenseffektivität und -beschleunigung gewährleistet.4) Für den Schuldner als Planersteller hat diese Planänderung dabei eine besondere Bedeutung: Sie ist meist die einzige Möglichkeit, die Chance auf eine Insolvenzregelung nach seinen eigenen Vorstellungen zu erhalten.5) Denn wenn der Schuldnerplan bei erstmaliger Vorlage von den Beteiligten abgelehnt oder vom Gericht nicht bestätigt wird, kann das Insolvenzgericht einen neuen Plan des Schuldners gemäß § 231 Abs. 2 InsO zurückweisen, sofern der Insolvenzverwalter mit Zustimmung des Gläubigerausschusses die Zurückweisung beantragt. II.

Inhaltliche Reichweite der Änderungen

Nach § 240 InsO können einzelne Regelungen des Insolvenzplans geändert werden. Der 2 Wortlaut des § 240 InsO erfasst lediglich den gestaltenden Teil des Plans (§ 221 InsO), da es sich nur dabei um Regelungen handelt.6) Jedoch sind auch Änderungen des darstellenden Teils (§ 220 InsO) zulässig, soweit sie zur Erläuterung des gestaltenden Teils erforderlich

___________ 1) Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 1; Reichelt in: Pape/Reichelt/Schultz/Voigt-Salus, Insolvenzrecht, § 37 Rz. 2. 2) Braun/Frank in: Braun, InsO, § 240 Rz. 1; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 1; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 240 Rz. 1; Pleister in: KPB, InsO, § 240 Rz. 2; Thies in: HambKomm-InsO, § 240 Rz. 1. 3) Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 240 Rz. 1; Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 2; Braun/Frank in: Braun, InsO, § 240 Rz. 1; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 1; Pleister in: KPB, InsO, § 240 Rz. 2; Silcher in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 240 InsO Rz. 1. 4) Madaus, KTS 2012, 27, 28; Pleister in: KPB, InsO, § 240 Rz. 2; Thies in: HambKomm-InsO, § 240 Rz. 1; Wenzel in: Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, § 240 Rz. 6. 5) Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 240 Rz. 7. 6) Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 240 Rz. 2; Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 2; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 157; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 4; Thies in: HambKomm-InsO, § 240 Rz. 3.

Pleister/Theusinger

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§ 34

2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

sind oder sich aus anderen Umständen ergeben.7) Dazu können nachträgliche Erläuterungen einer Gruppenabgrenzung, weitere Vergleichsrechnungen mit einer Insolvenzabwicklung ohne Plan oder Änderungen der Plananlagen zählen.8) 3 Die Reichweite der Änderungsbefugnis ergibt sich nicht ausdrücklich aus dem Wortlaut der Norm. In der Praxis ist weitgehend anerkannt, dass das Änderungsrecht des Planerstellers nicht zu eng gefasst werden sollte, da § 240 InsO in erster Linie der Verfahrensbeschleunigung dienen soll.9) Nicht ausgeschlossen sind nach verbreiteter Auffassung auch substantielle Änderungen des Insolvenzplans.10) Die Beschränkung des Wortlauts der Norm auf „einzelne Regelungen“ deutet jedoch darauf hin, dass der Plan „in seinem Kern“ erhalten bleiben muss.11) Der Gegenstand einer „Kernregelung“ eines Insolvenzplans ist weder im Gesetz noch in den Gesetzesmaterialien definiert. Er ist daher nach der jeweiligen Gesamtkonzeption des Plans zu qualifizieren.12) Eine Änderung des Ziels des Plans, bspw. von einer Sanierung zur Liquidation, ist unzulässig.13) Auch Änderungen in der Gruppenund Abstimmungsstruktur betreffen den Kern des Plans und sind daher unzulässig.14) Die Grenzen der Änderungsbefugnis sind i. Ü. anhand folgender Kriterien zu bestimmen:15) Zum einen sind nur solche Änderungen zulässig, die in einem fairen Verfahren erfolgen. Damit sind im Wesentlichen formelle Aspekte der Einbindung der Betroffenen angesprochen. Zum anderen darf die Übersichtlichkeit des Plans nicht beeinträchtigt werden. So soll der materielle Schutz sichergestellt werden; die Beteiligten müssen auch nach den Änderungen noch in der Lage sein, die ökonomischen und rechtlichen Auswirkungen auf ihre Position problemlos einzuschätzen.16) 4 Grundsätzlich wird ein faires Verfahren bereits dadurch gewährleistet, dass der Insolvenzplan in einer mündlichen Verhandlung diskutiert wird, an der jeder Beteiligte teilnehmen ___________ 7) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 4; Braun/Frank in: Braun, InsO, § 240 Rz. 2; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 157; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 4. 8) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 164. 9) Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 240 Rz. 3; Exner/Wittmann in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 43 Rz. 76; Proske/Flitsch in: Cranshaw/Paulus/Michel, Bankenkommentar, § 240 Rz. 1; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 240 Rz. 4; Pleister in: KPB, InsO, § 240 Rz. 8; Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 465; etwas enger wohl Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 235 Rz. 26. 10) Braun/Frank in: Braun, InsO, § 240 Rz. 3; Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 8; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 240 Rz. 4; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 240 Rz. 3; a. A.: Flöther in: Blersch/ Goetsch/Haas, InsR, § 240 InsO Rz. 1, nach dem nur geringfügige Änderungen vorgenommen werden dürfen. 11) Diese Formulierung wählte der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags, Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. RegE InsO, BT-Drucks. 12/7302, S. 183. So auch Hiebert, ZInsO 2015, 113, 114; Martini/ Horstkotte, ZInsO 2017, 1913, 1923. 12) Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 633 f.; Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 8; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 240 Rz. 8; Silcher in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 240 InsO Rz. 9; Wenzel in: Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, § 240 Rz. 9; AG Köln v. 15.5.2019 – 72 IN 269/17, Rz. 22, NZI 2019, 711, stellt auf eine wertende Betrachtung im Einzelfall ab; s. zum Sanierungskonzept ferner den am 16.5.2018 aktualisierten IDW Standard, Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten (IDW S 6), Stand: 16.5.2018, Rz. 11 ff., IDW Life 8/2018, S. 813 ff., sowie Steffan, ZIP 2018, 1767 ff. 13) Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 240 Rz. 3; Hess, InsR, § 240 Rz. 6; Hintzen in: MünchKommInsO, § 240 Rz. 9; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 240 Rz. 8; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 240 Rz. 4; Pleister in: KPB, InsO, § 240 Rz. 8; Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 465; Wenzel in: Haarmeyer/ Wutzke/Förster, InsO, § 240 Rz. 9. 14) So AG Hamburg v. 19.4.2016 – 67c IN 232/13, ZIP 2016, 2492; dazu Wozniak, jurisPR InsR 18/2016 Anm. 4; LG Düsseldorf v. 20.12.2019 – 25 T 665/19, ZRI 2020, 199 = ZInsO 2020, 840. 15) Vgl. hierzu Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 6 ff.; Braun/Frank in: Braun, InsO, § 240 Rz. 3. 16) Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 240 Rz. 3; Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 8; Braun/Frank in: Braun, InsO, § 240 Rz. 3; Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 8; Pleister in: KPB, InsO, § 240 Rz. 14.

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Pleister/Theusinger

§ 34

Planänderungen

darf und in der er seine Rechte wahrnehmen kann.17) Nimmt ein Beteiligter nicht teil, begibt er sich dieser Rechte und ist nicht schutzwürdig.18) Insbesondere darf er nicht darauf vertrauen, dass der Insolvenzplan nicht geändert wird, weil § 240 InsO diese Änderungsmöglichkeit explizit vorsieht. Zudem weisen auch die Gerichte bei der Ladung zum Termin nach § 235 Abs. 3 InsO zumeist auf die Möglichkeit von Änderungen hin.19) Selbst die Abwesenheit im Erörterungs- und Abstimmungstermin in dem Glauben, nicht vom Plan betroffen zu sein, ändert nach einer vielfach vertretenen, allerdings auch bestrittenen Auffassung nichts am fehlenden Vertrauensschutz, da nach der Gesetzeslage immer mit Planänderungen zu rechnen sei.20) Auch Beteiligte, die bislang nicht vom Plan betroffen waren und deshalb am Termin nicht teilgenommen haben, genießen keinen ausnahmslosen Vertrauensschutz.21) Der Grundsatz des fairen Verfahrens ist nur dann berührt, wenn sich die vorgenommenen Änderungen vollkommen von der bisherigen Planstruktur lösen.22) Das kann der Fall sein, wenn ohne wirtschaftlichen Grund der Plan zulasten einer nicht vertretenen Gruppe geändert wird. Die Verletzung des Grundsatzes eines fairen Verfahrens dürfte in der Praxis einer Planänderung jedoch nur selten entgegenstehen. Deshalb ist es regelmäßig auch nicht notwendig, bei Planänderungen den Erörterungs- und Abstimmungstermin zu vertagen.23) Da die fehlende Teilnahme am Abstimmungstermin den Rechtsschutz gegen die Bestä- 5 tigung des Plans gemäß § 251 Abs. 1 und 2, § 253 Abs. 2 InsO ausschließt, ist die Nichtteilnahme ein riskantes Unterfangen. Sollte ein Beteiligter entgegen § 235 Abs. 3 InsO nicht geladen sein, dürfte es allerdings zweifelhaft sein, ob ein erstmaliger Eingriff in dessen Rechte durch eine diesem nicht mitgeteilte Änderung zum oder im Abstimmungstermin zulässig bleibt. Relevant ist zudem die Frage, ob und inwieweit das Änderungsrecht nach § 240 InsO auch 6 etwaige gesellschaftsrechtliche Maßnahmen beim Schuldner, die nach § 225a Abs. 3 InsO umfassend im Plan möglich sind, erfasst – wie etwa Kapitalherabsetzung, Kapitalerhöhung, insbesondere gegen Sacheinlagen wie beim Debt Equity Swap (vgl. § 225a Abs. 2 InsO).24) ___________ 17) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 7. 18) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 7; vgl. auch Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 208, wonach die Passivität eines Beteiligten in der Beteiligtenversammlung – sei es im Wege des Nichterscheinens, der Nichtteilnahme oder der Stimmenthaltung – das Zustandekommen eines Plans ausdrücklich nicht behindern solle. 19) Wenzel in: Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, § 240 Rz. 15. 20) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 7; Braun/Frank in: Braun, InsO, § 240 Rz. 3; Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 14; Pleister in: KPB, InsO, § 240 Rz. 11; Wenzel in: Haarmeyer/ Wutzke/Förster, InsO, § 240 Rz. 12. 21) A. A. Flöther in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 240 InsO Rz. 1a, nach dem ein Plan, der in einer solchen Situation geändert wird, wegen Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht bestätigungsfähig sei; ebenso Silcher in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 240 InsO Rz. 11; Smid/Rattunde/Martini, Insolvenzplan, Rz. 13.43; a. A. ferner Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 6, der die Möglichkeit einer Änderung in diesem Fall von der Ladung der nun betroffenen Beteiligten zum Erörterungstermin analog § 235 Abs. 3 abhängig macht und eine Vertagung verlangt; ebenso Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 240 Rz. 3, 11; Proske/Flitsch in: Cranshaw/Paulus/Michel, Bankenkommentar, § 240 InsO Rz. 4; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 240 Rz. 4; Thies in: HambKomm-InsO, § 240 Rz. 5. 22) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 7. 23) Vgl. aber Vorschlag zur Vertagung des Abstimmungstermins bei vielfältigen, unübersichtlichen Änderungen: Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 10; Kebekus/Handschumacher in: Graf-Schlicker, InsO, § 240 Rz. 2; ferner der Vorschlag einer Vertagung für den Fall, dass die Änderungen nicht mehr im Abstimmungstermin schriftlich vorgelegt werden können: Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 240 Rz. 11; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 8. 24) Zum Debt Equity Swap nach neuem Recht Meyer/Degener, BB 2011, 846; Wieneke/Hoffmann, ZIP 2013, 697; zu aktuellen Fällen aus der Praxis Pleister, GWR 2013, 220; zu Kapitalmaßnahmen beim Schuldner nach altem Recht Pleister/Kindler, ZIP 2010, 503.

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§ 34

2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

Diesbezüglich denkbare Änderungen im Erörterungs- und Abstimmungstermin reichen von der erstmaligen Einfügung von Kapitalmaßnahmen in den Insolvenzplan bis hin zu lediglich kleineren Änderungen an der bereits im ursprünglichen Planentwurf vorgesehenen Kapitalmaßnahme. Durch die Planänderung sind die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen betroffen. Allerdings müssen die Anteilsinhaber – da ein Insolvenzplan regelmäßig auf die Fortführung des Schuldners zielen dürfte25) – einen Beschluss über die Fortführung der mit Verfahrenseröffnung aufgelösten Gesellschaft fassen (vgl. § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, § 274 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. Abs. 1 AktG, § 144 Abs. 1 HGB). Dieser Beschluss ist als Teil des Plans möglich (vgl. § 225a Abs. 3 InsO, der den Fortführungsbeschluss ausdrücklich als Beispiel einer gesellschaftsrechtlichen Regelung im Plan nennt). Zur Fassung dieses Beschlusses sind die Anteilsinhaber damit ohnehin zum Erörterungs- und Abstimmungstermin nach Maßgabe des § 235 Abs. 3 Sätze 3 und 4 InsO besonders zu laden, wobei dies nicht für Aktionäre und Kommanditaktionäre gilt (hier soll die öffentliche Bekanntmachung des Termins wegen des regelmäßig breiten Kreises dieser Gesellschafter genügen;26) bei börsennotierten Gesellschaften ist gemäß § 235 Abs. 3 Satz 5 InsO i. V. m. § 121 Abs. 4a AktG die Ladung in einem Medium mit Verbreitung in der gesamten EU27) zu veröffentlichen, eine Planzusammenfassung ist auf der Internetseite der Gesellschaft einzustellen)28). 7 Gemessen am oben dargestellten Grundsatz des fairen Verfahrens dürften dann bloße Änderungen einer bereits ursprünglich vorgesehenen Kapitalmaßnahme im Erörterungs- und Abstimmungstermin unproblematisch sein. Denn durch die Veröffentlichung des ursprünglichen Plans mit einer bereits vorgesehenen Kapitalmaßnahme waren die Anteilsinhaber des Schuldners jedenfalls hinreichend gewarnt und hatten die Möglichkeit, auf drohende Planänderungen durch Mitwirkung beim Erörterungs- und Abstimmungstermin Einfluss zu nehmen. Darüber hinaus dürfte auch eine erstmals vor dem oder im Abstimmungstermin eingefügte Kapitalmaßnahme zulässig sein, wenn die Anteilsinhaber etwa wegen des vorgesehenen Fortführungsbeschlusses geladen waren. Diese Änderung kommt zwar in materiell-rechtlicher Hinsicht überraschend, aber die von § 240 InsO bezweckte Verfahrensbeschleunigung lässt dies letztlich einschränkungslos zu. 8 Fraglich ist allerdings, ob auch ein erstmals zum oder im Abstimmungstermin erfolgter Eingriff in die Rechte der Anteilsinhaber zulässig ist. Denn dann waren diese gar nicht zu laden, wie der Umkehrschluss zu § 235 Abs. 3 Satz 3 InsO zeigt. Da weder der Minderheitenschutz nach § 251 Abs. 1 und 2 InsO noch Rechtsmittel nach § 253 Abs. 2 InsO bei fehlender Teilnahme in Betracht kommen, könnte dies bedenklich sein. Die Einschränkung des grundrechtlich garantierten Eigentumsschutzes mag dann ihre Grenzen erreicht haben, zumal auch die Bundesregierung im Gesetzgebungsverfahren den Grundrechtseingriff nur vor dem Hintergrund des genannten Minderheitenschutzes und der Mitwirkung der Anteilsinhaber am Planverfahren gerechtfertigt sah.29) Hierzu wurde bereits bisher vertreten, dass die Umstellung eines Fortführungs- auf einen Liquidationsplan eine derart materielle Än___________ 25) S. zur Fortführung des betroffenen Unternehmens den am 16.5.2018 aktualisierten IDW Standard, Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten (IDW S 6), Stand: 16.5.2018, Rz. 17 ff. und 24 ff., IDW Life 8/2018, S. 813 ff., sowie Steffan, ZIP 2018, 1770. 26) Vgl. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 33. 27) Der Betreiber des Bundesanzeigers bietet einen Verbreitungsdienst für Hauptversammlungseinladungen an, der die Voraussetzungen des § 121 Abs. 4a AktG erfüllt. Eine entsprechende Verbreitung der Ladung kann daher über dieses Medium sichergestellt werden; vgl. Grobecker, NZG 2010, 165, 168; Reger in: Bürgers/Körber/Lieder, AktG, § 121 Rz. 19a. 28) Der Gesetzentwurf der BReg weist insoweit auf die Praxis von Insolvenzverwaltern hin, den Insolvenzplan passwortgeschützt auf ihre Internetseiten einzustellen, Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 33. 29) Vgl. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 34 f.

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Pleister/Theusinger

§ 34

Planänderungen

derung darstellt, dass diese nicht von § 240 InsO gedeckt ist (siehe Rz. 3). Es spricht einiges dafür, dass umgekehrt das Gleiche gilt: Handelte es sich um einen Liquidationsplan und waren deshalb die Anteilsinhaber schon mangels Erfordernis des Fortführungsbeschlusses nicht geladen, so kann nicht über § 240 InsO die Fortführung verbunden mit Kapitalmaßnahmen im Wege der Planänderung geregelt werden. Die in einem fairen Verfahren vorgeschlagenen Änderungen des Plans müssen zudem 9 übersichtlich bleiben. Sie dürfen die sachgerechte Ausübung der Rechte der Beteiligten nicht erschweren. Umfangreiche Änderungen mit zahlreichen Verweisungen können daher unzulässig sein.30) Werden die vorstehend skizzierten Grenzen eingehalten, dürften bspw. folgende Maß- 10 nahmen zulässig sein: 

Änderung der Höhe der zugeteilten Quote an einzelne Gläubiger oder Gläubigergruppen,31)



Änderung von Fälligkeiten und Stundungsvereinbarungen,32)



Änderung des Kreditrahmens,



Änderung bzw. Austausch angebotener Sicherheiten,33)



Modifizierung einer beabsichtigten Grundstücksübertragung,34)



Erhöhung der Eingriffe in Absonderungsrechte,



Austausch von Gläubigern von der einen in eine andere Gruppe,35)



Änderung der Rechte der Anteilsinhaber, insbesondere durch Kapitalmaßnahmen.

Unzulässig dürften bleiben:

11 36)



Übergang von einem Insolvenzplantyp zum anderen,



Änderung der Gruppenbildung nach Festlegung der Stimmrechte.37)

Sollte die Änderung des Plans unzulässig sein, bleibt dem Planverfasser bis zum Beginn 12 der Abstimmung die Möglichkeit, den Plan zurückzuziehen38) und die Änderungen in einem neu vorzulegenden Plan zu berücksichtigen.39) ___________ 30) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 8. 31) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 2; Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 633; Braun/Frank in: Braun, InsO, § 240 Rz. 3; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 5; Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 9; Pleister in: KPB, InsO, § 240 Rz. 15; Thies in: HambKomm-InsO, § 240 Rz. 4. 32) Martini/Horstkotte, ZInsO 2017, 1913, 1923. 33) Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 9; Silcher in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 240 InsO Rz. 14; Hiebert, ZInsO 2015, 113, 114; Martini/Horstkotte, ZInsO 2017, 1913, 1923. 34) Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 9. 35) Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 9; krit. Rattunde in: Rattunde/Smid/Zeuner, InsO, § 240 Rz. 8. Für die Frage des Austauschs von Gruppenmitgliedern sind auch die Entscheidungen des AG Hamburg v. 19.4.2016 – 67c IN 232/13, ZIP 2016, 2492, und des LG Düsseldorf v. 20.12.2019 – 25 T 665/19, ZRI 2020, 199 = ZInsO 2020, 840, zu Änderungen der Gruppen- und Abstimmungsstruktur zu beachten. 36) Hess, InsR, § 240 InsO Rz. 6; Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 9. 37) Rattunde in: Rattunde/Smid/Zeuner, InsO, § 240 Rz. 8. 38) Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 240 Rz. 10; Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 235 Rz. 17; Braun/Frank in: Braun, InsO, § 240 Rz. 5; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 144, 150 ff.; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 12; Schiessler, Der Insolvenzplan, S. 152 f.; a. A. Lüer/ Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 43, und Thies in: HambKomm-InsO, § 218 Rz. 16, die für eine Möglichkeit der Rücknahme bis zur Rechtskraft des bestätigten Insolvenzplans plädieren; so auch ausführlich Madaus, KTS 2012, 27, 30 ff. 39) Braun/Frank in: Braun, InsO, § 240 Rz. 5; Martini/Horstkotte, ZInsO 2017, 1913, 1924.

Pleister/Theusinger

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§ 34

2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

13 Eine weitere Einschränkung der Änderungen nach § 240 InsO ergibt sich aus praktischen Gründen. Derjenige, der den Plan vorlegt, wird immer auch die Wirkungen etwaiger Änderungen auf das Stimmverhalten der Beteiligten im Auge behalten. Auf der einen Seite können Änderungen des Insolvenzplans dazu beitragen, die Annahme des Plans zu sichern.40) Geraten sie allerdings zu weitreichend, besteht die Gefahr, dass sich die Beteiligten überrumpelt fühlen und dadurch ihr Abstimmungsverhalten negativ beeinflusst wird.41) Unabhängig von den vorstehend skizzierten rechtlichen Grenzen wird der Vorlegende auch aus diesen Erwägungen ein faires Verfahren einhalten und die Übersichtlichkeit und Verständlichkeit der Änderungen sicherstellen. Er wird ferner versuchen, bereits im Vorfeld des Erörterungs- und Abstimmungstermins etwaiges Konfliktpotential auszuräumen. Denn es kann sich im Erörterungs- und Abstimmungstermin eine schwer zu kontrollierende, den Erfolg des Insolvenzplans gefährdende Eigendynamik entwickeln, wenn dort noch erhöhter Diskussions- und Änderungsbedarf besteht.42) In der Praxis sollte die Änderungsmöglichkeit im Erörterungs- und Abstimmungstermin eher als ultima ratio begriffen werden.43) 14 In jedem Fall sollten die Änderungen schriftlich vorgelegt werden.44) III.

Zeitpunkt der Änderungen

15 Die Vornahme von Änderungen im Erörterungs- und Abstimmungstermin nach § 235 InsO ist in § 240 InsO ausdrücklich geregelt. Daraus ergibt sich jedoch noch kein Ausschluss von Änderungen vor diesem Zeitpunkt. Zu beachten ist aber die in § 235 Abs. 1 Satz 3 InsO festgelegte45) Möglichkeit, den Erörterungs- und Abstimmungstermin schon gleichzeitig mit der Einholung der Stellungnahmen nach § 232 InsO anzusetzen. Damit wird bei Wahl dieser Option vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin kaum Zeit für eine Änderung des Insolvenzplans in Reaktion auf die Stellungnahmen sein. Die generelle Möglichkeit einer solchen vorherigen Änderung bleibt aber unberührt. 1.

Planänderungen bis zum Erörterungs- und Abstimmungstermin

16 § 240 InsO erlaubt die Planänderung im Erörterungs- und Abstimmungstermin. Aber auch schon vor den Erörterungen kann es Änderungsbedarf geben.46) Dabei sind zwei Zeiträume zu unterscheiden: der Zeitraum bis zur Zuleitung zur Stellungnahme nach § 232 InsO und der Zeitraum zwischen der Niederlegung des Plans gemäß § 234 InsO und dem Erörterungs- und Abstimmungstermin nach § 235 InsO. Die rechtliche Zulässigkeit der Änderung ergibt sich dabei aus einem Erst-recht-Schluss zu § 240 InsO. Wenn eine Änderung noch unmittelbar vor der Abstimmung möglich ist, dann muss sie auch zu einem ___________ 40) Braun/Frank in: Braun, InsO, § 240 Rz. 1; Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 1; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 240 Rz. 2. 41) Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 240 Rz. 13; Wenzel in: Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, § 240 Rz. 10. 42) Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 240 Rz. 6. 43) Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 240 Rz. 5. 44) Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 240 Rz. 4; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 8; Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 10, der eine vollständig neue schriftliche Abfassung verlangt, wenn die Änderungen dazu führen, dass der vorgelegte Plan samt protokollierten Änderungen für den einzelnen Beteiligten nicht mehr nachvollziehbar ist; Thies in: HambKomm-InsO, § 240 Rz. 6; Wenzel in: Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, § 240 Rz. 16. 45) Diese Regelung wurde durch das ESUG eingeführt, s. dazu die Ausführungen in Thole, HRI II, § 48. 46) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 11; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 159; Kebekus/Handschumacher in: Graf-Schlicker, InsO, § 240 Rz. 1; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 240 Rz. 3; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 240 Rz. 5.

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§ 34

Planänderungen

früheren Zeitpunkt erlaubt sein.47) Zudem muss der Vorlegende auf Hinweise des Gerichts auf eine beabsichtigte Zurückweisung nach § 231 Abs. 1 InsO reagieren können.48) Ob eine Änderung vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin praktisch sinnvoll 17 und damit zu empfehlen ist, hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab. Dennoch lassen sich allgemeine Leitlinien für die Entscheidung herausarbeiten: Uneingeschränkt sinnvoll ist eine Änderung des Plans bis zum Zeitpunkt der Zuleitung zur Stellungnahme nach § 232 InsO. Etwas anderes könnte für die darauffolgende Phase, also die Zeit von der Niederlegung 18 des Plans bis zum Erörterungs- und Abstimmungstermin gelten. Die von der Insolvenz des Schuldners betroffenen Beteiligten können ab diesem Zeitpunkt den Plan einsehen, Vervielfältigungen anfertigen lassen49) – soweit der Plan nicht ohnehin online zur Verfügung gestellt wird – und ihre Position prüfen. Auf der Grundlage dieser Einsicht werden sie zum einen entscheiden, ob sie am Erörterungs- und Abstimmungstermin teilnehmen, zum anderen werden sie die rechtlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen des Plans evaluieren und ihre Position zu einzelnen Streitpunkten überdenken. Eine Pflicht zur Niederlegung eines geänderten Plans enthält die InsO nicht. Wird der Plan etwa aufgrund einer nach § 232 InsO eingereichten Stellungnahme geän- 19 dert, um den Bedenken eines bestimmten Beteiligten oder einer bestimmten Beteiligtengruppe zu begegnen, so werden diese Beteiligten vom neuen Plan Kenntnis erlangen, eine Mitteilungspflicht gegenüber anderen betroffenen Beteiligten besteht aber nicht. Insbesondere Beteiligte, die bisher nicht von den Wirkungen des Insolvenzplans berührt waren, aber auch andere Beteiligtengruppen werden von den Änderungen erst im Erörterungsund Abstimmungstermin Kenntnis erlangen. Damit kommt es zu zwei negativen Effekten: Zunächst entsteht ein Informationsgefälle zwischen den einzelnen Beteiligten. Dies wird dazu führen, dass bestimmte Beteiligte vorbereitet in den Erörterungs- und Abstimmungstermin gehen, während andere sich auf einen nicht mehr aktuellen Plan vorbereitet haben. Berücksichtigt man, dass die Qualität der Änderungen durchaus gravierend sein kann, ist die Chancengleichheit der Verhandlungsparteien beeinträchtigt. Daraus folgt unmittelbar der zweite Effekt der fehlenden Mitteilungspflicht: Die nicht oder nur unzureichend informierten Parteien sehen sich überrumpelt. Sie stehen einem „Bündnis“ aus besser informierten Beteiligten und dem Schuldner gegenüber, die ohne die Mitwirkung der übrigen Beteiligten Änderungen am Plan bewirkt haben. Dies wird regelmäßig zu einer ablehnenden Haltung gegenüber diesen und in der Folge auch anderen Änderungen führen. Letztendlich wird die Entscheidung vom Umfang und der Reichweite der Änderungen 20 abhängen. In jedem Fall müssen aber bei einer frühzeitigen Änderung des Plans die oben skizzierten Grundsätze eines fairen Verfahrens gewahrt werden. Dazu gehört auch, dass alle Änderungen, die nach der Niederlegung des Plans vorgenommen wurden, dokumentiert und zu Beginn des Erörterungs- und Abstimmungstermins allen Beteiligten präsentiert werden. Es empfiehlt sich, jedem Beteiligten im Abstimmungstermin einen Plan, in dem die Änderungen klar markiert sind, per Kopie zur Verfügung zu stellen. Soweit der Plan online verfügbar gemacht wird, sollte auch umgehend die Änderungsfassung idealiter mit Änderungskennung eingestellt werden.

___________ 47) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 159; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 240 Rz. 4. 48) Vgl. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 240 Rz. 4. 49) Breuer in: MünchKomm-InsO, § 234 Rz. 7.

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§ 34 2.

2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf Planänderungen im Erörterungs- und Abstimmungstermin

21 § 240 InsO gestattet die Änderung des Insolvenzplans im Erörterungs- und Abstimmungstermin. Nach dem Wortlaut des § 240 InsO ist dies der gesetzliche Regelfall.50) Bevor der Plan nach einer Änderung zur Abstimmung kommt, muss allerdings auch die Änderung erörtert werden.51) Eine erneute Einholung von Stellungnahmen der Beteiligten nach § 232 InsO ist hingegen nicht erforderlich.52) Grundsätzlich ist es zulässig und auch zumeist von allen Verfahrensbeteiligten erwünscht, die Änderung, wiederholte Erörterung und Abstimmung an einem Termin durchzuführen.53) Sollte die Abstimmung nicht mehr am gleichen Termin erfolgen können und besteht nicht die Möglichkeit einer Unterbrechung oder einer Vertagung nach § 4 Satz 1 InsO i. V. m. § 227 ZPO, setzt das Gericht nach § 241 InsO einen gesonderten Termin zur Abstimmung an. Gesonderte Termine sind, wenn möglich, zu vermeiden, um Verfahrensverzögerungen zu minimieren.54) 22 Diesem Bestreben nach einer Beschleunigung des Verfahrens kommen auch die vorstehend beschriebenen Grenzen der möglichen Reichweite der Änderungen entgegen. Denn entscheidend für die Möglichkeit einer Abstimmung am gleichen Tag ist die inhaltlich geforderte Nachvollziehbarkeit der Änderungen für den Einzelnen.55) Nur bei vielfältigen und unübersichtlichen Änderungen kann es dabei nötig sein, den geänderten Plan erneut schriftlich abzufassen und den Abstimmungstermin zu verschieben, um sicherzustellen, dass alle Beteiligten die Reichweite ihrer Entscheidung zu überblicken vermögen.56) In der Praxis empfiehlt sich die Arbeit mit einem Planexemplar mit Änderungskennung. In diesem Fall sind technische Vorkehrungen zu treffen, damit etwaige Änderungsexemplare an die Teilnehmer der Beteiligtenversammlung in Kopie verteilt werden können. Die Möglichkeit zur Vornahme von Änderungen endet mit Beginn der Abstimmung.57) 23 Kein Hindernis für mögliche Änderungen ist indes grundsätzlich die Abwesenheit von Beteiligten. Selbst vom Plan bisher nicht Betroffene müssen nämlich mit Eingriffen rechnen.58) Da die gesetzliche Regelung eindeutig Änderungen zulässt, kann grundsätzlich auch kein Vertrauen des Betroffenen darauf bestehen, der Plan werde sich nicht zu seinen Lasten ändern (siehe dazu bereits oben Rz. 4).59) Grenze der Änderungsmöglichkeiten bleibt in___________ 50) Hiebert, ZInsO 2015, 113, 116 ff. 51) Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 240 Rz. 8; Braun/Frank in: Braun, InsO, § 240 Rz. 6; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 8; Kebekus/Handschumacher in: Graf-Schlicker, InsO, § 240 Rz. 1. 52) Braun/Frank in: Braun, InsO, § 240 Rz. 1; Pleister in: KPB, InsO, § 240 Rz. 17; Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 464. 53) Koch/de Bra in: Gottwald/Haas, InsR-Hdb., § 66 Rz. 32; Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 17; einschränkend Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 240 Rz. 11; Haas in: Kayser/Thole, InsO, § 240 Rz. 10 f.; Frind, NZI 2007, 374, 375; krit. Maus, DStR 2002, 1104, 1106. 54) Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. RegE InsO, BT-Drucks. 12/7302, S. 183; Braun/Frank in: Braun, InsO, § 240 Rz. 6; Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 2, 17; Silcher in: Ahrens/ Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 240 InsO Rz. 5; Hiebert, ZInsO 2015, 113, 116; einschränkend Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 240 Rz. 15, der auf einen gesonderten Abstimmungstermin nur verzichten möchte, wenn sich die Situation der Gläubiger durch die Änderungen lediglich verbessert hat oder aber alle nachteilig betroffenen Gläubiger im Erörterungstermin anwesend waren in. 55) Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 18. 56) Haarmeyer/Wutzke/Förster, Hdb. zur Insolvenzordnung, Kap. 9 Rz. 72; Hintzen in: MünchKommInsO, § 240 Rz. 10. 57) Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 6; Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 468, die sogar kleinere Änderungen nach Beginn der Abstimmung für möglich halten, sofern diese diskutiert werden; a. A. Thies in: HambKomm-InsO, § 240 Rz. 8. 58) Braun/Frank in: Braun, InsO, § 240 InsO Rz. 3; Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 14; Pleister in: KPB, InsO, § 240 Rz. 12; Wenzel in: Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, § 240 Rz. 12; Hiebert, ZInsO 2015, 113, 117. 59) Braun/Frank in: Braun, InsO, § 240 InsO Rz. 3; Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 14.

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§ 34

Planänderungen

des der Grundsatz des fairen Verfahrens und die Übersichtlichkeit der Änderungen sowie der Kerngehalt des Plans. Daher muss auch den Beteiligten, die nicht zum Erörterungs- und Abstimmungstermin erschienen sind, die Möglichkeit gegeben werden, sich im Nachhinein über die Änderungen zu informieren.60) IV.

Berechtigung zur Planänderung

Nach der insoweit eindeutigen gesetzlichen Regelung in § 240 InsO ist zur Planänderung 24 nur derjenige berechtigt, der den Plan vorgelegt hat.61) Im Rahmen der Stellungnahmen nach § 232 InsO und des Erörterungs- und Abstimmungstermins nach § 235 InsO können also von den sonstigen Planbeteiligten nur Anregungen zur Änderung ohne Bindungswirkung für den Planvorlegenden geäußert werden.62) Ebenso können Planänderungen durch das Gericht – i. R. der Vorprüfung des vorgelegten Plans (§ 231 Abs. 1 InsO) oder für den Fall etwaiger die Bestätigung hindernder Verfahrensverstöße (§ 250 Nr. 1 InsO) – nur angeregt werden.63) Durchsetzbar sind diese Anregungen nur insoweit, als der Vorlegende mit einem Scheitern des Insolvenzplans rechnen muss, wenn er ihnen nicht nachkommt.64) Es besteht umgekehrt auch kein Anspruch der Beteiligten, dass der Plan in der zunächst niedergelegten Gestalt zur Abstimmung kommt.65) Eine Einwilligung der Beteiligten ist nicht notwendig, da der Planvorlegende „Herr des 25 Insolvenzplanverfahrens“ bleibt.66) Die spätere Abstimmung über den geänderten Plan ist als Kontrollmechanismus insoweit ausreichend.67) V.

Mitwirkung des Gerichts; erneute Prüfung nach § 231 InsO

Im Erörterungs- und Abstimmungstermin kommt dem Gericht nur die Funktion der 26 Verfahrensleitung, nicht aber die der Beteiligung an der inhaltlichen Diskussion zu.68) Es kann aber in Einzelfällen eine Aufklärungspflicht gegenüber Verfahrensbeteiligten bestehen, die ihre rechtliche Position nicht korrekt einzuschätzen vermögen.69) Kann der Beteiligte hingegen nur seine wirtschaftliche Position nicht richtig einschätzen, besteht allenfalls die Möglichkeit, den Termin zu vertagen.70) ___________ 60) Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 240 Rz. 15. 61) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 3a; Braun/Frank in: Braun, InsO, § 240 Rz. 4; Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 5; Jaffé in: Wimmer, InsO, § 240 Rz. 3; Kebekus/Handschumacher in: Graf-Schlicker, InsO, § 240 Rz. 1; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 240 Rz. 3; Pleister in: KPB, InsO, § 240 Rz. 5; Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 464; Thies in: HambKomm-InsO, § 240 Rz. 2. 62) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 3a; Flöther in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 240 InsO Rz. 2; Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 5; Pleister in: KPB, InsO, § 240 Rz. 6; Silcher in: Ahrens/ Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 240 InsO Rz. 4; Wenzel in: Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, § 240 Rz. 7. 63) Wenzel in: Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, § 240 Rz. 7. 64) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 3a; Silcher in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 240 InsO Rz. 4. 65) Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 240 Rz. 4; Thies in: HambKomm-InsO, § 240 Rz. 2; Wenzel in: Haarmeyer/ Wutzke/Förster, InsO, § 240 Rz. 8. 66) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 3a; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 240 Rz. 7; Wenzel in: Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, § 240 Rz. 14; a. A. Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 240 Rz. 5; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 7; Hess, InsR, § 240 InsO Rz. 3. 67) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 3a; Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 5. 68) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 3b; Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 12. 69) Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 15; weitergehend Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 3b, der dazu von einer Aufklärungspflicht auch bei wirtschaftlichen Fehleinschätzungen ausgeht. 70) Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 15.

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§ 34

2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

27 Wird der Insolvenzplan geändert, hat das Gericht zu prüfen, ob tatsächlich nur „einzelne Regelungen“ geändert wurden.71) Weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen hat das Gericht nicht zu prüfen. Lehnt das Gericht die Planänderung ab, steht dem Vorlegenden nicht das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde nach § 6 Abs. 1 InsO zu.72) Gleiches gilt für die Zulassung des geänderten Plans. Die früher mögliche Erinnerung nach § 11 Abs. 2 RPflG gegen diese Entscheidung, die im Regelfall der Rechtspfleger zu treffen hatte,73) scheidet nunmehr aus, da nach dem ESUG das Insolvenzplanverfahren gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG dem Insolvenzrichter vorbehalten bleibt. Dies erscheint sachgerecht, zumal angesichts der Einbindung des Gesellschaftsrechts zumindest bei größeren Unternehmensinsolvenzen und Plänen verfahrensrechtlich herausfordernde Termine zu erwarten sein dürften. 28 Im Falle der Ablehnung der Planänderung durch das Gericht wird der Plan ohne die Änderung zur Abstimmung gestellt.74) Bestätigt das Gericht hingegen, dass nur „einzelne Regelungen“ geändert wurden, muss der geänderte Plan zur Abstimmung gestellt werden.75) 29 Umstritten ist, ob nach der Änderung eine erneute Prüfung gemäß § 231 InsO stattfindet. Einige Stimmen in der Literatur argumentieren, dass die Hürde des § 231 InsO nicht dadurch umgangen werden dürfe, dass ein bereits geprüfter Plan geändert wird.76) Ohne erneute gerichtliche Prüfung bestünde ein Missbrauchsrisiko,77) das nach überwiegender Meinung jedoch hinzunehmen ist, weil die Abstimmungsberechtigten dem Plan die Zustimmung verweigern können, sodass keine erneute Prüfung erforderlich ist.78) Das gilt insbesondere für den Ablehnungsgrund offensichtlich fehlender Aussicht auf Annahme des Plans nach § 231 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 InsO, der vor dem Hintergrund der nach § 240 Satz 2 InsO regelmäßig gleich im Anschluss an die Änderung stattfindenden Abstimmung überflüssig erscheint.79) Eine analoge Anwendung des § 231 InsO ist ebenfalls abzulehnen, da die erforderliche Kontrolle auch durch die Möglichkeit des Gerichts, die Planbestätigung zu versagen, gewährleistet ist.80) VI.

Abgrenzung zu Planänderungen nach rechtskräftiger Bestätigung

30 Die Planänderung nach § 240 InsO ist von anderen Möglichkeiten, den Inhalt des Plans zu modifizieren oder über den Plan hinausgehende Regelungen zu treffen, abzugrenzen. ___________ 71) Braun/Frank in: Braun, InsO, § 240 Rz. 4. 72) Braun/Frank in: Braun, InsO, § 240 Rz. 8; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 9; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 240 Rz. 14; Kebekus/Handschumacher in: Graf-Schlicker, InsO, § 240 Rz. 3; Pleister in: KPB, InsO, § 240 Rz. 25; Thies in: HambKomm-InsO, § 240 Rz. 9; Wenzel in: Haarmeyer/ Wutzke/Förster, InsO, § 240 Rz. 17. 73) Zur Rechtslage vor dem ESUG Thies in: HambKomm-InsO, § 240 Rz. 9. 74) LG Düsseldorf v. 20.12.2019 – 25 T 665/19, ZRI 2020, 199 = ZInsO 2020, 840; Braun/Frank in: Braun, InsO, § 240 Rz. 4; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 9; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 240 Rz. 14; Pleister in: KPB, InsO, § 240 Rz. 20. 75) Braun/Frank in: Braun, InsO, § 240 Rz. 4. 76) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 160; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 3; Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 4, 13; Rattunde in: Rattunde/Smid/Zeuner, InsO, § 240 Rz. 5. 77) Rattunde in: Rattunde/Smid/Zeuner, InsO, § 240 Rz. 5. 78) Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 240 Rz. 1; Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 3b; Braun/Frank in: Braun, InsO, § 240 Rz. 7; Pleister in: KPB, InsO, § 240 Rz. 19; Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 464; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 240 Rz. 4, 7; Wenzel in: Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, § 240 Rz. 13; a. A. Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 4, 13; Kebekus/Handschumacher in: Graf-Schlicker, InsO, § 240 Rz. 2; Silcher in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 240 InsO Rz. 15; Thies in: HambKomm-InsO, § 240 Rz. 6. 79) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 3b. 80) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 3b; Pleister in: KPB, InsO, § 240 Rz. 19.

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Pleister/Theusinger

§ 34

Planänderungen

Zunächst liegt keine Änderung des Plans nach § 240 InsO vor, wenn nach der rechtskräftigen Bestätigung des ursprünglichen Insolvenzplans i. R. desselben Insolvenzplanverfahrens ein weiterer Plan beschlossen wird.81) Dieser zusätzliche Plan kann den ursprünglichen Plan ergänzen und modifizieren. Voraussetzung ist dabei nur, dass der ergänzende Plan nach den Vorschriften der §§ 217 ff. InsO verabschiedet worden ist.82) Ebenfalls nicht der Regelung des § 240 InsO unterfällt die Möglichkeit, dass sich der In- 31 halt des ursprünglichen Plans nach rechtskräftiger Bestätigung durch Änderungs- und Anpassungsklauseln im Plan verändert.83) Solche Klauseln sind im ursprünglichen Plan enthalten gewesen und waren damit Gegenstand der Abstimmung. Damit ist der Schutzzweck des § 240 InsO nicht berührt.84) Die Zulässigkeit solcher Änderungsklauseln richtet sich nach den allgemeinen Bestimmungen zur Zulässigkeit bestimmter Inhalte in einem Insolvenzplan.85) Zuletzt ist auch die unter engen Voraussetzungen mögliche Ergänzung des rechtskräftigen Insolvenzplans nicht von § 240 InsO erfasst. VII. Abgrenzung von Planberichtigung und Planänderung Ebenso keine herkömmliche Planänderung ist die Möglichkeit gemäß § 221 Satz 2 Alt. 2, 32 § 248a InsO, den Plan zu berichtigen. Nach § 221 Satz 2 Alt. 2 InsO kann der Insolvenzverwalter bevollmächtigt werden, Planberichtigungen vorzunehmen, soweit im Plan offensichtliche Fehler zu erkennen sind. Planberichtigungen können auch nach Eintritt der Rechtskraft des Plans erfolgen.86) Ausweislich der Regierungsbegründung soll mit der Einführung dieses Rechts des Insolvenzverwalters verhindert werden, dass die Umsetzung eines beschlossenen Plans an Formfehlern scheitert, die die Eintragung von im Plan vorgesehenen, eintragungspflichtigen Umständen in das jeweilige Register verhindern.87) Nicht ausgeschlossen ist damit aber, dass die vorgenommene Berichtigung auch materielle 33 Auswirkungen auf die Verfahrensbeteiligten hat. Zur Absicherung der Rechte der Beteiligten erfordert eine vom Insolvenzverwalter vorgenommene Berichtigung deshalb die Bestätigung des Insolvenzgerichts nach § 248a Abs. 1 InsO. So soll sichergestellt werden, dass der Insolvenzverwalter die Grenzen seiner Befugnisse nicht überschreitet.88) Vor der Entscheidung über die Bestätigung soll das Insolvenzgericht nach § 248a Abs. 2 InsO immer den Gläubigerausschuss, wenn ein solcher bestellt ist, sowie den Schuldner anhören. Die Gläubiger und die Anteilsinhaber werden dagegen nur angehört, sofern ihre Rechte durch die Berichtigung betroffen sind. Absolute Grenze einer Planberichtigung nach § 221 Satz 2 Alt. 2 InsO ist die Schlechter- 34 stellung eines Beteiligten durch die mit der Berichtigung einhergehende Planänderung. Vergleichspunkt für die Beurteilung der Schlechterstellung ist nach § 248a Abs. 3 InsO die Stellung des Beteiligten nach dem ursprünglichen Plan. Ist der Beteiligte voraussichtlich schlechtergestellt, ist die Bestätigung auf Antrag zu versagen. Dies ist u. a. ein wesentlicher Unterschied zur Änderung des Plans nach § 240 InsO, bei der – wie bereits dargestellt – eine Schlechterstellung der betroffenen Beteiligten, etwa durch Herabsetzung der Insol___________ 81) 82) 83) 84) 85) 86) 87) 88)

Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 166. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 166. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 167. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 167. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 167, § 217 Rz. 55, § 221 Rz. 61, 75 ff. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 5. Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 35. Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 36.

Pleister/Theusinger

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§ 34

2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

venzquote, vorbehaltlich der Zustimmung der Beteiligten in der Abstimmung bzw. deren Ersetzung gemäß § 245 InsO möglich ist (siehe oben Rz. 10).89) 35 Damit ist die Reichweite möglicher Planberichtigungen grob umrissen. Einfache, offensichtliche Formfehler können ohne weiteres berichtigt werden. Soweit die Berichtigung aber, wie etwa bei der Korrektur von Berechnungsfehlern, materielle Wirksamkeit entfaltet, ist die Schlechterstellung eines Beteiligten die äußerste Grenze der Berichtigungskompetenz. In den übrigen Fällen muss die Frage, inwieweit der Insolvenzverwalter im Einzelfall Bestimmungen berichtigen darf, die einer Umsetzung des Plans im Wege stehen, nach einer Anhörung der Beteiligten durch das Insolvenzgericht entschieden werden. Gegen einen entsprechenden Beschluss des Gerichts ist nach § 248a Abs. 4 InsO die sofortige Beschwerde zulässig, allerdings mit der Maßgabe, dass § 253 Abs. 4 InsO entsprechend gilt. 36 Ob die Regelung vor diesem Hintergrund die erhoffte Zeitersparnis in der Durchführung des Insolvenzplans bringt, ist derzeit noch nicht hinreichend sicher abzusehen. Sicherlich sinnvoll ist es zunächst, dass zur Berichtigung des Plans nicht mehr die Zustimmung der Beteiligtenversammlung eingeholt werden muss. Die gerichtliche Bestätigung, insbesondere die Anhörung der Beteiligten nach § 248a Abs. 2 InsO, wird allerdings verzögerungsanfällig sein. Im Ergebnis wird es hier darauf ankommen, wie gut das Zusammenspiel von Insolvenzverwalter, Gericht und Gläubigerausschuss funktioniert. Ungeachtet dessen wird in jedem Fall eine Kostenersparnis zu verzeichnen sein, wenn keine Beteiligtenversammlung einberufen bzw. das schriftliche Abstimmungsverfahren nach § 242 InsO nicht durchgeführt werden muss.

___________ 89) Dazu Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 8 ff.

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Pleister/Theusinger

§ 35 Stimmrechte im Planverfahren Kolmann

I. 1. 2.

Überblick...................................................... 1 Bedeutung..................................................... 1 Stimmrechtsentscheidung im Verfahrensablauf...................................................... 2 3. Zeitpunkt der Festsetzung der Stimmrechte ............................................................ 8 II. Voraussetzungen des Stimmrechts ......... 10 1. Formelle Voraussetzungen ........................ 10 1.1 Anmeldung sowie Geltendmachung ......................................... 10 1.2 Teilnahme bei der Stimmrechtsfestsetzung........................... 13 2. Materielle Voraussetzung: Beeinträchtigung durch den Insolvenzplan................ 17 3. Bestehen einer Forderung bzw. eines Rechts ................................................ 28 3.1 Verhältnis zum Prüfungstermin ..... 29 3.1.1 Notwendigkeit umfassender Kenntnis der Passivmasse ............. 29 3.1.2 Kein Präjudiz des Prüfungstermins ........................................... 30 3.2 Nicht nachrangige Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO).................... 32 3.3 Verspätet angemeldete Forderungen ............................................ 37 3.4 Absonderungsberechtigte Gläubiger (§ 238 InsO) und ihre Ausfallforderung (§ 237 InsO) .................................. 43 3.5 Nachrangige Gläubiger ................. 52 3.6 Anteilsinhaber (§ 238a InsO) ....... 53 3.6.1 Allgemeines.................................... 53

I.

Überblick

1.

Bedeutung

3.6.2

Bezugsgröße für das Stimmrecht..................................... 55 3.7 Stimmrechtsverbote?..................... 59 4. Stimmrechtsfestsetzung und Rechtsmittel ............................................... 60 4.1 Unstreitige Forderungen/ Rechte ............................................ 61 4.2 Vorrang des Einigungsversuchs bei streitigen Forderungen bzw. Rechten ................................. 62 4.3 Gescheiterter Einigungsversuch: Gerichtliche Stimmrechtsentscheidung........................ 63 4.3.1 Allgemeines.................................... 63 4.3.2 Zuständigkeit ................................. 65 4.3.3 Entscheidungsmaßstäbe................ 66 4.3.3.1 Rechtslage ...................................... 66 4.3.3.2 Praktische Hinweise...................... 68 4.3.4 Rechtsmittel, Antrag auf Änderung ....................................... 71 III. Stimmliste (§ 239 InsO)........................... 75 IV. Ablauf des Abstimmungsverfahrens ...... 79 1. Gesetzlicher Regelfall ................................ 79 1.1 Überblick ....................................... 79 1.2 Protokoll ........................................ 82 1.3 Stimmabgabe und Widerruflichkeit............................................ 83 1.4 Stimmrechtsvollmachten .............. 86 2. Abstimmung im gesonderten Abstimmungstermin ....................................... 87 3. Mehrheitserfordernisse, Zustandekommen des Insolvenzplans ..................... 96

Die Festlegung der Stimmberechtigungen entscheidet, wer über den Plan und somit über 1 sein Zustandekommen bzw. Scheitern mitbestimmen darf. Sie hat damit weitreichende Auswirkungen.1) Diejenigen, denen materiell-rechtlich voraussichtlich keine Forderung oder kein Absonderungsrecht zusteht, sollen kein Stimmrecht eingeräumt bekommen. Beteiligten, die durch den Insolvenzplan keinen Eingriff in ihre Rechtsposition zu erleiden haben, steht ebenfalls kein Stimmrecht zu. Sie bleiben folglich auch bei der Ermittlung der erforderlichen Mehrheiten außer Betracht. 2.

Stimmrechtsentscheidung im Verfahrensablauf

Im Verfahrensablauf erfolgt die Festlegung der Stimmrechte im Erörterungs- und Ab- 2 stimmungstermin (§ 235 Abs. 1 InsO). ___________ 1)

Hintzen in: MünchKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 1.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

3 Vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin muss gesetzlich zwingend der Prüfungstermin stattfinden (vgl. § 236 Satz 1 InsO). Dessen Ergebnisse schaffen Klarheit über das Ausmaß der wirtschaftlichen Schwierigkeiten2) sowie den Umfang und die Inhaberschaft von Forderungen und Rechten.3) Zudem werden sie zumindest faktisch die Einschätzung zur materiell-rechtlichen Berechtigung der angemeldeten Forderungen beeinflussen. Insbesondere in überschaubaren Insolvenzverfahren wird das Insolvenzgericht versuchen, i. S. einer beschleunigten Verfahrensdurchführung beide Termine miteinander zu verbinden (§ 236 Satz 2 InsO; sog. Verbundtermin). Siehe Stahlschmidt, HRI II, § 33 Rz. 13 ff. 4 Die Verbindung dieser Termine mit dem Berichtstermin ist gemäß § 29 Abs. 2 InsO ebenfalls möglich4) und kann sich im Einzelfall nahezu aufdrängen, um den Verfahrensablauf zu beschleunigen.5) Dies gilt insbesondere, wenn der Insolvenzplan bereits im Zeitpunkt der Insolvenzverfahrenseröffnung oder schon früher vorliegt.6) In einem solchen Fall kann also nach dem Bericht des Insolvenzverwalters die Prüfung der Forderungen stattfinden. Unmittelbar anschließend werden durch Annahme des Insolvenzplans im Erörterungs- und Abstimmungstermin die Voraussetzungen geschaffen, das Insolvenzverfahren wieder aufheben zu können.7) 5 Dass der Prüfungstermin dem Erörterungs- und Abstimmungstermin vorangehen muss, bedeutet, dass er frühestens drei Wochen, ggf. aber auch erst fünf Monate nach der Verfahrenseröffnung oder noch später stattfindet (vgl. § 28 Abs. 1 Satz 2, § 29 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2 InsO).8) 6 Der Erörterungs- und Abstimmungstermin gliedert sich formal in einen Erörterungsund in einen Abstimmungsteil, der auch gesondert abgehalten werden kann (vgl. § 241 InsO). Die Stimmrechtsfestsetzung zählt zum Erörterungsteil und schließt diesen zugleich ab.9) Inhaltlich zerfällt der Erörterungs- und Abstimmungstermin somit in drei unterschiedliche Elemente: den Erörterungsteil, den Teil zur Stimmrechtsfestsetzung sowie den Abstimmungsteil.10) Es empfiehlt sich, dementsprechend und i. S. der Übersichtlichkeit den Terminablauf zu strukturieren.11) 7 Infolge der Erörterung des Insolvenzplans kann es im gleichen Termin12) und auf Veranlassung des Planvorlegenden13) noch zu Modifikationen und Planänderungen kommen, über die unmittelbar im Anschluss abgestimmt werden kann (vgl. § 240 InsO). Wie weit solche Änderungen gehen dürfen und ob insbesondere alle Beteiligten i. S. der §§ 223 – 225a InsO grundsätzlich mit Änderungen rechnen müssen, selbst wenn sie durch die Än-

___________ 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9) 10)

Vgl. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 206. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 236 Rz. 2. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 206. Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 236 Rz. 4. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 206; Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 236 Rz. 3. Ähnlich Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 236 Rz. 8. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 236 Rz. 13. BGH v. 17.12.2020 – IX ZR 38/18, Rz. 15 f., ZIP 2021, 203. Hintzen in: MünchKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 5; Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 235 Rz. 18; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 235 Rz. 26. 11) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 235 Rz. 18. 12) Zur Planänderung vor oder in einem getrennten Abstimmungstermin, die jeweils eine erneute Erörterung und Abstimmung erfordert, vgl. Beschlussempfehlung und Bericht d. RA, BT-Drucks. 12/7302, S. 183; Pleister in: KPB, InsO, § 240 Rz. 22 ff., § 241 Rz. 4 ff. 13) Zu dessen alleiniger Abänderungsberechtigung z. B. Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 3a; Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 1.

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Stimmrechte im Planverfahren

derung des Plans erstmalig betroffen sein sollten,14) ist umstritten (siehe hierzu Stahlschmidt, HRI II, § 33 Rz. 38).15) Jedenfalls können Änderungen des Plans durchaus die Stimmberechtigung beeinflussen. 3.

Zeitpunkt der Festsetzung der Stimmrechte

Die Stimmrechtsfestsetzung schließt sich an den Erörterungsteil an und bereitet die Ab- 8 stimmung über den Insolvenzplan vor. Vor dem zuvor geschilderten Hintergrund möglicher Planänderungen macht es praktisch Sinn, die Stimmrechte erst festzulegen, wenn der Plan vollständig erörtert wurde und der Abstimmungsgegenstand final feststeht.16) Dies gilt entsprechend bei konkurrierenden Insolvenzplänen. Das Ergebnis hält der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle in der Stimmliste fest (§ 239 9 InsO). Auf deren Grundlage schließt sich die Abstimmung an. Verfahrensfehlerhaft wäre, erst nach der Abstimmung die Stimmrechte festzusetzen. Wird ohne Stimmrechtfestsetzung abgestimmt, handelt es sich um eine zulässige, aber unverbindliche Probeabstimmung; eine nachträgliche Stimmrechtsentscheidung hat keine Rückwirkung, so dass eine nochmalige Abstimmung durchzuführen ist.17) II.

Voraussetzungen des Stimmrechts

1.

Formelle Voraussetzungen

1.1

Anmeldung sowie Geltendmachung

§ 237 Abs. 1 Satz 1 InsO verweist für das Stimmrecht der Insolvenzgläubiger auf § 77 Abs. 1 10 Satz 1, Abs. 2 und 3 Nr. 1 InsO entsprechend, die das Stimmrecht in der Gläubigerversammlung regeln. Grundlage der Stimmberechtigung im Insolvenzplanverfahren ist somit, dass der jeweilige Gläubiger seine Forderungen gemäß §§ 174 ff. InsO zur Insolvenztabelle rechtzeitig angemeldet hat, vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 InsO (siehe hierzu Hofmann, HRI II, § 13 Rz. 52 ff.).18) Auf dieser Basis sollen die Forderungen auf Rang und Betrag19) im Prüfungstermin geprüft werden. Zu verspätet angemeldeten Forderungen siehe Rz. 37 ff. Das formelle Erfordernis der vorherigen Anmeldung gilt auch für Ausfallforderungen 11 absonderungsberechtigter Gläubiger (§§ 38, 52 InsO) sowie für nachrangige Insolvenzgläubiger (§ 39 InsO). Denn § 77 Abs. 1 Satz 2 InsO, der ein Stimmrecht der nachrangigen Gläubiger pauschal verneint, ist von der Verweisung des § 237 Abs. 1 Satz 1 InsO ausgenommen. Absonderungsrechte der absonderungsberechtigten Gläubiger (zu unterscheiden von der 12 Ausfallforderung, § 52 InsO) werden nicht im Forderungsfeststellungsverfahren geprüft. Sie sind nicht anmeldefähig und damit auch nicht Gegenstand des Prüfungstermins.20) Daher sind im Erörterungs- und Abstimmungstermin die Rechte dieser Gläubiger originär und einzeln zu erörtern (§ 238 Abs. 1 Satz 1 InsO). Das Stimmrecht gemäß § 238 InsO ___________ 14) Krit. z. B. Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 6 (erneute Ladung erforderlich); ähnl. Smid/ Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 16.47 f.; Pleister in: KPB, InsO, § 240 Rz. 12 ff. 15) Vgl. etwa Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 240 Rz. 5; Pleister in: KPB, InsO, § 240 Rz. 12 ff.; Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 240 Rz. 4 ff.; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 240 Rz. 8 ff.; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 240 Rz. 5 f. 16) Pleister in: KPB, InsO, § 237 Rz. 2; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 237 Rz. 2. 17) BGH v. 17.12.2020 – IX ZR 38/18, Rz. 17 ff., ZIP 2021, 203. 18) Zur Ladung zum Erörterungs- und Abstimmungstermin vgl. § 235 Abs. 3 InsO. 19) Pleister in: KPB, InsO, § 237 Rz. 3. 20) Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 11; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 238 Rz. 2.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

beruht darauf, dass das Absonderungsrecht als solches tatsächlich (und insolvenzfest)21) besteht. Um dies überprüfen zu können, setzt das Gesetz stillschweigend voraus, dass der absonderungsberechtigte Gläubiger sein Absonderungsrecht vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin oder spätestens im Termin22) gegenüber dem Verwalter angezeigt bzw. geltend gemacht hat.23) 1.2

Teilnahme bei der Stimmrechtsfestsetzung

13 Das Teilnahmeerfordernis wird in der Literatur kaum thematisiert.24) Ein Stimmrecht im Planverfahren steht jedoch nur demjenigen zu, der zumindest bei der Stimmrechtsfestsetzung im Erörterungsteil sowie im Abstimmungstermin teilnimmt. Teilnehmer ist nur, wer entweder selbst anwesend oder ordnungsgemäß vertreten ist. Vollmachtlose Vertretung oder eine aus Rechtsgründen nichtige Vollmacht reicht nicht aus.25) Ein in diesem Sinne nicht teilnehmender Beteiligter verwirkt somit sein Recht, ein Stimmrecht zugeteilt zu bekommen und an der Abstimmung teilzunehmen. 14 Hierfür spricht bereits das zweistufige Konzept des Gesetzgebers, welches in § 235 Abs. 3 InsO zunächst regelt, dass alle Insolvenzgläubiger, die Forderungen angemeldet haben, sowie die absonderungsberechtigten Gläubiger besonders zu laden sind. Eine Vorentscheidung oder gar Beschränkung in dem Sinne, diejenigen nicht zu laden, deren Rechte der Planvorschlag unbeeinträchtigt lässt, unterbleibt. Über die Stimmberechtigung soll vielmehr erst zu einem späteren Zeitpunkt – im Erörterungs- und Abstimmungstermin – entschieden werden. Noch weitergehend müssen die Beteiligten sogar mit Planänderungen i. R. der Grenzen des § 240 InsO auf der Grundlage der Erörterungen rechnen. Auch wenn es zu einem gesonderten Abstimmungstermin mit der Möglichkeit schriftlicher Stimmrechtsausübung kommt (§§ 241, 242 InsO), hängt insoweit die Stimmberechtigung von einer Teilnahme im früheren Erörterungstermin ab. Denn der gesonderte Abstimmungstermin setzt bereits festgesetzte Stimmrechte voraus.26) 15 Die vorstehenden Ausführungen gelten insbesondere auch im Hinblick auf Planänderungen im Erörterungstermin, die erstmalig und anders als der ursprüngliche Planvorschlag in die Forderungen bzw. Rechte nicht anwesender Beteiligter eingreifen (siehe hierzu Stahlschmidt, HRI II, § 33 Rz. 37 ff.). Das Insolvenzgericht darf den Nicht-Teilnehmern im Erörterungs- und Abstimmungstermin kein Stimmrecht von sich auszuweisen, diese in die Stimmliste aufnehmen (§ 239 InsO) und zu einem gesonderten Abstimmungstermin laden (vgl. § 241 Abs. 2 Satz 1 InsO). Dies gilt sogar dann, wenn die zugrunde liegende Forderung bzw. das Recht unstreitig sind oder im Falle eines Streits eine Einigung hätte erzielt werden können. Würde man insoweit die Stimmberechtigung anerkennen, bestünde ein Widerspruch zu der generellen Wertung, dass bei der Abstimmung sich enthaltende Gläubiger nicht bei der Bestimmung der erforderlichen Mehrheiten berücksichtigt werden.27) Hieraus lässt sich ableiten, dass die Einwirkungsmöglichkeit der Beteiligten auf die Insolvenzplangestaltung nur denjenigen offensteht, die sich aktiv an dem Prozess beteiligen und auch an den entsprechenden Terminen teilnehmen. Es ist ferner dem Planvorschlagenden sowie dem Insolvenzgericht nicht zumutbar, diejenigen Beteiligten durch einen ___________ 21) 22) 23) 24) 25)

Vgl. §§ 129 ff. InsO. Hintzen in: MünchKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 25. Hintzen in: MünchKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 25. Ausnahme etwa Hintzen in: MünchKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 23. Insoweit nicht beanstandet durch BGH v. 23.10.2008 – IX ZB 235/06, ZIP 2008, 2428, Rz. 1, dazu EWiR 2009, 117 (Keller). 26) Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 242 Rz. 2. 27) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 208.

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Stimmrechte im Planverfahren

Abgleich mit den Schuldnerunterlagen und/oder der Insolvenztabelle zu identifizieren, die von etwaigen Planänderungen erfasst sein könnten.28) Die vorstehenden Ausführungen lassen es im Einzelfall als ratsam erscheinen, bei geringer 16 Teilnahmequote nach dem Erörterungsteil den Erörterungs- und Abstimmungstermin zu vertagen, um zu einem späteren Zeitpunkt mit mehr Teilnehmern die Stimmrechte festzusetzen. Dies bietet sich etwa an, wenn Beteiligte ihre Teilnahme angekündigt hatten, gleichwohl – aus welchen Gründen auch immer – dem Termin fernblieben. 2.

Materielle Voraussetzung: Beeinträchtigung durch den Insolvenzplan

Die Stimmberechtigung setzt zunächst voraus, dass die angemeldeten Forderungen bzw. geltend gemachten Rechte unstreitig sind, die Beteiligten sich geeinigt haben oder das Insolvenzgericht ihr Bestehen bejaht hat. Das Gesetz regelt die Verfahrensweise, wie dies festzustellen ist (siehe Rz. 60 ff.). In materieller Hinsicht kommt als weiteres Erfordernis hinzu, dass der Insolvenzplan die Rechte des jeweiligen Beteiligten beeinträchtigt. Ohne eine Beeinträchtigung ist das Stimmrecht zu versagen (vgl. § 237 Abs. 2, § 238 Abs. 2, § 238a Abs. 2 InsO). Denn über das Zustandekommen des Insolvenzplans sollen nur diejenigen mitentscheiden dürfen, die hierdurch Nachteile zu befürchten haben.29) Dies kann die Entscheidungsfindung sowie den Abstimmungstermin erleichtern.30) Diesem Regelungsmechanismus zufolge kann ein Gläubiger zwar in einer normalen Gläubigerversammlung ein Stimmrecht haben, mangels Eingriff in seine Forderung nicht aber bei der Abstimmung über einen Insolvenzplan.31) Der Stimmrechtsausschluss für nicht beeinträchtigte Beteiligte findet Anwendung auf einfache Insolvenzforderungen (§ 38 InsO), auf Ausfallforderungen absonderungsberechtigter Gläubiger (§§ 38, 52 InsO), auf nachrangige Insolvenzgläubiger (§ 39 InsO),32) aber auch auf Absonderungsrechte (§ 238 Abs. 2 InsO) und Anteilsinhaber (§ 238a InsO). Für die Frage, ob ein Insolvenzplan zu einer Beeinträchtigung führt, muss gedanklich sein Wirksamwerden unterstellt werden.33) Die durch die Bestimmungen im gestaltenden Teil zu schaffende oder die kraft Gesetzes (§ 225 InsO)34) mit Planbestätigung eintretende Position des Gläubigers wird verglichen mit derjenigen, die der jeweilige Gläubiger ohne den Insolvenzplan hat.35) Eine Beeinträchtigung liegt im Falle einer Verschlechterung vor. Dies sollte nicht restriktiv beurteilt werden.36) Allerdings bleiben die Insolvenz selbst, der Zeitablauf bis zur Planbestätigung oder bis zum Wirksamwerden und hierdurch eintretende Verzögerungen sowie eine etwaige Verwertungsaussetzung (§ 233 InsO), allgemein Beeinträchtigungen ohne Grundlage im gestaltenden Teil des Insolvenzplan, außer Betracht.37) ___________ A. A. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 240 Rz. 15, § 241 Rz. 3. Pleister in: KPB, InsO, § 237 Rz. 15. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 237 Rz. 21. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 237 Rz. 1. Schiessler, Der Insolvenzplan, S. 149; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 237 Rz. 5. Pleister in: KPB, InsO, § 237 Rz. 15 – Beurteilungszeitpunkt ist das Wirksamwerden. Zutreffend Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 5. – Zum praktisch wichtigsten Fall des § 225 InsO s. Rz. 52. 35) Pleister in: KPB, InsO, § 237 Rz. 15. 36) Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 237 Rz. 23. 37) Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 237 Rz. 9; Hintzen in: MünchKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 12; Pleister in: KPB, InsO, § 237 Rz. 15 f.; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 237 Rz. 24; Braun in: Nerlich/ Römermann, InsO, § 237 Rz. 36; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 237 Rz. 9; a. A. Hess, InsR, § 237 InsO Rz. 11, wegen Erleiden eines Verzugsschadens.

28) 29) 30) 31) 32) 33) 34)

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

22 Um eine Beeinträchtigung handelt es sich bspw., wenn der Insolvenzplan bestehende Rechte mindert oder kürzt (etwa durch Erlass oder Herabsetzung der Verzinsung), in Absonderungsrechte eingreift (§ 223 Abs. 2 InsO) oder sachenrechtliche Verhältnisse ändert (§ 228 InsO).38) Insoweit kommt es auf eine Veränderung des rechtlichen Gehalts der Forderung i. S. eines Eingriffs an, so dass eine Beeinträchtigung auch vorliegt, falls der Insolvenzplan die Forderung in einen neuen und wirtschaftlich gleichwertigen Schuldtitel umwandelt.39) Ebenso stellen das Auswechseln des Sicherungsguts sowie Verschlechterungen der verfahrensrechtlichen Position (z. B. Regelungen zur Sicherheitenverwertung im Vergleich zu den §§ 165 ff. InsO) eine Beeinträchtigung dar, weil es auf die wirtschaftliche Gleichwertigkeit der Insolvenzplan-Lösung für das Stimmrecht – anders als bei §§ 245, 251 InsO – nicht ankommt.40) Folglich führt auch jede im gestaltenden Teil des Plans vorgesehene rechtliche Veränderung der Mitgliedschaftsrechte zu einer Beeinträchtigung und somit zu einem Stimmrecht der Anteilsinhaber, selbst bei Wertlosigkeit der Anteile in der insolvenzrechtlichen Befriedigungsrangfolge. Eine etwaige fehlende Zustimmung der Gruppe der Anteilsinhaber muss dann ggf. gemäß § 245 InsO ersetzt werden.41) 23 Eine Beeinträchtigung scheidet im Falle einer Besserstellung aus, so etwa bei ungesicherten Kleingläubigern (§ 222 Abs. 2 Satz 2 InsO), falls der Insolvenzplan deren vollständige Befriedigung noch vor oder zumindest alsbald nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§§ 258, 259 InsO) vorsieht.42) Umgekehrt kann sich aus taktischen Gründen anbieten, gerade keine vollständige Befriedigung der in einer gesonderten Gruppe vereinten Kleingläubiger vorzusehen, wenn mit einer Zustimmung dieser Gruppe zu rechnen ist und hierdurch die Annahme des Insolvenzplans insgesamt wahrscheinlicher wird.43) 24 Keine Beeinträchtigung liegt ferner vor, wenn der Plan die Befriedigungsmöglichkeiten eines Absonderungsberechtigten nicht ändert, welche dieser auch ohne Plan hätte. Ein solcher Fall liegt auch vor, wenn der dinglich Berechtigte einen Verwertungserlös erhält, den er zum gleichen Zeitpunkt (oder später) auch in der Regelabwicklung ausgezahlt bekäme (vgl. §§ 170 f. InsO).44) 25 Eine Stundung, die über den Zeitpunkt der Planbestätigung hinaus fortwirkt, stellt anders als die rein verfahrensbedingte Verzögerung bis zum Inkrafttreten des Plans (siehe Rz. 21) eine Beeinträchtigung i. S. von § 237 Abs. 2, § 238 Abs. 2 InsO dar, selbst wenn später einmal eine Vollbefriedigung vorgesehen sein sollte.45) Der Gläubiger soll mitentscheiden können, ob er dem Schuldner nochmals Kredit bzw. Zahlungsaufschub gewährt. 26 Sieht der Insolvenzplan vor, eine Forderung – etwa aus einem ratenweise zu tilgenden Kreditgeschäft – zu den gleichen Konditionen wie vor dem Insolvenzereignis und damit unter Fortfall der Wirkung gemäß § 41 InsO zurückzuführen, soll der betroffene Gläubiger nach einigen Autoren46) kein Stimmrecht haben. Relevant wird dies insbesondere bei Vertragsklauseln, wonach bei Verzug mit einer Ratenzahlung der ausstehende Gesamtbetrag zur Zahlung fällig wird. Der Gläubiger würde ohne Insolvenzplan mit einer ___________ 38) 39) 40) 41) 42) 43) 44) 45) 46)

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Pleister in: KPB, InsO, § 237 Rz. 15. Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 237 Rz. 7. Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 237 Rz. 9. Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 238a Rz. 1. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 237 Rz. 23; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 237 Rz. 9; großzügiger wohl Pleister in: KPB, InsO, § 237 Rz. 15. Vgl. Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 16.56; Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 3a. Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 237 Rz. 37. Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 5a; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 237 Rz. 9; missverständlich Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 237 Rz. 24. Pleister in: KPB, InsO, § 237 Rz. 16; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 237 Rz. 24.

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Stimmrechte im Planverfahren

Einmalzahlung (quotal) befriedigt, so dass eine Rückführung auf die ursprünglichen Kreditkonditionen mit Ratenzahlung, also der Eingriff in die sofortige Fälligkeit, für eine Verschlechterung und damit für eine Beeinträchtigung spreche. Der Gläubiger hätte im Insolvenzplanverfahren ein Stimmrecht, obwohl er letztlich so steht, wie er ohne die Insolvenz stände.47) Ein solches Ergebnis wird als unbillig empfunden, weil bei wirtschaftlicher Betrachtung keine Beeinträchtigung vorliege. Es soll eine teleologische Reduktion des § 237 Abs. 2 InsO rechtfertigen.48) Eine gesetzliche Anordnung wie im US-amerikanischen Recht, die Fortgeltung der ur- 27 sprünglichen Konditionen nicht als Beeinträchtigung zu bewerten, fehlt.49) Allein dieser Umstand spricht schon dafür, eine Beeinträchtigung zu bejahen. Ferner hinkt der Vergleich mit der vorinsolvenzlichen Situation. Denn das Insolvenzereignis lässt sich nicht ignorieren und wird für den betroffenen Gläubiger Anlass genug sein, die Kreditwürdigkeit des Schuldners zu überdenken. Dies durch Stimmrechtsentzug zu präjudizieren, vermag nicht zu überzeugen, ebenso wenig wie pragmatische Erwägungen, den Kreis der Planbetroffenen zu verringern und die Gruppenbildung zu erleichtern.50) Für eine rechtliche Bewertung spricht schließlich, dass der Gesetzeswortlaut an anderer Stelle (z. B. §§ 245, 247, 251 InsO) von „Schlechterstellung“ spricht, wenn es um eine Beeinträchtigung nach wirtschaftlichen Erwägungen gehen soll.51) 3.

Bestehen einer Forderung bzw. eines Rechts

Das Stimmrecht bezieht sich auf den jeweils zur Abstimmung stehenden Insolvenzplan. Gibt 28 es konkurrierende Insolvenzpläne, so muss das Stimmrecht für jeden einzelnen Insolvenzplan gesondert ermittelt werden. Theoretisch kann die Bewertung unterschiedlich ausfallen. 3.1

Verhältnis zum Prüfungstermin

3.1.1 Notwendigkeit umfassender Kenntnis der Passivmasse Die Finanzbuchhaltung des Schuldners ist gelegentlich unvollständig, so dass sich hier- 29 nach allenfalls schätzen lässt, welche Verbindlichkeiten das Unternehmen hat und welche Gläubiger welche Sicherungsrechte innehaben. Zu den „normalen“ Verbindlichkeiten aus dem Geschäftsverkehr des Schuldners kommen häufig solche hinzu, die aus Handlungen des Insolvenzverwalters resultieren. Zu nennen sind insbesondere Schadensersatzforderungen wegen Ablehnung der Erfüllung eines beidseitig nicht vollständig erfüllten Vertrages (§ 103 Abs. 2 InsO) sowie aufgrund der Beendigung von Vertragsverhältnissen.52) Vor diesem Hintergrund hat die Regelung, dass der Prüfungstermin vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin stattfinden muss (§ 236 Satz 1 InsO), ihre volle Berechtigung. Denn die umfassende Kenntnis der Gesamtverbindlichkeiten und Sicherungsrechte ist für den Erfolg eines Insolvenzplans unerlässlich.53) 3.1.2 Kein Präjudiz des Prüfungstermins Zwar ermöglicht die Prüfung und Feststellung im vorherigen Prüfungstermin (vgl. § 236 30 Satz 1 InsO) eine sachgerechte Beurteilung der Passivmasse (Umfang und Inhalt der Gläu___________ 47) 48) 49) 50) 51) 52) 53)

Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 237 Rz. 36a; Binz, Konkurrierende Insolvenzpläne, S. 77. Braun in: Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 593 f.; Pleister in: KPB, InsO, § 237 Rz. 17. Vgl. Chapter 11 USC § 1124 (2). So aber Pleister in: KPB, InsO, § 237 Rz. 17. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 237 Rz. 7. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 236 Rz. 4. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 236 Rz. 5.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

bigerforderungen) im Insolvenzplan.54) Mit der eigenständigen Regelung der Stimmrechte im Insolvenzplanverfahren (§§ 237 ff. InsO) kommt allerdings gesetzessystematisch zum Ausdruck, dass keine formale Bindungs- oder Präjudizwirkung an die Feststellung zur Tabelle im Prüfungstermin,55) oder an frühere Stimmrechtsfeststellungen für die Gläubigerversammlung besteht.56) 31 Das Insolvenzgericht kann also frei und ggf. erneut über die Stimmrechte im Planverfahren entscheiden. Die Stimmrechtsfestsetzung kann damit gänzlich anders ausfallen, als der Tabellenstand infolge der Forderungsprüfung indiziert. Diese Möglichkeit bietet sich etwa an, wenn es zwischenzeitlich bessere Erkenntnisse zur Forderungsberechtigung geben sollte.57) Bei diesem Verständnis räumt das Gesetz der materiell-rechtlichen Richtigkeit Vorrang vor verfahrensökonomischen Aspekten ein.58) Praktisch wird sich das Insolvenzgericht in der Regel an den Ergebnissen der Forderungsfeststellung orientieren, schon um den Prüfungsaufwand gering zu halten.59) 3.2

Nicht nachrangige Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO)

32 Unbestrittene Forderung: Eine rechtzeitig zur Insolvenztabelle angemeldete (siehe Rz. 37 ff.) Forderung im Rang des § 38 InsO gewährt vorbehaltlich der Beeinträchtigung durch den Insolvenzplan (siehe Rz. 17 ff.) im Umfang der angemeldeten Forderung Stimmrechte, wenn und soweit weder der Schuldner noch ein stimmberechtigter Gläubiger die Forderung bestritten haben (§ 77 Abs. 1 Satz 1 InsO).60) Der Widerspruch eines seinerseits nicht stimmberechtigten Gläubigers61) ist unbeachtlich. Ein eigenes (Über-)Prüfungsoder Entscheidungsrecht steht dem Insolvenzgericht bei einer solchen unbestrittenen Forderung nicht zu.62) 33 Der Gläubiger einer ursprünglich bestrittenen Forderung erlangt ein Stimmrecht erst, wenn er sich entweder mit dem Verwalter und den erschienenen stimmberechtigten Gläubigern (ggf. nach Erörterung, § 235 InsO) hierüber geeinigt oder wenn das Insolvenzgericht ein Stimmrecht zuerkannt hat.63) Ungeachtet des früheren Bestreitens einer Forderung muss der Gläubiger zum Erörterungs- und Abstimmungstermin geladen werden (§ 235 Abs. 3 InsO). Ein Verstoß hiergegen stellt in aller Regel einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, so dass dem Insolvenzplan von Amts wegen die Bestätigung zu versagen ist.64) Zur Stimmrechtsentscheidung siehe Rz. 63 ff. 34 Irrelevanz des Schuldner-Widerspruchs: Der Schuldner kann zwar einer Feststellung der Forderung im Prüfungsverfahren (§ 178 Abs. 1 Satz 1 InsO) sowie dem Insolvenzplan als solchem (§ 247 InsO) widersprechen. Für die Aufnahme der Forderung in die Tabelle oder – ___________ 54) Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 236 Rz. 2; Pleister in: KPB, InsO, § 236 Rz. 2; Braun in: Nerlich/ Römermann, InsO, § 237 Rz. 15. Zu Fragen des Stimmrechts in der Gläubigerversammlung vgl. Plathner/ Sajogo, ZInsO 2011, 1090. 55) Hintzen in: MünchKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 8; Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 2. 56) Hintzen in: MünchKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 8; Pleister in: KPB, InsO, § 237 Rz. 4, 19, 24. 57) Vgl. Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 237 Rz. 16. 58) Pleister in: KPB, InsO, § 237 Rz. 4. 59) Hintzen in: MünchKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 8. 60) BGH v. 17.12.2020 – IX ZR 38/18, Rz. 15, ZIP 2021, 203. 61) Etwa ein nachrangiger Insolvenzgläubiger. 62) Ebenso Hintzen in: MünchKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 9. 63) Pleister in: KPB, InsO, § 237 Rz. 5. 64) BGH v. 24.3.2011 – IX ZB 217/08, ZIP 2011, 871, dazu EWiR 2011, 511 (Lüke/Scherz).

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§ 35

Stimmrechte im Planverfahren

im Insolvenzplanverfahren – in die Stimmliste (§ 239 InsO) bleibt ein solcher Widerspruch folgenlos.65) Auch aufschiebend bedingte Forderungen berechtigen zur Teilnahme an der Abstim- 35 mung über den Insolvenzplan, wenn sich entweder der Insolvenzverwalter und der Gläubiger geeinigt haben oder das Insolvenzgericht im Einigungsverfahren ein Stimmrecht zuerkannt hat (§ 237 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 77 Abs. 3 Nr. 1 InsO).66) Dies setzt praktisch voraus, dass der Bedingungseintritt nicht derart unwahrscheinlich ist, dass der Forderung kein gegenwärtiger Vermögenswert zukommt.67) Zu Ausfallforderung eines Absonderungsberechtigten siehe die Ausführungen unter 36 Rz. 47 ff. 3.3

Verspätet angemeldete Forderungen

In der Literatur werden unterschiedliche Ansichten vertreten, wie verspätet – also nach Ab- 37 lauf der Anmeldefrist – zur Insolvenztabelle angemeldete Forderungen in der Abstimmung zum Insolvenzplan zu behandeln sind. Teilweise wird vertreten, dass nachträgliche Forderungsanmeldungen nicht geregelt seien.68) Die überwiegende Meinung meint hingegen, dass der Widerspruch des Verwalters oder eines anderen Gläubigers gegen verspätete angemeldete Forderungen im Prüfungstermin (vgl. § 177 Abs. 1 Satz 2 InsO) ein Stimmrecht in der Abstimmung über den Insolvenzplan von vornherein ausschließe.69) Denn die Verweisung auf § 77 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 InsO sei als Rechtsgrundverweisung für das Forderungsprüfungsverfahren nach §§ 174 – 177 InsO zu verstehen.70) Ein weiteres Argument lautet, die Stimmrechtsfestsetzung setze voraus, dass die Forderungsprüfung zuvor abgeschlossen sei.71) Dies vermag in der beschriebenen Stringenz nicht zu überzeugen. Eine Bindungswirkung 38 des Insolvenzgerichts an das Ergebnis der Forderungsprüfung gibt es nicht (siehe Rz. 30 f.). Aus § 236 Satz 1 InsO, wonach der Erörterungs- und Abstimmungstermin erst nach dem Prüfungstermin stattfinden darf, folgt keinesfalls zwingend, dass jede einzelne Forderung vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin vollumfänglich und abschließend geprüft sein muss. Ebenso wenig zwingen72) nachträgliche Forderungsanmeldungen dazu, den Erörterungs- und Abstimmungstermin zu verschieben.73) Andernfalls wäre es ein Leichtes, durch verspätete Forderungsanmeldungen und anschließende Vertagungen mit möglichen Auswirkungen auf das Unternehmen einen Insolvenzplan zu torpedieren. Dies widerspräche offensichtlich dem Willen des Gesetzgebers, die Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens zu beschleunigen. ___________ 65) Schiessler, Der Insolvenzplan, S. 147; Pleister in: KPB, InsO, § 237 Rz. 8; Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 237 Rz. 28. 66) Pleister in: KPB, InsO, § 237 Rz. 5. 67) Vgl. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 237 Rz. 17. 68) Schiessler, Der Insolvenzplan, S. 146 f. 69) Hintzen in: MünchKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 7; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 237 Rz. 10; Pleister in: KPB, InsO, § 237 Rz. 7; Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 237 Rz. 24, 27; a. A. Schiessler, Der Insolvenzplan, S. 146 f. 70) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 237 Rz. 22. 71) So etwa Pleister in: KPB, InsO, § 237 Rz. 7. 72) Im Einzelfall mag eine Vertagung durchaus berechtigt sein, etwa bei bedeutenden oder einer größeren Zahl von verspäteten Forderungsanmeldungen; vgl. Pleister in: KPB, InsO, § 236 Rz. 8; Braun in: Nerlich/ Römermann, InsO, § 236 Rz. 2. 73) Kussmaul/Steffan, DB 2000, 1849; Braun/Frank in: Braun, InsO, § 236 Rz. 4.

