Projektepistemologie: Wissensproduktion zwischen Kontingenz und Disposition am Beispiel von Verbundforschung 9783839446393

The volume sketches a "project epistemology" for the analysis of collaborative research and innovatively draws

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Projektepistemologie: Wissensproduktion zwischen Kontingenz und Disposition am Beispiel von Verbundforschung
 9783839446393

Table of contents :
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis und Lektürehinweise
Einleitung
1. Wissensproduktion zwischen Kontingenz und Disposition
1.1 Die Etymologie des Projektbegriffs
1.2 ‚Wissenschaft als Projekt‘: das Gerüst des epistemologischen Arguments
1.3 ‚Wissenschaft als Projekt‘ im Kontext der historischen Epistemologie
1.4 Übersetzen und Sichtbarmachen: Akteur-Netzwerk-Theorie und Experimentalsysteme
1.5 Labor und Klinik: biomedizinische Plattformen
1.6 Herz-Kreislaufphysiologie: Experiment, Inskription, Translation
1.7 Vom kontingenten historischen Ereignis zum dispositionellen Förderverfahren: der Entwurf „Sonderforschungsbereich“
1.8 Zusammenfassung des theoretischen Teils für die Analyse im zweiten und dritten Kapitel
2. Düsseldorfer Dispositionen: die Entwicklung einer Institution als Hospital-Plattform und der Sonderforschungsbereich 30
Einführung
2.1 Von der Medizinischen Akademie zum Universitätsklinikum: die Entstehung der Plattform-Hospitäler und ihrer Hospital-Plattform
2.2 Frühe elektrokardiographische Forschung an der Medizinischen Klinik der Akademie für praktische Medizin bzw. der Medizinischen Akademie Düsseldorf
2.3 Entwicklung des Herzkatheterismus und der Angiokardiographie
2.4 Analyse der Archivdokumente des SFB 30
2.5 Spektrum experimentelle Kardiologie
3. Projekt-Ereignisse: Mausmodelle im Sonderforschungsbereich 612
3.1 Dispositionen I: Die Maus als Labortier
3.2 Dispositionen II: Geschichte und Prinzipien der transgenen Technologie zur Herstellung von Knockout-Mäusen
3.3 Projekt-Ereignisse im SFB 612: Materialität und Kontingenz der Myoglobin-Knockout-Maus
3.4 „From Bedside to Bench“: experimentelle Plattformen für die kardiovaskuläre Phänotypanalyse im SFB 612
4. Zusammenfassung der Ergebnisse im Interaktionsfeld Labor/Klinik und die transgene Maus als „collaborational thing“
5. Epilog: theoretische und methodische Reflexion des Erkenntnismodells
Literatur und Quellen
Anhang
Danksagung
Zusammenfassung der Arbeit

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Thomas Krämer Projektepistemologie

Science Studies

Thomas Krämer, geb. 1983, ist promovierter Medien- und Kulturwissenschaftler und als Technologieberater für Innovationsmanagement am VDI Technologiezentrum GmbH tätig. Der Schüler von Vittoria Borsò war von 2010 bis 2018 als Wissenschaftsmanager an der Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie des Universitätsklinikums Düsseldorf beschäftigt und Kollegiat am Graduiertenkolleg »Materialität und Produktion« (DFG) der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Thomas Krämer

Projektepistemologie Wissensproduktion zwischen Kontingenz und Disposition am Beispiel von Verbundforschung

D61 Eingereicht an der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf unter dem Titel »Wissenschaft als Projekt: Spannungsverhältnisse bei der Wissensproduktion« Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) – KR 5293/1-1

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2019 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Korrektorat: Luigi Lo Grasso – WORTinFORM Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4639-9 PDF-ISBN 978-3-8394-4639-3 https://doi.org/10.14361/9783839446393 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Abkürzungsverzeichnis und Lektürehinweise | 9 Einleitung | 13 1.

Wissensproduktion zwischen Kontingenz und Disposition | 27

Die Etymologie des Projektbegriffs | 27 ‚Wissenschaft als Projekt‘: das Gerüst des epistemologischen Arguments | 33 1.3 ‚Wissenschaft als Projekt‘ im Kontext der historischen Epistemologie | 38 1.4 Übersetzen und Sichtbarmachen: Akteur-Netzwerk-Theorie und Experimentalsysteme | 46 1.4.1 Übersetzen: Akteur-Netzwerk-Theorie | 46 1.4.2 Sichtbarmachen: Experimentalsysteme | 52 1.5 Labor und Klinik: biomedizinische Plattformen | 62 1.6 Herz-Kreislaufphysiologie: Experiment, Inskription, Translation | 69 1.6.1 Experimente in der Herz-Kreislaufphysiologie im historischen Kontext | 69 1.6.2 Inskription: die graphische Methode am Beispiel Ludwigs Kymographions zur Blutdruckmessung und des Elektrokardiogramms | 74 1.6.2.1 Ludwigs Kymographion | 74 1.6.2.2 Das Elektrokardiogramm | 79 1.6.3 Labor und Klinik: translationale Medizin im historischen Kontext | 97 1.6.3.1 Modellorganismen und transgene Tiere | 103 1.7 Vom kontingenten historischen Ereignis zum dispositionellen Förderverfahren: der Entwurf „Sonderforschungsbereich“ | 107 1.8 Zusammenfassung des theoretischen Teils für die Analyse im zweiten und dritten Kapitel | 114 1.1 1.2

2.

Düsseldorfer Dispositionen: die Entwicklung einer Institution als Hospital-Plattform und der Sonderforschungsbereich 30 | 123

2.1

Von der Medizinischen Akademie zum Universitätsklinikum: die Entstehung der Plattform-Hospitäler und ihrer Hospital-Plattform | 127 Das Pavillonkrankenhaus und die „naturwissenschaftliche Medizin“ als konzeptionelle Voraussetzungen für den Neubau der Städtischen Krankenanstalten in Düsseldorf | 127 Gründung der Städtischen Krankenanstalten und der Akademie für praktische Medizin in Düsseldorf | 137 Plattform-Krankenhäuser in Düsseldorf (Architektur): die Chirurgische Klinik (1958) und die MNR-Klinik (1985) | 144 Die Chirurgische Klinik (1958) | 147 Die MNR-Klinik (1985) | 154 Das Universitätsklinikum Düsseldorf als Hospital-Plattform (Organisationsstruktur) | 160 Frühe elektrokardiographische Forschung an der Medizinischen Klinik der Akademie für praktische Medizin bzw. der Medizinischen Akademie Düsseldorf | 175 Zur Konstruktion der Semantik des EKG bei Hoffmann – die Frage der Kontraktilität | 176 Das EKG als Supplement bereits etablierter Methoden und die „Aisthetik“ synoptischer Darstellung | 181 Die Situativität des EKG und seine Implementierung in die Medizinische Klinik in Düsseldorf | 184 Entwicklung des Herzkatheterismus und der Angiokardiographie | 191 Voraussetzungen der Angiokardiographie: Entstehung der Röntgentechnik | 191 Entwicklung des Herzkatheterismus | 197 Institutionelle und personelle Dispositionen zur Etablierung des Herzkatheterismus in Düsseldorf | 200 Räumliche und apparative Dispositionen | 202 Die synoptische Funktion der röntgengestützten Herzkatheteruntersuchung | 203 Die Angiokardiographie als „soziotechnische Evidenz“ und der epistemische Status angiokardiographisch erzeugter Bilder | 205 Analyse der Archivdokumente des SFB 30 | 214 Die Gründungsinstitute des SFB 30 | 215 Die Initiierungsphase des SFB 30 | 225

2.1.1

2.1.2 2.1.3 2.1.3.1 2.1.3.2 2.1.4 2.2

2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.2.1 2.3.2.2 2.3.2.3 2.3.2.4 2.4 2.4.1 2.4.2

2.4.3

Das „alles entscheidende“ Berichtskolloquium von 1973 und die Konsolidierung des SFB 30 | 231 2.4.4 Das Forschungsprogramm des SFB 30 und das Potenzial seines „wissenschaftlichen Betriebs“ | 238 2.5 Spektrum experimentelle Kardiologie | 250 2.5.1 Die Begriffe der Funktion und Regulation und die Kombination holistischer und reduktionistischer Perspektiven in der Physiologie | 251 2.5.2 Das Methodenspektrum im Herz-Kreislaufverbund | 255 2.5.2.1 Experimentelle Hämodynamikmessung im SFB 30 | 265 2.5.2.2 Kardiovaskuläre Krankheitsmodelle | 278 3.

Projekt-Ereignisse: Mausmodelle im Sonderforschungsbereich 612 | 283

Dispositionen I: Die Maus als Labortier | 285 Herkunft der Labormaus | 285 Die Umgebung der Labormaus | 291 Die Funktion der Maus als Modell in Experimentalsystemen | 297 Dispositionen II: Geschichte und Prinzipien der transgenen Technologie zur Herstellung von Knockout-Mäusen | 303 3.2.1 Einführung von Fremd-DNA über homologe Rekombination | 305 3.2.2 Embryonale Stammzellen und ihr Re-Transfer in einen lebensfähigen Organismus | 308 3.2.3 Die Polymerase-Kettenreaktion | 314 3.2.4 Der Entwurfscharakter der Knockout-Maus im Rahmen der „functional genomics“ | 316 3.3 Projekt-Ereignisse im SFB 612: Materialität und Kontingenz der Myoglobin-Knockout-Maus | 320 3.4 „From Bedside to Bench“: experimentelle Plattformen für die kardiovaskuläre Phänotypanalyse im SFB 612 | 339 3.4.1 Der SFB 612 am Übergang von der Genomik zur Postgenomik | 339 3.4.2 Das Forschungsprogramm des SFB 612 | 342 3.4.3 MRT: Theorie und Repräsentationsweise der Technologie | 349 3.4.4 Das „Prinzip der Mäuseklinik“: das diagnostische Spektrum des SFB 612 | 354 3.4.5 in-vivo-Messungen mittels MRT | 355 3.4.6 ex-vivo-Untersuchungen an transgenen Mäuseherzen | 361 3.4.7 Ein ‚neues‘ epistemisches Ding: die Interaktion von Myoglobin und Stickstoffmonoxid in vivo | 362 3.4.7.1 Exkurs: Was ist Stickstoffmonoxid und wie wurde es entdeckt? | 363 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.2

3.4.8

Moleküle und ihre Handlungsträgerschaft: Myoglobin als „NO-Fänger“ | 367

4.

Zusammenfassung der Ergebnisse im Interaktionsfeld Labor/Klinik und die transgene Maus als „collaborational thing“ | 381

4.1

Das DFG-Programm „Sonderforschungsbereich“ und der SFB 30 „Kardiologie“ (1968-1985) – zweites Kapitel | 387 Institutionelle Dispositionen und Struktureffekte des SFB 30 zwischen Labor und Klinik – zweites Kapitel | 388 Ergebnisse der Analyse von Experimentalsystemen und biomedizinischen Plattformen im SFB 30 und SFB 612 – zweites und drittes Kapitel | 392

4.2 4.3

5.

Epilog: theoretische und methodische Reflexion des Erkenntnismodells | 407

5.1

Konzeptionelle Leistung des Erkenntnismodells: von der Makro- bis zur Mikroebene von Verbundforschung | 408 Generalisierbarkeit des Erkenntnismodells | 417 Anwendbarkeit des Erkenntnismodells | 420

5.2 5.3

Literatur und Quellen | 425

Bücher, Monographien und Aufsätze | 425 Zeitschriftenartikel | 441 Internetquellen | 447 Wörterbücher und Nachschlagewerke | 452 Archivquellen | 453 Abbildungsverzeichnis | 458 Anhang | 465

Anhang 1-5: Projektbereiche und Teilprojekte des SFB 30 | 465 Anhang 6: Chronologie der Düsseldorfer Herz-Kreislaufmedizin 1891-2015 | 486 Danksagung | 501 Zusammenfassung der Arbeit | 503

Abkürzungsverzeichnis und Lektürehinweise

Häufig verwendete Abkürzungen Abb. Abbildung; ANT Akteur-Netzwerk-Theorie; Best. Bestand (im Archiv); BMFZ Biologisch-Medizinisches Forschungszentrum der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf; DFG Deutsche Forschungsgemeinschaft; DNA Desoxyribonukleinsäure; EKG Elektrokardiogramm; eNOS Endotheliale Stickstoffmonoxid-Synthase; ES Embryonale Stammzellen; FN Fußnote; HHU Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf; iNOS induzierbare Stickstoffmonoxid-Synthase; MRT Magnetresonanztomographie; NMR Nuclear Magnetic Resonance; nNOS Neuronale Stickstoffmonoxid-Synthase; NO Stickstoffmonoxid (nitric oxide); PCR Polymerase-Kettenreaktion; UKD Universitätsklinikum Düsseldorf; UAD Universitätsarchiv der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf; SFB Sonderforschungsbereich (Abkürzung für Singular und Plural); tg-iNOS+/myo-/- Transgene Mäuse mit kardial-spezifischer Überexpression der iNOS und gleichzeitiger Myoglobin-Defizienz; TVA Tierversuchsanlage der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (heute ZETT); ZETT Zentrale Einrichtung für Tierforschung und wissenschaftliche Tierschutzaufgaben der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

10 | Projektepistemologie

Kennnummern, Titel und Laufzeiten der untersuchten Sonderforschungsbereiche • SFB 30 „Kardiologie“ (1968-1985); • SFB 242 „Koronare Herzkrankheit, Prävention und Therapie akuter Komplikationen“ (1986-1997); • SFB 612 „Molekulare Analyse kardiovaskulärer Funktionen und Funktionsstörungen“ (2001-2012). Gender-Formulierung Bei allen Bezeichnungen, die auf Personen bezogen sind, meint die gewählte Formulierung beide Geschlechter, auch wenn aus Gründen der leichteren Lesbarkeit die männliche Form verwendet wird. Kapitelabkürzungen im Fließtext Verweise auf Kapitel und Unterkapitel der vorliegenden Arbeit erfolgt im Fließtext zumeist in Klammern nach dem Muster: (siehe Kap. 1.4.1). Verwendung von Anführungszeichen Doppelte Anführungszeichen („…“) zitieren einen anderen Autor, einfache (‚…‘) geben die eigenen Modalisierungen wieder. Kursivschreibung Die Kursivschreibung bleibt einzuführenden oder hervorzuhebenden Konzepten und theoretischen Begriffen vorbehalten. Aus diesem Grund werden die Begriffe der experimentellen Verfahren in vitro, ex vivo, in vivo und in situ entgegen den Gepflogenheiten naturwissenschaftlicher Texte in der vorliegenden Arbeit nicht kursiv geschrieben. Gefettete Zwischenüberschriften Gewisse Absätze im Fließtext der vorliegenden Arbeit werden in Zwischenüberschriften unterteilt, die sich nicht unmittelbar auf die Struktur des Inhaltsverzeichnisses beziehen. Durch die Möglichkeit, den Inhalt wichtiger Absätze schon am Anfang einordnen zu können, erfährt der Leser eine Unterstützung bei der Lektüre des so aufgelockerten Fließtextes. Abkürzungen und Hervorhebungen in Zitaten und Fußnoten Zitate aus biomedizinischen Fachzeitschriften werden gemäß den Einträgen der Meta-Datenbank „PubMed“ der National Library of Medicine (USA) abgekürzt. Dies betrifft in den Fußnoten vor allem Journalabkürzungen und hat den Vorteil der leichten Recherche der Artikel bei PubMed. Bei nicht PubMed-gelisteten Fachartikeln werden die (Kurz-)Angaben des jeweiligen Deckblatts übernommen. Der bes-

Abkürzungsverzeichnis und Lektürehinweise | 11

seren Auffindbarkeit des Quellenmaterials ist eine nicht vollständige Vereinheitlichung der Zitationsweisen von (eher biomedizinischen) Zeitschriftenartikeln und (eher geisteswissenschaftlichen) Büchern, Monographien und Aufsätzen geschuldet. Die Initialen [TK] in Zitaten markieren vom Autor der vorliegenden Arbeit eingeschobene Ergänzungen. Selbst hervorgehobene Begriffe in Zitaten werden mit ‚Hervorh. TK‘ kenntlich gemacht. Gleiche Autoren und Herausgeber (Hg.) werden in Zitaten bei der zweiten Nennung mit ders. (derselbe) bzw. dies. (dieselbe oder dieselben) abgekürzt: z.B. Hoffmann, in: ders. (Hg.), 2008, S. 12. Verweise auf Archivquellen in Fußnoten Die Zuordnung von Zitaten aus Wörterbüchern und Nachschlagewerken sowie aus Archivquellen zum Literaturverzeichnis erfolgt mithilfe von folgenden Abkürzungen hinter den jeweiligen Fußnoten: • Wörterbücher und Nachschlagewerke = Lit.verz., WB & NW; • Archivquellen zur HHU-Institutionsgeschichte = Lit.verz., AQ: Inst.gesch. HHU. Quellen zum Sonderforschungsbereich 30: • Finanzierungsanträge des SFB 30 = Lit.verz., AQ: Finanz.antr. SFB 30; • Arbeits- und Abschlussberichte des SFB 30 = Lit.verz., AQ: Arb./Abschl.ber. SFB 30; • Protokolle der Berichtskolloquien und Gutachtersitzungen des SFB 30 = Lit.verz., AQ: Prot.-Ber.koll./GA-Sitz. SFB 30; • Korrespondenz zum SFB 30 = Lit.verz., AQ: Korr. SFB 30. Quellen zum Sonderforschungsbereich 242: • Arbeits- und Abschlussberichte des SFB 242 = Lit.verz., AQ: Arb./Abschl.ber. SFB 242. Quellen zum Sonderforschungsbereich SFB 612: • Finanzierungsanträge des SFB 612 = Lit.verz., AQ: Finanz.antr. SFB 612; • Arbeits- und Abschlussberichte des SFB 612 = Lit.verz., AQ: Arb./Abschl.ber. SFB 612.

Einleitung Die wissenschaftliche Welt ist also unsere Verifikation. Über dem Subjekt und jenseits des unmittelbaren Objekts gründet die moderne Wissenschaft im Projekt. (Bachelard, 1988 [1934], S. 17, Hervorh. im Original)

Projekte sind der Modus Operandi der modernen Wissenschaften. Besonders in den Lebenswissenschaften ist es bereits seit Jahrzehnten üblich, in zumeist durch Drittmittel finanzierten Verbundprojekten für eine zeitlich begrenzte Förderperiode Forscher, Methoden, Modelle und gemeinsam genutzte Großgeräte für einen speziellen Problemkontext zu mobilisieren und zu vernetzen. Projekte erfüllen zentrale Anforderungen der Förderpolitik und des wissenschaftlichen Betriebs: Auf der einen Seite ermöglichen sie es bis zu einem gewissen Grad, die Forschung planbar, kontrollierbar und transparent zu gestalten, und versprechen (z.B. in Projektanträgen), die bereitzustellenden Mittel effizient, termingerecht und zielorientiert einzusetzen. Auf der anderen Seite gelten Projekte als nach innen und nach außen flexibel und sollen Innovationen ermöglichen bzw. neues Wissen hervorbringen und möglichst anwendbar machen. Aus der Perspektive der Forscher, die gehalten sind, in Projekten neues Wissen zu produzieren, erzeugt dieses Spannungsfeld zwischen Planbarkeit und Innovation gewisse Paradoxien: Projektanträge auf Forschungsförderung müssen einerseits so formuliert sein, dass sie durch die Nutzung von bereits vorhandenem Wissen, institutionellen Ressourcen sowie rational eingesetzten Methoden und Technologien innerhalb eines begrenzten Zeitraums umzusetzen sind. Andererseits greift man bei solchen Anträgen auf noch zu produzierendes Wissen vor, ohne die genauen Resultate und Unvorhersehbarkeiten bei der Durchführung des beantragten Forschungsprogramms zu kennen. Bislang steht eine systematische Untersuchung der Funktion und der Spannungsfelder von wissenschaftlichen Verbundprojekten

14 | Projektepistemologie

auf epistemischer, institutionsgeschichtlicher und klinisch-experimenteller Ebene noch aus.1 Hypothese und Ziel Die übergeordnete theoretische Rahmung der vorliegenden Dissertation lautet ‚Wissenschaft als Projekt‘. Sie gibt Orientierung bei der Anwendung zentraler Begriffe und Konzepte und leitet den Blick auf das empirische Material. Der Projektbegriff wird in ein Spannungsfeld zwischen Kontingenz und Disposition gestellt: Während Dispositionen als strukturelle, institutionelle und materielle bzw. (experimental-) technische Voraussetzungen für die erfolgreiche Einwerbung und Durchführung von drittmittelgeförderten Verbundprojekten zu verstehen sind, bezeichnen Kontingenzen nicht vorhersehbare, unerwartete Ereignisse bei der Projektdurchführung (z.B. überraschende Ergebnisse eines Experiments), die nicht aus dem initialen Projektantrag ableitbar sind. Wissenschaftliche Projekte haben diesem Verständnis nach nicht nur den Charakter von Erkenntniszusammenhängen, sondern auch von historischen Ereigniszusammenhängen. Sie stellen Versuche dar, aus historisch kontingenten Situationen Wissen zu produzieren, zu stabilisieren, anwendbar zu

1

Dies bedeutet nicht, dass es keine Schnittmengen zu anderen rezenten Publikationen gibt. Die institutsübergreifende Forschungsinitiative des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte in Berlin und des Kunsthistorischen Instituts in Florenz (ebenso MaxPlanck-Institut) „Wissen im Entwurf. Zeichnen und Schreiben als Verfahren der Forschung“ thematisiert in ihrer gleichnamigen in vier Bänden erschienen Reihe sowohl die materiellen Bedingungen als auch den Entwurfs- bzw. Projektcharakter von Wissensproduktion (vgl. Hoffmann, in: ders. [Hg.] 2008, S. 7-21). Dies geschieht anhand von einzelnen Materialstudien und nicht an stattgefundenen wissenschaftlichen Projekten im engeren Sinne (siehe auch Kap. 1.3 der vorliegenden Arbeit). In den Sozialwissenschaften untersuchen einige Arbeiten die theoretische und praktische Funktion von Projekten im Forschungsprozess. So analysiert etwa Besio, 2009 angelehnt an Niklas Luhmanns Systemtheorie den Organisationswandel in den Wissenschaften anhand von Forschungsprojekten. Eine historisch und theoretisch fundierte wissenschaftssoziologische Übersicht zur Projektförmigkeit von Forschung mit empirischen Fallbeispielen aus den Technikwissenschaften, der Pädagogik und aus den Sozialwissenschaften gibt Torka, 2009. Mit seinem Konzept charakterisiert er Projektforschung als eigenständiges Deutungsmuster und autonomen Typ sozialer Strukturbildung. Durch die Verknüpfung von Analysen zur Verfahrensordnungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und Kommunikationsabläufen aus konkreten Forschungsprojekten zeichnet Torka das produktive Spannungsverhältnis zwischen Forschung und Projektform nach. Dabei fokussiert er sich eher auf projektinterne Kommunikationsprozesse und weniger auf die Gegenstände und Methoden der jeweiligen Forschungsprogramme in den Projekten.

Einleitung | 15

machen und zu verbreiten. Hinsichtlich der Analyse der Produktion von spezialisiertem Projektwissen sind daher die jeweiligen projektspezifischen Diskurse, Praktiken und Technologien zu berücksichtigen, die es erst ermöglichen, dass Aussagen in einem speziellen Kontext als ‚wahr‘ bzw. wissenschaftlich relevant gelten können. Die forschungsleitende Hypothese von Projektepistemologie lautet: Projektwissen wird im Spannungsfeld zwischen Kontingenz und Disposition produziert, wobei Kontingenzen (experimentelle Unvorhersehbarkeiten im Forschungsprozess) und Dispositionen (institutionelle und experimentaltechnische Arrangements) nicht als hermetische Entitäten zu verstehen sind, sondern in Wechselwirkung zueinanderstehen und sich so gegenseitig verändern. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, am Beispiel der Düsseldorfer Herz-Kreislaufforschung die Spannungsverhältnisse zwischen institutioneller Disposition und projektspezifischer Ereignishaftigkeit nachzuzeichnen. Als Forschungsfeld dienen drei kardiovaskuläre Sonderforschungsbereiche (SFB)2 zwischen 1968 und 2012 am Standort.3 Hierfür soll die epistemische, institutionell/lokalgeschichtliche und die materiell/experimentaltechnische Rolle von diesen Forschungsverbundprojekten herausgearbeitet werden. Für ein solches Vorhaben sind Konzepte der klassischen (sprach-)analytischen Wissenschaftstheorie, welche die Forschung auf subjektzentrierte logische Strukturen kognitiver Prozesse und auf die Form wohldefinierter Theorien reduziert, nicht ausreichend. Für die Untersuchung der Spannungsverhält-

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Sonderforschungsbereiche (SFB) sind seit 1968 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte, ortsgebundene Verbundprojekte, bei denen Forscher aus verschiedenen Disziplinen zu einer gemeinsamen Problemstellung kollaborieren. Das Besondere an dem Förderverfahren ist, dass die Hochschulen als Antragsteller auftreten und dabei dem Verbund eine angemessene Grundausstattung zur Verfügung stellen sollen, um die Langfristigkeit der bis zu zwölf Jahre laufenden SFB-Förderung sicherzustellen. Die Themen, die in SFB bearbeitet werden sollen, geben die Wissenschaftler des Verbundes selbst vor; d.h., es gibt bei diesem Förderverfahren keine themenspezifischen Ausschreibungen.

3

Diese sind im Einzelnen: • SFB 30 „Kardiologie“ (1968-1985); • SFB 242 „Koronare Herzkrankheit, Prävention und Therapie akuter Komplikationen“ (1986-1997); • SFB 612 „Molekulare Analyse kardiovaskulärer Funktionen und Funktionsstörungen“ (2001-2012). Seit Anfang 2015 wird der SFB 1116 „Master Switches bei kardialer Ischämie“ an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) gefördert. Da es sich hierbei um laufende Forschung handelt, wird dieser SFB in der vorliegenden Arbeit nicht näher analysiert.

16 | Projektepistemologie

nisse bei der Wissensproduktion operationalisiert die vorliegende Arbeit folglich verschiedene Konzepte aus den Science & Technology Studies (STS), der AkteurNetzwerk-Theorie (ANT) und der historischen Epistemologie. Aus der Spannung zwischen Kontingenz und Disposition und den verwendeten Konzepten ergibt sich eine ‚Projektepistemologie‘. Diese ermöglicht es, den Zwischenraum zwischen forschendem Subjekt und im Forschungsprozess hervorzubringendem Wissensobjekt samt seiner bildlichen Repräsentationen in den Fokus zu nehmen. Material Im Prozess der Wissensproduktion leisten Projekte Synthese und Synopse, indem sie Elemente aus verschiedenen ontologischen Bereichen arrangieren: Sie produzieren Diskurse (z.B. in Publikationen), sie manipulieren Materialitäten (z.B. in Experimenten und klinischen Settings) und sie nutzen bereits vorhandene Ressourcen (z.B. Forschungsapparaturen). Zur Untersuchung der kardiovaskulären SFB bezieht die vorliegende Arbeit das Material aus Forschungsanträgen sowie aus Zwischenund Abschlussberichten, Archivdokumenten, projektrelevanten Publikationen, Manuskripten aber auch aus Experteninterviews und persönlichen Mitteilungen beteiligter Forscher. Das Themenfeld der Herz-Kreislaufforschung ist für die historische und systematische Untersuchung zur Produktion von Projektwissen aus zweierlei Gründen besonders geeignet: Zum einen ist dieses Fach wissenschafts- und medizinhistorisch interessant, weil aus seiner Entwicklung während der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wichtige Impulse zur Etablierung von genauen Verfahren zur Messung und graphischen Darstellung physiologischer Parameter kamen (Blutdruckkurven, Elektro- und Angiokardiogramme etc.). Zum andern bietet sich die Herz-Kreislaufforschung für die Analyse von Verbundforschung an, weil das Herz und die Gefäße als interdisziplinäre Forschungsgegenstände das gesamte Spektrum experimenteller und klinischer Praxis abdecken: von Untersuchungen an Molekülen im Reagenzglas (in vitro) über Versuche am isoliert schlagendem Präparat (ex vivo) bis hin zu Untersuchungen am komplexen Gesamtorganismus (in vivo) und der klinischen Situation beim Menschen. 4 Mit folgenden interdisziplinären Herausforderungen haben es Herz-Kreislaufforscher bei der Verbundforschung zu tun: Die verschiedenen Perspektiven der Laborwissenschaftler und der Kliniker müssen in einen gemeinsamen Problemhorizont für einen For-

4

Wie bereits in den Lektürehinweisen dargelegt, bleibt die Kursivschreibung einzuführenden oder hervorzuhebenden Konzepten und theoretischen Begriffen vorbehalten. Daher werden die Begriffe in vitro, ex vivo, in vivo und in situ entgegen den Gepflogenheiten naturwissenschaftlicher Texte in der vorliegenden Arbeit nicht kursiv geschrieben.

Einleitung | 17

schungsantrag übersetzt werden und bei der Projektdurchführung müssen verschiedene Experimentalsysteme für die gemeinsamen Projektziele koordiniert werden. Für die Untersuchung zur Produktion von Projektwissen zwischen Kontingenz und Disposition wählt die vorliegende Arbeit das Beispiel der Düsseldorfer HerzKreislaufforschung aus zweierlei Gründen: Zum einen stellte die Medizinische Akademie in Düsseldorf im Laufe der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eines der Zentren in Deutschland dar, an dem früh bildgebende Verfahren zur kardiovaskulären Diagnostik in der Klinik eingesetzt wurden (z.B. die Elektrokardiographie und Röntgenologie in den 1910er Jahren und die Angiokardiographie in den späten 1940er Jahren). Zum anderen weist die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) eine fast 50-jährige Fördergeschichte von insgesamt vier kardiovaskulären SFB vor, von denen drei in der vorliegenden Arbeit näher untersucht werden. 5 Dies erlaubt, die Entwicklung von projektspezifischer Wissensproduktion nicht nur hinsichtlich der Forschungsprogramme der SFB, sondern auch hinsichtlich der Ausdifferenzierung des SFB-Förderverfahrens der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zu untersuchen. Der Erfolg der Düsseldorfer Herz-Kreislaufforschung in der nahezu kontinuierlichen Einwerbung von SFB begünstigt nicht nur die Eingrenzung des Forschungsmaterials, sondern lässt die Frage zu, mit welchen Konzepten, Modellen und Technologien SFB-generiertes Projektwissen hervorgebracht wurde und wie es sich im Laufe der zu untersuchenden SFB veränderte. Methodik Für das methodologische Vorgehen zur Analyse des Materials hinsichtlich der Spannungsverhältnisse zwischen institutioneller Disposition und projektspezifischer Ereignishaftigkeit werden folgende Konzepte anderer Autoren operationalisiert und in die übergeordnete theoretische Rahmung von Projektepistemologie integriert: Für die theoretische Bestimmung des Begriffs des Projekts bzw. des Entwurfs werden der Epistemologe Gaston Bachelard und der Philosoph Martin Heidegger herangezogen. Dass sich Wissenschaft nicht nur subjektzentriert im Kopf der Forscher vollzieht und die Wirklichkeit eins zu eins abbildet, sondern intermediäre Felder von Praktiken, Apparaten, sozialen Beziehungen und Materialien voraussetzt,6 wird sich in Kap. 1.3 zeigen. In diesen intermediären Feldern müssen die Wissensobjekte erst noch mittels der von Bachelard sogenannten „Phänomenotechnik“ bildlich hervorgebracht werden. Der Parallelbegriff des Entwurfs bei Heideg-

5

In Anhang 6 auf S. 486 der vorliegenden Arbeit ist eine Chronologie der Düsseldorfer Herz-Kreislaufmedizin von 1891-2015 zu finden, die zum Teil über die Ausführungen dieser Arbeit hinausgeht und einen allgemeinen medizinhistorischen und institutionsgeschichtlichen Überblick bietet.

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Rheinberger, in: Krauthausen/Nasim (Hg.), 2010, S. 140.

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ger wird für die Belange einer Projektepistemologie in ein Spannungsfeld zwischen Kontingenz und Disposition gesetzt, indem die Heidegger’schen Begriffe des kontingenten „Sicheinrichtenmüssen[s] auf die eigenen Ergebnisse“ und des „wissenschaftlichen Betriebs“ (Disposition) für die Analyse von SFB angewendet werden (Kap 1.3 und 1.7). Mit der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) wird ein grundlegendes Verständnis von Translationsketten in den Lebenswissenschaften vermittelt (Kap. 1.4.1). Hier stellen sich die Fragen: Welche Übersetzungsschritte führen von der Materialität eines Organismus (sei es ein Versuchstier oder ein Patient) hin zur Form einer Inskription (sei es eine Kurve, ein Diagramm usw.)? Wie werden solche Inskriptionen ferner als „immutable mobiles“ (Bruno Latour) zunächst dekontextualisiert und anschließend zu einer Synopse (z.B. in Form einer Übersichtsabbildung) ‚zusammengezogen‘? Moleküle und molekulare Reaktionswege greifen im Rahmen solcher Translationsketten von der Materie hin zur Form als vollwertige Akteure in den Forschungsprozess ein und erhalten damit den Status von Handlungsträgern. Für die Analysen ausgewählter Experimente der zu untersuchenden SFB wird Hans-Jörg Rheinbergers Konzept des Experimentalsystems verwendet (Kap. 1.4.2). Von ihm sogenannte epistemische Dinge werden mit projektspezifischen Kontingenzen und technische Objekte mit experimentaltechnischen Dispositionen am Standort Düsseldorf identifiziert. Dies erlaubt es in der vorliegenden Arbeit, den dynamischen Fortgang der Forschungsprogramme der im Fokus stehenden SFB aus der Mikroperspektive ausgewählter Teilprojekte nachzuzeichnen. Zusätzlich soll mittels der von Rheinberger vorgeschlagenen „Typologie [natur-]wissenschaftlicher Visualisierungen“ die projektspezifischen Repräsentationsräume charakterisiert werden. Da die Herz-Kreislaufforschung nicht auf grundlagenwissenschaftliche Disziplinen beschränkt ist, sondern als ein Interaktionsraum zwischen Labor und Klinik betrachtet werden soll, wird über Rheinberger hinaus das aus den Science & Technology Studies (STS) stammende Konzept der biomedizinischen Plattform der Medizinsoziologen Peter Keating und Alberto Cambrosio angewendet. Die Vernetzung und Verschachtelung von Akteuren verschiedener Provenienz zur Etablierung biomedizinischer Plattformen für klinische Bildgebung im Rahmen der untersuchten SFB wird in diesem Zuge nachgezeichnet. Der von Keating und Cambrosio bereitgestellte Plattformbegriff wird ferner auf einer institutionsgeschichtlichen Ebene verwendet, um die architektonischen und organisatorischen Dispositionen herauszuarbeiten, die es gestatteten, seit 1968 insgesamt vier kardiovaskuläre SFB in Folge am Standort Düsseldorf einzuwerben. Die Verquickungen von architektonischen Formen und organisatorischen Strukturen der HHU und des Universitätsklinikums Düsseldorf (UKD) werden im Kontext einer „Umbaugeschichte“ (Cornelius Borck) als Supplementierungen verstanden, um zu verdeutlichen, dass das Hinzutreten von Gebäuden nicht immer nur ein-

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fache Erweiterung ist, sondern auch neue Kooperationsformen ermöglichen kann. Bei der Analyse der Experimente der kardiovaskulären SFB spielt der Begriff des Supplements eine wichtige Rolle. Anlehnend an Jacques Derrida versteht Rheinberger Supplements als eine „Ökonomie epistemischer Verschiebung, in der alles, was zunächst lediglich als Substitution oder Hinzufügung“ erscheint, „[…] dem System insgesamt eine neue Gestalt […] gibt.“7 Experimentelle Supplements treten vor allem dort auf, wo neue Messtechniken etablierte Verfahren zunächst ‚nur‘ ergänzen, dann aber aufgrund der erkenntnistreibenden „Ökonomie der Synopse“ (Jacques Derrida) in der Lage sind, das zu einer bestimmten Zeit gegebene bildlich-wissenschaftliche Inventar derart zusammenzufassen und zu überblicken, dass neue Entwürfe und damit Innovation möglich werden. Mit ihrem Fokus auf ‚Wissenschaft als Projekt’ geht die vorliegende Arbeit und die darin operationalisierten Begriffe und Konzepte davon aus, dass es bei der Analyse von Wissensproduktionen nicht allein um eine ‚Menschen-‘ und um eine Technikgeschichte gehen kann. Vielmehr geht es auch um eine Geschichte der Dinge und experimentellen Organismen, der sichtbar zu machenden physiologischen Parameter und Moleküle, der in der Forschungspraxis umzusetzenden Modelle und der hierzu notwendigen epistemischen, technischen und institutionellen Voraussetzungen. Aufbau der Arbeit – Erstes Kapitel Das erste Kapitel hat zum Ziel, den Projektbegriff für eine Analyse von Spannungen zwischen Kontingenz und Disposition zu operationalisieren, die verwendeten Konzepte vorzustellen und sowohl systematisch als auch historisch in die Thematik der Herz-Kreislaufphysiologie und des DFG-Förderverfahrens für SFB einzuführen. Nachdem die Etymologie des Projektbegriffs geklärt wird (Kap. 1.1), erfolgt eine zusammenfassende Darstellung des epistemologischen Arguments bezüglich der Analyse von Spannungsverhältnissen zwischen Kontingenz und Disposition (Kap. 1.2). Die oben beschriebene Operationalisierung des Entwurfs- bzw. des Projektbegriffs nach Heidegger und Bachelard (Kap. 1.3), die Analysen von Strategien der Übersetzung und Sichtbarmachung (ANT und Experimentalsysteme, Kap. 1.4) und die Verwendung des Begriffs der biomedizinischen Plattform (Kap. 1.5) bereiten die projektepistemologische Analyse der Düsseldorfer Herz-Kreislaufforschung im zweiten und dritten Kapitel vor. Hierzu ist vorab die Vermittlung eines allgemeinen Verständnisses der wissenschaftlichen Praxis und der Problematisierungen der Herz-Kreislaufphysiologie notwendig. Kap. 1.6 unterzieht die Begriffe Experiment, Inskription und Translation einer wissenschaftshistorischen Analyse: Welche Experimente mit kardiovasku-

7

Rheinberger, 2001, S. 10-11.

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lärer Relevanz wurden bereits im Altertum vorgenommen? Mittels welcher Apparate und Verfahren erfolgten ab der Mitte des 19. Jahrhunderts erste reproduzierbare Messungen physiologischer Parameter? Inwiefern sind die ausgewählten Beispiele des Kymographions Carl Ludwigs zur direkten Blutdruckmessung (Kap. 1.6.2.1) und des Elektrokardiogramms (EKG, Kap. 1.6.2.2) Musterbeispiele für den Erfolg der sogenannten „graphischen Methode“ und damit wichtige Dispositionen für die Entstehung der modernen Herz-Kreislaufphysiologie? Auch wenn einige Inskriptionen wie das EKG erstaunlich schnell vom physiologischen Labor in die Klinik übertragen wurden, stellt sich die Frage der Nachträglichkeiten und Unsicherheiten, die solchen Translationsprozessen aufgrund der komplexen Herstellungs- und kontroversen Aushandlungskontexten der jeweiligen Verfahren unterliegen. Denn Labor und Klinik sind keine von vornherein aufeinander abgestimmten Bereiche, sondern bilden einen ständig neu zu rekonfigurierenden Interaktionsraum, der im Kap. 1.6.3 systematisch und historisch beleuchtet und mit dem in den heutigen Lebenswissenschaften häufig verwendeten Begriff der „translationalen Forschung“ kontrastiert wird. Das Unterkapitel schließt mit einem Ausblick (Kap. 1.6.3.1) auf Modellorganismen und transgene Tiere, die in den Experimentalanalysen zu den Düsseldorfer kardiovaskulären SFB untersucht werden. Die Problematik der historisch-kontingenten Entstehungsgeschichte und Entwicklung des DFG-Förderprogramms „Sonderforschungsbereich“ wird mit der Frage verknüpft, welche Schnittmengen es mit dem Heidegger’schen Begriff des wissenschaftlichen Betriebs aufweist und inwiefern dies in der projektepistemologischen Analyse von SFB Anwendung findet (Kap. 1.7). In der Zusammenfassung der Ergebnisse aus dem ersten Kapitel (Kap. 1.8) kündigt sich an, dass die vorliegende Arbeit die Düsseldorfer kardiovaskulären SFB gemäß den vorgestellten Konzepten und Methoden thematisch auf drei Ebenen untersucht: auf der Ebene der förderpolitischen Werkzeuge, auf der Ebene der Institutionsgeschichte als Voraussetzung für die Einrichtung von SFB und auf der materiellen Ebene von SFB-relevanten Experimentalsystemen und biomedizinischen Plattformen. Zweites Kapitel Die gegenläufigen Überschriften des zweiten und dritten Kapitels (‚Düsseldorfer Dispositionen: die Entwicklung einer Institution als Hospital-Plattform und der SFB 30‘ vs. ‚Projekt-Ereignisse: Mausmodelle im SFB 612‘) machen deutlich, dass der Schwerpunkt jeweils auf einer Dispositionsanalyse (zweites Kapitel) bzw. einer Kontingenzanalyse (drittes Kapitel) liegt, und untermauern die Systematik der Untersuchung von Spannungsverhältnissen bei der projektspezifischen Wissensproduktion. Jedoch starten sowohl das zweite als auch das dritte Kapitel mit der Darstellung von wissenschaftshistorischen, institutionellen und technologischen Dispositionen, von denen aus sich projektspezifische Kontingenzen erst ergeben konnten

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und für die projektepistemologische Analyse sichtbar werden. Die Darstellungen der Dispositionen zu Beginn der Kapitel erfolgen dabei sowohl systematisch als auch historisch: systematisch hinsichtlich ihrer Spannung zu projektrelevanten Kontingenzen; historisch in der Entwicklung der medizinischen Forschung und Klinik im 19. und 20. Jahrhundert. Dies geschieht in einer Art ‚Zoom‘ auf die HerzKreislaufforschung generell und speziell auf jene am Standort Düsseldorf. Zu Beginn des zweiten Kapitels werden zunächst die krankenhausgeschichtlichen und epistemologischen Voraussetzungen geklärt, die es im Laufe des 19. Jahrhunderts in Deutschland und Frankreich ermöglichten, aus dem Hospital zur Armenfürsorge einen Ort der „fundamentalen Verräumlichung und Versprachlichung des Pathologischen“ (Michel Foucault) zu machen. Mit Foucault wird gefragt, wie mit dem „ärztlichen Blick“ ein skopisches Regime in die klinische Praxis integriert wurde und welche Bedeutung dies für das Aufkommen der „experimentellen Medizin“ (Claude Bernard) in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte (Kap. 2.1.1). Nachdem die Bauten des Universitätsklinikums Düsseldorf als ‚mobile Immobilien‘ im Rahmen einer supplementären Umbaugeschichte (in Anlehnung an Cornelius Borck, Kap. 2.1.3) beschrieben und das organisatorische und kooperative Netzwerk dieser Institution als Hospital-Plattform (Kap. 2.1.4) präsentiert wurde, folgt die historische Darstellung der Implementierung der Elektrokardiographie am Standort Düsseldorf im frühen 20. Jahrhundert (Kap. 2.2). Indem die Systematik der Ausführungen zum EKG aus dem ersten Kapitel aufgegriffen wird, stellt sich die Frage, inwiefern dem EKG als anschlussfähigem Supplement zu bereits etablierten physiologischen Inskriptionsverfahren mehr und mehr ‚Wahrhaftigkeit‘ und klinische Relevanz zugeschrieben wurde und es so zur Black Box der Inneren Medizin werden konnte. Kap. 2.3 widmet sich einer weiteren wichtigen technologischen Disposition, die der Kardiologie im Laufe des 20. Jahrhunderts zur Eigenständigkeit und Autonomie als Fach verhalf. Nachdem die röntgenologischen Voraussetzungen geklärt wurden, wird die Angiokardiographie als im Rahmen des SFB 30 eingesetzte bildgebende biomedizinische Plattform charakterisiert und der epistemische Status angiokardiographisch erzeugter Bilder untersucht. Welche Akteure und Elemente verketten und vernetzen auf dieser bildgebenden Plattform? Welche synoptische Kraft üben die von ihr produzierten Bilder auf die Forscher aus und inwiefern werden Letztere dazu veranlasst, ihre Krankheitsbegriffe auf gewisse Abbilder zu reduzieren? Wie verändern solche Reduktionen das Spannungsfeld zwischen normal und pathologisch im Sinne des Epistemologen Georges Canguilhems? Die Darstellung der institutionellen, personellen und räumlich-apparativen Dispositionen zur Etablierung der Angiokardiographie am Standort Düsseldorf geben zugleich Einblick in den Stand der klinischen Forschung beim Start des SFB 30 im Jahre 1968.

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Die Rekonstruktion der Initiierung, der Konsolidierung und des Forschungsprogramms des SFB 30 (Kap. 2.4) erfolgt anhand von im Bundesarchiv Koblenz aufgefundenen Finanzierungsanträgen, Abschlussberichten und Protokollen der Berichtskolloquien des SFB 30 mit den entsprechenden Gutachterkommentaren. Die historisch-kontingente Initiierungsphase des SFB 30 in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren gibt Aufschluss über das hohe Maß an Improvisation, das allen Beteiligten (sowohl Antragsstellern und Gutachtern als auch Mitarbeitern der DFGGeschäftsstelle in Bonn) zu dieser Zeit abverlangt wurde. Die Resonanzen zwischen institutioneller und forschungsprogrammatischer Konsolidierung des SFB 30 und der Ausdifferenzierung der Verfahrens- und Begutachtungsstruktur der DFG sind für das Verständnis der supplementären Teilprojektstrukturen von SFB aufschlussreich und zeigen die ermöglichten Kooperationsformen auf. Wie sahen solche Teilprojektstrukturen und das Forschungsprogramm im SFB 30 konkret aus? Der Heidegger’sche Begriff des wissenschaftlichen Betriebs und der damit verbundene ‚Zwang‘ der SFB-Forscher zur regelmäßigen Synthese und Synopse im Rahmen der Neubeantragung von Fördergeldern werden zur Beantwortung herangezogen. Im Spiegel der Forschungsprogramme vier weiterer kardiovaskulärer SFB der ersten Stunde an verschiedenen Standorten in Deutschland wird schließlich die Frage aufgeworfen, welche materiellen und technologischen Konsequenzen solche auf dem Papier formulierten kardiovaskulären Forschungsprogramme haben. Dieser Frage geht Kap. 2.5 mit der Darstellung des methodischen Spektrums der experimentellen Herz-Kreislaufforschung nach. Der experimentaltechnische und epistemische Status von physiologischen Modellen im Reagenzglas (in vitro), über isolierte Organe (ex vivo) bis hin zu Modellorganismen bzw. Tiermodellen (in vivo) wird unter Rückgriff auf sowohl physiologische Fachliteratur als auch auf wissenschaftsphilosophisch/epistemologische Quellen herausgearbeitet. Welche graphisch-synoptischen Überlagerungen von ex-vivo- und in-vivo-Modellen wurden in das Postulat eines biologischen Mechanismus (mit Canguilhem verstanden als „notwendige Sequenz von Operationen“) übersetzt? Die Beantwortung erfolgt aus der Mikroperspektive eines Teilprojekts des SFB 30 zur experimentellen Hämodynamikmessung (Kap. 2.5.2.1). Die Darstellung des Spektrums der experimentellen Herz-Kreislaufforschung schließt mit der Beantwortung der Frage, wie kardiovaskuläre Krankheitsmodelle experimentell erzeugt werden und welche Unvergleichbarkeiten zwischen verschiedenen Spezies und Modellen in diesen Kontexten bestehen. Solche als ‚translational gaps‘ bezeichneten Inkommensurabilitäten werden abschließend mit Canguilhem hinsichtlich „methodologischer Vorsichtsmaßnahmen“ im experimentellen Vorgehen kommentiert, die für die Lebenswissenschaften bis heute von großer Relevanz sind.

