Haftpflichtfunktionen und Immaterialschaden am Beispiel von Schmerzensgeld bei Gefährdungshaftung [1 ed.] 9783428436651, 9783428036653

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Haftpflichtfunktionen und Immaterialschaden am Beispiel von Schmerzensgeld bei Gefährdungshaftung [1 ed.]
 9783428436651, 9783428036653

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JOHANNES KÖNDGEN

Haftpflichtfunktionen u n d Immaterialschaden

Schriften zum Bürgerlichen B a n d 30

Recht

Haftpflichtfunktionen und Immaterialschaden am Beispiel von Schmerzensgeld bei Gefährdungshaftung

Von

D r . Johannes K ö n d g e n

D U N C K E R

&

H U M B L O T

/

B E R L I N

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Köndgen, Johannes Haftpflichtfunktionen und Immaterialschaden am Beispiel von Schmerzensgeld bei Gefährdungshaftung. — 1. Aufl. — Berlin: Duncker und Humblot, 1976. (Schriften zum Bürgerlichen Recht; Bd. 30) ISBN 3-428-03665-4

D 21 Alle Rechte vorbehalten © 1976 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1976 bei Bortholdy & Klein, Berlin 65 Printed in Germany I S B N 3 428 03665 4

Vorwort Diese Untersuchung hat dem Fachbereich Hechtswissenschaft der Universität Tübingen i m Wintersemester 1975/76 als Dissertation vorgelegen. Rechtsprechung und Schrifttum fanden bis Ende des Jahres 1975 Berücksichtigung. Eike Schmidt verdanke ich die Anregung zu dieser Arbeit, Gerhard Struck deren kritische Förderung durch ständige Diskussionsbereitschaft. Die Methode der Untersuchung weiß sich den haftpflichtrechtlichen Arbeiten meines verehrten Lehrers Prof. Josef Esser und des früheren Kollegen am Lehrstuhl Prof. Hans-Leo Weyers verpflichtet. Tübingen, i m A p r i l 1976 Johannes Köndgen

Inhaltsverzeichnis Einleitung

13

1. Der Referentenentwurf 1967 als Anstoß zur Fragestellung . .

13

2. Theoretische u n d praktische Relevanz des Problems

15

3. Aufbau u n d Methode der A r b e i t

19

Erstes Kapitel Gefährdungshaftung und Verschuldenshaftung — Funktions- und Strukturvergleich § 1 Das Zurechnungsmodell

der Gefährdungshaftung

I. Vorbemerkung

21 21

I I . Entwicklung der Gefährdungshaftung i m 19. Jahrhundert

21

I I I . Die einzelnen Zurechnungsgesichtspunkte 1. K e i n einheitliches Zurechnungsmodell 2. Schädigung durch „besondere Gefahr" 3. Justitia distributiva 4. Der Konnex von Haftung u n d Interesse 5. Subjektive Voraussetzungen a) „Gewährleistung" des Risikoträgers b) Eröffnung und Beherrschung der Gefahrenquelle 6. Haftung f ü r die eigene Einfluß- u n d Wirkungssphäre 7. ökonomische Theorien der Schadensverteilung

24 24 25 28 29 30 30 31 32 33

I V . Grenzen der Haftung

35

§ 2 Zweispurigkeit

unseres Haftungsrechts?

I. Die Begründung der These durch Esser I I . Das Sozialmodell der Verschuldenshaftung

37 37 38

I I I . Wandlungen i m haftungsrechtlichen Sozialmodell

40

I V . Konsequenzen f ü r eine Theorie der Fahrlässigkeitshaftung

41

Zweites Kapitel Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs und Funktionsvergleich mit der Gefährdungshaftung § 3 Geschichtliche Grundlagen I. Ursprung u n d Entwicklung des Schmerzensgeldes bis zum I n krafttreten des B G B 1. Entwicklung bis zum 18. Jahrhundert

45 45 45

Inhaltsverzeichnis

8

2. Allgemeines Landrecht 3. 19. Jahrhundert

46 47

I I . Die Rechtsentwicklung zu § 847 B G B bis zum Beschluß des Großen Zivilsenats I I I . Tendenzen § 4 Die

53

Konkretisierung

jüngere

49

Judikatur

der

Schmerzensgeldfunktionen

— Kritische

durch

die

Analyse

54

I. Zusammenspiel der Funktionen

54

I I . Ausgleichsfunktion 1. Differenzmethode 2. Vorteilsausgleichung 3. Hypothetische Kausalität 4. Mitverschulden 5. Schutzbereich des §847 B G B

55 56 57 57 58 58

I I I . Genugtuungsfunktion

61

1. Genugtuung zwischen Strafe u n d Schadensausgleich 2. Berücksichtigung des Verschuldensgrades 3. Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse des Schädigers § 5 Die

Verselbständigung

Schadensersatz

der Rechtsentwicklung

zum

immateriellen

bei Persönlichkeitsverletzung

67

I. Die Regelung i m Referentenentwurf als Ausgangspunkt I I . Analyse des v o m B G H entwickelten Richterrechts 1. F u n k t i o n u n d Rechtsnatur des Anspruchs 2. Haftungstatbestand 3. Anspruchsbemessung I I I . Folgerungen § 6 Schmerzensgeldfunktionen funktion

I — Ausgleichs-

61 62 64

und

67 67 68 71 72 73

Überwindungs74

I. Ausgleichsfunktion

74

1. Immaterieller Schaden u n d Schadensbegriff des B G B

74

2. Inkommensurabilität von Nichtvermögensschaden und Geld a) Geld als Äquivalent immaterieller Einbußen b) Transitorische Schmerzen c) Feststellbarkeit des immateriellen Schadens d) Meßbarkeit i n Geld

78 78 79 79 80

I I . Überwindungsfunktion § 7 Schmerzens geldfunktionen

82 II — Genugtuungsfunktion

83

A.

Die Genugtuungsfunktion i m neueren deutschen Schrifttum

83

B.

K r i t i k der Genugtuungsfunktion

84

I. Genugtuung als Besänftigung des verletzten Rechtsgefühls

84

Inhaltsverzeichnis 1. Unwissenschaftlichkeit der juristischen Erklärungsversuche . .

84

2. Genugtuung i n psychologisch-anthropologischer Sicht

86

a) Theoretischer Exkurs: Hypothesen über Entstehung u n d Abbau von Aggressionen 86 aa) bb) cc) dd) ee)

Freud K . Lorenz Frustrations-Aggressionshypothese Lernpsychologisches Modell Zusammenfassung

86 87 88 89 90

b) Konsequenzen f ü r die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes

90

aa) Schmerz als Aggressionsursache bb) Schuldlose Schmerzzufügung als Aggressionsursache cc) Aggressionsabbau durch Schmerzensgeld?

90 91 92

I I . Genugtuung als Sühne f ü r begangenes Unrecht

95

I I I . Genugtuung als Ausgleich i m weiteren Sinne

100

I V . Genugtuung als Prävention, Sanktion, Rechtsgütergarantie

101

C.

104

Genugtuung i n rechtsvergleichender Sicht

I. Vorbemerkung

104

I I . Schweizerisches Recht

105

I I I . England 1. 2. 3. 4.

106

Schmerzensgeld f ü r Körperverletzungen Aggravated damages Exemplary damages Zusammenfassung

I V . Frankreich

106 107 109 Ill 112

1. Schmerzensgeld 2. Weitere Fallgruppen von dommage moral 3. K r i t i k aus systemneutraler Sicht

112 115 117

D. Folgerungen: Genugtuung i m geltenden Zivilrecht u n d de lege ferenda 117 § 8 Schmerzensgeld

und Gefährdungshaftung

— Funktionsvergleich

. . 121

I. Genugtuung u n d haftungsrechtliche Zurechnungsprinzipien

121

1. Verschuldenshaftung 2. Gefährdungshaftung I I . Dispositivität der Genugtuungsfunktion?

121 123 124

Inhaltsverzeichnis

10

Drittes

Kapitel

Praktische Probleme einer Schmerzensgeldreform § 9 Zielsetzungen A.

126

Z u r Methode bei der Gesetzgebung

126

B. Zielvorstellungen der Schmerzensgeldnovelle 127 I. Verbesserung des haftungsrechtlichen Schutzes der physischen Integrität 127 1. Vergleich m i t ausländischen Rechten

128

2. Argumentation m i t dem Gleichheitssatz

129

3. „Wertsystem" des Grundgesetzes

131

4. Zusammenfassung

133

I I . Praktisch-ökonomische Ziele § 10 Erfolgsprognose

und

134

Folgenkontrolle

135

Vorbemerkung

135

I. Hypothesen über die gerichtspraktischen Konsequenzen

136

1. Praxisrelevanz i m Spiegel der Rechtstatsachen

136

2. Zweispurigkeit des Schmerzensgeldrechts?

138

3. Vereinfachung der Schmerzensgeldbemessung mentäre Aufgabe

als komple-

I I . Nebenfolgen i m ökonomisch-sozialen Bereich 1. Schmerzensgeld Problem

bei

Gefährdungshaftung

139 142

als

distributives 142

2. Verteilungspolitische Auswirkungen nach den einzelnen H a f t pflichtgesetzen 144 a) Straßenverkehrsgesetz b) Reichshaftpflichtgesetz 3. Zusammenfassung

144 147 148

Ergebnisse

150

Literaturverzeichnis

152

Abkürzungen Der Gebrauch der Abkürzungen folgt Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 2. Aufl., B e r l i n 1968. Zusätzlich werden verwendet: A l l E. R. arg. Cass. crim. C. c. Ch. réun. ehr. D. Festschr. Gaz. Pal. JB1. J. C. P. L. J. M. L . R. m. w . N. Ν. Q. Β . OR Rev. t r i m . dr. civ. S. Sem. j u r . SJZ st. Rspr. VOR ZGB ZSR zutr.

A l l England L a w Reports argumentum Cour de cassation, chambre criminele Code c i v i l Chambres réunies chronique Dalloz; Recueil de doctrine, de jurisprudence et de législation Festschrift L a Gazette d u palais Juristische Blätter Jurisclasseur périodique (La Semaine juridique) L o r d Justice M o d e m L a w Review m i t weiteren Nachweisen Fußnote Queen's Bench Schweizerisches Obligationenrecht Revue trimestrielle de droit c i v i l Sirey, Recueil général des lois et arrêts L a Semaine j u r i d i q u e Schweizerische Juristenzeitung ständige Rechtsprechung Zeitschrift für Verkehrs- u n d Ordnungswidrigkeitenrecht Schweizerisches Zivilgesetzbuch Zeitschrift für schweizerisches Recht zutreffend

Einleitung 1. Der Referentenentwurf

1967 als Anstoß zur Fragestellung

Wer i n jüngster Zeit die Entwicklung unseres Haftpflichtrechts i n Judikatur und Schrifttum aufmerksam verfolgt, w i r d alsbald einen deutlichen Trend i n dem Bedürfnis nach Haftungsbegrenzung erkennen. Aus der Literatur seien exemplarisch genannt die Versuche, der haftpflichtrechtlichen Praxis operationale dogmatische Kriterien für eine sinnvolle Begrenzung der Verantwortlichkeit zur Hand zu geben 1 , ferner die Diskussion u m Sinn und Notwendigkeit einer gesetzlichen Reduktionsklausel 2 . Aber auch i n der Judikatur sind vereinzelte Bemühungen der Obergerichte nicht mehr zu übersehen, die durch den sog. normativen Schadensbegriff 3 , insbesondere durch die Rechtsprechung zum Nutzungsausfall bei Kraftfahrzeugen 4 bewirkten Weiterungen der Ersatzpflicht wieder einzudämmen 5 . Schließlich mehren sich angesichts der zunehmenden Zahl geradezu absurder Ersatzbegehren 6 die Appelle, der „Inflation an Schadensersatzansprüchen" ein Ende zu bereiten 7 . Vor diesem Hintergrund mag es überraschen, daß, wo Ersatz immateriellen Schadens i n Frage steht, die Entwicklungstendenz umgekehrt zu verlaufen scheint. I m Arbeitsunfallrecht w i r d der Ausschluß des Schmerzensgeldanspruchs durch die §§ 636 f. RVO zunehmend und mit guten Gründen bekämpft, und zwar gerade i m Kontext des 1 Vgl. statt vieler Lüer, Die Begrenzung der Haftung bei fahrlässig begangenen unerlaubten Handlungen, Karlsruhe 1969. 2 Vgl. hierzu Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur u n d Minderung der Schadensersatzpflicht durch richterliches Ermessen, Tübingen 1971. 3 Über i h n informiert kurz Eike Schmidt, Zivilrecht, S. 554 ff. (m. w. N.). 4 Sie wurde i n i t i i e r t durch Β G H Z 40, 345. s Vgl. n u r B G H Z 55, 146 (Jagdpächterfall); B G H N J W 1973, 747; O L G Düsseldorf N J W 1973, 659; B G H J Z 1975, 529 (Pelzmantelfall). Neuerdings macht sich freilich wieder ein gegenläufiger Trend bemerkbar; vgl. n u r B G H Z 63, 98 (Rumänienreise); B G H N J W 1975, 426 (Verlob ten-Auto). 6 Trauriger Höhepunkt dieser Entwicklung ist eine dem O L G K ö l n O L G Z 1973, 7 unterbreitete Schadensersatzklage: Der KL, ein passionierter Jäger, verlangte v o n der Bekl. DM5470,— Ersatz f ü r die Zerstörung eines Hirschgeweihs, das er als Trophäe von einer Jagd i n Ungarn mitgebracht hatte. I m Wege der Naturalrestitution, so meinte der K L , müsse die Bekl. i h m die Kosten eines zwölftägigen Jagdausflugs nach Ungarn zwecks Wiedererlangung einer gleichwertigen Jagdtrophäe ersetzen. Das O L G wies die Klage ab. 7 Medicus, JuS 1973, 211 (213); vgl. auch die warnenden Bemerkungen von F. Baur, Festschr. Raiser, S. 138.

14

Einleitung

hier abzuhandelnden Reformprojekts 8 . Vorschläge, die Verpflichtung zum Ersatz immateriellen Schadens zu erweitern, waren Gegenstand der Verhandlungen der bürgerlichrechtlichen Abteilung des 45. Deutschen Juristentags. Der Juristentag war sich darüber einig, daß der Ersatz des immateriellen Schadens vom BGB „ i n unzureichender Weise geregelt worden" sei. M i t dem Vorschlag einer gesetzlichen Regelung des Schadensersatzes für die Verletzung von „sonstigen Persönlichkeitsgütern" wurde nur die Kodifizierung einer inzwischen gefestigten Rechtsprechung erstrebt. Darüber hinaus schien aber dem Juristentag die Gewährung eines Schmerzensgeldanspruches auch i n Fällen von Gefährdungshaftung „grundsätzlich als angezeigt" 9 . Man folgte damit, entgegen den von Bötticher 10 geäußerten Bedenken, den Empfehlungen von Stoll 11 und Krüger-Nieland 12. Der vom Bundesministerium der Justiz i m Jahre 1967 vorgelegte „Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften" 1 3 hat dem Votum des Juristentages durch entsprechende Korrekturen des Reichshaftpflichtgesetzes und des Straßenverkehrsgesetzes Rechnung getragen und eine Begründung des Reformvorhabens unternommen 1 4 . Letzteres hat jüngst von namhafter Seite vorbehaltslose Zustimmung erfahren 15 . Fundierte K r i t i k ist nur vereinzelt aufgekommen 16 . Gleichwohl w i r d die Frage i n dem teilweise an die Stelle des Referentenentwurfs 1967 getretenen Entwurf 1975 wesentlich zurückhaltender behandelt. Dieser Entwurf enthält selbst keine entsprechende Regelung mehr; die Frage der Einführung eines Schmerzensgeldanspruchs bei Gefährdungshaftung

» Gitter, Schadensausgleich i m Arbeitsunfallrecht, S. 190 ff., 198; Hanau, Ist der Haftungsausschluß bei Arbeitsunfällen (§§ 636, 637 RVO) noch gerechtfertigt?, J u r A 1970, 114 ff.; Rein, Die Schmerzensgeldfrage bei Arbeitsunfällen, B B 1968, 44 ff.; Sieg, Der Schmerzensgeldanspruch des Arbeitnehmers beim Arbeitsunfall, Sozialgerichtsbarkeit 1972, 42 ff. Der Versuch, die V e r fassungswidrigkeit der geltenden Regelung nachzuweisen, ist v o m B V e r f G (E 34, 118) jüngst abgeblockt worden. 9 Verhandlungen des 45. Deutschen Juristentags, Bd. I I (Sitzungsberichte) Teil C, S. 127. 10 aaO S. C 10, 27 f. 11 aaO Bd. I (Gutachten), S. 144 f. 12 aaO Bd. I I C S. 45 f. ι 3 I m folgenden als Referentenentwurf bezeichnet. ι 4 A r t t . 3, 4 des Referentenentwurfs; eine analoge Änderung des A t o m G u n d des LuftverkehrsG unterblieb, da man m i t deren baldiger umfassender Novellierung rechnete. Z u r Begründung s. Referentenentwurf Bd. I I , S. 157 f. is v.Caemmerer, Reform der Gefährdungshaftung, S. 22 f.; Deutsch, VersR 1971, 1 (5 f.); Kötz, AcP 170, 36. 16 Sanden, VersR 1967, 413 ff.; i h m folgend Esser, SchR I I §11316; Lernhöfer, VersR 1967, 1126 (1134 ff.); Reimer Schmidt, Festschr. Felgentraeger, S. 375.

Einleitung

w i r d lediglich i n zwei Begleitschreiben des Bundesministers der Justiz zur Diskussion gestellt 17 . 2. Theoretische

und praktische

Relevanz

des

Problems

Bei diesem Stand der Dinge scheint es sinnvoll, etwas weiter auszuholen und die Problematik einmal von Grund auf anzugehen 18 . Dies u m so mehr, als deren praktische Relevanz i m Gefolge zweier neuerer Tendenzen i n unserer Haftpflichtrechtsentwicklung eher noch zunehmen wird. Seit geraumer Zeit schon streben die von den Gerichten ausgeworfenen Schmerzensgeldbeträge i n astronomische Höhen. Bei der Durchsicht einschlägiger Periodika kann man instanzgerichtlichen Urteilen, die für schwere Körperverletzungen fünfstellige Summen zusprechen, auf Schritt und T r i t t begegnen. Unlängst hat das OLG Karlsruhe sich entschlossen, einem Verkehrsunfallopfer, das wegen Verletzungen der Hirnsubstanz schwere Lähmungserscheinungen und eine dauernde Persönlichkeitsveränderung davongetragen hatte, neben einer einmaligen Schmerzensgeldzahlung von insgesamt 100 000,— D M noch eine monatliche Schmerzensgeldrente von 450,— D M — der Kläger war i m Unfallzeitpunkt erst 6 Jahre alt! — zu gewähren 19 . Das OLG Saarbrücken 20 bewegt sich mit der Zuerkennung eines Kapitalbetrages von 150 000,— D M i n ähnlichen Dimensionen. I n den Jahren 1972 und 1973 haben sich die Schmerzensgelder u m insgesamt 35 °/o erhöht 2 1 , um weit mehr, als die allgemeine Geldentwertung betrug. Während noch 1964 die reinen Reparaturkosten 59,1 °/o und die Schmerzensgelder 5,7 o/o vom gesamten Schadensauf wand für KraftfahrzeugHaftpflichtfälle ausmachten, lauteten für 1972 die Zahlen 53,3 °/o bzw. 8,5 °/o; 1973/74 erreichte der Anteil der Schmerzensgelder die 10 °/oGrenze 21 . M i t einer Stabilisierung dieses Trends ist zu rechnen, da die Aufwärtsbewegung der Schmerzensgeldbeträge, insbesondere bei schweren und schwersten Verletzungen, noch nicht zum Stillstand gekommen i s t 2 1 a . 17 E n t w u r f eines Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher V o r schriften v o m A p r i l 1975, i m folgenden als E n t w u r f 75 bezeichnet; s. ferner Schreiben des Bundesministers der Justiz v. 13. M a i 1975 -3430/11-1-10 786/ 75- u n d v. 31. J u l i 1975 -3430/11-1-11-150/75. 18 Die Bonner Diss, von W. Schmid, Schmerzensgeld u n d Gefährdungshaftung, k o m m t teilweise zu abweichenden Ergebnissen u n d setzt durch die Betonung der rechtshistorischen Aspekte des Themas auch i n der Begründung andere Akzente. ι» O L G Karlsruhe, D A R 1975, 158. 20 N J W 1975, 1467. Weitere Beispiele bei Schmalzl, VersR 70, 777. 21 Interne Schadensleistungsstatistik der A L L I A N Z - G r u p p e . 21a Eine Übersicht über die neueste Entwicklung gibt Hacks , Schmerzensgeld bei schweren u n d tödlichen Verletzungen, N J W 1975, 1450.

16

Einleitung

Die Gründe dieser Entwicklung sind schon wiederholt analysiert worden 2 2 . Festzustellen ist jedenfalls schon hier, daß der Schmerzensgeldanspruch heute weniger denn je eine quantité négligeable, gleichsam einen Bonus zusätzlich zur Entschädigung für Einbußen am Vermögen darstellt, sondern einen immer bedeutsamer werdenden Kalkulationsfaktor für die Haftpflichtversicherer bildet, der auf die Dauer nicht ohne Einfluß auf die von § 9 Abs. 2 PflVG vorgeschriebene Mindestversicherungssumme bleiben kann. Unmittelbar m i t der hier abzuhandelnden Neuregelung hängt ein weiteres Reformvorhaben des Referentenentwurfs zusammen. Die gestiegenen Unfallrisiken i n einer hochtechnisierten und immer weiter industrialisierten Welt haben auf die Notwendigkeit aufmerksam gemacht, die i m deutschen Recht traditionell i n spezialgesetzlichen Einzeltatbeständen konkretisierte 2 3 Gefährdungshaftung auszubauen. Trotz begreiflicher Einwände seitens der Industrie w i r d heute ernsthaft nur noch darüber gestritten, wie dieser Ausbau legislativ am besten zu bewerkstelligen sei. Der Referentenentwurf 24 folgt dem bisher geübten Brauch spezialgesetzlicher Normierung und enthält i n den neu eingefügten §§ 1 b - 1 e RHPflG eine detaillierte Kasuistik von Gefährdungshaftung auslösenden Tatbeständen. Demgegenüber w i r d i n der Literatur 2 5 überwiegend die Einführung einer Generalklausel für Gefährdungshaftung befürwortet. De lege lata hat Deutsch 26 eine vorsichtige Erweiterung der Gefährdungshaftung i m Wege richterlicher Analogiebildung angeregt. Diese Kontroverse braucht hier nicht entschieden zu werden; es mag einstweilen genügen, ins Blickfeld zu rücken, welch gravierende Erhöhung der Haftungsrisiken die Zuerkennung von Schmerzensgeld bei Gefährdungshaftung angesichts der geschilderten Reformtendenzen bedeuten kann. Freilich rechtfertigt nicht nur die praktische Relevanz der Neuregelung deren eingehende Untersuchung; sie muß vielmehr, als ein 22 Ausführlich Stoll, D A R 1968, 307 ff., auch m i t rechtsvergleichenden Nachweisen; ferner Harbauer, VersR 1969, 589. Allgemein w i r d m a n behaupten dürfen, daß die vehementen, zu ihrer Zeit w o h l auch berechtigten Appelle an die Gerichte (vgl. insbes. Teplitzky, N J W 1966, 388; Gelhaar, B B 1966, 1317), bei der Bemessung der Schmerzensgelder nicht zu kleinlich zu verfahren, inzwischen gegenstandslos geworden sind. 23 Z u den historischen Gründen dieser Entwicklung vgl. Esser, Gefährdungshaftung, S. 45 ff.; Ogorek, S. 124 ff. u n d passim. 24 Bd. I, S. 11 ff., Begründung i n Band I I , S. 177 ff. 25 Ausführlich Kötz, A c P 170, I f f . ; vgl. auch Weitnauer, VersR 1970, 585 (589); ders., Karlsruher F o r u m 1967, 1968; Deutsch, Karlsruher F o r u m 1968; ders., VersR 1971, 1 (3). F ü r weitergefaßte u n d eventuell analogiefähige Einzeltatbestände hat sich v. Caemmerer, Reform der Gefährdungshaftung, S. 19 ff., ausgesprochen. Gänzlich ablehnend Wochner, S. 126 ff. 26 VersR 1971, 1 (4 f.).

Einleitung

Novum i n der neueren haftpflichtrechtlichen Gesetzgebung und Dogmatik, auch auf ein theoretisches Interesse stoßen. Zwar ist die Zubilligung von Schmerzensgeld i n Schadensfällen, wo der Schädiger nur aus Gefährdungshaftung zur Verantwortung gezogen werden kann, i m geltenden Recht nicht ganz ohne Beispiel. So ist nur ganz selten bestritten worden 2 7 , daß, wer durch ein „Luxustier" verletzt wurde (§ 833 S. 1 BGB), vom Halter des Tieres auch Ersatz seines immateriellen Schadens beanspruchen kann. Desgleichen w i r d dem durch ein militärisches Luftfahrzeug Verletzten gem. § 53 Abs. 3 L u f t V G ein Schmerzensgeldanspruch gegen den Fahrzeughalter gewährt, der nach den §§ 33, 53 L u f t V G auch ohne ein entsprechendes Verschulden haftbar ist. Jedoch ist keiner dieser Einzelfälle von solch exemplarischer Natur, daß er den Streit u m die Erweiterung der Schmerzensgeldverpflichtung zugunsten der einen oder der anderen Seite präjudizieren könnte. Zu vereinzelt nimmt sich § 833 S. 1 BGB unter den Verschuldenshaftungstatbeständen des Deliktsrechts aus, und zu wenig war den Redaktoren des BGB die sachliche Eigenart der aus dem germanischen und dem römischen Recht überkommenen 28 verschuldenslosen Haftung des Tierhalters bewußt, als daß man i n der Einschlägigkeit des § 847 BGB für die (Luxus-)Tierhalterhaftung mehr als legislatorische Flüchtigkeit sehen kann. Hinzu kommt, daß dem damaligen Gesetzgeber ein etwaiger Funktionswiderspruch zwischen Schmerzensgeldverpflichtung und verschuldensloser Haftung 2 9 schon deswegen nicht aufstoßen konnte, w e i l die Verfasser des BGB dem Schmerzensgeld noch keinerlei poenale Funktion beimaßen 30 . Noch weniger läßt sich daraus herleiten, daß auch derjenige Schmerzensgeld zahlen muß, der schuldlos nach § 829 BGB haftet 3 1 . Als Tribut an die „Billigkeit" ins Deliktsrecht eingefügt, ist und bleibt diese Vorschrift eine Anomalie i m deutschen Haftungsrecht 32 , deren Existenz für unsere Fragestellung keinerlei Argument abwirft. Schließlich läßt sich auch die Regelung des § 53 Abs. 3 L u f t V G zwanglos als Ausnahmevorschrift einordnen, 27 Esser, Schuldrecht, 2. Aufl. Karlsruhe 1960, § 212, 2; zweifelnd neuerdings O L G Zweibrücken O L G Z 1971, 354; die h. M . ist schon durch RGZ 50, 252 begründet worden. 28 Vgl. zu den historischen Hintergründen Mot. I I , S. 809 ff. einerseits, Prot. I I , S. 646 ff. andererseits; Mugdan, Bd. I I , S. 452 ff., 1123 ff. I m m e r h i n hatte der erste E n t w u r f die Tierhalterhaftung noch als systemfremd abgelehnt, vgl. Mugdan I I , S. 453. Ausführlich hierzu i m 2. H a u p t t e i l der Arbeit. so Ausführlicher hierzu u. § 3 I 3. I n den Materialien zu den Sonderhaftpflichtgesetzen findet sich — m i t Ausnahme des A t o m G — k e i n Hinweis, w a r u m die Statuierung eines Schmerzensgeldanspruchs f ü r diese Gesetze nicht erwogen w u r d e ; vgl. die Darstellung bei W. Schmid, S. 3 ff. 31 A l l g . Meinung; vgl. aus der Rspr. O L G Nürnberg VersR 1969, 163 (nur Leitsatz). 32 So schon Planck, A c P Bd. 75, S. 390. 2 Köndgen

18

Einleitung

w e i l sie m i t der Sonderbehandlung zusammenhängt, die die öffentliche Hand als Schadensersatzschuldner vom Gesetzgeber allenthalben erfahren hat. Die praktisch unbegrenzte Solvenz des Bundesstaates, die von Aufopferungsgesichtspunkten geprägte 33 Unfallkonstellation, wohl auch die notorische Unpopularität von Militärflugzeugabstürzen ließen es geraten erscheinen, die Ersatzberechtigung eines solcherart Geschädigten unter Mißachtung möglicher dogmatischer Skrupel besonders großzügig auszugestalten. Kann sich somit der Referentenentwurf m i t seinem Vorhaben, Schmerzensgeld auch bei Gefährdungshaftung zu gewähren, nicht auf irgendwelche Vorgänger stützen, so erscheint es u m so dringlicher, das Reformvorhaben auf seine Gründe hin zu befragen: Jede Erweiterung der Haftung fällt — jedenfalls für die quantitativ bedeutsamste Gruppe der Straßenverkehrsunfälle — letztendlich der Gemeinschaft der Pflichtversicherten i n Gestalt höherer Versicherungsprämien zur Last. Die Befürworter des Referentenentwurfs tragen ihre Argumente auf zwei Ebenen vor. Man verspricht sich zunächst eine durchgreifende Vereinfachung der Liquidationspraxis bei Verkehrsunfällen, damit selbstredend auch eine Erleichterung für unsere notorisch überlasteten Gerichte 34 . Materiale Gründe für die Reform werden relativ selten angeführt; oft w i r d die Beweislast sogar kurzerhand den Verteidigern der bestehenden Regelung zugeschoben35. Zudem ist, wo „Schmerzens"Geld auf dem Spiel steht, die Gefahr emotionaler Evidenzargumente angesichts der Tragik vieler Fälle sehr groß 36 . Die Rechtsvergleichung w i r d von Befürwortern 3 7 und Gegnern 38 des Entwurfs gleichermaßen zum Zeugen angerufen. 33 Darauf weist zutr. das O L G Zweibrücken O L G Z 1971, 354 hin. F ü r den Ausnahmecharakter der N o r m spricht auch, daß die Haftung des Halters militärischer Luftfahrzeuge abweichend v o n §37 L u f t V G summenmäßig nicht beschränkt ist. W. Schmid, S. 13, weist ferner auf die besonderen Zeitumstände beim Erlaß der Vorschrift i m Kriegs j ä h r 1943 hin. 34 So insbes. die Begründung zum Referentenentwurf, S. 158. 35 Bezeichnend die Begründung des Referentenentwurfs aaO: „Sachliche Gründe f ü r eine unterschiedliche Behandlung (sc. der Personenschäden nach A r t der v o m Schädiger v e r w i r k l i c h t e n Haftung) sind nicht erkennbar". Ä h n l i c h v.Caemmerer, Reform der Gefährdungshaftung, S. 22: „Gegenüber der Energie, m i t der heute die Schmerzensgeldzahlung auch bei Arbeitsunfällen verlangt w i r d , bedarf die sachliche Berechtigung einer solchen Geldentschädigung bei einer durch den U n f a l l herbeigeführten Lebensbeeinträchtigung w o h l keiner Begründung mehr." 36 Vgl. etwa Boetticher, A c P 158, S. 385 ff. (396): „ S o l l dieser Unglückliche etwa keinen Anspruch auf Schmerzensgeld haben? E i n unmögliches Ergebnis!" E. Böhmer, VersR 1954, 105: „ U n d ist der Richter dazu da, Elemente (sie!) zu unterstützen, die aus ihrem Leiden K a p i t a l schlagen wollen, bis zum finanziellen R u i n des Schädigers?" 37 Stoll, D A R 1968, 303 (305). 38 Sauden, VersR 1967, 413 ff. (415).

Einleitung

19

3. Aufbau und Methode der Arbeit Damit ist der Aufbau der Arbeit schon i n etwa vorgezeichnet. I n den beiden ersten Kapiteln w i r d versucht, die bisher vorgebrachten rechtsdogmatischen Argumente auf dem Hintergrund einer Funktionsanalyse von Schmerzensgeld und Gefährdungshaftung zu überprüfen. Diese Funktionsanalyse erscheint nicht unter Hinweis darauf überflüssig, daß es dem Gesetzgeber freistehe, mit dem berühmten Federstrich etwa das Schmerzensgeld seiner Genugtuungsfunktion zu entkleiden, wie es i n der Begründung des Referentenentwurfs ausdrücklich geschieht. Man ist über diese Maßnahme u m so mehr verwundert, als der Entwurf an anderer Stelle, nämlich i m Text des neugefaßten § 847 BGB, die seit je umstrittene Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes ganz unnötigerweise ein für allemal festschreiben w i l l . Sollte sich hier eine entgegenstehende Sachgesetzlichkeit aufweisen lassen, so hätte eine auf Kontinuität bedachte legislative Fortbildung des Haftungsrechts darauf Rücksicht zu nehmen. Damit machen w i r uns nicht die These zu eigen, daß der Gesetzgeber durch bestimmte „sachlogische Strukturen" i n seiner Gestaltungsfreiheit eingeengt sei 39 . A n gesprochen ist lediglich die Wertungskonsequenz des Gesetzgebers, die nur auf Grund von konsensfähigen neuen Wertungsgesichtspunkten unterbrochen werden sollte 40 . Insoweit läßt sich die reinliche Trennung von Argumenten de lege lata und de lege ferenda, von „dogmatischen" und von „rechtspolitischen" Argumenten also, i n der „selbstsubstitutiven Ordnung" Recht nicht mehr halten 4 1 . Die geplante Novellierung des § 847 BGB eröffnet andererseits die Möglichkeit, die durch den Beschluß des Großen Zivilsenats aus dem Jahre 195542 praktisch „eingefrorene" Diskussion um die Funktion des Schmerzensgeldes mit neuen und grundsätzlichen Akzentsetzungen anzugehen. Dabei w i r d der Schwerpunkt auf der Genugtuungsfunktion liegen, deren Hinterfragung insbesondere unter sozialwissenschaftlichen Kriterien angezeigt ist. Die Funktionsanalyse soll durch einen rechtsvergleichenden Ausblick auf wichtige ausländische Zivilrechtsordnungen auf ein breiteres Fundament gestellt werden. Der letzte Teil der Untersuchung w i r d sich damit zu beschäftigen haben, inwieweit die Regelung des Referentenentwurfs geeignet ist, die erhoffte Erleichterung der Schadensausgleichspraxis zu bewirken. Der Befund soll durch die Heranziehung statistischen Materials empirisch abgesichert werden. 39 Begründer dieser Lehre ist Welzel, Naturrecht u n d Rechtspositivismus, i n : Maihof er (ed.), Naturrecht oder Rechtspositivismus?, 1962, S. 333 ff. 40 Zutreffend Noll, Gesetzgebungslehre, S. 102. 41 Luhmann, Rechtssystem u n d Rechtsdogmatik, 1974, S. 19 f. 42 B G H Z 18, 149.

2*

20

Einleitung

Die Fragestellung: Schmerzensgeld bei Gefährdungshaftung? ist sinnvoll nicht ohne Reflexion der Grundfragen unseres Haftpflichtrechts zu behandeln. Der Umfang der Untersuchung findet jedoch seine Grenze an einer langfristigen Perspektive, die man heute mit dem Schlagwort „Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz" zu kennzeichnen pflegt 43 . Bei einer Realisierung der vorgeschlagenen Reformpläne 4 4 wäre die Frage nach der Ersatzfähigkeit von Nichtvermögensschäden unter Vernachlässigung aller Tradition von Grund auf neu zu stellen.

43 Die Formel w u r d e erstmals gebraucht von Sieg, Z H R 113 (1950), 95. 44 Vgl. aus deutscher Sicht die Arbeiten von Güllemann, 1969; E. v. Hippel, 1968; Weyers, 1971.

Erstes Kapitel

Gefährdungehaftung und Verschuldenshaftung — Funktions- und Strukturvergleich § 1 Das Z u r e c h n u n g s m o d e l l der Gefährdungshaftung I. Vorbemerkung

Als Rechtsfolge einer Haftung aus schuldhaftem Verhalten ist Schmerzensgeld, nachdem die Möglichkeit der Kompensation immaterieller Schäden durch Geld i m deutschen Zivilrecht einmal akzeptiert war, nicht mehr problematisiert worden. Daß Schmerzensgeld als Haftungsfolge einer Gefährdungshaftung nicht i n Frage komme, hat umgekehrt eine ebenso lange, erst durch den Referentenentwurf erschütterte Tradition. Dies erscheint einigermaßen paradox, wenn man sich vergegenwärtigt, daß Schmerzensgeld bei haftungsbegründenden Körperverletzungen eigentlich nur eine Frage der Hattungsausfüllung ist und die Regeln der Haftungsausfüllung trotz der Zweispurigkeit unseres Haftungsrechts prinzipiell unabhängig vom je realisierten Haftungsgrund gelten. Für unsere Fragestellung w i r d es deshalb vorrangig von Interesse sein, Funktionen und Strukturen von Gefährdungs- und Verschuldenshaftung zu vergleichen und nach Unterschieden zu suchen, die eine unterschiedliche Behandlung der Haftungsfolge Schmerzensgeld verlangen könnten. I I . Entwicklung der Gefährdungshaftung im 19. Jahrhundert

Haftung für technische Risiken, deren durchgängige Beherrschung durch menschliche Sorgfalt nicht garantiert ist, stellt sich als Regelungsaufgabe erst i n einem technisierten und industrialisierten Zeitalter, dessen Beginn u m die Mitte des 19. Jahrhunderts angesetzt werden kann. Eine Untersuchung der Haftungen ohne Verschulden i m römischen und i m älteren deutschen Recht 1 ist daher von geringem heuristischen Wert. Die entsprechenden Haftungstatbestände geben i n ihrem Ausnahmecharakter Zeugnis für wenig mehr als den Pragmatismus ihrer Verfasser. Als erklärte Anomalie haben sie später die Alleinherrschaft ι Dazu Bienenfeld, S. 15 ff.

S. 13 ff.; Esser, Gefährdungshaftung, S. 45 ff.; W. Schmid,

22 1. Kap.: Gefährdungs- u n d Verschuldenshaftung — Funktionsvergleich

des Verschuldensprinzips i n der Theorie des 19. Jahrhunderts eher noch gestärkt und die Suche nach eigenen Strukturprinzipien der Haftungen ohne Verschulden verhindert 2 . Die ersten Gefährdungshaftungen i m heutigen Sinn waren denn auch nicht ein Werk der Rechtswissenschaft, sondern entsprangen der sozialen Initiative von Parlamenten und Justizministerien, die sich über dogmatische Bedenken kurzerhand hinwegzusetzen wußten 3 . Eine Pioniertat war hier § 25 des Preußischen Eisenbahngesetzes von 1838. Interessanterweise konzentrierte sich seine Schutztendenz mehr auf die einer andauernden Gefährdung ausgesetzten Eisenbahnbediensteten als auf die zufällig geschädigten außenstehenden Dritten; der Schwerpunkt des Gesetzes lag nach der Absicht seiner Verfasser i m Arbeitsunfallrecht 4 . Auch die Entstehung des Reichshaftpflichtgesetzes 1871 war vom anhaltenden Desinteresse der Theorie begleitet. Deren Vorurteile gegen eine Aushöhlung des Verschuldensprinzips entstammten freilich nicht einfach historischen Irrtümern, sondern waren „zweckbestimmte Vorstellungen der herrschenden Wirtschafts- und Sozialinteressen" 5 . Die i n einer stürmischen Expansion begriffene Industrie wäre — der damals herrschenden wirtschaftsliberalistischen Ideologie zufolge — durch die Belastung mit einer Haftung ohne Verschulden i n nicht mehr vertretbarer Weise beeinträchtigt worden. Der evidente haftungsrechtliche Mißstand, nämlich die Schutzlosigkeit eines durch erlaubtes Betriebsrisiko Geschädigten, war als Preis für die Wohlstandsmehrung i m Gefolge der industriellen Expansion i n Kauf zu nehmen 6 . Der Mißstand wurde i n der haftpflichtrechtlichen Praxis noch verschlimmert durch die ungünstige Situation des klagenden Unfallopfers i m gemeinrechtlichen Schadensersatzprozeß, der von rigorosen Beweislastregeln beherrscht war 7 . Zu Ende der sechziger Jahre war deshalb der — hauptsächlich aus der Praxis kommende — Ruf nach gesetzgeberischer Remedur so laut geworden, daß sich 1871 der gerade konstituierte Reichstag zum Tätigwerden veranlaßt sah 8 . Wie schon beim bereits erwähnten Preußischen Eisenbahngesetz von 1838 lag auch jetzt der Schwerpunkt der Diskussion i m Arbeitsunfallrecht, da i n 2 Bienenfeld, S. 23 ff.; Ogorek, S. 49; Rümelin, Gründe der Schadenszurechnung, S. 18 ff. 3 Esser, Gefährdungshaftung, S. 49. Ogorek, S. 62, 100 ff. 4 Ogorek, S. 62 f. 5 Esser, Gefährdungshaftung, S. 58 N. 2; Belege f ü r die Richtigkeit dieser Hypothese bei Ogorek, S. 33 ff. β Ogorek, S. 36. 7 Ogorek, S. 87 ff. 8 Unmittelbarer Anlaß w a r eine Petition eines Ausschusses der Nationalliberalen Partei zum Reichstag des Norddeutschen Bundes i m Jahre 1868; hierzu u n d zum folgenden Ogorek, S. 98 ff.

§ 1 Zurechnungsmodell der Gefährdungshaftung

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erster Linie die sich häufenden Massenunglücke bei Eisenbahn- und Bergwerksunternehmen die öffentliche Meinung mobilisiert hatten. I m Reichstag war man sich weitgehend einig, daß das zu beschließende Gesetz nur eine fragmentarische Regelung des Unfallschadensrechts enthalte und daher ein Maßnahmegesetz mit provisorischem Charakter sei. Angesichts starker Einwände seitens der Arbeitgeber gaben sich jedoch auch die Befürworter einer umfassenden Reform aus taktischen Gründen m i t einem Teilerfolg zufrieden 9 . Freilich erwies sich das neue Gesetz nicht zuletzt angesichts einer engstirnigen Auslegungspraxis durch die Gerichte schon bald als unzureichend, und zwar wiederum vorwiegend i m Bereich der Arbeitsunfälle. Es hätte nun i n der Konsequenz der Dinge gelegen, die i m RHG 1871 gelegte Basis für eine Haftung ohne Verschulden zu verbreitern. A m Ende kam es gleichwohl zu der bekannten fortschrittlichen Sozialgesetzgebung der Bismarck-Ära, die das Arbeitsunfallrecht aus dem Haftpflichtrecht gänzlich ausgliederte und einer versicherungsrechtlichen Lösung zuführte 1 0 . Das Unfall Versicherungsgesetz, erklärtermaßen ein „Gesetz zum politischen Appeasement" 11 , brachte nicht nur den innovatorischen Elan der Haftpflichtreformer zum Erliegen, sondern zementierte gleichzeitig die bis heute andauernde Zersplitterung des Rechts der Unfallfolgen. I m Laufe der Vorarbeiten zum BGB konsolidierte sich das culpaPrinzip wieder. Der insbesondere von germanistischer Seite vorgetragenen K r i t i k 1 2 wurde entgegengehalten, Ausnahmen vom culpaPrinzip aus „socialpolitischen Rücksichten" seien durch die Spezialgesetzgebung i m RHG und U V G bereits „ m i t gutem Erfolg" bestimmt; darin einzugreifen könne „nicht als Aufgabe eines bürgerlichen Gesetzbuches betrachtet werden" 1 3 . Es könnten ferner durch eine Haftung ohne Verschulden für den „kleinen Unternehmer" wirtschaftliche „Gefahren entstehen, für welche das BGB nicht die Verantwortung übernehmen dürfe" 1 4 . Der Ausbau der Gefährdungshaftung blieb so auch i n Zukunft den Spezialgesetzen vorbehalten 15 .

® Ogorek, S. 104 f. 10 Unfallversicherungsgesetz v o m 27. J u n i 1884. 11 Ogorek, S. 120. 12 A m fundiertesten Gierke , Der E n t w u r f eines bürgerlichen Gesetzbuchs f ü r das deutsche Reich, S. 198 ff. Planck, Z u r K r i t i k des Entwurfes eines bürgerlichen Gesetzbuches, A c P 75, 327 ff. (392). Vgl. auch Mugdan I I , S. 1094 f. 14 Mugdan aaO. 15 Kraftverkehrsgesetz v o n 1909; Luftverkehrsgesetz v o n 1922; Sachschadenhaftpflichtgesetz v o n 1940; Wasserhaushaltsgesetz v o n 1957; Atomgesetz von 1959.

24 1. Kap.: Gefährdungs- u n d Verschuldenshaftung — Funktionsvergleich

Ansätze zu einer Theorie der Haftungen ohne Verschulden waren bereits i n Bindings These: „Schuldlosigkeit ist notwendigerweise Ausschließungsgrund für die Strafe, nicht für die Verpflichtung zum Schadensersatz" 16 , präformiert. Erstaunlich modern w i r k t auch heute noch Bindings Begründung für die Irrelevanz der Schuldfrage i m Haftpflichtrecht: die Aufgabe, eingetretene Vermögenseinbußen gerecht zu verteilen 17, stelle sich unabhängig von der subjektiven Haltung des Schädigers 18 . Der BGB-Gesetzgeber hat diese fruchtbaren Ansätze ignoriert 1 9 . Erst nach Inkrafttreten der Kodifikation wurde die Suche nach einem tragfähigen generalisierbaren Zurechnungsmodell der Gefährdungshaftung weiter vorangetrieben 20 . Sie fand i m Jahre 1941 m i t Essers Monographie 21 einen vorläufigen Abschluß. I I I . Die einzelnen Zurechnungsgesichtspunkte

1. Kein einheitliches

Zurechnungsmodell

Die Gefährdungshaftung hat sich nie auf ein Zurechnungsmodell stützen können, das von ähnlich einfacher, gleichsam monolithischer Struktur und zugleich von so überwältigender Richtigkeitsevidenz war wie das Verschuldensprinzip. Letzteres wurde zu Zeiten geradezu zum A x i o m erhoben 22 , und noch heute w i r d seine „zeitlose Beharrungskraft" gerühmt 2 3 . Demgegenüber läßt sich das Zurechnungsmodell der Gefährdungshaftung nur mosaikartig aus den zahlreichen Zurechnungsgesichtspunkten zusammensetzen, die die Theorie, immer wieder variierend und m i t unterschiedlicher Gewichtung, bisher entwickelt hat. I m folgenden sind daher nicht die „Konzepte" einzelner Autoren einander gegenüberzustellen, sondern die wichtigsten Zurechnungsgründe auf ihre Stichhaltigkeit zu untersuchen. Dabei w i r d sich zeigen, daß kaum einer der bisher genannten Gesichtspunkte, isoliert betrachtet, hinreichend tragfähig oder auch nur für die Gefährdungshaftung spezifisch ist; erst i m Zusammenwirken konstituieren sie das Zurechnungsmodell der Gefährdungshaftung. 16 Die Normen, Bd. I, 1. Aufl. 1872, S. 233 = 3. Aufl., S. 448. 17 Hervorhebung v o m Verfasser, is Normen I, S. 226 ff. 19 Das gilt namentlich auch f ü r die weiterführenden Gedanken von Mataja, Recht des Schadensersatzes, S. 19 ff., u n d von R. Merkel, Die Kollision rechtmäßiger Interessen, S. 102 ff. so Z u nennen sind hier hauptsächlich Müller-Erzbach, A c P 106 (1910), 309 ff.; A c P 109, I f f . ; M. Rümelin, Schadensersatz ohne Verschulden (1910); Bienenfeld, Die Haftungen ohne Verschulden (1933). 21 Grundlagen u n d Entwicklung der Gefährdungshaftung. 22 Z u m Bedeutungswandel des Verschuldensprinzips noch unten § 2. 23 Esser, Gefährdungshaftung, V o r w o r t zur 2. Auflage 1969, S. I X .

§ 1 Zurechnungsmodell der Gefährdungshaftung

25

Als selbstverständlich und keiner besonderen Erörterung bedürftig darf dabei die Feststellung gelten, daß die bloße Verursachung eines Schadens ohne Hinzutreten weiterer Umstände als „blinde" Kausalhaftung keinen tragfähigen Zurechnungsgrund abgibt 2 4 . Allgemeingut sollte auch die Einsicht sein, daß die Gefährdungshaftung nicht dergestalt mit dem Verschuldensprinzip zu versöhnen ist, daß man dem Haftpflichtigen einen „Gefährdungsvorwurf" i m Sinne eines rudimentären Verschuldens anhängt 25 . K e i n Interesse verdient schließlich der neuerdings wieder unternommene Versuch, Gefährdungshaftung mittels der Kategorie der Rechtswidrigkeit zu erklären 2 6 . 2. Schädigung durch „besondere Gefahr" Es ist inzwischen Gemeinplatz geworden, daß Entstehung und Ausbau der Gefährdungshaftung den vervielfachten, auch durch äußerste menschliche Sorgfalt nicht durchweg beherrschbaren Unfallrisiken des technisierten Zeitalters sich verdanken 27 . Wo menschliches Handeln als Unfallursache keine oder doch nur eine untergeordnete Rolle spielt, versagt die Haftung wegen pflichtwidrigen Verhaltens. Das Schutzbedürfnis der solcherart den verselbständigten technischen Risiken ausgesetzten Unfallopfer stellt den Gesetzgeber vor die Alternative der totalen Schadensprävention i n Gestalt eines Verbots von tendenziell gefährlichen Anlagen oder, weniger einschneidend, einer ex postLösung durch Haftungsrecht 28 . Die Entscheidung w i r d auf einer Interessenabwägung basieren. Anders als bei der deliktischen Haftung ist aber nunmehr das Schutzinteresse der Gefahrbetroffenen nicht gegen das Freiheits- und Entfaltungsinteresse des — potentiell haftpflichtigen — Schädigers, sondern gegen den gesamtgesellschaftlichen Nutzen 24 Das ist bereits v o n M. Rümelin, Gründe der Schadenszurechnung, S. 26, herausgearbeitet worden; vgl. ferner Bienenfeld, S. 118 ff.; Esser, Gefährdungshaftung, S. 92 ff. 25 So aber jüngst noch Hillgenberg, I P R der Gefährdungshaftung, S. 130 ff.; Rother, Haftungsbeschränkung, S. 74 ff.; ders., Festschr. Michaelis, S. 264 f. Z u den Versuchen der älteren Praxis u n d Lehre, m i t culpa-Fiktionen zu arbeiten, Ogorek, S. 67 f.; Bienenfeld, S. 100 ff. 26 So jetzt wieder Zachert, Gefährdungshaftung u n d Haftung aus v e r mutetem Verschulden, S. 169 ff., i m Anschluß an ein wesentlich von Larenz, SchR I I § 72 I c, entwickeltes „gespaltenes" Rechtswidrigkeitskonzept; ähnlich Gieseke, S. 474 ff. Daß ein solcher K u n s t g r i f f nicht notwendig ist, u m die Abwehrbefugnisse (Notwehr, actio negatoria) desjenigen zu legitimieren, dem durch sorgfaltgemäßes Handeln Schaden droht, hat bereits Eike Schmidt, Fahrlässigkeit u n d Rechtfertigung i m bürgerlichen Recht, Freiburger Diss. 1966, S. 76 ff., 79 ff., nachgewiesen. Vgl. auch ders., Zivilrecht, S. 506 f. 27 Zusammenfassend nochmals Kötz, A c P 170, 1 f. 28 Auch die haftungsrechtliche Lösung w i r d freilich i m Regelfall von präventiv wirkenden ordnungsrechtlichen Reglementierungen des gefährlichen Betriebs flankiert; als Beispiele wären zu nennen die Sicherheitsvorschriften für Kraftfahrzeuge, die Führerscheinpflicht für den K f z - F ü h r e r u. ä.

26 1. Kap.: G e f ä h r d u n g s - u n d Verschuldenshaftung — Funktionsvergleich

der Gefährdungsquelle abzuwägen 29 . Beiläufig ist daran zu erinnern, daß hier auf der Passivseite der Bilanz nicht zuletzt der Verlust von Menschenleben als „Rechnungsposten" geführt wird. Die geschilderte Ordnungsaufgabe stellt sich nur, wo Schäden aus „besonderer" Gefahr oder Gefährdung zu verteilen sind. Von der Notwendigkeit, diesen Begriff zu konturieren, hat bisher das vom deutschen Gesetzgeber befolgte Enumerationsprinzip bei der Statuierung von Gefährdungshaftungen abgelenkt. I n den Rang eines Rechtsbegriffs wäre die „besondere Gefahr" erst erhoben, wenn sie Tatbestandsmerkmal einer Generalklausel für Gefährdungshaftung würde 3 0 . „Besondere Gefahr" ist zunächst einfach ein Relationsbegriff 31 . Gefährlich ist nicht nur der Betrieb von Eisenbahnen oder Atomkraftwerken, sondern — i n je verschiedenem Umfang — auch die Beschäftigung von Hilfspersonen (Vervielfachung des Schädigungsrisikos), die Abgabe von Willenserklärungen (Irrtumsrisiko), die Vollstreckung aus vorläufig vollstreckbaren Urteilen, oder auch die Berufsausübung eines Augenarztes. I n der Tat hat das ältere Schrifttum fast alle diese Fälle — deren Heterogenität sich heute schon dem flüchtigen Betrachter aufdrängt — unter dem Institut der Gefährdungshaftung zusammenfassen wollen 3 2 . Daß dadurch nicht nur die Grenze zur Verhaltenshaftung flüssig, sondern auch eine Selektion der wirklich gefährlichen technischen Anlagen verhindert wird, liegt auf der Hand 3 3 . Die Suche nach einem operational brauchbaren Vergleichsmaßstab und der Versuch, so zu einer „Gefährdungsskala" zu gelangen, sind freilich zum Scheitern verurteilt 3 4 . Der Begriff der besonderen Gefährdung ist daher auf andere Weise einzugrenzen, und zwar i n doppelter Hinsicht. Die Gefahrenquelle muß von der Beschaffenheit sein, daß von ihr ausgehende Schädigungen durch menschliche Sorgfalt nicht völlig zu vermeiden sind. Damit ist ein deutlicher Trennungsstrich zur Haftung für pflichtwidriges Verhalten gezogen. Wo durch Anwendung von Sorgfalt Schäden verhindert werden können, reicht die Verschuldenshaftung auch dann aus, wenn es sich u m „gefahrgeneigte" Tätigkeit handelt; i n Extremfällen kann mit einer Beweislastumkehr abgeholfen werden. Werden Verhaltensgefahren einmal i n die Gefährdungshaftung 29 Dies w i r d v o n den Vertretern der älteren Interessentheorien — vgl. unten N. 51 — nicht i m m e r sauber getrennt. Zutreffend jetzt Rinck, S. 5. Dazu v o r allem Kötz, S. 28 ff. « Bienenfeld, S. 137; Wochner, S. 105 f. 32 Insbesondere Rümelin, Gründe der Schadenszurechnung, S. 47 ff.; Müller-Erzbach, A c P 106, 375 ff.; aber auch Bienenfeld, S. 137 f. 83 Insoweit berechtigt die grundsätzlichen Zweifel v o n H. A. Fischer, Rechtswidrigkeit, S. 103 ff., a m W e r t des Gefahrbegriffes. 34 Aufschluß hierüber geben die Ausführungen v o n Rother, Haftungsbeschränkung, S. 58 f., u n d v o n Wochner, 106 ff.