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§ 35

2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

39 Richtigerweise können sich noch im Erörterungs- und Abstimmungstermin der Insolvenzverwalter und der Gläubiger über das Stimmrecht einigen oder das Insolvenzgericht ein Stimmrecht zuerkennen (§ 237 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 77 Abs. 2 InsO).74) Gerade diese Möglichkeit zeigt, dass der Widerspruch des Insolvenzverwalters oder eines anderen Gläubigers im Prüfungstermin (§ 177 Abs. 1 Satz 2 InsO) im Rechtssinne weder entgegenstehen kann, geschweige denn eine Einigung ausschließt. Bei diesem Verständnis ist jede vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin ordnungsgemäß angemeldete Insolvenzforderung grundsätzlich noch rechtzeitig für eine potenzielle Stimmberechtigung. 40 Rein praktisch wird es jedoch nur schwerlich eine Einigung (§ 77 Abs. 2 Satz 1 InsO) oder gar eine positive gerichtliche Stimmrechtsentscheidung (§ 77 Abs. 2 Satz 2 InsO) geben können, wenn der Verwalter oder ein anderer Gläubiger, bspw. wegen einer unzureichenden Dokumentation oder nicht kurzfristig nachprüfbarer Behauptungen, der nachträglichen Anmeldung im Prüfungstermin widersprochen hat. Mit anderen Worten geht derjenige Gläubiger, der verspätet seine Forderung anmeldet, das Risiko ein, dass zu seinen Gunsten kein Stimmrecht erteilt wird. Dieses Risiko mag tatsächlich ein Widerspruch im Prüfungstermin gemäß § 177 Abs. 1 Satz 2 InsO erhöhen. 41 Ungeachtet dessen sollte im Prüfungstermin, falls möglich, auch eine nachträglich angemeldete Forderung geprüft werden (§ 177 Abs. 1 Satz 1 InsO).75) Zur Vermeidung etwaiger Unsicherheiten empfiehlt es sich, für solche nachträgliche ungeprüfte Forderungsanmeldungen einen nachträglichen Prüfungstermin anzusetzen, der unmittelbar vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin stattfindet.76) Hierzu bedarf es infolge von § 18 RPflG einer Abstimmung zwischen dem für das Planverfahren zuständigen Insolvenzrichter und dem für die übrigen Termine einschließlich Prüfungstermin zuständigen Rechtspfleger (vgl. § 3 Nr. 2 lit. e RPflG).77) 42 Erst nach dem Erörterungs- und Abstimmungstermin angemeldete Forderungen sind nicht stimmberechtigt. Sie sind vom Insolvenzplan zwar nicht ausgeschlossen, jedoch sind sie bei Zustandekommen und Bestätigung automatisch von dessen Regelungen erfasst.78) 3.4

Absonderungsberechtigte Gläubiger (§ 238 InsO) und ihre Ausfallforderung (§ 237 InsO)

43 Die Stimmberechtigung absonderungsberechtigter Gläubiger setzt zunächst voraus, dass der Insolvenzplan ihre Rechtsposition beeinträchtigend regelt (§ 238 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 i. V. m. § 237 Abs. 2 InsO).79) Enthält der Insolvenzplan keine Regelung zu den Absonderungsrechten, liegt auch keine Beeinträchtigung vor (§ 223 InsO). Ansonsten muss der Insolvenzplan für die absonderungsberechtigten Gläubiger eine eigene Gruppe vorsehen (§§ 243, 222 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Der jeweilige Absonderungsberechtigte muss zudem vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin sein Recht angezeigt bzw. geltend gemacht haben (siehe Rz. 12). 44 Die vorgeschriebene Einzelerörterung (§ 238 Abs. 1 Satz 1 InsO) gestattet es allen Gläubigern, von Bestand und Umfang der Sicherungsrechte Kenntnis zu erlangen. Demgemäß ___________ 74) 75) 76) 77) 78) 79)

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So auch Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 236 Rz. 2; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 237 Rz. 3. Pleister in: KPB, InsO, § 236 Rz. 7. Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 236 Rz. 2. Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 236 Rz. 2. Pleister in: KPB, InsO, § 236 Rz. 9; Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 236 Rz. 2. Umstritten ist, ob die Verweisung in § 238 Abs. 2 InsO auf § 237 Abs. 2 InsO ein Redaktionsversehen darstellt (so Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 238 Rz. 5) oder lediglich der Klarstellung dient (so Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 238 Rz. 4).

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§ 35

Stimmrechte im Planverfahren

hängt der Umfang der Einzelerörterung von den Anforderungen im Einzelfall ab.80) Dies kann die zivilrechtliche Wirksamkeit sowie die Insolvenzfestigkeit einer Nachbesicherung umfassen. In diesem Rahmen können auch Sicherheitenkollisionen bekannt werden, die dann aufzulösen sind.81) Ein Stimmrecht besteht, wenn und soweit weder der Insolvenzverwalter noch ein abson- 45 derungsberechtigter Gläubiger oder ein Insolvenzgläubiger das jeweilige Absonderungsrecht bestreiten (§ 238 Abs. 1 Satz 2 InsO). Ist das Absonderungsrecht als solches oder dessen Umfang streitig, hängt das Stimmrecht davon ab, dass sich in einem weiteren Schritt entweder die Beteiligten einigen oder anschließend – bei Scheitern der Einigung – das Insolvenzgericht im Entscheidungsverfahren das Stimmrecht zuerkennt (§ 238 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 77 Abs. 2 InsO). Entsprechendes gilt für aufschiebend bedingte oder nicht fällige Rechte (§ 238 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 77 Abs. 3 Nr. 1 InsO). Das Stimmrecht des absonderungsberechtigten Gläubigers gemäß § 238 InsO bezieht 46 sich allein auf das Absonderungsrecht als solches. Gemeint ist der Umfang, in welchem der Gläubiger – ohne Berücksichtigung des Insolvenzplans – aus dem Verwertungserlös voraussichtlich eine vorrangige Befriedigung erlangen kann. Demgegenüber richtet sich das Stimmrecht für die Ausfallforderung (§ 52 InsO), d. h. 47 soweit der Schuldner dem absonderungsberechtigten Gläubiger auch persönlich haftet und entweder der Verwertungserlös die gesicherte Forderung nicht deckt oder der Gläubiger auf das Absonderungsrecht (ganz oder teilweise) verzichtet, nach § 237 Abs. 1 Satz 2 InsO.82) Zu einem Verzicht wird es selten kommen; häufiger handelt es sich um unzureichend gesicherte Forderungen.83) Notfalls – regelmäßig bei teilgesicherten Gläubigern – muss es zu einer Aufspaltung der 48 Forderung kommen, und zwar in den durch das Absonderungsrecht auch wirtschaftlich gesicherten Teil und in den überschießenden Rest in der Höhe des mutmaßlichen Ausfalls. Mit dem aufgespaltenen Teil kann der jeweilige Gläubiger in unterschiedlichen Gruppen stimmberechtigt sein.84) Überschneidungen oder Mehrfachstimmrechte darf es nicht geben.85) Falls der Schuldner dem dinglich gesicherten Gläubiger gegenüber nicht auch persönlich haftet, erhält der Gläubiger nur ein Stimmrecht gemäß § 238 InsO, welches sich nach dem Wert des Absonderungsrechts bemisst.86) Die Kriterien der Aufspaltung sind naturgemäß konfliktanfällig. Letztlich geht es um die 49 Bewertung/Werthaltigkeit des Sicherungsgegenstands. Nach Vorstellung des Gesetzgebers87) soll bei einer Unternehmensfortführung dessen Fortführungs- und bei einer Zerschlagung der Liquidationswert maßgeblich sein.88) Dementsprechend hängt der Wert des Absonderungsgegenstands von dem Schicksal ab, welches der Plan dem Gegenstand zuweist, also etwa ein Verkaufserlös oder ein Going-Concern-Wert.89) Dies bedarf insoweit der Ergänzung, dass der im Plan zugewiesene Wert nicht unter dem Liquidationswert liegen ___________ 80) 81) 82) 83) 84) 85) 86) 87) 88) 89)

Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 238 Rz. 7. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 237 Rz. 4 f. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 237 Rz. 3; Pleister in: KPB, InsO, § 237 Rz. 9. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 237 Rz. 10. Pleister in: KPB, InsO, § 237 Rz. 9 ff. Ähnl. Pleister in: KPB, InsO, § 237 Rz. 10. Hintzen in: MünchKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 19. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 206, abgedr. in: Kübler/Prütting, RWS-Dok. 18, 2. Aufl., S. 474. So auch Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 237 Rz. 18. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 238 Rz. 3; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 238 Rz. 7 – zu mehreren Insolvenzplänen.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

darf, den der absonderungsberechtigte Gläubiger außerhalb des Insolvenzplans erlösen könnte. Die entsprechenden Bewertungsgrundlagen sollten sich aus der Vermögensaufstellung des Insolvenzverwalters ergeben (vgl. § 151 Abs. 2 InsO).90) Allerdings muss der Gläubiger das Absonderungsrecht sowie den mutmaßlichen Ausfall selbst ermitteln und betragsmäßig angeben.91) Dieser bleibt maßgeblich, sofern weder der Verwalter noch andere stimmberechtigte Beteiligte widersprechen. 50 Die Streitanfälligkeit der Bewertungsfragen, die stets mehr als eine Gruppe betrifft, legt es nahe, auf Anfrage im Erörterungstermin die Aufteilung für die Betroffenen nachvollziehbar ausführen zu können.92) Die Bewertungsgrundlagen sowie die Höhe des mutmaßlichen Ausfalls noch im Vorfeld des Erörterungs- und Abstimmungstermins zumindest zwischen Planvorschlagendem und Absonderungsberechtigten abzustimmen, empfiehlt sich allemal.93) 51 In Zweifels- oder Streitfällen entscheidet das Insolvenzgericht über den Umfang der aufgespaltenen Stimmrechte bzw. über die Höhe des mutmaßlichen Ausfalls (§ 77 InsO).94) Diese Entscheidung wirkt einheitlich für den Umfang des Absonderungsrechts sowie der Ausfallforderung gemäß § 237 Abs. 1 Satz 2 InsO.95) Sie hat somit Bindungswirkung. Die Notwendigkeit, eine einheitliche, komplementäre Entscheidung für Absonderungsrecht und Ausfallforderung zu treffen, gilt auch im Falle einer Abänderung gemäß § 77 Abs. 2 Satz 3 InsO.96) 3.5

Nachrangige Gläubiger

52 Im Insolvenzplanverfahren schließt das Gesetz nachrangige Insolvenzgläubiger im Rang des § 39 InsO nicht von vornherein vom Stimmrecht aus; denn § 237 Abs. 1 InsO verweist nicht auf § 77 Abs. 1 Satz 2 InsO. Dem formellen Anmeldungserfordernis können die nachrangigen Insolvenzgläubiger erst nach vorheriger Aufforderung durch das Insolvenzgericht nachkommen (§ 174 Abs. 3 InsO). Für eine Stimmberechtigung muss hinzutreten, dass es eine Gruppenbildung und -zuordnung gibt (§ 222 Abs. 1 Nr. 3 InsO), wobei nachrangige Insolvenzgläubiger mit den Ergänzungen nach § 246 InsO abstimmen.97) Ohne Gruppenbildung, wie es dem gesetzlichen Regelfall entspricht, bedarf es keiner Stimmberechtigung. Die nachrangigen Forderungen gelten kraft Gesetzes und auch ohne besondere Planbestimmungen mit Planbestätigung als erlassen (§ 225 InsO).98) Ausreichenden Schutz für die nachrangigen Gläubiger vermitteln §§ 250, 251 InsO.99) 3.6

Anteilsinhaber (§ 238a InsO)

3.6.1 Allgemeines 53 Der Insolvenzplan kann im Unterschied zur Rechtslage vor dem ESUG auch die Anteilsund Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen neu gestalten (§ 217 ___________ 90) Ebenso Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 237 Rz. 21. 91) Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 237 Rz. 6; Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 11; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 237 Rz. 13; a. A. Rattunde in: Rattunde/Smid/Zeuner, InsO, § 237 Rz. 4: Schätzung gemäß § 287 ZPO. 92) Pleister in: KPB, InsO, § 237 Rz. 13. 93) Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 237 Rz. 19. 94) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 206; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 237 Rz. 15. 95) Pleister in: KPB, InsO, § 238 Rz. 12; Hintzen in: MünchKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 15; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 238 Rz. 6 f. 96) Pleister in: KPB, InsO, § 238 Rz. 12; Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 237 Rz. 31. 97) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 237 Rz. 33. 98) Pleister in: KPB, InsO, § 237 Rz. 6; Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 8. 99) Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 237 Rz. 12.

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§ 35

Stimmrechte im Planverfahren

Satz 2 InsO). Hierzu muss er eine gesonderte Regelung enthalten (§ 225a Abs. 1 InsO).100) Der Plan muss für die am Schuldner beteiligten Personen eine eigene Gruppe vorsehen (§ 222 Abs. 1 Nr. 4 InsO) und deren Teilnahme am Erörterungs- und Abstimmungstermin sicherstellen (§ 235 Abs. 3 InsO); für Kleinbeteiligte von weniger als 1 % vom Haftkapital oder bei einer Beteiligung mit weniger als 1.000 € kann es auch eine gesonderte Gruppe geben (§ 222 Abs. 3 Satz 2 InsO). Die praktisch wichtigsten Konstellationen einer Neuregelung der Anteils- und Mitglied- 54 schaftsrechte werden Übertragungen bestehender Anteils- und Mitgliedschaftsrechte sowie Kapitalmaßnahmen sein, ggf. i. R. eines Debt Equity Swap (vgl. § 225a InsO; siehe hierzu Hölzle, HRI II, § 26). Neugestaltungen der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte erfordern im Abstimmungsprozess die Beteiligung dieser Anteilsinhaber. Dementsprechend hat das ESUG § 238a InsO neu eingefügt und gewährt den Anteilsinhabern in der Abstimmung über den Insolvenzplan ein Stimmrecht. 3.6.2 Bezugsgröße für das Stimmrecht Für den Umfang des Stimmrechts soll es allein auf die Beteiligung am gezeichneten Kapital 55 oder am Vermögen des Schuldners ankommen. Die vollständige Einlageleistung stellt keine Voraussetzung für das Stimmrecht dar.101) Eigene Anteile gewähren kein Stimmrecht.102) Für den Nachweis der Beteiligung gelten die allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Regelungen.103) Vorschriften insbesondere in der Satzung oder in Gesellschaftervereinbarungen, welche Stimmrechtsbeschränkungen, Vorzugs-, Höchst-, Sonder- oder Mehrstimmrechte enthalten, bleiben außer Betracht (§ 238a Abs. 1 Satz 2 InsO). Damit erhalten bspw. auch aktienrechtlich stimmrechtslose Vorzugsaktionäre die Berech- 56 tigung, über den Insolvenzplan abzustimmen, sofern sie beeinträchtigt sind (§ 238a Abs. 2, § 237 Abs. 2 InsO). Dies erscheint gerechtfertigt, da der Insolvenzplan sie ungeachtet der fehlenden Stimmrechte in ihrer wirtschaftlichen Substanz betreffen kann, wobei der Vorzug als finanzieller Ausgleich für das fehlende Stimmrecht in der Insolvenz ohnehin obsolet wird.104) Bei einer GmbH und UG (haftungsbeschränkt) kommt es bspw. auf den Anteil am statu- 57 tarischen Stammkapital gemäß Gesellschafterliste,105) bei einer AG auf den Anteil am statutarischen Grundkapital an; bei Genossenschaften entscheidet in Abweichung vom Stimmrecht (vgl. § 43 Abs. 3 Satz 1 GenG) der von jedem Genossen gemäß Satzung oder Mitgliederliste gehaltene Genossenschaftsanteil (§§ 7 f. GenG).106) Beim Verein bleibt es beim Grundsatz des § 32 Abs. 1 Satz 3 BGB; dies entspricht einem Stimmrecht bzw. -gewicht nach Köpfen.107) Bei Personengesellschaften (oHG, KG, PartG, GbR, Partenreederei, EWIV) entscheidet die Beteiligung am Gesellschaftsvermögen gemäß Gesellschaftsvertrag; im Zweifel sind die Gesellschafter zu gleichen Anteilen berechtigt (§ 709 Abs. 2, ___________ 100) Zur Begr., warum trotz etwaiger Wertlosigkeit der Anteile die Einbeziehung der Anteilsinhaber bei der Abstimmung erforderlich ist, s. Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 238a Rz. 2. 101) Hirte in: Uhlenbruck, InsO, § 238a Rz. 9; Pleister in: KPB, InsO, § 238a Rz. 7 f. 102) Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 238a Rz. 6 – zur GmbH. 103) Zur analogen Geltung von § 123 Abs. 2, 3 AktG bei Publikumsgesellschaften mit frei übertragbaren Anteilen vgl. Madaus in: MünchKomm-InsO, § 238a Rz. 4. 104) Vgl. DiskE des BMJ, Beilage z. ZIP 28/2010, S. 1, 12. 105) Vgl. Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 238a Rz. 5; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 238a Rz. 3, auch zu § 16 Abs. 1 Satz 2 GmbHG. 106) Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 238a Rz. 24; Pleister in: KPB, InsO, § 238a Rz. 12; abw. Hirte in: Uhlenbruck, InsO, § 238a Rz. 15. 107) Madaus in: MünchKomm-InsO, § 238a Rz. 13; Hirte in: Uhlenbruck, InsO, § 238a Rz. 17.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

§ 722 Abs. 1 BGB, § 119 Abs. 2 HGB, § 6 Abs. 3 PartGG). Bei einer Kapitalgesellschaft & Co. KG ist die Bezugsgröße weniger eindeutig. Maßgeblich dürfte der im Innenverhältnis der Kommanditisten vereinbarte Verteilungsschlüssel in Bezug auf das Gesellschaftsvermögen sein, nicht hingegen ein hiervon häufig abweichender Anteil an der im Handelsregister eingetragenen Gesamthaftsumme.108) Eine nicht am Kapital der KG beteiligte Komplementär-Gesellschaft hat grundsätzlich kein Stimmrecht.109) 58 Bei Gesellschaften ausländischen Rechts, die in Deutschland den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen haben (Art. 3 EuInsVO), gelten die entsprechenden Kategorien nach der jeweiligen lex societatis. 3.7

Stimmrechtsverbote?

59 Stimmrechtsverbote gemäß dem allgemeinen Rechtsgedanken, der die Abstimmung in eigener Sache verbietet (§ 34 BGB, § 47 Abs. 4 GmbHG, § 43 Abs. 3 GenG etc.), bestehen im Insolvenzplanverfahren nicht.110) Ebenso wenig lässt sich ein Stimmrechtsverbot aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht ableiten.111) Ein Beteiligter, der durch das Zustandekommen eines Insolvenzplans einen Vorteil erlangt, ist also nicht schon deshalb von der Abstimmung ausgeschlossen. Die Rechte der übrigen Beteiligten sind u. a. dadurch gewahrt, dass es für das Zustandekommen eines Plans einer kombinierten Kopf- und Summenmehrheit der abstimmenden Gläubiger bedarf, ferner durch den Minderheitenschutz. Auch der zivilrechtlich gemäß §§ 134, 138 BGB unwirksame Stimmenkauf112) hat nicht die Unwirksamkeit der Stimmabgabe im Planverfahren zur Folge.113) 4.

Stimmrechtsfestsetzung und Rechtsmittel

60 Die Stimmrechtsfestsetzung sollte sich unmittelbar an den Erörterungsteil anschließen (siehe Rz. 8). Es bietet sich in der Verhandlungsführung an, die Zulässigkeit von Stellungnahmen der Beteiligten auf die für die jeweilige Stimmrechtsentscheidung relevanten Umstände zu beschränken. Ungeachtet der Art der jeweiligen Forderung bzw. des Rechts, ist der Verfahrensweg gemäß §§ 237, 238 InsO jeweils identisch.114) 4.1

Unstreitige Forderungen/Rechte

61 Das Stimmrecht angemeldeter und unstreitiger Forderungen und Rechte festzusetzen, ist unproblematisch. Maßgeblich ist der Forderungsbetrag. 4.2

Vorrang des Einigungsversuchs bei streitigen Forderungen bzw. Rechten

62 Bei streitigen Forderungen bzw. bei einem streitigen Absonderungsrecht ist nach der Erörterung als Ausdruck der Gläubigerautonomie115) vorrangig zu versuchen, eine Einigung ___________ 108) Ähnlich Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 238a Rz. 8: Abstellen auf das feste Kapitalkonto I; anders jedoch Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 238a Rz. 5: auch Hinzurechnung von Gewinnen, Verlusten und Entnahmen; Hirte in: Uhlenbruck, InsO, § 238a Rz. 22. 109) Diff. zwischen der personengleichen und nicht personengleichen GmbH & Co. KG Madaus in: MünchKomm-InsO, § 238a Rz. 6; bei letzterer soll ausnahmsweise die Kopfmehrheit entscheiden. 110) So auch Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 238a Rz. 14; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 238a Rz. 7. 111) Vgl. hierzu OLG Frankfurt/M. v. 1.10.2013 – 5 U 145/13, ZIP 2013, 2018, 2021, dazu EWiR 2013, 753 (Bähr/Schwartz); BVerfG v. 17.10.2013 – 2 BvR 1978/13 (Suhrkamp), ZIP 2013, 2163 = NZI 2013, 1072; Thole, ZIP 2013, 1937, jew. m. w. N.; zusammenfassend Jaffè in: Wimmer, FK-InsO, § 238a Rz. 4 ff. 112) Noack in: Noack/Servatius/Haas, GmbHG, § 47 Rz. 114a; Koch, AktG, § 133 Rz. 28. 113) Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 238a Rz. 30. 114) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 237 Rz. 8. 115) Vgl. Preß/Henningsmeier in: HambKomm-InsO, § 77 Rz. 7.

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§ 35

Stimmrechte im Planverfahren

über das Stimmrecht ohne Widerspruch des Verwalters oder eines anderen anwesenden oder vertretenen Gläubigers zu erreichen (§ 237 Abs. 1 Satz 1, § 238 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 77 Abs. 2 Satz 1 InsO). Einigung müssen nicht nur der Verwalter und die anderen Gläubiger erzielen, sondern sie muss den Gläubiger der bestrittenen Forderung einbeziehen.116) Einigung bedeutet, dass entweder die eine Seite die andere überzeugen kann, die daraufhin ihren Widerspruch bzw. die Geltendmachung aufgibt. Oder es gelingt eine Einigung auf einen geringeren Umfang der Forderung bzw. des Rechts als ursprünglich geltend gemacht. Ein vorausschauender, kluger Planarchitekt wird schon im Vorfeld die potenziellen Konflikte identifizieren und versuchen, seine Annahmen zur Stimmberechtigung ausreichend durch Urkunden oder Sachverständigengutachten nachweisen zu können. Diese Nachweise sollten bei der Stimmrechtsentscheidung verfügbar sein, damit auf dieser Grundlage entweder Einvernehmen mit den Betroffenen hergestellt werden kann oder sie im Bedarfsfall i. R. der gerichtlichen Stimmrechtsentscheidung zur Verfügung stehen.117) 4.3

Gescheiterter Einigungsversuch: Gerichtliche Stimmrechtsentscheidung

4.3.1 Allgemeines Scheitert bei streitigen Forderungen bzw. Rechten der Einigungsversuch, entscheidet in der 63 Auseinandersetzung über das Stimmrecht das Insolvenzgericht (§ 237 Abs. 1 Satz 1, § 238 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 77 Abs. 2 Satz 2 InsO). Die Entscheidung betrifft jedoch ausschließlich das Stimmrecht, nicht die materiell-rechtliche Berechtigung der Forderung bzw. des Absonderungsrechts an sich.118) Beim Absonderungsrecht ergeht als Vorfrage die Entscheidung über den Bestand des Absonderungsrechts. Zur fehlenden Bindungswirkung der Ergebnisse des Prüfungstermins oder aus früheren Gläubigerversammlungen siehe Rz. 30. Ein Verfahren zur Festsetzung streitiger Stimmrechte der Anteilsinhaber sieht § 238a 64 InsO mangels einer Verweisung auf § 77 Abs. 2 InsO nicht ausdrücklich vor. Einigkeit besteht zunächst darin, dass eine Mitwirkung der Gläubiger in Analogie zu § 77 Abs. 2 InsO nicht in Betracht kommt. Hierzu wird angeführt, dass die Anteilsinhaber in der insolvenzrechtlichen Verteilungsreihenfolge nicht mit den Gläubigerrechten konkurrieren,119) weil es nur um die Mehrheitsverteilung innerhalb der Gruppe der Anteilsinhaber geht.120) Nach zutreffender Auffassung dürfte auch eine aus § 77 Abs. 2 InsO analog abgeleitete Einigung nur zwischen Insolvenzverwalter und Anteilsinhaber ausscheiden, weil dem Insolvenzverwalter insoweit – anders als bei Forderungsfeststellungen – eine Entscheidungsbefugnis fehlt.121) Somit fehlt es auch an einer Anknüpfung für eine Entscheidung des Insolvenzgerichts in Analogie zu § 77 Abs. 2 Satz 2 InsO.122) Es bleibt das Prüfungs- bzw. Entscheidungsrecht des Insolvenzgerichts (erst) i. R. der Planbestätigung. Eine aus einer Gesellschafterliste abgeleitete Legitimationswirkung bleibt unberührt.123)

___________ Vgl. AG Hamburg v. 12.9.2005 – 67e IN 246/04, ZIP 2005, 1929, dazu EWiR 2006, 175 (Kind/Herzig). Ähnlich Braun/Frank in: Braun, InsO, § 237 Rz. 12. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 133; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 237 Rz. 16. Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 238a Rz. 17. Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 238a Rz. 33. Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 238a Rz. 17; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 238a Rz. 10; a. A. Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 238a Rz. 33; Hirte in: Uhlenbruck, InsO, § 238a Rz. 29. 122) Hierfür jedoch Hirte in: Uhlenbruck, InsO, § 238a Rz. 29, unter Hinweis darauf, dass die Anteilsinhaber letztlich wie „nach-nachrangige“ Gläubiger angesehen werden. 123) Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 238a Rz. 17.

116) 117) 118) 119) 120) 121)

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

4.3.2 Zuständigkeit 65 Die funktionelle Zuständigkeit im Insolvenzplanverfahren liegt bei ab dem 1.1.2013 beantragten Insolvenzverfahren (vgl. Art. 103g Abs. 1 Satz 2 EGInsO)124) mit Wirkung ab dem 1.1.2013 (Art. 5 i. V. m. Art. 10 ESUG) beim Richter (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG). Dessen Entscheidung ergeht durch Beschluss. Zur früheren Rechtslage vgl. die 2. Auflage. 4.3.3 Entscheidungsmaßstäbe 4.3.3.1

Rechtslage

66 Aus den Regelungen der §§ 237 – 238 InsO lässt sich als gesetzliche Zielrichtung ableiten, dass die materiell-rechtlich nicht berechtigten Forderungen auch nicht stimmberechtigt sein sollen. Die Stimmrechtsentscheidung ist, auch wenn sie lediglich eine Zwischenentscheidung darstellt, eine Art ZPO-Erkenntnisverfahren (vgl. § 4 InsO) zum Stimmrecht.125) Der Richter unterliegt damit zumindest einem pflichtgemäßen Ermessen.126) 67 Folglich muss er sich an rechtsstaatliche Grundsätze und Verfahrensmaximen anlehnen, um i. R. einer summarischen Prüfung unter Heranziehung der präsenten Informationen eine materiell-rechtlich zumindest vertretbare Entscheidung über das Stimmrecht zu treffen.127) Das Gericht sollte folglich den Beteiligten rechtliches Gehör gewähren, die allgemeinen Darlegungs- und Beweisregeln sowie die Grundsätze der richterlichen Beweiswürdigung beachten und ggf. den Verwalter als Sachverständigen (§ 5 Abs. 1 Satz 2 InsO) hören.128) Hierdurch eintretende Verzögerungen im Termin müssen hingenommen werden. Der Einwand, die Befassung mit präsenten Informationen (z. B. ein umfangreiches Gutachten) würde zu lange dauern, greift damit nicht.129) Bei diesem Verständnis wird die Tragweite des Grundrechts auf wirkungsvollen Rechtsschutz, welches jedem potenziell Stimmberechtigten zusteht, ausreichend berücksichtigt.130) Die Bandbreite der gerichtlichen Entscheidung umfasst eine vollständige Stimmrechtszuteilung wie -ablehnung. Auch eine teilweise Stimmrechtszuteilung ist möglich. 4.3.3.2

Praktische Hinweise

68 Sollte das Zustandekommen eines Insolvenzplans von der Entscheidung über die Stimmrechtszuteilung abhängen, sollte der Richter im Einzelfall den Parteien Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme geben und den Termin kurzfristig vertagen, um etwa einen komplexen Sachverhalt zu erfassen und angemessen rechtlich würdigen zu können.131) Es spricht ferner nichts dagegen, dass die Parteien schon vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin zu einer potentiellen oder gar absehbaren Streitfrage schriftlich Stellung nehmen. 69 Wer eine Forderung aus welchem Grund bestreitet, hat für die Stimmrechtsentscheidung durchaus Bedeutung. Die Neutralitätspflicht des Insolvenzverwalters legt es regelmäßig nahe, dass er nur aus objektiven Gründen bestreitet. Heilbare Verfahrensmängel wie etwa un___________ 124) Gesetz zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess und zur Änderung anderer Vorschriften (RechtsBehEG), v. 5.12.2012, BGBl. I 2012, 2418. 125) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 237 Rz. 20. 126) Zutreffend Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 237 Rz. 19. 127) I. E. auch BGH v. 17.12.2020 – IX ZR 38/18, ZIP 2021, 203 Rz. 15; Knof in: Uhlenbruck, InsO, § 77 Rz. 21. 128) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 237 Rz. 21. 129) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 237 Rz. 21. 130) Vgl. hierzu BVerfG v. 26.11.2009 – 1 BvR 339/09, ZIP 2010, 237. 131) Braun/Frank in: Braun, InsO, § 237 Rz. 13.

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Stimmrechte im Planverfahren

vollständige, aber nachträglich einzureichende Unterlagen werden nur selten einen Stimmrechtsausschluss rechtfertigen können. Materiell-rechtliche Bedenken sind hingegen beachtlich, sofern nicht der Gläubiger substantiiert dagegen vortragen kann. Entsprechendes kann bei einem schwebenden Forderungsfeststellungsstreit gelten. Bei einer solchen Sachlage mag ein Stimmrecht i. H. von 50 % des Nennbetrags der Forderung vertretbar erscheinen. Es gelten jedoch im Grundsatz die allgemeinen Beweislastregeln.132) Bestreitet ein anderer stimmberechtigter Gläubiger, sollte der Richter im Hinterkopf haben, dass taktische Erwägungen sowie emotionale Aspekte im Kampf um den möglichst großen Eigeneinfluss der Hintergrund solch taktisch motivierten Verhaltens sein können. Beruht eine angemeldete Forderung auf einem Schätzbetrag, sollten sich die jeder Schätzung 70 innewohnenden Ungewissheiten entsprechend auch im Stimmrecht niederschlagen. Regelmäßig wird daher vorsichtig zu schätzen sein. 4.3.4 Rechtsmittel, Antrag auf Änderung § 77 Abs. 2 Satz 3 InsO, der über die Verweisung in § 237 Abs. 1 Satz 1 bzw. § 238 Abs. 1 71 Satz 3 InsO Anwendung findet, sieht vor, dass das Gericht die Stimmrechtsentscheidung auf Antrag des Insolvenzverwalters oder eines anderen im Termin erschienenen Gläubigers abändern kann. Eine Abänderung von sich aus kann das Gericht jedoch nicht vornehmen; es bedarf stets eines Antrags. Diese richterliche Abänderung verlangt also, dass derselbe Richter, der i. R. der Stimmrechtsfestsetzung die Erstentscheidung getroffen hat, i. R. eines etwaigen Abänderungsverfahrens (§ 77 Abs. 2 Satz 3 InsO) seine eigene Entscheidung überprüft und dann zu einem abweichenden Ergebnis gelangt. Insoweit bessere Erkenntnis innerhalb eines faktisch äußerst kurzfristigen Zeitraums einzuräumen, verlangt zweifellos eine gewisse Souveränität. Jedenfalls macht es genau dieser Hintergrund erforderlich, dass der Richter rechtsstaatlichen Grundsätzen folgt, damit er bei der Erstentscheidung nach einer – aufgrund des Beschleunigungsgrundsatzes – summarischen Prüfung zu einem gut begründbaren Ergebnis gelangt (siehe Rz. 67). Umstritten ist, wie lange diese Abänderungsmöglichkeit besteht. Nach einer weit ver- 72 breiteten Ansicht soll sie nur bis zum Beginn der Abstimmung möglich sein.133) Richtigerweise sollte die Möglichkeit eines Antrags jedoch noch bis zum Ende der Abstimmung bestehen, die dann bei entsprechender Entscheidung abzubrechen wäre. Denn vor Ende der Abstimmung hat diese selbst ohnehin noch keine Wirkungen.134) Eine Korrektur der Stimmrechtsentscheidung nach erfolgter Abstimmung hat jedenfalls keine Rückwirkung auf das bereits festgestellte Abstimmungsergebnis, d. h. die Abänderung kann nur für künftige Abstimmungen wirken.135) Im Übrigen ist bei Verfahren, die nach dem 1.3.2013 beantragt worden sind, die richterliche 73 Entscheidung unangreifbar (zur Rechtslage vor Inkrafttreten des ESUG vgl. die 2. Auflage). Ein Rechtsmittel gegen die Stimmrechtsentscheidung i. S. einer Überprüfung durch eine höhere Instanz gibt es nicht, da die InsO kein Beschwerderecht vorsieht (§ 6 Abs. 1 InsO). Die Entscheidung über die Feststellung der Stimmberechtigung ist eine Vorfrage zur gerichtlichen Stimmrechtsentscheidung, über die das Insolvenzgericht abschließend zu entscheiden hat.136) ___________ 132) 133) 134) 135) 136)

Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 5. Hintzen in: MünchKomm-InsO, §§ 237, 238 Rz. 28; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 143. Pleister in: KPB, InsO, § 237 Rz. 23; Hess, InsR, § 237 InsO Rz. 13. BGH v. 17.12.2020 – IX ZR 38/18, Rz. 20, ZIP 2021, 203 m. w. N. BGH v. 17.12.2020 – IX ZR 38/18, Rz. 15, ZIP 2021, 203 m. w. N.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

74 Verfassungsrechtlich ist nach einem Beschluss des BVerfG zur Rechtslage vor dem ESUG eine abschließende Entscheidung des Richters über das vor dem Rechtspfleger umstrittene Stimmrecht eines Gläubigers nicht zu beanstanden.137) Der allgemeine Justizgewährungsanspruch sowie Art. 19 Abs. 4 GG garantieren nur die Öffnung des Zugangs zum Gericht, so dass eine einmalige Möglichkeit zur Einholung einer gerichtlichen Entscheidung genügt.138) Einen Instanzenzug fordert das Grundgesetz hingegen nicht.139) Hinzu tritt, dass der Schutz der Rechte der Gläubiger einen zügigen und reibungslosen Ablauf des Insolvenzverfahrens als Teil des Zwangsvollstreckungsrechts verlangt.140) Eine rückwirkende Beseitigung von Beschlüssen der Gläubigerversammlung im Wege einer Anfechtung der Stimmrechtsfestsetzung würde allerdings die Verfahrensabwicklung verkomplizieren und verlangsamen, wobei zudem die Gefahr eines Missbrauchs zum Zwecke der Verfahrensverzögerung bestünde.141) Von daher ist die Entscheidung des Gesetzgebers nicht zu beanstanden und hält dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stand, dass er in der Abwägung zwischen einerseits dem Interesse des Einzelnen an wirkungsvollem Rechtsschutz und andererseits dem Interesse der übrigen Beteiligten, strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit zu klären, letzteren den Vorrang einräumt.142) III.

Stimmliste (§ 239 InsO)

75 In der Stimmliste hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle als zuständiger Listenführer festzuhalten, welche Stimmrechte den Beteiligten nach dem Ergebnis der Erörterung im Termin zustehen (§ 239 InsO). Es handelt sich um ein eigenständiges Verzeichnis (Stimmliste), das von der Liste der Forderungsprüfung zu unterscheiden ist. 76 Praktisch sollte der Insolvenzverwalter einen Entwurf der Stimmliste vorbereiten. Als „Gläubigerinventar“143) bietet sich insoweit die Insolvenztabelle an, die freilich im Einzelfall – bei Absonderungsrechten – der Ergänzung bedarf. Auf der Grundlage dieser Vorbereitung wird das Verzeichnis gemäß den Ergebnissen im Erörterungs- und Abstimmungstermin ergänzt bzw. aktualisiert.144) Dies wird ohne EDV-Unterstützung kaum möglich sein.145) 77 Es entspricht verbreiteter und auf die Vorgängervorschrift des § 71 Abs. 4 Satz 2 VglO zurückgehender Übung, neben dem Ergebnis der Stimmrechtsfestsetzung (stichpunktartig) das Zustandekommen zu protokollieren, ob im Wege der Einigung oder durch gerichtliche Entscheidung, ggf. auf wessen Widerspruch hin und aufgrund welcher Gründe.146) Dieses Vorgehen bietet sich nicht nur an, um einen Bestreitenden identifizieren zu können, falls dieser – und nur er wäre berechtigt – später seinen Widerspruch zurücknimmt.147) Es erscheint auch nach Inkrafttreten des ESUG, welches die funktionelle Zuständigkeit im Planverfahren vom Rechtspfleger auf den Richter übertragen und die Überprüfungsmöglichkeit gemäß § 18 Abs. 3 Satz 2 RPflG a. F. abgeschafft hat, weiterhin sinnvoll, um bspw. dem Richter für eine etwaige Abänderungsentscheidung (§ 77 Abs. 2 Satz 3 InsO) die ___________ 137) 138) 139) 140) 141) 142) 143) 144) 145)

BVerfG v. 26.11.2009 – 1 BvR 339/09, ZIP 2010, 237, 238. BVerfG v. 26.11.2009 – 1 BvR 339/09, ZIP 2010, 237. BVerfG v. 26.11.2009 – 1 BvR 339/09, ZIP 2010, 237. BVerfG v. 26.11.2009 – 1 BvR 339/09, ZIP 2010, 237, 238. BVerfG v. 26.11.2009 – 1 BvR 339/09, ZIP 2010, 237, 238. BVerfG v. 26.11.2009 – 1 BvR 339/09, ZIP 2010, 237, 238. Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 237 Rz. 7. Pleister in: KPB, InsO, § 239 Rz. 3; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 239 Rz. 5. Vgl. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 239 Rz. 3. Muster einer Stimmliste bei Breutigam in: Blersch/ Goetsch/Haas, InsR, § 239 InsO Rz. 1. 146) Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 239 Rz. 1; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 239 Rz. 1. 147) Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 239 Rz. 1.

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Stimmrechte im Planverfahren

zugrunde liegenden Fakten zu dokumentieren. Ein nicht mit dem zutreffenden Ergebnis korrespondierender Vermerk in der Stimmliste kann berichtigt werden.148) Ohne Feststellung der Stimmrechte scheidet eine Abstimmung über den Plan aus.149) Mit 78 der Festlegung der Stimmrechte sollte einhergehen, gleichzeitig nach Kopfzahl und Forderungsbetrag eine Zuordnung zu den jeweiligen Gruppen nach § 222 Abs. 1 oder 2 InsO vorzunehmen.150) IV.

Ablauf des Abstimmungsverfahrens

1.

Gesetzlicher Regelfall

1.1

Überblick

Die Abstimmung erfolgt als letztes Element des Erörterungs- und Abstimmungstermins 79 (§ 235 InsO) und nur ausnahmsweise in einem gesonderten Abstimmungstermin (§ 241 InsO). Grundlage der Abstimmung ist jeweils die Stimmliste, die vor Beginn der Abstimmung feststehen muss. Regelmäßig entscheidet das Insolvenzgericht über den Ablauf nach eigenem Ermessen 80 (§ 76 Abs. 1 InsO), soweit das Gesetz keine abweichenden Regelungen (vgl. § 243 InsO) enthält. Zu denken ist etwa an die Festlegung der Reihenfolge, in welcher die Gruppen abstimmen. Aus der Stimmliste ergeben sich keine zwingenden Vorgaben zur Reihenfolge.151) Die Gläubigerversammlung kann einen abweichenden Ablauf der Abstimmung beschließen (§ 76 Abs. 2 InsO). § 243 InsO bestimmt, dass jede Gruppe gesondert über den Insolvenzplan abstimmt. Zu- 81 erst legt das Insolvenzgericht die Anspruchssummen sowie die Gläubigeranzahl der einzelnen Gruppe fest (vgl. § 244 Abs. 1 InsO). Die Stimmabgabe schließt sich an. Siehe zu Details Stahlschmidt, HRI II, § 33 Rz. 26 ff. 1.2

Protokoll

Über den Ablauf erstellt das Gericht entsprechend den zivilprozessualen Regeln in der 82 mündlichen Verhandlung ein Protokoll, welches die wesentlichen Vorgänge der Sitzung aufnimmt (§ 4 InsO, §§ 159, 160 ZPO).152) Um die erforderlichen Kopf- und Summenmehrheiten feststellen zu können, muss das Gericht pro Gruppe jeweils die Stimmen für und gegen den Insolvenzplan im Protokoll festhalten. Zudem sollte, nachdem eine Gruppe abgestimmt hat, das Abstimmungsergebnis für diese Gruppe aufgenommen werden;153) ferner das Gesamtergebnis. 1.3

Stimmabgabe und Widerruflichkeit

Zur Stimmabgabe erklärt der einzelne Stimmberechtigte oder sein Vertreter (Einzelab- 83 stimmung),154) ob er für oder gegen den Insolvenzplan stimmt. Eine Enthaltung ist ebenfalls möglich. Sie gilt aber bei Ermittlung der Mehrheiten als nicht abgegebene Stimme, da ___________ 148) Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 239 Rz. 4; Hess, InsR, § 239 InsO Rz. 6. 149) Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 239 Rz. 2. 150) Pleister in: KPB, InsO, § 239 Rz. 4; Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 239 Rz. 2; Hess, InsR, § 239 InsO Rz. 2 f. 151) Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 243 Rz. 4; a. A. Breutigam in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 239 InsO Rz. 2 und § 243 InsO Rz. 4. 152) Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 243 Rz. 4. 153) Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 243 Rz. 4. 154) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 243 Rz. 4.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

das passive Verhalten keinen unmittelbaren155) Einfluss auf die Annahme oder Ablehnung des Plans haben soll.156) 84 In der jeweils zugewiesenen Gruppe hat ein Stimmberechtigter zunächst nur eine Stimme; er kann allerdings durchaus in mehreren Gruppen stimmberechtigt sein, etwa als Absonderungsberechtigter einerseits sowie mit der Ausfallforderung andererseits, oder mit unterschiedlichen Forderungen.157) 85 Außerhalb eines gesonderten Abstimmungstermins (§ 241 InsO) lässt das Gesetz nur eine mündliche Stimmabgabe zu. Sie ist mit Abgabe wirksam und zugegangen, kann danach nicht mehr widerrufen werden.158) Ein gleichzeitiger Widerruf ist jedoch zulässig. Als einen solchen wird man auch zu werten haben, wenn eine Stimme unmittelbar nach der Protokollierung der Gruppenabstimmung abgeändert wird und das Gericht die Korrektur bezogen auf diese Gruppe noch aufnehmen kann.159) 1.4

Stimmrechtsvollmachten

86 Die Stimmabgabe kann durch einen Bevollmächtigten auf der Grundlage einer Stimmrechtsvollmacht erfolgen.160) Die Vollmacht muss allerdings ausdrücklich die Person des Vollmachtgebers erkennen lassen (z. B. Angabe des Namens in Druckbuchstaben, Beifügung von Kopien des Handelsregisterauszugs sowie des Personalausweises) und inhaltlich eindeutig gefasst sein, zu welchem Handeln der Bevollmächtigte befugt sein soll. Zur Vermeidung von Interessenkollisionen, die zur Unwirksamkeit der Vollmacht führen können,161) sollte die Vertretung durch einen außenstehenden Dritten/Rechtsberater erfolgen. Die in der Praxis verbreitete „kostenfreie“ Vertretung begegnet immer wieder dem Einwand, es handele sich um einen verbotenen Vorteil i. S. von § 226 Abs. 3, § 250 Nr. 2 InsO.162) 2.

Abstimmung im gesonderten Abstimmungstermin

87 Ein gesonderter Abstimmungstermin setzt voraus, dass die Stimmrechte bereits im zweiten Teil des Erörterungsteils des Erörterungs- und Abstimmungstermins (siehe Rz. 6) festgesetzt und in die Stimmliste gemäß § 239 InsO aufgenommen sind. Andernfalls wäre es nicht möglich, die Stimmberechtigung bzw. den Adressatenkreis für die Versendung der Stimmzettel (vgl. § 241 Abs. 2 Satz 1 InsO) zu ermitteln.163) 88 Nur im gesonderten Abstimmungstermin gemäß § 241 InsO gestattet das Gesetz zur Verfahrensvereinfachung und aus Kostengründen164) für die Stimmberechtigten auch eine schriftliche Stimmabgabe.165) Das Gericht hat bei der Festsetzung grundsätzlich kein Ermessen. Bestimmt die Versammlung einen gesonderten Abstimmungstermin und be___________ 155) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 208; Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 244 Rz. 2. 156) Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 243 Rz. 2; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 243 Rz. 5. 157) Zu der Problematik, ob die Anwesenheit eines einzigen Gläubigers bei mehreren vorgesehenen Plangruppen für die Planzustimmung insgesamt genügt, vgl. Wegener, ZInsO 2002, 1157. 158) Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 243 Rz. 5; Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 243 Rz. 6; Haas in: Kayser/ Thole, HK-InsO, § 243 Rz. 5; Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 438; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 243 Rz. 6. 159) Vgl. § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB. 160) Zu taktischen Überlegungen insoweit s. Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 443, 446. 161) Vgl. LG Hamburg v. 1.12.2006 – 326 T 93/06, NZI 2007, 415; Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 250 Rz. 14; Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 444. 162) Vgl. Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 250 Rz. 14; dagegen Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 447. 163) Vgl. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 208. 164) Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 242 Rz. 2. 165) Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 242 Rz. 1, 2.

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§ 35

Stimmrechte im Planverfahren

schließt insgesamt die schriftliche Abstimmung oder lässt sie für die Beteiligten die schriftliche Abstimmung gesondert zu, muss das Gericht Folge leisten.166) Es gelten grundsätzlich die vorstehenden Ausführungen zum gesetzlichen Regelfall entspre- 89 chend, so dass nachfolgend nur die Besonderheiten dargestellt werden. Für die schriftliche Stimmabgabe sollte grundsätzlich auch die Übermittlung per Telefax genügen (vgl. aber § 126 BGB). Der Erklärende muss zweifelsfrei erkennbar sein.167) Hat ein rechtsgeschäftlicher Vertreter die Stimme abgegeben, muss die zugrunde liegende Vollmacht ebenfalls übermittelt werden, auch bei anwaltlicher Vertretung. Die Stimmabgabe muss ferner bedingungslos168) und eindeutig i. S. von Pro oder Contra Insolvenzplan sein, so dass Vorbehalte oder Zusätze unzulässig sind.169) Für die Beurteilung der Gültigkeit zieht die Praxis – mit Ausnahme des Abstimmungsgeheimnisses – die Grundsätze staatlicher Wahlen heran.170) Die schriftliche Stimmabgabe muss dem Gericht spätestens am Tag vor dem Abstim- 90 mungstermin zugegangen sein. Hierauf hat das Gericht gemäß § 242 Abs. 2 Satz 2 InsO bei der Ladung hinzuweisen. Unterbleibt der Hinweis, müssen bis zum Abschluss der Abstimmung noch eingegangene Stimmen berücksichtigt werden.171) Geht der Stimmzettel trotz Hinweises nicht rechtzeitig zu, wird der Beteiligte von der Stimmabgabe ausgeschlossen.172) Er sollte daher den möglichst frühzeitigen Zugang durch rechtzeitige Absendung gewährleisten.173) Die Geschäftsstelle muss den Zeitpunkt des Eingangs vermerken.174) Anders lässt sich über die Rechtzeitigkeit bzw. Verspätung nicht entscheiden. Eine am Tag vor der Abstimmung beim Verwalter eingegangene Stimmabgabe reicht nur 91 aus, wenn der Verwalter – insoweit als Erklärungsbote – noch am gleichen Tag den Zugang beim Insolvenzgericht sicherstellt.175) Eine konkludente Vollmachterteilung an den Verwalter kann in der Übersendung des ausgefüllten Stimmzettels an den falschen Adressaten grundsätzlich nicht gesehen werden. Die Widerruflichkeit der Stimmabgabe wird weitestgehend und mangels gegenteiliger Re- 92 gelungen zutreffend bejaht. Insbesondere bei der schriftlichen Stimmabgabe besteht Streit darüber, bis wann der Widerruf zugegangen sein muss. Teilweise soll der Widerruf nur bis zum Beginn des Abstimmungstermins176) zulässig sein oder bis zur Verlesung der Stimmabgabe im Termin177) oder sogar bis zum Schluss des Abstimmungstermins.178) Verfahrenstechnische Aspekte, die der Gerichtsorganisation geschuldet sind, sowie der das Gesetz prägende Beschleunigungsgrundsatz179) treten als weitere Kriterien hinzu, die es gebieten, etwaige Widerrufe im Abstimmungstermin kurzfristig feststellen zu können. ___________ 166) Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 242 Rz. 5; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 242 Rz. 1. 167) AG Duisburg v. 1.4.2003 – 62 IN 187/02, NZI 2003, 447 f. 168) A. A. wohl Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 242 Rz. 4, der die Bedingung „Nicht-Bestreiten der Forderung“ zulassen will. Tatsächlich geht es dabei bereits um die Stimmberechtigung. 169) AG Duisburg v. 1.4.2003 – 62 IN 187/02, NZI 2003, 447 f. 170) AG Duisburg v. 1.4.2003 – 62 IN 187/02, NZI 2003, 447 f. 171) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 242 Rz. 6; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 242 Rz. 3. 172) Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 242 Rz. 6. 173) Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 242 Rz. 6. 174) Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 242 Rz. 9. 175) Ähnlich Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 242 Rz. 3. 176) Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 242 Rz. 7. 177) Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 243 Rz. 5. 178) In diese Richtung gehend Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 242 Rz. 10. 179) Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. § 292, BT-Drucks. 12/7302, S. 184, einem vom RegE InsO geplanten zweiten Abstimmungstermin.

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§ 35

2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

93 Vor diesem Hintergrund überzeugt es, zwischen schriftlichen und mündlich erklärten Widerrufen zu differenzieren.180) Schriftliche Widerrufe müssen in entsprechender Anwendung des § 242 Abs. 2 Satz 2 InsO dem Insolvenzgericht spätestens am Tag vor dem Abstimmungstermin zugegangen sein.181) Ein am Tag des Abstimmungstermins auf der Geschäftsstelle per Telefax eingegangenes Widerrufsschreiben ist damit verspätet. Ein mündlicher Widerruf bleibt jedoch möglich. Er muss allerdings bis zur Berücksichtigung der schriftlichen Stimmabgabe – regelmäßig durch Verlesung und Protokollierung – zugegangen sein.182) Eine solche Konstellation hat praktisch nur Relevanz, wenn der Stimmberechtigte am Abstimmungstermin teilnimmt. Dies bleibt trotz vorheriger schriftlicher Stimmabgabe jedem Beteiligten möglich.183) 94 Zählt das Gericht fristgerecht eingegangene Stimmzettel nicht mit, liegt ein Verfahrensverstoß vor. Er ist jedoch nur dann beachtlich und führt zur Versagung der Planbestätigung, wenn die Nichtberücksichtigung Auswirkungen auf das Abstimmungsergebnis gehabt hat.184) In einem solchen Fall, aber auch bei verbleibenden Zweifeln über die Auswirkung, kann das Gericht jederzeit die Wiederholung der Abstimmung anordnen.185) 95 Planänderungen im gesonderten Abstimmungstermin sind grundsätzlich unzulässig. Ebenso wenig soll es im Abstimmungstermin noch zu Erörterungen kommen. Eine Ausnahme186) sollte i. S. einer Beschleunigung allerdings für den Fall zugelassen werden, dass sich durch die Planänderung die Stimmberechtigungen nicht verändern, also insbesondere nicht erstmals weitere Stimmberechtigten hinzukommen, und dass kein durch die Planänderung Betroffener widerspricht. Erläuterungen tatsächlicher Art durch den Planvorschlagenden, die vorgenommene Änderungen verständlicher machen, ohne sie erneut zur Diskussion zu stellen, bleiben freilich zulässig und erscheinen häufig auch geboten. 3.

Mehrheitserfordernisse, Zustandekommen des Insolvenzplans

96 Nachdem alle Gruppen gesondert (vgl. § 243 InsO) abgestimmt haben, stellt das Insolvenzgericht das Gesamtergebnis fest. Auch dies hat das Gericht im Protokoll zu vermerken.187) Entsprechendes gilt bei konkurrierenden Insolvenzplänen. 97 Die Beteiligten haben den Insolvenzplan angenommen, wenn alle Gruppen (nicht nur die Mehrheit der Gruppen, vgl. § 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO) zustimmen, in jeder Gruppe die Mehrheit der abstimmenden Gläubiger zustimmt (§ 244 Abs. 1 Nr. 1 InsO; Kopfmehrheit) sowie die Summe der Ansprüche der zustimmenden Gläubiger mehr als die Hälfte der Summe der Ansprüche der abstimmenden Gläubiger beträgt (§ 244 Abs. 1 Nr. 2 InsO; Summenmehrheit). Hat lediglich die Mehrheit der Gruppen zugestimmt, kann der Plan nur unter den Voraussetzungen der §§ 245 bis 247 InsO zustande kommen. 98 Zu Einzelheiten zum Mehrheitserfordernis siehe Stahlschmidt, HRI II, § 33 Rz. 30 ff. sowie zum Obstruktionsverbot siehe Becker, HRI II, § 36. ___________ 180) Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 242 Rz. 3. 181) A. A. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 242 Rz. 10. 182) I. E. ebenso Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 243 Rz. 11; Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 243 Rz. 4; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 243 Rz. 5; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 243 Rz. 5. 183) Vgl. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 242 Rz. 2. 184) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 242 Rz. 6; Hess, InsR, § 242 InsO Rz. 8; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 242 Rz. 4. 185) Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 242 Rz. 8; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 242 Rz. 6. 186) A. A. Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 241 Rz. 11. 187) Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 243 Rz. 5.

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§ 36 Obstruktionsverbot Becker

I. 1.

Zweck und Hintergrund ............................ 1 Zweck............................................................ 1 1.1 Begrenzung der Gläubigerautonomie durch Missbrauchskontrolle........................................... 1 1.2 Fiktion der Zustimmung................. 2 1.3 Mittelbarer Individualschutz .......... 4 1.4 Erstreckung auf Anteilsinhaber ...... 5 2. Hintergrund ................................................. 9 II. Vergleichsrechnung.................................. 11 1. Quotenvergleich......................................... 11 2. Wirtschaftliche Betrachtungsweise ........... 13 3. Kriterien...................................................... 19 3.1 Verwertungsalternative ................. 19 3.2 Schlechterstellung durch Sozialplan ................................................. 25 4. Die Folgen des zeitlichen Auseinanderfallens für den Vergleich....................... 26 4.1 Zinselemente.................................. 28 4.2 Risikoelemente .............................. 31 4.3 „Machbarkeit“ des Plans ............... 35 5. Keine Plankorrektur durch Verwalterbevollmächtigung ....................................... 39 6. Beweislast.................................................... 41 III. Angemessenheit der Beteiligung ............ 43 1. Ausgangspunkt........................................... 43 2. Angemessene Beteiligung der Gläubiger................................................................ 45 3. Angemessene Beteiligung der Anteilsinhaber ........................................................ 46

4. 5.

Befriedigungsgrenze................................... 47 Absoluter Vorrang ..................................... 52 5.1 Vorrang der nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger ........................ 52 5.2 Kein wirtschaftlicher Wert für Schuldner und an ihm beteiligte Personen......................................... 57 5.3 Fortführung als Planziel................ 59 5.4 Schuldner ist natürliche Person .... 70 5.5 Unternehmerisch beteiligte Geschäftsführer ............................. 71 6. Keine Besserstellung gleicher Ränge......... 72 6.1 Für Gläubiger................................. 73 6.2 Wirtschaftliche Betrachtung ......... 75 6.3 Für Anteilsinhaber ........................ 79 IV. Zustimmung der Mehrheit der Gruppen ..................................................... 80 1. Zustimmungserfordernis und Anwendungsgrenzen ............................................. 80 2. Keine Zustimmungsfiktion ....................... 85 V. Einschränkung für Inhaber von gruppeninternen Drittsicherheiten........ 86 VI. Salvatorische Klausel im Plan.................. 87 1. Salvatorische Klausel zum Minderheitenschutz ............................................... 88 2. Salvatorische Klauseln für Anwendung des Obstruktionsverbots ........................... 89 VII. Verfahren und Rechtsmittel................... 96 1. Verfahren .................................................... 96 2. Rechtsmittel ............................................... 97

Literatur: Bitter/Laspeyres, Rechtsträgerspezifische Berechtigungen als Hindernis übertragender Sanierung, ZIP 2010, 115; Braun, Das Obstruktionsverbot in der Praxis: Ein überzeugender Start, NZI 1999, 473; Brinkmann, Wege aus der Insolvenz eines Unternehmens – oder: Die Gesellschafter als Sanierungshindernis, WM 2011, 97; Eidenmüller, Gesellschafterstellung und Insolvenzplan, ZGR 2001, 680; Grub, Die angemessene Zahlungsquote im Insolvenzplan, in: Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck, 2000, S. 501; Heni, Funktion und Konzeption von Planbilanzen, ZInsO 2006, 57; Hingerl, Gruppenbildung im Insolvenzplanverfahren, ZInsO 2007, 1337; Hölzle, Die „erleichterte Sanierung von Unternehmen“ in der Nomenklatur der InsO – ein hehres Regelungsziel des RefE-ESUG, NZI 2011, 124; Jungmann, Schlechterstellungsverbote im Insolvenzplanverfahren – Zum Verhältnis und Verständnis der §§ 245 und 251 InsO, KTS 2006, 135; Kresser, Debt-equity-swaps im Insolvenzplanverfahren de lege ferenda, ZInsO 2010, 1409; Liebig/Witt, Unternehmenssanierung – vor oder nach der Insolvenz?, DB 2011, 1929; Madaus, Keine Reorganisation ohne die Gesellschafter, ZGR 2011, 749; Meyer/ Degener, Debt-Equity-Swap nach dem RegE-ESUG, BB 2011, 846; Niering, Sozialplanansprüche als Stolperstein im Insolvenzplan, NZI 2010, 285; Pleister/Kindler, Kapitalmaßnahmen in der Insolvenz börsennotierter Gesellschaften, ZIP 2010, 503; Schröder/Rabenhorst, Darf dem Schuldner nach dem Insolvenzplan ein wirtschaftlicher Wert verbleiben?, ZInsO 2017, 1769; Simon/Merkelbach, Gesellschaftsrechtliche Strukturmaßnahmen im Insolvenzplanverfahren nach dem ESUG, NZG 2012, 121; Smid, Große Reform oder Beseitigung der Insolvenzordnung durch ein neues Konkursverfahren?, DZWIR 2010, 397; Stapper, Die Praxis der Arbeit mit Insolvenzplänen oder die Insuffizienz des Insolvenzplans: Diagnose und Therapie, ZInsO 2009, 2361; Tan/Lambrecht, Die Quotenvergleichsrechnung im Insolvenzplan als Instrument der Interessenverfolgung, NZI 2019, 249; Thole, Der Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und restrukturierungsgesetzes (StaRUG-RefE), ZIP 2020, 1985; Undritz, Restrukturierung in der Insolvenz, ZGR 2010, 201; Verse, Anteilseigner im Insolvenzverfahren, ZGR 2010, 299; Wertenbruch, Die Personengesellschaft im Vergleich zur AG und GmbH im

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§ 36

2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

Insolvenzplanverfahren, ZIP 2013, 1693; Wieneke/Hoffmann, Der Erhalt der Börsennotierung beim echten und unechten Debt Equity Swap in der Insolvenz der börsennotierten AG, ZIP 2013, 697; Wittig, Obstruktionsverbot und Cram Down – § 245 InsO im Lichte der LaSalle Street Entscheidung des U.S. Supreme Court v. 3.5.1999, ZInsO 1999, 373.

I.

Zweck und Hintergrund

1.

Zweck

1.1

Begrenzung der Gläubigerautonomie durch Missbrauchskontrolle

1 Das in § 245 InsO geregelte sog. Obstruktionsverbot dient primär der Verhinderung missbräuchlichen Abstimmungsverhaltens von Gläubiger- bzw. Anteilsinhabergruppen. Der im Grundsatz privatautonome Prozess der Einigung der Gläubiger bzw. Anteilsinhaber wird durch das Obstruktionsverbot insofern beschränkt, als eine für das Kollektiv der Angehörigen wirtschaftlich optimale Verwertung auch gegen den Willen einer Abstimmungsgruppe erzwungen werden kann. Dieses sich darin widerspiegelnde Prinzip der allein durch Missbrauchskontrolle begrenzten Gläubigerautonomie stellt einen der wesentlichen Grundsätze im Insolvenzplanverfahren dar. Vor dem Hintergrund des besonders zeit- und kostenaufwändigen Insolvenzplanverfahrens darf der damit verbundene Aufwand nicht durch Einzelinteressen bestimmter Gläubiger oder Anteilsinhaber zunichte gemacht werden.1) Ob eine Gruppe gegen den Plan obstruiert, also eine rechtsmissbräuchliche Verweigerung der Zustimmung zum Plan durch sog. „Akkordstörer“2) vorliegt, ist dabei allein aus wirtschaftlicher Perspektive durch das Gericht zu entscheiden. 1.2

Fiktion der Zustimmung

2 Unter den Voraussetzungen der Norm kann die fehlende Zustimmung einer bestimmten Abstimmungsgruppe durch Fiktion überwunden werden. Gemäß § 244 Abs. 1 InsO ist für die Annahme des Plans erforderlich, dass „in jeder Gruppe“ die Mehrheit der abstimmenden Gläubiger dem Plan zustimmt und die Summe der Ansprüche der zustimmenden Gläubiger größer als die Hälfte der Summe der Ansprüche der insgesamt abstimmenden Gläubiger ist. Für am Schuldner beteiligte Personen gilt letzteres Mehrheitserfordernis nach § 244 Abs. 3 InsO entsprechend, wobei nicht auf die Anspruchssumme, sondern auf die Summe der Beteiligungen abzustellen ist (siehe dazu eingehend oben Stahlschmidt, HRI II, § 33, Kolmann, HRI II, § 35). 3 Liegen die danach erforderlichen Mehrheiten nicht vor, kann die Zustimmung gleichwohl unter den Voraussetzungen des § 245 InsO ersetzt werden. Da einzelne Abstimmungsgruppen aufgrund ihres unterschiedlichen Status und Rangs oftmals auch abweichende Interessen verfolgen, soll verhindert werden, dass diese die Möglichkeit haben, die Abwicklung über den Plan zu verhindern. Die fehlende Zustimmung wird in § 245 InsO durch richterliche Entscheidung ersetzt. 1.3

Mittelbarer Individualschutz

4 Der Gesetzgeber erkennt insofern die Motive für die Ablehnung des Insolvenzplans nur dann an, wenn die Voraussetzungen des § 245 Abs. 1 Nr. 1 – 3 InsO nicht gegeben sind. Dies bedeutet, dass die Zustimmungsfiktion des § 245 InsO nur dann eingreifen kann, wenn sämtliche Voraussetzungen des § 245 Abs. 1 Nr. 1 – 3 InsO kumulativ erfüllt sind.3) § 245 InsO bezweckt durch die Voraussetzungen für die Zustimmungsfiktion einen ge___________ 1) 2) 3)

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Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 245 Rz. 6. BGH v. 12.12.1991 – IX ZR 178/91, BGHZ 116, 319 = ZIP 1992, 191, dazu EWiR 1992, 255 (Tiedtke). OLG Köln v. 5.1.2001 – 2 W 228/00, NZI 2001, 660, 662.

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§ 36

Obstruktionsverbot

wissen mittelbaren Individualschutz, der jedoch durch den einzelnen Gläubiger bzw. Anteilsinhaber nur über § 251 InsO geltend gemacht werden kann: Diese Vorschrift erlaubt es jedem in einer Gruppe überstimmten Gläubiger bzw. Anteilsinhaber, die Nichtbestätigung des Insolvenzplans zu beantragen, wenn er durch den Plan schlechtergestellt wird, als er ohne Plan stünde (siehe dazu unten Burmeister/Tasma, HRI II, § 38). 1.4

Erstreckung auf Anteilsinhaber

Angesichts dessen, dass die Anteilsinhaber gemäß § 225a InsO als eigene Gruppe im In- 5 solvenzplan zu berücksichtigen sind (siehe dazu ausführlich Hölzle, HRI II, § 26 Rz. 1 ff.), wenn in ihre Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte eingegriffen wird, ist es konsequente Folge, dass auch ihr Votum über den Insolvenzplan i. R. des Obstruktionsverbots unter den dort vorgesehenen Voraussetzungen überwunden werden kann.4) Insbesondere der aufgrund der unterschiedlichen Interessenlagen vielfach zeitraubende Prozess der Willensbildung der Anteilsinhaber nach den gesellschaftsrechtlichen Regelungen kann so im Interesse einer effizienten Verfahrensabwicklung verkürzt werden.5) Die Überwindung der Ablehnung des Insolvenzplans durch die Anteilsinhaber i. R. des 6 § 245 InsO ist bei seiner Einführung nicht ohne Kritik geblieben, wobei nicht nur verfassungs- und europarechtliche Bedenken vorgebracht, sondern die Norm auch als ungerechtfertigter Eingriff in Gesellschafterrechte gesehen wurde.6) Durch die Regelungen des § 225a InsO sollte diesen Bedenken in vielerlei Hinsicht Rech- 7 nung getragen sein: So sieht § 225a Abs. 5 InsO ein Austrittsrecht für die betroffenen Gesellschafter aus wichtigem Grund gegen Entschädigung vor. Zwar wird der Abfindungsanspruch faktisch leerlaufen, da er auf die Vermögenslage abstellt, die bei einer Abwicklung des Schuldners gegeben wäre, wo § 199 InsO zunächst eine Vollbefriedigung der Gläubiger vorsieht. Die Altgesellschafter sind jedoch nicht gezwungen, in der Gesellschaft zu verbleiben. Die vermögensmäßige Stellung der Gesellschafter ist ferner über § 251 InsO, der auch für die Anteilsinhaber gilt, geschützt. Durch die Gestaltungsmöglichkeiten des allein im Gläubigerinteresse agierenden Insolvenzverwalters kann man zudem auch etwa dem Bestand an Lizenzen im schuldnerischen Unternehmen keinen allein den Anteilsinhabern zustehenden „unpfändbaren“ Wert beimessen, auf welchen die Gläubiger keinen Zugriff haben dürften.7) Ob die Gläubiger in dem Erhalt des schuldnerischen Unternehmens durch den Plan einen über die Zerschlagung hinaus gehenden Wert sehen, unterliegt allein ihrer Entscheidungsmacht.8) Wenig überzeugend erscheint zudem der Vorschlag von Madaus, das Obstruktionsverbot 8 dahingehend einschränkend auszulegen, dass dieses nur dann eingreifen könne, wenn Zwangseingriffe in die Mitgliedschaftsrechte der Gesellschafter nach dem Plan nicht erfolgten; dies sei dann der Fall, wenn den Gläubigern anstelle von Mitgliedschaftsrechten ___________ 4) 5) 6) 7)

8)

Verse, ZGR 2010, 299, 320. Meyer/Degener, BB 2011, 846, 848; zu dieser Thematik auch Pleister/Kindler, ZIP 2010, 503. Madaus, ZGR 2011, 749; Brinkmann, WM 2011, 97, 100. So aber im Ergebnis Madaus, ZGR 2011, 749, 753 ff.; a. A. Bitter/Laspeyres, ZIP 2010, 1157, 1159, nach denen die an den Rechtsträger gebundenen Werte des Unternehmens für die Gläubigergesamtheit nutzbar zu machen sind. Auch beschränke sich die Anteilsinhaberschaft der Gesellschafter im Insolvenzverfahren allein auf eine sicherungstreuhänderische Inhaberschaft in Bezug auf eine mögliche Überschussbeteiligung nach § 199 InsO. In diesem Sinne auch Eidenmüller, der richtigerweise aus der Regelung des § 245 Abs. 3 Nr. 1 InsO folgert, dass das Obstruktionsverbot zulasten der Anteilsinhaber faktisch nur dann wirke, wenn auch die Gläubiger Einbußen in Kauf nehmen müssten; in diesem Fall könnten die Gesellschafter aber auch keine Beteiligung an dem durch die Restrukturierung realisierten Fortführungswert beanspruchen, vgl. damals noch de lege ferenda, Eidenmüller, ZIP 2010, 649, 657.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

Genussrechte in Form von eigenkapitalnahem Mezzanine-Kapital gewährt würden.9) Derartige Instrumente vermitteln über rein obligationstypische Rechte hinaus Ansprüche auf Teilhabe am Gewinn (auch in Kombination mit oder als Alternative zu einer Festverzinsung), ggf. nehmen sie auch am Liquidationserlös teil, sie dürfen jedoch keine den Gesellschaftern typischerweise vorbehaltenen Verwaltungsrechte, wie insbesondere Stimmrechte, vorsehen.10) Da aber die Ausgabe von Genussrechten, etwa gemäß § 221 AktG, ebenfalls einen entsprechenden Willensbildungsprozess der Gesellschafter erfordert wie die Beteiligung der Gläubiger im Wege eines Debt-Equity-Swaps und die vermögensmäßige Beteiligung der Anteilsinhaber durch die Gewinnbeteiligung der Gläubiger aus dem Genussrecht in gleicher Weise eingeschränkt werden kann, läge auch insoweit schon ein Eingriff in die Mitgliedschaft vor; die (– wie ausgeführt – im Ergebnis zu Unrecht) vorgebrachten Bedenken wären mithin auch durch diese einschränkende Auslegung nicht ausgeräumt.11) 2.

Hintergrund

9 Vorbild für die Regelung des § 245 InsO ist die in Chapter 11 des US-amerikanischen Bankruptcy Code12) geregelte, sog. Cram-down-Bestimmung.13) Danach kann i. R. der gerichtlichen Bestätigung eines Reorganisationsverfahrens nach Chapter 11 die fehlende Zustimmung einer vom Plan betroffenen Beteiligtenklasse vereinfacht dargestellt dann durch das Gericht ersetzt werden, wenn die betreffende Klasse aus wirtschaftlicher Sicht durch den realisierbaren Plan angemessen beteiligt und nicht unbillig diskriminiert wird und der Plan die Beteiligten nicht schlechterstellt als im Liquidationsfall nach Chapter 7 des USamerikanischen Bankruptcy Code. 10 In wirtschaftlicher Hinsicht soll das Obstruktionsverbot verhindern, dass der Plan durch das Votum einer Abstimmungsgruppe blockiert wird, obwohl er mindestens gleichwertige oder bessere Ergebnisse ermöglicht als eine Verwertung oder Verfahrensabwicklung ohne Insolvenzplan. Für die Frage des Eingreifens des Obstruktionsverbots ist daher allein eine gruppenorientierte Sicht einzunehmen. Individualinteressen einzelner Angehöriger können nur i. R. von § 251 InsO Berücksichtigung finden.14) II.

Vergleichsrechnung

1.

Quotenvergleich

11 Voraussetzung für die Zustimmungsfiktion ist gemäß § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO zunächst, dass die Angehörigen der widersprechenden Gruppe durch den Insolvenzplan voraussichtlich nicht schlechtergestellt werden, als sie ohne Plan stünden. Insofern erfolgt ein Quotenvergleich: Das Schlechterstellungsverbot erfordert eine Vergleichsrechnung zwischen dem Insolvenzplan und der hypothetischen Abwicklung nach den gesetzlichen Regelungen (siehe dazu insgesamt J. Schmidt, HRI II, § 29). Praktisch führt dies zu einer Gegenüberstellung der Vermögensübersicht nach § 153 InsO und der daraus resultierenden Quotenprognose sowie dem gestaltenden Teil des Plans (§ 221 InsO) und der sich daraus ___________ 9) Madaus, ZGR 2011, 749, 772 ff. 10) Vgl. statt vieler Stadler in: Bürgers/Körber/Lieder, AktG, § 221 Rz. 88 ff.; Haberstock/Greitemann in: Hölters, AktG, § 221 Rz. 18 ff. 11) Der Unterschied zur gesetzlichen Regelung scheint sich bei der Ausgabe von Genussrechten an die Gläubiger im Ergebnis auf den Erhalt der Stimmrechte allein in der Hand der Altgesellschafter zu beschränken. 12) Es handelt sich um die Regelung 11 U.S.C § 1129 Confirmation of Plan. 13) Vgl. schon Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 208; dazu eingehend Drukarczyk in: MünchKommInsO, 2. Aufl., § 245 Rz. 31 ff. 14) AG Düsseldorf v. 7.1.2008 – 503 IN 221/02, ZInsO 2008, 463 f.

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§ 36

Obstruktionsverbot

für die einzelnen Angehörigen ergebenden (wirtschaftlichen) Stellung. Eine nach Liquidationswerten bemessene Quote ist damit die unterste Grenze dessen, was den Gläubigern i. R. des Plans angeboten werden kann.15) Vergleichsmaßstab kann dabei die Zerschlagung, aber auch der i. R. einer übertragenden 12 Sanierung erzielbare Erlös sein, wenn es dafür genügend tatsächliche Anhaltspunkte gibt. Auf einen weiteren, konkurrierenden Plan kommt es indes nicht an.16) 2.

Wirtschaftliche Betrachtungsweise

Im Rahmen der Vergleichsrechnung ist aus Sicht der betreffenden Abstimmungsgruppe 13 jeweils auf das wirtschaftliche Endergebnis abzustellen.17) Keine Rolle spielt es daher, ob die betreffenden Gläubiger bzw. Anteilsinhaber in irgendeinem Teilaspekt durch den Plan schlechtergestellt werden als im Falle der Regelabwicklung, wenn die Schlechterstellung nur im Ergebnis ausgeglichen wird.18) Bei der Frage der Schlechterstellung spielen ferner allein die monetär vergleichbaren Leistungen eine Rolle, auf sonstige Interessen der Angehörigen einer Gruppe kommt es nicht an.19) Richtigerweise wird darauf hingewiesen, dass die Voraussetzung, wonach eine Schlechter- 14 stellung durch den Plan nicht eintreten darf, in Gestalt der Anteilsinhaber regelmäßig erfüllt sein wird.20) Beachtenswert ist jedoch: Obwohl die Beteiligung der Anteilsinhaber bei einer übertragenden Sanierung oder Zerschlagung vielfach wirtschaftlich untergeht, rechtfertigt dies nicht ohne weiteres einen Totalverlust der Beteiligung i. R. des Insolvenzplanverfahrens.21) Gerade bei Insolvenzen, die nicht wirklich operativ bedingt, sondern durch Streitigkeiten im Gesellschafterkreis motiviert sind, oder bei Strukturen, bei denen die Insolvenz auf Holding-Ebene eintritt und auch i. R. der übertragenden Sanierung Anteile an einem (gesunden) Unternehmen veräußert würden, kann es dazu kommen, dass den Anteilsinhabern noch erhebliche Werte zufließen. Insofern muss auch mit Blick auf die Anteilsinhaber stets geprüft werden, ob die Voraussetzungen des § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO vorliegen. Dem Prognosecharakter der durch das Gericht zu treffenden Entscheidung wird mit dem 15 Wort „voraussichtlich“ in § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO Rechnung getragen. Das Gericht soll insofern feststellen, ob eine Schlechterstellung der Angehörigen dieser Gruppe gegenüber einer Regelabwicklung wahrscheinlicher ist, als dass diese durch den Plan nicht schlechtergestellt werden.22) Diese Interpretation des Begriffs „voraussichtlich“ hat sich auch bereits i. R. von § 18 Abs. 2 InsO verfestigt.23) Bei der Feststellung, ob eine voraussichtliche Schlechterstellung vorliegt, ist das Gericht 16 nicht zwingend gehalten, etwa einen Sachverständigen hinzuzuziehen. Maßgeblich ist allein ___________ Grub in: FS Uhlenbruck, S. 501, 505. Ebenso Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 245 Rz. 7. LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461, 463 = ZInsO 1999, 577. Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 7. Grub in: FS Uhlenbruck, S. 501, 509 m. w. N. Hölzle, NZI 2011, 124, 128. Kresser, ZInsO 2010, 1409, 1415; so wohl auch Hölzle, NZI 2011, 124, 128 – unter Verweis auf Brinkmann, WM 2011, 97, 98. 22) Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 8; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 7, m. w. N. BGH v. 29.3.2007 – IX ZB 204/05, ZIP 2007, 923 – zur insoweit vergleichbaren Regelung des § 251 InsO. 23) Vgl. etwa Mock in: Uhlenbruck, InsO, § 18 Rz. 11; Salm-Hoogstraeten in: Braun, InsO, § 18 Rz. 6; a. A. Jungmann, KTS 2006, 135, 139 f.

15) 16) 17) 18) 19) 20) 21)

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

die eigene Einschätzung des Gerichts, der eine gewisse Unschärfe gestattet ist.24) Dabei stehen dem Gericht die normalen Erkenntnisquellen, die es i. R. des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 5 Abs. 1 InsO) hat, zur Verfügung. Man wird darüber hinaus sogar eine Pflicht zur Amtsermittlung i. R. des § 245 InsO annehmen müssen.25) Wenig überzeugend scheint es, gegen eine Pflicht zur Amtsermittlung auf den Wortlaut des § 5 Abs. 1 InsO zu verweisen, der von „Insolvenzverfahren“ spricht, was allein das Regelinsolvenzverfahren meine, da sich bereits aus § 1 Satz 1 InsO ergibt, dass der Begriff des Insolvenzverfahrens als Oberbegriff zu verstehen ist, der auch das Insolvenzplanverfahren umfasst.26) 17 Wegen des privatautonomen Charakters des Insolvenzplans muss der Planvorlegende zwar sicherstellen, dass das Gericht die Entscheidung, dass eine opponierende Gruppe nicht schlechtersteht als in der Regelabwicklung, sachgerecht beurteilen kann.27) Man wird aber richtigerweise das Bestehen der Pflicht zur Amtsermittlung auch bei der Frage nach dem Vorliegen der Voraussetzungen des Obstruktionsverbots annehmen können: Denn das Gericht hat von Amts wegen zu untersuchen, ob die Bestätigungsvoraussetzungen für den vorgelegten Plan bestehen oder nicht;28) dies schließt die Möglichkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens bzw. die Anhörung des Schuldners, von Gläubigern und Zeugen sowie die Einsichtnahme in die Geschäftsunterlagen des Schuldners ein. 18 Informationsquellen sind neben dem Inhalt des Plans regelmäßig insbesondere die Berichte des Insolvenzverwalters, die Stellungnahmen zum Insolvenzplan sowie sonstige schriftliche und mündliche Ausführungen.29) Dabei muss der Planarchitekt auch eine Kalkulation für die Zerschlagung vorlegen, damit dem Gericht eine Vergleichsgröße zur Verfügung steht.30) Wichtig ist zudem, dass der Insolvenzplan die entsprechenden Informationen nach Maßgabe von § 229 InsO bereitstellt, die es den Angehörigen ermöglichen festzustellen, ob der vorausgesagte Sanierungserfolg tatsächlich durch den Plan erreicht werden kann: Überzeugen wird ein Sanierungskonzept die Gläubiger in der Regel nur, wenn es plausibel macht, dass die Planlösung finanzierbar ist und das schuldnerische Unternehmen mit der Durchführung des Plans wieder Überschüsse generieren kann, wobei eine PlanGewinn- und -Verlustrechnung und entsprechende Liquiditätspläne eine entscheidende Rolle spielen.31) 3.

Kriterien

3.1

Verwertungsalternative

19 Die durch den Plan vorgesehene Leistung, die für die Frage einer Schlechterstellung maßgeblich ist, wird in der Regel aus einer Geldzahlung bestehen, was im Ausgangspunkt für eine einfache Vergleichbarkeit spricht (zur Frage einer Berücksichtigung von Zins- oder ___________ 24) Braun/Frank in: Braun, InsO, § 245 Rz. 5; LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461, 463 = ZInsO 1999, 577; AG Göttingen v. 19.12.2001 – 74 IN 112/00, ZIP 2002, 953, dazu EWiR 2002, 877, 878 (Otte). 25) Ausdrücklich dafür etwa Grub in: FS Uhlenbruck, S. 501, 506; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 245 Rz. 38 ff. 26) So richtigerweise Herweg, Das Obstruktionsverbot bei der Unternehmenssanierung, S. 57. 27) Braun/Frank in: Braun, InsO, § 245 Rz. 5 m. w. N. 28) Eidenmüller, ZGR 2001, 680, 698. 29) In diesem Sinne OLG Frankfurt/M. v. 1.10.2013 – 5 U 145/13, ZIP 2013, 2018, 2021, dazu EWiR 2013, 753 (Bähr/Schwartz). Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 245 Rz. 12, hebt treffend hervor, dass Plan- und Regelbefriedigung „in Zahlen“ verglichen werden müssen. 30) Braun/Frank in: Braun, InsO, § 245 Rz. 47; BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141 ff., dazu EWiR 2018, 401 (Madaus). 31) Heni, ZInsO 2006, 57, 58; Drukarczyk/Schüler in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 35 ff., die richtigerweise anregen, § 229 InsO entsprechend erweitert zu interpretieren.

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Risikoelementen siehe unten Rz. 28 ff.). Schwierigkeiten mit der Vergleichsposition können etwa dann bestehen, wenn Gläubigern bzw. Anteilsinhabern unter dem Plan auch Anteile der Schuldnerin gewährt werden sollen, da insoweit eine gesonderte Bewertung erforderlich wird. Früher war für die Vergleichsposition gegenüber der Planabwicklung maßgeblich, welche 20 Verwertung im konkreten Fall gewählt würde und welchen Erlös der betreffende Angehörige aus dieser Verwertung zu erwarten hätte.32) Insofern war zwischen Liquidationswerten und Fortführungswerten zu unterscheiden. Letztere waren jedoch nur dann zu berücksichtigen, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Verwertung etwa im Wege der übertragenden Sanierung vorlagen. Nun hat der Gesetzgeber durch die Neuregelung des § 220 Abs. 2 Satz 3 und 4 InsO aus- 21 drücklich vorgesehen, dass dann, wenn der Plan eine Fortführung des Unternehmens vorsieht, für die Ermittlung der voraussichtlichen Befriedigung ohne Plan zu unterstellen ist, dass das Unternehmen fortgeführt wird und daher in diesem Fall stets Fortführungswerte anzusetzen sind. Sofern eine Vergleichsrechnung anhand des Liquidationsszenarios erfolgen soll, muss der 22 Planersteller darlegen, dass ein Verkauf des Unternehmens oder eine anderweitige Fortführung aussichtlos ist. Zur Berücksichtigung von Liquidationswerten wird hier eine fundierte Begründung erforderlich sein33). Dass parallel ein M&A-Prozess durchgeführt werden muss, wird man nicht erwarten können, da dies regelmäßig nicht zu brauchbaren Ergebnissen führen wird, wenn tatsächlich ein Insolvenzplan durchgeführt werden soll.34) Für den Fall, dass das Liquidationsszenario den Maßstab für die Vergleichsrechnung bilden kann, wird man auf die vom Gutachter regelmäßig i. R. des Insolvenzeröffnungsgutachtens ermittelten Werte zurückgreifen können, von denen dann noch die zu erwartenden Verwertungskosten abzuziehen sind.35) Für die Berücksichtigung der Werte in einer übertragenden Sanierung, müssen konkrete 23 Anhaltspunkte etwa in Form eines entsprechenden Investorenangebots, vorliegen. Nur dann, und wenn der betreffende Investor auch entsprechend ernsthaft agiert und ein vollfinanziertes Angebot vorlegt, kann eine derartige Fortführungslösung den zulässigen Vergleichsmaßstab bilden. Allein den Nachweis über konkrete Verkaufsverhandlungen, deren Erfolg überwiegend wahrscheinlich erscheint, jedoch ohne Vorliegen eines Angebots, wird man nicht ausreichen lassen können.36) Hier zeigt die Praxis, dass selbst nach Vorliegen eines „bindenden Angebots“37) von Investorenseite in der Regel noch umfangreiche Verhandlungen zwischen Verwalter und Investor erfolgen, die das betreffende Angebot auch wirtschaftlich noch verändern können, so dass das reine Verhandlungsstadium vor einer konkreten Angebotsäußerung nicht als ausreichend angesehen werden kann. Notwendig ist, dass das Angebot auch noch im Beurteilungszeitpunkt vorliegt, da nur in 24 diesem Fall tatsächlich eine über die bloße abstrakte Gesamtverkaufsmöglichkeit hinausgehende Verwertungsalternative besteht.38) Bei einer entsprechenden Vergleichsrechnung ___________ Braun/Frank in: Braun, InsO, § 245 Rz. 3; LG Mühlhausen v. 17.9.2007 – 2 T 190/06, NZI 2007, 724. Pleister in: KPB, InsO, § 245 Rz. 10a. Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsR, § 220 InsO Rz. 25b. Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsR, § 220 InsO Rz. 25a ff. So aber Herweg, Das Obstruktionsverbot bei der Unternehmenssanierung, S. 61. Der Begriff, der sich in Auktions- bzw. Bieterverfahren etabliert hat, ist in insofern irreführend, als es sich dabei mehr um eine invitatio ad offerendum handelt, die in der Regel den Auftakt für konkrete Verhandlungen bildet. 38) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 13; Grub in: FS Uhlenbruck, S. 501, 510.