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Drittes Kapitel Das letzte Kapitel widmet sich einem speziellen Tiermodell, das nicht nur in der kardiovaskulären, sondern in der biomedizinischen Forschung allgemein das heute meist verwendete Versuchstier darstellt: die Maus. Eine zentrale Frage des dritten Kapitels lautet: Hat die genetisch veränderte Maus das Potenzial, die im zweiten Kapitel ausgemachten ‚translational gaps‘ zu schließen, und kann sie als eine Art Brücke zwischen Labor und Klinik fungieren? Wie im zweiten Kapitel werden zunächst die wissenschaftshistorischen und experimentaltechnischen Dispositionen geklärt, die es ermöglichten, die Maus zunächst in ein Labortier (Kap. 3.1) und später mittels der transgenen Technologie in einen genveränderten Organismus zu transformieren, bei dem gezielt Gene an- und ausgeschaltet werden können (Kap. 3.2). In diesem Zuge werden u.a. sowohl die Funktion von Mausmodellen in kardiovaskulären Experimentalsystemen als auch die kontingente Entstehungsgeschichte der transgenen Technik und der damit verbundenen Repräsentationsweisen einer gezielten Mutagenese besprochen. Mit der Etablierung der transgenen Technologie im Laufe der 1990er Jahre ging in der Biomedizin große Hoffnung einher, Mausmodelle für menschliche Erkrankungen erzeugen zu können. Am Beispiel von Knockout-Mäusen, denen aufgrund transgener Manipulation das für den Sauerstoffspeicher im Organismus wichtige Protein Myoglobin fehlt, startet die vorliegende Arbeit die Kontingenzanalyse von kardiovaskulären Mausmodellen im SFB 612 (Kap. 3.3). Die Frage ist, inwiefern Myoglobin-Knockout-Mäuse in ihrer organismischen Materialität trotz (vermeintlich ‚dispositioneller‘) transgener Technologie im Experimentalsystem unvorhersehbare Kontingenzräume aufspannen und das Verständnis von normal und pathologisch der SFB-Forscher im Sinne Canguilhems verschieben. Anhand von Finanzierungsanträgen, Zwischen- und Abschlussberichten und der Internetseite des Instituts für Molekulare Kardiologie der HHU wird das Forschungsprogramm des SFB 612 analysiert und die experimentellen Plattformen zur Herstellung kardiovaskulärer Mausmodelle am Standort präsentiert (Kap. 3.4.1 bis 3.4.6). Das methodische und diagnostische Spektrum dieser von den SFBForschern sogenannten „Düsseldorfer Mäuseklinik“ erlaubt es, nahezu alle in der Klinik üblichen diagnostischen Untersuchungsmethoden in miniaturisierter Form an genveränderten Mäusen vorzunehmen. Als zugleich ‚unblutiges‘ (weil nicht-invasives) und hochauflösendes Verfahren spielt die Magnetresonanztomographie (MRT) eine zentrale Rolle bei der experimentellen Bildgebung des Herzens und der Gefäße. Die Untersuchung der Repräsentationsweise der MRT-Methode und ihre Charakterisierung als Phänomenotechnik im Sinne Bachelards (Kap. 3.4.3) lässt die Kontingenzanalyse weiterer Mausmodelle im SFB 612 zu. Im Verlauf der Projektdurchführung trat ein ‚neues‘ epistemisches Ding auf den Plan, von dem man sich erhoffte, mehr über die kardioprotektiven Eigenschaften von Myoglobin zu erfahren: Es war die Interaktion von Myoglobin mit dem in Düs-

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seldorf seit den späten 1980er Jahren beforschtem Signalmolekül Stickstoffmonoxid („nitric oxide“, NO, Kap. 3.4.7). Mit dem Beispiel von Experimenten zu diesem molekularen Interaktionsmuster stehen Translationsketten von der Materie hin zur Form infrage, die für Forschung an Mäusen im SFB 612 charakteristisch waren: Wie wurden aus dem ex vivo schlagenden Mäuseherzen in der MRT-Apparatur zunächst differentielle Spuren erzeugt? Wie wurden diese Spuren weiter zu Inskriptionen verarbeitet und anschließend in eine synoptische Schema-Abbildung eingefügt? Welchen molekularen Reaktionsmechanismus postulierte diese synoptische Darstellung und inwiefern wies sie Molekülen den Status von Handlungsträgern zu (Kap. 3.4.8)? Die Ergebnisse der Untersuchung der Interaktion von Myoglobin und NO an isolierten Mäuseherzen gaben den SFB-Forschern Anlass, diesen auch in vivo am Gesamttier zu testen. Anhand der Analyse weiterer Mausmodelle sollen erneut aufgetretene experimentelle Kontingenzen des SFB 612 herausgearbeitet werden. Diese Modelle trugen dazu bei, dass sich das Forschungsfeld um Myoglobin und NO weiter ausdifferenzierte und sich in eine „Postgenomik“ einschrieb, in der nicht mehr nur der genetische Code, sondern der Aktivierungskontext von Genen in molekularen Regulationsnetzwerken eine Rolle spielt. Zu klären ist, welchen „biologischen Surplus“ (Gail Davies) in Form von reproduzierbaren Daten die Experimente an transgenen Mäusen liefern mussten, um die Rolle von Myoglobin in solchen molekularen Netzwerken zu verstehen. Die abschließende Zusammenfassung der Ergebnisse der vorliegenden Arbeit erfolgt problemorientiert anhand der im Laufe der Untersuchungen im zweiten und dritten Kapitel ausgemachten Interaktionen zwischen Labor und Klinik. Die inhaltlichen Resonanzen der jeweiligen Ergebnisse gliedern sich dabei nach den Themenfeldern der förderpolitischen Werkzeuge (SFB-Verfahrensstruktur am Beispiel des SFB 30), der lokalspezifischen institutionellen Dispositionen zur Einrichtung von SFB und entlang der Experimente und der klinischen Settings der untersuchten SFB. Zur Beantwortung der Frage, ob die Maus das Potenzial hat, ‚translational gaps‘ zu schließen, wird ausgehend vom hybriden Status dieser Tiere zwischen epistemischen Dingen (Kontingenzen) und technischen Objekten (Dispositionen) in der Zusammenfassung der vorliegenden Arbeit der Begriff „collaborational thing“ (Mike Micheal) herangezogen. Die Rolle von Mausmodellen im für die Forschungsförderung immer wichtiger werdenden Bereich der „translationalen Medizin“ wird in diesem Zuge konkretisiert.

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Projektepistemologie Mit der theoretischen Rahmung ‚Wissenschaft als Projekt‘ im Spannungsfeld zwischen Kontingenz und Disposition birgt die vorliegende Arbeit das Potenzial, Resonanzen zwischen historisch zeitgleichen Prozessen und Verfahren zu analysieren und bringt dafür zuvor nicht explizit in Verbindung gebrachte Konzepte (Projekt/Entwurf, ANT, Experimentalsysteme, biomedizinische Plattformen) in einer methodologischen Synopse zusammen. Dadurch wird es möglich, die kardiovaskulären Primärquellen (von SFB-Archivdokumenten und Interviews über projektspezifische Originalarbeiten bis hin zu allgemeiner physiologischer Fachliteratur) systematisch und historisch hinsichtlich der Spannungsverhältnisse zwischen Kontingenz und Disposition zu verwenden. Die Analyse dieser Spannung gibt dem Leser zugleich eine Übersicht zu den grundlegenden Umgebungsbedingungen moderner lebenswissenschaftlicher Forschung und Hinweise darauf, wie dort produzierte Befunde und Daten als Wissen „wahr“ werden, wie dieses Wissen in die Fachdiskussion gelangt, welche neuen Fragen dadurch aufgeworfen werden und schließlich welche neue Methoden in neu eingerichteten Forscherverbünden dafür entwickelt werden. Wissenschaftshistoriker bzw. -philosophen und Kulturwissenschaftler erhalten durch die vorliegende Arbeit Einblick in das projektepistemologische „Entwurfsgeschehen“ (Karin Krauthausen) und damit in die konkreten Praktiken und Techniken von Verbundforschung im Allgemein und von kardiovaskulären Verbundprojekten im Speziellen. Naturwissenschaftler bzw. Biomediziner bekommen mit der Lektüre die Möglichkeit, über den ‚Tellerrand‘ ihrer Experimentalsysteme bzw. ihrer biomedizinischen Plattformen hinaus zu blicken, um die Perspektive auf (historische) Entstehungskontexte experimenteller und klinischer Kontingenzen zu schärfen. Förderpolitischen Einrichtungen wie der DFG wird eine systematische und historische Untersuchung von erfolgreich implementierten und bis heute verwendeten Verfahrensordnungen geboten (Kap. 1.7 und 2.4). Schließlich erhalten Hochschulen einen beispielhaften, lokalhistorischen Überblick über die notwendigen institutionellen Voraussetzungen und Netzwerke eines Standorts zur erfolgreichen Einwerbung von Forschungsverbundprojekten über mehrere Förderperioden und Dekaden hinweg (Kap. 2.1 bis 2.3). Die Herausforderung der vorliegenden Arbeit liegt zum einen darin, Projekte nicht als Elemente eines wissenschaftlichen Fortschritts, sondern als Zwischenräume zwischen forschenden Subjekten und (zumeist bildlich) hervorzubringenden Objekten am Beispiel von stattgefundenen Forschungsverbundprojekten zu charakterisieren. Unvorhersehbare experimentelle Ereignisse und dafür notwendige wissenschaftliche, technologische und institutionelle Dispositionen sind dabei in ihrer Wechselwirkung mit den dahinterliegenden Denkmodellen der Forscher zu untersuchen. Das Besondere an der Verbundforschung in den Lebenswissenschaften ist, dass sich forschungsleitende Denkmodelle und Perspektiven selten aus theoreti-

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scher Überlegung, sondern eher aus der gemeinsamen Nutzung experimenteller Plattformen und der Verwendung vergleichbarer Tiermodelle ergeben. Zum anderen liegt die Herausforderung darin, zu überprüfen, ob die im ersten Kapitel vorangestellten projektepistemologischen Aspekte und Fragestellungen im Material zu den kardiovaskulären SFB präsent sind. Vor allem das zweite und dritte Kapitel haben daher die Aufgabe, Begriffe und Konzepte aus den Geistes-, Sozialund Kulturwissenschaften und aus den Naturwissenschaften und der Biomedizin in einem gemeinsamen Narrativ und Entwurfszusammenhang zu übersetzen. So sind die lokalspezifischen Netzwerke zwischen Labor und Klinik auszumachen, die kardiovaskuläres Entwerfen am Standort Düsseldorf im Laufe des 20. Jahrhunderts und Anfang des 21. Jahrhunderts begünstigt haben und weiter begünstigen.

1. Wissensproduktion zwischen Kontingenz und Disposition

1.1 DIE ETYMOLOGIE DES PROJEKTBEGRIFFS Im Folgenden wird die Etymologie des Projektbegriffs ausgehend von seinem französischen Sprachgebrauch dargestellt, da der Begriff erst im 18. Jahrhundert über die französischen Sprachgrenzen hinaus Anwendung fand. Vom lateinischen „proicere“, vorwärtswerfen kommend, verweist ‚projet‘ in seiner ersten Bedeutung auf eine „image d’une situation [ou une image, TK] d’état que l’on pense atteindre“;1 also auf eine Absicht, einen Plan für die Zukunft oder ein Programm mit klaren Zielvorstellungen, bei welchen man das genaue Resultat jedoch noch nicht kennt. Damit bekommt der Begriff den performativen Charakter eines „Vorgriffs“ auf ein zu produzierendes, potenzielles Ergebnis. Die zweite Bedeutung des Wortes „projet“ verweist auf eine „première ébauche, première rédaction destinée à être amendée“2 im Sinne eines Entwurfs, einer Rohfassung, einer Skizze bzw. eines zu verwendenden und an die konkreten Gegebenheiten anzupassenden Rasters. Etymologisch nahm der Begriff „projet“ eine interessante Entwicklung: „Projet“ ist ein Deverbativ von „porjecter“ oder „porjeter“, später „projeter“ und wurde Ende des 14. Jahrhunderts aus dem Lateinischen ins Altfranzösische entlehnt. 3 Das erste Element des Verbs „projeter“ ist das frühe Adverb „puer“, „nach vorn“, „vorwärts“ und kennzeichnet die „progression dans le raisonnement et […] l’interjection

1

„Projet“, in: Le Nouveau Petit Robert, 2004, S. 2088, (Lit.verz., WB & NW).

2

„Projet“, in: Trésor de la langue française: dictionnaire de la langue du XIXe et du XXe siècle (1789-1960), Tome 13, S. 1293, Hervorh. TK.

3

„Projet“, in: Dictionnaire historique de la langue française: contenant les mots français en usage et quelques autres délaissés, avec leur origine proche et lointaine [...], 2016, S. 2965.

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d’encouragement“.4 Das Verb verweist also nicht nur auf eine voranschreitende Überlegung, sondern auch auf eine Performanz; z.B. in Form eines Animierens, diese Überlegungen umzusetzen. Bis heute muss man Menschen und Dinge mobilisieren, um Projekte realisieren zu können. Das zweite Element von „projeter“ ist das Verb „jeter“, welches in einem abstrakten Sinn bereits hier auf „concevoir un projet“, ein Projekt entwerfen verweist.5 Um das Jahr 1470 entsprach das Wort einer „idée qu’on met en avant, plan proposé [et moyens nécessaires, TK] pour réaliser cette idée“. 6 Diese Dimension hat der Begriff in seiner ersten Bedeutung bis heute beibehalten. Im 16. Jahrhundert fand der Begriff als Terminus technicus Einzug in Architektur und Bauwesen. Um 1529 bezeichnete er u.a. einen „dessin qui représente un plan, coupe […] d’un bâtiment à exécuter conformément aux intentions de celui qui fait bâtir“ oder ein „ensemble d’un édifice d’après un programme donné“. Aber „projet“ konnte sich auch konkret auf eine „saillie des maisons“, einen Vorsprung oder Erker eines Hauses beziehen.7 In diesem baulichen Kontext konnte „projet“ sowohl einen abstrakten Plan, als auch die konkreten Bauentwürfe und Skizzen zur Umsetzung dieses Planes bezeichnen. In Descartes’ autobiographisch-rationalistischen Programmschrift „Discours de la méthode“ (1637) bekommt der Begriff endgültig die Bedeutung eines Entwurfs und zwar bezieht Descartes sich hier auf die konkrete historische Situation des Entwerfens seiner „Méthode“: „Mais, comme un homme qui marche seul, et dans les ténèbres, je me résolus d’aller si lentement et d’user de tant de circonspection en toutes choses, que si je n’avançois que fort peu, je me garderois bien au moins de tomber. Même je ne voulus point commencer à rejeter tout à fait aucune des opinions, qui s’étaient pu glisser autrefois en ma créance sans y avoir été introduites par la raison, que je n’eusse auparavant employé assez de temps à faire le projet de l'ouvrage que j’entreprenais, et à chercher la vraie Méthode pour parvenir à la connaissance de toutes les choses dont mon esprit serait capable.“8

4

Ebd.

5

Ebd.

6

„Projet“, in: Trésor de la langue française: dictionnaire de la langue du XIXe et du XXe siècle (1789-1960), Tome 13, 1971, S. 1293.

7

Ebd.

8

René Descartes, Discours de la méthode (Seconde Partie), 2004, Online-Version, digitalisiert im Rahmen des „Project Gutenberg“, unter: http://www.gutenberg.org/files/13846 /13846-h/13846-h.htm#footnotetag26, Stand: 06.05.2017, Hervorh. TK.

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Für Descartes ist der Entwurf Voraussetzung und Notwendigkeit für das Finden der ‚richtigen‘ rationalen Methode. Das Entwerfen der Methode gleicht einer tastenden Suche („[…] marche […] dans les ténèbres“) und die Vorläufigkeit und Veränderlichkeit des Aktes des Entwerfens erlaubt ihm dabei eine gewisse „Umsicht“ („circonspection“), die ihn vor voreiligen Schlüssen schützen soll. Auch wenn Descartes den Plan verfolgt, eine Methode zu entwickeln, die dem souveränen Subjekt zur umfassenden geistigen Urteilskraft verhelfen soll, so gestaltet sich der Weg dorthin als ein iterativer Prozess, in welchem verschiedene Entwürfe (seien es Aussagen, Beobachtungen oder Sachverhalte) integriert werden müssen. Wohl nicht zuletzt aufgrund des semantischen Spannungsfeldes zwischen abstraktem ‚Plan‘ und konkretem ‚Entwurf‘ erfuhr der Begriff im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts eine diskursive Explosion und wurde über den französischen Sprachraum hinaus zum Modewort, sodass das 18. Jahrhundert sogar als das „Jahrhundert der Projekte“ bezeichnet wurde.9 Wohl auch in dieser Zeit kam die Bezeichnung „homme à projets“ für jemanden, der sich unabdinglich für das Erfinden und Vorhaben neuer Unternehmungen einsetzt auf.10 Diese Wendung fand ebenfalls im 18. Jahrhundert mit der in manchen Kontexten abfällig verwendeten Bezeichnung „Projektmacher“ seine deutsche Entsprechung: „Projektmacher heißen insgemein diejenigen, welche den Leuten dieses oder jenes Project […] entdecken, und sie zu deren Ausführung […] anmuntern […].“11 In anderen pejorativen Kontexten bekommt „projet“ die Konnotation eines Komplotts bzw. eines hinterhältigen Planes (z.B. „projeter une embusque“12 oder „projet secret contre quelqu’un“). Im Verlaufe des 18. und frühen 19. Jahrhunderts fand der Projekt-Begriff dann auch Eingang in die deutsche Alltagssprache. Ob die ubiquitäre Verwendung des Begriffs explizit mit Descartes’ zuerst auf Französisch herausgegebenen und damals auch philosophischen Laien zugänglichen „Discours de la méthode“ zu erklären ist, kann hier nicht überprüft werden. Fest steht, dass der Begriff „projet“ im 17. und 18. Jahrhundert (neben Architektur und Bauwesen) Einzug in viele weitere Bereiche erfährt: Um 1750 kam die Redewendung „avoir des projets sur quelqu’un“ auf, woraufhin der Begriff auch eine Konnotation zur Hochzeitsvorbereitung erfuhr: „projet d’articles pour un maria-

9

„Projekt“, in: Deutsches Fremdwörterbuch, Otto Basler, 1942, S. 678, (Lit.verz., WB & NW).

10 „Projet“, in: Dictionnaire de la langue française, par E. Littré, 1967, S. 1343. 11 „Projekt“, in: Deutsches Fremdwörterbuch, Otto Basler, 1942, S. 679. 12 „Projet“, in: Dictionnaire historique de la langue française: contenant les mots français en usage et quelques autres délaissés, avec leur origine proche et lointaine [...], 2016, S. 2965.

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ge“.13 Auch in den Bereich der Freizeitplanung fand und findet der Begriff häufig Verwendung (z.B. „les projets pour la journée“). Im Bereich der Kunst wurde der Projektbegriff seit dem 18. Jahrhundert in vielfacher Weise im Sinne von Entwurf verwendet: In Literatur und Theater konnte er beispielsweise eine „première pensée de quelque chose mise par écrit“ („projet d’un roman“) sein; in der Malerei wird bis heute gesagt: „Ce dessin n’est que croqué“, wenn es sich ‚bloß‘ um ein „projet“, um eine präliminiere Skizze handelt. 14 In der Zeit der Französischen Revolution hält „projet“ Einzug ins Rechtswesen und ins politische Geschehen: Bei Germaine de Staël wird „projet de décret“ (1789), bei Robespierre „projet de loi“ erwähnt, was in beiden Fällen mit einem Programm zur Umsetzung von Erlassen und Gesetzen in Verbindung gebracht wird,15 wobei äquivalent zu „contre-révolution“ hier auch „contre-projet“16 auftaucht. Aber auch im administrativen Bereich spricht man zu dieser Zeit beispielsweise bereits vom „projet de contrat“ oder „projet et devis“ (Kostenvoranschlag). 17 Zur Industriellen Revolution im 19. Jahrhundert wurde der Begriff für große Kanalbauprojekte und die Errichtung der Eisenbahn verwendet: Aus dieser Zeit kommen Bezeichnungen, wie „projet à l’échelle“ (Großprojekt, um 1842) oder „projets de grands travaux“ (insbesondere für den Bau der Pariser Métro).18 Ebenfalls im Laufe des 18. und 19. Jahrhundert bekommt der Begriff eine weitere, technisch verfasste Bedeutung, diesmal unter Einfluss des Begriffs „projection“: „il est employé en géométrie pour ‚représenter (une figure) par sa projection sur un plan‘ (1762).“19 Auch in anderen Naturwissenschaften, wie der Optik, der Graphik oder der Geodäsie bezeichnet „projection“ zu dieser Zeit stets einen zuvor definierten Vorgang der Darstellung (représentation) von Objekten auf einer Fläche. Mit den technischen Fortschritten des 19. und 20. Jahrhunderts wurde eine Menge von tech-

13 „Projet“, in: Trésor de la langue française: dictionnaire de la langue du XIXe et du XXe siècle (1789-1960), Tome 13, 1971, S. 1293. 14 Vgl. „Projet“, in: Le Dictionnaire universel d’Antoine Furetière, 1978, keine Seitenangaben. 15 Trésor de la langue française: dictionnaire de la langue du XIXe et du XXe siècle (17891960), Tome 13, 1971, S. 1293. 16 „Projet“, in: Dictionnaire historique de la langue française: contenant les mots français en usage et quelques autres délaissés, avec leur origine proche et lointaine [...], 2016, S. 2965. 17 „Projet“, in: Le Grand Robert de la Langue française, 2001, S. 1269. 18 Ebd. 19 „Projet“, in: Dictionnaire historique de la langue française: contenant les mots français en usage et quelques autres délaissés, avec leur origine proche et lointaine [...], 2016, S. 2965, Hervorh. TK.

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nisch gestützten Projektionsverfahren entwickelt. Um nur einige Beispiele zu nennen: Mit der Entdeckung der Röntgenstrahlung hat die (Projektions-)Radiologie Einzug in die Krankenhäuser genommen (siehe Kap. 2.3.1), moderne Projektoren revolutionierten die Kino- und Unterhaltungsindustrie und heutzutage sind Beamer auf wissenschaftlichen Tagungen nicht mehr wegzudenken. Inwiefern in wissenschaftlichen Projekten Technologien und Verfahren der Repräsentation – verstanden als Sichtbarmachung – zum Einsatz kommen, wird im Verlaufe dieses ersten Kapitels (Kap. 1.4.2) noch geklärt. Die Bedeutung von Projekten in Gesellschaft und Forschung Das Wort Projekt hat im Laufe seiner neueren Geschichte nichts von seinem Erbe des 18. Jahrhunderts, nämlich ein Modewort zu sein, eingebüßt. Seit den 1990er Jahren ist der Begriff in der Arbeitswelt omnipräsent. Dabei kommt es darauf an, dass Projekte in welchem Kontext auch immer sie ausgeführt werden, wettbewerbsfähig sind. In der Öffentlichkeit machten vor allem große Bauprojekte, wie der Flughafen Berlin-Brandenburg oder „Stuttgart 21“ Schlagzeilen und wurden geradezu zum Synonym für Fehlplanungen auf höchster politischer Ebene und den damit verbundenen Protest der Bürger. Kennzeichnend für solche Großprojekte ist, dass sie nach einem kompetitiven Verfahren ausgeschrieben werden und die Architekten und Bauunternehmen sich auf die Ausschreibungen bewerben. Ähnlich wie im Bausektor bewerben sich im Marketing- und Public-Relation-Bereich Agenturen, mit sogenannten ‚Projekt-Pitches‘ auf Ausschreibungen und organisieren ihre Unternehmensabläufe danach. Nur der ‚Zuschlag‘ des Projektträgers garantiert dem Unternehmen eine befristete Finanzierung für gewisse Betriebsbereiche. Ganze Arbeitsverhältnisse sind somit bestimmt von den sozialen und materiellen Zwängen aber auch von den Möglichkeiten von Projekten. Dies gilt im gleichen Maße für die Forschung: Die wissenschaftliche Exzellenz eines Forschers zeichnet sich heute vor allem dadurch aus, wie viel er in möglichst hochkarätigen Journalen publiziert, mit wem er an welchen (möglichst wettbewerbsfähigen) Standorten kooperiert und wie viel Drittmittel er eingeworben hat. Der kompetitive Charakter des Wissenschaftsbetriebs wird durch die intramurale Umschichtung von Mitteln der Universitäten nach Maßgabe der bereits eingeworbenen Drittmittel noch verstärkt. 20 Der Forscher wird damit zunehmend zum Projektmanager und muss sich zusätzlich zu seiner normalwissenschaftlichen Arbeit der zeitaufwendigen Aktivität widmen, weitere Drittmittel einzuwerben.21

20 Vgl. Münch, 2007, S. 26. 21 Vgl. ebd.

32 | Projektepistemologie

Arten der Projektförderung Im Forschungsförderungsbetrieb gibt es grundsätzlich zwei Arten von Projektförderungen: Es gibt die Top-Down-Förderungen, denen ein konkretes Thema in Form einer Ausschreibung (eines sogenannten „call for proposal“) zugrunde liegt und sogenannte Bottom-Up-Förderungen, bei welchen ein ‚freier‘ und hypothesengestützter, jedoch nach strukturierten Vorgaben zu erstellender Antrag eingereicht wird, bei dem der Forscher die Thematik selber stellt. Das in dieser Arbeit weiter zu beleuchtende Förderprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) „Sonderforschungsbereiche“ (SFB) ist nach dem Bottom-Up-Prinzip geregelt, da die Intention der Initiatoren danach strebte, dass die Wissenschaftler die Thematik ihrer Projektanträge selbst bestimmen sollten. 22 Anwendung des Projektbegriffs Für das vorliegende Anliegen ist es von entscheidender Bedeutung, dass der Projektbegriff im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts eine semantische Erweiterung erfahren hat; nämlich vom intentionalen Plan hin zum konkreten Entwurf, der den Handlungsspielraum für zukünftige Aktivitäten bestimmt. Der Charakter von „projet“ als „première ébauche, première rédaction destinée à être amendée“23 eröffnet solche Handlungsspielräume, begrenzt sie aber zugleich. Denn jedem realisierbaren Projekt liegt eine konkrete Hypothese oder Annahme zugrunde, die den Ausgangspunkt für das Entwerfen stellt und die Erfolgsaussichten sowie eventuelle Risikofaktoren im Vorhinein definiert und einbezieht. In seinem semantischen Spektrum vereint der Projektbegriff an einem Ende politische Bemühungen (vom ‚Projekt‘ eines Dekrets bis hin zu Schulprojekten) und am anderen Ende konkrete Materialitäten und technische Arrangements (vom Entwurf eines Bildhauers bis hin zum technisch verfassten Entwurf eines wissenschaftlichen Projektantrags). Projekte sind Arten und Weisen, mit historisch kontingenten Situationen umzugehen und bilden die Basis für organisatorisch-planerische Tätigkeiten und zugleich entstehen aus Projekten heraus zu aktualisierende Entwürfe in ihrer ganzen materiellen Dynamik und Veränderlichkeit. Projekte sind dabei relativ autonome, aber zugleich hochgradig vernetzte semiotisch-materielle Einheiten, in denen sich Wissen weniger als starre ontologische Entität vermittelt, sondern sie selbst liefern die praktischen Kriterien, um Wissen zu produzieren, zu stabilisieren und zu verbreiten. Dieses Wissen und die vielfältigen Aktivitäten seiner Produktion muss sowohl im einzelnen Projekt, als auch im Verbund von Projektclustern koordiniert werden.

22 Stackmann/Streiter, 1985, S. 3. 23 „Projet“, in: Trésor de la langue française: dictionnaire de la langue du XIXe et du XXe siècle (1789-1960), Tome 13, 1971, S. 1293, Hervorh. TK, (Lit.verz., WB & NW).

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Als solche Kontenpunkte in soziomateriellen Netzwerken haben Projekte daher das Potenzial, einen Raum für die Etablierung von standardisierten Verfahren und Routinen aufzuspannen (Dispositionen), als auch mit unvorhersehbaren Ereignissen umzugehen und aus ihnen Entwürfe für neue Innovationen zu ziehen (Kontingenzen).24

1.2 ‚WISSENSCHAFT ALS PROJEKT‘: DAS GERÜST DES EPISTEMOLOGISCHEN ARGUMENTS Um die Begriffe Disposition und Kontingenz für den Projektbegriff zu operationalisieren, ist es zunächst notwendig, anhand des Titels der vorliegenden Arbeit die Grundidee des Konzepts kurz zu erläutern. Der Entwurfscharakter von Wissensproduktion Mit der theoretischen Rahmung einer Projektepistemologie hebt die vorliegende Arbeit den Entwurfscharakter und damit die Ereignishaftigkeit der Wissensproduktion hervor.25 Nach diesem Verständnis handelt es sich bei Wissenschaft nicht um das Akkumulieren von Daten oder Entdeckungen, die sich hinterher problemlos in einen homogenen und statischen Wissenskorpus einfügen. Wissenschaft entdeckt nicht; sie entwirft. Es handelt sich dabei weniger um einen Fortschritt als mehr um einen „‚Fort-Gang‘, als ein ständiges Sich-Von-Etwas-Wegbewegen, das genau und

24 Vgl. Keating/Cambrosio, 2003, S. 29-30, die postulieren, dass „biomedical platforms“ sowohl Routinen als auch Kontingenzen produzieren (Kap. 1.5). Vgl. hierzu auch Besio, 2009, S. 9, die feststellt, dass die Form von Projektarbeit „eine Antwort auf zwei zentrale Anforderungen der heutigen Gesellschaft zu geben scheint: einerseits Planung, Kontrolle und Effizienz, andererseits Flexibilität und Innovation.“ 25 Zur Verwendung des Wissensbegriffs der vorliegenden Arbeit sei prinzipiell angemerkt, dass Wissen als die Produktion von Diskursen verstanden wird, die es erst ermöglicht, dass Aussagen in einem speziellen Problemkontext als ‚wahr‘ oder als wissenschaftlich korrekt bzw. relevant gelten können. Auch wenn die vorliegende Arbeit in erster Linie auf die Analyse der Wissensproduktion empirischen Wissens aus ist (nach Foucault „connaissance“), lässt sie anhand der Untersuchung von Spannungen zwischen Kontingenz und Disposition teilweise auch Aussagen über die strategischen Bedingungen von Wissenschaftlichkeit auf einer präkonzeptionellen – und damit unterhalb der Schwelle von Rationalität liegenden – Ebene zu (nach Foucault Ebene des „savoir“, vgl. Foucault, 2008 (b) [1969], S. 667 f.). Letzteres zum Beispiel anhand der Beschreibung des Prozesses der Überlagerung von ‚mechanischen‘ und ‚molekularen‘ Perspektiven auf das HerzKreislaufsystem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

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immer nur dadurch wieder eingeholt wird, dass es zum Ausgangspunkt eines weiteren Fortgangs wird.“26 Entwürfe schreiben sich also ständig fort und verschieben dabei den vorhandenen Wissenskorpus. Solche Verschiebungen sind das Resultat von „präzedenzlosen Ereignissen“27 der Forschung (z.B. überraschende Ergebnisse eines Experiments). Charakteristisch für Projekte ist ihre Nachträglichkeit, denn solche unvorhersehbaren Ereignisse helfen dem Forscher erst im Nachhinein zu verstehen, was er (z.B. im Experiment) getan hat. 28 Als Ereignisse müssen Projekte sich demnach stets auf ihre eigenen unvorhergesehenen Ergebnisse einrichten. 29 Das Sich-Einrichten-Müssen auf die eigenen Ergebnisse macht die rekursive Struktur von wissenschaftlichen Projekten aus. Auf der einen Seite produzieren Projekte präzedenzlose Ereignisse, die Umbrüche, Diskontinuitäten oder gar Paradigmenwechsel hervorrufen können. Auf der anderen Seite fängt man nach solchen Umbrüchen nicht wieder bei null an, sondern muss diese Ereignisse in die Kontinuität des normalwissenschaftlichen Betriebs einer Institution (re-)integrieren.30 Diese Wechselwirkungen und Überlagerungen zwischen Umbrüchen und Kontinuitäten kennzeichnen die Spannungsverhältnisse bei der Wissensproduktion, welche im Folgenden als Kontingenzen (z.B. in Form von Umbrüchen) und Dispositionen (Kontinuitäten) bezeichnet werden.

26 Rheinberger, 2005, S. 101-102. 27 Rheinberger, in: Krauthausen/Nasim (Hg.), 2010, S. 141, Hervorh. im Original. 28 Ebd., S. 141 f. Für Rheinberger sind solche präzedenzlosen Ereignisse nicht aus der Theorie ableitbar und von einer Nachträglichkeit bestimmt, weil sie erst hinterher als ‚Entdeckungen‘ erscheinen. Denn im Fortgang der Forschung kommen immer wieder Dinge ins Spiel, die den Korpus des vorhandenen Wissens modifizieren, ohne dass man dies im Vorhinein hätte antizipieren können (ebd., S. 142). Für eine theoretische und historische Auseinandersetzung mit Nachträglichkeiten von experimentellen Spuren in der Mikrodynamik von Experimentalsystemen siehe Rheinberger, 2001, S. 193 ff. Der Begriff Nachträglichkeit wird in der vorliegenden Arbeit also nicht psychoanalytisch verwendet, sondern beschreibt neben der o.g. Rheinberger’schen Verwendung wissenschaftshistorische Prozesse, bei denen Ergebnisse der Forschung aufgrund von aufwendigen Herstellungsund Aushandlungskontexten verzögert in die Anwendung kommen. So wird vermieden, komplexe Übersetzungsprozesse von der Theorie oder dem Modell in die Praxis als selbstverständliche historische Voraussetzungen zu betrachten. 29 Vgl. Heidegger, 1963 [1938], S. 77. 30 Vgl. Rheinberger, in: Krauthausen/Nasim (Hg.), 2010, S. 142.

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Kontingenz Der Begriff der Kontingenz geht auf die Überlegungen Aristoteles’ zur Zufälligkeit menschlichen Handelns zurück: „In der Scholastik latinisiert, bezeichnet kontingent das, was im Verlaufe oder im Ergebnis menschlichen Handelns weder notwendig noch un-möglich [sic] ist. Kontingenz ist der Preis, den die Menschen dafür zu zahlen haben, dass sie in einem offenen Erfahrungsraum unter einem bestimmten Erwartungshorizont handeln können. Kontingenz ist demnach ein unausweichliches Grundmerkmal rational-zielgerichteten menschlichen Handelns.“31

Der Erwartungshorizont und Wettbewerbscharakter wissenschaftlicher Projekte liegt gerade darin, etwas Neues auftauchen zu lassen oder sichtbar zu machen. Projekte müssen also in der Weise arrangiert und organisiert werden, sodass sie neue Möglichkeitsräume aufspannen, in denen sich kontingente Ereignisse überhaupt erst abspielen können. Möglichkeitsräume sind dabei als Verdichtungen von „historizitären Handlungszusammenhängen“ definiert, die sowohl den Charakter von tatsächlich historischen Ereigniszusammenhängen, als auch von Erkenntniszusammenhängen beinhalten.32 Das 1968 initiierte Förderprogramm SFB der DFG ist sowohl als historischer Ereigniszusammenhang (mit all seinen wissenschaftspolitischen Entscheidungen und Verzweigungen, siehe Kap. 1.7), als auch als lokaler Erkenntniszusammenhang zu analysieren (und zwar am Beispiel dreier kardiovaskulärer SFB in Düsseldorf von 1968-2012, Kap. 2.4, 2.5, 3.3 und 3.4). Dabei ist zu beachten, dass Ereignis- und Erkenntniszusammenhänge im ‚Möglichkeitsraum SFB‘ in Wechselwirkung zueinanderstehen. Denn betrachtet man einzelne (ohne die Förderung durch die DFG nicht zustande gekommene) Experimente innerhalb eines einzelnen lokalen SFB, so ist es denkbar, dass auch hier Alterationen und Anomalien auftauchen, die nicht allein durch Erkenntniszusammenhänge erklärt werden können, sondern Ereignischarakter haben (z.B. unvorhergesehene Ergebnisse, auf die sich der SFB und eventuell eine ganze Forschungsrichtung einrichten muss). Projektspezifische Ereignisse sind Alterationen bzw. Anomalien, die dadurch charakterisiert sind, dass man sie nicht aus den im initialen Projektantrag aufgelisteten Elementen ableiten kann. Beim Entwerfen des Projektantrags sind die Akteure also noch nicht mit der Erfahrenheit und Kompetenz ausgestattet, die sie erst mittels der nur sehr begrenzt planbaren Ereignishaftigkeit der Projektdurchführung erwerben werden.33 Indem sie sich in der Forschungspraxis auf ihre eigenen Resultate einlassen und diese in regelmäßigen Abständen (z.B. bei der Formulierung eines Ab-

31 Labisch, in: ders./Paul (Hg.), 2004, S. 16. 32 Vgl. ebd., S. 18-19. 33 Vgl. Latour zitiert nach Belliger/Krieger, in: dies. (Hg.), 2006 S. 33.

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schlussberichts oder Neuantrags) zur Synthese und Synopse bringen müssen, leisten die Forschenden ständige Korrekturarbeit an ihren eigenen Entwürfen. 34 Wissenschaftliche Projekte lassen etwas in situ, im Machen entstehen, das vorher nicht da oder nicht sichtbar war und verändern zugleich das, was zuvor da war, nämlich die projektspezifischen Dispositionen. Dispositionen Sie sind nach vorliegendem Verständnis die Aus- und Übergangspunkte für wissenschaftliches Entwerfen. Dispositionen stellen den Forschenden die nötigen Plattformen zur Verfügung, die sie für ihre Arbeit brauchen und letztere bis zu einem gewissen Grad erst möglich machen. Dies geschieht auf wissenschaftspolitischstruktureller Ebene z.B. durch die Initiierung von Förderprogrammen, auf lokalhistorischer institutioneller Ebene z.B. durch die Gründung neuer Institute und den damit verbundenen (Um-)Bau von Universitätsgebäuden und auf experimentaltechnologisch/materieller Ebene z.B. durch den Einsatz von Tiermodellen und den damit verbundenen Apparaturen samt ihrer visuellen Erzeugnisse, welche den Rahmen eines Experiments abstecken. Sie bilden also die strukturellen, institutionellen (und damit auch personellen) sowie technologisch/materiellen Plattformen für Projekte und gewährleisten, dass Projekte nicht immer bei null anfangen müssen, sondern sich fortschreiben können. Dispositionen mit dem Plattformbegriff zu identifizieren, hat den Vorteil, sie als Aus- und Übergangspunkte und damit als „Sprungbretter für zukünftige Aktivitäten“ beschreiben zu können.35 Denn Dispositionen und ihre Plattformen sind keine unveränderlichen Konstanten. Sie stehen vielmehr in ständiger Wechselwirkung mit projektspezifischen Kontingenzen. Im wissenschaftlichen Betrieb kann ein erfolgreich eingeworbener Projektantrag z.B. dazu führen, dass der antragstellende Forscher für ein bewilligtes Großgerät neue Räumlichkeiten und Personal seitens der Universität zur Verfügung gestellt bekommt. Das Gerät, das Personal und natürlich auch die Räumlichkeiten ermöglichen neue intra- und extramurale Kooperationen, wodurch sich das Netzwerk der jeweiligen standortgebundenen Plattform erweitert. Innerhalb dieses Netzwerkes werden wiederum völlig neue Voraussetzungen für Experimente geschaffen, in denen sich womöglich weitere Kontingenzen ereignen. Die Bifurkationen („Weichen-

34 Vgl. Krauthausen, in: dies./Nasim (Hg.), 2010, S. 9. 35 Vgl. Keating/Cambrosio, 2003, S. 27, „springboards for future action“. Auch wenn dispositionelle Plattformen die Nutzung von Infrastrukturen einbeziehen, sind Plattformen nicht mit Infrastrukturen gleichzusetzen, weil sie weit über ihre Grenzen hinausgehen. Während Infrastrukturen eher passiv zur Verfügung stehen, sind Plattformen aktiv, generativ und hochspezialisiert. Plattformen sind Arten und Weisen, Wissenschaft, Technologie und Infrastrukturen zu artikulieren und zu arrangieren (vgl. ebd., S. 326).

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stellungen“), die in einem solchen Prozess stattfinden, beruhen nur in begrenztem Maß auf Entscheidungen des forschenden Individuums. Es führt diese Weichenstellungen zwar herbei, aber es wird auch immer mit ihnen konfrontiert und muss auf sie antworten.36 Spannungsverhältnisse zwischen Kontingenz und Disposition Diese rekursive Struktur der Wissensproduktion gilt es anhand von Spannungsverhältnissen zwischen institutioneller Disposition und projektspezifischer Kontingenz am Beispiel der Düsseldorfer Herz-Kreislaufforschung nachzuzeichnen. Institutionelle Dispositionen sind dabei auf struktureller Ebene als Plattformen zu charakterisieren, die wissenschaftspolitische Entscheidungen (hier die Gründung des DFGFörderverfahrens SFB im Jahre 1968, siehe Kap. 1.7), den Bau von neuen bzw. den Umbau von vorhandenen Gebäuden (hier die Etablierung von Pavillon- und Plattform-Architekturen am Standort Düsseldorf, siehe Kap. 2.1.3) oder aber die Gründung von organisatorisch-kollaborativen Netzwerken (hier insbesondere standortbezogene Netzwerke zwischen Labor und Klinik, siehe Kap. 2.1.4) beinhalten können. Projektspezifische Kontingenzen (vor allem Kap. 3.3) hingegen bezeichnen unvorhersehbare Ereignisse, die sich z.B. in den Experimenten innerhalb eines Verbundprojekts abspielen und das Potenzial haben, die Forschung in neue Richtungen zu weisen und so mittelfristig und schwerpunktmäßig auch auf die institutionellen Dispositionen zurückwirken können. Als Untersuchungsobjekte für diese Spannungsverhältnisse dienen dabei die drei zwischen 1968 und 2012 durchgeführten kardiovaskulären SFB am Standort Düsseldorf.37 Diese SFB und das damit verbundene Förderverfahren der DFG sind zum einen in struktureller Hinsicht als Plattformen (Dispositionen) für den Fortgang der lokalen kardiovaskulären Forschung zu charakterisieren. Zum anderen stellen sie kollaborative Netzwerke zwischen verschiedenen lokalen Experimentalsystemen

36 Rheinberger, in: Krauthausen/Nasim (Hg.), 2010, S. 143. 37 Wie erwähnt sind diese im Einzelnen:

• SFB 30 „Kardiologie“ (1968-1985); • SFB 242 „Koronare Herzkrankheit, Prävention und Therapie akuter Komplikationen“ (1986-1997); • SFB 612 „Molekulare Analyse kardiovaskulärer Funktionen und Funktionsstörungen“ (2001-2012). Aufgrund einer notwendigen Eingrenzung der zu untersuchenden SFB und aufgrund des (für den SFB 242 durch Archiv-Sperren limitierten) Zugangs zu relevantem Material fokussiert sich die Analyse auf den SFB 30 und SFB 612, was zugleich eine Kontrastierung von einer ‚mechanischen‘ und einer ‚molekularen‘ Perspektive auf das Herz-Kreislaufsystem zulässt (siehe etwa Kap. 2.5.2.1 im Kontrast zu Kap. 3.3).

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und zwischen den Bereichen Labor und Klinik her, in denen sich die Forscher auf unerwartete Ergebnisse (Kontingenzen) einrichten müssen, welche wiederum in die übergeordneten Strategien der lokalen Plattform einfließen können (z.B. in Form von Struktureffekten wie Schwerpunktbildungen und Etablierung hochschulspezifischer Technologieprofile). Diese rekursive Struktur der Wissensproduktion bildet gleichzeitig den Ausgangspunkt für die übergeordnete These der vorliegenden Arbeit, dass sich Wissensproduktion als Projekt im Spannungsfeld zwischen Disposition und Kontingenz vollzieht und in der Zukunft abzuändernde Entwürfe bereitstellt.

1.3 ‚WISSENSCHAFT ALS PROJEKT‘ IM KONTEXT DER HISTORISCHEN EPISTEMOLOGIE Wenn man die epistemische Rolle von Forschungsprojekten untersuchen möchte, verlässt man notgedrungen das Terrain der klassischen (sprach-)analytischen Wissenschaftstheorie, die Forschung auf subjektzentrierte logische Strukturen kognitiver Prozesse und auf die Form wohldefinierter Theorien reduziert. Im Laufe des 20. Jahrhunderts vollzog sich im Bereich der Wissenschaftsphilosophie ein Historisierungsprozess, der die zwischenzeitlich sauber getrennten Kontexte der Rechtfertigung und der Entdeckung neuen Wissens wieder zusammenbrachte und zugleich die zwanghafte Vorstellung von Wissenschaft als System durch jene von Wissenschaft als Prozess ablöste.38 In Anlehnung an frühe Vertreter wie Gaston Bachelard (1884-1962) oder Ludwik Fleck (1896-1961) definiert der Wissenschaftshistoriker Hans-Jörg Rheinberger historische Epistemologie als „die Reflexion auf die historischen Bedingungen, unter denen, und die Mittel, mit denen Dinge zu Objekten des Wissens gemacht werden, an denen der Prozess der wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung in Gang gesetzt sowie in Gang gehalten wird.“39 Bei der historischen Epistemologie ist die Frage also nicht mehr, wie das erkennende Subjekt seine Gegenstände unverstellt in den Blick bekommt, sondern die Frage gilt jetzt vielmehr dem, was Forscher in ihren Labors tatsächlich tun, um Gegenstände unter jeweils zu bestimmenden Umständen zu Objekten empirischen Wissens zu machen. 40 Ein rezenter Ansatz, der sowohl die materiellen Bedingungen aber auch den Entwurfscharakter von Wissen thematisiert, ist die interdisziplinäre Forschungsinitiative „Wissen im Entwurf. Zeichnen und Schreiben als Verfahren der For-

38 Rheinberger, 2007, S. 9. 39 Ebd., S. 11, Hervorh. im Original. 40 Ebd.

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schung“.41 Aus dem Projekt entstand die vierbändige, von Christoph Hoffmann und Barbara Wittmann herausgegebene Reihe „Wissen im Entwurf“, die mit verschiedenen Materialstudien zur Funktion von Schrift und Zeichnung in den Wissenschaften und Künsten der Moderne einen Beitrag zur Reflexion schrift- und bildwissenschaftlicher Fragestellungen in Philosophie, Literaturwissenschaft, Kunst- und Wissenschaftsgeschichte leistet. 42 Zur Differenzierung sei vorab erläutert: „Wissen im Entwurf“ und die Projektepistemologie der vorliegenden Arbeit haben gemeinsam, dass sie auf verschiedenen Abstraktionsebenen auf das „Entwurfsgeschehen“ 43 von Wissensproduktion eingehen und sich dabei zum Teil auf dieselben Autoren (insbesondere Bachelard, Heidegger und Rheinberger) beziehen. Der Hauptunterschied liegt jedoch in der Perspektive der historischen Epistemologie der vorliegenden Arbeit und speziell darin, dass Projektepistemologie auf die Beschreibung der Initiierung, der Durchführung und des Abschlusses von stattgefundenen und durch Drittmittel geförderten Verbundprojekten (SFB) aus ist; sich also auf das bezieht, was heute gemeinhin als ‚Forschungsverbundprojekt‘ bezeichnet wird. 44 Trotz der unterschiedlichen Fragestellung bestehen einige Konvergenzpunkte. Im Folgenden wird das Konzept einer Projektepistemologie mit Bezug auf diese Konvergenzen, aber auch auf Primärtexte maßgeblicher Philosophen bzw. Epistemologen (Heidegger, Bachelard) vorgestellt. Projektepistemologie und „Wissen im Entwurf“: Schnittmengen und Konvergenzen „Wissen im Entwurf“ stellt im zweiten Band „Daten sichern“ den Begriff des Verfahrens (von Aufzeichnungen und Bereitstellungen) in den Mittelpunkt der Analyse, um die „Instrumentalität von Schriftlichkeit“ zu untersuchen. 45 Interessant ist

41 Internetauftritt der Initiative „Wissen im Entwurf“, unter: http://knowledge-in-the-making .mpiwg-berlin.mpg.de/knowledgeInTheMaking/de/index.html, Stand: 06.05.2017. 42 Ebd. 43 Krauthausen, in: dies./Nasim (Hg.), 2010, S. 7. 44 So kam im Laufe der 2000er Jahre auch der Begriff „Forschungsverbundmanagement“ für die Gestaltung inter- und transdisziplinärer Projekte auf, zu der es mittlerweile auch Handbücher gibt, siehe etwa Defila et al., 2006. In den Sozialwissenschaften sind wissenschaftliche Projekte als Forschungsgegenstände etabliert: Z.B. untersucht Besio, 2009 die theoretische und praktische Funktion von Projekten im Forschungsprozess aus einer (an Niklas Luhmanns Systemtheorie angelehnten) organisationssoziologischen Perspektive. Torka, 2009 analysiert die Projektförmigkeit der Forschung als autonome soziale Strukturbildung anhand von Kommunikationsabläufen aus konkreten Fallbeispielen. 45 Hoffmann, in: ders. (Hg.), 2008, S. 12.

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hierbei Hoffmanns Feststellung, dass Verfahren der Aufzeichnung stets „primäre Daten sichern“ und dass „dieser Akt [der Aufzeichnung], je nachdem, einen Halteoder einen Startpunkt setzt.“46 Es ist also denkbar, ein noch völlig unbekanntes Phänomen mittels Verfahren der Aufzeichnung zu arretieren oder im Gegenteil mittels solcher Verfahren ein Problem zuallererst für eine evtl. Jahre füllende Denkbewegung zu eröffnen: „Das Aufzeichnen tritt so mal zum Gegebenen [zur Disposition, TK], mal zum Kommenden [zur unvorhersehbaren Kontingenz, TK] in Bezug.“47 Diese beiden Möglichkeiten liegen für Hoffmann jedoch niemals rein vor, sondern bedingen sich gegenseitig: „Jeder Aufzeichnungsvorgang impliziert sowohl eine ‚Disposition‘ […] wie eine Konkretion. Aufzeichnen enthält die zwei Bedeutungen von Anordnen: Es trifft eine Verfügung, indem es der Sache des Aufzeichnens eine Gestalt gibt. Aus der Vielzahl von Möglichkeiten, eine Erscheinung darzustellen, eine Überlegung festzuhalten oder einen Plan zu fassen, wird eine realisiert und diese wirkt vorerst weiter. Dass dies nicht willkürlich geschieht, dafür stehen die Verfahren der Aufzeichnung ein. Sie leihen dem Akt eine regelmäßige Form und wirken als Vorgang formierend.“48

In wissenschaftlichen Projekten kommen Verfahren der Aufzeichnung zum Tragen, mit dem Ergebnis, dass sowohl solche Verfahren als auch konkrete Projektdurchführungen Arten und Weisen darstellen, mit auftretenden Kontingenzen („primären Daten“) umzugehen. Charakteristisch für beide ist, dass das finale Produkt des Wissensprozesses keine Entsprechung in der initialen Fixierung seines Entwurfs hat: In der Projektdurchführung bzw. in der Ausführung von Verfahren der Aufzeichnung kann der „erste Plan“ von der weiteren Arbeit überholt werden: „[…] im Ausführen des Geplanten [ist] ein anderes Werk hervorgetreten […], das zur ursprünglichen Disposition in einem Verhältnis spezifischer, durch diese Anordnung möglich gewordener Differenz steht.“49 Dieser Befund bestärkt die in Kap. 1.2 dargelegte Hypothese, dass projektspezifische Ereignisse sich in der Regel nicht aus den im initialen Projektantrag aufgelisteten Elementen ableiten lassen. Vielmehr müssen sich die Forscher auf ihre eigenen Ergebnisse einlassen, was zu Spannungsverhältnissen zwischen Disposition und Kontingenz führt.