§ 1 Zurechnungsmodell der Gefährdungshaftung

27

einbezogen, so ist den durch diesen „Dammbruch" 3 5 verursachten Weiterungen dieser Haftungsform kaum noch Einhalt zu gebieten: Stellt die Tätigkeit eines Augenarztes, eines Fußballspielers, eines Bergführers usf. noch eine „besondere Gefahr" dar? Nach allem kann der von Deutsch 3e gemachte Vorschlag, auch den Menschen selbst als besondere Gefahrenquelle anzusehen und deshalb Bergsteigen, Fallschirmspringen und Skilaufen unter Gefährdungshaftung zu stellen, keine Zustimmung finden 3 7 . Restriktives Merkmal des Gefährdungsbegriffs muß ferner die Unausweichlichkeit oder Unentrinnbarkeit seitens der Gefahrbetroffenen sein 38 . Wo der Verkehr einer Gefahrenquelle zumutbarerweise ausweichen kann, besteht kein Bedürfnis für eine Gefährdungshaftung. Der damit apostrophierte Gedanke des Handelns auf eigene Gefahr, der Gefahrexponierung eigener Interessen, versagt jedoch, wo die Gefahrexponierung von einer gewissen Zwangsläufigkeit ist, sei es infolge zunehmender Bevölkerungsdichte i n den Ballungszentren, sei es infolge der Eingliederung i n den Arbeitsprozeß, sei es infolge des sozialen Angewiesenseins auf die Benutzung einer Gefahrenquelle 39 . Vor Schädigungen aus einem Eisenbahnbetrieb sind daher nicht nur „außenstehende" Anwohner der Strecke haftungsrechtlich zu schützen, sondern i n gleicher Weise Bahnarbeiter und Fahrgäste. Fürs Gegenbeispiel steht § 8 a StVG, der den gefälligkeitshalber mitgenommenen Fahrgast vom Schutz der Gefährdungshaftung ausnimmt. Vorbildlich unter diesem Aspekt auch die teleologische Restriktion der Tierhaltergefährdungshaftung durch den BGH; i n einer jüngeren Entscheidung verweigerte er einem verunglückten Reiter, der sich zum Nachweise seiner besseren Reitkunst (!) vom Tierhalter dessen Pferd erbeten hatte, den Schadensersatzanspruch aus § 833 S. 1 BGB 4 0 . Der so konkretisierte 4 1 Zurechnungsgesichtspunkt 42 „besondere Gefahr" leistet ein Doppeltes: M i t dem K r i t e r i u m der Unausweichlichkeit 35 Mertens, VersR 1974, 519. Generalklausel f ü r Gefährdungshaftung (Sonderdruck), S. 1 ; ders., VersR 1971, 5. 37 K r i t i s c h zur Einbeziehung von Verhaltensgefahren auch v. Caemmerer, Reform der Gefährdungshaftung, S. 21; Mertens, aaO; Dütz, Gefährdungshaftung f ü r Ärzte?, i n : Beiträge zur gerichtlichen Medizin, Bd. X X V I I I , Wien 1971, S . 5 f f . ; Kötz, S.25f. 38 Esser, Gefährdungshaftung, S. 90; i h m folgend Deutsch, Generalklausel, S. 2; Kötz, S.2. 3 » Zutreffend Stoll, Handeln auf eigene Gefahr, Berlin—Tübingen 1961, S. 351 f.; Esser aaO. 40 B G H N J W 1974, 234. 41 Weitere Differenzierungskriterien bei Deutsch, Generalklausel, S. 2; Kötz, S. 28 ff. 42 Ziemlich müßig ist die neuerdings wieder von Wochner, S. 102 ff. (mit Nachw.), ausführlich behandelte Streitfrage, ob die „besondere Gefahr"

28 1. Kap.: Gefährdungs- u n d Verschuldenshaftung — Funktionsvergleich

weist er auf das gesteigerte Schutzbedürfnis der gefahrbetroffenen Verkehrsteilnehmer hin. Das Merkmal der Unkontrollierbarkeit der Gefährdungsquelle läßt die Insuffizienz der Verschuldenshaftung bei der Regelung dieses Schutzbedürfnisses deutlich werden. Schließlich markiert der Begriff der „besonderen Gefahr" auch die teleologische Grenze der Gefährdungshaftung 43 : Nur gefährdungsspezifische Schädigungen sind auszugleichen. Das K r i t e r i u m „besondere Gefahr" sagt dagegen nichts über Adressaten und Umfang der Schadenszuteilung aus. Weitere Zurechnungsgründe müssen daher hinzutreten. 3. Justifia

distributiva

Esser hat i m Anschluß an Gierke 44 gemeint, die Ordnungsaufgabe der Zuteilung von Schäden aus besonderer Gefahr, i n Essers eigenen Worten: die haftungsrechtliche Bewältigung von „Unglück", sei nicht zu lösen ohne Rückgriff auf den Gedanken einer verteilenden Gerechtigkeit 4 5 . Letztere erscheint dabei i n Antithese zur „subjektiven Zurechnung" bei der Unrechtshaftung 46 . Es w i r d an späterer Stelle zu zeigen sein 47 , daß die distributive Gerechtigkeit auch Programm der Fahrlässigkeitshaftung und nicht ein Spezifikum der Gefährdungshaftung ist. Die Hauptfrage ist aber, was m i t der Einführung des Gedankens an „theoretischer Durchdringung" 4 8 gewonnen ist. Die distributive Gerechtigkeit stellt die Frage nach der distributiv „richtigen" Schadensverteilung. Sie enthält damit ein fundamentales Postulat des gesamten Haftpflichtrechts. Was distributiv richtig ist, ist aber erst durch — begründbare und damit konsensfähige — „Wertentscheidung" 49 zu ermitteln. Als allgemeines Postulat kann die iustitia distributiva sonach kein Zurechnungsmodell liefern, ihr Wirken setzt vielmehr ein solches gerade voraus. Die verteilende Gerechtigkeit ist ein Blankett, das der Ausfüllung durch plausible Zurechnungsgründe „Rechtsgrund", „Geltungsgrund" oder n u r „gesetzgeberisches M o t i v " der Gefährdungshaftung sei. D a r i n ein Problem zu sehen heißt den spezifischen Zusammenhang zwischen Rechtsdogmatik u n d Gesetzgebung verkennen; dazu bereits oben, Einleitung S. 19 m i t Nachw. Wo dieser Zusammenhang ignoriert w i r d , entstehen legislative Mißgeburten w i e jener § 221 W H G , dessen sinnvolle Auslegung der Praxis so große Schwierigkeiten macht; vgl. dazu Larenz, VersR 1963, 594 ff.; Eike Schmidt, VersR 1968, 626 ff. 43 Esser, Gefährdungshaftung, S. 111 ff.; Zachert, S. 24. 44 Die soziale Aufgabe des Privatrechts, B e r l i n 1889, S. 33. 4 * Esser, Gefährdungshaftung, S. 73 f., 102 ff. 4 * aaO S. 103. 47 Unten § 2 I V . 48 Esser aaO. 49 Weyers, S. 579.

§ 1 Zurechnungsmodell der Gefährdungshaftung

29

erst noch bedarf. Gleichwohl ist der Gedanke nicht völlig wertlos. Er hat auf die Unvollständigkeit einer individualistischen, auf das zweigliedrige Haftungsverhältnis fixierten Konzeption des Haftpflichtrechts aufmerksam gemacht und die Notwendigkeit unterstrichen, die mittelbar vom Schadensereignis betroffenen Subjekte — hauptsächlich die durch Versicherungstechniken und Abwälzungsmöglichkeiten tangierten Kollektive — i n die Distributionsentscheidung einzubeziehen 50 . 4. Der Konnex von Haftung und Interesse Der Gedanke, daß, wer den Vorteil aus einer (schadenstiftenden) Tätigkeit oder auch aus einem Betriebswagnis zieht, auch die damit verbundenen Nachteile zu tragen habe, ist als Postulat der iustitia commutativa von einer gewissen Suggestivkraft. Er ist Ausgangspunkt eines Teils der älteren sog. Interessentheorien 51 , w i r d aber auch heute noch argumentativ verwendet 5 2 . Zurückführen läßt er sich letztlich auf den allgemeineren Topos des Bereicherungsverbots: Wenn die Schädigung fremder Rechtsgüter der Befriedigung eigener Interessen des Schädigers gedient hat, soll dieser als Kompensation den M a r k t preis entrichten, zu dem das geschädigte Gut normalerweise zu haben ist 5 3 . Als schadensrechtlicher Zurechnungsgrund ist der Topos des Bereicherungsverbots freilich wenig spezifisch 54 . Bei konsequenter A n wendung müßte er auch zur Gefährdungshaftung für schadenstiftendes gefährliches Verhalten i m (Gewinn-)Interesse des Schädigers führen; m i t gutem Grund begrenzt aber das Gesetz hier die Haftung des Handelnden auf die Bereicherungsherausgabe. Den Interessentheorien ist ferner der V o r w u r f zu machen, sie vermengten i n widersprüchlicher Weise den Topos: Konnex von Haftung und individuellem so Weyers, S. 350, 576. 51 Deren wichtigste Vertreter waren R. Merkel, Kollision rechtmäßiger Interessen, S. 147 ff.; M. Rümelin, Gründe der Schadenszurechnung, S. 45; ders., Schadensersatz ohne Verschulden, S. 24 ff. Rümelin stellt freilich h a u p t sächlich auf den Gesichtspunkt des überwiegenden Allgemeininteresses ab; dazu der folgende Text. Z u nennen sind i n diesem Zusammenhang noch Mauczka, Der Rechtsgrund des Schadensersatzes außerhalb bestehender Schuldverhältnisse, Berlin—Wien 1904, S. 98; Müller-Erzbach, A c P 106, S. 366; Unger, Handeln auf eigene Gefahr, Jena 1893. Kritischer Überblick über die älteren Interessentheorien bei Bienenfeld, S. 142 ff. 52 A m deutlichsten bei Larenz, JuS 1965, 374, aber auch bei v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, S. 63; Esser, S c h R I I §1141, S. 476. 53 Die Verbindung des Interessenarguments m i t dem Gedanken des QuasiK o n t r a k t s hat insbesondere Wilburg, Elemente des Schadensrechts, S. 29 ff., 31 f., herausgearbeitet. Vgl. ferner Jürgen Schmidt, Schadensersatz u n d Strafe, S. 38 f. 54 Jürgen Schmidt, S. 39.

30 1. Kap.: Gefährdungs- u n d Verschuldenshaftung — Funktionsvergleich

Nutzen mit dem — durchaus fruchtbaren 55 — Gedanken der Bewährung des überwiegenden Allgemeininteresses 56. Nicht u m des Profitinteresses w i l l e n erlaubt der Gesetzgeber ein Betriebswagnis, sondern i m Dienste eines als überwiegend anerkannten Allgemeininteresses 57 . Insofern ist das Gewinninteresse eines Kraftwerkunternehmers als Zurechnungsgrund so indifferent wie das eines Milchpulverfabrikanten. Hauptnutznießer und deshalb mögliche Kostenträger sind i m Regelfall die Abnehmer der unter Entwicklung „besonderer Gefahr" erzeugten Produkte, also Flugpassagiere, Strombezieher usf. Eine Ausnahme ist, als „Personalunion" von Betriebsträger und Konsument, der Kraftfahrzeughalter. Darauf ist i n anderem Zusammenhang noch zurückzukommen. 5. Subjektive

Zurechnungsgründe

a) „Gewährleistung" des Risikoträgers Esser hat ausgeführt, der Betriebsherr gebe „ m i t der Übernahme des Betriebes i n den Augen der Umwelt die Selbstbezeichnung ab, daß er sich eine den Wagnissen entsprechende Gewährleistung zutraue" 5 8 . Er zieht dabei eine Parallele zur Differenzierung des Fahrlässigkeitsmaßstabes i n § 276 BGB, wo — etwa für bestimmte Berufsgruppen — der Haftungsmaßstab nach „ A r t der sozialen Tätigkeit" verschärft werde. Gewiß handelt es sich bei dieser „Gewährleistung" nicht u m eine rechtsgeschäftliche Garantie. Fehl geht auch der Einwand, der Betriebsherr wolle tatsächlich gar keine entsprechende Garantie abgeben, m i t h i n handle es sich u m eine „Unterstellung" oder „ F i k t i o n " 5 9 . Nicht der reale psychologische Sachverhalt ist hier von Interesse, sondern die normative Bewertung sozialer Selbstdarstellung. Die Differenzierung des objektiven Fahrlässigkeitsmaßstabes beruht ja letztlich auf der soziologisch generalisierbaren Hypothese, daß, wer an einem besonderen Verkehr teilnimmt, eine (bindende) Selbstdarstellung des Inhalts abgibt, er akzeptiere die speziellen normativen Verhaltenserwartungen dieses Verkehrskreises 60 . 55 Dazu sogleich unter Ziff. 7. se So vor allem Müller-Erzbach, AcP 106, S. 323 einerseits, S. 366 andererseits; ferner R. Merkel, S. 147 f.; w o h l auch Esser, SchR I I §1141, S. 476. 57 Dies betont zutreffend Kanno, Gefährdungshaftung u n d rechtliche K a nalisierung i m Atomrecht, S. 87, i m Anschluß an Hillgenberg, S. 129. 58 Esser, Gefährdungshaftung, S. 100 f. 5» So Hillgenberg, S. 125 N. 458; Kanno, S. 91. 60 Wer beispielsweise an einem Fußballspiel t e i l n i m m t , gibt damit zu erkennen, er halte die Spielregeln des Deutschen Fußballbundes f ü r v e r bindlich, auch w e n n er selbst dieser Organisation nicht angehört; n u r unter Gefahr des Ausschlusses v o n der Teilnahme w i r d er geltend machen können, er spiele nach seinen eigenen Regeln; vgl. B G H N J W 1975, 109. Z u m Ganzen anschaulich Luhmann, Rechtssoziologie, Bd. I, S. 31 ff., 64 ff.

§ 1 Zurechnungsmodell der Gefährdungshaftung

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Essers für die Differenzierung der allgemeinen Sorgfaltspflicht durchaus zutreffende Beobachtung läßt sich gleichwohl nicht auf die Gefährdungshaftung übertragen. Die Verhaltenserwartungen des Verkehrs können zwar sinnvoll auf die Einhaltung bestimmter Sorgfaltsstandards gerichtet sein, aber nicht an den Zufall geknüpft werden, daß ein technisches Risiko trotz Beobachtung jeglicher Sorgfalt sich verselbständigt und so Schaden anrichtet. I r r i g wäre es deshalb, etwa die Schadensersatzleistung selbst als den Gegenstand normativer Erwartungen anzusehen. Die vage Hoffnung, auf dem erlittenen Unglücksschaden nicht sitzenbleiben zu müssen, schafft noch keine Zurechnung. b) Eröffnung und Beherrschung der Gefahrenquelle Auch wenn inzwischen außer Streit ist, daß der Zurechnungsgrund des pflichtwidrigen Verhaltens zur Erklärung der Gefährdungshaftung nicht taugt, w i r d immer wieder der Versuch gemacht, an irgendein Verhalten des Risikoträgers anzuknüpfen und i n Gestalt eines „Eingangsakts" doch noch „ein Stück Zurechnung zum W i l l e n " 6 1 zu schaffen, ohne damit auf die älteren Veranlassungstheorien 62 zurückzugehen. Meistens w i r d formuliert, verantwortlich mache den Risikoträger die Eröffnung und Aufrechterhaltung der Gefahrenquelle 63 . Es stehe ja i m freien Belieben eines jeden, ein Auto zu halten oder die Fabrikation gefährlicher Stoffe aufzunehmen 64 . Der Verweis auf die Willensfreiheit des Betriebsherrn macht offenkundig, daß sich hier, wennschon als Kryptoargument, das Verschuldensmoment als haftungsrechtliches Korrelat der Willensfreiheit wieder Bahn bricht. Ein noch so geringer Gefährdungsvorwurf ist eben nichts anderes als ein rudimentäres Verschulden. Dem V o r w u r f pflichtwidrigen Verhaltens steht aber unübersehbar entgegen, daß die Aufnahme des gefährlichen Betriebes nicht nur erlaubt, sondern häufig — wie bei den Massenverkehrsmitteln oder Energieversorgungsunternehmen — geradezu sozial erwünscht ist 6 5 . Darüber h i l f t auch der Kunstgriff nicht hinweg, die Schaffung der Gefahr als „an sich" fahrlässig, aber wegen Sozialadäquanz als „sozialgemäß" zu bewerten 6 6 . M i t einer solchen kategorialen Verwirrung ist nichts gewonnen 67 . ei Esser, Gefährdungshaftung, S. 94. 62 Überblick bei Bienenfeld, S. 118 ff. 63 Bereits R. Merkel, S. 149 ff.; Esser, Gefährdungshaftung, S. 94 ff.; ähnlich Larenz, Hegels Zurechnungslehre u n d der Begriff der objektiven Z u rechnung, Göttingen 1927, S. 103 ff.; ferner Canaris, N J W 1964, 1990; Deutsch, Generalklausel, § 1 Abs. 1; Gieseke, S. 458; widersprüchlich Kanno, S. 72 ff., 89. 64 Canaris aaO. 65 Ausführlich Larenz, VersR 1963, 597 f.; ferner Kanno, S. 89. 66 Hillgenberg, S. 132 ff.; i h m folgt durchweg Kanno, S. 97 ff. 67 Signifikant auch die Bemerkung von Hillgenberg, S. 134: Z w a r werde das gefährliche T u n „ v o n der Allgemeinheit nicht mißbilligt, dem Verletzten

32 1. Kap.: Gefährdungs- u n d Verschuldenshaftung — Funktionsvergleich

Die Schaffung und Aufrechterhaltung der Gefahr ist nach allem kein überzeugender Zurechnungsgesichtspunkt. Es ist deshalb nur konsequent, die auf die Verhaltenshaftung zugeschnittenen §§ 827 f. auch nicht analog auf den zurechnungsunfähigen Betriebsherrn anzuwenden 68 . Bedeutung kommt dem „Eingangsakt" nur insofern zu, als er eine Identifikation des Betriebsherrn erst ermöglicht. Als „statusbegründender" A k t hebt er den Risikoträger aus der Gruppe der anderen m i t dem Betriebswagnis befaßten Personen wie Kfz-Führern oder weisungsabhängigen Gewalthabern heraus. Ähnliches wie für die Anknüpfung an einen „Eingangsakt" gilt für den Gesichtspunkt der Beherrschbarkeit des Betriebsrisikos 69 . Er ist evident widersprüchlich, soweit man als einen Grund für Gefährdungshaftung gerade die letztliche Unkontrollierbarkeit des Risikos ansieht. I m übrigen ist das Moment der Beherrschbarkeit ein klassisches Fahrlässigkeitsargument, insofern es den Vorwurf begründen kann, die konkrete Schädigung sei bei richtiger Beherrschung des Risikos vermeidbar gewesen 70 . Wo die Gefährdungshaftung, wie i n § 7 StVG, nur bis zur äußersten Grenze der Beherrschbarkeit der Betriebsgefahr reicht, handelt es sich denn auch anerkanntermaßen u m eine Vermischung der beiden Haftungstypen 7 1 . 6. Haftung für die eigene Einfluß- und Wirkungssphäre Eine Zurechnung nach Risikosphären erfolgt immer dann, wenn sozusagen „unterhalb" der Ebene schuldhafter Verursachung Nachteile zuzuweisen sind. Die Verwendbarkeit des Risikoprinzips scheint universal: vom Wegfall der Geschäftsgrundlage über die Begründung von Rechtsscheinhaftungen bis zur Verteilung der Insolvenzgefahren i m Bereicherungsrecht 72 . Natürlich ist auch der Risikogedanke nicht einer unmittelbaren Umsetzung i n konkrete Rechtsfolgeanordnungen fähig. Vielmehr ist für jeden Einzelfall herauszuarbeiten, „ u m welche Gegegenüber k a n n sich der Schädiger aber hierauf nicht berufen". es So richtig Esser, S. 110 f.; Larenz, SchR I I §771, S. 534. Auch f ü r das — etwa von Canaris , N J W 1964, 1990 f. befürwortete — gegenteilige Ergebnis bedarf es nicht der A n k n ü p f u n g an ein Verhalten des Betriebsherrn; es geht vielmehr u m die verteilungspolitische Entscheidung, ob dem M i n d e r jährigenschutz der Vorrang v o r dem Schutzinteresse der Gefahrbetroffenen gebühren soll. es E r w i r d hervorgehoben v o n Müller-Erzbach, A c P 106, 322; heute von v.Caemmerer, Reform der Gefährdungshaftung, S. 15; Canaris , aaO; Larenz, JuS 1965, 374; SchR I I §771, S. 534. 70 So auch Kanno, S. 88. 71 Statt vieler Larenz, SchR I I § 77 I V , S. 546. 72 Einen Überblick über die vielseitige Verwendbarkeit des Risikoprinzips gibt Canaris, Die Vertrauenshaftung i m deutschen Privatrecht, M ü n chen 1971, S. 468 ff., 479 ff. Z u r kondiktionsrechtlichen Anwendung vgl. Köndgen, Festgabe f ü r Esser, 1975, S. 65 ff.

§ 1 Zurechnungsmodell der Gefährdungshaftung

33

fahren es sich i m einzelnen handelt und welche Gesichtspunkte maßgeblich sind" 7 3 . Die Zurechnung der eigenen Einfluß- und Wirkungssphäre als Begründung für eine Gefährdungshaftung 74 erweist sich damit zunächst als tautologisch, w e i l sie keinerlei Gesichtspunkte enthält, die nicht schon aus dem Erfordernis der „besonderen Gefahr" folgen 7 5 . Verdienstv o l l ist der Gedanke aber insofern, als er die Zurechnung des Schadensrisikos „unabhängig von der Kausalität des eigenen Tuns" macht7®. Entscheidend ist vielmehr, daß der Haftpflichtige „ i n einem bestimmten tatbestandsmäßigen Verhältnis 77 zu der schädigenden Unternehmung steht" 7 8 . Ähnliches meint Esser, wenn er von der Einstandspflicht für einen festumrissenen „Verantwortungskreis" spricht 79 . Formal läßt sich Gefährdungshaftung damit als eine A r t Statushaftung charakterisieren 8 0 . Die Statusbeziehung des Betriebsherrn zu dem Betriebsrisiko hebt diesen von der zufälligen oder vorübergehenden Befassung m i t dem Wagnis ab, wie sie für Arbeitnehmer oder, bei der Kfz-Haftung, für den Kfz-Führer kennzeichnend ist. Dabei handelt es sich aber, wie schon betont, u m einen formalen Anknüpfungspunkt für die Passivlegitimation des Betriebsherrn, der über den materialen Zurechnungsgrund nichts besagt. 7. ökonomische

Theorien der Schadensverteilung

Der Mangel der vorstehend kritisierten Zurechnungsgesichtspunkte liegt i n einer Verengung der Perspektive, die die Zurechnungsproblematik rein individualistisch innerhalb des zweigliedrigen Haftungsverhältnisses zwischen dem passivlegitimierten Haftpflichtigen und dem Unfallopfer lösen w i l l . Dieses Modell mag zur Erklärung einer nur unter dem Aspekt kommutativer Gerechtigkeit gesehenen Verschuldenshaftung ausreichen; der Gefährdungshaftung, die eine verteilungspolitische Aufgabe zu lösen hat, ist es nicht adäquat. Anzusetzen ist nochmals bei der gesetzgeberischen Interessenabwägung, die der Einführung einer Gefährdungshaftung als distributive 73 Canaris , aaO S. 481. Insbesondere R. Merkel, S. 168 ff.; anklingend auch bei Larenz, VersR 1963, 597; Wilburg, S.40f. 75 K r i t i s c h schon Rümelin, Gründe der Schadenszurechnung, S. 56 f. 76 Larenz aaO. 77 Hervorhebung v o m Verf. 7 ® Bienenfeld, S. 153. 7 9 Gefährdungshaftung, S. 99. 80 Rechtshistorische Vorläufer finden sich i n der Haftung aus Herrschaftsbeziehungen i m germanischen Recht; dazu Gierke, Die Genossenschaftstheorie u n d die deutsche Rechtsprechung, B e r l i n 1887, S. 803 ff. 74

3 Köndgen

34 1. Kap.: Gefährdungs- u n d Verschuldenshaftung — Funktionsvergleich

Entscheidung zugrundeliegt. Abgewogen werden die unvermeidlichen, statistisch erfaßbaren Schadensrisiken gegen den Nutzen des gefährlichen Betriebs für die Gesellschaft bzw. für relevante gesellschaftliche Gruppen. Indifferent für die Abwägung ist das (Gewinn-)Interesse des Betriebsherrn, denn er könnte sein Geld auch m i t einem weniger gefährlichen Betrieb verdienen. Die wirklichen Nutznießer des Betriebsrisikos sind bei allen gewerblich genutzten Wagnissen die Verbraucher der mittels „besonderer Gefahr" produzierten Güter, also: Flugpassagiere, Strombezieher, Besitzer von Gasöfen usf. Eine Sonderstellung kommt insofern nur den privat genutzten Betriebsrisiken Kraftfahrzeug und Luxustier zu. Plausibel der Gedanke, daß die tatsächlichen Nutznießer der Risiken für die Zurücksetzung der Interessen der Gefahrbetroffenen einen Preis zahlen, indem sie wenigstens für die Kosten des Haftpflichtschutzes aufkommen. Diese distributive Aufgabe, die übrigens bereits von R. Merkel klar formuliert worden ist 8 1 , hat von ökonomischer Seite durch die Theorie der social costs eine einleuchtende Erklärung erfahren. Stark verkürzt, liegt dieser Theorie folgender Gedankengang zugrunde 82 : I n einer reinen Marktwirtschaft ist für jede Inanspruchnahme eines Guts ein Preis zu entrichten; Inanspruchnahme ist auch die Zerstörung eines Guts. W i r d hierfür kein Entgelt erbracht, so fallen die Kosten als „social costs" bei demjenigen Wirtschaftssubjekt an, das sein Gut (unfreiwillig) zur Verfügung stellt. U m diese „falsche Buchung" zu korrigieren und damit eine Fehlsteuerung des Preisbildungsmechanismus für das — unter Schädigung Dritter produzierte — Gut zu vermeiden, sind die „externen" Kosten beim schädigenden Wirtschaftssubjekt zu „internalisieren" 8 3 . Letztes ökonomisches Ziel ist dabei die Optimierung der Allokation knapper M i t t e l 8 4 . Auch Unfälle sind i n diesem Sinne soziale Kosten. Nicht nur der Fahrzeugunterhalt, sondern auch die Verkehrsunfallschäden rechnen zu den Kosten der KfzHaltung. Die problematische Frage, ob dann die social cost-Theorie nicht notwendig auch Schäden aus schuldlosem Verhalten umfassen müsse 85 , bedarf hier keiner Beantwortung; anerkannt ist, daß jedenfalls die unvermeidlichen Unfälle — und die Unvermeidlichkeit ist ja konstitutiv für die Annahme einer „besonderen Gefahr" — zu den sozialen Kosten zu rechnen sind 8 5 .

si R. Merkel, S. 147 f. 82 Ausführlich u n d jeweils m i t zahlreichen Nachweisen Schäfer, Soziale Kosten, S. 217 ff.; Weyers, S. 492 ff. 83 Jürgen Schmidt, Verursacherprinzip u n d Sozialkosten, AcP 175, 231. 84 Schäfer, S. 218 f. 85 Weyers, S. 494.

§ 1 Zurechnungsmodell der Gefährdungshaftung

35

Für gewerblich genutzte Risiken w i r d die social cost-Theorie durch den Gedanken der Weiterwälzung von Schadenskosten über Preise 86 ergänzt. Solange die Marktverhältnisse es erlauben, w i r d der Betriebsherr die Haftpflichtkosten — die er selbst i m Regelfall durch (Selbstoder Fremd-)Versicherung zu minimieren sucht — auf seine Kunden abwälzen. Dies führt zu dem als distributiv richtig empfundenen Ergebnis, daß die letztendlichen Nutznießer des gefährlichen Betriebs über den Preis auch die unvermeidlichen Schadensrisiken finanzieren. Der Betriebsherr ist so zwar technisch-haftungsrechtlich Passivlegitimierter für die Ersatzforderung, aber wirtschaftlich doch nur Durchgangs· und Verteilungsstation 8 7 ; „letzte Schadensträger" sind die Verbraucher. Werden die Haftpflichtkosten eines Produkts so hoch, daß das Produkt nicht mehr nachgefragt w i r d bzw. der Verbraucher auf ein ungefährlicher produziertes Substitut ausweicht, w i r d dies tendenziell zur Einstellung der gefährlichen Betriebsart führen; ein willkommener präventiver Steuerungseffekt 88 . I V . Grenzen der Haftung

Als immanente oder „teleologische" Grenze der Gefährdungshaftung wurde schon oben 89 die Beschränkung auf „gefahrspezifische" Schädigungen angegeben. Die Gefährdungshaftungsgesetze geben dieser teleologischen Grenze meist durch die Formulierung Ausdruck, der Schaden müsse sich „beim Betrieb" der gefährlichen Anlage ereignet haben, ferner durch die Ausschaltung aller betriebsfremden, durch „höhere Gewalt" verursachten Schadensereignisse. Das ist hier nicht zu vertiefen 9 0 . Interessanter ist i n unserem Zusammenhang die Frage nach den einzelgesetzlich positivierten Haftungshöchstsummen. Es ist wahrscheinlich, daß angesichts der immer noch rapide steigenden Schmerzensgeld-

86 Ausführlich Weyers, S. 518 ff.; früher bereits Mataja, S. 127 f. 87 Verfehlt u n d widersprüchlich ist es, m i t v. Caemmerer, Reform der Gefährdungshaftung, S. 15 f., u n d Hannak, S. 57 f., i n der Abwälzungs- u n d Verteilungsmöglichkeit einen eigenständigen Zurechnungsgrund zu sehen. Wer eine optimale „Sozialisierung" von Schäden anstrebt, müßte sich k o n sequent für eine allgemeine Unfallversicherung entscheiden. Die Möglichkeit der Abwälzung ist ferner kein G r u n d der Zurechnung an den Unternehmer, sondern gerade der Verzicht auf eine solche. Inkonsequent ist es schließlich, m i t dem Argument der Beherrschbarkeit des Risikos die Zurechnung an den Betriebsherrn zu begründen, i h n aber gleichzeitig damit zu beruhigen, er könne j a ohnedies alles abwälzen. 88 Schäfer, S. 219 f. 8 » Ziffer I I I 2 a. E. »o Ausführlich statt vieler Esser, Gefährdungshaftung, S. 111 ff. 3*

36 1. Kap.: Gefährdungs- u n d Verschuldenshaftung — Funktionsvergleich

betrage die Gerichte bei Verwirklichung der Schmerzensgeldnovelle relativ häufig an die Haftungshöchstgrenzen stoßen 91 . Deren grundsätzliche Berechtigung bedarf daher der Überprüfung. Haftungshöchstsummen sind traditionell i n fast allen Gefährdungshaftungsgesetzen verankert 9 2 . Die Entwürfe 1967 und 1975 sehen jeweils ihre Beibehaltung vor. Zu ihrer Rechtfertigung sind die verschiedensten Argumente bemüht worden. Die ursprünglichen Motive des Gesetzgebers 93 , die Haftung wegen ihres singulären und — i m Vergleich zur Verschuldenshaftung — „strengen" Charakters 94 zu begrenzen und damit zugleich eine wirtschaftspolitisch unerwünschte Ausdehnung der unternehmerischen Haftpflichtbelastung zu vermeiden, dürfen heute keine Geltung mehr beanspruchen. Die Gefährdungshaftung ist eben keine verschärfte Verschuldenshaftung, sondern ein höchst eigenständiger und heute wohl auch überzeugender Zurechnungsgrund. Die Verantwortlichkeit für Schäden aus besonderer Gefahr ist nicht von „minderer Dignität" 9 5 . A m triftigsten, weil aus dem Zurechnungsmodell der Gefährdungshaftung selbst gefolgert, scheint der Einwand, ohne eine Begrenzung der — oft unabsehbaren — Haftungsrisiken entstehe ein distributives Ungleichgewicht zuungunsten sozial schwächerer Schädiger 96 ; diese seien vor „ruinösen Unglückszurechnungen" zu schützen 97 . Gegenüber der oben betonten Notwendigkeit richtiger Kostenzurechnung kann dieser Einwand nicht bestehen. Auch eine summenmäßig limitierte Abwälzung des Schadens auf die Nutznießer der Betriebsrisiken würde eine Verzerrung des Preisbildungsmechanismus zur Folge haben und dessen präventive Steuerungsfunktion beeinträchtigen. Es ist der Beispielfall denkbar, daß ein Gut nur dank der durch Höchstsummen limitierten Haftpflichtbelastung wirtschaftlich produziert und verkauft werden kann. Ein Wegfall der Höchstgrenzen würde eine solche Fehlsteuerung an den Tag bringen. Der Hinweis auf mögliche Katastrophenrisiken verschlägt demgegenüber wenig. Wo das Katastrophenrisiko sich nicht auf säkulare Unglücke wie Reaktorunglücke oder Talsperrenbrüche beschränkt, w i r d das entsprechende Betriebsrisiko gar nicht erst erlaubt werden. Bei säkularen Katastrophenereignissen andererseits w i r d ohnedies der Ruf nach staatlicher Hilfe laut und, wie die A b wicklung des „Contergan"-Falles gezeigt hat, m i t einiger Sicherheit 9i 02 93 »4 »5 06 97

Genaueres hierzu unten § 10 I I 2 a. Ausnahmen: §833 B G B ; §22 W H G . Dazu Rinck, S. 21 ff. Dieses A r g u m e n t k l i n g t auch noch bei Larenz, Kötz, A c P 170, 39. Rinck, S. 23; ferner Hannak, S. 66. Esser, Gefährdungshaftung, S. 107 f.

VersR 1963, 599 an.

§ 2 Zweispurigkeit unseres Haftungsrechts?

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auch erhört 9 8 . Zur Vermeidung „ruinöser Unglückszurechnungen" i m Einzelfall bedarf es i m übrigen nicht schematischer und für sämtliche Fälle geltender Höchstgrenzen; die adäquate Lösung wäre w o h l eine flexible Reduktionsklausel nach A r t des § 255 a BGB i n der Fassung des Referentenentwurfs 99 . Längst widerlegt ist der weitere Einwand, ohne Haftungshöchstgrenzen seien die Betriebsrisiken nicht kalkulierbar und daher nicht versicherbar 100 . Eine Risikobegrenzung durch Vereinbarung von Dekkungshöchstsummen w i r d i n jedem Haftpflichtversicherungsvertrag vorgenommen, auch wenn nur für Verschuldenshaftung Versicherungsschutz gewährt werden soll. Es sollte daher den Parteien des Versicherungsvertrages vorbehalten sein, das Risiko zu taxieren und dementsprechend die Deckungssumme einzurichten 101 . So w i r d i n der K H Versicherung schon heute fast durchweg eine Deckungssumme vereinbart, die weit über den Höchstgrenzen des § 12 StVG liegt. Letzten Endes ist auch jede Haftungshöchstgrenze willkürlich bestimmt 1 0 2 ; es ist daher müßig, die Ungleichheiten zwischen den einzelnen Haftungsgesetzen zu beklagen 1 0 3 .

§ 2 Z w e i s p u r i g k e i t unseres Haftungsrechts? I . Die Begründung der These durch Esser

Unreflektierten Harmonisierungstendenzen i m Haftpflichtrecht hat Esser 1953 die These von der „Zweispurigkeit unseres Haftpflichtrechts" entgegengesetzt 1 . Das Haftpflichtrecht, so formulierte er, stehe „unter der Spannung zweier Prinzipien, die erst nach klarer Trennung ihre eigene Aufgabe erfüllen können: der Gedanke persönlicher Verantwortung (Schuld) und die sozial gerechte Verteilung unvermeidbarer Wagnisse (Gefährdung)" 2 . Zu wehren sei daher sowohl der „sozialen Ver98 Bekanntlich w u r d e n die Contergan-Kinder durch eine Stiftung entschädigt, die m i t 100 M i l l i o n e n D M von dem verantwortlichen Unternehmen u n d m i t weiteren 50 M i l l i o n e n D M aus Bundesmitteln dotiert w u r d e ; vgl. Gesetz über die Errichtung einer Stiftung „ H i l f s w e r k für behinderte K i n d e r " V. 17.12.1971 — B G B l . I , 2018. 99 F ü r eine solche Lösung bereits Deutsch, Generalklausel, S. 3; v.Caemmerer, Reform der Gefährdungshaftung, S. 23 f.; Kötz, AcP 170, 36 ff. 100 Hannah, S. 65 f.; Larenz, VersR 1963, 599; Rinck, S. 24.

ιοί So m i t Recht bereits Weitnauer, stimmend Kötz, S. 38. ι 0 2 Weitnauer aaO. 103 Vgl. z. B. Rinck, S. 26 f. ι J Z 1953, 129 ff. 2 S. 129.

Karlsruher F o r u m 1962, S. 12; zu-

38 1. Kap.: Gefährdungs- u n d Verschuldenshaftung — Funktionsvergleich

ödung unseres bürgerlichen Gemeinrechts" zugunsten der Haftpflichtsondergesetze, wie auch der „heimlichen Preisgabe des Verschuldensgedankens" durch die Gerichtspraxis. Gegenüber der ex post nach den Erfordernissen einer gerechten Schadensteilung vorgenommenen Beurteilung des Sorgfaltsmaßstabs sei „eine Klarstellung unseres heutigen allgemeinen Sorgfaltsstandards" zu fordern 3 . Es scheint, daß Essers zu ihrer Zeit wichtige und verdienstvolle Gedanken später i n ihrer starren Antithetik dazu beigetragen haben, eine Neubewertung des Verschuldensprinzips entsprechend einem veränderten haftungsrechtlichen „Sozialmodell" (Wieacker) zu verhindern. Insofern bedarf die These von der Zweispurigkeit unseres Haftungsrechts der Relativierung; ihre prinzipielle Richtigkeit ist dagegen nicht i n Frage zu stellen. I I . Das Sozialmodell der Verschuldenshaftung

Der Evolution des Haftungsrechts vom Talionsgedanken her über ein Kompositionssystem, dann über ein objektives Ersatzrecht (ohne subjektive Zurechnungsgründe) zu einem i n der allgemeinen Fahrlässigkeitshaftung kulminierenden subjektiven Ersatzrecht läßt sich jeweils eine bestimmte Entwicklungsstufe der Gesellschaft zur Seite stellen 4 . Die Verschuldenshaftung ist das Haftungsprinzip der bürgerlichen Gesellschaft 5 und des liberalen Rechtsstaats6. Seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert beginnt — unter allmählicher Auflösung der alten ständischen und feudalen Ordnungen — die W i r t schaft, sich als staatsfreie Sphäre zu etablieren 7 . Der bisher bis ins Detail obrigkeitlich reglementierte Tausch von Waren und Dienstleistungen findet nunmehr auf einem liberalisierten M a r k t tendentiell gleicher und frei konkurrierender Warenbesitzer statt. Dessen rechtliche Basis ist die institutionelle Garantie des Eigentums und die Sicherung möglichster Entfaltungsfreiheit, insbesondere der Vertragsfreiheit. Der Bürger als Unternehmer gilt als idealtypisch. Die Idee liberaler Entfaltung findet ihre philosophische Rechtfertigung i n der Kantischen Philosophie, und zwar i n deren formaler Pflichten- und Freiheitsethik, die Kant aus der sittlichen Autonomie der Persönlichkeit herleitete 3 . 3 S. 132, 133 f. Hierzu u n d zum folgenden Jorgensen, VersR 1970, 193 ff. 5 Z u m Begriff vgl. L e x i k o n zur Soziologie, Opladen 1973, S. 237. β Jorgensen, S. 196. 7 Z u m folgenden ausführlich Habermas, S t r u k t u r w a n d e l der Öffentlichkeit, 5. Aufl., Neuwied 1971, § 10, S. 94 ff. 8 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. 1967, S. 375 f., m i t Nachw. 4

§ 2 Zweispurigkeit unseres Haftungsrechts?

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Der privatisierten bürgerlichen Gesellschaft ist komplementär die Idee des liberalen Rechtsstaates. Dabei ist der Dualismus von Staat und Gesellschaft zentral. Das liberale Trennungsdenken beläßt dem Staat i m Bereich des Verkehrs unter Privaten nur noch die Aufgabe, die Freiheit des einzelnen zu garantieren bzw. ihrem Mißbrauch durch Sanktionen zu steuern. Das Recht hat als „Friedensordnung" 9 nur Kollisionsregeln zur Sicherung der gegenseitigen Freiheitssphären beizutragen. „Nicht soziale Gestaltung, sondern liberale Entfaltung lautet die Devise" 1 0 . Dementsprechend schuf sich die bürgerliche Gesellschaft das ihr adäquate Haftungsrecht. Der Kampf um den M a r k t setzt größtmögliche Entfaltungsfreiheit voraus. Wer i m Konkurrenzkampf Dritten Schaden zufügt, darf nur dann mit der Sanktion einer Schadensersatzpflicht belegt werden, wenn er seine Freiheit mißbraucht, m. a. W., wenn er schuldhaft gehandelt hat. Eine weitergehende Verantwortlichkeit würde die Bewegungsfreiheit des Individuums ungebührlich einengen. Aus der Perspektive des Geschädigten ist es selbstverständliche Kehrseite der Eigentumsgarantie, „daß bei der Zerstörung eines Guts der Schaden zunächst denjenigen trifft, dem dieses Gut zugewiesen ist" 1 1 . Wer schuldlos verursachten Schaden erleidet, bleibt auf der Strecke, denn: casus a nullo praestantur. Es ist nicht Aufgabe des liberalen Staates, hier den allfälligen sozialen Härten abzuhelfen; eine entsprechende Vorsorge bleibt der Eigenverantwortung des Individuums überlassen. Die Schuldhaftung ist selbstverständlich keine Erfindung des 19. Jahrhunderts, sie w i r d aber i n diesem Zeitraum zum alles beherrschenden Zurechnungsprinzip 12 . Zwar hat die Vermutung wenig für sich, das culpa-Prinzip habe seinen Siegeszug allein zum Zweck der Instrumentalisierung des Haftungsrechts i m Dienste des Wirtschaftsliberalismus angetreten; es lassen sich jedoch Belege finden, daß zumindest einigen Exponenten des culpa-Prinzips dessen ökonomische Implikationen nicht verborgen geblieben sind 1 3 . Das Verschuldensprinzip verdrängt i m 19. Jahrhundert aber nicht nur die culpalosen Haftungen, sondern wandelt sich selbst von einem eher objektiven Zurechnungsgrund i m Sinne von Pflichtwidrigkeit zur Willensschuld, die eine moralische Bewertung

9

Puchta, Cursus der Institutionen, 3. Aufl., Leipzig 1854, Bd. I, S. 15. Ogorek, S. 23. 11 So noch 1898 G. Rümelin, Culpahaftung u n d Causalhaftung, AcP 88, 286. 12 Ogorek, S. 24. Z u r älteren Geschichte des Schuldprinzips Ehrenzweig, Schuldhaftung, S. 24 ff. 13 Ogorek, S. 33 ff. Daß i m übrigen zwischen der ökonomischen u n d der ethischen Fundierung des Verschuldensprinzips kein unaufhebbarer Gegensatz besteht, betont m i t Recht Kötz, S. 4 N. 7.

40 1. Kap.: Gefährdungs- u n d Verschuldenshaftung — Funktionsvergleich

der schadenstiftenden Handlung enthält 1 4 . Die Entwicklung kulminiert schließlich i n der Axiomatisierung des culpa-Prinzips durch Rudolf v.Jherings plakative Formel, „nicht der Schaden verpflichtet zum Schadensersatz, sondern die Schuld" 1 3 . Aus diesem A x i o m konnte Jhering m i t absoluter Konsequenz die Rechtsfolge der Proportionalität von Schuld und Schadensersatz ableiten 16 . Als schuldhaft bewertete er — i n streng subjektiver Auffassung — nur die Handlung, die „sich dem Willen zum Vorwurf anrechnen läßt" 1 7 . Jhering verkündete seine Thesen i m Jahre 1867, also ein Jahr bevor m i t der Initiative zum Reichshaftpflichtgesetz 18 die Vorarbeiten zum ersten reichseinheitlich geltenden Gefährdungshaftungstatbestand begannen. Sein Programm „keine Haftung ohne Schuld" wurde so nicht nur Magna Charta, sondern zugleich Epitaph der Blütezeit des culpaPrinzips 1 9 . Neue Entwicklungen hatten sich längst angebahnt. I I I . Wandlungen i m haftungsrechtlichen Sozialmodell

Das haftungsrechtliche Sozialmodell hat sich unter den Bedingungen des Spätkapitalismus von Grund auf verändert 2 0 . Die zunehmende I n dustrialisierung und die wachsende Technisierung des Produktionsprozesses haben eine Vervielfachung der Schadensrisiken i m Gefolge gehabt. Zugleich hat sich das Durchschnittsvolumen des einzelnen Schadensrisikos m i t steigender Wohlfahrt aller beträchtlich vergrößert. Der fortschreitende Prozeß der Arbeitsteilung und die noch andauernde Konzentration i n der Wirtschaft haben uns zu einer Gesellschaft von Arbeitnehmern gemacht; vom Idealtypus des Bürgers als Unternehmer kann — falls er überhaupt je seine reale Entsprechung hatte — nicht mehr die Rede sein. Die stärkere Abhängigkeit des einzelnen zeitigt ein zunehmendes Bedürfnis nach sozialer Sicherheit. Der liberale Rechtsstaat hat den gesellschaftlichen Wandel nachvollzogen und ist zum sozialen Rechtsstaat geworden, der seine Funktion nicht mehr allein i n der Friedenssicherung sieht, sondern selbst sozialgestaltend und fürsorgend interveniert. Die gesellschaftlichen Veränderungen haben auch i m Privatrecht ihren Niederschlag gefunden. Der liberale Vertragsmechanismus w i r d 14

Ogorek, S. 46. Jhering, Schuldmoment i m römischen Privatrecht, S. 40. 16 aaO S. 54 ff. 17 aaO S. 41. is s. oben § 1 I I . i® A u f diese reizvolle Ungleichzeitigkeit weist Jorgensen, L i a b i l i t y Fault, S. 331, hin. 20 Z u m folgenden Jorgensen aaO, u n d VersR 1970, 197. 15

and

§ 2 Zweispurigkeit unseres Haftungsrechts?

41

„rechtspolizeilichen" Interventionen durch Sondergesetze wie das A b zahlungsgesetz oder auch durch die richterliche Kontrolle von A G B unterworfen. I m Haftpflichtrecht hat sich die Gefährdungshaftung als eigenständiges Zurechnungsmodell von der Verschuldenshaftung gelöst und fortentwickelt. A n der Theorie der Verschuldenshaftung selbst scheinen hingegen die Wandlungen i m Sozialmodell nahezu spurlos vorübergegangen zu sein. Es erscheint an der Zeit, auch hier die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. I V . Konsequenzen für eine Theorie der Fahrlässigkeitshaftung 21

Die herrschende Theorie der Fahrlässigkeitshaftung fußt auf dem Gedanken persönlicher Verantwortung als notwendigem Korrelat der persönlichen Freiheit 2 2 . Fahrlässigkeit setze „eine fehlerhafte subjektive Einstellung des Handelnden" zu den i h n treffenden Sorgfaltspflichten voraus 23 . Weil „die Verantwortung des Menschen sittlich nur durch seine freie Willensbestimmung begründet werden" kann 2 3 , w i r d dem Verschuldensprinzip ethischer Rang beigemessen 24 . Daß der Schädiger den durch die mißbilligte Pflichtverletzung entstandenen Schaden zu ersetzen hat, gilt als Gebot der ausgleichenden Gerechtigkeit 20 . K a u m als störender Widerspruch zu diesen Prämissen w i r d die — i m K e r n nicht mehr angefochtene — Geltung eines objektiven Fahrlässigkeitsmaßstabes angesehen 26 . Zwar fehlt es bei unterdurchschnittlichen Fähigkeiten des Verletzers notwendig an einem persönlichen Verschuldens?; ortimrf 2 7 ; doch w i r d dieser Widerspruch, soweit er überhaupt notiert wird, damit entschuldigt, daß Fahrlässigkeitshaftung auch

21 Vorsätzliche Delikte können hier als praktisch bedeutungsarm u n d dogmatisch problemlos ohne weiteres vernachlässigt werden; vgl. Kötz, S. 3 N. 3; Münzberg, Verhalten u n d Erfolg, S. 162 f.; Eike Schmidt, Z i v i l recht, § 4 I I 3. 22 Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 64 f.; Esser, SchR I, §9 I V 2; Fikentscher, §531; Larenz, SchR I, §20111, S. 212 ff.; Nipperdey, Karlsruher F o r u m 1959, S.8. 23 Esser aaO. 24 Esser, Gefährdungshaftung, S. 99. Vgl. auch Referentenentwurf 1967, Begründung S. 3: „ A u s ethischen u n d sozialen Gründen" müsse Verschuldenshaftung die Grundlage des Haftpflichtrechts sein. 2 * Esser, SchR I I §106111; Güllemann, S. 105. 26 Vgl. etwa Güllemann, S. 107. Der Widerspruch t r i t t natürlich n u r auf, w e n n m a n die Fahrlässigkeit nicht m i t Enneccerus / Nipperdey, S. 1321 ff., Münzberg, S. 176 ff. u n d Wiethölter, Rechtfertigungsgrund, S. 47 ff. als Rechtswidrigkeitsmerkmal, sondern als Schuldform ansieht; so etwa Deutsch, J Z 68, 722; Fikentscher, §53 I I I 3 b; Larenz, SchR I §20111, I V ; wenig konsequent Esser, SchR I, § 9 I V 2, § 37 I I I . 27 So der verbreitete Sprachgebrauch; vgl. Esser, S c h R I § 9 I V ; Larenz, SchR I §201; kritisch dazu Weyers, S. 387.

42

. K a p . : Gefährdungs- u n d Verschuldenshaftung — Funktionsvergleich

„Elemente der objektiven Verantwortung i n sich schließt" 28 . Wo die individuelle Verantwortlichkeit unter dem normativen Fahrlässigkeitsmaßstab bleibe, liege eben ausnahmsweise eine „Risikohaftung" für den Mangel der eigenen Leistungsfähigkeit vor 2 8 . Larenz 9 zuletzt zitierte Bemerkung weist den Weg zu einem dem gewandelten Sozialmodell adäquaten Konzept der Fahrlässigkeitshaftung. Die Kategorie Fahrlässigkeit soll sinnvolle Schadenszurechnung i m Spannungsfeld zwischen Bestandsinteresse des Geschädigten und den Entfaltungsinteressen des Verkehrs verbürgen 2 9 . Die Zuweisung der m i t dem Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit einhergehenden Schädigungsrisiken mittels Statuierung von Sorgfaltsstandards ist soziale Aufgabe, nicht individualethische Bewertung 3 0 . Die h. L., die den ethischen Rang des Verschuldensprinzips rühmt, möchte denn ja auch keineswegs m i t Jhering die notwendige Konsequenz einer Proportionalität von Schuld und Haftung ziehen 31 . Das Distributionsproblem stellt sich nicht viel anders als bei der Gefährdungshaftung; nur verteilt diese (technische) Betriebswagnisse, die Fahrlässigkeitshaftung dagegen Verhaltenswagnisse. Insoweit ist die distributive Gerechtigkeit zumindest auch, wenn nicht gar überwiegend Programm zivilrechtlicher Fahrlässigkeitsha f tung 3 2 . Die Verteilung kann nur an Hand eines für alle Rechtsgenossen prinzipiell gleichen Maßstabs erfolgen. Der Verkehr ist auf ein System fester Verantwortungskreise 33 angewiesen und kann auf individuelle, sozusagen aus dem Rahmen fallende Unzulänglichkeiten keine Rücksicht nehmen. Soziologisch gesprochen: Komplexere Gesellschaften müssen „die Zuverlässigkeit von Verhaltenserwartungen mehr durch Rollen als durch Personen gewährleisten" 33 *. Dieses gesellschaftliche 28 Larenz, SchR I § 20 I I I , S. 211 ff. 2» Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 68 ff.; Münzberg, S. 85; Eike Schmidt, Z i v i l recht, § 4 1 3 , 112. 30 Dies hat besonders Wiethölter, S. 47 ff., herausgearbeitet. I h m folgt Eike Schmidt, § 4 I V 2. 31 A u f diese Ungereimtheit macht Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 79 aufmerksam. Die geplante Reduktionsklausel des § 255 a BGB, die eine Berücksichtigung des Verschuldensgrades vorsieht, würde als exzeptionelle Billigkeitsn o r m n u r die Regel bestätigen. Vgl. auch Hermann Lange, Begrenzung der Haftung für schuldhaft verursachte Schäden?, i n : Verhandlungen des 43. DJT, Bd. I , München 1960, S.33ff. 32 So richtig bereits R. Reinhardt, A c P 148, 180 f.; ferner Wiethölter, S. 48 ff.; Weyers, S.351, 577 ff. Vgl. ferner Stoll, RabelsZ 36 (1972), S.302: das Verschuldensprinzip sei nicht moralische Wertung, sondern „Modus der Risikoverteilung". 33 Den heuristischen Wert dieses Begriffs betont m i t Recht Weyers, S. 396 ff., i m Anschluß an Esser, Gefährdungshaftung, S. 32. 33a Luhmann, Moderne Systemtheorien als F o r m gesamtgesellschaftlicher Analyse, i n : Habermas / Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, F r a n k f u r t / M . 1971, S. 23.

§ 2 Zweispurigkeit unseres Haftungsrechts?

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Bedürfnis bedingt für das Recht der unerlaubten Handlungen die Geltung eines normativen Fahrlässigkeitsmaßstabs. Dessen evolutionäre Leistung liegt nicht so sehr darin, daß er gerade den „bonus pater familias", den „reasonable man" zum allgemein verbindlichen Verhaltensstandard erhebt; es ist theoretisch sehr wohl möglich, Sorgfaltsanforderungen allgemein über den Durchschnittsstandard hinaus zu verschärfen 34 . Die Hauptbedeutung des normativen Fahrlässigkeitsmaßstabes liegt i n seiner Generalisierungsleistung. Die Höhe des Sorgfaltsstandards ist eine Zweckmäßigkeitsfrage, die für die verschiedenen Verkehrskreise auf Grund einer Bewertung der kollidierenden Freiheits- und Bestandsinteressen 35 je verschieden beantwortet werden kann. Der „ Sondermaßstab" für bestimmte Berufsgruppen und für „Fachleute" 3 6 beruht auf deren besonderer sozialer Selbstdarstellung, die entsprechende normative Verhaltenserwartungen des Verkehrs zeitigt 3 7 . Ein Arzt, der einem bewußtlosen Unfallopfer erste Hilfe leistet, hat auch ohne vertragliche Abmachung eine höhere Sorgfalt zu prästieren als ein beliebiger Passant. Neben dem normativen Fahrlässigkeitsmaßstab ist, w i l l man m i t der Qualifizierung der Fahrlässigkeitshaftung als „Risikohaftung" 3 8 w i r k lich Ernst machen, für das Moment individueller Vorwerfbarkeit kein Raum 3 9 . Konsequent zu Ende gedacht führt diese Betrachtungsweise zwangsläufig zu einer Auflösung der Kategorie des — als individuelle Vorwerfbarkeit verstandenen — Verschuldens i n der Fahrlässigkeitshaftung. Damit w i r d letztere aber nicht zur Gefährdungshaftung — denn diese ist Haftung für nicht beherrschbare technische Risiken — sondern zur Unrechtshaftung, zur Haftung für objektiv sorgfaltspflichtwidriges Verhalten 4 0 . Demgegenüber ist der Verweis auf den Wortlaut des § 8231 BGB 4 1 , der bekanntlich zwischen Widerrechtlichkeit und Fahrlässigkeit unterscheidet, von geringer Überzeugungskraft. Er ist 34

Diese Feststellung mag den Befürwortern eines ethisch „veredelten" Verschuldensprinzips als Häresie erscheinen. Natürlich k a n n die Verschärfung nicht bis zur Grenze eines vollkommen f i k t i v e n Standards gehen. Neuere Forschungen sprechen i m übrigen dafür, daß eine solche V e r schärfung keineswegs zu einer Einbuße an präventiver Effizienz führen würde; Jorgensen, L i a b i l i t y and Fault, S. 330, 333 ff. 35 Z u dieser Abwägung Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 69 f. 3 6 Dazu statt vieler Deutsch, aaO S. 136 ff.; Larenz, SchR I §20111, S. 211. 37 Dazu schon oben § 1 I I I 5 a. 88 Larenz, SchR I § 20 I I I , S. 212. 3 ® So folgerichtig Wiethölter, S. 51; ebenso Eike Schmidt, § 4 I V 2. Die Gegenmeinung hat am pointiertesten Nipperdey vertreten; vgl. N J W 1957, 1777 (1781); Karlsruher F o r u m 1959, S. 8 f.; Enneccerus /Nipperdey, S. 1321 ff., jeweils m i t Nachw. 40 Wiethölter aaO; Eike Schmidt aaO. 4 * Larenz, SchR I § 20 I V , S. 213.

44 1. Kap.: Gefährdungs- u n d Verschuldenshaftung — Funktionsvergleich

eher Beleg für das A l t e r n der Kodifikation als für die Unrichtigkeit unserer These. Der Kategorie des Verschuldens bedarf es auch nicht zur richtigen systematischen Einordnung der Zurechnungsfähigkeit bzw. der Ausnahmen vom normativen Fahrlässigkeitskriterium 4 2 . Unstreitig werden gewisse Personengruppen wie Jugendliche (§§ 827 f.), Geisteskranke oder ältere Menschen privilegierend vom normativen Fahrlässigkeitsmaßstab ausgenommen 43 . Diese Gruppen sollen, indem das Haftungsrecht sie vollständig (§§ 827 S. 1, § 828 I BGB) oder doch teilweise (ältere Menschen) von Verhaltensrisiken entlastet und dieselben dem jeweils Geschädigten aufbürdet, besonderen gesellschaftlichen Schutz genießen. Auch darin liegt eine Regelung m i t distributiver Funktion, die der Idee individueller Verantwortung und individueller Vorwerfbarkeit nicht bedarf. Dies gilt ungeachtet der Einsicht, daß der Gerechtigkeitswert dieser Verteilungsregeln durchaus anzuzweifeln ist. Die den privilegierten Gruppen abgenommenen Schadensrisiken müßten als gesamtgesellschaftliche Kosten von der Gesellschaft selbst und nicht von dem ganz zufällig und unglücklicherweise betroffenen Geschädigten getragen werden. Das Opfer wäre daher richtigerweise aus einem öffentlichen Fonds zu entschädigen. Daß dem ganz am zweigliedrigen Zurechnungsmodell orientierten BGB-Gesetzgeber diese Perspektive des Verteilungsproblems versperrt war, kann nach den bisherigen Ausführungen nicht überraschen. Tatbestandstechnisch w i r d man die fraglichen Haftungs-Privilegierungen am besten als subjektive Bedingungen der Rechtswidrigkeit klassifizieren. Gehen w i r an dieser Stelle kurz noch einmal auf unseren Ausgangspunkt, die These von der Zweispurigkeit des Haftungsrechts, zurück, so können w i r feststellen: Die strenge Polarität von Unrecht und Unglück, von Verschulden und Risikotragung läßt sich nach dem Vorstehenden nicht durchhalten. Auch Fahrlässigkeitshaftung ist — als Haftung für objektiv pflichtwidriges Verhalten — ein „Modus der Risikozurechnung" (Stoll).

42 So aber insbesondere Nipperdey, N J W 1957, 1781; Larenz aaO. Terminologisch wenig glücklich bezeichnet auch Eike Schmidt, § 4 I V 1, S. 511, die Zurechnungsfähigkeit als „Verschuldenselement". 43 F ü r K i n d e r vgl. B G H Z 39, 281, 283 („Ritterspiel"); zu den übrigen Differenzierungen Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 128 ff., 145 f.; ders., JZ 1968, 723.