32) 33) 34) 35) 36) 37)

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ist dann auch zu berücksichtigen, ob trotz der übertragenden Sanierung, die ggf. auch nicht den kompletten Betrieb erfasst, noch Abwicklungskosten für die Masse entstehen.39) 3.2

Schlechterstellung durch Sozialplan

25 Auf einen möglichen gesetzgeberischen Widerspruch zwischen Regelabwicklung und Insolvenzplan bei der Vereinbarung eines Sozialplans weist Niering hin: So sei die Nichtgeltung der relativen Obergrenze im Insolvenzplanverfahren nach § 123 Abs. 2 Satz 1 InsO, nach welcher für die Berichtigung von Sozialplanforderungen nicht mehr als ein Drittel der Masse verwendet werden darf, die ohne einen Sozialplan für die Verteilung an die Insolvenzgläubiger zur Verfügung stünde, „wenn nicht ein Insolvenzplan zustande kommt“, mit Blick auf das Obstruktionsverbot problematisch. Insolvenzgläubiger könnten wegen des Wegfalls der relativen Obergrenze für den Sozialplan im Insolvenzplanverfahren – insbesondere dann, wenn der Plan nur eine sehr geringe Einmalzahlung vorsieht – schlechterstehen als bei der Abwicklung außerhalb des Planverfahrens.40) Insofern sei es für eine widersprechende Gläubigergruppe ein Leichtes, die Schlechterstellung durch den Sozialplan i. R. einer Beschwerde gegen die Bestätigung des Plans oder aber über den individuellen Minderheitenschutz nach § 251 InsO geltend zu machen. Dem kann nur mit entsprechendem Verhandlungsgeschick des Insolvenzverwalters bei Abschluss des Sozialplans – nämlich unter Wahrung der relativen Obergrenze – entgegengetreten werden.41) Letzteres mag zumindest ein gangbarer Weg sein, wenn im Einzelfall tatsächlich eine Schlechterstellung wegen des Sozialplans gegeben ist. 4.

Die Folgen des zeitlichen Auseinanderfallens für den Vergleich

26 Bei der Zerschlagung bzw. dem Verkauf im Wege der übertragenden Sanierung erfolgt die Befriedigung der Gläubiger – abhängig vom Verfahrensumfang insgesamt – in der Regel relativ zeitnah nach der Durchführung der entsprechenden Verwertung. Bei der Fortführung im Wege eines Insolvenzplans werden die Gläubiger zu großen Teilen regelmäßig erst aus künftig erzielten Erträgen befriedigt. Dieses zeitliche Auseinanderfallen ist auch für die Vergleichsrechnung zu berücksichtigen. Richtigerweise wird man allein in der zeitlichen Erstreckung einer Zahlung jedenfalls dann keine Schlechterstellung der Gläubiger sehen können, wenn dafür ein angemessener Ausgleich erfolgt.42) 27 Für die Frage, ob die daraus resultierende zeitliche und strukturelle Diskrepanz in Bezug auf den Zufluss beim Gläubiger die Berücksichtigung von Risiko- oder Zinselementen oder gar der „Machbarkeit“ des Plans erforderlich macht, findet sich insbesondere in Einzelfragen kein einheitliches Meinungsbild. 4.1

Zinselemente

28 Für den Fall, dass die unter dem Plan vorgesehene Geldleistung in Raten erfolgt, muss der Barwert dieser Leistung durch Abzinsung berechnet werden.43) Was die Höhe des Zinssatzes angeht, soll jedenfalls nicht der gesetzliche Zinssatz, sondern allein der konkrete Markt___________ Stapper, ZInsO 2009, 2361, 2364. Niering, NZI 2010, 285, 286 ff. Niering, NZI 2010, 285, 287 ff. LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461, 462 = ZInsO 1999, 577; das Gericht weist richtigerweise darauf hin, dass eine abweichende Sichtweise kaum denkbar erscheint, da die zeitliche Erstreckung der Abwicklung im Insolvenzplanverfahren gegenüber der Regelabwicklung faktisch immanent ist. 43) Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 11; Drukarczyk/Schüler in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 43.

39) 40) 41) 42)

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zins für den entsprechenden Zeitraum maßgeblich sein.44) Im Ergebnis führt dies dazu, dass die Höhe der unter dem Plan gewährten Leistungen nur dann nicht zu einer Schlechterstellung führt, wenn diese den im Zeitraum zwischen einem Zufluss aus der Zerschlagung und dem Zufluss aus dem Plan erzielbaren Zins berücksichtigen. Die Berücksichtigung des Wiederanlagezinses erscheint zwar auf den ersten Blick nur für 29 Kreditinstitute angemessen,45) man wird dies jedoch für jeden Gläubiger anerkennen müssen, da es bei der Frage der Schlechterstellung allein auf eine finanzielle Betrachtung des Quotenvergleichs und nicht auf die Person des Gläubigers und dessen (vermeintlich fehlende) Aktivität am Geld- und Kapitalmarkt ankommen kann. Ob der Kapitalmarktzins jedoch nur die Obergrenze bilden kann, und dann, wenn unter 30 dem mit einem Gläubiger abgeschlossenen Vertrag ein niedrigerer Zins vereinbart worden ist, allein der Vertragszins maßgeblich ist, erscheint fraglich. Der Hinweis darauf, dass ein Gläubiger, der ein verzinsliches Darlehen nach Eintritt der Insolvenz kündigt und fällig stellt, nicht schlechterstehen könne, wenn er nach dem Plan den vertraglich vereinbarten Zins erhält (sei dieser auch geringer als der Marktzins), und daher nach dem Sinn und Zweck des Obstruktionsverbots, welches keine Besserstellung gegenüber der vertraglichen Situation erreichen wolle, der zu berücksichtigende Zinssatz jedenfalls durch einen Vertragszins gedeckelt sei,46) kann nicht vollständig überzeugen. So stellt § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO in der Tat nur die Situation nach dem Plan derjenigen ohne Plan gegenüber, und die Berücksichtigung der vertraglichen Situation ohne Insolvenz spielt dort schon keine Rolle.47) Ferner würde eine Begrenzung durch den Vertragszins dazu führen, dass der Gläubiger faktisch gezwungen würde, den Erlös aus der Regelabwicklung zu den vorinsolvenzlich vereinbarten Bedingungen wieder anzulegen.48) Dafür gibt es im Zeitpunkt der Regelabwicklung keine Rechtfertigung.49) In letzter Konsequenz müsste die Auffassung von Braun auch dazu führen, dass man bei der Frage der Schlechterstellung gegenüber der Regelabwicklung über die Zinshöhe hinaus generell auf die ursprünglich vertraglich vereinbarten Zahlungsmodalitäten (Fristen, Besicherungen etc.) abstellen müsste, was mit Blick auf die rein wirtschaftliche Betrachtung eines Quotenvergleichs nicht gewollt sein kann. 4.2

Risikoelemente

Auch bei der Frage, ob Risikoelemente für die Frage einer Schlechterstellung zu berück- 31 sichtigen sind, ist das Meinungsbild nicht eindeutig. Jedenfalls allein die abstrakte Möglichkeit einer potentiellen künftigen erneuten Insolvenz des schuldnerischen Unterneh___________ 44) Grub in: FS Uhlenbruck, S. 501, 510; Herweg, Das Obstruktionsverbot bei der Unternehmenssanierung, S. 64. 45) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 18; a. A. Drukarczyk/Schüler in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 5 ff.; für die Berücksichtigung der Anlagesituation auf dem Geldmarkt auch LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461, 462 = ZInsO 1999, 577, wobei im konkreten Fall zwei Banken die betreffende Gläubigergruppe gebildet hatten. 46) Braun, NZI 1999, 473, 476; dem folgend Grub in: FS Uhlenbruck, S. 501, 511. 47) Herweg, Das Obstruktionsverbot bei der Unternehmenssanierung, S. 64 f. 48) Braun, NZI 1999, 473, 476, sieht hier daher einen Anspruch des Schuldners auf Prolongation; ebenso Koch/de Bra in: Gottwald/Haas, InsR-Hdb., § 68 Rz. 65. 49) Grub in: FS Uhlenbruck, S. 501, 511, argumentiert hier mit § 245 Abs. 2 Nr. 1 InsO, der es verbiete, dass ein Gläubiger einen wirtschaftlichen Wert erhält, der den vollen Betrag seines (vertragsgemäßen) Anspruchs übersteigt. Unabhängig davon, dass dort ein „anderer Gläubiger“ maßgeblich ist, also gerade nicht die ablehnend votierende Gruppe, würde dieses Argument auch nur eingreifen können, wenn der Gläubiger voll befriedigt würde, denn nur dann könnte durch die Verzinsung auf Marktniveau eine theoretische Besserstellung gegenüber der vertraglichen Situation eintreten. Will man – wie hier – keinen Zwang zur Prolongation anerkennen, muss dieser vermeintliche Wertungswiderspruch in einer Vollbefriedigungssituation jedoch hingenommen werden.

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mens wird man für die Schlechterstellung nicht genügen lassen können, da dieses Szenario bereits als jedem Insolvenzplan immanent im Gesetz Berücksichtigung gefunden hat.50) 32 Teilweise wird die Berücksichtigung von Risikoelementen mit dem Hinweis abgelehnt, dass die bei Unternehmensbewertungen üblichen Risikozuschläge allein die für die Kaufpreisfindung maßgeblichen Unsicherheitsfaktoren ausgleichen sollen und daher mit den grundsätzlich als richtig zu unterstellenden, im Plan vorgesehenen Zuflüssen nicht vergleichbar seien.51) Vor dem Hintergrund, dass jedoch weder der Barwert von im Plan festgelegten zukünftigen Zahlungen noch der Erlös bei der gesetzlichen Verwertung gesicherte Größen, sondern prognostische Schätzungen sind,52) vermag dies für die generelle Ausblendung von Risikoelementen nicht vollständig zu überzeugen. 33 Demgegenüber wird angeführt, dass die Zahlungen, die unter einem Insolvenzplan vorgesehen werden, in der Regel über mehrere Jahre erfolgen sollen, was per se nicht risikolos sei.53) Daher müsse den unterschiedlichen Risikodimensionen des Erlöses bei Verwertung im Regelverfahren einerseits und den künftigen zu erwartenden Zahlungen nach dem Planverfahren andererseits – etwa durch die Entwicklung verschiedener Szenarien der wirtschaftlichen Entwicklung des schuldnerischen Unternehmens – Rechnung getragen werden; dies mache es erforderlich, die mit einer Begleichung künftiger Leistungen verbundene Unsicherheit zu berücksichtigen.54) 34 Im Ergebnis wird man die Berücksichtigung von Risikoelementen jedoch ablehnen müssen: Gegen die Berücksichtigung spricht einerseits die damit verbundene praktische Schwierigkeit, einen wirklich angemessenen Risikoabschlag zu bestimmen.55) Zudem wäre es dann andererseits ebenso erforderlich, bei den prognostizierten Beträgen aus der Regelabwicklung, bei denen es sich auch nur um Schätzwerte handelt, einen entsprechenden Risikoabschlag vorzunehmen. Damit würde die durch einen Risikoabschlag auf die Zahlung unter dem Plan verminderte Differenz zwischen den zu erwartenden Zahlungen i. R. der Vergleichsrechnung aber wieder vergrößert. 4.3

„Machbarkeit“ des Plans

35 Ob das Gericht i. R. des § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO auch die „Machbarkeit“ des Plans prüfen muss, ist umstritten. Die dahinter stehende Diskussion basiert auf der im amerikanischen Recht erforderlichen „feasibility“, wonach es unwahrscheinlich sein muss, dass einer Bestätigung des Plans nach Chapter 11 ein Liquidations- oder weiteres Reorganisationsszenario folgt.56) Mit Blick auf ein Machbarkeitserfordernis soll eine Bestätigung des Plans durch das Gericht dann nicht möglich sein, wenn die Angehörigen der betreffenden Gruppe nach dem reinen Wortlaut des Plans zwar nicht schlechterstünden als bei der Regelabwicklung, dadurch aber, dass der Plan faktisch nicht realisierbar ist, praktisch schlechtergestellt sind.57) Dass das Gericht überhaupt eine wirtschaftliche Vergleichsrechnung vornehmen kann, setzt mithin faktisch die Machbarkeit des Plans voraus. ___________ 50) So richtigerweise LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461, 463 = ZInsO 1999, 577 – unter Verweis auf § 255 Abs. 2, § 266 InsO, die die potentielle Möglichkeit eines erneuten Insolvenzverfahrens bereits voraussetzen. 51) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 19. 52) Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 245 Rz. 20. 53) Herweg, Das Obstruktionsverbot bei der Unternehmenssanierung, S. 66. 54) Drukarczyk/Schüler in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 54. 55) Vgl. Grub in: FS Uhlenbruck, S. 501, 512. 56) Vgl. 11 U.S.C § 1129 (a) 11. 57) Braun/Frank in: Braun, InsO, § 245 Rz. 4.

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Gegen die Machbarkeit des Plans als gesondertes Prüfungskriterium spricht zunächst der 36 klare Wortlaut des Gesetzes, der dieses Kriterium i. R. des § 245 InsO nicht kennt. Scheitert der Plan am Ende und wird deswegen die Abwicklung der Schuldnerin erforderlich, leben die Forderungen der Gläubiger insofern gemäß § 255 InsO wieder auf. Ferner wird gegen das Kriterium der Machbarkeit auch angeführt, § 231 Abs. 1 Nr. 3 InsO regele ausdrücklich, dass das Gericht nur prüfen müsse, ob der Plan offenkundig unerfüllbare Leistungen zugesagt habe.58) Dies kann insofern nicht vollständig überzeugen, als § 231 InsO nur die Zurückweisung des Plans in Ausnahmefällen59) regelt; für die Frage eines Kriteriums der Machbarkeit ist damit noch keine Aussage getroffen. Gegen die Machbarkeit wird ferner argumentiert, dass es lediglich Sinn und Zweck des § 245 37 InsO sei, widersprechende Abstimmungsgruppen davor zu schützen, durch den Plan nicht schlechtergestellt zu werden; insofern stelle sich die Frage der Machbarkeit weder mit Blick auf die Realisierbarkeit des Plans, noch spiele die Machbarkeit des Vergleichsszenarios in der Regelabwicklung eine Rolle.60) Nur dann, wenn dem Gericht konkrete Tatsachen oder Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Plan nicht realisierbar ist, soll es auf die Machbarkeit ankommen.61) Dies greift freilich zu kurz: Ohne die Überprüfung, ob der Plan realisierbar ist, kann i. R. des § 245 InsO keine Aussage zur Schlechterstellung gegenüber der Abwicklung im Regelverfahren getroffen werden, da nur bei einer Machbarkeit überhaupt zwei vergleichbare Szenarien bestehen.62) Das Gericht muss daher prüfen, ob der Plan voraussichtlich erfüllt wird. Bestehen erhebliche Zweifel an der Erfüllbarkeit, kann der Plan nicht bestätigt werden. Klar ist auch, dass, wenn das Gericht den Plan zwar für machbar hält, es aber ansonsten 38 nicht von der voraussichtlichen Nichtschlechterstellung der gegen den Plan opponierenden Gläubiger bzw. Anteilsinhaber überzeugt ist, der Plan ebenfalls nicht bestätigt werden kann. 5.

Keine Plankorrektur durch Verwalterbevollmächtigung

Fraglich ist, ob § 221 InsO auch bei der Frage einer Bestätigung des Insolvenzplans vor dem 39 Hintergrund des Obstruktionsverbots nutzbar gemacht werden kann: Nach § 221 Satz 2 InsO kann der Insolvenzverwalter durch den Plan bevollmächtigt werden, die zur Umsetzung notwendigen Maßnahmen zu ergreifen und offensichtliche Fehler des Plans zu berichtigen. Insbesondere die mögliche Bevollmächtigung zur Korrektur offensichtlicher Fehler wirft die Frage auf, ob insofern auch Ungleichbehandlungen und unangemessene Beteiligungen von Gläubigern oder Anteilsinhabern korrigiert werden können. Dafür, dass dem Verwalter danach auch ein Recht zustehen könnte, in die wirtschaftlichen 40 Regelungen des Plans einzugreifen, spricht ebenfalls § 248a InsO. Nach dessen Absatz 1 bedarf die Berichtigung des Insolvenzplans durch den Verwalter einer Bestätigung durch das Insolvenzgericht, welche auf Antrag zu versagen ist, wenn ein Beteiligter durch die ___________ 58) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 12; LG Bielefeld v. 30.11.2001 – 23 T 365/01, ZIP 2002, 951 – mangelnde Erfüllbarkeit des Plans muss sich aufdrängen –, dazu EWiR 2002, 1103 (Olbing). 59) BGH v. 6.4.2006 – IX ZB 289/04 – offensichtlich fehlender Wirklichkeitsbezug des vom Schuldner vorgelegten Zahlenwerks vermag die Zurückweisung des Plans nach § 231 Abs. 1 Nr. 3 InsO zu rechtfertigen. 60) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 11. 61) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 12, mit Verweis auf LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461 = ZInsO 1999, 577. 62) Es erfolgt mithin eine implizite Prüfung der Machbarkeit oder Durchführbarkeit des Plans, so auch Herweg, Das Obstruktionsverbot bei der Unternehmenssanierung, S. 67; Pleister in: KPB, InsO, § 245 Rz. 15; i. E. auch Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 245 Rz. 10.

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mit der Berichtigung einhergehende Planänderung voraussichtlich schlechtergestellt wird, als er nach den mit dem Plan beabsichtigten Wirkungen stünde (§ 248a Abs. 3 InsO). Nach § 248a Abs. 3 InsO darf der Verwalter den Plan für einzelne Gläubiger mithin nicht verschlechtern. Fraglich ist aber, ob er die Stellung der Beteiligten unter dem Plan verbessern darf. Dies scheint vor dem Hintergrund der mit der Regelung verbundenen Intention des Gesetzgebers wohl nur sehr begrenzt der Fall zu sein: So dient das Nachbesserungsrecht für den Insolvenzverwalter allein dazu, die Umsetzung des beschlossenen Planinhalts zu ermöglichen und etwa Formfehler zu korrigieren, ohne eine Gläubigerversammlung einberufen zu müssen.63) Geht es bei der Nachbesserung aber allein darum, den „beschlossenen Planinhalt“ umzusetzen, wird die Beseitigung der Schlechterstellung einer bestimmten Abstimmungsgruppe dadurch nicht mehr gedeckt sein. Insbesondere wird auch die Besserstellung einer Abstimmungsgruppe in der Regel nur zulasten einer anderen Gruppe möglich sein, was § 248a Abs. 3 InsO verbietet. Sind Nachbesserungen indes bereits von einer entsprechend finanziell abgesicherten salvatorischen Klausel (siehe dazu sogleich Rz. 87 ff.) gedeckt, sollte dies als Korrekturmechanismus ausreichen. 6.

Beweislast

41 Die Beweislast für eine fehlende Schlechterstellung liegt grundsätzlich beim Planverfasser.64) Seine Aufgabe ist es insoweit, die Einwände der Angehörigen in Bezug auf eine mögliche Schlechterstellung im Plan zu antizipieren (siehe Rz. 17 f.), um so dem Gericht bereits für eine Vielzahl von denkbaren Konstellationen die notwendigen Argumente für ein Eingreifen des § 245 InsO an die Hand zu geben, was auch durch entsprechende, dem Plan beizufügende Vergleichsrechnungen zu unterlegen ist. 42 Für seine Ermittlungen ist das Gericht grundsätzlich bei der Wahl seiner Mittel frei, neben der Anwendung anerkannter betriebswirtschaftlicher Bewertungsmethoden kommt zudem die Hinzuziehung von Sachverständigen in Betracht (siehe oben Rz. 16), wobei Letzteres schon mit Blick auf die dadurch drohende zeitliche Verzögerung, die in eine Vertagung des Abstimmungstermins münden kann, eher die Ausnahme darstellen wird.65) III.

Angemessenheit der Beteiligung

1.

Ausgangspunkt

43 Eine Abstimmungsgruppe, die an den i. R. des Plans vorgesehenen Leistungen angemessen beteiligt wird, soll durch ihre ablehnende Abstimmung den Plan nicht verhindern können. Insofern regelt § 245 Abs. 1 Nr. 2 InsO als weitere Voraussetzung für die Zustimmungsfiktion, dass die Zustimmung einer Abstimmungsgruppe auch dann als erteilt gilt, wenn die Angehörigen dieser Gruppe angemessen an dem wirtschaftlichen Wert beteiligt werden, der den Beteiligten auf der Grundlage des Plans zufließen soll. 44 Wann von einer Angemessenheit der Beteiligung der betreffenden Gruppe auszugehen ist, wird in § 245 Abs. 2 InsO für die Gläubiger und in § 245 Abs. 3 InsO für die Anteilsinhaber abschließend festgelegt. Dem Insolvenzgericht ist es mithin nicht möglich, zu-

___________ 63) Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 48. Gerade die in der Begr. des Rechtsausschusses gezogene Parallele zu den Durchführungs- und Vollzugsvollmachten für Notarangestellte in notariellen Verträgen zeigt, dass der Gesetzgeber mit der Regelung nur einen sehr begrenzten Entscheidungsspielraum verbunden sieht. 64) Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 245 Rz. 3. 65) Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 245 Rz. 14.

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sätzliche, über Absatz 2 bzw. Absatz 3 hinausgehende Kriterien für die Angemessenheit einzuführen.66) 2.

Angemessene Beteiligung der Gläubiger

Nach § 245 Abs. 2 InsO liegt eine angemessene Beteiligung der Gläubiger vor, wenn nach 45 dem Plan die sog. Befriedigungsgrenze (§ 245 Abs. 2 Nr. 1 InsO) gewahrt und zudem die Rangvorschriften der InsO (§ 245 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 InsO) beachtet worden sind. 3.

Angemessene Beteiligung der Anteilsinhaber

Für eine Gruppe der Anteilsinhaber sind die Voraussetzungen einer angemessenen Betei- 46 ligung ähnlich denen für die Gläubiger: So ist auch nach § 245 Abs. 3 InsO von einer angemessenen Beteiligung auszugehen, wenn nach dem Plan die Befriedigungsgrenze gewahrt wird (§ 245 Abs. 3 Nr. 1 InsO) und kein ohne Plan gleichgestellter Anteilsinhaber bessergestellt wird (§ 245 Abs. 3 Nr. 2 InsO). 4.

Befriedigungsgrenze

Die Befriedigungsgrenze ist mit Blick auf eine ablehnende Gläubigergruppe gemäß § 245 47 Abs. 2 Nr. 1 InsO dann gewahrt, wenn kein „anderer Gläubiger“ wirtschaftliche Werte erhält, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen. Für ablehnende Anteilseigner gilt dies, wenn generell kein Gläubiger wirtschaftliche Werte erhält, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen (vgl. § 245 Abs. 3 Nr. 1 InsO). Unabhängig von der eigenen Stellung unter dem Insolvenzplan muss keine Abstimmungs- 48 gruppe hinnehmen, dass einer Gruppe mehr als der volle Betrag ihres Anspruchs zugewiesen wird. Mithin ist der volle Betrag des Anspruchs die Obergrenze für eine angemessene Beteiligung. Vermögensmanipulationen zum Nachteil der übrigen Angehörigen sollen so vermieden werden.67) Selbst dann, wenn die ablehnende Gruppe ebenfalls besserstehen würde, ist die Beteiligung in diesem Fall nicht angemessen. Würde für Gläubiger die Möglichkeit bestehen, sich durch die Teilnahme am Planverfahren zu bereichern, wäre dies als ein dem durch § 1 InsO festgelegten Zweck des Insolvenzverfahrens zuwiderlaufender Verfahrensverstoß anzusehen.68) Mag es prima vista einfach erscheinen zu bestimmen, ob ein Angehöriger mehr als den vollen 49 Wert seines Anspruchs erhält, so kann eine in der Zukunft liegende Leistung an den betreffenden Gläubiger bereits zu Schwierigkeiten führen. Ausgangspunkt für die Beantwortung der Frage, ob ein Gläubiger mehr als den vollen Wert seines Anspruchs erhält, ist der Betrag, den der Gläubiger im Zeitpunkt der Bewertung in bar erhalten müsste, um voll befriedigt zu sein.69) Dabei kommt es allein auf den dem betreffenden Gläubiger vertragsgemäß zustehenden Anspruch an. Probleme können sich auch dann ergeben, wenn die Ansprüche der Gläubiger durch den 50 Plan in der Weise geändert werden, dass nicht ohne Weiteres feststellbar ist, ob eine volle Befriedigung erreicht wird oder sogar darüber hinaus gehende Leistungen gewährt werden.70) Insbesondere bei absonderungsberechtigten Gläubigern, die im Falle der Regelab___________ 66) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 18; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 245 Rz. 25; Lüer/ Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 22; Pleister in: KPB, InsO, § 245 Rz. 19 – „keine Aufführung von Regelbeispielen“ in § 245 Abs. 2 InsO. 67) Grub in: FS Uhlenbruck, S. 501, 514. 68) Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 245 Rz. 27. 69) Drukarczyk/Schüler in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 68. 70) Entsprechendes Beispiel bei Drukarczyk/Schüler in: MünchKomm-InsO, § 245 Rz. 71.

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wicklung zu 100 % befriedigt würden, jedoch nach dem Plan eine Leistung erst in der Zukunft erhalten sollen, ist an eine Verzinsung zu denken.71) 51 Auch wenn Gläubiger Anteile an der Schuldnerin bekommen sollen, kann es zu Bewertungsschwierigkeiten kommen, da dann eine normale Unternehmensbewertung durchzuführen ist.72) Hier kommt es freilich nur auf den Zeitpunkt der Umsetzung des Insolvenzplans an, etwaige nachträgliche Wertsteigerungen der Anteile sind nicht zu berücksichtigen, da insoweit auch das Risiko einer gegenläufigen Entwicklung besteht.73) 5.

Absoluter Vorrang

5.1

Vorrang der nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger

52 In Bezug auf die angemessene Beteiligung der Gläubiger kommt es ferner darauf an, dass weder ein Gläubiger, der ohne einen Plan mit Nachrang gegenüber den Gläubigern der Gruppe zu befriedigen wäre, noch der Schuldner oder eine an ihm beteiligte Person einen wirtschaftlichen Wert erhält (§ 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Dabei zeigt sich schon nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift, dass beide Alternativen, „kein Wertzuwachs bei nachrangigem Gläubiger“ und „kein Wertzuwachs beim Schuldner oder einer an ihm beteiligten Person“, nebeneinander zu betrachten sind.74) 53 Die Vorschrift regelt zunächst den absoluten Vorrang der nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger vor den nachrangigen Insolvenzgläubigern. Ein weitergehendes Rangverhältnis sieht die InsO nicht vor.75) Faktisch sind mithin die nicht nachrangigen Gläubiger vor den nachrangigen Gläubigern zu befriedigen, jedoch nur bis zur Grenze von 100 % ihres Anspruchs. Überschießende Planerlöse können dann an die nachrangigen Gläubiger verteilt werden.76) 54 Der Hintergrund für diese Regelung ergibt sich aus § 225 InsO, der die unwiderlegliche Vermutung normiert, dass die Forderungen nachrangiger Insolvenzgläubiger als erlassen gelten. Diese Vorschrift beruht auf dem Gedanken, dass der auf die Gläubiger zu verteilende Unternehmenswert (unabhängig von der Art der Verwertung) in aller Regel nicht einmal ausreichen wird, die nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger voll zu befriedigen. Erhalten die nachrangigen Insolvenzgläubiger daher sowieso nichts auf ihre Forderungen, sind sie auch nicht beschwert, wenn ihre Forderungen als erlassen gelten, was wiederum die Planaufstellung erleichtert.77) 55 Den Maßstab für diesen Teil der Angemessenheitsprüfung bildet dabei allein die wirtschaftliche Stellung der widersprechenden Gläubigergruppe, da die Regelung lediglich eine Verletzung der Rangordnung zulasten der dem Plan widersprechenden Gruppe verhindern soll.78) 56 Keine Regelung zum Rangverhältnis wird hier insofern in Bezug auf die absonderungsberechtigten Gläubiger getroffen. Hintergrund ist bereits die klare Trennung beider Gläubigergruppen nach § 222 Abs. 1. InsO; die Inhaber von Absonderungsrechten sind ge___________ 71) Grub in: FS Uhlenbruck, S. 501, 511; instruktiv Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 19, der zudem noch Risikoelemente berücksichtigen will, wenn etwa den Absonderungsberechtigten zustehendes Sicherungsgut weiterhin für die Planerfüllung durch die Schuldnerin genutzt wird; dem zust. Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 245 Rz. 5. 72) Verse, ZGR 2010, 299, 321. 73) Wieneke/Hoffmann, ZIP 2013, 697, 701; dem folgend Pleister in: KPB, InsO, § 245 Rz. 27. 74) LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461, 464 = ZInsO 1999, 577. 75) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 24. 76) Pleister in: KPB, InsO, § 245 Rz. 22. 77) Braun/Frank in: Braun, InsO, § 225 Rz. 1. 78) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 9 f.

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Obstruktionsverbot

genüber den nicht nachrangigen Gläubigern auch nicht vorrangig, sondern stehen neben diesen.79) Daher muss den absonderungsberechtigten Gläubigern auch keine vollständige Befriedigung ihrer Ansprüche angeboten werden, bevor die nicht nachrangigen und die nachrangigen Insolvenzgläubiger bedient werden können.80) 5.2

Kein wirtschaftlicher Wert für Schuldner und an ihm beteiligte Personen

Neben dem absoluten Vorrang der nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger sieht § 245 Abs. 2 57 Nr. 2 InsO für die Frage der Angemessenheit ferner vor, dass weder der Schuldner noch eine an ihm beteiligte Person einen wirtschaftlichen Wert erhält, bevor nicht die dem Plan widersprechende Gruppe zuvor voll befriedigt worden ist. Die den Regelungen des amerikanischen Bankruptcy Code (namentlich 11 U.S.C § 1129 (b) (2) (B) (ii)) nachgebildete Vorschrift, die durch das SanInsFoG zudem eine Aufweichung erfahren hat (siehe dazu sogleich Rz. 69 bis 71), wirft die Frage auf, ob am Schuldner beteiligte Personen oder der Schuldner einen wirtschaftlichen Wert allein dadurch erhalten, dass das schuldnerische Unternehmen fortgeführt wird.81) Für den Fall, dass Anteile am schuldnerischen Unternehmen in der Hand der bisherigen 58 Gesellschafter verbleiben oder diese bei einer übertragenden Sanierung i. R. des Insolvenzplans Anteile an dem neuen Unternehmensträger erhalten sollen, stellt sich die Frage, ob die Fortführung des Unternehmens eine entsprechende Wertzuwendung bedeuten kann. Zu der mit dem SanInsFoG neu eingeführten Ausnahme von Absatz 2 Nr. 1 siehe Rz. 86. 5.3

Fortführung als Planziel

Das Insolvenzplanverfahren erlaubt die Fortführung des schuldnerischen Unternehmens 59 und zielt zu einem gewissen Grad auch darauf ab (vgl. nur § 227 InsO). Die Fortführung erfolgt, weil sie aus Sicht der Gläubiger der beste Weg für eine möglichst weitgehende Befriedigung ihrer Ansprüche darstellt.82) Es würde daher faktisch nie zu einer Anwendbarkeit des Obstruktionsverbots kommen, wollte man die Fortführung per se als Zuwendung an die Schuldner verstehen.83) Auch nach Auffassung des Gesetzgebers stellt nicht jede Fortführung eine Zuwendung an den Schuldner dar, sondern maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls.84) Indikation für eine Wertzuwendung an den Schuldner kann jedenfalls sein, wenn ein fremder Dritter an Stelle des Schuldners bereit gewesen wäre, das Unternehmen fortzuführen.85) ___________ 79) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 22; LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461, 464 = ZInsO 1999, 577; a. A. Herweg, Das Obstruktionsverbot bei der Unternehmenssanierung, S. 83. 80) Grub in: FS Uhlenbruck, S. 501, 515. 81) Dazu etwa Wittig, ZInsO 1999, 373, 376. 82) Dies verkennt Kresser, ZInsO 2010, 1409, 1415, wenn er fordert, dass die Altgesellschafter nur dann im Unternehmen verbleiben dürften, „wenn sie durch Zahlung an die Gläubiger diese Wertzufuhr ausgleichen“. Wenn der Erhalt des schuldnerischen Unternehmens für die Gläubiger von Vorteil ist – auch etwa nur aus der praktischen Erwägung heraus, dass die mit dem Schuldner abgeschlossenen Vertragsverhältnisse fortgeführt werden können –, und sich die Gläubiger mit einer Begrenzung ihrer Befriedigung gemäß § 227 InsO einverstanden erklären, rechtfertigt dies per se nicht, zudem noch Sanierungsbeiträge von den Gesellschaftern zu fordern. Der Erhalt des schuldnerischen Unternehmens über den Plan ist bloße Folge einer allein an den Interessen der Gläubiger ausgerichteten Entscheidung. 83) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 25. 84) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 209; dem folgend LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461, 464 = ZInsO 1999, 577; LG Mühlhausen v. 17.9.2007 – 2 T 190/06, NZI 2007, 724, 726; Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 245 Rz. 6. 85) Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 245 Rz. 29; Pleister in: KPB, InsO, § 245 Rz. 24; LG Mühlhausen v. 17.9.2007 – 2 T 190/06, NZI 2007, 724.

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60 Konkret ist auch hier eine wirtschaftliche Betrachtungsweise notwendig: Grundlage einer erfolgreichen Sanierung bei Fortführung des Schuldners ist zunächst, dass die Insolvenzgründe beseitigt werden. In der Regel bedeutet dies, dass die Überschuldung des Schuldners bilanziell beseitigt werden muss. Ist insofern allein das Haftkapital, also Stammkapital der GmbH oder Grundkapital der AG, wiederhergestellt, liegt darin noch keine Zuwendung an den Schuldner bzw. dessen Gesellschafter; Gleiches gilt, wenn sogar die Wiederherstellung des Haftkapitals nicht vollständig gelungen ist, sondern die Gläubiger nur durch entsprechende Maßnahmen, etwa Rangrücktrittserklärungen, ein die Überschuldung vermeidendes Bilanzbild herstellen können.86) 61 Braun schlägt hier gleichwohl eine teleologische Reduktion des § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO vor: Für den Fall, dass man damit argumentieren wollte, dass Gläubiger durch einen Verzicht auf Forderungen dem Schuldner etwas zuwenden, sei jedenfalls insoweit von einer angemessenen Beteiligung derjenigen Gläubiger auszugehen, denen ein solcher Verzicht als denkbare Zuwendung an den Schuldner überhaupt nicht abverlangt wird.87) Zwar entsteht durch den Erlass von Verbindlichkeiten allein bilanziell ein Vorteil für den Schuldner, es wird jedoch richtigerweise bezweifelt, ob dies von § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO erfasst werden soll, da eine Überschuldung in der Regel nur durch den Erlass von Verbindlichkeiten beseitigt werden kann; gleiches gilt für durch die Sanierung erwirtschaftete künftige Gewinne.88) 62 Nur für den Fall, in dem durch Verzichte oder Rangrücktrittserklärungen ein über das reine Haftkapital hinausgehendes positives Kapital entsteht, könnte von einer entsprechenden Zuwendung an den Schuldner bzw. die Anteilsinhaber ausgegangen werden.89) 63 Allein der Umstand, dass das schuldnerische Unternehmen bestehen bleibt, kann somit nicht bereits zur Ablehnung der Angemessenheit i. S. des § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO führen. Umgekehrt kann die Angemessenheit auch nicht nur dann angenommen werden, wenn auch die bisherigen Gesellschafter dem Schuldner Kapital zuführen.90) 64 Teilweise soll eine Zuwendung an den Schuldner bzw. an die an ihm beteiligten Personen dann vorliegen, wenn Dritten im Insolvenzplan nicht die Möglichkeit eingeräumt wird, ein besseres Angebot für die Fortführung des Unternehmens abzugeben, mithin ein exklusives Recht zur Fortführung beim Schuldner liege, was eine Wertzuwendung darstelle, und dies selbst dann, wenn seitens der am Schuldner beteiligten Personen i. R. des Insolvenzplans Leistungen zu erbringen sind.91) 65 Richtigerweise wird dem entgegengehalten, dass die fehlende Regelung eines Eintrittsrechts für Dritte zu besseren Konditionen per se keine Wertzuwendung an den Schuldner bzw. die an ihm beteiligten Personen darstellt,92) da sich für die Gläubiger daraus lediglich eine ___________ 86) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 26; ähnlich Grub in: FS Uhlenbruck, S. 501, 516; a. A. Kresser, ZInsO 2010, 1409, 1415, nach dessen Auffassung die Anteilseigner bei einer Fortführung stets profitieren. 87) Braun, NZI 1999, 473, 477, dem folgend Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 29. 88) So Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 29. 89) So Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 26; Proske/Flitsch in: Cranshaw/Paulus/Michel, Bankenkommentar, § 245 InsO Rz. 19. 90) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 27; a. A. Wittig, ZInsO 1999, 373. 91) Wittig, ZInsO 1999, 373, 379; krit. AG Osnabrück v. 12.7.2017 – 38 IN 25/15, ZInsO 2017, 1624 ff., dazu EWiR 2017, 765 (Hofmann), wonach etwa der in einer Fortführung eines Unternehmens während der Eigenverwaltung bis zum geplanten Verkauf i. R. des Plans zu sehende Eigenbetrag einen etwaigen Wertzufluss neutralisieren kann; dem zust. Schröder, ZInsO 2017, 1769, 1773. 92) Eidenmüller, ZGR 2001, 680, 702 ff.; Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 26.

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Obstruktionsverbot

entsprechende Verwertungsalternative bietet, über welche diese abstimmen können.93) Dritte können einerseits über das Planinitiativrecht des Insolvenzverwalters (§ 218 Abs. 1 Satz 1 InsO) bzw. durch einen entsprechenden Beschluss der Gläubigerversammlung nach § 157 Satz 2 InsO oder andererseits durch ein entsprechendes Angebot in der Gläubigerversammlung den Gläubigern einen attraktiveren Vorschlag unterbreiten; diese Möglichkeit muss daher nicht zwangsläufig im Plan vorgesehen werden.94) Stimmt die erforderliche Mehrheit der Abstimmungsgruppen dem Plan trotz Vorliegens 66 eines attraktiveren Drittangebots zu, ist fraglich, ob das Gericht dieses Drittangebot dann gleichwohl bei der Angemessenheitsprüfung berücksichtigen muss.95) Teilweise wird vorgebracht, dass die Angemessenheit in diesem Fall nicht angenommen und der Plan daher entgegen dem ablehnenden Votum nicht bestätigt werden könne, wenn das konkrete Angebot eines Gläubigers oder eines außenstehenden Dritten, das Unternehmen zu einem besseren Preis zu übernehmen, vorliegt.96) Ob dies im Ausgangspunkt eine Frage der Angemessenheit ist, erscheint fraglich. Denn soweit das entsprechende Angebot des Dritten tatsächlich eine wertmäßig bessere Alternative darstellt, müsste in der Regel bereits das Schlechterstellungsverbot des § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO verletzt sein. Doch auch wenn es dem Dritten darum geht, das schuldnerische Unternehmen zu erhal- 67 ten, und daher gerade der Weg über den Plan gewählt wird, sollte diese Streitfrage im Ergebnis durch den Debt Equity Swap in § 225a InsO (siehe dazu ausführlich oben Hölzle, HRI II, § 26) entschärft worden sein. Über das Instrument des Debt Equity Swaps können die Gläubiger i. R. des Insolvenzplans festlegen, wer das Unternehmen fortführt und wem insoweit ein etwaiger Wert aus der Fortführung zukommt; ein exklusives Recht zur Fortführung der am Schuldner beteiligten Personen gibt es deswegen gerade nicht.97) Machen die Gläubiger i. R. des Insolvenzplans von dieser Gestaltungsmöglichkeit indes keinen Gebrauch und stimmt die Mehrheit der Abstimmungsgruppen dem Plan trotz Vorliegens eines etwaigen Drittangebots zu, erscheint eine Berücksichtigung dieser außerhalb des Plans liegenden Verwertungsalternativen durch das Gericht, gegen die sich die Gläubiger bewusst entschieden haben, nicht mehr geboten. In zeitlicher Hinsicht kann es bei der Frage, ob in der konkreten Form der Fortführung 68 eine Wertzuwendung zu sehen ist, nur auf den Zeitpunkt der Planbestätigung und weder auf den Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch auf die künftige Entwicklung des schuldnerischen Unternehmens ankommen;98) insoweit muss auch ein etwaiges Fortführungsrisiko bei der Frage der Wertzuwendung durch die Fortführung außer Betracht bleiben.99) Durch die mit dem SanInsFoG neu eingeführten Sätze 2 und 3 von § 245 Abs. 2 InsO ist 69 eine Durchbrechung der absoluten Vorrangregel zugunsten von Konstellationen erfolgt, in denen der Schuldner eine natürliche Person ist oder bei denen Mitglieder der Geschäftsführung Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte halten. ___________ 93) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 26. 94) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 26. 95) Dafür etwa Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 26. Wegen der damit verbundenen Gestaltungsfreiheit wird man auch eine teilweise Beteiligung der Altgesellschafter am (ggf. sogar börsennotierten) Schuldner nach einem Debt Equity Swap nicht als Verstoß gegen § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO ansehen müssen, vgl. Wieneke/Hoffmann, ZIP 2013, 697, 699 f. 96) Wittig, ZInsO 1999, 373, 377 ff.; a. A. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 30. 97) So im Ergebnis bereits Eidenmüller, ZGR 2001, 680, 708 f. 98) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 27; Wittig, ZInsO 1999, 373, 377. 99) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 31 – zumindest dann, wenn die Fortführung überwiegend wahrscheinlich ist.

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§ 36 5.4

2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf Schuldner ist natürliche Person

70 Nach der Neuregelung in § 245 Abs. 2 Satz 2 ist es in Abweichung von Satz 1 Nr. 2 ausnahmsweise zulässig, dem Schuldner durch den Plan wirtschaftliche Werte zukommen zu lassen, wenn dieser eine zentrale Rolle bei der Fortführung des Unternehmens spielt.100) Konkret wird gefordert, dass die Mitwirkung des Schuldners infolge besonderer, in der Person des Schuldners liegender Umstände unerlässlich ist, um den Planmehrwert zu verwirklichen. Ferner muss sich die natürliche Person im Plan einerseits zur Fortführung des Unternehmens verpflichtet haben und andererseits dazu, die wirtschaftlichen Werte, die sie erhält oder behält, zurückzuübertragen, wenn ihre Mitwirkung aus von ihr zu vertretenden Gründen vor Ablauf von fünf Jahren oder einer kürzeren, für den Planvollzug vorgesehenen Frist endet. Angesichts des offen formulierten Tatbestandes wird richtigerweise erhebliches Konfliktpotential in der praktischen Anwendung dieser Ausnahme vorausgesehen.101) 5.5

Unternehmerisch beteiligte Geschäftsführer

71 Über § 245 Abs. 2 Satz 3 wird die vorstehende Ausnahmeregelung auf geschäftsführende Inhaber von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten am Schuldner erweitert. Die Voraussetzungen für die Ausnahme und die sich anschließenden Fragestellungen sind insofern deckungsgleich. 6.

Keine Besserstellung gleicher Ränge

72 Schließlich ist es für die Beantwortung der Frage, ob eine Abstimmungsgruppe im Insolvenzplan angemessen beteiligt worden ist, auch entscheidend, ob Gläubiger oder Anteilsinhaber durch den Insolvenzplan bessergestellt werden, obwohl sie ohne Plan gleichrangig mit der betreffenden Abstimmungsgruppe befriedigt werden müssten. 6.1

Für Gläubiger

73 Ist für die Frage einer angemessenen Beteiligung der Gläubiger entscheidend, dass kein Gläubiger, der ohne einen Plan gleichrangig mit den Gläubigern der Gruppe zu befriedigen wäre, bessergestellt wird als diese Gläubiger (§ 245 Abs. 2 Nr. 3 InsO), stellt dies ein Korrektiv für die grundsätzliche Freiheit des Planerstellers zur Bildung von Gruppen dar. Die richtige Gruppenbildung (siehe ausführlich oben Haneke, HRI II, § 24) bildet einen entscheidenden Erfolgsfaktor für den vorgelegten Insolvenzplan: Strukturelemente sind dabei die Aufteilung einer Gläubigergruppe, deren Zustimmung als sicher unterstellt wird, in mehrere Gruppen, um die Mehrheit der für den Plan stimmenden Gruppen zu vergrößern, die Festlegung einer ungeraden Gruppenanzahl und natürlich die auf die Interessen der einzelnen Gläubigergruppen abgestimmten Regelungen im Insolvenzplan.102) Solange der Rahmen des § 222 InsO eingehalten wird, steht einer Gruppenbildung allein mit dem Ziel, die Zustimmung zum Plan – ggf. auch über § 245 InsO – zu erreichen, nichts entgegen;103) ein allgemeines Missbrauchsverbot als ungeschriebene Grenze der Gruppenbildung ist nicht anzuerkennen. ___________ 100) Die Regelung entspricht im Wesentlichen § 28 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG, wobei dort anders als in der InsO jegliche am Schuldner beteiligte Personen begünstigt werden können. 101) Pleister in: KPB, InsO, § 245 Rz. 25a – unter Verweis auf Thole, ZIP 2020, 1985, 1990; s. a. Braun/ Frank in: Braun, InsO, § 245 Rz. 24 ff. 102) Liebig/Witt, DB 2011, 1929, 1931. 103) Stapper, ZInsO 2009, 2361, 2365 – „Planzustimmung ist legitimes Ziel der Gruppenbildung“.

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§ 36

Obstruktionsverbot

Die Benachteiligung einer Gläubigergruppe gegenüber einer anderen gleichrangigen Gruppe 74 gegen deren Willen soll indes ausgeschlossen werden; insofern findet die freie Gruppenbildung zur Erreichung der erforderlichen Mehrheiten für den Plan hier ihre praktischen Grenzen.104) Faktisch bedeutet dies, dass unabhängig davon, welche Gruppen innerhalb der nicht nachrangigen Gläubiger gebildet werden (etwa Lieferanten oder Finanzgläubiger etc.), diese stets gleichbehandelt werden müssen, damit das Obstruktionsverbot zur Anwendung kommen kann.105) Im Ergebnis führt jede Besserstellung einer Gläubigergruppe gegenüber gleichrangigen Gläubigern zu einer Ablehnung der angemessenen Beteiligung und steht damit einer Bestätigung des Plans entgegen,106) wenn die betroffene Gläubigergruppe dem nicht ausdrücklich unter den Voraussetzungen des § 244 InsO ausnahmsweise zugestimmt hat. Insofern schützt § 245 InsO die gesamte betroffene Gläubigergruppe. Für eine Ungleichbehandlung (auch aus „vernünftigen Gründen“) ist i. R. des § 245 Abs. 3 Nr. 3 InsO kein Raum.107) 6.2

Wirtschaftliche Betrachtung

Ob eine entsprechende Gleichbehandlung vorliegt, ist dann unschwer zu bejahen, wenn 75 etwa allen gleichrangigen Gläubigern unter dem Plan die gleiche prozentuale Quote gewährt wird. Schwierigkeiten ergeben sich jedoch, wenn einer Gläubigergruppe eine sofortige und einer anderen erst eine verzögerte Zahlung angeboten wird. Dem Gericht stellen sich hier die gleichen wirtschaftlichen Problemstellungen, wie bereits oben für die i. R. des § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO notwendige Vergleichsrechnung ausgeführt (siehe Rz. 11 ff.): Das bedeutet, auch hier ist eine wirtschaftliche Vergleichsbetrachtung vorzunehmen108) und eine mögliche Abzinsung (die Ausführungen zur Berücksichtigung einer Abzinsung in Rz. 28 ff. gelten hier entsprechend.) zu berücksichtigen, die eine Wertentscheidung des Gerichts erfordert.109) Auch für diesen Fall könnte sich die Aufnahme einer salvatorischen Klausel empfehlen,110) die der betreffenden Gläubigergruppe eine ausgleichende Zusatzzahlung zuweist, sollte nach Auffassung des Gerichts eine Ungleichbehandlung gleichrangiger Gläubiger vorliegen. Fraglich ist, ob auch das Verhalten des Insolvenzverwalters während des Verfahrens Aus- 76 wirkungen auf die Frage nach einer Schlechterstellung bestimmter Gläubigergruppen haben kann. Namentlich Undritz hat – soweit ersichtlich – erstmals die Frage aufgeworfen, ob eine Erklärung des Insolvenzverwalters über die Nichterfüllung eines Vertrages nach § 103 InsO gegenüber bestimmten Vertragspartnern eine i. R. von § 245 InsO zu berücksichtigende Ungleichbehandlung gegenüber wirtschaftlich gleichstehenden Gläubigern darstellen

___________ 104) Hingerl, ZInsO 2007, 1337, 1338; ebenso AG Köln v. 14.11.2017 – 73 IN 173/15, ZInsO 2018, 195 ff.; krit. Smid, ZInsO 2019, 1981 ff., der bei der Ungleichbehandlung von nicht-nachrangigen Gläubigern, die in unterschiedliche Gruppen innerhalb desselben Ranges eingeteilt werden, keinen Verstoß gegen das absolute Prioritätsprinzip des § 245 InsO sieht. 105) Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 245 Rz. 30; einer Gleichbehandlung von absonderungsberechtigten und nicht nachrangigen Gläubigern bedarf es jedenfalls nicht, vgl. auch LG Magdeburg v. 7.12.2005 – 3 T 632/05, juris. 106) LG Göttingen v. 7.9.2004 – 10 T 78/04, ZInsO 2004, 1318, 1320; dazu krit. nun Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 32. 107) LG Magdeburg v. 25.4.2001 – 3 T 12/01, NZI 2001, 326, 327. Dies wird teilweise als zu starke Einschränkung für die Planerstellung angesehen; daher für eine Aufweichung der Gleichbehandlung de lege ferenda Stapper, ZInsO 2009, 2361, 2365. 108) Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 245 Rz. 7. 109) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 31. 110) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 32.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

kann.111) Fraglich ist mithin, ob aus dem Verwalterverhalten eine Schlechterstellung resultieren kann, die i. R. des § 245 InsO zu berücksichtigen wäre. 77 Dies könnte dann der Fall sein, wenn man in der Fortsetzung eines bereits vor Insolvenzeröffnung bestehenden Schuldverhältnisses eine Vermögenszuwendung sehen wollte. Unabhängig davon, dass sich diese Frage auch bei der Verwertung i. R. einer übertragenden Sanierung stellen könnte, spricht dagegen zunächst, dass für die Frage der Ungleichbehandlung von Abstimmungsgruppen deren Stellung im Insolvenzverfahren als Gläubiger zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens maßgeblich ist; dies ergibt sich schon aus § 38 InsO. Entscheidungen, die der Insolvenzverwalter nach Eröffnung trifft, erfolgen im Interesse aller Gläubiger an einer bestmöglichen Verwertung des schuldnerischen Vermögens und lassen die Ansprüche der Insolvenzgläubiger insofern unberührt.112) Ob der Verwalter Erfüllung wählt oder die Erfüllung ablehnt, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Er hat sich bei seiner Entscheidung allein daran zu orientieren, was für die Masse günstiger ist;113) wie Drittinteressen (auch Partikularinteressen des einzelnen Gläubigers) hiervon betroffen sind, ist unmaßgeblich. 78 Ferner erfordert die Fortsetzung eines Schuldverhältnisses von dem betreffenden Gläubiger auch die seinerseitige Leistungserbringung, so dass man schon Zweifel daran bekommen könnte, ob durch die Fortsetzung des Vertrags und den damit verbundenen Leistungsaustausch dem Gläubiger überhaupt etwas zugewendet wird. Da man davon ausgehen kann, dass der Vertragspartner mit Gewinnerzielungsabsicht am Markt tätig ist, könnte man hier auf die mit der Vertragsdurchführung erzielte Marge abstellen, doch wäre auch dies eine Leistung auf die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachte Gegenleistung und würde keine ungleiche Behandlung von Insolvenzgläubigern und deren bei Eröffnung des Verfahrens bestehenden Forderungen darstellen; diese bleiben durch die Fortsetzung des Vertrags unberührt. Veranschaulicht man sich, dass der Gläubiger, dessen Vertragsverhältnis durch den Insolvenzverwalter fortgeführt wird, dem Schuldner bzw. Verwalter wie jeder andere dritte Leistungserbringer gegenübersteht, mag die Fortsetzung ihrer Verträge für manche Vertragspartner zwar eine glückliche Fügung114) darstellen, aber die Vertragspartner, deren Verträge beendet worden sind, haben per se die gleichen Möglichkeiten, ihre Leistung gegenüber Dritten zu erbringen, mag dies im Einzelfall auch aufgrund der Marktsituation schwierig sein. Eine Fortsetzung von Schuldverhältnissen durch den Verwalter kann daher nicht in einer Art Gesamtbetrachtung i. R. des § 245 InsO Berücksichtigung finden, da es dort allein um die Art und Weise der Befriedigung der Insolvenzforderungen unter dem Plan geht. 6.3

Für Anteilsinhaber

79 Ähnlich wie für die Gläubiger wird für die Angemessenheit einer Beteiligung der Anteilsinhaber darauf abgestellt, dass kein Anteilsinhaber, der ohne einen Plan den Anteilsinhabern ___________ 111) Undritz, ZGR 2010, 201, 214. In dem von ihm beschriebenen Beispielsfall hatte der Verwalter aus Gründen der Überkapazität bestimmte Leasingverträge nach § 103 InsO beendet, andere Leasingverträge indes aufrechterhalten. Die Leasinggeber, deren Verträge beendet wurden, hatten darin eine gegen § 245 InsO verstoßende Ungleichbehandlung ausgemacht, da die anderen Leasinggeber bei erfolgreicher Fortführung vollständig befriedigt werden würden, während die Leasinggeber, deren Verträge nicht fortgesetzt werden, nur eine vergleichsweise geringe Quote bekommen würden und auch eine anderweitige Verwertung des Leasingguts wegen eines schwierigen Marktumfelds nur zu schlechteren Bedingungen möglich war. 112) Fehl-Weileder in: Braun, InsO, § 103 Rz. 2. 113) Balthasar in: Nerlich/Römermann, InsO, § 103 Rz. 37. 114) Im von Undritz, ZGR 2010, 201, 214, vorgestellten Fall gab es zur Beseitigung der Überkapazität keine objektiven Kriterien, warum bestimmte Verträge fortgesetzt wurden und andere Vertragspartner „Pech“ gehabt hatten.

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§ 36

Obstruktionsverbot

der Gruppe gleichgestellt wäre, bessergestellt wird als diese (§ 245 Abs. 3 Nr. 2 InsO). Im Ausgangspunkt gilt hier also, dass sämtliche Anteilsinhaber nicht zwangsläufig gleichbehandelt werden müssen, wenn durch den Plan in ihre Rechte eingegriffen worden ist.115) Sofern sachgerechte Abgrenzungskriterien im Hinblick auf ihre wirtschaftlichen Interessenlagen bestehen, können unterschiedliche Gruppen gebildet werden. Der Gesetzgeber hat hier beispielhaft dargelegt, dass, wenn etwa die Angehörigen einer Gruppe der geringfügig beteiligten Anteilsinhaber i. S. von § 222 Abs. 3 Satz 2 InsO (siehe dazu oben Hölzle, HRI II, § 26 Rz. 39) nach dem Plan mehr bekommen sollen als die übrigen rechtlich gleichstehenden Anteilsinhaber, die fehlende Zustimmung der Gruppe dieser übrigen Anteilsinhaber nicht durch das Obstruktionsverbot überwunden werden kann.116) Auch ein kompensationsloses Ausscheiden nur einzelner Gesellschafter wird man als Verstoß des Besserstellungsverbots ansehen müssen.117) Ob man indes i. R. des § 245 Abs. 3 Nr. 2 InsO keine wirtschaftliche, sondern eine mitgliedschaftsbezogene Betrachtung vornehmen muss,118) erscheint fraglich. Eine etwaige Ungleichbehandlung der Anteilsinhaber, sei es durch die unterschiedliche Gewährung von Bezugs- oder Stimmrechten oder auch das Ausscheiden einzelner gegen Abfindung und den Verbleib anderer als Gesellschafter des Schuldners, wird man i. R. des Besserstellungsverbots weiterhin wirtschaftlich betrachten müssen, in dem die mit unterschiedlichen Rechten versehenen Anteile der am Schuldner beteiligten Personen nach ihrem wirtschaftlichen Wert ins Verhältnis gesetzt werden müssen.119) IV.

Zustimmung der Mehrheit der Gruppen

1.

Zustimmungserfordernis und Anwendungsgrenzen

Nach § 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist schließlich Voraussetzung für die Zustimmungsfiktion, 80 dass die Mehrheit der abstimmenden Gruppen dem Plan mit den erforderlichen Mehrheiten zugestimmt hat; dabei kommt es weder darauf an, dass eine Kopfmehrheit, noch dass eine Summenmehrheit für den Plan stimmt. Erreicht der Plan mithin nicht die Mehrheit der Gruppen, ist ihm die Bestätigung zu versagen, selbst wenn dadurch eine Minderheit die Mehrheit der Gläubiger majorisieren würde; dies entspricht dem gesetzgeberischen Willen.120) Das Obstruktionsverbot kann aber nur dann Anwendung finden, wenn eine oder mehrere 81 Abstimmungsgruppen dem Plan ihre Zustimmung verweigert haben und andere – die Mehrheit der Gruppen – dem Plan zugestimmt haben. Auch für den Ausnahmefall, dass der Plan eine Schlechterstellung der Gläubiger gegenüber der Regelverwertung vorsieht, sich jedoch keine Abstimmungsgruppe gegen den Plan wendet, findet keine Prüfung des Schlechterstellungsverbots von Amts wegen statt.121) Bei einer ablehnenden Gruppe bedarf es mithin mindestens zwei zustimmenden Abstimmungsgruppen, wobei es keine Rolle spielt, ob es sich um Pflichtgruppen oder um fakultative Gruppen handelt.122) Folglich ist die Anwendbarkeit des Obstruktionsverbots ausgeschlossen, wenn der Plan weniger als drei Abstimmungsgruppen vorsieht.123) ___________ 115) 116) 117) 118) 119) 120) 121) 122) 123)

Ebenso Pleister in: KPB, InsO, § 245 Rz. 29. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 51. Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 127 f. Wertenbruch, ZIP 2013, 1693, 1703. So auch Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 245 Rz. 35. Hingerl, ZInsO 2007, 1337, 1338. Grub in: FS Uhlenbruck, S. 501, 509. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 245 Rz. 1. Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 245 Rz. 11; AG Düsseldorf v. 30.3.2020 – 513 IK 220/17, ZInsO 2020, 1328 f.

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§ 36

2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

82 Das Erfordernis der Zustimmung der Mehrheit der Gruppen ist teilweise auf Kritik gestoßen:124) So soll es einer Gruppe von Gläubigern ohne schützenswertes Interesse möglich sein, gegen den Plan zu stimmen bzw. mit einem entsprechenden Abstimmungsverhalten zu drohen, um sich die Zustimmung zum Plan abkaufen zu lassen.125) Dieser Befund ist zwar richtig, gleichwohl würde sich auch ohne Mehrheitserfordernis in § 245 InsO nicht gänzlich ausschließen lassen, dass Gläubiger versuchen, ihr Stimmrecht missbräuchlich einzusetzen. 83 Keine Rolle spielt es, aus welchen Motiven eine Abstimmungsgruppe ihre Zustimmung verweigert. Die gerichtliche Entscheidung i. R. des § 245 InsO behandelt mithin nicht nur die Aspekte einer konkret begründeten Ablehnung, sondern das Obstruktionsverbot greift immer dann ein, wenn die erforderlichen Mehrheiten für den Plan nicht erreicht sind.126) 84 Die Freiheit der Gruppenbildung bildet eine der Grundlagen, um – durch entsprechende Gestaltung – eine möglichst breite Akzeptanz für den Plan zu erreichen. Um die erforderliche Zustimmung zum Plan zu bekommen, ist es indes kein Einzelfall, dass sich bestimmte Gläubigergruppen auch außerhalb des Plans miteinander verständigen und vor dem Hintergrund einer einheitlichen Abstimmung ggf. Erlöse aus dem Plan zwischen ihnen vom Plan abweichend allokieren.127) Ob derartige Abreden, die man vergleichbar den aus dem Gesellschaftsrecht bekannten Stimmbindungsvereinbarungen für zulässig erachten muss, Motiv für ein bestimmtes Abstimmungsverhalten darstellen, ist bei der Frage nach dem Vorliegen der Mehrheit ebenfalls ohne Belang.128) 2.

Keine Zustimmungsfiktion

85 Auch genügt es nicht, wenn die Zustimmung einer Abstimmungsgruppe, etwa nach § 246 InsO in Bezug auf die nachrangigen Gläubiger oder nach § 246a InsO in Bezug auf die Anteilsinhaber, fingiert wird, da die Anwendung des § 245 InsO tatsächlich die Zustimmung der betreffenden Abstimmungsgruppe erforderlich macht.129) V.

Einschränkung für Inhaber von gruppeninternen Drittsicherheiten

86 Mit dem SanInsFoG wurde § 245 InsO um einen neuen Absatz 2a ergänzt: Dieser sieht vor, dass die Zustimmung von Gläubigern, denen gruppeninterne Drittsicherheiten zustehen, nur insoweit fingiert werden kann, als sie für den ihnen zustehenden Wert der Sicherheit eine angemessene Entschädigung erhalten.130) Da Inhaber von Rechten aus Dritt___________ 124) Nach Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 2, muss bereits die Zustimmung einer Gruppe ausreichen, die gegenüber der Regelabwicklung bessergestellt ist, wenn nur die übrigen Gläubigergruppen nicht schlechterstehen. Dies stellt nach dem Sinn und Zweck des § 245 InsO eine nachvollziehbare Auffassung dar, Raum für eine teleologische Auslegung über den klaren Wortlaut des § 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO hinaus wird indes kaum vorhanden sein. 125) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 2. 126) Grub in: FS Uhlenbruck, S. 501, 510. 127) Dies schließt natürlich auch die Möglichkeit von Abreden außerhalb des Insolvenzplans über andere Sanierungsbeiträge – auch sonst nicht am Plan beteiligter Dritter – ein. Ob man diese rechtstechnisch in den Plan (etwa in eine Anlage) aufnimmt oder gesondert, ggf. nur aufschiebend bedingt auf das Wirksamwerden des Plans, abschließt, sollte im Einzelfall entschieden werden. Ist eine derartige Vereinbarung Teil des Plans, wird man sie damit richtigerweise auch als den insolvenzrechtlichen Planregelungen unterworfen ansehen müssen, womit auch eine etwaige Formbedürftigkeit von Willenserklärungen mit der Rechtskraft der Bestätigung des Plans in entsprechender Anwendung von § 254 Abs. 1 Satz 2 InsO als gewahrt gelten müsste (dazu umfassend Eidenmüller, ZGR 2001, 680, 689 ff.). 128) Im Ergebnis wohl auch Pleister in: KPB, InsO, § 245 Rz. 35. 129) Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 245 Rz. 2; Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 245 Rz. 11; so schon Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 209. 130) So i. E. Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 201.

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Obstruktionsverbot

sicherheiten nach § 222 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 InsO eine eigene Gruppe bilden, gelten die Regelungen des § 245 Abs. 1 und 2 InsO im Grundsatz auch für diese Gruppe. Der neue Absatz 2a schränkt dies nun entsprechend ein, damit die Entschädigungspflicht aus § 223a Satz 2 nicht durch die Bestimmungen zum Obstruktionsverbot umgangen werden kann.131) VI.

Salvatorische Klausel im Plan

Ob die praktischen Probleme, die mit der Frage nach einer Schlechterstellung einer Ab- 87 stimmungsgruppe bzw. der Angemessenheit ihrer wirtschaftlichen Beteiligung verbunden sind, durch eine salvatorische Klausel132) im Insolvenzplan gelöst werden können, ist fraglich. Die salvatorische Klausel soll es dabei ermöglichen, den Beschluss über die Bestätigung des Insolvenzplans von der Entscheidung über eine angemessene Gläubigerbeteiligung bzw. deren Schlechterstellung zu lösen. 1.

Salvatorische Klausel zum Minderheitenschutz

Schon zur Einführung der InsO hatte der Gesetzgeber für den Minderheitenschutz nach 88 § 251 InsO vorgeschlagen, dass etwaigen Zweifeln seitens des Gerichts, ob die Interessen einer überstimmten Minderheit im Plan angemessen berücksichtigt worden sind, dadurch begegnet werden könne, dass im Plan zusätzliche Leistungen an solche Angehörige vorgesehen werden, die dem Plan widersprechen und den Nachweis führen, dass sie ohne solche Zusatzleistungen durch den Plan schlechtergestellt werden als ohne einen Plan, wenn die Finanzierung solcher zusätzlichen Leistungen zur Erreichung einer angemessenen Beteiligung gesichert ist;133) dies ist nun in § 251 Abs. 3 InsO umgesetzt. 2.

Salvatorische Klauseln für Anwendung des Obstruktionsverbots

Insbesondere durch § 251 Abs. 3 Satz 1 InsO, nach welchem ein Antrag auf Minderheiten- 89 schutz abzuweisen ist, wenn im gestaltenden Teil des Plans Mittel für den Fall bereitgestellt werden, dass ein Angehöriger eine Schlechterstellung nachweist, hat die Diskussion um die Zulässigkeit salvatorischer Klauseln im Plan neue Nahrung erhalten. Nach Auffassung des Gesetzgebers besteht wegen dieser Regelung Klarheit über die Frage der Zulässigkeit salvatorischer Klauseln im Insolvenzplan und diese sind als mit § 226 InsO vereinbar anzusehen.134) Der vom Gesetzgeber zur Einführung der InsO in der Gesetzesbegründung angedeutete 90 Vorschlag zur Nutzung salvatorischer Klauseln i. R. des Minderheitenschutzes war auf mehreren Ebenen auf Kritik gestoßen: Einerseits sollte ein Verstoß gegen das zwingende Gleichbehandlungsgebot (§ 250 Nr. 1, § 226 InsO) vorliegen, wenn die Klausel nur für die widersprechenden Gläubiger Zusatzleistungen vorsieht. Andererseits würde eine salvatorische Klausel, die Zusatzleistungen für eine Gruppe von Gläubigern vorsieht, den gesamten Plan in Frage stellen, da sie eine Schlechterstellung der betreffenden Gläubigergruppe bereits implizieren würde.135) ___________ 131) Pleister in: KPB, InsO, § 245 Rz. 25h; Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsR, § 245 InsO Rz. 14e. 132) Der Begriff der salvatorischen Klausel hat sich insbesondere im Vertragsrecht etabliert und meint eine in Abweichung zu § 139 BGB vorgesehene Erhaltung des Vertrags auch für den Fall, dass Teilregelungen unwirksam sein sollten, wobei eine solche Klausel die Gesamtnichtigkeit des Vertrags nicht verhindert, sondern lediglich die Beweislast auf die Partei verlagert, die sich auf die Gesamtnichtigkeit berufen will (vgl. etwa BGH v. 4.2.2010 – IX ZR 18/09, NJW 2010, 1364, 1366). 133) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 212. 134) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 52; dem zust. wohl Smid, DZWIR 2010, 397, 403. 135) Vgl. etwa Grub in: FS Uhlenbruck, S. 501, 512 f.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

91 Durch die bewusste gesetzgeberische Entscheidung, dass salvatorische Klauseln im Plan vorgesehen werden können, wird man ihre Zulässigkeit im Insolvenzplan zunächst generell anerkennen müssen.136) Ferner erscheint auch der Hinweis auf einen möglichen durch die salvatorische Klausel verursachten Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot bei Lichte besehen nicht überzeugend: Da jeder Gläubiger die Möglichkeit hat, den Individualschutz nach § 251 InsO geltend zu machen, findet die salvatorische Klausel auch auf jedes Mitglied dieser Gläubigergruppe Anwendung; das gruppenbezogene Gleichstellungsgebot des § 226 Abs. 1 InsO ist mithin nicht verletzt.137) Auch eine implizite Schlechterstellung kann darin nicht gesehen werden, da die salvatorische Klausel nur den Streit über die Schlechterstellung außerhalb des Bestätigungsverfahrens verlagern will, um zeitliche Verzögerungen zu vermeiden. 92 Ob man den Gedanken des Minderheitenschutzes durch Regelung einer salvatorischen Klausel im Plan auch auf die Frage nach dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 245 InsO erstrecken kann,138) erscheint nicht unproblematisch. So fehlt es gerade in § 245 InsO an einer mit § 251 Abs. 3 InsO vergleichbaren Regelung. Auch spricht die unterschiedliche Beweislastregel des § 251 InsO, der – anders als § 245 InsO – gerade nicht von Amts wegen geprüft wird, gegen die Annahme, mit einer salvatorischen Klausel in Bezug auf § 245 InsO könne die Prüfung der Voraussetzungen der Norm quasi obsolet werden. § 251 Abs. 3 InsO erfordert für die Anwendbarkeit der salvatorischen Klausel nämlich den Nachweis der Schlechterstellung durch den Antragsteller; dies muss bei § 245 Abs. 1 InsO nicht erfolgen. Jaffé zeigt mithin richtigerweise auf, dass eine salvatorische Klausel die gerichtliche Prüfung nach § 245 InsO zur Wahrung des Minderheitenschutzes nicht vollständig ersetzen, sondern diese nur flankieren kann.139) Im Ergebnis wird man eine salvatorische Klausel i. R. des § 245 InsO zwar für zulässig erachten können.140) Die salvatorische Klausel entbindet das Gericht jedoch nicht von seiner prognostischen Entscheidung in Bezug auf die Schlechterstellung, sondern wird nur dazu dienen, diese im Einzelfall zu erleichtern. 93 Zur Absicherung der Gleichstellung der betroffenen Gläubiger durch die salvatorische Klausel sind die finanziellen Mittel im Plan in der Regel in Form einer Rückstellung vorzuhalten. Auch die Bürgschaft oder Garantie eines Dritten sind denkbare Absicherungsmöglichkeiten.141) Bei entsprechend massestarken Verfahren könnten die für die Gleichstellung erforderlichen Mittel auch den nachrangigen Gläubigern entzogen werden. Zeigt sich im Nachhinein, dass die für ein Eingreifen der salvatorischen Klausel zurückgestellten Mittel tatsächlich nicht benötigt werden, können sie im Verhältnis der i. Ü. zwischen den Angehörigen nach dem Insolvenzplan zu verteilenden Mittel ausgekehrt werden.142)

___________ 136) A. A. Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 245 Rz. 15, der die Nichterwähnung bei § 245 InsO als bewusste gesetzgeberische Entscheidung gegen die Zulässigkeit von salvatorischen Klauseln i. R. des Obstruktionsverbots deutet. 137) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 43. 138) Dafür Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 17; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 46 ff., spricht insofern von „Obstruktionsklauseln“. 139) Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 245 Rz. 43 f., der bei der Anwendung salvatorischer Klauseln i. R. des § 245 InsO jedoch zur Zurückhaltung mahnt („kein Allheilmittel“). 140) Pleister in: KPB, InsO, § 245 Rz. 41; eine entsprechende Klausel könnte etwa beispielhaft wie folgt lauten: „Für den Fall, dass eine Abstimmungsgruppe durch den Plan schlechtergestellt wird, als sie ohne Plan stünde, verpflichten sich die übrigen Angehörigen, die Angehörigen dieser Abstimmungsgruppe so zu stellen, wie sie stünden, wenn die Abwicklung ohne Plan erfolgt wäre.“ 141) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 43. ff. 142) Tan/Lambrecht, NZI 2019, 249, 255.

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Obstruktionsverbot

Wichtig ist es zudem, die salvatorische Klausel in ihrer Geltung zeitlich zu beschränken, da- 94 mit klar ist, wie lange ein entsprechender Anspruch ggf. geltend gemacht werden kann.143) Nach § 251 Abs. 3 Satz 2 InsO ist die Frage, ob der den Minderheitenschutz geltend ma- 95 chende Angehörige einen Ausgleich aus den für die salvatorische Klausel vorgesehenen Mitteln erhält, außerhalb des Insolvenzverfahrens zu klären. Damit soll ein Rechtsstreit über den finanziellen Ausgleich, der vor den ordentlichen Gerichten zu führen ist, die Planbestätigung sowie die Aufhebung des Planverfahrens nicht verzögern.144) Gleiches wird man insofern auch für die Frage einer Schlechterstellung bzw. einer angemessenen Beteiligung i. R. des § 245 InsO annehmen können. VII. Verfahren und Rechtsmittel 1.

Verfahren

Wenn es an den nach § 244 InsO erforderlichen Mehrheiten fehlt, prüft das Gericht die 96 Voraussetzungen des § 245 InsO von Amts wegen. Es ist mithin kein Antrag des Planerstellers auf Prüfung der Voraussetzungen notwendig. Für den Fall, dass die Voraussetzungen des § 245 InsO gegeben sind, gilt die Zustimmung der opponierenden Abstimmungsgruppe als erteilt. Diese Feststellung wird durch das Insolvenzgericht ins Protokoll aufgenommen. Faktisch geschieht dies durch die gerichtliche Bestätigung des Plans nach § 248 InsO.145) 2.

Rechtsmittel

Gemäß § 18 RPflG ist das Insolvenzplanverfahren unter den Vorbehalt des Richters ge- 97 stellt.146) Die Bestätigung des Insolvenzplans, in dessen Rahmen die Voraussetzungen des § 245 InsO geprüft werden,147) wird daher durch den Richter getroffen. Die Feststellung des Gerichts, dass die Zustimmung über § 245 InsO als erteilt gilt, kann 98 nicht selbstständig angefochten werden.148) Rechtsmittel gegen die Anwendung des § 245 InsO durch den Insolvenzrichter sieht das Gesetz nicht vor. Den Angehörigen ist es erst möglich, gegen die Planbestätigung mit der sofortigen Be- 99 schwerde nach § 253 InsO vorzugehen oder aber den einzelgläubigerbezogenen, individuellen Minderheitenschutz nach § 251 InsO geltend zu machen, der allein dann zulässig ist, wenn der betreffende Gläubiger die Schlechterstellung gegenüber dem Gericht glaubhaft machen kann.149) Sinnvollerweise wird ein den Plan ablehnendes Votum durch die betreffende Abstimmungsgruppe in der Regel von einem Antrag nach § 251 InsO durch die einzelnen Gläubiger oder die am Schuldner beteiligten Personen flankiert. Ob durch die Beschwerde eine erneute Überprüfung der Kriterien des § 245 InsO „durch 100 die Hintertür“,150) geltend gemacht werden kann, ist fraglich151). Jedenfalls wird man bereits ___________ 143) Braun/Frank in: Braun, InsO, § 245 Rz. 48; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 245 Rz. 44 – hält hier drei Monate für ausreichend. 144) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 52. 145) Undritz, ZGR 2010, 201, 213. 146) Dies ist vielfach kritisiert worden, vgl. etwa Erdmann, ZInsO 2010, 1437. 147) Braun/Frank in: Braun, InsO, § 248 Rz. 3. 148) Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 245 Rz. 12. 149) BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 10/06, NZI 2007, 522. 150) Heublein, NZI 2005, 381. 151) Wegen der regelmäßigen Eilbedürftigkeit der Entscheidung i. R. des Freigabeverfahrens nach § 253 Abs. 4 InsO tritt jedenfalls dort die materielle Nachprüfung in den Hintergrund, LG München v. 28.11.2018 – 14 T 12593/18, AG 2019, 576 ff.

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§ 36

2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

für die Zulässigkeit der Beschwerde, namentlich das betreffende Rechtsschutzbedürfnis, eine materielle Beschwer des betreffenden Beschwerdeführers fordern müssen,152) was sich ausdrücklich aus § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO ergibt. Die Bedeutung der tatrichterlichen Entscheidung bestätigt insofern auch eine Entscheidung des BGH zu § 245 InsO, nach der die Frage der Angemessenheit im Rechtsbeschwerdeverfahren generell nur eingeschränkt nachgeprüft werden kann.153)

___________ 152) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 7. 153) BGH v. 26.4.2007 – IX ZB 5/06, ZInsO 2007, 713, die ersichtlichermaßen einzige Entscheidung des BGH, die sich ansatzweise inhaltlich mit § 245 InsO auseinandergesetzt hat.

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§ 37 Planbestätigung Westpfahl

I. Funktion der Bestätigung.......................... 1 II. Formelle Voraussetzungen für die Bestätigung ..................................... 2 1. Bestätigung eines Insolvenzplans................ 2 1.1 Annahme durch die Gläubiger und Zustimmung des Schuldners ................................. 2 1.2 Konkurrierende Insolvenzpläne....... 3 1.3 Anhörung der Beteiligten ............... 9 2. Bestätigung einer Planberichtigung .......... 13 2.1 Bevollmächtigung des Insolvenzverwalters im Insolvenzplan.... 13 2.2 Anhörung der Beteiligten ............. 15 III. Materieller Prüfungsumfang ................... 18 1. Grundsatz der vollständigen Überprüfung............................................... 18 2. Versagung von Amts wegen ...................... 20 2.1 Wesentliche Mängel (§ 250 Nr. 1 InsO) ........................ 21 2.1.1 Verstoß gegen Vorschriften über den Inhalt des Insolvenzplans................................................ 22 2.1.2 Verstoß gegen Verfahrensvorschriften.................................... 29 2.1.3 Verstöße gegen die Vorschriften über die Annahme durch die Beteiligten ................................ 46

2.1.4

Verstoß gegen die Vorschriften über die Zustimmung des Schuldners ............................... 47 2.1.5 Behebbarkeit des Mangels............. 48 2.2 Unlautere Herbeiführung der Annahme des Plans (§ 250 Nr. 2 InsO) ........................ 49 2.2.1 Unlautere Maßnahme.................... 50 2.2.2 Handelnde Personen ..................... 55 2.2.3 Kausalität........................................ 56 2.3 Nichteintritt von Bedingungen .... 57 2.3.1 Erbringung bestimmter Leistungen...................................... 60 2.3.2 Verwirklichung anderer Maßnahmen ................................... 64 2.3.3 Art der Bedingung......................... 65 2.3.4 Gerichtliche Fristsetzung ............. 67 2.3.5 Rechtsmittel................................... 70 3. Versagung auf Antrag eines Beteiligten.... 71 IV. Gerichtliche Entscheidung ...................... 72 1. Zuständigkeit.............................................. 72 2. Gebundene Entscheidung.......................... 73 3. Verkündung des Beschlusses..................... 74 4. Rechtsfolgen des Beschlusses.................... 76 4.1 Beschwerderecht............................ 76 4.2 Versagung der Bestätigung ........... 78 4.3 Bestätigung des Insolvenzplans .... 79

Literatur: Berscheid, Beteiligung des Betriebsrats im Eröffnungsverfahren, nach Verfahrenseröffnung und im Insolvenzplan, ZInsO 1999, 27; Brinkmann/Denkhaus/Horstkotte/Schmidt/Westpfahl/Wierzbinski/ Ziegenhagen, Evaluierung des ESUG, Sanierungskultur im Jahr 2017 – Zwischenbilanz und Ausblick, ZIP 2017, 2430; Brünkmans, Präklusions- und Ausschlussklauseln in Insolvenzplänen, ZInsO 2016, 245; Engberding, Was leistet der Insolvenzplan im neuen Insolvenzrecht, DZWIR 1998, 94; Fischer, Das neue Rechtsmittelverfahren gegen den Beschluss, durch den der Insolvenzplan bestätigt wird, NZI 2013, 513; Happe, Die Rechtsnatur des Insolvenzplans, 2004; Harig, Der Antrag nach § 253 IV InsO in der Praxis des Insolvenzplanverfahrens, NZI 2018, 969; Horstkotte, Der Insolvenzplan in der gerichtlichen Vorprüfung, ZInsO 2014, 1297; Jungmann, Stimmrecht des gemeinsamen Vertreters der Anleihegläubiger in der Insolvenz der Emittentin, NZI 2020, 517; Lehmann/Rühle, Das beschleunigte Zurückweisungsverfahren gem. § 253 IV InsO in der Praxis, NZI 2014, 889; Madaus, Die Rechtsbehelfe gegen die Planbestätigung nach dem ESUG, NZI 2012, 597; Martini, Festsetzung der Kopfstimmen für den gemeinsamen Vertreter einer Anleihe in der Insolvenz, ZInsO 2020, 905; Paul, Rechtsprechungsübersicht zum Insolvenzplanverfahren 2020, ZInsO 2021, 888; Preuß, Insolvenzverfahren 4.0 – verfahrensrechtlicher Rahmen für „virtuelle Gläubigerversammlungen“, ZIP 2020, 1533; Riggert, Das Insolvenzplanverfahren – Strategische Probleme aus der Sicht absonderungsberechtigter Banken, WM 1998, 1521; Schröder, Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Geschäftsführers in der Eigenverwaltung und im Insolvenzplanverfahren, ZInsO 2018, 2124; Smid, Fragen der insolvenzgerichtlichen Vorprüfung von Insolvenzplänen, ZInsO 2021, 424; Smid, Unlauteres Herbeiführen eines Insolvenzplans, DZWIR 2005, 234; Tresselt/Kamp, Der Umgang mit Nachzüglern im Insolvenzplan, DZWIR 2017, 501; Weber, Gesamtabwägungsklauseln auf dem Prüfstand – Zulässigkeit und Vollstreckbarkeit von Insolvenzplänen mit dynamischer Quote, ZInsO 2017, 255; Weßling, Zur nichtigen Stimmabgabe im Abstimmungstermin über einen Insolvenzplan, ZInsO 2017, 1595.

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§ 37 I.

2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf Funktion der Bestätigung

1 Nach der Annahme durch die Gläubiger und der Zustimmung des Schuldners ist eine letzte Überprüfung des Insolvenzplans durch das Insolvenzgericht vorgesehen. Dabei geht es vorrangig um einen gesetzlichen Schutz der Minderheit, die durch die Mehrheitsentscheidung gebunden wird. Allerdings dient die Planbestätigung als Maßnahme staatlicher Fürsorge darüber hinaus dem Schutz aller am Plan beteiligten Gläubiger und des Schuldners.1) II.

Formelle Voraussetzungen für die Bestätigung

1.