46 Ebd., S. 17-18. 47 Ebd., S. 18. 48 Ebd., Hervorh. im Original. 49 Ebd., S. 19, Hervorh. im Original.

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Projektepistemologie: drei thematische Untersuchungsebenen Ein weiterer wichtiger Anknüpfungspunkt von „Wissen im Entwurf“ zur vorliegenden Projektepistemologie liegt in den Abstraktionsebenen, die dem Verständnis des Entwurfs zugrunde liegen. In Band 3 „Vom Nutzen des Notierens. Verfahren des Entwurfs“ stellt Krauthausen drei entscheidende „Profilierungen“ für ein „Verständnis des Entwurfs“ vor: erstens eine strukturbezogene, zweitens eine individualitätsbezogene und drittens eine materialbezogene Ebene.50 Daran anlehnend gliedert die vorliegende Arbeit ihre thematischen Ausgangspunkte für die Beschreibung des Entwerfens wissenschaftlicher Verbundprojekte; nämlich die spezifischen Dispositionen bzw. Plattformen, die den Fortgang eines Projekts erst ermöglichen (siehe Kap. 1.2). Die zu untersuchenden Inhalte für die Dispositionsanalyse der drei kardiovaskulären SFB rekrutiert die vorliegende Arbeit von daher aus den folgenden drei Themenfeldern: • förderpolitisch am Beispiel der Ausdifferenzierung der DFG-Verfahrensordnung

für SFB und der Entwicklung des SFB 30 „Kardiologie“ (1968-1985); • lokalhistorisch am Beispiel der institutionellen Dispositionen am Standort Düs-

seldorf, die zur Einrichtung von kardiovaskulären SFB führten; • materiell am Beispiel von projektrelevanten Experimenten und klinischen Set-

tings. Für dieses Vorhaben ist es zunächst notwendig, den Begriff des Entwurfs bzw. des Projekts nach Heidegger und Bachelard zu operationalisieren, um anschließend die weiteren zu verwendenden Konzepte vorzustellen. Der Begriff des Entwurfs bei Heidegger In seinem Aufsatz namens „Die Zeit des Weltbildes“ von 1938 setzte sich Heidegger mit der modernen Wissenschaft dezidierter auseinander, als das noch zehn Jahre zuvor in „Sein und Zeit“ der Fall war.51 Es folgt eine Analyse des erst genannten Heidegger’schen Textes für die Belange der vorliegenden Arbeit, wobei einige Stellen mit Rheinberger (2007) und Krauthausen (2010) erläutert werden. 52 Das Wesen der Wissenschaft ist nach Heidegger die Forschung und das Wesen der Forschung besteht wiederum darin, „dass das Erkennen sich selbst als Vorgehen in einem Bereich des Seienden, der Natur oder der Geschichte einrichtet. Vorgehen meint hier nicht bloß die Methode, das Verfahren; denn jedes Vorgehen bedarf be-

50 Krauthausen, in: dies./Nasim, 2010, S. 9. 51 Rheinberger, 2007, S. 68. 52 Siehe hierzu Rheinberger, 2007, S. 68-72 und Krauthausen, in: dies./Nasim, 2010, S. 7-26.

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reits eines offenen Bezirks, in dem es sich bewegt.“53 Der Grundvorgang der Forschung liegt für Heidegger gerade im „Öffnen eines solchen Bezirks“,54 denn in der Forschung wird das Erkennen zum „Vorgehen“ in einem nach vorne offenen Raum. Die Forschung erschließt so bestimmte Gegenstandsbezirke gemäß einem „Entwurf“, der zugleich auch die Art der „Strenge“ bedingt, an die sich die Forschung selbst bindet.55 Aus projektepistemologischer Perspektive wird der Entwurf in „Die Zeit des Weltbildes“ als eine Art Ausgangspunkt bzw. Übergangspunkt für die Etablierung eines „Grundrisses“ verstanden, von dem aus ein neuer Gegenstandsbezirk geöffnet wird und durch welchen sich die Exaktheit des Vorgehens im Vorhinein definiert: In der Forschung wird somit stets „etwas als das Schon-Bekannte ausgemacht. Dieses Ausmachen betrifft nichts Geringeres als den Entwurf dessen, was für das gesuchte Erkennen der Natur künftig Natur sein soll […].“56 Das Öffnen eines Gegenstandsbezirks ist demnach mit der Eingrenzung eines einzusetzenden Methodenspektrums, mithilfe dessen der wissenschaftliche Entwurf bearbeitet werden soll, verbunden. Im Gesichtskreis des Entwurfs wird ein Naturvorgang für Heidegger als solcher mittels technisch verfasster Methoden und Verfahren erst sichtbar und somit für die „Strenge“ der Forschung operationalisierbar gemacht. Dabei ist „Strenge“ oder „Exaktheit“ kein absolut vorgegebenes Maß der Genauigkeit, sondern orientiert sich an den Eigenheiten der zu untersuchenden Objekte, die durch das Verfahren im jeweiligen Wissensbezirk zugänglich gemacht werden. 57 Solche entwurfsgemäßen Objekte werden durch Verfahren der technischen Darstellung und Sichtbarmachung zwar materiell definiert und fixiert, jedoch bleibt der Entwurf selbst ein veränderlicher Vorgang mit begrenzter Zielgenauigkeit, bei welchem man nicht genau weiß, wohin der ‚Wurf‘ geht. 58 Besonders in den Lebenswissenschaften und im Unterschied zu den mathematisch-physikalischen Wissenschaften charakterisieren paradoxerweise solche Unexaktheiten das „strenge“ Vorgehen: „Man kann zwar auch das Lebendige als eine raum-zeitliche Bewegungsgröße auffassen, aber man fasst dann nicht mehr das Lebendige“ 59 und wird der Komplexität physiologischer Prozesse nicht gerecht.

53 Heidegger, 1963 [1938], S. 71. 54 Ebd. 55 Rheinberger, 2007, S. 69. 56 Heidegger, 1963 [1938], S. 72. 57 Rheinberger, 2007, S. 69. 58 Vgl. Krauthausen, in: dies./Nasim (Hg.) 2010, S. 10 und Rheinberger, in: ebd., S. 143. 59 Heidegger, 1963 [1938], S. 73.

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Betreibt man Forschung muss man nach Heidegger also „den Blick für die Wandelbarkeit des Begegnenden frei haben“ 60, indem man bereit ist, seine eigenen Hypothesen ‚einzustampfen‘ und sich auf seine eigenen (unvorhergesehenen) Ergebnisse einrichtet: „Das Verfahren, durch das die einzelnen Gegenstandsbezirke erobert werden, häuft nicht nur einfach Ergebnisse an. Es richtet sich vielmehr selbst mit Hilfe [sic] seiner Ergebnisse jeweils zu einem neuen Vorgehen ein. In der Maschinenanlage, die für die Physik zur Durchführung der Atomzertrümmerung notwendig ist, steckt die ganze bisherige Physik […]. In diesen Vorgängen wird das Verfahren der Wissenschaft durch ihre Ergebnisse eingekreist. Das Verfahren richtet sich immer mehr auf die durch es selbst eröffneten Möglichkeiten des Vorgehens ein. Dieses Sicheinrichtenmüssen auf die eigenen Ergebnisse als die Wege und Mittel des fortschreitenden Verfahrens ist das Wesen des Betriebscharakters der Forschung.“61

Der Betriebscharakter der Forschung ist also das Element, welches das in Spezialwissen auseinanderstrebende Geflecht der „Forschung“ zusammenhält. „Betrieb“ meint dabei weder einfach Geschäftigkeit noch etwa Produktionsanlage. Unter Betrieb versteht Heidegger jene rekursive Kohäsion, welche die moderne Naturwissenschaft dadurch erhält und behält, dass sie sich aus der technischen Praxis rekrutiert und dass ihre Ergebnisse auch wieder in diese zurückfließen. 62 Im Betrieb wird der Entwurf des Gegenstandsbezirks für Heidegger zu „allererst in das Seiende eingebaut“ und in dieser rekursiven Schleife zwischen Entwurf und Sich-Einrichten-Müssen auf die eigenen (technisch verfassten) Ergebnisse differenziert sich die moderne Wissenschaft zur Forschung; zur „Spezialistik“.63 Institutionell und strukturell bleibt der wissenschaftliche Betrieb zwar auf die Institution der Universität zentriert, jedoch können potenziell auch andere, fachorientiertere Einrichtungen (Heidegger erwähnt hier [1938] bereits explizit Forschungsfachschulen) den „Zusammenschluss der Verfahrensweisen erleichtern“, die gegenseitige „Überprüfung und Mitteilung der Ergebnisse fördern“, den „Austausch der Arbeitskräfte regeln“ und damit die „größtmögliche freie, aber geregelte Beweglichkeit der Umschaltung und Einschaltung der Forschungen in die jeweils leitenden Aufgaben“ sicherstellen.64 Hier ist hervorzuheben, dass diese von Heidegger beschriebene „Aufteilung der Arbeitskräfte“ sich nicht durch eine traditionelle Arbeitsteilung, d.h., nicht durch eine zuvor definierte soziale Gruppe vollzieht, sondern von den Inter-

60 Ebd. 61 Ebd., S. 77. Hervorh. TK. 62 Rheinberger, 2007, S. 71. 63 Vgl. Heidegger, 1963 [1938], S. 77. 64 Ebd., S. 78/79.

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dependenzen des kooperativen Entwurfsgeschehens eines jeweiligen wissenschaftlichen Betriebs abhängt, der wiederum nicht losgelöst von den eingesetzten Instrumenten betrachtet werden kann. Diese Charaktermerkmale des wissenschaftlichen Betriebs werden im weiteren Verlauf dieses Kapitels (siehe Kap. 1.7) und anhand von Verbundprojekten (SFB, siehe Kap. 2.4) in der Praxis aufgezeigt. Allgemein lässt sich festhalten: Der Entwurf gestaltet sich für Heidegger im Verfahren, aber auch im Fortfahren bzw. Fortgang der Forschung selbst. Durch den Entwurfscharakter der Forschung konkretisieren und eröffnen sich zugleich neue Möglichkeitsräume. Dies geschieht im Spannungsfeld zwischen wissenschaftlichen Betrieb (Disposition) und der Kontingenz des Sich-Einrichten-Müssens auf die eigenen Ergebnisse. Der Entwurf ist also etwas, das auf eine konkrete historische Situation antworten muss; er ist etwas Hinterlegtes mit dem Potenzial und der Notwendigkeit der Ausarbeitung. Der Begriff des Projekts bei Bachelard Aus epistemischer Sicht wird der Entwurf, bzw. das Projekt bei Bachelard als „paradigmatische Vermittlungsform zwischen wissenschaftlichem Subjekt und wissenschaftlichem Objekt […]“ verstanden.65 Dabei ist zu berücksichtigen, dass weder wissenschaftliche Subjekt ihre Gegenstände im Entwurfsgeschehen unverstellt in den Blick bekommen, noch dass wissenschaftliche Objekte dem Forschungsprozess vorgängig sind und einfach ‚entdeckt‘ werden müssen. Es kommt vielmehr auf den Zwischenraum an, wie Bachelard bereits 1934 feststellt: „Die wissenschaftliche Welt ist also unsere Verifikation. Über dem Subjekt und jenseits des unmittelbaren Objekts gründet die moderne Wissenschaft im Projekt. Im wissenschaftlichen Denken nimmt das Denken des Objekts durch das Subjekt stets die Form des Projekts an.“ 66

Der Entwurf (das Projekt) charakterisiert hier den eigentlichen Modus der modernen Experimentalwissenschaften, deren Gegenstand nicht eine unmittelbare Wirklichkeit, sondern die Wissenschaftswirklichkeit („le réel scientifique“) ist. 67 In solchen projektepistemologischen Zusammenhängen werden die Unterscheidungen zwischen dem Forscher und den eingesetzten Technologien zur Darstellung wissenschaftlicher Phänomene sowie die Unterscheidungen zwischen Rationalismus und Realismus brüchig: Um erfolgreich Forschung zu betreiben, muss man den eigenen Ausgangsbereich (sei er ‚realistisch‘ oder ‚rationalistisch‘) verlassen: „Wenn [die wissenschaftliche Tätigkeit] experimentiert, muss sie auf Vernunft-

65 Krauthausen, in: dies./Nasim (Hg.) 2010, S. 9. 66 Bachelard, 1988 [1934], S. 17, Hervorh. im Original. 67 Ebd., S. 11.

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gründe zurückgreifen; wenn sie von Vernunftgründen ausgeht, muss sie experimentieren. Anwendung ist stets Übertreibung.“68 Innerhalb dieser Verquickung arbeiten Forschende nach Bachelard an der buchstäblichen Realisierung69 „rationaler Gebilde“,70 wobei diese Realisierung als Korrekturarbeit an den Entwürfen und vor allem im Experiment geschieht.71 Man muss „die Phänomene sortieren, filtrieren, reinigen, in die Gussform der Instrumente gießen; ja, sie werden auf der Ebene der Instrumente erzeugt.“72 Wenn Heidegger davon spricht, dass in „der Maschinenanlage, die für die Physik zur Durchführung der Atomzertrümmerung notwendig ist“, „die ganze bisherige Physik“ steckt, so weist Bachelard darauf hin, dass wissenschaftliche Instrumente „nichts anderes als materialisierte Theorien“ sind.73 Die moderne Naturwissenschaft ist demnach für ihn eine Phänomenotechnik, innerhalb welcher sich das Subjekt und die eingesetzten Technologien gegenseitig instruieren: „[Phänomenotechnik] verstärkt das, was hinter dem Erscheinenden durchscheint. Sie lernt aus dem, was sie konstruiert.“74 Mit dem Begriff der Phänomenotechnik, verstanden als ein ‚Erscheinen-Lassen‘ von Phänomenen, macht Bachelard deutlich, dass Wissenschaft kein voraussetzungsloses Unterfangen ist, sondern stets epistemischen und technologischen Präkonfigurationen und gewissen vorab formulierten Regeln unterliegt: „Die Zeit der zusammenhangslosen und beliebig änderbaren Hypothesen ist vorbei, geradeso wie die der bizarren, isolierten Experimente. Von nun an bedeutet Hypothese Synthese.“75 Heidegger schließt sich dem an, indem er behauptet: „die Zugrundelegun-

68 Ebd., S. 9. 69 Bachelard beschreibt einen für die moderne Wissenschaft typischen „technischen Realismus“, bei dem es weniger um die Wirklichkeit und ihre Erkenntnis an sich geht, als vielmehr um den Prozess der Verwirklichung eines potenziellen wissenschaftlichen Phänomens: „Tatsächlich handelt es sich um einen Realismus zweiter Ordnung, der eine Reaktion auf die gewohnte Realität darstellt und im Streit mit dem Unmittelbaren liegt; es handelt sich um einen Realismus aus realisierter durch Erfahrung belehrter Vernunft.“ (Bachelard, 1988 [1934], S. 11) Die alltägliche Wirklichkeit wird bei Bachelard mit dem „Wissenschaftswirklichen“ kontrastiert, das sich in einer Spirale der Überschreitung realisiert und nicht als ein Kant’sches Ding an sich, sondern als ein Experimentalzusammenhang zu denken ist (Rheinberger, 2007, S. 39 f.). 70 Bachelard, 1988 [1934], S. 18. 71 Krauthausen, in: dies./Nasim (Hg.), 2010, S. 9. 72 Bachelard, 1988 [1934], S. 18. 73 Ebd. 74 Ebd. 75 Ebd. S. 12.

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gen [moderner Wissenschaft] sind nicht willkürlich erdacht“, sondern entfalten sich immer schon aus einem Entwurf heraus, in welchem das Seiende im Ganzen so genommen wird, „dass es erst und nur seiend ist, sofern es durch den vorstellendenherstellenden Menschen gestellt ist.“76 Dabei ist das „Vorstellen“ der neuzeitlichen Wissenschaft hier durchaus wörtlich zu nehmen, nämlich als ein ‚Vor-sichHinstellen‘ (in Äquivalenz bei Bachelard ein Erscheinen-Lassen von Phänomenen), das zum Ausgangspunkt von rekursiven Entwurfsgeschehen wird.77 Die vorherigen Betrachtungen der Parallelbegriffe des Entwurfs bei Heidegger und des Projekts bei Bachelard haben verdeutlicht, dass Forschungsprozesse nicht unabhängig von den eingesetzten Apparaten, Instrumenten und Materialien ablaufen und dass das Subjekt sein Wissensobjekt nicht unverstellt in Blick bekommt. Vielmehr ist dieser Blick ein herstellender, weil apparativ gestützter Blick und keine einfache Verlängerung der Sinnesorgane. Entwurfszusammenhänge unterlaufen daher die klassische Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt und machen deutlich, dass Wissenschaft (und damit auch Theoriebildung) nicht nur im Gehirn der Forscher stattfindet, sondern ein intermediäres Feld von Apparaten und Instrumenten, Praktiken und sozialen Beziehungen sowie Materialien voraussetzt.78 Demnach sind sowohl Technologien (insbesondere solche der Sichtbarmachung) als auch Materialien (wie biologische Substanzen oder Tiermodelle) als vollwertige ‚Akteure‘ im Forschungsprozess zu beschreiben.

1.4 ÜBERSETZEN UND SICHTBARMACHEN: AKTEUR-NETZWERK-THEORIE UND EXPERIMENTALSYSTEME 1.4.1 Übersetzen: Akteur-Netzwerk-Theorie In der heutigen Landschaft der Forschungsförderung ist die Netzwerk-Metapher omnipräsent: Einen Teilbereich der von Bund und Ländern im Jahre 2005/06 ins Leben gerufene Exzellenzinitiative trägt den Namen „Exzellenzcluster“. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) unterhält im Rahmen ihrer Einzelförderung ein Programm mit dem Titel „Wissenschaftliche Netzwerke“ und schwerpunktorientierte Kompetenznetzwerke werden vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie sowie für Bildung und Forschung unter dem Motto „go-cluster. exzellent

76 Heidegger, 1963 [1938], S. 75 und 89. 77 Vgl. Rheinberger, 2007, S. 72. 78 Rheinberger, in: Krauthausen/Nasim (Hg.), 2010, S. 140.

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vernetzt!“ gefördert und über die sogenannte „Clusterplattform Deutschland“ koordiniert.79 Die zentrale Performanz von Netzwerken ist es, neue Akteure zusammenzubringen und sie für ein spezielles Thema oder bestimmten Problem zu mobilisieren. Die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) geht davon aus, dass Akteure innerhalb eines Forschungsprozesses keinen essenziellen Nukleus – kein determiniertes Wesen – haben, sondern situativ durch Relationen geformt und hervorgebracht werden. Dabei liegt der ANT keine einheitliche Theorie und Systematik zugrunde, vielmehr speist sie sich aus Ansätzen verschiedener (zumeist sozialwissenschaftlicher) Disziplinen und lässt Begriffe und Modelle aus der Empirie entstehen: Getreu ihrem Motto, „folgt“ die ANT bei ihren Analysen den Akteuren. 80 Die Etablierung von Netzwerken wird als Praxis begriffen und mächtige Netzwerke haben starke Partner an ihrer Seite; seien es belastbare Daten oder international anerkannte Kooperationspartner. Mit dem Prinzip der generellen Symmetrie vertritt die ANT damit die zentrale These, dass sowohl Menschen, als auch Dinge und insbesondere moderne Technologien als „Akteure“ in den Prozess der Wissensproduktion eingreifen und somit deren Repräsentationsweisen und die Konstruktion wissenschaftlicher Tatsachen beeinflussen.81 Materiellen Dingen wird damit Handlungsträgerschaft zugeschrieben. Mit diesem Fokus untersucht die ANT, wie Phänomene durch ihre Einbindung in sozio-materielle Netzwerke Gestalt annehmen und gleichzeitig auf diese Netzwerke zurückwirken. 82 Mit dieser ANT-Perspektive werden die herkömmlichen Unterscheidungen zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung, Wissenschaft und Technik sowie zwischen Repräsentation und Intervention brüchig. In der modernen Biomedizin gilt von daher: „Das Leben zu erkennen heißt, das Leben zu verändern.“ 83 Handeln ist in der ANT dabei nicht unbedingt intentional und allein Personen zuzurechnen. Vielmehr wird unterstellt, dass (menschliche und dingliche) Handlung durch permanente Verbindung (mit anderen menschlichen und dinglichen) Elementen zustande kommt. Akteure schicken diejenigen, mit denen sie in einem Netzwerk direkt oder indirekt verwoben sind, auf spezifische Handlungswege. Somit koproduzieren sie, was geschieht.84

79 „go-cluster“, in: Internetseite der Bundesministerien für Wirtschaft und Energie sowie für Bildung und Forschung, unter: http://www.go-cluster.de, Stand: 21.04.2017. 80 Vgl. Belliger/Krieger, in: dies. (Hg.), 2006, S. 10. 81 Vgl. Latour, 1987, S. 258. 82 Mathar, in: Beck et al. (Hg.), 2012, S. 173-174. 83 Nowotny/Testa, 2009, S. 15. 84 Vgl. Mathar, in: Beck et al. (Hg.), 2012, S. 184 f.

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Black Boxes Insbesondere wissenschaftliche Verbundprojekte können als verdichtete Knotenpunkte in sozio-materiellen Netzwerken verstanden werden, in denen wissenschaftliche Tatsachen produziert, akzeptiert, stabilisiert und schließlich zur ‚Selbstverständlichkeit‘ gemacht und damit dem generellen Skeptizismus entzogen werden. 85 Wird ein Sachverhalt bzw. ein Objekt zur unhinterfragten wissenschaftlichen Tatsache oder wird ein wissenschaftliches Instrument zum unproblematischen StandardInventar von Laboratorien, dann spricht Bruno Latour von Black Box.86 Als fertiges Produkt erscheint eine Black Box deshalb unproblematisch, weil man als Anwender nichts von ihrer inneren Funktion verstehen muss (sei es die Funktion einer weitreichend akzeptierten wissenschaftlichen Tatsache oder die Funktion einer standardisierten Apparatur im Labor). Es reicht, ihr einen Input zu geben und man erhält einen Output.87 Im naturwissenschaftlichen Kontext ist dieser Output meistens eine Art von Inskription z.B. in Form eines Diagramms oder einer Kurve. Was bei der Betrachtung eines solchen Outputs jedoch verloren geht ist der Übersetzungskontext, der zu einer solchen Inskription geführt hat: Es erscheint im Nachhinein als irrelevant, welche Kontroversen und Diskussionen es bei der Etablierung eines Inskriptionsgerätes gegeben hat, wie komplex seine inneren Funktionen sind und wie weitreichend sein akademisches und kommerzielles Netzwerk ist, das es instand hält: Allein der Input und der Output zählt bei einer Black Box. 88 Mit dem Konzept der Black Box stellt die ANT einen Zugang zu den materiellen Herstellungskontexten naturwissenschaftlicher Wissensproduktion her. Bei diesem Analyse-Verfahren kommt es weniger darauf an, zu klären, ob naturwissenschaftliche Tatsachen ‚wahr‘ oder ‚falsch‘ sind, vielmehr geht es darum, eine Black Box wieder zu öffnen, d.h., die Details offenzulegen, wie die naturwissenschaftliche Forschung im Labor zu ihren Aussagen, Daten und Ergebnissen kommt. 89 Black Boxes werden dabei von den sie anwendenden Naturwissenschaftlern oft als unproblematische Selbstverständlichkeiten betrachtet, wodurch ihre genaue materielle Konstellation und die Debatten und Kontroversen während ihrer Herstellung ausgeblendet werden. Dies ist aus praktischen Gründen auch für den Forschungsprozess notwendig. Denn die verschiedenen Übersetzungsschritte und involvierten Materialien, die etwa einem Diagramm oder einer Kurve zu ihrer Existenz verhelfen, sind viel zu lang, um von jeder einzelnen Person vollständig überblickt zu werden; nicht jeder einzelne Schritt oder jedes verwendete Gerät kann andauernd skep-

85 Vgl. ebd., S. 178. 86 Latour, 1987, S. 2-3. 87 Vgl. Belliger/Krieger, in: dies. (Hg.), 2006, S. 43. 88 Vgl. ebd. 89 Amelang, in: Beck et al. (Hg.), 2012, S. 152.

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tisch problematisiert werden (vgl. hierzu für das Bespiel der röntgengestützten Angiokardiographie in Kap. 2.3.2.4).90 Black Boxes könnte man daher als Übersetzungs- oder Translationsmaschinen bezeichnen, weil sie gewisse Elemente der Forschung (seien es ganze physiologische Zusammenhänge oder einfache Versuchsmaterialien) aus ihrem konkreten Kontext herausnehmen und unveränderlich machen (z.B. aus ihnen Kurven generieren), um sie danach ‚mobil zu machen‘ und in einen anderen Zusammenhang zu stellen („immutable mobiles“)91, welcher wiederum Ausganspunkt bzw. ‚Entwurf‘ für neue Übersetzungsvorgänge wird. Übersetzungen von der Materie zur Form Nach dem Verständnis der ANT sind Übersetzungen also nicht in erster Linie sprachlicher Natur, sondern beschreiben Prozesse der Verschiebung von Materialitäten hin zu Formen: Z.B. werden durch bildgebende Verfahren sichtbar gemachte Phänomene oder Reaktionen innerhalb eines Organismus zunächst in Tabellen, dann in Graphen und schließlich – nach einer Reihe weiterer Translationen – in wissenschaftliche Journals verschoben. 92 Als Ergebnis solcher mit Menschen und Dingen „verhandelten“ Translationsketten gelangen Wissenschaftler zu Autorität und Deutungshoheit, weil sie aus allen vorhandenen Elementen ein Netzwerk gebildet haben, in dessen Namen sie befugt sind zu sprechen oder zu schreiben.93 Insbesondere beim Schreiben von wissenschaftlichen Artikeln wird die Argumentationskraft durch Inskriptionen (z.B. Diagramme, Tabellen oder Schemata) nicht nur gestützt, sondern sie speist sich geradezu aus diesen graphematischen Anordnungen: Denn die in Abbildungen übereinandergelegten Inskriptionen eines wissenschaftlichen Artikels machen es möglich, eine ganze Reihe von Experimenten und Situationen auf einen Blick zusammenzufassen und so verschiedene Informationsquellen synoptisch zu vereinen. 94

90 Ebd., S. 156 und vgl. detaillierter Latour, 1987, S. 63-78. 91 Vgl. Latour, in: Belliger/Krieger (Hg.), 2006, S. 276-277. Latour spricht in solchen Zusammenhängen von „immutable mobiles“: „Man muss Objekte erfinden, die mobil, aber auch unveränderlich, präsentierbar, lesbar und miteinander kombinierbar sind.“ (S. 266, Hervorh. im Original) 92 Mathar, in: Beck et al. (Hg.), 2012, S. 179 und vgl. Latour, 2002 [1999], S. 70-71. 93 Mathar, in: Beck et al. (Hg.), 2012, S. 179 und vgl. Latour, 1987, S. 71. 94 Vgl. Latour, 2002 [1999], S. 80-81.

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Die epistemische Funktion der Synopse Der Funktion der Synopse kommt in der vorliegenden Arbeit auf drei verschiedenen Ebenen besondere Bedeutung zu und speist sich dabei aus drei Quellen: 1. Bachelard beschreibt in „Der neue wissenschaftliche Geist“ (1988, [1934]), dass

Experimentalzusammenhänge rekursive Anordnungen sind, in denen neues Wissen entsteht, das die Forscher ständig dazu zwingt, die Voraussetzungen ihres erfolgten Eingreifens neu zu justieren und für weitere Operationen zusammenzufassen. Erfahrung und Denken, Realität und Vernunft sind in gegenseitigen Überschreitungszusammenhängen aufeinander bezogen, die es nicht erlauben, die eine oder andere Seite zu privilegieren. 95 Es braucht von Zeit zu Zeit immer wieder eine Art ‚Zusammenschau‘ (Synopse), welche die im konkreten Experimentalkontext wirksamen (und damit ‚wirklichen‘) Begriffe bereinigt und ordnet: „Die Zeit der zusammenhangslosen und beliebig änderbaren Hypothesen ist vorbei, geradeso wie die der bizarren, isolierten Experimente. Von nun an bedeutet Hypothese Synthese [und Synopse, TK].“96 2. Latour spricht in seinem Aufsatz „Drawing things together“ 97 von den bereits erwähnten „immutable mobiles“, die eine „optische Konsistenz“ erzeugen, indem Innovationen der graphischen Darstellung (z.B. Tabellen, Verzeichnisse, Kurven etc., aber auch Listen, Fragebögen, Diagramme und gar Münzen und Geldscheine) neue Hin- und Rückbeziehungen mit Objekten (aus der Natur oder aus der Fiktion) etablieren. 98 Diese ‚Flachware‘ liegt nicht nur bequem zur Hand und ist nach Belieben kombinierbar, sondern wird darüber hinaus in sogenannten „Rechenzentren“ („centers of calculation“, d.h. in Institutionen wie Abteilungen in Unternehmen und Universitäten, geologischen Anstalten, Behörden für Bevölkerungsstatistik etc.) ausgewertet, sortiert, verglichen und vor allem in Beziehung zueinander gesetzt. Dies erlaubt, Ergebnisse in der Form zusammenzufassen (zur Synopse zu bringen), dass eine möglichst einfache und dauerhafte Weiterverwendung sichergestellt wird.99 Anstatt den Fokus auf eine subjektzentrierte ‚Logik der Forschung‘ zu setzen, bezieht sich Latour eher auf die komplexen Hin- und Rückbewegungen, -beziehungen und -verweise einer ‚Logistik der Forschung‘.

95 Vgl. Rheinberger, 2007, S. 40. 96 Bachelard, 1988 [1934], S. 12. 97 Latour, in: Belliger/Krieger (Hg.), 2006, S. 259-309. 98 Ebd., S. 270. 99 Vgl. Latour, 1987, S. 232 ff.

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3. Wie in Kap. 1.4.2 weiter zu verdeutlichen ist, spricht Rheinberger sowohl bei

der Datenerfassung in großen wissenschaftlichen Registern und Projekten,100 als auch bei der Überlagerung von Kurven und Graphen mit unterschiedlichen, aber aufeinander beziehbaren Messdaten in wissenschaftlichen Publikationen von der „Macht“ oder der „erkenntnistreibende[n] Funktion der Synopse“.101 Aber nicht nur auf der graphematischen Ebene der Inskription leisten Forschungsprojekte Synthese und Synopse, sondern auch auf einer institutionellen, disziplinären und damit sozialen Ebene: Projektgemäße Entwürfe, wie sie z.B. Anträge auf Forschungsverbünde darstellen, übersetzen Forschende und damit auch Institutionen, Fachrichtungen und Technologien aus verschiedenen Kontexten in einen gemeinsamen Problemhorizont und übergehen dabei disziplinäre Grenzen und Inkommensurabilitäten, ohne sie jedoch völlig ausräumen zu müssen. Denn um ein lebenswissenschaftliches Verbundprojekt erfolgreich durchführen zu können, ist es nicht zwingendermaßen notwendig, ein gemeinsames Paradigma zu teilen. Es ist vielmehr (wie sich mit Rheinberger im Kontext von Experimentalsystemen feststellen lässt) praktisch notwendig, sich auf eine gemeinsame Strategie zur Herstellung „interner Referenten“ (z.B. ein gemeinsam zu untersuchendes Tiermodell oder genutztes Gerät) zu verständigen, die die experimentellen Handlungen aufeinander beziehbar und reproduzierbar machen. Diese internen Referenten müssen keinesfalls stabil sein, aber doch vorerst verlässlich genug, um den nächsten Entwurf zu ermöglichen.102 So ist in der synoptischen Praxis biomedizinischer Projekte üblich, aus verschiedenen Experimentalsystemen stammende in-vitro- und in-vivo-Daten übereinanderzulegen, um einen gemeinsamen auf die Forschungspraxis gemünzten Referenzrahmen zu etablieren. Experimentalsysteme sind darauf angelegt, Differenzen zwischen solchen verschiedenen Befunden zu erzeugen und stabilisierte Signale in handhabbare Bedeutungszusammenhänge zu übersetzen. 103 Gleichzeitig müssen solche in sozio-materiellen Netzwerke eingeflochtenen Experimentalsysteme aber auch einen Raum für das Auftreten von Kontingenzen in Form von präzedenzlosen Ereignissen schaffen: „Um zu neuen Dingen vorzustoßen, muss das System destabilisiert werden – doch ohne vorherige Stabilisierung produziert es nur Geräusch. Stabilisierung [Disposition, TK] und Destabilisierung [Kontingenz, TK] bedingen einander.“104

100 Rheinberger, 2005, S. 93. 101 Rheinberger, in: Sachs-Hombach (Hg.), 2009, S. 132. 102 Vgl. Rheinberger, 2001, S. 66. 103 Vgl. ebd. S. 83. 104 Ebd. S. 83-84.

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1.4.2 Sichtbarmachen: Experimentalsysteme Mit dem Begriff Experimentalsystem beschreibt der Wissenschaftshistoriker HansJörg Rheinberger die fundamentalen Einheiten der gegenwärtigen Forschung. In ihrer Dynamik sind Wissensobjekte und die technischen Bedingungen ihrer Hervorbringung unauflösbar miteinander verknüpft. Sie sind zugleich lokale, individuelle, soziale, institutionelle, technische, und vor allem epistemische Einheiten.105 Im Wesentlichen vereinen Experimentalsysteme somit drei für den Fortgang und die Dynamik des wissenschaftlichen Entwurfsgeschehens wichtige Faktoren: 1. Der Forscher als ‚epistemisches‘ Subjekt Anders als klassische Wissenschaftstheorien geht Rheinberger nicht davon aus, dass die Entwicklung der Forschung allein von subjektzentrierten logischen Strukturen und übergeordneten Theorien abhängig ist. Zwar ist der einzelne Forscher autorisierter Sprecher, der die Wahl des Experimentalsystems und seiner Methoden vornimmt, um die Komplexität und den Spielraum des operationellen Feldes einzuschränken. Dies bedeutet jedoch nicht, dass er der alleinige Herr dieses Systems ist.106 Vielmehr macht Rheinberger klar, dass je besser der Experimentator sein System handhabt, desto weitgehender spielt das System seine eigenen Möglichkeiten aus. Es beginnt, den Forscher an die Hand zu nehmen und ihn in ganz unvorhergesehene Richtungen zu lenken.107 2. Epistemische Dinge Der Begriff des epistemischen Dings ist bei Rheinberger vage definiert, dafür aber multi-konzeptionell angelegt: Es können Strukturen, Reaktionen, Funktionen sein, um deren Aufklärung der Forschungsprozess kreist.108 Das, was an einem solchen „Ding“ interessiert ist gerade das, was noch nicht festgelegt ist, denn es verkörpert das, was man noch nicht weiß. Allgemein könnte man als „epistemisches Ding“ den Prozess zur Aufklärung von Unbekanntem bezeichnen, welcher die Fragestellungen der aktuellen Forschung bestimmt. In diesem Zusammenhang ist das epistemische Ding überhaupt erst im Prozess seiner materiellen Definition begriffen und hat von daher den prekären Status, in seiner experimentellen Präsenz zugleich abwesend zu sein.109

105 Ebd., S. 8. 106 Vgl. ebd. S. 19. 107 Ebd. S. 69. 108 Ebd. S. 24. 109 Rheinberger, 1992, S. 70 und ders., 2001, S. 25. Rheinberger spricht an verschiedenen Stellen auch vom „epistemischen Objekt“ (vgl. den Indexeintrag in Rheinberger, 2001,

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3. Technische Objekte Zum entwerfenden Prozess der materiellen Definition braucht man ein Arrangement, auf das man sich in Form von Experimentalbedingungen bzw. technischen Objekte beziehen kann. Die technischen Objekte müssen im Gegensatz zum epistemischen Ding von einer charakteristischen Bestimmtheit sein, um – mittels Rekurrenzen – die nötigen Differenzen innerhalb eines Experimentalsystems produzieren zu können. Die technischen Objekte bilden somit die Fassung eines epistemischen Dings: Sie erlauben es anzufassen, mit ihm umzugehen, und begrenzen es gleichzeitig.110 Technische Objekte und epistemische Dinge stehen demnach in einer nicht-trivialen Beziehung zueinander und bestimmen, was im Forschungsprozess als interne Referenten gelten können: Die technischen Objekte bestimmen mittels der Erzeugung bzw. Sichtbarmachung von materiellen Spuren (z.B. radioaktive Tracer-Technologien) die Repräsentationsweise epistemischer Dinge. Ausreichend stabilisierte epistemische Dinge werden ihrerseits zu konstruierenden Momenten der experimentellen Anordnung; sie werden also selbst zu technischen Objekten, indem sie dann beginnen, die Spannbreite der Fragen zu bestimmen, die innerhalb des Systems gestellt werden können. Dadurch werden die Experimente in einigen Richtungen klarer, aber auch weniger unabhängig, denn sie basieren mehr und mehr auf einer Hierarchie bereits etablierter Prozeduren. 111 Durch die Bewegung vom epistemischen Ding zum technischen Objekt werden also experimentelle Plattformen (Dispositionen) geschaffen, die Ausgangs- und Übergangspunkte für weiteres experimentelles Entwerfen werden. Durch das Zusammenspiel der drei oben beschriebenen Faktoren (Forscher, epistemisches Ding, technische Objekte) sowie durch die netzwerkgestützte Interaktion mit angrenzenden Experimentalsystemen („Experimentalkulturen“) produziert die Forschung unvorhersehbare Differenzen (differentielle Reproduktion,112

S. 338 „epistemisches Objekt oder Ding“, Hervorh. TK). Um die Vagheit experimenteller Prozesse zur Aufklärung von Unbekanntem zu verdeutlichen, wird hier dem Begriff des „Dings“ der Vorzug eingeräumt. 110 Rheinberger, 2001, S. 26. 111 Reinberger, 1992, S. 70-71. 112 Rheinberger verweist beim Begriff der differentiellen Reproduktion auf Derridas Begriff der „Différance“. Dieses Kunstwort unterscheidet sich in seiner gesprochenen Form nicht von der orthographisch korrekten Form (différence) und tritt nur in der schriftlichen Form als Unterschied hervor. „Différance“ macht deutlich, dass das System sprachlicher Differenz bei Derrida „nicht mehr stabil“ ist, sondern als „Prozess des ständigen Sich-Unterscheidens und Aufeinander-Verweisens von Signifikanten gefasst [ist], als ein Spiel der Differenzen ohne Zentrum und festen Grund, das gleichwohl selbst die einzige Grundlage von Sprache und Bedeutung darstellt.“ (Zapf, Eintrag „Dif-

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Abb. 1, Mitte), wodurch Experimentalsysteme als „Maschinerien zur Herstellung von Zukunft“113 charakterisiert sind. Die herkömmliche Unterscheidung zwischen Wissenschaft (epistemische Dinge) und Technologie sowie zwischen Subjekt und Objekt wird im Spannungsfeld des Experimentalsystems aufs Spiel gesetzt. Abbildung 1: Darstellung des epistemischen Raums des Experiments gemäß Rheinberger.

Quelle und Copyright: Thomas Krämer, Sequenzierungsgel unten links aus: Gödecke et al., Cardiovasc Res. 2002 Jan;53(1):253-62, Copyright: Oxford University Press.

férance/Différence“, in: Nünning [Hg.], 2004, S. 116, Lit.verz., WB & NW) Rheinberger macht sich hierbei die Doppelbedeutung des Begriffs „différer“ (zugleich ‚sich unterscheiden‘ und ‚aufschieben‘) zu Nutze, indem er zum einen auf die in Experimenten erzeugten Differenzen (etwa zwischen Experimental- und Kontrollgruppen) und zum anderen auf die für Experimentalsysteme charakteristische „Arbeit des Geschiebes“ eingeht (vgl. Rheinberger, 2001, S. 10 und ausführlich S. 85-87). 113 Rheinberger, 2001, S. 9 und S. 22.

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Legende zu Abbildung 1: A) In der Mitte befindet sich ein einzelnes Experimentalsystem mit seinen drei Faktoren: Dem Subjekt (Forscher), den technischen Objekten und dem epistemischen Ding. Die mittige rote Wolke soll die aus der Interaktion der drei zuvor genannten Faktoren resultierende Produktion von Differenzen (differentielle Reproduktion) des Experimentalsystems darstellen. B) Hier werden die Netzwerke zu ‚Anrainer‘-Experimentalsystemen dargestellt, die wiederum in Interdependenz mit unserem einzeln zu betrachtenden Experimentalsystem weitere Differenzen produzieren und sich somit wechselseitig verkomplizieren. C) Dieser Punkt stellt die oben angesprochene materielle Spurenlegung im Repräsentationsraum eines Experimentalsystems dar (hier das Beispiel für die experimentelle Spur eines hochauflösenden Gels zur Sequenzierung eines DNA-Abschnitts).

Repräsentationsräume Experimentalsysteme spannen Repräsentationsräume für Sachverhalte auf, die auf andere Weise nicht als Objekte des epistemischen Vorgehens dingfest gemacht werden können.114 Diese Repräsentationsräume sind für Rheinberger keine Orte, an welchen Dinge oder Sachverhalte in ein abbildtheoretisches Verhältnis gebracht werden, es geht nicht um ein „Widergespiegelt-Werden“, sondern es handelt sich vielmehr um ein „Erfassen und Erzeugen“;115 also vor allem um ein Entwerfen und Sichtbarmachen. Innerhalb des experimentellen Entwurfsgeschehens ist Repräsentation immer auch „Intervention, Invention und Kreation“. 116 Für Rheinberger ist ein „Wissenschaftsobjekt, das im Rahmen eines Experimentalsystems erforscht wird […] zunächst einmal ein Gefüge von materiellen Spuren in einem historisch lokalisierbaren Repräsentationsraum. Solche Räume werden durch die technischen und instrumentellen Besonderheiten des jeweiligen Systems erschlossen und zugleich begrenzt.“ Gleichzeitig existieren sie nicht unabhängig von Spurengefügen, sondern diese spannen die Räume erst auf. 117 Anlehnend an Jaques Derrida und „diesseits von Bildkritik auf der einen Seite und Schriftkritik auf der anderen“ definiert Rheinberger die experimentelle Spur als „eine Form der Manifestation, die noch nicht entweder in Schrift oder ins Bild in ihren traditionellen ausgeprägten Formen gekippt ist.“118

114 Rheinberger, 2001, S. 115. 115 Ebd. 116 Ebd. 117 Ebd., S. 113. 118 Rheinberger, in: Sachs-Hombach (Hg.), 2009, S. 127. Spuren werden von Rheinberger je nach Kontext auch als Signale, Inskriptionen bzw. nach Derridas „Grammatologie“ als Grapheme bezeichnet (vgl. Rheinberger, 2001, S. 113-115).

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Die Erzeugung von materiellen Spuren im Repräsentationsraum eines Experimentalsystems ist, um es mit Bachelard auszudrücken „phänomenotechnisch“ verfasst (vgl. Kap. 1.3), denn Rheinberger kommt es hier auf die Vermitteltheit, mithin auf die Analyse der experimentellen Apparatur an, die sich zwischen den Forscher und den Erkenntnisgegenstand stellt. 119 Um einen begrifflichen Zugang zu solchen Zwischenräumen zu erlangen und um zu verdeutlichen, dass sich experimentelle Spurenlegung nicht auf eine chaotische oder völlig zufällige Weise vollzieht, schlägt Rheinberger eine „Typologie wissenschaftlicher Visualisierungen“ vor. 120 „Alles Experimentieren mit Strukturen dreht sich um Verfahren der Kompression und der Dilatation: Was zu groß ist, muss verkleinert, und was zu klein ist, muss vergrößert werden. Und alles Experimentieren mit Prozessen dreht sich um Vorgänge der Beschleunigung und der Verlangsamung: Was zu schnell ist, muss verlangsamt, was zu langsam ist, muss beschleunigt werden. Kompression und Dilatation, Beschleunigung und Verlangsamung sind zugleich Anweisungen, wie Spuren zu Daten angeordnet werden können, um Muster zu erzeugen.“121

Entlang dieser beiden epistemischen Achsen und entlang der Verfahren des Enhancements (der Verstärkung von Phänomenen z.B. durch Kontrastmittel) sowie der Schematisierung (der graphischen Modellierung von molekularen Mechanismen) macht Rheinberger am Beispiel von Experimentaltechniken, die für die Entstehung der molekularen Biowissenschaften um die Mitte des 20. Jahrhunderts von entscheidender Bedeutung waren, klar, dass sich der Text biowissenschaftlicher Forschungsartikel um solche Visualisierungen herum situiert und so aufeinander beziehbare Darstellungsnetze generiert. 122 Im zweiten und insbesondere im dritten Teil der vorliegenden Arbeit sollen deshalb einige im Rahmen der drei zu untersuchenden kardiovaskulären SFB publizierten Originalarbeiten hinsichtlich ihrer Darstellungsmodi untersucht werden. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie aus dem Organismus eines Tiermodells zunächst eine experimentelle Spur (bzw. eine Inskription) erzeugt, dann ein Datum fixiert und letztlich ein wissenschaftliches Faktum bzw. ein stabiler interner Referent (z.B. ein Set von physiologischen Parametern) produziert und graphisch-synoptisch ‚zusammengezogen‘ wird. Bei solchen Transformationsketten ist zum einen zu beachten, dass es sich um Übersetzungsvorgänge von Materie hin zur Form handelt (vgl. Kap. 1.4.1) und dass sich im experimentellen Kontext verschiedene Darstellungstechniken überlagern und ‚supplementieren‘.

119 Vgl. Rheinberger, in: Gugerli et al. (Hg.), 2007, S. 118. 120 Rheinberger, in: Sachs-Hombach (Hg.), 2009, S. 128. 121 Rheinberger in: Gugerli et al. (Hg.), 2007, S. 118, Hervorh. TK. 122 Rheinberger, in: Sachs-Hombach (Hg.), 2009, S. 128 und 144.

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Experimentelle Supplements Rheinberger operationalisiert den Derrida’schen Begriff des Supplements für die Analyse von Experimentalsystemen. Bei Derrida, der den Begriff im Rahmen einer Analyse von Rousseaus Theorie der Schrift als „Supplement der Sprache“ etablierte,123 findet der Begriff immer dann Anwendung, wenn Hinzutreten und Substitution zwei untrennbare Momente desselben Phänomens sind:124 „Das Supplement aber liegt hier in der Mitte zwischen totaler Abwesenheit und Anwesenheit.“ 125 Supplementärität charakterisiert für Derrida demnach Sprache insgesamt, weil diese sich als unendliche Kette von Supplementen verstehen lässt.126 In diese „Ökonomie [der] Differenz“127 schreibt sich auch die Produktion von im Prozess der materiellen Definition begriffenen und damit experimentell zugleich an- und abwesenden epistemischen Dingen ein. Sie stehen nach Rheinberger für etwas, „das seine [experimentelle, TK] Wirksamkeit [und Präsenz, TK] aus seiner Abwesenheit bezieht.“ 128 Zugleich macht Rheinberger deutlich, dass die Einführung neuer experimenteller Methoden nicht unbedingt gleich zu neuen konzeptionellen Denkweisen der Forscher führen muss, sondern sich zunächst als bloße Zusätze präsentieren, die dennoch nachträglich das Potenzial haben, Experimentalsysteme insgesamt zu reorientieren:129 „Ich werde mich also an etwas halten, das man mit Derrida als Supplementaritätsprinzip bezeichnen könnte; es meint, vereinfacht gesagt, eine Ökonomie epistemischer Verschiebung, in der alles, was zunächst lediglich als Substitution oder Hinzufügung innerhalb der Grenzen eines bestehenden Experimentalsystems in Anschlag gebracht wird, dem System insgesamt eine neue Gestalt und damit auch seine Vergangenheit neu zu lesen gibt.“130

Neben der materiell-experimentellen und im Folgenden mit Rheinberger weiter zu vertiefenden visuellen Ebene findet der Begriff des Supplements in der vorliegenden Arbeit zusätzlich Anwendung für die Analyse der Entwicklung standortspezifischer Dispositionen (sowohl baulich als auch institutionell, siehe Kap. 1.5 und 2.1) zur Durchführung von kardiovaskulären SFB in Düsseldorf und für die Analyse der sich ständig verschiebenden (Teil-)Projektstrukturen des SFB 30 „Kardiologie“ und

123 Derrida, 1974 [1967], S. 244-281. 124 Bunia, Eintrag „Supplement“, in: Nünning (Hg.), 2004, S. 640, (Lit.verz., WB & NW). 125 Derrida, 1974 [1967], S. 272. 126 Bunia, Eintrag „Supplement“, in: Nünning (Hg.), 2004, S. 640, (Lit.verz., WB & NW). 127 Derrida, 1974 [1967], S. 247. 128 Rheinberger, 2001, S. 118. 129 Vgl. ebd., S. 178. 130 Ebd., S 10-11.