Zweites Kapitel

Funktioneanalyse des Schmerzensgeldanspruchs u n d Funktionsvergleich mit der Gefährdungehaftung § 3 Geschichtliche G r u n d l a g e n Z u den historischen Grundlagen des Schmerzensgeldes sind i n j ü n gerer Zeit umfangreichere Forschungen geleistet worden 1 . Es w i r d daher auf längere rechtshistorische Ausführungen verzichtet und lediglich ein Überblick über die wichtigsten Entwicklungsstationen gegeben, und zwar unter Betonung derjenigen Aspekte, die über das Verhältnis von Schmerzensgeld zu Gefährdungshaftung Aufschluß geben können. Das Interesse w i r d statt dessen vorrangig der Frage gelten, welche Richtung die Judikatur seit dem wegweisenden Beschluß des Großen Zivilsenats vom 6. J u l i 19552 — durch i h n wurde bekanntlich die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes höchstrichterlich und einstweilen endgültig sanktioniert — eingeschlagen hat. I . Ursprung und Entwicklung des Schmerzensgeldes bis zum Inkrafttreten des BGB

Der Schmerzensgeldanspruch ist ein Rechtsinstitut, das während seiner ganzen Entwicklung i m Spannungsfeld zwischen strafender Unrechtsvergeltung und zivilistischer Schadensersatzhaftung stand. Seine Dogmengeschichte läßt sich denn auch — m i t Einschränkungen — bis heute als die Geschichte von Versuchen beschreiben, jeweils die poenale Funktion einerseits oder die Ersatzfunktion andererseits mehr i n den Vordergrund zu schieben. 1. Weitgehende Übereinstimmung besteht heute darin, daß der Schmerzensgeldanspruch seinen Vorgänger i n der Buße* des germanischen Rechts hat 4 . Aus primitivrechtlichen Rachevorstellungen her1 Vgl. insbes. die materialreiche A r b e i t v o n Hofstetter, Geschichte des Schmerzensgeldes; ferner Eickhoff, S. 24 ff.; W. Schmid, S. 28 ff.; Stoll, G u t achten, S. 51 ff.; Wieling, Interesse u n d Privatstrafe, S. 130 ff. 2 B G H Z 18, 149. 3 Über die historische E n t w i c k l u n g der Buße berichtet Niemeyer, S. 6 ff. 4 Versuche, bereits i m klassischen u n d nachklassischen Römischen Recht schmerzensgeldähnliche Ansprüche nachzuweisen, dürfen heute w o h l als

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2. Kap. : Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs

vorgegangen, kam der Buße damals, angesichts einer noch wenig ausgeprägten Trennung von Z i v i l - und Strafrecht, Ersatz- und Vergeltungsfunktion zu 5 . Erst als i m Laufe des Mittelalters der Staat die Strafrechtspflege zunehmend an sich zieht 6 , w i r d es möglich, zwischen Strafe und Schadensersatz zu scheiden. M i t dem allmählichen Verschwinden der Bußen ist der Weg zu einer schadensersatzrechtlichen Einordnung des Schmerzensgeldes eröffnet. Reichsgesetzlich7 taucht ein — tatbestandlich gleichwohl noch sehr begrenzter — Schmerzensgeldanspruch erstmals i n der Peinlichen Halsgerichtsordnung Karls V. auf (1532), i n deren A r t . 20 bestimmt ist, daß ein Richter, der rechtswidrige Folterungen angeordnet hat, dem unschuldigen Opfer „seiner schmach, schmertzen, costen und schaden der gepure ergezung zu thun schuldig" sei. Bis zum 18. Jahrhundert findet die Schmerzensgeldklage nahezu überall Eingang i n den Gerichtsgebrauch, der schließlich auch von der anfangs widerstrebenden gemeinrechtlichen Wissenschaft akzeptiert w i r d 8 . 2. Das Preußische Allg. Landrecht von 1794 enthält i m 6. Titel des 1. Teils eine detaillierte Regelung des Schmerzensgeldes. Nach § 112 konnten „Personen vom Bauern- oder gemeinen Bürgerstande" wegen erlittener Schmerzen vom Schädiger ein billiges Schmerzensgeld fordern, wenn diesem Vorsatz oder grobes Verschulden zur Last fiel. Interessant ist § 113, der Richtlinien für die Bemessung des Schmerzensgeldbetrages gibt: „Der Betrag dieses Schmerzensgeldes ist nach dem Grade der ausgestandenen Schmerzen, jedoch nicht unter der Hälfte, und nicht über den doppelten Betrag der erforderlichen Curkosten . . . zu bestimmen." Die Anknüpfung der Betragshöhe an die „Curkosten" sowie die Nichtberücksichtigung des Verschuldensgrades bei der Bemessung lassen hier die Poenalfunktion fast völlig i n den Hintergrund treten. Unhaltbar ist denn auch die schon erwähnte Leitentscheidung Β GHZ 18, 149 (155), soweit sie aus der Berücksichtigung des Verschuldensgrades i n §§ 118, 125 A L R auf eine Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes i m A L R schließen zu können glaubt. Der B G H verkenn^ daß dem A L R eine Differenzierung nach dem Verschuldensgrad zwar hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen geläufig w a r 9 — dies widerlegt gelten, vgl. Hofstetter, S. I f f . ; Hermann Lange, Schadensersatz u n d Privatstrafe i n der mittelalterlichen Rechtstheorie, S. 58; Wieling, S. 131 ff. s Niemeyer, S. 13; Wieling, S. 136. β Niemeyer, S. 15 ff. 7 E i n partikularrechtlicher Vorläufer findet i n einer Kölner Chronik von 1499 unter dem Jahre 1431 Erwähnung; Einzelheiten u n d Nachweise bei Hofstetter, S. 14. s Hofstetter, S. 18 ff., 22 ff.; Wieling, S. 141. 9 Diese Differenzierung hat — praeter legem — über die Rechtsprechung zur Persönlichkeitsbeeinträchtigung wieder Eingang i n das geltende Z i v i l -

§ 3 Geschichtliche Grundlagen

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übrigens auch für Vermögensschäden —, daß aber § 113 nur objektiv nach dem Grade der Schmerzen differenziert 1 0 . Die Festsetzung von — freilich nur relativen — Höchst- und Mindestgrenzen entsprang seinerzeit der Skepsis gegenüber einem unkontrollierten richterlichen Ermessen 11 ; sie könnte heute für Schmerzensgeldansprüche aus Gefährdungshaftung wieder aktuell werden, sehen doch die meisten Gefährdungshaftungsgesetze Haftungshöchstgrenzen vor 1 2 . 3, Die gemeinrechtliche D o k t r i n i n der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war der weiteren Durchsetzung der zivilrechtlichen Schmerzensgeldklage wenig günstig 1 3 . Man glaubte, den Quellen entnehmen zu können, daß für eine gültige schuldrechtliche Verbindlichkeit ein vermögensrechtliches Interesse des Gläubigers vorauszusetzen sei. Dieses Dogma vom Vermögenswert der Obligation wies den Schutz immaterieller Güter praktisch ausschließlich dem Strafrecht zu. Gegen Ende dieser dogmengeschichtlichen Periode w i r d m i t § 1 des Reichshaftpflichtgesetzes vom 7. Juni 1871 der erste reichseinheitlich geltende Gefährdungshaftungstatbestand kreiert. Zwar geben die Gesetzesmaterialien keinerlei Auskunft darüber, ob die Einbeziehung des immateriellen Schadens i n den Ersatzanspruch überhaupt erwogen bzw. warum sie — gegebenenfalls — verworfen wurde. Die Vermutung drängt sich aber geradezu auf, es sei der Ausschluß von Nichtvermögensschäden durch das RHG nicht so sehr das Resultat überlegter legislatorischer Entscheidung, als vielmehr bloße Vernachlässigung eines zu dieser Zeit allgemein fragwürdig gewordenen Anspruchs. Das RHG war hinsichtlich des Haftungsumfangs Vorbild für die später i n K r a f t getretenen Sonderhaftpflichtgesetze 14 . Damit bildete sich eine angebliche deutschrechtliche Tradition aus, deren wenig reflektierte Ursprünge i n einer dem Ersatz immaterieller Schäden denkbar ungünstigen Periode i n der Folgezeit nie wieder überprüft wurden 1 5 . Eine Tendenzwende i n der Entwicklungsgeschichte des Schmerzensgeldes bahnte sich erst kurz vor Aufnahme der Arbeiten am BGB unter recht gefunden: Seit B G H Z 35, 363 — „Ginsengwurzel" — verlangt der B G H als Anspruchsvoraussetzung schweres Verschulden des Verletzers. 10 Lediglich i m Falle der Verunstaltung einer „unverheiratheten Frauensperson" aus „mäßigem Versehen" enthält § 12516 eine Reduktionsklausel. Daß auch die übrige rechtshistorische Argumentation des B G H nicht stichhaltig ist, hat bereits Eickhoff, S. 32 ff. nachgewiesen. 11 Hofstetter, S. 37. 12 Vgl. etwa § 37 L u f t V G , § 7 a RHpflG, § 12 StVG, § 32 AtomG. Z u m Quotensystem noch unten § 10 I 3. 1 3 Z u m folgenden ausführlich v.Beauvais, S. 20 ff.; Eickhoff, S. 37 ff.; W. Schmid, S. 32 ff.; Stoll, Gutachten, S. 54 ff., jeweils m i t zahlreichen Nachweisen. 1 4 Nachweise bei W. Schmid, S. 6 ff. 15 Vgl. zuletzt die amtliche Begründung zum Atomgesetz (1959) i n : V e r handlungen des Bundestages, 3. Wahlperiode, Drucks. Nr. 759, S. 35 ff.

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2. Kap.: Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs

dem Einfluß der Schrift v. Wächters 16 über die Buße sowie des sog. Gäubahngutachtens v. Jherings 17 an. Jhering wollte den Ersatz immaterieller Schäden freilich nicht als reinen (ökonomischen) Ausgleich verstanden wissen, sondern i h m auch „Satisfaktionsfunktion" zugestehen 18 . Letztere Streitfrage war für die Praxis autoritativ entschieden, nachdem das Reichsgericht i n einer Entscheidung vom 17. Nov. 1882 19 ausgesprochen hatte, das Schmerzensgeld sei nicht als Privatstrafe, sondern als „civilrechtlicher Ersatzanspruch" anzusehen. Windscheid, der bis zur dritten Auflage seines Pandektenlehrbuchs einen Schmerzensgeldanspruch wegen der Inkommensurabilität von Schmerzen und Geld bekämpft hatte 2 0 , korrigierte seine Haltung später und schloß sich den Befürwortern der Ersatznatur des Schmerzensgeldes an 2 1 , die konsequent auch für eine Nichtberücksichtigung des Verschuldens bei der Bemessung des Anspruchs eintraten 2 2 . Die praktische Bedeutung dieses Theorienstreits für die Verfasser des BGB darf indessen nicht überschätzt werden. Angesichts der noch kaum angetasteten Geltung des Verschuldensdogmas i m außervertraglichen Schadensrecht — von den Sonderhaftpflichtgesetzen war erst das Reichshaftpflichtgesetz vom 7. 6.1871 erlassen — wäre die Ausstattung des Schmerzensgeldes m i t Genugtuungsfunktion zwar ein Fremdkörper i m Haftungsrecht gewesen, hätte aber nicht zu irgendwelchen Funktionswidersprüchen geführt. Gleichwohl erscheint es einigermaßen überraschend, daß die Materialien zum BGB auf den Theorienstreit m i t keinem Wort eingegangen sind 2 3 . Freilich läßt sich aus einer ganzen Reihe von Indizien der Schluß ziehen, daß die Gesetzesredaktoren der damals ganz herrschenden Meinung von der Entschädigungsfunktion des Schmerzensgeldes sich anschließen wollten 2 4 . Remé20 hat i n seiner sorgfältigen Analyse 16

ν . Wächter, Die Buße bei Beleidigungen u n d Körperverletzungen, 1874. E i n Rechtsgutachten, betreffend die Gäubahn, JherJb 18, S. 1. E r w ä h nung finden müssen hier ferner die Bemühungen v o n Kohler, ArchBR 5, 161 ff., u n d Ο. ν . Gierke, E n t w u r f eines BGB, S. 197. 18 aaO S. 51 ff. Hierzu noch ausführlich unten § 7 A . i» Seuff. Arch. 38 Nr. 121, S. 159 f. 20 Lehrbuch des Pandektenrechts, 2. Bd., 3. Aufl. 1870, S. 660 A n m . 31. 21 aaO 4. Aufl. 1875, S. 707, A n m . 31. 22 Vgl. statt vieler v. Wächter, S. 75. 23 Lediglich zur Frage der Vererblichkeit des Schmerzensgeldes liest m a n i n Mot. I I S. 802: „Es hängt diese Streitfrage m i t der anderen zusammen, ob das Schmerzensgeld als Strafe oder als Entschädigung aufzufassen ist." Die erwartete Stellungnahme sucht m a n i m folgenden jedoch vergebens. 24 i n den Protokollen ( I I S. 640) w i r d der Anspruch aus § 847 signifikant mehrfach als Entschädigung bezeichnet. 25 S. 35 f. Vgl. ferner Eickhoff, S.41ff.; Hofstetter, S. 67 f. Remé bemängelt zu Recht, daß der Große Zivilsenat sich i m rechtshistorischen T e i l seiner Begründung zwar auf partikularrechtliche Vorläufer des B G B stützt, aber nirgends zu den Materialien Stellung n i m m t .

§ 3 Geschichtliche Grundlagen

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diese Faktoren i m einzelnen dargestellt, so daß hier auf längere Ausführungen verzichtet werden kann. A m Ende dieses kurzen historischen Überblicks bleibt das Fazit, daß weder die wechselvolle Dogmengeschichte des Schmerzensgeldanspruchs noch die Gesetzesmaterialien zu § 847 BGB geeignet sind, die Frage nach der Funktion des Schmerzensgeldes definitiv zu beantworten. Schon gar nicht lassen sich irgendwelche Argumente für das hier zu klärende Verhältnis von Schmerzensgeld und Gefährdungshaftung gewinnen. Z u sehr hat sich die haftungsrechtliche Landschaft durch dogmatische und legislative Fortschritte seit Beginn des Jahrhunderts verändert 3®. Immerhin läßt sich aber der Berufung auf eine spezifisch deutschrechtliche Tradition der Unvereinbarkeit von Schmerzensgeld und Gefährdungshaftung m i t guten Gründen entgegentreten. Die — später nie mehr reflektierten — Ursprünge dieser Tradition sind i n einer dem Ersatz immaterieller Schäden allgemein ablehnend gegenüberstehenden dogmengeschichtlichen Strömung u m die Mitte des 19. Jahrhunderts zu suchen. Die Verfasser des RHG von 1871 dürften sich dieser Strömung verpflichtet gefühlt und so das Vorbild für die späteren Sonderhaftpflichtgesetze geliefert haben. I I . Die Rechtsentwicklung zu § 847 BGB bis zum Beschluß des Großen Zivilsenats 1

Die höchstrichterliche Judikatur ist, bis zur Wende durch den Beschluß des Großen Senats des BGH, der vom historischen Gesetzgeber vorgezeichneten Linie gefolgt und hat m i t wenigen Ausnahmen 2 i n ihren Erkenntnissen den Schmerzensgeldanspruch als echten Ersatzanspruch behandelt 3 . Lediglich die Ausfüllung der Generalklausel „billige Entschädigung" bot vereinzelt Gelegenheit, den Anspruch m i t einigen Besonderheiten auszustatten. So bediente sich das Reichsgericht — nach anfänglichem Zögern — i n ständiger Rechtsprechung des Verschuldensgrades als K r i t e r i u m der Schmerzensgeldbemessung 4, ohne hierin die Ausprägung einer Genugtuungsfunktion des Anspruchs zu erblicken 3 . Nicht von vornherein mit der Ausgleichsfunktion vereinbar war auch die Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse des auf Ersatz imma-

26 Ausführlich W. Schmid, S. 32 ff. ι B G H Z 18, 149. 2 R G D A R 34, 152; O L G H a m b u r g O L G E 18, 106. 3 Vgl. z. B. R G WarnRspr. 1934, Nr. 123, S. 261. 4 RGZ 136, 60; R G SeuffA 88, 84; J W 1933, 832. 5 Z u r Abhängigkeit der Schmerzensgeldbemessung v o m Rechtsgrund der Schmerzensgeldleistung vgl. u. N. 17. 4 Köndgen

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2. Kap. : Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs

teriellen Schadens i n Anspruch genommenen Schädigers 6 . Dies ging freilich nicht soweit, daß man auch eine etwa vom Haftpflichtigen abgeschlossene Versicherung bei der Bemessung i n Ansatz gebracht hätte; dies vertrage sich, so das Reichsgericht, nicht m i t dem „Wesen der Haftpflichtversicherung", die nur das Ziel einer akzessorischen Schadloshaltung verfolge 7 . Abgelehnt wurde auch eine Differenzierung nach sozialen Schichten 8 , eine Praxis, die heutzutage, wenngleich uneingestanden, der Judikatur zur Persönlichkeitsverletzung h i n und wieder zugrunde zu liegen scheint 9 . Die Grundthese von der Ausgleichsfunktion ließ keinerlei dogmatische Skrupel an der Einschlägigkeit des § 847 auch für die verschuldenslose Haftung des Tierhalters aufkommen 1 0 . Die — gegebenenfalls analoge — Anwendung der Vorschrift bei Gefährdungshaftung nach den Sonderhaftpflichtgesetzen scheiterte lediglich an dem formalen Argument, daß letztere eine abschließende Regelung der Ersatzpflicht enthielten 1 1 . I m Schrifttum wurde die Judikatur des Reichsgerichts kaum k r i t i siert; nur ganz wenige Autoren maßen dem Schmerzensgeld auch eine pönale Funktion bei 1 2 . Der B G H setzte denn auch die vom Reichsgericht verfolgte Linie zunächst fort. I n einer Entscheidung aus dem Jahre 1952 unterwarf sich der I I I . Zivilsenat 1 3 sogar der Mühe, die (ausschließliche) Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes erneut detailliert zu begründen. Gestützt auf den Ersatzcharakter des Anspruchs wurde konsequent die Rechtsprechung des Reichsgerichts zurückgenommen, die i n den Vermögensverhältnissen des Schädigers — später auch i n einer von letzterem abgeschlossenen Haftpflichtversicherung 14 — ein K r i t e r i u m der Schmerzensgeldbemessung gesehen hatte 1 5 . Erst dieses mit Härten für einen mittellosen Schädiger verbundene Ergebnis,

6 RGZ 63, 104 u n d st. Rspr. 7 RGZ 63, 104; 136, 60; erst die Entscheidung R G DR 1944, 290 brach m i t dieser Praxis u n d sprach sich f ü r eine Berücksichtigung der Haftpflichtversicherung des Schädigers aus. 8 RGZ 76, 175 (176). 9 Nachweise s. unten § 5 I I 2. 10 Bejahend RGZ 50, 244 (252). 11 RGZ 57, 52. 12 A m deutlichsten Dernburg, §388113: „ D i e arbiträre Geldentschädigung nähert sich einer Strafe." Vgl. ferner Stoll / Felgenträger, Vertrag u n d U n recht, 4. Aufl. 1944, S. 240. is Β GHZ 7, 223 i m Anschluß an die v o n Peterßen, J W 1936, 2965 geübte K r i t i k an der Spruchpraxis des Reichsgerichts. Der V I . Senat — B G H VersR 1953, 196 — schloß sich zunächst dem I I I . Senat an. 14 R G DR 1944, 290. is s. oben N. 7.

§ 3 Geschichtliche Grundlagen

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das eigentlich nichts weiter als eine Randkorrektur war, rief einige K r i t i k e r auf den Plan 1 6 . Diese rügten jedoch nur die Auslegung des Begriffs „ B i l l i g k e i t " durch den I I I . Senat als unzutreffend 1 7 ; die ausschließliche Ersatzfunktion des Schmerzensgeldes zog keiner von ihnen i n Zweifel. Bald darauf distanzierte sich der V I . Senat vorsichtig von der kritisierten Entscheidung und kehrte zur Spruchpraxis des Reichsgerichts 18 zurück 1 9 ; die an sich notwendige Anrufung des Plenums wurde durch einen anfechtbaren Trick umgangen 20 . Gleichwohl war es nur noch eine Frage der Zeit, wann der Große Zivilsenat die i m Schriftt u m beklagte „vollkommene V e r w i r r u n g " 2 1 würde beseitigen müssen. Der Beschluß des Großen Senats 22 ließ denn auch nicht lange auf sich warten 2 3 ; seine wegweisende Bedeutung — jedenfalls für die Praxis — und sein wichtigstes Ergebnis sind bekannt: „Das Schmerzensgeld hat rechtlich eine doppelte Funktion. Es soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich bieten für diejenigen Schäden, für diejenige Lebenshemmung, die nicht vermögensrechtlicher A r t sind. Es soll aber zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, daß der Schädiger dem Geschädigten für das, was er i h m angetan hat, Genugtuung schuldet* 4." Das literarische Echo auf den Beschluß, der immerhin den Bruch m i t einer 55 Jahre lang i m K e r n unangefochtenen höchstrichterlichen Judikatur 2 5 markierte, war überraschend: Nahezu uneingeschränkte Zustimmung 2 6 , auch von Seiten derjenigen, die die alleinige Ersatzie E. Böhmer, VersR 1954, 105; Boettinger, VersR 1953, 196; Ehrenzweig, VersR 1953, 80. 17 Die Kontroverse darf nach den klärenden Ausführungen v o n Eickhoff, S. 12 ff. als ausgetragen gelten. „Billiges Ermessen" bedeutet i n § 847 nicht — w i e etwa i n § 829, w o nicht das Maß, sondern die Begründung des Ersatzanspruchs i n Frage steht — Berücksichtigung aller Umstände, sondern n u r der i m Hinblick auf den Zweck des Ersatzanspruchs relevanten Faktoren. Ähnlich schon Gelhaar, D A R 1954, 1 (5); v.Beauvais, S. 176. Zustimmend Esser, Schuldrecht I I , § 1131 3, Stoll, D A R 1968, 303 (304). Es steht zur hier befürworteten Ansicht nicht i m Widerspruch, w e n n Henke, S. 52 ff., auf G r u n d einer historisch-philosophischen Exegese dem Billigkeitsbegriff i n § 847 auch das Postulat der Rechtsgleichheit entnimmt. Vgl. dazu noch unten § 10 I 3. is s. oben N. 7, 14. ι» B G H N J W 1954, 1034. 20 Der Senat gab vor, auch nach den Maßstäben des I I I . Senats könne das Ergebnis nicht anders aussehen. 21 Seydel, N J W 1954, 1017 (1019). 22 Die Vorlage erfolgte von Seiten des V I . Senats, VersR 1955, 295. 23 Beschl. v. 6. J u l i 1955 — GSZ 1/55 = B G H Z 18, 149. 24 aaO; Sperrung v o m Verf. 25 Z u vorsichtig w o h l Pohle, M D R 1956, 24, der die Bedeutung des genannten Beschlusses „weniger i n einer A b k e h r als i n einer Fortentwicklung der z. T. schon i n B G H Z 7, 233 angedeuteten Gedanken" sieht. 26 E. Böhmer, J Z 1955, 675; Pohle, M D R 1956, 24; distanzierter Enneccerus / Lehmann, § 250, 2; Gelhaar, D A R 1955, 261 („methodisch bedenklich") K n ö p fel, A c P 155, 135 (152 ff.). Ablehnend v. Beauvais, S. 176 ff. 4«

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2. Kap. : Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs

funktion des Schmerzensgeldes bislang noch für unbestreitbar gehalten hatten 2 7 . Die Erleichterung war verständlich. Die zusätzlich eingeführte Genugtuungsfunktion des Anspruchs war der deus ex machina, der widerspruchsfrei den Weg zu dem für wünschenswert erachteten Ergebnis freigab, Verschuldensgrad sowie Vermögensverhältnisse des Schädigers als Bemessungskriterien i n Ansatz zu bringen 2 8 . Eine weitere bedeutsame Konsequenz dieser Leitentscheidung sollte erst später manifest werden: Der Beschluß des Großen Zivilsenats leistete wichtige Schrittmacherdienste für die durch das berühmte „Herrenreiterurteil" 2 9 inaugurierte Rechtsprechung zum immateriellen Schadensersatz für Persönlichkeitsverletzungen 30 . Diese Judikatur ist heute i m Grunde nicht mehr umstritten und inzwischen auch vom BVerfG gebilligt 3 1 . Der Große Senat hatte freilich noch die Präponderanz des Ausgleichsgedankens betont 3 2 ; letzterer t r i t t hingegen bei der Persönlichkeitsverletzung fast völlig hinter die Genugtuungsfunktion zurück 33 . Auch i m übrigen hat die genannte Judikatur eigene Wege verfolgt. Es w i r d daher zu fragen sein, inwieweit die derart verselbständigte Praxis für unsere Fragestellung noch ergiebig ist 3 4 . Der Beschluß des Großen Senats setzte für die Gerichte ein unabänderliches Datum 3 5 . Die Theorie von der Doppelfunktion des Schmerzensgeldes war fortan die Grundlage der Prüfung, welche Faktoren bei der Bemessung der „billigen Entschädigung" legitimerweise Berücksichtigung finden durften. Insbesondere i n Konkretisierung der Genugtuungsfunktion hat sich inzwischen eine umfangreiche Kasuistik angesammelt, die induktiv Schlüsse auf das „Wesen" der Genugtuungsfunktion i m Verständnis der Praxis erlaubt 3 6 , eine Frage übrigens, die der B G H i n merkwürdiger Zurückhaltung stets offen gelassen hat. 27 Vgl. E. Böhmer, VersR 1954, 105 einerseits; J Z 1955, 675 andererseits. 28 I m p l i z i t bestätigt der B G H damit den Zusammenhang von „ B i l l i g k e i t " der Entschädigung u n d F u n k t i o n des Schmerzensgeldanspruchs. Daran ändert auch der Hinweis (aaO S. 157) nichts, daß „ b e i der Bestimmung der Leistung die Berücksichtigung aller Umstände des Falles" geboten sei. Vgl. schon oben N. 17. 2» Β G H Z 26, 349. so Weitere Marksteine dieser Rechtspr. waren Β G H Z 35, 363 („Ginseng"); Β G H Z 39, 125 („Fernsehansagerin"). 31 BVerfGE 34, 269. 32 aaO. S. 154, 157. 33 Heute w o h l allg. Meinung; vgl. ausführlich Remé, S. 47 ff., jüngst auch B V e r f G aaO; O L G F r a n k f u r t N J W 1968, 1972. 34 s. unten § 5. 35 Schmalzl stellte i n VersR 1966, 793 fest, m a n könne „ m i t Fug u n d Recht sagen, daß sich die Schmerzensgelddebatte i m großen u n d ganzen beruhigt hat". 36 Dazu sogleich i n § 4.

§ 3 Geschichtliche Grundlagen

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I I I . Tendenzen

Eine langfristige historische Perspektive erkennt i n der Geschichte des Schmerzensgeldes die Entwicklung von einer anfangs rein repressivpönalen zu einer restitutiven Sanktion durch Schadensausgleich, die aber i n jüngster Zeit wieder ein pönales Moment erhält. Man kann dieser Entwicklung — zumindest auf den ersten Blick — schwerlich besondere Konsequenz bescheinigen. Einer schlüssigen Interpretation ist sie zugänglich nur bis zur Kehrtwendung i m Beschluß des Großen Zivilsenats. Die Ausdifferenzierung des Rechtssystems i m Sinne einer Tendenz von repressiven zu restitutiven Reaktionen auf begangenes Unrecht und schließlich zu kooperativen Regeln ist eine cause célèbre der Rechtssoziologie 37 . Die Scheidung von Straf- und Zivilrecht gilt als evolutionäre Errungenschaft, die den i m Talionsdenken befangenen primitiven Gesellschaften noch unbekannt war. Letzteren stand als Sanktion für jeglichen Rechtsbruch einzig das Sühneverfahren zwischen den Sippen zu Gebote 38 . Die Ausdifferenzierung restitutiver Deliktsklagen, also die Entstehung von Haftpflichtrecht, markierte einen Schritt zur Säkularisierung und Depersonalisierung von Unrechtssanktionen; sie ist Teil einer schon von Max Weber diagnostizierten allgemeinen Rationalisierung des Rechts, die ihrerseits m i t der fortschreitenden Entwicklung der ökonomischen Verhältnisse einhergeht 39 . Das Schmerzensgeld hat die Wandlung zur rein restitutiven Sanktion erst m i t einer gewissen Phasenverzögerung vollzogen; i m deutschen Recht freilich auch dies nur unvollständig und m i t Vorbehalten, wie die restriktive Regelung des A L R sowie die i n § 253 BGB und den Gesetzesmaterialien 4 0 zum Ausdruck kommende reservierte Haltung des BGB-Gesetzgebers zum Ersatz immateriellen Schadens belegen. Man kann dieses spezifisch deutsche Phänomen wohl m i t einigem Recht den i n die Standesmoral des deutschen Bürgertums eingegangenen Lehren des philosophischen Idealismus zuschreiben 41 . War m i t h i n die Metamorphose des Schmerzensgeldes zum Restitutionsanspruch i m deutschen Recht immer nur halben Herzens erfolgt, so verliert die Repönalisierung des Anspruchs durch den Großen Zivilsenat etwas ihr Überraschendes. Hypothesen über die wissenssoziologischen Bedingungen 37 Vgl. insbesondere Dürkheim, De la Division d u T r a v a i l social, 8. Aufl., Paris 1967, S. 119 ff.; Jergensen, VersR 1970, 193 ff.; Luhmann, Rechtssoziologie, Bd. I, S. 16; M. Weber, Rechtssoziologie, S. 113 ff.; aber auch schon Jhering, Schuldmoment i m römischen Privatrecht, S. 60 ff. 38 M. Weber, S. 114 f. 39 aaO S. 261 ff. 40 Mugdan I I , S. 517. 41 So auch Dammann, ZRP 1970, 78.

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2. Kap. : Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs

dieser Renaissance des Genugtuungs- und Sühnegedankens i n der jüngsten Haftpflichtrechtsentwicklung werden sich aus einer umfassenderen rechtsvergleichenden Perspektive formulieren lassen 42 . § 4 D i e K o n k r e t i s i e r u n g der Schmerzensgeldf u n k t i o n e n durch die jüngere J u d i k a t u r K r i t i s c h e Analyse I . Zusammenspiel der Funktionen

Definitionen der vom Großen Zivilsenat statuierten Schmerzensgeldfunktionen zu formulieren, hat die Rechtsprechung nie versucht. Wie sie die Funktionen konkretisiert hat, erweist sich aber an den Argumenten, die je für die Anspruchsbemessung relevant gehalten werden. Häufig geschieht dies ganz unspezifisch, indem man dieses oder jenes Bemessungskriterium zur Ausfüllung der Generalklausel „billige Entschädigung" heranzieht. Zahlreich sind aber auch die Judikate, die, dem Vorbild des Großen Zivilsenats 1 folgend, explizit machen, welches Argument qua Ausgleichsfunktion und welches qua Genugtuungsfunktion Beachtung erheischt. Die Transparenz der Schmerzensgeldbemessung leidet erheblich darunter, daß letztere von zwei recht heterogenen Anspruchsfunktionen präjudiziert wird. Hinzu kommt, daß die Gewichtung der beiden Funktionen trotz eines prinzipiellen Vorrangs der Ausgleichsfunktion 2 dem Ermessen des entscheidenden Richters anheimgestellt ist. So soll etwa einem Verletzten, der bereits m i t allen denkbaren Annehmlichkeiten versehen und für den eine „Kompensation von Lebensfreude" mittels zusätzlicher finanzieller Ausstattung nicht i n Frage kommt, hauptsächlich über die Genugtuungsfunktion zu einem ansehnlichen Schmerzensgeldbetrag verholfen werden 3 . Schwierigkeiten ergeben sich auch bei Bemessungskriterien, die auf beiden Ebenen zu berücksichtigen sind. Klassisches Beispiel hierfür ist das Mitverschulden des Verletzten, das als bloße Mitverursachung zu einer Kürzung des Ersatzanspruchs führt, als Mitverschulden i. e. S. das Genugtuungsbedürfnis des Verletzten mindert. Dem naheliegenden und sich für eine problemlose Versicherbarkeit des Anspruchs geradezu aufdrängenden Ausweg, das Schmerzensgeld 42 U n t e n § 7 D a. E. ι B G H Z 18, 149 (157 ff.). 2 aaO S. 154. 3 aaO S. 159. Freilich soll, so der BGH, auch diese Faustregel nicht ausnahmslos gelten.

§ 4 Konkretisierung der Schmerzensgeldfunktionen durch die J u d i k a t u r 55

rechnerisch (nicht rechtstechnisch) i n eine dem Schadensausgleich dienende Quote und i n einen weiteren, das Genugtuungsbedürfnis befriedigenden Betrag aufzuspalten, hat sich die Judikatur stets verschlossen und das Schmerzensgeld als „ i n sich einheitliche billige Entschädigung" verstanden 4 . Ausgleich und Genugtuung „stellen sich vielmehr als bloße Funktionen, d. h. Wirkungsweisen, des einen Schmerzensgeldes dar und können nicht für sich gesondert festgesetzt und dann zusammengezogen werden" 5 . Über die Richtigkeit dieser These w i r d noch ausführlicher zu sprechen sein 6 . Dennoch erscheint es auch unter den Prämissen des B G H legitim, die je verwendeten Bemessungskriterien als Ausprägung der einzelnen Schmerzensgeldfunktionen zu sehen und auf ihre „immanente" Richtigkeit zu prüfen. Π . Ausgleichsfunktion

Die Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes bezeichnet dessen schadensersetzende Komponente. Der Anspruch unterliegt insoweit grundsätzlich allen für die Haftungsausfüllung bei Vermögensschäden geltenden Regeln. Gegenüber dem Problem der Inkommensurabilität von immateriellem Schaden und dessen Ausgleich i n Geld 7 behilft sich die Praxis schon seit längerer Zeit m i t der auf Kohler 9 zurückgehenden Kompensationsformel, wonach der Verletzte immateriellen Schadensersatz dadurch erhält, daß er finanziell i n die Lage versetzt wird, zum Ausgleich der erlittenen Schmerzen sich zusätzliche Annehmlichkeiten zu verschaffend Die Höhe des auszugleichenden Schadens liegt nach ständiger Rechtsprechung i n der Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen 10 . Dabei soll es auf das subjektive Empfinden des Verletzten nicht ankommen 1 1 ; Ausgleich des i m materiellen Schadens gebührt also auch dem, der etwa wegen unfallbedingter psychischer Defekte das Maß seiner objektiv vorhandenen 12 Lebensbeeinträchtigung nicht wahrzunehmen vermag. Nahezu unangefochten ist auch die aus der Differenzmethode folgende Konsequenz, 4

So unzweideutig der Leitsatz der Entscheidung B G H VersR 1961, 164. s B G H aaO. « s. unten §811. 7 Vgl. dazu Henke, S. 3 ff., Eickhoff, S. 55 ff., jeweils m i t Nachweisen. Näheres zur Ausgleichsfunktion vgl. unten § 6. s Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. I I 1. Teil, B e r l i n 1906, S. 123 ff. 9 So bereits R G WarnRspr. 1932, Nr. 40; zuletzt O L G Hamburg, N J W 1973, 1503 (1504). Vgl. n u r B G H VersR 1960, 252. « Zuletzt O L G Schleswig M D R 1966, 926; Gelhaar, D A R 1954, 2; ablehnend ν . Beauvais, S. 169 f. 12 Z u den an den Beweis immaterieller Schäden zu stellenden Anforderungen vgl. die Ausführungen v o n Esser, SchR I I § 113 I 2.

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daß bei Dauerschäden der baldige Tod des Verletzten bzw. eine geringe Lebenserwartung dessen immateriellen Schaden begrenzt 18 . I m übrigen sind jedoch zahlreiche, von der Haftungsausfüllung bei Vermögensschäden abweichende Besonderheiten festzustellen. 1. Differenzmethode. Ein Schmerzensgeld kann nach Ansicht des B G H „bei Vorliegen einer rechtswidrigen körperlichen Schädigung nicht m i t der Begründung abgelehnt werden, daß bei einem rechtmäßigen Eingriff ähnliche oder gar höhere Schmerzen entstanden wären" 1 4 . Da die durch den hypothetischen rechtmäßigen Eingriff verursachten Schmerzen ganz anderer A r t gewesen wären 1 5 , könne eine Differenzrechnung wie bei vermögensrechtlichen Schäden nicht stattfinden. Der Tatsache, daß auch das rechtmäßige Alternativverhalten für die Verletzte schmerzhaft ausgefallen wäre, dürfe nur i m Rahmen der Anspruchsbemessung Rechnung getragen werden. I m übrigen bleibe jedenfalls die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes beachtlich 16 . Es mag hier dahingestellt bleiben, ob das Problem statt unter der Rubrik „Differenzmethode" nicht einfacher und richtiger unter dem Gesichtspunkt des fehlenden Rechtswidrigkeitszusammenhangs gelöst werden müßte 1 7 . Aber auch nach der Differenzhypothese ist nicht ersichtlich, wo noch ein immaterieller Schaden feststellbar sein soll, wenn die „Alternativschmerzen" mindestens ebenso stark waren wie die tatsächlich erlittene Lebensbeeinträchtigung. Inkonsequenterweise w i l l der B G H ja die Differenzbetrachtung bei der Bemessung der A n spruchshöhe doch noch Platz greifen lassen. Zu konzedieren ist zwar, daß eine Differenzrechnung bei exakt nicht quantifizierbaren immateriellen Schäden auf Schwierigkeiten stößt; doch nötigt dies keinesfalls dazu, die prinzipielle Angemessenheit des Verfahrens i n Frage zu stellen. Die Scheu vor einer Anwendung der Differenzbetrachtung

13 B G H VersR 1963, 232 (235); O L G Düsseldorf VersR 1959, 483; O L G Karlsruhe VersR 1961, 287, das freilich den Tod des Verletzten i m Rahmen der Genugtuungsfunktion anspruchserhöhend berücksichtigt wissen w i l l . A b lehnend W. Weimar, M D R 1966, 296, m i t der Begründung, die Lebensaufopferung stelle „das größte Opfer dar, das ein Mensch bringen kann". Demgegenüber weist Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, A n m . 1187, zu Recht darauf hin, daß der Tod des Verletzten allenfalls dessen Hinterbliebenen zusätzliches L e i d schafft. 14 So der Leitsatz von B G H VersR 1967, 495. ι 5 Bei der Kl., 31 Jahre alt, hatte sich die — objektiv nicht beweisbare — Vorstellung gebildet, infolge der ohne ihre Zustimmung vorgenommenen Operation unfruchtbar geworden zu sein. A u f der anderen Seite w u r d e sie durch den unerlaubten Eingriff von schweren körperlichen Leiden erlöst. 16 B G H VersR 1967, 495. 17 Die Parallele zu den Fällen des rechtmäßigen Alternativverhaltens drängt sich auf; vgl. hierzu Esser, S c h R I §46 I V 2; Eike Schmidt, Zivilrecht, S. 507 ff.

§ 4 Konkretisierung der Schmerzensgeldfunktionen durch die J u d i k a t u r 57

dürfte einer schon i m Beschluß des Großen Senats 18 erkennbaren Tendenz des B G H zu einer Übertreibung der Einzelfallbetrachtung i m Bereich immaterieller Schäden entspringen. 2, Ein Problem der Schadensberechnung i m weiteren Sinne ist auch die Vorteilsausgleichung 19. Auch hier steht der Richter vor der Schwierigkeit, die erlittenen Schmerzen m i t den aus dem Verletzungsereignis erwachsenen immateriellen Vorteilen, die oft gänzlich heterogen sind, vergleichen zu müssen. Die Judikatur arbeitet i n diesen Fällen gleichwohl m i t dem Grundsatz der Vorteilsausgleichung 20 . Dagegen ist eingewendet worden, Vorteilsausgleichung könne beim Schmerzensgeld deswegen nicht stattfinden, w e i l es — nach den eigenen Prämissen der Rechtsprechung 21 — ein „an sich" angemessenes Schmerzensgeld nicht gebe; aus diesem Grunde sei die zum Vorteilsausgleich notwendige isolierte Gegenüberstellung von Vorteil und Nachteil nicht möglich 22 . Es w i r d sich jedoch i m folgenden zeigen, daß die Judikatur die erwähnte Prämisse selbst nicht ganz ernst nimmt. Die Alternative zur Vorteilsausgleichung wäre außerdem eine — der Transparenz der Bemessung wenig dienliche — pauschale Billigkeitsentscheidung 23 . 3. Die Praxis zur Berücksichtigung von Reserveursachen ist nicht ganz einheitlich. Es handelt sich regelmäßig u m Fälle, wo ein bereits angelegtes schmerzhaftes Leiden auch ohne das zum Ersatz verpflichtende Verletzungsereignis früher oder später zum Ausbruch gekommen wäre. Ungeachtet ansonsten bestehender Meinungsunterschiede besteht heute weitgehend Einigkeit, daß bei vermögensrechtlichen Schäden, die sich erst i n der Zeit entwickeln, insbesondere also bei Dauerschäden, eine Berücksichtigung von Reserveursachen stets geboten ist 2 4 . Der B G H hat sich zu Recht dieses Ergebnis auch für die Bemessung i m materieller Schäden zu eigen gemacht, soweit letztere sich als Dauerschäden darstellen 25 . Der B G H hat, darüber hinaus, bereits eine schmerzanfällige Körperkonstitution schadensmindernd angesetzt, ohne daß i n casu eine gewisse Wahrscheinlichkeit dargetan war, daß die Schmerzen auch w i r k l i c h zum Ausbruch gelangt wären 2 6 . Dies bedeutet is B G H Z 18, 149 ff., passim. ι» Vgl. Esser, SchR I § 48 I 2. 20 Vgl. O L G Karlsruhe VersR 1965, 794, sowie — allerdings m i t anfechtbarem Ergebnis — O L G Oldenburg VersR 1967, 237 (nur Leitsatz). 21 Vgl. wiederum n u r B G H Z (GSZ) 18, 149 ff., passim. 22 Hüffer, VersR 1969, 500 u. VersR 1970, 209. 23 Zutr. Klimke, VersR 1969, 785 (787). 24 Eine Darstellung des Streitstandes findet sich bei Fikentscher, § 55 I V ; vgl. auch Esser, SchR I § 46 I I I . 25 B G H VersR 1965, 491 (493); die Instanzgerichte sind nicht durchweg gefolgt, vgl. O L G München VersR 1968, 1170. 26 B G H N J W 1962, 243 = VersR 1962, 93.

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eine Ausnahme von dem ansonsten unbestrittenen Grundsatz, daß der Schädiger sich auf eine gesteigerte Schadensanfälligkeit des Geschädigten — Schulbeispiel ist der körperverletzte Bluter — nicht berufen kann. Bei Beachtung dieser Regel hätte der B G H hier lediglich eine Minderung des Schädigerverschuldens und damit des Genugtuungsbedürfnisses annehmen dürfen 2 7 . 4. Minderung des ersatzfähigen Schadens wegen Mitverschuldens des Verletzten 28 findet auch beim Schmerzensgeld statt. Mitverschulden mindert andererseits auch das Genugtuungsbedürfnis des Verletzten. Nicht zuletzt dies mag der Grund sein, warum der B G H den zuzusprechenden (geminderten) Betrag nicht i n ähnlicher Weise wie bei Vermögensschäden ermittelt, nämlich durch eine quotale Kürzung der unter Verwertung aller übriger Bemessungskriterien festgestellten Schmerzensgeldsumme 29 . Die Zahlung eines Schmerzensgeldes gehe, so der BGH, bei Mitschuld des Verletzten „nicht auf einen entsprechenden Prozentsatz eines ,an sich' angemessenen Betrages, sondern auf einen solchen, der unter Berücksichtigung der Mitverschuldensquote angemessen ist" 3 0 . Das Ergebnis bestätigt den Eindruck einer strikt einzelfallorientierten Spruchpraxis, die das Mitverschulden nur als eine von mehreren Komponenten ansieht, die zusammen, aber i n je verschiedenen Proportionen, den „angemessenen" Schmerzensgeldbetrag konstituieren. 5. Unter dem Stichwort Haftungsbegrenzung ist eine gefestigte Judik a t u r 3 1 von Interesse, die eine dilatorische Schadensregulierung durch den Verletzten selbst oder seine Versicherung bzw. eine hinhaltende Prozeßführung u m den angemessenen Schmerzensgeldbetrag anspruchserhöhend berücksichtigt 32 . Bei Gelegenheit hat der B G H sogar einen den Unfallverletzten Kläger kränkenden Prozeßvortrag durch den Prozeßbevollmächtigten des Haftpflichtversicherers dem Schädiger als

27 So wieder die spätere Entscheidung B G H VersR 1969, 43. 28 Dem Mitverschulden steht eine m i t w i r k e n d e Betriebsgefahr gleich; so — unter Aufgabe der reichsgerichtlichen J u d i k a t u r — Β G H Z 20, 259 (264). 2® So aber O L G München VersR 1963, 739. 30 B G H VersR 1961, 711; bestätigt durch B G H VersR 1970, 624; zu den umstrittenen prozessualen Konsequenzen für den Erlaß eines Grundurteils vgl. O L G Bremen N J W 1966, 781; O L G Celle NdsRpfl. 1973, 181; O L G Köln, M D R 1975, 148. 31 Ausführlich B G H VersR 1960, 401 (403); VersR 1970, 379; zuletzt O L G Karlsruhe N J W 1973, 851. 32 Die Fallgruppe ist nicht zu verwechseln m i t den Fällen einer u n f a l l bedingten sog. Entschädigungsneurose; gemeinsam ist beiden, daß sie jeweils die — w i e i m m e r zu beantwortende — Frage nach einer Haftungsbegrenzung evozieren. Z u m Einfluß v o n Entschädigungsneurosen auf die Schmerzensgeldbemessung vgl. O L G München VersR 1966, 569; B G H VersR 1970, 281.

§ 4 Konkretisierung der Schmerzensgeldfunktionen durch die J u d i k a t u r 59

schmerzensgelderhöhende Unfallfolge zugerechnet 33 . Wo derartige, den Verletzten verbitternde Verhaltensweisen des Schädigers oder seines Haftpflichtversicherers zu einer klinisch feststellbaren Verschlimmerung der Leiden des Geschädigten führen, kann schwerlich bezweifelt werden, daß hier eine m i t dem Unfall kausal verknüpfte Erhöhung des nichtvermögensrechtlichen Schadens eingetreten ist. Die Gerichte verfahren freilich bei der Annahme einer solchen prozeßbedingten psychischen Beeinträchtigung recht weitherzig. Vereinzelt liest man, daß eine durch Verzögerungstaktik der Versicherung unnötig verlängerte Prozeßdauer „zwangsläufig" auch zu einer Erhöhung und Verlängerung der psychischen Leiden führe 3 4 . I m übrigen w i r d wohl stillschweigend davon ausgegangen, daß prozeßbedingte Ärgernisse oder bereits das bloße Entbehren des geschuldeten Geldersatzes einen ausgleichsfähigen immateriellen Schaden darstellen. Dies ändert aber nichts an der prinzipiellen Möglichkeit einer Schadenserhöhung durch eine obstinate Zahlungsverweigerung oder durch obstruktive oder kränkende Verhaltensweisen des Beklagten oder seiner Versicherung i m Prozeß. Damit ist, entgegen der Ansicht einiger Oberlandesgerichte 35 , die Ausgleichsfunktion und nicht die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes tangiert. Es liegt nun nahe, der Judikatur entgegenzuhalten, daß die geschilderten „Prozeßleiden" keineswegs ein Spezifikum von Schmerzensgeldprozessen sind. Ein i n Liquiditätsschwierigkeiten befindlicher Kaufmann, der eine wohlbegründete Kaufpreisforderung von beträchtlicher Höhe gegen seinen Kunden einklagt, w i r d i n kaum geringere Verbitterung geraten, wenn der Kunde den Prozeß m i t allen i h m zu Gebote stehenden Verfahrenstricks verzögert. Das Problem sehen heißt die Frage stellen, ob solche „Prozeßleiden" noch vom Schutzzweck der — haftungsausfüllenden — Norm des § 847 umfaßt werden 3 6 . Die Normzwecklehre hat sich zwar — nicht ganz zu Unrecht — den V o r w u r f eingehandelt, sie erliege einem Zirkelschluß und gebe allgemeine Billigkeitserwägungen als Telos der anzuwendenden Norm aus 37 ; doch 33 B G H VersR 1964, 1103; es w a r vorgetragen worden, der Kläger führe jetzt ein „vergnügtes Rentnerdasein". 84 So O L G Koblenz VersR 1970, 551. 35 K G N J W 1970, 515; O L G Karlsruhe N J W 1973, 851. 36 Die Adäquanztheorie erweist sich hier als nicht taugliches M i t t e l der Haftungsbegrenzung; daß die Klagerhebung auf einem freien Entschluß des Verletzten beruht, f ü h r t zweifelsohne auch nicht zu einer Unterbrechung des haftungsausfüllenden Kausalzusammenhangs. Z u r — umstrittenen — Bedeutung der Adäquanztheorie vgl. die Darstellung des Meinungsstandes bei Eike Schmidt, Zivilrecht, S. 591 ff.; Stoll, Kausalzusammenhang u n d Normzweck i m Deliktsrecht, jeweils m i t Nachweisen. 37 Schickedanz, N J W 1971, 916 ff. Differenzierter zur Setzung von Zweckprogrammen durch die J u d i k a t u r jetzt Eike Schmidt, i n : Dogmatik u n d Methode, Festgabe f. Esser, 1975, S. 139 ff.

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2. Kap. : Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs

dürfte es auf wenig Widerspruch stoßen, den Schutzbereich des § 847 derart zu bemessen, daß nur die m i t einer Verletzung der i n der Vorschrift enumerierten Rechtsgüter typischerweise verbundenen immateriellen Beeinträchtigungen ausgleichspflichtig sein sollen. Bei Körperverletzungen sind dies i n erster Linie die physischen Leiden, aber auch psychische Beeinträchtigungen durch äußerliche Entstellungen, durch bleibende körperliche Gebrechen und die damit verbundenen Behinderungen des Lebensgenusses. Z u den ausgleichsfähigen immateriellen Schäden des Unfallverletzten zählen daher gewiß nicht kränkende Bemerkungen durch den Prozeßbevollmächtigten des Schädigers i m Termin; der klagende Verletzte mag i n schweren Fällen über einen selbständigen Schadensersatzanspruch wegen Persönlichkeitsverletzung sein Recht bekommen. Aber auch die psychischen Strapazen, m i t denen ein rechtssuchender Kläger sich häufig konfrontiert sieht, rechnen nicht hierunter. Es läßt sich diskutieren, ob die vom deutschen Recht gebotenen Sanktionen gegen die mißbräuchliche Ausnutzung formaler verfahrensrechtlicher Positionen hinreichend sind 3 8 ; eine Erweiterung der materiellrechtlichen Sanktionen für prozessuales Fehlverhalten erforderte aber, w e i l die Verteidigungsrechte des Beklagten einschränkend, einen haftungsbegründenden Tatbestand und damit vor allem die Erstellung eines entsprechenden Pflichtenkodex für den Beklagten 3 9 . Die Sanktion einer Erhöhung des Schmerzensgeldes für Körperverletzungen ist kein legitimer Weg, dem zweifelsohne vorhandenen Mißstand abzuhelfen 40 . Der Schutzbereich des § 847 ist damit verlassen. Übrig bleiben nur diejenigen Fälle, wo eine feststellbare Verschlimmerung der primären unfallbedingten Leiden i n Frage steht 4 1 . Daß die hier kritisierte Judikatur den Bereich des Haftpflichtrechts überhaupt verläßt, ist unschwer zu erkennen. Bislang hat jedoch nur das OLG Karlsruhe mit couragierter Offenheit die wirklichen Hintergründe dieser Spruchpraxis formuliert 4 2 . I n der Sache handelt es sich

38 Vgl. zu diesem Problemkreis Hopt, Schadensersatz aus unberechtigter Verfahrenseinleitung, München 1968; Zeiss , Die arglistige Prozeßpartei, Berl i n 1967. 30 I n dieser Richtung O L G Karlsruhe N J W 1973, 851, das eine Pflicht des Haftpflichtversicherers statuiert, die Schadensregulierung v o n sich aus zu fördern; der Verstoß gegen diese Pflicht müsse „ i n schuldhafter Weise rechtswidrig u n d m i t guter Verkehrssitte unvereinbar" sein. K G N J W 1970, 515 verlangt, daß der beklagte Schädiger „seine Leistungspflicht kannte oder kennen mußte". Recht u n k l a r demgegenüber O L G Koblenz VersR 1970, 551, das m i t dem untechnischen Begriff „uneinsichtiges Verhalten des Bekl." operiert. 40 Kritisch auch Honseil, VersR 1974, 205 (207). 41 So durchaus zutreffend noch RGZ 75, 19 (21). 42 N J W 1973, 851 m i t zustimmender A n m e r k u n g von Roth-Stielow, NJW 1973, 1503.

§ 4 Konkretisierung der Schmerzensgeldfunktionen durch die J u d i k a t u r

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dabei, ungeachtet aller schadensrechtlichen Einkleidung, u m eine generalpräventive Maßnahme gegen den Mißbrauch wirtschaftlicher Macht durch die Haftpflichtversicherer, die bestrebt sind, das erhebliche Zinsgefälle zwischen den bescheidenen Zinssätzen der gesetzlichen Verzugs- und Prozeßzinsen 43 und den weitaus höheren marktüblichen Sätzen zu ihren Gunsten auszunutzen. Das OLG Karlsruhe versucht dem Problem beizukommen, indem es aus § 242 BGB eine Legalobligation des Versicherers herleitet, die Schadensregulierung von sich aus zu fördern. Werde hiergegen unter Verletzung von Treu und Glauben verstoßen, „so sind die Gerichte nach Gesetz und Verfassung (!) dazu verpflichtet, einem Mißbrauch wirtschaftlicher Macht dadurch entgegenzuwirken, daß sie dem Geschädigten als Genugtuung ein erhöhtes Schmerzensgeld zusprechen" 44 . Eine Entscheidung, die praktisch das Sozialstaatsprinzip als unmittelbar geltendes Recht anwendet, zivilrechtsdogmatisch zu kritisieren, ist wenig sinnvoll. Gleichwohl muß das Ergebnis auch dann auf Bedenken stoßen, wenn man dem Elan des OLG bei der Bekämpfung eines evidenten Mißstandes den Respekt nicht versagt. Die Haftpflichtversicherer sind zwar einerseits gewinnorientiert arbeitende Unternehmen; sie erbringen aber ihre Entschädigungsleistungen, einschließlich der Schmerzensgelder, aus dem von der Gemeinschaft der Versicherten dotierten Prämienfonds. Unter diesem Gesichtspunkt kann die geschilderte Judikatur auch vom Ergebnis her keine Billigung finden. Unternehmensträger der Versicherungen sind die Aktionäre, nicht die Versicherten. Letztere entrichten i m Wege „kollektiver Selbsthilfe" ihre Prämien nur dafür, daß der Versicherer Risiken übernimmt, die ansonsten ihnen selbst zur Last fielen 45 . Die Versicherten dürfen deshalb nicht m i t den Folgen eines unternehmerischen Fehlverhaltens der Haftpflichtversicherer, also m i t einem von letzteren selbst geschaffenen Risiko, belastet werden. Was bleibt, ist der Appell an den Gesetzgeber, die Sätze für Verzugs- und Prozeßzinsen endlich den veränderten Marktverhältnissen anzupassen. Π Ι . Genugtuungsfunktion

1. Genugtuung zwischen Strafe und Schadensausgleich Was unter Genugtuungsfunktion zu verstehen sei, hat der Große Zivilsenat allenfalls angedeutet. Negativ abgegrenzt w i r d sie einer43 M i t der ansonsten sehr großzügigen Praxis, die marktüblichen Zinsen wegen angeblicher Inanspruchnahme von B a n k k r e d i t zuzusprechen, läßt sich bei Ansprüchen auf Ersatz von Körperschäden schwerlich A b h i l f e schaffen. 44 So der Leitsatz der Entscheidung, N J W 1973, 851. 45 Kurze Information bei Hax, Grundlagen des Versicherungswesens, Wiesbaden 1964, S. 12 f.

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2. Kap. : Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs

seits gegenüber der Kompensationsfunktion als eigenständige Komponente des Schmerzensgeldes; andererseits habe sie m i t Strafe „unmittelbar" nichts zu tun 4 6 . Synonym gesetzt w i r d Genugtuungsfunktion mit Buße, i m übrigen w i r d auf das gleichnamige Institut des Schweizerischen Rechts 47 verwiesen. Etwas Aufschluß gibt der Passus, daß „die Genugtuungsfunktion . . . eine gewisse durch den Schadensfall hervorgerufene persönliche Beziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem zum Ausdruck" bringt 4 8 . Aus dieser Privatheit der Beziehung folgert der B G H i n einer neueren Entscheidung, daß verwandtschaftliche Beziehungen zwischen Schädiger und Geschädigtem das Genugtuungsbedürfnis des letzteren minderten 4 9 . Hier w i r d immerhin eine deutliche Trennungslinie zum öffentlichen Strafanspruch des Staates sichtbar. Noch weiter vom Strafcharakter entfernt sich eine — vereinzelt gebliebene — Oberlandesgerichtsentscheidung 50 , die die Aufgabe der Genugtuung nicht darin sieht, dem Schädiger ein Opfer aufzuerlegen, sondern allein auf die Wirkung der Buße i n der Person des Verletzten abstellt. Daß die Genugtuungsfunktion jedoch grundsätzlich näher bei der Strafe als beim Schadensausgleich angesiedelt wird, zeigt der folgende Uberblick über die Behandlung von Detailfragen. 2. Berücksichtigung

des

Verschuldensgrades

Wie i m Strafrecht 51 soll nach der Vorstellung des Großen Senats 52 der Grad des Verschuldens je nachdem zugunsten oder zuungunsten des Schädigers ausschlagen. Die Berücksichtigung des Verschuldensgrades ist dem Schadensersatzrecht zwar nicht a priori fremd. Ausländischen und historisch älteren Rechten ist sie geläufig 53 , der Referentenentwurf w i l l sie i m neu einzufügenden § 255 a B G B 5 4 auch für das Schadensrecht der Bundesrepublik ermöglichen. M i t den Prinzipien des

46 Β GHZ 18, 149 (151). 47 A r t t . 47, 49 OR. Z u m Schweizer Recht noch u. § 7 C I I . 48 Β G H Z (GSZ) 18, 157. 4® B G H VersR 1967, 286. Β G H Z 61, 101 hält freilich eine Genugtuung unter Eheleuten f ü r ohne weiteres m i t dem Wesen der Ehe vereinbar. Dieses U r t e i l ist aber w o h l nicht zuletzt damit zu erklären, daß das gegenteilige Ergebnis eine Aushöhlung der von der J u d i k a t u r so sorgsam gehüteten Subsidiaritätsklausel i n § 839 B G B zur Folge gehabt hätte; ausführlicher noch unten § 7 Β I a. Ε. 50 O L G Schleswig M D R 1966, 926. δΐ Schönke-Schröder, A n m . 18 zu § 13 StGB. 52 S. 157 f. 63 Vgl. A r t t . 43, 99 Schweiz. OR. Grundsätzlich dazu Hermann Lange, Gutachten zum 43. DJT, i n : Verhandlungen des 43. D J T 1960, Bd. I , S. 32 ff., m i t weiteren rechtsvergleichenden u n d rechtshistorischen Nachweisen. 54 Vgl. a u d i Begründung S. 47 f.