Bestätigung eines Insolvenzplans

1.1

Annahme durch die Gläubiger und Zustimmung des Schuldners

2 Gegenstand eines Bestätigungsbeschlusses kann nur ein Insolvenzplan sein, der von den Beteiligten angenommen worden ist und dem der Schuldner zugestimmt hat. Während sich die Annahme durch die Beteiligten nach den §§ 244 – 246 InsO richtet, gilt für die Zustimmung des Schuldners § 247 InsO. Insbesondere hat das Insolvenzgericht also für den Fall, dass die Beteiligten dem Insolvenzplan nicht oder nicht mit den erforderlichen Mehrheiten zugestimmt haben, zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 245 InsO erfüllt sind. Gleichermaßen hat das Insolvenzgericht zu prüfen, ob ein etwaiger Widerspruch des Schuldners gemäß § 247 Abs. 2 InsO unbeachtlich ist. 1.2

Konkurrierende Insolvenzpläne

3 Da es mit dem Insolvenzverwalter und dem Schuldner zwei Berechtigte zur Vorlage eines Insolvenzplans gibt (§ 218 Abs. 1 Satz 1 InsO), kann es zum Vorliegen konkurrierender Pläne kommen.2) Sofern der Insolvenzverwalter neben einem im Auftrag der Gläubigerversammlung erstellten Insolvenzplan auch noch einen eigenen Plan einreicht, ist sogar die Konkurrenz von drei Plänen möglich. Während Einigkeit darüber besteht, dass letztlich nur ein Insolvenzplan Rechtskraft erlangen kann, werden unterschiedliche Auffassungen dazu vertreten, wie das Insolvenzgericht zu diesem Ergebnis gelangen soll und welchen Insolvenzplan es zu bestätigen hat. 4 Dabei wird überwiegend vertreten, dass das Insolvenzgericht den Plan zu bestätigen hat, der die größte Zustimmung der Gläubiger gefunden hat.3) Innerhalb dieser Auffassung wird wiederum danach differenziert, ob ein Insolvenzplan lediglich die größte summenmäßige Mehrheit erreicht hat4) oder die größte Mehrheit nach Summe und Köpfen.5) Allerdings werden von anderen Autoren auch hiervon abweichende Parameter für die Entscheidung des Insolvenzgerichts genannt. So wird etwa darauf abgestellt, welchem Plan insgesamt mehr Gruppen zugestimmt haben,6) welcher Plan das am besten geeignete Fortführungskonzept ___________ 1) 2)

3)

4) 5) 6)

Demzufolge besteht das Bestätigungserfordernis auch für den Fall, dass dem Insolvenzplan alle Beteiligten zugestimmt haben. Im Falle einer Eigenverwaltung steht dem Sachwalter, anders als dem Insolvenzverwalter, kein Planinitiativrecht nach § 218 Abs. 1 InsO zu, vgl. BGH v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, ZIP 2016, 1981, dazu EWiR 2016, 763 (Körner/Rendels). Derselbe Planverfasser darf keine gleichzeitig abzustimmenden konkurrierenden Insolvenzpläne bei Gericht vorlegen. Ein etwaiger vorher vorgelegter Plan ist ausdrücklich zurückzunehmen, vgl. hierzu AG Hamburg. v. 15.6.2022 – 68h IK 14/20, ZVI 2022, 311, 312. Spahlinger in: KPB, InsO, § 218 Rz. 42 f., sowie Riggert, WM 1998, 1521; Braun/Frank in: Braun, InsO, § 248 Rz. 6; Koch/de Bra in: Gottwald/Haas, InsR-Hdb., § 65 Rz. 21; Frank in: Runkel/Schmidt, AHB Insolvenzrecht, § 3 Rz. 116. Riggert, WM 1998, 1521, 1525. Braun/Frank in: Braun, InsO, § 248 Rz. 6; Koch/de Bra in: Gottwald/Haas, InsR-Hdb., § 65 Rz. 21; Frank in: Runkel/Schmidt, AHB Insolvenzrecht, § 3 Rz. 116. Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 643.

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Planbestätigung

enthält7) oder welcher Plan weniger in Grundrechte eingreift.8) Auch wird vertreten, dass beiden Plänen die Bestätigung zu versagen ist9) bzw. dass beide Pläne zu bestätigen sind, wobei in dem Augenblick, in dem der erste Plan rechtskräftig wird, verfahrensrechtlich eine Erledigung des anderen bzw. der anderen Pläne eintreten soll.10) Schließlich wird vertreten, dass nur der zuletzt angenommene Plan zu bestätigen ist.11) Die Meinungsvielfalt resultiert daraus, dass die Vorschriften über die Annahme und über 5 die Bestätigung eines Insolvenzplans auf den Fall zugeschnitten sind, dass nur ein Plan vorgelegt wird. Weder ist geregelt, in welcher Reihenfolge über mehrere vorgelegte Insolvenzpläne abzustimmen ist, noch finden sich Vorschriften dazu, wie das Insolvenzgericht bei der Bestätigung mehrerer angenommener Insolvenzpläne vorzugehen hat.12) Ob es überhaupt zur Annahme konkurrierender Insolvenzpläne kommt, hängt demzufolge vor allem davon ab, wie das Insolvenzgericht mit der Abstimmung über konkurrierende Insolvenzpläne umgeht. Ausgangspunkt dürfte insoweit sein, dass das Insolvenzgericht für jeden Plan, der sich noch 6 nicht durch die Rechtskraft eines bestätigten Plans erledigt hat, das Insolvenzplanverfahren gemäß §§ 231 ff. InsO durchzuführen hat. Allerdings sollte das Insolvenzgericht, sofern dies die gesetzlichen Terminierungsfristen zulassen, die Abstimmung über die konkurrierenden Pläne derart koordinieren, dass sie unmittelbar nacheinander erörtert und nach Stimmrechtsfestsetzung über sie abgestimmt wird. Diesbezüglich steht dem Insolvenzgericht in gewissem Umfang ein Ermessen zu.13) Grundsätzlich sollte das Insolvenzgericht jedoch in der Reihenfolge der – fehlerlosen – Vorlage der Insolvenzpläne abstimmen lassen. Ist jedoch bereits ein Plan vorgelegt und ist die Vorlage eines konkurrierenden Plans erst für die darauffolgenden Wochen angekündigt worden, wird das Insolvenzgericht nicht umhin können, die jeweiligen Erörterungs- und Abstimmungstermine zeitlich gestreckt anzuberaumen. Es liegt dann an dem Architekten des späteren Plans, die Gläubiger davon zu überzeugen, den ersten Plan nicht anzunehmen. Auf diese Weise sollte es das Insolvenzgericht in aller Regel verhindern können, dass zeit- 7 gleich konkurrierende Insolvenzpläne angenommen werden und ihm zur Bestätigung vorliegen. Ausgeschlossen ist dies jedoch nicht völlig14) und auch dieser Fall bedarf einer überzeugenden Lösung, zumal vom Gesetzgeber Plankonkurrenz ausdrücklich gewünscht ist. Allerdings stellt keiner der oben dargestellten Ansätze eine derartig überzeugende Lösung dar. Insbesondere ist es mit der Regelungssystematik der §§ 248 ff. InsO nicht zu vereinbaren, dass dem Insolvenzgericht ein Ermessen bei der Auswahl zwischen mehreren angenommenen Insolvenzplänen zukommt. Vielmehr hat das Insolvenzgericht jeden angenommenen Plan auch zu bestätigen, soweit kein Versagungsgrund nach den §§ 249, 250 InsO vorliegt.15) ___________ Engberding, DZWIR 1998, 94, 96. Happe, Die Rechtsnatur des Insolvenzplans, S. 249 f. Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 248 Rz. 5. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 201. Schiessler, Der Insolvenzplan, S. 155. Ein diesbezüglicher Regelungsvorschlag wurde vor Inkrafttreten der InsO auf Empfehlung des Rechtsausschusses wieder gestrichen (vgl. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 21, sowie Beschlussempfehlung und Bericht d. RA, BT-Drucks. 12/7302, S. 184). 13) So ebenfalls Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 196 f.; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 19 f. 14) Dies wird durch ein Beispiel illustriert bei Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 194. 15) Ebenso Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 244 Rz. 33; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 201; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 21. 7) 8) 9) 10) 11) 12)

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

8 Gleichwohl besteht nicht die Gefahr, dass mehrere Pläne in Rechtskraft erwachsen. Denn in dem Zeitpunkt, in dem der erste Insolvenzplan rechtskräftig wird, tritt verfahrensrechtlich eine Erledigung aller anderen Pläne ein.16) Es kommt mithin für den seltenen Fall der (fast) zeitgleichen Annahme konkurrierender Pläne darauf an, welchen das Gericht zuerst bestätigt. Nach der hier vertretenden Auffassung sollte das Gericht dabei formal vorgehen und nach der zeitlichen Reihenfolge der angenommenen Pläne prüfen, ob die Voraussetzungen der gerichtlichen Bestätigung nach § 248 InsO erfüllt sind.17) 1.3

Anhörung der Beteiligten

9 Gemäß § 248 Abs. 2 InsO soll das Gericht vor der Entscheidung über die Planbestätigung den Schuldner und den Insolvenzverwalter anhören. Ist ein Gläubigerausschuss bestellt, so ist dieser ebenfalls zu hören. Weder haben einzelne Gläubiger oder Gesellschafter noch weitere Beteiligte einen Anspruch auf rechtliches Gehör. Dies gilt auch für den Betriebsrat, selbst wenn der Insolvenzplan eine Interessenausgleichs- und Sozialplanpflichtigkeit nach sich zieht.18) Sie müssen ggf. über einen der Anhörungsberechtigten Einfluss auf die gerichtliche Willensbildung nehmen. 10 Den Anhörungsberechtigten ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, wobei die Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme genügt.19) 11 Es ist in aller Regel ausreichend, wenn die Anhörung i. R. des Abstimmungstermins stattfindet, nachdem die gruppenweise Abstimmung erfolgt ist. Einer zusätzlichen Anhörung bedarf es grundsätzlich nur dann, wenn das Gericht nach dem Abstimmungstermin von einer im Abstimmungstermin geäußerten Auffassung abweichen will oder aber, etwa zur Prüfung der Beachtlichkeit von Einwänden von einzelnen Gläubigern, Gesellschaftern oder vom Schuldner i. R. von § 245 oder § 247 InsO, ein Sachverständigengutachten einholt.20) Allerdings besteht keine gerichtliche Verpflichtung zur Einholung eines Sachverständigengutachtens.21) 12 Da § 248 Abs. 2 InsO als Soll-Vorschrift formuliert ist, ist die Anhörung lediglich fakultativ, nicht obligatorisch. Dies ist auch folgerichtig, da eine Anhörung zum Plan bereits i. R. der gerichtlichen Vorprüfung nach § 232 InsO erfolgt.22) Aus diesem Grund zwingt auch das Gebot des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG zu keiner anderen Sichtweise.23) Das Gebot kann sich allerdings dann zu einer Anhörungspflicht verdichten, wenn Umstände hinzutreten, die im Zeitpunkt der gerichtlichen Vorprüfung noch nicht bekannt waren. Allerdings dürfte auch dann in aller Regel die unterlassene Anhörung nicht zur Aufhebung der Bestätigungsentscheidung führen, da es an der Kausalität des Gehörver___________ 16) Ebenso Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 201; Riggert, WM 1998, 1521, 1525; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 21. 17) So auch Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 218 Rz. 21. 18) Ebenso Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 248 Rz. 6; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 248 Rz. 10; a. A. Berscheid, ZInsO 1999, 27, 29; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 248 Rz. 8. 19) Vgl. nur LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, ZInsO 1999, 577, 582 = NZI 1999, 461. 20) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 248 Rz. 12; Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 248 Rz. 7. 21) LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, ZInsO 1999, 577, 580 = NZI 1999, 461; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 248 Rz. 12. 22) Der zum 1.1.2021 ergänzte § 232 Abs. 4 sieht nunmehr die Möglichkeit vor, bereits im Vorfeld der Vorprüfungsentscheidung nach § 231 InsO Stellungnahmen der Verfahrensbeteiligten einzuholen und damit die ursprüngliche Abfolge von Stellungnahmen und Vorprüfungsentscheidung umzukehren. 23) Anders jedoch Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 248 Rz. 10, unter Hinweis auf die Interpretation der SollVorschrift des § 2360 Abs. 1 BGB als Ist-Vorschrift. Allerdings findet i. R. des Erbscheinverfahrens nach § 2360 BGB grundsätzlich nur eine Anhörung statt, die dann konsequenterweise auch obligatorisch sein sollte.

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Planbestätigung

stoßes fehlen wird.24) Keinesfalls stellt die unterlassene Anhörung einen Verstoß gemäß § 250 Nr. 1 InsO dar. Sie betrifft das Bestätigungsverfahren und gehört daher nicht zu den Vorschriften über die verfahrensmäßige Behandlung des Insolvenzplans oder Annahme durch die Gläubiger.25) 2.

Bestätigung einer Planberichtigung

2.1

Bevollmächtigung des Insolvenzverwalters im Insolvenzplan

In den § 221 Satz 2 und § 248a InsO hat der Gesetzgeber ein Nachbesserungsrecht für 13 den Insolvenzverwalter eingeführt, um in Abstimmung mit dem Insolvenzgericht etwaige Unzulänglichkeiten im Insolvenzplan korrigieren zu können, ohne zuvor eine Gläubigerversammlung einberufen und ein erneutes Abstimmungsverfahren durchführen zu müssen. Nach der gesetzgeberischen Begründung soll dies die Umsetzung des von den Beteiligten beschlossenen Planinhalts ermöglichen, der u. U. Formfehler entgegenstehen, die eine Eintragung von im Insolvenzplan vorgesehenen, eintragungspflichtigen Umständen in das jeweilige Register verhindern.26) Damit der Insolvenzverwalter eine dementsprechende Berichtigung des Insolvenzplans 14 vornehmen kann, muss er durch den Insolvenzplan bevollmächtigt worden sein, nicht nur die zur Umsetzung des Plans notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, sondern auch offensichtliche Fehler des Plans zu berichtigen (§ 221 Satz 2 InsO). Entsprechende Regelungen werden standardmäßig in Insolvenzpläne aufgenommen, so wie es auch in Notarverträgen üblich ist, die stets Durchführungs- und Vollzugsvollmachten an den Notar bzw. allgemeine Vollmachten an Notarangestellte enthalten, um ein erneutes Erscheinen der Beteiligten vor dem Notar entbehrlich zu machen.27) Gegen die Wirksamkeit derartiger Standardklauseln bestehen keine rechtlichen Bedenken.28) Eine über den Anwendungsbereich des § 221 Satz 2 InsO hinausgehende sog. salvatorische Klausel allerdings, nach der die Unwirksamkeit einer Bestimmung des Insolvenzplans nicht die Wirksamkeit der übrigen Bestimmungen berührt und stattdessen die unwirksame Bestimmung durch eine wirksame zu ersetzen ist, die inhaltlich dem Gewollten weitestgehend entspricht, hat der BGH als unzulässig erachtet.29) 2.2

Anhörung der Beteiligten

Gemäß § 248a Abs. 2 InsO soll das Gericht vor der Entscheidung über die Bestätigung der 15 Planberichtigung den Schuldner, den Insolvenzverwalter sowie den Gläubigerausschuss, wenn ein solcher bestellt ist, hören. Einzelne Gläubiger oder Gesellschafter sollen demgegenüber nur gehört werden, sofern ihre Rechte von der Planberichtigung betroffen sind. Sofern das Insolvenzgericht Beteiligte hört, ist ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu 16 geben, wobei ebenso wie i. R. der Anhörung für die Bestätigung eines Insolvenzplans die Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme genügt. ___________ 24) Vgl. dazu auch BGH v. 23.7.2004 – IX ZB 276/03, BeckRS 2004, 07656. 25) LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, ZInsO 1999, 577 = NZI 1999, 461; Sinz in: MünchKommInsO, § 250 Rz. 32; a. A. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 12. 26) Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. § 221 Satz 2 und § 248a, BT-Drucks. 17/7511, S. 35. 27) Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. § 221 Satz 2 und § 248a, BT-Drucks. 17/7511, S. 35. 28) Thies/Lieder werfen vor diesem Hintergrund die Frage auf, warum der Gesetzgeber die Berichtigungsmöglichkeit überhaupt an das Erfordernis einer Bevollmächtigung im Plan geknüpft hat, statt die Möglichkeit zur Berichtigung im Wege eines gesetzlichen Antragsverfahrens zu eröffnen (Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 248a Rz. 1). 29) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346, 1349, dazu EWiR 2015, 483 (Spliedt).

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

17 § 248a Abs. 2 InsO ist ebenso wie § 248 Abs. 2 InsO als Soll-Vorschrift formuliert; die Anhörung ist demnach gleichermaßen fakultativ. Dies erklärt sich im Fall von § 248a Abs. 2 InsO nicht daraus, dass bereits i. R. der gerichtlichen Vorprüfung nach § 232 InsO eine Anhörung erfolgt ist, da der offensichtliche Fehler (bzw. die bisher nicht vorgesehene Umsetzungsmaßnahme) bisher im Insolvenzplan ja gerade nicht vorgesehen war. Allerdings dürfte es sich ganz überwiegend um solche Fehler handeln, die keine anderweitigen Rechte beeinträchtigen; in aller Regel wird es lediglich um Klarstellungen gehen. Eine Anhörung der Beteiligten wäre in diesem Fall eine unnötige Förmelei. Aber auch ansonsten dürfte in aller Regel die unterlassene Anhörung nicht zur Aufhebung der Entscheidung über die Planberichtigung führen, da es an der Kausalität des Gehörverstoßes fehlen wird. III.

Materieller Prüfungsumfang

1.

Grundsatz der vollständigen Überprüfung

18 Das Gericht hat den ihm vorgelegten Insolvenzplan grundsätzlich vollständig hinsichtlich seiner Rechtmäßigkeit zu prüfen. Dies gilt ungeachtet der bereits gemäß § 231 InsO erfolgten Vorprüfung, zumal das Gericht zu diesem Zeitpunkt weder die Beteiligten anzuhören hat, noch sonstige eigene Ermittlungen anstellen darf.30) Allerdings ist der Prüfungsumfang durch die §§ 249 – 251 InsO eingeschränkt: So ist zu prüfen, ob wesentliche Verfahrensmängel vorliegen (§ 250 Nr. 1 InsO), die Annahme des Plans nicht unlauter herbeigeführt worden ist (§ 250 Nr. 2 InsO), im Plan vorgesehene Bedingungen eingetreten sind (§ 249 InsO) oder ein begründeter Antrag auf Minderheitenschutz gemäß § 251 InsO vorliegt. Zum Minderheitenschutz siehe unten Burmeister/Tasma, HRI II, § 38. 19 Von der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Insolvenzplans zu unterscheiden ist jedoch eine Zweckmäßigkeitsprüfung, die das Gericht nicht vorzunehmen hat.31) Es entspricht vielmehr dem Grundsatz der Gläubigerautonomie, dass die wirtschaftlichen Entscheidungen den Beteiligten und dabei insbesondere den Gläubigern vorbehalten sind.32) 2.

Versagung von Amts wegen

20 Liegt ein Verstoß i. S. des § 249 oder § 250 InsO vor, hat das Gericht dem Insolvenzplan die Bestätigung zu versagen, ohne dass ihm insoweit ein Ermessensspielraum zustehen würde. 2.1

Wesentliche Mängel (§ 250 Nr. 1 InsO)

21 Den Maßstab für die Prüfung des Gerichts, ob ein wesentlicher Mangel vorliegt, bildet § 250 Nr. 1 InsO. Diese Vorschrift dient der Gewährleistung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, bei dem sich die Beteiligten darauf verlassen können, dass sie ihre Zustimmung zum Plan nicht unter falschen Voraussetzungen erteilt haben und die Gläubiger i. R. der Vorschriften der InsO gleichbehandelt werden.33) Auch wenn § 250 InsO (zusammen mit § 249 InsO) eine abschließende Regelung der von Amts wegen zu berücksichtigenden Versagungsgründe darstellt, ist zu berücksichtigen, dass die Vorschrift keine detaillierte Aufzählung von einzelnen Gründen enthält. Vielmehr hat der Gesetzgeber durch die Notwendigkeit der Wesentlichkeit eines Verfahrensverstoßes ein Korrektiv vorgesehen. Dabei ist in Übereinstimmung mit der Rechtslage schon nach der KO davon auszugehen, dass ein Verfahrensmangel schon dann wesentlich ist, wenn er Auswirkungen auf die Annahme des Plans gehabt haben ___________ 30) Zum Verhältnis zu § 231 InsO eingehend Horstkotte, ZInsO 2014, 1297 ff.; s. außerdem sogleich Rz. 22 f. 31) Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 248 Rz. 3; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 248 Rz. 2; Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 14.19. 32) Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 248 Rz. 5. 33) Braun/Frank in: Braun, InsO, § 250 Rz. 1; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 1.

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Planbestätigung

könnte.34) Es muss nicht feststehen, sondern lediglich ernsthaft in Betracht kommen, dass der Mangel tatsächlich Einfluss auf die Annahme des Plans hatte.35) 2.1.1 Verstoß gegen Vorschriften über den Inhalt des Insolvenzplans Es dürfte in der Praxis nur selten vorkommen, dass das Insolvenzgericht einem Insolvenz- 22 plan wegen eines Verstoßes gegen Vorschriften über den Inhalt (§ 250 Nr. 1 Alt. 1 InsO) die Bestätigung versagen muss. Denn zuvor hat das Gericht den Plan bereits einer Vorprüfung nach § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO hinsichtlich seines Inhalts unterzogen.36) Der Anwendungsbereich von § 250 Nr. 1 Alt. 1 InsO dürfte daher in der Praxis auf die Fälle reduziert bleiben, in denen der Insolvenzplan zwischenzeitlich geändert wurde (§ 240 InsO) oder in denen sich i. R. der schriftlichen Stellungnahmen oder bei der Anhörung im Termin neue Erkenntnisse ergeben haben.37) Aber selbst wenn der Verstoß bereits bei der Vorprüfung gemäß § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO 23 erkennbar war, hat das Insolvenzgericht den Insolvenzplan zurückzuweisen. Durch seine Zulassungsentscheidung gemäß § 231 InsO bindet sich das Insolvenzgericht nicht selbst.38) Das Insolvenzgericht hat mit anderen Worten sicherzustellen, dass der bestätigte Insolvenzplan keinen wesentlichen Inhaltsmangel aufweist. Ob es dazu den Insolvenzplan erneut einer vollständigen Prüfung unterzieht oder sich auf das Ergebnis der eigenen Vorprüfung nach § 231 InsO verlässt, muss dem Gericht überlassen bleiben.39) Beabsichtigt das Insolvenzgericht jedoch, einem Insolvenzplan die Bestätigung wegen eines wesentlichen Inhaltsmangels, der nicht erst durch eine Planänderung zustande gekommen ist, zu versagen, hat es jenen Beteiligten, die sich bislang aufgrund der Vorprüfung auf die inhaltliche Richtigkeit des Planentwurfs verlassen durften, Gelegenheit zur Nachbesserung einzuräumen. Die für den Inhalt des Plans maßgeblichen Vorschriften finden sich in den §§ 219 – 230 24 InsO. Von diesen sind wiederum die Vorschriften bezüglich der Gruppenbildung (§ 222 InsO) und der Gleichbehandlung (§ 226 InsO) von besonderer Bedeutung. Verstöße gegen diese Vorschriften dürften eigentlich immer wesentlich i. S. von § 250 Nr. 1 Alt. 1 InsO sein und zur Versagung der Planbestätigung führen.40) Für Verstöße gegen die Gruppenbildung folgt dies schon daraus, dass die Abstimmung in Gruppen durchgeführt und damit selbst ___________ 34) BGH v. 13.10.2011 – IX ZB 37/08, Rz. 11, ZIP 2012, 187, 188, dazu EWiR 2012, 215 (Rendels/Körner); BGH v. 3.12.2009 – IX ZB 30/09, ZIP 2010, 341; LG Berlin v. 20.10.2004 – 86 T 578/04, NZI 2005, 335, 337; Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 250 Rz. 5; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 250 Rz. 5; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 11; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 5. Eine modifizierende Auffassung findet sich bei Jaffé, der einen Verfahrensmangel dann als wesentlich erachtet, wenn er Auswirkungen auf das Zustandekommen des Plans hatte sowie wenn er die Abstimmung beeinflussen kann (Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 250 Rz. 5). 35) So BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, Rz. 54, ZIP 2018, 1141, dazu EWiR 2018, 401 (Madaus). 36) Bei der Vorprüfung nach § 231 InsO handelt es sich nicht um eine bloße Evidenzkontrolle oder summarische Prüfung. Vielmehr hat das Gericht unter Berücksichtigung sämtlicher rechtlicher Gesichtspunkte zu prüfen, ob die gesetzlichen Bestimmungen über das Vorlagerecht und den Inhalt des Plans beachtet sind, vgl. BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346, 1347. 37) So auch Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 15; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 250 Rz. 2. 38) Insbesondere unter Verweis auf die eingeschränkten Rechtsschutzmöglichkeiten i. R. der Vorprüfung BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482, dazu EWiR 2017, 179 (Madaus); zuvor bereits LG Berlin v. 20.10.2004 – 86 T 578/04, NZI 2005, 335, 337 – „jedenfalls“ bei neuem Parteivortrag; Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 250 Rz. 8; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 250 Rz. 5; Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 14.54. 39) Im Ergebnis ebenso Pleister in: KPB, InsO, § Rz. 250 Rz. 7; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 9; demgegenüber restriktiver Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 16; Rühle in: Nerlich/ Römermann, InsO, § 250 Rz. 8. 40) Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 250 Rz. 9; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 10.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

mangelbehaftet ist.41) Nur ganz ausnahmsweise liegt es auf der Hand, dass ein Verstoß gegen die Gruppenbildung von vornherein nicht geeignet ist, das Abstimmungsergebnis zu beeinflussen. In Bezug auf die Gruppenbildung erstreckt sich die Prüfungskompetenz des Insolvenzgerichts nicht nur darauf, ob die Pflichtgruppen im Insolvenzplan nach der unterschiedlichen Rechtsstellung der Gläubiger gebildet sind (§ 222 Abs. 1 InsO), sondern bei fakultativer Gruppenbildung nach § 222 Abs. 2 InsO auch darauf, ob Gläubiger mit gleicher Rechtsstellung und mit gleichartigen wirtschaftlichen Interessen zusammengefasst und die Gruppen sachgerecht voneinander abgegrenzt sind. Aus dem Insolvenzplan muss sich ergeben, nach welchen Vorschriften die Gruppen gebildet wurden. Die Kriterien der Abgrenzung und maßgeblichen Erwägungen sind im Insolvenzplan zu erläutern. Es muss dargelegt werden, aufgrund welcher gleichartigen insolvenzbezogenen wirtschaftlichen Interessen eine bestimmte Gruppe gebildet wurde und ob alle Beteiligten, deren wichtigste insolvenzbezogene wirtschaftliche Interessen übereinstimmen, derselben Gruppe zugeordnet wurden.42) 25 Auch i. Ü. müssen die Regelungen des Insolvenzplans im Einklang mit der Rechtslage stehen. So kann ein Insolvenzplan nur Regelungen über plandispositive Gegenstände enthalten. Der Gestaltung durch einen Insolvenzplan sind nunmehr auch Rechte von Insolvenzgläubigern aus gruppeninternen Drittsicherheiten (§ 217 Abs. 2 InsO) zugänglich.43) In diesem Fall hat der Insolvenzplan eine angemessene Entschädigung für den Eingriff vorzusehen (§ 223a Satz 2 InsO). Von planfesten Vorschriften, nämlich solchen Regelungen, die auch im Falle einer Befriedigung der Gläubiger über einen Insolvenzplan zwingend einzuhalten sind, darf hingegen über den Insolvenzplan nicht abgewichen werden.44) So ist bspw. die Vergütung des Insolvenzverwalters einer Regelung im Insolvenzplan nicht zugänglich, so dass eine entsprechende Vereinbarung einen Verstoß gegen Vorschriften über den Inhalt begründet.45) Gleiches gilt, wenn der Insolvenzplan die Festsetzung einer Vergütung des Insolvenzverwalters in einer bestimmten Höhe als eine Planbedingung i. S. des § 249 Satz 1 InsO vorsieht.46) Da ein Insolvenzverwalter nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens nur einen bereits rechtshängigen Anfechtungsrechtsstreit fortsetzen, nicht aber einen neuen einleiten darf,47) zieht eine entsprechende Ermächtigung im Insolvenzplan die Fehlerhaftigkeit des Insolvenzplans nach sich.48) Umgekehrt begegnet es keinen Bedenken, wenn der Insolvenzplan vorsieht, dass bestimmte Prozesse nicht geführt oder Anfechtungsansprüche nicht geltend gemacht werden sollen.49) Gleichermaßen verstößt ein Insolvenzplan gegen § 217 Abs. 1 Satz 1, § 221 Satz 1, § 259 Abs. 1 Satz 2 InsO, soweit er einen anwaltlichen ___________ 41) BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, BGHZ 163, 344 = ZIP 2005, 1648, dazu EWiR 2006, 279 (v. Gleichenstein); LG Berlin v. 20.10.2004 – 86 T 578/04, NZI 2005, 335, 337; Sinz in: MünchKommInsO, § 250 Rz. 10. 42) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346, 1347; AG Köln v. 6.4.2016 – 74 IN 45/15, NZI 2016, 537 ff. = ZIP 2016, 1240, Gläubiger mit gleicher Rechtsstellung und gleichartigen wirtschaftlichen Interessen dürfen nicht mehreren Untergruppen zugeordnet werden; zur Differenzierung nach der Forderungshöhe LG Neuruppin v. 19.4.2013 – 2 T 33/13, NZI 2013, 646 f. = ZIP 2013, 1541, dazu EWiR 2013, 661 (Frind); zu den Anforderungen an die Bildung einer Gruppe der Kleingläubiger AG Ludwigshafen v. 26.1.2021 – 3a IN 139/19, NZI 2021, 329; eingehend zur Gruppenbildung zuletzt Smid, ZInsO 2021, 424 ff. 43) Eingeführt durch das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungsund Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256. 44) BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482, 484, unter Verweis auf BGH v. 5.2.2009 – IX ZB 230/07 (Phoenix), ZIP 2009, 480, dazu EWiR 2009, 251 (Landry). 45) BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482, 484; dies gilt auch für die Fälligkeit der Vergütung, wie sich aus BGH v. 11.11.2021 – IX ZB 19/20, Rz. 23, NZI 2022, 137, 139 = ZRI 2022, 34, ergibt. 46) BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482, 487. 47) BGH v. 10.12.2009 – IX ZR 206/08, ZIP 2010, 102, 103, dazu EWiR 2010, 193 (Rendels/Körner). 48) BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, Rz. 16, ZIP 2018, 1141. 49) LG Mannheim v 24.7.2020 – 4 T 127/17, ZInsO 2021, 456, 458.

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Treuhänder ermächtigt, nach Verfahrensaufhebung eine Masseforderung zum Zweck einer Nachtragsverteilung zugunsten der Gläubigergesamtheit einzuziehen.50) Auch darf der Insolvenzplan keine Präklusionsvorschriften vorsehen, durch welche die 26 Insolvenzgläubiger, die sich am Insolvenzverfahren nicht beteiligt haben, mit ihren Forderungen i. H. der vorgesehenen Quote ausgeschlossen sind.51) Im Übrigen unterliegt die Einhaltung der sonstigen Vorschriften über den Inhalt des Insolvenzplans häufig der tatrichterlichen Beurteilung im Einzelfall. Dies gilt etwa für die i. R. des Insolvenzverfahrens vorzulegenden Übersichten und Prognoserechnungen. Insoweit kann es nicht auf die Form der Darstellung ankommen, soweit nur das Ergebnis erkennbar ist.52) Enthält die gemäß § 220 Abs. 2 zu erstellende Vergleichsrechnung allerdings Mängel, die 27 für die Gläubigerbefriedigung von Bedeutung sind, hat dies die Fehlerhaftigkeit des Insolvenzplans zur Folge.53) Die Vergleichsbasis für die Vergleichsrechnung muss im Regelfall ein Fortführungsszenario bilden. Nur wenn ein Verkauf des Unternehmens oder eine anderweitige Fortführung aussichtslos sind, darf für die Zwecke der Vergleichsrechnung ein Liquidationsszenario unterstellt werden (§ 220 Abs. 2 Satz 4 InsO). Es gehört von vornherein nicht zur Aufgabe des Gerichts, die Erfolgsaussichten des Insol- 28 venzplans zu überprüfen. Zu beurteilen, ob der Plan zu einer nachhaltigen Sanierung der Schuldnerin führen wird oder ihm vielmehr eine Folgeinsolvenz der Schuldnerin immanent ist, obliegt den Gläubigern, die danach ihr Abstimmungsverhalten auszurichten haben.54) Schließlich lässt sich aus § 257 InsO ableiten, dass der Insolvenzplan in seinen inhaltlichen Regelungen so ausreichend bestimmt sein muss, dass er den betroffenen Gläubigern eine Vollstreckung aus diesem ermöglicht.55) Gerade Insolvenzpläne für Großunternehmen sehen häufig eine Befriedigung der Gläubiger aus künftigen Erträgen des Unternehmens vor. Solange die Bestimmbarkeit in diesen Fällen gewährleistet ist, ist den Anforderungen an die Vollstreckbarkeit hinreichend Genüge getan. Die Anforderungen an die Bestimmbarkeit sollten dabei nicht überspannt werden.56) Es muss genügen, dass sich der endgültige Zahlbetrag

___________ 50) BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, Rz. 21, ZIP 2018, 1141. Hinzu kommt, dass eine derartige Regelung zu einer unzulässigen Nachtragsverteilung führen würde. 51) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, ZIP 2015, 1346, 1348; BGH v 3.12.2015 – IX ZA 32/14, ZIP 2016, 85, dazu EWiR 2016, 277 (Bähr). Zur Abgrenzung unzulässiger materieller Ausschlussklauseln und zulässiger formeller Ausschlussklauseln, Brünkmans, ZInsO 2016, 245 ff.; Tresselt/Kamp, DZWIR 2017, 501 ff. Krit. zur gegenwärtigen Gesetzeslage Brinkmann/Denkhaus/Horstkotte/Schmidt/Westpfahl/Wierzbinski/ Ziegenhagen, ZIP 2017, 2430, 2432. 52) So hat der BGH entschieden, dass schriftliche Ausführungen zur gemäß § 229 InsO beizufügenden Liquiditätsrechnung anstelle einer tabellarischen Durchführung grundsätzlich nicht geeignet sind, die Annahme des Plans zu beeinflussen (BGH v. 3.12.2009 – IX ZB 30/09, ZIP 2010, 341). Nach AG Cuxhaven v. 14.9.2017 – 12 IN 168/16, ZIP 2016, 85, dazu EWiR 2016, 277 (Bähr), ist überdies maßgebend, dass die vom Planverfasser vorgenommene Vergleichsbetrachtung im Ergebnis nachvollziehbar begründet ist. 53) BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, Rz. 35, ZIP 2018, 1141. In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Plan waren etwa keine Rückstellungen für im Fall einer erfolgreichen Insolvenzanfechtung wieder auflebende Forderungen gebildet. 54) BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, BGHZ 163, 344, 351 = ZIP 2005, 1648; LG Berlin v. 20.10.2004 – 86 T 578/04, NZI 2005, 335, 338. 55) AG Hannover v. 30.9.2016 – 902 IN 607/14, ZIP 2016, 2081, 2082, dazu EWiR 2017, 23 (Körner/Rendels); Das ist etwa dann nicht der Fall, wenn der Plan die Fälligkeit der an die Gläubiger zu bewirkenden Quotenzahlungen an eine aufschiebende Bedingung knüpft, deren Eintreten unmöglich ist. S. dazu BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, Rz. 41 ff., ZIP 2018, 1141, sowie in der Vorinstanz LG Hamburg v. 18.8.2017 – 326 T 10/17, ZIP 2017, 1920, 1921. 56) Hierzu in Reaktion auf den Beschluss des AG Hannover v. 30.9.2016 – 902 IN 607/14, ZIP 2016, 2081, 2082, überzeugend Körner, EWiR 2017, 23 f. (Urteilsanm.); Weber, ZInsO 2017, 255 ff.

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bei Eintritt bestimmter künftiger Ereignisse eindeutig ergibt.57) Entbehrt der Plan diesbezüglich jedoch der gebotenen Klarheit und Widerspruchsfreiheit, ist er auch deshalb zu beanstanden, weil den Gläubigern ein sachgerechtes Urteil über den Plan nicht möglich ist.58) 2.1.2 Verstoß gegen Verfahrensvorschriften 29 Vorschriften über die verfahrensmäßige Behandlung des Insolvenzplans finden sich in § 218 sowie §§ 231 – 243 InsO.59) Bei den folgenden Vorschriften ist ein Verstoß entweder immer wesentlich i. S. von § 250 Nr. 1 Alt. 2 InsO oder aber zumindest denkbar:60) 30 Recht zur Planvorlage (§ 218 InsO): Verstöße gegen die Planvorlageberechtigung gemäß § 218 Abs. 1 und 2 InsO führen zwingend zu einer Versagung der Bestätigung des Plans,61) müssten jedoch bereits i. R. der Vorprüfung gemäß § 231 InsO gerügt worden sein. Demgegenüber dürfte die Sanktion eines Verstoßes gegen die Mitwirkungspflichten gemäß § 218 Abs. 3 InsO eine Frage des Einzelfalls sein.62) Dabei kann für die Zwecke dieser Prüfung offenbleiben, ob das Zurückweisungsrecht i. R. des Vorprüfungsverfahrens gemäß § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO nur die Planvorlageberechtigung oder auch die Mitwirkungspflichten umfasst. Denn spätestens mit der Einholung von Stellungnahmen gemäß § 232 InsO dürfte es zu einer Heilung von Mitwirkungspflichtverletzungen kommen.63) Etwas anderes dürfte demzufolge lediglich dann gelten, wenn trotz neuartiger Planelemente oder geänderter Tatsachengrundlagen keine weitere Konsultation durchgeführt worden ist.64) 31 Nichtangabe entscheidungserheblicher Umstände im darstellenden Teil des Plans (§ 220 Abs. 2 InsO): Der darstellende Teil hat alle Angaben zu den Grundlagen und Auswirkungen des Plans zu enthalten, die für die Entscheidung der Beteiligten über die Zustimmung zum Plan und für dessen gerichtliche Bestätigung erheblich sind. Hierfür muss der Insolvenzplan insbesondere die Vermögenswerte des Schuldners vollständig und richtig darstellen. Unterbleibt die Angabe einzelner Vermögenswerte (z. B. von Beteiligungen), die nicht offensichtlich wertlos oder unpfändbar sind, oder wird die vermeintliche Uneinbringbarkeit eines Anspruchs nicht hinreichend transparent dargelegt,65) begründet dies einen wesentlichen Mangel. Dies gilt unabhängig davon, ob der Planschuldner die betreffenden Vermögenswerte ___________ 57) Eine gesetzgeberische Klarstellung wäre wünschenswert, um eine Zurückweisung derartiger Pläne aus rein formalen Aspekten zu vermeiden, s. hierzu auch Brinkmann/Denkhaus/Horstkotte/Schmidt/Westpfahl/ Wierzbinski/Ziegenhagen, ZIP 2017, 2430, 2431. 58) BGH v. 19.7.2012 – IX ZB 250/11, WM 2012, 1640; BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, Rz. 37 ff., ZIP 2018, 1141. 59) Eingehend zum verfahrensrechtlichen Rahmen für virtuelle Gläubigerversammlungen Preuß, ZIP 2020, 1533. 60) Mehr oder weniger unkommentierte Aufzählungen finden sich bei Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 250 Rz. 11; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 17 ff.; Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 250 Rz. 8. 61) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 19; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 250 Rz. 7. 62) So auch Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 59; a. A. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 19; Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 250 Rz. 11; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 8. 63) Zwar ist es zutreffend, wenn Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 59, darauf hinweist, dass § 218 Abs. 3 InsO einerseits und § 232 InsO andererseits einen unterschiedlichen Zweck verfolgen. Allerdings können die Betroffenen solche Bedenken, die i. R. der Konsultation gemäß § 218 Abs. 2 InsO hätten vorgetragen werden können, auch noch i. R. der Stellungnahme nach § 232 InsO vorbringen. 64) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 60. 65) Vgl. AG Köln v. 19.4.2018 – 73 IN 145/17, ZInsO 2018, 1633, zur Verpflichtung, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des geschäftsführenden Gesellschafters einer insolventen GmbH, der zugleich Drittschuldner ist, offenzulegen; vgl. auch Laroche, ZInsO 2015, 1469; dagegen Schröder, ZInsO 2018, 2124.

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für wertlos hält.66) Die Nichtangabe einer Verurteilung des Schuldners wegen einer Insolvenzstraftat gemäß §§ 283 bis 283c StGB begründet nur dann einen Verfahrensverstoß in einem wesentlichen Punkt i. S. von § 250 Nr. 1 Alt. 2 InsO, wenn der Insolvenzplan vorsieht, dass der Schuldner selbst oder – in der Insolvenz einer juristischen Person – der betreffende organschaftliche Vertreter das Unternehmen fortführen soll.67) Ein Bestätigungshindernis kann weiter dann bestehen, wenn der Umfang der Haftungsmasse im Hinblick auf einzelne Massegegenstände, die im Verhältnis zur Größe des Verfahrens von Bedeutung sind, im darstellenden Teil des Plans derart unzureichend angegeben wird, dass den Gläubigern eine vergleichende Beurteilung ihrer aufgrund des Plans zu erwartenden Befriedigungsaussichten nicht möglich ist.68) Zuleitung des Planentwurfs zur Stellungnahme (§ 232 InsO): Verstöße gegen § 232 InsO 32 stellen grundsätzlich wesentliche Mängel dar.69) Eine Ausnahme gilt lediglich dann, wenn alle in § 232 Abs. 1 InsO genannten Beteiligten den Insolvenzplan bereits anderweitig erhalten hatten, weil die unterlassene Zuleitung dann keinen Einfluss auf die Annahme des Plans haben konnte.70) Auch für den Fall, dass es sich beim Schuldner um eine Genossenschaft handelt, dürfte eine Verletzung von § 116 Nr. 4 GenG keinen Verstoß in einem wesentlichen Punkt darstellen, da die Anhörung des Prüfungsverbands lediglich dazu dient, dass sich das Gericht ein Bild darüber machen kann, ob nach Ansicht des Prüfungsverbands der Plan mit den Interessen der Genossen vereinbar ist.71) Niederlegung des Insolvenzplans zwecks Einsichtnahme (§ 234 InsO): Ein Verstoß gegen 33 § 234 InsO stellt dann ein Bestätigungshindernis dar, wenn die Niederlegung gänzlich unterblieben ist, der Niederlegungszeitraum unverhältnismäßig kurz war oder die Einsichtnahme zu Unrecht verweigert wurde (und nicht nachgeholt werden kann).72) War die Niederlegung unvollständig, hängt die Wesentlichkeit des Mangels davon ab, welche Unterlage nicht niedergelegt worden ist.73) Öffentliche Bekanntmachung des und Ladung zum Erörterungs- und Abstimmungs- 34 termin(s) (§ 235 InsO): Sowohl das Unterlassen der öffentlichen Bekanntmachung des Termins (Abs. 2 Satz 1) als auch der fehlende Hinweis auf die Einsichtnahmemöglichkeit (Abs. 2 Satz 2) stellen ein Bestätigungshindernis dar.74) Entsprechendes gilt für das Unterlassen der besonderen Ladung (Abs. 2 Satz 1),75) sofern nicht der Mangel durch Erscheinen des nicht Geladenen geheilt worden ist.76) Nicht zur Versagung der Bestätigung führt es demgegenüber, wenn der Ladung ein Abdruck des Plans oder eine Zusammenfassung des wesentlichen Inhalts des Plans (Abs. 2 Satz 2) nicht beigefügt war, aber mit der öffentlichen Bekanntmachung auf die Niederlegung des Plans hingewiesen wurde.77) ___________ 66) 67) 68) 69) 70) 71) 72) 73) 74) 75) 76) 77)

AG Köln v 15.5.2019 – 72 IN 269/17, ZIP 2019, 1182, dazu EWiR 2019, 533 (Hofmann). BGH v. 13.10.2011 – IX ZB 37/08, Rz. 11 ff., ZIP 2012, 187, 188, dazu EWiR 2012, 215 (Rendels/Körner). BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, Rz. 45, ZIP 2010, 1499, 1502, dazu EWiR 2010, 681 (M. Huber). Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 21; a. A. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 16; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 250 Rz. 8; Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 250 Rz. 9. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 21; a. A. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 16. Ebenso Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 21; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 17. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 22; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 19. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 22; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 19. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 23. Der nicht geladene Gläubiger kann gegen die Bestätigung des Insolvenzplans sofortige Beschwerde einlegen, BGH v. 13.1.2011 – IX ZB 29/10, ZIP 2011, 781. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 250 Rz. 8; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 23. LG Hannover v. 7.7.2003 – 20 T 36/03, ZInsO 2003, 719 f.; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 23. Entsprechendes gilt, wenn die Zusammenfassung für den Empfänger mühelos erkennbar unvollständig war; s. dazu OLG Dresden v. 21.6.2000 – 7 W 951/00, ZIP 2000, 1303 = NZI 2000, 436 f.

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35 Änderung des Insolvenzplans (§ 240 InsO): Unzulässige und nicht behebbare Änderungen des Plans stehen seiner Bestätigung entgegen.78) Zulässig ist nach § 240 InsO allein die Änderung einzelner Regelungen, wobei der Kern des ursprünglichen Insolvenzplans erhalten bleiben muss. Damit sind insbesondere Änderungen des Planziels oder der Gruppen- und Abstimmungsstruktur regelmäßig unzulässig, u. U. jedoch auch kleinere Änderungen, welche den Charakter des Plans verändern.79) Werden Planänderungen durch das Insolvenzgericht nicht zugelassen, so bleibt der Plan in seiner ursprünglichen Fassung Gegenstand des weiteren Insolvenzplanverfahrens.80) 36 Anordnung eines bzw. Ladung zu einem gesonderten Abstimmungstermin(s) (§ 241 InsO): Sofern die Ladung zu einem gesonderten Abstimmungstermin unterbleibt, die Ladung ohne Hinweis auf Änderungen des Plans ergeht oder einem Gläubiger unberechtigterweise die Teilnahme versagt wird (Abs. 2), stellt dies ein Bestätigungshindernis dar.81) Allerdings ist eine Heilung insbesondere durch Teilnahme möglich. Demgegenüber stellen die „unberechtigte“ Anordnung eines gesonderten Abstimmungstermins sowie die „unberechtigte“ Vertagung des gesonderten Abstimmungstermins ebenso wenig einen Versagungsgrund dar wie die Nichteinhaltung der Terminierungsfrist (Abs. 1).82) 37 Schriftliche Abstimmung (§ 242 InsO): Unterbleibt der Hinweis auf die Frist für die Stimmabgabe (Abs. 2 Satz 2), stellt dies ein Bestätigungshindernis dar.83) Demgegenüber stellen weder die unterbliebene Übersendung des Stimmzettels noch die unterlassene Mitteilung des Stimmrechts (Abs. 2 Satz 1) einen Versagungsgrund dar. Während es im zuerst genannten Fall bereits am Merkmal der Wesentlichkeit fehlt, folgt das Ergebnis im zweiten Fall daraus, dass schon die unzutreffende Stimmrechtsfestsetzung keinen Versagungsgrund i. S. von § 250 Nr. 1 InsO darstellt.84) 38 Abstimmung in Gruppen (§ 243 InsO): Wird entgegen § 243 InsO eine Gesamtabstimmung vorgenommen, muss die Bestätigung versagt werden.85) Zulässig sind hingegen sog. Ein-Gruppen-Pläne, sofern mangels ungleicher Vollstreckungschancen der Gläubiger im Falle einer Beendigung im Regelinsolvenzverfahren eine Differenzierung der Gläubiger auch im Plan nicht geboten ist.86) 39 Während bei den vorstehenden Vorschriften – vorbehaltlich der ausdrücklich genannten Ausnahmen – davon auszugehen ist, dass ein Verstoß das Merkmal der Wesentlichkeit erfüllt, ist dies bei Verstößen gegen die nachfolgenden Verfahrensvorschriften nur dann der Fall, wenn davon ausgegangen werden kann, dass sich die Einhaltung der Verfahrensregel auf die Abstimmung über den Insolvenzplan ausgewirkt hätte. Dazu gehören die folgenden Vorschriften: 40 Anordnung der Aussetzung von Verwertung und Verteilung (§ 233 InsO): Insoweit handelt es sich schon nicht um eine Verfahrensvorschrift, sondern um ein Sicherungsmittel, ___________ 78) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 24; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 23; Thies/ Lieder in: HambKomm-InsO, § 250 Rz. 8. 79) Zur Unzulässigkeit der Erweiterung des Plans um neue Gruppen AG Düsseldorf v. 8.10.2019 – 513 IK 220/17, ZInsO 2020, 425; Lüer/Streit in: MünchKomm-InsO, § 240 Rz. 4; Haas in: Kayser/Thole, § 240 Rz. 5 f.; Frind, WM 2018, 1920, 1923. 80) LG Düsseldorf v. 20.12.2019 – 25 T 665/19, ZIP 2020, 2144. 81) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 25; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 24; Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 250 Rz. 8. 82) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 25; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 24. 83) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 26; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 25. 84) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 26. 85) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 27; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 26. 86) Vgl. LG Hamburg v. 22.1.2018 – 326 T 40/17, ZInsO 2018, 331, dazu EWiR 2018, 313 (Harig).

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Planbestätigung

das dazu dient, die Möglichkeit der Durchführung eines Plans aufrechtzuerhalten. Ein Verstoß stellt daher kein Bestätigungshindernis dar.87) Chronologie von Erörterungs- und Abstimmungstermin sowie Prüfungstermin (§ 236 41 InsO): Das Verbot, den Erörterungs- und Abstimmungstermin vor dem Prüfungstermin stattfinden zu lassen, dient einerseits der Erleichterung der Stimmrechtsfeststellung und andererseits dazu, den Gläubigern eine gewisse Vorkenntnis über Umfang und Inhaberschaft an den angemeldeten Forderungen zu verschaffen.88) Dem Prüfungstermin kommt daher vorbereitender Charakter zu. Allein ein Verstoß gegen § 236 InsO begründet deshalb noch kein Bestätigungshindernis, sondern allenfalls ein hierauf beruhender Mangel des nachfolgenden Erörterungs- und Abstimmungstermins, wie etwa eine unzutreffende Stimmrechtsfeststellung.89) Stimmrechtsfestsetzung (§ 237 bis § 238a InsO): Die funktionelle Zuständigkeit für das 42 gesamte Insolvenzplanverfahren liegt beim Richter. Gegen die Entscheidung über die Stimmrechtsfestsetzung kann nicht vorgegangen werden. Die richterliche Entscheidung ist unanfechtbar, da die InsO die sofortige Beschwerde hiergegen nicht vorsieht, § 6 Abs. 1 InsO.90) Als unselbstständige Zwischenentscheidung unterliegt die Stimmrechtsfeststellung auch nicht der Nachprüfung im Verfahren über die Planbestätigung nach § 250 InsO.91) Das Gericht kann seine Entscheidung allerdings auf Antrag, der nur bis zum Schluss des betreffenden Abstimmungstermins gestellt werden kann, ändern, vgl. § 77 Abs. 2 Satz 3 InsO.92) Die Festsetzung der Stimmrechte der Gläubiger durch das Insolvenzgericht muss vor dem 43 Beginn der Abstimmung über den Insolvenzplan abgeschlossen sein, denn die Festsetzung des Stimmrechts und damit einhergehend die Feststellung der Stimmberechtigung wirken lediglich ex nunc. Daher kann das Insolvenzgericht zwar zunächst eine unverbindliche Probeabstimmung durchführen, um die Mehrheitsverhältnisse zu klären; die eigentliche Abstimmung kann jedoch erst nach Festsetzung der Stimmrechte erfolgen.93) Im Rahmen der Stimmrechtsfestsetzung ist dem nach § 19 SchVG bestellten gemeinsamen 44 Vertreter nach Auffassung des AG Düsseldorf lediglich eine Kopfstimme je Anleihe – nicht je Anleihegläubiger – zu gewähren.94) Auch allein vom Gericht verursachte Verfahrensmängel (z. B. versäumte Ladungen, feh- 45 lerhafte Übermittlung des Planinhalts, Fristversäumnisse etc.) stellen einen Versagungsgrund gemäß § 250 Nr. 1 InsO dar.95) Allerdings ist das Gericht berechtigt, auch ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigungsgrundlage einen erneuten Abstimmungstermin anzu___________ 87) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 29; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 18. 88) Braun/Frank in: Braun, InsO, § 236 Rz. 1; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 236 Rz. 2. 89) Im Ergebnis ebenso Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 30; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 21; a. A. Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 250 Rz. 8. 90) Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 238 Rz. 26; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 250 Rz. 4; BGH v. 23.10.2008 – IX ZB 235/06, ZIP 2008, 2428 = NJW-RR 2009, 277. Zwischen Stimmrechtsfestsetzung und Stimmabgabe diff. Weßling, ZInsO 2017, 1595 ff.; a. A. noch in der 2. Aufl. sowie Smid/Rattunde/ Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 17.8 und Rz. 17.12. 91) Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 237 Rz. 10; BGH v. 23.10.2008 – IX ZB 235/06, ZIP 2008, 2428, 2429 = NJW-RR 2009, 277. 92) Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 237 Rz. 10. 93) BGH v. 17.12.2020 – IX ZB 38/18, ZIP 2021, 203; Jungmann, EWiR 2021, 77 (Urteilsanm.); Paul, ZInsO 2021, 888. 94) AG Düsseldorf v. 20.3.2020 – 502 IN 155/19, ZIP 2020, 782; zust. Zipperer, EWiR 2020, 281, 282 (Urteilsanm.); Martini, ZInsO 2020, 905; a. A. Kübler in: KPB, InsO, § 76 Rz. 26; Weiß in: Nerlich/Römermann, InsO, § 77 Rz. 7; Jungmann, NZI 2020, 517; Kuder/Obermüller, ZInsO 2009, 2025, 2027. 95) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 7; offenlassend Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 33.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

beraumen.96) Zwar wurde das Fehlen einer derartigen Ermächtigungsgrundlage bereits unter Geltung der KO kritisiert und wurde diese Kritik vom Gesetzgeber nicht aufgegriffen; allerdings ist nicht erkennbar, warum das Gericht den selbst verursachten Verfahrensmangel nicht beheben können sollte, insbesondere sofern nicht ein früherer Verfahrensabschnitt in Gänze wiederholt werden muss.97) 2.1.3 Verstöße gegen die Vorschriften über die Annahme durch die Beteiligten 46 Vorschriften über die Annahme des Plans durch die Beteiligten sind die §§ 244 – 246 InsO. Verstöße gegen die Mehrheitserfordernisse und die Fiktion der Zustimmung sind immer wesentlich i. S. des § 250 Nr. 1 Alt. 3 InsO. Allerdings materialisiert sich ein Verstoß gegen die in diesen Vorschriften enthaltenen Fiktionen gerade erst in der unzutreffenden Entscheidung des Gerichts über den Plan. Der Verstoß gegen die §§ 245 und 246 InsO liegt mithin gerade in der Entscheidung des Gerichts über die Bestätigung des Plans. Gleichwohl bedarf es der Erwähnung der Vorschriften über die Annahme des Plans in § 250 Nr. 1 InsO, weil diese Vorschrift u. a. den Maßstab für die sofortige (weitere) Beschwerde gemäß § 253 InsO darstellt.98) 2.1.4 Verstoß gegen die Vorschriften über die Zustimmung des Schuldners 47 Auch für die Zustimmung des Schuldners gilt, dass deren Fiktion (§ 247 Abs. 1 InsO) bzw. die Unbeachtlichkeit seines Widerspruchs gegen den Plan (§ 247 Abs. 2 InsO) sich gerade erst in der Entscheidung des Insolvenzgerichts über die Bestätigung des Insolvenzplans materialisiert. Der Regelung in § 250 Nr. 1 Alt. 4 InsO kann daher, abgesehen von dem offensichtlichen Fall, dass die Zustimmung des Schuldners gar nicht eingeholt wurde, erst im Rechtsmittelverfahren nach § 253 InsO Bedeutung zukommen. 2.1.5 Behebbarkeit des Mangels 48 Die Bestätigung ist lediglich dann zu versagen, wenn der Mangel nicht behoben werden kann. Ein Mangel ist dann nicht behebbar, wenn eine Nachholung bis zur Verkündung des Bestätigungsbeschlusses nicht möglich ist. Dies wiederum ist dann der Fall, wenn die Nachholung nur dadurch möglich ist, dass ein ganzer Verfahrensabschnitt wiederholt werden müsste.99) Da § 250 InsO den Maßstab für die Entscheidung des Insolvenzgerichts über die Bestätigung des Insolvenzplans bildet, dürfte die Bestätigung nur dann möglich sein, wenn entweder ausgeschlossen werden kann, dass sich der Mangel auf die Entscheidungsfindung ausgewirkt hat, oder wenn die unterlassene Handlung nachgeholt und anschließend erneut in einen Erörterungs- und/oder Abstimmungstermin eingetreten wird.100) Stellt das Gericht demgegenüber den Mangel bereits vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin fest, wäre die Behebung grundsätzlich durch Nachholung der unterlassenen oder Wiederholung der unzulänglich durchgeführten Handlung möglich.

___________ 96) Ebenso Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, 36. EL 6/2018, § 250 Rz. 3; a. A. Sinz in: MünchKommInsO, § 250 Rz. 34 f. 97) Letztlich ebenso Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 35. 98) Ebenso Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 250 Rz. 12; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 36; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 27. 99) Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 250 Rz. 6; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 250 Rz. 5; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 39 f.; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 250 Rz. 9. 100) Ebenso Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 250 Rz. 6 f.; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 39 f.

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Planbestätigung 2.2

Unlautere Herbeiführung der Annahme des Plans (§ 250 Nr. 2 InsO)

Nach § 250 Nr. 2 InsO ist die Bestätigung des Insolvenzplans auch dann zu versagen, wenn 49 die Annahme des Plans unlauter, insbesondere durch Begünstigung eines Beteiligten, herbeigeführt worden ist. Dabei gilt ein Verhalten dann als unlauter, wenn es gegen das Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstößt. 2.2.1 Unlautere Maßnahme In der Sache dürfte es bei der unlauteren Herbeiführung der Annahme eines Insolvenzplans 50 fast ausschließlich um eine Manipulation der Abstimmungsmehrheit gehen. Als Beispielsfall führt das Gesetz die Begünstigung eines Beteiligten auf. Die Manipulation ist in unterschiedlicher Weise denkbar; immer wieder genannt werden der Stimmenkauf oder sonstige einseitig bevorzugende Nebenabreden, die Erlangung der Zustimmung durch Täuschung oder Drohung i. S. von § 123 Abs. 1 BGB, die manipulative Aufteilung einer Forderung auf mehrere Gläubiger, um innerhalb einer Gruppe die für die Annahme erforderliche Kopfmehrheit nach § 244 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu erreichen,101) die Anerkennung erdichteter Forderungen sowie die Verheimlichung von Vermögenswerten.102) Kontrovers wird demgegenüber der Forderungskauf beurteilt. Diskutiert wird, in welchem 51 Umfang ein derartiges Geschäft offengelegt werden muss und ob auch das Tätigwerden von Dritten zu sanktionieren ist. Allerdings hat sich der BGH in einer grundlegenden Entscheidung aus dem Jahre 2005 sehr klar geäußert.103) Darin haben die Richter entschieden, dass jeder Forderungskauf zu einem höheren Preis als der im Insolvenzplan vorgesehenen Quote, um mit der so erlangten Abstimmungsmehrheit die Annahme des Insolvenzplans zu bewirken, als unlautere Handlung anzusehen ist. Diese Einschätzung soll unabhängig davon gelten, ob der Forderungskauf heimlich oder offen durchgeführt wird. Nur wenn die Begünstigung im Insolvenzplan offen ausgewiesen wird, gilt der Forderungskauf nicht als unlauter, weil die Gläubiger dann eine bewusste Entscheidung in Kenntnis der Begünstigung treffen können.104) Nach einer weniger weitgehenden Auffassung ist der Forderungskauf schon dann nicht 52 mehr unlauter, wenn er „offen“ erfolgt.105) Zur Begründung wird angeführt, dass Forderungen grundsätzlich verkäuflich seien und die Motive der Vertragsparteien durch das Ziel, dem Insolvenzplan zur Mehrheit zu verhelfen, nicht unlauter werden. Unlauter sei nur der Eindruck für die übrigen Gläubiger, die Erwerber würden gleichbehandelt bzw. ihre Rechtsvorgänger würden wie sie behandelt. Geschuldet sei daher „Offenheit“, mehr nicht. Schließlich wird die Auffassung vertreten, dass der Forderungskauf dann nicht unlauter 53 sei, wenn er nicht durch die Schuldnerin oder den Insolvenzverwalter erfolgt bzw. diesen zuzurechnen ist. Wenn also Dritte im eigenen Interesse und auf eigene Rechnung die Forderung eines Gläubigers erwerben würden, bestehe – so diese Auffassung – kein Bedürfnis

___________ 101) Unlauterkeit insoweit abl. Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 250 Rz. 12. 102) Vgl. nur Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 47 f.; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 30; zum Verheimlichen von Vermögenswerten LG Wuppertal v. 15.9.2015 – 16 T 324/14, NZI 2016, 494, 495 f. 103) BGH v. 3.3.2005 – IX ZB 153/04, BGHZ 162, 283 = ZIP 2005, 719 m. zust. Anm. Bähr/Landry, EWiR 2005, 547. 104) Ebenso Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 51 f.; Smid, DZWIR 2005, 234; nicht eindeutig Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 30. 105) Bähr in: Mohrbutter/Ringstmeier, Hdb. Insolvenzverwaltung, § 14 Rz. 247; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 250 Rz. 15.

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für eine Sanktion, da der bisherige Gläubiger ausscheide und der neue Gläubiger sich dem Vergleichsvorschlag wie alle übrigen Gläubiger unterwerfe.106) 54 In der Sache überzeugt die zuletzt genannte Auffassung. Denn wenn der dem Insolvenzplan zustimmende Zessionar nicht mehr bekommt, als der Zedent erhalten hätte, dann wird dadurch kein anderer Gläubiger geschädigt.107) Einen – freiwilligen – Schaden erleidet vielmehr der Zessionar, der einen über der Insolvenzquote liegenden Kaufpreis zahlt. Zu konzedieren ist jedoch, dass der systematische Zusammenhang von § 250 Nr. 2 InsO mit § 226 Abs. 3 InsO die Auffassung des BGH zu stützen scheint, denn nach dieser Vorschrift soll jedes Abkommen des Insolvenzverwalters, des Schuldners, aber eben auch anderer Personen mit einzelnen Beteiligten, durch das diesen für ihr Verhalten bei Abstimmungen oder sonst im Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren ein nicht im Plan vorgesehener Vorteil gewährt wird, nichtig sein. Zwar verlangt § 226 Abs. 3 InsO in subjektiver Hinsicht die Absicht der Beteiligten, gerade die Bevorzugung zu erreichen,108) was durchaus nicht selbstverständlich ist, da die Absicht jedenfalls des Zessionars auf das Zustandekommen des Insolvenzplans gerichtet ist. Allerdings schließt § 226 Abs. 3 InsO eben auch ausdrücklich Vereinbarungen mit anderen Personen als dem Insolvenzverwalter oder dem Schuldner in den Sanktionsbereich mit ein. Ohnehin hat sich die Praxis in Anbetracht der unmissverständlichen Entscheidung des BGH daran zu orientieren, dass der Forderungskauf zu einem höheren Preis als der im Insolvenzplan vorgesehenen Quote als unlautere Handlung i. S. des § 250 Nr. 2 InsO anzusehen ist, es sei denn, die Begünstigung ist im Insolvenzplan offen ausgewiesen. Diesen Ausweis zu verlangen, erscheint auch konsequent, fällt es doch schwer zu entscheiden, wann ein Forderungskauf als „offen“ i. S. der zuvor beschriebenen Auffassung gelten kann.109) 2.2.2 Handelnde Personen 55 Nach h. A. soll nicht nur das unlautere Handeln von Insolvenzverwalter oder Schuldner sanktionsbewährt sein, sondern auch das Handeln von Dritten.110) Das überzeugt jedenfalls, soweit es um manipulative Maßnahmen wie Täuschung, Drohung oder Forderungsaufteilung geht. Etwas anderes gilt – wie soeben dargelegt – nach der hier vertretenen Auffassung im Hinblick auf den Forderungskauf durch einen Dritten.111) Allerdings steht dem die Rechtsprechung des BGH entgegen.112) Gleichzeitig bedarf es nicht des Handelns einer Personenmehrheit; schon das Handeln einzelner Beteiligter in unlauterer Weise, das weder dem Insolvenzverwalter noch der Schuldnerin zugerechnet werden kann, soll danach zur Versagung der Bestätigung des Insolvenzplans führen. Entsprechendes gilt für Personenmehrheiten auf Gesellschafterseite (oHG-Gesellschafter, Erbengemeinschaft, BGB-Gesellschafter etc.). Nach alledem kommt § 250 Nr. 2 InsO ein gewisser Strafcharakter zu.113) 2.2.3 Kausalität 56 Das unlautere Verhalten muss für die Annahme des Insolvenzplans kausal sein. Eine Versagung kommt nur dann in Betracht, wenn die Kausalität des unlauteren Verhaltens für die ___________ 106) 107) 108) 109) 110) 111) 112) 113)

Ebenso Krebs, NJW 1951, 788, 789; Künne, DB 1978, 729, 730. So auch Künne, DB 1978, 729, 730. Vgl. nur Breuer in: MünchKomm-InsO, § 226 Rz. 17. Auf diese Schwierigkeit weist auch Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 250 Rz. 15. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 250 Rz. 13; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 54. So auch Krebs, NJW 1951, 788, 789; Künne, DB 1978, 729, 730. Vgl. nur BGH v. 3.3.2005 – IX ZB 153/04, BGHZ 162, 283 = ZIP 2005, 719. So auch Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 54.

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Planbestätigung

Annahme des Plans zur Gewissheit des Insolvenzgerichts feststeht. Nur der Verdacht oder die abstrakte Möglichkeit unlauteren Herbeiführens des Insolvenzplans rechtfertigen die Versagung seiner Bestätigung nicht.114) Beim unlauteren Forderungskauf soll es nach dem BGH an der Kausalität fehlen, sofern der Insolvenzplan auch dann angenommen worden wäre, wenn die auf dem unlauteren Forderungskauf beruhenden Stimmen nicht abgegeben worden wären.115) Vor dem Hintergrund, dass die Annahme des Insolvenzplans gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 1 InsO nur die Mehrheit der abstimmenden Gläubiger erfordert, sollen die Stimmen nach anderer Ansicht als Nein-Stimmen zu werten sein.116) Im Ergebnis dürfte danach zu unterscheiden sein, ob sich der Zedent an der Abstimmung über den Insolvenzplan beteiligt hätte und wie er ggf. abgestimmt hätte. Jedenfalls fehlt es an der Kausalität, wenn der Zedent selbst für den Insolvenzplan gestimmt hätte, wäre es nicht zuvor zum Forderungsverkauf gekommen. Darüber hinaus dürfte es auch dann an der Kausalität fehlen, wenn die fehlende Zustimmung innerhalb einer Abstimmungsgruppe durch das Obstruktionsverbot nach § 245 InsO überwunden worden wäre.117) 2.3

Nichteintritt von Bedingungen

In § 249 Satz 1 InsO wird festgestellt, dass ein bedingter Plan nur dann bestätigt werden 57 kann, wenn die Bedingung erfüllt ist. Planbedingung können somit nur solche Umstände sein, die vor der Bestätigung des Insolvenzplans eintreten können.118) Die Vorschrift stellt zunächst eine verfahrensrechtliche Regelung dar. Allerdings kommt ihr auch erhebliche materiell-rechtliche Bedeutung zu, denn erst aus ihr ergibt sich, dass ein Insolvenzplan überhaupt von dem Eintritt von Bedingungen abhängig gemacht werden kann. Bis zum Inkrafttreten des ESUG hatte die große praktische Bedeutung der Vorschrift auf der Hand gelegen, da insbesondere alle zur Umsetzung des Insolvenzplans notwendigen gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen außerhalb des Insolvenzplans und damit grundsätzlich freiwillig zu ergreifen waren. Genannt seien in diesem Zusammenhang lediglich der zur Fortführung der mit Insolvenzeröffnung aufgelösten Schuldnergesellschaft notwendige Fortsetzungsbeschluss der Gesellschafter sowie die Umsetzung von Kapitalmaßnahmen.119) Mit Inkrafttreten des ESUG, das die Einbeziehung der Gesellschafter in den Insolvenzplan 58 ermöglicht, hat § 249 InsO an Bedeutung verloren. Allerdings ist die Regelung immer noch für all jene Fälle notwendig, in denen der Insolvenzplan von Leistungen oder anderen Maßnahmen durch Dritte abhängig gemacht werden soll. Der Gesetzgeber hatte insoweit beispielhaft die Bestellung eines neuen Pfandrechts als Bedingung für die Aufgabe eines alten genannt.120) Nicht selten wird der Dritte seine Leistung nicht vor der rechtskräftigen Bestätigung des Insolvenzplans oder der Aufhebung des Verfahrens erbringen wollen. In diesem Fall kann eine Verpflichtungserklärung des Dritten gemäß § 230 Abs. 3 InsO dem Plan beigefügt werden, aus der die Gläubiger nach rechtskräftiger Planbestätigung gemäß ___________ 114) LG Berlin v. 8.2.2005 – 86 T 5/05, ZInsO 2005, 609, 612, dazu EWiR 2005, 575 (Bähr/Landry); AG Duisburg v. 14.11.2001 – 60 IN 107/00, NZI 2002, 502, 503; Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 250 Rz. 14; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 60; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 250 Rz. 31; a. A. Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 250 Rz. 12. 115) BGH v. 3.3.2005 – IX ZB 153/04, BGHZ 162, 283 = ZIP 2005, 719, 722. 116) Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 250 Rz. 16. 117) Überzeugend Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 250 Rz. 16. 118) Vgl. BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482, 487, wonach die Festsetzung einer Vergütung des Insolvenzverwalters in einer bestimmten Höhe keine zulässige Planbedingung i. S. des § 249 Satz 1 InsO darstellt, da die Festsetzung regelmäßig erst nach Verfahrensbeendigung erfolgen kann. 119) Vgl. auch Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 249 Rz. 2. 120) Vgl. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 211.

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§ 257 Abs. 2 InsO die Zwangsvollstreckung gegen den Dritten betreiben können.121) Ein Zusammenwirken von § 249 und § 230 Abs. 3 InsO ist insoweit denkbar, als die Bestätigungsvoraussetzung i. S. von § 249 InsO auf die Abgabe einer entsprechenden Verpflichtungserklärung des Dritten gemäß § 230 Abs. 3 InsO lautet, mit der dieser eine Leistung für den Fall der rechtskräftigen Planbestätigung zusagt.122) Teils wird über die Abgabe der Verpflichtungserklärung hinaus zusätzlich deren Absicherung durch dem Insolvenzplan beizufügende Bonitätsnachweise oder Einzahlungen auf ein Treuhand- oder Verwalterkonto verlangt.123) 59 Das Gesetz unterscheidet in § 249 InsO zwischen der Erbringung bestimmter Leistungen einerseits und der Verwirklichung anderer Maßnahmen andererseits als mögliche Bedingungen, ohne dass jedoch eine trennscharfe Abgrenzung möglich und nötig wäre. 2.3.1 Erbringung bestimmter Leistungen 60 Die erste Alternative in § 249 Satz 1 InsO zielt auf wirtschaftlich definierbare Leistungen durch Dritte. Dabei stehen die folgenden Themen im Vordergrund: Zunächst bedarf es der Sicherstellung der Finanzierung des Schuldners über das Insolvenzplanverfahren hinaus. Dabei wird es weniger um die Verlängerung einer bestehenden Finanzierung gehen als um die Bereitstellung neuer Kredite. Im Zweifel wird der neue Kreditgeber jedoch vor Bestätigung des Insolvenzplans lediglich einen Kreditvertrag abschließen und die Ziehung – neben anderen Voraussetzungen – davon abhängig machen, dass der Insolvenzplan bestätigt und das Insolvenzverfahren aufgehoben worden ist.124) 61 Kreditgeber werden zur Finanzierung einer Gesellschaft, die vor Abschluss eines Insolvenzplanverfahrens steht, typischerweise nur unter der Voraussetzung bereit sein, dass eine adäquate Besicherung stattfindet. Neben der Bestellung von Sicherheiten durch den Schuldner selbst kommt die Bestellung von Sicherheiten durch Dritte, in Konzernsachverhalten insbesondere durch andere Konzerngesellschaften, in Betracht. 62 Ebenfalls in Konzernsachverhalten kann es notwendig werden, dass andere Konzerngesellschaften, die von der Insolvenz nicht betroffen sind, jedoch Verbindlichkeiten des Schuldners besichert hatten, von diesen Verpflichtungen befreit werden, nicht zuletzt um mit ihrem Vermögen neue Kredite zu besichern. Zwar enthalten syndizierte Kreditverträge häufig Regelungen, wonach derartige Sicherungsrechte oder gar Mitverpflichtungen von anderen Konzerngesellschaften freigegeben werden können. Ausnahmen bestätigen jedoch die Regel, so dass es notwendig sein kann, die Bestätigung des Insolvenzplans von der Freigabe von Sicherungsrechten abhängig zu machen. 63 Gerade wenn die Insolvenzquote erst aus zukünftigen Erträgen der Schuldnerin nach Beendigung des Insolvenzplanverfahrens generiert werden soll, werden die Insolvenzgläubiger ein Interesse daran haben, dass eine ertragsorientierte Fortführung des Unternehmens jedenfalls für einen überschaubaren Zeitraum gewährleistet ist. Denkbar ist es demnach, dass der Insolvenzplan von dem Abschluss etwa von Lieferanten- oder Kundenvereinbarungen zu bestimmten Konditionen abhängig gemacht wird.125) Im Übrigen kann jede zivilrecht-

___________ 121) Vgl. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 211. 122) Vgl. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 10; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 249 Rz. 4. 123) Vgl. AG Hamburg v. 24.5.2017 - 67c IN 164/15, ZInsO 2017, 1376, 1379 f.; vgl. auch Sinz in: Uhlenbruck, InsO, § 230 Rz. 5; a. A. Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 230 Rz. 12. 124) S. zur Bereitstellung neuer Kredite ebenfalls Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 9. 125) Ebenso Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 10.

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Planbestätigung

lich denkbare Leistung vereinbart werden, solange sie hinsichtlich Umfang, Dauer und Kreis der Verpflichteten hinreichend bestimmt ist.126) 2.3.2 Verwirklichung anderer Maßnahmen Sofern eine Bedingung nicht in einer wirtschaftlich definierten Leistung besteht, kann die 64 Bestätigung des Insolvenzplans trotzdem von ihrem Eintritt abhängig gemacht werden, sofern sie unter den generellen Begriff einer „anderen Maßnahme“ fällt. Bis zum Inkrafttreten des ESUG sind hierunter insbesondere gesellschaftsrechtliche Maßnahmen gefallen, die Mitwirkungshandlungen des Schuldners oder der an ihm beteiligten Gesellschafter erforderlich machen. In diesem Zusammenhang sind die Herbeiführung von Gesellschafterbeschlüssen aller Art, insbesondere die Kapitalaufstockung bzw. -herabsetzung, die Neubesetzung von Gremien, die Änderung der Gesellschafterverträge bzw. der Satzung etc. genannt worden. Da nunmehr jedoch die Gesellschafter in den Insolvenzplan einbezogen werden können, hat sich die praktische Bedeutung dieser Alternative erheblich verringert. Gleichwohl sind nach wie vor alle Maßnahmen denkbar, die nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen zulässig und bestimmt genug sind. 2.3.3 Art der Bedingung Insolvenzpläne können sowohl unter einer aufschiebenden als auch unter einer auflösenden 65 Bedingung geschlossen werden.127) Dies legt schon die Formulierung in § 255 InsO nahe und aus § 249 InsO ergibt sich keine Begrenzung auf aufschiebende Bedingungen. Die Formulierung in § 249 Satz 1 InsO, wonach „diese Voraussetzungen erfüllt“ sein müs- 66 sen, spricht dafür, dass die jeweilige Bedingung bei Bestätigung des Insolvenzplans auch bereits eingetreten sein muss.128) Das Gericht hat sich dementsprechend vor der Bestätigung davon zu überzeugen, dass die vereinbarten Bedingungen tatsächlich eingetreten sind.129) 2.3.4 Gerichtliche Fristsetzung Das Insolvenzgericht ist gemäß § 249 Satz 2 InsO verpflichtet, für die Erfüllung der Be- 67 stätigungsvoraussetzungen eine Frist zu setzen. Die Bestätigung eines bedingten Plans darf nur verweigert werden, wenn die Bedingung nach fruchtlosem Ablauf einer Nachfrist nicht eingetreten ist. Dies gilt ungeachtet der Frage, ob bereits in dem Insolvenzplan eine Frist vorgesehen ist, wozu tatsächlich stets zu raten ist. In jedem Fall bedarf es einer eigens vom Insolvenzgericht gesetzten Frist. Bei der Bemessung der Frist ist zu berücksichtigen, welche Bedingungen konkret vorge- 68 sehen sind und in welcher Zeit realistischerweise mit ihrer Umsetzung gerechnet werden kann. Da § 249 Satz 2 InsO jedoch dazu dient, eine längere Ungewissheit über die Bestätigung des Plans zu vermeiden, darf es keinesfalls zu einer erheblichen Verzögerung des Verfahrens kommen. Eine Fristdauer von mehr als vier Wochen dürfte dabei bestenfalls in Ausnahmesituationen zugestanden werden und mit den Besonderheiten der jeweiligen Bedingung zusammenhängen.130) Als Maßstab kann insoweit auch § 252 Abs. 1 InsO herangezogen werden, der von einem „alsbald“ zu bestimmenden besonderen Termin zur Verkün___________ 126) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 10. 127) BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, Rz. 42, BeckRS 2018, 9510; Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 249 Rz. 5; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 249 Rz. 3. 128) In diese Richtung BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482, 487. 129) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 23. 130) Braun/Frank in: Braun, InsO, § 249 Rz. 5; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 249 Rz. 6.

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dung spricht.131) Sinnvollerweise setzt das Insolvenzgericht bereits im Abstimmungstermin die Nachfrist fest und beraumt den Termin zur Verkündung einer Entscheidung an. 69 Auch wenn hierauf kein Anspruch besteht, sollte es in Ausnahmefällen möglich sein, dass die Nachfrist durch das Insolvenzgericht verlängert wird. Allerdings bedarf es für diesen Fall einer positiven Prognose dafür, dass es kurzfristig zum Bedingungseintritt kommt.132) Dementsprechend sollte auch eine Vertagung des Verkündungstermins möglich sein, wenn ein entsprechender Antrag gestellt wird und die Beteiligten einverstanden sind.133) Tritt zumindest eine der notwendigen Bedingungen auch nach Verstreichen der Frist nicht ein, so ist die Bestätigung des Insolvenzplans von Amts wegen zu versagen. 2.3.5 Rechtsmittel 70 Seit Inkrafttreten des ESUG liegt die Zuständigkeit für die Nachfristsetzung gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG beim Richter, so dass auch eine unter der alten Rechtslage noch zulässige Erinnerung gegen eine Nachfristentscheidung des Rechtspflegers gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 RPflG134) nicht mehr in Betracht kommt.135) Gegen die Planversagung ist jedoch gemäß § 253 InsO die sofortige Beschwerde statthaft. Allerdings dürfte es kaum ernsthaft Streit darüber geben, ob die Bedingung tatsächlich eingetreten ist oder nicht. Denkbar ist jedoch der Vorwurf, das Gericht habe durch Nichtsetzen oder zu kurze Bemessung einer Nachfrist den Eintritt der Bedingung vereitelt.136) 3.

Versagung auf Antrag eines Beteiligten

71 Während Verstöße i. S. der §§ 249 und 250 InsO zu einer Versagung der Planbestätigung von Amts wegen führen, ist die Planbestätigung wegen einer Verletzung des Minderheitenschutzes (§ 251 InsO) sowie die Bestätigung einer Planberichtigung (§ 248a InsO) nur auf Antrag eines nachteilig betroffenen Beteiligten zu versagen (siehe dazu unten Burmeister/ Tasma, HRI II, § 38). IV.

Gerichtliche Entscheidung

1.

Zuständigkeit

72 Nachdem in der Vergangenheit der Rechtspfleger die sog. Regelzuständigkeit für das Insolvenzverfahren nach Entscheidung über dessen Eröffnung hatte, bleibt nach der Neufassung von § 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG im Zuge des ESUG der Richter für das Insolvenzplanverfahren funktionell zuständig. Diese Neuregelung wurde mit der wirtschaftlichen Bedeutung und den rechtlichen Implikationen des „neu gestalteten“ Insolvenzplanverfahrens begründet. Daran ist richtig, dass das Insolvenzplanverfahren mit der Einbeziehung der Anteilseigner noch einmal an Komplexität gewonnen hat. Allerdings wäre auch schon bisher eine funktionelle Zuständigkeit der Richter angemessen gewesen. 2.

Gebundene Entscheidung

73 Wenn alle für das Planverfahren maßgeblichen formellen und materiellen Vorschriften beachtet worden sind, muss das Insolvenzgericht die Bestätigung erteilen. Ein Ermessen be___________ 131) 132) 133) 134) 135) 136)

Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 249 Rz. 6; Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 249 Rz. 6. So auch Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 28 ff. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 28. Hierzu noch Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 249 Rz. 7; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 32. Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 249 Rz. 7. Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 249 Rz. 9; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 249 Rz. 34.

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§ 37

Planbestätigung

steht insoweit nicht.137) Entsprechendes gilt für die Versagung der Planbestätigung für den Fall, dass ein Verfahrensmangel vorliegt. Allerdings hat das Gericht den Beteiligten innerhalb einer angemessenen Frist Gelegenheit zur Nachbesserung zu geben. Kann innerhalb dieser Frist keine Abhilfe geschaffen werden, so ist die Bestätigung zu versagen. Der BGH stellt in seiner Entscheidung vom 17.12.2020 klar, dass auch die Versagung der Planbestätigung – ebenso wie die Bestätigung nach § 248 Abs. 1 InsO selbst – aus Gründen der Rechtsmittelklarheit in Beschlussform zu ergehen hat.138) Damit herrscht Konsistenz mit dem Restrukturierungsrecht, das die Versagung des Restrukturierungsplans in den §§ 63, 65, 66 StaRUG139) ausdrücklich regelt.140) 3.

Verkündung des Beschlusses

Gemäß § 252 Abs. 1 InsO kann der Beschluss im Abstimmungstermin oder in einem 74 alsbald zu bestimmenden besonderen Termin verkündet werden. Die Anberaumung eines besonderen Verkündungstermins ist v. a. dann geboten, wenn bis dahin mit einer Behebung von etwaigen Bestätigungshindernissen gerechnet werden kann. Auch kann es sich für das Gericht bei besonders komplexen und kontrovers diskutierten Plänen empfehlen, einen weiteren Prüfungszeitraum zwischenzuschalten.141) In jedem Fall sollte aber zur Vermeidung einer Zeitverzögerung sowie einer Plangefährdung der besondere Verkündungstermin möglichst zeitnah angesetzt werden. Angemessen erscheint ein Zeitraum von zwei Wochen.142) Eine Ladung zu dem besonderen Verkündungstermin ist nicht erforderlich.143) Insbesondere haben die Beteiligten in dem besonderen Verkündungstermin keine Gelegenheit mehr zur Stellungnahme oder zum Austausch von Argumenten. Es ist daher ausreichend, den besonderen Verkündungstermin im Abstimmungstermin ordnungsgemäß zu verkünden.144) Der Beschluss über die Versagung oder die Bestätigung des Insolvenzplans ergeht grundsätz- 75 lich mündlich; eine öffentliche Bekanntmachung oder Zustellung ist nicht erforderlich.145) Auch braucht der Beschluss bei Verkündung noch nicht schriftlich abgefasst zu sein; vielmehr genügt es, ihn in das Terminsprotokoll aufzunehmen und gemäß § 329 ZPO zu begründen. 4.