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der damit verbundenen Entwicklung von Verfahrensordnungen der DFG für das Förderprogramm SFB (siehe Kap. 2.4). Typen wissenschaftlicher Visualisierung nach Rheinberger Experimentelle Spuren produzierende biomedizinische Instrumente können allgemein in zwei Kategorien eingeteilt werden: zum einen in ‚-metern‘, also Instrumente zur Produktion von Messdaten wie z.B. Thermometer, Zytometer usw.; und zum anderen in ‚-skope‘, also in Instrumente, die Bilder produzieren, wie Mikroskope, Endoskope usw. und etwa Reaktionen morphologischer Strukturen darstellen. Gleichzeitig gibt es aber auch Instrumente, die diese Unterscheidung unterlaufen, weil sie entweder je nach Fragestellung sowohl ‚metrische‘ Spuren als auch ‚skopische‘ Reaktionen bzw. Ereignisse zur Darstellung bringen und auf einander beziehen können.131 Die von Rheinberger vorgeschlagenen Typen wissenschaftlicher Visualisierungen werden im Folgenden kurz vorgestellt. Kompression und Dilatation Die typischste Form der Kompression oder auch Dilatation von Prozessdaten sind die Kurve und das Diagramm, welche in der biowissenschaftlichen Forschung in vielfältigen Kontexten Anwendung finden. In einem Kurvenverlauf sowie in einer diagrammatischen Anordnung können ganze durch verschiedene Techniken generierte Serien von Messungen einer bestimmten Größe zu Synopse gebracht und so auf einen Blick erfasst werden.132 Bei hinreichender Komplexität lassen sich insbesondere in Kurven Muster erkennen, nach denen man in den diesen Kurven entsprechenden Datentabellen vergebens suchen würde.133 In Publikationen von großen Verbundprojekten müssen dabei die Idiosynkrasien der unterschiedlichen Darstellungstechniken verschiedener Experimentalsysteme ‚auf einen Nenner‘, oder besser ‚auf ein Bild‘ gebracht werden. Als „unveränderliche mobile Elemente“ („immutable mobiles“) haben kompressierte oder dilatierte Daten somit das Potenzial, an bestimmten Punkten, ganze Experimentalsysteme durch die Weiterverarbeitung dieser experimentellen Spuren und Zeichen in Verbindung zu bringen und in entsprechend veränderter Form wieder in den experimentellen Entwurfszusammenhang einzuspeisen. Die „Macht und erkenntnistreibende Funktion der Synopse“ (siehe Kap. 1.4.1) macht es beim Beispiel der Kurve und des Diagramms nicht nur möglich, Daten verschiedenster Provenienz zusammenzuführen und aufeinander zu beziehen, sondern es wird so auch ein Darstellungsraum generiert, in dem sich Daten zu Mustern, zu möglichen Fakten fügen, die ihrerseits wieder Anlass zu neuen

131 Vgl. Keating/Cambrosio, 2003, S. 287, FN 152. 132 Vgl. Rheinberger, in: Sachs-Hombach (Hg.), 2009, S. 131. 133 Ebd.

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Experimenten und Rekonfigurationen ebendieser Muster geben.134 Eine experimentelle Spur gewinnt ihre Bedeutung als Datum, indem man sie mit einem vermuteten Sachverhalt in Beziehung bringen kann. In Experimentalsystemen gilt es daher, nach datenfähigen Spuren (interne Referenten) zu suchen, um mögliche Fakten darzustellen, abzusichern und im Verlauf der Forschung weiter zu problematisieren. 135 In diesem Sinn fungieren wissenschaftliche Bilder als Entwürfe bzw. Projekte (vgl. Kap. 1.2 und 1.3), indem sie zu „integralen Elementen experimenteller Zyklen“ 136 und damit Ausgangs- und Übergangspunkte für weiteres Entwurfsgeschehen werden. Schematisierung – Modellierung Modelle haben eine eigentümliche Darstellungslogik, denn sie sind „aus einem anderen Holz geschnitzt als die Dinge, deren Modelle sie sind […]“; sie verkörpern die Darstellung dieser Dinge in einem anderen Medium und gehen somit nicht in materieller Form in die Untersuchungsgegenstände ein. 137 Biochemische in-vitroSysteme z.B. stellen Modelle für in-vivo-Prozesse dar, deren Referenzrahmen in solchen Versuchen nur im Idealfall hergestellt werden kann. 138 Solche Experimente schaffen einen extrazellulären Raum für die Darstellung von Reaktionen, die in der lebenden Zelle ablaufen. 139 Man versucht mit solchen Modellen, das Milieu der lebenden Zelle zu ersetzen. Der Begriff Modell verweist in den Biowissenschaften daher auf eine Vielzahl von Substanzen, Reaktionen, Systeme oder Organismen; er ist in erster Linie organisch verfasst und weit entfernt vom Modellbegriff der mathematischen Logik, „wo als Modell die semantische Interpretation einer formalen, d.h., rein syntaktisch definierten Zeichenkette bezeichnet wird.“ 140 Für die extrazelluläre, graphematische Darstellung komplexer intrazellulärer Prozesse hat sich sowohl in den Textbüchern also auch in der Forschungsliteratur die Schematisierung von molekularen Mechanismen durchgesetzt. Rheinberger konstatiert hier einen „Übergang von der Formelsprache [der Biochemie] zum Bildregime des Schematisierens“.141 Diese Darstellungsform ist eng verbunden mit der Entstehung der Molekularbiologie als eigenes Fach und hat gegenüber der Formelsprache für die beteiligten Forscher den entscheidenden Vorteil, in Bildern denken

134 Ebd. S. 132. 135 Vgl. Rheinberger, in: Gugerli et al. (Hg.), 2007, S. 123. 136 Rheinberger, in: Sachs-Hombach (Hg.), 2009, S. 132. 137 Rheinberger, 2006, S. 349. 138 Vgl. Rheinberger, 2001, S. 116. 139 Ebd. 140 Ebd. 141 Rheinberger, in: Sachs-Hombach (Hg.), 2009, S. 139.

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zu können und so ein „weit intuitiveres, synthetisches Verständnis eines komplexen molekularen Geschehens“ zu vermitteln.142 Im Gegensatz zu Formeln können bei Schemata die Symbolketten (z.B. Ovale für ribosomale Untereinheiten oder Pfeile für die Richtung der intrazellulären Signalwegen, sogenannte „pathways“) je nach Kontext der Fragestellung ersetzt, verschoben oder erweitert werden. Schemata stellen molekulare Vorgänge in einer Form dar, aus der weitere Fragen und Experimente zur Mechanik eines Prozesses abgeleitet und in die weitere experimentelle Befunde eingetragen werden können.143 Diese Darstellungsformen werden der Komplexität physiologischer Prozesse eher gerecht als biochemische Formeln, indem sie auf synoptische Weise Modelle molekularer Vorgänge darstellen144 und sich im Entwurfsgeschehen biowissenschaftlicher Forschung einschreiben. 145 Ein Modell stellt ein „materiales Allgemeines“ dar und kann aufgrund seiner Entwicklungs- und Anschlussfähigkeit an neue Fragestellungen im Netzwerk einer Experimentalkultur verbreitet werden.146 Modelle müssen als experimentelle Plattformen (Dispositionen) stabil genug sein, um an verschiedenen Orten und in verschiedenen Kontexten reproduziert werden zu können. Gleichzeitig müssen sie offen genug sein, um Voraussetzung einer erweiterten (supplementären) Praxis, eines weiteren experimentellen Entwerfens zu werden.147 Verstärkung – Enhancement Beim Verfahren des Enhancements werden Strukturen oder Prozesse durch das Setzen von Kontrasten oder durch Färbung sichtbar gemacht. Die Farbe oder der Kontrast wird bei diesem Vorgang selbst zu einem Bestandteil des Dargestellten, was dessen Verformung zur Folge haben kann und deshalb mit Vorsicht zu genießen ist und nur rekursiv in den Forschungsprozess eingeführt werden kann. 148 In der medizinischen Forschung des späten 19. Jahrhunderts, aber auch in der biomedizinischen Forschung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist besonders eine bestimmte Klasse von epistemischen Dingen mit dem Verfahren des Enhancements in Verbindung zu bringen: die Klasse der Präparate. Auf Skalpell und Konservierung beruhende anatomische und physiologische Präparate gehörten be-

142 Ebd., S. 140. 143 Ebd. S. 140/141. 144 Vgl. ebd. 140. 145 Zur Analyse eines im Rahmen des SFB 612 erzeugten molekularen Schemas und der damit verbundenen Zuweisung von Handlungsträgerschaft an Moleküle in molekulargenetischen Netzwerken siehe Kap. 3.4.8 der vorliegenden Arbeit. 146 Vgl. Rheinberger, 2001, S. 116. 147 Vgl. ebd., S. 119. 148 Rheinberger, in: Sachs-Hombach (Hg.), 2009, S. 132.

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reits im 18. Jahrhundert zum Kernbestand zoologischen Forschens und die Lichtmikroskopie, besonders seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat mit den Präparaten zwischen Objektträger und Deckglas (den sogenannten „slides“) ein ganzes Universum an haltbar gemachten Mikro-Objekten hervorgebracht. 149 In der Histologie und der damit verbundenen Histotechnik werden bis heute winzige Gewebestücke in solchen slides präpariert und eingefärbt, um z.B. Tumore zu diagnostizieren oder um Stoffwechsel- und Infektionserkrankungen nachweisen zu können. In der Forschung werden unterschiedlich präparierte und gefärbte Gewebeschnitte von normalen und pathologischen Proben dazu verwendet, um z.B. morphologische Beobachtungen und Examinierung sowie Lokalisierung von Zielmolekülen vorzunehmen oder aber diese slides werden zur Darstellung von Zell- und/oder Gewebereaktionen vor und nach Gabe einer bestimmten Substanz verwendet. Bis heute wird das Mikroskop (von der Licht- über die Elektro- bis hin zur FluoreszenzLasermikroskopie) als zentrales Instrument für solche Darstellungsweisen verwendet. Das Eigentümliche an Präparaten ist für Rheinberger, dass sie als epistemische Dinge „aus dem gleichen Holz geschnitzt sind wie das, aus dem sie [tatsächlich] bestehen“;150 sie sind indexalisch verfasst. Präparate partizipieren somit an der Materialität des Untersuchungsgegenstands selbst: Zum einen „sind [sie] die Forschungsgegenstände, die nicht nur in eine messbare, sondern auch in eine sichtbare, überhöhte Form […] zur Ekstase gebracht werden.“151 Zum anderen stehen sie in wechselwirkender Resonanz zu den Instrumenten, auf deren analytisches Vermögen sie jeweils spezifisch antworten und an deren Schnittstellen zum Untersuchungsgegenstand sie Gestalt annehmen. 152 Für Rheinberger sind Präparate daher „geronnene Zwischendinge“, die ihr Dasein eben den Zwischenräumen zu verdanken haben, die sich im Forschungsprozess in phänomenotechnischer Form zwischen Subjekt und (Wissens-)Objekt aufspannen. Die von Rheinberger bereitgestellten drei naturwissenschaftlichen Visualisierungstypen werden im Verlauf der vorliegenden Arbeit zur Analyse verschiedener bildgebender Verfahren der Herz-Kreislaufmedizin und -physiologie verwendet. Die Übersetzung von Spuren über Daten zu möglichen Fakten betrifft dabei – mit Canguilhem über Rheinberger hinaus – sowohl das Normale (Physiologie) als auch das Pathologische (Medizin): Von daher bewegt sich die Analyse von Apparaten zur Generierung physiologischer Kurven und dem Elektrokardiogramm (EKG, siehe Kap. 1.6 und 2.2), über die Röntgentechnik und der damit verbundenen Angio-

149 Ebd. S. 138. 150 Rheinberger, 2006, S. 349. 151 Rheinberger, in: Sachs-Hombach (Hg.), 2009, S. 138, Hervorh. im Original. 152 Ebd.

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kardiographie (siehe Kap. 2.3) bis hin zur experimentellen Messung hämodynamischer Parameter (Kap. 2.5.2.1) und der experimentellen Magnetresonanztomographie (Kap. 3.4). Weil viele bilderzeugenden biomedizinische Apparaturen sowohl zu grundlagenwissenschaftlichen Zwecken, als auch in der klinischen Diagnostik eingesetzt werden können, produzieren sie – gemäß den drei Visualisierungstypen Rheinbergers – nicht nur experimentell entwerfende, sondern auch normative Bilder, die den veränderlichen Zuschreibungen von ‚gesund‘ und ‚krank‘ zugrunde gelegt werden.153 Unter anderem solche Spannungsverhältnisse machen die ambivalente Beziehung zweier verschiedener sozio-materieller Netzwerke aus: zwischen dem Labor und der Klinik.

1.5 LABOR UND KLINIK: BIOMEDIZINISCHE PLATTFORMEN Im Bereich der Biomedizin findet der englische Begriff „platform“ vielfältige Verwendung. Gibt man den Begriff im Recherche-Tool „PubMed“ ein, so erhält man über 14.000 erschienene Artikel, die diesen Begriff allein im Titel tragen, wobei der erste angezeigte Artikel bereits im Jahre 1915 veröffentlicht wurde. 154 Bei seiner Verwendung im biomedizinischen Kontext kann der Plattformbegriff sowohl auf technisches Equipment verweisen, das für Diagnose- und Therapieanwendungen oder in der Forschung eingesetzt wird (z.B. „imaging platform“ bzw. „genotype platform“) oder er wird für gesundheitspolitische Steuerungsanstrengungen (z.B. „health policy platform“) verwendet. In seinem semantischen Spannungsfeld vereint der Plattformbegriff natürliche und künstliche Entitäten, materielle Artefakte und deren Entwürfe, also sowohl technische, politische, materielle und symbolische Referenten. Die Medizinsoziologen Peter Keating und Alberto Cambrosio bringen dieses semantische Spannungsfeld wie folgt auf den Punkt: „At the one end of the semantic spectrum lies the engineering/physics idea of a simple bench or surface onto which other devices are fixed in a definite but not definitive way. At the other end of the spectrum lies the political platform, an arrangement of statements and positions with respect to particular issues. A platform, then, is less a thing than a way of arranging

153 Vgl. Keating/Cambrosio, 2003, S. 293. 154 Metadatenbank „PubMed“ der US National Library of Medicine (National Institutes of Health), unter: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed?term=platform[Title], Stand: 19.10.2018.

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things in both a material and discursive sense. In both sense (as an instrument or a project), the platform creates the basis for the organization of activities.“155

Plattformen stellen wichtige Bedingung der Möglichkeit für die Existenz und Transformationen von Akteur-Netzwerken dar: „The intermediaries that stabilize networks are produced and reproduced on the platform. Platforms supply networks with conventions, generate novel entities, and entrench them in clinical routines.“ 156 Plattformen werden im Folgenden demnach als Ausgangs-, Übergangs- oder Durchgangspunkte für Akteur-Netzwerke verstanden, die im biomedizinischen Bereich Konventionen bezüglich des Normalen und Pathologischen produzieren und so den klinischen Anwendungsraum mitdefinieren. 157 Wie Projekte stellen Plattformen zum einen dichte Kontenpunkte in soziomateriellen Netzwerken dar, zum anderen sind sie wie die in Kap. 1.2 beschriebenen projektspezifischen Dispositionen Ausgangs- und Übergangspunkte für zukünftiges Handeln („springboards for future action“), um mit unvorhergesehenen Ereignissen umgehen zu können. Keating und Cambrosio teilen den Plattformbegriff für ihre Belange in drei Kategorien ein, die für die historische, technologische und soziale Beschreibung der Entwicklung einer zunächst experimentellen und später auch klinischen Plattform zur Immunophänotypisierung von ihnen herangezogen werden. Plattform-Hospitäler Die erste Kategorie ist durch die architektonische Form, des von ihnen sogenannten Plattform-Hospitals charakterisiert. Dieses Baukonzept mit einem „Podium“, einer Plattform für die Funktionsräume (z.B. OPs und andere Räume zur bildgebenden Diagnostik und Intervention) und einem „Tower“ für die Bettenstationen setzte sich unter dem Einfluss des Bauhausstils der 1920er und unter dem Credo der Automatisierung und Technisierung in den 1960er Jahren in den westlichen Staaten zunehmend durch.158 Das „tower-on-podium“-Konzept mit seiner dichteren und ökonomischeren Bauweise als das im 19. Jahrhundert etablierte Pavillonprinzip ist zum einen ein Ergebnis der (vermeintlichen) Beherrschbarkeit von Infektionserkrankungen seit den 1950er Jahren; zum anderen wurde es durch die zunehmende Integrierung und

155 Keating/Cambrosio, 2003, S. 27. 156 Ebd., S. 324. 157 Vgl. ebd., S. 327. 158 Ebd. S. 36.

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Automation von großen Zentrallabors und dem Einsatz von platzaufwendigen medizintechnischen Gerät begünstigt. 159 Hospital-Plattformen Die Funktionsräume zur Diagnostik und Intervention, die Zentrallabors sowie die technisch-organisatorische Infrastruktur, die sie umgeben, nennen Keating und Cambrosio Hospital-Plattform (die zweite Kategorie des Plattformbegriffs).160 Hierbei handelt es sich nicht nur um eine medizintechnische Plattform und den damit verbundenen Aktivitäten der Nutzung und Instandhaltung, vielmehr definiert die Hospital-Plattform eines jeweiligen Standortes „obligatorische Durchgangspunkte“,161 und damit die individuellen Wege, welche Patienten, deren Proben und Protokolle, Pfleger, Ärzte, Laborwissenschaftler und technisches Personal im Arbeitsalltag nehmen.162 Aufgrund der architektonischen, technischen und organisatorischen Integrierung von laborwissenschaftlichen Ansätzen in den klinischen Alltag stellen Hospital-Plattformen eine Schnittstelle zwischen konservativ klinischen Fächern (Innere Medizin und Chirurgie) und interdisziplinären Fächern (z.B. Labordiagnostik, Radiologie, Medizinische Mikro- und Molekularbiologie etc.) und damit zwischen Biologie und Medizin bzw. zwischen Labor und Klinik her. 163 Die zuvor in einzelnen Pavillons isolierten Spezialfächer werden insbesondere seit den 1960er und 1970er Jahren in großen Zentralkliniken sowohl räumlich als auch organisatorisch unter einem Dach bzw. auf einer gemeinsamen Plattform koordiniert. 164 Damit antworten Hospital-Plattformen sowohl auf

159 Ebd. S. 30 ff. und Murken, 1988, S. 234. 160 Keating/Cambrosio, 2003, S. 38. 161 Im Rahmen der ANT wird der Begriff „obligatory passage point“ durch Aktivitäten zentralisierter Kontrolle definiert, die Akteur-Netzwerke auf verschiedenen Ebenen verbinden: „It suggested that a single locus should shape and mobilize the local network and that this locus should have control over all transactions between the local and global networks. It should, in short, become an obligatory point of passage between the two networks.“ (Law/Callon, in: Bijker/Wiebe/Law [Hg.], 1987, S. 21-53, hier S. 31, Hervorh. im Original, vgl. auch Latour, 1987, S. 150-153) 162 Vgl. Keating/Cambrosio, 2003, S. 39 163 Ebd. S. 39 ff. und Murken, 1988, S. 235 164 So wurden seit den 1990ern (zumindest in Frankreich) zahlreiche Stellen (z.B. „directeur“ bzw. „coordinateur du plateau médico-technique“) oder Gremien („comitée du plateau médico-technique“) für die Koordination von Hospital-Plattformen einberufen (vgl. Keating/Cambrosio, 2003, S. 38-39).

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• technische Herausforderungen – insofern, als dass sie es ermöglichen, Patienten

problemlos zwischen ihren Stationen und den Funktionsräumen zu bewegen; • ökonomische Anforderungen – insofern, als dass sie die klinischen Abläufe zent-

ral koordinieren und damit effizienter gestalten; • epistemologische Probleme – insofern, als dass sie die zuvor räumlich und struk-

turell getrennten Bereiche der „Pavillon-Medizin“ in einen integrativen Wissensraum transformierten und so die Kollaboration multidisziplinärer Teams ermöglichten.165 Die zuvor getrennten Bereiche Labor und Klinik werden auf diesen Ebenen durch Hospital-Plattformen näher zusammengebracht. Biomedizinische Plattformen Die dritte, von Keating und Cambrosio am Beispiel der Immunphänotypisierung (IPT) beschriebene Kategorie von Plattformen ist die biomedizinische Plattform. Historisch entstehen biomedizinische Plattformen aus Experimentalsystemen heraus und teilen sich deshalb mit Letzteren gemeinsame apparativ gestützte Repräsentationsräume, jedoch beschränkt sich Rheinbergers Konzept des Experimentalsystems auf den Bereich der Grundlagenforschung und deckt nicht den gesamten Umfang von biomedizinischen Praktiken, die sich vom Labor bis hin zur der Klinik erstrecken, ab.166 Der Fokus liegt bei biomedizinischen Plattformen weniger auf der Produktion noch nie da gewesener epistemischer Dinge innerhalb eines einzelnen Experimentalsystems als mehr auf der Zirkulation und Konstitution von Protokollen, Instrumenten und Substanzen zwischen verschiedenen Institutionen (Labore, Kliniken, kommerzielle Unternehmen, Fachgesellschaften etc.) sowie der damit verbundenen Etablierung von Konventionen und ständig veränderten Leitlinien im biomedizinischen Kontext.167 Um zu verdeutlichen, was eine biomedizinische Plattform ist, führe man sich folgenden klinischen Algorithmus vor Augen: Ein Patient, der relevante klinische Anzeichen für Lymphdrüsenkrebs hat, wird zunächst einer Biopsie (der Entnahme einer Gewebeprobe) unterzogen. Die Probe wird im zweiten Schritt mittels histochemischer Farbstoffe morphologisch untersucht, um die Form und Größe der in der Probe befindlichen Zellen zu ermitteln. Daraufhin führt man drittens eine Immunophenotypisierung durch, d.h., hier detektieren Panels von standardisierten, industriell gefertigten Antikörpern z.B. mittels Durchflusszytometrie bestimmte Moleküle auf der Oberfläche maligner (bösartiger) Zellen. Molekulargenetische Unter-

165 Ebd., S. 39. 166 Ebd., S. 328. 167 Ebd., S. 3.

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suchungen sind der letzte Schritt: Verdächtige Zellen werden hinsichtlich ihrer ‚Bösartigkeit‘ genetisch untersucht. 168 Keating und Cambrosio gehen davon aus, dass jeder dieser Schritte eine distinkte biomedizinische Plattform mobilisiert. Deshalb sprechen sie z.B. von „morphological platform“ oder aber „immunophenotyping platform“, deren technosoziale Entwicklung sie in ihrem Buch detailliert beschreiben. Im Zentrum der Immunophenotypisierung stehen spezielle, zu visualisierende Zelloberflächenmarker, welche aufgrund komplexer Transformationen innerhalb der Biologie (insbesondere der Immunologie) und Pathologie (insbesondere der Onkologie) seit den 1980ern industriell gefertigt werden können und denen ein internationales, einheitliches Klassifikationssystem zugrunde liegt (das CD-System, „cluster of differentiation“). Dabei sind diese Marker nicht einfach Begriffe oder Konzepte, sondern sie existieren in materieller Form als standardisierte Reagenzien, die eine gewisse Zelleigenschaft detektieren. Zugleich existieren sie aber auch als „Klassen“ von Markern, also als diskursive Konventionen und Leitlinien, die ihre materielle Verwendung umgeben: Sie sind „bottled concepts“ bzw., um es mit Bachelard zu sagen, „materialisierte Theorien“. 169 An der Peripherie der IPT stehen Geräte, wie Fluoreszenz-Mikroskope oder Durchflusszytometer, die in ganz verschiedenen Kontexten und Fragestellungen zur Anwendung kommen. Das Potenzial solcher Geräte, Disziplingrenzen zu überschreiten, kommt dadurch zustande, dass die Zellanalyse in nahezu allen biomedizinischen Fächern von ausschlaggebender Bedeutung ist. Bei der biomedizinischen Plattform der Immunophenotypisierung handelt es sich um die Interaktionsräume zwischen ihrem Zentrum (Reagenzien) und ihrer Peripherie (Geräten). Zwischen diesen beiden Polen agieren Menschen aus ganz verschiedenen Kontexten: Kliniker, Biologen, Techniker, Marketing-Experten, die die Geräte vertreiben, Ethikkommissionen, die klinische Studien akkreditieren etc. Der Interaktionsraum zwischen dem Zentrum und der Peripherie einer biomedizinischen Plattform geht daher weit über den Bereich einer einzelnen HospitalPlattform hinaus, obwohl viele biomedizinische Plattformen zentrale und obligatorische Durchgangspunkte von Hospital-Plattformen bilden. Denn dieser Zwischenraum bildet die Ausgangs- und Übergangspunkte für – im Fall der IPT-Plattform durch international standardisierte Marker zusammengehaltene – Netzwerke zwischen Laboren, Kliniken, anderen Forschungseinrichtungen und der Industrie. 170

168 Siehe ebd. S. 2. 169

Ebd., S. 156 und Bachelard, 1988 [1934], S. 18.

170 Vgl. Keating/Cambrosio, 2003, S. 321 und 324.

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Plattformen zwischen Kontingenz und Disposition Standardisierungsprozesse sind für Keating und Cambrosio dabei keine reinen bürokratischen Gesten, sondern entstehen aus praktischen Notwendigkeiten (insbesondere aus Kriterien der Vergleichbarkeit und Reproduzierbarkeit) und sind als kreativer, innovativer und zugleich kontroverser Prozess aufzufassen.171 Wie innerhalb von wissenschaftlichen Projekten werden im Rahmen von biomedizinischen Plattformen mittels hybrider Praktiken sowohl Routinen (Dispositionen) als auch Innovationen (Kontingenzen) hervorgebracht. Das Plattform-Konzept zeigt damit, dass die herkömmliche Unterscheidung zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung innerhalb der modernen Biomedizin brüchig wird. Auch die Dichotomie zwischen Biologie und Medizin wird unterlaufen. Biomedizinische Plattformen spannen nicht immer unproblematische Repräsentationsräume auf, in welchen biologische also ‚natürlich‘ vorkommende Entitäten – z.B. die als Zelloberflächenmarker verwendeten Antigene – zugleich als pathologische Zeichen existieren. Biologie und Pathologie kommen also in einem gemeinsamen Repräsentationsraum zur Geltung und verändern sich dadurch ständig. 172 Mit der Analyse solcher biomedizinischen Entitäten machen Keating und Cambrosio deutlich, dass die institutionelle und intellektuelle Verbindung zwischen Biologie und Medizin keine Selbstverständlichkeit, sondern Ergebnis eines nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzenden komplexen Interaktionsprozesses ist, bei welchem sich auf materieller sowie diskursiver Ebene die Grenzen zwischen ‚normal‘ und ‚pathologisch‘ ständig verschieben.173

171 Ebd., S. 331. 172 Vgl. ebd. 173 Keating und Cambrosio verorten die Entstehung der modernen Biomedizin in Abgrenzung zur „naturwissenschaftlichen Medizin“ des 19. Jahrhunderts klar erst nach dem Zweiten Weltkrieg: „[…] we maintain that modern ‚biomedicine‘ constitutes a novel institutional and scientific activity that is incommensurable with practices of, say, a Louis Pasteur, a Robert Koch, or a Rudolf Virchow. We claim, in particular, that unlike previous efforts to combine biology and medicine, present efforts have succeeded in a way that the others did not: biology and medicine are now tightly intertwined.“ (ebd., S. 50) Ohne in eine Diskussion der Periodisierung bzw. der Zuordnung einer Epoche der modernen Biomedizin verfallen zu können, bezieht die vorliegende Arbeit in ihrer Darstellung der Entwicklung der Herz-Kreislaufmedizin das (späte) 19. Jahrhundert mit ein. Denn insbesondere die Etablierung der im folgenden Unterpunkt (Kap. 1.6.2) thematisierten, physiologische Kurven generierenden „graphischen Methoden“ bot wichtige Punkte der Anschlussfähigkeit für weitere im 20. Jahrhundert entwickelte Methoden und Technologien. Vielleicht ist es dem von Keating und Cambrosio untersuchten Gegenstandsbereich (Onkologie) und der Entwicklung neuer Technologien aus diesem Be-

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Eine weitere Dichotomie, welche vom Plattform-Konzept aufgebrochen wird, ist jene zwischen Wissenschaft und Technologie, die nicht als getrennte epistemische Felder betrachtet werden. Diesem Verständnis nach sind eingesetzte Instrumente nicht bloß Mittel, um gewisse intellektuelle Ziele durchzusetzen, sondern greifen aktiv in den Forschungs- und Routineprozess ein, indem sie die Repräsentationsweisen von materiellen Spuren bestimmen und so die Spannungsverhältnisse zwischen plattformspezifischen Dispositionen (Routinen) und Kontingenzen (Innovationen) beeinflussen. 174 Als „Sprungbretter für zukünftige Aktivitäten“ 175 produzieren biomedizinische Plattformen zum einen Kontingenzen und unvorhersehbare Ereignisse; und zum anderen produzieren sie mittels ihres Regulations-Potenzials (z.B. durch Konsensus-Konferenzen zur Etablierung international anerkannter Klassifikationssysteme) auch Kontinuitäten und Dispositionen, die den Forschern Orientierung geben und maßgeblich an der Identitätsstiftung von (Sub-)Disziplinen beteiligt sind. Die Verwendung des Plattformbegriffs Die ersten beiden Analysekategorien des Plattform-Hospitals und der HospitalPlattform werden in der vorliegenden Arbeit verwendet, um im zweiten Kapitel auf lokalhistorischer Basis zu zeigen, wie sich am Standort Düsseldorf alte und neue Strukturen im Laufe des 20. Jahrhunderts supplementierten: Der von Rheinberger (in Anlehnung an Derrida, siehe Kap. 1.4.2) verwendete Begriff des Supplements wird für die Beschreibung architektonischer und organisatorischer Formen fruchtbar gemacht, um zu verdeutlichen, dass es sich beim Neu-, Aus-, und Umbau bzw. der Neu-Strukturierung von Gebäuden auf dem Gelände eines Universitätsklinikums nicht bloß um einfache Erweiterungen handelt, sondern dass diese Formen in Interdependenz mit der Entwicklung biomedizinischen Wissens stehen. Die Supplements geben dem Gebäudeensembles als ‚mobile Immobilien‘ (in Analogie zu Latours „immutable mobiles“)176 demnach insgesamt eine neue Gestalt,177 indem sie z.B. die Integration von Zentrallabors in den klinischen Kontext ermöglichen und so die Zirkulation von Patienten, Proben sowie Wissen und klinischer Expertise gewährleisten, welche die jeweiligen lokalhistorischen Eigenheiten einer Institution auszeichnen. Der Komplex ‚Labor‘ bietet dem Komplex ‚Klinik‘ dabei die neusten

reich (vor allem der heute weit verbreiteten Durchflusszytometrie) geschuldet, einen so klaren Schnitt zwischen den biomedizinischen Entwicklungen vor und nach dem Zweiten Weltkrieg zu ziehen. 174 Vgl. ebd., S. 3. 175 Ebd. S. 27. 176 Vgl. Borck, in: Stollberg/Vanja/Kraas (Hg.), 2011, S. 21. 177 Vgl. Rheinberger, 2001, S. 10-11.

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Erkenntnisse und Technologien, während die Klinik neben ihrer Funktion als zentrale Versorgungseinheit für die Bevölkerung für das Labor bzw. für die Forschung als eine Art ‚Lieferant‘ für Patientenproben fungiert. 178 Aus dieser Perspektive steht der wissenschaftliche Erfolg einer Universität in direktem Zusammenhang mit den Fall- und Leistungszahlen des dazugehörigen Klinikums und ist damit immanent plattformabhängig. Diese Plattform-Abhängigkeit wird im zweiten Kapitel als lokalhistorische Disposition analysiert, die den Standort Düsseldorf zum einen als wichtiges Zentrum für Herz-Kreislaufmedizin charakterisiert (siehe Kap. 2.1 und Kap. 2.2) und zum anderen zugleich spezifische biomedizinische Plattformen als elementare Teile der Grundausstattung (siehe Kap. 2.3.2) einbezieht, die notwendig waren, um im Jahre 1968 den ersten kardiovaskulären Sonderforschungsbereich (SFB 30) in Deutschland ins Leben zu rufen. Bevor die Entstehungsgeschichte des Förderprogramms SFB vorgestellt wird, soll im Folgenden eine kurze wissenschaftshistorische Einordnung der Begriffe Experiment, Inskription und Translation in der Herz-Kreislaufphysiologie erfolgen.

1.6 HERZ-KREISLAUFPHYSIOLOGIE: EXPERIMENT, INSKRIPTION, TRANSLATION 1.6.1 Experimente in der Herz-Kreislaufphysiologie im historischen Kontext Tierexperimente zur Untersuchung des Blutkreislaufs wurden vermutlich schon zu Zeiten des in Rom lebenden griechischen Anatoms Galēn (~129-216) durchgeführt. Er hatte schon damals experimentelle Ligaturen (Abbinde-Experimente) der Herzkranzgefäße unternommen.179 Das Abbinden von Nerven oder Gefäßen spielt eine wichtige Rolle in der Geschichte der Experimentalisierung physiologischer Forschung. Der französische Epistemologe Georges Canguilhem (1904-1995) sieht in diesem Versuch eine „experimentelle Tatsache, die, unverändert bis auf den heutigen Tag, Jahrhunderte der Forschung über die neuro-muskuläre Funktion durchzieht“:

178 Das Arzt-Patienten-Verhältnis kann aufgrund des Schwerpunkts auf Wissensproduktion in der vorliegenden Arbeit nicht thematisiert werden. Auch auf Patientenkollektive kann nicht näher eingegangen werden. Sie sind im vorliegenden Kontext als Teil der klinischen Disposition und damit als wichtige Rahmenbedingung für klinische Forschung zu verstehen. 179 Lichtlen, in: Lüderitz/Arnold (Hg.), 2002, S. 271.

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„Das Abbinden des Nervs lähmt den Muskel, der durch diesen Nerv erregt wird. Dabei handelt es sich um eine experimentelle Geste, die zugleich elementar und allgemein ist. Wenn alles andere ansonsten gleichbleibt, dann wird der Determinismus einer Bedingung durch die absichtlich erhaltene Abwesenheit oder Anwesenheit eines Artefakts bezeichnet. Ihre Ausführung setzt einerseits eine empirische Kenntnis voraus, die in der Zeit von Galēn ziemlich neu ist (dass nämlich die Nerven, das Mark und das Gehirn ein einziges Leitungsrohr bilden, dessen Hohlraum die Aufmerksamkeit stärker auf sich zieht als die Innenwand); andererseits setzt sie eine psychologische, d.h. metaphysische Theorie voraus, der zufolge die Steuerung der Bewegungen beim Tier im Gehirn sitzt. Es ist die stoizistische Theorie des hegemonikon, die Galēn für eine Beobachtung empfänglich macht, die man bei jedem Tieropfer und jedem chirurgischen Eingriff machen kann. Dies führt ihn dazu, das Abbindungsexperiment durchzuführen, um daraus eine Erklärung der tonischen und klonischen Kontraktion als Transport von pneuma zu gewinnen.“180

Das Abbinde-Experiment hatte also eine paradigmatische Wirkung, denn auf der einen Seite diente es als ein aus der Praxis heraus entstandenes und in andere Bereiche übertragbares Musterbeispiel; zum anderen gab es Anlass, ein Programm und eine Theorienbildung (Theorie des hegemonikon) zu etablieren.181 Auch wenn Letztere nicht unbedingt etwas mit dem modernen Verständnis eines Zentralnervensystems zu tun haben muss, so zeigt sich am Beispiel des Abbindens von Nerven, wie ein „kleines, trockenes Experiment“ 182 in der Geschichte der (westlichen) Experimentalkultur eine Art Scharnierfunktion bekommt, die zwischen der Praxis des Tierversuchs und einem allgemeinen Konzept vermittelt. Nach Canguilhem gelangen solche Konzepte selten über „den Anthropomorphismus“ hinaus, organische Vorgänge mit dem Bild von technischen Vorrichtungen oder Maschinen zu beschreiben: „Aus diesem Grunde waren, in welch finalistische oder mechanistische Perspektive sich der Biologe zunächst auch versetzt haben mag, die Begriffe, die er anfänglich für die Analyse der Funktionen von Geweben, Organen oder Apparaten verwendete, in unbewusster Weise mit einer eigentlich menschlichen, technischen und pragmatischen Fracht belastet.“183

180 Canguilhem, 2001 [1951], S. 2-3. Hervorh. im Original. 181 Zum Spannungsfeld des Paradigmabegriffs zwischen dem Vorhandensein pragmatischer Problemlösungen in der Forschung als ‚Präzedenzfälle‘ (Musterbeispiele) und der Konstitution von allgemeinen theoretischen Prinzipien und den methodologischnormativen Grundannahmen einer „scientific community“, siehe Kuhn, 1976, S. 186 ff. 182 Canguilhem, 2001 [1951], S. 3. 183 Ebd., S. 6.

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Diese anthropomorphistische Fracht stellt im Falle der Geschichte der Erforschung des Blutkreislaufes zunächst das Konzept der Bewässerung dar: „Es ist Aristoteles, der die vom Herzen ausgehende Verteilung des Blutes mit der Bewässerung eines Gartens durch Kanäle verglichen hat. Und Galēn dachte nicht anders. Aber den Boden zu bewässern heißt letztendlich, sich im Boden zu verlieren. Und genau da liegt das hauptsächliche Hindernis für ein Begreifen des Kreislaufs.“184

Auch wenn das experimentelle Abbinden von Nerven und Gefäßen auf Galēn zurückgeht und zwischenzeitlich vielfach weitergeführt wurde, ist es der englische Arzt und Anatom William Harvey (1578-1657), der den Abbinde-Versuch zum ersten Mal als experimentellen Beweis eines in sich geschlossenen Blutkreislaufes verwendete. Harvey konnte zeigen, dass es nicht die Gefäße sind, die für den Puls verantwortlich sind, sondern die Pumpfunktion des Herzens.185 Was Harvey überdies der Summe von Feststellungen hinzufügte, die vor ihm gemacht wurden, war zugleich einfach und entscheidend: In einer Stunde schickt die linke Herzkammer ein Gewicht an Blut durch die Aorta in den Körper, das dreimal so groß ist wie das Gewicht des Körpers.186 Damit widerlegte er die seit dem 2. Jahrhundert geläufige These, dass das Blut im Körper aufgebraucht wird und vom Herzen und der Leber immer wieder aufs Neue produziert werden muss. Er zeigte also – zunächst am Schweine- dann auch am Menschenherzen –, dass die Zirkulation des Blutes einem geschlossenen Kreislauf unterliegt und dass das Herz keine Produktionsstätte von Blut ist, sondern als eine Art ‚Pumpe‘ fungiert. Durch das Supplementieren einer experimentellen Tatsache (der Tatsache, dass durch das Herz eine derartige Menge an Blut fließt) gelangte Harvey dahin, allen vorherigen Beobachtungen und Experimenten um den Abbinde-Versuch einen kohärenten Sinn zu verleihen. 187 Diese Sinnstiftung ging in erster Linie mit der „Ersetzung eines Konzepts“ einher: „Man erkennt, wie die Entdeckung des Blutkreislaufes zunächst, und vielleicht vor allem, die Ersetzung eines Konzepts ist (dem der Bewässerung), das direkt aus dem Bereich der menschlichen Technik in die Biologie importiert wurde, und zwar durch ein anderes Konzept,

184 Ebd., S. 7. 185 Vgl. ebd. 186 Ebd. 187 Das Abbinden von Gefäßen ist bis heute in der kardiovaskulären Forschung gängige Praxis (z.B. mittels der sogenannten „flow mediated dilatation“, FMD), um etwa die Steifigkeit der Gefäße oder die Funktion des Endothels (der innersten Wandschicht der Gefäße) mittels Ultraschall vor und nach der Gabe einer gefäßerweiternden Substanz zu messen.

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das dazu geschaffen ist, genaue Beobachtungen, die an verschiedenen Punkten und zu verschiedenen Zeiten an einem Organismus gemacht werden, ‚zusammenzufassen‘. Die Wirklichkeit des biologischen Konzepts des Kreislaufs setzt voraus, dass das bequeme technische Konzept der Bewässerung aufgegeben wird.“188

Wie bereits an verschiedenen Stellen (vgl. insbesondere Kap. 1.4) verdeutlicht, ist auch im vorliegenden Zusammenhang die erkenntnistreibende Macht der Synopse von Experimenten – das „Zusammenfassen“ von Beobachtungen am wie auch immer manipulierten Organismus – als ein Schlüssel zur Erkenntnis der Funktionen des Lebens zu betrachten, selbst wenn diese Erkenntnis anthropomorph ausfallen. 189 Denn die „Ersetzung eines Konzepts“ bzw. eines Entwurfs durch einen anderen beschreibt komplexe physiologische Phänomene eventuell adäquater, jedoch lässt sich mit Kant feststellen, dass die menschliche „Vernunft nur das einsieht, was sie selbst nach ihrem Entwurfe hervorbringt.“ 190 So wurde das Bild Bewässerungssystems für die Blutzirkulation durch ein anderes, hydraulisches aber nicht weniger „bequeme[s] technische[s] Konzept“191 ersetzt, durch das der Pumpe. Dabei bleibt zu beachten, dass die experimentelle Charakterisierung des Herzens als „Saug-DruckPumpe“ erst Mitte des 19. Jahrhunderts erfolgte: 1865 verfasste der Physiologie Etiennes Jules Marey (1830-1904) in seiner „Physiologie médicale de la circulation du sang“ ein Konzept, für welches das Herz als die den Blutkreislauf in Gang haltende Pumpe entscheidend war. Dieses mechanische Konzept verhalf en passant und ein einem völlig anderen, früh-industriell/arbeitswissenschaftlichen Kontext, den Menschen als thermodynamischen Motor zu verstehen, der – wie eine Maschine und in Übereinstimmung mit dem ersten Hauptsatz der Thermodynamik – imstande war, die in Nahrungsmittel gespeicherte Energie mithilfe des eingeatmeten Sauerstoffs in kinetische Energie (Arbeitskraft) und Wärme zu transformieren. 192 Dass auch das menschliche Herz von seiner Mechanik her tatsächlich wie eine „Saug-Druck-Pumpe“ funktionierte, konnte erst in den 1930ern mittels röntgenologischer Untersuchungen und exakter Druckmessungen final bestätigt werden.193 Die Originalität von solchen physiologischen Modellen besteht nach Canguilhem darin, dass sie von der „Rückwirkung des Objektes des Wissens auf die Konstitution des Wissens zeugt, welches auf das Wesen des Objektes abzielt, und

188 Canguilhem, 2001 [1951], S. 7. 189 Vgl. ebd. 190 Kant zitiert nach Probst, in: Ritter (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie (2001), S. 564, (Lit.verz., WB & NW). 191 Canguilhem, 2001 [1951], S. 7. 192 Vgl. Tanner, in: Hess (Hg.), 1997, S. 90. 193 Jacob/Kissling, in: Lüderitz/Arnold (Hg.), 2002, S. 158.

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schließlich weil sich in ihr Erkenntnis und Technik in unauflösbarer Weise verbinden.“194 Diese rekursive Kohäsion der Naturwissenschaften, die dadurch entsteht, dass sie sich aus der technischen Praxis rekrutiert und dass ihre Ergebnisse auch wieder in diese zurückfließen, wurde in Kap. 1.3 mit Heidegger als der Betriebscharakter der Forschung charakterisiert. 195 Das physiologische Programm einer „wissenschaftlichen Medizin“ im späten 19. Jahrhundert Im Laufe des 19. Jahrhunderts emanzipierte sich die Physiologie von der Anatomie und Pathologie, indem sie sich auf ein „‚reguläres‘ Funktionieren des Organismus“ bezog und Krankheiten nicht länger als das bloße Fehlen von „Qualitäten [wie die] der Kraft, der Geschmeidigkeit, der Flüssigkeit [etc.]“ ansah.196 Somit orientierte sich die Physiologie am Konzept einer biologisch regulierten ‚Normalität‘ des Organismus, das in der Forschungspraxis stillschweigend vorausgesetzt wurde und unter welchem auch pathologische Phänomene subsumiert werden konnten. In dem Buch „Die Geburt der Klinik“ schreibt Michel Foucault: „Die physiologische Erkenntnis, die für den Arzt früher nur eine rein theoretisch betriebene Randdisziplin darstellte, rückt nun […] in das Zentrum der gesamten medizinischen Reflexion ein. Ja noch mehr: das Prestige, das die Wissenschaften vom Leben im 19. Jahrhundert genießen, ihre Modellrolle, die sie vor allem in den Wissenschaften vom Menschen gespielt haben, hat ursprünglich nichts mit dem umfassenden und übertragbaren Charakter der biologischen Begriffe zu tun, sondern vielmehr mit der Tatsache, dass diese Begriffe in einen Raum verteilt waren, dessen Tiefenstruktur vom Gegensatz zwischen gesund und krank bestimmt war.“197

Unter anderem der Begriff der biologischen Normalität,198 sein Spannungsfeld und Problemhorizont zu pathologischen Phänomenen verhalf der Physiologie zur Eigenständigkeit und zu Selbstbewusstsein, sodass sie sich um 1850 als experimentelle Grundlage und Voraussetzung für eine „wissenschaftliche Medizin“ verstand.199 Dieses physiologische Programm einer „wissenschaftlichen Medizin“ ging im 19. Jahrhundert mit Bemühungen einher, eine auf Mathematik, Physik und Chemie basierende, experimentell-induktive und kausalanalytische Forschung zu etablieren,

194 Canguilhem, 2001 [1951], S. 22. 195 Vgl. auch Rheinberger, 2007, S. 71. 196 Foucault, 2008 [1963], S. 52. 197 Ebd., S. 52-53. 198 Siehe hierzu auch Canguilhem, 1977. 199 Rheinberger/Hagner, in: dies., 1993, S. 10.

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die sich bewusst von der vitalistisch-naturphilosophischen Epoche der Physiologie abwandte.200 In der Mitte des 19. Jahrhunderts ging es in diesem Kontext vor allem darum zu zeigen, dass sich organische Phänomene mit bereits etablierten physikalischen und chemischen Methoden erklären lassen: Man suchte nach Konzepten, mit denen sich der Organismus sowohl in seiner Ganzheit als auch seinen Teilfunktionen zugleich erfassen ließ. 201 1.6.2 Inskription: die graphische Methode am Beispiel Ludwigs Kymographions zur Blutdruckmessung und des Elektrokardiogramms Die Bemühungen um das Verständnis des Organismus sind eng gekoppelt an die Verwendung exakter Messmethoden und deren technisches Equipment wie Elektrometer, Manometer, Zeitmesser, Registriergeräte und Optometer, mit denen weite Bereiche der Physiologie erstmalig quantitativ bearbeitet werden konnten. 202 Mit der Einführung der sogenannten „graphischen Methode“203 in die Physiologie wurde mittels dieser Apparaturen ein neuer Zusammenhang zwischen der Erfassung experimentell evozierbarer Phänomene und dem Modus ihrer Vermittlung hergestellt.204 1.6.2.1 Ludwigs Kymographion Ein „instrumenteller Schrittmacher“ 205 dieser neuen Physiologie war das vom deutschen Physiologen Carl Ludwig (1816-1895) im Jahre 1847 beschriebene Kymographion (Wellenschreiber) zur Messung des Blutdrucks eines Tieres (Abb. 2A). Dem Instrument lag ein Quecksilbermanometer zugrunde: Das flüssige Metall nahm über eine in die Arterie des Versuchstiers geschobene Glaskanüle den Flüssigkeitsdruck dieser Arterie auf und setzte ihn am anderen Ende des U-Rohres in eine Schreibbewegung um.206 So konnte man zum ersten Mal mittels verfeinerter

200 Jacob/Kissling, in: Lüderitz/Arnold (Hg.), 2002, S. 150. 201 Lohff, Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 16 (1993), 217-228, hier S. 220. 202 Hess, 2000, S. 126. 203 Die Bezeichnung „graphische Methode“ geht auf Marey zurück („La méthode graphique dans les sciences expérimentales, Paris 1878, siehe de Chadarevian, in: Rheinberger/Hagner [Hg.], 1993, S. 33). 204 Rheinberger/Hagner in: dies. (Hg.), 1993, S. 11. 205 Hess, 2000, S. 126. 206 Rheinberger, 2006, S. 320.

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Messungen die Schwankungen des Blutdrucks und des durch die Atmung verursachten Luftdrucks synchron erfassen und in Kurven darstellen (Abb. 2B).207 Da es bei diesem Versuchsaufbau eines invasiven Eingriffs bedurfte, hing der Erfolg der Aufzeichnung entscheidend von Form und Eigenschaften des Zwischenstücks, dem sogenannten „Kommunikator“ ab, welcher das narkotisierte Versuchstier über eine Körperverletzung mit dem Gerät verband. Alle möglichen Verbindungformen und Verbindungsmaterialien für diese Schnittstelle wurden in Zusammenarbeit zwischen Physiologen und Instrumentbauern ausprobiert und akribisch getestet.208 Abbildung 2: Das Kymographion von Carl Ludwig.

Quelle und Copyright: Langendorff, 1891, S. 206 (Abb. 2A) und 207 (Abb. 2B), in: Interseite des MPIWG, Berlin „The Virtual Laboratory“, unter: http://vlp.mpiwg-berlin.mpg.de/index_ html, Stand: 30.04.2017. Legende zu Abbildung 2: A) Die Versuchsanordnung. B) Die Inskription, die den Blutdruck in einer Kurve darstellt.

207 de Chadarevian, in: Rheinberger/Hagner (Hg.), 1993, S. 28. 208 Rheinberger, 2006, S. 320.

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Die richtige Ausjustierung dieser Schnittstelle war entscheidend, um die beiden Phänomene Puls und Atembewegung synchron in einer Kurve graphisch-synoptisch zusammenzufassen. Der Organismus des Versuchstiers wird beim Ludwig’schen Blutdruckversuch zum integralen Bestandteil der experimentellen Anordnung. Zum ersten Mal wird ein komplexes physiologisches Phänomen auf Endlospapier sichtbar und als Inskription zugleich unveränderbar (weil graphisch fixiert) und mobil (weil aus dem konkreten Experimentalkontext in andere Bereiche transponierbar) gemacht. Durch ihre optische Konsistenz wird die physiologische Kurve zum vergleichbaren, replatzierbaren und vor allem kombinierbaren und dekontextualisierbaren „immutable mobile“. 209 Die kymographische Registrierung von Bewegungsvorgängen und Druckänderungen war somit einer der ersten exakten physiologischen Registriermethoden überhaupt.210 Durch die Überzeugungsmacht der Inskriptionen des Kymographions, dieses „pencil of nature“ verbreitete sich zunächst die Ansicht, dass das physiologische Phänomen für sich selbst ‚Wahrheit spricht‘. Damit wurde dem Phänomen zugemutet, „sich quasi selbst zu benennen und zu bekennen.“ 211 Die heute so selbstverständlich anmutende Auftragung von Daten über eine Zeitachse und ihre Verbindung zu einer Kurve, wäre ohne diese Form der graphischen Repräsentation kaum denkbar.212 Die Synopse-Leistung und die Wahrnehmung eines Zugewinns an Objektivität durch die Kurven der graphischen Methode ging sogar so weit, dass man sie als „Universalsprache“ bezeichnete und sie zum Symbol des Fortschritts physiologischer Forschung erhoben wurde, die dem jungen Fach der Physiologie zu einer disziplinären Identität und moralischen Integrität verhalf. 213 Ein zeitgenössischer Verfechter der graphischen Methode schreibt im Jahre 1895: „So wenig zu Ende dieses Jahrhunderts ein Culturstaat möglich ist ohne Eisenbahn, Telegraph und Telephon, so wenig ist heutzutage physiologische, pharmakologische, pathologische Forschung denkbar ohne graphische Methode […]. Es nicht zu viel behauptet, wenn man sagt, dass mit ihrer Einführung das moralische Niveau der Physiologie […] gehoben wurde. Denn von nun an genügte oft nicht mehr die blosse Behauptung, man verlangte, sie ‚mit Curven belegt‘ zu sehen.“214

209 Vgl. Latour, in: Belliger/Krieger (Hg.), S. 276-277. 210 Jacob/Kissling, in: Lüderitz/Arnold (Hg.), 2002, S. 150. 211 Rheinberger/Hagner, in: dies. (Hg.), 1993, S. 19-20. 212 Hess, 2000, S. 126. 213 Vgl. de Chadarevian, in: Rheinberger/Hagner (Hg.), 1993, S. 33. 214 Beer zitiert nach ebd., S. 31-32.