§ 4 Konkretisierung der Schmerzensgeldfunktionen durch die J u d i k a t u r 63

Schadensausgleichs ist sie freilich nur vereinbar, soweit sie i m Einzelfall den ausgleichspflichtigen Schaden limitiert, m. a. W.: soweit die Schadenshöhe die Obergrenze des ersatzfähigen Schadens darstellt 5 5 . Der Verschuldensgrad als K r i t e r i u m der Schmerzensgeldbemessung w i r d Ausdruck der Genugtuungsfunktion, wo er auch zur Erhöhung des Anspruchs über den ermittelten Schaden hinaus dient. Das BGB kennt nur drei Stufen von Schuld: „normale" und grobe Fahrlässigkeit sowie den Vorsatz. Dabei gilt heute so gut wie unangefochten ein objektivierter oder typisierter Fahrlässigkeitsmaßstab 56 . Der B G H betont das pönale Moment der Genugtuung, wenn er für die Schmerzensgeldbemessung nicht die typisierende Dreiteilung des BGB und den objektiven Fahrlässigkeitsmaßstab übernimmt — was die Schmerzensgeldbemessung erheblich vereinfachen würde —, sondern je nach dem Grad der individuellen Vorwerfbarkeit fragt 5 7 . Signifikant ist auch, daß der B G H als besondere haftungsbegründende Voraussetzung bei den durch die Dominanz der Genugtuungsfunktion gekennzeichneten Persönlichkeitsverletzungen ganz untechnisch ein „schweres Verschulden" und nicht etwa grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz fordert 5 8 . Ein Überblick zeigt, daß die Judikatur, wo sie den Verschuldensgrad überhaupt heranzieht, diesen ganz überwiegend zur Erhöhung des Schmerzensgeldes einsetzt. Formulierungen wie: die i n casu festgestellte grobe Fahrlässigkeit rechtfertige „eine höhere als vielleicht übliche Bemessung des Schmerzensgeldes" 59 oder „eine Erhöhung des Schmerzensgeldes über den sonst gebotenen Betrag hinaus" 6 0 erweisen i m übrigen das stereotyp wiederholte Postulat, ein „an sich" angemessenes Schmerzensgeld könne es nicht geben 61 , als protestatio facto contraria. Konsequent t r i t t das Verschulden des Schädigers nur dann als selbständiger Bemessungsfaktor i n Erscheinung, wenn es „dem zu beurteilenden Schadensfall . . . besonderes Gepräge g i b t " 6 2 . Als Basisbetrag dient sonach real diejenige Summe, die zum Ausgleich einer m i t „nor55 So i n der Tat auch A r t . 43 OK u n d § 255 a B G B i n der Fassung des Referentenentwurfs. Vgl. auch Boetticher, M D R 1963, 353 (356 f.). 56 Ausnahme ist der F a l l der „diligentia quam i n suis", die auf einen individualisierten Maßstab verweist. Vgl. i m übrigen die Darstellung des Meinungsstandes bei Larenz, SchR I § 20 I I I . Einzelheiten bei Deutsch, F a h r lässigkeit, passim. 57 B G H VersR 1968, 175. 58 B G H Z 35, 363 („Ginseng"); zustimmend Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 341. Vgl. hierzu noch unten § 5 I I . 59 O L G Nürnberg VersR 1968, 78. 60 B G H VersR 1961, 164. 61 Vgl. n u r B G H Z (GSZ) 18, 149 (160 f.). 62 B G H VersR 1958, 849.

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2. Kap. : Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs

malern" Verschulden verübten Schädigung erforderlich ist. Geringes Verschulden soll nicht notwendig zu einer Korrektur nach unten führen 6 3 . Erst das gänzliche Fehlen eines Genugtuungsbedürfnisses bei Haftung ohne Verschulden verlangt angesichts der Doppelfunktion des Schmerzensgeldes obligatorisch einen Abzug 6 4 . 3. Berücksichtigung

der Vermögensverhältnisse

des Schädigers

Daß die Vermögensverhältnisse eines Straf- oder Ordnungswidrigkeitentäters die Höhe der Geldstrafe bzw. Geldbuße beeinflussen können, ist uns seit jeher geläufig 65 . Ein verfeinertes sozialstaatliches Bewußtsein, das auch das Haftungsrecht zu durchdringen beginnt 6 6 , w i l l nun auch den wirtschaftlichen Verhältnissen des Schadensersatzpflichtigen i m Ausnahmefall eine haftungslimitierende Funktion zugestehen®7. Wennschon das Ersatzinteresse des Geschädigten auch weiterhin prinzipiell vorrangig ist, so soll doch Raum für Zumutbarkeitserwägungen sein, wo die Ersatzpflicht den Schädiger an den Rand des Ruins bringt. Die Rigidität, m i t der noch BGHZ 7, 223 auf der Geltung des Allesoder-nichts-Prinzips für den Schmerzensgeldschuldner beharrt und letzteren auf den Vollstreckungsschutz verwiesen hatte, mutet heute denn auch etwas anachronistisch an 6 8 . Der Große Zivilsenat 6 9 mißt den wirtschaftlichen Verhältnissen des Schädigers freilich nicht nur eine haftungslimitierende Funktion zu, sondern hält es für legitim, „bei besonders günstigen wirtschaftlichen Verhältnissen (...) die Entschädigung i m Rahmen des richterlichen Ermessensspielraums höher festzusetzen". Hier bricht sich der Gedanke Bahn, daß Genugtuung ein über den bloßen Schadensausgleich hinausgehendes Opfer des Schädigers erheischt. Die Affinität zur Strafe liegt klar zutage 70 . es B G H aaO; anders B G H VersR 1961, 1094; B G H VersR 1970, 135. β4 Zutreffend O L G München VersR 1966, 170 f ü r die Gefährdungshaftung nach § 53 I I I L u f t V G . m Schönke / Schröder, A n m . 34 zu §13 StGB; Göhler, OWiG, 3. Aufl., München 1974, A n m . 3 C zu § 13 OWiG. ββ Eingehend Weyers, S. 534 ff. β7 Vgl. §255 a B G B des Referentenentwurfs u n d Begründung S.46ff.; ähnlich schon A r t . 44 I I Schweiz. OR: „ W ü r d e ein Ersatzpflichtiger, der den Schaden weder absichtlich noch grob fahrlässig verursacht hat, durch Leistung des Ersatzes i n eine Notlage versetzt, so k a n n der Richter auch aus diesem Grunde die Ersatzpflicht ermäßigen." Weitere rechtsvergleichende Hinweise i n der Begründung des Referentenentwurfs S. 35 ff. 68 Kritisch auch schon Eickhoff, S. 133 ff. 68 S. 159 f. 70 Einen Ausnahmefall bildet die singuläre Billigkeitsvorschrift des § 829 BGB, wo günstige wirtschaftliche Verhältnisse einen sonst nicht bestehenden Ersatzanspruch begründen können.

§ 4 Konkretisierung der Schmerzensgeldfunktionen durch die J u d i k a t u r

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Eine Sonderbehandlung erfährt der Fiskus als Schmerzensgeldschuldner. Unter Hinweis auf die öffentliche Zweckbestimmung des Fiskalvermögens bleiben die wirtschaftlichen Verhältnisse des Fiskus als „wertneutral" gänzlich außer Betracht 71 . Zum Vermögen des Schädigers rechnet auch eine von ihm abgeschlossene Haftpflichtversicherung 72 , die sich der Schädiger mit seinen Prämien erkauft. Unter Durchbrechung des versicherungsrechtlichen Trennungsprinzips 73 räumt die Judikatur dem Bestehen einer Haftpflichtversicherung Einfluß auf die Höhe des Schmerzensgeldes ein. Nach anfänglichen Bedenken, ob auch eine freiwillige Haftpflichtversicherung dem Geschädigten zugute kommen dürfe 7 4 , macht der B G H heute zwischen freiwilliger und Zwangsversicherung keinen Unterschied mehr 7 5 . Die Judikatur hat nie ganz deutlich gemacht, ob das Bestehen einer Haftpflichtversicherung zu einer Erhöhung des — unter Berücksichtigung aller übrigen Umstände festgestellten — Schmerzensgeldes führt oder ob dem Schädiger lediglich die anspruchsmindernde Berufung auf ungünstige wirtschaftliche Verhältnisse verwehrt sein soll 7 6 . Gegen die erste Alternative bestehen freilich Bedenken. Die Schmerzensgeldzahlung erfolgt aus dem von der Gemeinschaft der Versicherten dotierten Prämienfonds. Bei letzterem handelt es sich — obwohl rechtlich nicht verselbständigt — ähnlich wie beim Fiskalvermögen u m eine zweckgebundene Vermögensmasse 77 . Eine besonders reichliche Schmerzensgeldbemessung bei haftpflichtversicherten Schädigern müßte von der Gesamtheit der Versicherten mitgetragen werden 7 8 . Es ist daher, wie beim Fiskus als Schädiger, angezeigt, die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers bei der Bemessung ganz außer Betracht zu lassen. Auch bei wohlhabenden haftpflichtversicherten Schädigern

GSZ, S. 162 f.; B G H VersR 1963, 532; VersR 1964, 389. 72 H. Lehmann, J Z 1953, 41. 73 Hierzu ausführlich Sieg, Ausstrahlungen der Haftpflichtversicherung, S. 112 ff.; ferner Hanau, VersR 1969, 291. 74 So noch B G H N J W 1954, 1034 m i t der Begründung, eine freiwillige Versicherung solle den Versicherten vor wirtschaftlichen Verlusten bewahren, die Kfz-Pflichtversicherung dagegen den Verkehrsopfern ihren Schadensersatz sichern. 75 B G H VersR 1966, 561. 76 I m Sinne der ersten A l t e r n a t i v e anscheinend B G H VersR 1961, 727; für die zweite Alternative w o h l B G H VersR 1957, 572. Die U n k l a r h e i t geht wiederum auf die Weigerung der Rechtsprechung zurück, einen „ a n sich angemessenen" Basisbetrag zu Grunde zu legen. 77 Hax (oben N. 45), S. 78. 78 Aus den o. g. Gründen läßt sich, entgegen den Ausführungen des Großen Senats aaO S. 166, durchaus eine Parallele zur Berücksichtigung des Fiskalvermögens ziehen. 5 Köndgen

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2. Kap. : Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs

kann, entgegen Lieberwirth 79, ein Aufschlag nicht statthaft sein, w i l l man nicht die Versicherer dazu zwingen, solche Personen wegen des gesteigerten Risikos m i t höheren Prämien zu belegen 80 . Schließlich liegt es i m Interesse des Versicherers, für jeden Versicherungsnehmer eine einheitliche Kalkulationsbasis zu haben. Werden somit die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers bei bestehender Haftpflichtversicherung indifferent 8 1 , so verlieren sie als Bemessungskriterium bei der uns interessierenden Gefährdungshaftung fast jegliche Relevanz, da die entsprechenden Wagnisse fast immer versicherungsmäßig abgedeckt sind 8 2 . Es bedarf daher auch keiner Genugtuungsfunktion, u m die Vermögensverhältnisse des Schädigers als Bemessungskriterium zu legitimieren. Wie ein Haftpflichtversicherter muß sich behandeln lassen, wer seinen Versicherungsschutz schuldhaft verlor 8 3 . Freilich handelt es sich hier weder u m die Berücksichtigung des Verschuldensgrades — schuldhafter Verlust und schuldhafte Unfallursache können, aber müssen nicht koinzidieren —, noch u m eine solche der wirtschaftlichen Verhältnisse: der Vermögenswert Versicherungsschutz ist ja gerade weggefallen. Erklären läßt sich diese Judikatur als Sanktion gegen den Schädiger, der gegen Gebote des eigenen Interesses verstößt, wenn er seinen Versicherungsschutz aufs Spiel setzt 84 . Auch wenn die Zwangshaftpflichtversicherung keine Versicherung zugunsten Dritter ist, so w i r d hier doch m i t Recht eine gewisse D r i t t w i r k u n g der Haftpflichtversicherung 8 5 vorausgesetzt, die die Legitimation dafür schafft, das Risiko eines schuldhaften Verlustes des Versicherungsschutzes dem Schädiger zuzuweisen.

?» S. 67. so Darauf weist bereits Eickhoff, S. 92 N. 1 hin. 81 So auch Weyers, S. 595; aus der J u d i k a t u r jetzt O L G Düsseldorf, VersR 1975, 1152. 82 Ä h n l i c h schon Gelhaar, D A R 1955, 261 (265) f ü r die Verschuldenshaftung aus Kfz-Unfällen. 83 B G H VersR 1957, 537; VersR 1963, 185; VersR 1967, 607; O L G München VersR 1970, 477. 84 Eine gewisse Parallele zu den sog. Obliegenheiten fällt ins Auge; letztere kennen freilich als Verletzungssanktion i m Regelfall die V e r kürzung an sich bestehender Rechtspositionen, wogegen hier eine Haftungserweiterung eintritt. Vgl. hierzu Esser, SchR I § 5 V ; grundlegend Reimer Schmidt, Die Obliegenheiten, Karlsruhe 1953. 85 Grundlegend Büchner, Z u r Theorie der obligatorischen Haftpflichtversicherung, Karlsruhe 1970, S. 14 ff., 21 ff., 75 ff.; vgl. auch Beitzke, SAE 1967, 5: die Pflichtversicherung nähere sich einer Schadensversicherung zugunsten des Verletzten; ferner Hanau, VersR 1969, 291, der die Durchbrechung des Trennungsprinzips n u r f ü r den F a l l der Pflichtversicherung akzeptiert; Buchner, VersR 1967, 1030 (1032).

§ 5 Sonderfall: Schmerzensgeld bei Persönlichkeitsverletzung

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§ 5 D i e Verselbständigung der R e c h t s e n t w i c k l u n g z u m i m m a t e r i e l l e n Schadensersatz b e i Persönlichkeitsverletzung I . Die Regelung im Referentenentwurf als Ausgangspunkt

Der Streit um den zivilrechtlichen Schutz des Persönlichkeitsrechts, insbesondere um die Frage des Schadensersatzes bei dessen Verletzung, ist i m Schrifttum längst abgeflaut 1 ; das vom BGH, beginnend m i t der „Herrenreiter"-Entscheidung 2 , geschaffene Richterrecht hat durch den Beschluß des BVerfG von 19733 abschließende Legitimation erfahren. A n dieser Stelle soll daher nicht versucht werden, das schier unübersehbare Material an Literatur und Rechtsprechung nochmals aufzubereiten 4 . Darzustellen ist lediglich, wie der Schadensersatzanspruch wegen Persönlichkeitsverletzung sich i m Laufe der Zeit zu einem Institut entwickelt hat, das m i t dem Schmerzensgeld für Körperverletzungen, so wie es der Beschluß des Großen Zivilsenats definiert hatte, nicht mehr ohne weiteres gleichzusetzen ist. Anlaß zu dieser Untersuchung bietet der Referentenentwurf selbst, der beide Ansprüche undifferenziert i m novellierten § 847 BGB zusammenfassen w i l l . Nur scheinbar handelt es sich dabei u m ein reines Redaktionsproblem. Es steht i m Gegenteil zu befürchten, daß die Diskussion u m das Schmerzensgeld bei Körperverletzungen so m i t Argumenten belastet wird, die i h m wesensfremd sind. I I . Analyse des vom B G H entwickelten Richterrechts

Die „Herrenreiter"-Entscheidung hatte den deliktischen Persönlichkeitsschutz äußerlich noch ganz i n der Nähe des Schmerzensgeldes angesiedelt, indem sie i n einer Analogie zu § 847 die sedes materiae für den neugeschaffenen Anspruch sah. Der Analogieschluß von der Freiheitsverletzung zur „Freiheitsberaubung i m Geistigen" 5 stand jedoch nicht nur auf schwachen Beinen 6 , er bildete auch eine zu schmale Basis, u m sämtliche für sanktionswürdig ι K r i t i k e r müßten heutzutage, w i e H. P. Westermann (FamRZ 1969, 561) formuliert hat, „den V o r w u r f . . . gewärtigen, nutzlos das Rad der Geschichte zurückdrehen zu wollen". 2 B G H Z 26, 349. 3 BVerfGE 34, 269. 4 Eine Übersicht findet sich bei Hubmann, Persönlichkeitsrecht, S. 5 N. 10, S. 6 - 8 N. 11, 12; Wiese, S. 38 N. 127. s B G H aaO S. 356. 6 Die Analogie erwies sich als der größte Stein des Anstoßes f ü r die allenthalben einsetzende K r i t i k ; ausführlich Larenz, N J W 1958, 827; vgl. auch die Übersicht bei Hubmann, S. 353 ff. 5·

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2. Kap. : Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs

gehaltenen Persönlichkeitsverletzungen erfassen zu können. Die zweite Leitentscheidung — „Ginseng" 7 — verzichtete denn auch auf die scheinpositivistische Etikette der Analogie und betonte ausdrücklich die Eigenständigkeit des Anspruchs wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung 8 . Diese Feststellung gab den Weg frei, den neuen Anspruch i n Funktion, Tatbestand und Anspruchsbemessung abweichend vom herkömmlichen Schmerzensgeld auszugestalten. 1. Funktion

und Rechtsnatur des Anspruchs

Hatte die Genugtuungsfunktion i m Schmerzensgeldbeschluß des Großen Zivilsenats bei prinzipiellem Vorrang der Ausgleichsfunktion noch als Vehikel gedient, gewisse Anomalien bei der Anspruchsbemessung zu legitimieren 9 , so erlangte sie i m Persönlichkeitsrechtsschutz als zentrale Funktion des „Ersatz"-Anspruchs erst ihre wirkliche Bedeutung. Dies deutet das „Herrenreiter"-Urteil bereits an 1 0 , die „Ginseng"-Entscheidung macht es explizit 1 1 . I n der Tat lassen sich Verletzungen des Persönlichkeitsrechts zwar i m Einzelfall durch Naturalrestitution reparieren; ein auch nur annähernd i n Geld quantifizierbarer Schaden ist jedoch bei Verletzung von Rechtsgütern, die dem Markt gänzlich entzogen sind, kaum zu ermitteln. Dies gilt für die Entschädigung wegen Persönlichkeitsminderung weit uneingeschränkter noch als für die mit Schmerzensgeld wegen Körperverletzung ausgeglichenen Einbußen, deren manche — etwa die Verkürzung von Freizeitgenuß oder Urlaubsfreude — heute einem zunehmenden Kommerzialisierungstrend ausgesetzt sind 1 2 . Abgesehen von diesen praktischen Schwierigkeiten fällt es schwer, die Reaktion auf eine Beleidigung oder eine Verleumdung als Minderung des Wohlbefindens und damit als Einbuße an einem immateriellen Interesse zu charakterisieren. Die vom Individuum als unangenehm empfundenen emotionalen Reaktionen sind auch nicht so sehr Folge der Rechtsverletzung selbst — die öffentliche Verunglimpfung kann dem Betroffenen unbekannt geblieben sein —, sondern Folge der vom Opfer vermuteten aggressiven Tendenz der

7 Β G H Z 35, 363. β aaO S. 368. » s. oben § 4 I I I . io B G H Z 26, 349 (358); deutlicher schon Larenz, N J W 1958, 828, i n seiner A n m e r k u n g zu dem genannten Urteil, u B G H Z 35, 363 (368). 12 Vgl. bereits B G H N J W 1956, 1234 („Seereise"); sehr weitgehend auch B G H Z 63, 98 („Rumänienreise"). Vgl. dagegen die — klagabweisende — Entscheidung B G H Z 60, 214. Z u den Schwierigkeiten der Kommerzialisierung immaterieller Güter vgl. Grossfeld, S. 96 ff. sowie u. § 6 I 2.

§ 5 Sonderfall: Schmerzensgeld bei Persönlichkeitserletzung

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Verletzungshandlung 13 . I n diesem Zusammenhang noch von Schaden zu sprechen, der durch eine Geldvergütung auch nur symbolisch kompensiert werden könnte, macht keinen Sinn. Bedeutete die Betonung des Genugtuungsgedankens nur eine — wenn auch signifikante — Umgewichtung bereits etablierter Anspruchsfunktionen, so machten die i n der „Ginseng"-Entscheidung 7 erstmals ausgesprochenen generalpräventiven Erwägungen 1 4 die Distanz zum „echten" Schmerzensgeld vollends deutlich. Spätere Erkenntnisse apostrophieren ganz offen die „Abschreckungsfunktion" des neugeschaffenen Anspruchs 15 . Das Terrain des Schadensrechts ist damit verlassen. Läßt sich Genugtuung, i m Verständnis des Großen Zivilsenats, immerhin noch als — freilich sehr weit verstandener — Ausgleich erklären 1 6 , so gehören generalpräventive Erwägungen doch vorrangig ins Strafrecht 17 . Zwar w i r d die Geltung des Präventionsgedankens auch i m — wesentlich vom Fahrlässigkeitsdelikt geprägten — Haftpflichtrecht öfters noch behauptet 1 8 ; neuere Forschungen stellen aber nicht nur die Geltung des Präventionsprinzips i m geltenden Zivilrecht i n Frage 19 , sondern bezweifeln auch dessen Eignung, effektiv zur Unfallverhütung beizutragen 20 . Diese Zweifel sind beim zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutz weniger am Platze. Die drohende Sanktion einer Geldzahlungspflicht w i r d zwar kaum den momentanen Konzentrationsabfall eines Autofahrers verhindern; sie mag hingegen einen organisierten und

13 Dazu noch ausführlich u. § 7 Β I 2 b. Ä h n l i c h wie der Text Pecher, AcP 171, 75 f. F ü r den Schadensersatzcharakter des Persönlichkeitsschutzes jedoch Bötticher, Referat, S. C 2 3 f . ; Niemeyer, S. 79 ff. 14 B G H Z 35, 369: „Solchem unlauteren Gewinnstreben k a n n w i r k s a m n u r entgegengetreten werden, w e n n es m i t dem Risiko eines fühlbaren finanziellen Verlustes belastet w i r d . . is B G H VersR 1970, 134 (136); O L G Karlsruhe N J W 1969, 1488. ie Z u r Ausgleichsfunktion als P r i m ä r f u n k t i o n des Schadensrechts Mertens, Vermögensschaden, S. 95 ff.; Larenz, SchR I §271; zur Genugtuungsfunktion noch ausführlich unten § 7. 17 Stoll, Gutachten, S. 6; a. Μ . H. Kaufmann, JuS 1963, 373, der der Generalprävention i m zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutz zentralen Rang einräumt; ähnlich Deutsch, JuS 1969, 202; Hellmer, Festschr. H. Mayer, S. 675 f.; G. A. Maier, S. 3, 61 ff. Dies spricht aber n u r für die i m folgenden entwickelte These. 18 Vgl. ζ. B. Grossfeld, S. 80, m i t rechtsvergl. Hinweisen; Arzt, Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre, S. 9 ff., 314 f.; ferner Bötticher, AcP 158, 385; Deutsch, J Z 1971, 244 ff. (246); H. J. Hirsch, Festschr. Engisch, S. 314, w o h l auch Baumann, D A R 1965, 227; D A R 1966, 311. Zurückhaltend Larenz, SchR I § 27 I ; Esser, SchR I § 40 I I . 1 9 Mertens, aaO. S. 97 f., m i t verfassungsrechtlicher Begründung; Jürgen Schmidt, Schadensersatz u n d Strafe, S. 50 f. 20 Vgl. einstweilen die skeptischen Ausführungen von Weyers, S. 456 ff., m. w. N. Allgemein zum Präventionszweck der Genugtuung u n d des H a f t pflichtrechts noch unten § 7 Β I V .

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2. Kap. : Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs

ökonomisch kalkulierenden Redaktionsstab durchaus davon abhalten, verunglimpfende Bemerkungen über eine Fernsehansagerin zu publizieren. A l l diese Überlegungen zeigen, wie fragwürdig es ist, i n dem A n spruch wegen Persönlichkeitsverletzung noch einen Schadensersatzanspruch zu sehen. Korrekter erscheint die Qualifikation des Anspruchs als Privatstrafe 2 1 . Sie schließt eine Dominanz präventiver Zwecke nicht aus und hebt, anders als die Genugtuung, nicht nur auf ein — wie immer geartetes — Ausgleichsbedürfnis i n der Person des Verletzten ab, sondern erklärt auch das dem Verletzer abverlangte Opfer 22 . Eine Rechtfertigung finden so auch die für Persönlichkeitsverletzungen von Presseunternehmen ausgeworfenen Höchstsummen; das Unrecht seiner Tat soll sich für den Deliktstäter nicht gewinnbringend auszahlen 23 . Anders als die Kriminalstrafe betont die Privatstrafe hingegen die besondere persönliche Beziehung zwischen Verletzer und Verletztem 2 4 . So gesehen mag der Anspruch wegen Persönlichkeitsverletzung heute einen anerkannten und berechtigten Platz i n unserer Rechtsordnung einnehmen. Das Strafrecht hat die Aufgaben des Persönlichkeitsschutzes bisher nicht suffizient erfüllen können. I m materiellen Strafrecht fehlt bis heute ein allgemeiner Tatbestand des Persönlichkeitsschutzes, wie er neuerdings wieder i n § 145 des „Alternativentwurfs" 2 5 gefordert wird. Ein weiterer Mangel liegt i m Strafverfahrensrecht begründet. Die Erfolgsquote von Privatklageverfahren ist erstaunlich gering. Von Richtern werden sie mit Desinteresse, wenn nicht m i t unverhohlener Abneigung behandelt. Sie sind — m i t einem prozentualen Anteil von 1,4 °/o an den ordentlichen Strafverfahren (einschließlich Straf befehlverfahren) — zu einer als störend empfundenen Randerscheinung des 21 Bötticher, M D R 1963, 360; ders., Verh. 45. DJT, I I , C 23 f., 28; ausführlich Grossfeld, S. 104 ff.; H. J. Hirsch, S. 306 ff., Niemeyer, S. 104 ff.; ähnlich Pecher, AcP 171, 75 ff. („private Buße"). Den aus A r t . 103 GG sich ergebenden Bedenken — vgl. dazu Bötticher, M D R 1963, 360; Deutsch, JuS 1969, 203 — wäre durch die v o m Referentenentwurf beabsichtigte Kodifizierung des Richterrechts teilweise die Spitze genommen; vgl. Arzt, S. 317. 22 Der von der J u d i k a t u r entwickelten (vgl. B G H N J W 1971, 698) u n d v o m Referentenentwurf aufgenommenen „Subsidiaritätsklausel" — k e i n Genugtuungsanspruch i n Geld, wo anderweitiger Ausgleich der Verletzung möglich — scheint i n der Praxis wenig Bedeutung zuzukommen. E i n Ausnahmefall findet sich i n B G H N J W 1970, 1077. 23 Diesen — an sich bereicherungsrechtlichen — Gedanken f ü h r t Stoll, Schadensersatz u n d Strafe, S. 572, als G r u n d f ü r die vereinzelte Berechtigung von Privatstrafen an. Stoll selbst w i l l freilich den zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutz i n der B R D nicht als Privatstrafe verstanden wissen. 24 Grossfeld, S. 102 ff., 111 ff. 25 A l t e r n a t i v e n t w u r f eines Strafgesetzbuches, Besonderer Teil, Straftaten gegen die Person, 2. Halbb., vorgelegt v o n G. Arzt u. a., Tübingen 1971, S. 28 f.

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Strafprozesses geworden 26 . Der zivilrechtliche Persönlichkeitsschutz hat hier eine empfindliche Rechtsschutzlücke zu schließen. 2. Haftungstatbestand Die Anspruchsbegründung gestaltet sich mangels eines klar konturierten subjektiven Rechts 27 schwieriger als bei der Verletzung eines der „klassischen" Rechte bzw. Rechtsgüter. Die Judikatur versucht, dem Vorbild des A r t . 49 I SchweizerOR folgend, dieses Manko dadurch auszugleichen, daß sie bereits auf der Ebene der Tatbestandsmäßigkeit nur erhebliche Verletzungen als haftungsrelevant anerkennt 2 8 . Auch diese Anomalie läßt sich schadensrechtlich nicht erklären 2 9 , sondern allenfalls m i t dem geringen Sühnebedürfnis seitens des Verletzten legitimieren. Die mangelnde Randschärfe des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ließ es dem B G H auch geraten erscheinen, für das Rechtswidrigkeitsurteil auf die sonst bei § 823 I BGB benützte Methode der Unrechtsindikation zu verzichten und statt dessen eine feindifferenzierte Güterund Interessenabwägung zwischen den Parteien vorzunehmen 30 . A n gesichts der generalklauselartigen Weite des Persönlichkeitsrechts lag darin die einzige Möglichkeit, jeweils die i n den Persönlichkeitsrechten beider Seiten verkörperten kollidierenden Freiheitssphären abzugrenzen. Eine hervorragende Rolle spielt dabei das besondere Freiheitsrecht der Presse aus A r t . 5 GG. Daß die deliktsrechtliche Systematik des BGB durch dieses neue Verfahren der Anspruchsbegründung gesprengt wird, hat v. Caemmerer bereits 1960 treffend festgestellt 31 . Als eine weitere besondere Anspruchsvoraussetzung verlangt der BGH 3 2 , wiederum dem A r t . 491 SchweizerOR folgend, ein schweres Verschulden des Verletzers. Auch dies darf als Versuch interpretiert werden, den Anwendungsbereich der Generalklausel nach Möglichkeit wieder einzudämmen. Die restriktive W i r k u n g dieses qualifizierten 2e Z u m Ganzen i n s t r u k t i v Rüdiger Koewius, Die Rechts Wirklichkeit der Privatklage, B e r l i n 1974, zusammenfassend S. 157 ff. 27 Fikentscher y Schuldrecht, § 103 I I , bezeichnet das allg. Persönlichkeitsrecht anschaulich als „Rahmenrecht". Esser, SchR I I § 107 I I 1 d, u n d Medicus, Bürgerl. Recht, § 24 I I 2 d, leugnen, daß es sich überhaupt u m ein subjektives Recht handle; a. M . Hubmann, Persönlichkeitsrecht, S. 128 ff. 28 So erstmals B G H Z 35, 363 (368 f.). 2» K r i t i s c h auch Wiese, Ersatz des immateriellen Schadens, S. 49 f.; Mertens, JuS 1962, 261 (265). 30 So schon B G H Z 13, 334 (338). 31 Wandlungen des Deliktsrechts, S. 112 f. 32 Ebenfalls erstmals i m „Ginseng"-Urteil (N. 28). Schwere Beeinträchtigung u n d schweres Verschulden brauchen aber nicht, wie i m Schweizer Recht, k u m u l a t i v , sondern n u r alternativ gegeben zu sein.

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2. Kap. : Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs

Verschuldenserfordernisses w i r d jedoch teilweise dadurch kompensiert, daß der B G H bei Persönlichkeitsverletzungen einen recht strengen Sorgfaltsmaßstab anlegt 3 3 . 3. Anspruchsbemessung Eigene Wege ist die Judikatur auch bei der Anspruchsbemessung gegangen. Schon das „Herrenreiter"-Urteil schlägt hier neue Töne an, wenn es nicht nur, dem Großen Zivilsenat folgend, die guten w i r t schaftlichen Verhältnisse, sondern auch die gesellschaftliche Stellung des Klägers, eines vermögenden Brauereibesitzers, bei der Feststellung der „billigen Entschädigung" i n Ansatz bringt 3 4 . So sind wohl auch die — verglichen mit den früher ausgeworfenen Schmerzensgeldbeträgen — durchweg sehr respektablen Entschädigungssummen für Persönlichkeitsminderungen teilweise damit zu erklären, daß die Anspruchssteiler i m Regelfall Unternehmer, freiberuflich Tätige, Show-Stars oder Politiker waren. Statistisch nicht repräsentativ, aber dennoch aufschlußreich ist auf diesem Hintergrund eine Entscheidung des BAG, die einem fristlos gekündigten Angestellten, über den sein vormaliger Arbeitgeber ein Rundschreiben verbreitet hatte, das den Tatbestand der (vorsätzlichen!) üblen Nachrede erfüllte, überhaupt jegliche Genugtuung verweigert 3 5 . Das zugängliche Material reicht indessen nicht aus, u m hier eindeutige Folgerungen zu ziehen. Der Verdacht ist freilich nicht von der Hand zu weisen, es werde häufig Persönlichkeitsschutz als Unternehmerpersönlichkeitsschutz betrieben 36 . Exemplarisch ist eine Formulierung des OLG Hamburg: „Es sei . . . nicht erforderlich gewesen, dabei die Firma des K l . i n die öffentliche Diskussion zu ziehen und so (!) i n die Privatsphäre des K l . einzugreifen 37 ." Noch deutlicher stellt ein Repräsentant des Anwaltsstandes fest 38 : „Angehörige freier Berufe . . . , aber auch Künstler, Schriftsteller, Komponisten, auf deren einwandfreie moralische Qualität die Gesellschaft und die Auftraggeberschaft (!) Wert legen muß, können auf diese werterhöhenden Faktoren hin33 Vgl. etwa B G H N J W 1965, 685 — „ E x k l u s i v i n t e r v i e w " ; B G H VersR 1969, 62; B G H N J W 1971, 698. 34 B G H Z 26, 349 (359). 35 B A G B B 1967, 1378. Erwähnenswert i n diesem Zusammenhang auch B G H N J W 1962, 1004 — „Doppelmörder" —, wo der Kläger, ein Seemann, sich m i t D M 1000,— bescheiden mußte. 36 Vgl. auch Wiethölter, K r i t J 1970, 127 f.; Knieper, ZRP 1974, 137. 37 Z i t i e r t nach B G H Z 36, 77 (79). Der B G H hob das stattgebende Berufungsurteil auf m i t der zutreffenden Begründung, „daß der Persönlichkeitsschutz der gewerblichen Betätigung keineswegs so w e i t reicht wie der Schutz des privaten Bereichs i m engeren Sinne". Der Streit w u r d e damit schon auf der Rechtswidrigkeitsebene entschieden. Ä h n l i c h B G H VersR 1975, 332. 38 Fromm, N J W 1965, 1201 (1205).

§ 5 Sonderfall: Schmerzensgeld bei Persönlichkeitserletzung

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weisen." Überflüssig zu betonen, daß hier nicht mehr Schutz immaterieller Güter begehrt wird, sondern Wahrung von Vermögensinteressen unter der falschen Flagge des Persönlichkeitsschutzes. Waren die für Persönlichkeitsverletzungen zugesprochenen Summen 39 lange Zeit der Vorreiter für die zurückgebliebenen Schmerzensgeldbeträge, so mehren sich heute die Stimmen, die wegen der weitgehenden Verschiedenheit der beiden Ansprüche einheitliche Leitlinien für die Anspruchsbemessung als nicht sinnvoll ansehen 40 . Nach dem bisher Gesagten kann man dem nur beipflichten. I n der Praxis haben die eigentlichen Schmerzensgelder die für Persönlichkeitsverletzungen ausgeworfenen Beträge inzwischen bei weitem überholt. I I I . Folgerungen

Zweck dieser Ausführungen war es, die divergente Entwicklung von Schmerzensgeld einerseits und Entschädigung wegen Persönlichkeitsverletzung andererseits aufzuzeigen. Gravierende Unterschiede haben sich bei Haftungsbegründung und Anspruchsbemessung ergeben. Rechtssystematisch ist der Geldanspruch wegen Persönlichkeitsminderung eher als Privatstrafe denn als Schadensausgleich zu qualifizieren. Ob die de lege ferenda zu bewältigenden Ordnungsaufgaben deshalb dem Strafrecht mit seinen besonderen Verfahrensgarantien zuzuweisen sind 41 , ist hier nicht zu entscheiden. Eine Novellierung des Bürgerlichen Schadensrechts sollte jedoch, anders als der Referentenentwurf, die Unterschiedlichkeit der beiden Ansprüche auch redaktionell deutlich machen. Für das hier abzuhandelnde Thema folgt schließlich, daß Argumente, die i m Persönlichkeitsschutz schwerwiegen, nicht unbesehen für die Funktionsbestimmung des eigentlichen Schmerzensgeldes fruchtbar zu machen sind 4 2 .

30 Bisherige Höchstbeträge: 25 000,—DM i m F a l l F. J. Strauß ·/· SPIEGEL, B G H VersR 1969, 62; 30 000,—DM i m F a l l W. Brandt ·/· Kapfinger, L G B e r l i n v. 30. 5.1961, mitgeteilt bei Stoll, Gutachten, S. 10 N. 37. 40 Arzt, S. 333; Harbauer, VersR 1969, 589 (591 ff.); Füchsel, VersR 1970, 17 f.; aus der J u d i k a t u r vgl. B G H VersR 1970, 134 (136); O L G Stuttgart VersR 1967, 567; O L G F r a n k f u r t N J W 1968, 1972. Gegen eine „Zweispurigk e i t " der Schmerzensgeldbemessung O L G Karlsruhe N J W 1969, 1488. 41 Dafür engagiert H. J. Hirsch, S. 314 ff.; ferner Niemeyer, S. 104 ff.; Weyers, S. 659; ablehnend Großfeld, S. 111 ff., unter Hinweis auf eine drohende „Hypertrophie des öffentlichen Strafrechts" ; ähnlich Hellmer, Festschr. H. Mayer, S. 676 ff., der dem Schmerzensgeld eine strafersetzende F u n k t i o n zuschreibt. Differenzierend Arzt, S. 333 ff. 42 So m i t ähnlichen Erwägungen auch Pecher, AcP 171, 77 ff.

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2. Kap. : Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs

§ 6 Schmerzensgeldfunktionen I — Ausgleichs- u n d Ü b e r w i n d u n g s f u n k t i o n I. Ausgleichsfunktion

1. Immaterieller

Schaden und Schadensbegriff

des BGB1

Die Ausgleichs- oder Kompensationsfunktion ist die historisch jüngere Funktion des anfangs allein von poenalen Vorstellungen geprägten Schmerzensgeldes. Ausgleich als Primärfunktion unseres Haftungsrechts 2 meint Deckung des wirtschaftlichen Bedarfs, der durch Einbußen an als wertvoll empfundenen Interessen eines Rechtssubjekts erzeugt wird 3 . Diese am Vermögensschaden orientierte Definition w i r d problematisch, wenn Einbußen an nicht Vermögenswerten Rechten und Rechtsgütern zum Ausgleich zu bringen sind. Dabei eignet sich die Inkommensurabilität von immateriellem Schaden und Geld lediglich als negatives Abgrenzungskriterium 4 . Die Dichotomie materieller — immaterieller Schaden ist kein rechtslogisches Apriori. Andere Rechtsordnungen haben sie nicht m i t der vom BGB-Gesetzgeber geübten Konsequenz durchgeführt. Der Code Civil unterscheidet i n der deliktischen Generalklausel des art. 1382 nicht zwischen Vermögensschäden und immateriellen Einbußen. Die Bildung entsprechender Kategorien ist das Werk von Rechtsprechung und Dogmatik 5 . I n einer pragmatischen Rechtsordnung wie dem Common Law umfassen die bei Personenverletzungen zugesprochenen „general damages" materielle sowohl wie ideelle Schadensposten. Bis i n jüngster Zeit fühlten sich die englischen Gerichte nicht einmal verpflichtet, die einzelnen Schadensposten — entgangener Gewinn für die Zukunft einerseits und verschiedene Formen immaterieller Einbußen andererseits 6 — betragsmäßig zu spezifizieren 7 . Ist sonach die Fassung des Schadensbegriffs offenkundig von bestimmten ideologischen und ökonomischen Vorentscheidungen eines Gesetzgebers präjudiziert, so mag es von Nutzen sein, zunächst bei einem sehr weit gefaßten vorrechtlichen oder soziologischen Schadens1 Z u m folgenden ausführlicher mein Beitrag, ökonomische Aspekte des Schadensproblems, erscheint demnächst i m AcP. 2 Vgl. n u r Deutsch, JZ 1971, 244 (246); Mertens, Vermögensschaden, S. 95 ff.; Esser, SchR I § 40 I I . 3 Ä h n l i c h Weyers, S. 335. 4 So zutreffend schon H. A. Fischer, Der Schaden, S. 261. 5 Dazu noch ausführlich unten § 7 C I V . β Vgl. die Aufzählung bei Street, L a w of Torts, S. 435. 7 Erst die Entscheidung des Court of Appeal i m Falle Jefford v. Gee, (1970) 2 Q. B. 120, hat m i t dieser Tradition gebrochen. Z u m heutigen M e i nungsstand Winfield & Jolowicz, S. 572 f.

§ 6 Ausgleichs- u n d Überwindungsfunktion

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begriff anzusetzen. I n diesem Sinne wäre als Schaden zu definieren jede Einbuße an einem Interesse 8 , das vom Subjekt für wertvoll erachtet wird, m. a. W., von dessen Vorhandensein die Befriedigung eines Bedürfnisses abhängt 9 . Daß ein solcher subjektivistischer Schadensbegriff für das Recht unbrauchbar ist, liegt auf der Hand. Der auf den Hausfreund seiner Gattin eifersüchtige Ehemann wäre andernfalls ebenso Geschädigter wie der Dieb, dessen sorgfältig ausgearbeiteter Einbruchsplan durch einen zufällig daherkommenden Passanten durchkreuzt wird. Auch gesellschaftlich mißbilligte Interessen können eben Gegenstand persönlicher Wertschätzung sein. Als allgemeingültiges Wertregulativ bietet sich somit zur Eingrenzung des vorrechtlichen subjektivistischen Schadensbegriffs die gesellschaftliche Wertschätzung des beeinträchtigten Interesses an. Diese ist natürlich keine fixe Größe, sondern, wie ein kurzer Blick auf ausländische oder historisch ältere Rechtsordnungen lehrt, historisch-gesellschaftlich bedingt 1 0 . Eine Form gesellschaftlicher Wertschätzung äußert sich darin, daß das verletzte Interesse auf dem Markt einen Tauschwert hat. I m übrigen sind die Grenzzonen eines solchen einheitlichen Schadensbegriffs natürlich flüssig. Aufschluß hierüber gibt die französische Praxis, die sich immer wieder veranlaßt sieht, unerwünschten „Wucherungen" dieses Schadensbegriffs Einhalt zu gebieten 11 . Der BGB-Gesetzgeber hat zur Begrenzung des Schadensbegriffs einen ganz anderen Weg gewählt. I n einer „rein marktökonomischen Schadenskonzeption" befangen, begriff er als Vermögensschaden jede Einbuße an einem Interesse, für das i m Warentauschverkehr ein Preis entrichtet w i r d 1 2 . Alle anderen Interesseverletzungen wurden durch die auf der „idealistischen" Standesmoral des deutschen Bürgertums beruhende Norm des § 253 B G B 1 3 aus dem Schadensrecht praktisch verbannt — m i t den Ausnahmen der §§ 847, 1300 BGB. Infolge der Möglichkeit einer „Kommerzialisierung" ideeller Werte war durch den marktökonomischen Schadensbegriff eine sinnvolle Trennung zwischen Vermögensschäden und immateriellen Einbußen von Anfang an verbaut. Die Schadensrechtspraxis zum BGB entspricht ja weitgehend den 8

Interesse k a n n definiert werden als „Ausrichtung von Aufmerksamkeit, Gedanken u n d Absichten (...) einer Person auf einen Gegenstand oder Sachverhalt, dem ein subjektiver Wert zugeschrieben w i r d " ; vgl. L e x i k o n zur Soziologie, Opladen 1973, S. 312. 9 So aus der Sicht eines Ökonomen Mataja, Recht des Schadensersatzes, S. 150 f. 10 Auch hier wieder i n s t r u k t i v der Vergleich m i t dem französischen Redit, unten § 7 C I V . u aaO. 12 Grundlegend hierzu Schäfer, Soziale Kosten, S. 103 ff. (106). 13 Dazu oben § 3 I I I .

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2. Kap. : Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs

ökonomischen Modellen, die ebenfalls „nur die monetär-merkantilen Tauschvorgänge erfassen und alle eigenwirtschaftlichen Tätigkeiten vernachlässigen" 14 . I n seiner Beschränkung auf die i m Warentauschverkehr kommerzialisierten Werte mußte der juristische Schadensbegriff nicht nur die höchst privaten Werte von vornherein draußen lassen, sondern hat auch bis heute Schwierigkeiten m i t dem haftungsrechtlichen Schutz der menschlichen Arbeitskraft, die erst durch die konkrete vertragliche Beziehung kommerzialisiert w i r d 1 5 . Gleiches gilt für die nicht kommerzialisierbaren Arbeitsleistungen. So bedurfte es beträchtlichen dogmatischen Aufwandes, u m der Arbeitsleistung von Hausfrauen über den sog. normativen Schadensbegriff doch noch deliktischen Schutz angedeihen zu lassen 16 , obwohl hier mit Sicherheit kein immaterieller Schaden vorlag. Merkwürdige Ungereimtheiten 1 7 bestehen auch bei der Behandlung von — ganz gewiß ideellen — Affektionsinteressen. Werden sie, wie etwa i m Kunsthandel, auf einem noch so kleinen Markt getauscht, sind sie unbeschränkt ersatzfähig; nicht selten, so etwa i m Streichinstrumentenhandel, sind es erst die Interessen weniger Liebhaber, die den Preis eines Guts auf ein Vielfaches seines Gebrauchswerts treiben. I m Gegensatz hierzu geht der ehemals stolze Eigentümer eines zerstörten alten, aber als Antiquität wertlosen Familienerbstücks leer aus. Die Beispiele lassen vermuten, daß die tausch- und daher ersatzfähigen Affektionswerte überwiegend sich i m Bereich teurer Luxusgüter finden. Jedem Gebrauchsoder Verbrauchsgut, das nicht mehr ausschließlich der Befriedigung der notwendigen existentiellen Bedürfnisse dient, kommt ja wenigstens teilweise auch Affektionswert zu. Ein Kleinwagen, mit dem der Eigentümer zur Arbeit fährt, mag noch reines Gebrauchsgut sein; ein teurer Sportwagen ist es nur noch teilweise. Der Lehrsatz, § 253 BGB schließe den Ersatz von Affektionsinteressen aus 18 , war i n dieser Allgemeinheit unrichtig von Beginn an. Resümierend kann man feststellen, daß dem Gesetzgeber — geleitet von einer seltsamen Mischung aus kommerziellem Denken und idealistischen Vorurteilen — eine sinnvolle Abstufung der beiden Schadenskategorien nicht gelungen ist.

14 Schäfer, S. 105; Belege hierfür sind aus der juristischen L i t e r a t u r Weyers, Der Begriff des Vermögensschadens i m deutschen Recht, i n Heft 8/9 der Vereinigung f ü r den Gedankenaustausch zwischen deutschen und italienischen Juristen, Karlsruhe 1973, S. 49; Wiese, S. 21 f. 15 Vgl. die (sich widersprechenden) Entscheidungen B G H Z 54, 45 einerseits u n d B A G J Z 1971, 380 andererseits. I n s t r u k t i v zum Problem Lieb, J Z 1971, 358 ff.; ferner F. Baur, Festschr. Raiser, S. 127 ff. 16 B G H (GSZ) 50, 304. 17 Sie w u r d e n bereits von Mataja, S. 150 f., 177 ff. notiert. ι» Statt vieler Medicus, § 33 I I I 2 a.

§ 6 Ausgleichs- u n d Überwindungsfunktion

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Auf diesem ideologischen Hintergrund ist nun zu fragen, welches die besonderen Kriterien des „Schadens, der nicht Vermögensschaden ist" (§ 253 BGB) sind. Anknüpfend an unsere früheren Ausführungen ist immaterieller Schaden i m deutschen Recht jede Verletzung eines Interesses, das zwar keinen Tauschwert besitzt, aber gesellschaftliche Wertschätzung genießt. Das Wertregulativ der gesellschaftlichen Wertschätzung verbürgt als inter subjektiver Maßstab — bevor noch die Frage nach der Meßbarkeit i n Geld zu stellen ist — eine partielle Objektivierbarkeit des Schadens. Ein Schmerzensgeldkläger, der durch den Unfall seine Zeugungsfähigkeit verlor, braucht daher nicht eigens nachzuweisen, er habe sich schon immer Kinder gewünscht. Der Verweis auf den empirischen gesellschaftlichen Wertkonsens ist freilich nicht ohne Probleme. Das illustriert eine jüngere Entscheidung des OLG Hamburg 1 9 , die einer i m Gesicht entstellten Frau eine Schmerzensgeldrente nur bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres zuerkannte, „da die Entstellung ihres Gesichts i n höherem Alter keine nennenswerte Lebensbeeinträchtigung zur Folge hat". Nun mag es tatsächlich einen entsprechenden gesellschaftlichen Konsens geben; doch hätte das Gericht sich fragen müssen, ob letzterer nicht aus einer allgemeinen Geringschätzung alter Menschen resultiert. Verallgemeinernd läßt sich daraus schließen, daß der empirische soziale Konsens i m Einzelfall einer normativen Korrektur bedürftig sein kann; wichtigste Richtlinie ist hierbei der Grundrechtsteil der Verfassung. Keinesfalls ersatzfähig sind andererseits Verletzungen von Interessen, die gesellschaftlich mißbilligt werden. Das w i r d praktische Konsequenzen für die Qualifizierung der Genugtuung als Ausgleich i m weiteren Sinne haben 20 . Trotz der vom BGB erstrebten reinlichen Dichotomie der Schadenskategorien ist auch i m deutschen Recht die Grenzlinie zwischen immateriellen und Vermögensschäden unscharf. Verletzungen nicht vermögenswerter Interessen können sekundäre Vermögensschäden i m Gefolge haben 21 . Umgekehrt führt die Verletzung von Vermögensgütern häufig zu mittelbaren immateriellen Schäden; so beispielsweise die Zerstörung eines alten Familienerbstücks. Zu nennen sind hier auch die oben 22 dargestellten Versuche, Vermögensinteressen i m Gewände des Persönlichkeitsschutzes geltend zu machen. Gravierendste Ein19

J Z 1974, 417 m i t kritischer A n m e r k u n g von Struck. 20 Dazu unten § 7 Β I I I . 21 So etwa ein Verdienstausfall wegen Körperverletzung. Dagegen sind die Heilungskosten Restitutionsaufwand i m Sinne von § 249 S. 2 BGB, der nicht als Vermögensschaden bezeichnet werden sollte, arg. § 253 BGB. Kritisch zu diesem Sprachgebrauch auch Schäfer, S. 103. 22 § 5 I I 3 bei N. 36.

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2. Kap. : Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs

bruchsstelle ist freilich jene von der Judikatur des B G H zunehmend betriebene „Kommerzialisierung" immaterieller Schäden. Der verbreiteten K r i t i k daran ist hier nichts hinzuzufügen 23 . Zur Entlastung der Judikatur ist jedoch die Feststellung angebracht, daß eine solche Entwicklung durch die Kombination des „idealistischen" § 253 BGB mit einem rein marktökonomischen Schadenskonzept geradezu provoziert wurde. Aus systemneutraler Sicht ist nach allem zu bezweifeln, ob dem Rechtsbegriff „immaterieller Schaden" überhaupt heuristischer Wert zukommt 2 4 . 2. Inkommensurabilität

von Nichtvermögensschaden

und Geld

a) Geld als Äquivalent immaterieller Einbußen Der Schadensausgleich bei Verletzung nicht geldwerter Rechte verfolgt keine primär ökonomischen Ziele 2 5 . Das ökonomische, nämlich der Ausgleich i n Geld, fungiert — faute de mieux — nur als ein M i t t e l zum Zweck der Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes. Die noch vom Allgemeinen Landrecht perhorreszierte Vorstellung, körperliche Schmerzen für Geld sich „abkaufen" zu lassen 26 , ist i n der Folgezeit trotz mancher K r i t i k 2 7 niemals auf so hartnäckigen Widerstand gestoßen wie der ähnliche Probleme tangierende Geldersatz für Ehrverletzungen. Vorbildlich ist immer noch Kohlers pragmatische Formulierung der Ausgleichstheorie, wonach „an die Stelle der unberührten Persönlichkeit die mit Vermögensgenuß und Vermögensverfügung versehene und dadurch i n ihrem Genußkreis erweiterte Persönlichkeit t r i t t " 2 8 . Die ganze Fragestellung ist heute allenfalls noch von ideen- und dogmengeschichtlichem Interesse. Der neuerdings erhobene Einwand, Geldersatz für immaterielle Einbußen widerspreche der von A r t . 1, 2 GG geprägten Wertordnung der Verfassung, w e i l die Gleichstellung von Persönlichkeitswert und Geldwert die Persönlichkeit i n ihrem Eigenwert herabwürdige 2 9 , ist denn auch auf wenig Widerhall gestoßen 30 . 23

Vgl. die Zusammenfassung bei Eike Schmidt, Zivilrecht, § 8 I I 3 b. Skeptisch Brusiin, S. 22. 25 Z u den ökonomischen Zielen des Schadensersatzrechts Weyers, S. 481 ff. 26 Nach dem A L R durften bekanntlich n u r „Personen v o m Bauern- oder gemeinen Bürgerstande" Schmerzensgeld verlangen, vgl. oben § 3 1 2. 27 Z u r pandektistischen D o k t r i n v o m Vermögenswert der Obligation s. schon oben § 3 I 3. Noch die Protokolle meinten übrigens, es widerstrebe der „herrschenden Volksauffassung" bzw. „den i n den besseren Volkskreisen vertretenen Anschauungen", einen „idealen Schaden" m i t Geld aufzuwiegen; Mugdan I I , S. 517. 2 ® Kohler, Bürgerl. Recht, Bd. I I , 1, S. 124. 2» H. Reinecke, Schaden u n d Interesseneinbuße, B e r l i n 1968, S. 219 ff. so Ablehnend W. Schmid, S. 109 f. 24

§ 6 Ausgleichs- u n d Überwindungsfunktion

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b) Transitorische Schmerzen Die Ausgleichstheorie ist typisch auf immaterielle Einbußen von längerer Dauer zugeschnitten. I h r Funktionieren muß bei einer relevanten Fallgruppe immaterieller Schäden bezweifelt werden. Vermögensschäden konkretisieren sich als Soll-Differenzen i n der Vermögensbilanz des Verletzten 3 1 . Sie bleiben dort als Merkposten stehen, bis sie durch einen kongruenten Vermögenszuwachs i n Gestalt der Schadensersatzleistung getilgt werden. I m Vergleich dazu ist ein weiter Bereich von Schmerzen, für die Geldausgleich begehrt und gewährt wird, transitorischer Natur: ein Schlag ins Gesicht mag das Wohlbefinden i m Moment empfindlich beeinträchtigen; ein immaterieller Schaden ist gleichwohl nur für ganz kurze Zeit nachweisbar, da solch geringfügige Beeinträchtigungen i m Normalfall vom Subjekt sehr schnell verarbeitet und vergessen werden 3 2 . Schmerzensgeld hierfür kann nichts mehr zum Ausgleich bringen und allenfalls noch das private Vergeltungsstreben des Verletzten befriedigen. Illustrativ die Entscheidung eines Untergerichts 33 , das einem fünfjährigen Jungen, der Stockschläge erhalten hatte, 150,— D M zusprach, nicht ohne zu berücksichtigen, welch nachteilige Folgen es für die seelische Verfassung des Klägers gehabt habe, „daß er ausgesprochen von einem Mädchen" (sie!) geschlagen wurde. Den archaischen Charakter solcher Schmerzensgeldansprüche fördert etwa der Vergleich m i t dem ebenso anachronistischen strafrechtlichen Institut der Kompensation nach §§199, 233 StGB 3 4 zutage. De iege ferenda ist deshalb Weyers' Vorschlag erwägenswert, Schmerzensgeld nur für schwere Schmerzen längerer Dauer zu gewähren 35 . c) Feststellbarkeit des immateriellen Schadens Der richterlichen Aufgabe, erlittenen Schmerz mit einem adäquaten Geldbetrag aufzuwiegen, ist die nicht weniger schwierige medizinischpsychiatrische Frage nach der Meßbarkeit der immateriellen Einbuße selbst vorgelagert. Ein exaktes Nachfühlen des aktuellen Schmerzzustandes scheitert daran, daß dieser nicht reproduzierbar ist 3 6 . Schmerz ist ferner, i m si Z u r heute überholten Kontroverse zwischen „rechnerischem" u n d „ k o n kretem" Schadensbegriff informativ Zeuner, A c P 163, 380 ff. 32 Z u r Problematik transitorischer Schmerzen bereits Eickhoff, S. 81 N. 2, unter Hinweis auf Bürger-Prinz, Der Nervenarzt 1951, S. 376. 33 A G Monschau, mitgeteilt bei Hacks, Nr. 12. 34 Dazu ausführlich Küper, J Z 68, 651 ff. 35 Weyers, S. 658, der hier die Soziabilitätsschranke des Schadensersatzes tangiert sieht. Bereits de lege lata einschränkend K G VersR 1975, 51 (nur Leitsatz). 3« Langen, Schmerz u n d Schmerztherapie, S. 138; Bloemertz, Schmerzensgeldbegutachtung, S. 19.