Rechtsfolgen des Beschlusses

4.1

Beschwerderecht

Die Verkündung sowohl des Versagungs- als auch des Bestätigungsbeschlusses löst das Be- 76 schwerderecht nach § 253 InsO innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen aus (§ 6 Abs. 2 InsO, § 569 Abs. 1 ZPO). Insbesondere wenn die Entscheidung des Beschwerdegerichts ___________ 137) Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 248 Rz. 7; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 248 Rz. 25. 138) BGH v. 17.12.2020 – IX ZB 38/18, ZIP 2021, 203. 139) Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz – StaRUG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256 (= Art. 1 des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts [Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG], v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256), das zuletzt durch Art. 12 des Gesetzes zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften und Änderung genossenschafts- sowie insolvenz- und restrukturierungsrechtlicher Vorschriften, v. 20.7.2022, BGBl. I 2022, 1166, geändert worden ist. 140) Jungmann, EWiR 2021, 77, 78 (Urteilsanm.). 141) So auch Sinz in: MünchKomm-InsO, § 252 Rz. 9. 142) Während § 78 Abs. 3 VglO den kurzen Zeitraum von einer Woche vorgeschrieben hatte, wird zuweilen auch ein Monat als zeitliche Obergrenze vorgeschlagen (so etwa Flöther in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 252 InsO Rz. 3). 143) Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 252 Rz. 6; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 252 Rz. 12; Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 252 Rz. 3. 144) Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 252 Rz. 5; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 252 Rz. 2; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 252 Rz. 6. 145) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 252 Rz. 7; Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 252 Rz. 4.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

längere Zeit auf sich warten lässt, kann sich für den Insolvenzverwalter eine schwierige Gemengelage ergeben, wenn er eigentlich mit der Verwertung nach allgemeinen Grundsätzen beginnen müsste. Die Leitlinie für den Insolvenzverwalter sollte darin bestehen, dass er grundsätzlich die Durchführung eines später bestätigten Plans nicht gefährden und Verwertungsmaßnahmen nur dann vornehmen darf, wenn es sich um verderbliche Ware handelt oder erhebliche finanzielle Verluste für die Masse drohen.146) 77 Vor Inkrafttreten des ESUG vermittelte das Beschwerderecht gemäß § 253 InsO einzelnen Gläubigern erhebliches Störpotential. Denn durch Einlegung einer – zum Teil gar von vornherein unbegründeten – Beschwerde konnte ein einzelner Gläubiger die Umsetzung des Plans oftmals für Monate blockieren und auf diese Weise das gesamte Planvorhaben in die Gefahr des Scheiterns bringen.147) Es ist daher sehr zu begrüßen, dass der Gesetzgeber durch das ESUG Abhilfe geschaffen hat. Einerseits sind die Anforderungen an eine das Rechtsmittel eröffnende Beschwer in § 253 Abs. 2 InsO erheblich verschärft worden. Eine Beschwerde ist seither nur noch zulässig, wenn der Beschwerdeführer dem Plan bereits spätestens im Abstimmungstermin widersprochen und gegen ihn gestimmt hat.148) Zudem hat er glaubhaft zu machen, dass er durch den Plan wesentlich schlechtergestellt wird und dass diese Schlechterstellung nicht durch eine Entschädigungszahlung aus im Plan hierfür vorgesehenen Mitteln (§ 251 Abs. 3 InsO) kompensiert werden kann.149) Pauschale Behauptungen genügen den Anforderungen an eine Glaubhaftmachung nicht. Vielmehr bedarf es einer deutlichen und leicht feststellbaren Diskrepanz zwischen dem Wert bei Regelabwicklung und dem Planergebnis, was exakt und substantiiert vom Beschwerdeführer darzulegen ist.150) Überdies sieht § 253 Abs. 4 InsO nun auch ein dem Verfahren in § 246a Abs. 4 AktG nachempfundenes Freigabeverfahren vor.151) Danach weist das LG die Beschwerde auf Antrag des Insolvenzverwalters zurück, wenn das alsbaldige Wirksamwerden des Plans vorrangig erscheint, weil die infolge einer Verzögerung der Planvollziehung zu erwartenden Nachteile nach der freien Überzeugung des Gerichts die Nachteile für den Beschwerdeführer überwiegen.152) Entspricht das LG dem Antrag des Insolvenzverwalters und weist die Beschwerde zurück, kann der Beschwerdeführer gemäß § 253 Abs. 4 Satz 3 InsO den Schaden ersetzt verlangen, der ihm durch den Planvollzug entstanden ist, nicht jedoch die Rückgängigmachung des Vollzugs begehren. ___________ 146) Vgl. dazu auch Sinz in: MünchKomm-InsO, § 252 Rz. 15 ff. 147) Vgl. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 18 f.; Fischer, NZI 2013, 513; Madaus, NZI 2012, 597 f. 148) Teilweise wurde darüber hinaus die vorherige Durchführung des Minderheitenschutzverfahrens nach § 251 InsO verlangt, so LG Berlin v. 24.2.2014 – 51 T 107/14 (Suhrkamp), ZIP 2014, 893, 893, dazu EWiR 2014, 293 (Fölsing). Dem ist der BGH indessen unter Verweis auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine klare Ausgestaltung von Regelungen zum effektiven Rechtsschutz entgegengetreten, vgl. BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14 (Suhrkamp), ZIP 2014, 1442, 1443 ff., dazu EWiR 2014, 521 (Madaus). 149) Nach LG Hamburg v. 10.12.2014 – 326 T 163/14, ZInsO 2015, 159 f., ist von einer wesentlichen Schlechterstellung i. S. des § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO erst auszugehen, wenn die dem Beschwerdeführer zustehende Planquote gegenüber der Quote im Regelinsolvenzverfahren um mind. 10 % abweicht. 150) LG Bremen v. 25.3.2020 – 6 T 85/20, Rz. 15, BeckRS 2020, 10598, zwischenzeitlich durch BVerfG v. 28.10.2020 – 2 BvR 765/20 – allerdings aus anderen Gründen – aufgehoben. Nach LG Köln v. 17.12.2020 – 1 T 440/20, ZInsO 2021, 218, muss die Schlechterstellung zudem mindestens 10 % betragen, um wesentlich i. S. des § 253 InsO zu sein. 151) Hierzu ausführlich Harig, NZI 2018, 969; Fischer, NZI 2013, 513, 515 ff. 152) Das Zurückweisungsverfahren nach § 253 Abs. 4 Satz 1 ist gegenüber dem normalen Beschwerdeverfahren lex specialis, eingehend hierzu Lehmann/Rühle, NZI 2014, 889, 890 f. Um eine einheitliche Auslegung der gesetzlichen Regelungen zum Insolvenzplan zu erzielen, sollte entweder ein Rechtsmittel gegen die Freigabeentscheidung nach § 253 Abs. 4 InsO eingeführt oder die Zuständigkeit des OLG für das Freigabeverfahren begründet und die Weiterverfolgung des Rechtsmittels in der Hauptsache ermöglicht werden, Brinkmann/Denkhaus/Horstkotte/Schmidt/Westpfahl/Wierzbinski/Ziegenhagen, ZIP 2017, 2430, 2432.

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§ 37

Planbestätigung 4.2

Versagung der Bestätigung

Erwächst die Versagung der Bestätigung des Insolvenzplans in Rechtskraft, wird das Ver- 78 fahren als Regelinsolvenzverfahren fortgesetzt. Damit lebt auch die Verwertungspflicht des Insolvenzverwalters nach allgemeinen Grundsätzen wieder auf. 4.3

Bestätigung des Insolvenzplans

Die Bestätigung des Insolvenzplans löst zusätzlich die Unterrichtungspflicht nach § 252 79 Abs. 2 InsO aus. Danach hat das Insolvenzgericht den Insolvenzgläubigern, die Forderungen angemeldet haben, den absonderungsberechtigten Gläubigern sowie Anteilsinhabern, soweit die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen in den Insolvenzplan einbezogen worden sind, unter Hinweis auf die Bestätigung einen Abdruck des Insolvenzplans oder eine Zusammenfassung des wesentlichen Inhalts zu übersenden. Börsennotierte Gesellschaften haben eine Zusammenfassung des wesentlichen Inhalts des Plans über ihre Internetseite zugänglich zu machen (§ 252 Abs. 2 Satz 3 InsO). Mit Einführung des § 252 Abs. 2 Satz 4 InsO durch das SanInsFoG kann das Gericht nun 80 in entsprechender Anwendung des § 8 Abs. 3 InsO auch den Insolvenzverwalter mit der Übersendung des Plans bzw. der Zusammenfassung beauftragen.153) Da es dem Insolvenzgericht gerade bei komplexeren Plänen an den personellen und sachlichen Voraussetzungen für die Wahrnehmung dieser Aufgabe fehlen dürfte, empfiehlt es sich, den Planvorlegenden bereits bei Anberaumung des Erörterungs- und Abstimmungstermins mit der Erstellung der Zusammenfassung zu beauftragen (§ 235 Abs. 3 Satz 2 InsO). Unterbleibt die Unterrichtung, so führt eine auf diesen Verfahrensfehler gestützte sofortige 81 Beschwerde nach § 252 InsO nicht zur Aufhebung des Insolvenzplans.154) Da der Fehler erst nach der Bestätigung des Insolvenzplans erfolgt, kann er keine Auswirkungen auf das Wirksamwerden des Insolvenzplans mehr haben. Auch ist keine Beeinträchtigung der Rechte von Beteiligten möglich; die Unterrichtungspflicht dient lediglich dem Zweck, den Beteiligten Rechtssicherheit über die letzte Fassung des bestätigten Insolvenzplans zu verschaffen. Auch auf die Rechtskraft des Insolvenzplans wirkt sich die unterbliebene Unterrichtung nicht aus, da die Rechtsmittelfrist mit der Verkündung des Bestätigungsbeschlusses beginnt. Mit der Rechtskraft des Insolvenzplans werden alle bisherigen Verfahrensmängel geheilt 82 und treten die im gestaltenden Teil festgelegten Wirkungen gemäß § 254 Abs. 1 InsO für und gegen alle Beteiligten ein. Dies gilt unabhängig davon, ob einzelne Beteiligten ihre Forderungen als Gläubiger angemeldet oder dem Insolvenzplan widersprochen haben (§ 254 Abs. 1 Satz 3 InsO). Der Plan wird mithin allgemeinverbindlich.155) Zu den Wirkungen des Insolvenzplans siehe ausführlich unten Schultze, HRI II, § 41.

___________ 153) Ebenso Pleister in: KPB, InsO, § 252 Rz. 12; Thies/Lieder in: HambKomm-InsO, § 252 Rz. 5; a. A. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 252 Rz. 13. 154) Ebenso Sinz in: MünchKomm-InsO, § 252 Rz. 28 ff.; a. A. Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 252 Rz. 9. 155) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 248 Rz. 36.

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§ 38 Minderheitenschutz, Rechtsmittel Burmeister/Tasma

I. 1.

2.

Minderheitenschutz ................................... 1 Antrag auf Versagung der Planbestätigung gemäß § 251 InsO............................... 1 1.1 Überblick ......................................... 1 1.2 Zulässigkeit des Antrags ................. 9 1.2.1 Antragsberechtigung....................... 9 1.2.1.1 Gläubiger ....................................... 10 1.2.1.2 Am Schuldner beteiligte Person ... 16 1.2.2 Form des Antrags.......................... 19 1.2.3 Frist für die Antragstellung .......... 25 1.2.4 Widerspruch gegen den Insolvenzplan (§ 251 Abs. 1 Nr. 1 InsO) .... 27 1.2.4.1 Form des Widerspruchs ................ 34 1.2.4.2 Frist für den Widerspruch ............ 36 1.2.5 Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung der Fristen...................................... 38 1.2.6 Glaubhaftmachung der voraussichtlichen Schlechterstellung (§ 251 Abs. 2 InsO) ...................... 41 1.3 Begründetheit des Antrags ........... 51 1.3.1 Voraussichtliche Schlechterstellung (§ 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO) .... 52 1.3.2 Kein Ausgleich durch im Insolvenzplan vorgesehene Mittel (§ 251 Abs. 3 Satz 1 InsO) ........... 65 1.3.2.1 Prüfungsumfang des Insolvenzgerichts........................................... 69 1.3.2.2 Sicherstellung der Ausgleichsleistung........................................... 73 1.4 Entscheidung des Insolvenzgerichts........................................... 79 1.5 Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs „außerhalb des Insolvenzverfahrens“ (§ 251 Abs. 3 Satz 2 InsO) ........... 80 1.5.1 Anspruchsgegner........................... 81 1.5.2 Klage vor den ordentlichen Gerichten ............................................ 84 1.5.2.1 Sachliche und örtliche Zuständigkeit ............................................ 89 1.5.2.2 Begründetheit der Klage auf Ausgleichszahlung ............................... 91 1.6 Regelung der salvatorischen Klausel im Insolvenzplan .............. 93 Antrag auf Versagung der Plannachbesserung gemäß § 248a Abs. 3 InsO..... 100 2.1 Zulässigkeit des Antrags ............. 102 2.1.1 Antragsberechtigung................... 102 2.1.2 Form und Frist des Antrags ....... 103 2.2 Begründetheit des Antrags ......... 106

1030

II. Rechtsmittel ............................................ 112 1. Überblick.................................................. 112 2. Sofortige Beschwerde gegen die Bestätigung des Insolvenzplans oder deren Versagung gemäß § 253 InsO ................. 117 2.1 Beschwerdegegenstand ............... 117 2.2 Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde ...................................... 118 2.2.1 Überblick über die Zulässigkeitsvoraussetzungen .......................... 118 2.2.2 Beschwerdeberechtigung ............ 119 2.2.2.1 Gläubiger ..................................... 120 2.2.2.2 Schuldner ..................................... 122 2.2.2.3 Am Schuldner beteiligte Personen ............................................ 123 2.2.2.4 Keine Beschwerdeberechtigung des Insolvenzverwalters .............. 124 2.2.3 Beschwer ...................................... 125 2.2.3.1 Beschwer bei Versagung der Bestätigung ...................................... 127 2.2.3.2 Formelle Beschwer bei Planbestätigung (§ 253 Abs. 2 Nr. 1 und 2 InsO) ................................. 130 2.2.3.3 Materielle Beschwer bei Planbestätigung (§ 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO) ........................................... 136 2.2.4 Form und Inhalt .......................... 145 2.2.5 Frist .............................................. 147 2.2.6 Notwendige Beteiligte ................ 149 2.3 Begründetheit .............................. 150 2.3.1 Rechtsverstoß.............................. 151 2.3.2 Schlechterstellung als Begründetheitserfordernis?.......................... 153 2.4 Beschwerdeentscheidung............ 157 2.5 Antrag auf Zurückweisung wegen überwiegenden Vollzugsinteresses (§ 253 Abs. 4 InsO) ...... 163 2.5.1 Gerichtliche Zuständigkeit ......... 165 2.5.2 Antragsberechtigung................... 166 2.5.3 Frist .............................................. 167 2.5.4 Form............................................. 169 2.5.5 Voraussetzungen der Zurückweisung ........................................ 170 2.5.5.1 Kein besonders schwerer Rechtsverstoß ......................................... 171 2.5.5.2 Interessenabwägung .................... 176 2.5.5.3 Beweismaß ................................... 182 2.5.6 Verfahrensablauf ......................... 187 2.5.7 Rechtsmittel gegen die Entscheidung über den Zurückweisungsantrag ........................................... 191

Burmeister/Tasma

§ 38

Minderheitenschutz, Rechtsmittel 2.5.8

3.

4.

Schadensersatzanspruch gemäß § 253 Abs. 4 Satz 3 InsO............. 193 2.5.8.1 Voraussetzungen und Inhalt des Anspruchs .................................... 193 2.5.8.2 Anspruchsgegner ......................... 196 2.5.8.3 Gerichtliche Zuständigkeit ......... 197 Sofortige Beschwerde gegen die gerichtliche Bestätigung oder Versagung einer Planberichtigung (§ 248a Abs. 4 InsO).... 199 3.1 Zulässigkeit .................................. 199 3.2 Begründetheit .............................. 203 3.3 Zurückweisungsantrag gemäß § 248a Abs. 4 Satz 2 InsO ........... 206 Sofortige Beschwerde gegen die Zurückweisung des Insolvenzplans gemäß § 231 Abs. 3 InsO .................................... 207

5.

6.

4.1 Zulässigkeit .................................. 208 4.2 Begründetheit .............................. 211 Rechtsbeschwerde gemäß § 4 InsO i. V. m. § 574 ZPO ................................... 212 5.1 Statthaftigkeit .............................. 213 5.2 Zulassungsgründe des § 574 Abs. 2 ZPO.................................. 215 5.3 Beschwer ...................................... 219 5.4 Frist .............................................. 220 5.5 Form und Inhalt .......................... 221 5.6 Begründetheit .............................. 224 5.7 Entscheidung ............................... 225 Gesellschaftsrechtlicher Rechtsschutz und „Sperrwirkung“ der InsO................. 228

Literatur: Brünkmans, Abfindungs- und Bewertungsfragen bei gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen im Insolvenzplan, ZinsO 2017, 1401; Brünkmans, Der Rechtsschutz gegen den Bestätigungsbeschluss des Insolvenzplans vor dem Hintergrund des insolvenzrechtlichen Freigabeverfahrens nach § 253 Abs. 4 InsO, ZInsO 2014, 993; Eidenmüller, Prognoseentscheidungen im Insolvenzplanverfahren: Verfahrenslähmung durch Minderheitenschutz?, NJW 1999, 1837; Fischer, Das neue Rechtsmittelverfahren gegen den Beschluss, durch den der Insolvenzplan bestätigt wird, NZI 2013, 513; Harig, Der Antrag nach § 253 IV InsO in der Praxis des Insolvenzplanverfahrens, NZI 2018, 969; Kirchhof, Insolvenzrechtliche weitere Beschwerden im Zickzackkurs, ZInsO 2012, 16; Lehmann/Rühle, Die Ausgleichsmittel gem. § 251 III InsO inner- und außerhalb des Insolvenzverfahrens, NZI 2015, 151; Madaus, Die Rechtsbehelfe gegen die Planbestätigung nach dem ESUG, NZI 2012, 597; Martini/Horstkotte, Häufige Fehler bei der Aufstellung von Insolvenzplänen und der Durchführung von Insolvenzplanverfahren, ZInsO 2017, 1913; Pleister/Tholen, Zum Siegeszug des insolvenzrechtlichen Freigabeverfahrens, ZIP 2015, 414; Skauradszun, Suhrkamp – Allgemeines Beschwerdeverfahrensrecht versus § 253 Abs. 4 InsO, DZWIR 2014, 338; Smid, Salvatorische Klauseln als Instrument zur Abwehr von Widersprüchen gegen den Insolvenzplan, ZInsO 1998, 347; Thorwart/Schauer, § 251 – effektiver Minderheitenschutz oder unüberwindbare Hürde?, NZI 2011, 574; Vaske, Die sofortige Beschwerde gegen die Bestätigung eines Insolvenzplans, 2015.

I.

Minderheitenschutz

1.

Antrag auf Versagung der Planbestätigung gemäß § 251 InsO

1.1

Überblick

§ 251 InsO will den einzelnen Gläubiger bzw. eine am Schuldner beteiligte Person (An- 1 teilsinhaber) davor schützen, gegen seinen bzw. ihren Willen den Rechtswirkungen des Plans unterworfen und dadurch schlechtergestellt zu werden als bei einer Abwicklung des Insolvenzverfahrens ohne Plan (Regelinsolvenzverfahren, §§ 156 – 173, 187 – 216 InsO).1) Jedem Gläubiger und Anteilsinhaber soll vielmehr der Wert garantiert werden, den seine jeweilige Rechtsposition im Regelinsolvenzverfahren hätte.2) Die Vorschrift kompensiert damit § 244 Abs. 1 InsO, der die Annahme des Plans gegen 2 die Stimmen einer Minderheit innerhalb einer Abstimmungsgruppe ermöglicht und die überstimmte Minderheit sowie die nicht stimmberechtigten Gläubiger3) gemäß §§ 254 – 254b InsO den Wirkungen des Plans unterwirft.4) ___________ 1) 2) 3) 4)

Vgl. Braun/Frank in: Braun, InsO, § 251 Rz. 1; Pleister in: KPB, InsO, § 251 Rz. 2; Sinz in: MünchKommInsO, § 251 Rz. 1 m. w. N. BGH v. 29.3.2007 – IX ZB 204/05, ZIP 2007, 923; Flöther in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 251 InsO Rz. 7; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 251 Rz. 1; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 1. Anteilsinhaber, die in den Plan einbezogen sind, sind nach § 238a InsO immer stimmberechtigt. Vgl. Silcher in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 251 InsO Rz. 1; Braun/Frank in: Braun, InsO, § 251 Rz. 1; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 251 Rz. 1 f.

Burmeister/Tasma

1031

§ 38

2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

3 Auch wenn bei der Einordnung in dieselbe Abstimmungsgruppe die Rechtsstellung und sogar gleichartige wirtschaftliche Interessen der Gläubiger bzw. Anteilsinhaber berücksichtigt werden (vgl. § 222 Abs. 1 und 2 InsO), kommt es nicht selten vor, dass Angehörige einer Gruppe dennoch unterschiedliche Strategien verfolgen.5) So kann sich z. B. für einige Lieferantengläubiger eine Kombination aus Forderungsverzicht und Unternehmensfortführung aufgrund potenzieller künftiger Geschäftsbeziehungen als wirtschaftlich erfolgversprechender darstellen als für andere Gläubiger, die an einer Weiterführung der Geschäftsbeziehung nicht interessiert sind und deshalb eine höhere Quote bevorzugen.6) Derart unterschiedliche Interessenlagen sind auch innerhalb der Gruppe bzw. Gruppen7) der Anteilsinhaber denkbar.8) 4 Aufgrund dieser möglichen Diskrepanzen sowie der drohenden Nachteile für die überstimmte Minderheit und die stimmrechtslosen Gläubiger hat der Gesetzgeber in der Mehrheitsentscheidung allein keine Legitimation für die endgültige Bestätigung eines Insolvenzplans gesehen und deshalb in § 251 InsO einen sog. „Minderheitenschutz“9) vorgesehen.10) Hier besteht eine gewisse Parallele zur Anfechtung von Mehrheitsbeschlüssen im Gesellschaftsrecht (vgl. z. B. §§ 243 ff. AktG, § 14 UmwG). 5 Im Gegensatz zum Obstruktionsverbot des § 245 InsO, der die Anforderungen an die Überwindung der Ablehnung des Plans durch eine gesamte Abstimmungsgruppe festlegt (sog. „Cram-down“) und damit zugleich eine solche Gruppe vor der Mehrheit der anderen Gruppen schützt,11) regelt § 251 InsO den individuellen Minderheitenschutz innerhalb der einzelnen Gruppe und ist damit eine Ergänzung zu § 245 InsO.12) § 251 InsO ist dabei nicht so weitgehend wie § 245 Abs. 1 Nr. 2 InsO, wonach die Gläubiger der überstimmten Gruppe angemessen am durch den Insolvenzplan erzielten Wert beteiligt werden müssen.13) Im Rahmen des § 251 InsO verbleibt allein der Vergleich der hypothetischen Situation des Antragstellers im Regelinsolvenzverfahren mit der im Planverfahren.14) 6 Ähnlichkeiten zu § 251 InsO finden sich im früheren Recht zum Vergleich bzw. Zwangsvergleich, wonach diesem die Bestätigung zu versagen war, wenn er „dem gemeinsamen Interesse der Vergleichsgläubiger“ (vgl. § 79 Nr. 4 VglO) bzw. „dem gemeinsamen Interesse der nicht bevorrechtigten Konkursgläubiger“ (vgl. § 188 Abs. 1 Nr. 2 KO) widersprach. ___________ 5) Breitenbücher/Neußner in: KölnKomm-InsO, § 251 InsO Rz. 9 ff.; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 251 Rz. 1, 3. 6) Begr. RegE InsO z. § 298, BT-Drucks. 12/2443, S. 211; vgl. auch Braun/Frank in: Braun, InsO, § 251 Rz. 1. 7) Nach § 222 Abs. 3 Satz 2 InsO kann es auch eine separate Gruppe der geringfügig beteiligten Anteilsinhaber geben. 8) So schon die Begr. RegE InsO z. § 298, BT-Drucks. 12/2443, S. 211. Das Antragsrecht der Anteilsinhaber, welches noch in § 293 Abs. 1 Satz 2 RegE InsO vorgesehen war, ist seinerzeit allerdings nicht in die InsO übernommen worden. 9) Der Begriff „Minderheitenschutz“ ist nicht ganz zutreffend, weil die Vorschrift auch nicht stimmberechtigte Beteiligte schützen will. 10) Begr. RegE InsO z § 298, BT-Drucks. 12/2443, S. 211; BGH v. 29.3.2007 – IX ZB 204/05, ZIP 2007, 923. 11) § 245 InsO dient – wie seiner Überschrift zu entnehmen ist – im Ausgangspunkt der Durchsetzung eines wirtschaftlich sinnvollen Plans gegen eine dissentierende Gruppe. Aufgrund der hierfür festgelegten Anforderungen ist die Vorschrift aber zugleich auch eine Schutzvorschrift für dissentierende Gläubiger und Anteilsinhaber, so richtig Frank in: Runkel/J. Schmidt, AHB Insolvenzrecht, § 13 Rz. 404. 12) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 2. 13) Begr. RegE InsO z. § 298, BT-Drucks. 12/2443, S. 211; Braun/Frank in: Braun, InsO, § 251 Rz. 1; Breitenbücher/Neußner in: KölnKomm-InsO, § 251 InsO Rz. 60; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 251 Rz. 20. 14) Braun/Frank in: Braun, InsO, § 251 Rz. 1, 6; Thies in: HambKomm-InsO, § 251 Rz. 1, 9; Rattunde in: Rattunde/Smid/Zeuner, InsO, § 251 Rz. 5 f.

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Minderheitenschutz, Rechtsmittel

Die Versagungsvoraussetzungen waren also weniger präzise, dafür aber von Amts wegen zu berücksichtigen. Einen gewissen Einfluss dürfte aber auch der sog. „Best Interest of the Creditors Test“ im 7 Gläubigerschutzverfahren nach Chapter 11 des US Bankruptcy Code auf die Formulierung in § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO (und dem ähnlichen § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO) ausgeübt haben, wonach jeder Gläubiger durch den Insolvenzplan mindestens das erhalten muss, was er auch bei einer Liquidation des Schuldners nach Chapter 7 des US Bankruptcy Code erhalten hätte (vgl. 11 U.S.C. § 1129(a)(7)(A)(ii)).15) Der in § 251 Abs. 1 InsO geregelte Minderheitenschutz diente als Vorbild für die Aus- 8 gestaltung des Minderheitenschutzes im Restrukturierungsverfahren nach § 64 Abs. 1 StaRUG.16) 1.2

Zulässigkeit des Antrags

1.2.1 Antragsberechtigung Nach § 251 Abs. 1 InsO kann der Antrag auf Versagung der Bestätigung des Plans von 9 einem Gläubiger oder – wenn der Schuldner keine natürliche Person ist – von einem Anteilsinhaber gestellt werden. Der Schuldner selbst ist nicht antragsberechtigt, da seine voraussichtliche Schlechterstellung vom Gericht gemäß §§ 247, 248 InsO schon von Amts wegen zu berücksichtigen ist, wenn er Widerspruch gegen den Plan eingelegt hat. 1.2.1.1

Gläubiger

Der Begriff „Gläubiger“ ist in § 251 Abs. 1 InsO nicht näher definiert. Daher muss die 10 Frage, welche Gläubigergruppen einen Antrag stellen dürfen, mit Blick auf den Zweck des Minderheitenschutzes beantwortet werden. Da der Gläubiger vor einer für ihn nachteiligen Annahme des Insolvenzplans geschützt werden soll, muss die Antragsberechtigung auf alle Gläubiger erstreckt werden, die als „Beteiligte“ den Rechtswirkungen des Plans gemäß §§ 254 – 254b InsO unterworfen werden, d. h. deren materielle Rechtsstellung durch den Plan verändert wird.17) Dies ist zweifellos bei den Insolvenzgläubigern i. S. des § 38 InsO der Fall, weil deren 11 Forderungen gemäß §§ 217 Abs. 1 Satz 1, 224 InsO durch den Plan stets reguliert werden. Gleiches gilt im Grundsatz auch für die nachrangigen Gläubiger gemäß § 39 InsO, da deren Forderungen gemäß § 225 Abs. 1 InsO bei Fehlen abweichender Bestimmungen im Plan als erlassen gelten. Gläubigern von nachrangigen Forderungen der in § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO bezeichneten Art (Geldstrafen u. Ä.) ist das Antragsrecht allerdings abzusprechen, da der Plan insoweit gemäß § 225 Abs. 3 InsO von Gesetzes wegen keine Schlechterstellung vorsehen kann. Aus §§ 217 Abs. 1 Satz 1, 223 Abs. 2 InsO ergibt sich ferner, dass auch die absonderungs- 12 berechtigten Gläubiger (§§ 49 – 51 InsO) als Beteiligte vom Plan betroffen sein können, sofern dies im Insolvenzplan so bestimmt ist. In der Praxis ist das die Regel. In diesem Fall sind die absonderungsberechtigten Gläubiger gemäß § 251 Abs. 1 InsO antragsberechtigt. Fehlt im Plan allerdings eine derartige Bestimmung oder bezieht sich das Absonde-

___________ 15) Zur Vorbildfunktion des Chapter 11-Verfahrens Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, Vor §§ 217 – 269 Rz. 16 ff. m. w. N.; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, Vor §§ 217 – 269 Rz. 14 f. m. w. N. 16) Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 163. 17) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 6; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 4; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 251 Rz. 10.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

rungsrecht auf eine der in § 223 Abs. 1 Satz 2 InsO genannten Sicherheiten,18) so werden die Rechte der absonderungsberechtigten Gläubiger gemäß § 223 Abs. 1 Satz 1 InsO vom Plan nicht berührt. Folglich ist ihnen dann auch die Antragsberechtigung nach § 251 InsO abzusprechen. Dies gilt allerdings nur hinsichtlich des Absonderungsrechts; mit der sog. Ausfallforderung gemäß § 52 InsO ist der jeweilige Gläubiger als Insolvenzgläubiger i. S. des § 38 InsO nach § 251 Abs. 1 InsO antragsberechtigt.19) 13 Mangels Beteiligteneigenschaft überhaupt nicht antragsberechtigt sind hingegen aussonderungsberechtigte Gläubiger (§ 47 InsO)20) und Neugläubiger,21) da diese von Gesetzes wegen den Wirkungen des Plans nicht unterworfen sind.22) Zwar können auch diese Gläubiger durch entsprechende verpflichtende Erklärungen nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen in den gestaltenden Teil des Insolvenzplans mit einbezogen werden.23) Dennoch werden sie durch derartige Willenserklärungen keine Beteiligten i. S. des § 254 Abs. 1 InsO, da die Wirkungen des Insolvenzplans ihnen gegenüber lediglich aufgrund privatautonomer Unterwerfung eintreten.24) In diesem Fall besteht kein Bedürfnis für einen Schutz nach § 251 InsO. 14 Auch Massegläubiger (§ 53 InsO) haben mangels Planunterwerfung kein Antragsrecht nach § 251 Abs. 1 InsO, sofern in ihre Rechte nicht ausnahmsweise im Fall der Anzeige der Masseunzulänglichkeit gemäß § 210a Nr. 1 InsO eingegriffen wird. Konsequenterweise muss ihnen in dieser Konstellation auch der Minderheitenschutz nach § 251 InsO offenstehen.25) 15 Für die Antragsberechtigung ist es irrelevant, ob der antragstellende Gläubiger stimmberechtigt war oder nicht,26) er seine Forderung überhaupt gemäß § 174 InsO angemeldet hat27) oder er – trotz Stimmberechtigung – der Abstimmung ferngeblieben ist.28) Sofern ein Gläubiger allerdings für den Plan gestimmt hat, ist ihm ein Antrag nach § 251 Abs. 1 ___________ 18) Dies sind Finanzsicherheiten i. S. von § 1 Abs. 17 KWG sowie Sicherheiten, die dem Teilnehmer eines Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und -abrechnungssystems nach § 1 Abs. 16 KWG zur Sicherung seiner Ansprüche aus dem System oder der Zentralbank eines EU-Mitgliedstaates oder der Europäischen Zentralbank gestellt wurden. 19) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 223 Rz. 2 – 4. 20) Etwas anderes gilt nur dann, wenn aussonderungsberechtigte Gläubiger zu Unrecht in den Plan einbezogen werden, da ihnen dann ein Rechtsmittel zur Seite stehen muss, vgl. hierzu Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 253 Rz. 4, der die Rspr. zur „Scheinpartei“ im Zivilprozess heranzieht. Dies muss dann konsequenterweise für alle zu Unrecht in den Plan einbezogenen Gläubiger gelten, z. B. auch absonderungsberechtigte Gläubiger mit Finanzsicherheiten (§ 223 Abs. 1 Satz 2 InsO). 21) Darunter versteht man Gläubiger, deren Forderungen erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet wurden, vgl. Fuhst in: Gogger/Fuhst, Insolvenzgläubiger-Hdb., § 2 Rz. 335. 22) Vgl. Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 254 Rz. 6; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 251 Rz. 10, § 254 Rz. 15. 23) Vgl. allg. hierzu Spahlinger in: KPB, InsO, § 254 Rz. 5; Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 254 Rz. 6; Eidenmüller, ZGR 2001, 680, 689 m. w. N.; a. A. Noack in: FS Zöllner, S. 411 ff., 421. 24) Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 254 Rz. 6 m. w. N. 25) Ebenso Pape in: KPB, InsO, § 210a Rz. 52; Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Insolvenzrecht, Kap. 38 Rz. 61. 26) So schon Begr. RegE InsO z. § 298, BT-Drucks. 12/2443, S. 212; ebenso Flöther in: Blersch/Goetsch/ Haas, InsR, § 251 InsO Rz. 4; Braun/Frank in: Braun, InsO, § 251 Rz. 5; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 6 m. w. N.; a. A. Silcher in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 251 InsO Rz. 11; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 251 Rz. 9. 27) Dies folgt daraus, dass auch Gläubiger, die ihre Forderungen nicht angemeldet haben, gemäß § 254b InsO den Wirkungen des Insolvenzplans unterworfen sind, vgl. Thies in: HambKomm-InsO, § 254b Rz. 1; Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 251 Rz. 6. 28) Braun/Frank in: Braun, InsO, § 251 Rz. 5; Kebekus/Handschumacher in: Graf-Schlicker, InsO, § 251 Rz. 4; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 4.

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Minderheitenschutz, Rechtsmittel

InsO verwehrt.29) Dies ergibt sich trotz des Fehlens einer § 253 Abs. 2 Nr. 2 InsO entsprechenden Regelung in § 251 Abs. 1 InsO aus dem Verbot des widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) nach § 242 BGB.30) 1.2.1.2

Am Schuldner beteiligte Person

Neben Gläubigern erstreckt sich das Antragsrecht auch auf die am Schuldner beteiligten 16 Personen, also auf die Anteilsinhaber. Der Grund liegt darin, dass gemäß §§ 217 Abs. 1 Satz 2, 225a InsO auch die Einbeziehung von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten in den Insolvenzplan möglich ist. Mit der Ausweitung des Minderheitenschutzes auf die Anteilsinhaber wollte der Gesetzgeber den Anforderungen aus Art. 14 Abs. 1 GG genügen.31) Ein Antragsrecht kommt den Anteilsinhabern aber trotz des insoweit nicht eindeutigen 17 Wortlauts des § 251 Abs. 1 InsO nur dann zu, wenn deren Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte auch tatsächlich in den Plan einbezogen werden. Der Wunsch des Bundesrats nach einer entsprechenden Klarstellung im Text der Vorschrift32) ist im parlamentarischen Verfahren nur deshalb nicht aufgegriffen worden, weil die Bundesregierung eine derartige Ergänzung nicht für erforderlich hielt, da sich bereits aus dem Gesamtgefüge der neuen Regelungen ergebe, dass die Anteilsinhaber nur an der Abstimmung über den Plan beteiligt seien, soweit in ihre Anteilsrechte eingegriffen werde.33) Dem ist zuzustimmen, da auch ein Gläubiger nur dann antragsberechtigt ist, wenn er von dem Plan gemäß §§ 254 – 254b InsO tatsächlich betroffen ist (siehe oben Rz. 10). Ebenso wie bei den Gläubigern ist es für die Antragsberechtigung des Anteilsinhabers un- 18 erheblich, ob er der Abstimmung ferngeblieben ist. Wenn er jedoch für den Plan gestimmt hat, ist ihm der Antrag nach § 251 Abs. 1 InsO ebenfalls verwehrt (siehe oben Rz. 15). 1.2.2 Form des Antrags Minderheitenschutz nach § 251 InsO darf vom Gericht nur auf Antrag eines Gläubigers 19 oder Anteilsinhabers gewährt werden, eine Entscheidung „von Amts wegen“ ist nicht zulässig.34) Darin unterscheidet sich der Minderheitenschutz vom Obstruktionsverbot gemäß § 245 InsO sowie vom Gläubigerschutzverfahren nach Chapter 11 des US Bankruptcy Code (vgl. 11 U.S.C. § 1129(a)(7)(A)).35) Eine besondere Form für die Antragstellung sieht das Gesetz nicht vor. § 251 Abs. 1 Nr. 1 20 InsO, der ein Schriftlichkeits- bzw. Protokollierungserfordernis normiert, gilt lediglich für die Erklärung des Widerspruchs gegen den Plan, nicht aber für den Antrag auf Versagung der Bestätigung des Plans; beide sind formal voneinander zu trennen.

___________ 29) Ebenso Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 4; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 6; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 251 Rz. 12; a. A. Silcher in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 251 InsO Rz. 11; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 251 Rz. 9. 30) Zutreffend Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 4; ebenso Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 6; Hirschberger in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 20 Rz. 10; zum Verbot des widersprüchlichen Verhaltens gemäß § 242 BGB generell statt vieler Grüneberg in: Grüneberg, BGB, § 242 Rz. 55 ff. 31) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 34. 32) RegE ESUG, BR-Drucks. 127/11, S. 16 f. 33) Gegenäußerung der BReg z. Stellungnahme d. BRats z. ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 69. 34) Vgl. Braun/Frank in: Braun, InsO, § 251 Rz. 1; Thies in: HambKomm-InsO, § 251 Rz. 2; Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 251 Rz. 3; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 251 Rz. 4. 35) Auch die früher geltenden Vorschriften zum Vergleich und Zwangsvergleich nach § 79 Nr. 4 VglO bzw. § 188 Abs. 1 Nr. 1 KO sahen eine Prüfung von Amts wegen vor.

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21 Der Widerspruch allein stellt noch keinen Antrag nach § 251 Abs. 1 InsO dar, da das Gesetz nach seiner Systematik zwischen Widerspruch und Antrag trennt.36) Beide Erklärungen können aber gemeinsam im Abstimmungstermin zu Protokoll gegeben werden. Wenn der Antragsteller aber z. B. im Abstimmungstermin seinen Widerspruch zu Protokoll gibt und in diesem Zusammenhang – wie es § 251 Abs. 2 InsO fordert – auch glaubhaft macht, dass er durch den Plan voraussichtlich schlechtergestellt wird, kann hierin zugleich der Antrag auf Minderheitenschutz nach § 251 Abs. 1 InsO liegen. 22 Der Antrag auf Versagung der Bestätigung des Plans kann – anders als der Widerspruch gegen den Plan – auch mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts erklärt werden (§ 4 InsO i. V. m. § 496 ZPO).37) Eine telefonische Antragstellung ist allerdings unwirksam, selbst wenn sich der Urkundsbeamte wider Erwarten zur Entgegennahme und Protokollierung bereit erklären sollte.38) 23 Gemäß § 4 InsO i. V. m. § 129a Abs. 1 ZPO ist es ebenfalls statthaft, den Antrag zu Protokoll der Geschäftsstelle jedes anderen deutschen AG zu erklären. Dies wird zwar teilweise unter Hinweis auf die besonderen Anforderungen an ein zügiges Insolvenzverfahren bestritten.39) Dies überzeugt jedoch nicht, da der Zweck des § 129a ZPO, den Verfahrensbeteiligten Antragstellungen zu erleichtern,40) auch im Insolvenzverfahren gilt.41) Ohnehin trägt derjenige, der den Antrag zu Protokoll der Geschäftsstelle eines unzuständigen AG abgibt, das Risiko der Verfristung, da die Rechtswirkung des Antrags erst eintritt, wenn das Protokoll beim zuständigen Gericht eingeht (vgl. § 4 InsO i. V. m. § 129a Abs. 2 Satz 2 ZPO).42) 24 Der Antrag nach § 251 Abs. 1 InsO kann dem Insolvenzgericht auch schriftlich übermittelt werden. Wie stets bei verfahrensrechtlichen Handlungen gilt in diesem Zusammenhang nicht das Schriftformgebot des § 126 BGB, sondern die sog. „prozessuale Schriftform“, d. h. eine Übermittlung des Antrags per Telefax reicht aus.43) 1.2.3 Frist für die Antragstellung 25 Nach § 251 Abs. 2 InsO muss die voraussichtliche Schlechterstellung des Antragstellers spätestens im Abstimmungstermin glaubhaft gemacht werden. Dasselbe muss auch für den Antrag nach § 251 Abs. 1 InsO gelten.44) Die Glaubhaftmachung der voraussichtlichen Schlechterstellung kann nach der Systematik des § 251 InsO nämlich nur im Zusammenhang mit dem Antrag selbst erfolgen, da die isolierte Glaubhaftmachung eines ggf. später ___________ 36) Vgl. BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 10/06, NZI 2007, 522; Paul, ZInsO 2007, 856, 858 m. w. N.; Thies in: HambKomm-InsO, § 251 Rz. 8; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 15. 37) Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 251 Rz. 2; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 12; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 3. 38) Vgl. nur BGH v. 12.3.2009 – V ZB 71/08, NJW-RR 2009, 852. A. A. LG Münster v. 11.10.2004 – 15 Ns 622 Js 467/04, NJW 2005, 166. 39) Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 4 Rz. 25. 40) Fritsche in: MünchKomm-ZPO, § 129a Rz. 1. 41) Becker in: Nerlich/Römermann, InsO, § 2 Rz. 25 ff., § 3 Rz. 44, 53, § 5 Rz. 45. 42) Wöstmann in: Saenger, ZPO, § 129a Rz. 1. 43) St. Rspr. in allen Gerichtszweigen, vgl. nur die Nachweise in GemSOGB v. 5.4.2000 – GmS-OGB 1/98, ZIP 2000, 1356, dazu EWiR 2001, 47 (Meller-Hannich). Möglich ist sogar die elektronische Übertragung einer Textdatei mit eingescannter Unterschrift auf ein Faxgerät des Gerichts (vgl. GemSOGB, ZIP 2000, 1356). 44) Zust. Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 4; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 11; nach a. A. kann der Antrag bis zu Verkündung der Bestätigung erfolgen: Thies in: HambKomm-InsO, § 251 Rz. 5; Pleister in: KPB, InsO, § 251 Rz. 5; für eine Frist bis zur rechtskräftigen Bestätigung Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 251 Rz. 2.

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zu stellenden Antrags völlig praxisfern wäre.45) Außerdem ist ausgeschlossen, dass in § 251 Abs. 2 InsO die Glaubhaftmachung eines Widerspruchs gegen den Plan gemeint ist, da der Widerspruch keiner Begründung bedarf und von dem Antrag auf Versagung der Bestätigung und der hierfür erforderlichen Glaubhaftmachung zu trennen ist.46) Aus § 251 Abs. 1 Nr. 1 InsO lässt sich ferner ableiten, dass der Antrag frühestens nach 26 Erklärung des Widerspruchs gestellt werden kann, da der Antrag ansonsten nicht zulässig und vom Gericht bei seiner Entscheidung über die Bestätigung des Planes (§ 252 InsO) nicht zu berücksichtigen wäre. 1.2.4 Widerspruch gegen den Insolvenzplan (§ 251 Abs. 1 Nr. 1 InsO) Als weitere Zulässigkeitsvoraussetzung für den Antrag fordert § 251 Abs. 1 Nr. 1 InsO die 27 vorherige Einlegung eines Widerspruchs des Antragstellers gegen den Plan. Wie bereits zuvor (siehe Rz. 26) erwähnt, ist der Widerspruch von dem Versagungsantrag selbst zu trennen. Im Widerspruch ist nicht zugleich der Antrag nach § 251 Abs. 1 InsO zu sehen und im Versagungsantrag liegt nicht zugleich ein Widerspruch i. S. des § 251 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Der Grund für diese Trennung liegt darin, dass ein Gläubiger oder Anteilsinhaber trotz 28 eingelegten Widerspruchs möglicherweise keinen Antrag nach § 251 Abs. 1 InsO stellen möchte.47) Ebenso liegt in der Tatsache, dass der Antragsteller gegen den Plan gestimmt hat, noch nicht zugleich ein Widerspruch.48) Sofern der Antragsteller also im Abstimmungstermin gegen den Insolvenzplan gestimmt hat, entbindet ihn dies nicht von der Erklärung des Widerspruchs. Sofern ein Gläubiger im Abstimmungstermin jedoch für den Plan gestimmt hat, ist ihm 29 die Einlegung eines Widerspruchs – ebenso wie der Antrag nach § 251 Abs. 1 InsO selbst – verwehrt. Dies ergibt sich aus dem Verbot des widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) nach § 242 BGB (siehe oben Rz. 15).49) Wie beim Antrag auf Versagung des Plans nach § 251 Abs. 1 InsO selbst muss der An- 30 tragsteller dem Plan auch unabhängig davon widersprechen, ob er stimmberechtigt war oder nicht, oder er – trotz Stimmberechtigung – der Abstimmung ferngeblieben ist.50) Fraglich ist, ob im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH zu § 251 InsO in der Fas- 31 sung vor Inkrafttreten des ESUG auf die Erklärung eines Widerspruchs verzichtet werden kann, wenn der Gläubiger bzw. Anteilsinhaber im Abstimmungstermin beantragt, die Bestätigung des Plans zu versagen. Der BGH war der Ansicht, dass es in diesem Fall keines Widerspruchs bedürfe, da dessen Zweck darin bestehe, dem Insolvenzverwalter und den Beteiligten am Schluss des Abstimmungstermins Klarheit zu verschaffen, ob der Insolvenzplan noch am Widerspruch eines der Beteiligten scheitern könne.51) Dies sei gerade der Fall, ___________ 45) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 11; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 4. 46) Vgl. zur Trennung von Widerspruch und Antrag: BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 10/06, NZI 2007, 522; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 251 Rz. 4; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 13; Paul, ZInsO 2007, 856, 858 m. w. N. 47) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 15. 48) LG Neubrandenburg v. 31.7.2000 – 4 T 260/00, ZInsO 2000, 628 (LS); Paul, ZInsO 2007, 856, 858. 49) Str., vgl. die Nachw. bei Rz. 15; a. A. auch noch die h. M. zu § 251 InsO i. d. F. vor Inkrafttreten des ESUG, vgl. nur Braun/Frank in: Braun, InsO, 4. Aufl., § 251 Rz. 3; Lüer in: Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 251 Rz. 12; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, 6. Aufl., § 251 Rz. 6. 50) Braun/Frank in: Braun, InsO, § 251 Rz. 5; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 251 Rz. 11 ff. Bzgl. fehlender Stimmberechtigung Begr. RegE InsO z. § 298, BT-Drucks. 12/2443, S. 212. 51) BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 10/06, NZI 2007, 522.

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wenn der Antragsteller seinen Versagungsantrag bereits im Abstimmungstermin gestellt habe, so dass das Fordern eines vorherigen Widerspruchs eine bloße Förmelei wäre.52) 32 Nach der jetzigen Fassung des § 251 Abs. 2 InsO ist der Verzicht auf die Erklärung des Widerspruchs jedoch nicht mehr haltbar. Das Gesetz schreibt ausdrücklich vor, dass spätestens im Abstimmungstermin sowohl der Widerspruch erklärt werden (§ 251 Abs. 1 Nr. 1 InsO) als auch die Glaubhaftmachung der voraussichtlichen Schlechterstellung, d. h. der Antrag selbst (siehe oben Rz. 26), vorliegen muss. Hätte der Gesetzgeber allein auf die vom BGH betonte Funktion der Klarheit abstellen wollen, dann hätte er auf den Widerspruch verzichten können, da auch der Antrag nunmehr zwingend spätestens im Abstimmungstermin zu erfolgen hat. 33 Wenngleich nicht klar ist, was der Gesetzgeber mit dem Widerspruch bezweckt und dieser nach der jetzigen Fassung des § 251 Abs. 2 InsO die ursprünglich intendierte Warnfunktion verloren hat, ist der Widerspruch nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 251 Abs. 1 InsO eine zwingende Voraussetzung für die Zulässigkeit des Antrags.53) 1.2.4.1

Form des Widerspruchs

34 Sofern der Widerspruch nicht im Abstimmungstermin zu Protokoll erklärt wird, hat er gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 1 InsO schriftlich zu erfolgen. Eine Erklärung des Widerspruchs zu Protokoll der Geschäftsstelle ist nicht zulässig.54) 35 Anders als für den Antrag nach § 251 Abs. 1 InsO gilt hier stets die sog. „prozessuale Schriftform“ (ausführlich siehe oben Rz. 24). Widersprüche in Textform (§ 126b BGB) genügen den Anforderungen des § 251 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht. 1.2.4.2

Frist für den Widerspruch

36 In zeitlicher Hinsicht muss der Widerspruch gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 1 InsO spätestens im Abstimmungstermin erklärt werden. In der Regel wird das Gericht den Gläubigern und Anteilsinhabern hierzu vor dem Schluss des Termins noch einmal Gelegenheit geben.55) Sofern der Antragsteller diese Frist versäumt, ist sein Antrag unzulässig;56) eine Nachholung des Widerspruchs im Beschwerdeverfahren ist gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 1 InsO ausgeschlossen. 37 Der Widerspruch kann bereits vor dem Abstimmungstermin, also etwa nach Zustellung des Entwurfs zur Stellungnahme eingelegt werden.57) Einem „vorsorglichen“ Widerspruch, der bereits erklärt wird, bevor der Antragsteller den Entwurf zur Kenntnis genommen haben kann, wäre allerdings das Rechtsschutzbedürfnis abzusprechen.58) ___________ 52) BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 10/06, NZI 2007, 522; so auch schon BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, ZIP 2005, 1648, 1649, dazu EWiR 2006, 279, 280 (v. Gleichenstein). 53) A. A. Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 5, der vor dem Hintergrund der zugegebenermaßen existenten redaktionellen Schwächen unter Berücksichtigung des Gebots effektiven Rechtschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) auf den Widerspruch neben der ohnehin erforderlichen Antragstellung im Abstimmungstermin (s. dazu Rz. 21) verzichten will („Förmelei“). Ebenso Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 14; Pleister in: KPB, InsO, § 251 Rz. 7; Hirschberger in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 20 Rz. 23 ff. 54) Die Möglichkeit, den Widerspruch zu Protokoll der Geschäftsstelle zu erklären, ist durch das ESUG zum Zweck der Vereinfachung der Abläufe bei Gericht abgeschafft worden, vgl. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 35. 55) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 235 Rz. 26; Hirschberger in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 20 Rz. 27. 56) Vgl. BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 10/06, NZI 2007, 522. 57) Andere Autoren stellen auf das Ende des Erörterungstermins ab, vgl. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 15. 58) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 8, 15; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 251 Rz. 13.

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Minderheitenschutz, Rechtsmittel 1.2.5 Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung der Fristen

Fraglich ist, ob eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 4 InsO i. V. m. § 233 38 ZPO für den Fall zulässig ist, dass der Antragsteller unverschuldet am Erscheinen im Abstimmungstermin gehindert war. Die Wiedereinsetzung bewirkt bekanntlich keine Fristverlängerung, sondern eine Beseitigung der Folgen der Versäumnis, indem die fristgebundene Handlung als rechtzeitig bewirkt gilt.59) Die Erklärung des Widerspruchs und die Glaubhaftmachung der Schlechterstellung sind 39 allerdings gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 InsO Tatbestandsvoraussetzungen des Antrags. Es handelt sich daher um sog. „materiell-rechtliche“ Fristen, auf die § 233 ZPO weder direkt noch analog anwendbar ist.60) Sofern der Antragsteller aufgrund eines Verfahrensfehlers nicht in der Lage war, einen 40 Widerspruch gegen den Plan einzulegen und seine Schlechterstellung glaubhaft zu machen, etwa weil das Gericht die Ladungspflicht gemäß § 235 Abs. 3 InsO verletzt hat und der Antragsteller somit nicht am Erörterungs- und Abstimmungstermin anwesend sein konnte, kann dieser Verfahrensfehler nicht im Wege des Antrags nach § 251 InsO, sondern nur im Wege der sofortigen Beschwerde nach § 253 InsO geltend gemacht werden.61) Nach § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO kann der Antragsteller diesen Fehler allerdings nur dann rügen, wenn er auch eine wesentliche Schlechterstellung durch den Plan glaubhaft machen kann (siehe unten Rz. 136 ff.). 1.2.6 Glaubhaftmachung der voraussichtlichen Schlechterstellung (§ 251 Abs. 2 InsO) Der Antrag auf Minderheitenschutz ist nach § 251 Abs. 2 InsO nur zulässig, wenn der An- 41 tragsteller glaubhaft macht, dass er durch den Plan voraussichtlich schlechtergestellt wird, als er ohne den Plan stünde.62) Diese Voraussetzung entspricht dem früheren § 188 Abs. 2 KO zum Zwangsvergleich und soll verhindern, dass das Gericht ggf. aufwändige Ermittlungen durchzuführen hätte, selbst wenn der Antrag lediglich aufgrund bloßer Vermutungen oder abstrakter Entwicklungsprognosen gestellt würde (sog. Pauschalanträge).63) Der ansonsten im Insolvenzverfahren geltende Amtsermittlungsgrundsatz nach § 5 Abs. 1 InsO wird demnach im Interesse einer Verfahrensbeschleunigung abbedungen.64) Die Prüfung des Insolvenzgerichts ist deshalb auf die vom Antragsteller vorgebrachten und 42 glaubhaft gemachten Tatsachen und Schlussfolgerungen beschränkt.65) Andere, vom An-

___________ 59) Stackmann in: MünchKomm-ZPO, § 233 Rz. 4; Kazele in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 233 Rz. 2. 60) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 16; vgl. Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 251 Rz. 7 f., 14; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 16. 61) Vgl. BGH v. 13.1.2011 – IX ZB 29/10, ZIP 2011, 781; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 62. 62) BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 10/06, NZI 2007, 522; ausführlich hierzu Thorwart/Schauer, NZI 2011, 574 ff. 63) BGH v. 19.7.2012 – IX ZB 250/11, BeckRS 2012, 17122; vgl. auch Braun/Frank in: Braun, InsO, § 251 Rz. 10; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 19; Rattunde in: Rattunde/Smid/Zeuner, InsO, § 251 Rz. 9; Wienberg/Dellit in: Bork/Hölzle, Hdb. Insolvenzrecht, Kap. 13, Rz. 264; Thorwart/Schauer, NZI 2011, 574, 575. 64) Vgl. BGH v. 11.4.2013 • IX ZB 170/11, NZI 2013, 648, 649 – zur Amtsermittlungspflicht i. R. des § 290 InsO; Baumert in: Braun, InsO, § 5 Rz. 13. 65) BGH v. 29.3.2007 – IX ZB 204/05, ZIP 2007, 923; BGH v. 19.5.2009 – IX ZB 236/07, ZIP 2009, 1384, dazu EWiR 2010, 29 (Lau); BGH v. 19.7.2012 – IX ZB 250/11, BeckRS 2012, 17122; Silcher in: Ahrens/ Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 251 InsO Rz. 15; Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 251 Rz. 14; vgl. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 251 Rz. 19; Ganter, NZI 2013, 209, 227; Thorwart/Schauer, NZI 2011, 574.

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tragsteller nicht vorgetragene oder nicht ordnungsgemäß glaubhaft gemachte Tatsachen sind nicht zu berücksichtigen.66) 43 Die Glaubhaftmachung kann durch alle Beweismittel der ZPO erfolgen (vgl. § 4 InsO i. V. m. § 294 Abs. 1 ZPO): 

Beweis durch Augenschein (§§ 371 ff. ZPO);



Zeugenbeweis (§§ 373 ff. ZPO);



Beweis durch Sachverständige (§§ 402 ff. ZPO);



Beweis durch Urkunden (§§ 415 ff. ZPO) und



Beweis durch Parteivernehmung (§§ 445 ff. ZPO).

44 Bei der Glaubhaftmachung sind jedoch nicht nur die vorgenannten Beweismittel des sog. „Strengbeweises“ zulässig, sondern auch die Versicherung an Eides statt (vgl. § 294 Abs. 1 ZPO). Diese kann von Dritten, aber auch vom Antragsteller selbst geleistet werden.67) 45 Zu beachten ist allerdings, dass eine Glaubhaftmachung gemäß § 4 InsO i. V. m. § 294 Abs. 2 ZPO nur auf präsente Beweismittel gestützt werden kann, d. h. der Antragsteller muss alle Beweismittel selbst und sofort beibringen.68) Eine Vertagung zum Zwecke der Beweisaufnahme ist nicht zulässig.69) Aus diesem Grund kann dem Antragsteller auch i. R. des § 251 Abs. 2 InsO keine weitere Frist zur Glaubhaftmachung seiner voraussichtlichen Schlechterstellung zugebilligt werden.70) 46 Anders als beim sog. „Vollbeweis“ reicht bei der Glaubhaftmachung ein geringerer Grad an gerichtlicher Überzeugung aus. Eine Tatsache ist bereits dann glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen überwiegend wahrscheinlich ist.71) 47 Der Antragsteller muss allerdings konkrete Tatsachen vortragen und glaubhaft machen, aus denen sich die überwiegende Wahrscheinlichkeit seiner Schlechterstellung durch den Insolvenzplan ergibt.72) Gefordert wird deshalb, dass eine Entwicklung, die eine Benachteiligung bewirken könnte, nicht nur abstrakt möglich, sondern aufgrund konkreter Anhaltspunkte wahrscheinlicher sein muss als eine Nichtschlechterstellung.73) Teils wird weitergehend gefordert, dass der Antragsteller den Betrag seiner Schlechterstellung anhand einer (eigenen) konkreten und detaillierten Vergleichsrechnung beziffern müsse.74) Im Hinblick auf die Tatsache, dass die Schlechterstellung gemäß § 251 Abs. 2 InsO nur

___________ 66) Vgl. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 251 Rz. 19. 67) Laumen in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 294 Rz. 3. 68) BGH v. 19.5.2009 – IX ZB 236/07, ZIP 2009, 1384; BGH v. 17.12.2009 – IX ZB 124/09, ZIP 2010, 292; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 251 Rz. 20. 69) Laumen in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 294 Rz. 4. 70) Vgl. BGH v. 14.5.2009 – IX ZB 33/07, NZI 2009, 523 – zur Glaubhaftmachung i. R. des § 290 Abs. 2 InsO; BGH v. 17.12.2009 – IX ZB 124/09, ZIP 2010, 292; Thies in: HambKomm-InsO, § 251 Rz. 10; ebenso jetzt Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 22; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 251 Rz. 24. 71) BGH v. 5.5.1976 – IV ZB 49/75, MDR 1983, 749; BGH v. 9.2.1998 – II ZB 15/97, NJW 1998, 1870; Laumen in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 294 Rz. 2; Thole in: Stein/Jonas, ZPO, § 294 Rz. 1; Huber in: Musielak/Voit, ZPO, § 294 Rz. 3; Bork, Sanierungsrecht in Deutschland und England, Rz. 17.60. 72) BGH v. 29.3.2007 – IX ZB 204/05, ZIP 2007, 923; BGH v. 19.5.2009 – IX ZB 236/07, ZIP 2009, 1384; BGH v. 24.3.2011 • IX ZB 80/11; ZIP 2011, 966; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 19. 73) Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. EGInsOÄndG z. Art. 2 Nr. 14, BT-Drucks. 14/120, S. 14; BGH v. 29.3.2007 – IX ZB 204/05, ZIP 2007, 923; BGH v. 19.5.2009 – IX ZB 236/07, ZIP 2009, 1384; Wienberg/Dellit in: Bork/Hölzle, Hdb. Insolvenzrecht, Kap. 13 Rz. 264; Paul, ZInsO 2007, 856, 858. 74) So Thies in: HambKomm-InsO, § 251 Rz. 9; Lehmann/Rühle, NZI 2015, 151, 154.

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bis zum Ende des Abstimmungstermin glaubhaft gemacht werden kann, erscheint eine eigene detaillierte Vergleichsrechnung aber zu viel verlangt.75) Im Gegensatz zu § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO besteht i. R. des § 251 InsO keine Geringfügig- 48 keitsschwelle der glaubhaft zu machenden Schlechterstellung. Die Schlechterstellung muss deswegen nicht „wesentlich“ sein. Ausreichend ist vielmehr die Glaubhaftmachung jeglicher Schlechterstellung.76) Zur Glaubhaftmachung der zu erwartenden Liquidationserlöse kann der Antragsteller 49 z. B. auf die Stellungnahme des Insolvenzverwalters zum Berichtstermin, die Vergleichsrechnung im darstellenden Teil des Plans und ggf. auch auf die nach § 232 InsO vorgelegten Stellungnahmen zurückgreifen.77) Zum Begriff der Schlechterstellung siehe sogleich unten Rz. 52 ff. 1.3

50

Begründetheit des Antrags

Ein zulässiger Antrag nach § 251 InsO ist nur dann begründet und demzufolge die Bestä- 51 tigung des Insolvenzplans zu versagen, wenn zwei Voraussetzungen kumulativ vorliegen: 

Der Antragsteller muss durch den Plan voraussichtlich schlechtergestellt werden, als er ohne den Plan stünde (§ 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO); und



im gestaltenden Teil des Plans sind keine Mittel für den Fall einer Schlechterstellung bereitgestellt (§ 251 Abs. 3 Satz 1 InsO).

1.3.1 Voraussichtliche Schlechterstellung (§ 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO) Die Prüfung der voraussichtlichen Schlechterstellung erfordert bereits das Obstruktions- 52 verbot: Gemäß § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist eine Voraussetzung für die Überwindung der Ablehnung durch eine Abstimmungsgruppe, dass die Angehörigen dieser Gruppe durch den Insolvenzplan voraussichtlich nicht schlechtergestellt werden, als sie ohne einen Plan stünden (siehe dazu ausführlich oben Becker, HRI II, § 36 Rz. 11 ff.). Ein wesentlicher Unterschied zwischen dieser Vorschrift und § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO besteht jedoch darin, dass die Prüfung nach § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO auf die Schlechterstellung einer Gruppe von Beteiligten bezogen ist, während § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO auf die individuelle Schlechterstellung des einzelnen Beteiligten abstellt.78) Zudem ist der Prüfungsumfang unterschiedlich: Bei § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung gegenständlich und umfänglich nicht begrenzt und das Gericht hat alle in Betracht kommenden relevanten Tatsachen zu berücksichtigen. Im Rahmen der Prüfung nach § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO wird das Insolvenzgericht dagegen lediglich auf Antrag tätig und ist hinsichtlich des Prüfungsumfangs auf die vom Antragsteller vorgebrachten Tatsachen beschränkt,79) für die dieser auch die Darlegungs- und Beweislast trägt.80) ___________ 75) Thies in: HambKomm-InsO, § 251 Rz. 5, vertritt hingegen, dass der Antrag noch bis zur Verkündung des Bestätigungsbeschlusses gestellt werden könne. 76) Nach Häsemeyer in: FS Gaul, 1997, S. 175, 178 f., muss ein Insolvenzplan sogar „offenkundige Vorteile“ bieten. Hiergegen zu Recht Bähr in: Mohrbutter/Ringstmeier, Hdb. Insolvenzverwaltung, Kap. 14 Rz. 217. 77) Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 251 Rz. 14. 78) AG Düsseldorf v. 7.1.2008 – 503 IN 221/02, ZInsO 2008, 463; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 251 Rz. 32; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 251 Rz. 17; Warrikoff, KTS 1997, 527, 550. 79) BGH v. 29.3.2007 – IX ZB 204/05, ZIP 2007, 923; BGH v. 19.5.2009 – IX ZB 236/07, ZIP 2009, 1384; BGH v. 19.7.2012 – IX ZB 250/11, WM 2012 Heft 34, 1640; BGH v. 17.7.2014 • IX ZB 13/14 (Suhrkamp), ZIP 2014, 1442; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 20. 80) BGH v. 19.5.2009 – IX ZB 236/07, ZIP 2009, 1384; Koch/de Bra in: Gottwald/Haas, InsR-Hdb., § 66 Rz. 112.

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53 Aus der Tatsache, dass die Schlechterstellung des Antragstellers nur „voraussichtlich“ sein muss, wird deutlich, dass die gerichtliche Entscheidung auf einer Prognose basiert. Das Risiko, dass sich im Nachhinein entgegen der gerichtlichen Prognose doch eine Schlechterstellung des Antragstellers ergibt, trägt dieser somit selbst.81) Je nach Komplexität des Sachverhalts kann das Gericht auch Sachverständigengutachten anfordern; es ist hierzu jedoch nicht verpflichtet.82) 54 Ob im Ergebnis eine Schlechterstellung zu bejahen ist, bestimmt sich anhand eines Wahrscheinlichkeitsmaßstabs. Durch die Gegenüberstellung der Leistungen aus dem Regelinsolvenzverfahren mit den Leistungen des Insolvenzplans ist zu ermitteln, ob eine Schlechterstellung durch den Insolvenzplan wahrscheinlicher ist als eine Nichtschlechterstellung.83) 55 Für die Frage, ob eine voraussichtliche Schlechterstellung vorliegt, sind allein wirtschaftliche Gesichtspunkte maßgebend.84) So ist z. B. eine Schlechterstellung zu verneinen, sofern dem Antragsteller im Plan eine Kompensation gewährt wird. Eine derartige Kompensation kann bspw. in der Form erfolgen, dass an absonderungsberechtigte Gläubiger eine Zahlung i. H. des Verkehrswerts ihrer Absonderungsrechte für den Fall erfolgt, dass die Absonderungsrechte i. R. des Insolvenzplans zur Insolvenzmasse gezogen werden.85) 56 Neben den spezifischen Quoten umfasst der Wirtschaftlichkeitsmaßstab weitere sachverhaltsspezifische Umstände, die auf Basis einer Gesamtbeurteilung in die Ermittlung einzubeziehen sind. Nach entsprechender Ermittlung eines Vergleichswerts gilt es etwa zu beachten, wie sich zukünftige Verläufe im Endergebnis auf die wirtschaftliche Situation, wie z. B. Zins- und Risikoelemente, auswirken (eingehend dazu siehe Becker, HRI II, § 36 Rz. 28 ff.).86) Dies ist insbesondere der Fall, sofern Fortführungswerte als Vergleichsmaßstab dienen, nach denen eine Befriedigung der Gläubiger im Regelverfahren erst aus zu erwirtschaftenden Erträgen des Unternehmens erfolgen würde. Zusätzlich können künftige Vorteile, etwa in Form eines Arbeitsplatzerhalts, von Bedeutung sein.87) 57 Darüber hinaus ist etwa trotz ggf. höherer Insolvenzplanquote im Ergebnis eine wirtschaftliche Schlechterstellung denkbar, z. B. wenn der Gläubiger im Regelverfahren nach Verfahrensaufhebung (§ 200 InsO) mit (künftigen) Gegenansprüchen des Schuldners aufrechnen könnte, aber ihm diese Möglichkeit durch einen Forderungserlass im Insolvenzplan genommen wird.88) Eine Schlechterstellung ist ebenfalls denkbar, wenn der Plan einem Anteilsinhaber zusätzliche Gesellschafterpflichten bei einer Fortführung des Schuldners

___________ 81) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 24 f. 82) Vgl. LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461, 462 f. – unter Berufung auf die Gesetzesmaterialien; ebenso Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 33; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 251 Rz. 18, 34; krit. dazu aber Eidenmüller, NJW 1999, 1837, 1838. 83) Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. EGInsOÄndG, BT-Drucks. 14/120 S. 14; BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 10/06, NZI 2007, 522; BGH v. 19.5.2009 – IX ZB 236/07, ZIP 2009, 1384; vgl. BGH v. 17.7.2014 • IX ZB 13/14 (Suhrkamp), ZIP 2014, 1442; Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 251 Rz. 9, § 245 Rz. 5; Wienberg/Dellit in: Bork/Hölzle, Hdb. Insolvenzrecht, Kap. 13 Rz. 264; krit. zu Prognoseentscheidungen Eidenmüller, NJW 1999, 1837 f. 84) Ganz h. M., vgl. nur Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 28; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 7; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 251 Rz. 15. 85) Vgl. Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 7. 86) Eine ausführliche Darstellung liefert auch Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 9 f.; vgl. auch Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 12. 87) So Warrikoff, KTS 1997, 527, 545; a. A. Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 8, der „Vorteile aus einer Fortsetzung der Geschäftsverbindung“ für unbeachtlich hält. 88) BGH v. 29.3.2007 – IX ZB 204/05, ZIP 2007, 923; vgl. auch Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 11.

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(z. B. Nachschusspflichten) aufbürdet.89) Ausführlich zur möglichen Schlechterstellung bei der Vereinbarung eines Sozialplans siehe oben Becker, HRI II, § 36 Rz. 25. Nicht zu berücksichtigen sind letztlich solche Aspekte, die den Antragsteller unabhängig 58 von wirtschaftlichen Kriterien betreffen können, wie etwaige Verfahrensverstöße des Gerichts.90) Ausgeschlossen ist eine wirtschaftliche Schlechterstellung i. S. des § 251 InsO z. B., wenn der Antragsteller durch die Festsetzung des Stimmrechts im Insolvenzplanverfahren benachteiligt ist.91) Die Grundlage der Feststellung einer möglichen wirtschaftlichen Schlechterstellung bildet 59 eine Vergleichsrechnung (ausführlich hierzu oben J. Schmidt, HRI II § 29). Die in der Theorie relativ eindeutig scheinende Gegenüberstellung von Planverfahren und Regelverfahren ist jedoch in der Praxis mit Schwierigkeiten verbunden.92) Zunächst ist der maßgebliche Zeitraum zu beachten, anhand dessen eine Wertermittlung des Regelverfahrens als Vergleichsgröße stattfindet. Dabei sind die Werte zu berücksichtigen, die dem Antragsteller i. R. des Regelverfahrens bis zu dessen Ende, d. h. auch i. R. einer etwaigen Nachtragsverteilung, zustünden.93) Keine Berücksichtigung finden hingegen Umstände, die erst nach Beendigung des Insolvenzverfahrens, z. B. nach einem etwaigen Restschuldbefreiungszeitraum, eintreten würden.94) Des Weiteren ist durch das SanInsFoG bei der Erlösberechnung für den Vergleich mit 60 dem Regelverfahren eine wesentliche Neuerung eingeführt worden: Grundsätzlich geht der Gesetzgeber zwar von der Liquidationsverwertung als Regelfall aus (vgl. §§ 159 ff. InsO), so dass nach bisheriger Ansicht auch i. R. des Vergleichs nach § 251 InsO regelmäßig Liquidationswerte heranzuziehen waren.95) Nach der Neuregelung des § 220 Abs. 2 InsO ist hieran aber nicht mehr festzuhalten. Nach § 220 Abs. 2 Satz 3 InsO sind im darstellenden Teil des Insolvenzplans für den Regelfall nun Fortführungswerte anzusetzen, sofern der Plan die Fortführung des Unternehmens vorsieht. Lediglich ausnahmsweise ist gemäß § 220 Abs. 2 Satz 4 InsO auf Liquidationswerte abzustellen, wenn der Verkauf des Unternehmens (d. h. vor allem eine übertragende Sanierung) oder eine anderweitige Fortführung aussichtslos ist. Es bedarf einer fundierten Begründung, warum nicht von einer Fortführung auszugehen ist (eingehend dazu siehe J. Schmidt, HRI II § 29 Rz. 137 ff.).96) Eine entsprechende Ergänzung wurde mit dem SanInsFoG zwar nicht ausdrücklich in § 251 Abs. 2 InsO verankert. Der gesetzgeberischen Intention entsprechend sind i. R. des Vergleichs nach § 251 Abs. 2 InsO jedoch ebenso grundsätzlich Fortführungswerte anzusetzen.97) ___________ 89) Hierzu Eidenmüller, NJW 2014, 17, 18 f. 90) Vgl. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 251 Rz. 12. 91) LG Bielefeld v. 30.11.2001 – 23 T 365/01, ZIP 2002, 951; LG Berlin v. 29.10.2002 – 86 T 534/02, ZInsO 2002, 1191, 1192; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 251 Rz. 8; Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 251 Rz. 9; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 251 Rz. 15; a. A. Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Kap. 20 Rz. 20.3. 92) Ausführlich zur Problematik der Vergleichsrechnung als Instrument der Interessensverfolgung Tan/ Lambrecht, NZI 2019, 249. 93) Braun/Frank in: Braun, InsO, § 245 Rz. 6; Thorwart/Schauer, NZI 2011, 574, 575. 94) So Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 251 Rz. 18 – für den Fall einer nicht an einer etwaigen Restschuldbefreiung teilnehmenden Forderung. 95) So noch die 3. Aufl., wonach auf Fortführungswerte allein bei Vorliegen eines konkreten Angebots abzustellen war. Ebenso Silcher in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 251 InsO Rz. 14; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 26; Koch/de Bra in: Gottwald/Haas, InsR-Hdb., § 66 Rz. 66 f., 112. 96) Vgl. zum StaRUG Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 163; ebenso Pleister in: KPB, InsO, § 251 Rz. 9. 97) Im Ergebnis auch Pleister in: KPB, InsO, § 251 Rz. 9.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

61 Hierin unterscheidet sich das deutsche Recht somit von dem „Best Interest of the Creditors Test“ nach Chapter 11 des US Bankruptcy Code (vgl. 11 U.S.C. § 1129(a)(7)(A)(ii)), der einen Vergleich lediglich mit dem Liquidationswert vorsieht.98) 62 Die vereinzelt vertretene Auffassung, dass zusätzlich ein weiterer Insolvenzplan als möglicher Vergleichsmaßstab dienen könne,99) überzeugt hingegen bereits aufgrund des Wortlauts des § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO nicht, der den Insolvenzplan insoweit ausdrücklich ausnimmt („ohne Plan“).100) 63 Fraglich ist, wie die Beurteilung einer Schlechterstellung bei der Umwandlung von Gläubigerforderungen in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte (Debt Equity Swap) gemäß § 225a Abs. 2 InsO zu erfolgen hat (zum Debt Equity-Swap siehe oben Hölzle, HRI II, § 26 Rz. 62 ff.). Eine Schlechterstellung liegt nicht schon deshalb vor, weil die Gläubiger ein „aliud“ dessen erhalten, was sie im Regelverfahren bekommen hätten (Anteilsrechte statt Geld), da der Insolvenzplan dies gemäß § 225a InsO ausdrücklich vorsehen darf.101) Für die Feststellung einer möglichen Schlechterstellung müsste eigentlich eine Unternehmensbewertung erfolgen, um den Wert der neuen Anteile, die an die betroffenen Gläubiger i. R. des Debt Equity Swaps ausgegeben werden, zu ermitteln.102) 64 Zu berücksichtigen ist allerdings, dass Gläubiger, deren Forderungen in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte am Schuldner umgewandelt werden, der Umwandlung gemäß § 225a Abs. 2 Satz 2 InsO ausdrücklich zustimmen müssen. Wenn ein Gläubiger diese Zustimmung erteilt, stimmt er damit auch der sich aus dem Insolvenzplan ergebenden Rechtsfolge zu. Deswegen darf er sich im Nachhinein nicht mehr gegen diese Rechtsfolge mit der Begründung richten, dass die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte einen geringeren Wert als die im Regelverfahren zu erwartende Quote hätten. Dies ergibt sich aus dem Verbot des widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) nach § 242 BGB (siehe oben Rz. 15). Da eine Forderungsumwandlung – vom Sonderfall der Schuldverschreibung einmal abgesehen – somit nicht aufgrund einer Mehrheitsentscheidung ergehen kann,103) besteht auch kein Bedürfnis nach Minderheitenschutz durch den Antrag nach § 251 Abs. 1 InsO. Wer eine Schlechterstellung durch Forderungsumwandlung befürchtet, kann seine Zustimmung schlicht verweigern. 1.3.2 Kein Ausgleich durch im Insolvenzplan vorgesehene Mittel (§ 251 Abs. 3 Satz 1 InsO) 65 Damit ein Versagungsantrag Aussicht auf Erfolg hat, ist neben der voraussichtlichen Schlechterstellung gemäß § 251 Abs. 3 Satz 1 InsO erforderlich, dass im Insolvenzplan keine Mittel zum Ausgleich einer nachgewiesenen wirtschaftlichen Schlechterstellung vorgesehen sind („salvatorische Klausel“). Sofern im Plan ausreichende Mittel bereitgestellt wer___________ 98) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rz. 13 m. w. N. 99) Warrikoff, KTS 1997, 527, 549 f. 100) Vgl. LG Wuppertal 18.5.2016 – 16 T 116/16, ZInsO 2016, 1164 z. § 253 Abs. 2 InsO; LG Stade v. 29.12.2017 – 7 T 151/17, NZI 2019, 31 m. Anm. Schmidt; so auch Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 6; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 7. 101) Vgl. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 251 Rz. 27. 102) Vgl. hierzu Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rz. 11. 103) Vgl. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 31; Meyer/Degener, BB 2011, 846, 848, die auch auf den Sonderfall des SchVG eingehen. Nach § 5 Abs. 3 Nr. 5, § 19 Abs. 1, 2 SchVG können die Schuldverschreibungsgläubiger einen gemeinsamen Vertreter wählen und diesen per Mehrheitsbeschluss ermächtigen, der Forderungsumwandlung zuzustimmen. Aufgrund dieser gesetzlichen Wertung steht auch dem einzelnen Schuldverschreibungsgläubiger im Fall des Debt Equity Swaps kein Minderheitenschutz zu, obwohl er selbst der Forderungsumwandlung möglicherweise nicht zugestimmt hat.

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Minderheitenschutz, Rechtsmittel

den, dient die Regelung der schnelleren Bestätigung des Insolvenzplans durch Abbau von Blockademöglichkeiten und somit der Beschleunigung des Verfahrens.104) § 251 Abs. 3 InsO vermag die Nutzbarkeit des Minderheitenschutzantrags für „Störer- 66 strategien“ allerdings nur zu mindern, nicht jedoch auszuschließen. Ein vollständiger Ausgleich der Schlechterstellung muss mit den zur Verfügung gestellten Mitteln nämlich eindeutig erreicht werden können.105) Sofern die Mittel bei unterstellter Richtigkeit des glaubhaft gemachten Vortrags des Antragstellers nicht ausreichen, wird sich das Insolvenzgericht weiterhin mit möglicherweise zeitaufwendigen Vergleichsrechnungen beschäftigen müssen (siehe dazu Rz. 59 ff.). Die Einbeziehung von Anteilsinhabern in den Minderheitenschutz dürfte allerdings – 67 entgegen im Schrifttum geäußerter Befürchtungen106) – nicht zu signifikantem Blockadepotential durch diese Gruppe führen, weil das Vorliegen einer Schlechterstellung der Anteilsinhaber im Vergleich zum Regelinsolvenzverfahren vom Gericht im Normalfall recht zügig überprüfbar sein sollte. Anteilsinhaber erhalten im Regelinsolvenzverfahren typischerweise ohnehin keine Ausschüttung nach § 199 Satz 2 InsO mehr.107) Bei den Ausnahmefällen ist insbesondere an Insolvenzverfahren zu denken, die aufgrund lediglich drohender Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO eingeleitet worden sind. In einem solchen Fall dürfte den Anteils- bzw. Mitgliedschaftsrechten regelmäßig noch ein wirtschaftlicher Wert zukommen, so dass die Vergleichsrechnung hier einer eingehenden Prüfung bedarf. Ein Interesse an einer Bereitstellung von Ausgleichsmitteln besteht insbesondere dann, 68 wenn der Insolvenzplan auch den Erlass von Forderungen öffentlich-rechtlicher Gläubiger umfasst. Auch diese dürfen durch den Plan nicht schlechtergestellt werden, als sie im Regelverfahren stünden. Ansonsten stellt sich die Frage, ob in dem Forderungserlass eine Beihilfe i. S. des Art. 107 AEUV liegt und die staatliche Stelle sogar verpflichtet ist, gegen den Plan zu stimmen, bzw. einen Minderheitenschutzantrag nach § 251 InsO zu stellen. Zudem könnte das Gericht die Bestätigung des Plans wegen Verstoßes gegen Beihilferecht gemäß § 250 InsO versagen.108) 1.3.2.1

Prüfungsumfang des Insolvenzgerichts

Sofern der Plan eine salvatorische Klausel i. S. des § 251 Abs. 3 Satz 1 InsO enthält, hat 69 das Gericht zu prüfen, ob die im Plan bereitgestellten Mittel für die Ausgleichszahlungen ausreichen, um eventuelle Schlechterstellungen auszugleichen.109) Fraglich ist hierbei, ob das Gericht für seine Angemessenheitsprüfung Ausgleichszahlungen an alle potenziell berechtigten Gläubiger bzw. Anteilsinhaber oder lediglich an solche, die einen Antrag nach § 251 Abs. 1 InsO gestellt haben, berücksichtigen muss. Schon daraus, dass § 251 Abs. 3 Satz 2 InsO auf Satz 1 verweist („der“ Beteiligte), ergibt 70 sich, dass mit „der Beteiligte“ nur der antragstellende Beteiligte gemeint sein kann. Zudem widerspräche eine andere Auslegung auch dem Zweck des § 251 Abs. 3 InsO, das Insolvenzplanverfahren zu beschleunigen, da das Gericht ansonsten von Amts wegen poten___________ 104) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 35. Die Regelung wurde bereits in der Begr. RegE InsO z. § 298 vorgeschlagen, BT-Drucks. 12/2443, S. 212. 105) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 212; BGH v. 20.7.2017 – IX ZB 13/16, ZIP 2017, 1576, 1578; Wienberg/Dellit in: Bork/Hölzle, Hdb. Insolvenzrecht, Kap. 13 Rz. 267, 269. 106) Etwa Pape, ZInsO 2010, 2155, 2161; Smid, DZWIR 2010, 397, 404; Verse, ZGR 2010, 299, 322. 107) Wegener in: Uhlenbruck, InsO, § 199 Rz. 1; vgl. Hölzle, KTS 2011, 291, 318 f.; Brinkmann, WM 2011, 97, 99 f.; Lehmann/Rühle, NZI 2015, 151, 154. 108) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 8 Rz. 140 ff. 109) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 35; Thies in: HambKomm-InsO, § 251 Rz. 23.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

ziell schlechtergestellte Beteiligte ermitteln müsste und dadurch Verfahrensverzögerungen auftreten könnten.110) 71 Demzufolge war auch in der Regierungsbegründung zu § 298 RegE InsO für die Bemessung der Ausgleichszahlungen allein auf die widersprechenden Gläubiger abgestellt worden.111) Da der Antrag nach § 251 Abs. 1 InsO nach Änderung durch das ESUG die ursprüngliche Funktion des Widerspruches übernommen hat, ist konsequenterweise auf den Antrag abzustellen. 72 Folglich hat das Gericht bei der Prüfung der Angemessenheit der bereitgestellten Mittel nur die Gläubiger oder Anteilsinhaber zu berücksichtigen, die tatsächlich einen Minderheitenschutzantrag nach § 251 Abs. 1 InsO gestellt haben.112) Dabei hat das Gericht zu prüfen, ob diese Gläubiger oder Anteilsinhaber durch die Festsetzung im Insolvenzplan mindestens den Wert erhalten werden, den sie im Regelverfahren erhalten hätten.113) Für diese Prüfung kann das Gericht die vergleichsweise Darstellung der Befriedigungsaussichten der Gläubiger und Anteilseigner im Regelinsolvenzverfahren im darstellenden Teil des Insolvenzplans heranziehen.114) Das Gericht darf diese Darstellung allerdings nicht unkritisch übernehmen, sondern muss sie selbst überprüfen.115) Eine detaillierte Vergleichsrechnung ist allerdings dann nicht erforderlich, wenn die ausreichende Bemessung der Ausgleichsmittel offensichtlich ist. Das ist etwa der Fall, wenn die bereitgestellten Mittel selbst bei unterstellter Richtigkeit des Vortrages der Antragsteller der Höhe nach ausreichend bemessen wären.116) 1.3.2.2

Sicherstellung der Ausgleichsleistung

73 § 251 Abs. 3 InsO fordert nach seinem Wortlaut nicht, dass die Ausgleichsleistung gesichert werden muss.117) Dennoch kann sie eine Schlechterstellung nur dann kompensieren, wenn ein konkreter Betrag (ggf. durch Dritte) tatsächlich zur Verfügung steht118) bzw. die Finanzierung der zum Ausgleich vorgesehenen Mittel gesichert ist.119) Die Regierungs___________ 110) Ebenso Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 38; vgl. Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 251 Rz. 15; Eidenmüller, NJW 1999, 1837, 1838; zust. Lehmann/Rühle, NZI 2015, 151, 153; Hirschberger in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 20 Rz. 63; a. A. wohl AG Hamburg v. 19.4.2016 – 67c IN 232/13, NZI 2016, 1002. 111) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 212; vgl. auch Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 95, der von „Kompensation aller Widersprechenden“ spricht. 112) Ebenso Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 251 Rz. 32; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 38; a. A. Jaeger in: Jaeger, InsO, § 251 Rz. 45, nach dem Mittel für jeden beliebigen Beteiligten vorgesehen sein müssen. 113) Zur Frage nach der Festlegung eines Regelverfahrens als Vergleichsmaßstab s. die Ausführungen zur voraussichtlichen Schlechterstellung, Rz. 59 ff. 114) Zur Vergleichsrechnung etwa die Begr. RegE InsO z. § 259, BT-Drucks. 12/2443, S. 197; Eilenberger in: MünchKomm-InsO, § 220 Rz. 4, sowie oben J. Schmidt, HRI II, § 29. 115) Bähr in: Mohrbutter/Ringstmeier, Hdb. Insolvenzverwaltung, Kap. 14 Rz. 218. 116) So Eidenmüller, NJW 1999, 1837, 1838 – für den Fall, dass lediglich ein einzelner Gläubiger dem Plan widersprochen hat und die glaubhaft gemachte Schlechterstellung den Betrag der bereitgestellten Mittel unterschreitet. 117) Zur Frage, wer die bereitgestellten Mittel verwaltet, Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsR, § 251 InsO Rz. 18 f. 118) Thies in: HambKomm-InsO, § 251 Rz. 14 – mit der Einschränkung, dass die Mittel zum Zeitpunkt der Planbestätigung noch nicht liquide sein müssen, weshalb die Bereitstellung auch durch Bestellung von Pfandrechten erfolgen kann. Zust. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 37; a. A. Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 512 f., nach denen die Mittel spätestens bei Aufhebung des Insolvenzverfahrens liquide sein müssen. 119) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 212; BGH v. 20.7.2017 – IX ZB 13/16, ZIP 2017, 1576; Wienberg/Dellit in: Bork/Hölzle, Hdb. Insolvenzrecht, Kap. 13 Rz. 267, 269; Martini/Horstkotte, ZInsO 2017, 1913, 1925 f.