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Ludwigs Kymographion lieferte einen Entwurf für vielfältige Weiterentwicklungen solcher physiologischen Inskriptionsgeräte.215 Diese erfolgten zunächst in Deutschland und später – vor allem durch Marey – in Frankreich, der mit seinem optimierten Vierordtschen Sphygmographen, einem „Pulsschreiber“ im Unterschied zum Kymographion eine „unblutige“ Methode zur Blutdruckmessung bereitstellte. 216 Dabei bleibt zu beachten, dass Ludwig seine Apparatur zunächst als Supplement des bereits bekannten Spengler’schen Apparates zur Bestimmung des seitlichen Arteriendrucks betrachtete und ihm erst später den Namen Kymographion gab. 217 Ludwigs Zurückhaltung in der Propagierung seines Instruments – auch in seinem einflussreichen Lehrbuch (1852-1856) wird das Kymographion eher am Rande erwähnt – steht in Kontrast zu dem großen Einfluss, den seine Erfindung im Urteil seiner Zeitgenossen auf die Entwicklung der physiologischen Instrumente, die Untersuchungspraxis und die disziplinäre Identität der Physiologie ausgeübt hat.218 Die „graphische Methode“ in der Physiologie Der Erfolg der graphischen Methode bestand demnach keinesfalls bloß aus der eleganten Lösung eines rein technischen Problems, sondern war eng mit einem sozialen, disziplinären und institutionellen Kontext verflochten. Die selbstständigen Registrierautomaten erlaubten nämlich nicht nur „genauere Messungen“; sie eröffneten der Physiologie darüber hinaus die Möglichkeit, organische Phänomene einer mathematischen Behandlung zu unterwerfen.219 Ihre graphische Darstellungsform und ihre Aufzeichnungsmethode glichen jenen Verfahren, die zur Analyse und Optimierung physikalischer und technischer Maschinen eingesetzt wurden. Die graphische Visualisierung in Form einer Kurve bot dabei nicht nur den Vorteil der leichteren, synoptischen Erfassbarkeit, sondern realisierte das Postulat der „physikalischen Physiologie, indem die ‚Grösse der […] Lebenserscheinungen als Funktion von Variablen‘ aufgefasst und in einer, so zu sagen ‚leibhaftige[n] Aufzeichnung ihres zeitlichen Verlaufs in Curven‘ eingeschrieben wurde.“220

215 Für eine Übersicht siehe die Auflistung bei Lohff, Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 16 (1993), 217-228, hier S. 223, FN 29. 216 de Chadarevian, in: Rheinberger/Hagner (Hg.), 1993, S. 30 ff. 217 Ludwig verwendete hier nicht den Begriff des Supplements, sondern bezeichnete seinen neuen Apparat zunächst lediglich als „Modifikation“ des Spengler’schen Apparates (ebd., S. 28). 218 Ebd., S. 28-29. 219 Hess, 2000, S. 126-127, detailliert: de Chadarevian, in: Rheinberger/Hagner (Hg.), 1993, S. 40-41. 220 Du Bois-Reymond, zitiert nach Hess, 2000, S. 127.

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Solche der Disziplinenbildung und wissenschaftlichen Autonomisierung dienenden Postulate verschleiern jedoch die aus der eigenen Anwendung der Apparaturen erzeugten unerwarteten Probleme der Standardisierung und Kalibrierung. Allzu oft lieferten vermeintlich gleiche Phänomene, mit verschiedenen Geräten oder auch nur an verschiedenen Orten aufgezeichnet, auch verschiedene Kurven:221 „Der Erfolg eines Verfahrens, das sich als Ausdruck höchster Präzision, ja einer ‚sich selbstschreibenden Natur‘ verstand, erforderte so paradoxer- wie charakteristischerweise nachträgliche Festlegungen, die den universalisierten Umgang mit dem, was man als das Selbst der Natur anzusehen geneigt war, überhaupt erst ermöglichten. Den Phänomenen ist es gewissermaßen nicht erlaubt, ‚für sich zu sprechen‘. Vielmehr erlangt die ‚Unmittelbarkeit‘ ihrer graphischen Präsentation nur und erst dadurch ihre Eigenmächtigkeit, dass ihr die Regeln des Spiels vorgeschrieben werden. Die Grammatik der Kurven mag durch ihre mathematische Beschreibbarkeit gegeben sein. Die Semantik der Phänomene konstituiert sich erst mit der Pragmatik ihrer Hervorbringung.“222

Dieses Prinzip der Nachträglichkeit einer messtechnischen Praxis gegenüber ihrer instrumentellen Voraussetzung ist typisch für eine Vielzahl Kurven-generierender physiologischer und medizinischer Verfahren des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Dies gilt besonders für die Anwendung der Darstellungsform von Kurven für die klinische Diagnostik. Michael Martin und Heiner Fangerau (2011) zeigen etwa anhand der Herzschallschreibung, dass es sich bei der Transformation subjektiver ärztlicher Befunde in scheinbar objektivierte Symptomkategorien keineswegs um einen linearen Prozess handelt. Sie verfolgen vielmehr die These, dass unterschiedliche zum Teil widersprechende Strategien zur Fixierung und Dokumentierung akustischer Phänomene des Herzens entwickelt wurden, aus denen sich nur einige in nichtlinearer Weise als klinisch nutzbar herauskristallisierten. 223 Volker Hess (2000) zeigt in seiner Monographie über das Fiebermessen, dass es bei der Einführung der instrumentellen Messung pathologischer Temperaturveränderungen keineswegs von vorneherein feststand, diese auf dem noch offenen Feld der Fiebermessung Mitte des 19. Jahrhunderts anzusiedeln. Die Korrelation Fieber gleich erhöhte Temperatur war also keineswegs von vornherein gegeben. Denn das zu dieser Zeit bereits bekannte Messverfahren der Temperaturerhöhung musste zunächst Anschluss an eine andere Repräsentationspraktik erhalten, und zwar der physiologischen Kurvenschreibung. Damit konnte das Messverfahren erst zu einer

221 Rheinberger/Hagner, in: dies. (Hg.), 1993, S. 11. 222 Ebd., Hervorh. TK. 223 Martin/Fangerau, N.T.M, 19 (2011), 299-327, hier S. 300.

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klinischen Thermometrie werden, bei der jeder Kranke seine individuelle und von seinen subjektiven Empfindungen losgelöste Fieberkurve erhielt.224 Die Methode der Kurven schreibt sich am Ende des 19. Jahrhunderts in ein vielfältiges sehkonventionell-instrumentelles Repertoire ein, das es nicht nur technisch zu normieren, sondern auch kommunikativ zu standardisieren galt. 225 1.6.2.2 Das Elektrokardiogramm Eine besondere nicht-invasive, also ‚unblutige‘ Methode der Kurvenschreibung mit einer bis heute herausragenden Bedeutung für die Medizin ist die Elektrokardiographie. Das Elektrokardiogramm (EKG) wurde von Augustus Desiré Waller 1887 erstmalig am Menschen registriert und in den 1890er Jahren von Willem Einthoven paradigmatisch beschrieben. Es bahnte sich in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts seinen Weg aus den physiologischen Labors in Leiden (NL) und London (GB) in die örtlichen Kliniken und rasch in weitere Krankenhäuser in Deutschland, Großbritannien und den Vereinigten Staaten.226 In seinem Aufsatz „Herzstrom. Zur Dechiffrierung der elektrischen Sprache des menschlichen Herzens und ihre Übersetzung in die klinische Praxis“ beschreibt der Medizin- und Wissenschaftshistoriker Cornelius Borck die Entwicklung des EKG unter den folgenden drei Aspekten:227 1. der „Konstruktion der Semantik des EKG“, 2. der „Ästhetik des EKG“ und 3. der „Situativität der EKG-Ableitung“.

Die ersten beiden Aspekte sollen im Folgenden mit Bezug zur graphischen Methode sowie der Nachträglichkeit der EKG-Registrierung bezüglich ihrer klinischen Implementierung und den damit verbunden Korrekturverfahren an den verschiedenen Entwürfen der EKG-Bilder rekonstruiert werden. Hinsichtlich des von Borck verwendeten Begriffs der „Ästhetik“ sei hier mit Martin Seel auf die Unterscheidung zwischen „Ästhetik“ und „Aisthetik“ verwiesen, wonach die beiden Begriffe zwei unterschiedliche Arten der Analyse der Wahrnehmung und des Sinnlichen bezeichnen: „Thema der Ästhetik sind Wahrnehmungs- und Herstellungsformen, die sich auf bestimmte, traditionell ‚schön‘ genannte Objekte beziehen, nicht zuletzt – aber keineswegs allein – auf

224 Vgl. Hess, 2000, S. 160, siehe auch Hess, in: Gugerli/Orland (Hg.), 2002, S. 159-179. 225 Vgl. Martin/Fangerau, N.T.M, 19 (2011), 299-327, hier S. 301. 226 Borck, in: Hess (Hg.), 1997, S. 65. 227 Ebd. S. 65-86.

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die der Kunst. Thema der Aisthetik hingegen ist einfach die menschliche Wahrnehmung, ohne eine Beschränkung auf bestimmte Formen und Funktionen. Aisthetik ist folglich etwas sehr viel Allgemeineres als Ästhetik. Ist Aisthetik eine Lehre von dem menschlichen Wahrnehmungsvermögen überhaupt, so handelt Ästhetik von einem bestimmten Gebrauch dieses allgemeinen Vermögens. Ästhetik ist daher ein Teilgebiet der Aisthetik. Alle Wahrnehmung ist aisthetisch, nur ein Teil unserer Wahrnehmung aber ist darüber hinaus ästhetisch.“ 228

Bezüglich der Analyse physiologischer Kurven wie dem EKG wird in der vorliegenden Arbeit der Begriff der Aisthesis bevorzugt. Denn es geht nicht in erster Linie um eine eigentliche ‚Schönheit‘ der EKG-Kurven – auch wenn sie seiner Zeit als ‚schön‘ empfunden und propagiert wurden. Es geht vielmehr um die Produktion eines sehkonventionellen Inventars der frühen Elektrophysiologie und die damit verbundene Erzeugung optischer Konsistenz, die es ermöglicht, verschiedene Messparameter in Form von Kurven zur Synthese und Synopse zu bringen (vgl. Kap. 1.4.1). Für einige detailliertere Darstellungen, sowohl der Semantik als auch der Aisthesis der EKG-Kurven, wird daher auf die Abbildungen zeitgenössischer Originalarbeiten und auf weitere Sekundärliteratur zurückgegriffen. Die Situativität der EKG-Ableitung soll hingegen anhand der EKG-Abteilung an der Medizinischen Klinik der Städtischen Krankenanstalten und Akademie für praktische Medizin in Düsseldorf in Kap. 2.2.3 der vorliegenden Arbeit dargelegt werden, wobei die EKG-Forschungen des ersten Direktors der Medizinischen Klinik, August Hoffmann (1862-1929), mit in die Argumentation einbezogen werden sollen. Der Einführung der Elektrokardiographie in die Klinik standen zunächst zwei Hindernisse im Weg; eines war epistemologischer Art,229 das andere technischpragmatischer Natur. Erstens fand die Elektrokardiographie ihren Weg in die Krankenhäuser ohne erkennbaren klinisch-therapeutischen Vorteil. Sie wurde verbreitet und klinisch angewendet, obwohl sich mit dem EKG zunächst nur klinisch wenig bedeutsame und meist konsequenzlose Informationen wie beispielsweise der Herz-

228 Seel, 1996, S. 36. Hervorh. im Original. 229 Bei einem „epistemologischen Hindernis“ handelt es sich nach Bachelard nicht um „eine Betrachtung äußerer Hindernisse wie der Komplexität und Flüchtigkeit der Erscheinung, auch nicht um eine Klage über die Schwäche der Sinne und des menschlichen Geistes: im Erkenntnisakt selbst, in seinem Innersten, erscheinen – aufgrund einer Art funktionellen Notwendigkeit – Trägheit und Verwirrung […]. Die Erkenntnis des Wirklichen […] ist niemals unmittelbar und vollständig. Die Enthüllung des Wirklichen ist immer rückwärts gewandt. Das Wirkliche ist niemals ‚was man glauben könnte‘, es ist immer, was man hätte denken müssen. Das empirische Denken ist klar erst im nachhinein [sic], wenn der Apparat der Erklärung zum Zuge gekommen ist.“ (Bachelard, 1987 [1938], S. 46, Hervorh. TK)

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lagetyp gewinnen ließen. Das EKG war zunächst ein elektrophysiologisches Supplement (im Sinne Rheinbergers, siehe Kap. 1.4.2)230 bereits definierter Diagnoseverfahren, da es weder der klassischen klinischen Untersuchung noch der mechanischen Pulsregistrierung mit Sphygmo- und Polygraphen überlegen war. Anfangs war lediglich die Diagnose von Arrhythmien der Elektrokardiographie vorbehalten; an Ischämie- und Infarktdiagnose war in den 1890er-Jahren – trotz der Publikation einer Vielzahl von Aufsätzen und ersten Handbüchern zur Elektrokardiographie – noch nicht zu denken. 231 Das zweite Hindernis für die Einführung der Elektrokardiographie in die Medizinische Klinik bestand in einem bis dahin im Krankenhaus nie dagewesenen technischen und finanziellen Aufwand: Bei den ersten Elektrokardiographen handelte es sich um zimmergroße, nicht transportable Maschinen, die zu ihrer Bedienung mehrerer technisch qualifizierter Assistenten bedurften und die für die Untersuchung bettlägeriger Patienten über gegebenenfalls kilometerlange Kabel mit einem weit abgelegenen Krankenzimmer verbunden werden mussten.232 Der Kern der elektrokardiographischen Apparatur war äußerst delikat, denn es musste zur exakten Registrierung der Potentialschwankungen des Herzens ein Lichtstrahl mittels Mikroskop auf einen hauchdünnen Faden fokussiert werden. Obendrein ließen sich zunächst nur relativ kurze Abschnitte der registrierten Kurven auf einer fotographischen Platte dauerhaft aufzeichnen und sichtbar machen. 233 Zur Konstruktion der Semantik des EKG Als der englische Physiologe Augustus Desiré Waller (1856-1922) erstmals die elektrische Aktivität des menschlichen Herzens beobachtete und aufzeichnete (Abb. 3), verstand er die Frage nach der „Sprache des EKG“ ausschließlich als physikalisches Phänomen, als Faktum.

230 Rheinberger, 2001, S. 10-11. 231 Borck, in: Hess (Hg.), 1997, S. 65-66. 232 Ebd., S. 66. 233 Ebd.

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Abbildung 3: Wallers erste Darstellung eines menschlichen EKG in Silhouettenform (unten), zusammen mit Pulskurve (Mitte) und Zeitmarkierung (oben).

Quelle: Waller, J Physiol. 1887 Oct; 8(5): 229-234, Copyright: John Wiley and Sons.

Waller wollte nachweisen, dass auch die Tätigkeit des menschlichen Herzens auf eine elektrische Aktivität folgt, so wie es verschiedene Physiologen bei jedem anderen Muskel und am Tierherzen bereits nachgewiesen hatten. 234 Für ein so begrenz-

234 Die Entstehung bioelektrischer Potentialdifferenzen beruht auf Gesetzen, welche aus der Struktur erregbarer Membranen und den Grundprozessen der Polarisation und Depolarisation hergeleitet werden. Das Vorkommen elektrischer Erscheinungen an tierischen Organen wurde, wenn man von Erscheinungen an elektrischen Fischen absieht, zuerst am Frosch nachgewiesen. Der italienische Arzt und Anatom Luigi Galvani (1737-1798) beobachtete bereits Ende des 18. Jahrhunderts immer dann eine Zuckung der Muskeln, wenn er durch Metalle oder andere leitende Körper eine Verbindung zwischen dem Sakralmark und dem Unterschenkel des Präparates herstellte. Galvani führte das Phänomen auf eine dem Muskel innewohnende „tierische Elektrizität“ zurück, welcher der italienische Physiker Alessandro Volta (1745-1827) entgegenhielt, dass das geschilderte Verhalten der Muskel durch die Wirkung einer „Kontaktelektrizität“ zwischen zwei ungleichartigen Metallen bedingt sei. Galvani gelang daraufhin (1794) der Nachweis, dass es auch eine Zuckung ganz ohne Metalle gibt. Das Vorkommen tierischer Elektrizität am Herzen wurde 1844 zuerst von dem italienischen Physiker Carlo Matteucci (1811-1868) nachgewiesen und 1848 vom deutschen Physiologen Emil du Bois-Reymond (1818-1896) bestätigt. Diese Arbeiten boten die Grundlage für den Nachweis eines autonomen Aktionsstroms des Herzens (Rothschuh, 1952, S. 2-3). Bereits Anfang der 1850er entwickelte Hermann von Helmholtz (1821-1894) eine Apparatur zur Registrierung von Kontraktionen an isolierten Froschmuskeln und Messung der Nervenleitgeschwindigkeit (die sogenannte „Froschzeichenmaschine“, de Chadarevian, in: Rheinberger/Hagner [Hg.], 1993, S. 30 und S. 38 f.).

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tes Vorhaben war es zunächst nicht nötig, die elektrische Sprache des menschlichen Herzens zu verstehen, weder in ihren Strukturen noch in ihrer Bedeutung. Jedoch stieß Waller bei seinen Versuchen zur elektrischen Erregungsleitung des menschlichen Herzens bald auf eine Anomalie, die seine Methode kurzzeitig infrage stellte: Bei einigen Elektrodenpositionen an den Extremitäten ließ sich eine den Ableitungen aus der Herzregion ähnliche Kurve beobachten, bei bestimmten Kombinationen aber gab sein Instrument keine oder nur schwache Ausschläge. Diese Beobachtung veranlasste Waller nach einigem Nachdenken zur Konzipierung des Herzmuskels als einen Dipol mit einer daraus resultierenden elektrischen Herzachse, die normalerweise schräg von der Mitte des Brustkorbes nach links unten verlaufen sollte. Waller selbst bezeichnete diese Erkenntnis als „master key“ 235 zur Erklärung der Anomalie bei den verschiedenen Ableitungen des EKG: Nur wenn die Extremitäten für die Anlage der Elektroden so gewählt wurden, dass sich ein Ableitekreis über beide Seiten der Herzachse ergab – wie z.B. zwischen rechtem und linkem Arm – konnte die Potentialdifferenz, die bei der elektrischen Herzaktivität entsteht, registriert werden. Wurden dagegen zwei Extremitäten von derselben Seite der Herzachse verbunden, blieb das Gerät stumm.236 Die beobachtete Anomalie veranlasste Waller zwar noch zu einigen ad hoc-Modifikationen seines DipolKonzepts, indem er etwa nachwies, dass beim extrem seltenen Fall der Seitenverkehrung der Organe (situs inversus) genau vertauschte Ableitebedingungen herrschten. Mit diesem Befund betrachtete er die Elektrokardiographie als physiologisches Forschungsgebiet jedoch als abgeschlossen, wobei er die Silhouette der Potentialschwankung zwar genau beobachtete aber nicht weiter interpretierte. 237 Waller eröffnete zwar noch keinen eigenständigen Repräsentationsraum, aber die Anfänge einer Phänomenotechnik (im Sinne Bachelards, siehe Kap. 1.3), welche der Elektrokardiographie zu ihrer eigenständigen Existenz und Bedeutung verhelfen sollte. Denn er konnte im öffentlichen Selbstversuch anhand von gleichzeitiger Pulsschreibung nachweisen, dass seine EKG-Messungen mit dem Kapillarelektrometer die tatsächlichen bioelektrischen Potentialschwankungen des Herzens aufzeichneten, da die Kurven synchron zum Rhythmus des Pulsschlags ausschlugen. 238 Somit wurden die zuvor am Kaltblüterherz gezeigten Nachweise eines autonomen Aktionsstroms des Herzens auch am Menschen erbracht. Dies war aber nur der Anfang der Materialisierung dieser Theorie des autonomen Aktionsstroms (bzw. der Verdinglichung der diesbezüglichen Interpretationsarbeit früherer Elektrophysiologen) in eine instrumentelle Vorrichtung. Denn Waller war sich des diagnostischen

235 Waller zitiert nach Cope, Med. Hist. 1973 Oct.; 17(4): 380-385, hier S. 381. 236 Borck, in: Hess (Hg.), 1997, S. 68-69. 237 Ebd., S. 69. 238 Vgl. ebd., S. 79.

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Potenzials seiner Methode zunächst nicht bewusst und publizierte ab 1890 nur noch wenig über die elektrische Aktivität des Herzens. Dies änderte sich zunächst auch nicht aufgrund der Korrespondenz mit dem jungen niederländischen Physiologen Willem Einthoven (1860-1927), der auf dem 1. Internationalen Congress für Physiologie in Basel 1989 Wallers Demonstration seines eigenen EKG im Selbstversuch beiwohnte.239 Zwischen 1890 und 1895 verfeinerte Einthoven zunächst die bereits von Waller verwendete Kapillarelektrometertechnik mittels aufwendigen Eichverfahren und Testserien mit dem Ziel, die EKG-Kurve als klinischen Bedeutungsträger zu konstituieren. Mittels eines mathematisch-geometrischen Korrekturverfahrens, bei welchem die Kurve Punkt für Punkt ‚von Hand‘ umgerechnet wurde, kompensierte er die geringe Aufzeichnungsbandbreite des Kapillarelektrometers, um sich der „wahren Form des EKG“ anzunähern.240 Im Laufe einer solchen manuellen Konstruktion des EKG benötigte er eine Vielzahl ineinander verschränkter, theoretischer Zwischenpunkte, von ihm P1, P2, P3, Q1, Q2, Q3 etc. benannt (Abb. 4). Abbildung 4: Illustration zum Rekonstruierverfahren von Einthoven.

Quelle: Einthoven, Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere. 1895, Volume 60, Issue 3-4, 101-123. Copyright: Springer Nature.

239 Kligfield, Cardiology Journal, 2010, 17(1); 109-113, hier S. 111. 240 Ebd., S. 112. Aus der Retrospektive (1903) beschreibt Einthoven selbst das Korrekturverfahren wie folgt: „Die mittels [des Kapillarelektrometers] geschriebene Curve gibt bei der blossen Betrachtung eine ganz fehlerhafte Vorstellung der Potentialschwankung, welche während der Registrirung wirklich vorhanden waren. Wünscht man letztere kennenzulernen, so muss man sie aus der Form der registrirten Curve, den Eigenschaften der Capillarhöhe, der angewendeten Vergrösserung und der Bewegungsgeschwindigkeit der lichtempfindlichen Platte berechnen. Auf diese Weise gelangt man zu der Construction einer neuen Curve, deren Form den genauen Ausdruck der wirklichen Potentialschwankung darstellt.“ (Einthoven, Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere. 3. Nov. 1903, Volume 99, Issue 9-10, 472-480, hier S. 472, Hervorh. TK)

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Legende zu Abbildung 4: In die originale Kapillarelektrometer-generierte Aufzeichnung sind Korrekturpunkte eingezeichnet, mit deren Hilfe die korrekten Ausschläge der EKG-Silhouette rekonstruiert wurden.241

Diese verwirrende Punktvielfalt ließ in ihrer Detailliertheit das rekonstruierte, sogenannte „korrekte“ EKG nicht einmal erahnen. 242 Zwar deutete diese Notation schon auf die bereinigten, zukünftigen Punkte hin, in der Konstruktion mussten aber diese neuen Punkte erst noch entstehen und die Zwischenpunkte zum Verschwinden gebracht werden.243 Die originale EKG-Aufzeichnung erhielt im Laufe dieses Korrekturverfahrens dramatische Veränderungen. Zu Beginn stand noch die von Wallers Veröffentlichung vertraute Silhouette, die jetzt allerdings nicht nur deutlichere Spitzen, sondern auch regelmäßig klar abgrenzbare Zacken zeigte. Das ursprüngliche Muster wurde mit den vier Punkten A-B-C-D beschrieben. Nach der mathematischen Transformation war daraus eine Kurve mit sehr viel steileren Ausschlägen geworden, die nun mit den fünf Punkten P-Q-R-S-T beschrieben wurde (Abb. 5).244 Diese Rekonstruktion war einerseits eine theoretisch gewonnene Abstraktion von den konkreten Punkten A-D (weshalb Einthoven bei seiner Korrektur nicht erneut auf diese Bezeichnung zurückgriff), andererseits erzwang das Korrekturverfahren selbst eine neue Bezeichnungsweise, denn zwischen den alten Punkten C und D lag ein neu hinzugekommener fünfter (T).245

241 Legendentext vgl. Borck in: Hess (Hg.), 1997, S. 71. 242 Ebd. 243 Ebd. 244 Borck, in: Hess (Hg.), 1997, S. 70-71. 245 Ebd., S. 70. Borck stellt weiter fest, dass Einthoven bei seiner Schreibweise vermutlich auf die Notation von Punkten in den Naturwissenschaften zurückgriff. Denn das „PQRS“-System lässt sich über physiologische, mathematische und naturphilosophische Abhandlungen des 18. und 19. Jahrhunderts bis zu Descartes zurückverfolgen.

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Abbildung 5: Einthovens Darstellung der registrierten (hell/gepunktet) und der rekonstruierten EKG-Kurve (matt/gestrichelt).

Quelle: Einthoven, Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere. 1895, Volume 60, Issue 3-4, 101-123, Copyright: Springer Nature. Legende zu Abbildung 5: Die Punkte A-B-C-D bezeichnen die Ausschläge, wie sie mit dem Kapillarelektrometer aufgezeichnet wurden, die Punkte P-Q-R-S-T das rekonstruierte EKG.246

Einthovens Korrekturverfahren des Kapillarelektrometer-generierten EKG schreibt sich so in ein komplexes Entwurfsgeschehen ein. Den konkreten „Gegenstandsbezirk“ (Heidegger, siehe Kap. 1.3) der Messung der elektrischen Aktivität des menschlichen Herzens eröffnete Waller mit der experimentellen Phänomenotechnik des Kapillarelektrometers. Einthoven verfeinerte die Messtechnik und definierte die Exaktheit des Vorgehens („Strenge der Forschung“ im Sinne Heideggers) mittels der Kombination bereits vorhandener (dispositioneller) mathematischer Korrekturverfahren.247 Damit griff er der „wahren“ Darstellungsform des EKG vor, die das zu unpräzise Kapillarelektrometer nicht in der Lage war zu repräsentieren. 248 Mit Hei-

246 Legendentext vgl. Borck, in: Hess (Hg.), 1997, S. 71. 247 Vgl. Heidegger, 1963 [1938], S. 71-72. 248 Wallers Registrierungen bestanden nur aus zwei Phasen. Mittels dieser Verfahrenstechnik bestand lediglich die Möglichkeit der Aufzeichnung der gegenseitigen Potentialveränderungen, die die Kammeraktivierung und Repolisation begleiten. Mit dem Kapillarelektrometer konnten die Aktionen von Herzkammern und Vorhöfen nicht differenziert abgeleitet werden (Fazekas et al., Z Kardiol 92 [2003]: 122-127, hier S. 124). Hinzu kam, dass das Kapillarelektrometer sehr empfindlich gegenüber Schwankungen war. So kam es vor, dass Einthoven nach Stunden langer Positionierung der Ableitungen erneut beginnen musste, weil sein Leidener Labor direkt an einer viel befahrenen Kopfstein-

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degger lässt sich sagen, dass in den Forschungen Einthovens somit „etwas als das Schon-Bekannte ausgemacht [wurde]. Dieses Ausmachen betr[af] nichts Geringeres als den Entwurf dessen, was für das gesuchte Erkennen der Natur künftig Natur sein soll[te] […].“249 Die EKG-Kurve entpuppt sich so als ein graphisch-synoptischer Entwurf, den es zunächst bereitzustellen galt, um ihn in der Zukunft messtechnisch zu verifizieren und hinterher graphisch-publikatorisch als „immutable mobile“ (im Sinne Latours, vgl. Kap. 1.4.1) zu fixieren. Erst so konnten die Bilder für das Aufspannen eines neuen diagnostischen Repräsentationsraums mobil gemacht werden, dessen klinische ‚Wirkmacht‘ es erst noch zu begründen galt. Einthoven konnte mit seinem entwerfenden, theoretischen Vorgriff auf die ‚Natur‘ des EKG – noch mit großem zeitlichem Aufwand – schon eine Basis für die Evaluierung und Klassifikation einer großen Anzahl von Elektrometeraufnahmen schaffen.250 Das der ‚Natur‘ der elektrischen Aktivität des Herzens tatsächlich entsprechende EKG konnte jedoch nur breite Akzeptanz und Eingang in die internationale Nomenklatur finden, wenn eine praktikable, vergleichbare und reproduzierbare Methode zur EKG-Registrierung gefunden worden war. Bei der Herstellung des aus einem Empfangsinstrument der Überseetelegraphie entwickelten Saitengalvanometers profitierte Einthoven von verschiedenen industriellen Neuerungen (und deren Akteuren) des späten 19. Jahrhunderts: Es standen neue in Kraftwerken verwendete Oszillographen für die akkurate Messung schnell variierender Spannungen zur Verfügung, die Transmissionsraten erhöhten sich durch die Weiterentwicklung von Unterseekabeln, neue Kohlebogenlampen für eine bessere Belichtung wurden erhältlich, achromatische Linsen zur Behebung von Abbildungsfehlern bei mikroskopischen Verfahren standen zur Verfügung und nicht zuletzt verwendete Einthoven einen optimierten und feineren versilberten Quarzfaden.251 Entstanden die Silhouetten des Kapillarelektrometers (vgl. Abb. 3) durch eine strominduzierte Quecksilberbewegung, so erzeugte der hauchdünne Quarzfaden, wenn man elektrischen Strom durch ihn führte, eine Bewegung, die man bei starker Vergrößerung

pflasterstraße lag, die das Labor zum Schwanken brachte, wenn schwere Wagen daran vorbeifuhren (Acierno, 1994, S. 522). 249 Heidegger, 1963 [1938], S. 72, vgl. die Ausführungen zu Heidegger in Kap. 1.3 der vorliegenden Arbeit. 250 Vgl. Kligfield, Cardiology Journal, 2010, 17(1); 109-113, hier S. 112. 251 Ebd., S. 113. In seinem Kommentar zum Aufsatz Borcks bemerkt der Historiker Jakob Tanner, dass sich die Entwicklungsgeschichte des EKG in den allgemeinen Vorgang der „Elektrifizierung der Gesellschaft“ am Ende des 19. Jahrhunderts einschrieb, wobei diskursive Modellierungen von Verwendungsmöglichkeiten den technischen Entwicklungsprozess nicht nur stützend begleitet und beeinflusst, sondern letztlich überhaupt erst ermöglicht haben (Tanner, in: Hess [Hg.], 1997; S. 88).

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beobachten und fotographieren konnte. Indem man die Saite stärker oder schwächer spannte, war man im Stande, die Empfindlichkeit des Galvanometers innerhalb weiter Grenzen sehr genau zu regulieren. 252 Das Besondere an dem von Einthoven konzipierten Apparat lag nicht nur in der ‚Genialität‘ seiner Konzeption, sondern darin, Akteure (seien es neuartige Konstruktionselemente oder industrielle und klinische Partner) aus völlig verschiedenen Bereichen in nur einem Instrument zu kombinieren und vereint zum Funktionieren zu bringen.253 Mit Hinblick auf die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) werden bei diesem Entwurfszusammenhang zwei Aspekte klar: Zum einen war das oben beschriebene Setting ein anfangs noch äußerst instabiles Gefüge von heterogenen Partialobjekten (Akteuren), die nur unter bestimmten Voraussetzungen produktiv interagieren konnten. Zum anderen waren die EKG-Bilder als Inskriptionen nur ein mehr oder weniger „präziser Abschluss und letzte Stufe“ eines umfangreichen „Mobilisierungsprozesses“, von dem noch niemand erahnen konnte, dass er die diagnostischen und prognostischen Möglichkeiten der Medizinischen Klinik grundlegend verändern sollte. 254 Anstelle von Einthovens „Zauberspiel der mathematisch-geometrischen Rekonstruktion“ der vom Kapillarelektrometer aufgezeichneten Kurven machte das Saitengalvanometer die direkte Aufzeichnung der „idealen“ EKG-Kurve möglich.255 In der Publikation von 1903,256 in der Einthoven das Gerät zum ersten Mal vorstellte, konzentrierte er sich zunächst auf die Vorteile dieser neuen Technik gegenüber dem Kapillarelektrometer und auf die Wiedergabe des idealen EKG; kein Wort findet sich zur Bedeutung der Kurve oder zu klinischen Bildern. Einthoven gelang es jedoch, das neue Instrument als eine so zuverlässige Registriermaschine des EKG zu platzieren, dass nun die weiteren Schritte schnell folgten: 1906 eine Arbeit über die Form des ‚normalen‘ EKG und typische Befunde im EKG, in welcher zugleich die ersten Ableitungen von Patienten erschienen. 1908 folgte dann die erste Arbeit, die

252 Einthoven, Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere. 3. Nov. 1903, Volume 99, Issue 9-10, 472-480, hier S. 472. 253 Kligfield, Cardiology Journal, 2010, 17(1); 109-113, hier S. 112. Vgl. hierzu auch Acierno, 1994, S. 519: „The origin, historical development of each [technological] component, and their final amalgamation into the electrocardiograph is an interesting chapter in the history of cardiology. It illustrates how medicine, a branch of the biological sciences, took advantage of the concepts of physical science and its instrumentation, incorporating both into sphere of activities for diagnostic and physiological evaluation.“ 254 Vgl. Latour, in: Belliger/Krieger (Hg.), 2006, S. 280. 255 Borck, in: Hess (Hg.), 1997, S. 72. 256 Einthoven, Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere. 3. Nov. 1903, Volume 99, Issue 9-10, 472-480.

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allein der Bedeutung des EKG gewidmet war. Das von Einthoven eingeführte Notationssystem war in gewissem Sinn ‚universell‘, weil es semantisch nicht geschlossen war und nichts über die klinische Bedeutung präjudizierte, die es einmal erhalten sollte.257 So überließ Einthoven die schrittweise Zuordnung von bestimmten EKG-Befunden zu speziellen Krankheitsbildern weitgehend den ersten klinisch tätigen Elektrokardiographologen. 258 Auch wenn das EKG einen qualitativ neuen und einzigartigen Zugang zur elektrischen Funktion des Herzens ermöglichte und der Elektrokardiograph die Signale des Herzens direkt und in einer nie zuvor gekannten Unmittelbarkeit aufzeichnete, zeigt die geschilderte Entstehungsgeschichte der Semantik des EKG, dass es sich nicht um eine geradlinige Translation von Methoden des physiologischen Labors in den Anwendungsbereich der Klinik handelte. Das EKG hat das Herz zwar zum Schreiben, aber nicht unbedingt zum Lesen bzw. zum Sprechen gebracht: Denn die visualisierte Kurve des EKG ist am Beginn seiner Geschichte eine Repräsentation, deren Repräsentandum erst noch in komplexen Aushandlungsprozessen als Objektbereich gefunden und definiert werden musste.259 Die Repräsentationsform der EKG-Kurve konnte sich dabei vor allem durch die günstige Konstellation durchsetzen, dass die „Aisthetik“ des sehkonventionellen Inventars des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts maßgeblich von der graphischen Methode geprägt war.260 Die Unmittelbarkeit und optische Konsistenz der Aufzeichnung verlieh dem Verfahren ein hohes Maß an Evidenz und schrieb sich so in die Entsubjektivierungsbestrebungen des Programms einer „naturwissenschaftlichen Medizin“ ein. Die Aisthetik des EKG Wenn Cornelius Borck über die „Ästhetik des EKG“ (hier nach Seel als Aisthetik bezeichnet, s.o.) spricht, so thematisiert er nicht nur eine Art von ‚Schönheit‘ und „ikonographischer Qualität […]“261 der EKG-Kurven, sondern vor allem den Mo-

257 Borck, in: Hess (Hg.), 1997, S. 72. 258 Ebd., S. 72-73. Neben Sir Thomas Lewis (1881-1945) aus Großbritannien war in Deutschland der Düsseldorfer Internist August Hoffmann (1862-1929) an dieser Entwicklung beteiligt. Zur Implementierung einer elektrokardiographischen Abteilung an der Medizinischen Klinik der Medizinischen Akademie Düsseldorf und zur Konstruktion eines EKG-gestützten pathologischen Repräsentationsraumes siehe Kap. 2.2 der vorliegenden Arbeit. 259 Ebd., S. 66. 260 Vgl. Martin/Fangerau, N.T.M. 19 (2011), 299-327, hier S. 309. 261 Borck, in: Hess (Hg.), 1997, S. 76.

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dus ihres „Hergestellt-Seins“.262 Dabei geht Borck soweit, den technischen Herstellungsprozess und die genauen Repräsentationsweisen der EKG-Bilder aufzuschlüsseln, die wiederum eng an die Verwendung des Kapillarelektrometers und des Saitengalvanometers gekoppelt sind. Die Platzierungen von EKG-Bildern in wissenschaftlichen Publikationen dienen Einthoven der Produktion von Evidenz, die durch Darstellungen von methodologischer und theoretischer ‚Folgerichtigkeit‘ und der korrekten Verwendung der Registrierapparate begründet wird. Welche Transformationsschritte nötig waren, damit die mit den Augen zu wertenden EKG-Bilder die bis heute gültige ikonographische, aisthetische und diagnostische Wirkmacht erhalten konnten, soll im Folgenden anhand der Argumentation Borcks nachgezeichnet werden. Die Entwicklungsgeschichte des EKG war begleitet von enormen qualitativen Sprüngen der EKG-Bilder selbst. Die veröffentlichten EKG-Aufzeichnungen lassen sich nach Borck in drei Gruppen klar abgrenzen: 1. Wallers „plumpe Sägezähne“ (Silhouetten, Abb. 3), 2. Einthovens „Zacken mit den daraus rekonstruierten Kurven“ (Abb. 5), 3. die Aufzeichnungen mit dem Saitengalvanometer, die bereits wie moderne

EKG-Aufzeichnungen aussahen (Abb. 7).263 Wie schon angedeutet, machte sich das von Waller und zwischenzeitlich von Einthoven verwendete Kapillarelektrometer den Effekt der Oberflächenspannung des Quecksilbers in Abhängigkeit von Potentialschwankungen zunutze. Das Gerät registrierte das abgeleitete elektrische Potential des Herzens als relative Höhe eines Meniskus, welcher in Abhängigkeit von den Schwankungen dieser elektrischen Potentialen in einem Glasröhrchen auf- und abtanzte. Diese Auf- und Ab-Bewegung ließ sich auf einer dahinter vorbeibewegten fotographischen Platte als sich verändernde Höhenlinie aufzeichnen. Genau genommen handelt es sich also bei den Bildern des Kapillarelektrometers nicht um Kurven, sondern um Silhouetten (vgl.

262 Vgl. Heidegger, 1963 [1938], S. 87: „Der Grundvorgang der Neuzeit ist die Eroberung der Welt als Bild. Das Wort Bild bedeutet jetzt: das Gebild des vorstellenden Herstellens.“ Dabei ist das „Vorstellen“ der neuzeitlichen Wissenschaft hier durchaus wörtlich zu nehmen, nämlich als ein „Vor-sich-Hinstellen“ (in Äquivalenz bei Bachelard ein Erscheinen-Lassen von Phänomenen), das zum Ausgangspunkt von rekursiven Entwurfsgeschehen wird (vgl. Kap. 1.3 der vorliegenden Arbeit und siehe auch Rheinberger, 2007, S. 72). 263 Borck, in: Hess (Hg.), 1997, S. 73-74.

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Abb. 3).264 Das lichtundurchlässige Quecksilber warf einen Schatten auf den Film, das Ende der Quecksilbersäule bewegte sich nach oben und unten und zeichnete so eine Art Höhenlinie des elektrischen Potentials. 265 Interessanterweise publizierte Waller diese Silhouette nicht isoliert, sondern zusammen mit der simultan aufgezeichneten, mechanisch registrierten Pulskurve (Abb. 3 Mitte). Die EKG-Silhouette war für Waller also ‚nur‘ ein kombinierbares Supplement zur bereits etablierten und anerkannten Pulskurve (, deren Anfänge mit dem Kymographion von Carl Ludwig oben geschildert wurden). Der supplementäre Zusammenhang der Aufzeichnung des Kapillarelektrometers ergab sich zum einen aus der synoptischen Vergleichbarkeit der rhythmisch schwankenden Potentiale der EKG-Silhouette mit den pulsatilen Schwankungen der Pulskurve; zum anderen wurden die neuen Silhouetten des Elektrometers in den gewohnten Seh-Zusammenhang der physiologischen Kurven der graphischen Methode gestellt. 266 Die Kombination von EKG-Silhouette und Pulskurve verwendete Waller in all seinen Publikationen zum EKG,267 ohne dabei jedoch näher auf die Details seiner Form mit den charakteristischen Zacken und Tälern einzugehen. 268 Waller wollte offensichtlich bloß zeigen, dass die elektrische Aktivität des Herzens aufzuzeichnen ist; ihm ging es um die Etablierung eines wissenschaftlichen Faktums, nicht um seine mögliche klinische Interpretation. So umfassten Wallers Aufzeichnungen lediglich einen bis maximal fünf Herzzyklen. 269 Einthoven hingegen zeigte in seinem Aufsatz von 1895270 allein die Quecksilber-Silhouette (ohne zusätzliche Pulskurve) und vermerkte direkt in die Graphik die Punkte A-B-C-D. Somit bezeichnete er sofort einen Zyklus, den man weiter interpretieren und verarbeiten konnte.

264 Borck verwendet in seinem Aufsatz für EKG-Aufzeichnungen mit dem Kapillarelektrometer sowohl den Begriff der Silhouette als auch jenen der Kurve. Um der technischen Aufzeichnungsform gerecht zu werden, wurde und wird hier in Verbindung mit Registrierungen des Kapillarelektrometers ausschließlich der Begriff der Silhouette verwendet. 265 Ebd., S. 74-75. 266 Vgl. ebd., S. 75. 267 In seiner Publikation von 1887 zeigt Waller neben EKG-Silhouetten verschiedener Ableitungsformen auch an verschiedenen Tieren gemachte Aufzeichnungen (Frösche, Katzen, Kaninchen, siehe Waller, J Physiol. 1887 Oct.; 8[5]: 229-234). 268 Borck in: Hess (Hg.), 1997, S. 75. 269 Ebd. 270 Einthoven, Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere. 1895, Volume 60, Issue 3-4, 101-123.

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Zusätzlich kombinierte er diese Abbildung seiner instrumentellen Aufzeichnung sogleich mit einer schematischen Darstellung: Hier wurde die gemessene Silhouette mit der rekonstruierten Kurve kontrastiert (siehe Abb. 5). Zudem fügte Einthoven im lithographischen Anhang des Heftes die Darstellung von sechs verschiedenen Originalableitungen an, in denen er zehn bis zwanzig Herzzyklen zeigt, eine deutlich höheren Anzahl als zuvor Waller. 271 Borck stellt in diesem Zusammenhang fest, dass allein schon die Vielzahl der Herzaktionen auf dieser Tafel zusammen mit der instrumentellen Uniformität der Ableitungen einen „Gestalt-Eindruck“ des typischen Kapillarelektrometer-generierten EKG entstehen lassen, den Waller offensichtlich gar nicht beabsichtigt hatte. 272 Im ersten Aufsatz über die galvanometrische Registrierung des menschlichen Elektrokardiogramms von 1903 folgte Einthoven dem bewährten Schema: Diesmal stellte er der Kapillarelektrometer-generierten Silhouette mit den verzeichneten Punkten A-B-C-D wieder eine „[re-]-construierte“ EKG-Kurve gegenüber, ohne dass die zuvor gepunkteten Linien der Elektrometer-Silhouette darin jedoch vermerkt waren.273 Die Transformation der Original-Silhouette in das rekonstruierte „korrekte“ EKG ist zugleich eine Übersetzung ihrer Höhenlinie in eine Kurve. 274 Obwohl Einthoven an dieser Stelle des Aufsatzes noch einen Kapillarelektrometer verwendete, bereinigte er in seiner Darstellung die Rekonstruktion von allen Spuren der Silhouette, die diese Messmethode erzeugte.275 Ihrer Form nach war diese re-

271 Borck bezieht sich hier auf den genannten Aufsatz Einthovens mit dem Titel: Über die Form des menschlichen Electrocardiogrammes, Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere. 1895, Volume 60, Issue 3-4, 101-123. 272 Ebd. 273 Einthoven, Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere, 3. Nov. 1903, Volume 99, Issue 9-10, 472-480, hier S. 473. 274 Borck, in: Hess (Hg.), 1997, S. 76. 275 Der Aufsatz von 1903 diente Einthoven vor allem dazu, die Vorzüge des Saitengalvanometers gegenüber der Elektrometertechnik zu demonstrieren, ohne den Leser dabei mit technischen Details zu überfrachten. So bemerkt er, dass sowohl die „Theorie wie die praktischen Einzelheiten des neuen Instruments […] hier unerwähnt bleiben“ möchten und diese „nur in Rücksicht auf die Verlgeichung mit dem Capillar-Elektrometer“ vorgenommen werden sollen, und zwar dort, wo sich das Saitengalvanometer gegenüber dem Elektrometer auszeichnet (Einthoven, Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere. 3. Nov. 1903, Volume 99, Issue 9-10, 472-480, hier S. 474). Einthovens Argumentationsstrategie zielt darauf ab, theoretische und methodisch-praktische Folgerichtigkeit mit Bezug zum Vergleich der beiden Verfahren (Elektrometer vs. Saitengalvanometer) zu evozieren: „Denn hierdurch wird ein zweifacher Beweis geliefert: erstens für die Tüchtigkeit der Theorie und die praktische

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konstruierte Kurve bereits dieselbe EKG-Kurve wie in den durch das Saitengalvanometer aufgezeichneten Registrierungen. Verstärkt wurde der Kontrast durch den neutralen einfarbigen Hintergrund (Abb. 6). Diesem Bild war nicht nur eine „gesteigerte ikonographische Qualität inhärent“;276 vielmehr schürte Einthoven bei seiner Leserschaft durch die Vermittlung von methodologischer Folgerichtigkeit und Kohärenz auf geschickte Weise auch die Akzeptanz der „korrekten“ Darstellung des EKG als Kurve, wie sie das Saitengalvanometer aufzeichnen wird. Dieses Voran-Stellen der rekonstruierten EKGKurve im Artikel ist eine Form der materiellen Mobilisierung eines mathematischgeometrischen Entwurfs, den Einthoven bewusst „Vor-sich-hinstellt“,277 um die Rationalität seiner neuen Registriertechnik zu begründen und deren klinische Anwendung vorzubereiten. Abbildung 6: Einthovens Gegenüberstellung von Kapillarelektrometer-generierter EKGSilhouette (oben) und der daraus rekonstruierten EKG-Kurve (unten) mit jeweils vermerkten Zeitmarkierungen.

Quelle: Einthoven, Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere. 3. Nov. 1903, Volume 99, Issue 9-10, 472-80, Copyright: Springer Nature.

Die optische Konsistenz wurde dadurch verstärkt, dass Einthoven die neuen EKGBilder des Saitengalvanometers wie zuvor im Artikel von 1895 (damals noch Elekt-

Brauchbarkeit der früher angewendeten Methoden und zweitens für die Richtigkeit und die Genauigkeit des neuen Instruments selbst.“ (Siehe ebd., S. 479) 276 Borck, in: Hess (Hg.), 1997, S. 76. 277 Vgl. Heidegger, 1963 [1938], S. 87, vgl. auch Rheinberger, 2007, S. 72.

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rometer-Aufzeichnungen) zusätzlich auch in fotographischer Abbildung als Tafel am Ende des Heftes abdruckte. Diese Abbildung hat die bis heute als Standard geltende graphische Qualität, sie ließe sich ohne jede Veränderung als Abbildung in einem modernen Lehrbuch zur Elektrokardiographie verwenden (Abb. 7).278 Abbildung 7: Lithographische Tafel mit sechs originalen EKG-Ableitungen.

Quelle: Einthoven, Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere. 3. Nov. 1903, Volume 99, Issue 9-10, 472-80, Copyright: Springer Nature. Legende zu Abbildung 7: Die mit dem damals neuen Saitengalvanometer vorgenommenen Ableitungen stammen von sechs verschiedenen Probanden. Man beachte die Schwarz auf Weiß aufgezeichneten Kurven, den gerasterten Hintergrund (ähnlich dem Millimeterpapier) und die Eichzacken am rechten Rand.279

278 Borck, in: Hess (Hg.), 1997, S. 78. 279 Legendentext vgl. Borck, in: Hess (Hg.), 1997, S. 77.

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Die Übersichtlichkeit und die synoptische Kraft für ein ‚Gestalt-Sehen‘ erhielt diese Abbildung durch den in großen und kleinen Quadraten eingezeichneten gerasterten Hintergrund (vergleichbar mit Millimeterpapier) und durch die Darstellung der Eichzacken am rechten Bildrand. Um diese Orientierungsraster auf den Film zu bannen, hatte Einthoven zwischen Galvanometer und Film ein Glas mit horizontalem Linienschliff gesetzt und zusätzlich einen komplizierten Mechanismus entwickelt, der rhythmisch einen dünnen oder dickeren Längschatten warf. Dank dieser technischen Raffinesse konnte das EKG-Bild die wichtigsten Kriterien eines „immutable mobile“ im Sinne Latours erfüllen:280 • Die EKG-Inskriptionen waren mobil, weil nicht nur innerhalb des Textes der

Originalarbeit verschiebbar; • sie waren unveränderlich und reproduzierbar, weil graphisch fixiert; • sie waren flach und von daher leicht lesbar und dominierbar; • sie waren mit anderen Kurven zu kombinieren und zu überlagern, auch wenn

Einthoven darauf verzichtete, um die Alleinstellung des EKG zu festigen; • sie waren mit der Geometrie vereinbar, nicht zuletzt aufgrund des Ein-

thoven’schen mathematisch-geometrischen Korrekturverfahrens; • sie konnten in sehr einfacher Weise zum Bestandteil eines geschriebenen Textes

gemacht werden. Aufgrund dieser graphisch-aisthetischen Übersichtlichkeit und Eleganz, hatte das erste Bild eines Saitengalvanometer-generierten EKG diese synoptische Macht und definiert den bis heute gültigen Seh-Standard einer EKG-Darstellung.281 Der Modus der Sichtbarmachung der EKG-Kurven touchiert dabei alle drei in Kap. 1.4.2 vorgestellten Rheinberger’schen Visualisierungstypen. 282 In diesem Sinne waren die EKG-Kurven Resultate einer Dilatation, einer Vergrößerung, da die Bewegung des hauchdünnen Quarzfadens des Saitengalvanometers durch die Beleuchtung der Bogenlampen zunächst vergrößert projiziert und dann auf die Schreibvorrichtung übersetzt wurde. Zugleich waren die Kurven aber auch Ergebnis einer Verstärkung, eines Enhancements, weil der Quarzfaden in einem starken Magnetfeld ausgespannt und erst durch die Zuführung eines elektrischen Stroms in Bewegung versetzt wurde,283 die hinterher als Summe der bioelektrischen Potentialschwankungen des Herzens als Kurve darzustellen war. Schließlich touchieren die EKG-Kurven auch den

280 Vgl. für folgende Aufzählung Latour, in: Belliger/Krieger (Hg.), 2006, S. 285-287. 281 Borck, in: Hess (Hg.), 1997, S. 78. 282 Rheinberger, in: Sachs-Hombach (Hg.), 2009, S. 127-146. 283 Vgl. Einthoven, Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere. 3. Nov. 1903, Volume 99, Issue 9-10, 472-480, hier S. 474.