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2. Kap. : Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs

Gegensatz zu einer i m juristischen Schrifttum verbreiteten Ansicht 3 7 , nicht i n (empirisch feststellbaren und daher objektivierbaren) körperlichen und i n seelischen Schmerz aufzuspalten: Als Verbindung von (physiologischer) Empfindung m i t (psychischem) Erlebnis ist Schmerz ein psychosomatisches Phänomen 38 . Nur die Reizschwelle für die physiologische Empfindung ist bei allen Menschen weitgehend gleich 39 , die psychische Verarbeitung gibt dem Schmerz aber dann die „subjektive individuelle Prägung" 4 0 . Die Persönlichkeit des Menschen ist zentral an der Gestaltung seines Schmerzerlebnisses beteiligt, und zwar u m so mehr, je länger letzteres andauert 41 . Für die Messung des immateriellen Schadens i n Geld w i r d daher die Frage zu stellen sein, bis zu welcher Grenze der Richter eine schmerzsteigernde psychische Prä disposition des Verletzten — Extrembeispiel sind die sog. Schmerzensgeldneurosen — noch berücksichtigen darf. Prinzipiell gilt freilich, daß nicht erst der Verweis des § 847 auf die Billigkeit, auch nicht die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes, sondern bereits der medizinische Befund eine sorgfältige Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls verlangt. d) Meßbarkeit des immateriellen Schadens i n Geld I n Konsequenz von Kohlers Formel 4 2 fungiert Schmerzensgeld nicht als abstrakter Wertmesser des beeinträchtigten Nichtvermögensinteresses — etwa nach A r t der versicherungsrechtlichen „Gliedertaxen" —, sondern als Tauschmittel zum Erwerb kompensierender immaterieller Vorteile 4 3 . Wenn auch Naturalrestitution i m engen Sinne des § 249 in den allermeisten Fällen nicht möglich ist 4 4 , so betreibt die Rechtsprechung auf der Suche nach den für die Schmerzensgeldhöhe ausschlaggebenden kompensatorischen Annehmlichkeiten doch eine A r t Naturalrestitution zweiten Grades. Sie läßt dabei durchaus Phantasie

37 Zuletzt Stoll, Gutachten, S. 143 f.; W. Schmid, S. 108 f., differenziert, ohne Unterschied i n der Sache, zwischen objektiven u n d subjektiven Nicht-Vermögensschäden. 38 Bloemertz, S. 27 ff.;Günther, Schmerzensgeld, S. 21 ff.; Langen, S. 138 f. 39 Das ist heute experimentell nachweisbar, vgl. Langen, S. 139 f., Bloemertz, S. 30. 49 Günther, S. 22. 41 Hoff, Der Schmerz u n d seine Bedeutung, S. 114; Bloemertz, S. 31. 42 Siehe oben 2 a). 43 Ä h n l i c h schon Schnorr ν . Carolsfeld, Monatsschr. f. Unfallheilkunde u n d Versicherungsmedizin 1951, 22. 44 Überspannt w i r d der Begriff von Eickhoff, S. 59 f., der auch Maßnahmen zur besseren Anpassung des Verletzten an die U m w e l t (Rehabilitation, Arbeitsplatzwechsel) als Restitution ansieht. Kritisch dazu auch Günther, S. 58 f.

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walten. So hat etwa das Reichsgericht einem durch Unfall Gehbehinderten den zum Erwerb eines Autos erforderlichen Betrag zugesprochen, u m so die geminderte Bewegungsfreiheit wieder zu erhöhen 45 . Mehrfach wurde zum Ausgleich von Querschnittslähmungen die Schmerzensgeldhöhe an den Kosten eines Eigenheims orientiert, dessen Besitz dem Verletzten die einschneidenden Folgen seiner Bewegungsunfähigkeit mildern könne 4 6 . Vorgeschlagen w i r d auch, einem Erblindeten das Erlernen der Blindenschrift und den Erwerb einer Blindenbibliothek zu ermöglichen 47 . Die Judikatur dürfte hier grundsätzlich auf dem richtigen Weg sein. Eine Patentlösung ist freilich auch diese Quasi-Naturalrestitution nicht. Sie versagt nicht nur bei Schmerzzuständen, die bereits der Vergangenheit angehören, sondern auch dann, wenn ein Verletzter schon vor dem Unfall i m Uberfluß m i t „Vermögensverfügung und Vermögensgenuß versehen" (Kohler) w a r 4 8 . Bedenklich ist unter diesem Aspekt das obiter dictum des Großen Zivilsenats, „daß i m Einzelfall der gewohnte höhere Lebensstandard des Verletzten auch einmal zu einer Erhöhung des Schmerzensgeldes führen kann" 4 9 . Eine „klassenspezifische" Schmerzensgeldbemessung wäre unter der Herrschaft des Gleichheitsgrundsatzes illegitim 5 0 . Angesprochen ist damit aber auch das grundsätzlichere Problem, inwieweit bereits de lege lata i m Interesse größerer Rechtssicherheit eine stärkere Schematisierung der Schmerzensgeldbemessung zulässig und geboten ist, genauer: welche persönlichen Faktoren bei der Festsetzung der „billigen Entschädigung" als irrelevant ausgeschieden werden sollten 51 . Eine Naturalrestitution zweiten Grades scheitert schließlich überall, wo die spezifische Entsprechung von Lebensbeeinträchtigung und konkreter kompensatorischer Annehmlichkeit auch bei großzügigstem Ermessen nicht herzustellen ist. Immer wenn eine Quasi-Naturalrestitution scheitert, ist auf die konventionalen Bewertungsnormen zurückzugreifen, die sich i n einem längerfristigen Selektionsprozeß i m Wege des Präjudizienvergleichs konstituieren 5 2 . Es handelt sich dabei ebenso u m Wertungskonsense wie bei der Entscheidung, welche Störungen von Nicht« J W 1938, 590. H i e r gelangt m a n freilich schon an die Grenze zur echten Naturalrestitution; vgl. jetzt O L G Celle, VersR 1975, 1103. 46 Zuletzt O L G K ö l n N J W 1967, 1968. 47 Beispiel bei Günther, S. 58; weitere Vorschläge bei Füchsel, Schmerzensgeldprobleme, D A R 1968, 253 ff. 48 Henke, Schmerzensgeldtabelle, S. 11 f. 49 B G H Z 18, 159. so Henke, S. 11 f.; Harbauer, VersR 1969, S. 590; a. M. Geigei, Haftpflichtprozeß, S. 189 f.; Lieberwirth, S. 64. 51 Dazu unten § 101 3. 52 Donaldson, A c P 166, 472 f. 6 Köndgen

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2. Kap. : Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs

Vermögensinteressen überhaupt als immaterieller Schaden juristische Anerkennung finden. Nicht immer kann ein Schmerzensgeld Milderung der Leiden durch Verschaffung kompensatorischer Annehmlichkeiten bewirken. Zu stark ist das Schmerzerlebnis als psychosomatisches Geschehen durch die Persönlichkeit des Verletzten beeinflußt, die einem erfolgreichen Ausgleich i m Wege stehen kann. Es ist deshalb versucht worden, die Ausgleichsfunktion durch die sog. Uberwindungsfunktion zu ersetzen oder jedenfalls zu ergänzen 53 . I I . Überwindungsfunktion

Unter Zugrundelegung neuerer medizinisch-psychiatrischer Erkenntnisse 54 geht die Uberwindungstheorie davon aus, daß die Bewältigung des Schmerzes, die „Anpassung des Lebensvollzugs an die Gesundheitsbeschädigung" 55 wesentlich eine Leistung des Verletzten selbst ist; das Schmerzensgeld könne daher den Ausgleich der U n b i l l nicht unmittelbar bewirken, sondern allenfalls fördern. I n der Sache ist die Uberwindungsfunktion eine Spielart der Ausgleichsfunktion 56 . Beide intendieren letzten Endes den Ausgleich des immateriellen Schadens, die Überwindungsfunktion bietet nur eine abweichende Erklärung der Wirkungsweise des Schmerzensgeldes, indem sie die notwendige eigene Leistung des Verletzten i n Rechnung stellt. Zweifellos sind die von der Ausgleichstheorie aufgestellten „Lustbilanzen" eine Verkürzung des komplexen psychosomatischen Sachverhalts 57 . Die Überwindungsfunktion hat ferner den Vorzug, das Schmerzensgeld zu entsubjektivieren und damit seine Bemessung zu standardisieren: Die Höhe des Schmerzensgeldes w i r d von der objektiven Schwierigkeit, die Lebenshemmung zu überwinden, determiniert. Die individuelle Fähigkeit oder Bereitschaft, den Schmerz zu verarbeiten, w i r d für die Bemessung indifferent 5 8 . Die Überwindungsfunktion bricht dabei freilich mit einem Grundsatz des Schadensrechts, der eine besondere — diesseits der Grenzen des § 254 liegende — „Schadensgeneigtheit" des Unfallopfers i n die Risikosphäre des Schädigers verweist 5 9 . m Eickhoff, S. 63 ff.; Remé, S. 52 ff., 90 ff.; Niemeyer, S. 75 f.; teilweise zustimmend Esser, SchR I I § 113 I 3 b. ß 4 Siehe oben I 2 c. 55 Eickhoff, S. 66. 56 Bötticher, Referat, S. C12; Henke, S. 10, N. 5; Niemeyer, S. 77; W. Schmid, S. 100. 57 Das g i l t auch für die gängige Formel v o n der „Naturalrestitution i n Lebensfreude"; dagegen schon Seydel, N J W 1954, 1017 (1021). 58 Eickhoff, S. 80. 5» Vgl. die Beispiele aus der Rechtsprechung oben § 4 I I 3.

§ 7 A Genugtuungsfunktion i m modernen Schrifttum

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§ 7 Schmerzensgeldfunktionen I I — Genugtuungsfunktion Die vielzitierte Äußerung v. Tuhrs, Genugtuung i n Geld solle „der Besänftigung des Rachegefühls dienen, welches auch beim modernen Menschen, trotz Christentum und Zivilisation, nicht erloschen ist" 1 , w i r k t heute i n ihrem unreflektierten Rekurs auf eine allgemein als archaisch verpönte Gefühlsregung anachronistisch. Gleichwohl unterscheidet sie sich gerade dadurch wohltuend von manchen euphemistisch klingenden Alltagstheorien, die sich i m modernen Schrifttum zur Erklärung der nicht-schadensersatzrechtlichen Funktion des Schmerzensgeldes finden. Diese Versuche geben Aufschluß über die Schwierigkeit, der Genugtuung einen eigenen Stellenwert i m Grenzgebiet zwischen Schadensausgleich und Strafe einzuräumen. A . D i e Genugtuungsfunktion i m neueren deutschen Schrifttum

Als Begründer einer eigenständigen Genugtuungsfunktion darf für das Zivilrecht 2 R. v. Jhering gelten 3 . Die von i h m sogenannte „Satisfactionsfunktion" hatte zum Inhalt, „daß der Richter dem Kläger wegen der gegen i h n vom Beklagten begangenen Rechtsverletzung eine Geldsumme zuerkennt, aber nicht als Aequivalent i m ökonomischen Sinn (...), sondern als Satisfaction für sein verletztes Rechtsgefühl oder als Aequivalent für die Schädigung seiner nicht-ökonomischen Interessen" 4 . Das Zitat zeigt, daß diese Satisfaktionsfunktion einem weit verstandenen Ausgleichsprinzip näher steht als der Strafe 5 . Neu ist die Zielrichtung der Satisfaktion auf das verletzte Rechtsgefühl, die für die meisten späteren Erklärungsversuche zentral bleibt; sie ist i m Kontext von Jherings früherer Schrift „Der Kampf ums Recht" zu sehen6. ι v. Tuhr-Peter, S. 126. I m Strafrecht wurde der Genugtuungsgedanke durch den fünften E n t w u r f zu einem preußischen StGB (1843) aktuell, der eine Vorschrift über eine zwischen Privatstrafe u n d Entschädigung angesiedelte Buße enthielt. Vgl. hierzu Niemeyer, S. 20 ff. 3 Z u den historischen Wurzeln der Genugtuungsfunktion schon oben § 3 I, ferner Niemeyer, S. 49 ff. 4 Jhering, Gäubahngutachten, S. 59. Jherings Unterscheidung zwischen Ä q u i v a l e n t - u n d Satisfaktionsfunktion des Schadensersatzes wurde alsbald v o n Degenkolb, AcP 76, 1 ff. (25) aufgegriffen, später auch von H. A. Fischer, Der Schaden, S. 268 N. 19: „Die Geldleistung i n ihrer Satisfaktion hält die M i t t e zwischen Strafe u n d Schadensersatz." s Pönalen Charakter schrieb hingegen Seng, ArchBürgR 5, 336 ff. (363) der Genugtuung zu: „Was unser verletztes Gefühl i n solchen Fällen v o m Rechte verlangt, ist nicht ein Geldvortheil, sondern daß der Thäter f ü r seine Schuld (...) gezüchtigt werde; nicht einen V o r t h e i l für uns begehren w i r , sondern ein Übel, m. a. W. Strafe gegen den Thäter." 2

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2. Kap. : Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs

Binding 7 sprach dem Schmerzensgeld zwar Genugtuungsfunktion ab — Genugtuung könne nur ein „höchstpersönlicher A k t " sein —, doch erhalte der Geschädigte die Geldsumme zur „Besänftigung". I n der Sache besteht damit kein gravierender Unterschied zu Jhering, da auch Bindings „Besänftigungsfunktion" nur der durch das Unrecht evozierten psychischen Reaktion des Verletzten gelten kann. Die heute gängigste Umschreibung der Genugtuung vereint beide Formeln und definiert Genugtuung als Besänftigung des verletzten Rechtsgefühls 8 . Versucht w i r d ferner, Genugtuung als Sühne für begangenes Unrecht zu erklären 9 . Der dem Strafrecht entlehnte Sühnegedanke gibt der Genugtuung freilich wieder überwiegend pönalen Charakter. Die Affinität zur Strafe betont schließlich auch, wer Prävention und Sanktion als Genugtuungszwecke i n den Vordergrund stellt 1 0 . Den Gegenpol bildet die These, Genugtuung sei nur eine Sonderform des Ausgleichs für Nichtvermögensschäden 11 . B. Kritik der Genugtuungsfunktion I. Genugtuung als Besänftigung des verletzten Rechtsgefühls

1. Unwissenschaftlichkeit

der juristischen

Erklärungsversuche

Die auf Jhering zurückgehende Anknüpfung der Genugtuung an das verletzte Rechtsgefühl w i r d ganz verständlich erst i m Kontext von Jherings früherer Schrift „Der Kampf ums Recht". Jhering hat dort m i t Emphase die Behauptung des Rechtsgefühls bei Verletzung subjektiver Rechte zur Frage der Behauptung der Person selbst, ja zur „Pflicht des Berechtigten gegen sich selber" 12 , aber auch zur Pflicht gegen das Gemeinwesen 13 stilisiert. Für Kriterien eines „gesunden" Rechtsgefühls hält er „Reizbarkeit, d. h. Fähigkeit, den Schmerz der Rechtskränkung zu empfinden, und Tatkraft, d.h. der M u t und die Entschlossenheit, den Angriff zurückzuweisen" 14 . Betont w i r d damit 6

Leipzig u n d Wien, 1872. Hierzu sogleich unter Β 1 1 . 7 Die Normen, Bd. I , S. 438 N. 9. s Eickhoff, S. 83; Großfeld, S. 101; Knöpfel, A c P 155, 154; G. A. Maier, S. 19; Niemeyer, S. 38; Stoll, Gutachten, S. 152; ähnlich Deutsch, Festschrift Wahl, S. 342. 9 Teilweise i n Ergänzung der vorher genannten Umschreibung; vgl. Bötticher, M D R 1963, 357; Küster, J Z 1954, I f f . (4); Pecher, A c P 171, 62; Niemeyer, S. 43 ff.; Remé, S. 45 ff.; Stoll, Gutachten, S. 152. 10 Deutsch, JuS 1969, 202; ders., Festschr. Wahl, S. 342. 11 Bydlinsky, JB1. 1965, 254; Rötelmann, N J W 1962, 1004; Wiese, S.55ff.; w o h l auch Larenz, S c h R I §28111; Krüger-Nieland, Referat, S. C39. 12 Jhering, K a m p f ums Recht, S. 38, 39 ff. 13 aaO, S. 67. ι 4 aaO, S. 63, i m K o n t e x t einer „Pathologie des Rechtsgefühls".

§ 7 Β K r i t i k der Genugtuungsfunktion

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die offensive Komponente des Rechtsgefühls. Wieacker 15 hat mit Recht die Verwandtschaft dieser Theoreme, die Recht als M i t t e l der Machtund Interessendurchsetzung begreifen, m i t sozialdarwinistischen Vorstellungen betont. Neuere Versuche, Verletzung und Besänftigung des Rechtsgefühls zu umschreiben, haben nicht wesentlich über Jhering hinausgeführt 16 . So liest man etwa, ein ungestilltes Genugtuungsbedürfnis wirke „verbitternd und die Seele vergiftend" 1 7 . Besänftigung des Rechtsgefühls mittels Schmerzensgeld geschehe durch „symbolische Versöhnung unter den Parteien" 1 9 oder auch durch „Anerkennung der Persönlichkeit des Verletzten", die diesem „zum Trost und somit zum Ausgleich" werde 1 9 . Schließlich w i r d der Besänftigung des Rechtsgefühls noch eine gewisse Garantiefunktion zugeschrieben: der Geschädigte solle „durch die Genugtuungsleistung das Gefühl erhalten, daß die Rechtsordnung nicht untätig zusieht, wenn i n seine Rechte eingegriffen w i r d " 2 0 . A l l diese Umschreibungen setzen sich dem Einwand aus, sie operierten m i t einer kaum definierten Größe, eben dem Rechtsgefühl. Ihre bemühte Metaphorik kann die definitorische Vagheit nur notdürftig kaschieren. Die juristische Mystifikation „Besänftigung des Rechtsgefühls" realwissenschaftlich zu fundieren, ist, soweit ersichtlich 2 1 , erst i n jüngster Zeit von Niemeyer 22 zur Erklärung der Genugtuungswirkung der strafrechtlichen Buße unternommen worden. Für die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes, insbesondere bei verschuldensfreier Haftung, bleibt diese Untersuchung nachzuholen. Der Rechtsbegriff Genugtuung, mit der h. M. verstanden als Besänftigung des gekränkten Rechtsgefühls, verweist auf einen psychologischen Sachverhalt. Mangels einer eigenen rechtlichen Konturierung des Begriffs ist dessen genauer Inhalt nur unter Zuhilfenahme psychologischer Erkenntnisse zu ermitteln. Die Einsicht, daß die Sozialwissenschaften bei der Anwendung von auf die soziale Realität verweisenden Rechtsbegriffen wertvolle Unterstützung leisten können, 15 Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl., Göttingen 1967, S. 451 f. io Ausführliche Darstellung des älteren Schrifttums zum Rechtsgefühl i n Riezlers Monographie: Das Rechtsgefühl, 3. Aufl., München 1969, S. 6 ff. 17 Krüger-Nieland, S. C 39. is Knöpfel, AcP 155, 154. 10 Großfeld, S. 102. 20 Niemeyer, S. 39. 21 Die bisherigen Arbeiten über das Rechtsgefühl — vgl. etwa Riezler, Rechtsgefühl (N. 16); Venzlaff, Über die Schlüsselstellung des Rechtsgefühls bei der Gesetzesanwendung, F r a n k f u r t 1973; Zippelius, Das Wesen des Rechts, 3. Aufl., München 1973, S. 97 ff. — haben letzteres überwiegend n u r als psychologische Komponente der richterlichen Rechtsfindung untersucht. 22 S. 119 ff.

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2. Kap. : Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs

scheint allmählich Gemeingut zu werden 2 3 . Man sollte von dieser Einsicht auch dann nicht abgehen, wenn, wie sich i m folgenden erweisen wird, die juristisch relevanten sozialwissenschaftlichen Theorien keinen Wahrheitsanspruch erheben können und für Einzelfälle sogar falsifiziert sind. Immerhin kann jede der hier herangezogenen psychologischen Hypothesen auf einen relativ hohen, durch umfangreiches experimentelles Material gestützten Bewährungsgrad verweisen. Zur Problemlösung dürften sie daher i n jedem Fall mehr aussagen können als die oben referierten juristischen Alltagstheorien 2 4 . 2. Genugtuung in psychologisch-anthropologischer

Sicht

Genugtuung durch Schmerzensgeld ist auf ihre Eignung zu prüfen, die durch die Verletzung möglicherweise evozierten Aggressionen des Opfers zu hemmen. a) Theoretischer Exkurs: Hypothesen über Entstehung und Abbau von Aggressionen Als Aggression kann definiert werden 2 5 „jene Verhaltensweisen, m i t denen die direkte oder indirekte Schädigung eines Individuums, meist eines Artgenossen, intendiert w i r d " 2 6 . Anhand der verschiedenen Hypothesen über die Entstehung von Aggressionen und deren mögliche Reduzierung lassen sich Vermutungen gewinnen, ob Verletzungen des Körpers oder auch des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aggressives Verhalten auslösen können. Dazu ist etwas weiter auszuholen 27 . Unter den Ansätzen, die die Ursachen der Aggression i n der Erbinformation sehen, ragen die Psychoanalyse Freuds und die Ethologie von Konrad Lorenz heraus. aa) Freud 28 postuliert i n seinem Spätwerk eine Dualität von Eros und Thanatos: Dem aufbauenden Trieb Eros steht der Todestrieb mit dem Ziel gegenüber, das Organische i n das Anorganische zurückzuführen. Die Energie des Todestriebes ist prinzipiell gegen das Ich gerichtet, wendet sich aber unter der Wirkung der Libido gegen seine 23

Zuletzt Hopt, Was ist von den Sozialwissenschaften für die Rechtsanwendung zu erwarten?, J Z 1975, 341 ff. (344 f.). 2 * Allgemein hierzu Opp, Soziologie i m Recht, Reinbek 1973, S. 55 ff. 25 Übersicht u n d K r i t i k der verschiedenen Definitionsversuche bei Lischke, Aggression u n d Aggressionsbewältigung, S. 20 ff. 2 « Merz, Aggression u n d Aggressionstrieb, S. 571. 2 ? Darstellung des Meinungsstandes bei Lischke, S. 35 ff., Merz, S. 573 ff. ; Schmidt-Mummendey, Vorstellungen u n d Erklärungsversuche zum aggressiven Verhalten, i n : Schmidt-Mummendey / Schmidt, S. 11 ff. 28 Das Unbehagen i n der K u l t u r , London 1948.

§ 7 Β K r i t i k der Genugtuungsfunktion

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Umwelt und wandelt sich zu Haß (Aggression). Da Triebe wesentlich auf Bedürfnisbefriedigung angelegt sind 2 9 , ist Aggression nach diesem triebdynamischen Modell praktisch unvermeidlich. Die Aggressionsenergie kann nur dadurch verringert werden, daß das Subjekt Gelegenheit zur „ A b f u h r " auf äußere Feinde erhält (sog. Katharsis). Die destruktive Gewalt der Aggression muß sich daher möglichst i n einer von der Gesellschaft gebilligten Weise ausleben können. Freuds Lehre spielt i n der heutigen psychologischen Diskussion keine wesentliche Rolle mehr 3 0 . Als „Tiefenhermeneutik" 3 1 ist sie nach den Kriterien einer objektivistischen operationalistischen Wissenschaftslehre nicht überprüfbar 3 2 . Das Konzept einer Katharsis, also der Abreaktion von Aggressionen, hat sich ferner bis heute nicht experimentell verifizieren lassen 33 . bb) Als triebenergetisches Modell berührt sich Freuds Lehre m i t der des Verhaltensforschers Lorenz M. Für i h n ist Aggression ein angeborener, nur gegen Artgenossen gerichteter Trieb bzw. Instinkt 3 5 . Dieser sei zumindest bei allen Wirbeltieren nachweisbar und stehe dort, kraft seiner Selektionsfunktion, i m Dienste der Arterhaltung. Als Instinktverhalten werde Aggression grundsätzlich durch bestimmte (angeborene) Signalreize ausgelöst. Träten diese Auslösereize längere Zeit nicht auf, so könne aggressives Verhalten auch grundlos, also spontan auftreten; Lorenz gebraucht hierfür das anschauliche B i l d eines Dampfkessels m i t Druckventil und Überlauf-Abfluß: die i m Organismus vorhandene verhaltensspezifische Energie staut sich auf und entlädt sich schließlich spontan, nämlich ohne Anreiz von außen. Nur konsequent ist dann Lorenz' Schlußfolgerung, daß aggressives Verhalten generell nicht zu verhindern sei und es für die Gesellschaft nur darum gehen könne, Möglichkeiten zur unschädlichen Abreaktion von Aggressionen zu schaffen, etwa i n Gestalt von Sportwettkämpfen u. ä.

2 ® Vgl. Stichwort „ T r i e b " i n Dr ever / Fröhlich, Wörterbuch zur Psychologie, 8. Aufl., München 1974. 30 V o n Freud stark beeinflußt sind heute noch F. Haecker, Aggression, die Brutalisierung der modernen Welt, sowie A. Mitscherlich, Die Idee des Friedens u n d die menschliche Aggressivität, S. 9 ff. 31 Habermas, Erkenntnis u n d Interesse, 2. Aufl., F r a n k f u r t 1973, S. 267. 32 Lischke, S. 43. 33 Dann, Müssen Aggressionen ausgelebt werden?, i n : Schmidt-Mummendey / Schmidt, S. 59 ff.; Lischke, S. 55 f., 71 ff.; Selg, Menschliche Aggressivität, S. 28. 34 Das sogenannte Böse. Zusammenfassend Lischke, S. 35 ff.; SchmidtMummendey, S. 11 ff. 35 Lorenz unterscheidet die eigentliche instinktive Endhandlung v o m v o r ausgehenden Appetenzverhalten; vgl. Lischke, S. 35.

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2. Kap. : Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs

Die Brauchbarkeit der Lorenzschen Forschungsergebnisse für die Humanpsychologie w i r d häufig bezweifelt 36 . Die von Lorenz hauptsächlich an Hand von Experimenten m i t Fischen und Gänsen gewonnenen Ergebnisse ließen sich nicht ohne weiteres auf andere Arten übertragen; tatsächlich kamen andere Forscher auf Grund von Versuchen m i t anderen Arten zu abweichenden Ergebnissen 37 . Die Analogieschlüsse von verschiedenen Tierarten auf den Menschen müssen ferner ohne Rückgriff auf die Erkenntnisse der Humanpsychologie fragwürdig bleiben. Auch Lorenz vertritt schließlich i m Ergebnis die umstrittene Katharsishypothese. cc) Einflußreich bis heute ist die Frustrations-Aggressions-Hypothese der sog. Yale-Schule 38 . Die Grundannahme dieser Theorie lautete ursprünglich: Aggression setzt stets eine Frustration voraus, Frustration hat immer eine Form von Aggression zur Folge. Dabei w i r d Frustration erklärt als „die Bedingung, die entsteht, wenn eine Zielreaktion gestört w i r d " 3 9 , oder auch als „Störung oder Unterbrechung einer (zielgerichteten) Verhaltensweise" 40 . Die These ist später von ihren Urhebern relativiert worden: „Frustration produziert Anreize zu einer Anzahl verschiedener Reaktionstypen, von denen einer ein Anreiz zu einer Form von Aggression ist 4 1 ." Alternative Verhaltensweisen sind etwa emotionale Reaktionen wie Ärger und Wut. Aggressive Reaktionen können durch eine antizipierte Strafe gehemmt sein. Andererseits postulieren die Frustrations-Aggressions-Theoretiker aber, „daß jede Verhinderung einer aggressiven Handlung ihrerseits eine Frustration darstellt, die den Anreiz zu weiteren Aggressionen erhöht" 4 2 . Reduziert w i r d der Anreiz zu aggressivem Verhalten, i m Anschluß an die psychoanalytische Katharsishypothese, durch den aggressiven A k t selbst. Dieser braucht sich nicht notwendig gegen den Urheber oder die Ursache der Frustration zu richten, sondern kann als „Ersatzreaktion" auch „unschuldige" D r i t t e treffen.

36 Zusammenfassende K r i t i k bei den i n N. 34 Genannten; vgl. ferner Rattner, Aggression u n d menschliche Natur, S. 35 ff.; A. Plack (ed.), Der Mythos v o m Aggressionstrieb, München 1973. 37 Schmidt-Mummendey, S. 13 m i t Nachweisen. 38 Grundlegend Dollard u.a., Frustration and Aggression, 1939. Zusammenfassend Miller, The Frustration-Aggression-Hypothesis, i n Berkowitz (ed.), Roots of Aggression, S. 29 ff. se Dollard u. a., S. 11. 40 Merz, S. 577; Werbik, Versuch einer Bewertung der Frustrations-Aggressions-Hypothese, i n : Schmidt-Mummendey / Schmidt, S. 93. 41 Miller (N. 38), S. 30. 42 Z i t i e r t nach Lischke, S. 48; vgl. auch Werbik (N. 40), S. 90.

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Gerade an dem kontroversen Katharsis-Konzept hat die K r i t i k an der Frustrations-Aggressions-Hypothese sich entzündet. Letztere muß sich ferner die Vernachlässigung emotionaler Zustände und kognitiver Prozesse des Individuums vorwerfen lassen 43 . Eingestandenermaßen läßt sie schließlich die Frage nach den „inneren" Bedingungen von Aggressionen unbeantwortet, die Frage nämlich, ob die Sequenz Frustration-Aggression angeboren oder Folge eines Lern- oder sozialen Prozesses ist 4 4 . dd) Die Einseitigkeit der Fragestellungen der Frustrations-Aggressionshypothese, aber auch der triebdynamischen Modelle, legte die Suche nach weiteren Bedingungen aggressiven Verhaltens bzw. nach den Gründen für die unterschiedlichen Reaktionen auf eine vorangegangene Frustration nahe. I m Vordringen begriffen ist hier das von einer amerikanischen Forschergruppe u m Bandura und Walters entwickelte lernpsychologische Modell 49. Dieses Modell legt zu Grunde, daß aggressives Verhalten, genauso wie alle anderen Verhaltensweisen, gelernt wird, und zwar i m Wege des sozialen Lernens durch Nachahmung, sog. Imitationslernens. Versuche vor allem m i t (unbefangenen) Kindern zeigten, daß aggressive Verhaltensweisen einer „Modell"Person, soweit sie dem Beobachter noch nicht bekannt sind, neu i n dessen Verhaltensrepertoire eingehen. Sind die aggressiven Reaktionen bereits i m Verhaltensrepertoire des Beobachters vorhanden, so kann die Beobachtung aggressiver Modellpersonen dessen Hemmungen schwächen 46 . Die durch Nachahmung erworbenen neuen Reaktionsweisen brauchen jedoch nicht sofort aufzutreten. Sie werden oft erst dann reproduziert, wenn die Versuchspersonen dafür belohnt werden (Zweiphasenmodell) 47 . Die Lernpsychologie stellt das Katharsis-Konzept entschieden i n Frage. I m Gegensatz zu diesem sagt sie voraus, daß Gelegenheiten zum Abreagieren der Aggression die Tendenz zu weiteren Aggressionen nicht nur nicht reduzieren, sondern sogar steigern. Erfolgserlebnisse bei aggressivem Vorgehen w i r k e n als Belohnung für die Aggression 48 . « Merz, S. 577. 44 Miller, S. 32; vgl. auch Lischke, S. 62. 45 Grundlegend Bandura, A . & Walters, R. H., Social learning and personality development, N e w Y o r k 1963; i m folgenden w i r d zitiert nach der bei Schmidt-Mummendey / Schmidt, S. 107 ff., abgedruckten Zusammenfassung Bandura & Walters, Der Erwerb aggressiver Verhaltensweisen durch soziales Lernen. Anhänger des lerntheoretischen Modells sind heute auch Lischke, S. 62 ff., u n d Selg, S. 30 ff.; daselbst auch weitere Literaturnachweise. 46 Bandura & Walters, S. 110 f., m i t zahlreichen Versuchsergebnissen. 47 Vgl. die Darstellung bei Lischke, S. 65 ff. 48 Lischke, S. 72, m i t Nachweisen.

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Eine Hemmung der Aggression kann nach Ansicht der Lernpsychologie wiederum nur durch Lernprozesse erreicht werden; letztere sind durch positive (Belohnung) oder negative Bekräftigung (Bestrafung) zu unterstützen 49 . ee) Der Überblick über die drei Hauptströmungen i n der Aggressionsforschung 50 erweist, daß es sich u m konkurrierende, zum Teil aber auch um komplementäre Hypothesen handelt, die einander nicht notwendig ausschließen. Jede von ihnen kann m i t umfangreichen experimentellen Ergebnissen aufwarten. Beim gegenwärtigen Erkenntnisstand erscheint es demnach geboten, Aggression als komplexes Phänomen zu deuten, als Resultat einer „dynamischen Interaktion vieler verschiedener Kausalfaktoren", die einerseits i n der Erbinformation begründet sind, andererseits der Umwelt und den Umwelterfahrungen entstammen 51 . b) Konsequenzen für eine Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes Nach diesem — notgedrungen kursorischen — theoretischen Uberblick lassen sich die für unser Problem — Schmerzensgeld bei Gefährdungshaftung? — relevanten Fragestellungen beantworten. Z u untersuchen ist, ob Schmerz generell Aggressionen produzieren kann oder nur bei vorsätzlicher oder mindestens fahrlässiger Schmerzzufügung; ferner, wie eine Schmerzensgeldverpflichtung des Verletzers auf die hervorgerufene Aggression einwirkt. aa) Daß Schmerz aggressives Verhalten auslösen kann, ist nicht bestritten 5 2 . Der Befund w i r d auch von den Vertretern der FrustrationsAggressions-Hypothese anerkannt, obwohl der Schmerzreiz von der Frustrationsdefinition keineswegs erfaßt w i r d 5 3 . Scott bezeichnet aggressives Verhalten nach Schmerzeinwirkung geradezu als das Grundver« Ausführlich Lischke, S. 157 ff. Z u weiteren E n t w ü r f e n Merz, S. 573 ff.; Rattner, S. 69 ff., 99 ff.; SchmidtMummendey (N. 27), S. 20 ff. 51 Berkowitz, Aggression, Sp. 30 ff.; ders., The Frustration- AggressionHypothesis Revisited, i n : Berkowitz (ed.), S. 4. Vgl. ferner Merz, S. 580; Moyer, Experimentelle Grundlagen eines physiologischen Modells aggressiven Verhaltens, i n : Schmidt-Mummendey / Schmidt, S. 26 ff.; SchmidtMummendey, S. 20; Scott, H o s t i l i t y and Aggression, S. 718. Unterstützt w i r d dieser Befund durch die vergleichende Verhaltensforschung: V o n Geburt an isolierte Tiere zeigten auf entsprechende Signalreize h i n — unmöglich erlerntes — aggressives Verhalten, vgl. Berkowitz, Frustration» Aggression-Hypothesis, aaO; andererseits w u r d e n bei Schimpansen Aggressionen beobachtet, die offenbar durch Nachahmung von Artgenossen erlernt waren, Lischke, S. 73 ff. B e i m Menschen, der schneller u n d besser l e r n t als andere Arten, k a n n der Lernfaktor w o h l relativ hoch veranschlagt werden, Moyer, aaO, S. 49. 52 Moyer, S. 27; Rattner, S. 15; Selg, S. 41, jeweils m i t Nachweisen. 53 Berkowitz, aaO, S. 14 f. ; kritisch zur Ausdehnung des Frustrationsbegriffs i m Zusammenhang m i t Schmerz Merz, S. 577. 50

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haltensmuster, aus dem sich alles andere soziale Kampfverhalten entwickelt habe 54 . Der Nachweis wurde durch Experimente geführt, i n denen von Geburt an isolierte Tiere mit Elektroschocks gereizt w u r den 55 . Demnach dürfte bei durch Schmerz hervorgerufenen Aggressionen die instinktive Komponente auch noch beim Menschen ziemlich hoch sein 56 . Stets handelt es sich u m reaktive Aggression. bb) Vorsätzliche Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit oder der i m allgemeinen Persönlichkeitsrecht zusammengefaßten Güter stellen selbst eine Aggression dar, die beim Opfer unmittelbar Deprivationen hervorruft; diese Aggression w i r d beim Opfer, soweit es nicht durch eine antezipierte Strafe gehemmt ist, m i t Wahrscheinlichkeit ihrerseits aggressives Verhalten erzeugen 57 . Von größerem Interesse sind i n unserem Zusammenhang aber die Folgen fahrlässiger und überhaupt nicht vorwerfbarer Schmerzzufügungen. Die experimentellen Ergebnisse zeigen bei Tieren, daß sich das instinktive Aggressionsverhalten nach Schmerzreizen (ζ. B. Elektroschocks) sogar gegen unbeteiligte, nur i n räumlicher Nähe befindliche Artgenossen richtet, die i n Zusammenhang m i t dem Schmerzreiz gebracht werden 5 8 . Für menschliche Aggressivität besteht die Hypothese, daß Frustrationen oder Deprivationen, für die sich eine Rechtfertigung findet, leichter ertragen werden und weniger zu aggressiven Reaktionen führen als solche, die das Opfer als w i l l k ü r l i c h empfindet 59 . W i r d die Absage einer Verabredung m i t einer Erkrankung des absagenden Partners begründet, so w i r d man dies eher reaktionslos hinnehmen, als wenn der Partner den Termin ohne jegliche Begründung platzen läßt. Die Versuchsresultate deuten darauf hin, daß die unterschiedliche Reaktion nicht auf einem verminderten Anreiz zur Aggression beruht, sondern auf einer verstärkten Reaktionshemmung als Folge des gesellschaftlichen Normdrucks auf die frustrierte Person 60 . Verhaltensnormen, deren Übertretung unter der Sanktion gesellschaftlicher Mißbilligung steht, wirken über Lernerfahrungen des Individuums hemmend auf dessen aggressive Bestrebungen ein. Das Modell scheint sich zwanglos auf unser Schmerzensgeldproblem übertragen zu lassen: Vorsätzliche 54 aaO, S. 714, 718. 55 Berkowitz, aaO, S. 4, 14 f., unter Hinweis auf Ulrich, Pain as a cause of aggression, 6 American Zoologist, 1966, S. 643 ff. 56 Berkowitz, aaO, S. 4. s? Berkowitz, Aggression, Sp. 36; Niemeyer, S. 125 ff. m. w. N. 58 Scott, S. 718. s» Ausführlich u n d m i t Versuchsergebnissen Ε. Burnstein, P. Worchel, A r bitrariness of Frustration and Its Consequences for Aggression i n a Social Situation, i n : Berkowitz (ed.), S. 75 ff. Vgl. ferner Werbik (Ν. 40), S. 102 f. 60 Burnstein! Worchel, S. 86ff.; Werbik, S. 101.

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Verletzungen führen zu mehr Aggression als fahrlässige, letztere wiederum wirken stärker aggressionsfördernd als Verletzungen, die nicht vorwerfbar verursacht wurden. Die deutsche Praxis, die das Genugtuungsbedürfnis proportional zum Verschuldensgrad steigen läßt 6 1 , wäre damit durchaus auf dem richtigen Weg. Indes sind hier einige Zweifel angebracht. Die Hypothese selbst w i r d gelegentlich als durch die Versuchsergebnisse nicht hinreichend bewiesen angesehen 62 . Untunlich scheint es fernerhin, die Intensität der aggressiven Reaktion und damit des Genugtuungsbedürfnisses davon abhängen zu lassen, wie das Verletzungsopfer die Verletzungshandlung bewertet. Gerade die Grenze zwischen nicht vorwerfbarer Gefährdungshaftung und Fahrlässigkeitsdelikt ist ja selbst für den Juristen oft nur schwer auszumachen. Hinzu kommt, daß auch Verletzungen infolge Realisierung eines Gefährdungsrisikos i m umgangssprachlichen Sinne keineswegs als „gerechtfertigt" oder „entschuldigt" durch anerkannte gesellschaftliche Normen gelten. Es besteht somit kein Normdruck, unter dem das Individuum die aggressive Reaktion auf den Schmerzreiz hintanhielte. Nach allem läßt sich vermuten, daß die Intensität der aggressiven Reaktion bei Gefährdungshaftung nicht wesentlich geringer ist als bei fahrlässig zugefügten Verletzungen. Unter psychologischem Aspekt ergibt sich somit das überraschende Ergebnis, daß der oft behauptete Funktionswiderspruch zwischen Genugtuung und Haftung aus nicht vor werf bar er Schädigung 63 , jedenfalls für Verletzungen der physischen Integrität, nicht begründbar ist, daß ferner das Genugtuungsbedürfnis des Verletzten von der realisierten Haftungsform — Vorsatztaten bleiben hier außer Betracht — nicht signifikant beeinflußt wird. Als schlüssig erweist sich die deutsche Praxis der Proportionalität von Verschulden und Genugtuung nur in einer Konzeption, die Genugtuung als Privatstrafe begreift. cc) Genugtuung durch Schmerzensgeld ist sinnvoll nur, wenn die Geldleistung des Verletzers an sein Opfer dessen durch die Schmerzen hervorgerufene Aggressionen hemmt oder abbaut. Für die triebdynamischen Modelle, die von der Unvermeidlichkeit aggressiver Ver-

« Zuletzt O L G Hamburg, N J W 1973, 1504 f. Ausführliche Rechtfertigung dieser Praxis bei Remé, S. 48 ff. : Die Rücksichtnahme auf das Verschulden des Schädigers gebe der Genugtuung die „sittliche Rechtfertigung" (S. 50). F ü r die Mindermeinung, die Genugtuung als besondere F o r m des Ausgleichs versteht — dazu sogleich unter Β I I I —, folgt das Ergebnis daraus, daß schweres Verschulden reflexartig auch zu einem höheren Gefühlsschaden f ü h r t ; i n diesem Sinne bereits Η . A. Fischer, Rechtswidrigkeit, S. 204. 62 Berkowitz, Frustration- Aggression-Hypothesis, S. 10. β3 Referentenentwurf, Begründung S. 154. Esser, SchR I I §113116; Niemeyer, S. 46; Sauden, VersR 1967, 416.

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haltensweisen ausgehen, ist schon die Fragestellung selbst verfehlt. Weiter h i l f t hier nur der lernpsychologische Ansatz: „Löschung" einer Verhaltenskategorie, kombiniert m i t der positiven Bekräftigung einer alternativen, sozial erwünschten Verhaltensweise 64 . I n diesem Sinne interpretiert Niemeyei* 5 die Genugtuung durch Zahlung einer Geldbuße an das Opfer als Belohnung für nicht aggressives Verhalten; damit könnten Aggressionshandlungen wie ζ. B. körperliche Aggressionen, Beleidigungen, Äußerungen des Hasses gegenüber dem Täter verhindert werden. Genugtuung durch Geldleistung könne daher ein adäquates M i t t e l sein, die infolge des Täterverhaltens beim Opfer entstandenen Aggressionen abzubauen. Diese Ansicht scheint uns teils unzutreffend, teils auf Schmerzensgeldforderungen für nur fahrlässige oder überhaupt nicht vorwerfbare Körperverletzungen nicht übertragbar. Ob solche Unfallverletzungen real zu sozial unerwünschtem aggressivem Verhalten führen, das durch Belohnung des Opfers abzuwenden wäre, ist schon sehr zweifelhaft. Alltagsbeobachtungen wissen allenfalls von geringfügigen, sozusagen „sozialadäquaten" feindseligen Reaktionen unmittelbar am Unfallort; i m übrigen ist mangels aggressiver Verhaltensweisen überhaupt kein Bedürfnis für die Belohnung alternativen Verhaltens erkennbar. Unterstellt man aber einmal, etwa für grob fahrlässig zugefügte Verletzungen, einen starken Anreiz zu aggressiver Reaktion, so ist damit die Genugtuungswirkung des Schmerzensgeldes noch nicht gerettet. Ins Auge fällt nämlich, daß die Belohnung prinzipiell vom Verletzer aufzubringen ist®6, daß der Belohnung des Opfers ein Schaden des Verletzers korrespondiert. Letzteres dürfte i n der Regel durchaus i n der Absicht des Anspruchsberechtigten liegen und mag bei vorsätzlich zugefügten, aber nur transitorischen Schmerzen sogar die primäre Motivation des Opfers bilden. Die i n Schädigungsabsicht gestellte Schmerzensgeldforderung erweist sich damit nicht als Belohnung für den Verzicht auf aggressives Verhalten, sondern als die durch den Schmerzreiz hervorgerufene aggressive Reaktion selbst 67 .

64 Vgl. schon oben bei N. 49. es Niemeyer, S. 128 ff. Ä h n l i c h bereits Brusiin, S. 27: „ D u r c h die Genugtuungsreaktion werden aggressive Spannungen, die sich zwischen einzelnen Staatsbürgern aufgestaut haben, abgebaut." 66 Z u m Verhältnis v o n Genugtuung u n d Haftpflichtversicherung noch unten D. 67 v g l . schon die zurückhaltende Bemerkung von Brusiin, S. 25 f.: „ I s t es doch möglich, daß die Motive der Klageerhebung überwiegend aggressiv waren, d. h. auf die Demütigung des Beklagten hinzielten durch V e r u r sachung eines Geldverluste." Ä h n l i c h Bötticher, Referat, S. C 19: „persönliches Recht auf Vergeltung."

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Nicht zu halten ist daher die öfters vertretene Ansicht, die Genugtuungsleistung i n Geld geschehe „allein dem Verletzten zuliebe" 6 8 ; sie verkennt die spezifische Verknüpfung von Wohltat für den Verletzten einerseits und Einbuße für den Verletzer andererseits. Der durch die Leistung des Verletzers erzielte finanzielle „Gewinn" w i r k t als positive Bekräftigung der aggressiven Reaktion und zugleich als Anreiz, bei der nächsten Gelegenheit noch mehr herauszuschlagen. Der Schädiger seinerseits w i r d die i h m abgezwungene finanzielle Einbuße als unangenehm empfinden, was seine eigene Aggressionsbereitschaft erhöhen kann. Genugtuung durch Schmerzensgeld führt also nicht zu der bereits zitierten „symbolischen Versöhnung" 6 9 zwischen den Parteien, sondern hat i m Gegenteil eher einen potentiell infiniten Regreß aggressiver Verhaltensweisen zur Folge. Das Schmerzensgeld erweist sich nach allem als denkbar ungeeignet, die Funktion eines Genugtuungsmittels zu erfüllen. Aus psychologischer Sicht kann daher auch Stolls Vorschlag, de lege ferenda einen selbständigen Genugtuungsanspruch i n Geld wegen „frivoler" oder „ v o n rücksichtsloser Gesinnung zeugender" Rechtsverletzung zu geben 70 , nicht akzeptiert werden. Als taugliche Genugtuungsieistimg kommen allenfalls i n Betracht eine dem Täter aufgegebene Entschuldigung, ein i h m durch den Richter erteilter Verweis oder Geldzahlungen an gemeinnützige Einrichtungen. Diesen von Stoll 71 für Persönlichkeitsverletzungen empfohlenen alternativen Möglichkeiten dürfte freilich i m Bereich der — nur fahrlässig begangenen — Unfallverletzungen geringe Bedeutung zukommen. Sie würden hier auch regelmäßig i n Konkurrenz zum öffentlichen Strafanspruch treten. Bindeglied zwischen den beiden Sanktionssystemen ist die strafprozessuale Privatklagebefugnis bzw. das Recht des Verletzten, als Nebenkläger aufzutreten. Bemerkenswerterweise ist von strafjuristischer Seite gleichwohl nur selten der naheliegende Versuch gemacht worden, diese Institute dem Genugtuungsgedanken dienstbar zu machen 72 . Was das Eigeninteresse des Privat- bzw. Nebenklägers angeht, so w i r d dieses ganz unverblümt i n seinem „als rechtlich relevant anerkannten Vergeltungsbedürfnis" gesehen 73 . Anerkennung eines Vergeltungsbedürfnisses bedeutet jedoch nichts anderes als institu68 Krüger-Nieland, S. C39; Stoll, Gutachten, S. 152; vgl. auch schon Großfeld, S. 101; Knöpfel, AcP 155, 150. Berechtigte K r i t i k schon bei Hirsch, S. 316. β9 Knöpf el aaO. 70 Gutachten, S. 152 ff. 71 aaO, S. 153. 72 Von einer Genugtuungsfunktion spricht — die Verfassungsmäßigkeit der Nebenklage bestätigend — BVerfGE 26, 66 (70). Vgl. auch Müller / Sax, StPO, 6. Aufl. Vorbem. 1 zu § 395. 73 Eb. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO, T e i l I I , Vorbem. 5 zu § 395.

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tionelle Legitimierung aggressiver Reaktionen des Privat- oder Nebenklägers gegen seinen Schädiger 74 . Daß Genugtuung durch Schmerzensgeld eine Form privater Vergeltung ist, hat selbst die Judikatur des B G H gelegentlich geahnt. Nicht anders ist jedenfalls das offenkundige Unbehagen des Gerichts zu erklären, das i n Entscheidungen über Schmerzensgeldforderungen unter Verwandten oder gar unter Ehegatten spürbar w i r d 7 5 . Der Eindruck drängt sich auf, der B G H überwinde seine Verlegenheit m i t Hilfe der Vorstellung, daß Schmerzensgeldforderungen i m Regelfall ohnedies nur i n nicht mehr intakten Ehen erhoben werden. Bemerkenswert insoweit die moralisierende Ermahnung der Bundesrichter, „Eheleute, deren Gemeinschaft ungestört ist, sollten (sie!) . . . zur Regelung ihrer A n gelegenheiten nicht auf gesetzliche Vorschriften wie die des § 847 Abs. 1 Satz 1 BGB zurückgreifen . . ." 7 6 . Die ehrliche Konsequenz, daß solche A r t privater Vergeltung unserem Verständnis von Ehe und Familie zuwiderläuft, w i r d aber auch i m Schrifttum nur selten gezogen 77 . I I . Genugtuung als Sühne für begangenes Unrecht

Stoll hat gemeint, das Genugtuungsprinzip sei „ohne den Sühnegedanken nicht lebensfähig" 78 . Freilich sei Sühne bei der Genugtuung „nicht Selbstzweck, sondern M i t t e l zum Zweck, nämlich zur Besänftigung des Verletzten" 7 9 . Daß Sühne durch Zahlung einer Geldsumme ein Opfer für den Täter darstellt, w i r d nicht nur i n Kauf genommen, sondern teilweise sogar intendiert 8 0 . Die Problematik des Sühnegedankens ist aus dem Strafrecht hinreichend bekannt. Die teilweise nach A r t eines Glaubenskrieges ausgetragene Auseinandersetzung 81 soll hier nicht i m Ganzen aufgegriffen werden. Kein Interesse mehr verdient insbesondere die Gleichsetzung 74 Daß die Nebenklage bei Unfallverletzungen heute i n p r a x i einem ganz anderen Zweck, nämlich der preiswerten Vorbereitung eines späteren H a f t pflichtprozesses dienstbar gemacht w i r d , ist bekannt; vgl. zuletzt Bringewat, GoltdA 1972, 289. 75 Vgl. B G H VersR 1967, 286; B G H Z 61, 101. 76 B G H Z 61, 107. 77 Henrich, Familienrecht, 1970, § 1 0 1 3 b ; Staudinger / Hübner, 11. Aufl., Vorbem. 29 zu § 1353. 78 Gutachten, S. 152. 7» aaO. so Vgl. Bötticher, A c P 158, 394 f.; Deutsch, J Z 1970, 549; H. J. Hirsch, S. 316; Pecher, A c P 171, 62 f.; Remé, S. 46 („Demütigung des Schädigers"). Anders insoweit die i n N. 68 Genannten. 8i Zusammenfassend statt vieler Eb. Schmidt, ZStW 67, 177 ff. (184 ff.); Stratenwerth, Schuld u n d Sühne, München 1960.

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von Sühne m i t Vergeltung, letztere verstanden als ein „höherer" Ausgleich für die Schuld des Täters 8 2 ; dieser auf K a n t 8 3 zurückgehende Vergeltungsgedanke, i n nationalsozialistischer Zeit zur staatlichen Rache pervertiert 8 4 , dürfte endgültig der Vergangenheit angehören. I m übrigen ist der Sühnegedanke auch heute noch i n zahlreichen Varianten weitverbreitet. Unter Übernahme christlichen Ideenguts 85 w i r d der Sühne „reinigende" Funktion für den Rechtsbrecher zugeschrieben; die Allgemeinheit müsse dem Täter die Möglichkeit geben, den „sittlichen Makel" zu tilgen, den er sich durch seinen Rechtsbruch zugezogen habe 86 . Sühne könne aber nicht erzwungen werden, sondern müsse „aus eigenem Entschluß" des Täters erfolgen 87 . Komplementär zum Sühnegedanken steht das Schuldprinzip: abweichendes Verhalten verlangt nur nach Sühne, wenn es auf freier Willensentscheidung des Täters beruhte. Eine als Sühne verstandene Genugtuung durch Schmerzensgeld kann also nicht stattfinden, wo der Verletzer ohne Verschulden haftet 8 8 . Freilich ist bereits der Sühnegedanke selbst fragwürdig. Rechtssoziologisch erfüllen Schuld und Sühne die Funktion, Enttäuschungen seitens des Verletzten zu erklären und Erlösung zu ermöglichen, also die i n frühen Gesellschaften, etwa unter der Institution Blutrache, potentiell endlosen Folgen abweichenden Verhaltens zu begrenzen 89 . Institutionalisiert begegnen Schuld- und Sühneprinzip erst i n relativ entwickelten Gesellschaften 89 . Gleichwohl dürfte i m modernen, weltanschaulich neutralen Staatswesen für Sühnevorstellungen metaphysisch-religiöser Provenienz kein Raum mehr sein. Dem Bedürfnis nach einer „rationalen Erlösungspraxis" 9 0 genügt auch nicht ein säkularisierter Sühnebegriff, der an die Stelle der Versöhnung des schuldig Gewordenen m i t der Gottheit die Versöhnung m i t der Gesellschaft setzt 91 . Die darin implizierte Überlegenheit der ®2 Übersicht u n d K r i t i k bei Roxin, JuS 1966, 377 ff. β» Metaphysik der Sitten, Rechtslehre § 49 E. Anhänger der Vergeltungsidee ist heute noch Maurach, Strafrecht A T , 4. Aufl. 1971, S. 76 ff. Nachweise bei Eb. Schmidt, S. 185 f. es Vgl. Neuenzeit, Sühne, i n : H. Fries (ed.), Handbuch theologischer G r u n d begriffe, München 1970, Bd. 4, S. 148 ff. 8« Vgl. etwa Preiser, Das Recht zu strafen, Festschr. Mezger, 1954, S. 77,79. 87 Eb. Schmidt, S. 187. 88 Deutsch, JuS 1969, 197; Niemeyer, S.46; Stoll, Gutachten, S. 152. 89 Luhmann, Rechtssoziologie, Bd. 1, S. 119 f. 90 Luhmann, S. 120. 91 Vgl. Koffka, i n : Leipziger Kommentar, 9. Aufl., Vorbem. 4 zu §13; zustimmend Jeschek, Strafrecht A T , 2. Aufl. 1972, S. 46. Ä h n l i c h Arthur Kaufmann, J Z 1967, 556: Sühne ist „Versöhnung, d . h . Wiedergutmachung eines Übels: Durch die Sühne k o m m t der Sühnende m i t sich u n d m i t seinen Mitmenschen wieder ins Reine."

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„Allgemeinheit" steht i n augenfälligem Widerspruch zu neueren k r i m i nologischen Erkenntnissen, die die Wurzeln abweichenden Verhaltens nicht zuletzt oder sogar vorwiegend i n der Gesellschaft selbst finden und geradezu von einer „kriminogenen Gesellschaft" sprechen 92 . Darüber hinaus wäre ein solcher Sühnebegriff für den Sonderfall Schmerzensgeld unbrauchbar. Die Befürworter der Genugtuungsfunktion haben immer wieder betont, diese bringe „eine gewisse durch den Schadensfall hervorgerufene persönliche Beziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem zum Ausdruck" 9 5 . Sühne soll aber nicht für den bei einem Individuum eingetretenen Taterfolg, sondern für die darin zum Ausdruck gekommene Verletzung der Rechtsordnung geleistet werden. Sie hat sozialen und gerade nicht privaten Charakter. Sühne beanspruchen oder die Chance zu autonomer Sühneleistung geben kann somit nur die staatliche Gemeinschaft als Träger der Rechtsordnung und nicht der einzelne Verletzte 9 4 . Spricht nach den psychologischen Erkenntnissen schon alles dagegen, daß Schmerzensgeld einer Versöhnung zwischen Verletzer und Verletztem dienlich sein könnte, — eine Versöhnung des Täters m i t der Gesellschaft zu bewirken, ist es absolut ungeeignet. Der Sühnegedanke i n dieser Ausprägung vermag der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes keine Substanz zu verleihen. Gelegentlich w i r d der Sühneleistung auch eine soziale Funktion zugeschrieben, nämlich die der Wiedergutmachung begangenen Unrechts 95 . I n dieser Konzeption scheint eine Erklärung dafür zu liegen, daß beim Schmerzensgeld nicht die Gesellschaft, sondern der Verletzte selbst die Sühneleistung einfordern darf. Genugtuung, als Sühne verstanden, könnte durch Wiedergutmachung i n Geld geleistet werden, die der Verletzte als Sachwalter der Rechtsgemeinschaft beansprucht 96 . Jedoch läßt sich auch dieser „soziale" Sühnebegriff nicht ohne Schwierigkeiten aufs Schmerzensgeld übertragen. Er verdankt seine Entstehung ja dem Unbehagen an einer Strafkonzeption, die Strafe als rein repressive, teilweise sogar noch von archaischem Vergeltungsdenken geprägte Sanktion verstand. Der nur vergeltenden und daher 92 Vgl. statt vieler den informativen Bericht von H. J. Schneider, K r i m i nalitätsentstehung u n d -behandlung als Sozialprozesse, J Z 1972, 191 ff. 93 So bereits die Leitentscheidung B G H Z 18, 149 ff. (157); ähnlich Großfeld, S. 101 („Anerkennung der Persönlichkeit des Verletzten"); Niemeyer, S. 42 f. Vgl. auch schon Binding, Normen, Bd. 1, S. 438, N. 9: Genugtuung ist „höchstpersönlicher A k t " . 94 Das betont zutreffend H. J. Hirsch, S. 317; kritisch auch schon Bötticher, Referat, S. C 20 f. 95 So etwa Baumann, Schuld u n d Sühne, S. 120 f.; ferner Arthur Kaufmann, J Z 1967, 556; Niemeyer, S. 45 f., 98 ff. 9β So i n der Tat Niemeyer, S. 45 f.; Pecher, A c P 171, 65.