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Minderheitenschutz, Rechtsmittel

begründung zum ESUG führt diesbezüglich aus, die „Finanzierung des Ausgleichs“ müsse „durch eine Rücklage, eine Bankbürgschaft oder in ähnlicher Weise gesichert sein“.120) Fraglich ist zunächst, was mit dem eigentlich aus dem Bilanzrecht stammenden Begriff der Rücklage (vgl. § 150 AktG und § 272 HGB) gemeint ist. Zwar sind die für den Ausgleich der Schlechterstellung bereitgestellten Mittel in der nach § 229 Satz 1 InsO zu erstellenden Vermögensübersicht aufzuführen, so dass ein besonderer Bilanzposten bestehen muss. Da es sich vorliegend um künftige, ungewisse Verbindlichkeiten handelt, sind diese bilanziell als Rückstellungen auszuweisen.121) Da es dem Gesetzgeber aber in erster Linie um die Sicherung der Ausgleichszahlungsansprüche geht, ist anzunehmen, dass er den Begriff der Rücklage im untechnischen Sinne verwendet und nicht von einem bilanziellen Passivposten, sondern vielmehr von einer liquiden Aktivposition wie z. B. einem Bankguthaben ausgeht.122) Mangels ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung stellen die für den Ausgleich der Schlech- 74 terstellung bereitgestellten Mittel keinen selbstständigen Haftungsfonds dar, der dem Zugriff von Neugläubigern des Schuldners im Wege der Zwangsvollstreckung entzogen wäre. Angesichts der Wertung des § 258 Abs. 2 Satz 2 InsO dürfte auch hier die Sicherstellung durch einen (belastbaren) Finanzplan ausreichen.123) Die Sicherstellung kann ferner durch Personalsicherheiten (etwa Bankbürgschaft oder Bankgarantie) erfolgen.124) Die Bank wird dann in der Regel auf eine Besicherung ihres Regressanspruchs (z. B. aus § 774 Abs. 1 BGB) bestehen, z. B. indem an dem Konto, auf dem sich das Guthaben befindet, zu ihren Gunsten ein rechtsgeschäftliches Pfandrecht bestellt wird.125) Ferner wird sie ihre Einstandspflicht auf den Betrag begrenzen, bis zu dessen Höhe ihr Regressanspruch durch das Kontoguthaben gesichert ist (Höchstbetragsbürgschaft oder -garantie). Da eine zur Kompensation vorgesehene Sicherheit aber auch werthaltig sein muss, können Bürgschaften durch Dritte nur dann ein geeignetes Mittel darstellen, wenn gesichert ist, dass der Bürge im Fall der Inanspruchnahme auch leisten kann.126) Offengelassen hat der Gesetzgeber auch, was mit einer Sicherung „in sonstiger Weise“ 75 gemeint sein könnte. Vorstellbar wäre hier, dass ein an der Sanierung des Schuldners besonders interessierter Großgläubiger oder Anteilseigner eine gesonderte, dem Insolvenzplan beigefügte Erklärung abgibt, mit der er sich zur Erfüllung des Ausgleichsanspruchs verpflichtet und so eine eigene, nicht-akzessorische Einstandspflicht begründet.127) Auch eine derartige Einstandspflicht muss daraufhin überprüft werden, ob sie die Aus- 76 gleichsmittel finanziell sichern kann. Wenn die Einstandspflicht der Höhe nach unbegrenzt ___________ 120) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 35; vgl. auch BGH v. 20.7.2017 – IX ZB 13/16, ZIP 2017, 1576, 1578. 121) Diesen Begriff verwenden auch Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, S. 95; Thies in: HambKomm-InsO, § 251 Rz. 15; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 46, und Braun/Uhlenbruck, Muster eines Insolvenzplans, S. 85. 122) Ebenso Lehmann/Rühle, NZI 2015, 151, 152; Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 511 ff.; vgl. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 37; a. A. aber wohl Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 46. 123) So Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 19; zust. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 37; a. A. wohl Lehmann/Rühle, NZI 2015, 151, 153. 124) Vgl. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 37; Bork, Sanierungsrecht in Deutschland und England, Rz. 17.62, der davon ausgeht, dass die Insolvenzmasse in der Regel nicht für die Bildung einer angemessenen Rücklage ausreicht. 125) Rechtstechnisch wird der Auszahlungsanspruch gegen die Bank nach §§ 1274, 398 BGB verpfändet. Eine Verpfändung eines Anspruchs eines Kunden gegen die Bank findet auch nach Nr. 14 der AGBBanken statt, vgl. hierzu ausführlich Bunte/Zahrte, AGB-Banken/AGB-Sparkassen/Sonderbedingungen: AGB-Banken, Rz. 281 ff. 126) BGH v. 20.7.2017 – IX ZB 13/16, ZIP 2017, 1576, 1578. 127) Vgl. Spetzler, KTS 2010, 433, 449.

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ist, ist die Feststellung für das prüfende Insolvenzgericht stark vereinfacht, allerdings nur, wenn es sich bei dem Verpflichteten auch um einen solventen Schuldner handelt.128) Sollte das Insolvenzgericht (oder das Beschwerdegericht im Falle des § 253 Abs. 4 InsO) zu der Auffassung gelangen, dass eine voraussichtliche Schlechterstellung des Antragstellers vorliegt und die Ausgleichsmittel im Plan nicht ausreichend dotiert sind, besteht für den Planinitiator noch die Möglichkeit, die Ausgleichsmittel nachträglich zu erhöhen.129) Diese Möglichkeit besteht allerdings nur, wenn dies im Plan bereits vorgesehen war und weitere Ausgleichsmittel tatsächlich zur Verfügung stehen. Letzteres dürfte in der Praxis die größten Schwierigkeiten bereiten. 77 Ferner ist nicht gesetzlich geregelt, durch wen die Mittel verwaltet werden. Sofern die Kompensation durch konkrete Barmittel sichergestellt werden soll, bietet es sich in der Praxis an, diese durch einen Treuhänder verwalten zu lassen bzw. auf einem Sonderkonto des Insolvenzverwalters bzw. Sachwalters zu hinterlegen. Weiterhin wird vorgeschlagen, die Gelder auf einem Konto des Schuldners zu hinterlegen und dieses Konto an den Antragsteller zu verpfänden.130) 78 Die Mittel müssen spätestens zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Antrag auf Versagung der Bestätigung vorliegen.131) 1.4

Entscheidung des Insolvenzgerichts

79 Die Entscheidung über den Minderheitenschutzantrag gemäß § 251 Abs. 1 InsO trifft das Insolvenzgericht regelmäßig i. R. der Begründung des Bestätigungs- oder Versagungsbeschlusses nach § 252 InsO.132) Möglich ist allerdings auch ein gesonderter Beschluss des Gerichts über den Antrag nach § 251 Abs. 1 InsO;133) dieser ist allerdings nicht selbständig, sondern nur i. R. der sofortigen Beschwerde gemäß § 253 InsO anfechtbar. Wird der Antrag gemäß § 251 Abs. 3 Satz 1 InsO trotz Schlechterstellung aufgrund ausreichend vorhandener Mittel abgewiesen, muss sich dies zumindest aus der Begründung des Beschlusses ergeben.134) Zur gerichtlichen Entscheidung nach § 252 InsO ausführlich oben Westpfahl, HRI II, § 37. 1.5

Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs „außerhalb des Insolvenzverfahrens“ (§ 251 Abs. 3 Satz 2 InsO)

80 Gemäß § 251 Abs. 3 Satz 2 InsO soll die Frage, ob ein Beteiligter einen begründeten Anspruch auf Ausgleich aus den bereitgestellten Mitteln hat, außerhalb des Insolvenzverfahrens geklärt werden. 1.5.1 Anspruchsgegner 81 Gegen wen der Ausgleichsanspruch geltend zu machen ist, ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. Es ist zu differenzieren: ___________ 128) BGH v. 20.7.2017 – IX ZB 13/16, ZIP 2017, 1576, 1578; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 221 Rz. 49. 129) Zust. Lehmann/Rühle, NZI 2015, 151, 154. 130) Vgl. auch Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsR, § 251 InsO Rz. 18 f. 131) Vgl. AG Bonn v. 27.5.2014 – 99 IN 153/13, ZInsO 2015, 353; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 38; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 251 Rz. 37. 132) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 53; Pleister in: KPB, InsO, § 251 Rz. 20. 133) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 251 Rz. 40, 43; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 53; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 29. 134) Vgl. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 54.

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Minderheitenschutz, Rechtsmittel

Sofern ein Dritter (z. B. eine Bank) für die Ausgleichszahlungsansprüche eine Einstands- 82 erklärung, etwa in Form einer Garantie oder einer selbstschuldnerischen Bürgschaft, abgegeben hat, kann sich der Gläubiger oder Anteilsinhaber, der die Schlechterstellung geltend macht, an diesen wenden.135) Sofern für die Ausgleichszahlung Mittel aus der Insolvenzmasse bereitgestellt wurden, 83 kommt als Anspruchsgegner grundsätzlich der Insolvenzverwalter oder der Schuldner in Betracht. Auch hier ist wieder zu unterscheiden: 

Solange das Insolvenzgericht nicht die Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach § 258 Abs. 1 InsO beschlossen hat, besteht grundsätzlich (zur Ausnahme sogleich 3. Spiegelstrich) eine ausschließliche Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis des Insolvenzverwalters in Bezug auf die Insolvenzmasse (§ 80 Abs. 1 InsO). Während dieser Zeit richtet sich der Ausgleichsanspruch also gegen den Insolvenzverwalter.136)



Mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens durch den Beschluss des Insolvenzgerichts erlischt diese Befugnis jedoch nach § 259 Abs. 1 InsO,137) so dass ab diesem Zeitpunkt der Schuldner richtiger Anspruchsgegner ist.138) Vor Beendigung der Insolvenz eingereichte Klagen gegen den Insolvenzverwalter sind in diesem Fall auf den Schuldner als neuen Beklagten umzustellen,139) um eine Abweisung der Klage wegen Unzulässigkeit durch Prozessurteil zu vermeiden.140)



Im Falle der Eigenverwaltung nach § 270 InsO bleibt der Schuldner verfügungs- und verwaltungsbefugt,141) so dass er der richtige Anspruchsgegner ist.

1.5.2 Klage vor den ordentlichen Gerichten Sollte eine außergerichtliche Geltendmachung des Ausgleichszahlungsanspruchs erfolglos 84 geblieben sein,142) wird der Gläubiger oder Anteilsinhaber seinen Anspruch klageweise verfolgen müssen.143) Nach der Gesetzesbegründung zum ESUG soll dies in einem gesonderten Rechtsstreit vor den ordentlichen Gerichten erfolgen.144) Keine Ausführungen macht der Gesetzgeber zu der Frage, ob dieser Rechtsweg unabhängig von der Rechtsnatur der Gläubigerforderung, die der potenziellen Schlechterstellung zugrunde liegt, gelten soll oder ob für spezielle Forderungen besondere Gerichtszweige (z. B. Klage vor den Arbeitsgerichten bei Lohnforderungen) zu wählen sind. In diesem Sinne sieht § 185 ___________ 135) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 44. 136) Vgl. Leithaus in: Andres/Leithaus, InsO, § 80 Rz. 7; Vuia in: MünchKomm-InsO, § 80 Rz. 73 f.; Wittkowski/Kruth in: Nerlich/Römermann, InsO, § 80 Rz. 45. 137) Madaus/Huber in: MünchKomm-InsO, § 259 Rz. 14; Holzer in: KPB, InsO, § 200 Rz. 7; Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 259 Rz. 7. 138) Vgl. auch Thies in: HambKomm-InsO, § 251 Rz. 21; Spahlinger in: KPB, InsO, § 259 Rz. 15. 139) Näher zur Problematik des Beklagtenwechsels Becker-Eberhard in: MünchKomm-ZPO, § 263 Rz. 77 f. m. w. N. 140) Vgl. Mock in: Uhlenbruck, InsO, § 86 Rz. 38. Da nach h. M. die §§ 239, 246 ZPO analog anwendbar sind, kommt zudem eine Verfahrensunterbrechung bzw. bei Vertretung durch Prozessbevollmächtigte ein Antrag auf Aussetzung des Verfahrens in Betracht, vgl. etwa Roth in: Stein/Jonas, ZPO, § 240 Rz. 34 m. w. N. 141) Vgl. Riggert in: Nerlich/Römermann, InsO, § 270 Rz. 2. 142) Klagt der Gläubiger oder Anteilsinhaber hingegen direkt, trifft ihn das Risiko, aufgrund eines sofortigen Anerkenntnisses des Beklagten die Verfahrenskosten tragen zu müssen, vgl. § 93 ZPO. 143) Zum Verhältnis der Klageerhebung nach § 251 Abs. 3 Satz 2 InsO zu einer gleichzeitig eingelegten sofortigen Beschwerde nach § 253 InsO s. unten Rz. 155. 144) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 35. Smid, ZInsO 1998, 347, 348, sieht hierin einen „groben Systembruch“, weil eine Leistung festgestellt, jedoch ein Titel vorenthalten würde. Hiergegen zu Recht mit dem Argument, dass ein Anspruch auf Titulierung gerade nicht besteht, Eidenmüller in: MünchKommInsO, § 221 Rz. 46 m. w. N.

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§ 38

2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

InsO i. R. von Feststellungsprozessen bezüglich bestrittener Forderungen (§§ 179 ff. InsO) vor, dass die Forderung im jeweiligen Gerichtszweig einzuklagen ist. 85 Denkbar wäre, § 185 InsO auf die Klage auf den Ausgleichsanspruch entsprechend anzuwenden. Dies scheitert aber daran, dass sich der Feststellungsprozess nach §§ 179 ff. InsO mit dem Bestehen dieser – besonderen – streitigen Forderung befasst, was sich nach dem jeweiligen Sonderrecht richtet. Demgegenüber wird i. R. des § 251 Abs. 3 Satz 2 InsO unter materiell-rechtlichen Gesichtspunkten lediglich eine wirtschaftliche Schlechterstellung geprüft, für die ausschließlich eine Vergleichsrechnung maßgeblich ist. Diese Prüfung kann unabhängig von der Rechtsnatur der jeweils zugrunde liegenden Forderung erfolgen und ist demnach keine Sache der speziellen Gerichte.145) Eine analoge Anwendung des § 185 InsO ist damit mangels vergleichbarer Interessenlage abzulehnen. Es bleibt bei der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte. 86 Fraglich ist ferner, welche Klageart der Gläubiger oder Anteilsinhaber wählen muss. Da die Prüfung einer Schlechterstellung zunächst der Feststellung dient, ob überhaupt ein materiell-rechtlicher Anspruch besteht, scheiden ein Vollstreckungs- und ein Klauselerteilungsverfahren von vornherein aus. Denn diese setzen das Bestehen eines Titels voraus. Da die Prüfung des Ausgleichsanspruchs nach § 251 Abs. 3 Satz 2 InsO ausdrücklich aus dem Insolvenzverfahren ausgegliedert ist, liegt ein solcher Titel mangels Anwendbarkeit des § 257 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht vor.146) 87 Als Klageart kommt damit letztlich nur eine Leistungsklage in Betracht.147) Eine andere Möglichkeit besteht nicht, da dem Kläger nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen lediglich die Wirkungen einer Leistungsklage zur erfolgreichen Durchsetzung seines Rechts verhelfen, wonach einerseits die Zahlungspflicht des Beklagten an den Kläger festgestellt wird und andererseits ein Vollstreckungstitel erteilt wird, der dem Kläger die Möglichkeit der zwangsweisen Durchsetzung bietet.148) 88 Die Stellung eines Minderheitenschutzantrags nach § 251 Abs. 1 InsO ist keine Zulässigkeitsvoraussetzung für die gerichtliche Geltendmachung der Ausgleichszahlung, da § 251 Abs. 3 InsO ein derartiges Erfordernis nicht statuiert.149) 1.5.2.1

Sachliche und örtliche Zuständigkeit

89 Die sachliche Zuständigkeit der Zivilgerichte richtet sich mangels abweichender Sondervorschriften grundsätzlich nach dem Wert des Streitgegenstands (§§ 23, 71 GVG), d. h. nach der Höhe des geltend gemachten Ausgleichsanspruchs des Gläubigers bzw. Anteilsinhabers. 90 Da die örtliche Zuständigkeit für die Ausgleichszahlungsklage nach § 251 Abs. 3 Satz 2 InsO nicht durch spezifische Sondervorschriften geregelt ist, richtet sich diese nach §§ 12 ff. ZPO. Der Gesetzgeber hat davon abgesehen, eine § 180 Abs. 1 Satz 2 InsO entsprechende Regelung einzuführen, in der eine örtliche Zuständigkeit für Feststellungsklagen

___________ 145) So auch Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 24; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 41; Hirschberger in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 20 Rz. 67; a. A. Lehmann/Rühle, NZI 2015, 151, 155. 146) Krit. hierzu Smid, ZInsO 1998, 347, 348, der bemängelt, dass der Gläubiger damit das Prozessrisiko trägt. 147) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 46; Decher/Voland, ZIP 2013, 103, 104; Graf/Wunsch, ZIP 2001, 1029, 1038; Lehmann/Rühle, NZI 2015, 151, 155. Anders die Parallelregelung des § 20 Abs. 4 KredReorgG, nach der eine Feststellungsklage vorgesehen ist. 148) Allg. zur Leistungsklage Becker-Eberhard in: MünchKomm-ZPO, § 256 Rz. 54. 149) So zu Recht Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 45.

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Minderheitenschutz, Rechtsmittel

bestrittener Forderungen ausdrücklich und ausschließlich bestimmt ist.150) Örtlich zuständig ist somit nach allgemeinen Regeln grundsätzlich das Gericht am Wohnsitz des Verpflichteten (z. B. Schuldner oder Dritter), vgl. §§ 12, 13 ZPO. Für Klagen gegen den Insolvenzverwalter sind die Gerichte am Sitz des Insolvenzgerichts örtlich zuständig, vgl. § 19a ZPO. 1.5.2.2

Begründetheit der Klage auf Ausgleichszahlung

Die Klage auf Ausgleichszahlung ist gemäß § 251 Abs. 3 Satz 1 InsO begründet, soweit 91 der Kläger zur Überzeugung des angerufenen Zivilgerichts151) nachweist, dass er schlechtergestellt wird als im Regelverfahren. Dies ist der Fall, wenn eine Vergleichsrechnung ergibt, dass der Kläger nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten i. R. des Regelverfahrens eine höhere Quote zu erwarten gehabt hätte, als sie der Insolvenzplan vorsieht. Der Begriff des „Nachweises“ der Schlechterstellung ist allerdings irreführend, da die Höhe der Quote im hypothetischen Regelverfahren als Bezugspunkt der Vergleichsrechnung lediglich auf einer Prognose basiert (siehe oben Rz. 53).152) Die Höhe des Anspruchs auf Ausgleichszahlung ist dabei insgesamt auf den Betrag der 92 bereitgestellten Mittel beschränkt, da die Höhe der bereitgestellten Mittel als Teil des gestaltenden Teils nach § 221 InsO mit Rechtskraft des Plans Wirkungen gegenüber allen Beteiligten entfaltet, § 254 Abs. 1 Satz 1 InsO.153) Wird der Schuldner oder der Insolvenzverwalter daher auf Ausgleichszahlung nach § 251 Abs. 3 Satz 2 InsO verklagt, sollte er allen weiteren möglichen Klägern den Streit verkünden. Hierfür kommen letztlich alle Gläubiger oder Anteilsinhaber in Betracht, die den Minderheitenschutzantrag nach § 251 Abs. 1 InsO gestellt haben. So können sich weitere Kläger in Folgeprozessen nach Ausschöpfung der bereitgestellten Mittel nicht darauf berufen, dass der im Vorprozess festgestellte Anspruch in Wirklichkeit nicht bestand und der bereitgestellte Betrag daher nicht verwendet werden durfte, vgl. § 74 Abs. 3, § 68 ZPO.154) Da der Gesetzgeber nicht geregelt hat, wie die Mittel verteilt werden, kann es so zu einem Wettlauf der Ausgleichsberechtigten kommen.155) 1.6

Regelung der salvatorischen Klausel im Insolvenzplan

Die bereitgestellten Mittel für den Fall einer nachgewiesenen wirtschaftlichen Schlechter- 93 stellung müssen im gestaltenden Teil des Insolvenzplans festgelegt werden. Der genaue Betrag muss in der salvatorischen Klausel dabei nicht beziffert werden.156) Ausreichend ist, wenn auf die tatsächlich bereitgestellten Mittel Bezug genommen wird. Der Betrag der bereitgestellten Mittel ist für das Gericht dann aus den dem Insolvenzplan beizufügenden Vermögensübersichten ersichtlich (vgl. § 219 Satz 2 InsO i. V. m. § 229 InsO). Ebenso sind etwaige Erklärungen Dritter, für die Ausgleichszahlungsansprüche einzustehen (z. B. mittels Bürgschaft oder Garantie), dem Plan nach § 230 Abs. 3 InsO beizufügen. Aus die-

___________ 150) Dies dient der Vermeidung einer Zersplitterung von Feststellungsprozessen, da sich die Klage i. R. eines Feststellungsprozesses nach §§ 179 ff. InsO je nach Sachverhaltskonstellation gegen einen Insolvenzgläubiger oder gegen den Insolvenzverwalter richten kann; vgl. Schumacher in: MünchKomm-InsO, § 180 Rz. 12. 151) Ebenso Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 47. 152) Ebenso Lehmann/Rühle, NZI 2015, 151, 155. 153) Ebenso Spetzler, KTS 2010, 433, 449; vgl. auch Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 20. 154) Vgl. Spetzler, KTS 2010, 433, 450; a. A. Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 21, der die Festlegung individueller Ausgleichsbeträge für jeden Antragsteller vorschlägt. 155) Vgl. Spetzler, KTS 2010, 433, 450: „first-come-first-served”-Prinzip. 156) Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 247 Rz. 14; vgl. auch Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 514 f. – mit dem Hinweis, dass anderenfalls die eigenen Planprämissen in Frage gestellt würden.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

sem Grund ist in der salvatorischen Klausel auch kein Mindestbetrag, wie es i. R. des § 247 InsO vorgeschlagen wird, anzugeben.157) 94 Der Planersteller sieht sich jedoch vor die Frage gestellt, wie er den zurückzustellenden Betrag dotieren soll. Dass das Gericht bei der Prüfung der Angemessenheit der Höhe der Ausgleichsmittel nur die Antragsteller zu berücksichtigen hat (siehe oben Rz. 72), hilft dem Planersteller nicht weiter, da erst nach dem Abstimmungstermin endgültig feststeht, wer den Antrag nach § 251 Abs. 1 InsO gestellt hat und damit etwaige Ausgleichszahlungen geltend machen wird. Bei der Planerstellung ist dies noch nicht abzusehen. Für den Planersteller kann die Dotierung daher lediglich anhand eines Schätzwerts erfolgen, was jedoch in der Praxis schwierig ist, da es sich bei den dabei zu berücksichtigenden potenziellen Schlechterstellungen um solche handelt, die unerkannt geblieben sind. Bereitzustellen ist daher zumindest ein Betrag, der dem Gericht die Prüfung einer ausreichenden Dotierung ermöglicht, so dass der Plan bestätigt werden kann und gleichzeitig sichergestellt ist, dass sämtliche mögliche Ausgleichszahlungsforderungen erfüllt werden können.158) Dabei kann sich eine ausreichende Dotierung auch daraus ergeben, dass die Ausgleichszahlungsansprüche mit einer Personalsicherheit ohne Höchstbetrag ausreichend gesichert sind und so in jedem Fall mit einer Befriedigung der Ausgleichszahlungsgläubiger zu rechnen ist. In der Praxis dürfte eine derartige Sicherheit jedoch nur in Ausnahmefällen (z. B. von einem Großgläubiger oder einem Anteilsinhaber mit besonderem Interesse an der Sanierung) zu beschaffen sein, da ein Dritter seine Einstandspflicht in der Regel begrenzen wird. Er wird nur bereit sein, insoweit zu haften, wie sein Regressanspruch gesichert ist (siehe oben Rz. 74).159) 95 Die salvatorische Klausel darf nicht so formuliert sein, dass nur bestimmten Antragstellern besondere Leistungen zugesichert werden, da dies nach § 226 Abs. 3 InsO zu ihrer Nichtigkeit führen160) und die Annahme und Bestätigung des Plans insgesamt gefährden kann, vgl. § 250 Nr. 2 InsO.161) Das gezielte „Abkaufen“ von Antragsrechten querulatorischer Gläubiger bzw. Anteilsinhaber zur Vermeidung einer Planverzögerung ist nicht zulässig.162) 96 Im Schrifttum finden sich vereinzelt Formulierungsvorschläge, wie eine salvatorische Klausel aussehen könnte: „Wenn ein Beteiligter durch den Plan voraussichtlich schlechtergestellt wird, als er ohne den Plan stünde, sind an ihn aus einer gebildeten Rückstellung zusätzliche Zahlungen in einer Höhe ___________ 157) Vgl. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 247 Rz. 14. Ebenso kommt auch die Nennung eines symbolischen Betrags von 1 € entgegen Spetzler, KTS 2010, 433, 450, nun nicht mehr in Betracht, da eine gerichtliche Überprüfung der Angemessenheit der Ausgleichsmittel vor der Planbestätigung vorgenommen werden muss, vgl. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 35. 158) Zust. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 38. Zu beachten ist jedoch auch, dass der Betrag nicht so hoch sein darf, dass eine Befriedigung der Gläubiger i. S. des § 231 Abs. 1 Nr. 3 InsO gefährdet wäre, vgl. Smid, ZInsO 1998, 347, 349. Auch nach der Gesetzesbegründung zur Parallelregelung des § 20 KredReorgG sind insbesondere die Höhe der Aktiva und der bestehenden Forderungen zu berücksichtigen, wobei allerdings die bereitgestellten Mittel 10 % der Eigenmittel in der Regel nicht übersteigen müssen, vgl. Begr. RegE Restrukturierungsgesetz, BT-Drucks. 17/3024, S. 58. 159) Teilweise wird vertreten, dass für jeden potenziellen Ausgleichskläger individualisiert festgelegt werden muss, welcher Teilbetrag auf ihn entfällt, vgl. etwa Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 21. Aus dem Wortlaut des Gesetzes lässt sich das indes nicht herleiten und dies wäre auch kaum praktikabel. Eine vermittelnde Auffassung vertritt Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 38 – Individualisierung nur nach Aufforderung durch das Gericht. 160) A. A. aber Sinz in: MünchKomm-InsO, § 251 Rz. 38 ff.; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 22. 161) Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Kap. 13 Rz. 13.14. 162) So schon vor Inkrafttreten des ESUG etwa Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, 35. EL 7/2018, § 251 Rz. 5.

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Minderheitenschutz, Rechtsmittel

zu leisten, die zu einer Gleichstellung führen. Werden durch Rückstellung Übererlöse erzielt, so werden diese nach Abschluss der Planrealisierung unter den Gläubigern entsprechend der Höhe ihrer Forderungen aufgeteilt.“163) „Wenn ein Beteiligter durch diesen Plan voraussichtlich schlechtergestellt wird, als er ohne einen Plan stünde, sind an ihn aus einer gebildeten Rückstellung zusätzliche Zahlungen in einer Höhe zu leisten, die zu einer Gleichstellung führt.“164) „Die Gesellschaft bildet in ihrer Eröffnungsbilanz auf den 1.1.2000 eine handelsrechtliche Rückstellung für drohende Verbindlichkeiten wegen etwaiger Abfindungszahlungen an Gläubiger, deren Rechte durch diesen Plan in der Weise zurückgesetzt worden sind, dass ihnen mit der Erfüllung der Planrechte nicht dasjenige zugestanden worden ist, was sie aus dem Ergebnis der Abwicklung des Insolvenzverfahrens erlangt hätten, wenn es keinen Plan gegeben hätte (Minderheitenschutzrückstellung).“165) Weil letztlich auch die im Insolvenzplan berücksichtigten Gläubiger und Anteilsinhaber 97 ein berechtigtes Interesse daran haben, in naher Zukunft abschließende Gewissheit über den ihnen endgültig zugeteilten Wert zu erlangen, sollte zudem eine Regelung in die salvatorische Klausel mit aufgenommen werden, die eine Geltendmachung des Ausgleichszahlungsanspruchs zeitlich begrenzt.166) Da der BGH von der Zulässigkeit der Statuierung einer Ausschlussfrist für die Tabellenfeststellungsklage im Insolvenzplan ausgeht,167) dürfte er wohl auch eine derartige Frist billigen.168) Ausführlich zu Präklusionsregelungen im Insolvenzplan siehe oben Balthasar, HRI II, § 22 Rz. 262 ff. Da die im Insolvenzplan festgesetzten Quoten sowie die Ausgleichszahlungen im Regel- 98 fall gleichermaßen aus der Insolvenzmasse zu leisten sind, beeinflusst die Festsetzung eines großzügig kalkulierten Betrags ganz offensichtlich die Quoten der im Insolvenzplan regulär berücksichtigten Gläubiger und Anteilsinhaber. Die salvatorische Klausel kann im Insolvenzplan deshalb um eine Regelung ergänzt werden, die die Beteiligten darauf hinweist, dass der im Insolvenzplan festgelegten Quote noch keine abschließende Gültigkeit zukommt und sich noch erhöhen kann, sofern die vom Planersteller aus Gründen der Vorsicht möglicherweise zu hoch angesetzten Mittel entsprechend der jeweiligen Forderungswerte im Wege einer Nachtragsverteilung (§ 203 InsO) ausgezahlt werden sollen.169) Vorzugswürdig ist jedoch, von vornherein auf eine Nachtragsverteilung zu verzichten, so dass ein Überschuss beim Schuldner verbleibt, wenn die Gläubiger dies i. R. der Abstimmung über den Plan akzeptieren.170) ___________ 163) 164) 165) 166)

167) 168) 169)

170)

Vgl. Sinz in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., § 251 Rz. 19 ff. Vgl. Eidenmüller, NJW 1999, 1837, 1838. Vgl. Braun/Uhlenbruck, Muster eines Insolvenzplans, S. 85. Ebenso Graf/Wunsch, ZIP 2001, 1029, 1038; Braun/Frank in: Braun, InsO, § 245 Rz. 27; Lehmann/ Rühle, NZI 2015, 151, 155. Auch die Minderheitenschutzklausel in Braun/Uhlenbruck, Muster eines Insolvenzplans, S. 85, verfügt über eine Fristenregelung in Abs. 4. Vgl. BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499, dazu EWiR 2010, 681 (M. Huber). Jedenfalls i. E. ebenso Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 26. A. A. aber AG Hamburg v. 19.4.2016 – 67c IN 232/13, BeckRS 2016, 19415. Vgl. Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, Teil 4 Rz. 121, die insofern eine bewegliche Quote festsetzen wollen, die Abweichungen zulässt. Da eine Nachtragsverteilung im Insolvenzplanverfahren nicht vorgesehen ist, bedarf eine derartige Regelung im gestaltenden Teil des Insolvenzplans der ausdrücklichen Zustimmung des Schuldners, vgl. zum Ganzen BGH v. 10.12.2009 – IX ZR 206/08, ZIP 2010, 102, dazu EWiR 2010, 193, 194 (Rendels/Körner); OLG Celle v. 20.11.2006 – 4 U 166/06, ZIP 2006, 2394 m. w. N., dazu EWiR 2007, 87 (Bähr/Landry); a. A. Thies in: HambKomm-InsO, § 251 Rz. 16, § 259 Rz. 7 f., nach dem eine Nachtragsverteilung gemäß § 203 InsO nicht in Betracht kommt, vgl. auch BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZInsO 2018, 1404, 1407. Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 27, der betont, dass eine Auskehrung übriger Mittel an den Schuldner nicht gegen § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO verstößt.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

99 Eine salvatorische Klausel könnte daher bspw. folgenden Wortlaut haben: „Wenn ein Beteiligter durch den Plan voraussichtlich schlechtergestellt wird, als er ohne den Plan stünde, sind an ihn aus den im Plan bereitgestellten Ausgleichsmitteln zusätzliche Zahlungen in einer Höhe zu leisten, die zu einer Gleichstellung führen. Der [Planersteller] ist berechtigt, die Ausgleichsmittel zu erhöhen, falls das zuständige Gericht dies für erforderlich hält, um eine Entscheidung zugunsten der Wirksamkeit des Insolvenzplans zu treffen. Die Auszahlung erfolgt bis zur Höhe der gebildeten Rückstellung. Voraussetzung der Entschädigungszahlung ist das Vorliegen eines rechtskräftigen Titels oder einer einvernehmlichen Regelung, die zwischen dem jeweiligem Gläubiger und [dem Planersteller] getroffen wird und der Zustimmung des [Sachwalters/Insolvenzverwalters] und des Gläubigerausschusses bedarf. Die Geltendmachung des Anspruchs auf Gleichstellung ist nur innerhalb eines Jahres nach Eintritt der Rechtskraft der Bestätigung des Insolvenzplans zulässig. Übersteigt der bereitgestellte Betrag die tatsächlichen Ausgleichszahlungen, verbleibt der Überschuss beim Schuldner.“ 2.

Antrag auf Versagung der Plannachbesserung gemäß § 248a Abs. 3 InsO

100 Der § 221 Satz 2 InsO regelt ein sog. Nachbesserungs- oder Berichtigungsrecht des Insolvenzverwalters.171) Der Plan kann danach eine Vollmacht für den Insolvenzverwalter enthalten, die zur Umsetzung des Plans notwendigen Maßnahmen zu ergreifen und offensichtliche Fehler des Plans zu berichtigen. Hierdurch soll vermieden werden, einen erneuten und möglicherweise zeitaufwendigen Beschluss der Gläubigerversammlung herbeiführen zu müssen.172) Die durch den Rechtsausschuss des Bundestags erst spät im Gesetzgebungsverfahren zum ESUG eingefügte Regelung dient damit der Beschleunigung der Umsetzung des Insolvenzplans. Gesetzgeberisches Vorbild für diese Regelung ist die Vollzugsvollmacht in notariellen Verträgen, die es dem Notar bzw. seinen Angestellten ermöglicht, Hindernisse für den Vollzug eines Vertrages bzw. einer Registereintragung ohne eine aufwendige Nachbeurkundung auszuräumen.173) 101 Der Gesetzgeber hielt es allerdings zum Schutz der Beteiligten für erforderlich, die Nachbesserung einem gerichtlichen Bestätigungsverfahren zu unterwerfen, welches in § 248a InsO Eingang gefunden hat.174) Nach § 248a Abs. 3 InsO ist die Bestätigung der Planberichtigung in Anlehnung an § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO auf Antrag zu versagen, wenn der Antragsteller durch die mit der Berichtigung einhergehende Planänderung voraussichtlich schlechtergestellt wird, als er nach den mit dem Plan beabsichtigten Wirkungen stünde.175) 2.1

Zulässigkeit des Antrags

2.1.1 Antragsberechtigung 102 Nach § 248a Abs. 3 InsO kann die gerichtliche Bestätigung der Planänderung wegen voraussichtlicher Schlechterstellung nur auf Antrag versagt werden. Wenn auch nicht aus dem Wortlaut, so doch aus dem systematischen Zusammenhang mit der Anhörungspflicht nach § 248a Abs. 2 InsO und dem Beschwerderecht nach § 248a Abs. 4 InsO ergibt sich, ___________ 171) Krit. hierzu Frind, ZInsO 2011, 2249, 2260. 172) Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 35. 173) Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 35. Zur notariellen Vollzugsvollmacht vgl. nur Hertel in: Limmer/Hertel/Frenz/Mayer, Würzburger Notarhdb., Teil 2, Kap. 2 Rz. 514 ff. 174) Vgl. Breitenbücher/Neußner in: KölnKomm-InsO, § 248a InsO Rz. 5. 175) Wenn der Plan gar keine Ermächtigung des Insolvenzverwalters zur Nachbesserung i. S. des § 221 Satz 2 InsO vorsieht, muss das Gericht die Änderung des Plans schon von Amts wegen ablehnen; vgl. auch Thies in: HambKomm-InsO, § 248a Rz. 6 – zum „überflüssigen“ Antragsrecht gemäß Abs. 3.

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Minderheitenschutz, Rechtsmittel

dass der Antrag nur von solchen Gläubigern und Anteilsinhabern gestellt werden kann, deren im Plan vorgesehene materielle Rechtsstellung durch die Änderung zu ihrem Nachteil geändert wird. Der Schuldner ist hingegen nicht antragsberechtigt. 2.1.2 Form und Frist des Antrags Eine besondere Form oder Frist für die Antragstellung ist in § 248a Abs. 3 InsO nicht 103 vorgesehen. Der Antrag kann somit schriftlich176) oder mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts erklärt werden (§ 4 InsO i. V. m. § 496 ZPO). Gestellt werden muss der Antrag rechtzeitig vor Verkündung der gerichtlichen Ent- 104 scheidung nach § 248a Abs. 1 InsO, damit das Insolvenzgericht noch Gelegenheit hat, sich mit den vorgebrachten Argumenten auseinanderzusetzen. Nach der Verkündung des Bestätigungsbeschlusses besteht nur noch die Möglichkeit der Beschwerde nach § 248a Abs. 4 InsO (siehe hierzu näher Rz. 199 ff.). Aus dem Zusammenspiel mit § 221 Satz 2 InsO ergibt sich ferner, dass der Antrag frü- 105 hestens nach der Änderung des Plans durch den Insolvenzverwalter gestellt werden kann. Ein vorsorglicher Antrag „auf Vorrat“ bereits vor Vornahme einer Änderung ist nicht zulässig. Hingegen ist es mangels Bezugnahme in § 248a Abs. 3 InsO zulässig, dass ein betroffener Gläubiger oder Anteilsinhaber den Antrag bereits vor der obligatorischen Anhörung nach § 248a Abs. 2 InsO stellt. 2.2

Begründetheit des Antrags

Ein zulässiger Antrag nach § 248a Abs. 3 InsO führt nur dann zur Versagung der gericht- 106 lichen Bestätigung, wenn der antragstellende Gläubiger oder Anteilsinhaber durch die mit der Berichtigung einhergehende Planänderung voraussichtlich schlechtergestellt wird, als er nach dem ursprünglich vorgelegten Plan stünde. Zwar formuliert das Gesetz als Voraussetzung, dass der Beteiligte „schlechtergestellt wird, als er nach den mit dem Plan beabsichtigten Wirkungen stünde“. Diese Formulierung ist allerdings irreführend. Das Vergleichspaar (Wirkung der Berichtigung und beabsichtigte Wirkung) wäre nämlich identisch, nähme man den Wortlaut ernst.177) Denn die Korrekturbefugnis des Insolvenzverwalters besteht – auch nach der Begründung des Gesetzgebers zu § 221 Satz 2 InsO und § 248a InsO178) – ohnehin nur i. R. der Umsetzung des wirklich gewollten Planinhalts. In der Begründung heißt es daher auch weiter, dass die Schlechterstellung gegenüber dem „ursprünglich vorgelegten Plan“ bestehen muss. Trotz berechtigter Zweifel an der Schutzwürdigkeit eines Antragstellers, der sich auf einen günstigeren Plan beruft, der jedoch gar nicht dem Willen der Beteiligten entspricht, ist die voraussichtliche Schlechterstellung wegen des ausdrücklichen Willens des Gesetzgebers anhand des eingangs beschriebenen Vergleiches zu ermitteln.179) Wie bei § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO beruht die gerichtliche Entscheidung damit auf einer 107 Prognose, da die Schlechterstellung des Antragstellers nur „voraussichtlich“ erfolgen muss. Es ist vom Gericht somit zu ermitteln, ob eine Schlechterstellung wahrscheinlicher ist als eine Nichtschlechterstellung.

___________ 176) Es gilt die sog. „prozessuale Schriftform“, d. h. eine Übermittlung des Antrags per Telefax reicht aus; s. a. oben Rz. 24. 177) Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, § 248a InsO Rz. 9. 178) Bericht und Beschlussempfehlung d. RA z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 35. 179) Zum Ganzen auch Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, § 248a InsO.

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§ 38

2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

108 Auch i. R. des § 248a Abs. 3 InsO sind hierfür ausschließlich wirtschaftliche Gesichtspunkte maßgebend (siehe oben Rz. 55).180) Nicht zu berücksichtigen sind deshalb Aspekte, die den Antragsteller unabhängig von wirtschaftlichen Kriterien betreffen können, wie z. B. Verstöße gegen die Anhörungspflicht nach § 248a Abs. 2 InsO oder andere Verfahrensverstöße des Gerichts. 109 Die Grundlage der Feststellung einer voraussichtlichen wirtschaftlichen Schlechterstellung bildet eine Gegenüberstellung der Position des Antragstellers mit und ohne Planberichtigung. Nur wenn die Berichtigung dazu führt, dass der ursprünglich vorgelegte Plan voraussichtlich zum wirtschaftlichen Nachteil des Antragstellers abgeändert wird, hat der Antrag Erfolg.181) 110 Ebenfalls parallel zu § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO muss die Schlechterstellung auch glaubhaft gemacht werden.182) 111 Aufgrund des beschränkten Anwendungsbereichs des Nachbesserungsrechts nach § 221 Satz 2 InsO auf bloße Umsetzungsmaßnahmen und Berichtigung offensichtlicher Fehler dürfte das allerdings nur in Ausnahmefällen denkbar sein (siehe hierzu bereits oben Becker, HRI II, § 36 Rz. 39 f.).183) II.

Rechtsmittel

1.

Überblick

112 Die InsO eröffnet an verschiedenen Stellen die Möglichkeit, gerichtliche Entscheidungen i. R. des Insolvenzplanverfahrens mit der sofortigen Beschwerde anzugreifen. Praktisch am bedeutendsten ist die sofortige Beschwerde nach § 253 InsO. Danach steht den vom Insolvenzplan Betroffenen die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss zu, durch den das Insolvenzgericht den Insolvenzplan bestätigt oder dessen Bestätigung versagt. Ein weiteres sofortiges Beschwerderecht gewährt § 248a Abs. 4 InsO gegen die gerichtliche Bestätigung oder Versagung einer Planberichtigung, zu welcher der Insolvenzverwalter gemäß § 221 Satz 2 InsO im Insolvenzplan bevollmächtigt werden kann. Schließlich kann der Planvorlegende mit einer sofortigen Beschwerde gegen den gerichtlichen Planzurückweisungsbeschluss vorgehen (§ 231 Abs. 3 InsO). 113 Gegen die gerichtliche Entscheidung über die sofortige Beschwerde ist die Rechtsbeschwerde zum BGH statthaft, wenn das Beschwerdegericht sie zugelassen hat.184) 114 Die sofortige Beschwerde und die Rechtsbeschwerde folgen grundsätzlich den allgemeinen Verfahrensregeln der ZPO (§§ 567 ff. ZPO). Die sofortige Beschwerde gemäß § 253 InsO hat jedoch entgegen § 570 Abs. 1 ZPO insofern aufschiebende Wirkung, als die Wirkungen des gestaltenden Teils des Plans gemäß § 254 Abs. 1 Satz 1 InsO erst mit Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses eintreten.185) 115 Für die Beschwerde gegen die Bestätigung des Plans bestehen zusätzliche Zulässigkeitsvoraussetzungen (§ 253 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 InsO), welche die Rechtsschutzmöglichkeiten moderat beschränken sollen.186) Auf diese Weise soll Störpotential eingedämmt werden, das ___________ Vgl. Braun/Frank in: Braun, InsO, § 248a Rz. 6 f. Zust. Hirschberger in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 20 Rz. 80. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 248a Rz. 7; a. A. Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 253 Rz. 1. So offenbar auch Frind, ZInsO 2011, 2249, 2260. § 7 InsO a. F. wurde aufgehoben durch das Gesetz zur Änderung des § 522 ZPO, v. 21.10.2011, BGBl. I 2011, 2082; BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, Rz. 13, ZIP 2018, 1141. 185) Vgl. nur Braun/Frank in: Braun, InsO, § 253 Rz. 8, § 254 Rz. 2; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 253 Rz. 1; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 253 Rz. 18. 186) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 35.

180) 181) 182) 183) 184)

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§ 38

Minderheitenschutz, Rechtsmittel

sich aus der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde gemäß § 254 Abs. 1 Satz 1 InsO ergibt.187) Als weitere Maßnahme zur Beschleunigung des Verfahrens wurde der Zurückweisungsantrag nach § 253 Abs. 4 InsO eingeführt, für den das aktienrechtliche Freigabeverfahren (§ 246a AktG) Vorbild war.188) Der Gesetzgeber entschied sich indes dagegen, den Rechtsmitteln den Suspensiveffekt zu nehmen und auf diese Weise jegliches Störpotential auszuschließen.189) Insgesamt bildet das System des gerichtlichen Rechtsschutzes von Minderheiten in der 116 Insolvenzordnung auch hier die Grundlage für die Ausgestaltung des gerichtlichen Rechtsschutzes im StaRUG.190) 2.

Sofortige Beschwerde gegen die Bestätigung des Insolvenzplans oder deren Versagung gemäß § 253 InsO

2.1

Beschwerdegegenstand

Gegenstand der sofortigen Beschwerde nach § 253 InsO sind Beschlüsse des Insolvenzge- 117 richts nach § 252 Abs. 1 Satz 1 InsO, welche den Insolvenzplan bestätigen oder die Bestätigung versagen.191) 2.2

Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde

2.2.1 Überblick über die Zulässigkeitsvoraussetzungen Die sofortige Beschwerde ist zulässig, wenn – zusammengefasst – die folgenden Voraus- 118 setzungen im Zeitpunkt der Beschlussfassung192) des Beschwerdegerichts erfüllt sind: 

Die allgemeinen Verfahrenshandlungsvoraussetzungen, die gleichermaßen für alle im Folgenden dargestellten Rechtsmittel gelten, sind erfüllt (Beteiligtenfähigkeit, Verfahrensfähigkeit, Vertretungsmacht, Bedingungslosigkeit der Verfahrenshandlung).193)



Der Beschwerdeführer ist beschwerdeberechtigt.



Der Beschwerdeführer ist durch die Entscheidung beschwert. Für die Beschwerde gegen die gerichtliche Bestätigung des Insolvenzplans bestehen zudem das Erfordernis einer besonderen formellen Beschwer (§ 253 Abs. 2 Nr. 1 und 2 InsO) sowie verschärfte Anforderungen an die materielle Beschwer (§ 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO).



Es liegt ein Rechtsschutzbedürfnis des Beschwerdeführers vor, welches regelmäßig durch die Beschwer indiziert wird.



Die sofortige Beschwerde ist fristgemäß (§§ 4, 6 Abs. 1 Satz 1 InsO i. V. m. § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und in der richtigen Form (§§ 4, 6 Abs. 1 Satz 1 InsO i. V. m. § 569 Abs. 2 und 3 ZPO) beim Insolvenzgericht (§ 6 Abs. 1 Satz 2 InsO) eingelegt.

___________ 187) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 35. 188) Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 3. So bereits der Vorschlag von Westpfahl/Janjuah, ZIP Beilage z. Heft 3/2008, S. 1, 23; krit. zum „aktienrechtlichen Freigabeverfahren im Planverfahren“ Madaus, NZI 2012, 597, 600. 189) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 35; krit. hierzu Frind, ZInsO 2010, 1426, 1431; vgl. auch Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 510 m. w. N. 190) Vgl. Begr. RegE SanInsFOG, BT-Drucks. 19/24181, S. 164 f. 191) Vgl. nur Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 253 Rz. 2; Pleister in: KPB, InsO, § 253 Rz. 4; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 253 Rz. 1. 192) Vgl. Becker in: Nerlich/Römermann, InsO, § 6 Rz. 72. 193) Ausführlich Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 6 Rz. 21 ff.

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§ 38

2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

2.2.2 Beschwerdeberechtigung 119 Nach § 253 Abs. 1 InsO sind die Gläubiger, der Schuldner und die Anteilsinhaber des Schuldners beschwerdeberechtigt. Zuweilen wird die Frage der (abstrakten) Beschwerdeberechtigung nicht von der Frage der (konkreten) Beschwer getrennt.194) Hier soll die Unterscheidung beibehalten werden,195) auch wenn ihre praktische Relevanz gering sein dürfte. 2.2.2.1 120

Gläubiger

§ 253 Abs. 1 InsO bezeichnet die „Gläubiger“ als beschwerdeberechtigt. Im Grundsatz wird hier nicht nach Gläubigerarten differenziert.196) Sinnvoll ist die Zuerkennung der Beschwerdeberechtigung indes nur bei den Gläubigergruppen, die den Regelungen des Insolvenzplans gemäß § 254 InsO unterworfen sind. Dies sind zunächst die Insolvenzgläubiger gemäß § 38 InsO und die nachrangigen Gläubiger nach § 39 InsO (mit Ausnahme der Gläubiger der in § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO genannten Forderungen, da der Plan die Haftung des Schuldners für diese Verbindlichkeiten gemäß § 225 Abs. 3 InsO weder ausschließen noch einschränken kann).197) Absonderungsberechtigte Gläubiger sind nur beschwerdeberechtigt, sofern ihre Rechte tatsächlich Regelungsgegenstand des Insolvenzplans sind.198)

121 Nicht den Rechtswirkungen des Plans unterworfen und damit nicht beschwerdeberechtigt sind die aussonderungsberechtigten Gläubiger gemäß § 47 InsO sowie Neugläubiger und Massegläubiger gemäß § 53 InsO (siehe hierzu und zu den Ausnahmen Rz. 13 f.). 2.2.2.2

Schuldner

122 Der Schuldner ist nach § 253 Abs. 1 InsO ebenfalls beschwerdeberechtigt. 2.2.2.3

Am Schuldner beteiligte Personen

123 Wenn der Schuldner keine natürliche Person ist, sind auch die am Schuldner beteiligten Personen grundsätzlich beschwerdeberechtigt. Da ihre Anteils- und Mitgliedschaftsrechte in den Insolvenzplan einbezogen werden können (§§ 217 Abs. 1 Satz 2, 225a InsO), muss ihnen ebenfalls Rechtsschutz gewährt werden.199) Wie im Fall der Gläubiger besteht die Beschwerdeberechtigung allerdings nur dann, wenn ihre Rechte tatsächlich in den Insolvenzplan einbezogen sind.200) 2.2.2.4

Keine Beschwerdeberechtigung des Insolvenzverwalters

124 Der Insolvenzverwalter ist nicht beschwerdeberechtigt.201) Dies ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut des § 253 Abs. 1 InsO und wurde im Gesetzgebungsverfahren zum ___________ 194) 195) 196) 197) 198) 199) 200) 201)

Vgl. etwa LG Berlin v. 20.10.2004 – 86 T 578/04, NZI 2005, 335. Ausführlich hierzu Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 6 Rz. 26 ff., 30 ff. Vgl. etwa Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 10; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 253 Rz. 3. Ähnlich Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 253 Rz. 3; a. A. in Bezug auf die nachrangigen Gläubiger Braun/Frank in: Braun, InsO, § 253 Rz. 7. Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 253 Rz. 3; Braun/Frank in: Braun, InsO, § 253 Rz. 7; Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 253 Rz. 8. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 31, 35; Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 509. Dies unterstellt auch der Gesetzgeber in seiner Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 35. So auch BGH v. 5.2.2009 – IX ZB 230/07, ZIP 2009, 480; statt vieler, s. nur in: Braun/Frank in: Braun, InsO, § 253 Rz. 2; Thies in: HambKomm-InsO, § 253 Rz. 6; Pleister in: KPB, InsO, § 253 Rz. 10. Ein Beschwerderecht wird dem Insolvenzverwalter jedoch i. R. des gerichtlichen Beschlusses über die Planberichtigung gemäß § 248a Abs. 4 Satz 1 InsO gewährt (s. unten Rz. 200).

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Minderheitenschutz, Rechtsmittel

ESUG bestätigt.202) Ihm bleibt somit nur die Möglichkeit, ggf. einen Gläubiger zur Einlegung der sofortigen Beschwerde zu veranlassen.203) 2.2.3 Beschwer Neben der (abstrakten) Beschwerdeberechtigung muss der Beschwerdeführer durch die 125 Entscheidung des Insolvenzgerichts auch konkret beschwert sein. Üblicherweise unterscheidet man hierbei zwischen formeller und materieller Beschwer: Formell beschwert ist derjenige, dem etwas versagt wurde, was er beantragt hat; materiell beschwert ist jeder, der durch die Entscheidung in seinen Interessen nachteilig betroffen ist.204) Für die sofortige Beschwerde gegen die Planbestätigung werden in § 253 Abs. 2 InsO 126 spezifische Anforderungen an die formelle und materielle Beschwer aufgestellt. 2.2.3.1

Beschwer bei Versagung der Bestätigung

Versagt das Insolvenzgericht die Bestätigung des Insolvenzplans, ist der Schuldner for- 127 mell beschwert, wenn er den Plan vorgelegt hat.205) Hat er den Plan nicht vorgelegt, muss er eine materielle Beschwer geltend machen. Da die Gläubiger und Anteilsinhaber kein Recht zur Planvorlage haben, können sie durch 128 die Versagung der Bestätigung nicht formell beschwert sein. Die Anforderungen des § 253 Abs. 2 InsO gelten nach dem eindeutigen Wortlaut nicht für eine sofortige Beschwerde gegen die Versagung der Planbestätigung.206) Somit kommt es für die Zulässigkeit der Beschwerde gegen den Versagungsbeschluss nicht auf die Stimmberechtigung und das Stimmverhalten im Erörterungs- und Abstimmungstermin an.207) Materiell beschwert ist der Beschwerdeführer durch den gerichtlichen Versagungsbe- 129 schluss, wenn ihn der Insolvenzplan besserstellen würde, als er im Regelinsolvenzverfahren stünde. Ein Gläubiger oder Anteilseigner muss demgemäß geltend machen, dass der Insolvenzplan seine Befriedigungsaussichten verbessert.208) Nicht erforderlich ist hingegen, dass der Beschwerdeführer die Schlechterstellung i. E. durch eine Vergleichsrechnung darlegt und beweist.209) Im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung reicht es aus, wenn der Beschwerdeführer die Schlechterstellung geltend macht,210) es sei denn, die Schlechterstellung ist nach den Umständen offensichtlich ausgeschlossen. Für den Schuldner begründet jede im Insolvenzplan vorgesehene Reduzierung seiner Verbindlichkeiten eine materielle Beschwer.

___________ 202) Gegenäußerung d. BReg z. Stellungnahme d. BRats z. ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 57. 203) Vgl. Gegenäußerung d. BReg z. Stellungnahme d. BRats z. ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 57; dazu krit. Heinrich, NZI 2012, 235, 241. 204) Prütting in: KPB, InsO, § 6 Rz. 27; Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 6 Rz. 31. 205) BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZInsO 2018, 1404, 1405; Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 253 Rz. 6; Thies in: HambKomm-InsO, § 253 Rz. 10; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 253 Rz. 25. 206) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 9, 24. 207) Thies in: HambKomm-InsO, § 253 Rz. 15, 18; Kebekus/Handschumacher in: Graf-Schlicker, InsO, § 253 Rz. 1; vgl. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 22, 24; a. A. wie schon zu § 251 InsO Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 253 Rz. 25. 208) Zust. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 24; a. A. Spliedt in: K. Schmidt, § 253 Rz. 26. 209) Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 253 Rz. 9. 210) Vgl. BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, ZIP 2010, 1499, dazu EWiR 2010, 681 (M. Huber), für die Beschwer im umgekehrten Fall der Planbestätigung.

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§ 38 2.2.3.2

2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf Formelle Beschwer bei Planbestätigung (§ 253 Abs. 2 Nr. 1 und 2 InsO)

130 Eine sofortige Beschwerde gegen den Planbestätigungsbeschluss ist nur zulässig, wenn: 

der Beschwerdeführer dem Plan spätestens im Abstimmungstermin schriftlich oder zu Protokoll widersprochen (§ 253 Abs. 2 Nr. 1 InsO)



und gegen den Plan gestimmt hat (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 InsO).



Gemäß § 253 Abs. 3 InsO muss der Beschwerdeführer diese Voraussetzungen allerdings nur dann erfüllen, wenn er in der öffentlichen Bekanntmachung des Erörterungsund Abstimmungstermins (§ 235 Abs. 2 InsO) und in den Ladungen zum Termin (§ 235 Abs. 3 InsO) auf die Notwendigkeit eines Widerspruchs und einer Planablehnung besonders hingewiesen wurde.211)

131 Die Stellung eines Minderheitenschutzantrags nach § 251 Abs. 1 InsO ist nach dem Wortlaut des § 253 Abs. 2 Nr. 1 InsO, der nur die Einlegung eines Widerspruchs verlangt, nicht Voraussetzung für die Zulässigkeit der Beschwerde nach § 253 InsO. Nach der früher herrschenden Ansicht im Schrifttum handelte es sich dennoch um eine ungeschriebene weitere Zulässigkeitsvoraussetzung für die sofortige Beschwerde (ausführlich hierzu die 2. Auflage Rz. 133 ff.).212) Auch das LG Berlin war im Fall Suhrkamp dieser Ansicht gefolgt.213) Näher zum Fall Suhrkamp siehe unten Rz. 230 ff. 132 Der BGH hat dies jedoch mit ausführlicher Begründung abgelehnt.214) Dass § 253 InsO allein den Widerspruch als Voraussetzung verlangt und den Antrag nach § 251 Abs. 1 InsO gerade nicht erwähnt, obwohl dies nahegelegen hätte, zeigt, dass der Gesetzgeber zwischen den beiden Rechtsbehelfen trennt. Daher kann hier praeter legem keine weitere ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung gefordert werden.215) 133 Fraglich ist, welche Auswirkungen die Anforderungen des § 253 Abs. 2 InsO auf diejenigen Beteiligten haben, denen das Insolvenzgericht kein Stimmrecht gewährt hat. Sofern § 253 Abs. 2 Nr. 1 und insbesondere Nr. 2 InsO Anwendung fänden, entzöge man dem Betreffenden durch die Nichtgewährung des Stimmrechts zugleich die Möglichkeit zur Erhebung einer sofortigen Beschwerde. Das hätte zur Folge, dass der Schuldner stets und die nachrangigen Insolvenzgläubiger in der Regel von der sofortigen Beschwerde gegen die Bestätigung des Insolvenzplans ausgeschlossen wären, weil dem Schuldner nie und den nachrangigen Insolvenzgläubigern nur ausnahmsweise216) Stimmrecht gewährt wird. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich nicht, dass für Beschwerdeführer ohne Stimmrecht eine Ausnahme von den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 1 und 2 InsO gelten soll. Es wird aber auch nicht gesagt, dass damit bestimmte Gruppen von Beteiligten immer oder fast immer ausgeschlossen sein sollen,217) was nahegelegen hätte, wenn dies die Absicht des Gesetzgebers gewesen wäre. Das spricht dafür, dass die Regelung die Beteiligten dazu anhalten soll, ihre verfahrensrechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen,218) ___________ 211) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 36. 212) Etwa Fischer, NZI 2013, 513, 515; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 253 Rz. 6; Skauradszun, DZWIR 2014, 338, 339; Fölsing, EWiR 2014, 293, 294 (Urteilsanm.); diff. Brünkmans, ZInsO 2014, 993, 995; a. A. aber Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 27, § 251 Rz. 57; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 251 Rz. 17; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, § 253 Rz. 5; Pleister in: KPB, InsO, § 253 Rz. 12. 213) LG Berlin v. 24.2.2014 – 51 T 107/14 (Suhrkamp), ZIP 2014, 893, dazu EWiR 2014, 293 (Fölsing). 214) BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14 (Suhrkamp), ZIP 2014, 1442. Der BGH schloss sich damit der an dieser Stelle bereits in den Vorauflagen vertretenen Ansicht an. 215) Ebenso BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14 (Suhrkamp), ZIP 2014, 1442; vgl. LG Stade v. 29.12.2017 – 7 T 151/17, NZI 2019, 31 m. Anm. Schmidt. 216) Vgl. Braun/Frank in: Braun, InsO, § 237 Rz. 7. 217) Vgl. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 35. 218) So die Formulierung in der Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 35.

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§ 38

Minderheitenschutz, Rechtsmittel

nicht aber, Beteiligte von der sofortigen Beschwerde auszuschließen, wenn ihnen bestimmte verfahrensrechtliche Möglichkeiten gar nicht erst zu Gebote stehen. Dafür spricht auch die Regelung des § 253 Abs. 3 InsO, der man den Gedanken entnehmen kann, dass der Beschwerdeführer die verfahrensrechtlichen Möglichkeiten nur ausnutzen muss, soweit ihm dies möglich war. Für den Schuldner und die – stimmlosen – nachrangigen Gläubiger bedeutet das, dass § 253 134 Abs. 2 InsO teleologisch reduziert werden muss. Für sie gilt nur das Erfordernis des § 253 Abs. 1 Nr. 1 InsO, dem Plan zu widersprechen.219) Dasselbe dürfte für Beteiligte gelten, denen im Einzelfall das Stimmrecht versagt wurde, wobei allerdings nicht die Vorenthaltung des Stimmrechts als solche mit der sofortigen Beschwerde gerügt werden kann, da eine sofortige Beschwerde gegen die gerichtliche Feststellung des Stimmrechts nicht vorgesehen ist (vgl. § 237 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. §§ 77 Abs. 1 Satz 1, 6 Abs. 1 Satz 1 InsO).220) Legt der Schuldner den Plan selbst vor und wird der Plan vom Gericht bestätigt, ist der 135 Schuldner nicht formell beschwert.221) 2.2.3.3

Materielle Beschwer bei Planbestätigung (§ 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO)

Gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO hat der Beschwerdeführer zudem eine wesentliche 136 Schlechterstellung glaubhaft zu machen (zur Schlechterstellung allgemein siehe oben Rz. 52 ff.).222) Nach den neuen Regelungen in § 220 Abs. 2 InsO gilt auch hier nicht mehr die Liquidation als Vergleichsmaßstab, sondern grundsätzlich die Fortführung des Unternehmens (siehe oben zu § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO Rz. 62).223) Im Unterschied zu § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO genügt für § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO aber nicht jede Schlechterstellung; diese muss vielmehr „wesentlich“ sein. Die Regierungsbegründung zum ESUG nennt in diesem Zusammenhang eine Schwelle von 10 %, d. h. eine Schlechterstellung ist erst dann wesentlich, wenn die Planleistung mehr als 10 % unter der Quote liegt, die dem Beteiligten in einem Regelinsolvenzverfahren voraussichtlich zustehen würde.224) Der Gesetzgeber will damit querulatorische Beschwerden durch Kleingläubiger vermeiden, die eine wertmäßig geringe Forderung nur aus Verzögerungsmotiven erworben haben.225) Dieses Ziel wird indes durch eine prozentuale Schwelle nicht erreicht. Denn damit kommt es auf eine relative Beeinträchtigung an, für deren Bemessung die absolute Höhe der Forderung irrelevant ist. Umgekehrt erfasst eine solche relative Schwelle auch Forderungen, bei denen 10 % einen substanziellen Betrag ausmachen. Der Schwellenwert sollte daher vom ___________ 219) Vgl. auch Fischer NZI 2013, 513, 514 f.; Thies in: HambKomm-InsO, § 253 Rz. 12, 17; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 253 Rz. 7; zust. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO § 253 Rz. 6. 220) Hierzu auch BGH v. 23.10.2008 – IX ZB 235/06, ZIP 2008, 2428; bestätigt durch BVerfG v. 26.11.2009 – 1 BvR 339/09, ZIP 2010, 237; Fischer, NZI 2013, 513, 514; a. A. Andres in: Andres/ Leithaus, InsO, § 253 Rz. 9. 221) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 42; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 253 Rz. 6. 222) Gegen die Anwendbarkeit des § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO auf den Schuldner Thies in: HambKommInsO, § 253 Rz. 13; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 253 Rz. 9. 223) Wohl auch Pleister in: KPB, InsO, § 253 Rz. 17, der nur ggf. von einer Übertragbarkeit des § 220 Abs. 2 InsO auf § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO ausgeht. 224) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 35; vgl. auch BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14 (Suhrkamp), ZIP 2014, 1442: Verlust, der auch mit Rücksicht auf vorgesehene Ausgleichsmittel die Größenordnung von 10 Prozent überschreitet; LG Hamburg v. 10.12.2014 – 326 T 163/14, ZInsO 2015, 159; LG Osnabrück v. 8.8.2017 – 8 T 444/17, ZInsO 2017, 1791; LG Stade v. 29.12.2017 – 7 T 151/17, NZI 2019, 31 m. Anm. Schmidt; LG Köln v. 17.12.2020 – 1 T 440/20, ZIP 2021, 1124; Martini/Horstkotte, ZInsO 2017, 1913, 1926; Zur Einführung eines Schwellenwertes vgl. bereits den Vorschlag von Westpfahl/ Janjuah, ZIP Beilage z. Heft 3/2008, S. 1, 22. 225) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 35.

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§ 38

2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

Gericht lediglich als Ausgangspunkt einer Einzelfallentscheidung herangezogen werden, in der zusätzlich überprüft wird, ob trotz einer Unterschreitung der Zehn-Prozent-Hürde die Wesentlichkeit einer Schlechterstellung zu bejahen oder trotz Überschreitung zu verneinen ist.226) 137 Da die Schlechterstellung im Vergleich mit der Lage in der Regelinsolvenz ermittelt wird, kann der Beschwerdeführer seine Beschwer nicht damit begründen, dass er durch den angegriffenen Insolvenzplan zwar bereits grundsätzlich bessersteht als im Regelinsolvenzverfahren, er jedoch bei Beseitigung des geltend gemachten Fehlers noch besser stünde.227) Daher schränkt § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO den Zugang zur sofortigen Beschwerde nicht nur quantitativ durch das Erfordernis „wesentlicher“ Schlechterstellung ein, sondern auch qualitativ, indem nur bestimmte Arten der Schlechterstellung geltend gemacht werden können.228) Obwohl der Gesetzgeber in § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO auf den klarstellenden Zusatz „voraussichtlich“ verzichtet hat, ist das Vorliegen einer Schlechterstellung wie bei § 251 Abs. 2 InsO auf Basis einer Prognose zu bestimmen (siehe hierzu bereits oben Rz. 53).229) Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass i. R. des § 253 InsO insoweit kein abweichender Beurteilungsmaßstab gelten soll.230) 138 Für den Schuldner ist eine Schlechterstellung im Vergleich zur Stellung im Regelinsolvenzverfahren die Beeinträchtigung seiner Rechtsstellung durch Verweigerung oder Erschwerung der Restschuldbefreiung, das Verlangen zusätzlicher Leistungen oder (theoretisch) Verweigerung eines Übererlöses nach § 199 InsO.231) 139 Für Anteilsinhaber wird sich eine wesentliche Schlechterstellung in der Regel nicht feststellen lassen, da ihre Beteiligungen im Regelinsolvenzverfahren typischerweise wertlos sind und sie keine Ausschüttungen gemäß § 199 InsO erhalten.232) Im Fall Suhrkamp hat der BGH allerdings eine wesentliche Schlechterstellung für möglich gehalten.233) Der Insol___________ 226) Die Möglichkeit, dem Gesetzesanwender weitere Kriterien an die Hand zu geben, hat der Gesetzgeber bedauerlicherweise nicht genutzt; so auch Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 510. Denkbar wäre es etwa gewesen, die Wesentlichkeit zusätzlich daran zu messen, wie hoch der Wert der einzelnen Forderung oder des einzelnen Anteilsrechts des Beschwerdeführers im Verhältnis zu dem Gesamtwert der übrigen festgestellten Forderungen ist. So würden nur geringwertige Forderungen aussortiert, auf die zudem die von der Regierungsbegründung vorgeschlagene 10 %-Hürde anzuwenden wäre, um geringfügige Schlechterstellungen auszunehmen. Fischer, NZI 2013, 513, 514, schlägt vor, in Anlehnung an § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO eine Geringwertigkeitsschwelle von 600 € anzuerkennen (zust. LG Köln v. 17.12.2020 – 1 T 440/20, ZIP 2021, 1124 – mit Verweis auf Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 31). Querulatorische Klagen hätten auch durch Anknüpfung an den Betrag, den der beschwerdeführende Gläubiger zum Erwerb der Forderung aufgewandt hat, ausgesondert werden können. Vgl. auch Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, §§ 251, 253 Rz. 16. 227) So noch zur Rechtslage vor Inkrafttreten des ESUG BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, ZIP 2005, 1648, 1649 f.; Braun/Frank in: Braun, InsO, 4. Aufl., § 253 Rz. 3; Sinz in: MünchKomm-InsO, 2. Aufl., § 253 Rz. 20. Dagegen bereits Smid, DZWIR 2005, 364, 367. 228) Eine Ausnahme vom Erfordernis der Schlechterstellung macht Wenzel in: Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, § 253 Rz. 15, 17, für den Fall, dass ein Verstoß gegen § 250 InsO geltend gemacht wird. Dann sei eine Beeinträchtigung der Rechte durch den Insolvenzplan ausreichend und das Gericht prüfe dann nur noch § 250 Nr. 1 und Nr. 2 InsO. Diese Auffassung ist jedoch abzulehnen, weil sie im Gesetz keine Stütze findet und den gesetzgeberischen Zweck unterliefe, die Möglichkeiten, die Planbestätigung mit der sofortigen Beschwerde anzugreifen, einzuschränken. 229) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 35; LG Osnabrück v. 8.8.2017 – 8 T 444/17, ZInsO 2017, 1791 f.; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 32. 230) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 35; vgl. auch Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, §§ 251, 253 Rz. 7 ff. 231) Vgl. Braun/Frank in: Braun, InsO, § 247 Rz. 3 – 5. 232) Vgl. Bork, Sanierungsrecht in Deutschland und England, Rz. 15.9; Brinkmann, WM 2011, 97, 100. S. aber zudem Becker, HRI II, § 36 Rz. 14. 233) BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14 (Suhrkamp), ZIP 2014, 1442.

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Minderheitenschutz, Rechtsmittel

venzplan sah vor, dass die Insolvenzschuldnerin von einer KG in eine AG umgewandelt wird und die Aktien vinkuliert werden, während die Kommanditanteile an der KG frei übertragbar waren. Die Ausgangslage war in dem Fall insofern außergewöhnlich, als alle Insolvenzgläubiger befriedigt werden konnten, so dass die Beteiligung an der Insolvenzschuldnerin nicht wertlos war. Auch weitere nachrangige Insolvenzgläubiger i. S. des § 39 InsO dürften so gut wie nie 140 in den Genuss eines Beschwerderechts kommen, da ihre Forderungen mangels anderweitiger Regelungen im Insolvenzplan zwar regelmäßig als erlassen gelten (§ 225 Abs. 1 InsO), jedoch auch im Regelinsolvenzverfahren selten befriedigt werden. Etwaige verfassungsrechtliche Bedenken wegen einer möglichen Verletzung der Rechts- 141 schutzgarantie wurden mit der Einführung des § 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG entkräftet,234) da die Planbestätigung nunmehr dem Richter vorbehalten ist und Art. 19 Abs. 4 GG keinen Instanzenzug garantiert.235) Die materielle Beschwer setzt nach § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO weiter voraus, dass der Nach- 142 teil des Beschwerdeführers nicht durch Zahlung eines Ausgleichs aus Mitteln i. S. des § 251 Abs. 3 InsO („salvatorische Klausel“) kompensiert werden kann (ausführlich zu § 251 Abs. 3 InsO siehe oben Rz. 65 ff., 73 ff.). Es kommt also nicht darauf an, ob ein Nachteil des Beschwerdeführers tatsächlich ausgeglichen werden wird, sondern der Beschwerdeführer muss dartun, dass ein solcher Ausgleich nicht vorgenommen werden kann, also von vornherein unmöglich ist. Das scheint nach der Gesetzesbegründung bereits dann nicht der Fall zu sein, wenn der Insolvenzplan irgendeine Regelung i. S. des § 251 Abs. 3 InsO enthält.236) Das dürfte indes zu weitgehend sein. Der Beschwerdeführer wird aber dartun müssen, dass die vorgesehenen Ausgleichsmittel seinen Nachteil nicht ausgleichen können, weil der Betrag seines Nachteils allein oder i. V. m. den Nachteilen weiterer Beteiligter den Betrag der vorgesehenen Ausgleichsmittel übersteigt. Bezieht der Beschwerdeführer die Nachteile weiterer Beteiligter ein, wird er dartun müssen, dass und warum konkret damit zu rechnen ist, dass die weiteren Beteiligten den Nachteilsausgleich geltend machen.237) Alle vorstehenden Voraussetzungen sind vom Beschwerdeführer glaubhaft zu machen. In 143 Bezug auf die Anforderungen der Glaubhaftmachung bestehen i. R. des § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO keine Besonderheiten gegenüber der Glaubhaftmachung i. R. des Minderheitenschutzantrags nach § 251 InsO (siehe oben Rz. 41 ff.). Nach der Regierungsbegründung soll darüber hinaus weiterhin die allgemeine Beschwer 144 erforderlich sein, die nur dann vorliege, wenn der Plan überhaupt in die Rechtsstellung des Beschwerdeführers eingreift.238) Das ist unter den Voraussetzungen des § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO aber notwendig der Fall, so dass für ein weitergehendes Erfordernis der Beschwer kein Raum ist. 2.2.4 Form und Inhalt Die sofortige Beschwerde ist durch Einreichung einer Beschwerdeschrift (§ 569 Abs. 2 145 Satz 1 ZPO) oder durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle (§ 569 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) einzulegen. Abweichend von § 569 Abs. 1 ZPO ist die Beschwerdeschrift nicht an ___________ 234) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 14, 36. 235) Vgl. BVerfG v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02, ZIP 2003, 1102; BVerfG v. 25.1.2005 – 2 BvR 656/99, 2 BvR 657/99 und 2 BvR 683/99, NJW 2005, 1999. 236) Vgl. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 36. 237) Ebenso Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 35. 238) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 35.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

das Beschwerdegericht, sondern gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 InsO an das Insolvenzgericht zu richten. Der Zweck der abweichenden Regelung ist, dem Insolvenzrichter schneller die Gelegenheit zu geben, von seiner Abhilfemöglichkeit Gebrauch zu machen, um so eine Verfahrensbeschleunigung und Entlastung der Beschwerdegerichte zu erreichen.239) 146 Die Beschwerdeschrift muss die Bezeichnung des Beschlusses und die Erklärung enthalten, dass gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt wird (§ 4 InsO i. V. m. § 569 Abs. 2 Satz 1 und 2 ZPO). An den Inhalt der Beschwerdeschrift sind nach h. M. keine hohen Anforderungen zu stellen. Sie muss nur den Beschwerdeführer, die angefochtene Entscheidung und das Begehren erkennen lassen, die Entscheidung nochmals durch das Insolvenzgericht und ggf. durch die höhere Instanz überprüfen zu lassen.240) Da § 569 Abs. 2 Satz 1 ZPO lediglich die Schriftform verlangt, gilt für die Beschwerdeeinlegung die generell für verfahrensrechtliche Handlungen maßgebliche „prozessuale Schriftform“ i. S. der ZPO (siehe dazu oben Rz. 24 m. w. N.). 2.2.5 Frist 147 Die sofortige Beschwerde ist binnen einer Notfrist von zwei Wochen bei dem Insolvenzgericht einzulegen, §§ 4, 6 Abs. 1 Satz 1 InsO i. V. m. § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Auch die Glaubhaftmachung der Beschwer muss innerhalb der Beschwerdefrist erfolgen.241) Sie beginnt nach § 6 Abs. 2 InsO i. V. m. § 252 Abs. 1 InsO mit der Verkündung des Beschlusses, durch den der Insolvenzplan bestätigt oder seine Bestätigung versagt wird. Die Frist beginnt auch dann gemäß der gesetzlichen Regelung zu laufen, wenn das Insolvenzgericht über den Fristbeginn falsch belehrt hat.242) 148 Hat der Beschwerdeführer die Frist unverschuldet versäumt, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, etwa auch in dem Fall der falschen Belehrung über die Beschwerdefrist.243) Hierfür gelten die allgemeinen zivilprozessualen Grundsätze (§ 4 InsO i. V. m. §§ 230 bis 238 ZPO).244) 2.2.6 Notwendige Beteiligte 149 Richtet sich die sofortige Beschwerde gegen die Bestätigung des Insolvenzplans, ist derjenige der den Plan vorgelegt hat, Schuldner oder Insolvenzverwalter, notwendig Beteiligter des Beschwerdeverfahrens.245) 2.3

Begründetheit

150 Der Prüfungsumfang der Begründetheitsprüfung entspricht demjenigen der Rechtsmäßigkeitsprüfung des Insolvenzgerichts im Bestätigungsverfahren.246) ___________ 239) Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 33. 240) Vgl. BGH v. 23.10.2003 – IX ZB 369/02, ZIP 2004, 684; Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 6 Rz. 41; Hamdorf in: MünchKomm-ZPO, § 569 Rz. 12; Ball in: Musielak/Voit, ZPO, § 569 Rz. 7. 241) LG Köln v. 18.9.2017 – 1 T 349/17, ZInsO 2017, 2563, 2565; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 34. 242) BGH v. 16.10.2003 – IX ZB 36/03, ZIP 2003, 2382. 243) BGH v. 16.10.2003 – IX ZB 36/03, ZIP 2003, 2382; Breitenbücher/Neußner in: KölnKomm-InsO, § 253 InsO Rz. 4 f.; Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 6 Rz. 39a; Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 253 Rz. 27. 244) Vgl. Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 4 Rz. 51; Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 253 Rz. 3. Zu den Voraussetzungen der Wiedereinsetzung s. etwa Stackmann in: MünchKomm-ZPO, § 233 Rz. 10 ff. 245) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 92; für den Fall des vorlegenden Insolvenzverwalters auch BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 266/04, ZIP 2005, 1648, dazu EWiR 2006, 279 (v. Gleichenstein); für den Fall des Schuldners AG Mühldorf/Inn v. 13.1.2000 – 1 IN 26/99, ZInsO 2000, 112. 246) BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14 (Suhrkamp), ZIP 2014, 1442.

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Minderheitenschutz, Rechtsmittel 2.3.1 Rechtsverstoß

Ein Rechtsverstoß liegt vor, wenn der Planbestätigungs- oder Versagungsbeschluss gegen 151 die Vorschriften über die Planbestätigung, §§ 248 bis 252 InsO, verstoßen hat (siehe i. E. oben Westpfahl, HRI II, § 37 Rz. 2 ff.).247) Erfasst sind damit auch diejenigen Vorschriften über den Inhalt, das Verfahren, die Annahme des Plans sowie die Zustimmung des Schuldners zum Plan, auf die in den §§ 248 bis 252 InsO verwiesen wird.248) Durch die Planbestätigung begeht das Insolvenzgericht nur dann einen Rechtsverstoß, wenn tatsächlich einer der Gründe vorlag, aus denen die Bestätigung nach §§ 249 bis 250 InsO zwingend zu versagen ist. Ein Verstoß gegen die Bestimmungen über die Stimmrechtsgewährung gemäß §§ 237, 238, 238a InsO ist allerdings kein für die sofortige Beschwerde beachtlicher Rechtsverstoß, da eine sofortige Beschwerde gegen die gerichtliche Feststellung des Stimmrechts nicht vorgesehen ist (vgl. § 237 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. §§ 77, 6 Abs. 1 Satz 1 InsO).249) Mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG ist das vereinbar, weil die Stimmrechtsfestsetzung gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG dem Richter obliegt. Zu beachten ist, dass ein Verstoß gegen § 251 InsO nur vorliegen kann, wenn ein ent- 152 sprechender Antrag auf Minderheitenschutz gestellt wurde. Nur dann muss das Insolvenzgericht eine Schlechterstellung berücksichtigen (siehe oben Westpfahl, HRI II, § 37 Rz. 71). 2.3.2 Schlechterstellung als Begründetheitserfordernis? Die Begründetheitsprüfung ist nicht auf solche Gesetzesverstöße beschränkt, die zu einer 153 wesentlichen Schlechterstellung des Beschwerdeführers führen. Zwar entsprach es nach der Einführung des § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO der überwiegenden Auffassung in der Literatur, dass § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO Ausstrahlungswirkung auf die Begründetheit habe.250) Der BGH hat jedoch anders entschieden.251) Nach seiner Auffassung ergibt sich aus dem 154 Wortlaut des § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO keine derartige Beschränkung der Begründetheitsprüfung. § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO statuiere eine Zulässigkeitsvoraussetzung, die nicht in eine Begründetheitsvoraussetzung umgedeutet werden dürfe.252) Nur wenn der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen § 251 InsO rügt, kommt es für die 155 Begründetheit der Beschwerde darauf an, ob eine Schlechterstellung gegenüber dem Regelinsolvenzverfahren vorliegt. Für einen Verstoß gegen § 251 InsO muss der Beschwerdeführer zudem darlegen und ggf. beweisen, dass eine Schlechterstellung vorliegt und nicht durch eine Zahlung nach § 251 Abs. 3 InsO ausgeglichen werden kann.253) Es wird vertreten, dass dieses Erfordernis das Verfahren verzögern könne. Das Beschwerdegericht könne das Verfahren nach § 148 Abs. 1 ZPO aussetzen, bis ein etwaiger Rechtsstreit darüber beendet ist, ob der Beschwerdeführer Anspruch auf Zahlung aus den Mitteln hat, die im Insolvenzplan als Ausgleich für eine Schlechterstellung bereitgestellt sind (Aussetzung bei Vorgreiflichkeit).254) Eine solche Aussetzung dürfte aber mangels Vor___________ 247) BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14 (Suhrkamp), ZIP 2014, 1442. 248) LG Hamburg v. 1.12.2006 – 326 T 93/06, ZInsO 2007, 277, 278; Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 253 Rz. 9. 249) Hierzu auch BGH v. 23.10.2008 – IX ZB 235/06, ZIP 2008, 2428, 2429; bestätigt durch BVerfG v. 26.11.2009 – 1 BvR 339/09, ZIP 2010, 237; a. A. Andres in: Andres/Leithaus, InsO, § 253 Rz. 9. 250) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 55; Fischer, NZI 2013, 513, 515 – Beschwerde ist dann bereits unzulässig. 251) BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14 (Suhrkamp), ZIP 2014, 1442. 252) BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14 (Suhrkamp), ZIP 2014, 1442. 253) Vgl. BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14 (Suhrkamp), ZIP 2014, 1442. 254) Lehmann/Rühle, NZI 2015, 151, 155.