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Visualisierungstyp des Schematisierens, denn Einthovens mathematisch-geometrisches Korrekturverfahren abstrahierte von den ursprünglich noch mittels Kapillarelektrometer gemessenen Kurven auf das rekonstruierte ‚korrekte‘ EKG, wobei er in seiner Darstellung die für diese Rekonstruktion erforderlichen Zwischenpunkte zum Verschwinden gebracht hatte (vgl. Abb. 4, 5 und 6).284 Diese drei kombinierten Modi der Sichtbarmachung der EKG-Kurve schreiben sich dabei buchstäblich in einen Übersetzungsvorgang ein, aus welchem die EKG-Kurve als Vermittlung von ‚Natur‘ (das pochende Herz und dessen Stromstöße) und ‚Kultur‘ (die EKGApparatur inkl. ihres Aufschreibesystems) resultiert: „Ein komplexes Phänomen wie das rhythmische ‚Schlagen‘ des Herzens wird durch Sensoren, die eine physikalische Dimension des Vorgangs aufschreiben, analogtechnisch in ein anderes Medium übersetzt, wodurch dann eine Abbildung zustande kommt, die ein als ob suggeriert. Es ist, als ob sich im kontrollierten Schriftzug der Maschine die authentische ‚ElektroSprache des Herzens‘ ausdrücken würde.“285

Wie die Entwicklungsgeschichte des EKG gezeigt hat, war die Evidenz dieser „Elektro-Sprache des Herzens“ und ihre graphische Darstellung eng an die Frage gebunden, ob das neue Messverfahren eine Verknüpfung von laborexperimentellen Repräsentationspraktiken mit Aussagen der klinischen Empirie erlaubte. 286 Es war eine Vielzahl von Akteuren wie Apparaten, Institutionen, Forschern und Versuchsobjekten (tierische sowie menschliche) erforderlich, um diese Übersetzung vom Labor in die Klinik zu realisieren. War die elektrische Herzaktivität des Menschen Mitte des 19. Jahrhunderts noch ein von den elektrophysiologischen Mechanismen her unaufgeklärtes epistemisches Ding (Rheinberger), so wurde sie durch Waller in ein technisch-apparatives Setting gesetzt, das maßgeblich dazu beitrug, das menschliche Herz als autonomes Erregungsleitungssystem zu betrachten und erste EKG-Ableitungen am Menschen vorzunehmen. Die Darstellung der EKG-Ableitung verfestigte den Blick auf den

284 Vgl. Borck, in: Hess (Hg.), 1997, S. 71. 285 Tanner, in: Hess (Hg.), 1997, S. 89, Hervorh. im Original. 286 Vgl. Hess, 2000, S. 119 hier mit Bezug zur Thermometrie. Dass die Übersetzung des EKG in die Klinik von vielen Zeitgenossen als kritisch bis unmöglich erachtet wurde zeigt ein Kommentar Wallers, der 1910 noch ausführte: „I do not imagine that electrocardiography is likely to find any very extensive use in the hospital. It can at most be of rare and occasional use to afford a record of some rare anomaly of cardiac action.“ (zitiert nach Acierno, 1994, S. 520) Dass auch Waller von der klinischen Anwendung letztlich überzeugt wurde, zeigt seine 1917 publizierte Studie über die Registrierung und Auswertung von 2000 EKG-Kurven (Waller, J Physiol. 1917 51 (18). xvii-xviii.).

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experimentellen Gegenstand der elektrischen Herzaktivität und wurde zugleich von der technischen Apparatur des Labors materialisiert. Damit wurde die Aufzeichnung der elektrischen Herzaktivität zwar potenziell zum technischen Objekt, zur Phänomenotechnik, um es mit Bachelard auszudrücken, jedoch war der Objektbereich (auch nach der Einführung des Saitengalvanometers) dieser Aufzeichnungen noch nicht definiert. Einthoven verstand es auf geschickte Weise, diesen Objektbereich im Raum der Klinik zu platzieren, indem er das diagnostische Potenzial der ‚korrekten‘ Aufzeichnung der kardialen Potentialschwankungen zunächst graphisch-synoptisch bereitstelle, dann apparativ verifizierte und für weitere Entwürfe semantisch offenhielt. Einthovens ‚korrekte‘ EKG-Kurve stellte einen gemeinsamen zunächst labor-internen, dann klinisch-relevanten, standardisierbaren und zugleich veränderlichen Referenten zur Verfügung, der es im Nachgang erlaubte, einen neuen diagnostischen Repräsentationsraum aufzuspannen. Es konnte gezeigt werden, dass dieses Aufspannen eines klinisch relevanten Repräsentationsraumes kein geradliniger Prozess war. In der Frühphase der Etablierung des EKG war die enorme Vergrößerung des technischen Aufwands von Wallers einfache aber vagen Silhouetten bis hin zu Einthovens ‚wahren‘ Kurven zwar kein Hinderungsgrund für den Erfolg der EKG-Ableitungen gewesen. Der enorme Aufwand und die anfängliche Zögerlichkeit bei der klinischen Interpretation der Bilder verschwanden hinter der ‚Wahrhaftigkeit‘ und ‚Schönheit‘ der neuen EKGKurven. Auch wenn es nur fünf Jahre gedauert hat zwischen Einthovens erster Publikation über die EKG-Ableitung mittels Saitengalvanometer und den ersten Ableitungen an Patienten, konnte es zu einer klinischen EKG-Praxis erst kommen, nachdem aus der anfänglich zimmergroßen Maschine eine Black Box geworden war.287 Ein solcher lokaler Repräsentationsraum soll am Beispiel der Medizinischen Klinik der Krankenanstalten und Akademie für praktische Medizin in Düsseldorf in Verbindung mit der Implementierung und der Situativität des EKG und anhand der EKG-Forschungen ihres Direktors August Hoffmann (1862-1929) im zweiten Kapitel (siehe Kap. 2.2) der vorliegenden Arbeit genauer untersucht werden. Eine Diskussion der Interaktion von Labor und Klinik im historischen Kontext ist für das Verständnis der Herz-Kreislaufforschung Anfang des 20. Jahrhunderts hilfreich. 1.6.3 Labor und Klinik: translationale Medizin im historischen Kontext Die Akzeptanz von diagnostischen Zeichen der graphischen Methode vollzog sich nicht problemlos und gradlinig. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein empfand man neue Techniken oft als substanziellen Angriff auf die Kunst des Arztes, bei welcher

287 Borck, in: Hess (Hg.), 1997, S. 72-73 und S. 85.

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auch eine Angst vor beruflicher Dequalifizierung mitschwang. 288 Bedenken eines „unkritischen Gerätevertrauens“ sind keinesfalls neu und beschreiben ein Spannungsverhältnis zwischen Labor und Klinik, das bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts besteht: Obgleich in der Physiologie bereits seit den 1850er Jahren zahlreiche messende Verfahren entwickelt worden waren, gab es bis in die 1870er Jahre kaum eine Anwendung dieser Geräte in der Klinik. Beispielsweise wurde die Pulsmessung bereits im Jahre 1853 (Karl von Vierordt, 1818-1884) beschrieben und 1860 von Marey klinisch anwendbar gemacht, jedoch erst in den 1870er Jahren nicht ohne Bedenken in die Klinik eingeführt.289 Für die Implementierung solcher messtechnischen Verfahren in die Klinik war zunächst ein Paradigmenwechsel in der Klinik notwendig. Und zwar von einem pathologisch-anatomischen Denken hin zu einem allgemein funktionellen Verständnis vom Organismus, welches eine Feststellung der „gestörten Funktion zum Zwecke der Diagnostik“ einforderte. 290 Der Organismus wird nach diesem „iatrotechnischem Konzept“ als Kausalsystem, als Mechanismus bzw. komplizierter Apparat gesehen,291 dessen intime Abläufe man glaubte mit nach außen verlagerten, graphischen Repräsentationsweisen (zumeist Kurven) direkt und wirklichkeitsgetreu analysieren zu können. 292 Mit der Übernahme solcher funktionell-dynamischer Parameter des experimentalphysiologischen Programms in den klinischen Raum wurde ein wichtiger Entwicklungsprozess in Gang gesetzt, der nicht nur zur Folge hatte, dass sich der medizinische Krankheitsbegriff fortwährend zu ändern begann. Vielmehr sahen sich die klinischen Mediziner ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend in der Pflicht, selbst experimentelle Untersuchungen anzustellen und Diagnostik sowie Therapie an experimentalphysiologischen Gegebenheiten zu orientieren. 293 Die Nutzung eines umfangreichen „klinischen Materials“ (Patienten) verlieh den Messversuchen besondere Glaubwürdigkeit. Hess (2000) zeigt am Beispiel der For-

288 Martin/Fangerau, N.T.M. 19 (2011), 299-327, hier S. 316. Zeitgenössische Kliniker sprachen etwa bei der Pulsregistrierung durch Sphygmographen gar von „purem Schwindel“ und davon, dass man zum „Pulsfühlen […] die Finger und die Uhr, sonst nichts“ brauche (Basch zitiert nach Rothschuh, 1978, S. 434). 289 Rothschuh, 1978, S. 433. 290 Ebd., S. 434-435. 291 Ebd. S. 446. 292 Lohff, Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 16 (1993), 217-228, hier S. 218 und S. 222. 293 Stahnisch, 2003, S. 231.

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schungen zur temperatursenkenden Arznei Digitalis 294 des Arztes und Mitbegründers der experimentellen Pathologie Ludwig Traube (1818-1876), wie bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts zweiarmige Vergleichsstudien durchgeführt wurden. Das Ziel der beiden Studienarme war zum einen, eine Serie sorgfältig beschriebener Krankengeschichten vorzustellen, die die von Traube zuvor angenommene temperatursenkende Wirkung hoher Digitalisgaben belegen sollte. Zum anderen sollte eine tierexperimentelle Versuchsreihe Aufschluss über den pathophysiologischen Mechanismus zwischen der klinisch beobachteten Temperatursenkung und der kreislaufphysiologischen Wirkung der Digitalis liefern. 295 Traubes damaliger Ansatz einer Digitalistherapie sollte also zuerst klinisch validiert und anschließend experimentell untermauert werden, um dann in einem prospektiven dritten Schritt neue Therapieoptionen in Erwägung zu ziehen. 296 Wenn Traubes Argumentation auf die unmittelbare Verknüpfung zwischen klinischen und experimentalphysiologischen Erklärungsmodellen zielte, so zeichnet sich darin (bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts) jenes hierarchische Modell der Erkenntnisbildung ab, dass auch für die moderne klinische Forschung von hoher Bedeutung ist: „Die Beobachtung am Krankenbett liefert das empirische Material, der Wissenschaftler formuliert hieraus eine physiologische Hypothese, die dann im Tierversuch einer experimentellen Überprüfung unterworfen wird. Mit anderen Worten: Das Labor ist Richtmeister der Klinik.“297

Dass das Labor in dem geschilderten hierarchischen Erkenntnismodell als „Richtmeister der Klinik“ zu gelten hat, ist auf das „iatrotechnische“ Konzept in der Medizin zurückzuführen, welches den Organismus als einen nach Naturgesetzen determinierten Mechanismus begreift. Dieses Konzept geht bei allem „Reduktionismus“298 dennoch von klinisch generierten Hypothesen aus, die im Labor experimentalphysiologisch getestet werden und hinterher in die Klinik zurückfließen sollen.

294 Die Arznei heißt Digitalis, weil sie aus Fingerhüten (Pflanzen mit dem lat. Namen Digitalis) gewonnen wird. 295 Hess, 2000, S. 119-120. 296 Ebd., S. 120. 297 Ebd., S. 122. 298 Rothschuh kontrastiert für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts die „physikalische Richtung der deutschen Physiologie“ „‚reduktiver‘ und mechanomorpher“ Art vor allem um Carl Ludwig mit der französischen Richtung einer „Physiologie organisierter Systeme“ um den Physiologen Claude Bernard (1813-1878). Letztere sei trotz ihres experimentellen Charakters eher „biomorph“, weil sie physikalische Phänomene stets in „lebendige Prozesse“ eingebettet sehe (Rothschuh, 1978, S. 424-425).

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Man versucht bei diesem Erkenntnismodell, nicht vom Labor auf die Klinik zu schließen, sondern deren Interreferenz herzustellen. Labor und Klinik im Kontext „translationaler Medizin“ im späten 20. Jahrhundert Dies hat sich angesichts der sich immer weiter ausdifferenzierenden Labormedizin und mit der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufkommenden Molekularbiologie mit ihrem mannigfachen Methodenspektrum geändert. Seit den 1990er Jahren wird der Forschungsbereich zwischen Labor und Klinik mit dem nicht klar definierten Begriff „translationale Forschung“ oder „translationale Medizin“ konnotiert und von Forschern im biomedizinischen Bereich und insbesondere von wissenschaftspolitischen Entscheidungsträgern sowie forschungsfördernden Projektträgern (sogenannte ‚policy-maker‘) geradezu inflationär verwendet.299 Die Idee hinter diesem Begriff ist, dass erfolgreiche und international kompetitive Forschung „from bench to bedside“, von der ‚Laborbank‘ direkt an die ‚Bettkante‘ des Patienten in der Klinik verlaufen sollte. Im kardiovaskulären Bereich ist diese Thematik von so großer Bedeutung, dass der Kongress der European Society of Cardiology (ESC) im Jahre 2012 – just in dem Jahr als der im dritten Kapitel zu untersuchende SFB 612 abgeschlossen wurde – unter dem Motto der translationalen Medizin stand: „The chosen spotlight of the congress is ‚From Bench to Practice‘. Translating innovative science into daily clinical practice is a challenge shared by clinical scientists and clinical physicians. Only through concerted efforts we can continue to bring further improvements to patient care. By choosing translational science as its 2012 congress spotlight, the ESC will encourage critical discussion of new techniques and their rapid transfer into clinical medicine.“300

Dieses Zitat evoziert, dass translationale Forschung einem linearen Einbahnstraßenmodell unterliegt, indem Erkenntnisse aus dem Labor direkt in die standardisierte Anwendbarkeit der Klinik ‚translatiert‘ werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dieses Modell nicht nur als Forschungsdesiderat ausgeschrieben wird, sondern

299 Vgl. Keating/Cambrosio. 2003, S. 46, für eine Erhebung zur translationalen Medizin im Bereich der Krebsforschung siehe FN 77. 300 Böhm/Komajda, „ESC Congress 2012 Industry Prospectus“, in: European Society of Cardiology (ESC), unter: http://www.escardio.org/congresses/esc-2012/scientific-pro gramme/Pages/welcome.aspx, Stand: 30.09.2012 (Seite mittlerweile offline [2017]). Das Prospekt steht zum Download zur Verfügung, unter: http://www.escexhibition.org/ ESC2012/default.aspx, Stand: 02.05.2017).

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in Projektanträgen zu Forschungsförderung vor allem dazu dient, die Leistungsund Wettbewerbsfähigkeit einer antragsstellenden Arbeitsgruppe, Abteilung bzw. Institution in einem positiven Licht darzustellen. Das Modell „from bench to bedside“ unterstreicht dabei nicht nur die Fähigkeit, ein breites und umsetzungsorientiertes Arbeitsprogramm auf die Beine zu stellen, sondern dient auch dazu, die vorhanden intellektuellen und apparativen Ressourcen seines Standortes hervorzuheben und in die Argumentation des Antrags auf Forschungsförderung einfließen zu lassen. Allgemein bezeichnet der Weg von der ‚bench‘ zur ‚bedside‘ bzw. von der experimentellen hin zur translationalen Forschung die Verschiebung eines epistemischen Dings in ein stabileres, anwendbares technisches Objekt.301 In der biomedizinischen Forschungspraxis ist die Bewegung vom experimentellen, laborwissenschaftlichen Kontext hin zur therapeutischen Anwendung jedoch keine Einbahnstraße: Am Anfang stehende klinische Studien am Menschen können genauso gut Entwürfe für Tests an Tiermodellen im Labor sein302 und der ‚Outcome‘ von biomedizinischen Projekten kann sich aus hybriden Daten, die sowohl aus dem Labor als auch aus der Klinik stammen, speisen. 303 Mit diesen Feststellungen einhergehend besteht in der Biomedizin aktuell eine hitzige Debatte über die Sinnhaftigkeit translationaler Forschung. Von Wissenschaftlern des National Institute of Health (NIH) wird die Forderung eines „anderen Entwurfs“ („template“) translationaler Forschung laut, bei welchem man beim Patienten starten, mit klinischen Studien fortfahren und erst dann, nach hinreichender Erkenntnis über die jeweilige Pathophysiologie zum in-vivo- oder in-vitro-Modell vorstoßen sollte.304 Zurzeit ist also eher die Klinik der „Richtmeister“ (vgl. oben das Zitat von Hess)305 oder der „Wellenbrecher“306 für laborwissenschaftliche Ansätze, die in der klinischen Praxis keinen Erfolg haben. Die Forderung, ‚einfach‘ wieder auf das Erkenntnismodell eines Ludwig Traubes zu verweisen (Beobachtung am Krankenbett, anschließende laborwissenschaftliche Validierung am Tiermodell), wäre jedoch zu einfach. Denn mit den im 20. Jahrhundert aufgekommenen molekularen Möglichkeiten haben sich die Voraussetzungen für die Interaktion zwischen Labor und Klinik grundlegend geändert. Um diese zu erläutern, wird ein Sprung von gut 100 Jahren gewagt.

301 Davies, Body & Society 2012, 18 (3-4): 126-155, hier S. 129. 302 Ebd., S. 132. 303 Vgl. de Chadarevian, in: dies./Kamminga (Hg.), 1998, S. 2, 172 und 190. 304 Vgl. Nussenblatt et al., J Transl Med 2010, 8:12. 305 Hess, 2000, S. 122. 306 Alfons Labisch, persönliche Mitteilung vom 16.07.2012.

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Die „molekulare Transition“ der Medizin Ungefähr seit den späten 1970er Jahren wandelt sich das physiologischbiochemische Konzept der Medizin fundamental. Dieser neuerliche Konzeptwandel wird in der internationalen Diskussion als „molekulare Transition“ der Medizin bezeichnet. Das biologische Denkmodell verlagert das Krankheitsgeschehen in die molekularen Funktionen samt ihren informationellen Speicher, und damit in die Genetik sowie die Informationsverarbeitung im intra- und extrazellulären Raum. 307 Durch die neuen ‚molekularen‘ Optionen im Verständnis, der Diagnose und vielleicht eines Tages auch in der Therapie vieler Krankheiten lassen eine Vielzahl neuer Methoden und Techniken auf den Plan treten, die den laborwissenschaftlichen, ‚reduktionistischen‘ Ansatz in den letzten Jahrzehnten stark gemacht haben. Dennoch kann – zumindest für die kardiovaskuläre Medizin – keinesfalls von einer Translation „from bench to bedside“ klinisch anwendbarer molekulargenetischer Verfahren und Methoden gesprochen werden. Denn auch wenn das menschliche Genom im Jahre 2003 vollständig entschlüsselt wurde und es im molekularbiologischen, grundlagenwissenschaftlichen Bereich große Fortschritte zu verzeichnen gibt, so bleibt die ‚Translation‘ dieser Befunde in den klinischen Kontext beschränkt: Laut Levin et al. besteht in der kardiovaskulären Medizin aktuell noch ein „mismatch“ zwischen wissenschaftlicher Grundlagenforschung und klinischer Anwendung: Es wird eine Fülle von „omic-data“ („genomic“, „proteomic“, „metabolomic“, „phenomic“ etc.) produziert, ohne dass jedoch die Gesundheit von HerzKreislaufpatienten bis auf wenige Sonderfälle davon profitiert hätte. 308 Denn bis auf einige Ausnahmen – wie z.B. das Marfan-Syndrom oder die Sichel-Zell-Anämie – sind die meisten kardiovaskulären Erkrankungen nicht mono-, sondern polygenetisch.309 Das Problem ist nun nicht mehr eines der ‚Grammatik‘ der Gene (des Genoms), sondern eines des Kontextes, namentlich das der spezifischen Genaktivierungen und den daraus resultierenden dynamischen Proteinprofilen (dem Proteom).310 Für die Erforschung solcher Proteinprofile und damit verbundener Krankheiten gibt es verschiedene laborwissenschaftliche Ansätze. Ein wichtiges Werkzeug mit einer Brückenfunktion zwischen Labor und Klinik sind Modellorganismen und genetisch veränderte Tiere, die mit dem Ziel eingesetzt werden, in-vivoModelle für menschliche Erkrankungen bereit zu stellen.

307 Labisch, in: ders./Paul (Hg.), 2004, S. 213. 308 Levin et al., FASEB J, 2011, 25, 1788-1792, hier S. 1790. 309 Vgl. etwa Hort, in: Lüderitz/Arnold (Hg.), 2002, S. 144-145 und Labisch, in: ders./Paul (Hg.), 2004, S. 220. 310 Vgl. Labisch, in ders./Paul (Hg.), 2004, S. 219.

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1.6.3.1 Modellorganismen und transgene Tiere Gab es beim Ludwig’schen Kymographion noch eine ständig zu überwachende und sensible Schnittstelle zwischen dem Organismus (oft war der Hund das „Opfer der Naturphilosophie“)311 und dem Gerät, so lässt sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts ein anderes, für die Lebenswissenschaften charakteristisches ‚Instrument‘ ausmachen: Es ist der Organismus selbst als Modell, in dem Sinne, dass er sich als „ideales“ Wissenschaftsobjekt zum einen in ganz bestimmten praktischen Hinsichten besonders gut für das experimentelle Manipulieren eignet. Zum anderen handelt es sich um standardisierte, gereinigte, isolierte, verkleinerte und in ihren Funktionen reduzierte Entitäten (seien es Bakterien oder einfache Lebewesen).312 Modellorganismen sind zumeist gut erforschte, leicht zu züchtende und zu manipulierende nicht-menschliche Spezies, die als eine Art ‚Instrument‘ genutzt werden, um allgemeingültige Aussagen und auf andere zumeist komplexere Organismen übertragbare Erkenntnisse zu erhalten. 313 Modellorganismen sind dadurch charakterisiert, dass sie einfache und recht kleine Organismen sind, dass die Größe ihres Genoms überschaubar und daher leicht manipulierbar bzw. standardisierbar ist und dass sie sich schnell fortpflanzen können. 314 Ein Beispiel für einen Modellorganismus der klassischen Genetik sind Drosophila-Mutanten (Fruchtfliegen), die zunächst als Kartierungsmarken (Instrumente) verwendet wurden, um die relative Lage von Genen auf Chromosomen zu erkunden und festzulegen. In epistemische Dinge verwandelten sie sich erst Jahrzehnte später als die Ausformungen der Mutationen selbst zum Gegenstand entwicklungsgenetischer Forschung wurden. 315 Aufgrund ihrer einfachen Struktur und Physiologie ist die Vergleichbarkeit von Modellorganismen hinsichtlich komplexerer Lebewesen jedoch beschränkt. Eine allgemeinere und in der Forschungsliteratur nicht klar vom Terminus des Modellorganismus differenzierte Klasse von organischen Modellen stellen Tiermodelle dar („experimental organisms“).316 Klassische Beispiele für Tiermodelle sind in der physiologischen Forschung etwa Schweine oder auch Hunde, wobei in den 1980er und 1990er Jahren ein offensichtlicher Trend hin zu kleineren Säugetieren, insbesondere Nagern, wie der Maus oder der Ratte zu beobachten ist. Der Hauptunterschied zwischen Modellorganismen und Tiermodellen besteht darin, dass letztere nicht als Modelle für alle übrigen Organismen gelten können, sondern deren Ver-

311 Deisch, zitiert nach Canguilhem, 2001 [1951], S. 3. 312 Rheinberger, 2001, S. 116-117. 313 Vgl. Ankeny/Leonelli, Studies in History and Philosophy of Science, 2011;42:313-323, hier S. 313. 314 Ebd., S. 316. 315 Rheinberger, 2006, S. 322. 316 Leonelli/Ankeny, Endeavour. 2013 Dec.;37(4):209-12, hier S. 209-210.

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gleichbarkeitshorizont auf bestimmte Kontexte und Fragestellungen beschränkt bleibt: Sie funktionieren, indem sie einem spezifischen Phänomen (z.B. einer menschlichen Krankheit) in einem anderen Medium als dem Zielmedium ‚Modell stehen‘.317 Einen Sonderfall, der sich zwischen Modellorganismus und Tiermodell schiebt, stellt die transgene Labormaus dar. Auf der einen Seite hat dieser kleine aber hochkomplexe Organismus eine bereits über hundertjährige Geschichte der Standardisierung hinter sich (siehe Kap. 3.1), auf der anderen Seite wurde im biomedizinischen Kontext (und nicht nur bei der Maus) immer wieder gezeigt, dass bei genetischer Manipulation (siehe Kap. 3.2) eben nicht die gewünschten Effekte eintreten, sondern die ‚Materialität‘ des Organismus ihre eigenen Möglichkeiten ausspielt und die Forschung in unvorhergesehene Richtung leitet (siehe Kap. 3.3). Wie bei der graphischen Methode in der Physiologie des 19. Jahrhunderts müssen auch die Modellsysteme des 20. Jahrhunderts in ständiger und nachträglicher Weise ausjustiert und standardisiert werden, um eine Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Laboren und Institutionen zu gewährleisten. Rekombinante DNA-Technologie Mit dem Aufkommen rekombinanter DNA-Technologie hat die Modellierung von Organismen einen grundlegenden Wandel erfahren. Denn diese transgenen Technologien (sogenannte ‚kits‘ gewisser Enzyme oder Moleküle) stellen keine ausgeklügelten analytischen oder elektronischen Apparate mehr dar, sondern sind selbst biologische Makromoleküle.318 Bei solchen Objekten handelt es sich um eine Art „weiche Technologie“, die der evolutionäre Lebensprozess selbst über einen Zeitraum von zwei bis drei Milliarden Jahre hervorgebracht hat. Sie funktionieren innerhalb der Begrenzung und im Milieu der intakten lebenden Zelle und sind an diese angepasst.319 Stellten die in Kap. 1.4.2 thematisierten in-vitro-Systeme eine extrazelluläre Repräsentation intrazellulärer Prozesse mit begrenzter medizinischer Anwendungsmöglichkeit dar, so sind die in Zellen injizierten informationstragenden Makromoleküle der Gentechnologie als intrazelluläre Repräsentation eines extrazellulären Projekts zu charakterisieren: „Der Organismus selbst transportiert [diese informationstragenden Moleküle], [er] reproduziert sie und ‚testet‘ ihre Eigenschaften. Damit avanciert der ganze Organismus zu einem

317 Vgl. Ankeny/Leonelli, Studies in History and Philosophy of Science, 2011;42:313-323, hier S. 320 und Rheinberger, 2006, S. 349. 318 Rheinberger, in: Borck (Hg.), 1996, S. 290. 319 Ebd., S. 291.

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locus technicus, das heißt, er wird zu einem Repräsentationsraum, in dem neue genotypische und phänotypische Muster erprobt und artikuliert werden. Diese Technik ist von potenzieller unbegrenzter medizinischer Bedeutung. Zum ersten Mal überhaupt werden metabolische Prozesse auf der Ebene der Instruktion manipulierbar.“320

Die durch rekombinante DNA-Technologie manipulierten Organismen haben die Eigenheit, gleichzeitig natürlich und artifiziell zu sein: Sie sind einerseits Modellsysteme, die geschaffen und stets verändert wurden, um ein Experimentieren unter kontrollierten und reproduzierbaren Bedingungen zu ermöglichen, und anderseits bleiben sie rätselhafte Produkte von einer Jahrmillionen alten Evolutionsgeschichte.321 Sie haben dadurch den prekären Status, Mischwesen zu sein. Sie sind zu großen Teilen noch epistemische Dinge und zu anderen Teilen schon technische Bedingungen eines Experiments. Mit der rekombinanten DNA-Technologie trägt die Molekularbiologie einen entscheidenden Beitrag zum sich aktuell vollziehenden Prozess der „molekularen Transition der Medizin“322 bei und stellt eine Vielzahl von genetisch manipulierten in-vivo-Modellen, insbesondere Mausmodellen für verschiedene menschliche Erkrankungen bereit. Diese Mischwesen zeigen exemplarisch, wie sich die traditionellen Grenzen zwischen Grundlagenforschung und medizinischer Anwendung sowie die Grenzen zwischen Intervention und Repräsentation zu verwischen beginnen und damit Möglichkeiten für neue biomedizinische Projekte geschaffen werden. Gleichzeitig stimulieren diese experimentellen Plattformen die Interaktion zwischen zwei verschiedenen sozio-materiellen Netzwerken: dem Labor und der Klink. Transgene Mäuse zwischen Labor und Klinik Ein weit verbreiteter Ansatz, sich dem „mismatch“ zwischen Labor und Klinik experimentell zu nähern, besteht darin, im Tier mit molekulargenetischen Methoden ein bestimmtes Gen auszuschalten (sogenannte ‚Knockout-Mäuse‘) bzw. überzuexprimieren und die funktionellen Konsequenzen zu untersuchen, damit ein möglicher Rückschluss auf die Genfunktion und Krankheitsursachen gezogen werden kann. 323 Die Anwendung transgener Tiere, insbesondere transgener Mäuse hat in den letzten Jahren stetig zugenommen, da man davon ausgeht, dass die grundsätzlichen Mechanismen der Organfunktionen insbesondere der Herz-Kreislaufkontrolle in der

320 Ebd., S. 291, Hervorh. im Original. 321 Ankeny/Leonelli, Studies in History and Philosophy of Science, 2011;42:313-323, hier S. 315. 322 Labisch, in: ders./Paul (Hg.), 2004, S. 218-221. 323 Schrader, in: Jahrbuch der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) 2003 [2004], S. 94.

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Maus ähnlich wie beim Menschen ablaufen und die Maus so eine Brücke zwischen Labor und Klinik schlagen kann. 324 Im Rahmen eines in dieser Arbeit zu untersuchenden SFB, dem SFB 612 („Molekulare Analyse kardiovaskulärer Funktionen und Funktionsstörungen“, 2001-2012), wurde die „Düsseldorfer Mäuseklinik“ eingerichtet: Um die Veränderungen der Herz- und Gefäßfunktionen an der Maus nach einer genetischen Intervention messen zu können, mussten die Analysemethoden erheblich verfeinert, insbesondere miniaturisiert werden. Am Institut für HerzKreislaufphysiologie der Heinrich-Heine-Universität (HHU) ist es gelungen, die nahezu vollständige Charakterisierung von Herz und Gefäßen genetisch veränderter Mäuse vorzunehmen, sodass fast alle in der Klinik üblichen diagnostischen Untersuchungen auch in der Maus durchzuführen sind (siehe Kap. 3.4).325 Transgene Mäuse haben als „collaborative things“326 das Potenzial, Disziplinen und Professionen aus verschiedenen Kontexten zu vernetzen (siehe Kap. 3.4.8 und die Zusammenfassung der vorliegenden Arbeit in Kap. 4). Dabei wird klar, dass in der biomedizinischen Forschungslandschaft es bei Kollaborationen weniger auf gemeinsame Paradigma-Theorien ankommt, sondern sich die Zusammenarbeit vielmehr aus der gemeinsamen Verwendung von Technologien und gemeinsamen Praktiken rekrutiert. Die Vorstellung, dass transgene Mäuse als in-vivo-Modelle für menschliche Erkrankungen dienen können, bringt die verschiedenen Wissensräume Labor und Klinik zwar näher zusammen, jedoch sollten dabei die Unterschiede, die diesen distinkten sozio-technischen Netzwerken zugrunde liegen nicht mit unidirektionalen „bench to bedside“-Rhetoriken verschleiert werden. Denn auf der einen Seite herrscht aktuell eine hitzige Debatte um die Vergleichbarkeit von Maus und Mensch insbesondere hinsichtlich ihrer verschiedenen Immunsysteme,327 einhergehend mit der Forderung eines „anderen Entwurfs“ („template“) translationaler Forschung, bei welcher man beim Patienten starten, mit klinischen Studien fortfahren und erst dann, nach hinreichender Erkenntnis über die jeweilige Pathophysiologie zum in-vivo- oder in-vitro-Modell vorstoßen sollte.328 Auf der anderen Seite wird argumentiert, dass insbesondere Mausmodelle einfacher zu handhaben, günstiger und ethisch unbedenklicher sind, weil sie den Patienten keinem Risiko aussetzten.329 Weitere Grenzen und zugleich Anknüpfungsmöglichkeiten bietet die Tatsache, dass sich im Spannungsfeld translationaler Forschung stets zwei Perspektiven ge-

324 Vgl. ebd. 325 Ebd. 326 Michael zitiert nach Davies, Body & Society 2012, 18 (3-4): 126-155, hier S. 141. 327 Zschaler et al., Crit Rev Immunol. 2014;34(5): 433-54. 328 Vgl. Nussenblatt et al., J Transl Med 2010, 8:12. 329 Brehm zitiert nach Davies, Body & Society 2012, 18 (3-4): 126-155, hier S. 127.

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genüberstehen: der holistische, patho-physiologische Blick des Klinikers mit seinem Fokus auf die Effekte des Lebens und seinem Interesse an standardisierten Therapieverfahren gegenüber dem reduktiven (nicht unbedingt reduktionistischen) Blick des Laborwissenschaftlers mit seinem Fokus auf die Ursachen des Lebens und seinem Interesse, die genauen Wirkweisen und Mechanismen des Lebens hinreichend zu erklären. 330 Im zweiten und dritten Kapitel der vorliegenden Arbeit ist dieses Erfordernis translationaler Verbundforschung mit Canguilhem als ein ständiges Differenzen und damit Daten produzierendes Oszillieren zwischen Holismus und Reduktionismus zu charakterisieren,331 welches von Zeit zur Zeit nach einer Synopse, einer Zusammenschau und eines iterativen Abgleichs dieser Daten verschiedener Provenienz verlangt. In dieser methodischen Hinsicht ist das Unterfangen „translationaler Medizin“ hochgradig abhängig von der Veränderlichkeit des Entwurfsgeschehens interdisziplinärer Netzwerke. Sowohl für den Bereich der Klinik als auch jenen des Labors besteht die Herausforderung der strategischen Wiederauffüllung von sich ständig verschiebenden ‚translational gaps‘ (verstanden als die Unvergleichbarkeit laborwissenschaftlicher und klinischer Daten). Die vorliegende Arbeit wird daher argumentieren, dass das Großprojekt „translationale Medizin“ von neuen ‚Entwürfen‘ abhängt, die als variable und vernetzte Werkzeuge auf solche Veränderungen antworten müssen. Beispiel für die strukturelle und wissenschaftspolitische Realisierung solcher Entwürfe ist das im Jahre 1967 ins Leben gerufene DFG-Programm „Sonderforschungsbereich“ (SFB).

1.7 VOM KONTINGENTEN HISTORISCHEN EREIGNIS ZUM DISPOSITIONELLEN FÖRDERVERFAHREN: DER ENTWURF „SONDERFORSCHUNGSBEREICH“ Sonderforschungsbereiche (SFB) sind langfristig, in der Regel auf die Dauer von zwölf Jahren angelegte Forschungsverbundprojekte der Hochschulen, in denen Wissenschaftler im Rahmen fachübergreifender Forschungsprogramme zusammenarbeiten. Die Hochschulen stellen für SFB eine angemessene personelle und materielle Grundausstattung (Dispositionen) zur Verfügung; sie sind Antragssteller und Empfänger der Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG).332

330 Vgl. Malone/Agutter, 2008, S. 243. 331 Vgl., Holzhey, in: Deuber-Mankowsky/ders. (Hg.), 2013, 128-130, der Canguilhems Vitalismus „eher als Erfordernis denn als Theorie“ begreift und betont, dass es auf das „permanente Oszillieren“ zwischen Vitalismus und Mechanismus ankommt, um der Kontingenz des Lebendigen gerecht zu werden. 332 Streiter/DFG (Hg.), 1989, S. V.

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SFB: Eckdaten des Förderprogramms Die DFG verfolgt damit das Ziel, wissenschaftlich anspruchsvolle, aufwendig und langfristig konzipierte, interdisziplinäre Forschungsvorhaben an Hochschulen zu fördern. Folgende Kriterien sind wichtige Voraussetzungen für eine Förderung im SFB-Programm: • Wissenschaftliche Qualität (gemessen an Parametern wie Publikationsstand und

zuvor eingeworbene Drittmittel), • Kohärenz des Projektantrags (zwischen Gesamtprojekt, Teilprojekten und vor-

handenen institutionellen Ressourcen), • Grad interdisziplinärer Kooperation (z.B. Nutzung gemeinsamer „core facilities“

am Standort), • die im Förderjargon sogenannte „kritischen Masse“ (Auswahl der richtigen Men-

ge an kompetitiven Teilprojekten hinsichtlich des Gesamtprojektziels) sowie • dem im SFB anvisierten Programm zur Förderung wissenschaftlichen Nachwuch-

ses.333 Aktuell (2018) werden in Deutschland 274 SFB von der DFG gefördert,334 wobei diese 23,7 % des jährlichen DFG-Förderetats ausmachen, welcher sich im Jahre 2017 auf gut 3 Mrd. € belief.335 Der Anteil der Wissenschaftsbereiche in SFB verlief über die gesamte bisherige Geschichte des Programms relativ stabil: Derzeit (2017) stammen etwa 25 % der SFB aus den Naturwissenschaften, rund 20 % aus den Ingenieurswissenschaften, 10 % aus den Geisteswissenschaften und die überwiegenden 45 % aus den Lebenswissenschaften.336 Hier liegt es nahe, dass gerade

333 Vgl. ebd. S. 17-23. 334 „Liste der laufenden Sonderforschungsbereiche“, in: Internetseite der DFG, unter: http://www.dfg.de/gefoerderte_projekte/programme_und_projekte/listen/ index.jsp?id=SFB, Stand: 17.11.2018. 335 „Finanzen. Herkunft der Mittel“, in: Internetseite der DFG, unter http://www.dfg.de/ dfg_profil/zahlen_fakten/statistik/finanzen/index.html, Stand: 17.11.2018. 336 „Jahresbericht 2015. Aufgaben und Ergebnisse“, S. 178, in: Internetseite der DFG, unter: http://www.dfg.de/dfg_profil/jahresbericht/, Stand: 02.05.2017. Die geräteintensive Forschung in den Lebenswissenschaften ist wohl auch ein Grund dafür, dass im Förderprogramm ‚Sonderforschungsbereich‘ verhältnismäßig wenige geistes- und kulturwissenschaftliche Verbünde gefördert werden: „Auffällig ist die relative Beteiligung der Geistes- und Sozialwissenschaften am Förderprogramm: Auf 1.000 Professuren werden in den Geistes- und Sozialwissenschaften vier Verbünde gefördert, bei den Lebenswissenschaften sind es hingegen 21 Verbünde […]. Hier liegt es nahe, die disziplinspezifischen Anforderungen zu bedenken: Es profitieren gerade die empirisch aufwendig ar-

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die empirisch aufwendig arbeitenden Lebenswissenschaften von Kooperationen im Rahmen von SFB, etwa durch zusätzliche Geräte- und Infrastrukturausstattung oder durch den Verbund gewährleisteten Gerätezugang bei apparativ intensiver Forschung, profitieren.337 Nicht nur durch die stattliche Anzahl der in den letzten Jahrzehnten bewilligten, geförderten und erfolgreich abgeschlossenen SFB ist dieses seit 1968 existierende Förderprogramm heute zur Selbstverständlichkeit geworden: SFB bilden heute ein Stück Normalität im Alltag der Forschungsförderung und erscheinen wie ein Synonym schwerpunkthafter Forschungsanstrengungen und gelten auch für ausländische Beobachter als nachahmenswertes Modell.338 Initiierung des Förderprogramms Jedoch war die Initiierung dieses heute so selbstverständlich (‚dispositionell‘) anmutenden Förderverfahrens von vielen historischen Kontingenzen geprägt. In den 1960er Jahren wurde in Westdeutschland an vielen verschiedenen Stellen über lokale Schwerpunktbildung in der Hochschulforschung diskutiert. Angesichts der Pluralisierung, Spezialisierung und Ausdifferenzierung der Forschung, stellte der Wissenschaftsrat in seiner im Juli 1967 vorgelegten Empfehlung „Zum Ausbau der wissenschaftlichen Hochschulen bis 1970“ fest, dass moderne Forschung in ihrer ganzen Breite nicht mehr Sache der einzelnen, sondern arbeitsteilig nur noch aller Hochschulen sein kann. 339 Damit wollte man dem Verlust an angemessenen Arbeitsmöglichkeiten und dem Abwandern befähigter Forscher aus den Hochschulen entgegenwirken und die deutsche Forschung international konkurrenzfähig halten. Hierzu sollten „leistungsfähigere Forschungseinheiten“ geschaffen werden mit dem Fokus auf die gezielte Spezialisierung der Hochschulen, auf die Bündelung von Personen und Sachmitteln auf spezielle Themen, die die Wissenschaft selbst be-

beitenden Lebenswissenschaften von Kooperationen im Rahmen von Sonderforschungsbereichen, etwa durch die zusätzliche Geräte- und Infrastrukturausstattung oder durch den im Verbund gewährleisteten Gerätezugang bei geräteintensiver Forschung. Sonderforschungsbereiche bieten den Vorzug geregelter Kooperation, erleichtern den Austausch und unterstützen die Netzwerkbildung. In den Geistes- und Sozialwissenschaften kommen diese Vorzüge häufig weniger stark zum Tragen.“ („Monitoring des Förderprogramms Sonderforschungsbereiche, Bericht 2010“, S. 18, in: Internetseite der DFG, unter: http://www.dfg.de/dfg_profil/zahlen_fakten/evaluation_studien_monitor ing/studien/bericht_monitoring_sfb/index.html, Stand: 17.11.2018) 337 Vgl. ebd. 338 Vgl. Stackmann/Streiter, 1985, S. 19. 339 Ebd. S. 2.

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stimmen sollte, und nicht zuletzt auf neue Kooperationsbeziehungen zwischen Forschern, Hochschulen, anderen Forschungseinrichtungen und der Industrie.340 Fernziel dieser standortbezogenen strukturellen Maßnahmen war ein „Verbundsystem der Forschung“, das nach seiner Vollendung den „Gesamtbereich der Wissenschaft“ abdecken und der Nachwuchsförderung in Deutschland Auftrieb verleihen sollte.341 Für die Umsetzung dieses visionären „großen Entwurfs“ legte der Wissenschaftsrat die folgenden sieben allgemeinen Grundsätze vor:342 1. Sonderforschungsbereiche sollen das Ergebnis struktureller Entscheidungen von

Hochschulen sein. 2. Möglichkeiten und Ansätze zur interdisziplinären Zusammenarbeit mehrerer

Lehrstühle müssen an den Hochschulen bereits gegeben sein. 3. SFB sollen sich grundsätzlich auf einen Ort konzentrieren, wobei die Beteili4. 5.

6.

7.

gung auswärtiger Forscher im Einzelfall möglich sein soll. 343 SFB sollen weit genug definiert werden, um alle Varianten einer erst beginnenden Entwicklung gerecht zu werden. SFB sollen durch außerordentlichen Personal- und Kostenaufwand gekennzeichnet sein, welcher den Erfordernissen der angestrebten Kooperation mehrerer Lehrstühle und den Belangen des konkreten Forschungsgebiets entsprechen. An den Hochschulen bereits vorhandene leistungsfähige Forschungsinfrastruktur, z.B. besondere apparative Einrichtungen, sollen die Entstehung von SFB begünstigen. SFB sollen für „längere“ jedoch nicht unbegrenzte Zeit eingerichtet werden (derzeit [2017] sind es zwölf Jahre). Für die Dauer soll allein die Forschungsthematik maßgeblich sein. Das Förderprogramm insgesamt ist als prinzipiell unabgeschlossen zu betrachten, d.h., es soll durch Beendigung bestehender und Einrichtung neuer SFB für die Entwicklung der Forschung offen bleiben. Die Förderung der SFB soll einer internen und externen „Leistungsüberwachung“ (Qualitätskontrolle) unterzogen werden; intern durch die geförderten

340 Ebd. 341 Ebd. 342 Für die folgenden sieben Punkte vgl. ebd., S. 3. 343 Seit 1999 gibt es die Programmvariante „SFB/Transregio“ in welchem sich i.d.R. bis zu drei Standorte in einem Verbund zusammenschließen, wobei die Beiträge der einzelnen Verbundpartner für das übergeordnete Forschungsziel „essentiell, komplementär und synergetisch“ sein sollten und durch enge Vernetzung die gemeinsame Nutzung der Ressourcen gewährleistet sein sollte. Siehe „Sonderforschungsbereiche“, in: Internetseite der DFG, unter: http://www.dfg.de/foerderung/programme/koordinierte_programme/ sfb/, Stand: 31.10.2018.

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Wissenschaftler und die Hochschule selbst, extern durch die scientific community in Gestalt eines gesonderten Verfahrens unter Federführung einer Selbstverwaltungsorganisation der Wissenschaft (seit 1972 der Bewilligungs- und der Senatsausschuss der DFG). Diese umfassenden Empfehlungen des Wissenschaftsrats wirken auch 50 Jahre nach ihrer Formulierung in allen wesentlichen Punkten überzeugend, auch wenn sich manche Ziele als unerreichbar erwiesen haben: Die Vision des Wissenschaftsrats, über dieses Programm ein „Verbundsystem der Forschung“ zu schaffen, in dem „jede Hochschule unter Verzicht auf universitas starke Spezialgebiete entwickelt und Schwächeres aufgibt, erwies sich als unerfüllbar.“344 Dennoch wurde der Entwurf, zwar (wie es bei Entwürfen üblich ist) nicht eins zu eins in die Realität umgesetzt, das Förderprogramm aber erfolgreich ins Leben gerufen und genießt bis heute einen exzellenten Ruf. Der damalige Vizepräsident der DFG Karl Stackmann und der langjährige Leiter der Abteilung „Sonderforschungsbereiche“ Axel Streiter versetzen sich in ihrem Rückblick „Sonderforschungsbereiche 1969-1985“ (1985) in die fragile historische Planungssituation der für die Initiierung von SFB verantwortlichen Beteiligten: „Man stelle sich das Ansinnen vor: Ein Programm soll geschaffen werden, das im Bereich nichtstaatlicher Förderung finanziell und zeitlich alles Gewohnte hinter sich lässt. Die wahren Dimensionen sind nicht bekannt, können aus Mangel an Vergleichbaren auch gar nicht benannt werden. Zu ahnen ist nur, dass alles sehr teuer und seine eigene Dynamik haben wird, wenn man sich erst einmal darauf eingelassen hat. Ein Verfahrensmuster zur Verteilung der neuen Mittel existiert nicht; wer entwickelt es? Werden sich die Hochschulen engagieren? Was darf man von den Forschern selbst erwarten? Wollen sie überhaupt so gefördert werden? Und schließlich: Wie steht es mit der Erfolgsprognose? Lohnt sich der Einsatz? – Jede dieser Fragen hätte das Konzept des Wissenschaftsrats zunichtemachen können.“345

Dieses Zitat macht klar, dass das anvisierte SFB-Programm viele erbitterte Kontroversen nach sich zog, wobei die DFG selbst die größten Zweifel an den geplanten Veränderungen hatte und die Empfehlungen des Wissenschaftsrats als „schockie-

344 Streiter, „Der Zauber der Runden“, in: „40 Jahre Sonderforschungsbereiche“, S. 6, SFB-Beiheft der DFG, in: Internetseite der DFG, unter: http://www.dfg.de/foerderung/ programme/koordinierte_programme/sfb/publikationen/index.html, Stand: 04.11.2018. 345 Stackmann/Streiter, 1985, S. 1.