7 Köndgen

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2. Kap.: Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs

„unsinnigen" 9 7 Reaktion auf kriminelles Verhalten sollte durch den Wiedergutmachungsgedanken ethischer und sozialer Sinn verliehen werden 9 7 . Das Schmerzensgeld bedarf einer solchen ethischen „Aufrüstung" nicht. Wiedergutmachung ist zu einem wesentlichen Teil Schadensrestitution, und Restitution ist bekanntlich der Primärzweck unseres Haftungsrechts. M i t einigem Recht läßt sich sogar behaupten, daß der Restitutionsgedanke beim Schmerzensgeld geradezu seine umfassendste Realisierung findet, insofern nämlich, als das Schmerzensgeld — qua Ausgleichsfunktion — ausnahmsweise auch die schwer faßbaren Einbußen psychosomatischer Provenienz zu kompensieren sucht. Für den Wiedergutmachungsgedanken ist somit nur dann noch eigener Raum, wenn man ihm, über diese sehr weit verstandene Schadensrestitution hinaus, die Funktion eines „Ausgleichs höherer A r t " zuschreibt 98 . Solcher Ausgleich soll i n einer „aktiven sittlichen Leistung des Schuldigen selbst" erfolgen, die letzterer etwa i n Form gemeinnütziger Arbeit erbringen kann 9 9 . Es ist hier nicht zu entscheiden, ob die Übernahme solcher Vorstellungen i n das Zivilrecht sinnvoll ist. Fest steht dagegen, daß diese Form „höherer" Wiedergutmachung dem Schmerzensgeldanspruch des geltenden Rechts nicht zu imputieren ist. I h r ernstzunehmender ethischer Anspruch ist kaum i n Einklang damit zu bringen, daß die Wiedergutmachung real durch Zahlung einer Geldsumme geleistet w i r d und damit i n unerwünschter Weise nicht nur an das private Vergeltungs-, sondern auch an das Erwerbsstreben des Verletzten gekoppelt ist 1 0 0 . Eine solche gegenständliche Sühneleistung wäre ein anachronistischer Rückfall i n historisch längst überwundene p r i m i tive Sühnevorstellungen 101 . Sühneleistungen, die dem sozialethischen Zweck der Wiedergutmachung gerecht werden wollten, könnten etwa als Pflegedienste an Baumann, S. 120. So w o h l Baumann aaO; Arthur Kaufmann, S. 556 f. Vgl. auch schon H. A. Fischer, Der Schaden, S. 266: Das Verlangen nach Sühne des Rechtsbruchs könne man „ i n letzter L i n i e als ein Verlangen nach einem Äquivalent höherer A r t bezeichnen"; ähnlich Großfeld, S. 105. 99 Arthur Kaufmann aaO. 100 Das rügt m i t Recht bereits Eickhoff, S. 94. F ü r das Schmerzensgeld wegen Körperverletzung ist, soweit ersichtlich, der Vorschlag noch nicht gemacht worden, die zugesprochene Summe Dritten, insbes. gemeinnützigen Einrichtungen zugute kommen zu lassen. Die geschilderte Schwierigkeit läßt sich i m übrigen auch nicht m i t Stolls listiger Formel beheben, Sühne sei bei der Genugtuung „nicht Selbstzweck, sondern M i t t e l zum Zweck, nämlich zur Besänftigung des Verletzten" (Gutachten, S. 152). Solche Instrumentalisierung eines ethischen Prinzips ist nicht möglich, ohne dieses selbst i n Frage zu stellen. 1 0 1 Beispiel f ü r gegenständliche Sühneleistungen sind die archaischen T i e r u n d Menschenopfer; vgl. Neuenzeit (N. 85), S. 148 ff. 98

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dem Verletzten oder auch, weniger aufwendig, als bloße Entschuldigung des Verletzers erbracht werden. Indes passen derartige Sanktionen schwerlich i n die heutige haftungsrechtliche Landschaft, die, vermöge eines ständigen Vordringens des Versicherungsgedankens, durch eine tendenzielle Entpersönlichung des Haftungsverhältnisses 102 geprägt ist. Die Einbringung der Sühne i n den Vorrat zivilrechtlicher Sanktionen nach schuldhaften Körperverletzungen ist daher auch de lege ferenda nicht aktuell. Ob und i n welcher Form Sühne bei schwer schuldhaft verursachten Verletzungen noch eine legitime Funktion hat, mag die Strafrechtswissenschaft und -gesetzgebung entscheiden. Daß der Sühnegedanke die Genugtuung ganz evident i n die Nähe der Strafe rückt, ja sogar eine partielle Auswechselbarkeit der beiden Institute zur Folge hat, ist abschließend wieder durch ein Beispiel aus der Judikatur zu belegen. Erfüllt die deliktische Körperverletzung gleichzeitig einen Straftatbestand, so läuft der Täter Gefahr, doppelt Sühne leisten zu müssen, nämlich durch Genugtuung i n Gestalt des Schmerzensgeldes und durch Verbüßung der öffentlichen Strafe. Das Konkurrenzproblem ist vom OLG Celle und vom OLG Düsseldorf dahingehend entschieden worden, daß das Genugtuungsbedürfnis des Verletzten durch eine vorgängige strafgerichtliche Verurteilung ganz oder doch teilweise abgegolten sei 1 0 3 . Tangiert ist hier der verfassungskräftige Grundsatz ne bis i n idem 1 0 4 . Eine empfindliche 105 Bestrafung, auf die der Verletzte i m Regelfall als Nebenkläger Einfluß nehmen kann, konsumiert das Sühnebedürfnis der Gesellschaft und läßt i m späteren Schmerzensgeldprozeß nur noch die Ausgleichsfunktion zum Zuge kommen. I n der Praxis ergibt sich die merkwürdige Konsequenz, daß man einem Verletzten, der seiner Genugtuung i n Geld nicht verlustig gehen w i l l , i n solchen Fällen raten muß, wider die sonstige Regel seine Schmerzensgeldklage möglichst vor dem Strafprozeß einer rechtskräftigen Entscheidung zuzuführen 1 0 6 .

102 Dazu Weyers, S. 117 ff., 350 ff., 575 ff.; Bötticher, Referat, S. C 13. los O L G Celle, J Z 1970, 548 m i t zust. A n m . Deutsch; O L G Hamburg, M D R 1972, 1033; O L G Düsseldorf, N J W 1974, 1289. Anders aber O L G Hamm, M D R 1974, 1018. 104 H. J. Hirsch, S. 326. Zurückhaltender Deutsch, aaO, S. 549, m i t dem Bemerken, die Genugtuungsfunktion gehe „ n u r einen T e i l desselben Weges w i e das Strafrecht". ι05 Deutsch, aaO, weist zu Recht daraufhin, daß eine geringe Geldstrafe wegen Beleidigung die gewöhnlich sehr hohen Genugtuungssummen des zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutzes nicht präkludieren könne. ι 0 6 Z u den prozessualen Fragen, insbes. zur Möglichkeit der Aussetzung des Zivilverfahrens, D. Meyer, JuS 1975, 90. 7*

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2. Kap. : Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs I I I . Genugtuung als Ausgleich i m weiteren Sinne

Es lag nahe, die Genugtuungsfunktion dergestalt m i t dem Ausgleichsprinzip zu versöhnen, daß man die Ursache des Genugtuungsbedürfnisses, das „gekränkte Rechtsgefühl" oder ganz einfach die Verärgerung des Verletzten als psychische Einbuße kurzerhand dem immateriellen Schaden zuschlug 107 . Dabei handelt es sich freilich u m einen anfechtbaren psychologistischen Trick 1 0 8 . Wie bereits ausgeführt 1 0 9 , ist das „gekränkte Rechtsgefühl" bzw. das „beeinträchtigte Selbstgefühl" 1 1 0 real nichts anderes als die aggressive Reaktion des Verletzten auf den i h m zugefügten Schmerz. Vieles spricht dafür, daß diese Reaktion zu den psychischen Faktoren rechnet, die an der individuellen Gestaltung des Schmerzerlebnisses beteiligt sind 1 1 1 . Selbstverständlich, und dies scheint der hier kritisierten Ansicht recht zu geben, sind die schmerzinduzierten Aggressionen nicht reinlich von den übrigen psychischen Determinanten des Schmerzerlebnisses abzuspalten 112 . Gleichwohl läßt sich Genugtuung nicht i n das Ausgleichsprinzip integrieren, ohne i n Kollision m i t fundamentalen Prinzipien der Schadenskompensation zu geraten. Ausgleich i n Geld gewährt unsere Z i v i l rechtsordnung nur für Einbußen an solchen NichtVermögensinteressen, die gesellschaftliche Wertschätzimg genießen 113 . Emotionale Reaktionen wie Ärger, W u t oder Aggression mögen vom Individuum durchaus als erhebliche Beeinträchtigung des Wohlbefindens und damit als immaterielle Einbuße empfunden werden; sie sind aber gesellschaftlich unerwünscht oder sogar mißbilligt, d. h. vom Individuum w i r d die Beherrschung dieser Emotionen verlangt. Es wäre paradox, sie gleichzeitig von Rechts wegen als ausgleichswürdige Nichtvermögensschäden anzuerkennen 114 . Selbst wenn man aber eine derart prinzipwidrige Überspannung des Schadensbegriffs i n Kauf nähme, so bleibt dennoch der Einwand, daß der Geldausgleich für die erwähnten psychischen Einbußen die Wirkungsweise des Schadensersatzes pervertieren würde. Ziel des Schadensersatzes ist die restitutio ad integrum; Schmerzensgeld als „Ausgleich" für die aggressiven Reaktionen des Verletzten w i r k t jedoch, wie bereits ausgeführt 115 , nicht restitutiv durch Abbau der entstandenen Aggressionen, sondern fungiert i m Gegenteil als positive Bekräftigung des aggressiven Verhaltens. Der dem Opfer ge107 108 109 no m us 113 114

So insbesondere Wiese, S. 55 ff.; vgl. ferner die i n N. 11 Genannten. K r i t i s c h bereits Bötticher, A c P 158, 398; Pecher, S. 69. Oben Β I 2 b. Wiese, S. 56. Dazu bereits oben § 6 I 2 c. Stoll, Gutachten, S. 154 f. Vgl. schon oben § 6 1 1 ; ferner Jürgen Schmidt, S. 24. Ä h n l i c h schon Eickhoff, S. 87 f.

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währte Geld-,,Ausgleich" erhöht für die Zukunft dessen Bereitschaft, aggressiv zu reagieren 115 . Die Einwände, die gegen die Eignung des Schmerzensgeldes zur Besänftigung des gekränkten Rechtsgefühls erhoben wurden, verlieren nicht an Triftigkeit, wenn man diese Funktion nicht mehr als Genugtuung, sondern als Ausgleich i m weiteren Sinne bezeichnet. A u f einer anderen Ebene liegt der Vorschlag, jeglichen Geldausgleich für immateriellen Schaden wegen dessen zwangsläufig unvollkommener A r t als Genugtuung zu bezeichnen 116 . Das bringt die Genugtuungsfunktion zur Kongruenz m i t der Ausgleichsfunktion, von der sie sich nicht durch ihren Zweck, sondern allenfalls durch ihre Wirkungsweise unterscheidet. Der Vorschlag beläßt dem Schmerzensgeld seinen Schadensersatzcharakter und beinhaltet eine bloße façon de parier, die sich an die Terminologie des schweizerischen Obligationenrechts anlehnt 1 1 7 . Als solche wäre er prinzipiell unschädlich, hätte nicht der Genugtuungsgedanke i m deutschen Recht eine ganz eigene und andersartige Bedeutungsgeschichte. Wie angreifbar diese auch immer sein mag, ein A b gehen von der tradierten Terminologie könnte nur Verwirrung stiften. Demgegenüber wiegt der Nachteil gering, daß Schadensersatz i n Geld für immaterielle Einbußen Besonderheiten gegenüber dem Schadensersatz i m strengen, nämlich rein rechnerischen Sinne aufweist 1 1 8 . I V . Genugtuung als Prävention, Sanktion, Rechtsgütergarantie

Einer Hypothese von Deutsch zufolge bezweckt Genugtuung „auf Seiten des Täters vor allem Prävention und Sanktion, ihre legislatorische Grundlage ist also dem Strafrecht verwandt" 1 1 9 . Freilich schreibt Deutsch auch dem Haftungsrecht Präventionszweck zu. Letzterer soll dort freilich nur nachgeordneten Rang haben, hingegen bei der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes Hauptzweck sein 1 2 0 . A u f die Fragwürdigkeit von Prävention insbesondere i m Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte ist i n dieser Arbeit schon hingewiesen worden 1 2 1 . Prävention durch Haftpflichtrecht meint Verhütung von Unfällen mittels Beeinflussung des Verhaltens der Verkehrsteilnehmer, die bei Verursachung eines Unfalls finanzielle Nachteile gewärtigen müssen. Bei vollkommener Prävention würde Haftpflichtrecht allein durch us o b e n Β I 2 b. ne So insbesondere Rötelmann, N J W 1962, 1004. H 7 Dazu sogleich unter C I I . us Gegen Rötelmann schon Stoll, Gutachten, S. 139. no Festschr. Wahl, S. 342; ähnlich ders., JuS 1969, 202; JZ 1970, 549. i2 J Z 1971, 244 ff. (246). F ü r einen Präventionszweck des Haftpflichtrechts auch die oben § 5 I I 1 (N. 18) genannten Autoren; ferner E. v. Hippel, S. 88 f.; Hans Stoll, Handeln auf eigene Gefahr, 1961, S. 347. 121 Oben § 5 I I 1.

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2. Kap. : Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs

seine Geltung funktionieren und seine praktische Anwendung als U n fallfolgenrecht überflüssig machen. Von diesem Idealzustand sind w i r offensichtlich weit entfernt. Exakte Aussagen über die präventive Wirkung von Haftpflichtrecht lassen sich freilich mangels empirischer Untersuchungen auch nicht formulieren; einstweilen hat man sich daher m i t der Aufstellung von Hypothesen zu begnügen 122 . Prävention kann, das ist wohl unbestritten, funktionieren unter der Voraussetzung, daß ein zweckrational handelndes Individuum sein Verhalten nach dessen ökonomischen Konsequenzen einrichtet: man vermeidet Unfälle, w e i l es einfach billiger ist. Kriminologische Forschungen zur Generalprävention zeigen indessen, daß das Individuum keineswegs immer zweckrational und schon gar nicht immer ökonomisch zweckmäßig handelt; namentlich auf dem engeren Feld des Straßenverkehrs ist das Verhalten eines Verkehrsteilnehmers von einer Vielzahl situativer und personaler Faktoren determiniert 1 2 3 . Unfallrisiken werden angesichts des unvorhergesehenen Auftretens der meisten unfallträchtigen Entscheidungssituationen nur selten wirklich k a l k u l i e r t 1 2 4 . Die Präventionswirkung ist daher bei den i m Haftpflichtrecht dominierenden Fahrlässigkeitsdelikten schwächer einzuschätzen als bei überlegt begangenen Vorsatztaten. Auch dürfte der präventive Effekt von Sanktionen für Abweichungen von abstrakten Standards schwächer sein als derjenige bei konkreten und rechtzeitig erkennbaren Handlungsanweisungen wie Geschwindigkeitsbegrenzungen, Fahrzeuginstandhaltung u. ä. 1 2 5 . Insgesamt kann das i m Vordergrund unseres Interesses stehende Haftpflichtrecht des Straßenverkehrs „allenfalls eine untergeordnete Aufgabe i m Rahmen präventiver Gesamtstrategie" erfüllen und bedarf des Zusammenwirkens mit anderen Maßnahmen, etwa der Beeinflussung des technischen Zustands von Fahrzeugen (aktive und passive Fahrsicherheit) u. ä. 1 2 6 . Die modernen Schadensvorsorgesysteme, darunter nicht zuletzt die Pflichtversicherung des KfzHalters, t u n ein Übriges für die Zurückdrängung präventiver Möglichkeiten 1 2 7 , 122 w i r folgen hier weitgehend den grundlegenden Ausführungen von Weyers, S. 456 ff., m. w. N. 123 Dazu ausführlich G. Kaiser, Verkehrsdelinquenz u n d Generalprävention, Tübingen 1970, S. 25 ff., 46 ff., 337 f. 124 aaO, S. 43 f. Beispiel f ü r eine Ausnahme wäre der übermüdete K r a f t fahrer, der die Vorteile einer früheren A n k u n f t am Reiseziel gegen das durch die Übermüdung gesteigerte Unfallrisiko abwägt. i 2 * Weyers, S. 449 f. 12 6 Zusammenfassend Weyers, S. 472, 479 f.; Jergensen, VersR 1970, 203 f. Zurückhaltend auch Larenz, SchR I § 271 (Prävention n u r „erwünschtes Nebenprodukt" der Ersatzpflicht) ; Niemeyer, S. 47 ff. 127 Weyers, S. 480; vgl. ferner Baumann, D A R 1966, 311. Freilich ist auch hier zu differenzieren. E i n Verlust des Deckungsschutzes wegen Gefahrerhöhung (§§ 23 ff. W G ) oder eine Prämiendifferenzierung nach dem BonusMalus-System können ihrerseits wieder präventive W i r k u n g e n entfalten.

§ 7 Β K r i t i k der Genugtuungsfunktion

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Aber auch ein Festhalten am Präventionszweck vermag der Genugtuung keinen eigenen Stellenwert i m Sanktionensystem zu verleihen. Da sowohl Haftungs- als auch Strafrecht vom Präventionszweck — wenn schon i n verschiedenem Ausmaß — geprägt sind, ist f ü r die Genugtuung ohnehin die Grenze nach beiden Seiten flüssig. Die von Deutsch 128 betonte Präponderanz des Präventionszwecks bei der Genugtuung läßt andererseits deren Unterscheidung von der Privatstrafe nicht mehr zu. Ganz sicher steht schließlich der empirische Nachweis noch aus, daß ein u m die Genugtuungsfunktion „angereichertes" Schmerzensgeld die intendierte P r ä v e n t i v w i r k u n g effizienter entfaltet als die Sanktion einer bloßen Kompensation des Nichtvermögensschadens. Z u unspezifisch u n d daher wertlos ist auch die Behauptung eines Sanktionszwecks der Genugtuung. Selbstverständlich ist Genugtuung eine A r t von Sanktion f ü r die begangene Körperverletzung, w i e Schadensersatz u n d Strafe auch. Damit ist aber noch gar nichts gesagt. Der Klassifikationsbegriff Sanktion erklärt gerade nicht, w a r u m es neben der Sanktion „Kompensation des Nichtvermögensschadens" noch eine zusätzliche der Genugtuung geben soll, deren Wirkungsweise keinesfalls geklärt i s t 1 2 9 . U m ein anzuerkennendes Sanktionsbedürfnis kann es nur dort gehen, wo, w i e i m Persönlichkeitsschutz, das verletzte Rechtsgut einer Schadenskompensation nicht zugänglich ist u n d deshalb eines zureichenden Schutzes überhaupt entbehrt. Auch dann ist freilich die Frage nach Inhalt u n d Wirkungsweise der Sanktion noch unbeantwortet. Die oben 1 3 0 vertretene These, Genugtuung für Persönlichkeitsbeeinträchtigungen sei Privatstrafe, ist damit nicht zugunsten einer eigenständigen Genugtuungsfunktion widerlegt. Dem Sanktionszweck ist der Zweck der Rechtsgütergarantie benachbart. Letzterer stellt lediglich noch mehr auf die Perspektive des V e r letzten ab. Jede schuldhafte Verletzung eines Rechtsguts soll irgendeine Sanktion nach sich ziehen, i m Falle einer Körperverletzung eine Genugtuung i n Geld 1 3 1 . Der Geschädigte soll „durch die Genugtuungsleistung das Gefühl erhalten, daß die Rechtsordnung nicht untätig zusieht, wenn i n seine Rechte eingegriffen w i r d " 1 3 2 . Auch hier bleibt u n geklärt, w a r u m die Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes, die, i n w i e immer unvollkommener Weise, eine restitutio ad integrum erstrebt, nicht hinreichende Garantie des Rechtsguts körperliche u n d seelische Unversehrtheit bieten soll. Die i m Schmerzensgeldurteil implizierte 128 Festschr. Wahl, S.342; J Z 1970, 549. 129 Weyers, S. 582, vermutet hinter dem Sanktionsbegriff ein unpräziseres Synonym f ü r „Strafe" oder „Vergeltung". wo § 5 I I 1.

131 Deutsch, JZ 1971, 246; JZ 1970, 549. 132 Niemeyer, S. 39.

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2. Kap. : Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs

Feststellung, der Verletzer habe sich durch sein Delikt ins Unrecht gesetzt, verbürgt i m übrigen dem klagenden Verletzten, daß „die Rechtsordnung" einem Eingriff i n seine Persönlichkeitsgüter „nicht untätig zusieht". C. Genugtuung i n rechtsvergleichender Sicht

I. Vorbemerkung Eine rechtsvergleichende Untersuchung des Genugtuungsprinzips kann die i m vorigen entwickelte These — keine eigenständige Genugtuungsfunktion zwischen Schadensausgleich und Strafe — absichern. Die Rechtsvergleichung verspricht Ertrag, wo sie nicht dogmatische Oberflächenstrukturen sich zum Gegenstand nimmt, sondern elementare Prinzipien der nationalen Rechtsordnungen i n vergleichbaren Gesellschaftssystemen einander gegenüberstellt. Von daher drängt sich eine vergleichende Erforschung des Genugtuungsprinzips geradezu auf. Die Ausbildung von Sanktionen für die Schädigung von Individualrechtsgütern ist Ordnungsaufgabe jeder Rechtsordnung; die Grundformen und -funktionen der nationalen Sanktionssysteme darf man, ungeachtet aller Typen-Vielfalt i m Detail, w o h l zu den Basisprinzipien rechnen, die übergreifende (wenn schon nicht universalrechtliche) Geltung besitzen 133 . Der anzustellende Prinzipienvergleich erlaubt und gebietet einen relativ unvermittelten Durchgriff auf die zugrundeliegenden Funktionen; die Untersuchung genügt so dem Postulat einer funktionellen Methode der Rechtsvergleichung 134 . Die Auswahl der zu vergleichenden Rechtsordnungen 135 ist nicht beliebig. Die Heranziehung des Schweizerischen Rechts legitimiert sich bereits dadurch, daß der Große Zivilsenat bei der (Neu-)Etablierung des Genugtuungsgedankens i m deutschen Zivilrecht statt einer eigenen Funktionsanalyse ziemlich pauschal auf das gleichnamige Institut des schweizerischen Obligationenrechts verwiesen hat 1 3 6 . Das französische Recht ist beispielhaft dadurch, daß es mangels einer dem § 253 BGB entsprechenden Norm einerseits und vermöge der deliktischen General133 z u r Frage, ob „ v o n allen K u l t u r n a t i o n e n anerkannte" Rechtssätze nachweisbar sind, eingehend Esser, Grundsatz u n d Norm, S. 28 ff., 346 ff. Ablehnend Sandrock, Über Sinn und Methode zivilistischer Rechtsvergleichung, S. 68 f. 134 Dazu Esser, aaO, S. 346 ff. ; Rheinstein, Einführung i n die Rechtsvergleichung, 1974, S. 25 ff.; Sandrock, S. 72 ff.; Zweigert ! Kötz, Rechtsvergleichung, Bd. 1, S. 27 ff. 135 Weitere Rechtsvergleichung zur Genugtuungsfunktion bei Brusiin, S. 46 ff.; Stoll, Gutachten, S. 61 ff.; ders., American Journal of Comparative L a w 18, 3 ff.; ders., Festschr. Rheinstein, S. 579 ff. 13« B G H Z 18, 155.

§ 7 C Genugtuung i n rechtsvergleichender Sicht

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klausel der artt. 1382 f. C. c. andererseits der Praxis Spielraum für eine unbefangene Auseinandersetzung mit dem Problem der Verletzung nicht vermögenswerter Rechtsgüter gibt. Das englische Deliktsrecht schließlich reizt zur Rechtsvergleichung als — nach Systematik und historischer Genese — grundsätzlich verschiedenes „Kontrastprogramm". Es kennt darüber hinaus i n den „punitive" oder „exemplary damages" eine Sanktionsform, die eine interessante Mittelposition zwischen Schadensausgleich und Strafe einnimmt. I I . Schweizerisches Recht

Nach A r t . 47 OR kann bei Tötung oder Körperverletzung der Richter „unter Würdigung der besonderen Umstände dem Verletzten oder den Angehörigen des Getöteten eine angemessene Geldsumme als Genugtuung zusprechen". Einschränkend gibt A r t . 49 OR bei Verletzung „ i n den persönlichen Verhältnissen" nur dort Anspruch auf Genugtuung i n Geld oder auf andere A r t , „wo die besondere Schwere der Verletzung und des Verschuldens es rechtfertigt". Die Genugtuung der A r t t . 47, 49 O R 1 3 7 ist auf dem Hintergrund zu sehen, daß dem Schadensersatzrecht der Schweiz die Kategorie des immateriellen Schadens nicht geläufig ist 1 3 8 . Zum Ausgleich von Nichtvermögensschäden muß so eine vom Schadensersatz unterschiedene eigenständige Form der Wiedergutmachung, eben die Genugtuung, herhalten. I n der Terminologie des deutschen Zivilrechts gesprochen, deckt die Genugtuung i n A r t t . 47, 49 OR daher jedenfalls auch den Bereich der Ausgleichsfunktion ab. Teilweise w i r d der Genugtuung ausdrücklich „eine dem Schadensersatz analoge Funktion" zuerkannt 1 3 9 . I m übrigen sind die Umschreibungen der Genugtuung oft bis ins Detail kongruent m i t denen der Ausgleichsfunktion des deutschen Schmerzensgeldes 140 . Daß der Genugtuung für Körperverletzung und Tötung über den Ausgleichszweck hinaus noch ein pönaler Charakter eigen sei, w i r d von der heute h. M. verneint 1 4 1 . Die am prononciertesten von Oftinger vertretene Gegenansicht räumt ganz offen die aggressive Komponente eines m i t Straffunktion versehenen Genugtuungsanspruchs 137 Genugtuungsansprüche nach A r t t . 93 (Verlöbnisbruch), 134 I I , 151 I I Z G B (verschuldete Eheauflösung) gelten als Spezialfälle von A r t . 49 OR. 138 Vgl. Guhl, Obligationenrecht, § 10 I b; Oftinger, Haftpflichtrecht I, S. 256; v. Tuhr / Peter, § 161. 13» H. Becker, i n Berner Kommentar, A n m . I zu A r t . 47 OR. 140 Vgl. Jäggi, ZSR 79, 186 f.: „ . . . ist es möglich, dem Betroffenen zum Ausgleich der erlittenen oder noch zu erwartenden U n b i l l ein seelisches Wohlgefühl zu verschaffen, w e n n auch n u r mittelbar, durch Zuwendung eines Vermögensvorteils." 141 H. Becker, A n m . I zu A r t . 47 OR; ν. Büren, Obligationenrecht, S. 84 ff.; Guhl, § 10 I b ; Jäggi aaO. Z u m älteren Schrifttum Stoll, Gutachten, S. 70 ff.

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2. K a p . : Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs

ein 1 4 2 , v. Büren zieht aus den von A r t . 49 OR verlangten zusätzlichen Voraussetzungen der besonderen Schwere der Verletzung und des Verschuldens den Schluß, daß nur der Genugtuung für Persönlichkeitsbeeinträchtigungen ein pönales Moment eigen sei, während die Genugtuung nach A r t . 47 sich i n einer Reparation des immateriellen Schadens erschöpfe 143 . Dies deckt sich m i t der hier für das deutsche Recht vorgeschlagenen Differenzierung. I n Konsequenz dieser Qualifizierung der Genugtuung w i r d es nicht als Systemwidrigkeit empfunden, einen Genugtuungsanspruch auch bei Haftung ohne Verschulden zu gewähren 1 4 4 . Auch findet — anders als i m deutschen Recht — bei der Bemessung der Genugtuung nach heute herrschender Praxis keine Berücksichtigung, daß der Verletzer wegen derselben Tat eine öffentliche Strafe erlitten hat 1 4 5 . Der Genugtuungsanspruch ist abtretbar sowie aktiv und passiv vererblich 1 4 6 . Einzige Anomalie ist, daß, neben den üblichen Faktoren 1 4 7 , der Verschuldensgrad Einfluß auf die Anspruchshöhe besitzt 1 4 8 . Trotz dieser Besonderheit zeigt der Bericht, daß der Genugtuung des Schweizerischen Rechts die von der deutschen Doktrin und Praxis behauptete Sonderstellung zwischen — auch auf immaterielle Einbußen erstrecktem — Schadensausgleich und Strafe überwiegend nicht zugestanden wird. Die Anrufung des Schweizerischen Rechts zum Kronzeugen für eine Genugtuungsfunktion des § 847 B G B 1 3 6 war illegitim.

I I I . England

1. Schmerzensgeld. Ersatz immateriellen Schadens infolge von K ö r perverletzungen gliedert sich i m englischen Recht i n drei Posten 1 4 9 : Schmerzensgeld i m engeren Sinne (damages for pain and suffering), ent142 Oftinger, S. 257 f.: Das pönale M o m e n t „ v e r l e i h t dem Ansprecher doch oft eine w a h r e Befriedigung, daß der Täter einen als S a n k t i o n empfundenen m e h r oder weniger hohen Geldbetrag leisten m u ß " . 143 V.Büren, S. 85f.; w o h l auch Guhl, S. 81. 1 4 4 B G E 74 I I , 202; 81 I I , 518 f.; 88 I I , 528 ff.; 96 I I , 234 f. Hiergegen v o n seinem S t a n d p u n k t konsequent Oftinger, S. 262. B G E 48 I I , 484; 82 I I , 42; anders noch die ältere J u d i k a t u r , B G E 20, 210; 33 I I , 594; ferner ein T e i l des Schrifttums, vgl. Oftinger, S. 265. Z u r entgegengesetzten deutschen Praxis oben Β I I a. E. 146 v g l . n u r Oftinger, S. 260 f. I m einzelnen ist h i e r freilich manches streitig; ausführlich Rohmann, S. 65 ff. 147 Sie entsprechen denjenigen, die b e i der Bemessung des Schmerzensgeldes qua Ausgleichsfunktion Beachtung erheischen; vgl. die Rechtsprechungsübersicht bei Hütte, SJZ 1974, 273. Vgl. B G E 89 I I , 26. 149 Übersicht b e i McGregor, §§55 ff., 1138 ff.; Salmond, S. 590 ff.; Winfield & Jolowicz, S. 573 ff.

§ 7 C Genugtuung i n rechtsvergleichender Sicht

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gangene Lebensfreude (loss of amenities of life) und Verkürzung der Lebenserwartung (loss of normal expectation of life). Allgemeiner Meinung nach verfolgt dieser Ersatzanspruch keinerlei pönalen Zweck und erschöpft sich i n bloßer Kompensation 1 5 0 . Die Umschreibungen des A n spruchszwecks der „damages for pain and suffering" unterscheiden sich vereinzelt kaum von denjenigen der Ausgleichsfunktion bei § 847 BGB. So führt etwa Fleming aus: "The most damages can furnish is solace, by providing the victim w i t h the means for distraction and substitute activities 1 5 1 ." Strenger als die deutsche Praxis, aber i n konsequenter Durchführung des Kompensationsprinzips, verweigern oder mindern die englischen Richter die damages for pain and suffering, wenn das Opfer, sei es auch gerade infolge des Unfalls, Schmerzen und Leiden nicht zu empfinden fähig ist 1 5 2 . Eine Differenzierung der Anspruchshöhe nach den Vermögensverhältnissen oder der sozialen Stellung des Verletzten findet nicht statt 1 5 3 . Das Schmerzensgeld des englischen Rechts weist kaum Besonderheiten auf. Größeres Interesse wecken dagegen die dem Common L a w eigentümlichen Sanktionsformen der „aggravated damages" sowie der „punitive" oder „exemplary damages". Beide Sanktionen werden zwar theoretisch streng voneinander geschieden, waren aber bis i n jüngster Zeit i m praktischen Anwendungsbereich nahezu kongruent 1 5 4 . 2. Aggravated damages werden bei Deliktsklagen m i t starker Persönlichkeitsberührung, insbesondere also bei assault, defamation, false imprisonment, malicious prosecution 155 als Zuschlag zum „normalen" Schadensersatzanspruch gewährt; i n allen Fällen geht es u m einen „Gefühlsschaden" 156 , der m i t Geld real nicht aufzuwiegen ist. „Aggra150 Vgl. Diplock, L. J. i n Fletcher v. Autocar & Transporters Ltd., (1968) 1 A l l Ε. R. 744; ferner Fleming, L a w of Torts, S. 206 f.; Winfield & Jolowicz aaO. Die englischen Richter beschränken sich meist auf das Bemerken, dem Opfer müsse, i n Ermangelung eines realen Äquivalents, „ f a i r compensation" zuteil werden; vgl. n u r die Entscheidung des House of Lords i n West & Son Ltd. v. Shephard, (1963) 2 A l l E. R. 631, 638; ferner Fletcher v. Autocar & Transporters, aaO, S. 733, 750. 151 Fleming aaO; vgl. ferner L o r d Denning i n Fletcher's Case, S. 733: " I n order to give h i m (sc. dem Kläger) fair compensation, I should have thought that he should be given a sum w h i c h w o u l d insure that he w o u l d not, w i t h i n reason, w a n t for anything that money could buy." Ä h n l i c h L o r d Devlin i n West v. Shephard, S. 638. 152 Vgl. L o r d Morris i n West v. Shephard, S. 633; die Regel g i l t nicht f ü r den Schadensposten loss of amenities. Vgl. auch die frühere Entscheidung Wise v. Kaye, (1962) 1 A l l Ε. R. 257; (1962) 1 Q . B . 638. 153 Salmon, L. J., i n Fletcher's Case, S. 751. 154 v g l . die Bemerkungen v o n L o r d Devlin i n Rookes v. Barnard, (1964) 1 A l l E. R. 407 (412). iss Weitere Fälle bei McGregor, §§61, 207; Street, S. 437 f. 156 v g l . Salmond, S. 546: " I n s u l t and i n j u r e d feelings are a proper subject for compensation."

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2. Kap. : Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs

vated" und damit zu höherem Ersatz berechtigend w i r d der Gefühlsschaden durch willkürliches oder böswilliges Verhalten des Deliktstäters oder auch durch dessen verwerfliche Motive 1 5 7 . Umgekehrt können aggravated damages verweigert werden, wenn der Kläger den Beklagten zu seiner Tat provozierte 1 5 8 . Aggravated damages gelten allgemein als reine Kompensation, die aber eher als Trost (solatium) für den Verletzten denn als Ausgleich i n Geld fungiere 1 5 9 . Das englische Recht befindet sich m i t dieser Qualifizierung i m Einklang m i t denjenigen deutschen Autoren, die Genugtuung als weit verstandenen Ausgleich erklären wollen 1 0 0 . Die Berücksichtigung des Verschuldensgrades, von unlauteren Motiven seitens des Täters oder auch einer Provokation durch das Opfer zeigt, daß Kompensation des Gefühlsschadens hier dasselbe meint wie Genugtuung durch Besänftigung des Rechtsgefühls. Hier wie dort gilt, daß die Ausdehnung der Kategorie des (haftungsrechtlich relevanten) Nichtvermögensschadens nicht als bloß terminologisches Problem abzutun ist. Insoweit kann auf die Bedenken verwiesen werden, die oben gegen eine solche Usurpation der Genugtuung für die Ausgleichsfunktion geltend gemacht wurden 1 6 1 : aggressive Reaktionen des Verletzten sind als immaterielle Einbuße nicht anerkennungswürdig 1 ® 2 , eine Geldzahlung des Verletzers an sein Opfer ist nicht geeignet, die entstandenen Aggressionen des Opfers abzubauen. Die von Lord Devlin m konstatierte weitgehende Funktionsgleichheit von aggravated damages und — Straf- und Präventionszweck verfolgenden — exemplary damages und die damit verbundenen Abgrenzungsschwierigkeiten für die Praxis sind denn auch keinesfalls zufälliger Natur, sondern Konsequenz der theoretisch verfehlten Qualifizierung der aggravated damages als kompensatorisch. Das Konkurrenzproblem ist freilich durch die klärenden Ausführungen des Oberhauses i m Falle Rookes v. Barnard 164, wo der Anwendungsbereich der exemplary damages drastisch eingeschränkt wurde, weitgehend entschärft. 157 McGregor aaO; James, S. 399 f. 158 Lane v. Holloway, (1967) 3 A l l E. R. 129; (1968) Q . B . 379. Eine M i n derung der „normalen" compensation findet dagegen nicht statt. 159 Casell & Co. Ltd. v. Broome , (1972) 1 A l l E. R., S. 824, 825 f. leo v g l . oben Β I I I m i t Nachweisen. ιοί aaO. I n diese Richtung weist auch die vorsichtige Frage von James, S. 400, N. o, ob verletzter Stolz w i r k l i c h ein anerkennungsfähiger Schaden sei: " I f pride is not a sin, w h y d i d Lucifer fall?" 163 Oben Ν . 154. Ebenso jetzt auch L o r d Hailsham i n Casell & Co. Ltd. v. Broome, S. 824. iö4 (1964) 1 A l l E. R. 367. 162

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3. Exemplary damages dienen seit der wegweisenden Entscheidung Rookes v. Barnard ausschließlich Straf- und Präventionszwecken 1 ® 5 . Auch Salmond / Heuston haben inzwischen ihr Konzept einer satisfaktorischen Funktion der exemplary damages 166 i m Gefolge der neueren Entscheidung Casell & Co. v. Broome 167, i n der das Oberhaus die i n Rookes v. Barnard aufgestellten Regeln nach sorgfältiger Überprüfung bestätigte und präzisierte, revidiert. Ein Strafzuschlag i n Gestalt von exemplary damages wurde nach älterem Recht immer dann zugesprochen, wenn i m Verhalten des Deliktstäters eine so gröbliche Rechtsverletzung lag, daß die Tat nach Bestrafung verlangte, so etwa bei böswillig, rücksichtslos oder grausam begangenem D e l i k t 1 6 8 . Der Anknüpfungspunkt ist also wie bei aggravated damages das Verhalten des Täters. Bei letzteren dient das deliktische Verhalten aber nur als Indiz für die Intensität der zu kompensierenden psychischen Reaktion des Opfers, wogegen es bei den exemplary damages das Maß des strafwürdigen Handlungsunrechts bezeichnen soll 1 6 9 . Das House of Lords hat i n der Entscheidung Rookes v. Barnard 164 den Anwendungsbereich der exemplary damages drastisch beschnitten. Als Straf- und Präventionszweck verfolgende Sanktion, so die Begründung durch Lord Devlin , verwischten exemplary damages den prinzipiellen Unterschied zwischen Z i v i l - und Strafrecht. Eine Bestrafung durch den Zivilrichter beraube den Beklagten des Schutzes strafprozessualer Kautelen. Ferner sei unerfindlich, warum der Kläger aus der gegen den Beklagten verhängten Sanktion Gewinn ziehen solle 1 7 0 . Exemplary damages bildeten daher eine Anomalie i m englischen Deliktsrecht, die es zu entfernen gelte. Gewährt werden sie nurmehr i n drei Ausnahmefällen: bei ausdrücklicher gesetzlicher E r mächtigung; bei willkürlichen Übergriffen von Staatsbediensteten; schließlich dann, wenn das deliktische Handeln durch die Überlegung bestimmt war, daß der daraus resultierende Profit die zu erwartende Schadensersatzpflicht übersteigen werde. Jeweils ist aber zu prüfen, ob der „normale" oder gegebenenfalls qua aggravated damages erhöhte Schadensersatzbetrag nicht ausreichende Bestrafung für den Täter

L o r d Devlin i n Rookes v. Barnard, S. 407: "The object of damages i n the usual sense of the t e r m is to compensate. The object of exemplary damages is to punish and deter." lee 15. Aufl., S. 716 f.; aufgegeben i n 16. Aufl., S. 547. 167 (1972) 1 A11E.R. 801. 168 Einen Überblick über die Präjudizien gibt L o r d Devlin i n Rookes v. Barnard, S. 407 ff. 169 Unterschied k l a r herausgearbeitet bei Fleming, S. 521 f. 170 A u f die beiden letzteren Gesichtspunkte weist ausführlich die spätere Entscheidung Casell & Co. Ltd. v. Broome, S. 837 f., 848 hin.

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2. Kap.: Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs

beinhaltet 1 7 1 . Exemplary damages sind höchstpersönlich, ihre Höhe w i r d von den Vermögensverhältnissen der Parteien mitbeeinflußt 1 7 2 . Bereits i n Rookes v. Barnard ist angedeutet, daß die bisher von den exemplary damages wahrgenommenen Funktionen überwiegend auch von den aggravated damages erfüllt werden könnten; i n schweren Fällen greife ohnehin die Kriminalstrafe ein 1 7 3 . Die Bedeutung der Entscheidung ist denn auch nicht so sehr i n einer Änderung des geltenden Rechts, sondern eher i n einer „dogmatischen Flurbereinigung" zu sehen 174 . Dem rechtsvergleichenden Betrachter scheinen freilich auch die verbleibenden Ausnahmefälle funktional heterogen und daher dogmatisch inkonsistent 1 7 5 . Die zweite Kategorie 1 7 0 — willkürliche Übergriffe von Staatsbediensteten — repräsentiert eine von Aufopferungsgesichtspunkten geprägte Fallkonstellation; ob hier Straf- und Abschreckungszwecke sinnvoll verfolgt werden können, ist äußerst zweifelhaft. Bei Fehlen einer allgemeinen Staatshaftung 177 erscheint es ferner als wenig konsequent, eine Sonderhaftung für Staatsbedienstete, die ihren Grund hauptsächlich i n deren öffentlichem Status findet, zuzulassen. Man darf vermuten, daß das House of Lords sich hier an Präjudizien aus dem 18. Jahrhundert gebunden fühlte, die gerade anhand solcher Fälle die Lehre von den exemplary damages inauguriert hatten 1 7 8 . Auch die dritte Ausnahmekategorie ist angreifbar. Warum sollte ein Deliktstäter, der sich von seinem Handeln einen (über den möglichen Schadensersatz hinausgehenden) Gewinn verspricht, strafwürdiger sein als derjenige, der dasselbe Delikt aus purer Böswilligkeit gegenüber seinem Opfer begeht? McGregor 1 7 9 hat m i t Recht eingewendet, daß es hier nicht mehr u m Privatstrafe, sondern u m die A b i7i Rookes v. Barnard, S. 411; Casell & Co. v. Broome , S. 833 (839). ι? 2 Rookes v. Barnard, S. 411. 173 s. 412. 174 v g l . L o r d Devlin aaO: " . . . i t w i l l not, I t h i n k , make much difference to the substance of the l a w . . . " Vgl. auch McGregor , § 304. 175 Methodisch aufschlußreich die Bemerkung von L o r d Reid i n Casell & Co. Ltd. v. Broome , S. 837 : "We had to choose between confining i t strictly to classes of cases, where i t was f i r m l y established, although that produced an illogical result, or p e r m i t t i n g i t to be extended so as to produce a logical result. I n m y v i e w i t is better i n such cases to be content w i t h an illogical result than to allow any extension." 176 Die erste Kategorie — exemplary damages k r a f t gesetzlicher A n o r d nung — ist eine Ausnahme, die sich v o n selbst verstand, deren praktische Bedeutung freilich äußerst gering ist; vgl. McGregor, § 307. 177 Eine Staatshaftung gibt es i n England n u r ganz beschränkt; vgl. dazu Futter, Die Subsidiarität der Amtshaftung, B e r l i n 1974, S. 139 f., m i t Nachw. 178 McGregor, § 308. Vgl. auch die obiter dicta i n Casell & Co. v. Broome, S. 838 f., 873. 179 (1971) 34 M . L . R . , S. 525 f.; On damages, §§315 f.

§ 7 C Genugtuung i n rechtsvergleichender Sicht

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Schöpfung einer ungerechtfertigten Bereicherung geht 1 8 0 . Exemplary damages müssen hier eine Lücke schließen, die i n einer Besonderheit des englischen Bereicherungsrechts (law of restitution) wurzelt. Letzteres verlangt eine der Bereicherung korrespondierende Vermögenseinbuße seitens des Kondiktionsgläubigers 1 8 1 . Systemgerecht wäre also nicht eine Fortbildung des Haftungsrechts, sondern eine Korrektur des Bereicherungsrechts gewesen. Auch wenn, etwa bei Verunglimpfung von Personen durch die Sensationspresse, der Verletzte nicht einmal theoretisch die Möglichkeit hätte, sein Persönlichkeitsrecht solcherart zu verwerten, entspricht es der das Bereicherungsrecht nicht zuletzt prägenden distributiven Gerechtigkeit eher, den erzielten Gewinn dem Verletzten zuzuweisen, als ihn dem Eingreifer zu belassen 182 . Der A b schreckungs- und Strafgedanke w i r d erst wieder virulent, wenn die vom Verletzer zu zahlende Summe sowohl seinen eigenen Gewinn als auch den immateriellen Schaden des Verletzten übersteigt 1 8 3 . 4. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Privatstrafe i m englischen Zivilrecht weitgehend abgeschafft ist und dort, wo sie ausnahmsweise noch zulässig ist, entweder nur aus historischen bzw. gerichtsverfassungsrechtlichen Gründen aufrechterhalten w i r d oder unter falscher Flagge segelt. S tolls Meinung, auch den exemplary damages hafte etwas von der Genugtuungsidee an 1 8 4 , ist nach den englischen Präjudizien nicht zu belegen. Ein der deutschen Genugtuung funktional äquivalentes Institut findet sich i n den aggravated damages. Deren rein kompensatorische Natur steht freilich außer Streit. Wie kritisch auch immer man einer solchen Ausdehnung der Kategorie des Nichtvermögensschadens gegenübersteht — eine autonome Genugtuungsfunktion zwischen Schadensersatz und Strafe w i r d auch i m englischen Recht nicht anerkannt. 180 Paradigmatisch ist der bei James, S. 401, referierte F a l l Bell v. Midland Rail . Co.: Die Beklagte hatte den Kläger a m Z u t r i t t zu seinem Ladeplatz gehindert, u m seinen Gewerbebetrieb zu ruinieren u n d gleichzeitig ihren eigenen Gewinn zu steigern; der Kläger erhielt exemplary damages zugesprochen. 181 McGregor aaO (Ν. 179). Z u r entgegengesetzten deutschen Bereicherungsd o k t r i n vgl. statt vieler Esser, SchR I I §§ 100 I I a , 10411. 182 F ü r das deutsche Recht hat jüngst Kleinheyer, J Z 1970, 746, darauf aufmerksam gemacht, daß Persönlichkeitsverletzungen durch profitorientiert vorgehende Massenmedien grundsätzlich auch über die Eingriffskondiktion ausgeglichen werden könnten. Dem stehen weniger dogmatische als p r a k tische Bedenken entgegen: der tatsächlich erzielte Mehrgewinn dürfte sich bei periodisch erscheinenden Presseerzeugnissen m i t konstant hoher Auflage selten ermitteln lassen. 183 F ü r eine solche Bemessungspraxis ausdrücklich L o r d Diplock in Casell & Co. v. Broome , S. 873 f., m i t dem Bemerken, zu einer wirksamen Abschreckung genüge es nicht, w e n n der Eingreifer schlimmstenfalls — bei Verlust des Prozesses u n d nach Abschöpfung seines unrechtmäßig erzielten Gewinns — wieder m i t ausgeglichenem Konto dastehe. 184 Penal purposes, S. 11.

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2. Kap.: Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs I V . Frankreich

Der Code civil unterscheidet i n seiner deliktischen Generalklausel (art. 1382) nicht zwischen Vermögensschaden und immateriellen Einbußen. Vieles deutet darauf hin, daß die Gesetzesredaktoren das Problem bei der Formulierung des art. 1382 C. c. schlicht übersehen haben 1 8 5 . Die höchstrichterliche Rechtsprechung des Kassationsgerichtshofes hat, nach einigem Zögern 1 8 6 , den i h r gewährten rechtsschöpferischen Spielraum weidlich genutzt und beim Ersatz von „dommage moral" hinsichtlich des Anspruchsgrundes wie der Anspruchsbemessung viel Großzügigkeit walten lassen 187 ; hingegen hat sich die Judikatur des Conseil d'Etat bis i n jüngster Zeit äußerste Zurückhaltung auferlegt 1 8 8 . Berühmt-berüchtigter Höhepunkt der Zivilrechtsprechung, die sich eine theoretische Fundierung ihrer Ergebnisse immer erspart hat, ist wohl eine Entscheidung der Cour de cassation, die dem Eigentümer eines vom Beklagten getöteten Rennpferdes eine für den deutschen Beobachter unbegreiflich hohe Summe als Ersatz des Affektionsinteresses zusprach 189 . Die umfangreiche Kasuistik soll uns freilich nur insoweit interessieren, als sie die je verschiedene Qualität des Ersatzes für dommage moral zu illustrieren vermag. 2. Schmerzensgeld Schmerzensgeld für Körperverletzungen 190 ist nach heute nahezu einhelliger Meinung von rein kompensatorischer Natur 1 9 1 . Die Autoren, die i n der Judikatur zum dommage moral teilweise den Gedanken 185

Ausführlich zur Entstehungsgeschichte Mazeaud / Tunc I, S. 400 f. Bis zum Jahre 1833; vgl. die Leitentscheidung der Cour de cassation, Chambres réunies 15.6.1833, S. 1833.1.458; damals dürfte freilich eher ein — n u r nicht bezifferbarer — materieller Schaden vorgelegen haben, vgl. Esmein, D. 1954, Chr. 113 (115). 187 Kasuistik bei Le Tourneau, L a responsabilité civile, Paris 1972, Nr. 318 ff.; Giese, Dommages-intérêts, S. 24 ff. 88 * Z u r älteren Praxis vgl. den Bericht v o n Luce, J.C.P. 1961, 1.1645. I n der Grundsatzentscheidung D. 1962, 34 = J.C.P. 1962, 11.12425, gewährte der Conseil d'Etat erstmals Schmerzensgeld f ü r einen mittelbaren Gefühlsschaden; der Kläger hatte den Verkehrsunfalltod seines Sohnes mitansehen müssen. I n der Zivilrechtspraxis hat der Ersatz v o n mittelbaren Gefühlsschäden lange Tradition; vgl. die Nachweise bei Mazeaud-Tunc I, S. 413 ff. * 8 9 D. 1962.199 m i t A n m . Rodière; J.C.P. 1962, 11.12557 m i t A n m . Esmein; vgl. auch die sarkastischen Bemerkungen v o n Tunc, Rev.trim.de droit c i v i l 1962, S. 316. Das getötete Rennpferd hatte einen Verkehrswert von 350.000,— F ; der Eigentümer erhielt zusätzlich 150.000,— F Affektionsinteresse zugesprochen. 190 Die französische Praxis scheidet das Schmerzensgeld i n drei einzelne Schadensposten: das „ p r e t i u m doloris", das n u r den rein physischen Schmerz ausgleichen soll; den „préjudice esthétique" infolge andauernder äußerlicher Entstellungen, Verstümmelungen u. ä.; schließlich den durch entgangene Lebensfreude verursachten „préjudice d'agrément". Einzelheiten bei Le Roy, L'évaluation d u préjudice corporel, 3. Aufl., Paris 1964, S. 61 ff. 186

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der Privatstrafe verwirklicht sehen 192 , haben das pretium doloris stets ausgenommen. Selbst der ansonsten so zurückhaltende Conseil d'Etat hat von Beginn an Schmerzensgeld für Körperverletzungen gewährt 1 9 3 . Der auch i m französischen älteren Schrifttum 1 9 4 verbreitete Einwand der Inkommensurabilität von immaterieller Einbuße und Geldersatz w i r d heute m i t Argumenten widerlegt, die der i m deutschen Zivilrecht herrschenden Kohlerschen Formel 1 9 5 inhaltlich sehr nahe kommen 1 9 6 . „Satisfaction " w i r d meist i m Kontext von „compensation" verwendet und gilt als Komponente jeglichen Schadensersatzes. Dommagesintérêts erfüllten, so liest man öfters, die Funktion einer stellvertretenden Befriedigung (satisfaction de remplacement), wo Reparation real nicht möglich sei 1 9 7 . Gelegentlich w i r d satisfaction ausdrücklich als kompensatorisch bezeichnet 198 und i n Antithese zur Strafe gesetzt 199 . Parallelen zur Genugtuung des deutschen Zivilrechts verbieten sich somit schon terminologisch 200 . Unstreitig ist der Anspruch auf dommage moral passiv vererblich; nach Rechtsprechung und h. L. w i r d er auch aktiv vererbt, jedenfalls dann, wenn er noch zu Lebzeiten des Opfers erhoben w a r 2 0 1 . Der zweite Testfall für die Kompensationstheorie, nämlich die Berücksichtigung des Verschuldensgrades sowie der Vermögensverhältnisse des Haftpflichtigen bei der Anspruchsbemessung, gibt kein ganz eindeutiges Resultat her. Zwar gilt die ältere Judikatur, die generell eine Prolöi Aubry/Rau V I , S. 4111; Carbonnier, D r o i t c i v i l I V , S. 307 f.; Marty / Raynaud, D r o i t c i v i l I I , 1, S. 361 f.; Mazeaud / Tunc I, S. 404 ff.; Planiol / Ripert / Esmein, S. 753 ff.; Ripert / Boulanger, D r o i t c i v i l I I , S. 374; Savatier, Responsabilité civile I I , S. 93. 192 Aubry/Rau, S. 406 ff.; Carbonnier, S. 306; Esmein, D. 1954. Chr. 113 ff.; Ripert / Boulanger, S. 377; Savatier, aaO. 193 Nachweise bei Luce, J.C.P. 1961.1.1645; der Conseil d'Etat verlangte jedoch, daß die erlittenen Schmerzen „caractère exceptionel" besäßen. 194 Nachweise bei Mazeaud / Tunc I, S. 403, Nr. 309 Ν. 1. 195 Dazu ausführlich schon oben § 6 1 2 a. 196 v g l . Mazeaud / Tunc I, S. 405 : „ ,Réparer 4 u n dommage . . . , c'est le plus souvent donner à la victime la possibilité de se procurer des satisfactions équivalentes à ce qu'elle a perdu . . . " 197 Ripert, L a règle morale, S. 347; Ripert / Boulanger, S. 377; Carbonnier, S. 306. 198 Savatier, S. 93. 199 Ripert, aaO, S. 348. 200 So zutreffend bereits Rohmann, S. 74; Schwartz, Die Zufügung seelischen Schmerzes i m französischen Recht, Kölner Diss. 1965, gegen Remé, S. 2 2 1 201 Hierzu die gründliche Darstellung des Meinungsstandes bei Rohmann, S. 77 ff., m i t Nachweisen. Unter den Gegnern einer freien aktiven Vererblichkeit befinden sich auch Vertreter der Kompensationstheorie: der besondere Zweck des Ersatzes, eine Ausgleichsbefriedigung zu verschaffen, sei n u r i n der Person des Opfers zu erreichen und stehe einer a k t i v e n Vererblichkeit i m Wege; so insbesondere Esmein, D. 1954. Chr. 113 f. 8 Köndgen

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2. Kap.: Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs

portionalität von Schadensersatz und Verschuldensgrad befürwortete 2 0 2 , heute durchweg als überwunden 2 0 3 . Gleichwohl scheint auch i n neueren Erkenntnissen manchmal der Verschuldensgrad die Höhe des Ersatzes immaterieller Schäden zumindest latent noch mitzubestimmen 2 0 4 . Beispielhaft ist eine Entscheidung des Pariser Appellationsgerichts 205 : Die Zeitung „France Dimanche" hatte unbefugt (nicht authentische) „Erinnerungen" aus dem Privatleben von Marlene Dietrich abgedruckt und wurde deswegen zum Ersatz des (materiellen und immateriellen) Schadens i n Höhe von 1,2 M i l l . frs. verurteilt. I n den Gründen für die Schadensschätzung ist vom Verschulden der Beklagten zwar nicht die Rede. Die Höhe des ausgeworfenen Betrages läßt sich dennoch allenfalls m i t der besonders schweren Schuld der Beklagten erklären. Explizit w i r d auch den Vermögensverhältnissen des Haftpflichtigen kein Einfluß auf die Höhe des immateriellen Schadens zugestanden, ebensowenig, wie dem Bestehen einer Haftpflichtversicherung 206 . Es dürfte freilich kaum auf Zufall beruhen, daß seit der Einführung der obligatorischen Haftpflichtversicherung i m Straßenverkehr i m Jahre 1958 mehrfach exorbitant hohe Schmerzensgeldbeträge ausgeworfen wurden 2 0 7 . Der weite Ermessensspielraum bei der richterlichen Schadensschätzung sowie deren meist sehr formelhafte Begründung 2 0 8 läßt natürlich eine Verifizierung der je angewendeten Kriterien letztlich nicht zu. Die kompensatorische Natur des Schmerzensgeldes erklärt zwanglos, daß dommage moral auch dann gewährt werden kann, wenn dem Schädiger kein Verschulden zur Last f ä l l t 2 0 9 .