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greiflichkeit ausgeschlossen sein. Die Vorgreiflichkeit besteht vielmehr umgekehrt. Ein Rechtsstreit über Ausgleichszahlungen setzt voraus, dass der Insolvenzplan wirksam ist, weil der Plan die Rechtsgrundlage des Ausgleichsanspruchs ist.255) Ob der Plan wirksam wird, hängt aber von der Entscheidung über die sofortige Beschwerde ab. 156 Im Übrigen gilt für die Vergleichsrechnung sowie für die Beurteilung etwaiger Eingriffe in Anteils- und Mitgliedschaftsrechte bei einem Debt Equity Swap das zu § 251 InsO Gesagte. Siehe hierzu und i. Ü. oben Rz. 59 ff. 2.4

Beschwerdeentscheidung

157 Das Insolvenzgericht entscheidet zunächst, ob es der Beschwerde abhilft. Der sofortigen Beschwerde gegen die Versagung der Planbestätigung hilft es dadurch ab, dass es den Insolvenzplan bestätigt. Hilft das Gericht der Beschwerde gegen einen Bestätigungsbeschluss ab, wird das Verfahren zu einer erneuten Entscheidung des Gerichts auf den Stand vor gerichtlicher Bestätigung i. S. des § 248 InsO zurückversetzt.256) Ist von dem Gesetzesverstoß auch die Abstimmung über den Plan betroffen, wird das Verfahren auf den Stand vor Erörterung und Abstimmung zurückversetzt.257) In diesem Fall kann der Insolvenzplan vor erneuter Erörterung und Abstimmung nochmals geändert werden. Die Abhilfeentscheidung ergeht durch Beschluss. Gemäß § 128 Abs. 4 ZPO kann sie ohne mündliche Verhandlung ergehen. 158 Der Abhilfebeschluss des Insolvenzgerichts kann dann durch einen Beteiligten erneut im Wege der sofortigen Beschwerde angegriffen werden, sofern er durch den Abhilfebeschluss erstmals beschwert ist.258) 159 Hilft das Insolvenzgericht der sofortigen Beschwerde nicht ab, ist sie gemäß §§ 4, 6 Abs. 1 Satz 2 InsO i. V. m. § 572 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 ZPO unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Das Beschwerdegericht ist gemäß § 72 GVG das LG.259) Vor diesem muss der Beschwerdeführer die Gründe, die er bereits vor dem Insolvenzgericht vorgebracht hat, nicht erneut vortragen. Er darf aber neue Tatsachen vorbringen; diese hat das LG nach §§ 4, 6 InsO i. V. m. § 571 Abs. 2 ZPO zu berücksichtigen. 160 Das Beschwerdegericht prüft zunächst die Statthaftigkeit und Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde und verwirft sie, wenn es an einem der Erfordernisse mangelt, §§ 4, 6 InsO i. V. m. § 572 Abs. 2 ZPO. 161 Ist die sofortige Beschwerde zulässig und begründet, kann das LG die Entscheidung des Insolvenzgerichts aufheben und selbstständig eine Entscheidung treffen oder dem Insolvenzgericht nach § 572 Abs. 3 ZPO die erforderliche Anordnung übertragen.260) Im letzteren Fall muss das Insolvenzgericht gemäß der Entscheidung und den Weisungen des Beschwerdegerichts entscheiden.261) ___________ 255) Vgl. Madaus, NZI 2012, 597, 598. 256) Statt vieler s. nur Braun/Frank in: Braun, InsO, § 253 Rz. 11; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 253 Rz. 15; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 253 Rz. 15; a. A. Wenzel in: Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, § 253 Rz. 23. 257) Braun/Frank in: Braun, InsO, § 253 Rz. 11; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 253 Rz. 15; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 94. 258) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 94. 259) Statt vieler s. nur Becker in: Nerlich/Römermann, InsO, § 6 Rz. 48; Pape in: Uhlenbruck, InsO, § 6 Rz. 18; a. A. Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 253 Rz. 29, wonach das Beschwerdegericht gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 InsO das Insolvenzgericht sei. 260) Thies in: HambKomm-InsO, § 253 Rz. 24; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 93 f. 261) Hunke in: Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle, ZPO, § 572 Rz. 15.

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Minderheitenschutz, Rechtsmittel

Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ergeht gemäß § 572 Abs. 4 ZPO durch Be- 162 schluss.262) In formaler Hinsicht gelten §§ 4, 6 InsO i. V. m. § 329 ZPO. Die Entscheidung ist nach § 329 Abs. 3 ZPO zuzustellen, wenn das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde zulässt.263) 2.5

Antrag auf Zurückweisung wegen überwiegenden Vollzugsinteresses (§ 253 Abs. 4 InsO)

Gemäß § 253 Abs. 4 InsO hat das LG die sofortige Beschwerde auf Antrag des Insolvenz- 163 verwalters unverzüglich zurückzuweisen, wenn kein schwerer Rechtsverstoß vorliegt und das alsbaldige Wirksamwerden des Insolvenzplans vorrangig erscheint, weil die Nachteile einer Verzögerung des Planvollzugs nach freier Überzeugung des Gerichts die Nachteile für den Beschwerdeführer überwiegen. Die Regelung folgt dem Vorbild des aktienrechtlichen Freigabeverfahrens gemäß § 246a 164 AktG,264) so dass bei der Auslegung Rechtsprechung und Literatur zu § 246a AktG fruchtbar gemacht werden können.265) Da aber nicht alle Regelungselemente des § 246a AktG übernommen wurden und die beiden Verfahren in sehr unterschiedlichem rechtlichen und wirtschaftlichen Kontext stehen, ist bei jeder Einzelfrage zu prüfen, ob die zu § 246a AktG gefundenen Lösungen auf den Antrag nach § 253 Abs. 4 InsO (im Folgenden auch Zurückweisungsantrag genannt) übertragen werden können.266) 2.5.1 Gerichtliche Zuständigkeit Der Zurückweisungsantrag ist nach § 253 Abs. 4 Satz 1 InsO an das LG zu richten.267) 165 Damit ist funktional das LG als Beschwerdegericht (§ 72 GVG) gemeint, weil der Antrag i. R. des Beschwerdeverfahrens gestellt wird. Das Insolvenzgericht wird mit dem Antrag nicht befasst. § 253 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 InsO ordnet an, dass kein Abhilfeverfahren stattfindet. Nach a. A. kann der Antrag alternativ auch beim Insolvenzgericht gestellt werden.268) 2.5.2 Antragsberechtigung Gemäß § 253 Abs. 4 Satz 1 InsO ist ausschließlich der Insolvenzverwalter bzw. – im Fall 166 der Eigenverwaltung – neben dem Sachwalter269) auch der Schuldner antragsberechtigt.270) Der Antrag ist gegen alle Beschwerdeführer zu richten, deren Beschwerden zurückgewiesen werden sollen. Der Antrag kann auch gegen eine unzulässige Beschwerde gestellt wer___________ 262) 263) 264) 265) 266) 267)

268)

269) 270)

Vgl. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 93. Hunke in: Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle, ZPO, § 572 Rz. 19. Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 36. So auch Decher/Voland, ZIP 2013, 103, 112. Hierzu ausführlich Vaske, Die sofortige Beschwerde gegen die Bestätigung eines Insolvenzplans, 2015, S. 220 ff. So auch Vaske, Die sofortige Beschwerde gegen die Bestätigung eines Insolvenzplans, 2015, S. 251; Wenzel in: Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, § 253 Rz. 24; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 253 Rz. 17; Fischer, NZI 2013, 513, 517. Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, §§ 251, 253 Rz. 35; vgl. Silcher in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, § 253 InsO Rz. 25; Thies in: HambKomm-InsO, § 253 Rz. 25; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 63 ff. Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 253 Rz. 17; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 60 m. w. N.; a. A. Jaeger in: Jaeger, InsO, § 253 Rz. 48. LG Berlin v. 20.10.2014 – 51 T 696/14, ZIP 2014, 2197, 2199; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 253 Rz. 17; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 59 f.; Fischer, NZI 2013, 513, 516; Lehmann/Rühle, NZI 2014, 889, 891; Pleister/Tholen, ZIP 2015, 414.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

den.271) Aufgrund seiner Sorgfaltspflicht nach § 60 InsO kann der Insolvenzverwalter zur Antragstellung sogar verpflichtet sein.272) 2.5.3 Frist 167 § 253 Abs. 4 InsO regelt nicht, ab wann oder bis wann der Insolvenzverwalter den Zurückweisungsantrag stellen kann.273) Da der Antrag auf Zurückweisung der sofortigen Beschwerde gerichtet ist, kann er frühestens zu dem Zeitpunkt gestellt werden, in dem die sofortige Beschwerde gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 InsO durch Einreichung der Beschwerdeschrift beim Insolvenzgericht eingelegt wurde.274) Man wird es dem Insolvenzverwalter aber gestatten und empfehlen müssen, den Zurückweisungsantrag unmittelbar nach dem Beschluss über die Bestätigung des Insolvenzplans als Schutzschrift beim Beschwerdegericht und informatorisch auch beim Insolvenzgericht zu hinterlegen.275) Da der Antrag nach § 253 Abs. 4 InsO nur beim Beschwerdegericht gestellt, die sofortige Beschwerde hingegen nur beim Insolvenzgericht eingelegt werden kann, wäre es andernfalls denkbar (wenngleich nicht wahrscheinlich), dass das Insolvenzgericht einer sofortigen Beschwerde abhilft, bevor das Beschwerdegericht die Möglichkeit hat, über den Zurückweisungsantrag zu befinden. Siehe dazu auch unten bei Rz. 188. 168 Der Zurückweisungsantrag kann gestellt werden, solange die sofortige Beschwerde noch zurückgewiesen werden kann, d. h. grundsätzlich bis das Insolvenzgericht der sofortigen Beschwerde abgeholfen oder das Beschwerdegericht eine Entscheidung getroffen hat.276) Unzulässig ist demnach eine Antragstellung i. R. eines Rechtsbeschwerdeverfahrens.277) 2.5.4 Form 169 § 253 Abs. 4 InsO enthält keine besonderen formellen Voraussetzungen für den Zurückweisungsantrag. Somit gelten die allgemeinen für Verfahren vor den LG geltenden Vorschriften der ZPO. Anders als ein Antrag nach § 246a AktG278) setzt der Zurückweisungsantrag kein eigenes Verfahren in Gang, sondern ist nur ein spezieller Sachantrag, der i. R. einer sofortigen Beschwerde zu stellen ist.279) Bei der sofortigen Beschwerde ist ein Zurückweisungsantrag an sich nicht erforderlich, so dass hierfür im Gesetz keine Form ___________ 271) LG Berlin v. 14.4.2014 – 51 T 107/14 (Suhrkamp), ZInsO 2014, 963. 272) Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 253 Rz. 17; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 59. 273) Nach der zu § 246a AktG h. A. kann ein Antrag frühestens mit Eintritt der Rechtshängigkeit der Anfechtungsklage gestellt werden: s. Schäfer in: MünchKomm-AktG, § 246a Rz. 8; Schwab in: K. Schmidt/ Lutter, AktG, § 246a Rz. 37; Vatter in: BeckOGK, AktG, § 246a Rz. 15; a. A. Stohlmeier, NZG 2010, 1011, 1012, nach dem Anhängigkeit genüge. 274) So auch Fischer, NZI 2013, 513, 517. 275) So auch Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, §§ 251, 253 Rz. 36; Lehmann/Rühle, NZI 2014, 889, 891; vgl. auch Fischer, NZI 2013, 513, 517. 276) Vgl. Fischer, NZI 2013, 513, 517; Lehmann/Rühle, NZI 2014, 889, 891 f.; Pleister/Tholen, ZIP 2015, 414, 415. 277) Hierin besteht ein Unterschied zu § 16 Abs. 3 UmwG und § 246a AktG, nach denen ein Freigabeantrag bis zur Rechtskraft des Urteils über die Anfechtungsklage gestellt werden kann, vgl. Marsch-Barner/ Oppenhoff in: Kallmeyer, UmwG, § 16 Rz. 37; für § 246a AktG etwa Schwab in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 246a Rz. 38. 278) Zu den formellen Anforderungen des Antrags im aktienrechtlichen Freigabeverfahren nach § 246a AktG vgl. Heidel in: Heidel, AktG, § 246a Rz. 7 ff.; Vatter in: BeckOGK, AktG, § 246a Rz. 11 ff. 279) Ebenso Brünkmans, ZInsO 2014, 993, 997; a. A. aber Fischer, NZI 2013, 513, 516, der aufgrund der Vorbildfunktion des aktienrechtlichen Freigabeverfahrens in der Rechtsnatur des § 253 Abs. 4 InsO ein – besonderes – Eilverfahren sieht; ihm zust. LG Berlin v. 14.4.2014 – 51 T 107/14 (Suhrkamp), ZInsO 2014, 963.

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vorgesehen ist. Letztlich wird man §§ 4, 6 InsO i. V. m. § 569 Abs. 2 und 3 ZPO entsprechend anzuwenden haben. Das bedeutet: 

Der Insolvenzverwalter muss den Antrag schriftlich einreichen, und der Antrag muss die Erklärung enthalten, dass die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde erstrebt wird. Der Antrag wird auch das Beschwerdeverfahren bezeichnen müssen, mindestens aber den Beschluss, der den fraglichen Insolvenzplan bestätigt hat.



Man wird auch § 569 Abs. 3 Nr. 1 ZPO entsprechend anwenden können, so dass die Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle genügt.

2.5.5 Voraussetzungen der Zurückweisung Die sofortige Beschwerde ist zurückzuweisen, wenn kumulativ kein besonders schwerer 170 Rechtsverstoß vorliegt und eine Interessenabwägung ergibt, dass die Nachteile einer Verzögerung des Planvollzugs die Nachteile für den Beschwerdeführer überwiegen. 2.5.5.1

Kein besonders schwerer Rechtsverstoß

Eine Zurückweisung der sofortigen Beschwerde nach § 253 Abs. 4 Satz 2 InsO ist von 171 vornherein ausgeschlossen, wenn ein besonders schwerer Rechtsverstoß vorliegt; für eine Interessenabwägung ist in diesem Fall kein Raum.280) Rechtsverstoß i. S des § 253 Abs. 4 Satz 2 InsO ist grundsätzlich jeder Verstoß gegen eine der Rechtsnormen, die i. R. der Begründetheitsprüfung der sofortigen Beschwerde zu prüfen sind (siehe Rz. 151 ff.). Das Insolvenzgericht begeht durch die Planbestätigung nur dann einen Rechtsverstoß, wenn tatsächlich einer der Gründe vorlag, aus denen die Bestätigung nach §§ 249 bis 250 InsO zwingend zu versagen ist.281) In Anlehnung an die zu § 246a AktG geltenden Grundsätze kann sich die besondere 172 Schwere des Rechtsverstoßes entweder aus der Art oder dem Ausmaß der Rechtsverletzung ergeben.282) Dort heißt es, dass nicht schon jeder Fall der Nichtigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses ausreicht, stattdessen müsse es „unerträglich“ sein, den Beschluss ohne vertiefte Prüfung im Hauptsacheverfahren eintragen und umsetzen zu lassen.283) Das legt nahe, dass nicht jeder Rechtsverstoß, den das Insolvenzgericht bei der Planbestätigung begeht, als schwer einzuordnen ist. In Rechtsprechung und Literatur wurde deshalb eine eher restriktive Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals befürwortet und ein besonders schwerer Rechtsverstoß regelmäßig nur angenommen, wenn der Verstoß für den Beschwerdeführer zu einer erheblichen Benachteiligung geführt hatte284) oder wenn dem Plan der Makel der Unwirksamkeit auf der Stirn geschrieben war.285) Bei Übertragung der Kriterien des § 246a AktG auf § 253 Abs. 4 InsO muss jedoch be- 173 rücksichtigt werden, dass der Rechtsverstoß im Zusammenhang des § 246a AktG durch die Gesellschaft begangen wird, während § 253 Abs. 4 Satz 2 InsO eine Rechtsverletzung des Insolvenzgerichts regelt. Schon aus allgemein rechtsstaatlichen Erwägungen dürfen ___________ 280) 281) 282) 283) 284) 285)

Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 66; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 253 Rz. 20. Vgl. Vaske, Die sofortige Beschwerde gegen die Bestätigung eines Insolvenzplans, 2015, S. 261. Begr. RegE ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 41; vgl. Seibert, NZG 2007, 841, 844. Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. ARUG, BT-Drucks. 16/13098, S. 42. So Fischer, NZI 2013, 513, 518. So LG Berlin v. 20.10.2014 – 51 T 696/14, ZIP 2014, 2197 – mit Verweis auf Braun in: Braun, InsO, § 253 Rz. 17, der einen besonders schweren Rechtsverstoß nur in extremen Ausnahmefällen annehmen will.

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daher an die Schwere des Verstoßes i. R. des § 253 Abs. 4 Satz 2 InsO keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden.286) 174 Der Gesetzgeber dürfte bei der bezweckten Beschleunigung des Planvollzugs auch nicht die Fälle im Blick gehabt haben, bei denen es zu schwerwiegenden Gesetzesverstößen gekommen ist, stattdessen ging es darum, die rein verfahrensbedingten Verzögerungen zu vermeiden. Zudem ist es schon systematisch nicht überzeugend, die Ausnahme von der Folgenabwägung ihrerseits von einer Folgenabwägung, d. h. einer erheblichen Benachteiligung, abhängig zu machen. Schließlich ist zu bedenken, dass der schwere Gesetzesverstoß nur das Eilverfahren verhindert, der Beschwerdeführer aber für eine erfolgreiche Beschwerde trotz schweren Gesetzesverstoßes die wesentliche Schlechterstellung dartun muss. 175 Auch das BVerfG ist einer allzu restriktiven Auslegung des § 253 Abs. 4 InsO entgegengetreten und hat klargestellt, dass der Ausnahmetatbestand des besonders schweren Rechtsverstoßes nicht leerlaufen dürfe.287) In der Praxis wird man sich deshalb an den folgenden drei Fallgruppen für besonders schwere Verstöße orientieren können, die der IX. Zivilsenat in seiner Stellungnahme zum verfassungsgerichtlichen Verfahren vorgeschlagen hat:288) 

In die erste Gruppe fallen Verstöße gegen Vorschriften über den Inhalt des Insolvenzplans, d. h. dieser überschreitet die Grenzen des § 217 InsO, indem nicht-dispositive Gegenstände (sog. planfeste Vorschriften) geregelt werden.289)



Der zweiten Fallgruppe gehören Rechtsverstöße gegen wesentliche Verfahrensvorschriften (wie z. B. § 250 Nr. 1 InsO) an, die einem Betroffenen zum Nachteil gereichen und dessen Rechtsstellung in einer der Verletzung von Verfahrensgrundrechten vergleichbaren Weise verletzen.290) Auch ein Verstoß gegen §§ 250 Nr. 2, 226 Abs. 3 InsO dürfte regelmäßig ein besonders schwerer Rechtsverstoß sein,291) weil es sich hier wegen des Kriteriums der Unlauterkeit um vorsätzlich treuwidriges Herbeiführen der Planannahme handelt. Schwerwiegende Verfahrensverstöße liegen außerdem vor, wenn Gruppenmitglieder ohne ihre Zustimmung offensichtlich ungleich behandelt oder Gläubiger vorsätzlich nicht am Planverfahren beteiligt werden,292) ein Debt Equity Swap ohne die erforderliche Zustimmung der Gläubiger nach § 225a Abs. 2 InsO erfolgt oder in Absonderungsrechte ersatzlos eingegriffen wird.293)



Die dritte Fallgruppe erfasst alle sonstigen offensichtlichen Rechtsverstöße, d. h. die Rechtslage, aus der sich der Rechtsverstoß des Insolvenzplans ergibt, muss so eindeutig sein, dass die Antwort auch ohne höchstrichterliche Klärung der Frage keinem Zweifel unterliegt.294) Nicht ausreichend ist hingegen, wenn der Plan eine Regelung vorsieht,

___________ 286) Vgl. jetzt tendenziell auch BVerfG v. 28.10.2020 –2 BvR 764/20, NZI 2020, 1119; a. A. noch Brünkmans, ZInsO 2014, 993, 998. 287) BVerfG v. 28.10.2020 – 2 BvR 765/20, ZIP 2021, 46. 288) BVerfG v. 28.10.2020 – 2 BvR 765/20, ZIP 2021, 46. 289) Stellungnahme d. IX. Zivilsenats d. BGH in: BVerfG v. 28.10.2020 – 2 BvR 765/20, ZIP 2021, 46. 290) Stellungnahme d. IX. Zivilsenats d. BGH in: BVerfG v. 28.10.2020 – 2 BvR 765/20, ZIP 2021, 46. 291) So auch Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 253 Rz. 20; Vaske, Die sofortige Beschwerde gegen die Bestätigung eines Insolvenzplans, 2015, S. 277. 292) LG Berlin v. 20.10.2014 – 51 T 696/14, ZIP 2014, 2197, 2204 – mit Verweis auf Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 253 Rz. 20; Hirschberger in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 21 Rz. 64. 293) Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 253 Rz. 20; Hirschberger in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 21 Rz. 64. 294) Stellungnahme d. IX. Zivilsenats d. BGH in: BVerfG v. 28.10.2020 – 2 BvR 765/20, ZIP 2021, 46. Nach Braun in: Braun, InsO, 6. Aufl., § 253 Rz. 157, muss der Makel der Unwirksamkeit auf der Stirn geschrieben stehen; so auch LG Berlin v. 20.10.2014 – 51 T 696/14, ZIP 2014, 2197, 2203.

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Minderheitenschutz, Rechtsmittel

die auf einer bislang nicht höchstrichterlich geklärten Rechtslage beruht und hinsichtlich derer die Vorrausetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde vorliegen.295) 2.5.5.2

Interessenabwägung

Die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde setzt weiter voraus, dass die Nachteile einer 176 Verzögerung des Planvollzugs296) die Nachteile für den Beschwerdeführer überwiegen. Dies kann – wie der BGH in seiner Stellungnahme zum oben genannten verfassungsgerichtlichen Verfahren ausgeführt hat – aber ohnehin nur bei Sanierungsplänen relevant werden, d. h. wenn eine Unternehmensfortführung vorgesehen ist. Bei anderen Plänen besteht regelmäßig keine Eilbedürftigkeit, die eine Zurückweisung der Beschwerde aus diesem Grund rechtfertigen würde.297) Die Begrenzung auf Sanierungsfälle ist deshalb als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal in § 253 Abs. 4 InsO hineinzulesen. Welche konkreten Nachteile in der Interessenabwägung zu berücksichtigen sind, ergibt sich 177 nicht unmittelbar aus § 253 Abs. 4 InsO. Nach der Gesetzesbegründung muss das Gericht das Aufschubinteresse des Beschwerdeführers gegen das Vollzugsinteresse der übrigen Beteiligten abwägen.298) Da das Insolvenzverfahren letztlich ein Verfahren zur Verwertung des Schuldnervermögens und ggf. zur Sanierung des Schuldnerunternehmens ist, dürfte es, stärker noch als im Aktienrecht, allein auf wirtschaftliche Nachteile ankommen.299) Demnach sind einander gegenüberzustellen: 

die wirtschaftlichen Nachteile für den Beschwerdeführer, wenn der Insolvenzplan vollzogen wird, sich aber später erweist, dass der Plan nicht hätte vollzogen werden dürfen, und



die wirtschaftlichen Nachteile für die Beteiligten, die sich nicht gegen den Insolvenzplan gewandt haben, wenn der Insolvenzplan nicht sofort vollzogen wird und sich später erweist, dass der Vollzug nicht hätte aufgehalten werden dürfen.

Besonderes Gewicht wird bei der Abwägung der Frage zukommen, inwiefern die jeweiligen 178 Nachteile reversibel sind. Der Insolvenzverwalter wird insbesondere darlegen müssen, dass und warum der Insolvenzplan für die Beteiligten vorteilhaft ist und bei einer Verzögerung nicht mehr vollzogen werden kann. Besonders ins Gewicht fällt es, wenn Arbeitsplätze verloren gehen oder der schuldnerische Betrieb eingestellt werden muss, da dies aufgrund des Verlusts von Arbeitnehmern und Geschäftspartnern meist irreversibel ist.300) Der Beschwerdeführer wird hingegen darlegen müssen, dass und warum ihm Nachteile auch dann entstehen, wenn eine ihm drohende wirtschaftliche Schlechterstellung finanziell ausgeglichen wird (siehe ausführlich Rz. 183). Im Rahmen des aktienrechtlichen Freigabeverfahrens nach § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG ist 179 umstritten, ob neben den wirtschaftlichen Nachteilen auch die Erfolgsaussichten der An___________ 295) Stellungnahme d. IX. Zivilsenats d. BGH in: BVerfG v. 28.10.2020 – 2 BvR 765/20, ZIP 2021, 46; vgl. auch BGH v. 17.9.2014 – IX ZB 26/14, Rz. 18, ZIP 2014, 2040, dazu EWiR 2014, 685 (Spliedt). 296) BVerfG v. 28.10.2020 – 2 BvR 764/20, NZI 2020, 1119. 297) Stellungnahme d. IX. Zivilsenats d. BGH in: BVerfG v. 28.10.2020 – 2 BvR 765/20, ZIP 2021, 46. 298) Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 36. 299) LG München v. 28.11.2018 – 14 T 12593/18, ZIP 2018, 2426; ebenfalls Hirschberger in: Brünkmans/ Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 21 Rz. 69; Harig, NZI 2018, 969; Vaske, Die sofortige Beschwerde gegen die Bestätigung eines Insolvenzplans, 2015, S. 282. 300) Dafür, dass in einem solchen Fall das Vollzugsinteresse regelmäßig überwiege: LG Berlin v. 20.10.2014 – 51 T 696/14, ZIP 2014, 2197, 2199; LG Bielefeld v. 25.10.2019 – 23 T 543/19, BeckRS 2019, 27799; Braun/Frank in: Braun, InsO, § 253 Rz. 18; Lehmann/Rühle, NZI 2014, 889, 894; Pleister/Tholen, ZIP 2015, 414, 416.

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fechtungsklage in die Abwägung einzubeziehen sind,301) d. h., ob ein die Anfechtungsklage begründender Rechtsverstoß vorlag. Derselbe Streit besteht auch i. R. des § 253 Abs. 4 InsO hinsichtlich der Erfolgsaussichten der sofortigen Beschwerde. Die Einbeziehung der Erfolgsaussichten ist abzulehnen. § 253 Abs. 4 Satz 1 InsO stellt systematisch die wirtschaftliche Folgenabwägung in den Vordergrund. Daneben regelt Satz 2, wann die Erfolgsaussichten der Beschwerde zu berücksichtigen sind.302) Auch bei offensichtlicher (Un-)Zulässigkeit oder (Un-)Begründetheit der Beschwerde gilt nichts anderes.303) § 253 Abs. 4 InsO enthält keine dem § 246a Abs. 2 Nr. 1 AktG entsprechende Regelung, obwohl dies für den Gesetzgeber nahegelegen hätte.304) Die Frage, ob ein Rechtsverstoß vorliegt, bleibt daher unbeachtlich, solange nicht die Grenze zum besonders schweren Rechtsverstoß überschritten wird.305) 180 Fraglich ist ferner, ob der nach § 253 Abs. 4 Satz 3 InsO zu gewährende Schadensersatz in die Nachteilsabwägung mit einfließen darf. Für die Interessenabwägung nach § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG wird dies mit der Begründung verneint, dass ein anfechtbarer Hauptversammlungsbeschluss auch in der als Hauptsache anhängigen Anfechtungsklage nicht wegen finanzieller Ausgleichszahlungen aufrechterhalten werden dürfe, weswegen diese auch in der im Freigabeverfahren vorzunehmenden Abwägung unberücksichtigt bleiben müssten.306) Das ist bei der sofortigen Beschwerde nach § 253 InsO anders. Aus § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO ergibt sich, dass eine sofortige Beschwerde nicht durchgreift, sofern die unterstellte wirtschaftliche Schlechterstellung des Beschwerdeführers durch die nach § 251 Abs. 3 InsO bereitgestellten Mittel ausgeglichen werden kann. Ein Rechtsverstoß ist in diesem Fall unbeachtlich. Das Gesetz ordnet demnach an, dass, anders als im Aktienrecht, finanzielle Kompensation der Ahndung eines Rechtsverstoßes vorgeht. Das spricht dafür, dass sämtliche finanziellen Kompensationsleistungen, die einem Beschwerdeführer zugutekommen, i. R. der Interessenabwägung zu berücksichtigen sind.307) Daher kann es sich im konkreten Einzelfall anbieten, auch für einen etwaig zu gewährenden Schadensersatz nach § 253 Abs. 4 Satz 3 InsO bereits Rückstellungen für den potentiellen Beschwerdeführer im Insolvenzplan vorzusehen.308) 181 Auch die Dauer bis zur Entscheidung des Gerichts über den Antrag ist in die Interessenabwägung mit einzubeziehen. Wenn über den Antrag nach § 253 Abs. 4 InsO nicht schneller entschieden werden könnte als über die sofortige Beschwerde (etwa aufgrund ähnlich langer Einarbeitungszeit), besteht kein überwiegendes Vollzugsinteresse.309) ___________ 301) Gegen die Berücksichtigung Koch in: Koch, AktG, § 246a Rz. 21 f.; Vatter in: BeckOGK, AktG, § 246a Rz. 31. Für die Berücksichtigung Englisch in: Hölters, AktG, § 246a Rz. 36; diff., Schatz in: Heidel, AktG, § 246a Rz. 61 f. 302) Vgl. Fischer, NZI 2013, 513, 518 f. 303) Vgl. LG München v. 28.11.2018 – 14 T 12593/18, ZIP 2018, 2426; diff. Hirschberger in: Brünkmans/ Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 21 Rz. 75; Harig, NZI 2018, 969, 970. 304) Hirschberger in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 21 Rz. 74; a. A. Fischer, NZI 2013, 513, 517 f.; Lehmann/Rühle, NZI 2014, 889, 892. 305) Für § 246a AktG in diesem Sinne Koch in: Koch, AktG, § 246a Rz. 22; Vatter in: BeckOGK, AktG, § 246a Rz. 31. 306) Dies folgt daraus, dass § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG nicht auf § 243 Abs. 1 AktG anwendbar ist, Schwab in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 246a Rz. 32. 307) Im Ergebnis ebenso LG Berlin v. 20.10.2014 – 51 T 696/14, ZIP 2014, 2197; LG Bremen v. 25.3.2020 – 6 T 85/20, BeckRS 2020, 10598; Pleister/Tholen, ZIP 2015, 414, 416; Hirschberger in: Brünkmans/ Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 21 Rz. 69; vgl. auch Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 253 Rz. 19, der dem Vollzugsinteresse tendenziell den Vorrang einräumt, da die Beschwerdeführer verglichen mit den Planbefürwortern wegen ihres Schadensersatzanspruchs weniger gefährdet seien. 308) Harig, NZI 2018, 969, 971. 309) LG Hamburg v. 10.12.2014 – 326 T 163/14, ZInsO 2015, 159, 161.

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Minderheitenschutz, Rechtsmittel 2.5.5.3

Beweismaß

Fraglich ist ferner, welches Beweismaß für die Tatsachen gilt, die eine Zurückweisung der 182 sofortigen Beschwerde rechtfertigen. Für das aktienrechtliche Freigabeverfahren ordnet § 246a Abs. 3 Satz 3 AktG an, dass 183 die Tatsachen, aufgrund derer der Freigabebeschluss ergehen kann, glaubhaft zu machen sind. Für diese Tatsachen gelten demnach nicht die Anforderungen des Vollbeweises gemäß § 286 Abs. 1 ZPO, wonach das entscheidende Gericht von der Wahrheit der tatsächlichen Behauptungen überzeugt sein muss.310) Vielmehr gilt das Beweismaß des § 294 ZPO, bei dem das Gericht es nur für überwiegend wahrscheinlich halten muss, dass die maßgeblichen Tatsachenbehauptungen zutreffen.311) § 253 Abs. 4 InsO enthält keine Regelung, die wie § 246a Abs. 3 Satz 3 AktG die Glaub- 184 haftmachung ausreichen lässt. Die Gesetzesbegründung enthält auch keinen Hinweis, dass eine solche Beweiserleichterung beabsichtigt war; man findet nur die allgemeine Aussage, dass § 253 Abs. 4 InsO dem Vorbild des aktienrechtlichen Freigabeverfahrens folge.312) Eine Anwendung des § 294 ZPO über eine Auslegung des § 253 Abs. 4 InsO oder § 246a 185 Abs. 3 Satz 3 AktG analog kommt jedoch allenfalls unter sehr engen Voraussetzungen in Betracht. Nach h. M. hat § 294 ZPO Ausnahmecharakter, so dass die ausdrücklichen gesetzlichen Regelungen, welche die Glaubhaftmachung nach § 294 ZPO anordnen, abschließend und nicht analog anwendbar sind.313) Nach a. A. ist eine entsprechende Anwendung zwar möglich, kommt jedoch nur in sehr engen Ausnahmefällen tatsächlich in Betracht.314) Der BGH hat die allgemeine Frage nach der Anwendung der Glaubhaftmachung auch in nicht gesetzlich angeordneten Fällen zwar offengelassen, im konkreten Fall eine entsprechende Anwendung aber an den hohen Voraussetzungen für eine Analogie scheitern lassen.315) Es besteht daher weiterhin das Risiko, dass auch die mit dem Zurückweisungsantrag befassten Gerichte nicht den Maßstab des § 294 ZPO anwenden werden. Dieses Ergebnis wäre ausgesprochen misslich, weil es den Zurückweisungsantrag weitge- 186 hend seines Zwecks berauben dürfte, Beschwerdeverfahren nach § 253 InsO schnell zum Abschluss zu bringen. Demgemäß gibt es bereits Stimmen, nach denen es nicht erforderlich ist, dass das Gesetz die Glaubhaftmachung als ausreichenden Beweisstandard ausdrücklich anordnet.316) Vieles spricht dafür, dass im Gesetzgebungsverfahren die Bedeutung einer ausdrücklichen Anordnung nicht gesehen wurde, so dass jedenfalls Raum für eine Analogie wäre. Es bleibt die Frage, warum es dem Gesetzgeber nicht gelungen ist, die maßgeblichen Teile der Vorbildvorschrift des § 246a AktG in die InsO zu übernehmen. Für den Rechtsanwender wird sich Sicherheit erst einstellen, wenn der Gesetzgeber, zumindest klarstellend, nachbessert oder die Gerichte die Glaubhaftmachung auch ohne ausdrückliche Anordnung im Gesetz ausreichen lassen. ___________ 310) Vgl. hierzu Foerste in: Musielak/Voit, ZPO, § 286 Rz. 18; Greger in: Zöller, ZPO, § 286 Rz. 17 ff. m. w. N. 311) BGH v. 21.10.2010 – V ZB 210/09, NJW-RR 2011, 136, 137; Huber in: Musielak/Voit, ZPO, § 294 Rz. 3 m. w. N. 312) Beschlussempfehlung und Bericht d RA z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 36. 313) Prütting in: MünchKomm-ZPO, § 294 Rz. 4; Huber in: Musielak/Voit, ZPO, § 294 Rz. 2; Saenger in: Saenger, ZPO, § 294 Rz. 5. 314) Nober in: Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle, ZPO, § 294 Rz. 2 – „nur ganz vereinzelt zulässig“. 315) BGH v. 29.11.1972 – VIII ZR 229/71, VersR 1973, 186 – „Ausnahmevorschriften, die im Allgemeinen zu einer rechtsähnlichen Anwendung nicht geeignet sind“. 316) Fischer, NZI 2013, 513, 517; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 72; ähnlich wohl Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 253 Rz. 21, der vor dem Hintergrund des Beschwerdeverfahrens als Eilverfahren bei der Zurückweisung von einer „Eil-Eil-Entscheidung“ spricht.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

2.5.6 Verfahrensablauf 187 Nach Stellung des Zurückweisungsantrags muss das Beschwerdegericht die Akten unverzüglich vom Insolvenzgericht anfordern, dieses die Akten unverzüglich vorlegen.317) 188 Mit Stellung des Zurückweisungsantrags verliert das Insolvenzgericht nach § 253 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 InsO seine Befugnis, der Beschwerde abzuhelfen. Der Gesetzesbegründung könnte man entnehmen, dass die Abhilfebefugnis generell ausgeschlossen sein soll, jedenfalls aber das Insolvenzgericht gehalten sein soll, selbst das überwiegende Vollzugsinteresse zu prüfen und von sich aus die Akten dem Beschwerdegericht vorzulegen, wenn es das überwiegende Vollzugsinteresse bejaht.318) Richtig daran ist, dass Insolvenzgericht und Beschwerdegericht sich abstimmen sollten, weil die Antrags- und Zuständigkeitsregeln schlecht aufeinander abgestimmt sind. Da die sofortige Beschwerde nur beim Insolvenzgericht eingelegt werden kann, der Zurückweisungsantrag hingegen beim Beschwerdegericht zu stellen ist, kann es sein, dass das Beschwerdegericht bei Stellung des Zurückweisungsantrags noch nicht mit der sofortigen Beschwerde befasst ist und von ihr ggf. noch gar nichts weiß. Daher sollte das Insolvenzgericht das Beschwerdegericht unverzüglich informieren, wenn eine sofortige Beschwerde eingelegt wird. Ein genereller Ausschluss des Abhilfeverfahrens würde indes den Zweck des § 6 Abs. 1 Satz 2 InsO, dem Insolvenzgericht rasch die Möglichkeit zur Abhilfe zu geben, konterkarieren. Dem Insolvenzverwalter ist zu empfehlen, die Stellung des Zurückweisungsantrags auch dem Insolvenzgericht zur Kenntnis zu bringen. 189 Kommt das Beschwerdegericht zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen einer Zurückweisung nicht vorliegen, weist es den Antrag des Insolvenzverwalters zurück. Das Beschwerdeverfahren wird in diesem Fall fortgeführt; insbesondere ist das Insolvenzgericht wieder nach § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO abhilfebefugt.319) 190 Sind die Voraussetzungen der Zurückweisung gegeben, muss das Beschwerdegericht die sofortige Beschwerde unverzüglich zurückweisen. Neben dem Zurückweisungsbeschluss bedarf es keiner weiteren Entscheidung des Beschwerdegerichts über die Zulässigkeit oder Begründetheit der sofortigen Beschwerde, da das Beschwerdeverfahren mit dem Zurückweisungsbeschluss nach § 253 Abs. 4 Satz 1 InsO abgeschlossen ist.320) 2.5.7 Rechtsmittel gegen die Entscheidung über den Zurückweisungsantrag 191 Gegen die Entscheidung über den Zurückweisungsantrag ist kein ordentliches Rechtmittel statthaft.321) Das ergibt sich nach Ansicht des BGH zwar nicht unmittelbar aus dem Gesetz, aber aus der Natur der Sache. Es handele sich um ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Eilentscheidungen seien der revisionsrechtlichen Prüfung schwer zugänglich. Der Gesetzgeber habe das Verfahren möglichst beschleunigen wollen und hierzu sogar das gegenüber der Rechtsbeschwerde weniger zeitintensive Abhilfeverfahren ___________ 317) 318) 319) 320)

Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 36. Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 36. Diff. Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 85; a. A. Thies in: HambKomm-InsO, § 253 Rz. 25. A. A. LG Berlin v. 14.4.2014 – 51 T 107/14 (Suhrkamp), ZIP 2014, 893; hiergegen aber mit Recht Brünkmans, ZInsO 2014, 993, 998; vgl. Kessler/Rühle, GWR 2014, 267; Skauradszun, DZWIR 2014, 338, 343 f. 321) BGH v. 17.9.2014 – IX ZB 26/14 (Suhrkamp), ZIP 2014, 2020, dazu EWiR 2014, 685 (Spliedt); Stellungnahme d. IX. Zivilsenats d. BGH in: BVerfG v. 28.10.2020 – 2 BvR 765/20, ZIP 2021, 46, 48; zust. Pleister in: KPB, InsO, § 253 Rz. 46; ebenso Fischer, NZI, 2013, 513, 520; Lehmann/Rühle, NZI 2014, 889, 894; Sinz in: MünchKomm-InsO, § 253 Rz. 87; Brünkmans, ZInsO 2014, 993, 999; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 7 Rz. 23; a. A. LG Berlin v. 14.4.2014 – 51 T 107/14 (Suhrkamp), ZInsO 2014, 963; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 253 Rz. 30; sowie die 2. Aufl.

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ausgeschlossen. Auch die Wertung des § 246a Abs. 3 Satz 4 AktG, nach dem der Beschluss des OLG über die Freigabe unanfechtbar ist, sei auf das Verfahren nach § 253 Abs. 4 InsO zu übertragen. Dass der Gesetzgeber die Regelung nicht in den § 253 Abs. 4 InsO übernommen habe, beruhe auf einem Redaktionsversehen.322) Der Weg zu den außerordentlichen Rechtsbehelfen, namentlich zur Verfassungsbeschwerde, 192 bleibt davon unberührt (siehe oben Rz. 175). In diesem Zusammenhang steht dem Beschwerdeführer auch die Möglichkeit offen, die Planausführung im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG vorläufig zu verhindern, wenn eine nicht von vornherein unzulässige oder unbegründete Verfassungsbeschwerde eingereicht wurde323) und dies zur Abwendung schwerer Nachteile, drohender Gewalt oder einem anderen wichtigen Grund zum Wohle der Allgemeinheit erforderlich ist.324) Erforderlich ist in diesen Fällen, dass eine Verletzung von Grundrechten, grundrechtsgleichen Rechten oder Verfassungsprinzipien jedenfalls möglich erscheint.325) Verfassungsrechtlicher Rechtsschutzes wird daher in der Praxis weiterhin nur in Einzelfällen gewährt werden.326) 2.5.8 Schadensersatzanspruch gemäß § 253 Abs. 4 Satz 3 InsO 2.5.8.1

Voraussetzungen und Inhalt des Anspruchs

Nach § 253 Abs. 4 Satz 3 InsO ist dem Beschwerdeführer aus der Masse der Schaden zu 193 ersetzen, der ihm durch den Planvollzug entsteht, wenn das Gericht die Beschwerde nach § 253 Abs. 4 Satz 1 InsO zurückweist. Anders als § 246a Abs. 4 Satz 1 AktG für das aktienrechtliche Freigabeverfahren, ordnet § 253 Abs. 4 InsO nicht ausdrücklich an, dass der Anspruch nur besteht, wenn die sofortige Beschwerde begründet gewesen wäre. Denkbar wäre es daher, einen Ersatzanspruch auch dann zuzugestehen, wenn die Bestätigung des Insolvenzplans rechtmäßig war.327) In der Gesetzesbegründung heißt es aber, dass der Anspruch nur bestehen soll, wenn die Beschwerde Aussicht auf Erfolg gehabt hätte.328) Somit setzt der Anspruch grundsätzlich voraus, dass die sofortige Beschwerde zulässig und begründet gewesen wäre. Für Art und Höhe der zu ersetzenden Schäden gelten die allgemeinen Grundsätze der 194 §§ 249 ff. BGB. Jedoch kann nicht verlangt werden, die Wirkungen des Plans rückgängig zu machen, § 253 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 InsO. Zu ersetzen ist der durch den Vollzug adäquat kausal verursachte Schaden, vor allem also die wirtschaftlichen Nachteile, die dem Beschwerdeführer durch den Planvollzug entstehen. Dazu gehören auch die Kosten, die dem Beschwerdeführer durch das Beschwerdeverfahren entstanden sind. Sie entstehen zwar streng genommen nicht als unmittelbare Folge des Vollzugs des Insolvenzplans selbst, resultieren aber daraus, dass das Beschwerdegericht aufgrund des Zurückweisungsantrags den vorzeitigen Planvollzug anordnet.329) Sofern der Beschwerdeführer Ausgleichszahlungen auf der Grundlage einer salvatorischen Klausel gemäß § 251 Abs. 3 InsO erhält, reduzieren ___________ 322) BGH v. 17.9.2014 – IX ZB 26/14 (Suhrkamp), ZIP 2014, 2020, dazu EWiR 2014, 685 (Spliedt). 323) BVerfG v. 15.5.2020 – 2 BvQ 24/20, ZIP 2020, 1306, 1307; Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOKInsR, § 253 Rz. 17; allgemein zu § 32 BVerfGG Graßhof in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 32 Rz. 43. 324) BVerfG v. 15.5.2020 – 2 BvQ 24/20, ZIP 2020, 1306, 1307. 325) Grünewald in: BeckOK-BVerfGG, § 90 Abs. 1 Rz. 83. 326) Geiwitz/v. Danckelmann in: BeckOK-InsR, § 253 InsO Rz. 17 f. 327) So Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 253 Rz. 23, der § 253 Abs. 4 Satz 3 InsO nicht für einen Schadensersatz, sondern für einen Aufopferungsanspruch hält. 328) Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 36. 329) So auch im Aktienrecht für Prozesskosten Englisch in: Hölters, AktG, § 246a Rz. 55; Koch in: Koch, AktG, § 246a Rz. 26; Schwab in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 246a Rz. 60 m. w. N.

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diese Zahlungen den nach § 253 Abs. 4 Satz 3 InsO geltend gemachten Schaden.330) Der Anspruch auf Schadensersatz eines Anteilsinhabers darf dabei nicht automatisch daran scheitern, dass der Wert seines Gesellschaftsanteils pauschal wirtschaftlich mit null anzusetzen wäre.331) 195 Der Beschwerdeführer muss die Anspruchsvoraussetzungen und damit auch sämtliche Voraussetzungen der Zulässigkeit und Begründetheit darlegen und ggf. beweisen. Für die Begründung des Schadens ist eine Vergleichsrechnung anzustellen, aus der sich der Differenzwert als Schaden ergibt, den der Beschwerdeführer aufgrund des Planvollzugs erleidet. Ausführlich zur Vergleichsrechnung siehe bereits oben Rz. 59 ff. sowie J. Schmidt, HRI II, § 29. 2.5.8.2

Anspruchsgegner

196 Da der Schaden gemäß § 253 Abs. 4 Satz 3 InsO aus der Insolvenzmasse zu begleichen ist, richtet sich der Schadensersatzanspruch gegen die Person, die über die Insolvenzmasse verfügen kann. In der Praxis wird das Gericht regelmäßig erst nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens über die Schadensersatzklage entscheiden. Da der Schuldner zu diesem Zeitpunkt die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse zurückerlangt haben wird (vgl. § 259 Abs. 1 Satz 2 InsO), wird der richtige Beklagte regelmäßig der Schuldner sein.332) Die Haftung des Schuldners ist in Bezug auf den zu leistenden Schadensersatz auf die Insolvenzmasse beschränkt, d. h. er haftet lediglich mit dem ehemals insolvenzbefangenen Vermögen, welches ihm nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens wieder zur Verfügung steht. Dies resultiert daraus, dass es sich bei dem Schadensersatzanspruch um eine Masseverbindlichkeit handelt.333) 2.5.8.3

Gerichtliche Zuständigkeit

197 Für Schadensersatzklagen nach § 253 Abs. 4 Satz 3 InsO ist das LG ausschließlich zuständig, das die sofortige Beschwerde zurückgewiesen hat, § 253 Abs. 4 Satz 4 InsO. 198 Eine Sonderkonstellation ergibt sich dann, wenn nicht ausreichend bemessene Ausgleichsmittel nach § 251 Abs. 3 Satz 1 InsO zurückgestellt wurden und der Nachteil des Beschwerdeführers daher teilweise aus den zurückgestellten Ausgleichsmitteln und teilweise durch Schadensersatz nach § 253 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 InsO ausgeglichen werden muss. Für die Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs nach § 253 Abs. 4 Satz 4 InsO ist ausschließlich das LG zuständig, während für den Ausgleichsanspruch aus § 251 Abs. 3 Satz 2 InsO die allgemeinen zivilprozessualen Regeln gelten (siehe Rz. 89). Damit kann der Fall eintreten, dass der Kläger seine Ansprüche vor dem LG und dem AG (bei einem

___________ 330) Wenzel in: Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, § 253 Rz. 24; Madaus, NZI 2012, 597, 599; vgl. Hölzle, Praxisleitfaden ESUG, §§ 251, 253 InsO Rz. 43. 331) BVerfG. v. 18.12.2014 – 2 BvR 1978/13, ZIP 2015, 80, 81. 332) Thies in: HambKomm-InsO, § 253 Rz. 29; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 253 Rz. 24. 333) Allg. dazu vgl. BGH v. 25.11.1954 – IV ZR 81/54, NJW 1955, 339; BGH v. 13.7.1964 – II ZR 218/61, WM 1964, 1125; vgl. auch Vuia in: MünchKomm-InsO, § 80 Rz. 9 m. w. N.; a. A. Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 253 Rz. 23, der entgegen dem Wortlaut das gesamte Schuldnervermögen als Haftobjekt betrachtet; laut Thies in: HambKomm-InsO, § 253 Rz. 29, ist der Wortlaut „aus der Masse“ irreführend, da sich der Schadensersatzanspruch regelmäßig gegen den Schuldner richte; krit. im Hinblick auf die regelmäßig knappen Mittel einer durch Insolvenzplan sanierten Gesellschaft Landfermann, WM 2012, 821, 827.

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Minderheitenschutz, Rechtsmittel

Ausgleichsanspruch nach § 251 Abs. 3 Satz 1 InsO) bis 5.000 € getrennt geltend machen muss.334) 3.

Sofortige Beschwerde gegen die gerichtliche Bestätigung oder Versagung einer Planberichtigung (§ 248a Abs. 4 InsO)

3.1

Zulässigkeit

Die sofortige Beschwerde nach § 248a Abs. 4 InsO richtet sich gegen den Beschluss des 199 Insolvenzgerichts, der eine Berichtigung des Insolvenzplans nach § 221 Satz 2 InsO bestätigt oder versagt. Zur Planberichtigung siehe Westpfahl, HRI II, § 37 Rz. 13 ff. Gemäß § 248a Abs. 4 Satz 1 InsO steht das Beschwerderecht dem Insolvenzverwalter335) 200 sowie denjenigen Gläubigern und Anteilsinhabern zu, deren Rechte durch die beabsichtigte Änderung betroffen sind.336) Spezielle Anforderungen an die Beschwer normiert § 248a Abs. 4 InsO nicht.337) Der Insol- 201 venzverwalter ist formell beschwert, wenn die Bestätigung der Berichtigung versagt wird. Für die betroffenen Gläubiger und Anteilsinhaber hätte es nahe gelegen, auf die besonderen Anforderungen nach § 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO zu verweisen. Das ist nicht geschehen. Daher gilt Folgendes: 

Wird die Berichtigung bestätigt, ist der Insolvenzverwalter nicht beschwert, weil er die Berichtigung selbst erstrebt hat. Beschwert sind nur Gläubiger und Anteilsinhaber, die durch die Planänderung voraussichtlich schlechtergestellt werden.



Wird die Bestätigung versagt, ist der Insolvenzverwalter beschwert. Materiell beschwert sind die Gläubiger oder Anteilsinhaber, deren Stellung sich infolge der Berichtigung verbessern würde.

Die Anforderungen an Form und Frist der sofortigen Beschwerde nach § 248a Abs. 4 Satz 1 202 InsO entsprechen denen der Beschwerde i. R. des § 253 InsO (siehe Rz. 145 ff.). 3.2

Begründetheit

Die Begründetheit der Beschwerde nach § 248a Abs. 4 Satz 1 InsO erfordert zum einen, 203 dass der Beschluss des Insolvenzgerichts gegen die Vorschriften über die Bestätigung des Insolvenzplans verstößt; dies entspricht der Begründetheitsprüfung i. R. der sofortigen Beschwerde nach § 253 InsO. Der Beschwerdeführer muss zum anderen durch die Planberichtigung in seiner Rechtsstellung nachteilig betroffen sein. Bestätigt das Insolvenzgericht die Berichtigung, so ist die sofortige Beschwerde betroffe- 204 ner Gläubiger oder Anteilseigner nur begründet, wenn die Voraussetzungen des § 248a Abs. 3 InsO vorliegen. Dies ist der Fall, wenn die Planberichtigung sie voraussichtlich schlechterstellt, als sie nach dem ursprünglich vorgelegten Plan stünden.338) ___________ 334) Auf eine dem § 88 GWB ähnliche Vorschrift, nach der der Beschwerdeführer beide Ansprüche unabhängig von der jeweiligen Zuständigkeit zusammen geltend machen kann, hat der Gesetzgeber im Insolvenzrecht bedauerlicherweise verzichtet; zum Verhältnis der Klagen aus § 251 Abs. 3 InsO und § 253 Abs. 4 Satz 4 InsO s. Madaus, NZI 2012, 597, 599. 335) Dazu Thies in: HambKomm-InsO, § 248a Rz. 10; a. A. Wenzel in: Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, § 248a Rz. 12, der ein eigenes Beschwerderecht des Insolvenzverwalters entgegen § 248a Abs. 4 Satz 1 InsO verneint. 336) Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 35 f.; Braun/Frank in: Braun, InsO, § 248a Rz. 7. 337) Vgl. Thies in: HambKomm-InsO, § 248a Rz. 11. 338) Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 36.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

205 Bis zur Rechtskraft einer Bestätigungsentscheidung treten die Gestaltungswirkungen einer Berichtigung nicht ein. Dies ergibt sich aus dem Rechtsgedanken des § 254 Abs. 1 Satz 1 InsO. 3.3

Zurückweisungsantrag gemäß § 248a Abs. 4 Satz 2 InsO

206 Im Interesse einer zügigen Umsetzung des Insolvenzplans erklärt § 248a Abs. 4 Satz 2 InsO das Freigabeverfahren des § 253 Abs. 4 InsO auf die Beschwerde nach § 248a InsO für anwendbar (ausführlich hierzu siehe oben Rz. 100 ff.).339) 4.

Sofortige Beschwerde gegen die Zurückweisung des Insolvenzplans gemäß § 231 Abs. 3 InsO

207 Nach § 231 Abs. 3 InsO steht demjenigen, der den Insolvenzplan vorlegt, die sofortige Beschwerde zu, wenn das Insolvenzgericht den Insolvenzplan nach § 231 Abs. 1 oder 2 InsO zurückgewiesen hat (zu den Voraussetzungen der Zurückweisung siehe oben Stahlschmidt, HRI II, § 30 Rz. 7 ff.).340) Gemäß § 570 Abs. 1 ZPO kommt der sofortigen Beschwerde nach § 231 Abs. 3 InsO keine aufschiebende Wirkung zu. Der Planvorlegende kann daher auch noch nach Einlegung der Beschwerde einen Zweitplan vorlegen.341) 4.1

Zulässigkeit

208 Beschwerdegegenstand ist gemäß § 231 Abs. 3 InsO der Zurückweisungsbeschluss. Gegen die gerichtliche Planzulassung ist ein Rechtsmittel nicht statthaft.342) 209 Beschwerdeberechtigt ist gemäß § 231 Abs. 3 InsO der Planvorlegende. Dies können gemäß § 218 Abs. 1 InsO ausschließlich der Insolvenzverwalter und der Schuldner sein. Sie sind durch die Zurückweisung formell beschwert. 210 Hinsichtlich der gerichtlichen Zuständigkeit und der einzuhaltenden Form- und Fristerfordernisse gilt das zur sofortigen Beschwerde nach § 253 InsO Gesagte entsprechend. 4.2

Begründetheit

211 Die Beschwerde ist begründet, wenn das Gericht fälschlicherweise einen Zurückweisungsgrund gemäß § 231 Abs. 1 oder 2 InsO angenommen hat. 5.

Rechtsbeschwerde gemäß § 4 InsO i. V. m. § 574 ZPO

212 Gegen die Entscheidung des Beschwerdegerichts343) über die sofortige Beschwerde kann unter den Voraussetzungen des § 574 ZPO Rechtsbeschwerde eingelegt werden. Das Rechtsbeschwerdegericht ist gemäß § 133 GVG der BGH.344) Die weiteren Voraussetzungen der Beschwerde richten sich gemäß § 4 InsO nach §§ 574 ff. ZPO, § 133 GVG.345)

___________ 339) Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 36. 340) Zur Zurückweisung eines Insolvenzplans im Vorprüfungsverfahren: BGH v. 20.7.2017 – IX ZB 13/16, ZIP 2017, 1576. 341) Vgl. Spahlinger in: KPB, InsO, § 231 Rz. 29. 342) Braun/Frank in: Braun, InsO, § 231 Rz. 9. 343) Thies in: HambKomm-InsO, § 253 Rz. 30; vgl. Rühle in: Nerlich/Römermann, InsO, § 253 Rz. 36. 344) Mit der Aufhebung des § 7 InsO verfügt die InsO über keine ausdrückliche gesetzliche Bestimmung i. S. des § 575 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO mehr. 345) Begr. RegE z. § 522 ZPO, BT-Drucks. 17/5334, S. 8.

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Minderheitenschutz, Rechtsmittel 5.1

Statthaftigkeit

Die Rechtsbeschwerde ist nur statthaft, wenn das Beschwerdegericht sie gemäß § 574 Abs. 1 213 Satz 1 Nr. 2 ZPO zugelassen hat.346) Lässt das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde nicht zu, ist diese Entscheidung allenfalls noch im Wege einer Anhörungsrüge nach § 321a ZPO angreifbar, sofern der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt wurde.347) Eine Nichtzulassungsbeschwerde gibt es bei der Rechtsbeschwerde nicht. Nicht statthaft ist die Rechtsbeschwerde gegenüber Abhilfeentscheidungen des Insol- 214 venzgerichts; gegen diese kann vielmehr erneut sofortige Beschwerde eingelegt werden.348) 5.2

Zulassungsgründe des § 574 Abs. 2 ZPO

Gemäß § 574 Abs. 2, 3 Satz 1 ZPO ist die Rechtsbeschwerde nur zuzulassen, wenn sie 215 grundsätzliche Bedeutung hat (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) oder die Fortbildung des Rechts (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 ZPO) oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern.349) Nach § 4 InsO i. V. m. § 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO ist der BGH als Rechtsbeschwerdegericht an die Zulassung gebunden. Grundsätzliche Bedeutung gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist nach der Rechtsprechung 216 des BGH gegeben, wenn eine klärungsbedürftige Rechtsfrage zu entscheiden ist, deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen denkbar ist.350) Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache darüber hinaus dann zu, wenn die Instanzgerichte der Rechtsprechung des BGH nicht oder nicht mehr folgen oder im Schrifttum ernst zu nehmende Bedenken gegen die höchstrichterliche Rechtsprechung geäußert werden, um der Gefahr einer Rechtserstarrung entgegenzuwirken.351) Zur Fortbildung des Rechts i. S. des § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 ZPO ist eine Rechtsbe- 217 schwerde erforderlich, wenn der Fall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder formellen Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen.352) Anlass zur Rechtsfortbildung besteht immer dann, wenn es für die rechtliche Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger Lebenssachverhalte an einer richtungsweisenden Orientierungshilfe ganz oder teilweise fehlt.353) Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO 218 ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts in den Fällen einer Divergenz geboten.354) Diese liegt vor, wenn ein und dieselbe Rechtsfrage durch das Beschwerdegericht anders beantwortet wird als durch ein anderes höher- oder gleichgeordnetes Gericht, also ___________ 346) Zimmer, ZInsO 2011, 1689, 1692 m. w. N. § 7 InsO wurde durch das Gesetz zur Änderung des § 522 ZPO, v. 21.10.2011, BGBl. I 2011, 2082 aufgehoben. 347) Zimmer, ZInsO 2011, 1689, 1692. 348) Baumert in: Braun, InsO, § 6 Rz. 29; vgl. Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 6 Rz. 49; Becker in: Nerlich/Römermann, InsO, § 6 Rz. 61. 349) Zum Ganzen ausführlich etwa Hamdorf in: MünchKomm-ZPO, § 574 Rz. 4 ff.; Kirchhof, ZInsO 2012, 16 f. 350) Vgl. zum insoweit wortgleichen § 543 ZPO die Begr. RegE ZPO-RG, BT-Drucks. 14/4722, S. 67, 104; BGH v. 4.7.2002 – V ZB 16/02, ZIP 2002, 1826; Kirchhof, ZInsO 2012, 16, 17. 351) Vgl. Begr. RegE ZPO-RG, BT-Drucks. 14/4722, S. 104. 352) Begr. RegE ZPO-RG, BT-Drucks. 14/4722, S. 104, welche auf die Rspr. des BGH zu § 80 Abs. 1 OWiG verweist; vgl. BGH v. 12.11.1970 – 1 StR 263/70, NJW 1971, 389; ebenso BGH v. 4.7.2002 – V ZB 16/02, ZIP 2002, 1826. 353) BGH v. 4.7.2002 – V ZB 16/02, ZIP 2002, 1826; BGH v. 27.3.2003 – V ZR 291/02, NJW 2003, 1943, 1945. 354) Vgl. Begr. RegE ZPO-RG, BT-Drucks. 14/4722, S. 104; BGH v. 29.5.2002 – V ZB 11/02, ZIP 2002, 1506; Kirchhof, ZInsO 2012, 16, 17.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

einen Rechtssatz aufstellt, der von einem die Vergleichsentscheidungen tragenden Rechtssatz abweicht.355) Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zudem erforderlich, wenn Fehler in der Entscheidung des Beschwerdegerichts allgemeine Interessen nachhaltig berühren und von erheblichem Gewicht und geeignet sind, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen.356) 5.3

Beschwer

219 Der Beschwerdeführer muss durch die gerichtliche Entscheidung über die sofortige Beschwerde beschwert sein. Dies ist dann der Fall, wenn der sofortigen Beschwerde des Beschwerdeführers nicht voll entsprochen wurde und somit die ursprüngliche Beschwer fortbesteht. Eine neue Beschwer muss dann nicht vorgebracht werden.357) Hat der Beschwerdeführer die sofortige Beschwerde, gegen die er vorgeht, nicht selbst eingelegt und hatte diese Beschwerde Erfolg, ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, sofern er am Verfahren der sofortigen Beschwerde beteiligt war,358) er eine neue Beschwer vorbringen kann und ihm das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde eröffnet gewesen wäre.359) Die Beschwer muss dabei der Art nach neu oder vom Umfang her größer sein, da die Rechtsbeschwerde nicht als Ausgleich einer versäumten Erstbeschwerde dient. Daher ist die Beschwerdeberechtigung auch demjenigen zu versagen, der die vorherige Einlegung einer sofortigen Beschwerde nach § 6 Abs. 1 InsO gegen die landgerichtliche Entscheidung versäumt hat. 5.4

Frist

220 Gemäß § 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist die Rechtsbeschwerde binnen einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des Beschlusses über die sofortige Beschwerde beim BGH einzureichen. Die Einreichung beim Insolvenz- oder Beschwerdegericht ist nicht zulässig und somit auch nicht fristwahrend. Wenn der Beschwerdeführer die Frist unverschuldet versäumt, kommt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht (§ 4 InsO i. V. m. §§ 233 ff. ZPO).360) 5.5

Form und Inhalt

221 Die Rechtsbeschwerde ist in Form einer Beschwerdeschrift einzureichen, wobei die „prozessuale Schriftform“ (siehe Rz. 24 m. w. N.) ausreicht. Nach § 575 Abs. 1 Satz 3 ZPO soll ferner eine Ausfertigung der angefochtenen Entscheidung oder eine beglaubigte Kopie derselben vorgelegt werden. Da diese Regelung lediglich als „Soll-Vorschrift“ ausgestaltet ist, erwachsen aus ihrer Nichtbeachtung jedoch keine für das Verfahren relevanten Konsequenzen. Einziger Zweck dieser Regelung ist es, dem BGH bereits vor Zusendung sämtlicher Akten die Möglichkeit zu geben, sich über die Sachlage zu informieren.361) ___________ 355) Vgl. nur BGH v. 29.5.2002 – V ZB 11/02, ZIP 2002, 1506; BGH v. 4.7.2002 – V ZB 16/02, ZIP 2002, 1826; BGH v. 27.3.2003 – V ZR 291/02, NJW 2003, 1943, 1945; Kirchhof, ZInsO 2012, 16, 17. 356) Begr. RegE ZPO-RG, BT-Drucks. 14/4722, S. 104; BGH v. 29.5.2002 – V ZB 11/02, ZIP 2002, 1506, 1508. 357) Vgl. Becker in: Nerlich/Römermann, InsO, § 6 Rz. 62. 358) Beteiligte im materiellen Sinne sind diejenigen, die durch die zu erwartende Entscheidung über eine sofortige Beschwerde in ihren Rechten oder Pflichten unmittelbar betroffen sein können, vgl. Ganter/ Bruns in: MünchKomm-InsO, § 6 Rz. 22. Das wird für all diejenigen zutreffen, in Bezug auf die der Insolvenzplan Regelungen trifft. 359) BGH v. 14.12.2005 – IX ZB 54/04, NZI 2006, 239; BGH v. 8.1.2009 – IX ZB 161/07, WM 2009, 363. 360) Zur Berufung, für die das Gleiche gilt, Rimmelspacher in: MünchKomm-ZPO, § 517 Rz. 21. 361) Begr. RegE z. § 575 ZPO-RG, BT-Drucks. 14/4722, S. 117.

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Burmeister/Tasma

§ 38

Minderheitenschutz, Rechtsmittel

Erforderlich ist aufgrund des beim BGH bestehenden Anwaltszwangs die Einlegung der 222 Rechtsbeschwerde durch einen beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt.362) Die Rechtsbeschwerdeschrift muss die Bezeichnung der angegriffenen Entscheidung des 223 Beschwerdegerichts sowie die – zumindest konkludente – Erklärung enthalten, dass Rechtsbeschwerde erhoben wird (§ 4 InsO i. V. m. § 575 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Nach § 575 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist die Beschwerde innerhalb eines Monats zu begründen,363) sofern eine Begründung nicht bereits der Beschwerdeschrift beigefügt wurde. Darüber hinaus muss die Begründung die in § 575 Abs. 3 ZPO geforderten Angaben enthalten.364) 5.6

Begründetheit

Der BGH prüft, ob die Rechtsbeschwerde auf die in § 576 ZPO abschließend geregelten 224 Rechtsbeschwerdegründe gestützt werden kann. Gemäß § 576 Abs. 1 ZPO muss die Rechtsbeschwerde in Parallele zu den Revisionsgründen nach § 545 ZPO auf die Verletzung von Bundesrecht oder Recht, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines OLG hinaus erstreckt, gestützt werden.365) Zwar ist der BGH dabei gemäß § 577 Abs. 2 Satz 1 ZPO an die Parteianträge gebunden, er hat das einschlägige prozessuale und materielle Recht in diesem Rahmen jedoch von Amts wegen umfassend zu prüfen und ist an die in den Anträgen geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden (§ 577 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Eine Ausnahme regelt lediglich § 577 Abs. 2 Satz 3 ZPO. Demnach sind nicht von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensmängel vom BGH nur zu prüfen, wenn sie in der nach § 575 Abs. 3 Nr. 3b, Abs. 4 Satz 2 ZPO vorgeschriebenen Form gerügt worden sind.366) 5.7

Entscheidung

Der BGH entscheidet in der Regel durch begründeten Beschluss ohne mündliche Ver- 225 handlung (§ 577 Abs. 6 Satz 1 ZPO).367) Von einer Begründung kann abgesehen werden, sofern der BGH Rügen von Verfahrensmängeln, die keine absoluten Revisionsgründe i. S. des § 547 ZPO darstellen, nicht für durchgreifend erachtet (§ 577 Abs. 6 Satz 2, § 564 ZPO).368) Fehlt es bereits an den Zulässigkeitsvoraussetzungen der Rechtsbeschwerde, wird der BGH 226 diese verwerfen. Sofern die Rechtsbeschwerde zulässig ist, der BGH jedoch zu dem Ergebnis gelangt, dass die Rechtsbeschwerde auf keinen der in § 576 ZPO geregelten Rechtsbeschwerdegründe gestützt werden kann, wird die Rechtsbeschwerde als unbegründet zurückgewiesen. Möglich ist ferner, dass die Rechtsbeschwerde zurückgewiesen wird, weil sich die angefochtene Entscheidung trotz einer Rechtsverletzung im Ergebnis als richtig darstellt (vgl. § 577 Abs. 3 ZPO).369) Ist die Rechtsbeschwerde begründet, ist sie aufzuheben und die Sache zur erneuten Ent- 227 scheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen; das Beschwerdegericht muss ___________ 362) BGH v. 21.3.2002 – IX ZB 18/02, ZIP 2002, 1003 m. w. N., dazu EWiR 2002, 643 (Hirtz); Kirchhof, ZInsO 2001, 1073; Pape, ZInsO 2001, 1074, 1082; Vallender, MDR 2002, 181, 182. 363) Unter bestimmten Voraussetzungen ist im Einzelfall eine Fristverlängerung auf bis zu zwei Monate möglich, vgl. § 575 Abs. 2 Satz 3 ZPO i. V. m. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 ZPO. 364) Ausführlich zur Begr. Pape in: Uhlenbruck, InsO, § 7 Rz. 14 ff. m. w. N. 365) Vgl. zu den weiteren Rechtsbeschwerdegründen der Abs. 2 und 3 sowie genauer zu Abs. 1 Hamdorf in: MünchKomm-ZPO, § 576 Rz. 3 ff. 366) Hamdorf in: MünchKomm-ZPO, § 577 Rz. 11. 367) Vgl. ausführlich Pape in: Uhlenbruck, InsO, § 7 Rz. 21. 368) Ball in: Musielak/Voit, ZPO, § 577 Rz. 7. 369) Ball in: Musielak/Voit, ZPO, § 577 Rz. 4.

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§ 38

2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

die rechtliche Beurteilung zugrunde legen, die der Aufhebung zugrunde liegt. Der BGH als Rechtsbeschwerdegericht hat in der Sache selbst zu entscheiden, sofern die Sache zur Entscheidung reif ist (vgl. § 577 Abs. 5 ZPO). Entscheidungsreife liegt vor, wenn der Sachverhalt eindeutig ist oder sämtliche tatsächlichen Feststellungen bereits im vorinstanzlichen Verfahren getroffen worden sind.370) 6.

Gesellschaftsrechtlicher Rechtsschutz und „Sperrwirkung“ der InsO

228 Da Anteils- und Mitgliedschaftsrechte gemäß § 217 Abs. 1 Satz 2 InsO in den Insolvenzplan einbezogen werden können, kann der Insolvenzplan nach § 225a Abs. 2 und 3 InsO gesellschaftsrechtliche Regelungen treffen, wobei insbesondere Kapitalmaßnahmen, etwa im Zuge eines Debt Equity Swaps, in Betracht kommen.371) Werden derartige Regelungen im Insolvenzplan getroffen, sind die sonst notwendigen Mitwirkungshandlungen der Organe, wie z. B. Hauptversammlungsbeschlüsse, nicht erforderlich.372) Gegen fehlerhafte Organbeschlüsse stünde den Gesellschaftern außerhalb des Insolvenzverfahrens der gesellschaftsrechtliche Rechtsschutz zur Verfügung.373) Im Insolvenzverfahren hat der Anteilsinhaber diese Rechtsschutzmöglichkeiten allerdings nicht.374) Vielmehr bleibt ihm gegen Entscheidungen des Insolvenzgerichts nur die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde, da § 6 Abs. 1 Satz 1 InsO andere als in der InsO vorgesehene Rechtsmittel ausdrücklich ausschließt.375) 229 Stehen also die spezifischen gesellschaftsrechtlichen Rechtsschutzinstrumente nicht zur Verfügung, bleibt die Frage, ob Anteilsinhaber sich des allgemeinen zivilprozessualen Instrumentariums (Leistungs- oder Feststellungsklage, einstweilige Verfügung) bedienen können, um sich gegen einen Insolvenzplan zu wehren. Nach dem Vorstehenden steht fest, dass sich entsprechende Rechtsschutzbegehren nicht gegen den Insolvenzplan oder den Bestätigungs- (oder Versagungs-)Beschluss des Insolvenzgerichts richten können. Ziel solcher Begehren könnte es nur sein, andere Beteiligte des Insolvenzplanverfahrens zu einem bestimmten Verhalten i. R. des Verfahrens zu zwingen und das Zustandekommen des Insolvenzplans so zu verhindern (oder zu erzwingen). 230 Kontrovers diskutiert wurde dies im Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren über das Vermögen des Suhrkamp-Verlages.376) Dort stellte sich die Frage, ob der Minderheitsgesellschafter es dem Mehrheitsgesellschafter wegen Verstoßes gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht per einstweiliger Verfügung untersagen kann, bei der Abstimmung über den Insolvenzplan für den Plan zu stimmen. Das LG Frankfurt a. M. gab dem Antrag des Minderheitsgesellschafters auf einstweilige Verfügung statt und untersagte der Mehrheitsgesellschafterin die Zustimmung zum Insolvenzplan im Abstimmungstermin.377) ___________ 370) 371) 372) 373)

374) 375) 376)

377)

Vgl. Krüger in: MünchKomm-ZPO, § 563 Rz. 20. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 30. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 30. Insbesondere kommen für die AG die Anfechtungsklage nach § 246 AktG und die Nichtigkeitsklage nach § 249 AktG in Betracht, vgl. Schäfer in: MünchKomm-AktG, § 243 Rz. 4, § 249 Rz. 2. Mangels ausdrücklicher Regelung dieser Rechtsmittel im GmbHG werden die aktienrechtlichen Klagearten auf die GmbH sinngemäß übertragen, vgl. K. Schmidt/Bochmann in: Scholz, GmbHG, § 45 Rz. 35 ff, Rz. 43 ff. K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1609. Bedenken in Bezug auf einen Eingriff in Art. 9 GG äußert Brinkmann, WM 2011, 97, 100, für die von einem Debt Equity Swap betroffenen Anteilseigner. Hierzu neben den im Literaturverzeichnis und in den nachfolgenden Fußnoten aufgeführten Aufsätzen auch Schäfer, ZIP 2013, 2237; Stöber, ZInsO 2013, 2457; Möhlenkamp, BB 2013, 2828; Brinkmann, ZIP 2014, 197; Brünkmans/Uebele, ZInsO 2014, 265; Müller, DB 2014, 41; Böcker, DZWIR 2014, 331. LG Frankfurt/M. v. 10.9.2013 – 3-09 O 96/13, ZIP 2013, 1831, dazu EWiR 2013, 589 (Hölzle).

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Burmeister/Tasma

§ 38

Minderheitenschutz, Rechtsmittel

Zur Begründung führte es aus, die Mehrheitsgesellschafterin bezwecke mit der Durchsetzung des Insolvenzplans, der gemäß § 225a Abs. 3 InsO die Umwandlung der bisherigen Rechtsform der Verlagsgesellschaft (KG) in eine AG vorsah, allein die Entmachtung des Minderheitsgesellschafters und handele daher treuwidrig. Das OLG Frankfurt a. M. wiederum sah den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfü- 231 gung als unzulässig an.378) Es stützte sich dabei auf die Erwägung, dass das Insolvenzverfahren ab seiner Eröffnung ausschließlich und abschließend nach den Vorschriften der InsO abzulaufen habe.379) Das dort vorgesehene Planverfahren sehe ausreichend Verfahrensschritte und Rechtsschutzmöglichkeiten vor und dürfe nicht mit Hilfe systemfremder Rechtsmittel behindert werden. Daran ändere auch eine eventuelle Treuepflichtverletzung des Mehrheitsgesellschafters nichts.380) Der Auffassung des OLG Frankfurt a. M. ist, jedenfalls im Ergebnis, zuzustimmen. Ließe 232 man derartige Rechtsschutzbegehren zu, würden Rechtsverhältnisse, die nur zwischen einzelnen Beteiligten bestehen, mittelbar inter omnes wirken. Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht wäre dabei nur ein möglicher Anwendungsfall: Auch schuldrechtliche Vereinbarungen zwischen bestimmten Gläubigern könnten Anlass sein, ein bestimmtes Abstimmungsverhalten zu erzwingen oder zu verhindern. Die Regelungen zum Insolvenzplanverfahren sollen aber ein in sich geschlossenes System für die Abstimmung über den Insolvenzplan Beteiligten etablieren: Geregelt ist der Umfang des Stimmrechts, der Ausschluss des Stimmrechts und, spezifisch für Anteilsinhaber, der Ausschluss gesellschaftsrechtlicher Stimmrechtsbeschränkungen, Sonder- oder Mehrstimmrechte (§ 238a InsO). Eine andere Sichtweise würde auch den Zweck des ESUG, Sanierungen zu erleichtern, konterkarieren: Jedem Beteiligten eröffnete sich ansonsten die Möglichkeit, durch Anrufung weiterer Gerichte die Krisenbewältigung zu blockieren.381) In materieller Hinsicht stellt sich zudem die Frage, ob ein Verstoß gegen die gesellschafts- 233 rechtliche Treuepflicht in der Eröffnung des Insolvenzverfahrens überhaupt denkbar ist. Dagegen spricht, dass sich mit Eröffnung des Verfahrens der Gesellschaftszweck verändert, an dem sich die Treuepflicht schließlich ausrichtet: Geht es für die Gesellschaft um die erfolgreiche Bewältigung des Insolvenzverfahrens, so ist für eine darüber hinausgehende gesellschaftsinterne Treubindung kein Platz.382) Schließlich sind Gläubiger und Minderheitsgesellschafter nach der InsO keinesfalls schutzlos gestellt.383) Dass Fehlentscheidungen des zuständigen Gerichts nicht auszuschließen sind, ist keine Besonderheit des Insolvenzrechts und vermag auch keine „Notzuständigkeiten“ zu begründen.

___________ 378) OLG Frankfurt/M. v. 1.10.2013 – 5 U 145/13, ZIP 2013, 2018, dazu EWiR 2013, 753 (Bähr/Schwartz). 379) Das OLG Frankfurt/M. berief sich dabei auf den BGH, der mit ähnlichen Erwägungen eine auf UWG gestützte Klage gegen die Abgabe des Gebots in einer Zwangsversteigerung für unzulässig erklärt hatte, weil es am Rechtsschutzbedürfnis fehle, BGH v. 15.11.2012 – I ZR 128/11, NZM 2013, 589. 380) S. hierzu auch Hölzle, EWiR 2013, 589, 590 (Urteilsanm.). Das BVerfG hatte jedenfalls im einstweiligen Anordnungsverfahren nach § 32 BVerfGG hiergegen aus verfassungsrechtlicher Sicht keine Einwände, vgl. BVerfG v. 17.10.2013 – 2 BvR 1978/13 (Suhrkamp), ZIP 2013, 2163, dazu EWiR 2015, 49 (Bähr). 381) So auch Thole, ZIP 2013, 1937, 1941; Lang/Muschalle, NZI 2013, 953, 956 f. 382) So zutreffend Thole, ZIP 2013, 1937, 1943; Müller, DB 2014, 41; a. A. Schäfer, ZIP 2013, 2237; diff. Stöber, ZInsO 2013, 2457, 2459 f. 383) Dies zeigt sich u. a. an der Entscheidung des BGH i. R. der in derselben Sache gegen den Insolvenzplan angestrengten Beschwerde: BGH v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14 (Suhrkamp), ZIP 2014, 1442.

Burmeister/Tasma

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§ 39 Aufhebung des Insolvenzverfahrens J. Schmidt

I. 1. 2. 3. II. 1. 2. 3. 4.

5.

6.

Allgemeines................................................. 1 Gesetzessystematik...................................... 6 Neufassung durch das SanInsFoG.............. 7 Normzweck des § 258 InsO ....................... 9 Voraussetzungen der Verfahrensaufhebung (§ 258 Abs. 1 InsO) ............... 10 Bestätigung des Insolvenzplans ................ 10 Rechtskraft ................................................. 12 Keine Voraussetzung: Planerfüllung ........ 13 Schlussrechnung......................................... 18 4.1 Erfordernis der Schlussrechnung.... 19 4.2 Schlussrechnungsprüfung und Schlusstermin ................................ 22 4.3 Abweichende Regelungen im Insolvenzplan ........................... 23 Festsetzung der Vergütung ....................... 27 5.1 Vergütungsantrag .......................... 28 5.2 Bindung des Gerichts an Festlegung der Vergütung im Insolvenzplan?................................... 30 5.3 Festsetzung der Vergütung als Planbedingung? ........................ 40 5.4 Festlegung der Vergütung von Gläubigerausschussmitgliedern im Insolvenzplan ........................... 41 Begleichung oder Sicherstellung von Masseansprüchen (§ 258 Abs. 2 InsO)..... 43

6.1 6.2

Norminhalt .................................... 44 Erfüllung unstreitiger fälliger Masseansprüche............................. 45 6.3 Sicherheitsleistung bei streitigen Masseansprüchen........................... 48 6.4 Sicherheitsleistung bei nicht fälligen Masseansprüchen – Abwendung durch Finanzplan ..... 54 6.5 Aktivlegitimation hinsichtlich streitiger Masseforderungen ......... 60 6.6 Disponibilität................................. 64 6.7 Insolvenzplan bei Masseunzulänglichkeit bzw. im Fall des § 210a InsO ............................. 65 III. Verfahren zur Aufhebung ....................... 67 1. „Art der Entscheidung“ – Aufhebungsbeschluss und funktionelle Zuständigkeit.... 68 2. Zeitpunkt der Entscheidung ..................... 69 3. Wirksamwerden der Aufhebung ............... 73 4. Bekanntmachung ....................................... 74 5. Registereintragungen ................................ 75 6. Unterrichtungspflichten............................ 77 7. Rechtsbehelf............................................... 78 IV. Wirkungen der Aufhebung (§ 259 InsO)............................................... 80

Literatur: Horstkotte/Pickartz, Abtretung massezugehöriger Forderungen an einen Treuhänder im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens, ZInsO 2020, 710; Pape, Kein bereicherungsrechtlicher Rückzahlungsanspruch gegen Mitglieder eines mit der Überwachung der Planerfüllung beauftragten Gläubigerausschusses, WuB 2021, 417.

I.

Allgemeines

1 Nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans (§§ 248, 254 InsO) ist das Insolvenzverfahren durch Beschluss aufzuheben, sofern der Insolvenzplan nicht etwas anderes vorsieht, § 258 Abs. 1 InsO. Die Bestätigung des Insolvenzplans hat mithin eine Doppelfunktion: Sie beendet das Verfahren der Plansanierung. Gleichsam treten die im gestaltenden Teil festgelegten Wirkungen für und gegen alle Beteiligten ein (§ 254 Abs. 1 InsO). Mit der Planbestätigung endet aber noch nicht das Insolvenzverfahren. 2 Neben der Rechtskraft der Bestätigung setzt die Aufhebung des Insolvenzverfahrens voraus, dass die verbliebenen Aufgaben des Insolvenzverwalters und auch des Gläubigerausschusses erledigt sind. Teile dieser Aufgaben regelt § 258 InsO unmittelbar. Weitere Aufgaben ergeben sich aus anderen Bestimmungen (z. B. § 66 InsO). Sind diese Aufgaben erledigt und der Bestätigungsbeschluss rechtskräftig, ist das Verfahren aufzuheben. Ein Ermessen über das „Ob“ hat das Insolvenzgericht im Grundsatz nur hinsichtlich des Termins, dessen Anberaumung von den noch zu erledigenden Aufgaben abhängt.1) Etwas anderes gilt nur ___________ 1) Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 258 Rz. 3.

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J. Schmidt

§ 39

Aufhebung des Insolvenzverfahrens

dann, wenn der Insolvenzplan etwas anderes bestimmt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Insolvenzplan keine verfahrensbeendende Wirkung hat bzw. haben soll („verfahrensbeendender Plan“).2) Solche verfahrensleitenden Insolvenzpläne betreffen einzelne Bereiche innerhalb der Regelabwicklung, für die eine Entscheidung der Gläubigerversammlung mit der in § 76 InsO genannten Stimmenmehrheit nicht möglich ist, weil es an der allseitigen Bindung fehlt (§ 254 InsO), oder nicht zweckmäßig ist, weil eine Abstimmung in Gruppen zu sinnvolleren Ergebnissen führt. Er kann alles enthalten, was auch in einem verfahrensbeendenden Plan zulässig ist und worüber die Gläubiger disponieren können.3) Mit der erst auf Vorschlag des Bundesrats und des Rechtsausschusses erfolgten Ergänzung 3 des § 217 Satz 1 InsO um die „Verfahrensabwicklung“ hat der Gesetzgeber klargestellt, dass solche verfahrensleitenden Insolvenzpläne zulässig sind.4) Ergänzend heißt es in § 258 Abs. 1 InsO, dass das Verfahren nur aufgehoben wird, wenn der Plan nichts anderes vorsieht. Erfolgt die Aufhebung, so entfaltet auch dieser Beschluss – nicht anders als die Bestätigung 4 des Insolvenzplans – eigene Wirkungen. Diese ergeben sich aus § 259 InsO und (ergänzend) aus § 201 InsO. § 201 InsO regelt die Aufhebung des (Regel-)Insolvenzverfahrens. Zu den Wirkungen der Aufhebung und damit allgemein zu den Planwirkungen i. S. des § 259 InsO siehe unten Schultze, HRI II, § 41. Die Aufhebung setzt nicht voraus, dass der Insolvenzplan erfüllt ist. Die Erfüllung des 5 Insolvenzplans ist grundsätzlich nicht mehr Bestandteil des Insolvenzverfahrens. Zur Möglichkeit bzw. Zulässigkeit der Planerfüllung durch den Insolvenzverwalter vor bzw. nach Verfahrensaufhebung siehe nachstehend Rz. 13 f. Den Gläubigern obliegt die selbstständige Geltendmachung der durch den Insolvenzplan modifizierten Ansprüche. Jedoch kann der Insolvenzplan Bestimmungen zur Planüberwachung vorsehen (§ 259 Abs. 2, §§ 260 ff. InsO; siehe auch unten Mönning, HRI II, § 42). 1.