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rend neuen Vorschlag“ empfand.346 Denn die Tradition der DFG lag ja nicht in der Verbund-, sondern in der Einzelförderung und man befürchtete, dass die Einrichtung der SFB das Normalverfahren der Einzelförderung gefährden könnte. Drohte durch die SFB nicht eine Monopolisierung der Forschung auf bestimmten Gebieten an bestimmten Orten? Wer würde den immensen Mehraufwand für die DFGMitarbeiter und vor allem für die Gutachter tragen?347 Dies waren nur einige von vielen Zweifeln, die in der DFG-Geschäftsstelle umliefen. Jedoch war der politische Druck, dem die DFG genüberstand zu groß: Wer sonst außer sie konnte diesen gigantischen Entwurf realisieren? Die ersten sieben Jahre der Förderung von SFB, vom Start im Herbst 1968 bis zur „fast letalen Finanzkrise von 1975“ waren von einer Formlosigkeit geprägt, die auch die Arbeit des Senatsausschusses prägte: „Man sagte, was man dachte, und meinte, was man sagte. Das Risiko mancher Neuerung schien nur erträglich, indem man das Wort ‚Experiment‘ darüber setzte.“348 Tatsächlich war diese neue Form der Förderung, in welcher insbesondere die Wissenschaftler und die Hochschulleitung an einem Strang ziehen mussten für manches, alt eingesessenes Mitglied der jeweiligen scientific community so unüblich, sodass der „Sprung über die Fachgrenzen in der Regel nur mit sanfter Verfahrensgewalt gelang.“349 Einzuüben war ein bis dahin unbekanntes Maß an Öffentlichkeit des gesamten Verfahrens, nämlich das des zweitägigen Berichtkolloquiums: „Petenten und Gutachter, entsprechend der Projektspanne fachlich gemischt, saßen einander in Frage und Antwort zum Antrag gegenüber, stundenlang und nicht immer sine ira, für manchen Chef traditionellen Typs und dazu noch in Gegenwart der gebannt lauschenden Schüler durchaus gewöhnungsbedürftig.“350

Als 1968 der Startschuss für die ersten 17 SFB-Förderungen fiel, waren davon allein acht in den Lebenswissenschaften angesiedelt;351 Anfang der 1970er Jahre trugen allein fünf SFB das Wort „Kardiologie“ im Titel. 352

346 Strohschneider, „Schockierend neu“, in: „40 Jahre Sonderforschungsbereiche“, S. 8, SFB-Beiheft der DFG, in: Internetseite der DFG, unter: http://www.dfg.de/foerderung/ programme/koordinierte_programme/sfb/publikationen/index.html, Stand: 04.11.2018. 347 Stackmann/Streiter, 1985, S. 4. 348 Ebd. S. 9. 349 Streiter, „Der Zauber der Runden“, in: „40 Jahre Sonderforschungsbereiche“, S. 7, SFB-Beiheft der DFG, in Internetseite der DFG, unter: http://www.dfg.de/foerderung/ programme/koordinierte_programme/sfb/publikationen/index.html, Stand: 04.11.2018. 350 Ebd., Hervorh. im Original. 351 Ebd.

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Die Rolle des SFB-Programms für eine projektepistemologische Untersuchung Der erste kardiovaskulär ausgerichtete SFB, zugleich ein SFB der ersten Stunde, trug die Projektnummer 30 und den aus heutiger Sicht sehr schlicht anmutenden Titel „Kardiologie“. Im SFB 30 kooperierten unter interdisziplinären Vorzeichen zum ersten Mal in Westdeutschland Internisten, Chirurgen, Strahlenmediziner, Anästhesisten sowie aus der Vorklinik Pathologen, Physiologen und Pharmakologen miteinander. Diese Kooperationen sollen im zweiten, ‚Dispositions-Teil‘ der vorliegenden Arbeit beleuchtet werden (siehe Kap. 2.4). Dabei soll das ‚Untersuchungsprojekt‘ SFB 30 zum einen beispielhaft Aufschluss über die Dynamik dieses außergewöhnlichen Förderprogramms geben und zum anderen sollen vorab die institutionellen Dispositionen und personellen Voraussetzungen am Standort Düsseldorf mit den in Kap. 1.5 vorgestellten Konzepten des Plattform-Hospitals (siehe Kap. 2.1.3) und der Hospital-Plattform (siehe Kap. 2.1.4) geklärt werden, die es ermöglichten, den SFB 30 erfolgreich einzurichten und weitere kardiovaskuläre SFB einzuwerben. SFB spannen mit ihren netzwerkartigen Kooperationsmöglichkeiten, ihrer neuen Bewilligungs- und Begutachtungskultur, ihrer Nachwuchsförderung sowie mit ihrer Forderung nach Schwerpunktsetzung neue Möglichkeitsräume zur Wissensproduktion auf. Dabei wurden und werden die Wissenschaftler in regelmäßigen Abständen (früher alle drei, heute alle vier Jahre) zur Synthese und Synopse der eigenen Ergebnisse ‚gezwungen‘. Fachverschiedene und bis zu einem gewissen Grad inkommensurable wissenschaftliche Ansätze müssen in die Form eines gemeinsamen nach Teilprojekten strukturierten Forschungsantrags ‚gegossen‘ werden, wobei diese nicht nur einem externen Peer Review Verfahren, sondern auch einer internen Qualitätskontrolle unterzogen werden (je nach Antragslage durch SFB-Initiatoren oder -Mitglieder und durch die Hochschulleitung). Der Entwurf eines SFB-Antrags aktualisiert sich und realisiert sich also von Förderperiode zu Förderperiode stets neu und wird entsprechend der neuen diskursiven und materiellen Anforderungen des Wissenschaftsbetriebs abgeändert. Dabei werden die Forschungsvorhaben in der Regel nie eins zu eins umgesetzt, sondern es treten stets Kontingenzen in Form von unvorhersehbaren Ereignissen auf (sei es in Form von überraschenden Ergebnissen eines Experiments oder in Form von (Weg-)Berufungen einflussreicher Wissenschaftler oder sonstiger Strukturveränderungen). Die Durchführung eines SFB kann man also mit der in Kap. 1.3 mit Bachelard beschriebenen ständigen Korrekturarbeit an den eigenen Entwürfen beschrieben werden.353

352 Stackmann/Streiter, 1985, S. 10. 353 Vgl. Krauthausen, in: dies./Nassim (Hg.), 2010, S. 9.

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Auch auf der Ebene der wissenschaftspolitischen Steuerungsanstrengungen des Wissenschaftsrats stellt das SFB-Programm einen Entwurf dar, der zum einen „weit genug definiert“ sein muss, um allen Varianten einer erst beginnenden Forschungsentwicklung gerecht zu werden und der zum anderen als „prinzipiell unabgeschlossen“ zu betrachten ist, um offen für neue Ansätze zu bleiben. 354 Diese prinzipielle Offenheit musste dennoch an ein standardisiertes Verfahrensmuster gekoppelt werden, um die Bewilligungs- und Begutachtungsverfahren zu festigen, damit das SFB-Programm zu einer Disposition der deutschen Forschungsförderlandschaft und in den fortlaufenden Wissenschaftsbetrieb im Sinne Heideggers integriert werden konnte (siehe Kap. 1.3). So wird im folgenden zweiten Kapitel der vorliegenden Arbeit zu zeigen sein, dass sowohl auf der strukturellen Ebene als auch auf der Ebene des praktizierenden Forschers der Entwurf ‚Sonderforschungsbereich‘ als eine paradigmatische Vermittlungsform erscheint, welche das Aufspannen des intermediären Raums zwischen dem Subjekt (Forscher) und dem Wissensobjekt auf eine bestimmte Fragestellung erst ermöglicht. Es ist somit mit Heideggers Begriff des wissenschaftlichen Betriebs zu zeigen, dass SFB die Plattformen (Dispositionen) bereitstellen, welche den „Zusammenschluss der Verfahrensweisen erleichtern“, die gegenseitige „Überprüfung und Mitteilung der Ergebnisse fördern“, den „Austausch der Arbeitskräfte regeln“ und damit die „größtmögliche freie, aber geregelte Beweglichkeit der Umschaltung und Einschaltung der Forschungen in die jeweils leitenden Aufgaben“ sicherstellen (siehe Kap. 2.4.4).355

1.8 ZUSAMMENFASSUNG DES THEORETISCHEN TEILS FÜR DIE ANALYSE IM ZWEITEN UND DRITTEN KAPITEL Die übergeordnete theoretische Rahmung der vorliegenden Arbeit lautet ‚Wissenschaft als Projekt‘. Der von dieser Perspektive ausgehende Begriff der ‚Projektepistemologie‘ verdeutlicht, dass moderne Naturwissenschaft und Biomedizin nicht entdecken, sondern entwerfen. Bei diesem Prozess der Wissensproduktion ist nie genau klar, wohin der ‚Wurf‘ letztendlich führt, denn wissenschaftliche Projekte vollziehen sich in einem rekursiven Spannungsfeld zwischen lokalen institutionellen, materiellen und technologischen Dispositionen und den jeweils projektspezifischen experimentellen Kontingenzen, die wiederum auf die Dispositionen zurückwirken.

354 Vgl. Stackmann/Streiter, 1985, S. 3. 355 Heidegger, 1963 [1938], S. 78/79.

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Die etymologische Analyse des Projektbegriffs hat gezeigt, dass der Begriff aufgrund seines semantischen Spannungsfeldes zwischen intentionalen Plan und veränderlichen materiellen Entwurf im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts eine diskursive Explosion erfuhr. Innerhalb dieses semantischen Spektrums vereint der Projektbegriff somit an einem Ende politische Bemühungen und am anderen Ende konkrete Materialitäten und technische Arrangements. Der Entwurfs- bzw. Projektbegriff bei Heidegger und Bachelard Mit den Parallelbegriffen Entwurf (Heiddeger) und Projekt (Bachelard) wurde in Kap. 1.3 verdeutlicht, dass sich moderne naturwissenschaftliche Wissensproduktion zum einen in einem intermediären Raum zwischen dem forschenden Subjekt und dem Wissensobjekt abspielt und zum anderen, dass sich Forschungsprojekte in ihrem lokalspezifischen wissenschaftlichen Betrieb stets auf ihre eigenen phänomenotechnisch verfassten Ergebnisse einrichten müssen. Projekt-generierte Ergebnisse akkumulieren daher nicht einfach Daten und Wissen, sondern sind rekursive Ausund Übergangspunkte für neues unvorhersehbares Entwurfsgeschehen. Die Charakterisierung und Analyse von projektgemäßen Entwürfen unterstreicht diese rekursive Struktur von Wissensproduktion, indem klar gemacht wurde, dass es sich bei letzterer nicht um einen determinierten Fortschritt, sondern vielmehr um einen dynamischen Fortgang handelt. Die paradigmatische Vermittlungsform zwischen dem seine Gegenstände nicht unverstellt in den Blick bekommenden Subjekt und dem durch Experimental- und Bildgebungstechniken hervorzubringenden (Wissens-) Objekt vollzieht sich mit Bachelard und Heidegger also nicht im Fortschritt, sondern im Projekt. Projektepistemologie: drei thematische Untersuchungsebenen Das Material zur Untersuchung der drei Düsseldorfer kardiovaskulären SFB bezieht die vorliegende Arbeit aus Forschungsanträgen, Zwischen- und Abschlussberichten, Archivdokumenten, projektrelevanten Publikationen und Manuskripten sowie aus Experteninterviews und persönlichen Mitteilungen beteiligter Forscher. Anhand der im Folgenden zusammengefassten Begriffe und Konzepte wird das Material auf drei thematischen Ebenen ausgewertet, die in der abschließenden Zusammenfassung der vorliegenden Arbeit (Kap. 4) wieder aufgegriffen werden: • förderpolitisch: das SFB-Programm und die Entwicklung des SFB 30 (zweites

Kapitel); • institutionell: Dispositionen verstanden als lokale Voraussetzung für die Durch-

führung der drei kardiovaskulären SFB am Standort (zweites Kapitel); • materiell: im Rahmen der untersuchten Experimentalsysteme und biomedizini-

schen Plattformen der SFB (zweites und ausführlich drittes Kapitel).

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Projektepistemologie: die im ersten Kapitel operationalisierten Konzepte Die materielle Ebene von Forschungsprojekten impliziert einen entwerfenden und apparativ-gestützten Blick der beteiligten Forscher, bei welchem die Kategorien der Repräsentation und Intervention ständig unterlaufen werden. Mit der AkteurNetzwerk-Theorie (ANT) wurde klar, dass sowohl Technologien der Sichtbarmachung als auch die zu visualisierenden Materialien (Moleküle, Reaktionen, Strukturen etc.) als vollwertige Akteure in den Forschungsprozess eingreifen. Dieser intervenierende und zugleich herstellende Blick vollzieht sich in der Bewegung von der Materie bzw. dem Material hin zur Form und impliziert Translationsketten, bei welchen sich forschungsrelevante Elemente zu Black Boxes verschachteln. Black Boxes stellen dabei aus dem ursprünglichen Sachverhalt dekontextualisierte und von den Forschern nicht weiter hinterfragte Endpunkte solcher Translationsketten dar, bei welchen nur der ‚Input‘ und der ‚Output‘ zählt. Der Output von Black Boxes wird meistens in Form von Inskriptionen (von Latour sogenannte „immutable mobiles“: Tabellen, Graphen, Kurven etc.) dargestellt und leistet für die beteiligten Forscher Synthese und Synopse, indem eine ganze Reihe von Experimenten und Situationen auf einen Blick zusammengefasst werden können. Mit der Netzwerkmetapher wurde zusätzlich verdeutlicht, dass nicht nur Inskriptionen, sondern auch Forschungsprojekte Synthese und Synopse leisten: Die praktischen Kriterien zur Herstellung von gemeinsamen internen Referenten (z.B. ein gemeinsames in-vivo-Modell) erfordern es, Forschende und deren fachorientierte Institutionen, Technologien und Materialien zu mobilisieren und in einen gemeinsamen Problemhorizont zu übersetzen. In Forschungsverbundprojekten vernetzen sich auf verschiedenen Ebenen Experimentalsysteme, welche mit der Produktion von Differenzen dazu beitragen, gemeinsame interne Referenten zu detektieren. Noch nicht stabilisierte interne Referenten bezeichnet Rheinberger als epistemische Dinge, welche als der Prozess der Aufklärung von Unbekanntem definiert wurden und welche in komplexer Wechselwirkung mit dem jeweiligen Versuchsarrangement, den technischen Objekten eines Experimentalsystems stehen. Rheinbergers Konzept des Experimentalsystems und der damit verbundenen Produktion von Differenzen erlaubt es der vorliegenden Arbeit, nicht nur auf der materiellen Ebene von Experimenten, sondern auch auf der wissenschaftspolitischen und institutionellen Ebene die für die drei zu untersuchenden SFB projektspezifischen Kontingenzen und Dispositionen auszumachen und in die Argumentation einfließen zu lassen. In den Analysen ausgewählter SFB-Experimentalsysteme soll besonderes Augenmerk auf die Strategien der Sichtbarmachung und die damit verbundene Erzeugung von materiellen Spuren gelegt werden, wobei Rheinbergers „Typologie wissenschaftlicher Visualisierungen“ (Kompression und Dilatation, Schematisierung

Wissensproduktion zwischen Kontingenz und Disposition | 117

und Enhancement) systematisch zu Rate gezogen werden soll, um die jeweiligen projektspezifischen Repräsentationsräume zu charakterisieren. Bei diesen Experimentanalysen kommt dem Begriff des Supplements, so wie ihn Rheinberger (nach Derrida, siehe Kap. 1.4.2) verwendet eine erweiterte Bedeutung zu: Ein experimentelles Supplement tritt vor allem dort in Erscheinung, wo neue Messmethoden eingesetzt werden, die zunächst zu den herkömmlichen lediglich hinzuzutreten scheinen, die Forscher aber veranlassen, sich einer „Ökonomie der Synopse“ (Derrida)356 zu vergewissern. D.h., die durch neue Apparaturen und Messtechniken erzeugten Spuren werden zunächst graphisch-synoptisch mit bereits etablierten experimentellen Spuren zusammengezogen (z.B. bei der Überlagerung verschiedener physiologischer Kurven), um Vergleichbarkeiten herzustellen. Die ‚Überlegenheit‘ neuer Messmethoden (z.B. ein besseres diagnostisches Potenzial) stellt sich dabei häufig (und vor allem im klinischen Bereich) erst im Nachhinein heraus. Das in den Düsseldorfer SFB produzierte kardiovaskuläre Projektwissen ist von daher zum Teil supplementär verfasst, weil die Einführung neuer Methoden die herkömmlichen zwar nicht obsolet machen, aber dem Forschungsverbund insgesamt eine neue Orientierung und Perspektive auf das Herz-Kreislaufsystem geben können. Bei dieser Betrachtungsweise auf physiologische und pathologische kardiovaskuläre Vorgänge rückt das Spannungsfeld zwischen Labor und Klinik in den Fokus. Der Interaktionsraum wurde mit Keating’s und Cambrosio’s Konzept der biomedizinischen Plattform beschrieben. Wie Projekte stellen Plattformen besonders dichte Kontenpunkte in sozio-materiellen Netzwerken dar und vereinen an einem Ende ihres semantischen Spektrums politische und regulative Steuerungsanstrengungen und am anderen Ende materielle und technische Arrangements. Der Begriff biomedizinische Plattform wird der vorliegenden Arbeit dazu dienen, das auf grundlagenwissenschaftliche Ansätze beschränkte Rheinberger’sche Konzept des Experimentalsystems mit Aspekten klinischer Forschung zu erweitern und zu fragen, was passiert, wenn ein epistemisches Ding das Labor verlässt und sich in Diskurse einschreibt, die das Verhältnis der Zuschreibung von normal und pathologisch verändern. Diese Perspektive wird durch den Fokus auf apparativ-gestützte Bildgebungstechniken im SFB 30 sowohl im klinischen (siehe Kap. 2.3) als auch im experimentellen Bereich mit Bezug zu klinischen Fragestellungen (siehe Kap. 2.5.2) mit einer konkreten Forschungsgeschichte verknüpft. Die dem Konzept der biomedizinischen Plattform zugrunde liegenden Analysekategorien des Plattform-Hospitals und der Hospital-Plattform finden – nach einer historisch-epistemologischen Einführung zur Krankenhausgeschichte – im folgenden zweiten Kapitel Verwendung, um zum einen auf architektonischer Ebene und zum anderen auf organisatorischer Ebene die lokalhistorischen Dispositionen aus-

356 Derrida, 1974 [1967], S. 278.

118 | Projektepistemologie

findig zu machen, die es ermöglichten im Jahre 1968 den ersten kardiovaskulären SFB überhaupt (SFB 30) am Standort Düsseldorf ins Leben zu rufen. Die dadurch erzielten Struktureffekte hatten die Einwerbung dreier weiterer kardiovaskuläre SFB (SFB 242, SFB 612 und seit 2015 den SFB 1116) in den darauffolgenden nun fast fünf Dekaden zur Folge. Der Begriff des Supplements wird hierbei für die institutionsgeschichtliche Analyse der Plattform-Krankenhäuser (Architektur) und der Hospital-Plattform (Organisationsstruktur) des UKD ebenfalls erweiterte Anwendung finden. Er zeigt, dass sich beim Kombinieren von alten und neuen Strukturen insgesamt neue Wissensund Möglichkeitsräume auftun, die wiederum historisch gewordene bzw. ‚gemachte‘ und zugleich stets veränderliche Dispositionen für weitere Projektdurchführungen bereitstellen. Der Supplement-Charakter von wissenschaftlichen Entwürfen und seine Auswirkungen bei der Projektdurchführung werden in Kap. 2.4 anhand der Analyse der Archivdokumente des SFB 30 (vor allem Finanzierungsanträge, Abschlussberichte und Gutachterprotokolle) vorgenommen. Auf Grundlage der immer ausgefeilteren Begutachtungs- und Verfahrensstruktur der DFG werden die an SFB beteiligten Forscher nicht nur dazu gebracht, über Disziplinengrenzen hinweg zu kooperieren und ihre Konzepte trotz gewisser Inkommensurabilitäten in einen gemeinsamen Projektantrag fließen zu lassen; sie werden zusätzlich alle drei (später alle vier) Jahre aufs Neue zu Synthese und Synopse und damit zur Korrekturarbeit an den eigenen Entwürfen ‚gezwungen‘. SFB sind damit als wichtige förderpolitische ‚Werkzeuge‘ zu charakterisieren, um intermediäre Räume zwischen den Forschern, den eingesetzten Apparaturen und den epistemischen Dingen aufzuspannen und bieten eine Möglichkeit, die für den Fortgang der Forschung notwendigen Plattformen (Dispositionen) schwerpunktartig in den wissenschaftlichen Betrieb (im Sinne Heideggers) einer Hochschule zu integrieren. Der epistemische und historische Kontext der Herz-Kreislaufphysiologie als Narrativ für die projektepistemologische Analyse im zweiten und dritten Kapitel Der Anschluss an die in Kap. 1.6 vorgenommene historische Analyse der Experimente, Inskriptionen und Translationen der Herz-Kreislaufphysiologie wird wie folgt hergestellt: Auf klinischer Seite wird das EKG am Beispiel seiner Implementierung in die Medizinische Klinik in Düsseldorf im frühen 20. Jahrhundert unter Bezugnahme der mit Borck in Kap. 1.6.2.2 erarbeiteten Kategorien (Semantik, Aisthetik, Situativität) untersucht. Zudem wird die Entwicklung der Angiokardiographie in Düsseldorf als „soziotechnische Evidenz“ (David Gugerli) analysiert und der epistemische Status ihrer Bilder kommentiert (Kap. 2.3). Auf experimenteller Seite wird das Spektrum der eingesetzten Methoden zunächst hinsichtlich der Begriffe der Funktion und Regulation sowie anhand des

Wissensproduktion zwischen Kontingenz und Disposition | 119

Spannungsfeldes zwischen holistischen und reduktionistischen Perspektiven in der Physiologie aus wissenschaftshistorischer Sicht (spätes 19. Jahrhundert) beleuchtet (Kap. 2.5.1). Anschließend werden verschiedene für die zu untersuchenden SFB relevante Experimentaltechniken und -methoden (von biochemischen in-vitro-Techniken über Modellorganismen bis hin zu komplexen Großtiermodellen) im Einzelnen vorgestellt (Kap. 2.5.2). Dies erlaubt es, die Überlagerung von ex-vivo- und in-vivoBefunden aus der Mikroperspektive eines Teilprojekts des SFB 30 zu untersuchen (Kap. 2.5.2.1). Die hierbei auftretenden Unvergleichbarkeiten zwischen verschiedenen Spezies werden abschließend als ‚translational gaps‘ charakterisiert und mit Canguilhem kommentiert. Die Inskriptionen der graphischen Methode wurden in Kap. 1.6.3 mit Modellorganismen, so wie sie seit der Mitte des 20. Jahrhunderts zur Anwendung kommen, kontrastiert. Ging es beim Ludwig’schen Kymographion noch um die prekäre Schnittstelle zwischen Inskriptionsapparatur und Organismus, so sind genetisch manipulierte Modellorganismen bzw. Tiermodelle selbst Instrumente und damit nicht weniger prekäre Mischwesen. Mit Rheinberger wurde konstatiert, dass die intrazelluläre Darstellung eines extrazellulären Projekts – etwa der Versuch, eine menschliche Krankheit am Tiermodell zu simulieren – aus dem Organismus einen locus technicus macht, der die Eigenschaften der fraglichen biologischen Makromoleküle in sich selbst zur Geltung bringt und ‚testet‘. Inwiefern die Materialität (verstanden als Widerständigkeit des Organismus) solcher transgenen Tiere, trotz ‚dispositioneller‘ Gentechnologie dennoch ihre eigenen Möglichkeiten ausspielt und zu unvorhergesehen Projektereignissen führt und damit die Dimensionen der Materialität und Produktion miteinander verschmelzen, soll im dritten Kapitel der vorliegenden Arbeit anhand des Beispiels von genveränderten Knockout-Mäusen in der kardiovaskulären Forschung (SFB 612) dargelegt und vertieft werden (vor allem Kap. 3.3). Tiermodelle zur in-vivo-Modellierung von menschlichen Erkrankungen stellen zwar eine Brücke zwischen laborwissenschaftlichen und klinischen Ansätzen her, jedoch ist das Spannungsfeld der ‚translationalen Forschung‘ nicht mit dem Einbahnstraßenmodell „from bench to bedside“ erschöpfend zu erklären (siehe Kap. 1.6.3). Es wurde gezeigt, dass der Outcome von translationalen Projekten sich sowohl aus grundlagenwissenschaftlichen sowie aus klinischen Daten speisen sollte und dass das Konzept der ‚translationalen Medizin‘ nicht frei von Wissenschaftsideologien ist, die eher von einem planbaren und determinierten Transfer als von einer dynamischen Translation und Interaktion zwischen Labor und Klinik ausgehen. Denn in der Zusammenfassung der vorliegenden Arbeit ist u.a. zu klären, dass die Umsetzung von translationaler Forschung bzw. Medizin abhängig von neuen materiellen und diskursiven Entwürfen aus beiden Bereichen und damit zugleich plattform- und netzwerkabhängig ist.

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Projektepistemologie: Ziel und Synopse Das übergeordnete Ziel von der vorliegenden Projektepistemologie ist es, am Beispiel der Düsseldorfer Herz-Kreislaufforschung Spannungsverhältnisse zwischen institutioneller Disposition und projektspezifischer Ereignishaftigkeit nachzuzeichnen. Dabei bleibt zu berücksichtigen, dass Disposition und Kontingenz zwei untrennbare Seiten einer Medaille sind und sowohl in der ‚Dispositionsanalyse‘ des zweiten als auch in der ‚Kontingenzanalyse‘ des dritten Kapitels zur Geltung kommen. Demnach starten sowohl das zweite als auch das dritte Kapitel mit der Darstellung von wissenschaftshistorischen, institutionellen und technologischen Dispositionen, von denen aus sich projektspezifische Kontingenzen erst ergeben konnten und für die projektepistemologische Analyse sichtbar werden. Die Begriffe des Projekts bzw. des Entwurfs (Bachelard/Heidegger) und die Konzepte der ANT (Latour), des Experimentalsystems (Rheinberger) sowie der biomedizinischen Plattform (Keating/Cambrosio) und der Widerständigkeit des Organismus (Canguilhem) geben der Arbeit auf den in Kap. 1.3, 1.4, 1.5 und Kap. 1.6 beschriebenen Abstraktionsebenen Orientierung bei der Betrachtung der Spannungsverhältnisse bei der Wissensproduktion kardiovaskulärer Verbundforschung zwischen Labor und Klinik. Das vorliegende erste Kapitel endet mit einer Abbildung, welche die in den nächsten beiden Kapiteln abzuarbeitenden Punkte graphisch-synoptisch zusammenfasst.

Wissensproduktion zwischen Kontingenz und Disposition | 121

Abbildung 8: Synopse Projektepistemologie.

Quelle: Thomas Krämer

2. Düsseldorfer Dispositionen: die Entwicklung einer Institution als Hospital-Plattform und der Sonderforschungsbereich 30

Plattform-Hospitäler sind wichtige Voraussetzung für spezifischere biomedizinische Plattformen, deren Betrieb sich über standortspezifische Organisationsnetzwerke, den Hospital-Plattformen vollzieht. Der englische Begriff „Platform Hospital“ wird von Peter Keating und Alberto Cambrosio vornehmlich für die architektonische Beschreibung moderner (Groß-)Krankenhäuser verwendet, die seit den 1950er und 1960er Jahren zunehmend nach dem Prinzip des „tower-on-podium“Konzepts erbaut wurden. Der Tower beherbergt üblicherweise die Bettenstationen und das Podium die Funktionsräume, z.B. Röntgen- oder andere Abteilungen biomedizinischer Bildgebung mit medizintechnischem Großgerät.1 Patienten und deren Proben bewegen sich je nach Organisationsstruktur mehr oder weniger frei zwischen den Räumen und Einrichtungen des Stationsgebäudes (Tower) und der medizintechnischen Plattform (Podium, „plateau médico-technique“, vgl. Kap. 1.5). Krankenhausgeschichtlich besonders interessant sind jene Plattform-Hospitäler, deren architektonisches und organisatorisches Konzept die Juxtaposition von alten und neuen Formen und Strukturen erfordert. Als Paradebeispiel hierfür nennen Keating und Cambrosio etwa das Hôpital Saint-Louis in Paris. Die aus dem 17. Jahrhundert stammenden rechteckig um den Innenhof angelegten Pavillons wurden 1984 um einen modernen Komplex von sechs dreistöckigen, auf einer medizintechnischen Plattform errichteten Stationsgebäuden erweitert.2 Auch das berühmte und für die Pavillonarchitektur des 19. Jahrhunderts paradigmatische Hôpital Lariboisière (1853) in Paris kombiniert Altes mit Neuem: Unter dem von Stationspavillons umgebenen Innenhof befindet sich eine in den 1970er Jahren erbaute

1

Vgl. Keating/Cambrosio, 2003, S. 36 und 45.

2

Ebd., S. 31.

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stetig auf den neusten Stand gebrachte medizintechnische Plattform, die alle Erfordernisse für den Betrieb eines modernen Universitätskrankenhauses erfüllt.3 Solche Juxtapositionen von alten und neuen Elementen, die zum Teil aufwendige Bau- und Umbaumaßnahmen mit sich bringen, sind auch in der deutschen Krankenhausgeschichte keine Einzelfälle. Der Mitte des 19. Jahrhunderts in Frankreich entstandene und auch nach Deutschland importierte Pavillonstil war bereits konzeptionell darauf ausgerichtet, die jeweilige Krankenanstalt zu späteren Zeitpunkten zu erweitern und auszubauen.4 Die ständigen baulichen und organisatorischen Veränderungen an Krankenhäusern waren und sind keine bloßen Erweiterungen dieser Institutionen. Denn sie entstehen durch praktische Notwendigkeiten, die nicht in jedem Fall planbar sind. Waren die Gebäude der Pavillonmedizin darauf ausgerichtet die Kranken zu trennen, um Infektionen zu vermeiden, so bietet die Plattform-Architektur eine dichtere, betriebswirtschaftlich sowie medizintechnisch besser nutzbare mehrgeschossige Bauweise. Dieser Stil ist auch der seit den 1950er Jahren (vermeintlichen) Beherrschbarkeit der Infektionserkrankungen mittels Antibiotika geschuldet, entspricht aber vor allem dem (bis heute gültigem) Credo der Zentralisation und Automatisierung der Krankenhausmedizin mittels moderner Technologie (vgl. Kap. 1.5).5 Die Pavillonmedizin des 19. und frühen 20. Jahrhunderts mit ihren auch räumlich isolierten Spezialisten wurde allmählich von konsiliar-ärztlich organisierten „synthetischen“ multidisziplinären Teams abgelöst.6 Durch das Hinzutreten neuer Gebäude, Institute und Technologien verändern sich nicht nur die Wege, die Patienten und Personal täglich nehmen. Durch die Notwendigkeit integrativer Ansätze in der modernen Biomedizin entstehen auch neue Kooperationsmöglichkeiten, sowohl zwischen Kliniken, vorklinischen Instituten, assoziierten Forschungseinrichtungen und der Industrie. Für eine solche Verbundforschung bedarf es einer besonders eng vernetzen Infrastruktur, die die nötigen „core facilities“ zusammenhält (z.B. gemeinsam nutzbare Zentrallabors, Großgeräte oder Analyseplattformen). Die Unterbringung solcher Anlagen stellt – angesichts der rasanten Entwicklung der Medizintechnik seit den 1970er und 1980er Jahren – für den Krankenhausbau eine große Herausforderung dar. Aufgrund der langen Planungszeiten besteht oft das Problem, dass die vor Jahren bewilligten Bau-

3

Vgl. ebd. S. 33.

4

Vgl. Murken, 1979, S. 318-319, für Düsseldorf siehe auch Halling/Kleinöder, in: Halling/Vögele (Hg.) 2007, S. 250, zum Potenzial einer „Umbaugeschichte“ von Krankenhäusern siehe Borck, in: Stollberg/Vanja/Kraas (Hg.), 2011, S. 17-23.

5

Keating/Cambrosio, 2003, S. 36 sowie Murken, 1988, S. 209.

6

Keating/Cambrosio, 2003, S. 39.

Düsseldorfer Dispositionen | 125

ten bei der Fertigstellung schon nicht mehr den Erfordernissen der modernen Medizintechnik entsprechen.7 Die architektonische Veränderung eines Plattform-Hospitals hängt eng mit dem lokalen Organisationsnetzwerk einer Hospital-Plattform zusammen, welches neben kommunalpolitischen und infrastrukturellen Faktoren vom jeweiligen Stand des medizinischen Wissens und den Möglichkeiten/Anforderungen der Medizintechnik abhängig ist. Die supplementäre Verschachtelung von Plattformen Die enge historische Vernetzung von Plattform-Hospitälern, Hospital-Plattformen und biomedizinischen Plattformen und insbesondere die Juxtaposition von alten und neuen Formen und Strukturen wird in der vorliegenden Arbeit mit dem Begriff des Supplements bzw. der Supplementierung analysiert. Wie bereits in den Kap. 1.4.2, Kap. 1.5 und 1.8 erläutert, betrachtet Rheinberger das Supplement als eine „Ökonomie epistemischer Verschiebung“, bei der „Substitution und Hinzufügung“ dem betrachteten System insgesamt eine neue Gestalt gibt. 8 Es wird hypothetisiert, dass auch Plattformen diesem Supplementaritätsprinzip unterliegen, bei welchem sich stets Diskurse und Materialitäten verschiedenster Provenienz mischen und ineinander verschachteln. Der hier verwendete Supplement-Begriff hat den Vorteil, die Entstehung des Plattform-Hospitals und deren Hospital-Plattformen nicht als einen geradlinigen Entwicklungsprozess darstellen zu müssen. Vielmehr erlaubt er auf lokalhistorischer Ebene, die komplexen Bifurkationen und Interaktionen zwischen den verschiedenen relevanten Bereichen, wie Klinik, Labor, Industrie und Gesellschaft nachzuzeichnen und in die Argumentation einfließen zu lassen. Demnach bezieht sich der Begriff des Supplements im vorliegenden Kapitel sowohl auf die Analyse der Materialität architektonischer Formen als auch auf die Analyse der Struktur von Organisationsnetzwerken, deren Forschungseinrichtungen, Apparaturen und Experimentaltechniken. Die supplementären Verschachtelungen von Plattform-Hospitälern (Architektur) und Hospital-Plattformen (Organisationsstruktur) wird im folgenden Kapitel am Beispiel des Düsseldorfer Universitätsklinikums nicht nur mit einer „Umbaugeschichte“9 und der damit verbundenen Juxtaposition von alten und neuen Gebäudestrukturen und Organisationsformen in Verbindung gebracht. Darüber hinaus wird deutlich, inwiefern Plattformen personelle und materielle Ressourcen reorganisieren und Ausgangspunkte für völlig neue soziomaterielle Einheiten und Netz-

7

Vgl. u.a. Thomann, in: Labisch/Spree (Hg.), 1996, S. 150 und Borck, in: Stollberg/ Vanja/Kraas (Hg.) 2011, S. 20.

8

Rheinberger, 2001, S. 10-11.

9

Borck, in: Stollberg/Vanja/Kraas (Hg.), 2011, S. 17-22.

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werke bilden, die zuvor verstreut eingesetzte Technologien und Methoden in einen gemeinsamen biomedizinischen Problemhorizont für eine kardiovaskuläre Verbundforschung setzen.10 Für Keating und Cambrosio ist die Etablierung einer Hospital-Plattform daher mehr als ein einfacher, planerischer „Strich“ eines Architekten auf Millimeterpapier. Um die distinkten Elemente einer Hospital-Plattform so zu supplementieren und zu kombinieren, dass ein leistungsfähiger wissenschaftlicher und klinischer Betrieb eines Universitätskrankenhauses möglich ist, bedarf es der Zusammenfügung von „kognitiven Kategorien, Klassifikationsstandards, sozialen Wesen, Bräuchen und Traditionen, sozialen Repräsentationen, Kollektiven, juristischen oder institutionellen Entitäten, Regeln, Konventionen und technischen Objekten.“11 Alle um eine Plattform herum organisierten Aktivitäten – wie PlattformKomitees, deren Koordinierungszentren und -meetings etc. – sind daher für Keating und Cambrosio „platform-related investments in form“.12 Solche Einbettungen in eine Form definieren die jeweils standortspezifischen „obligatorischen Durchgangspunkte“ einer Hospital-Plattform, und damit die individuellen Wege, welche Patienten, deren Proben und Protokolle, Pfleger, Ärzte, Laborwissenschaftler und technisches Personal im Arbeitsalltag nehmen (vgl. Kap. 1.5).13 Nachdem im Folgenden das Pavillonkrankenhaus sowohl als bauliche als auch konzeptionelle Voraussetzung für den Neubau der Medizinischen Akademie in Düsseldorf herausgearbeitet wird (Kap. 2.1.1), erfolgt eine kurze lokalhistorische Darstellung der Gründung dieser Akademie (Kap. 2.1.2) und die Entwicklung ihrer Plattform-Krankenhäuser im Laufe des 20. Jahrhunderts (Kap. 2.1.3) und der Etablierung des Netzwerkes ihrer Hospital-Plattform im 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts (Kap. 2.1.4).

10 Vgl. Keating/Cambrosio, 2003, S. 38. 11 Thévenot zitiert nach ebd. [Übersetzung TK]. 12 Ebd. Keating/Cambrosio beziehen sich hier auf den Soziologen und Ökonom Laurent Thévenot. 13 Vgl. ebd., S. 39.

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2.1 VON DER MEDIZINISCHEN AKADEMIE ZUM UNIVERSITÄTSKLINIKUM: DIE ENTSTEHUNG DER PLATTFORM-HOSPITÄLER UND IHRER HOSPITAL-PLATTFORM Der 1907 gegründeten Medizinischen Akademie Düsseldorf kommt in der deutschen Krankenhausgeschichte nach dem Arzt, Medizin- und Kunsthistoriker Axel Hinrich Murken eine Schlüsselrolle zu.14 Denn sie zeigt wie keine andere dieser Zeit das Abrücken vom Pavillonsystem zugunsten einer dichteren und betriebswirtschaftlich besser nutzbaren mehrgeschossigen Bauweise. 15 Um die ihr zugrundeliegende raumplanerische und medizinisch-konzeptionelle ‚Matrix‘ besser zu verstehen, wird im Folgenden die Entwicklung der von Foucault sogenannten „Protoklinik“ hin zum Pavillonkrankenhaus nachgezeichnet. Berücksichtigt wird die damit verbundene epistemische Konfiguration des „ärztlichen Blicks“ im Rahmen der im späten 19. Jahrhundert aufkommenden „naturwissenschaftlichen Medizin“. 2.1.1 Das Pavillonkrankenhaus und die „naturwissenschaftliche Medizin“ als konzeptionelle Voraussetzungen für den Neubau der Städtischen Krankenanstalten in Düsseldorf Im Folgenden wird die Entwicklung vom Hospital über die „Protoklinik“ zum Pavillonkrankenhaus nachgezeichnet. Die Hospitäler des 18. Jahrhunderts16 waren in erster Linie stationäre Versorgungsanstalten mit dem karitativ geprägten Auftrag, die städtische Armen- und Bedürftigenfürsorge sicherzustellen und die Stadt vor

14 Für einen zum Teil über die Ausführungen der vorliegenden Arbeit hinausgehenden medizinhistorischen und institutionsgeschichtlichen Überblick siehe die Chronologie der Düsseldorfer Herz- Kreislaufmedizin von 1891-2015, im Anhang 6, auf S. 486. 15 Murken, 1979, S. 320. 16 Die nach Keating und Cambrosio in der vorliegenden Arbeit verwendeten Begriffe des Plattform-Hospitals und der Hospital-Plattform sind aus dem Englischen entlehnt. Im Deutschen hat der Begriff Hospital eine Konnotation zu karitativ geprägten Armen- und Pflegehäusern und wird heute nur selten als Synonym für moderne Krankenhäuser gebraucht. Im Englischen hingegen wird der Begriff bis in die Gegenwart für Krankenhäuser verwendet. Wenn im folgenden Unterkapitel (Kap. 2.1.1) von Hospitälern die Rede ist, bezeichnet dies nicht moderne Krankenhäuser (und damit Keatings und Cambrosios Konfiguration von „Plattform-Hospitälern“ und „Hospital-Plattformen“), sondern findet gemäß seiner deutschen Bedeutung Verwendung.

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Epidemien zu schützen.17 Die Therapie der Kranken stand dabei noch nicht im Vordergrund. In vielen Häusern war nicht einmal ein Arzt tätig, was die Bedeutung der Pflege für das gesamte 18. und 19. Jahrhundert hervorhebt.18 Mit der rasanten Entwicklung der Industriestädte Anfang des 19. Jahrhunderts wuchs die Zahl der Armen auf dem Land wie in den Städten stetig. Das Hauptproblem der Städte bestand darin, die große Anzahl armer, an sich arbeitsfähiger, nicht auf Dauer erkrankter Menschen (vor allem männlichen Geschlechts) versorgen zu müssen.19 Hinzu kam, dass durch die dem ständig wachsenden Verkehr geschuldete neue Mobilität auch neue Gesundheitsgefahren, wie z.B. die seit 1830 in Europa wütenden Cholera-Epidemien, mit sich brachte. Mit diesen neuen gesellschaftspolitischen, ökonomischen und epidemiologischen Herausforderungen ging eine harsche Kritik am Hospitalwesen einher, die insbesondere die unmenschlichen Zustände und die ungeordneten Verhältnisse in den Hospitälern bemängelte. Menschen mit unterschiedlichsten Erkrankungen wurden nicht nur untereinander vermischt, sondern auch oft zusammen mit Waisen, Obdachlosen oder Geisteskranken untergebracht.20 Ein weiterer zentraler Punkt an der Kritik der Hospitäler war, dass sie als „künstliche Orte“ kein medizinisches Wissen produzierten, sondern sie das „wesenhafte Gesicht“ der Krankheit gar verfälschten: „Der Spitalarzt sieht nur unechte, veränderte Krankheiten; er hat eine ganze Teratologie des Pathologischen vor sich.“21 Noch bis weit ins 19. Jahrhundert galt von daher die Familie als der „natürliche Ort“ der Krankheit, deren Verlauf durch die häusliche Fürsorge positiv beeinflusst werden sollte. 22 Während die Aufgaben der Hospitäler eher umfassend und unspezifisch waren, so fingen einige von Foucault sogenannte „Protokliniken“ um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert an, zunehmend heilbare Kranke gegen Bezahlung aufzunehmen und verschiedene Pflegklassen anzubieten, um so auch für die wohlhabenderen Schichten einen Anreiz zu schaffen, sich stationär in einer Institution behandeln zu lassen, deren Ursprünge in der Armenpflege lagen. 23

17 Jütte, in: Labisch/Spree (Hg.), 1996, S. 33 sowie Hübner 2004, S. 107. 18 Vgl. Labisch/Spree (Hg.), in: dies. 1996, S. 14, vgl. auch Foucault, in: ders./Kriegel et al. (Hg.), 1979, S. 8. 19 Labisch, in: ders./Spree (Hg.), 1996, S. 260, vgl. auch Foucault, in: ders./Kriegel et al. (Hg.), 1979, S. 9 (les „pauvres valides“). 20 Vgl. Foucault, in ders./Kriegel et al. (Hg.), 1979, S. 14. 21 Foucault, 2008 [1963], S. 34. 22 Ebd. 23 Jütte, in: Labisch/Spree (Hg.), 1996, S. 37.

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Die Protoklinik ist nach Foucault der Ort, an dem eine „fundamentale Verräumlichung und Versprachlichung des Pathologischen“24 stattfand, welche zum einen in einer räumlichen und strukturellen Ausdifferenzierung der Krankenanstalten selbst zum anderen im Prinzip der Individualisierung erkennbar wurden. Die räumliche Ausdifferenzierung der Protokliniken – verstanden als eine „Kunst der Verteilung“25 – fand zum größten Teil bereits während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts statt. Als Vertreter dieses frühen Krankenhaustyps sind im deutschsprachigem Raum neben dem Allgemeinen Krankenhaus in Wien (17931795) vor allem der Neubau der Berliner Charité (1785-1800) sowie das Krankenspital in Hamburg (1787-1789) zu nennen.26 In solchen und anderen Häusern wurden vorübergehend aufgenommene Kranke und Verletzte, Arme sowie etwa pesterkrankte Personen strikt voneinander getrennt.27 Bei der Verteilung der kranken im Raum wurde zudem Rücksicht auf den klinischen Unterricht am Krankenbett genommen: „So wie Pflanzen in einem botanischen Garten [Tableau,28 TK] gruppiert waren, so sollten in dem der medizinischen Ausbildung und klinischen Forschung dienenden Krankenhaus die pathologischen Zustände in eine gewisse Ordnung gebracht werden.“29

24 Foucault, 2008 [1963], S. 9. 25 In seinem Werk „Überwachen und Strafen“ (1975) erläutert Foucault im Zusammenhang des Aufkommens der Disziplinarmacht im 18. Jahrhundert Techniken der räumlichen Aufteilung, die potenziell für jede staatliche Institution, vom Militär über die Schule bis hin zum Krankenhaus Anwendung finden können. Die nach einem detaillierten Plan vorgenommene „Parzellierung“ der Individuen im Raum ermöglicht eine effiziente Kontrolle jedes einzelnen: „Diese Räume leisten die Festsetzung und sie erlauben den Wechsel; sie schneiden individuelle Segmente ab und installieren Operationsverbindungen; sie markieren Plätze und zeigen Werte an; sie garantieren den Gehorsam der Individuen, aber auch eine bessere Ökonomie der Zeit und der Gesten. Es handelt sich um Mischräume: Sie sind real, da sie die Anlage der Gebäude, der Säle, der Möbel bestimmen; sie sind ideal, weil dieser Anordnung Charakterisierungen, Schätzungen, Hierarchien entsprechen.“ (Foucault, 2008 (b) [1975], S. 851, siehe detailliert auch Krämer, 2011, S. 52 ff.) 26 Jütte, in: Labisch/Spree (Hg.), 1996, S. 34, wo Materialverweise zu den gennannten Häusern zu finden sind. 27 Ebd., S. 37. 28 Unter dem Begriff „Tableau“ bezeichnet M. Foucault die „Klassifizierung der Arten“, die nach botanischem Vorbild auch Eingang in die Lebenswissenschaften erhalten haben (vgl. Foucault, 2008 (b) [1966], S. 192 und S. 198-199). 29 Jütte, in: Labisch/Spree (Hg.), 1996, S. 37.

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Die Bestrebungen gingen fortan dahin, das Hospital nicht nur strukturell, sondern auch räumlich in ein Krankenhaus zu verwandeln: „Bevor [die Klinik ein Ort für] die Begegnung zwischen dem Kranken und dem Arzt, zwischen einer zu entziffernden Wahrheit und dem Nicht-Wissen ist, und um diese Begegnung werden zu können, muss die Klinik wesensmäßig ein durchstrukturiertes nosologisches Feld bilden.“30

Das Pavillon-Prinzip erlaubte es nach Vorbild des Militär-Lazaretts, die Individuen wie auf einem Schachbrett (Tableau) besser nach ihrem Alter, Geschlecht und ihren Erkrankungen zu verteilen und trug damit dazu bei, aus der Klinik einen „empirischen Raum“ zu gestalten. 31 Beim Pavillon-Typ handelt es sich also um eine dezentrale, strikt geometrische Anlage aus mehreren identischen flachgeschössigen Bauten. Der erste mustergültige Bau dieses Typs in Paris war das 1853 in Betrieb genommene städtische Allgemeine Krankenhaus namens Lariboisière. Darin stimmte man medizinische, betriebswirtschaftliche, pflegerische und funktionelle Belange so aufeinander ab, dass durch die Weiträumigkeit der Anlage kaum Einschränkungen in der täglichen Pflege und Versorgung auftraten. 32 Die ersten deutschen Krankenhäuser nach dem Pavillon-Prinzip waren das Städtische Krankenhaus „Im Friedrichshain“ in Berlin (1868-1874) und das Städtische Krankenhaus St. Jacob in Leipzig (1869-1870).33 Die Nachteile der dezentralen Gebäudeaufteilung geschuldeten verminderten Überwachungsmöglichkeiten wurden aufgrund der besseren Isoliermöglichkeiten in Kauf genommen.34 Denn der Krankenhausbau stand um Mitte des 19. Jahrhunderts unter dem Primat der Isolation und der optimalen Belüftung und Belichtung. Man ging bereits um die Mitte des 18. Jahrhunderts davon aus, dass sich Infektionskrankheiten – wie Wundfieber (auch Hospitalbrand genannt) und andere Epidemien – durch sogenannte „Miasmen“ oder „Kontagien“ verbreiten. Das Miasma sollte aus dem Erdboden, aus toter, fauliger Materie entspringen, während man sich bei den Kontagien vorstellte, dass sie in „schlechter“ Luft enthalten seien und übertragbare Krankheitspartikel darstellten. Dabei handelte es sich um „hypothetische Stoffe“, denn zur Unterscheidung „gesunder“ oder „schlechter“ Luft hatte man außer dem Geruchssinn praktisch keine Kriterien. 35

30 Foucault, 2008 [1963], S. 74, Hervorh. im Original. 31 Vgl. Fortier, in: Foucault/Kriegel et al. (Hg.), 1979, S. 47. 32 Murken, in: Stollberg/Vanja/Kraas (Hg.), 2011, S. 160. 33 Murken, 1988, S. 141-151. 34 Vgl. Fortier, in: Foucault/Kriegel et al. (Hg.), 1979, S. 47. 35 Murken, 1988, S. 122-123, vgl. auch Murken, 1979, S. 279-285.

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Man hatte insbesondere aus den Erfahrungen des Krim-Kriegs (1853-1856) gelernt, dass in dezentralisierten Lazarettenanlagen die gefürchteten Wundfiebererkrankungen (wie zuvor bei der häuslichen Behandlung) wesentlich seltener auftraten.36 Florence Nightingale (1820-1910), nach welcher die 1888 in Betrieb genommene Kaiserswerther Diakonie heute benannt ist, fasste angesichts ihrer Erfahrungen als Krankenpflegerin im Krim-Krieg in ihrem berühmten Buch „Notes on Hospitals“ die schädlichen Einflüsse für ein Krankenhaus in vier Punkten zusammen: 1. 2. 3. 4.