202 überblick bei Mazeaud / Tunc I I I , S. 500 f. Dieser Praxis lag die A n nahme zugrunde, daß jeglichem Schadensersatz ein Moment von Strafe innewohne. 203 v g l . insbesondere die Entscheidung der Z i v i l k a m m e r der Cour de cassation ν. 21. Okt. 1946, Sem. j u r . 1946.11.3348. Auch die Ansicht der L i t e r a t u r ist heute einhellig; statt vieler Mazeaud I Tunc I I I , S. 502, m i t Nachweisen. 204 Mazeaud / Tunc I I I , S. 500. 205 Cour d'Appel Paris 16. 3.1955. D. 1955, 295. 2oe Mazeaud! Tunc I I I , S. 534 f.; Savatier, S. 188. 207 Ausführlich zu diesem Zusammenhang Viney, Le déclin de la responsabilité individuelle, Paris 1965, Ν . 257 ff.; vgl. auch Weyers, S. 175 f. Beispiele von sehr hohen Schmerzensgeldern sind etwa Cour d'Appel Paris 22.1.1966 Gaz. Pal. 1966.1.295 (154.000,—F für Schmerzensgeld, Pflegekosten u n d Verdienstausfall bis zur V o l l j ä h r i g k e i t bei zwölfjährigem Unfallopfer); Cour d'Appel Grenoble 24.10.1966 Gaz. Pal. 1966.2.338 (200.000,— F Schmerzensgeld). 208 Dieser Begründungsstil w i r d beanstandet von Carbonnier, S. 411. 209 Savatier, S. 94; Stoll, Gutachten, S. 82.

§ 7 C Genugtuung i n rechtsvergleichender Sicht

2. Weitere Fallgruppen

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von dommage moral

Ist nach allem bei der Behandlung des Schmerzensgeldes eine bemerkenswerte Einhelligkeit festzustellen, so sind die übrigen Fallgruppen, i n denen die Gerichte dommage moral gewähren, weitgehend kontrovers. Vereinzelt w i r d bereits jeglicher Ersatz von nicht auf physische Ursachen zurückführbaren seelischen Leiden (souffrance morale) funktional als Privatstrafe eingeordnet 210 . Diese Betrachtungsweise, die wohl dem aus der deutschen Tradition bekannten Bedenken gegen eine Kommerzialisierung von Gefühlswerten entspringt, mag man m i t einigem Recht für zu eng halten. Manifest w i r d der pönale Charakter der Entschädigung für dommage moral aber dann, wenn er mit dem Ziel gewährt wird, rechtswidriges Verhalten ohne relevante Schadensfolgen m i t einer Sanktion zu belegen. So wurde eine Beklagte zur Zahlung von 5000,— frs. dommage moral verurteilt, weil sie anonyme Briefe höchstprivaten Inhalts an eine Familie geschickt hatte 2 1 1 . Dommage moral mußte auch ein Lehrer an den Vater eines Schülers bezahlen, weil er vor seiner Klasse antipatriotische, antireligiöse und obszöne Reden geführt hatte 2 1 2 . Mangels eines Schadens i m Rechtssinne kann die „Entschädigung" hier nur dem Zweck einer repressiven Sanktion für Bagatellunrecht dienen 213 , dessen Kriminalisierung wenig sinnvoll und dessen öffentliche Verfolgung angesichts der meist sehr privaten Relevanz der Rechtsgutverletzung nicht erwünscht wäre. Gelegentlich begnügen sich die Gerichte m i t der richterlichen Feststellung des begangenen Unrechts — was dem Kläger immerhin zu einer autoritativen Garantie seines verletzten Rechtsguts verhilft — und verurteilen den Beklagten zur symbolischen Entschädigung von 1 F bzw. lediglich i n die Verfahrenskosten 214 . Präventionsgesichtspunkte und damit der Privatstrafcharakter kommen jedoch wieder zum Tragen, wenn der Beklagte, wie i m Regelfall, m i t einer fühlbaren Zahlungspflicht belegt w i r d 2 1 6 . I n einer weiteren Fallgruppe nimmt das Recht auf dommage moral die Aufgabe wahr, juristischen Personen den Beitritt zu einem Strafverfahren gegen den Täter zu eröffnen, damit diese i m Adhäsionsverfahren ihren Zivilanspruch realisieren können. I n einer bekannten 210 So Savatier, S. 93. 211 Poitiers, 29. 3.1930, S. 1930.2.89. 212 Dijon, 20.12.1908, D. 1909.2.13. 213 Ripert / Boulanger, S. 377. 214 Vgl. Mazeaud /Tunc I I I , S. 451, 496; Ripert / Boulanger, S. 377; Savatier, S. 94; aus der Rechtsprechung etwa Marseille, 20.12.1929, Gaz.Pal. 1930.1.426; Seine, 12. 5.1934, Gaz.Pal. 1934.2.238. Z u dem verwandten englischen I n s t i t u t der „ n o m i n a l damages" vgl. statt aller McGregor, On damages, S. 213 ff. 215 Die pönale F u n k t i o n von dommage moral i n den geschilderten Fällen ist bereits v o n Esmein, D. 1954 Chr. 113 (115 f.) festgestellt worden; vgl. auch Stoll, Gutachten, S. 77 f.; Giese, S. 38 ff., jeweils m i t weiterer Kasuistik. 8·

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2. Kap.: Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs

Entscheidung gestattete die Strafkammer der Cour de cassation einer Straßenbahngesellschaft, sich als Zivilpartei dem Strafverfahren gegen einen Autofahrer anzuschließen, der bei einem Zusammenstoß mit einem Straßenbahnwagen einige Fahrgäste verletzt hatte. Dadurch sei, so der Gerichtshof, der Gesellschaft ein auszugleichender dommage moral entstanden 216 . Ein immaterieller Schaden dürfte sich hier freilich auch bei großzügigster Betrachtungsweise nicht ermitteln lassen. Das Recht auf dommage moral ersetzt offenkundig die Befugnis zur Nebenklage i m Sinne des deutschen Straf Prozeßrechts 217 . Ähnliches gilt für das Adhäsionsrecht berufsständischer Vereinigungen (syndicats professionels), die auf diesem Wege den „dommage collectif" ihrer Mitglieder einklagen können 2 1 8 . Das Problem ist dem deutschen Prozeßrecht unter dem Stichwort „Klagebefugnis von Verbänden" geläufig 2 1 9 . Jeweils geht es u m die Lösung der prozessualen Ordnungsaufgabe, Gruppeninteressen wirksamen Gerichtsschutz zu verschaffen. Inwieweit Verbände auch öffentliche Interessen gerichtlich wahrnehmen dürfen, ist i n Frankreich noch nicht ausgetragen 220 . Materiellrechtlich t r i t t im übrigen auch beim dommage moral der Berufsverbände der Privatstrafcharakter klar zutage, da die Entschädigung den einzelnen M i t gliedern nicht zugute kommt, der klagebefugte Verband andererseits selbst nicht Geschädigter ist 2 2 1 . Der eben zitierte Fall der Ersatz ihres immateriellen Schadens begehrenden Straßenbahngesellschaft 216 illustriert schließlich noch eine letzte Funktion des Anspruchs auf dommage moral. Wenn die Gesellschaft i n diesem Beispiel durch die Verletzung ihrer Fahrgäste überhaupt einen Schaden erlitten hat, dann nur einen solchen vermögensrechtlicher Natur, etwa durch einen Rückgang des Passagieraufkommens infolge verbreiteter Zweifel an der Fahrsicherheit. Nicht ein immaterieller Schaden soll ersetzt werden, sondern ein Vermögensschaden, der sich nicht beziffern bzw. nicht einmal annähernd schätzen läßt 2 2 2 . 216 Cass. crim. 7.11.1936, Gaz.Pal. 1936.2.944. 217 Stoll, Gutachten, S. 78 f.; Giese, S. 41 f.; Esmein, aaO, bezeichnet die Behandlung dieser Fallgruppe zu Recht als „dénaturation de la notion de préjudice moral". 218 Vgl. Ch. réun., 5. 4. 1913, D. 19141.65, sowie die Positivierung eines Klagerechts i n A r t . 11 des Code d u T r a v a i l von 1920. 21» Die Rechtsprechung versucht neuerdings, die Klagebefugnis der V e r bände über das I n s t i t u t der g e w i l l k ü r t e n Prozeßstandschaft vorsichtig zu erweitern; vgl. B G H Z 48, 12. Monographische Behandlung des Problems etwa bei M. Wolf, Die Klagebefugnis der Verbände, Tübingen 1971. 220 F ü r eine solche Ausdehnung der Klagebefugnis w o h l Carbonnier, S. 307. Ablehnend noch Ch. réunies, 15. 6.1923, D. 1924 1.153. 221 Ripert, L a règle morale, S. 355 ff.; Carbonnier aaO. 222 Esmein , L a commercialisation, S. 115; ders., J.C.P. 1962.11.12557; Giese, S. 36 f. m i t weiteren Rechtsprechungsnachweisen.

§ 7 D Genugtuungsfunktion — Ergebnisse u n d Konsequenzen

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3. Kritik Der Ersatz des immateriellen Schadens i m französischen Recht vereinigt Fallgruppen von äußerster Heterogenität, beginnend mit dem Ersatz von nicht bezifferbaren Vermögensschäden über Privatstrafen bis hin zu prozessualen Funktionen. Als Hypothese ist festzuhalten, daß, mangels jeglicher normativer Kanalisierung des Ersatzes von Nichtvermögensschäden — sei es durch Enumeration von Verletzungstatbeständen wie i m deutschen Recht, sei es durch die Begrenzung auf bestimmte Arten immateriellen Schadens —, der Ersatz für dommage moral sich zu einem typischen Auffangtatbestand entwickelt hat. Daß die bequeme Handhabung dieses Auffangtatbestandes den Gedanken an eine zwischen Schadensersatz und Strafe angesiedelte Genugtuungsfunktion gar nicht erst aufkommen ließ, versteht sich am Rande.

D. Folgerungen: Genugtuung im geltenden Zivilrecht und de lege ferenda A m Schluß unserer Überlegungen bleibt die Konsequenz zu ziehen, daß keiner der Versuche, Genugtuung als eigenständiges Sanktionsprinzip zwischen Schadensausgleich und Strafe zu konstituieren, als nützliche Differenzierung und Fortentwicklung unseres Haftpflichtrechts standhalten kann. Das gilt zunächst und ganz besonders für die heute wohl herrschende Beschreibung der Genugtuung als Besänftigung des Rechtsgefühls auf der Basis des Sühnegedankens. Hinter dieser Formel verbirgt sich die Vorstellung, schmerzinduzierte Aggressionen des Unfallopfers ließen sich durch Geldzuwendungen von Seiten des Verletzers abbauen oder doch hemmen. Diese Hypothese läßt sich nach dem heutigen Stand der Aggressionsforschung nicht verifizieren. Wohltat für den Verletzten und Einbuße für den genugtuungspflichtigen Schädiger sind untrennbar miteinander verknüpft. Die Forderung nach Genugtuung erweist sich damit selbst als aggressive Handlung, die i n der Zahlung der Genugtuungssumme unsinnigerweise noch ihren Lohn findet. Die Affinität des Genugtuungsanspruchs zu archaischen Rachevorstellungen w i r d von den Befürwortern der Genugtuungsfunktion zu Unrecht geleugnet. Daß das Zivilrecht solchen Vorstellungen nicht seinen Schutz angedeihen lassen sollte, liegt auf der Hand, und zwar auch dann, wenn man der Genugtuung mittels der Idee der Sühne ethische Qualität zu verleihen sucht. Akzeptabel wäre heute allenfalls noch ein soziales Sühnekonzept; letzteres findet aber i n einer Genugtuung durch Geldzahlung an den Verletzten keine adäquate Realisierung, da der angestrebte „Ausgleich höherer A r t : < sinnvoll nicht an das Gewinnstreben des Opfers geknüpft werden kann. Die herrschende Konzeption von Genugtuung hält nach allem

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2. Kap.: Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs

einer genaueren Uberprüfung n i d i t stand. Die der Genugtuung gesetzten Zwecke werden real nicht erreicht oder sogar i n ihr Gegenteil verkehrt. Weniger leicht zu kritisieren ist der — teilweise dem schweizerischen Recht entlehnte — Vorschlag, Genugtuung als die dem immateriellen Schaden spezifische Form des Ausgleichs zu begreifen. Die Schwierigkeit hat ihre Wurzel darin, daß der Rechtsbegriff „immaterieller Schaden" nur geringe Randschärfe besitzt und einen prinzipiell offenen Tatbestand beschreibt. Mangels eines anerkannten Wertmaßstabes — als solcher fungiert bei Vermögensschäden der Marktpreis — w i r d die Rechtskategorie des immateriellen Schadens tendenziell deckungsgleich mit einem vorrechtlichen subjektivistischen Schadensbegriff, der jede Störung eines — sei es noch so absurden — Individualinteresses umfaßt. Die Gefahr einer solchen Ausuferung ist am Beispiel des französischen Haftungsrechts augenfällig geworden; dommage moral hat sich dort zu einem Auffangtatbestand für die verschiedensten Regelungsziele materiellrechtlicher und prozessualer Provenienz entwickelt. Eine Begrenzung des immateriellen Schadens i m Rechtssinne ist nur möglich, wenn man nicht die bloß subjektive, sondern die gesellschaftliche Wertschätzung des verletzten Individualinteresses zum Indikator erhebt. Daß es auch hier Grenzfälle gibt, zeigt wiederum das französische Recht mit seiner nicht zur Ruhe kommenden berüchtigten Kontroverse u m die Ersatzfähigkeit des mittelbaren Gefühlsschadens der Konkubine 2 2 3 . Wo die Grenzlinie i m Einzelfall verläuft, braucht hier nicht geklärt zu werden. Daß bestimmte psychische Reaktionen auf die Verletzung der physischen Integrität wie aggressive Gefühle gegen den Verletzer, Wut oder Ärger gesellschaftlich mißbilligt werden und daher keinen anerkennungsfähigen immateriellen Schaden darstellen können, sollte heute nicht mehr umstritten sein. Die Genugtuungsfunktion läßt sich daher legitimerweise nicht für die Schadenskompensation reklamieren. Übrig bleibt, i n der Genugtuung eine Renaissance der Privatstrafe zu sehen 224 . Nur die Privatstraffunktion erklärt schlüssig die — wenn schon nicht immer beabsichtigten, so doch real durchaus dominierenden — general- und spezialpräventiven Wirkungen 2 2 5 , die von dem dem Genugtuungspflichtigen abgenötigten Vermögensopfer ausgehen. Auch der der Genugtuung von der h. M. zugeschriebene Sühnecharakter hat, als Unrechts- und nicht erfolgsbezogenes Moment, seinen legitimen Ort — wenn irgendwo — i m Strafrecht. I n der Straffunktion der Genugtuungsleistung findet schließlich auch deren höchstpersönliche Natur ihre zwanglose Rechtfertigung. 223 Dazu statt aller Mazeaud / Tunc I, S. 422 f. 224 Bötticher, Referat, S. C 1 7 f f . ; H. J. Hirsch, S. 317 ff.; Niemeyer, Pecher, S. 77. 225 Niemeyer, S. 104.

S. 98 ff.;

§ 7 D Genugtuungsfunktion — Ergebnisse u n d K o n s e q u e n z e n 1 1 9

Ist Genugtuung nach allem schlüssig nur als Privatstrafe zu qualifizieren, so stellt sich die weitere Frage, ob und i n welchem Umfang eine Renaissance der Privatstrafe im Zivilrecht 226 verfassungsrechtlich unbedenklich und rechtspolitisch zweckmäßig ist. Vorsicht geboten ist vor allem angesichts der Warnung Böttichers 227, die Verhängung von Privatstrafen durch den Zivilrichter verletze nicht nur rechtsstaatliche Grundsätze (Art. 103 GG), sondern beraube den Genugtuungspflichtigen auch wichtiger, teilweise Verfassungsrang besitzender strafprozessualer Verfahrensgarantien. Schmerzensgeld wegen Verletzung der physischen Integrität bedarf jedenfalls der Privatstrafkomponente nicht, u m juristisch lebensfähig zu sein 2 2 8 . Dies beweist nicht nur die deutsche Rechtsentwicklung i n der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, sondern auch der Vergleich mit wichtigen ausländischen Zivilrechtsordnungen, denen die alleinige Kompensationsfunktion des Schmerzensgeldes bare Selbstverständlichkeit ist. Das hat durchaus seinen guten Grund. Der Durchschnittsunfall m i t Verletzungsfolgen enthält keinen Angriff auf die Persönlichkeit des Opfers, der den Gedanken an eine Privatstrafe evozieren könnte 2 2 9 . Für sämtliche physisch und psychisch beeinträchtigenden Verletzungsfolgen w i r d das Opfer schadlos gehalten, so gut dies mittels Geldzuwendungen irgend möglich ist. Wo das Unrecht der Verletzung nach Strafe ruft, ist durch die flexible Regelung des § 232 StGB die staatliche Bestrafung gewährleistet. Wer sich durch die besonderen Umstände einer Körperverletzung i n seiner Persönlichkeit angegriffen und i n seinem Rechtsgefühl gekränkt fühlt, mag letzteres durch A n schließung als Nebenkläger bzw. durch Erhebung einer Privatklage wieder ins Lot bringen. Ein Grenzbereich, i n dem die Privatstrafe eine sinnvolle Funktion hätte, ist nicht erkennbar. Nur ein Abrücken von der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes macht i m übrigen Schluß m i t der bei Verkehrsunfallverletzungen immer wieder gerügten, aber von der Rechtsprechung nie zur Kenntnis genommenen Anomalie, daß die ihrer Intention nach nur höchstpersönlich erbringbare Genugtuung von der Haftpflichtversicherung geleistet w i r d 2 3 0 . Durch diese Praxis ist die Genugtuungsfunktion i m wichtigsten und umfangreichsten Zweig des Haftungsrechts, nämlich i m Verkehrshaftpflichtrecht, längst pervertiert. 226 Z u r Wiederbelebung der Privatstrafe i m Gewand der strafrechtlichen Buße Niemeyer, S. 134 ff. 22 7 Referat, S. C 18; vgl. auch H. J. Hirsch, S. 324 ff.; Niemeyer, S. 111 ff. 228 Niemeyer, S. 98 ff.; Pecher, S. 70 f.; Remé, S. 52 ff.; jetzt w o h l auch, i m Gegensatz zu früheren Stellungnahmen, Stoll, Penal purposes, S. 15 f.; ders., D A R 1968, 304 f. 22 » Stoll, aaO, S. 16. 230 Insbesondere Härtung, N J W 1957, 125; neuerdings wieder Kürzel, VersR 1970, 116; Pecher, S. 76.

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2. Kap. : Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs

Die einzig mögliche Konsequenz, die Genugtuung vom kompensatorischen Schmerzensgeld abzuspalten und als selbständigen, nicht versicherungsfähigen Anspruch zu etablieren 2 3 1 , ist nach geltendem Recht nicht möglich. De lege ferenda hat Stoll 232 den Vorschlag gemacht, i n Anlehnung an die englischen exemplary bzw. aggravated damages auch bei Verletzung von Vermögensgütern „ i n allen Fällen vorsätzlicher und rücksichtsloser Rechtsverletzung" einen verselbständigten Genugtuungsanspruch zu geben; als Beispielfälle nennt Stoll die „mutwillige" Zerstörung fremder Sachen, den „frivolen" Vertragsbruch oder auch die „gewissenlose" Ausnutzung fremder gewerblicher Leistungen. Der Reformvorschlag w i r d bereits durch seine Sprache denunziert. Eine derartige atavistische Repönalisierung des Zivilrechts müßte privatem Vergeltungsstreben Tür und Tor öffnen; i n völligem Gegensatz dazu sind w i r heutzutage geneigt, die Tendenz zur Entpersönlichung des Haftpflichtrechts 233 als evolutionäre Errungenschaft zu feiern. Die Zurückdrängung der Privatstrafe i m englischen Recht gibt nicht zuletzt Zeugnis von dieser Entwicklung 2 3 4 . Einzige Domäne einer als Privatstrafe verstandenen Genugtuung bleibt der zivilrechtliche Persönlichkeitsschutz, wo die Schließung einer Rechtsschutzlücke dringlich erschien. Dies ist an anderer Stelle schon erläutert worden 2 3 5 und bedarf hier keiner Wiederholung. I m übrigen ist die Genugtuung aus dem Haftpflichtrecht zu eliminieren 2 3 6 . Sie ist ohnehin sozusagen von außen an den § 847 BGB, der bekanntlich von Genugtuung nichts weiß, herangetragen worden. Wissenssoziologisch spricht vieles für die These, die Blüte der Genugtuung i m deutschen Haftungsrecht verdanke sich nur den tief i m deutschen Rechtsdenken verwurzelten, dem Ersatz von immateriellen Schäden wenig günstigen idealistischen Traditionen 2 3 7 , die schließlich i n der Vorschrift des § 253 231 Härtung aaO. 232 Gutachten, S. 153 f. 233 Bötticher, Referat, S. C13; Weyers, S. 350 ff., 575 ff. 234 Die 1962 v o n Remé, S. 38 ff. (43) diagnostizierte Tendenz zur Zurückdrängung des Kompensationsgedankens läßt sich gegenwärtig nicht mehr feststellen. 235 o b e n § 5. 23β Eine neuartige zivilrechtliche Sanktion m i t erklärtem Präventionszweck möchte der von den „Alternativprofessoren" vorgelegte E n t w u r f eines Gesetzes gegen den Ladendiebstahl (Recht u n d Staat, Heft 439) einführen. Danach hat der Ladendieb an den Geschädigten den Ladenpreis, mindestens aber 50,— D M als zivilrechtliche Sanktion herauszugeben. I n dieser Sanktion ist freilich auch eine Positivierung des — bekanntlich sehr streitigen, vgl. Canaris, N J W 1974, 523 ff. — Ersatzes v o n Vorhaltekosten enthalten. Insofern mag die Systemwidrigkeit der geplanten Sanktion erträglich sein. 237 Dazu bereits oben § 3 I I I . Z u weiteren ideologischen u n d soziologischen Determinanten der deutschen Entwicklung aufschlußreich die Thesen von Dammann, ZRP 1970, 76 ff.

§ 8 Schmerzensgeld u n d Gefährdungshaftung — Funktionsvergleich

121

BGB kulminierten. Diese Norm hat jeglichen Versuch, den Ersatz von Nichtvermögensschäden auszudehnen, einem starken Rechtfertigungszwang unterworfen. Nichts lag daher näher, als neue Formen des Ausgleichs von immateriellen Einbußen nicht als — dem Verdikt materialistischer Gesinnung ausgesetzte — Kompensation zu bezeichnen, sondern denselben Genugtuungsfunktion zu attestieren und damit gleichsam das Siegel höherer ethischer Dignität aufzudrücken 238 . Für das Gegenbeispiel steht das französische Zivilrecht, wo — mangels irgendeiner Begrenzung des Ersatzes von dommage moral — sogar veritable Privatstrafen als Schadensausgleich firmieren.

§ 8 Schmerzensgeld u n d Gefährdungshaftung Funktionsvergleich Vorbemerkung

I m folgenden ist der Nachweis zu führen, daß eine Eliminierung der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes i. e. S., wie sie vorstehend gefordert und begründet wurde, viele theoretische und praktische Probleme vermeidet, m i t denen der Referentenentwurf sich infolge seiner zweispurigen Konzeption des Schmerzensgeldes — bei Verschuldenshaftung inklusive, bei Gefährdungshaftung exklusive Genugtuungsfunktion — konfrontiert sieht. Zunächst ist die Kompatibilität der Genugtuung mit den haftungsrechtlichen Zurechnungsprinzipien kurz nachzuprüfen. I. Genugtuung und haftungsrechtliche Zurechnungsprinzipien

1. Verschuldenshaftung Daß die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes eine schuldhaft begangene unerlaubte Handlung voraussetzt und sich m i t der verschuldenslosen Gefährdungshaftung nicht verträgt, hat schon die Begründung zum Referentenentwurf zutreffend erkannt 1 . Eine funktionale Differenz t r i t t freilich nicht erst de lege ferenda 2 bei Gefährdungs238

Daß dergleichen Versuche noch keineswegs der Rechtsgeschichte angehören, zeigt die Ablehnung eines Schmerzensgeldes bei n u r leicht fahrlässig verursachten Körperschäden durch Lemhöfer, VersR 1967, 1135: es fehle bei solchen Schäden „das ethische Pathos, das für das Rechtsbewußtsein i n Deutschland ein Schmerzensgeld rechtfertigen könnte". 1 Der Funktionswiderspruch versteht sich freilich n u r bei Gleichsetzung von Genugtuung m i t Privatstrafe von selbst. Qualifiziert man Genugtuung m i t der h. M. als Besänftigung des gekränkten Rechtsgefühls, so läßt sich der Widerspruch unter psychologischen Aspekten n u r schwer begründen; ausführlich oben § 7 Β I 2 b. 2 A u f die — nicht analogiefähigen — Tatbestände des § 833 B G B u n d § 53 Abs. 3 L V e r k G ist schon i n der Einleitung hingewiesen worden.

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2. Kap.: Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs

haftung, sondern schon bei der vom BGB selbst statuierten Haftung für Verschulden zutage. Sie hat ihre Wurzel darin, daß Verschulden bei Genugtuung einerseits und Verschulden bei Haftung auf Schadensausgleich andererseits grundlegend verschiedenen Regelungszwecken dient und deshalb inhaltlich nicht zur Kongruenz zu bringen ist. Nach h. L. handelt es sich bei der Fahrlässigkeitshaftung u m eine Haftung für „typisiertes Verschulden" 3 . Nach dem hier vertretenen Konzept 4 ist auch die Fahrlässigkeitshaftung eine Form der Risikozuteilung. Die Kategorie des Verschuldens — verstanden als Zurechnung zum Willen — hat dabei keine legitime Funktion mehr. Fahrlässigkeit ist Unrechtshaftung, Haftung für objektiv pflichtwidriges Verhalten. Genugtuung läßt sich m i t Unrechtshaftung nicht und ebensowenig m i t einer objektivierten Verschuldenshaftung i m Sinne der h. L. vereinbaren. Das ist für die Privatstraftheorie kein Problem 5 , w i r d aber auch von den Befürwortern der herrschenden Genugtuungsformel eingeräumt 6 . Auch für die Privatstrafe muß angesichts ihrer repressiven Funktion der Fundamentalsatz nulla poena sine culpa gelten. Culpa, genauer: Fahrlässigkeitsschuld beinhaltet hier aber den Vorwurf, der Täter habe i n der konkreten Situation anders handeln können; sie ist individuelle Vorwerfbarkeit 7. Damit ergibt sich bereits bei zivilrechtlicher Fahrlässigkeitshaftung eine Funktionsdifferenz: Schadensausgleich verlangt objektiv pflichtwidriges Verhalten, Genugtuung verlangt „überschießend" noch individuelle Vorwerfbarkeit. Die Differenz ist freilich eher von theoretischer als von praktischer Relevanz, da i n der Praxis — nicht zuletzt angesichts der Beweisschwierigkeiten bei individueller Vorwerfbarkeit — eine tendentielle Annäherung der beiden Fahrlässigkeitsbegriffe festzustellen ist 8 . Praktisch relevant ist der Funktionsunterschied indes bei Haftung für vermutetes Verschulden (§§ 831 ff. BGB). Nach der hier vertretenen Konzeption handelt es sich dabei real u m vermutete (objektive) Pflichtwidrigkeit. Die Vermutung bewirkt eine objektive Zurechnung des Unaufklärbarkeitsrisikos hinsichtlich des schadenstiftenden Geschehens3 Larenz, SchR I § 20 I V . 4 Oben § 2 I V . 5 Vgl. Bokelmann, Grobe Fahrlässigkeit, Karlsruhe 1973, S. 148 f. β Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 339 ff. 7 Z u r Fahrlässigkeit als strafrechtlicher Schuldform hier n u r Schmidhäuser, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 1970, S. 335 ff.; zum strafrechtlichen Schuldbegriff allgemein Baumann, Strafrecht, §§ 23 I I I , 24. Kritisch zu den traditionellen strafrechtlichen Schuldkonzeptionen jetzt Roxin, „Schuld" u n d „Verantwortlichkeit" als Systemkategorien, i n Festschr. Heinrich Henkel, 1974, S. 181 ff. s Wiethölter, Rechtfertigungsgrund, S. 46 bei N. 159; Weyers, S. 387.

§ 8 Schmerzensgeld u n d Gefährdungshaftung — Funktionsvergleich

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ablaufs. Sie ist prozessuale Konsequenz des Einstehenmüssens für den eigenen Geschäfts- und Gefahrenbereich 9 . Paradigma ist die Beweislastverteilung beim sog. Organisationsverschulden i n Großbetrieben 10 und die richterrechtliche Beweislastumkehr bei der Produktenhaftpflicht 11 . I m Ergebnis kann sich die Beweislastumkehr einer Gefährdungshaftung nähern, „ w e i l die Unaufklärbarkeit eines Geschehensablaufs oft nur ein anderer (nämlich der kognitive) Aspekt seiner unvollständigen Beherrschung ist, welche das Motiv für die Gefährdungshaftung abgibt" 1 2 . M i t der Unrechtshaftung hat die deliktische Verschuldensvermutung dagegen gemein, daß sie Verhaltensrisiken zurechnet; einen wirklichen Grenzfall bildet wohl die Nutztierhalterhaftung. Strafrechtliche Schuld als individuelle Vorwerfbarkeit verträgt keine Schuldvermutung. Der Grundsatz „ i n dubio pro reo" ist das notwendige prozessuale Korrelat der Regel „nulla poena sine culpa". Privatstrafe i n Form von Genugtuung kann daher einem aus vermuteter Pflichtwidrigkeit haftenden Schädiger nicht auferlegt werden 1 3 . 2. Gefährdungshaftung Die bereits für die Fahrlässigkeitshaftung konstatierte Funktionsdifferenz w i r d bei Gefährdungshaftung vollkommen. Wo nicht mehr für pflichtwidriges Verhalten, sondern für realisierte Sach- und Betriebswagnisse gehaftet wird, verliert die Schädigung jede personale Komponente; die vom Großen Senat betonte besondere persönliche Beziehung zwischen dem Opfer und seinem Verletzer 1 4 , i n der Genugtuung wirken soll, kommt hier von vornherein nicht zustande. Raum ist daher weder für Sühne noch für Besänftigung des Rechtsgefühls. Nicht einmal die Ausgleichstheorie der Genugtuung 15 w i r d hier einen Genugtuungsanspruch gewähren können. Verursacht ein mit dem Halter nicht identischer Fahrzeugführer fahrlässig einen Unfall, so werden sich — etwa auszugleichende — aggressive Gefühle des Verletzten nur gegen den Handelnden richten, aber nicht gegen den Halter, mag dieser auch als Beifahrer beim Unfall gegenwärtig sein. Genugtuung ist mit Gefährdungshaftung schlechthin unvereinbar. 9 Dazu J. Prölss, Beweiserleichterungen i m Schadensersatzprozeß, 1966, S. 65 ff.; Diederichsen, Z u r Beweislastverteilung bei Schadensersatzansprüchen aus Vertrag, D e l i k t u n d Gefährdungshaftung, Karlsruher F o r u m 1966. 10 Hierzu Esser, SchR I I , § 110 1 1 b ; B G H Z 4, 1. 11 B G H Z 51, 104 ff. („Hühnerpestfall"); zum Ganzen W. Lorenz, Beweisprobleme bei der Produzentenhaftung, AcP 170, 367 ff. 12 Weyers, S. 355. 13 Ergebnis bereits bei Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 342 f. 14 B G H Z 18, 157. is Oben § 7 Β I I I .

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2. Kap. : Funktionsanalyse des Schmerzensgeldanspruchs I I . Dispositivität der Genugtuungsfunktion?

M i t Recht gibt der Referentenentwurf die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes bei Gefährdungshaftung auf. Ganz i m Gegensatz hierzu w i r d aber die bislang „ n u r " richterrechtlich geltende Genugtuungsfunktion i m neugefaßten § 847 BGB explizit festgeschrieben. Auffällig ist auch die Nonchalance, m i t der Befürworter des Referentenentwurfs die Genugtuungsfunktion, die i m Bereich der schuldhaften unerlaubten Handlungen noch als dem Schmerzensgeld immanenter Faktor gerühmt worden war, fallen lassen 16 . Ob bei Gefährdungshaftung die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes ohne weiteres amputiert werden kann, hängt davon ab, inwieweit dem Schmerzensgeld das Genugtuungsmoment „wesenseigen" ist. Die Judikatur gibt keine ganz klare Antwort. Der Große Zivilsenat formuliert, i m Ausgleichsgedanken „schwinge" noch heute „etwas vom Charakter der Buße oder (...) der Genugtuung m i t " 1 7 . Das ist zwar sehr bildhaft, aber wenig präzise. Konkreter w i r d eine spätere Entscheidung des V I . Senats: Schmerzensgeld sei eine „ i n sich einheitliche billige Entschädigung", Ausgleich und Genugtuung stellten sich „als bloße Funktionen, d. h. Wirkungsweisen, des einen Schmerzensgeldes dar" 1 8 . Diese Formulierung legt den Schluß sehr nahe, daß Genugtuung — bei aller Präponderanz des Ausgleichsgedankens 19 — ein essentiale des Schmerzensgeldanspruchs sein soll, das man nicht beliebig aufgeben kann, ohne Funktion und Wirkung des Schmerzensgeldes i m ganzen i n Frage zu stellen 20 . Der Referentenentwurf würde damit eine dogmatische Ungereimtheit ins BGB tragen, er würde für Gefährdungshaftung einen Schmerzensgeldtyp kreieren, den es nach der oben skizzierten Auffassung des B G H gar nicht geben kann. Der Referentenentwurf selbst nimmt explizit zum Zusammenspiel der Schmerzensgeldfunktionen nicht Stellung, gibt jedoch schlüssig zu erkennen, daß er das Genugtuungsmoment i m Schmerzensgeld für disponibel hält 2 1 . Für die Privatstraftheorie liegt hier kein Problem. Als Privatstrafe hat Genugtuung m i t der anderen, der Ausgleichsfunktion absolut nichts 16 Krüger-Nieland, S. C 38 ff. einerseits, S. C 45 f. andererseits. Die I n k o n sequenz des Entwurfs ist bereits von Reimer Schmidt, S. 375, gerügt worden. 17 B G H Z 18, 155. 18 B G H VersR 1961, 164. I m gleichen Sinne B G H VersR 1956, 223 f.: Die ausnahmsweise normierte Pflicht des Schädigers zum Ersatz des immateriellen Schadens sei „entscheidend mitbegründet i n dem Gedanken der Genugtuung". ι» B G H (GSZ) 18, 154. 20 Diesen Schluß hat i n der Tat Rohmann, S. 147 f., gezogen. 2 1 Begründung, S. 153 f.

§ 8 Schmerzensgeld u n d Gefährdungshaftung — Funktionsvergleich

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zu tun; die Ausgleichsfunktion ihrerseits ist auch beim immateriellen Schaden ohne „Veredelung" durch den Genugtuungsgedanken theoretisch und praktisch möglich und, wie die Rechtsvergleichung zeigt, juristisch lebensfähig. Die Eigenart der Nichtvermögensschäden verlangt nicht zwingend nach Genugtuung 22 . Die Zusammenfassung beider Sanktionsformen i n einem Anspruch durch den Großen Zivilsenat kann danach schwerlich als dogmatisch geglückte Rechtsfortbildung gelten und entsprach allenfalls einem Vereinfachungsinteresse der haftpflichtrechtlichen Praxis. Auch Stoll 2 3 hält, auf dem Boden der herrschenden Genugtuungsformel, Genugtuung und Kompensation von Nichtvermögensschäden für Sanktionstypen, die nicht aufeinander angewiesen sind. Ein Genugtuungsbedürfnis könne auch bei deliktischen Vermögensschäden oder auch bei gröblichen Vertragsverletzungen bestehen. Konsequent w i l l er Schadensersatz und Genugtuungssanktion i n zwei voneinander unabhängigen Ansprüchen verselbständigen. Wie bereits ausgeführt, halten w i r eine Ausdehnung des Genugtuungsgedankens rechtspolitisch nicht für wünschenswert. Die anspruchstechnische Trennung beider Sanktionsformen würde aber immerhin einen Teil der praktischen Probleme der Referentenentwurfslösung überwinden helfen. Darauf ist später noch ausführlich einzugehen.

22 W. Schmid, S. 98 ff. 23 Gutachten, S. 154 ff.

Drittes

Kapitel

Praktische Probleme einer Schmerzensgeldreform § 9 Zielsetzungen A. Zur Methode bei der Gesetzgebung1 Ein seiner Genugtuungsfunktion entkleidetes Schmerzensgeld kann, wie w i r sahen, ohne dogmatische Widersprüche auch bei Gefährdungshaftung i n seiner Ausgleichs- bzw. Uberwindungsfunktion wirken 2 . Weder eine normative Bindung des Gesetzgebers noch auch nur die Gefahr einer Wertungsinkonsequenz 3 stehen i m Wege. Die Billigung des Reformprojekts hängt m i t h i n allein von der Plausibilität der rechtspolitisch-praktischen Argumente ab, die auf den verschiedensten Ebenen vorgetragen werden. Zu ihrer Klassifizierung bedarf es einiger grundsätzlicher Bemerkungen. Gesetze und Gesetzesänderungen bedürfen als Zweckprogramme, die gestaltend auf die soziale Realität einwirken sollen, sorgfältiger und methodischer Vorbereitung 1 . Ausgangspunkt w i r d sein die Diagnose eines als unbefriedigend empfundenen Zustands (Problemdefinition). Ihr schließt sich der Entwurf von Zielvorstellungen an (Definition des erwünschten Zustandes), dann die Selektion der zur Realisierung geeignetsten Mittel (Optimierung der Ziel-Mittel-Relation). Unter der Rubrik Folgenberücksichtigung erfolgt schließlich eine prognostische Bewertung von nicht intendierten, möglicherweise unerwünschten Neben- und Spätfolgen 4 , gegebenenfalls mit der Abwägung verbunden, ob die Nebenfolgen den von den intendierten Wirkungen erhofften Gewinn nicht wieder zunichte machen. A n methodischen Hilfsmitteln stehen zur Verfügung insbesondere die empirische Sozialforschung — 1 W i r folgen hier i m wesentlichen Noll, Gesetzgebungslehre, S. 63 ff. Vgl. auch Opp, Soziologie i m Recht, Reinbek 1973, S. 126ff.; aus kybernetischer Sicht ferner Hopt, Finale Regelungen, Experiment u n d Datenverarbeitung i n Recht u n d Gesetzgebung, J Z 1972, 65 ff. 2 W. Schmid, S. 73 f., schreibt Esser die Ansicht zu, der Ausgleich von immateriellen Schäden lasse sich m i t der rein verteilenden Gerechtigkeit nicht vereinbaren. Das ist insoweit nicht ganz richtig, als Esser, Gefährdungshaftung, S. 108, lange v o r dem Großen Zivilsenat i m Schmerzensgeld das Genugtuungsmoment dominieren ließ. 3 Hierzu bereits oben, Einleitung S. 19. 4 Noll, S. 156 ff.

§ 9 Zielsetzungen

127

etwa bei der Problemdefinition —, ferner als prognostische Instrumente Simulation und Planspiel 5 zur Optimierung der Ziel-Mittel-Relation. Der Referentenentwurf kann den Anforderungen einer wissenschaftlichen Methode der Gesetzgebung nicht annähernd genügen. A n der Stelle eines wertenden Vergleichs der Zustände vor und nach Verwirklichung des Reformprojekts steht der pauschale Verweis auf ähnliche Regelungen „ i n fast allen ausländischen Rechtsordnungen" 6 . Als Zielvorstellung w i r d immerhin die Erleichterung der Haftpflichtpraxis genannt. Folgenorientierung findet praktisch nicht statt, empirische Untersuchungen über die ökonomische Tragweite der Neuregelung fehlen völlig. Die wichtigsten Gesichtspunkte sind denn auch erst später von den K r i t i k e r n 7 und Befürwortern 8 des Referentenentwurfs zusammengetragen worden. B. Zielvorstellungen einer Schmerzensgeldnovelle Die m i t der Gewährung von Schmerzensgeld bei Gefährdungshaftung verfolgten Ziele lassen sich grob i n zwei Kategorien einordnen. Zunächst w i r d eine Verbesserung des Schutzes der physischen Integrität bezweckt (I). Die zweite Kategorie bilden primär praktische Ziele wie die Entlastung der Versicherungswirtschaft oder die Vermeidung von Haftpflichtprozessen (II). I . Verbesserung des haftungsrechtlichen Schutzes der physischen Integrität

A n Argumenten werden ins Feld geführt die Ergebnisse der Rechtsvergleichung (1) und der Gleichheitsgrundsatz (2) vom Referentenentwurf selbst 9 , ferner die von der Verfassung aufgegebene Höherbewertung immaterieller Güter i m Vergleich zu den Vermögenswerten 10 (3). Nicht zu den diskussionswürdigen Argumenten rechnet die vereinzelt gebliebene Berufung auf das „Rechtsbewußtsein der Bevölkerung" 1 1 . Sie ist als Konsenskriterium grundsätzlich dubios und w i r d 5 Dazu Hopt, Simulation u n d Planspiel i n Recht u n d Gesetzgebung, i n Datenverarbeitung u n d Recht, Bd. 1 (1972), Heft 1, S. 1 ff. ο Begründung, S. 158. 7 Verdienstvoll Sauden, VersR 1967, 413, durch die Verwertung statistischen Materials. « Ausführlich W. Schmid, S. 103 ff. 9 Begründung, S. 157 f. Der Gleichheitssatz k l i n g t auch bei Deutsch, VersR 1971, 5, i n der Erwägung an, daß die bei Gefährdungshaftung allein wirksame Ausgleichsfunktion „ v o m Ersatz des materiellen Schadens nicht wesensverschieden ist". 10 Ausführlich W. Schmid, S. 104. 11 Lemhöfer, VersR 1967, 1134. Auch Deutsch, VersR 1971, 5, ist der Ansicht, der Ausschluß v o n Schmerzensgeld bei Gefährdungshaftung widerspreche „ d e m heutigen Rechtsgefühl".

128

3. Kap. : Probleme einer Schmerzensgeldreform

als Abstraktion ohne empirisch erwiesene reale Entsprechung vollends beliebig. 1. A u f Grund einer rechtsvergleichenden Übersicht kommt der Referentenentwurf zu dem Ergebnis, daß „fast alle ausländischen Rechtsordnungen" eine dem Referentenvorschlag ähnliche Regelung getroffen hätten. Über die Methode dieser Rechtsvergleichung kann man sich nur wundern. Als „quantitative Rechtsvergleichung" besitzt sie — abgesehen von dem offenkundigen Mangel, daß sie nicht einmal die herangezogenen Vergleichsländer angibt — nur geringe Überzeugungskraft. Sie orientiert sich am — oft zufälligen — statistischen Durchschnitt, anstatt m i t Hilfe einer funktionalen Methode die relevanten Problemstellungen und Wertungskriterien herauszuarbeiten 12 . Zudem bleiben wichtige Variable wie z. B. die Gesellschaftsstruktur eines Vergleichslandes unberücksichtigt. Auch das Ergebnis der Rechtsvergleichung ist nicht so eindeutig, wie der Entwurf vorgibt. Ungerechtfertigt ist freilich die K r i t i k , das Ergebnis sei irreführend, da die meisten ausländischen Rechte eine Gefährdungshaftung nicht kennten und es deshalb für eine ertragversprechende Rechtsvergleichung am tertium comparationis fehle 13 . Das ist ein Fehlschluß, der seinen Ursprung i n einer an den dogmatischen Oberflächenstrukturen haftenden und deshalb heute überwundenen Betrachtungsweise hat. Diese verkennt, daß die Ordnungsprobleme der Gefährdungshaftung ausländischen Rechten auf ähnlicher Zivilisationsstufe i n gleichem Maße aufgegeben sind. Weyers hat i n einer sorgfältigen Analyse 1 4 nachgewiesen, daß, ungeachtet aller dogmatisch-konstruktiven Vielfalt i m Detail, regelmäßig die auch für die Begründung der deutschen Gefährdungshaftung typischen Kriterien der Beherrschung oder Nutzung von Gefahrenquellen für die Zuteilung von Unfallschäden anhand objektiver Verantwortungskreise bestimmend sind 1 5 . Objektiv ist hier die Gefährdungshaftung i m Vordringen, mag sie auch einstweilen noch i m Gewände von Mischformen einhergehen, wie etwa der Haftung für vermutetes Verschulden i n ihren diversen Spielarten 16 . 12

Sandrock, Methode zivilistischer Rechtsvergleichung, S. 48. Sauden, VersR 1967, 415. Sandens eigene rechtsvergleichende Betrachtungen sind allerdings, da stark verkürzt u n d fast durchweg aus zweiter H a n d stammend, ebenfalls ziemlich wertlos. 14 Vgl. insbes. die Zusammenfassung S. 385 f., 396 ff. 15 Weyers, S. 398; ähnlich Zweigert / Kötz, Haftung f ü r gefährliche A n lagen, S. 48 ff. 16 Vgl. etwa die beweisrechtliche „res ipsa l o q u i t u r " - D o k t r i n i m englischen Recht — dazu statt vieler Winfield & Jolowicz, S. 72 ff. ; ferner die Regelung der Sachhalterhaftpflicht i n art. 1384 C.c. — dazu grundsätzlich zuletzt Zachert, Gefährdungshaftung, S. 37 ff., 194 ff. Bei der Sachhalterhaftung des französischen Rechts w i r d gelegentlich sogar n u r der E n t lastungsbeweis höherer Gewalt zugelassen; Ripert / Boulanger, S. 334, Nr. 902. 13

§ 9 Zielsetzungen

129

A u f die ausländischen Regelungen kann sich der Entwurf aber insoweit nicht berufen, als einige von diesen, wie an früherer Stelle nachgewiesen 17 , eine Genugtuungs- bzw. Privatstraffunktion des Schmerzensgeldes entweder nicht kennen oder dieselbe vom eigentlichen Schmerzensgeld auch anspruchstechnisch unterscheiden. Ersteres gilt für das französische Recht und für die h. M. zur Genugtuung des Schweizerischen Obligationenrechts. Die zweite Lösung ist die des Common Law. Wie sich zeigen wird, entstehen gerade dadurch, daß der Entwurf diesen Unterschied ignoriert und zwei Typen von Schmerzensgeld schafft, erst die meisten mißlichen Konsequenzen der Neuregelung. 2. Das Argument, sachliche Gründe für eine unterschiedliche Behandlung von Körperschäden bei Verschuldenshaftung einerseits und Gefährdungshaftung andererseits seien nicht ersichtlich 18 , bringt den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des A r t . 3 I GG ins Spiel. A r t . 3 I GG spricht ein Verbot willkürlicher, w e i l sachfremder Differenzierung bei materiell gleichen Tatbeständen aus 19 , das auch den Gesetzgeber bindet. Fraglos kann es hier nicht darum gehen, der geltenden Regelung das Verdikt der Verfassungswidrigkeit anzuhängen. Das BVerfG hat gerade auch für den Gleichheitssatz immer wieder betont, daß die strikte Grundrechtsbindung des Gesetzgebers (Art. 1 I I I GG) diesem gleichwohl noch Entscheidungsspielräume i m Detail offenläßt, i n deren Grenzen (noch) verfassungskonforme Regelungen möglich sind 2 0 ; m. a. W.: ob eine Norm zweckmäßiger oder gerechter sein könnte, spielt keine Rolle, solange sie diesseits des Willkürverbots liegt. F ü r unsere Fragestellung wäre aber schon der Nachweis ausreichend, daß die vom Entwurf gewählte Regelung dem Gleichheitssatz besser entspricht als das geltende Recht. Nicht der status negativus ist hier tangiert, sondern die Programmqualität einer Wertentscheidung der Verfassung ist zu aktualisieren 21 . Vergleichsgrößen sind die Ersatzberechtigungen eines i n seiner physischen Integrität Verletzten i n ihrem je verschiedenen Umfang bei Verschuldens- und Gefährdungshaftung. Zu fragen ist, ob die funk17 Oben § 7 C. 18 Oben N. 9. i® Allgemeine Meinung; statt aller Maunz / Dürig / Herzog, Rz. 331 ff. zu A r t . 3 1 GG. so Zuletzt BVerfGE 34, 131 f., zum Ausschluß von Schmerzensgeldansprüchen durch §§ 6361, 637 I RVO. Dürig, Rz. 295 spricht anschaulich von einer „Einengung des Vergleichsfeldes". 2i Dazu noch sub 3 pr. Weiterführend Häberle, Grundrechte i m Leistungsstaat, W D S t R L 30, 90 ff. 9 Köndgen

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3. Kap. : Probleme einer Schmerzensgeldreform

tionalen Unterschiede zwischen den beiden Haftungsformen auch eine Differenzierung i n der Schmerzensgeldfrage rechtfertigen. Das BVerfG hat eine vergleichbare Fragestellung i n seiner Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des Schmerzensgeldausschlusses durch die §§ 636 I, 637 I RVO behandelt 22 . Zwar bedeute der Ausschluß des Schmerzensgeldanspruches, so das BVerfG, eine dem Verletzten nachteilige Ungleichbehandlung; diese werde aber kompensiert vermöge einer gesteigerten Sicherung seiner Ersatzposition, nämlich durch Entlastung vom Einwand mitwirkenden Verschuldens sowie von den Prozeß- und Insolvenzrisiken. Eine solche „Vorteilsausgleichung" läßt sich natürlich auch bei der Gefährdungshaftung vornehmen: Wegen der Erleichterung der Beweisposition (Entbehrlichkeit des Verschuldensnachweises) und der Entlastung vom Insolvenzrisiko des Schädigers (Versicherung der schadenstiftenden Wagnisse) w i r d dem Geschädigten der Verzicht auf Ersatz seines immateriellen Schadens zugemutet. Es liegt auf der Hand, daß diese Sicht der Dinge vordergründig ist. Der Gefährdungshaftung liegt heute ein überzeugendes Zurechnungsmodell zugrunde, das sie gleichberechtigt neben die Verschuldenshaftung stellt. Sie ist keine Sonderhaftung, deren Vorteile der Geschädigte nur u m den Preis eines gewissen Verzichts erringen kann. Insoweit verbieten sich Parallelen zu dem dem BVerfG unterbreiteten Fall, denn dort war ein Vergleich zweier verschiedener Schadenstragungssysteme (Haftpflichtrecht und Sozialversicherung) anzustellen. Es ist vorgebracht worden, daß die Legitimierung des Ersatzes von immateriellen Einbußen schwererwiegender Gründe bedürfe als diejenige der Kompensation von Vermögensschäden; Geldleistungen für immaterielle Schäden vergrößerten einseitig die aufzubringende Schadenssumme, während der Ersatz vermögensrechtlicher Schäden nur die beim Geschädigten bereits entstandene finanzielle Belastung umverteile 2 3 . Ein verfeinertes Verständnis der Ausgleichs- bzw. Uberwindungsfunktion des Schmerzensgeldes beweist jedoch, daß auch der physische und psychische Schmerz einen wirtschaftlichen Bedarf des Geschädigten erzeugt, nämlich nach Versorgung m i t kompensatorischen Annehmlichkeiten, die i h m die Uberwindung seiner Deprivation ermöglichen. Ein solcher Bedarf ist einer haftungsrechtlichen Umverteilung ebenso zugänglich wie Vermögensschäden auch. Die Suche nach anderen plausiblen Differenzierungskriterien bleibt erfolglos. Dabei versteht sich von selbst, daß auch das Schmerzensgeld den der Gefährdungshaftung eigenen Haftungsbeschränkungen auf be22 BVerfGE 34, 118. 23 Lemhöfer, VersR 1967, 1134, unter Übernahme eines Gedankens von Esser, Gefährdungshaftung, S. 108; ebenso Hannak, S. 62.

§ 9 Zielsetzungen

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triebsspezifische Schadensereignisse und — umfangmäßig — auf die jeweiligen Haftungshöchstsummen unterworfen ist. I m übrigen aber dürfte die Gewährung von Schmerzensgeld bei Gefährdungshaftung der Forderung nach Gleichbehandlung durch den Gesetzgeber i n der Tat besser genügen als die lex lata. Differenzierungsgründe, die eine Einschränkung der Schmerzensgeldberechtigung von Unfallopfern erlauben oder sogar gebieten, werden wohl erst bei einer zunehmenden Substituierung des Haftpflichtsystems durch Versicherungstechniken akut 2 4 . 3. Die Notwendigkeit einer Verbesserung des Schutzes von Nichtvermögensgütern w i r d schließlich damit begründet, daß das Wertsystem der Verfassung einen „absoluten Vorrang" des Personenwerts vor den Sachgüterwerten postuliere 25 . Das Argument kann sich auf eine i n der Verfassungsdogmatik von Dürig 26 entwickelte Lehre stützen, derzufolge das Grundgesetz und insbesondere dessen Grundrechtsteil ein Wertsystem bilden, das seinen Fundamentalsatz i n A r t . 1 1 GG, dem „obersten Konstitutionsprinzip allen objektiven Rechts" 27 , besitzt. Dieser Norm entnimmt Dürig die „generelle Forderung, daß der Personenwert auf allen Rechtsgebieten Vorrang vor dem Sachgüterwert hat" 2 8 . Diese Direktive ist selbstverständlich auch an den Gesetzgeber adressiert. Dürig s Grundrechtstheorie ist nicht ohne grundsätzlichen Widerspruch geblieben 29 . Auch der Schluß auf die Prävalenz des Personenwerts vor den Sachwerten ist nicht unproblematisch, da die zugrundeliegende Dichotomie der Werte nicht durchzuhalten ist. Sachwerte werden teilweise zu Personengütern, soweit sie dazu beitragen, daß das Individuum zu seiner Identität findet; man denke etwa an das Affektionsinteresse eines Kunstsammlers an Kunstgegenständen, eines Playboys an seinem Sportwagen u. ä. Als pauschaler werthierarchischer Richtlinie kann man aber der These i m Kern zustimmen. Dies braucht indessen nicht vertieft zu werden, da auch unter den Prämissen Dürigs die Konsequenz einer Erweiterung der Schmerzensgeldberech24

Erwägenswert die Vorschläge von Weyers, S. 658 f.; Güllemann, S. 153 f. 5 W. Schmid, S. 104. 26 Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde — E n t w u r f eines p r a k t i kablen Wertsystems der Grundrechte, AöR 81 (1956), S. 117 ff.; Maunz / Dürig / Herzog, Rz. 5 ff. zu A r t . 1 GG. 2 ? Maunz / Dürig / Herzog, Rz. 4 zu A r t . 1 GG. 28 aaO Rz. 33, i m Anschluß an Wintrich. Vgl. ferner Nipperdey, Die Würde des Menschen, i n : Neumann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte, Bd. I I , B e r l i n 1954, S. 23. 29 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 6. Aufl., S. 124 ff.; zusammenfassend H. Willke, Stand u n d K r i t i k der neueren Grundrechtstheorie, B e r l i n 1975, S. 24 ff. 2

9*

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3. Kap. : Probleme einer Schmerzensgeldreform

tigung auf Gefährdungshaftungstatbestände weder naheliegt noch gar zwangsläufig ist. Terminologisch ist zunächst klarzustellen, daß sich die Distinktion Person wert — Sachgüterwert nicht exakt m i t den Kategorien immaterieller-materieller Schaden deckt, deren einziges verläßliches Abgrenzungskriterium die Meßbarkeit i n Geld ist. So behandelt die h. M. z. B. die Heilungskosten nach Verletzung der physischen Integrität als Vermögensschaden 30 . Ein personales Gut w i r d aber nicht dadurch zum Sachgüterwert, daß es zufällig einen Marktpreis hat. Daran ist gerade angesichts eines tendenziellen Ausuferns der sog. Kommerzialisierungsthese des B G H 3 1 nachdrücklich zu erinnern® 1 * Grundsätzlichere K r i t i k fordert die A r t , wie aus Wertentscheidungen der Verfassung auf höchster Abstraktionsstufe legislative Detailregelungen gefolgert, wie Fundamentalnormen „zu kleiner Münze verrechtlicht" (Dürig) werden. Dabei mag der Rekurs auf A r t t . 1, 2 GG zur Rechtfertigung des deliktischen Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts 32 allenfalls noch legitim gewesen sein. Hier ging es immerh i n darum, nahezu sanktionslos dastehende Persönlichkeitsgüter unter effektiven Rechtsschutz zu stellen. Demgegenüber ist die physische Integrität bei Verletzung durch ein Betriebswagnis nach geltendem Haftungsrecht keineswegs ohne Schutz, sind doch die Heilungskosten bis an die Grenzen der Haftungshöchstsummen ersatzfähig. I m Vergleich zur Ersatzfähigkeit von Sachgüterschäden nach den Gefährdungshaftungsgesetzen ist somit kein Bewertungsfehler durch den Gesetzgeber feststellbar, der den grundrechtlichen Direktiven eindeutig zuwiderliefe. Dies vorangeschickt, läßt sich i m übrigen kaum ignorieren, daß eine andauernde und schwerwiegende Reduzierung der Lebensmöglichkeiten den Geschädigten grundsätzlich schlimmer t r i f f t als ein noch so umfangreicher materieller Verlust 3 3 . Einbußen an Persongütern, wie Verlust des Augenlichts, Lähmungen und Verunstaltungen werden vom Individuum als andauernde und immer gegenwärtige Lebenshemmung empfunden; Vermögensgüter sind dagegen substituierbar und Vermögensänderungen haben i n einer Erwerbswirtschaft prinzipiell transitorischen Charakter. I m Vergleich m i t der Ersatzfähigkeit von Vermögensschäden erscheint die Ersatzposition eines i n seiner physischen Integrität Geschädigten insgesamt als etwas defizitär. Dieser so E t w a Esser, SchR I I §1161112; kritisch dazu oben § 6 1 1 (N. 21), ferner Schäfer, Soziale Schäden, S. 103 ff. 31 Vgl. zuletzt B G H Z 63, 98 („Rumänienreise"). 31a Ausführlicher schon oben § 6 11. 32 B G H Z 35, 367 f.; B G H Z 39, 132; noch weitergehend H. Kaufmann, JuS 1963, 382. Berechtigte K r i t i k bei Stoll, Gutachten, S. 46 ff. 33 Dies betont auch Schäfer, S. 200.