Gesetzessystematik

Die Regelung des § 258 InsO befindet sich im Dritten Abschnitt (§§ 254 – 269 InsO) des 6 Sechsten Teils der InsO (§§ 217 – 269 InsO). Gegenstand des Sechsten Teils der InsO ist das Insolvenzplanverfahren. Im Dritten Abschnitt sind die Wirkungen des bestätigten Plans und die Überwachung der Planerfüllung geregelt. Da der Insolvenzplan eine der Möglichkeiten ist, das als einheitliches Verfahren konzipierte Insolvenzverfahren zum Abschluss zu bringen, sind auch solche Bestimmungen anwendbar, die nicht ihrerseits der insolvenzplanmäßigen Disposition unterliegen. Das gilt insbesondere für die Vorschriften des Ersten bis Dritten Teils der InsO (§§ 1 – 147 InsO).5) Aber auch Bestimmungen aus dem Vierten und Fünften Teils der InsO ergänzen die §§ 217 ff. InsO und sind gesetzessystematisch zu berücksichtigen. 2.

Neufassung durch das SanInsFoG

Durch das SanInsFoG6) wurde § 258 Abs. 3 InsO teilweise neu geregelt. Nach wie vor be- 7 trifft die Vorschrift Einzelaspekte zum Inhalt des Aufhebungsbeschlusses sowie zum Verfahren nach dessen Erlass. Aus Vereinfachungsgründen verzichtet sie nunmehr allerdings ___________ 2) Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 258 Rz. 3. 3) Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 217 Rz. 15. 4) Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 35; Begr. RegE ESUG, BR-Drucks. 127/11, S. 42. 5) Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, Vor §§ 217 ff. Rz. 6. 6) Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256.

J. Schmidt

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§ 39

2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

in Teilen auf Verweise. § 9 Abs. 1 Satz 3 InsO („Öffentliche Bekanntmachung“) und § 200 Abs. 2 Satz 2 InsO („Aufhebung des Insolvenzverfahrens“) sind nicht mehr entsprechend anwendbar. Hiermit geht indes keine inhaltliche Einbuße des Aufhebungsbeschlusses einher. Der Beschluss soll selbst den Zeitpunkt der Aufhebung enthalten, der frühestens zwei Tage nach der Beschlussfassung liegen soll, § 258 Abs. 3 Satz 1 InsO. Die Neuregelung dient der genauen Terminierung des Zeitpunkts, an dem der Aufhebungsbeschluss wirksam werden soll und ermöglicht so dem Gericht umfassendere Flexibilität. Mit Blick auf § 259 Abs. 1 InsO, wonach die Wirkungen der Aufhebung (insbesondere die Wiedererlangung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners) erst ab dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Aufhebungsbeschlusses eintreten, schafft dies Rechtsklarheit für alle Beteiligten.7) Bestimmt der Beschluss diesen Zeitpunkt nicht, bleibt es bei einer – dem § 9 Abs. 3 Satz 1 InsO nachgebildeten – Drei-Tages-Fiktion, vgl. § 258 Abs. 3 Satz 5 InsO. 8 Außerdem werden die §§ 31 bis 33 InsO unmittelbar für anwendbar erklärt. Die Vorschriften regeln, dass die Aufhebung von Amts wegen dem entsprechenden Register sowie dem Grundbuchamt zwecks Löschung der Eintragungen mitzuteilen ist. Dies ergab sich bislang aus einem Verweis auf § 200 Abs. 2 Satz 2 InsO, der wiederum auf die §§ 31 bis 33 InsO verwies. Da § 258 InsO die Aufhebung des Insolvenzverfahrens umfassend regelt, kommt der Vorschrift des § 200 InsO, der die Aufhebung des Regelinsolvenzverfahrens normiert, i. R. des Insolvenzplanverfahrens keine eigenständige Bedeutung mehr zu. 3.

Normzweck des § 258 InsO

9 Der Normzweck des § 258 InsO ist vielschichtig: In erster Linie dient § 258 InsO der Rechtsklarheit. Zu deren Verwirklichung verlangt das Gesetz für die Beendigung einen eigenen Aufhebungsbeschluss. Mit Verfahrensaufhebung enthält der Schuldner das Recht zurück, über die Insolvenzmasse zu verfügen. Er ist das Gegenstück zum Eröffnungsbeschluss.8) Weiterhin regelt § 258 Abs. 1 InsO – wenn auch unzulänglich – den Zeitpunkt des Aufhebungsbeschlusses („Sobald […]“). Relativiert wird dies durch § 258 Abs. 2 InsO, wonach der Verwalter die unstreitigen fälligen Masseansprüche berichtigen und für die streitigen oder nicht fälligen Sicherheit zu leisten hat. Denn Masseverbindlichkeiten unterliegen nicht der Gestaltungsmöglichkeit durch einen Insolvenzplan und sind nach dem Vorbild des § 53 InsO vorweg zu berichtigen. Damit sichert § 258 InsO auch das Bedürfnis der Massegläubiger an einer frühzeitigen und vollständigen Forderungsberichtigung. Im Interesse der Fortführung des sanierten Unternehmens genügt bei streitigen oder noch nicht fälligen Masseansprüchen die Sicherheitsleistung oder die Vorlage eines Finanzplans (hierzu im Einzelnen Rz. 54 ff.). II.

Voraussetzungen der Verfahrensaufhebung (§ 258 Abs. 1 InsO)

1.

Bestätigung des Insolvenzplans

10 Während das Regelverfahren den Vollzug der Schlussverteilung voraussetzt (§ 200 Abs. 1 InsO), verlangt die InsO bei Durchführung eines Planverfahrens die Bestätigung des Insolvenzplans. Diese erfolgt gemäß § 248 Abs. 1 InsO nach der Annahme des Insolvenzplans durch die Gläubiger (§§ 244 – 246 InsO) und der Zustimmung des Schuldners. 11 Ist im Insolvenzplan vorgesehen, dass vor der Bestätigung bestimmte Leistungen erbracht oder andere Maßnahmen verwirklicht werden müssen, so darf der Plan nur bestätigt werden, wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind (§ 249 Satz 1 InsO). Zur Planbestätigung i. Ü. siehe oben Westpfahl, HRI II, § 37. ___________ 7) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 202. 8) Thies in: HambKomm-InsO, § 258 Rz. 1.

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J. Schmidt

§ 39

Aufhebung des Insolvenzverfahrens 2.

Rechtskraft

Der gerichtliche Bestätigungsbeschluss muss weiterhin rechtskräftig sein. Hieran fehlt es, 12 wenn gemäß § 253 InsO ein Gläubiger oder ein Schuldner gegen den Bestätigungsbeschluss sofortige Beschwerde eingelegt hat und über diese noch nicht rechtskräftig entschieden ist.9) Hinsichtlich der Frist zur Einlegung der Beschwerde knüpft § 6 Abs. 2 InsO an die zweiwöchige Beschwerdefrist des § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO an. Gemäß § 6 Abs. 2 InsO beginnt diese Frist mit der Verkündung der Entscheidung über die Bestätigung des Insolvenzplans oder, wenn diese nicht verkündet wird, mit deren Zustellung. § 252 Abs. 1 Satz 1 InsO sieht wiederum die Verkündung des Beschlusses über die Bestätigung des Insolvenzplans im Abstimmungstermin oder in einem alsbald zu bestimmenden besonderen Termin vor. Verkündung setzt gemäß § 3 InsO, § 329 ZPO voraus, dass der Beschluss über den Insolvenzplan mündlich bekanntgegeben wird; gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 6 ZPO ist er daher grundsätzlich in das Protokoll aufzunehmen. Unterbleibt versehentlich eine Protokollierung, kann das Protokoll durch berichtigenden Beschluss korrigiert werden;10) die Beschwerdefrist beginnt in diesem Fall auch dann mit der mündlichen Verkündung im Termin – und nicht erst mit der Berichtigung des Beschlusses –, wenn die Berichtigung nach Ablauf der zweiwöchigen Beschwerdefrist erfolgt. 3.

Keine Voraussetzung: Planerfüllung

Nach der Konzeption des Rechts zum Insolvenzplanverfahren (§§ 255 ff. InsO) ist die Er- 13 füllung des Insolvenzplans keine Voraussetzung für die Aufhebung des Insolvenzverfahrens.11) Die insbesondere in § 255 Abs. 1 und 2 InsO geregelten Wiederauflebensklauseln beruhen auf der grundsätzlichen Vorstellung des Gesetzgebers, dass die versprochene Planquote i. R. der dem Insolvenzplan zugrunde liegenden Fortführung des schuldnerischen Unternehmens regelmäßig erst noch erwirtschaftet werden muss und die Erfüllung daher keine Voraussetzung für die Aufhebung sein kann bzw. ist.12) Dies wird klargestellt durch die Regelungen zur Planüberwachung. So heißt es in § 260 Abs. 2 InsO ausdrücklich: „Im Falle des Absatzes 1 wird nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens überwacht, ob die Ansprüche erfüllt werden, die den Gläubigern nach dem gestaltenden Teil gegen den Schuldner zustehen.“ In der Praxis wird hiervon jedenfalls dann nicht selten abgewichen, wenn die Planquote 14 durch eine Einmalzahlung oder eine vorzeitige Abschlagszahlung (teilweise)13) befriedigt werden soll. In diesen Fällen erfolgt die Planerfüllung regelmäßig durch den Insolvenzverwalter und damit vor Verfahrensaufhebung, da dessen Amt durch die Aufhebung erlischt (§ 259 Abs. 1 Satz 1 InsO).14) Sieht man einmal von der Finanzierbarkeit einer solchen auf einer Einmalzahlung – häufig nur mit Unterstützung Dritter möglichen – beruhenden Planerfüllung ab, so sind folgende Interessen für eine solche Gestaltung festzuhalten: Das Gläubigervertrauen und damit die Akzeptanz in den Plan kann stärker sein, wenn die 15 Planerfüllung durch den Insolvenzverwalter erfolgt. Gleiches gilt für die Überlegung, dass bei Einsatz einer Einmalzahlung zwar regelmäßig eine geringere Quote angeboten wird, ___________ 9) 10) 11) 12) 13) 14)

Näheres hierzu vgl. Fischer, NZI 2013, 513. LG Köln v. 18.9.2017 – 1 T 349/17, ZInsO 2017, 2563. Vgl. hierzu LG Berlin v. 1.12.2011 – 9 O 293/11, ZInsO 2012, 326. Thies in: HambKomm-InsO, § 258 Rz. 5. LG Berlin v. 1.12.2011 – 9 O 293/11, ZInsO 2012, 326. Spliedt weist zu Recht darauf hin, dass diese Praxis nach alter Rechtslage im Grunde nicht vereinbar war mit der Regelung des § 258 Abs. 1 InsO, nach der das Verfahren alsbald nach der Rechtskraft aufzuheben war, ohne dass in zulässiger Weise Raum und Zeit für eine Verteilung durch den Verwalter bleibt (vgl. Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 258 Rz. 7).

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deren Erfüllung aber nicht dem Risiko der erfolgreichen Fortführung des – wenn auch sanierten – Unternehmens ausgesetzt ist. Aus Sicht des Schuldners kann die Motivlage vergleichbar sein und die Fortführung des Unternehmens ohne Belastung mit gestundeten Insolvenzforderungen den Vorzug verdienen.15) 16 Allerdings muss bedacht werden, dass die Planerfüllung durch den Insolvenzverwalter zu einer Ausweitung des Zeitraums zwischen der Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses und der Aufhebung führen wird. Dies kann mit Rücksicht auf die Entstehung neuer Masseverbindlichkeiten in diesem Zeitraum kritisch werden. Über diese rechtliche Betrachtung hinaus darf – selbst für den Fall der Eigenverwaltung bzw. des Schutzschirmverfahrens – nicht verkannt werden, dass jedwede zeitliche Verzögerung im Zusammenhang mit der Verfahrensaufhebung nachteilig ist. Zum einen verbleibt der Makel des laufenden Verfahrens; zum anderen stellen Kunden, Investoren bzw. Verfahrensbeteiligte im Allgemeinen den Abschluss neuer Verträge bzw. ganz allgemein bestimmte Entscheidungen in Abhängigkeit zur Verfahrensaufhebung. 17 Vor dem Hintergrund dieser Problematik erscheint es alternativ sinnvoll und aus Sicht des Verfassers auch möglich, im gestaltenden Teil die Planerfüllung durch Einmalzahlungen des Insolvenzverwalters nach Verfahrensaufhebung vorzusehen. Dies würde i. R. der Planüberwachung geschehen. Voraussetzung hierfür ist eine Ermächtigung des Insolvenzverwalters durch den Schuldner, die entsprechenden Zahlungen nach Aufhebung des Verfahrens vornehmen zu dürfen.16) 4.

Schlussrechnung

18 Da das Insolvenzplanverfahren lediglich eine Spielart des Insolvenzverfahrens ist, sind auch Vorschriften des Ersten bis Dritten Teils der InsO (§§ 1 – 147 InsO) anwendbar.17) 4.1

Erfordernis der Schlussrechnung

19 Gemäß § 66 Abs. 1 InsO hat der Insolvenzverwalter bzw. die Geschäftsführung bei der Eigenverwaltung bei der Beendigung seines bzw. ihres Amtes einer Gläubigerversammlung Rechnung zu legen. Diese Rechnungslegungspflicht dient der Kontrolle des Verwalterhandelns. Die Schlussrechnung besteht aus einem Tätigkeitsbericht sowie einer Einnahmenund Ausgabenrechnung.18) Vor Abhaltung der Gläubigerversammlung prüft das Insolvenzgericht die Schlussrechnung (§ 66 Abs. 2 InsO). Auf deren Grundlage beantragt der Insolvenzverwalter die Schlussverteilung gemäß § 196 InsO. 20 Zur Schlussrechnung gemäß § 66 InsO wurde in der Literatur für die Fassung der InsO vor Inkrafttreten des ESUG teilweise vertreten, dass es dieser nicht bedürfe.19) Diese Rechtsdiskussion ist durch die Ergänzung des § 66 Abs. 1 InsO um einen Satz 2 („Der Insolvenzplan kann eine abweichende Regelung treffen.“) erledigt. Hierdurch ist klargestellt, dass 

der Insolvenzverwalter auch im Insolvenzplanverfahren zur Rechnungslegung verpflichtet ist und

___________ 15) Nicht zuletzt aufgrund des verstärkt aufgetretenen Phänomens der Folgeinsolvenz dürfte sich an dieser Motivlage nach Inkrafttreten des ESUG nichts verändert haben. Vgl. hierzu Frind, ZInsO 2013, 1666 ff. 16) Fehlt eine solche Ermächtigung bzw. erfolgen Verteilungen nicht gemäß den Vorgaben des Insolvenzplans, können sich Insolvenzverwalter gemäß § 60 InsO persönlich haftbar machen. So das LG Berlin v. 1.12.2012 – 9 O 293/11, ZInsO 2012, 326, für den Fall einer nicht im Insolvenzplan vorgesehenen Abschlagsverteilung. 17) Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, Vor §§ 217 ff. Rz. 6. 18) Metoja in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 66 Rz. 41. 19) Grub, DZWIR 2004, 317; Jaffé in: Wimmer, FK-InsO, § 258 Rz. 10 ff.; Thies in: HambKomm-InsO, § 258 Rz. 7.

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diese Verpflichtung disponibel ist.20)

Seit dem SanInsFoG ist die Regelung zur Plandisponibilität in § 66 Abs. 4 InsO n. F. ver- 21 ortet. Mit der Verschiebung hat der Gesetzgeber letzte Unsicherheiten zur Reichweite abweichender Bestimmungen im Insolvenzplan geklärt. Nachdem sich § 66 Abs. 1 Satz 2 InsO a. F. wegen seiner systematischen Stellung nur auf den Verzicht der Schlussrechnung gegenüber der Gläubigerversammlung (§ 66 Abs. 1 Satz 1 InsO) beziehen konnte und die gerichtliche Vorprüfung (§ 66 Abs. 2 InsO) scheinbar unberührt ließ,21) kann spätestens seit der Neufassung in Gänze auf die Rechnungslegung verzichtet werden. Denn die Rechnungslegung erfolgt ausschließlich im Interesse der Gläubiger.22) Auch auf einzelne Teilaspekte der Rechnungslegung kann verzichtet werden, etwa nur auf die gerichtliche Vorprüfung. 4.2

Schlussrechnungsprüfung und Schlusstermin

Ausgehend vom gesetzlichen Erfordernis einer Schlussrechnung gemäß § 66 InsO auch im 22 Insolvenzplanverfahren bedarf es – vorbehaltlich abweichender Regelungen (§ 66 Abs. 4 InsO) – auch einer gerichtlichen Prüfung der Schlussrechnung und deren Erörterung in einer gesonderten Gläubigerversammlung (Schlusstermin). 4.3

Abweichende Regelungen im Insolvenzplan

Auf die Schlussrechnungslegung kann im Insolvenzplan verzichtet werden („Auf die Vor- 23 lage einer Schlussrechnung durch den Insolvenzverwalter wird verzichtet.“). Dies bringt § 66 Abs. 4 InsO zum Ausdruck; hier heißt es: „Der Insolvenzplan kann eine abweichende Regelung treffen.“ Durch die Möglichkeit abweichender Planregelungen ist der Umgang mit Schlussrechnun- 24 gen damit rechtssicher und maßgeschneidert möglich. Maßgeschneidert insoweit, als nicht nur der bloße Verzicht zur – durchaus begrüßenswerten, aber nicht immer sinnvollen – Vereinfachung und Beschleunigung im gestaltenden Teil möglich ist, sondern auch ein individueller Zuschnitt. So erscheint es bspw. denkbar, lediglich auf eine gesonderte Gläubigerversammlung zur Erörterung der zuvor vom Gericht geprüften Schlussrechnung zu verzichten.23) Ebenso spricht die Gesetzesbegründung die Möglichkeit an, dass der Insolvenzplan eine zeitliche Verschiebung – bspw. Rechnungslegung nach Aufhebung des Verfahrens – vorsieht.24) Daneben kann der Insolvenzplan z. B. vorsehen, dass nur über einen bestimmten Zeitraum oder für bestimmte Teile eines Geschäftsbetriebs Rechnung zu legen ist.25) Ebenso erscheint es denkbar, ausgehend von den Anforderungen des § 66 InsO die Schluss- 25 rechnung auf den Insolvenzplan und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu modifizieren. Hier wird es Aufgabe der Insolvenzpraxis sein, die bislang zur Abwehr der Anwendung des § 66 InsO bemühte Kritik auf sinnvolle Planregelungen hin zu untersuchen. Beispielhaft sei eine Anknüpfung an die Kassenprüfung genannt. Eine solche Klausel könnte lauten: „Gemäß § 66 Abs. 4 InsO wird folgende abweichende Regelung getroffen: Der vom Gläubigerausschuss eingesetzte Kassenprüfer wird beauftragt, seine Prüfung bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Planbestätigung fortzusetzen. Wenn diese Prüfung zu keinen Beanstandungen führt und ___________ 20) Heinrich, NZI 2012, 235, 240, mit ausdrücklicher Zustimmung zur Neufassung; Rattunde, GmbHR 2012, 455, 457. 21) Zur alten Rechtslage Harbeck, ZInsO 2014, 388, 390 f. 22) Begr. RegE SanInsFoG z. InsO, BT-Drucks. 19/24181, S. 198 a. E. 23) Wutzke in: Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, § 258 Rz. 19. 24) Begr. RegE InsO, BR-Drucks. 127/11, S. 37. 25) Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 512.

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der Gläubigerausschuss dies bestätigt, wird abweichend von § 66 Abs. 1 InsO auf die Schlussrechnung verzichtet. Ein Schlusstermin findet nicht statt.“26) 26 In konsensual geprägten Insolvenzplanverfahren dürfte der grundsätzliche und ausdrückliche Verzicht auf, das im Regelinsolvenzverfahren greifende, Schlussrechnungsprozedere die zu erwartende Gestaltung sein. Der Verzicht kann sich dabei gezielt auch auf die gerichtliche Prüfung erstrecken. Dass der Gesetzgeber diese Gestaltungsoptionen anerkennt, zeigt die Verortung der Abweichungsbefugnis in § 66 Abs. 4 InsO seit dem SanInsFoG (siehe bereits Rz. 21). Auf diese Weise kann zum einen der Zeitraum zwischen Annahme des Insolvenzplans durch die Gläubiger und Aufhebung des Verfahrens größtmöglich verkürzt werden.27) Zum anderen verdeutlicht dies im Allgemeinen, dass die Schlussrechnung im alleinigen Interesse der Gläubiger liegt. Gleichwohl ist die Insolvenzpraxis gut beraten, bei entsprechenden Forderungen der Gläubigerschaft das Regelungspotential des § 66 Abs. 4 InsO zu nutzen, und zwar in beide Richtungen. Sollte der gänzliche Verzicht gewählt werden, so steht dem auch nicht der Minderheitenschutz des § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO entgegen, da eine Schlechterstellung durch die dann fehlende Rechnungslegung normalerweise nicht gegeben sein wird.28) 5.

Festsetzung der Vergütung

27 Weitere Voraussetzung zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens gemäß § 258 Abs. 1 InsO ist die Festsetzung der Vergütung nebst Auslagen.29) Gemeint sind hiermit sowohl die Vergütungs- und Auslagenersatzansprüche des (vorläufigen) Insolvenzverwalters als auch der Mitglieder eines (vorläufigen) Gläubigerausschusses. 5.1

Vergütungsantrag

28 Um durch das entsprechende Festsetzungsverfahren keine zeitliche Verzögerung zu verursachen, empfiehlt es sich, die Vergütungsanträge spätestens bei Bekanntgabe der Bestätigung des Insolvenzplans einzureichen.30) Spätere Vergütungsanträge verzögern nicht nur die Verfahrensaufhebung, sondern gefährden jedenfalls dann die Plansanierung, wenn das Vergütungsvolumen vorher nicht hinreichend transparent (über nachvollziehbare Rückstellungen) abgebildet worden ist. Da Transparenz aber von größter Bedeutung ist und die Verfahrenskosten bei Planerstellung zur Beurteilung der Finanzierbarkeit keine unbekannte Größe sein dürfen (sein können), empfiehlt es sich, Vergütungsanträge zu einem noch früheren Zeitpunkt zu stellen. 29 Soweit in der Literatur ausgeführt wird, dass Beschwerden über die Festsetzung der Vergütung die Aufhebung nicht hindern,31) kann dem zugestimmt werden. Der Vergütungsanspruch muss dann entsprechend einer sonstigen streitigen Masseverbindlichkeit behandelt werden. Zu weitgehend ist indes die Aussage, dass nicht einmal ein Vergütungsantrag vor Verfahrensaufhebung erforderlich sei;32) zwar ist es zutreffend, dass sich der Vergütungsanspruch nicht aus der Amtsposition ableitet, sondern ein eigener Anspruch ist. Jedoch setzt die Geltendmachung im gerichtlichen Festsetzungsverfahren die Amtsstellung und das noch ___________ Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 8 Rz. 650. Spahlinger in: KPB, InsO, § 258 Rz. 4a. Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 258 Rz. 32. Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 258 Rz. 21; a. A. Spahlinger in: KPB, InsO, § 258 Rz. 5. Thies in: HambKomm-InsO, § 258 Rz. 10. Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 258 Rz. 8; BGH v. 20.7.2017 – IX ZB 75/16, ZIP 2017, 1629, dazu EWiR 2017, 633 (Keller). 32) Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 258 Rz. 8.

26) 27) 28) 29) 30) 31)

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Aufhebung des Insolvenzverfahrens

laufende Verfahren voraus. Anderes – insbesondere die Antragstellung nach Verfahrensaufhebung – ist nur dann zulässig, wenn der Insolvenzplan dies ausdrücklich vorsieht. 5.2

Bindung des Gerichts an Festlegung der Vergütung im Insolvenzplan?

In der Vergangenheit wurde diskutiert, ob eine Festlegung der Verwaltervergütung im In- 30 solvenzplan möglich ist und wen eine solche Regelung bindet, sprich, ob eine Planregelung geeignet ist, das gerichtliche Festsetzungsverfahren zu ersetzen. Nachdem sich einige Instanzgerichte33) sowie Teile des Schrifttums34) und schließlich auch der BGH i. R. eines obiter dictums35) gegen die Regelungsmöglichkeit der Verwaltervergütung im Planverfahren ausgesprochen hatten, ist durch Entscheidung vom 16.2.201736) höchstrichterlich geklärt, dass Vergütungsvereinbarungen nicht zum Inhalt eines Insolvenzplans gemacht werden können. Die Vergütungsfestsetzung obliegt gemäß §§ 64 Abs. 1, 65 InsO, § 8 InsVV ausschließlich dem Insolvenzgericht. Diese unabdingbare Festsetzungsbefugnis schützt die Interessen des Insolvenzverwalters und der Beteiligten in zweierlei Hinsicht. Zum einen ist der Insolvenzverwalter vor einer zu niedrigen Vergütung, zum anderen sind die Beteiligten vor einer überhöhten Vergütung geschützt. Auch im Gesetzgebungsverfahren zum ESUG wurde bewusst davon abgesehen, Vergütungsvereinbarungen zu regeln. Die Vorschriften über die Verwaltervergütung (§§ 64 Abs. 1, 65 InsO, §§ 1 ff. InsVV) sind als abschließende Regelung zu verstehen. Überdies muss der Insolvenzplan Masseverbindlichkeiten (§§ 54 Nr. 2, 53 InsO) unangetastet lassen, weil sie gemäß § 217 InsO durch den Insolvenzplan nicht abweichend von Vorschriften der InsO geregelt werden können. § 217 InsO ist seinerseits nicht plangestaltbar und sieht Abweichungen nur für die abson- 31 derungsberechtigten Gläubiger, die Insolvenzgläubiger sowie den Schuldner und die an der Schuldnergesellschaft beteiligten Personen vor. Der Insolvenzverwalter ist gerade keiner der Beteiligten, für die gemäß § 254 InsO die im Plan festgelegten Wirkungen eintreten. Gegenüber planfesten Vorschriften hat die Gläubigerautonomie zurückzutreten, es sei denn, es bestehen Sondervorschriften, die eine Abweichung ausdrücklich zulassen. Solche sind, jedenfalls in Bezug auf das Insolvenzplanverfahren, nicht ersichtlich (beachte allerdings § 80 Abs. 2 StaRUG, der Vergütungsvereinbarungen im Restrukturierungsplan teilweise zulässt). Auch steht die gesetzgeberische Wertung des Insolvenzverwalters als unabhängige neutrale Instanz mit hoheitlichen Befugnissen einer Regelungsmöglichkeit entgegen. Bis zur endgültigen Entscheidung über die Annahme und Bestätigung des Insolvenzplans sollen alle auch nur möglichen Gefährdungen seiner Neutralität von diesem ferngehalten werden.37) Eine gleichwohl aufgenommene Bestimmung zur Höhe der Verwaltervergütung führt dazu, dass der Insolvenzplan gegen die Vorschriften über den Inhalt des Insolvenzplans (§§ 217, 219 ff. InsO) verstößt.38) ___________ 33) AG Köln v. 6.4.2016 – 74 IN 45/15, NZI 2016, 537; AG Hamburg v. 19.4.2016 – 67c IN 232/13, BeckRS 2016, 19415; das LG Hamburg v. 7.2.2018 – 326 T 120/16, NZI 2018, 261, schließt eine Plangestaltung ebenfalls aus, solange keine Erklärung i. S. des § 230 Abs. 3 InsO vorliegt. 34) Madaus/Heßel, ZIP 2013, 2088, 2090; Keller, ZIP 2014, 2014, 2017 f.; Madaus, ZIP 2016, 1141, 1150. 35) BGH v. 14.7.2016 – IX ZB 62/15, NZI 2016, 802, 804. 36) BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482 = NZI 2017, 260; zust. Madaus, EWiR 2017, 179 (Urteilsanm.); Haarmeyer, ZInsO 2017, 538, 543; Storz, NZI 2017, 264; krit. Blankenburg, ZInsO 2017, 543. 37) Das „Neutralitäts-Argument“ ist mit Blick auf § 80 Abs. 2 StaRUG zumindest fragwürdig, da durch eine Vergütungsvereinbarung die notwendige Neutralität des Restrukturierungsbeauftragten jedenfalls gefährdet ist. 38) BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, Rz. 19, ZIP 2017, 482 = NZI 2017, 260; BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, Rz. 23, ZIP 2018, 1141 = NZI 2018, 691.

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32 Mit zwei weiteren Entscheidungen des BGH aus dem Jahr 2021 beginnt sich eine Rechtsprechungslinie zur Plangestaltbarkeit von Vergütungsansprüchen des Insolvenzverwalters sowie des Gläubigerausschusses abzuzeichnen. So bestätigt der BGH in seiner Entscheidung vom 6.5.202139) das zuvor oben (siehe unter Rz. 30) zur Verwaltervergütung Gesagte, wobei er ausdrücklich offenlässt, ob die Rechtsprechung auch auf die Vergütung der Mitglieder eines klassischen Gläubigerausschusses übertragen werden kann, die „immerhin ebenfalls zu den Verfahrenskosten gehört und damit eine Masseverbindlichkeit darstellt“. Angesichts dieser Andeutung dürfte auch einer Vergütungsfestsetzung für Ausschussmitglieder im Insolvenzplan die Grundlage entzogen sein. Immerhin stellt der BGH in diesem Zusammenhang klar, dass die Planüberwachung auch einem externen Planüberwacher übertragen werden kann, dessen Vergütung durch privatautonome Vereinbarung festgelegt werden kann. Die im Insolvenzplan festgelegten Überwachungsaufgaben kann – abweichend von § 261 Abs. 1 Satz 2 InsO – auch ein gesonderter Planüberwachungsausschuss übernehmen. 33 Mit seiner Entscheidung vom 11.11.202140) erweitert der BGH seine Aussagen zur Planfestigkeit um eine zeitliche Komponente und erklärt nicht nur die Höhe der Verwaltervergütung, sondern auch ihre sonstigen Modalitäten, im Ergebnis „jeden Aspekt des Vergütungsanspruchs“41) für planfest. Weder können Vereinbarungen über eine von den gesetzlichen Regelungen abweichende Fälligkeit zum Gegenstand eines Insolvenzplans gemacht werden. Noch kann die Festsetzungskompetenz des Gerichts dadurch umgangen werden, dass der Insolvenzplan eine Vergütung nach einzelnen Zeitabschnitten vorsieht, die vor dem Abschluss der Verwertungshandlungen liegen. Derartige Festsetzungen sieht das Gesetz – unabhängig von ihrer Ausgestaltung – nicht vor. Vielmehr tritt Fälligkeit im Allgemeinen erst mit Erledigung der zu vergütenden Tätigkeit ein, was durch § 63 Abs. 1 Satz 2 InsO, wonach der Regelsatz nach dem Wert der Insolvenzmasse zur Zeit der Beendigung des Insolvenzverfahrens berechnet wird, und die übrigen Bestimmungen zur Verwaltervergütung bestätigt wird. Demgemäß kann der Insolvenzverwalter eine Festsetzung seiner Vergütung im Regelfall erst verlangen, wenn nur noch der Schlusstermin und eine (abschließende) Schlussverteilung ausstehen. Bis zum Abschluss der Verwertungshandlungen kann der Verwalter nur Vorschüsse auf die Vergütung beantragen (vgl. § 9 InsVV). 34 Für den nach § 261 Abs. 1 Satz 2 InsO fortbestehenden und mit der Planüberwachung beauftragten Insolvenzverwalter gilt, dass das Gericht seine Vergütung auch nach Verfahrensaufhebung festsetzen kann (§§ 269, 64 Abs. 1 InsO, §§ 6 Abs. 2, 8 InsVV).42) Inwiefern abweichende Vereinbarungen das Gericht binden, bleibt offen. Hoheitliche Befugnisse kämen dem Insolvenzverwalter nach Verfahrensaufhebung zwar nicht mehr zu. Nichtsdestotrotz sei, so das Gericht, die sachgerechte Wahrnehmung seiner Überwachungstätigkeit beeinträchtigt. Interessenkollisionen seien jedenfalls nicht vollständig von der Hand zu weisen.43) Wählen die Planbeteiligten nicht die gesetzliche Überwachung, sondern setzen einen externen Sachwalter zur Planüberwachung ein,44) richten sich seine Aufgaben sowie die Modalitäten der Vergütung allein nach dem Geschäftsbesorgungsvertrag. Dieser unterliegt ___________ 39) BGH v. 6.5.2021 – IX ZR 57/20, ZRI 2021, 532 = NZI 2021, 733 m. Anm. Freitag/Braukmann, dazu WuB 2021, 417 (Pape), und EWiR 2021, 469 (Möhlenkamp). 40) BGH v. 11.11.2021 – IX ZB 19/20, ZRI 2022, 34 = NZI 2021, 733, dazu EWiR 2022, 85 (Madaus). 41) Madaus, EWiR 2022, 85 (Urteilsanm.). 42) Stephan in: MünchKomm-InsO, § 269 Rz. 5 ff. 43) BGH v. 6.5.2021 – IX ZB 19/20, Rz. 22, ZRI 2022, 34 = NZI 2021, 733. 44) Zur Zulässigkeit externer Planüberwachung BGH v. 6.5.2021 – IX ZB 19/20, Rz. 11, ZRI 2022, 34 = NZI 2021, 733; Braun/Frank in: Braun, InsO, § 269 Rz. 1; Stephan in: MünchKomm-InsO, § 269 Rz. 12.

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Aufhebung des Insolvenzverfahrens

nicht der Kontrolle des Insolvenzgerichts, sondern ist Ausfluss einer sich aus § 260 Abs. 1 InsO ergebenden Vertrags- und Gestaltungsfreiheit.45) Auch wenn den Ausführungen des BGH aufgrund der konsequenten Anwendung des 35 Gesetzes im Ergebnis zuzustimmen ist, werden sie in der Literatur auch kritisiert. Denn die Entscheidung lässt die erforderliche Differenzierung zwischen bindender Regelung der Vergütung zum einen und bloßer Darstellung der Vergütung zum anderen vermissen. Eine Darstellung der Vergütung im Insolvenzplan ist auch nach Ansicht des Verfassers unerlässlich. Zwar ist i. R. der vergleichenden Liquidationsrechnung die hypothetische Vergütung im Regelverfahren und nicht die Vergütung im Insolvenzplan auszuweisen. Gleichzeitig fordert das Gesetz „lediglich“, dass die angebotene Planquote die Gläubiger im Insolvenzplan nicht schlechterstellen darf als in einem alternativen Verwertungsszenario. Hieraus könnte man folgern, dass eine Offenlegung der Vergütung im Insolvenzplanverfahren unterbleiben kann. Diese Ansicht wird allerdings dem unbestrittenen Transparenzgebot eines Insolvenzplans nicht gerecht. Wesentliches Kriterium eines Insolvenzplans muss die Transparenz für die betroffenen Gläubiger sein, denn die Gläubiger müssen anhand der Planinhalte eine Entscheidung über Zustimmung oder Ablehnung treffen können. Berücksichtigt man die dem Insolvenzplan immanente Verzichtsfolge für Gläubigerforderungen, muss Teil der Darstellung auch sein, wie sich die Planquote herleitet. Die Relevanz der Bekanntgabe von Vergütung und Kosten wird umso deutlicher i. R. ange- 36 ordneter Eigenverwaltung. Zu einer ordnungsgemäßen Eigenverwaltungsplanung gehört die Angabe sämtlicher verfahrensrelevanten Kosten, zu denen auch die Vergütung des Insolvenzverwalters zählt, vgl. § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO. Die Anordnung der Eigenverwaltung setzt zudem gemäß § 270a Abs. 1 Nr. 5 InsO einen Verfahrenskostenvergleich zwischen der Eigenverwaltung und der Regelinsolvenz voraus. Gemäß § 270b Abs. 2 InsO führen Unzulänglichkeiten bei der Eigenverwaltungsplanung, die zu Nachteilen der Gläubiger führen, dazu, dass die Eigenverwaltung nur noch angeordnet wird, wenn der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubiger auszurichten. Ist dies nicht Fall, ist die Eigenverwaltung zu versagen. Führt die Kostenüberschreitung dazu, dass bei Fortführung der Eigenverwaltung für die Befriedigung der Gläubiger eine geringere Masse zur Verfügung steht, als dies im Regelverfahren der Fall gewesen wäre, deutet dies auf eine für die Insolvenzgläubiger nachteilige Entwicklung des Eigenverwaltungsverfahrens hin.46) Nach Ansicht des Verfassers besteht hier allerdings keine Divergenz zur Entscheidung 37 des BGH, wenn man die Entscheidung dahingehend versteht, dass lediglich einer das Insolvenzgericht bindenden Festsetzung der Vergütung im Insolvenzplan eine Absage erteilt werden soll. Der BGH erkennt das Bedürfnis für Planungssicherheit insoweit an. Dem Insolvenzverwalter stehe es frei, gegenüber allen Beteiligten eine Erklärung nach § 230 Abs. 3 InsO abzugeben, mittels derer er sich verpflichtet, keine einen bestimmten Betrag übersteigende Vergütung zu beantragen. Eine im Insolvenzplan vorgesehene Vergütung bindet den Verwalter nur, wenn er als 38 ein sog. freiwillig Planunterworfener, und damit als Dritter gemäß § 230 Abs. 3 InsO, eingebunden ist. Dieser Praxis steht auch nicht die Rechtsprechung zur Unzulässigkeit von Vergütungsvereinbarungen47) entgegen. So hat das LG Hamburg festgestellt, dass im Insolvenzplan keine Regelung über die Vergütung des Insolvenzverwalters zur Planüberwachung ___________ 45) Pleister in: KPB, InsO, § 261 Rz. 8; Braun/Frank in: Braun, InsO, § 269 Rz. 1; zum planüberwachenden Gläubigerausschuss BGH v. 6.5.2021 – IX ZB 19/20, Rz. 11, ZRI 2022, 34 = NZI 2021, 733. 46) AG Köln v. 15.11.2017 – 74 IN 103/16, ZInsO 2018, 743. 47) BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482 = NZI 2017, 260.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

vorgesehen werden kann, ohne dass eine bindende Erklärung des Verwalters i. S. von § 230 Abs. 3 InsO zum Einverständnis mit dieser Vergütung vorliegt.48) Wesentliches Motiv ist hierbei die grundsätzliche Disponibilität der Masseverteilung. Eine solche Regelung setzt jedoch zwingend die vorherige Abstimmung mit dem Gläubigerausschuss und insbesondere mit dem Insolvenzgericht voraus. Gelingt sie – wovon aufgrund des gemeinsamen Interesses aller Beteiligten an einer obstruktionsfreien „Zielgeraden“ auszugehen ist –, kann der Vergütungsantrag nach der Annahme des Plans gestellt werden. Sein Inhalt ist durch den Insolvenzplan verbindlich festgelegt, die Festsetzung aufgrund der vorherigen Einbindung des Ausschusses und des Insolvenzgerichts zu erwarten. 39 Ist der Insolvenzverwalter nicht als Dritter i. S. des § 230 Abs. 3 InsO eingebunden, so bindet die Planregelung den Insolvenzverwalter nicht. Jedoch könnte eine hiervon abweichende Antragstellung treuwidrig sein. Voraussetzung hierfür ist eine wesentliche Abweichung zu dem, was er ursprünglich als Planinitiator vorgesehen hat. Ist der Insolvenzverwalter nicht der Planinitiator, ist darauf abzustellen, ob er die Vergütungsregelung in seiner Stellungnahme (§ 232 Abs. 1 Nr. 3 InsO) unbeanstandet gelassen hat. Fehlt es hieran, liegt ebenso die erwähnte Treuwidrigkeit vor. 5.3

Festsetzung der Vergütung als Planbedingung?

40 Gleichzeitig erteilt der BGH bereits in seiner ursprünglichen Entscheidung der Möglichkeit, die Vergütungsfestsetzung als Planbedingung i. S. des § 249 Satz 1 InsO zu regeln, eine Absage.49) Planbedingungen können nur solche Umstände sein, die vor der Bestätigung des Insolvenzplans eintreten können, vgl. § 249 InsO. Das ist aber für die verbindliche Festsetzung der Vergütung des Insolvenzverwalters regelmäßig überhaupt nicht möglich, da die Festsetzung der Gesamtvergütung die Fälligkeit voraussetzt. Die Fälligkeit tritt aber im Regelfall erst mit Verfahrensbeendigung ein. Eine Verfahrensbeendigung ist erst möglich, wenn das Gericht den Insolvenzplan auch bestätigt hat. Erst mit der Bestätigung des Insolvenzplans wird die Aufhebung des Verfahrens ermöglicht. Wie der BGH später klarstellt, ist auch die Fälligkeit als solche einer abweichenden Planregelung nicht zugänglich.50) Somit scheidet eine Festsetzung der endgültigen Vergütung vor der Bestätigung des Insolvenzplans insgesamt aus. 5.4

Festlegung der Vergütung von Gläubigerausschussmitgliedern im Insolvenzplan

41 Zu der Frage, ob die Vergütung der Gläubigerausschussmitglieder aus der Zeit vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens im Insolvenzplan abweichend von §§ 73, 64 Abs. 1, 65 InsO, § 17 InsVV geregelt werden kann, existiert – soweit ersichtlich – keine Rechtsprechung, jedenfalls nicht unmittelbar. Anbetracht der Tatsache, dass nach der Rechtsprechung des BGH eine konstitutive Festlegung der Verwaltervergütung i. R. eines Insolvenzplans § 217 InsO widerspricht und damit unzulässig ist,51) dürfte Entsprechendes auch für die Mitglieder eines „klassischen“ Gläubigerausschusses (§ 67 InsO) gelten. Nichts anderes folgt aus der Entscheidung des BGH zur Zulässigkeit von privatautonomen Vergütungsvereinbarungen zwischen dem Schuldner und den Ausschussmitgliedern i. R. der Planüberwachung.52) Der BGH deutet an, dass es sich bei der Vergütung der Ausschussmitglieder ebenfalls um ___________ 48) 49) 50) 51) 52)

LG Hamburg v. 7.2.2018 – 326 T 120/16, NZI 2018, 261 m. Anm. Madaus. BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017, 482= NZI 2017, 260. BGH v. 11.11.2021 – IX ZB 19/20, ZRI 2022, 34 = NZI 2021, 733, dazu EWiR 2022, 85 (Madaus). BGH v. 16.2.2017 – IX ZB 103/15, ZIP 2017 482 = NZI 2017, 260. BGH v. 6.5.2021 – IX ZB 19/20, ZRI 2022, 34 = NZI 2021, 733 m. Anm. Freitag/Braukmann.

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§ 39

Aufhebung des Insolvenzverfahrens

Verfahrenskosten und damit um Masseverbindlichkeiten (§§ 53, 54 Abs. 2 InsO) handelt.53) Zudem sei der Gläubigerausschuss i. R. seiner Tätigkeiten ebenfalls zur Neutralität verpflichtet, wenngleich er nicht wie ein Insolvenzverwalter hoheitlich handeln könne. Die besseren Gründe sprechen demnach für eine parallele Handhabe. Eine abschließende Beurteilung konnte der BGH letztlich offenlassen, weil der im zugrunde liegenden Fall im Insolvenzplan als „Gläubigerausschuss“ bezeichnete Ausschuss tatsächlich ein mit der Planüberwachung beauftragter „Planüberwachungsausschuss“ war, der überdies nicht als solcher gemäß § 261 Abs. 1 Satz 2 InsO fortbestand, sondern nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens aufgrund privatautonomer Vereinbarung errichtet wurde.54) Der Insolvenzplan sah also eine dem gesetzlichen Leitbild abweichende Regelung vor und 42 verwies insoweit auf eine noch zu treffende Vergütungsvereinbarung. Der BGH führt aus, dass in Bezug auf die Vergütung der mit der Überwachung der Planerfüllung betrauten Ausschussmitglieder weitgehende Vertrags- und Gestaltungsfreiheit herrscht. Sie ist eine Konsequenz des § 259 Abs. 1 Satz 2 InsO, wonach der Schuldner mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens das Recht zurückerhält, frei über sein Vermögen zu verfügen. Dies umfasst auch den Abschluss privatrechtlicher Geschäftsbesorgungsverhältnisse. Nach Auffassung des BGH trifft keine der Gründe, die gegen die Vereinbarung der Verwaltervergütung sprechen, auf den planüberwachenden Gläubigerausschuss zu. Auch die Vergütung eines durch den Schuldner mit der Planüberwachung beauftragten Sachwalters richtet sich nach den privatautonom getroffenen Regelungen. Für die Erfüllung haftet der Schuldner mit seinem eigenen Vermögen, eine planfeste Masseverbindlichkeit wird gerade nicht begründet. Für den nach § 261 Abs. 1 Satz 2 InsO fortbestehenden Gläubigerausschuss bleibt es hingegen bei einer (nachträglichen) Festsetzungskompetenz des Gerichs (§§ 269, 73, 64 Abs. 1 InsO, §§ 8, 6 Abs. 2 InsVV). Weil es sich bei § 269 InsO um dispositives Recht handelt, dürfte eine abweichende Regelung im Insolvenzplan aber auch hier zulässig sein.55) 6.

Begleichung oder Sicherstellung von Masseansprüchen (§ 258 Abs. 2 InsO)

Untersucht man die Voraussetzungen zur Verfahrensaufhebung im Planverfahren, so kommt 43 das größte materiell-rechtliche, aber auch praktische Gewicht dem Umgang mit den sonstigen Masseverbindlichkeiten zu. 6.1

Norminhalt

Vor der Aufhebung hat der Verwalter die unstreitigen fälligen Masseansprüche zu berich- 44 tigen und für die streitigen oder nicht fälligen Forderungen Sicherheit zu leisten. Die praktische Bedeutung dieser Regelung ist unverkennbar: Sind die fälligen Masseforderungen nicht berichtigt und die notwendigen Sicherheiten bzw. Rückstellungen nicht gebildet und dem Insolvenzgericht nicht in geeigneter Weise nachgewiesen, so wird das Gericht das Verfahren nicht aufheben. Abhängig hiervon können für diesen Zeitpunkt vereinbarte Sanierungsmaßnahmen (leistungswirtschaftliche Maßnahmen, Kapitalerhöhung etc.) nicht umgesetzt werden. Außerdem bleiben der Insolvenzmakel „im Raum“ und die Plandurchführung bei zeitlichen Verzögerungen gefährdet.

___________ 53) BGH v. 6.5.2021 – IX ZB 19/20, Rz. 19, ZRI 2022, 34 = NZI 2021, 733. 54) Zur Zulässigkeit neuer und nur für die Überwachung gebildeter Ausschüsse Pleister in: KPB, InsO, § 261 Rz. 15. 55) Pape, WuB 2021, 417, 420.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf Erfüllung unstreitiger fälliger Masseansprüche

45 Die gesetzliche Verpflichtung, Masseverbindlichkeiten vor Verfahrensaufhebung zu berichtigen, ist unmissverständlich von der Fälligkeit des Masseanspruchs abhängig.56) Damit hat sich die vor Inkrafttreten des ESUG geführte Diskussion, ob unter § 258 Abs. 2 InsO a. F. auch nicht fällige Masseverbindlichkeiten fallen, erledigt. Nur bezogen auf fällige Masseverbindlichkeiten werden Zahlungen sowie (Zahlungs-)Nachweise erforderlich und entsprechende Einwände der Nichterfüllung denkbar sein. 46 Dem Insolvenzverwalter bleibt weiter eine individuelle Regelung mit dem Massegläubiger möglich, auf deren Grundlage eine (Teil-)Zahlung für einen Zeitpunkt nach Verfahrensaufhebung vereinbart werden kann. Die Anforderungen an eine solche Vereinbarung orientieren sich streng an den zivilrechtlichen Voraussetzungen für eine wirksame Stundung bzw. ganz allgemein an den Maßnahmen zur Beseitigung der Fälligkeit.57) Keinesfalls wird es genügen – in Anlehnung an den Begriff der Zahlungsunfähigkeit –, dass der Masseanspruch nicht ernstlich eingefordert wird. 47 Der Insolvenzverwalter ist gut beraten, eine solche Stundung ausreichend zu dokumentieren, um dem etwaigen Fälligkeitseinwand und Berichtigungsverlangen erfolgreich begegnen zu können. Nur dann genügt eine Sicherheitsleistung bzw. die Vorlage einer Finanzplanung (siehe Rz. 48 ff. bzw. Rz. 54 ff.). 6.3

Sicherheitsleistung bei streitigen Masseansprüchen

48 Soweit Masseansprüche streitig sind, hat der Insolvenzverwalter vor der Aufhebung des Verfahrens Sicherheit zu leisten, § 258 Abs. 2 InsO. Gleiches gilt für Masseansprüche, die aufschiebend bedingt, betagt oder der Höhe nach noch ungewiss sind.58) Zur Möglichkeit der Sicherheitsleistung bei streitigen Masseansprüchen durch Vorlage eines Finanzplans siehe nachstehend Rz. 54. 49 Die Norm enthält keine Regelung zu der Frage, in welcher Form Sicherheit geleistet werden muss. Diese Frage hat – soweit ersichtlich – die Gerichte noch nicht beschäftigt. Der bereits zum Zwangsvergleich59) anerkannte Rückgriff auf die §§ 232 ff. BGB scheint daher berechtigt.60) Sicherheitsleistung kann hiernach bewirkt werden durch61) 

Hinterlegung von Geld oder Wertpapieren (§§ 233 f. BGB),



Verpfändung von (schuldbuchmäßig oder hypothekarisch gesicherten) Forderungen (§§ 236, 238 BGB),



Bestellung von Schiffshypotheken (§ 237 BGB) oder



Bürgschaft (§ 232 Abs. 2, § 239 BGB).

50 Ebenso genügen werthaltige dingliche Sicherheiten zugunsten der jeweiligen Gläubiger aus dem Schuldnervermögen oder von Dritten.62) 51 Ebenso muss aus Sicht der Insolvenzpraxis ein Einbehalt bei der Verteilung und dessen Behandlung als Sondermasse als ausreichende Sicherheitsleistung i. S. des § 258 Abs. 2 InsO angesehen werden. Die Anforderungen an das hiermit verbundene Separieren von Bank___________ 56) 57) 58) 59) 60) 61) 62)

Pape, ZInsO 2010, 2155, 2162. Grüneberg in: Grüneberg, BGB, § 271 Rz. 12. Spahlinger in: KPB, InsO, § 258 Rz. 21. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 258 Rz. 8. Spahlinger in: KPB, InsO, § 258 Rz. 15. Ellenberger in: Grüneberg, BGB, § 232 Rz. 3. Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 258 Rz. 12.

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Aufhebung des Insolvenzverfahrens

guthaben werden in der Literatur indes unterschiedlich streng formuliert. Sie reichen vom bloßen Separieren auf einem gesonderten Treuhandkonto (ohne dingliche Komponente) über das Erfordernis der Zustimmung des Insolvenzverwalters (i. R. der Planüberwachung) bei beabsichtigten Verfügungen63) bis hin zur Schaffung eines Sondervermögens mit individueller Gläubigerzuordnung zur Begründung von Aussonderungsrechten i. R. einer doppelnützigen Treuhand.64) Konkret stellt sich die Frage, ob die strengen Anforderungen an die Hinterlegung (§§ 232 f. BGB) gelten, mithin eine Gesamthinterlegung unzulässig und eine eigenständige Absicherung des jeweiligen Massegläubigers zur Ermöglichung einer isolierten Sicherheitenverwertung erforderlich ist. Für den Zwangsvergleich und die Fassung vor Inkrafttreten des ESUG wird dies gefordert und eine Gesamthinterlegung durch die Bildung einer Sondermasse als unzulässig erachtet.65) Teile der Literatur halten An dieser Auffassung auch nach der Neufassung des § 258 Abs. 2 InsO durch das ESUG fest.66) Eine Gesamthinterlegung ist nach Änderung des § 258 Abs. 2 InsO durch das ESUG für 52 zulässig zu erachten, sofern Verfügungen über das (nicht zwingend mit dinglicher Komponente) separierte Vermögen (Bankguthaben) nur mit Zustimmung des Insolvenzverwalters (i. R. der Planüberwachung) zulässig sind. Bei einer Orientierung des Begriffs „Sicherheitsleistung“ an den Anforderungen der §§ 232 ff. BGB wird man zwar nicht ernstlich eine Änderung durch das ESUG als gewollt ansehen können. Es erscheint jedoch fraglich, ob diese inhaltliche Orientierung an §§ 232 ff. BGB zwingend bzw. gewollt ist. Vertretbar ist sie mit Rücksicht auf Wortlaut und Historie zweifelsohne. Der Umfang der Änderungen in § 258 Abs. 2 InsO könnte dagegen sprechen. So lässt der Gesetzgeber in § 258 Abs. 2 Satz 2 InsO in Bezug auf nicht fällige Forderungen die Vorlage einer Finanzplanung genügen. Aus dem Finanzplan muss sich lediglich ergeben, dass die Erfüllung der Forderungen gewährleistet ist. Hiermit stehen sich unvergleichbare Anforderungen an die Art und Weise der Sicherheitsleistung gegenüber. Sie sind auch nicht (allein) durch die Unterscheidung von nicht fälligen Forderungen einerseits und streitigen Forderungen andererseits zu rechtfertigen. Denn anders als bei einer streitigen Forderung steht bei einer nicht fälligen Forderung fest, dass sie – wenn auch nur beizeiten – erfüllt werden muss.67) Diesen Umstand nehmen Literaturstimmen zum ESUG zum Anlass, im Wege eines „Erst-recht-Schlusses“ die Anwendung des § 258 Abs. 2 Satz 2 BGB auf streitige Forderungen zu begründen.68) Auch wenn dies mit Rücksicht auf den eindeutigen Wortlaut und die Begründung des Gesetzgebers69) zumindest zweifelhaft erscheint, so genügt der „Erst-recht-Schluss“ jedenfalls für die Annahme der Zulässigkeit der Gesamthinterlegung. Aber auch über die Gesamthinterlegung hinaus sollte der „Erst-recht-Schluss“ die Möglich- 53 keit der Vorlage einer Finanzplanung bei streitigen Verbindlichkeiten genügen lassen.70) Es ist schlechterdings kein Grund ersichtlich, warum der Insolvenzverwalter für die streitigen Forderungen immer eine Sicherheit erbringen muss, während für die nicht fälligen Masseansprüche ein Finanzplan genügen soll.71) Auch der Gesetzesbegründung ist ein solcher ___________ 63) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 258 Rz. 8. 64) Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 258 Rz. 12. 65) Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 258 Rz. 7; Spahlinger in: KPB, InsO, § 258 Rz. 15, der die Vorschriften der §§ 232 ff. BGB entsprechend anwenden möchte, aber auch Abweichungen davon zulässt, solange der Sicherungszweck gewahrt ist. 66) Huber/Madaus in: MünchKomm-InsO, § 258 Rz. 17; Braun in: Nerlich/Römermann, InsO, § 258 Rz. 4. 67) Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 514. 68) Pape, ZInsO 2010, 2155, 2162. 69) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 55. 70) Spahlinger in: KPB, InsO, § 258 Rz. 21; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 258 Rz. 17. 71) Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 514.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

Grund nicht zu entnehmen. Insoweit wird in der Literatur auch nach Inkrafttreten des ESUG nachvollziehbar ein Redaktionsversehen angenommen und § 258 Abs. 2 Satz 2 InsO („Erfüllungsgewährleistung“) über die nicht fälligen Masseforderungen hinaus auch auf streitige Masseforderungen angewandt. 6.4

Sicherheitsleistung bei nicht fälligen Masseansprüchen – Abwendung durch Finanzplan

54 Für nicht fällige Masseansprüche gilt hinsichtlich der Möglichkeit der Sicherheitsleistung das zuvor Gesagte. Anders als bei streitigen Masseverbindlichkeiten – jedenfalls nach dem eindeutigen Wortlaut72) – hat der Insolvenzverwalter bei nicht fälligen Masseansprüchen zusätzlich die Möglichkeit, einen Finanzplan vorzulegen, aus dem sich ergibt, dass die Erfüllung gewährleistet ist. Die Vorlage des Finanzplans befreit den Insolvenzverwalter von der Notwendigkeit einer Sicherheitsleistung. 55 Die Regelung des § 258 Abs. 2 InsO gilt auch für Sozialplanansprüche73) und Steuerverbindlichkeiten aus Sanierungsgewinnen. Gerade Letztere können die erfolgreiche Sanierung bei hohen Gläubigerverzichten gefährden. Soweit weder eine Sicherheitsleistung noch eine Darstellung im Insolvenzplan unter Liquiditätsgesichtspunkten möglich ist, verbleibt lediglich die Möglichkeit einer Planbedingung, gerichtet auf einen Erlass von Sanierungsgewinnen aufgrund des Sanierungserlasses, was freilich nach der Entscheidung des BFH74) derzeit kaum zu erreichen ist. Hieran vermögen auch die Ausführungen im BMF-Schreiben vom 29.3.201875) nichts zu ändern, da sich dieses auf Altfälle bezieht. 56 Bei der Erstellung des Finanzplans ist an den nach § 229 Satz 2 InsO erforderlichen Ergebnis- und Finanzplan anzuknüpfen. In diesem ist grundsätzlich darzustellen, welche Aufwendungen und Erträge in dem Zeitraum, in dem die Gläubiger befriedigt werden sollen, zu erwarten sind und durch welche Abfolge von Einnahmen und Ausgaben die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens während dieses Zeitraums gewährleistet werden soll.76) Für die Zwecke des § 258 Abs. 2 Satz 2 InsO dürfte eine Individualisierung der Massegläubiger und eine Ausweitung des Zeitraums zu fordern sein, wenn Fälligkeiten außerhalb des für die Befriedigung der Insolvenzgläubiger vorgesehenen Zeitraums liegen. Im Übrigen sind kaum Sachverhalte zu erkennen, in denen nicht mit der (fortzuschreibenden) Ergebnis- und Finanzplanung nach § 229 Satz 2 InsO auch die Anforderungen des § 258 Abs. 2 Satz 2 InsO erfüllt werden können. 57 Vor diesem Hintergrund der Anlehnung an die ohnehin erforderliche Ergebnis- und Finanzplanung hat sich in der Literatur – soweit ersichtlich – keine vertiefte Diskussion zu Qualitätsanforderungen an diese „Erfüllungsgewährleistung“ i. R. des § 258 Abs. 2 Satz 2 InsO entwickelt. Die Bandbreite reicht von „belastbarer Liquiditätsrechnung“77) bis hin zur „integrierten Finanzplanung“ bei nicht ganz kleinen Unternehmen78). Ein bloßer Liquiditätsstatus erfüllt die Anforderungen an einen Finanzplan jedoch nach Ansicht des LAG Düssel___________ 72) Anders Spahlinger in: KPB, InsO, § 258 Rz. 21, der mit guten Argumenten die Vorlage eines Finanzplans auch bei streitigen Masseverbindlichkeiten zulässt. Ebenso Thies in: HambKomm-InsO, § 258 Rz. 13. 73) LAG Düsseldorf v. 19.3.2015 – 13 Sa 1222/14, ZIP 2015, 1743 = NZI 2015, 722. 74) BFH v. 28.11.2016 – GrS 1/15, ZIP 2017, 338 = ZInsO 2017, 340, dazu EWiR 2017, 149 (Möhlenkamp); Stadler, NZI 2018, 49. 75) BMF-Schreiben v. 29.3.2018 – IV C 6 – S 2140/13/10003, BStBl. I 2018, 588; s. dazu aber auch BFH v. 16.4.2018 – X B 13/18, ZIP 2018, 1360, sowie unten Kahlert, HRI II, § 47 Rz. 170 ff., 172. 76) Kebekus/Handschumacher in: Graf-Schlicker, InsO, § 229 Rz. 3. 77) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 37; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 258 Rz. 15. 78) Rendels/Zabel, Insolvenzplan, Rz. 551.

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Aufhebung des Insolvenzverfahrens

dorf zu Recht nicht.79) Angesichts der Bedeutung der Finanzplanung für den Erfolg der Sanierung einerseits sowie für die Erfüllbarkeit des Insolvenzplans andererseits empfiehlt es sich in der Praxis, eindeutig eine integrierte Finanzplanung vorzulegen. Der Aufgabenbereich des Insolvenzverwalters umfasst auch die Pflicht zur Erfüllung von 58 Masseverbindlichkeiten; eine haftungsrechtlich relevante Verantwortlichkeit des Insolvenzverwalters für das Erstellen eines Finanzplans verneint das LAG Düsseldorf in der vorstehend bereits genannten Entscheidung jedoch. Vielmehr habe das Insolvenzgericht zu prüfen, ob die vorgelegten Unterlagen die Anforderungen an einen Finanzplan gemäß § 258 Abs. 2 InsO erfüllen. Im zugrunde liegenden Sachverhalt wurde dem Insolvenzverwalter der Vorwurf gemacht, er habe eine Pflicht gemäß § 60 InsO verletzt, indem er für die begründete Masseverbindlichkeit weder Sicherheit geleistet noch eine in die Zukunft gerichtete Finanzplanung vorgelegt habe. Das Gericht sieht im vorliegenden Fall jedoch keine Pflichtverletzung des Verwalters und führt diesbezüglich aus, dass § 258 Abs. 2 Satz 2 InsO keineswegs dem Insolvenzverwalter die Aufgabe zuweist, einen Finanzplan zu erstellen.80) Denn im Gesetz heißt es, dass ein Finanzplan vorgelegt werden kann, nicht hingegen, dass der Insolvenzverwalter einen solchen anstelle einer Sicherheitsleistung vorzulegen hat. Voraussetzung für die Aufhebung des Insolvenzverfahrens sei deshalb nur, dass dem Insolvenzgericht ein Finanzplan i. S. des § 258 Abs. 2 Satz 2 InsO vorliege. Demnach obliegt auch die Prüfung, ob die dem Insolvenzgericht insgesamt vorliegenden Daten und Unterlagen den Anforderungen an einen Finanzplan erfüllen, nicht dem Insolvenzverwalter, sondern dem Insolvenzgericht. Wenn das Gericht der Auffassung ist, dass ein hinreichender Finanzplan nicht vorliegt, dann kann der Verwalter darauf vertrauen, dass das Gericht ihn dazu auffordern wird, Sicherheit zu leisten.81) Die Argumentation des LAG Düsseldorf greift aus Sicht des Verfassers zu kurz. Das bloße 59 Rekurrieren auf § 258 Abs. 2 Satz 2 InsO bildet die dort geregelten Verantwortlichkeiten nicht umfassend ab, denn in § 258 Abs. 2 Satz 1 InsO heißt es: „Vor der Aufhebung hat der Verwalter die unstreitigen fälligen Masseverbindlichkeiten zu berichtigen und für die streitigen oder nicht fälligen Sicherheit zu leisten.“ § 258 Abs. 2 Satz 2 InsO stellt insoweit lediglich eine Alternative zur Pflicht des Verwalters zur Sicherheitsleistung i. S. des Satzes 1 dar. In der Konsequenz dürfte die zentrale Verantwortlichkeit beim Insolvenzverwalter – in der Eigenverwaltung beim Schuldner und Sachwalter – liegen, wenn er das Vorgehen gemäß § 258 Abs. 2 Satz 2 InsO, d. h. die Vorlage eines Finanzplans statt der Sicherheitsleistung wählt. Ob hiermit zugleich eine Aussage zum „Ob“ und “Wie“ einer potentiellen Haftung bei Vorlage keines oder eines unzulänglichen Finanzplans verbunden ist, bleibt der weiteren Konkretisierung durch die Rechtsprechung vorbehalten. 6.5

Aktivlegitimation hinsichtlich streitiger Masseforderungen

Insbesondere für die Fallgruppe streitiger Masseforderungen stellt sich die Frage, wer auf 60 Seiten des (insolventen) Schuldners nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens legitimiert sein soll, sich mit den Massegläubigern wegen der Masseforderungen und der gewährten Sicherheiten streitig auseinanderzusetzen: der Insolvenzverwalter oder der Schuldner selbst. Diese Frage stellt sich genauso für nicht fällige Ansprüche, sofern diese – oder deren Absicherung, wenn ein Finanzplan vorgelegt worden ist – streitig werden.

___________ 79) LAG Düsseldorf v. 19.3.2015 – 13 Sa 1222/14, ZIP 2015, 1743 = NZI 2015, 722. 80) LAG Düsseldorf v. 19.3.2015 – 13 Sa 1222/14, ZIP 2015, 1743 = NZI 2015, 722; a. A Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 258 Rz. 13. 81) LAG Düsseldorf v. 19.3.2015 – 13 Sa 1222/14, ZIP 2015, 1743 = NZI 2015, 722.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

61 In der Literatur und Rechtsprechung wird beides vertreten. Für die Aktivlegitimation des Insolvenzverwalters wird die Tatsache bemüht, dass sich solche Ansprüche regelmäßig aus Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters ergeben und es nicht angemessen wäre, den Massegläubiger auf den Schuldner zu verweisen.82) Rechtliche Grundlage der angenommenen und über den allgemeinen Verlust der Verfügungs- und Prozessführungsbefugnis nach § 259 Abs. 1 Satz 2 InsO hinaus anhaltenden (Teil-)Legitimation soll die analoge Anwendung der Regeln über die Nachtragsverteilung gemäß §§ 203, 205 InsO sein. 62 Dem wird von anderer Seite zu Recht der vollständige Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis vom Insolvenzverwalter auf den Schuldner nach § 259 Abs. 1 Satz 2 InsO entgegengehalten.83) Hieran könnten auch die Regelungen der §§ 203, 205 InsO nichts ändern. Denn die Möglichkeit der Nachtragsverteilung werde vom Gesetzgeber im Planverfahren gerade nicht vorgesehen. Aufgrund der damit fehlenden Analogiefähigkeit und der Rechtszuständigkeit des Schuldners gemäß § 259 Abs. 1 Satz 2 InsO fehle es für eine Aktivlegitimation des Insolvenzverwalters an einer rechtlichen Grundlage. 63 Nach zutreffender Ansicht hat nach Verfahrensaufhebung aufgrund der Wirkungen des § 259 Abs. 1 Satz 2 InsO der Schuldner selbst etwaige Streitfragen im Zusammenhang mit der materiellen Berechtigung von Masseansprüchen und den für sie gestellten Sicherheiten mit dem Massegläubiger zu klären.84) Der Insolvenzverwalter ist weder aktiv- noch passivlegitimiert. Eine analoge Anwendung der §§ 203, 205 InsO kommt nicht in Betracht. 6.6

Disponibilität

64 Individuelle Vereinbarungen mit Massegläubigern waren früher insbesondere dann erforderlich, wenn vor Verfahrensaufhebung die Berichtigung auch nicht fälliger Masseforderungen aus der Betriebsfortführung verlangt wurde und dies liquiditätsmäßig nicht darstellbar war. Dann konnte mit Zustimmung des Massegläubigers das Erfordernis nach § 258 Abs. 2 InsO abbedungen werden.85) An dieser grundsätzlichen Disponibilität hat sich mit Inkrafttreten des ESUG nichts geändert. Jedoch ist durch die Klarstellung in § 258 Abs. 2 Satz 1 InsO und die Neuregelung in Satz 2 InsO das praktische Bedürfnis für entsprechende Vereinbarungen durch die Möglichkeit der Vorlage eines Finanzplans geringer. 6.7

Insolvenzplan bei Masseunzulänglichkeit bzw. im Fall des § 210a InsO

65 Nach § 258 Abs. 2 InsO setzt die Aufhebung des Verfahrens voraus, dass der Verwalter die unstreitigen Masseansprüche berichtigt hat und zwar vollständig; ein Insolvenzplanverfahren ist daher bei Masseunzulänglichkeit nach dem Wortlaut des § 258 Abs. 2 InsO ausgeschlossen. Seit dem ESUG ist die Masseunzulänglichkeit allerdings kein Hinderungsgrund mehr; gemäß § 210a InsO verschiebt sich nur die Befriedigungsreihenfolge; (wegen der Einzelheiten siehe Schultze, HRI II, § 41 Rz. 48 ff.). 66 Die Zulässigkeit der Plansanierung im Zustand der Masseunzulänglichkeit hat auch Auswirkungen auf den Anwendungsbereich des § 258 Abs. 2 InsO. Für diesen muss im Grundsatz zunächst festgehalten werden, dass die Regelung des § 258 Abs. 2 InsO sämtliche Masseverbindlichkeiten erfasst, soweit mit dem Massegläubiger keine abweichenden Ver___________ 82) AG Duisburg v. 1.4.2003 – 62 IN 187/02, NZI 2003, 447; Breutigam in: Blersch/Goetsch/Haas, InsR, § 258 InsO Rz. 6. 83) OLG Celle v. 20.11.2006 – 4 U 166/06, ZIP 2006, 2394 = ZInsO 2006, 1327, dazu EWiR 2007, 87 (Bähr/Landry); Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 258 Rz. 9. 84) Thies in: HambKomm-InsO, § 258 Rz. 16; Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 258 Rz. 9; Spahlinger in: KPB, InsO, § 258 Rz. 8. 85) Thies in: HambKomm-InsO, § 258 Rz. 6; Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 258 Rz. 7; Huber in: MünchKomm-InsO, § 258 Rz. 11; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 258 Rz. 9.

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Aufhebung des Insolvenzverfahrens

einbarungen getroffen wurden.86) Bei Masseunzulänglichkeit ändert sich der Anwendungsbereich. Dann treten die Altmassegläubiger (§ 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO) an die Stelle der Insolvenzgläubiger, so dass sich § 258 Abs. 2 InsO nur auf die nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit entstandenen Neumasseverbindlichkeiten bezieht. Innerhalb dieser muss dann entsprechend § 258 Abs. 2 InsO zwischen den fälligen, künftig fälligen und streitigen differenziert werden. III.

Verfahren zur Aufhebung

Sind die zur Vorbereitung der Verfahrensaufhebung erforderlichen Maßnahmen erledigt, 67 kann das Verfahren zur Aufhebung eingeleitet werden. Dieses stellt sich von der Art der Entscheidung über ihren Zeitpunkt bis hin zur Rechtsmittelfähigkeit folgendermaßen dar: 1.

„Art der Entscheidung“ – Aufhebungsbeschluss und funktionelle Zuständigkeit

Die Aufhebung des Insolvenzverfahrens gemäß § 258 Abs. 1 InsO erfolgt durch Beschluss 68 des Insolvenzgerichts. Funktionell zuständig ist gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG der Insolvenzrichter. 2.

Zeitpunkt der Entscheidung

Gemäß § 258 Abs. 1 InsO beschließt das Gericht die Aufhebung des Insolvenzverfahrens, 69 „sobald“ die Bestätigung des Insolvenzplans rechtskräftig ist. Die Literatur schließt hieraus zu Recht den gesetzgeberischen Willen, dass auf eine beschleunigte Aufhebung und damit Erledigung hingewirkt wird.87) In anderen Worten ausgedrückt soll nach diesen Vorstellungen die Aufhebung „unverzüglich“,88) „möglichst bald“89) bzw. „alsbald“90) erfolgen. So unbestimmt diese Formulierungen auch sind, so ist allen der gemeinsame Nenner zu ent- 70 nehmen, dass auf die schnellstmögliche Aufhebung hinzuwirken ist. Die Verwirklichung des Interesses an einer beschleunigten Beendigung hängt von der Erledigung der zuvor erforderlichen Aufgaben – insbesondere im Zusammenhang mit § 258 Abs. 2 InsO – und deren ordnungsgemäßer Überwachung durch das Insolvenzgericht ab. Vor diesem Hintergrund steht und fällt der Zeitpunkt der Aufhebung mit der Einschätzung der Beteiligten hinsichtlich des zeitlichen Umfangs der beschriebenen Vorarbeiten. Dies gilt aus verschiedenen Gründen – insbesondere aber wegen der fortwährenden Begründung neuer Masseverbindlichkeiten – in besonderer Weise bei laufenden Geschäftsbetrieben. Die Einschätzung muss in erster Linie vom Insolvenzverwalter in Ansehung der Massever- 71 bindlichkeiten formuliert werden. Dies wiederum setzt eine frühzeitige Kommunikation mit den Massegläubigern voraus. Hieran schließt sich eine Abstimmung zwischen Schuldner, Insolvenzverwalter, Insolvenzgericht und ggf. Übernahmegesellschaft an. Ziel dieser Abstimmung sollte die frühzeitige Festlegung eines genauen Zeitpunkts sein. Hierbei wiederum können zur Vereinfachung der steuerlichen Arbeiten und der erforderlichen Abgrenzung bestimmte Zeitpunkte (30.6. bzw. 31.12.) besonders dienlich sein und daher zu Meilensteinen in der Zeitplanung werden. Ein Antrag an das Insolvenzgericht zur Aufhebung des Verfahrens ist nicht notwendig. 72 Es müssen jedoch die Nachweise nach § 258 Abs. 2 InsO geführt und/oder ein Finanzplan ___________ 86) 87) 88) 89) 90)

Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 258 Rz. 9. Spahlinger in: KPB, InsO, § 258 Rz. 4. Thies in: HambKomm-InsO, § 258 Rz. 19. Lüer/Streit in: Uhlenbruck, InsO, § 258 Rz. 3. Spliedt in: K. Schmidt, InsO, § 258 Rz. 3.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

vorgelegt werden. In Ansehung des regelmäßig vorherrschenden Interesses an einer schnellen Aufhebung des Verfahrens, erscheint es daher sinnvoll, zugleich mit dem Nachweis der Voraussetzungen des § 258 Abs. 2 InsO eine Anregung an das Insolvenzgericht für den gewünschten Aufhebungszeitpunkt zu formulieren. So kann dies bspw. aus buchhalterischen Gründen auf den ersten Tag des Monats gerichtet sein. Eine entsprechende Anregung an das Insolvenzgericht kann lauten: „In obiger Angelegenheit regen wir im Nachgang zum Erörterungs- und Abstimmungstermin vom […], in dem der vorgelegte Insolvenzplan der Schuldnerin vom […] bestätigt wurde, an, das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Muster GmbH & Co. KG gemäß § 258 Abs. 1 InsO am […] aufzuheben. 3.

Wirksamwerden der Aufhebung

73 Nach der Neufassung des § 258 Abs. 3 InsO durch das SanInsFoG regelt nun Satz 1 der Vorschrift, dass der Aufhebungsbeschluss den Zeitpunkt bestimmen soll, an dem dieser wirksam wird. Der Zeitpunkt soll frühestens zwei Tage nach der Beschlussfassung liegen. Bestimmt der Beschluss keinen Aufhebungszeitpunkt, wird die Aufhebung gemäß Abs. 3 Satz 5 wirksam, sobald nach dem Tag der Veröffentlichung zwei weitere Tage verstrichen sind. Die Anwendung der durch Satz 1 vorgesehenen Zeitbestimmung ermöglicht dem Gericht die genaue Angabe des Zeitpunkts, an dem der Aufhebungsbeschluss wirksam wird und die Wirkungen des § 259 InsO eintreten. Dies schafft sowohl Flexibilität als auch Rechtsklarheit. 4.

Bekanntmachung

74 Der Beschluss und der Grund der Aufhebung sind öffentlich bekannt zu machen (§ 258 Abs. 3 Satz 2 InsO). Die Bekanntmachung geschieht gemäß § 9 Abs. 1 und 2 InsO. Ist der Zeitpunkt, an dem der Aufhebungsbeschluss wirksam wird, nach § 258 Abs. 3 Satz 1 InsO im Beschluss bestimmt, ist es unerheblich, zu welchem Zeitpunkt die öffentliche Bekanntmachung erfolgt.91) Unterbleibt eine solche Bekanntgabe, ist diese (weiterhin) für das Wirksamwerden des Beschlusses maßgebend. § 258 Abs. 3 Satz 5 InsO regelt insoweit, dass die Aufhebung erst wirksam wird, sobald nach dem Tag der Veröffentlichung zwei weitere Tage verstrichen sind (so schon § 9 Abs. 1 Satz 3 InsO).92) 5.

Registereintragungen

75 Gemäß § 258 Abs. 3 Satz 4 InsO gelten die §§ 31 bis 33 InsO entsprechend. Die in Bezug genommenen Vorschriften sehen vor, dass die Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts die Verfahrensaufhebung dem Registergericht zu übermitteln (§ 31 InsO) sowie das Grundbuchamt um Löschung der Eintragung des Insolvenzeröffnungsbeschlusses im Grundbuch (§ 32 Abs. 2) bzw. das Registergericht um Löschung im Register für Schiffe, Schiffsbauwerke oder Luftfahrzeuge (§§ 32 Abs. 2, 33 InsO) zu ersuchen hat. Anstelle des Insolvenzgerichts kann jeweils auch der Insolvenzverwalter das Löschungsersuchen stellen (§ 32 Abs. 3 Satz 2 InsO). Hierzu bleibt er auch nach Verfahrensaufhebung befugt. Dann jedoch ist der Schuldner zusätzlich befugt, den Antrag auf Löschung der Eintragung des Insolvenzeröffnungsbeschlusses bei der jeweiligen Behörde zu stellen.93) 76 Mit der Neufassung des § 258 Abs. 3 Satz 4 InsO durch das SanInsFoG geht keine inhaltliche Neuerung einher. Anstatt über den „Umweg“ des § 200 Abs 2 Satz 2 InsO (vgl. noch ___________ 91) Spahlinger in: KPB, InsO, § 258 Rz. 7a. 92) Spahlinger in: KPB, InsO, § 258 Rz. 7b. 93) Wegener in: Uhlenbruck, InsO, § 200 Rz. 11.

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Aufhebung des Insolvenzverfahrens

§ 258 Abs. 3 Satz 3 InsO a. F.) gelangen die §§ 31 bis 33 InsO nunmehr unmittelbar zur Anwendung. Die Verschiebung der Vorschrift geht auf die weiteren Angaben zurück, die der Aufhebungsbeschluss seit dem SanInsFoG enthalten soll (siehe dazu Rz. 73). 6.

Unterrichtungspflichten

Gemäß § 258 Abs. 3 Satz 2 InsO sind der Schuldner, der Insolvenzverwalter und die Mit- 77 glieder des Gläubigerausschusses vorab über den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Aufhebung zu unterrichten. Jedenfalls mit dem Schuldner und dem Insolvenzverwalter ist darüber hinaus die Abstimmung tunlich und der Sache aus den beschriebenen Gründen – insbesondere Befriedigung der Massegläubiger – dienlich. 7.

Rechtsbehelf

Die Rechtsmittelfähigkeit ist maßgeblich durch die funktionelle Zuständigkeit geprägt. 78 Grundsätzlich ist gegen die durch Beschluss erfolgende Aufhebung gemäß § 6 InsO mangels gesetzlicher Anordnung keine sofortige Beschwerde und damit kein Rechtsmittel statthaft. Funktional zuständig ist grundsätzlich der Insolvenzrichter. Wenn der Plan allerdings eine 79 von § 258 InsO abweichende Regelung vorsieht, die den Zusammenhang zwischen Planbestätigung und Aufhebung des Insolvenzverfahrens beseitigt, dann ist ausnahmsweise der Rechtspfleger zuständig.94) In diesem Falle ist die befristete Erinnerung gemäß § 11 Abs. 2 RPflG statthaft.95) IV.

Wirkungen der Aufhebung (§ 259 InsO)

Mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens erlöschen gemäß § 259 Abs. 1 Satz 1 InsO die 80 Ämter des Insolvenzverwalters und der Mitglieder des Gläubigerausschusses. Der Schuldner erhält das Recht zurück, über die Insolvenzmasse frei zu verfügen. Dagegen folgt aus der Bestätigung des Insolvenzplans nicht, dass der zunächst eingetretene Insolvenzfall gegenüber jedermann beseitigt wäre, denn die nur die Beteiligten des Insolvenzplanverfahrens betreffenden Wirkungen des Insolvenzplans nach Maßgabe des § 255 InsO werden hinfällig, wenn der Schuldner seine im Insolvenzplan getroffenen Verpflichtungen nicht erfüllt.96) Abweichende Regelungen sind denkbar, wenn der gestaltende Teil des Insolvenzplans eine 81 Überwachung der Planerfüllung vorsieht (§ 259 Abs. 2, §§ 260 ff. InsO). Einschränkungen der Verfügungsbefugnis des Schuldners, die darüber hinausgehen, können im Insolvenzplan nicht beschlossen werden. Insbesondere verbietet § 259 Abs. 3 InsO die Erhebung einer insolvenzrechtlichen Anfechtungsklage durch den Insolvenzverwalter nach Verfahrensaufhebung. Diese Regelung kann auch durch den Insolvenzplan nicht abbedungen oder modifiziert werden. Ebenso wenig kann der Insolvenzplan vorsehen, dass ein (anwaltlicher) Treuhänder nach Verfahrensaufhebung eine Masseforderung zum Zwecke einer Nachtragsverteilung zugunsten der Gläubigergesamtheit einzieht. Angesichts des Ausnahmecharakters des § 259 Abs. 3 InsO kann auch diese Vorschrift nicht auf sonstige Forderungen analog angewendet werden. In Betracht kommt insoweit lediglich die Forderungsabtretung an einen Dritten vor Verfahrensaufhebung, so dass der Schuldner die Verfügungsmacht mit Verfahrensaufhebung gar nicht erst zurückerlangt.97) ___________ 94) 95) 96) 97)

Beth, ZInsO 2015, 2017. Haas in: Kayser/Thole, HK-InsO, § 258 Rz. 9. BSG v. 6.12.2012 – B 11 AL 11/11 R, ZIP 2013, 795 = NZI 2013, 454. BGH v. 26.4.2018 – IX ZB 49/17, ZIP 2018, 1141 = NZI 2018, 691; zu den Gestaltungsmöglichkeiten Horstkotte/Pickartz, ZInsO 2020, 710.

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2. Teil Insolvenzplan – Verfahrensablauf

82 Gegenüber anderen Beteiligten gibt es vergleichbare Einschränkungen, aber auch weitergehenden Gestaltungsspielraum. Angelegt werden diese im gestaltenden Teil des Insolvenzplans. 83 Erste Wirkungen entfalten die getroffenen Regelungen mit Rechtskraft des Beschlusses zur Bestätigung des Insolvenzplans (siehe unten Schultze, HRI II, § 41). Der rechtskräftige Bestätigungsbeschluss ist Grundlage für die Verfahrensaufhebung. Diese entfaltet u. a. die beschriebenen (siehe Rz. 73) Wirkungen, verhilft aber im Wesentlichen zur Beendigung der Insolvenz und damit zur Umsetzung der im Insolvenzplan vorgesehenen Inhalte. Zu den Planwirkungen im Einzelnen und nach den jeweiligen Verfahrensbeteiligten differenziert siehe unten Schultze, HRI II, § 41.98)

___________ 98) Zu den Rechtsfolgen des § 259 Abs. 3 InsO vgl. auch BGH v. 11.4.2013 – IX ZR 122/12, ZIP 2013, 998 = ZInsO 2013, 985, dazu EWiR 2013, 557 (Ruhe-Schweigel), sowie BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 222/12, ZIP 2013, 738 = NZI 2013, 491 m. Anm. J. Schmidt, NZI 2013, 491; Wollweber/Hennig, ZInsO 2013, 49; Paul, ZInsO 2013, 1505.

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§ 40 Vollstreckungsschutz und besondere Verjährungsfrist J. Schmidt

I. 1.

Einführung .................................................. 1 Erstreckung der Planwirkungen auf Nachzügler ................................................... 2 2. Keine materielle Ausschlusswirkung kraft Gesetzes............................................... 4 3. Keine materielle Ausschlusswirkung kraft Planregelung ........................................ 6 3.1 Unzulässigkeit materieller gruppenübergreifender Ausschlussklauseln................................. 7 3.2 Unzulässigkeit gruppenübergreifender Präklusionsklauseln ....... 9 3.3 Unzulässigkeit der Bildung einer Sondergruppe für Nachzügler.............................................. 11 3.4 Zulässigkeit von verteilungsausschließenden Klauseln im Insolvenzplan................................. 13 4. Quotenberechnung für Nachzügler.......... 16 4.1 Vollstreckungsfähiger Inhalt bei unbestimmten Quotenregelungen ....................