§ 9 Zielsetzungen

133

Eindruck verstärkt sich, wenn man die — einen rechtspolitischen I r r weg markierenden — richterrechtlichen Weiterungen der Ersatzfähigkeit materieller Schäden i n jüngster Zeit, insbesondere die Judikatur zur abstrakten Nutzungsentschädigung, zum Vergleich heranzieht. Die haftpflichtgesetzliche Beschränkung des Ersatzes für Personenschäden auf die reinen Reparationskosten kann i n diesem Kontext nicht als wohl ausgewogene legislatorische Lösung bestehen. Liegt eine Effektuierung des Schutzes von Persönlichkeitsgütern für die Gefährdungshaftung wenigstens in der Tendenz des grundrechtlichen Wertsystems, so ist es andererseits schwer zu begründen, warum sie auf das Schmerzensgeld i. e. S. beschränkt sein soll. Warum bekommen nicht, wie etwa i m französischen Recht, auch die nächsten Angehörigen des Unfallopfers ihren (mittelbaren) Gefühlsschaden ersetzt? Stoll 3 4 hat gemeint, dem Problem m i t der Differenzierung i n physischen Schmerz und Seelenschmerz abhelfen zu können; letzterer solle nur unter eingeschränktem haftungsrechtlichen Schutz stehen. Diese Differenzierung n i m m t offenbar keine Notiz von den medizinischen Erkenntnissen, die auch den physischen Schmerz als psychosomatisches Phänomen definieren 35 . Hauptsächlich liegt ihr wohl die Befürchtung zugrunde, der Ersatz reiner Gefühlsschäden könnte wegen deren schwieriger Beweisbarkeit von „Heuchlern und Querulanten" mißbraucht werden 3 6 . Das wäre freilich ein sachfremdes Abgrenzungskriterium. Die haftungsrechtliche Schutzwürdigkeit von Persongütern kann nicht von der Beweisfälligkeit des Geschädigten i m Durchschnittsfall abhängig gemacht werden. Für eine Privilegierung physischer Schmerzen spricht lediglich, daß rein psychisches Leid sich einem Ausgleich durch kompensatorische Annehmlichkeiten grundsätzlich viel weitgehender entzieht als körperlicher Schmerz. Der unfallbedingte Verlust eines Kindes, eines Ehepartners usf. ist eben buchstäblich unersetzlich. Es macht dann keinen Sinn mehr, den Schädiger mit einer Haftpflicht zu belasten, die die Situation des Verletzten kaum verbessert 37 . 4. Resümierend läßt sich zwischen dem Ziel des Entwurfs, einem erweiterten haftungsrechtlichen Schutz der physischen Integrität, und dem aktuellen Rechtszustand ein — wenn auch nicht gerade gravierendes — „Wertgefälle" 3 8 diagnostizieren. Der Vergleich mit soziologisch ähnlich strukturierten ausländischen Rechtsordnungen erbringt ein relativ eindeutiges Ergebnis, sofern man i m Auge behält, daß diesen Rechtsordnungen eine Genugtuungs- bzw. Privatstraffunktion des 34 Gutachten, S. 143; ähnlich W. Schmid, S. 108 f. 35 Dazu schon oben § 6 I 2 c. 36 So ausdrücklich W. Schmid, S. 108; ferner Stoll, Gutachten, S. 143. 37 So i m Ergebnis auch der Referentenentwurf, Begründung, S. 158 f. 38 Noll, S. 82 f.

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3. Kap.: Probleme einer Schmerzensgeldreform

Schmerzensgeldes meist nicht geläufig ist. Nur schwache Anhaltspunkte lassen sich hingegen dem Wertsystem der Verfassung entnehmen. Z u nennen wäre der Mangel an wirklich schwerwiegenden Differenzierungskriterien für die je verschiedene Ausgestaltung des Schmerzensgeldrechts i n Verschuldens- und Gefährdungshaftung. Gravierender ist das Sachargument, daß die Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden angesichts des immer mehr perfektionierten Schutzes von Vermögensinteressen i n nicht mehr vertretbarer Weise zurückgeblieben ist. I I . Praktisch-ökonomische Ziele

Praktisches Generalziel des Entwurfs ist eine Erleichterung der Praxis der Haftpflichtschadensregulierung. Sie soll über eine Entlastung der Fahrlässigkeitshaftung erreicht werden 3 9 . Nach geltendem Recht sieht sich ein Unfallverletzter, so er Schmerzensgeld bekommen w i l l , genötigt, den Schadensfall über die i h m günstigere Verschuldenshaftung abzuwickeln. Der Entwurf würde m i t der Einführung von Schmerzensgeld bei Gefährdungshaftung die Unterschiede i n den Rechtsfolgen auf die Haftungshöchstgrenzen und den Ausschluß mittelbar Geschädigter reduzieren. Die praktischen Resultate dieser Novellierung werden äußerst positiv eingeschätzt. Bislang komme es oft nur über dem Streit i n der — für die Schmerzensgeldberechtigung präjudiziellen — Verschuldensfrage zum Prozeß. Bei Ausräumung dieses Streitpunktes werde die Bereitschaft beider Seiten zu einer außergerichtlichen Schadensregulierung wachsen. Seien die Parteien aber entschlossen, ihr Recht vor Gericht zu suchen, so sei der Haftpflichtprozeß jedenfalls vom Beweis des Schädigerverschuldens entlastet. Den Gerichten, die bisher zu einer Überdehnung der allgemeinen Sorgfaltspflicht neigten, würde schließlich eine „dogmatisch saubere" und nicht ausschließlich vom Rechtsgefühl geleitete Entscheidung von Schmerzensgeldklagen ermöglicht 40 . Sollten die gesteckten Ziele erreicht werden, so bedeutete dies i n der Tat eine deutliche Verbesserung des heutigen Rechtszustandes. Ein Rückgang der Prozeßquote i n Haftpflichtstreitigkeiten würde die Gerichte entlasten und den Anfall unproduktiver Kosten verringern. Immerhin geben die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer 4,2 % der Schadensleistungen für Gerichts- und Anwaltskosten aus 41 . Die Dauer von Schmerzensgeldprozessen selbst würde durch die Entbehrlichkeit des Verschuldensnachweises verkürzt; auch dies ein Ergebnis von s» Begründung, S. 158. 40 Ausführlich W. Schmid, S. 111 ff. 41 Interne Schadensleistungsstatistik der A L L I A N Z - G r u p p e für 1972, m i t geteilt bei Schmeer, VersR 1973, 391 bei N. 20.

§10 Erfolgsprognose u n d Folgenkontrolle

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ökonomischer Relevanz. Der Uberbeanspruchung der Fahrlässigkeitshaftung 4 2 wäre der Anlaß genommen; mehr Begründungswahrheit i n den Urteilen schüfe wieder ein Stück Methodenehrlichkeit. Alles hängt somit davon ab, ob die projektierten Ziele i n Wirklichkeit auch erreicht werden können.

§ 10 Erfolgsprognose u n d F o l g e n k o n t r o l l e Vorbemerkung

Der Entwurf und seine Befürworter haben i n Form von empirischen Hypothesen den künftigen Zustand bzw. die Veränderungen formuliert, die bei Einführung von Schmerzensgeld i n Fällen von Gefährdungshaftung sich einstellen sollen. Für eine Erfolgskontrolle dieser Zielprojektionen wäre zunächst eine Beschreibung des Ist-Zustandes auf Grund rechtstatsächlicher Informationen unentbehrlich. Alsdann wäre zu ermitteln, inwieweit etwaige Mängel des Ist-Zustandes ihre Ursache i n der Vorenthaltung von Schmerzensgeld bei Gefährdungshaftpflichtfällen finden 1 . Schließlich ist ein Blick auf etwaige nicht intendierte Nebenfolgen der Neuregelung zu empfehlen. Das Defizit an empirischen Daten, die für unsere Fragestellung relevant sind, ist beträchtlich. Insbesondere mangelt es an einer detaillierten Prozeß- bzw. Prozeßursachenstatistik für Straßenverkehrshaftpflichtfälle. Die Väter des Referentenentwurfs haben entsprechende Nachforschungen offenbar gar nicht angestellt; die Kraftfahrzeughaftpflicht-Versicherer und die Landes justizminist erien verfügen nur über ziemlich globale Daten 2 . Diesem Mangel abzuhelfen, ist m i t den uns zu Gebote stehenden M i t t e l n nicht möglich. W i r müssen uns einerseits darauf beschränken, die relevanten Fragestellungen zu formulieren, denen ein sorgfältiger und mit den nötigen finanziellen Ressourcen ausgestatteter Gesetzgeber nachzugehen hätte. Andererseits ist es aber möglich, auf Grund des vorhandenen globalen rechtstatsächlichen Materials und m i t Hilfe von auf signifikante Tendenzen 3 gestützten empirischen Hypothesen zu vorsichtigen und vorläufigen Schlußfolgerungen zu gelangen. Deren Wert kann angesichts des aktuellen Informationsdefizits nicht völlig geringgeschätzt werden. 42 Rechtsprechungsnachweise bei Gelhaar-Thuleweit, Haftpflichtrecht, S. 22, 45 f. Aus jüngster Zeit vgl. O L G München, VersR 1975, 672. ι Noll, S. 86 f. 2 Vgl. die Angaben der A L L I A N Z - G r u p p e , mitgeteilt bei Schmeer, VersR 1973, 390 ff., bzw. die Prozeßstatistik f ü r den O L G - B e z i r k Hamburg, m i t geteilt bei Gessner / Kötz, JZ 1973, 82 ff. 3 F ü r wertvolle Hinweise danke ich H e r r n Dr. Edgar Hofmann von der A L L I A N Z - V e r s i c h e r u n g s - A G , Zweigniederlassung Stuttgart.

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3. Kap.: Probleme einer Schmerzensgeldreform I . Hypothesen über die gerichtspraktisdien Konsequenzen

1. Praxisrelevanz

im Spiegel der Rechtstatsachen

Bei den deutschen Kraftfahrzeughaftpflicht-Versicherern fallen jährlich zwischen 2}5 und 3 Mio. Haftpflichtfälle an 4 . I n 87 °/o aller Straßenverkehrsunfälle entstehen nur Sachschäden5. Die Personenschäden sind freilich ersatzintensiver und machten — bei steigender Tendenz — 1974 einen A n t e i l von 32,7 °/o an der Gesamtschadensleistung der K H Versicherung aus®. Zwischen 0,6 und 0,8 °/o der unfallgeschädigten A n spruchsteller beschreiten den Rechtsweg 7 . Die Tendenz ist hier infolge zunehmender allgemeiner Prozeßfreudigkeit und insbesondere infolge der Expansion der Rechtsschutzversicherung ansteigend 8 . Bei 3 Mio. Haftpflichtfällen errechnet sich somit ein Jahresmittel von rund 30 000 Straßenverkehrsunfallprozessen 9 . Dies ist immerhin eine stattliche Zahl. Sie reduziert sich jedoch auf einen kleinen Bruchteil, wenn man nur die Gruppe der für unsere Fragestellung einschlägigen Prozesse — Schmerzensgeldklagen wegen ungeklärter Verschuldensfrage — betrachtet. Unterstellt man, was freilich nicht selbstverständlich ist 1 0 , eine i n etwa gleiche Prozeßquote bei Sach- und bei Personenschäden, so bleiben an Schmerzensgeldprozessen nur 13 % der Gesamtziffer, also rund 4000 Verfahren übrig. Auch unter diesen verbleibenden Schmerzensgeldprozessen spielt die Prozeßursache der ungeklärten Verschuldensfrage nur selten eine Rolle. Häufige Prozeßursache ist die Möglichkeit einer anspruchsver4

390.

Statistik aus den Jahren 1970 - 1972, mitgeteilt bei Schmeer, VersR 1973,

5 Interne Schadensleistungsstatistik der A L L I A N Z - G r u p p e f ü r 1972, mitgeteilt bei Schmeer, aaO, S. 391 bei N. 29. Abweichend die Zahlen des Statistischen Bundesamtes; das A m t registrierte f ü r 1973 353 592 ( = 27 %) Straßenverkehrsunfälle m i t Personenschäden gegenüber r u n d 970 000 ( = 73 °/o) m i t ausschließlich Sachschäden; vgl. Statistisches Jahrbuch f ü r die Bundesrepublik Deutschland, 1974, S. 350. Die Divergenz e r k l ä r t sich w o h l damit, daß bei Sachschäden m i t Bagatellcharakter die D u n k e l ziffer sehr hoch ist. 6 Schadensleistungsstatistik der A L L I A N Z - G r u p p e . 7 A u s k u n f t des Bundesaufsichtsamtes f ü r das Versicherungs- u n d B a u sparwesen v o m 22.12.1972, mitgeteilt bei Schmeer, aaO, bei N. 17. » Dennoch dürfte die v o n Gessner / Kötz, J Z 1973, 82 ff. (86) geschätzte Prozeßquote von 2,3 °/o eindeutig zu hoch sein. Die Fehlerquelle r ü h r t w o h l daher, daß Gessner / Kötz sich n u r auf Material aus H a m b u r g u n d dort n u r auf landgerichtliche Verfahren stützen konnten. 9 Gessner / Kötz, aaO, S. 84 geben die Z a h l der vor den Landgerichten i n erster Instanz ausgetragenen Verkehrsunfallsachen bundesweit m i t etwa 16 000 an. 10 Anfragen bei Versicherungspraktikern (s. oben N. 3) ergaben, daß die Prozeßfreudigkeit bei Personenschäden jedenfalls nicht auffällig über der bei bloßen Sachschäden liegt.

§10 Erfolgsprognose u n d Folgenkontrolle

137

kürzenden Mithaftung des Geschädigten (§ 9 bzw. § 17 StVG); auch über die Höhe des Schmerzensgeldbetrages kommt es des öfteren zum Streit. Demgegenüber bilden die Fälle, i n denen die KH-Versicherer ein Schmerzensgeld nur wegen mangelnden Schädigerverschuldens verweigern, die absolute Ausnahme. Dies kann m i t empirischen Daten belegt werden. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 11 lag 1972 i n 464 952 von 576 046 polizeilich festgestellten 12 Straßenverkehrsunfällen m i t Personenschäden die Unfallursache i n einem Fehlverhalten des Fahrzeugführers 13 . Weitere 8558 Unfälle waren Folge der mangelnden Verkehrssicherheit des Unfallfahrzeugs, eine Ursache, die i m Regelfall ebenfalls ohne weiteres vom Fahrzeugführer bzw. -halter zu vertreten i s t 1 3 a . Dasselbe g i l t für Straßenverhältnisse bzw. Witterungseinflüsse als Unfallursache (32 433 Fälle); der Fahrzeugführer ist ja zu einem situationsadäquaten Fahrverhalten verpflichtet. I n rund 85 °/o aller möglichen Schmerzensgeldfälle liegt demnach das Schädigerverschulden mehr oder weniger auf der Hand. Von den restlichen 15 % w i r d ein kleinerer Anteil, nämlich die Fälle eines unabwendbaren Ereignisses, auch nach der Regelung des Entwurfs nicht zu einer Vergütung des immateriellen (und materiellen) Schadens berechtigen. Als wirkliche Grenzfälle bleiben praktisch nur Unfälle m i t Beteiligung von Fußgängern — insbesondere von Kindern —, die ein erhebliches M i t verschulden t r i f f t 1 4 . Gerade bei dieser Unfallkonstellation w i r d aber über die Mitverschuldensfrage wiederum auch das Schädigerverschulden Beweisthema. Es läßt sich somit das Fazit ziehen, daß der vom Referentenentwurf erhoffte Entlastungseffekt für die Schadensregulierungspraxis bereits wegen der proportional kleinen Zahl der von der Neuregelung betroffenen Verfahren denkbar gering ist.

u Statistisches Jahrbuch 1974, S. 351. I n der Beschränkung auf polizeilich festgestellte Unfallursachen liegt zweifellos eine mögliche Fehlerquelle; freilich dürfte die Dunkelziffer bei Personenschäden weitaus geringer sein als bei bloßen Sachschäden. Eine weitere, w e n n auch geringfügige Fehlerquelle liegt darin, daß i n der zitierten Statistik unter den unfallbeteiligten Fahrzeugen auch Fahrräder mitgerechnet sind. Die Unfallursachenstatistik des HUK-Verbandes ist i n soweit nicht erschöpfend, als sie auf schwere Personenschäden (mit stationärer Heilbehandlung bzw. m i t Todesfolge) beschränkt ist; vgl.: Ursachen u n d Begleitumstände der Verkehrsunfälle m i t schwerem Personenschaden i n der Bundesrepublik Deutschland, Sammelband M , H a m b u r g 1973. 13 Hauptfallgruppen sind: Mißachtung der Vorfahrt, zu dichtes Auffahren, Fehler beim Überholen bzw. beim Überholtwerden, zu schnelles Fahren, Alkoholeinfluß. I n a l l diesen Fällen w i r d der Fahrzeugführer sein V e r schulden schwerlich substantiiert bestreiten können. 13a Z u den strengen judiziellen Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht des Fahrzeughalters vgl. meine Bemerkungen i n VOR 1972, S. 155 f. 14 I l l u s t r a t i v dazu O L G München, VersR 1975, 672. 12

138

3. Kap.: Probleme einer Schmerzensgeldreform

2. Zweispurigkeit

des Schmerzensgeldrechts?

Aber nicht einmal die Vereinfachung der — quantitativ unbedeutenden — Schmerzensgeldprozesse, die bislang ihren Anlaß i m Streit u m die Verschuldensfrage haben, ist bewiesen. Der Entwurf schafft ja durch die Festschreibung des Genugtuungsgedankens bei Verschuldenshaftung bzw. durch dessen bedenkenlose Aufgabe bei Gefährdungshaftung ein zweispuriges Schmerzensgeldrecht: Wer schuldhaft verletzt wurde, bekommt ein Schmerzensgeld m i t Genugtuungszuschlag, wer Opfer eines Betriebsrisikos ist, erhält nur den geringeren Betrag. Schmerzensgeld bei Gefährdungshaftung ist i n dieser Konzeption von vornherein als Schmerzensgeld zweiter Klasse abgestempelt. Jeder Unfallverletzte w i r d daher zunächst einmal bestrebt sein, durch den Nachweis eines Schädigerverschuldens zu einer deliktischen A n spruchsgrundlage und damit zu einem Schmerzensgeld m i t Genugtuungszuschlag zu kommen 1 5 . Der erhoffte Vereinfachungseffekt ist damit i n den meisten Fällen wieder zerronnen. Diese Bedenken sind nicht m i t der — an sich zutreffenden — Feststellung zu zerstreuen, die Genugtuungsfunktion spiele beim durchschnittlichen Verkehrsunfall ohnehin keine Rolle und könne daher bei der Schmerzensgeldbemessung vernachlässigt werden 1 6 . Es steht vielmehr zu erwarten, daß die Gerichte — nach dogmatischen Kriterien absolut korrekt — das Recht auf Genugtuung i m gesamten Bereich der Verschuldenshaftung, also auch bis zur Grenze leichtester Fahrlässigkeit, anerkennen 17 . Dies ist schließlich die einzige praktisch mögliche, weil Rechtssicherheit verbürgende Methode der Grenzziehung. Es mag häufig Unfälle geben, wo der Schädiger sich so rücksichtslos verhalten hat, daß beim Unfallopfer durchaus ein nach Genugtuung bzw. Privatstrafe verlangendes Vergeltungsbedürfnis evoziert wird. Die Gerichte wären aber überfordert, müßten sie i m Einzelfall feststellen, wo noch ein „normaler" und wo schon ein zu Genugtuung berechtigender Verkehrsunfall vorliegt. Es erweist sich damit auch unter praktischen Aspekten als richtige Lösung, die Genugtuung für das „echte" Schmerzensgeld gänzlich aufzugeben und dem zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutz vorzubehalten. Nur unter dieser Voraussetzung kann die Entlastung der Haftpflichtprozesse wenigstens bei einem Bruchteil aller Verfahren funktionieren.

« Darauf hat m i t Recht Esser, SchR I I §11316 hingewiesen. ie So Stoll, D A R 1968, 305; W. Schmid, S. 117. 17 Vgl. de lege lata die Entscheidung des O L G München, VersR 1966, 170, zum Schmerzensgeld bei Gefährdungshaftung nach § 53 L u f t V G .

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3. Vereinfachung der Schmerzensgeldbemessung als komplementäre Aufgabe Der Vorteil der Entbehrlichkeit des Verschuldensnachweises teilweise dadurch wieder kompensiert, daß nunmehr bei bloßer fährdungshaftung statt über die Fahrlässigkeit des Schädigers die Höhe des begehrten Schmerzensgeldes gestritten und — i m zeßfalle — Beweis erhoben werden w i r d 1 8 . Regelmäßig w i r d es ohne Sachverständigengutachten nicht abgehen.

wird Geüber Prodabei

Das gibt Anlaß zu der Überlegung, ob nicht durch flankierende gesetzgeberische Maßnahmen die Schmerzensgeldbemessung allgemein vereinfacht werden könnte. Die Überlegung ist grundsätzlicherer Natur und sollte auch vor dem „deliktischen" Schmerzensgeld nicht haltmachen. Vereinfachung der Schmerzensgeldbemessung ist nur mittels Vereinheitlichung zu erreichen. Letztere würde den Haftpflichtversicherern die Kalkulation erleichtern, die Schadensabwicklung rationalisieren und Rechtsstreitigkeiten nur u m die Schmerzensgeldhöhe vermeiden helfen. Sie verlangt zweifellos einen gewissen Verzicht auf eine W ü r digung des Einzelfalls unter all seinen spezifischen Aspekten. Die darin liegende Einbuße an Individualgerechtigkeit ist freilich der Preis, u m den das Unfallopfer i n den Genuß höherer Sekurität seiner Ersatzposition i m Rahmen des kollektiven Sicherungssystems gelangt. Letztlich schlägt auch hier die schon des öfteren notierte gesellschaftspolitische Tendenz einer Depersonalisierung des Haftungssystems zu Buche. A m weitesten i n der Vereinfachung geht der Vorschlag, den i m materiellen Schaden mit einem Pauschalbetrag abzugelten bzw. i n Form einer Quote des vermögensrechtlich meßbaren Körperschadens. Eine ähnliche Regelung findet sich schon i m A L R 1 9 , sie ist jüngst wieder von Gitter für die Parallelproblematik des immateriellen Schadensersatzes i m Arbeitsunfallrecht vorgeschlagen worden 2 0 . Eine so durchgängige Schematisierung des Schmerzensgeldrechts ignoriert indessen die Besonderheiten des immateriellen Schadens. Auch wer sich gegen die spezifisch deutschrechtliche Tradition der Mystifizierung des immateriellen Schadens21 wendet, kann nicht darüber hinweggehen, daß dem Nichtvermögensschaden eine weit stärkere individuell-personale Komponente eignet als den materiellen Einbußen, und dies — entgegen Gitter 22 — nicht nur i m Hinblick auf die is Zutreffend Lemhöfer, VersR 1967, 1135. is Dazu schon oben § 312. so Gitter, Arbeitsunfallrecht, S. 198. 21 Dazu oben § 3 I I I u n d § 7 D a. E. 22 aaO S. 192.

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3. Kap.: Probleme einer Schmerzensgeldreform

Genugtuungsfunktion, sondern gerade auch i n Ansehung der Kompensationsfunktion 23 . Zwischen einer Gehirnerschütterung — transitorische und Bagatellschmerzen sollen ohnehin außer Betracht bleiben — und einer Querschnittlähmung liegen eben Welten, die durch eine grobe Schematisierung nicht überbrückt werden können, ohne den Ausgleich solcher psychischen Einbußen überhaupt zu pervertieren. Ein Schmerzensgeld, das nur noch einen „Immaterialzuschlag" zum Ersatz des Vermögensschadens bildet, hätte keine raison d'être mehr. Insoweit ist es nur konsequent, wenn neuere versicherungsrechtliche Lösungsentwürfe die Alternative vorziehen, das Recht auf Schmerzensgeld grundsätzlich zu beschneiden 24 . Schon eine weniger grobe Schematisierung wäre jedoch eine spürbare Verbesserung der aktuellen Praxis. Die Aufgabe einer Vereinheitlichung macht ein Tätigwerden des Gesetzgebers nicht einmal erforderlich, sondern ist schon mit den begrenzten Möglichkeiten der Rechtsprechung zu lösen. Die Judikatur i n der Nachfolge des Großen Zivilsenats ist nicht müde geworden, immer wieder die Einzelfallgebundenheit ihrer Schmerzensgeldbemessung zu betonen. Man hielt sich an die Direktive des Großen Senats, ein „an sich angemessenes" Schmerzensgeld könne es nicht geben 25 , und versuchte allen nur i n Frage kommenden persönlichen Momenten Einfluß auf die Schmerzensgeldhöhe zu verschaffen. Diese Praxis führte i m Laufe der Zeit zu erheblichen Bemessungsdifferenzen und damit zu unerwünschter Rechtsunsicherheit 26 . Dennoch wurden die i n den Jahren nach 1950 immer stärkere Verbreitung findenden Schmerzensgeldtabellen von der höchstrichterlichen Judikatur zunächst standhaft ignoriert oder sogar ausdrücklich verpönt 2 7 . Erst i m Jahre 1969 anerkannte der VI. Senat des B G H die Schmerzensgeldtabellen als nützliches Hilfsmittel; da ein rechnerisches Wertregulativ für psychische Einbußen nicht zur Hand sei, könne nur der Präjudizienvergleich zur notwendigen Ausbildung konventionaler Maßstäbe verhelfen 28 . Freilich genügen die heute marktgängigen Sammlungen 29 , insbesondere wegen ihrer sehr pauschalen Beschrei23

Dazu aus medizinischer Sicht schon oben § 6 I 2 c. Ε. v. Hippel, Schadensausgleich, S. 78. 2 5 B G H Z 18, 1561, 164; später noch B G H VersR 1961, 711; VersR 1970, 624. 26 Rechtsprechungsnachweise bei Günther, S. 67 ff.; Henke, S. 18 ff. 27 Vgl. etwa B G H VersR 1957, 218f.; VersR 1961, 460 (461). Die Praxis der Instanzgerichte w a r hier weniger streng. 2 ® B G H VersR 1970, 134 (136); jüngst wieder bestätigt durch O L G Saarbrücken, N J W 1975, 1467. 29 Hacks, Schmerzensgeldbeträge; Lieberwirth, Das Schmerzensgeld; Schunack, Schmerzensgeld, Entscheidungen u n d Veröffentlichungen 1955 - 1966, Beihefte zur Zeitschrift „Versicherungsrecht". 24

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bung der medizinisch relevanten Fakten, nur teilweise den zu stellenden Anforderungen 3 0 . Schematisierungsmöglichkeiten bestehen zunächst bei der Schmerzdiagnose, also bei dem von der Medizin zu liefernden Beitrag zur Schmerzensgeldbemessung. Die hierzu von Günther 31 unterbreiteten Vorschläge für eine reproduzierbare medizinische Bewertung von Schmerzen scheinen bislang noch nicht rezipiert worden zu sein 32 . Dies ist umso mehr zu bedauern, als eine objektivierte Schätzungsmethode für den zentralen Bemessungsfaktor — die Dauer und Intensität der Lebensbeeinträchtigung — die Festsetzung eines „an sich angemessenen" Schmerzensgeldes ermöglichte. Dessen Höhe würde dann nur noch durch die nachrangigen Faktoren persönlicher A r t geringfügig variiert. Möglichkeiten der Vereinheitlichung liegen für den Juristen i n einer Beschränkung der bemessungsrelevanten persönlichen Faktoren. I m Grundsatz wäre ein objektivierender Maßstab anzulegen, der nur durch einige wenige subjektive Faktoren „aufgelockert" w i r d 3 3 . Eine solche Begrenzung der Bemessungskriterien widerspricht, wie Henke ausführlich nachgewiesen hat 3 4 , nicht dem gesetzlichen Postulat der „ B i l l i g keit" der Entschädigung. Nicht nur möglichste Einzelfallgerechtigkeit, sondern auch Rechtsgleichheit ist ein Billigkeitswert. Nur durch gleichmäßige Handhabung kann richterliches Schätzungsermessen berechenbar werden und so Enttäuschung von Erwartungen verhindern. Ein großer Teil der nach heutiger Rechtsprechung bemessungsrelevanten persönlichen Faktoren w i r d durch die hier vorgeschlagene Aufgabe der Genugtuungsfunktion wegfallen. Dies gilt insbesondere für das Bemessungskriterium der Schwere des Schädigerverschuldens; es gilt aber auch für andere Faktoren wie: verwandtschaftliche Beziehungen zwischen den Parteien 3 5 , Anlaß der Verletzung (Hauptbeispiel: Gefälligkeitsfahrt 36 ) oder eine vorangegangene strafgerichtliche Verurteilung wegen des nämlichen Delikts 3 7 . Die Vermögensverhältnisse des Schädigers sind angesichts der Verbreitung der Versicherungstechnik schon nach geltendem Recht praktisch irrelevant 3 8 , die wirtschaft30 K r i t i s c h Günther, S.86ff.; Stoll, D A R 1968, 309. 31 S. 102 ff. 32 Daß dies m i t einer gewissen Kompliziertheit des Schemas zusammenhängt, läßt sich allerdings vermuten. »3 Donaldson , A c P 166, 473 ff. 34 S. 52 ff. 35 Oben § 4 I I I 1 bei N. 49. 36 B G H VersR 1966, 593. 37 Oben § 7 Β I I a. E. 38 Oben §41113.

vorgeschlagenen

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3. Kap.: Probleme einer Schmerzensgeldreform

liehe Situation des Verletzten ist es nach h. L. ebenfalls 39 . Auch die, soweit ersichtlich, unangefochtenen subjektiven Bemessungsfaktoren Alter, Geschlecht und Beruf des Verletzten 4 0 wären auf ihre Berechtigung zu überprüfen. Wirklich korrekt ist wohl nur die Berücksichtigung des Alters bzw. der Lebenserwartung 41 . Dagegen dürfte der Raum für geschlechtsspezifische Differenzierungen unter der Geltung des Gleichheitsgrundsatzes und i m Zeichen fortschreitender Emanzipation der Frau ziemlich gering geworden sein 42 . Wo der Beruf des Verletzten i n Ansatz gebracht wird, läuft man Gefahr, unter der Rubrik Schmerzensgeld einen Vermögensschaden zu ersetzen, der seine sedes materiae i n § 842 BGB hat 4 3 . Die Beschränkung der subjektiven Faktoren könnte i m Verein mit i m Detail ausgearbeiteten Schmerzensgeldtabellen zu einem spürbaren Vereinfachungseffekt führen, ohne i n ein starres Taxensystem zu verfallen. Von den Instanzgerichten ist zu verlangen, daß sie ihren pauschalen und oft leerformelhaften Begründungsstil aufgeben und zu einer i m einzelnen aufgeschlüsselten Bewertungsmethode übergehen. Die Einhaltung und Fortbildung der wenigen verbleibenden Bemessungsregeln wäre durch den B G H zu kontrollieren, der freilich dann seine vielfach kritisierte 4 4 restriktive Einstellung zur Revisibilität der Schmerzensgeldbemessung 45 aufgeben müßte.

I I . Nebenfolgen im ökonomisch-sozialen Bereich

1. Schmerzensgeld bei Gefährdungshaftung als distributives Problem Die Verbesserung der Ersatzposition eines Unfallverletzten durch Gewährung von Schmerzensgeld bei Gefährdungshaftung zeitigt als notwendige Nebenfolge eine Mehrbelastung der Schadensträger. Diese 30 Vgl. n u r Henke, S. 11 ff. m. w. N. 40 Henke, S. 15. 41 Verfehlt jedoch O L G Hamburg, J Z 1974, 417, demzufolge die Gesichtsentstellung bei einer 65jährigen Frau „keine nennenswerte Lebensbeeinträchtigung mehr zur Folge h a t " ; kritisch hierzu die A n m e r k u n g von Struck, aaO, S. 419. 42 Vgl. die pointierte Frage von Struck, aaO, w a r u m sich neben der Redewendung v o m „fraulichen Reiz" nicht auch diejenige v o m „männlichen Reiz" finde. 43 K o r r e k t L G K ö l n , VersR 1964, S. 1277: Eine Schönheitstänzerin erhielt f ü r eine Narbe a m Schlüsselbein statt der geforderten 30 000,— D M n u r ein Schmerzensgeld von 2000,— DM. 44 Hier k a n n verwiesen werden auf Donaldson, A c P 166, 463 ff.; Gelhaar, B B 1966, 1319; Henke, S. 83 ff.; Stoll, D A R 1968, 310; Teplitzky, Ist die' Schmerzensgeldbemessung revisibel?, D A R 1971, 257 ff. 45 Zuletzt B G H VersR 1973, 1068.

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sind nicht notwendig und i n der von der Neuregelung betroffenen Praxis nicht einmal überwiegend identisch m i t dem nach Haftpflichtrecht Verantwortlichen. Letzterer ist meist nur „juristischer Schadensträger", d. h. rechtstechnisch Passivlegitimierter für die Ersatzforderung des Verletzten. Die „letzten Schadensträger", also die Wirtschaftssubjekte, bei denen die anfallenden Kosten letztendlich hängen bleiben, sind je nach A r t der realisierten Gefährdungshaftung verschieden. Bei der m i t Versicherungszwang gekoppelten Kfz-Haftpflicht ist letzter Schadensträger die Gemeinschaft der Haftpflichtversicherten. Der einer Gefährdungshaftung unterliegende Betreiber einer gefährlichen Anlage oder der Besitzer gefährlicher Stoffe w i r d die Haftpflichtbelastung bei der Kalkulation der Produktkosten i n Rechnung stellen und sie, solange die Marktverhältnisse dies zulassen 46 , auf seine Abnehmer abwälzen. Bei Unternehmen der öffentlichen Hand, die m i t strukturellen, aus öffentlichen Finanzmitteln abgedeckten Defiziten arbeiten, w i r d die defizitsteigernde Haftpflichtmehrbelastung i n letzter Konsequenz von den Steuerzahlern zu tragen sein. Das gilt namentlich für die Schmerzensgeldhaftung der öffentlichen Verkehrsbetriebe. Die gesetzlichen Basisentscheidungen über die je „richtigen" Schadensträger sind vorgegeben, da die bloßen Reparationskosten von Körperschäden i n den geltenden Haftpflichtgesetzen bereits verteilt sind. Für unsere Fragestellung kann es nur noch darum gehen, die Mehrbelastung der Schadensträger gegen den erstrebten Vorteil eines verbesserten haftpflichtrechtlichen Schutzes der physischen Integrität abzuwägen. Sollte sich hier ein verteilungspolitisches Ungleichgewicht zu Lasten der Schadensträger ergeben, müßte die Einführung von Schmerzensgeld bei Gefährdungshaftung als distributive Fehlentscheidung unterbleiben. Dabei braucht die kontroverse Frage der „richtigen" Kostenzurechnung 47 hier nicht untersucht zu werden. Ein sozial nicht mehr tragbares Ungleichgewicht wäre jedenfalls dann anzunehmen, wenn i m Gefolge der Haftpflichtnovelle durch eine drastische Erhöhung der Kfz-Haftpflichtversicherungsprämien die Haltung eines Kfz zum Privileg einiger weniger Wohlhabender würde, wenn wichtige Konsumgüter oder Dienstleistungen infolge einer Überwälzung der Mehrbelastung für breite Verbraucherschichten unerschwinglich würden oder wenn die Finanzierung wachsender Defizite bei den öffentlichen Verkehrsbetrieben zu Lasten wichtiger anderer öffentlicher Aufgaben erfolgen müßte. Der Vorteil einiger weniger Schmerzensgeldberechtigter wäre dann m i t der Mehrbelastung ganzer Gruppen von Schadensträgern zu teuer erkauft. Der Frage ist nunmehr für die einzelnen Gefährdungshaftpflichttatbestände gesondert nachzugehen. 46 Z u r Interdependenz von M a r k t s t r u k t u r u n d Schadensüberwälzung aus dem deutschen Schrifttum Weyers, S. 520 m. w. N. 47 Dazu Weyers, S. 501 ff.

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3. Kap. : Probleme einer Schmerzensgeldreform

2. Verteilungspolitische Auswirkungen nach den einzelnen Haftpflichtgesetzen

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a) Straßenverkehrsgesetz Wie die anderen Sonderhaftpflichtgesetze sieht das StVG für die Gefährdungshaftung des Kfz-Halters Haftungshöchstsummen vor. § 12 Nr. 1 StVG begrenzt die Halterhaftung für Unfälle m i t Verletzungsfolgen bei einer Person auf einen Kapitalbetrag von 250 000,— D M bzw. auf eine Jahreshöchstrente von 15 000,— DM. Eine entsprechende Regelung enthält § 10 Nr. 1 StVG i n der Fassung des Referentenentwurfs. Der Entwurf 75 sieht i n A r t i k e l 2 I I eine Verdoppelung dieser Höchstbeträge vor. Wie schon an früherer Stelle bemerkt, haben die Schmerzensgeld(Kapital)beträge — bei immer noch steigender Tendenz — die 100 000,— DM-Grenze längst und bei weitem überschritten 49 . Es ist unschwer vorstellbar, daß die Gerichte bei Einführung von Schmerzensgeld bei Gefährdungshaftung relativ häufig an die Haftungshöchstgrenzen stoßen werden, und zwar gerade bei sehr schweren Unfällen, wo der Verletzte besonderen Schutzes bedarf; ähnliches dürfte eintreffen bei Unfällen m i t mehreren Verletzten. Das Unfallopfer müßte dann, was der Referentenentwurf gerade vermeiden w i l l , doch wieder über den praktisch umständlicheren Weg der Verschuldenshaftung sein Recht suchen 50 . Die Neuregelung der Schmerzensgeldberechtigung bleibt daher ohne die gleichzeitige Anhebung der Haftungshöchstgrenzen ein Torso. Die Anhebung sollte freilich nicht lediglich, nach einem Vorschlag von W. Schmid 51, durch eine Verdoppelung der bisherigen Höchstsummen erfolgen. Statt der vom Referentenentwurf vorgesehenen vorrangigen 48 Nicht untersucht w i r d die Gefährdungshaftung nach dem L u f t V G , da die Haftung des Luftfrachtführers weitgehend durch internationale Regelungen bestimmt ist u n d neue internationale Regelungen sich i n Vorbereitung befinden; vgl. Referentenentwurf, Begründung S. 182 f. Gleiches g i l t f ü r das Atomhaftungsrecht, das ebenfalls eine umfassende Neuregelung nach dem Muster internationaler Konventionen erfahren soll; vgl. Referentenentwurf, Begründung, S. 181 ff.; ferner Kanno, Gefährdungshaftung u n d rechtliche Kanalisierung i m Atomrecht. Auch w ü r d e n sich zum Atomhaftungsrecht keine n u r annähernd präzisen Prognosen hinsichtlich der distributiven Folgen der Schmerzensgeldnovelle anstellen lassen, da Nutzen u n d Risiken einer friedlichen Nutzung der Kernenergie gerade i n jüngster Zeit äußerst kontrovers geworden sind; informativ hierzu vorläufig DER SPIEGEL, Nr. 30 v o m 21. J u l i 1975, S. 32 ff. („Todesstrahlen aus dem A t o m kraftwerk?") 49 Oben Einleitung S. 15. so Brenzel, VersR 1967, 1025 f., m i t praktischen Beispielen; W. Schmid, S. 122. si S. 124.

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Kürzung des Schmerzensgeldes 52 empfiehlt es sich, Haftungshöchstgrenzen für immaterielle und materielle Schäden gesondert festzusetzen. Dadurch wäre bei Erreichung der Höchstgrenzen eine gewisse Proportionalität der beiden Schadensposten gewahrt. Diese Möglichkeit w i r d auch i m Entwurf 75 angedeutet 53 , der als Höchstgrenze für den Immaterialschaden 50 000,— D M vorschlägt. Diese Summe scheint freilich bereits heute zu knapp bemessen und w i r d jedenfalls binnen k ü r zester Zeit als unzureichend empfunden werden. Die Begründung, daß es ja „dem Grunde nach nicht auf ein Verschulden des Ersatzpflichtigen ankäme" 5 3 , begegnet wiederum allen bereits vorgetragenen Bedenken gegen ein zweispuriges Schmerzensgeldrecht. Die Erhöhung der Haftungshöchstsummen berührt angesichts des bestehenden Versicherungszwangs für Kfz-Halter den Haftpflichtigen nicht unmittelbar. Er würde erst betroffen, wenn die Haftpflichtversicherer sich durch die erweiterten Schadensleistungen zur Erhöhung der Versicherungsprämien veranlaßt sähen. Dies ist von den K r i t i k e r n des Referentenentwurfs — freilich ohne Vorlage einschlägigen Zahlenmaterials — immer wieder befürchtet und als triftiges Argument gegen die beabsichtigte Schmerzensgeldnovelle ins Feld geführt worden 5 4 . Dieses Argument, das auch i n der Diskussion um die Angemessenheit der von bundesdeutschen Gerichten gewährten Schmerzensgeldbeträge gelegentlich begegnet 55 , ist auf doppelte Weise fragwürdig. Das gilt zunächst einmal für das Volumen der zu erwartenden Mehrbelastung und des davon abhängigen Prämienmehrbedarfs der Versicherer. Die Aufwendungen für Schmerzensgelder betrugen i n den Jahren 1973/1974 rund 10 °/o der Gesamtleistungen der KH-Versicherer 5 6 . Auf Grund der Unfallursachenstatistik des Statistischen Bundesamtes läßt sich schätzen, daß nur etwa 10 - 20 % aller Straßenverkehrsunfälle m i t Personenschaden nicht auf ein — meist eindeutiges — Verschulden des Kfz-Führers zurückzuführen sind 5 7 . Nur i n 10-20 % aller schmerzensgeldrelevanten Unfälle w i r d also durch die Haftpflichtnovelle ein Schmerzensgeldanspruch neu eingeführt. Für die Gesamtbelastung der KH-Versicherer errechnet sich hiernach ein Plus von lediglich einem, 52 Begründung, S. 219. Begleitschreiben des Bundesministers der Justiz v. 31. J u l i 1975 -3430/ 11-1-11 150/75-, S. 4 f. 64 Esser, SchR I I § 113 I I 6, spricht sogar von der Notwendigkeit einer „drastischen" Anhebung der Versicherungsprämien; vgl. ferner Lemhöfer, VersR 1967, 1135; Sanden, VersR 1967, 417; Reimer Schmidt, Festschr. Felgentraeger, S. 375. 55 Vgl. O L G H a m b u r g J Z 1974, 418; Himer, Schmerzensgeld f ü r Gesichtsentstellungen, J Z 1974, 639 f. 56 Nachweise oben, Einleitung S. 15. 57 s. oben I I a. E. 53

10 Köndgen

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3. Kap. : Probleme einer Schmerzensgeldreform

allenfalls zwei Prozent! Sollte diese Mehrbelastung nicht ohnedies ohne Prämienerhöhung von den Versicherern aufzufangen sein, wäre die erforderliche Anhebung jedenfalls so geringfügig, daß sie i m Rahmen der Gesamtkosten für die Kfz-Haltung guten Gewissens vernachlässigt werden kann. Daran würde auch die notwendige Erhöhung der Haftungshöchstsummen nicht viel ändern, da letztere gegenwärtig meist wesentlich niedriger als die vereinbarten Höchstversicherungssummen liegen 58 . Die Befürchtung einer „drastischen Anhebung" 5 9 der Prämien läßt sich nach allem bereits an Hand des heute verfügbaren empirischen Materials widerlegen 6 0 . Genaue Prognosen sind natürlich einer versicherungsmathematischen Berechnung vorzubehalten. Aber auch wenn man eine Prämienerhöhung als unvermeidlich unterstellt, gewinnt das Argument nicht an Überzeugungskraft. Gelegentlich ist m i t Recht festgestellt worden, daß Schadensträger — die Gemeinschaft der pflichtversicherten Kfz-Halter — und potentiell Geschädigte i m Bereich der Verkehrshaftpflicht zu einem ganz überwiegenden Teil identisch sind 6 1 . Anders gesagt: Der Haftpflichtversicherte, der infolge der Schmerzensgeldnovelle höhere Prämien bezahlt, ist auch der potentielle Nutznießer dieser Mehrbelastung. Wenn aber der Geschädigte i m wirtschaftlichen Resultat für seinen Schaden selbst aufkommt, erweist sich die oben gestellte Frage nach der distributiv richtigen Schadensverteilung für die Kfz-Haftpflicht als weitgehend inadäquat 6 2 . Es ist daher nicht hauptsächlich eine Abwägung zwischen Schädigerbelastung und korrespondierendem Nutzen der Verletzten anzustellen 63 , sondern empirisch zu ermitteln, ob eine eventuell notwendige Prämienerhöhung von den Versicherten i n der Erwartung akzeptiert wird, selbst einmal Nutznießer der erweiterten Schmerzensgeldberechtigung zu sein. Sollte sich dabei ein negatives Resultat ergeben, wäre zu ermitteln, wie viele Kfz-Halter sich durch die Prämienerhöhung an der Haltung eines Autos als zu kostspielig gehindert sähen. 58 Die Deckungssumme beträgt überwiegend pauschal 1 M i l l i o n D M f ü r Personen- u n d Sachschäden; die amtlich festgesetzte Mindestversicherungssumme beträgt seit 1971 500 000,— D M allein f ü r Personenschäden; vgl. H. Becker, Kraftverkehrshaftpflichtschäden, 11. Aufl., Karlsruhe 1971, S. 278. öö Esser, SchR I I § 113 I I 6. 60 Die hier zugrunde gelegten Zahlen decken sich ziemlich exakt m i t den Daten, die a m 22.10.1975 v o m H U K - V e r b a n d i n seiner Stellungnahme zum E n t w u r f 75 vorgelegt wurden. ei V o r allem Sanden, VersR 1967, 413 f.; ferner W. Schmid, S. 126 f. Nicht von dieser Interessenkoinzidenz betroffen sind natürlich unfallbeteiligte M i t fahrer von Kraftfahrzeugen, Radfahrer u n d Fußgänger. I h r A n t e i l an den Unfallverletzten Personen k a n n auf etwa 25 °/o geschätzt werden; vgl. dazu die Angaben i m Statistischen Jahrbuch 1974, S. 350. 62 Vgl. auch Weyers, S. 498, 616. 63 So aber Stoll, D A R 1968, 305; zutreffend dagegen W. Schmid, S. 126.

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Es muß hier dabei bewenden, die relevanten Fragestellungen zu formulieren. Immerhin läßt sich bereits aus den vorliegenden Daten der Schluß ziehen, daß eine fühlbare Mehrbelastung der Kraftfahrer infolge der Schmerzensgeldnovelle aller Wahrscheinlichkeit nach zu vermeiden ist. Ein distributives Ungleichgewicht zwischen Verletzten und Schadensträgern w i r d daher nicht eintreten. Das Distributionsproblem entfällt ohnedies i n der großen Mehrzahl der Unfälle, i n denen Schadensträger und Geschädigte identisch sind. b) Reichshaftpflichtgesetz 64 Das RHG kennt weder i n der geltenden (§§ 3 a, 7 a) noch i n der vom Referentenentwurf vorgesehenen Fassung (§ 3) Haftungshöchstgrenzen für Körperschäden. Die Notwendigkeit einer entsprechenden Anpassung besteht daher nicht. Die Mehrbelastung der — i n der Regel öffentlichen — Eisenbahnbetriebe infolge der Schmerzensgeldnovelle dürfte sich i n Grenzen halten. Zwar sind die m i t dem einzelnen Unfall verbundenen Schadensrisiken ungleich höher als i m Straßenverkehr 6 5 ; andererseits ist — bei aufwendigen technischen Sicherungssystemen — die Unfallursache „menschliches Versagen" ganz dominierend 66 , sodaß schon bisher über die Verschuldenshaftung i m Gros der Unfälle Schmerzensgeld verlangt werden kann. Beweisschwierigkeiten des einzelnen Anspruchstellers betreffend die Verschuldensfrage sind gerade i n den Großunfällen m i t beträchtlicher finanzieller Tragweite nur theoretisch zu befürchten 67 , da die Öffentlichkeit angesichts des Katastrophencharakters dieser Fälle meist auf eine lückenlose Aufklärung des Unfallhergangs dringen wird. Eine eklatante Erhöhung der Haftpflichtbelastung — sie w i r d bei den öffentlichen Verkehrsbetrieben regelmäßig durch Selbstversicherung mittels finanzieller Rückstellungen abgedeckt — ist demnach nicht zu befürchten. Sollte die Mehrbelastung nur über Preiserhöhungen aufzufangen sein, wären letzte Schadensträger die Eisenbahnbenutzer. Der Gedanke ist von gewisser Evidenz, daß die Nutznießer einer gefährlichen Anlage auch für die Kosten der unvermeidlichen Haftungsrisiken einstehen 68 . Dem spürbar verbesserten Schutz weniger Unfallopfer stände eine β* Z u m folgenden k a n n i m wesentlichen auf die gründlichen u n d zutreffenden Ausführungen v o n W. Schmid, S. 127 ff., verwiesen werden. Der T e x t faßt deshalb n u r die wichtigsten Ergebnisse zusammen. es W. Schmid, S. 128 N. 3, f ü h r t als Beispiel die Kollision zweier v o l l besetzter Fernsdinellzüge an. ee Vgl. DER SPIEGEL, Nr. 31 v o m 28. J u l i 1975, S. 27 f. Exakte Zahlen waren m i r nicht zugänglich. 67 Vgl. aber W. Schmid, S. 114 f. 68 Dazu schon oben § 1 I I I 4; ferner W. Schmid, S. 129; vorsichtiger Weyers, S. 501 ff. 10•

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3. Kap. : Probleme einer Schmerzensgeldreform

bloß geringfügige Mehrbelastung zahlreicher Schadensträger gegenüber — eine begrenzte Sozialisierung des Haftungsrisikos, die unter dem Aspekt distributiver Gerechtigkeit keinen Bedenken unterliegt. Indessen scheinen die Preisüberwälzungsspielräume i m öffentlichen Verkehrswesen heutzutage sehr begrenzt zu sein. Eine Verteuerung des öffentlichen Verkehrsangebots gilt politisch als unerwünscht, weil sie eine weitere Expansion des Individualverkehrs zur Folge haben müßte. Die Mehrbelastung müßte dann durch Subventionierung aus Steuermitteln aufgefangen werden. Damit w i r d das Distributionsproblem wiederum gegenstandslos: Schadensträger — die Steuerzahler — und potentiell Geschädigte werden identisch. Es gelten die entsprechenden Erwägungen zur Straßenverkehrshaftpflicht 69 . Die Problematik ändert sich nur unwesentlich, wenn man die Schadensverteilung für den Betrieb von Elektrizitäts- oder Gasanlagen (§ 1 a RHG) und für die — vom Entwurf 67 (§§ 1 b - 1 e) ebenfalls m i t einer Gefährdungshaftung belegte — Innehabung gefährlicher Stoffe untersucht. Immerhin w i r d es sich bei der letzten Fallgruppe hauptsächlich u m privatwirtschaftliche, am (internationalen) Wettbewerb teilnehmende Unternehmen handeln 7 0 . Da eine „socialization of risk" qua öffentliche Subventionierung hier überwiegend ausscheidet, w i r d die zusätzliche Haftpflichtbelastung als Teil der Produktkosten auf die Kunden der betroffenen Unternehmen abgewälzt, jedenfalls solange die Marktverhältnisse dies zulassen. Eine evident unrichtige Distribution w i r d aber auch dann nicht die unvermeidliche Konsequenz sein, da Haftpflichtkosten vielfach nur einen sehr geringen Teil der Gesamtkosten eines Unternehmens ausmachen 71 . Eventuell erforderliche Preiserhöhungen dürften so gering ausfallen, daß sie auf die Wettbewerbsfähigkeit der belasteten Unternehmen keinen Einfluß gewinnen. Vor dem Hintergrund großdimensionierter anderer Reformvorhaben m i t Konsequenzen für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, wie etwa der betrieblichen Vermögensbildung, kann der distributive Effekt der Schmerzensgeldnovelle getrost vernachlässigt werden. 3. Zusammenfassung Die Konsequenzen der Schmerzensgeldnovelle i m ökonomisch-sozialen Bereich sind teilweise weit überschätzt worden. Zwar hat die Hoffnung, das durchschnittliche Schmerzensgeldniveau werde sich infolge des hier befürworteten Wegfalls der Genugtuungsfunktion ermäßigen oder doch stabilisieren, wenig für sich. Jedoch ist der Nachweis erbracht, daß «· Oben a) a. E. A u f diesen Unterschied weist W. Schmid, S. 131 f., hin. 71 Weyers, S. 521, m i t Nachw.

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die finanzielle Mehrbelastung der Schadensträger durchweg geringfügig ist und sich i m praktisch wichtigsten Bereich des Straßenverkehrsrechts in der Größenordnung von 1 - 2 °/o bewegt. Ein sozial nicht mehr tragbares distributives Ungleichgewicht läßt sich somit nicht konstatieren. Das distributive Problem ist ohnedies i n proportional bedeutsamen Fallgruppen gegenstandslos, i n denen die Schadensträger — als Gemeinschaft der Haftpflichtversicherten oder als für Subventionen aufkommende Steuerzahler — m i t den potentiell Geschädigten weitgehend identisch sind. Hier wäre jedenfalls zu ermitteln, ob die Betroffenen an einer Wohltat, für die sie letztlich selbst zu bezahlen haben, überhaupt interessiert sind.

Ergebnisse Gegenüber der Einführung von Schmerzensgeld bei Gefährdungshaftung ist die Berufung auf eine entgegenstehende deutschrechtliche Tradition dubios, da deren Anfänge i n eine dogmengeschichtliche Periode zurückreichen, wo der Ersatz immaterieller Schäden generell verpönt war. Eine Inkompatibilität des m i t Genugtuungsfunktion ausgestatteten Schmerzensgeldanspruchs besteht nicht nur gegenüber der Gefährdungshaftung, sondern auch gegenüber der als Unrechtshaftung zu begreifenden Fahrlässigkeitshaftung. Diese Inkompatibilität ist zu beheben nur durch eine Eliminierung der Genugtuung aus dem Z i v i l recht. Die Versuche, Genugtuung als dem Zivilrecht zuzuweisende autonome Sanktionsform zwischen Schadensersatz und Strafe zu konstituieren, müssen als gescheitert gelten. Eine genauere, auch rechtsvergleichend fundierte Analyse weist die Genugtuung als Privatstrafe aus, die ihren zutreffenden systematischen Ort i m Strafrecht hat. Auf dem engeren Feld der Unfallverletzungen ist die Genugtuung als M i t t e l und Bekräftigung aggressiver Reaktionen des Verletzten überhaupt fehl am Platze. Die Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes garantiert einen ausreichenden haftungsrechtlichen Schutz der physischen Integrität. Das mit der Einführung von Schmerzensgeld bei Gefährdungshaftung verfolgte Ziel eines verbesserten Schutzes der physischen Integrität läßt sich kaum als verfassungsrechtliches Postulat darstellen. Vor dem Hintergrund des von der jüngeren Judikatur immer mehr perfektionierten haftungsrechtlichen Vermögensschutzes läßt sich freilich ein gewisser Rückstand i m Schutz immaterieller Güter konstatieren, dem durch die hier abgehandelte Schmerzensgeldnovelle abgeholfen werden könnte. Die von den Befürwortern einer Schmerzensgeldnovelle erwarteten Erleichterungen für die haftpflichtrechtliche Praxis infolge der Entbehrlichkeit des Verschuldensnachweises sind i n ihrer Tragweite bei weitem überschätzt worden. Die Beweiserleichterung w i r d nur i n einem sehr geringen Teil der Haftpflichtprozesse zum Zuge kommen, da der Streit u m das Schädigerverschulden nur höchst selten Prozeßursache ist. Selbst dieser geringe Vereinfachungseffekt droht wieder aufgezehrt zu werden, wenn man m i t dem Referentenentwurf die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes nur bei Gefährdungshaftung aufgibt und so ein „Schmerzensgeld zweiter Klasse" schafft. Die Er-

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leichterung für die Prozeßpraxis würde vergrößert, wenn sich die Gerichte bereit finden könnten, ihre Bemessungspraxis unter Aufgabe einer übertriebenen Individualgerechtigkeit stärker zu schematisieren; dazu wäre eine Begrenzung der bemessungsrelevanten Faktoren notwendig. Das Ausmaß der von den K r i t i k e r n einer Schmerzensgeldnovelle befürchteten ökonomisch-sozialen Folgelasten w i r d gleichfalls stark überschätzt. I m praktisch wichtigsten Bereich des Kfz-Haftpflichtrechts dürfte eine Prämienerhöhung — falls sie überhaupt notwendig ist — den geringen Satz von 1 - 2 °/o nicht übersteigen. Verteilungspolitisch unerwünschte Konsequenzen sind somit nicht zu befürchten. Ähnliches gilt für den Bereich der meisten anderen Gefährdungshaftungen.

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