Anhäufung einer großen Zahl von Kranken unter einem Dach; Mangel an Raum für das einzelne Bett; mangelnde Ventilation und; Mangel an Licht.37

In Deutschland speziell in Berlin, war es vor allem der liberale Pathologe und Reformer Rodolf Virchow (1821-1902), der sich vehement für das Pavillon-Prinzip einsetzte. Denn nach seiner und der Ansicht vieler Beteiligter der „Medicinischen Reform“ – die Ärzte also, die gleichsam die medizinische Avantgarde der bürgerlichen Revolution von 1848/49 darstellten – breiteten sich die Wundfieberepidemien vor allem in den oberen Geschossen der Gebäude aus, sodass man die Flachbauweise bevorzugte.38 Die Folge dieser hypothetischen Annahmen war, dass Pavillonkrankenhäuser mit einer Reihe von „multiplen Dispositiven“ 39 ausgestattet wurden, wie z.B. mit Klimatechniken auf Grundlage des Gebäudekörpers (sogenannte Firstventilation) anstatt Ventilatoren, geräumigere Aufteilung der reduzierten Bettenzahl in möglichst lichtdurchfluteten Räumen, leistungsfähigere Sanitäranlagen mit Anschluss an das städtische Versorgungssystem sowie mit effizienteren Registrierungs- und Aufschreibesystemen. 40 Jeder Pavillon einer Krankenanstalt sollte gleich sein und einen eigenen autarken, nach Alter, Krankheit und Geschlecht spezifischen

36 Ebd., S. 123. 37 Nightingale zitiert nach ebd., S. 124. 38 Murken in: Stollberg/Vanja/Kraas (Hg.), 2011, S. 164 und Labisch, in: ders./Spree (Hg.), 1996, S. 273. 39 Unter dem Begriff „Dispositiv“ versteht Foucault ein „entschieden heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebensowohl wie Ungesagtes umfasst. […] Das Dispositiv selbst ist das Netz, das zwischen diesen Elementen geknüpft werden kann.“ (Foucault, 1978, S. 119-120) 40 Siehe Einleitung, in: Foucault/Kriegel et al. (Hg.), 1979, S. 6 sowie u.a. Murken, in: Stollberg/Vanja/Kraas (Hg.), 2011, S. 166 ff.

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Mikrokosmos darstellen, der über sein eigenes zugewiesenes pflegerisches und ärztliches Personal verfügt und im Notfall (z.B. im Falle einer Epidemie) wie ein eigenes kleines Krankenhaus funktionieren kann. 41 Die meisten Anstalten nach Pavillon-Muster waren baulich und topographisch darauf angelegt, bei Bedarf erweitert (supplementiert) zu werden; zudem gab es ganze Produktionsserien verschiedener transportabler, zerlegbarer Baracken, die je nach Bedarf auf-, abgebaut oder unplatziert werden konnten. 42 Die „Licht-“ bzw. „Luftinseln“ waren nicht nur gebäudetechnisch von großen Vorteil (u.a. für die räumliche Trennung der Abteilungen), sondern sie boten den neu aufkommenden Strömungen sowohl im chirurgischen, wie auch im internistischen Bereich eine neu Form des Experimentierfeldes.43 Der „ärztliche Blick“ als Wahrnehmungskonfiguration in der klinischen Praxis und seine Rolle für die „naturwissenschaftliche Medizin“ Neben der räumlichen Restrukturierung der Krankenhausbauten und -anlagen ist der Individualisierungsprozess, in dem jeder Kranke zunächst sein eigenes, fest zugewiesenes Bett bekam und eine minutiöse und tägliche Protokollierung des Krankheitsverlaufs, des Patientenverhaltens usw. erfolgte, ein weiteres Kennzeichen des Wandels vom Hospital alten Typs zum modernen Krankenhaus. 44 Das Bett des Kranken wurde zunehmend zum Feld der Untersuchung und das Interesse des „ärztlichen Blicks“ verlagerte sich vom Kranken und seinem Leiden als Person hin auf die Erforschung und Behandlung seiner Krankheit, und zwar mit dem Zweck, auch andere Kranke besser erkennen und behandeln zu können. 45 Epistemisch bedeutsam ist, dass durch diesen „Blick“ sich das Verhältnis von Subjekt und Objekt fundamental verschiebt: „Der Blick reduziert nicht mehr, er begründet vielmehr das Individuum in seiner unreduzierbaren Qualität. Und dadurch wird es möglich, eine rationale Sprache um es herum zu organisieren. Das Objekt des Diskurses kann ebensogut ein Subjekt sein, ohne dass die Gestalten der Objektivität dadurch verändert würden.“46

41 Vgl. u.a. Weindling, in: Labisch/Spree (Hg.), 1996, S. 174 und Murken, in: Stollberg/Vanja/Kraas (Hg.), 2011, S. 166. 42 Murken, 1988, S. 130. 43 Vgl. Beguin, in: Foucault/Kriegel et al. (Hg.), 1979, S. 40, siehe auch Murken, 1988, S. 127. 44 Jütte, in: Labisch/Spree (Hg.), 1996, S. 39. 45 Ebd., S. 45 und Foucault, 2008 [1963], S. 111-112. 46 Foucault, 2008 [1963], S. 12, Hervorh. im Original.

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Der „klinische“ oder „ärztliche Blick“ implementiert ein skopisches Regime in den Raum medizinscher Praxis. Diese Veränderung des Blicks wurde nach Foucault durch die Öffnung der Körper in der Tiefe durch Obduktion manifest und konnte sich erst nach der Einführung dieser Methode durch den Begründer der pathologischen Anatomie Xavier Bichat (1771-1802) mit dem „Flächenblick“ des klassischen Zeitalters verbinden. 47 Die pathologische Anatomie schrieb vor, den Körper in den Massen seines Organismus zu befragen. Eine Methode hierfür war die 1761 eingeführte Perkussion (das zu diagnostischen Zwecken durchgeführte Abklopfen der Körperoberfläche) und die 1816 eingeführte Auskultation (Abhören des Körpers, insbesondere der Herztöne). Die akustischen Zeichen warfen im wahrsten Sinne des Wortes ein Netz von anatomisch-pathologischen Markierungspunkten über den lebenden Körper, denen auch die Obduktion zu folgen hatte: Richtete sich der Blick des (‚alten‘) Klinikers auf Abfolgen und Gruppierungen pathologischer Ereignisse (Symptome) in Form einer zweidimensionalen seriellen Analyse (Tableau), so gliederte der (‚neue‘) anatomisch-klinische Blick ein Körpervolumen, deren komplexe räumliche Gegebenheiten (zum ersten Mal in der Geschichte der westlichen Medizin) dreidimensional waren.48 Diese „neue Semiologie“ implizierte nicht nur ein „Gewebe von Sichtbaren und Lesbaren“ (gemeint sind hier frühe Formen der Histologie Bichats), sondern beruhte auf einer „Triangulation der Sinne: Zum ersten Mal verbinden sich das Hören und das Berühren mit dem Sehen.“ 49 Mit dieser Ausrüstung umfasst der „ärztliche Blick“ mehr als das Wort „Blick“ erahnen lässt, denn durch die Kombination von Sehen-Hören-Berühren wird eine Wahrnehmungskonfiguration definiert, die die zunächst unsichtbare Krankheit mit Markierungspunkten umzingelt, ihre Tiefe auslotet, sie an die Oberfläche zieht und ihre Verteilung auf die Organe des lebenden Körpers bzw. Leichnams antizipiert. 50 Mit dem Aufkommen des „ärztlichen Blicks“ wurde nach Foucault ein Raum aufgespannt, „dessen Tiefenstruktur vom Gegensatz zwischen gesund und krank bestimmt war.“51 Die Herausbildung des Normalwert-Konzepts im Zusammenhang mit diagnostischen Untersuchungen ist von einem sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts herausbildenden quantitativen Denken in der Medizin geprägt. 52 Entgegen vitalistischen Konzepten propagierte die „naturwissenschaftliche“ oder „physiologische Medizin“ der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dass Krankheit nicht nur denselben Gesetzen wie Gesundheit unterworfen ist, sondern dass auch

47 Vgl. ebd., S. 142. 48 Vgl. ebd., S. 176. 49 Ebd. 50 Ebd., S. 177-178. 51 Foucault, 2008 [1963], S. 52-53. 52 Büttner, in: Hess (Hg.) 1997, S. 17.

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zwischen physiologischen und pathologischen Vorgängen kein prinzipieller, sondern nur ein quantitativer Unterschied besteht.53 Der von dem berühmten französischen Physiologen Claude Bernard (1813-1878) im Jahre 1865 eingeführte Begriff des „milieu intérieur“54 war ein zentrales theoretisches Konzept für die Klärung des Normalbegriffs der Inneren Medizin. Es war von nun an möglich, auf Grundlage einer „experimentellen Medizin“ und „rationellen Pathologie“ quantitative Messgrößen und die Veränderungen der Werte auf einer kontinuierlichen Skala, die vom gesunden zum krankhaften Zustand führten, in Beziehung zu setzen und so den Organismus selbst als offenes, veränderliches, aber auch von außen beeinflussbares System zu betrachten. 55 „Die experimentelle Medizin ist also jene Medizin, die den Anspruch erhebt, die Gesetze des gesunden und kranken Organismus zu kennen, nicht nur in der Weise, die ihr gestattet, die Vorgänge vorauszusehen, sondern in einer Art, dass sie innerhalb bestimmter Grenzen sie [die Vorgänge] auch lenken und ändern kann.“56

Die Forscher dieser „experimentellen Medizin“ müssen zugleich Theoretiker und Praktiker sein:57 • Sie haben durch eine „provozierte“58 (also künstlich hergestellte) Beobachtung

eine wissenschaftliche Tatsache festzustellen. • Aufgrund dieser Tatsache bearbeiten die Forscher eine „Idee“ (oder einen experimentellen Entwurf). • Dank dieser Idee stellen sie sich die materiellen Bedingungen vor und richten sie her (sie entwerfen ein Experimentalsystem). • Aus diesem Versuch ergeben sich neue (zum Teil unvorhersehbare) Vorgänge, die beobachtet und neu kontextualisiert werden müssen (epistemische Dinge).59

53 Ebd. S. 19 sowie primär Bernard, 1961 [1865] S. 266, siehe auch Canguilhem 1977 und 1979 S. 75-89 sowie S. 89-110. 54 Bernard verstand hierunter zirkulierende Flüssigkeiten (Lymphe, Plasma), die im Organismus die Zellen umgeben und benetzen (Büttner, in: Hess [Hg.], 1997, S. 20). 55 Ebd. 56 Bernard, 1961 [1865], S. 276. 57 Ebd. S. 2. 58 Ebd., S. 42, vgl. zu Provokationsexperimenten an transgenen Mäusen Kap. 3.3 der vorliegenden Arbeit. 59 Vgl. ebd. S. 44-45.

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Bernard betont, dass auch Ärzte, die eine Krankheit unter verschiedenen Umständen beobachten und über den Einfluss dieser Umstände nachdenken und daraus durch weitere Beobachtungen zu prüfende Schlussfolgerungen ziehen, experimentell denken.60 Gerade das Krankenhaus als Forschungsstätte stellt dabei einen besonderen Kontingenzraum dar: „Neue medizinische Beobachtungen erfolgen im Allgemeinen durch Zufall: Wenn ein Kranker, der Träger eines bestimmten bis dahin unbekannten Leidens, in ein Krankenhaus kommt […], so stößt der betreffende Arzt nur zufällig auf den Patienten. […] Unter diesen Umständen besteht die Initiative des Arztes darin, zu sehen und die Tatsache die ihm der Zufall bietet, nicht unbeachtet vorübergehen zu lassen, und sein Verdienst beschränkt sich [zunächst, TK] darauf, sie genau zu beobachten.“61

Um aber den genauen Mechanismus einer Krankheit zu erfassen, muss der Arzt auch Physiologe und Experimentator werden, Versuche vorbereiten, Kontrollgruppen einteilen etc.62 Die Überprüfung und Kritik seiner oder anderer Resultate muss „immer auf den unbedingten Determinismus der Tatsachen begründet sein.“ 63 Dieser Determinismus darf allerdings kein starrer sein, denn nach Bernard muss sich die Theorie der Veränderlichkeit und Mannigfaltigkeit der experimentellen Tatsachen anpassen und nicht umgekehrt; auch allgemein anerkannte Theorien sind von daher „als provisorisch, aber nicht als unbedingte Wahrheiten“, also als Entwürfe anzusehen.64 Unter „unbedingten Determinismus“ ist bei Bernard also keine Teleologie, sondern vielmehr eine angemessene und eingreifende Methode gemeint, die die nötigen Voraussetzungen für eine „provozierte“ Beobachtung schafft und zugleich offen für Unvorhersehbares ist. Unter anderem auf dieser Grundlage wandelte sich die Innere Medizin in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von einer „exspektativen“ (einer beobachtenden, aber nicht auf den Krankheitsverlauf einwirkenden) zu einer „aktiven“ und

60 Ebd. S. 35, vgl. hierzu zusätzlich Labisch, in: Jütte (Hg.), 2001, S. 9-32, der das Verhältnis von naturwissenschaftlichem Wissen und ärztlichen Handeln im 19. Jahrhundert in Deutschland umfassend beleuchtet. 61 Ebd. S. 268. 62 Vgl. ebd., S. 35. 63 Ebd. S. 271. 64 Ebd. S. 269-270.

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wissenschaftlich interventionellen Medizin,65 die Beobachtungsdaten als Ausgangspunkt für die theoretische Aufklärung physiologischer Mechanismen nimmt: „Man muss schließlich bei der Beobachtung eines pathologischen Vorgangs, d.h. einer Krankheit, genau die gleichen Voraussetzungen mitbringen wie bei der Beobachtung eines physiologischen Vorgangs. Man muss in gewissem Sinne der Photograph der Natur sein.“ 66

Der Verweis Bernards auf das damals neuartige Verfahren der Fotographie ist auch für die Krankenhausgeschichte programmatisch, da sich wichtige bildgebende Verfahren erst auf Grundlage dieser Technologie entwickeln konnten:67 Musterbeispiel ist der Röntgenapparat, der nach der Entdeckung der X-Strahlen im Jahre 1895 (siehe hierzu Kap. 2.3.1) erstaunlich schnell zur Standardausstattung der Krankenhäuser wurde.68 Im Bereich der Inskriptionsverfahren der graphischen Methode ist auch das EKG zu nennen (siehe Kap. 1.6.2 und für frühe EKG-Forschungen in Düsseldorf Kap. 2.2). Es erlaubte, einen zuvor nie dagewesenen qualitativen Zugang zur elektrischen Funktion des Herzens und brachte dieses Organ durch neuartige Mensch-Maschine-Kopplungen zum ersten Mal in der Medizingeschichte „zum Schreiben“.69 Die Folge war eine tiefgreifende Transformation des bereits im Laufe des 19. Jahrhunderts aufgekommenen „klinischen Blicks“ (Foucault, s.o.) zu einem erweiterten, apparativ-gestützten Blick in das Körperinnere, wodurch ein neues Regime der Sichtbarkeit entstand, das die Relation zwischen Sichtbarem, Unsichtbarem und Sagbarem in entscheidender Weise modifizierte: „Die Anwesenheit der Krankheit im Körper mit seinen Spannungen und Verbrennungen, die stumme Welt der Eingeweide, die ganze schwarze Innenwelt des Körpers, die von augenlosen Träumen bebildert wird – sie werden vom reduzierten Diskurs des Mediziners in ihrer Objektivität bestritten und zugleich als Objekte [hier, an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert als Inskriptionen, TK] für seinen positiven Blick begründet.“70

65 Ebd. S. 275 und S. 38, siehe auch Foucault, 2008 [1963], S. 35. Für den um die Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem in Deutschland verbreiteten „therapeutischen Skeptizismus“ bzw. „Nihilismus“ siehe Labisch, in: Jütte (Hg.), 2001, S. 14-16. 66 Bernard, 1961 [1865], S. 269. 67 Hübner, 2004, S. 9. Robert Koch, der die Fotographie für die Darstellung von Krankheitserregern einsetzte, pries sie als mobile, aber unveränderliche virtuelle Zeugen (Gugerli zitiert nach ebd., S. 9, FN 35, vgl. auch das Latour’sche Konzept der „immutable mobiles“, siehe hierzu Kap. 1.4.1 der vorliegenden Arbeit). 68 Labisch, in: ders./Spree (Hg.), 1996, S. 274-275. 69 Borck, in: Hess (Hg.), 1997, S. 66. 70 Foucault, 2008 [1963], S. 8.

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Gleichzeitig stellten solche modernen apparativen Ausstattungen völlig neue räumliche und technische Anforderungen an die Krankenhausplanung. Sprach noch während der 1860er und 1870er Jahre alles für eine möglichst dezentrale Architektur und Organisation des Krankenhauses, so änderte sich diese Sichtweise innerhalb der folgenden drei Jahrzehnte erneut; das zentrale Krankenhaus rückte wieder in den Mittelpunkt des Interesses.71 Vor allem vom ärztlichen Standpunkt aus war die dezentrale Bauweise der Pavillonkrankenhäuser, die wesentlich mehr Bau- und Betriebskosten als der zentrale Mehrgeschossbau verschlang am Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr gerechtfertigt. Dieser Trend wurde dadurch verstärkt, dass neben den oben beispielhaft genannten neuen Apparaten auch die Forschung im Labor und balneologische Einrichtungen zum integralen Bestandteil der Krankenhausmedizin wurde, was die räumlichen Anforderungen der Krankenanstalten weiter verschärfte.72 Die 1907 in Düsseldorf eröffneten „Städtischen Krankenanstalten“ in Verbindung mit der „Akademie für praktische Medizin“ antwortete auf diese neuen betriebsökonomischen Anforderungen mit einer entschieden verdichteten Bauweise, ohne dabei jedoch – hinsichtlich der Aufteilung der Gesamtanlage – den aufgelockerten Pavillon-Stil komplett abzuschaffen. 2.1.2 Gründung der Städtischen Krankenanstalten und der Akademie für praktische Medizin in Düsseldorf Während vergleichbare Städte ab der Mitte des 19. Jahrhunderts große städtische Krankenhäuser errichteten, hatten sich in Düsseldorf die Stadtväter der Verantwortung für die sogenannten städtischen Armenkranken, zu deren Versorgung sie nach der Armengesetzgebung verpflichtet waren, weitgehend 73 durch Verträge mit konfessionellen Krankenhäusern entledigt. 74 Nach einer Zeit der Übergangslösungen

71 Thomann, in: Labisch/Spree (Hg.), 1996, S. 147. 72 U.a. Murken, 1979, S. 310 und Hübner, 2004, S. 14. 73 Das erste, allerdings schlecht ausgestattete städtische Krankenhaus in Düsseldorf war das 1802 auf dem Grundstück des Hubertushospitals gegründete Max-Josefs-Krankenhaus, welches mit seinen 32 Betten in jeder Hinsicht überfordert war (Plassmann, in: Halling/Vögele [Hg.], 2007, S. 64). 74 Ebd. Siehe zu diesem Modell städtischer Krankenhauspolitik auch: Labisch/Tennstedt, in: Labisch/Spree (Hg.), 1996, S. 297-319. Diese konfessionellen Häuser waren das in der Altstadt gelegene seinerzeit (1831) fortschrittliche Cellitinnen-Krankenhaus (seit 1912 Theresien-Krankenhaus), dann das 1864 begonnene Evangelische Krankenhaus und das 1867 begonnene Marienhospital letztere beiden dienten im deutsch-französischen Krieg als Lazarette (siehe Jansen, in: Wiener/v. Hülsen-Esch/Körner [Hg.], 2014, S. 76 sowie Plassmann, in: Halling/Vögele [Hg.], 2007, S. 64 ff.). 1862 wurde die von Albert Mooren

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und Provisorien75 am Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Unzufriedenheit mit den bestehenden Krankenhäusern angesichts der rasanten Entwicklung Düsseldorfs zu einer Industriestadt immer größer.76 Bereits im Jahre 1897 erwarb die Stadt ein südlich des Zentrums gelegenes, zunächst ca. fünf Hektar großes Gelände in Stoffeln, in direkter Nachbarschaft zum Pflegeheim an der Himmelgeisterstraße, welches aufgrund von erstellten Obergutachten und mehrfachen Umplanungen durch Zukäufe und Beschlagnahmeverfahren auf letztendlich knapp neun Hektar erweitert wurde.77 Wesentlich neu an dem „Programm zum Neubau eines allgemeinen städtischen Krankenhauses zu Düsseldorf“ war, dass die Anstalt nicht als einfaches Armenkrankenhaus geplant wurde, sondern als Prestigeobjekt, als „Musteranstalt“, welche die medizinische Versorgung der gesamten Bevölkerung, also auch der Mittel- und Oberschicht sicherstellen und der Stadt durch diese „Selbstzahler“ zu neuen Einnahmequellen verhelfen sollte. 78 Betrachtet man die gesamte Planungszeit der Anstalten, wird deutlich, wie man sich allmählich vom Pavillonkonzept löste und nur noch eine aufgelockerte Bauweise beibehielt. Noch um 1900 sah der bereits verabschiedete Entwurf für die Chirurgie zweigeschossige Pavillonbauten vor. Die Änderungen dieser Pläne, die bis 1904 durchgeführt wurden, gingen im Wesentlichen auf die Vorschläge des Düsseldorfer Stadtbaurates Johannes Radke (1853-1938) zurück.79 Die gesamte von Bäumen umfriedete parkähnliche Anlage umfasste 25 Bauten mit 745 Krankenbetten und glich einer kleinen, nahezu autarken Stadt auf einem mit Wegen und Grünflächen gegliederten Terrain (Abb. 9).

(1828-1899) geleitete Städtische Augenklinik eröffnet, die allerdings trotz ihrer überregionalen Bedeutung 1888 wieder geschlossen wurde (Jansen, in: Wiener/v. HülsenEsch/Körner [Hg.], 2014, S. 76). 75 So errichtete die Stadt ein 1894 in Betrieb genommenes Barackenkrankenhaus an der Eisenstraße im industriell geprägten Oberbilk mit 140 Betten (Ebd., S. 76-77). 76 Vgl. Halling, in: ders./Vögele (Hg.), 2007, S. 38 ff. und Plassmann, in: ebd., S. 65-66, vgl. allgemein Woelk, 1996. 77 Plassmann, in: Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 67. 78 Vgl. Labisch, in: ders./Spree (Hg.), S. 278-279 und Halling/Kleinöder, in: Halling/ Vögele (Hg.) 2007, S. 250-251. 79 Murken, 1979, S. 319.

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Abbildung 9: Die Städtischen Krankenanstalten Düsseldorf.

Quelle: Abbildung 9A: Hoffmann, Methods & Problems of Med. Educ., 1929 (11), 19-27; Abbildung 9B: Greve, 1907. Copyright: Rockefeller Foundation (9A) und Verlag A. Bagel, Düsseldorf (9B). Legende zu Abbildung 9: A) Luftbild. B) Lageplan der Städtischen Krankenanstalten von 1907.

Zwei Gebäude waren der Verwaltung vorbehalten, ein Gebäude für die Infektionsaufnahme, es gab vier Wirtschaftsgebäude, zwei Gebäude für das wissenschaftliche Institut, eine Kapelle und die eigentlichen Krankenhausbauten. Die Anlage verfügte über eigene Werkstätten, Wäscherei, Gärtnerei, Viehzucht, Metzgerei und Großküchen. Das mit teils geschwungenen, teils gerade geführten Wegen und baumgesäumten Grünflächen gegliederte Gelände war durch die den Wegen folgenden Begrünungen sowohl in Parzellen strukturiert als auch durch das Grün zusammengefasst, wie es sich – parallel zu den Volksgärten – mit dem Reformkonzept der Pavillonkrankenhäuser seit den 1860ern durchgesetzt hatte. Das Verhältnis von Garten zu Architektur hatte sich hier gegenüber der älteren Tradition umgekehrt: Nicht mehr rahmen die Bauten begrünte Innenhöfe, sondern Grünflächen fassen die Gebäude ein.80 Im Hinblick auf die Bauweise der Funktions- und Bettenhäuser kommt der Düsseldorfer Anlage – ähnlich wie dem Bamberger Krankenhaus (1789) für den Korridorbau, dem Berliner Krankenhaus „Im Friedrichshain“ (1874) für den Pavillonbau – innerhalb der deutschen Krankenhausgeschichte eine Schlüsselrolle zu: Denn sie zeigt wie keine andere dieser Zeit das Abrücken vom Pavillonsystem zugunsten einer dichteren und betriebswirtschaftlich besser nutzbaren mehrgeschossigen Bauweise. Außer der Infektionsabteilung waren alle Krankengebäude zwei- bis dreigeschossig ausgebaut und bestanden aus mehreren Gebäudeflügeln. In keinem dieser Häuser fand man auch nur einen Krankensaal, dessen Längswände Außenmauern 80 Jansen, in: Wiener/v. Hülsen-Esch/Körner (Hg.), 2014, S. 79.

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waren, sodass mindestens eine Längswand mit großzügigen Fenstern für genügend Licht sorgte. Die für damalige Verhältnisse besonders fortschrittliche Baukommission hatte sich auf den Wandel der Krankheitsbilder – vor allem im chirurgischen Bereich – eingestellt.81 Die im Pavillonsystem üblichen lichtdurchfluteten riesigen, gut zu belüftenden Krankensäle wurden zugunsten kleinerer Krankenzimmer in Verbindung mit großzügigen südlichen Veranden ersetzt, um weiterhin auf das bewährte Prinzip „Licht, Luft, Sonne“ setzen zu können. 82 Die aufgelockerte Stellung der Gebäude im Krankenhausareal lässt noch Züge des in Deutschland bis in die 1930er verbreiteten Pavillonschemas erkennen.83 In der Mittelachse des Areals stand als Frontbau das dreiflügelige Verwaltungsgebäude, welches auch Räumlichkeiten zur Patientenaufnahme, für Laboratorien und die Bibliothek bereitstellte und in der Mitte die Einfahrt barg. Am Ende der Mittelachse lag die Kapelle. Zwischen beiden Häusern befanden sich zu beiden Seiten eines großen Gartenplatzes pavillonähnliche Bauten,84 ohne dass ein starres Achsensystem symmetrischer Baukörperbezüge erkennbar gewesen wäre (vgl. Abb. 9 Lageplan mit Vogelschau). Die Gebäude hatten dabei eine – analog zur Reputation der jeweiligen Kliniken – hierarchische Größe und Anordnung. Bei der funktionellen Zuordnung der Klinikbauten achtete man darauf, dass diejenigen Spezialfächer, die aus medizinischen Gründen häufig zusammenarbeiteten, auch räumlich einander nahelagen.85 Der Chirurgische Pavillon Der Chirurgische Pavillon im Zentrum auf der Mittelachse war mit den operativen Kliniken Chirurgie, Gynäkologie und Geburtshilfe, Hals-Nasen-Ohren- (HNO) sowie Augenheilkunde als Herzstück der Anlage geplant worden. Er fasste 216 Betten und entsprach den Anforderungen einer neuen, zweckmäßigeren Bauweise und damit einem neuen Funktionalismus im Krankenhausbau (Abb. 10).

81 Murken, 1979, S. 320. 82 Vgl. Jansen, in: Wiener/v. Hülsen-Esch/Körner (Hg.), 2014, S. 79-82 und Murken, 1979, S. 318-320. Das Kesselhaus lag aus technischen Gründen an der nordwestlichen Ecke des Geländes, weshalb durch die Hauptwindrichtung eben aus Nordwest das übrige Gelände mit Rauch belästigt wurde, was die bewährte Freilufttherapie konterkarierte (Alter, in: Schloßmann [Hg.], 1926, S. 9-10). 83 Vgl. Murken in: Stollberg/Vanja/Kraas (Hg.), 2011, S. 180. 84 Murken, 1979, S. 319. Obwohl diese Häuser mehrstöckig gebaut worden waren, bezeichnete man sie typischerweise für die damalige Zeit als Pavillonbauten. Zu sehr standen die Krankenhausplaner damals noch unter dem Eindruck der großen Pavillonkrankenhäuser Berlin, Hamburg und Nürnberg. 85 Halling, in: ders./Vögele (Hg.), 2007, S. 41.

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Abbildung 10: Vorläufer von Plattform-Hospitälern: Die Chirurgische Klinik der Städtischen Krankenanstalten Düsseldorf (1903-1907), Ansicht von Nord, Postkarte von 1909.

Quelle und Copyright: Universitätsklinikum Düsseldorf, Unternehmenskommunikation.

Der nördliche Flügel mit den polygonalen, durch gleichmäßiges Nordlicht bestens ausgelichteten Operationssälen war eingeschossig, während die drei übrigen Flügel dreigeschossig waren.86 Das Gebäude gliederte sich um zwei Lichthöfe, die durch einen Mitteltrakt getrennt waren. Der Mitteltrakt verband das Bettenhaus mit dem im nördlichen Flügel gelegenen Operationstrakt. Aufgrund der damals neuen funktionellen Zuordnung von Operationssälen im eingeschossigen Flachbau (Podium) und den Krankenstationen im mehrgeschossigen Bettenbau (Tower) kann der Chirurgische Pavillon als ein Vorläufer der Plattform-Krankenhäuser bezeichnet werden. Dies war ein Zeichen dafür, wie sehr man sich in Düsseldorf (und im Unterschied zu vergleichbaren deutschen Anlagen dieser Zeit) mit den neuen Anforderungen, die durch die Asepsis geschaffen worden waren, vertraut gemacht hatte. 87 Denn neben diesen Baumaßnahmen wurde in der Düsseldorfer Anstalt zum ersten Mal in der Krankenhausgeschichte die Maßnahme zur strikten Trennung der septischen von den nicht septischen chirurgischen Fällen konsequent umgesetzt.88 So wurden in die Chirurgische Klinik nur die nicht septischen Fälle aufgenommen, während alle septisch chirurgisch Erkrankten in der Klinik für Infektionserkrankungen unterkamen, die eine besondere Abteilung für chi-

86 Jansen, in: Wiener/v. Hülsen-Esch/Körner (Hg.), 2014, S. 85-86. 87 Murken, 1979, S. 320. 88 Vgl. Schadewaldt, 1973, S. 39.

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rurgische Infektionen hatte und in welcher der Leiter der Chirurgischen Klinik konsultativ hinzugezogen wurde.89 Die Medizinische Klinik Die Medizinische Klinik war zunächst in den Gebäuden der heutigen Hals-NasenOhren- und Augenklinik untergebracht. 90 Mit dem Internisten August Hoffmann (1862-1929) wurde – gemäß dem Wunsch des Vereins der Ärzte Düsseldorfs – nicht nur ein heimischer Facharzt zum Klinikdirektor der Inneren Abteilung gewählt, sondern auch ein in Verwaltung und Politik wohl bekannter und kompetenter Fachmann.91 Nachdem die Akademie für praktische Medizin im Jahre 1919 (nach Weltkrieg-bedingten Anfangsschwierigkeiten) den klinischen Unterricht aufnahm, erhielt sie im Jahre 1923 eine Rektoratsfassung und wurde in „Medizinische Akademie Düsseldorf“ umbenannt. Steigender Bettenbedarf machte den ersten großen Klinikneubau innerhalb des schon 1907 auf bauliche Erweiterung angelegten Geländes erforderlich. Die Arbeiten an dem eigentlich für die Frauenklinik vorgesehenen Neubau kamen im Jahre 1922 aufgrund der inflationsbedingten Finanznot der Stadt jedoch ins Stocken. 92 Als der Anstaltsverwaltung und dem Stadtbauamt vorschwebte, den bereits errichteten Teil des Gebäudes für den Betrieb einer Privatstation der Medizinischen Klinik nutzbar zu machen, witterte der sich bereits bei der Planung der Krankenastalten durch großes Verhandlungsgeschick verdient gemachte Direktor der Medizinischen Klinik Hoffmann93 die Gunst der Stunde: In der Hoffnung auf den Bezug des Neubaus bot er an, die Einrichtung der provisorischen Klinik aus Eigenbeständen bzw. kostengünstigen Selbstbauten der eigenen Werkstätten zu stellen und sich auf die notwendigsten Anschaffungen zu beschränken. 94 Aus der ursprünglichen „Übergangslösung“ stellte sich zunehmend Gewissheit ein und am 03.06.1923 wurde offiziell beschlossen, den Neubau als Medizinische Kli-

89 Ebd. 90 Schönberg, 1975, S. 202. 91 Plassmann, in: Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 72. 92 Halling/Kleinöder, in: ebd., S. 251. 93 Nach der Ablehnung Witzels 1923 wurde Hoffmann zusätzlich erster Rektor der Medizinischen Akademie (von 1923-1924, Koppitz/Halling, in: ders./Vögele [Hg.], 2007, S. 143). 94 Halling/Kleinöder, in: ebd., S. 252. Im Nachhinein lässt sich auf Basis der überlieferten Quittungen und Einrichtungslisten der Folgemonate jedoch rekonstruieren, dass wohl doch die eine oder andere Neubeschaffung getätigt wurde, was auch auf ein Umdenken auf der Seite der Stadt hinweist, die rechtzeitig bestellten – und damit ohne Teuerungsraten versehenen – Inventarneubeschaffungen nicht abgeneigt gewesen zu sein schien (ebd.).

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nik fortzuführen.95 Die Frauenklinik konnte als ursprünglich angedachte Besitzerin jenes Neubaus ebenfalls ein eigenes Gebäude, wenn auch nicht ein neu errichtetes, beziehen. Man brachte sie im aufwendig umgebauten Privatpavillon unter, den die Medizinische Klinik im Gegenzug räumen sollte. Die insgesamt 68 Mio. DM teureren Umstrukturierungsmaßnahmen gipfelten mit der feierlichen Eröffnung des für die Bedürfnisse der Medizinischen Klinik aufwendig umgebauten Baus III (Abb. 11), der eine integrierte Tuberkuloseabteilung umschloss.96 Mit dem Neubau der Medizinischen Klinik verfügte man nun über eine der modernsten Einrichtungen für Innere Erkrankungen in Deutschland, die den gesamten Städtischen Krankenanstalten eine bedeutsame betriebsökonomische Zentralisierung bot.97 Der Bau war zudem der letzte, der sich sowohl gestalterisch als auch raumplanerisch bestens in das ursprüngliche Architektur- und Achsenkonzept der Düsseldorfer Krankenanstalten eingliederte. Im Grunde ist dieser Bau eine Übersetzung des Chirurgischen Pavillons in die Bedürfnisse einer inneren Abteilung. 98 Abbildung 11: Neubau der Medizinischen Klinik von 1924.

Quelle: Hoffmann, Methods & Problems of Med. Education., 1929 (11), S 22. Copyright: Rockefeller Foundation.

95 Ebd., S. 253. 96 Vgl. ebd. 97 Vgl. Halling/Kleinöder, in: Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 253. 98 Jansen, in: Wiener/v. Hülsen-Esch/Körner (Hg.), 2014, S. 88.

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So konnte sich die Ausstattung der Medizinischen Klinik mit dem damaligen internationalen Standard messen. Im Kellergeschoss waren alle Räume untergebracht, die der ganzen Klinik gemeinsam dienten: so unter anderem der Hörsaal mit 120 Sitzplätzen, das Röntgeninstitut, die Bibliothek, ein Raum für Tieruntersuchungen, in welchem sich vor allem die Einrichtungen zur Beobachtung des (ex vivo) überlebenden Säugetierherzens befanden, die elektrokardiographische Abteilung, das Gaswechsellaboratorium sowie auf der Nordseite des Gebäudes das mikroskopische Laboratorium.99 Die darüberliegenden Geschosse dienten zur Krankenbehandlung, wobei sich im Erdgeschoss sowohl die Privatabteilung als auch eine Abteilung für Stoffwechselkranke befanden. Im ersten Obergeschoss waren die Abteilungen für Männer, im zweiten Obergeschoss jene für Frauen untergebracht. Im Dachgeschoss waren Räume für Schwestern und Personal eingerichtet, in denen insgesamt 62 Personen wohnten.100 Zur Medizinischen Klinik gehörte noch das zentral gegenüber der Kapelle gelegene Therapeutische Institut, welches im Zweiten Weltkrieg zerstört und nicht wieder aufgebaut wurde. Es umfasste alle Einrichtungen für Hydrotherapie, Mechano- und Elektrotherapie, Feucht- und Trockeninhalation und einige gymnastische Apparate.101 Im Folgenden Abschnitt werden das für Plattform-Krankenhäuser typische „tower-on-podium“-Konzept und die beiden ersten genuinen Plattform-Krankenhäuser der Medizinischen Akademie bzw. der späteren Universität Düsseldorf vorgestellt und in eine supplementäre Umbaugeschichte eingeordnet. Die Beschreibung der Planungsphasen und der Baukörper erfolgt dabei u.a. anhand von Material aus dem Archiv der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU-Archiv). 2.1.3 Plattform-Krankenhäuser in Düsseldorf (Architektur): die Chirurgische Klinik (1958) und die MNR-Klinik (1985) Wie in Kap. 1.5 der vorliegenden Arbeit angekündigt wird im Folgenden der Plattformbegriff von Keating und Cambrosio aufgegriffen, um die Entstehung des Plattform-Krankenhauses zu skizzieren und die beiden genuinen Plattform-Krankenhäuser der Medizinischen Akademie bzw. der Universität Düsseldorf vorzustellen. Anschließend (Kap. 2.1.4) werden die betriebsökomischen, organisatorischen und kooperativen Voraussetzungen geklärt, die es ermöglichten, einen kardiovaskulären

99

Schönberg, 1975, S. 13 sowie Hoffmann, Methods & Problems of Med. Educ., 1929 (11), 19-27, hier S. 22 ff.

100 Schönberg, 1975, S. 14. 101 Ebd. sowie Hoffmann, Methods & Problems of Med. Educ., 1929 (11), 19-27, hier S. 26.

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Schwerpunkt in Düsseldorf und die dazu notwendige Hospital-Plattform (im Sinne Keatings und Cambrosios) zu etablieren. Das bauliche und betriebliche Konzept des Plattform-Krankenhauses Während man in Deutschland noch bis nach dem Ersten Weltkrieg weitgehend auf dezentrale Strukturen baute, entstanden in Nordamerika die ersten Hochhauskrankenhäuser. Das erste Krankenhaus dieser Art in Europa mit Aufgaben der Maximalversorgung mit 1.100 Betten war das Hôpital Beaujon (1935-1935) im Pariser Vorort Clichy.102 Hier wurde erstmals und konsequenterweise das im ersten und eingangs zu diesem zweiten Kapitel erwähnte Prinzip des „tower-on-podium“ umgesetzt, welches im völligen Kontrast zu dem bisherigen Pavillon- und Blocksystem stand. Der zweigeschossige Funktionsbau für Aufnahme, Ambulanz und Therapie wurde in ökonomischer Weise mittels kurzer Vertikalwege, unterstützt von Aufzügen, mit dem zwölf-geschossigen Bettenhochhaus verbunden. Dieses – im Chirurgischen Pavillon der Städtischen Krankenanstalten Düsseldorf bereits vorgezeichnete – Verknüpfungssystem eines Bettenhochhauses mit einer davor oder darunter gelegenen flacheren Funktionszone (Plattform), die insbesondere für aufwendige medizintechnische Apparaturen Platz bot, sollte bald Standard im Krankenhauswesen der Nachkriegszeit werden.103 Die architektonische Antwort auf die neuen betriebsökonomischen Anforderungen der sich im Nachkriegsdeutschland rasant entwickelnden Medizin erschien einfach und effektiv und war vor allem von der Maßgabe geleitet, kurze und zweckmäßige Wege zwischen den verschiedenen Einrichtungen und Fachabteilungen zu schaffen. So sollten die Überwachung der Patienten und die Kommunikation mit ihnen sowie die Anleitung der Auszubildenden und Studenten ohne großen räumlichen und zeitlichen Aufwand gewährleistet werden. 104 Beeinflusst von neuen Konzepten der Städteplanung und neuen Vorstellungen der Raumstruktur verschob sich der Fokus vom zweidimensionalen Tableau der Pavillonkrankenhäuser hin zum dreidimensionalen Wege- und Raumnetz eines Großbetriebs, in welchem gleichwertige Teile des Ganzen die Möglichkeiten erhielten, ungehindert untereinander sowohl auf betrieblicher, organisatorischer als auch auf fachlich-praktischer Ebene zu interagieren.105 Bei der Einrichtung von Großkrankenhäusern mit mehr als 200 Betten entwickelte man in den 1950er und 1960er Jahren drei Grundtypen, die sich in der Zuordnung von Bettenstationen und medizinischen Funktionsräumen unterschieden.

102 Murken, in: Stollberg/Vanja/Kraas (Hg.), 2011, S. 174. 103 Ebd. 104 Murken, 1988, S. 234. 105 Vgl. Wischer, in: Marguth/Peter (Hg.), 1985, S. 15.

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Diese drei Grundtypen bilden die Grundlage für die bereits erwähnten PlattformKrankenhäuser (Abb. 12). Gemeinsam war diesen Plattform-Entwürfen nicht nur, dass es sich wie bei vielen anderen städtischen Neuplanungen um preisgekrönte Wettbewerbsentwürfe handelte, sondern auch, dass sie vom Prinzip der Rationalisierung und Flexibilisierung (vor allem der Innenbereiche) durchdrungen waren. Die Abteilungen für Infektionskranke und für tuberkulöse Patienten mit ihren bisher den Krankenhausbau prägenden Merkmalen wie Veranden, Balkone oder Terrassen fielen in der Nachkriegszeit kaum noch ins Gewicht. 106 Abbildung 12: Plattform-Architektur für Krankenhäuser adaptiert nach Murken (1988, S. 235).

Quelle und Copyright: Thomas Krämer.

Die Ära der Antibiotika und mit ihr die Tuberkulostatika ließen die Infektionskrankheiten schon im Anfangsstadium beherrschbar erscheinen und hatten eine räumliche und kapazitive Reduktion der Infektionsstationen zur Folge. Das Credo hieß Zentralisation und Automatisierung nach dem Vorbild der Industrie. Denn verschiedene Faktoren ließen ökonomische Kriterien wie nie zuvor in den Vordergrund

106 Murken, 1988, S. 234.

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treten. Dazu zählten vor allem: Die Entfaltung der biomedizinischen Sekundärstrukturen (z.B. immer aufwendiger werdende Röntgen- und EKG-Analgen, künstliche Dialyse, Herz-Lungenmaschinen, Überwachungsapparate der Vitalfunktionen), der Mangel an qualifiziertem Fach- und Pflegepersonal sowie Einsparungszwänge in diesem Bereich und der steigende energiewirtschaftliche Aufwand.107 2.1.3.1 Die Chirurgische Klinik (1958) Das genuine „tower-on-podium“-Konzept wurde in Düsseldorf erstmals durch den im Jahre 1958 bezogenen Neubau der Chirurgischen Klinik umgesetzt (Abb. 13A). Der heute durch das Zentrum für Operative Medizin I (ZOM I, Inbetriebnahme 2004, Abb. 13B) erweiterte achtgeschossige Bau (Tower) wurde für knapp 400 Betten ausgerichtet und beherbergte im dreistöckigen Behandlungstrakt (Podium) die Operationsräume, in welchen Ernst Derra (1901-1979, siehe Kap. 2.4.1) die deutsche Herzchirurgie mitbegründete. 108 Derra war als Herzchirurg vor allem daran interessiert, die immer aufwendigeren Eingriffe am Herzen in modernen Operationssälen durchzuführen. Zugleich bestand an der Motivation der Stadt, einen renommierten Ordinarius wie Derra zu halten ebenfalls kein Zweifel. 109 Der in Politik und Öffentlichkeit äußerst aktive und präsente Derra schaffte es, durch sein Verhandlungsgeschick ein Netzwerk von einflussreichen Personen, wie Architekten, Akademiemitgliedern, dem Verwaltungsdirektor der Medizinischen Akademie, medizinischen Sachverständigen, den Oberstadtdirektor und seinen Beigeordneten sowie Mitgliedern des Krankenhausausschusses und dem Ratsherrn der Stadt Düsseldorf aufzubauen.110 Dieses Netzwerk bildete die Grundlage für eine in den 1950er in Westdeutschland typische Planungs- und Aufbruchseuphorie, die schließlich in der Zustimmung des Stadtrats für das Neubauprojekt „Neue Chirurgische Klinik“ Anfang des Jahres 1955 gipfelte. 111

107 Ebd. 108 Murken, 1988, 245. 109 Halling/Vögele, in: Jahrbuch der HHU 2005/2006, 2006, S. 683. Derra lehnte bereits 1953 einen ehrenvollen Ruf auf den Lehrstuhl seines akademischen Lehrers Redwitz nach Bonn ab. Auch wenn es keinerlei Hinweise auf Bleibeverhandlungen gibt, könnte kaum etwas anderes als eine entsprechende Zusage für den Neubau der Chirurgie Derras Ablehnung erklären (ebd.). 110 Ebd., S. 684. 111 Vgl. ebd., S. 685.

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Abbildung 13: Die Chirurgische Klinik (nach Murken, 1988, S. 235: 2. Mischtyp, vgl. das Schema in Abbildung 12).

Quelle und Copyright: Abbildung 13A: Archiv Krankenhausbau des XX. Jahrhunderts (TU Berlin), unter: http://www.xxarchiv.de, Stand: 18.03.2013; Abbildung 13B: Universitätsklinikum Düsseldorf, Unternehmenskommunikation. Legende zu Abbildung 13: A) Die Chirurgische Klinik der Medizinischen Akademie Düsseldorf kurz nach ihrer Inbetriebnahme 1958 (Ansicht von Nordwesten). B) Die Chirurgische Klinik mit dem 2004 in Betrieb genommenen Erweiterungsbau „Zentrum für Operative Medizin I“ (ZOM I, Ansicht von Osten).

Der zwölf Stationen und sechs Operationssäle fassende Bau wurde nach den Wettbewerbsentwürfen der Hamburger Architektengemeinschaft Konstanty Gutschow und Godber Nissen gestaltet. Der 1962 durch die Landesregierung NordrheinWestfalens (NRW) zum Professor ernannte Gutschow stand seit 1933 der Sturmabteilung (SA) nahe und wurde 1943 von Albert Speer zum organisatorischen Leiter des „Arbeitskreises für den Wiederaufbau bombenzerstörter Städte“ bestellt. 112

112 Jansen, in: Wiener/v. Hülsen-Esch/Körner (Hg.), 2014, S. 90. Da der zeitweise übermächtige Düsseldorfer Bau- und Planungsdezernent Friedrich Tamms (1904-1980) mit Speer seit Studientagen befreundet und ebenfalls Mitglied in dessen Stab für den Wie-

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Der Bau der Chirurgischen Klinik, den Gutschow ungefähr zeitgleich zur Düsseldorfer Börse und parallel zur baulich sehr ähnlichen Medizinischen Klinik der Tübinger Universität plante,113 war formal verhalten und folgte den klassischmodernen Krankenhäusern der 1920er Jahre, indem die asymmetrischen Baukörpergruppierungen allseitig sichtbar waren.114 Murken (1989) vermutet, dass als Vorbild sowohl für die Tübinger als auch für die Düsseldorfer Kliniken das Hôpital Saint Lô in Frankreich gedient haben könnte.115 Diese Annahme kann aufgrund des im HHU-Archiv aufgefunden Berichts von Konstanty Gutschow „Kleine Frankreichreise. Zur Besichtigung von Krankenhäusern vom 29. August bis 5. September 1953“ für Düsseldorf bestätigt werden.116 Zwar konstatiert Gutschow in diesem Dokument, dass der Gesamteindruck der französischen Krankenhausarchitektur mit ihren Achsen und symmetrischen Anordnungen aufgrund des traditionellen Repräsentationsverlangens französischer Bauten eher Unterschiede als Gemeinsamkeiten mit dem deutschen Krankenhausbau verdeutlicht. 117 Dennoch lobt er den französischen Krankenhausbau für seine „bis zur letzten Konsequenz zu Ende gedacht[en] und funktionsentsprechend[en]“ Betriebsvorgänge, welche an verschiedenen Stellen gekonnt in das traditionelle Achsensystem integriert wurden.118 So auch das 350 Betten aufnehmende Hôpital Saint Lô, bei welchem sich Gutschow sowohl vom betriebstechnisch ausgerichteten Grundriss als auch von der bautechnischen Ausführung inspirieren ließ.119 Mit dem auf der grünen Wiese errichteten Neubau der Chirurgischen Klinik setzte die Ausweitung des Düsseldorfer Klinikareals nach Süden ein, ohne auf die

deraufbau war, ist davon auszugehen, dass Gutschow – als einstiger Kollege aus der Zeit vor 1945 – gerade bei einem solchen großen und repräsentativen Projekt wie dem Neubau der Chirurgie favorisiert wurde (vgl. ebd.). 113 Sowohl der Tübinger als auch der Düsseldorfer Bau zählen zu den wichtigsten Krankenhausbauten der 1950er Jahre in Deutschland. Denn hier wurden die ersten Konturen des Vertikaltyps bzw. der sogenannten Breitfußanlage entwickelt, bei welchen ein streng vertikales Bettengebäude mit ein- bzw. zweigeschossigen Funktionsbauten, die für die betrieblichen, wirtschaftlichen und medizinischen Ansprüche ausgezeichnete funktionelle Lösungen anboten, miteinander verbunden (Murken, 1988, S. 243). 114 Jansen, in: Wiener/v. Hülsen-Esch/Körner (Hg.), 2014, S. 90-91. 115 Murken, 1988, S. 245. 116 Gutschow, „Kleine Frankreichreise. Zur Besichtigung von Krankenhäusern vom 29. August bis 5. September 1953“, in: HHU-Archiv Best. UAD 1/2 Nr. 492, (Lit.verz., AQ: Inst.gesch. HHU). 117 Vgl. ebd., S. 1. 118 Ebd. 119 Vgl. ebd., S. 5.

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ursprüngliche Gestaltung und axiale Ausrichtung der Anstalten von 1907 Rücksicht zu nehmen. Die Struktur der Chirurgischen Klinik war durch ihre zur damaligen Zeit hochmoderne Funktionalität begründet. Die Bauteile bestanden jeweils aus mehrgeschossigen, angeordneten Quadern mit flachen Walmdächern zusammengesetzt aus verschieden hohen Pultdächern, die nicht nur funktionell, sondern auch formal auf den betont asymmetrischen Kontrast von aufragenden Teilen (Bettenhaus, Tower) und breit lagernden Teilen (Funktionsbau, Podium) abzielten.120 Ausgehend vom dreigeschossigen Behandlungsbau in Nord-Süd-Ausrichtung schlossen sich im Süden mit einem Verbindungsbau T-förmig die BettenbautenWest und -Ost an. Verbunden waren sie mit einem nahezu fensterlosen Treppenund Aufzugsturm. Der Bettenbau-West war mit neun Geschossen der höchste der Anlage. In ihm befanden sich ausschließlich mit einem Korridor verbundene Krankenzimmer. Die Gewichtung gegenüber den Klinikbauten der Gründungszeit der Akademie relativiert den therapeutischen Sinn der Licht- und Freilufttherapie zugunsten einer betriebsökonomisch optimierten Belegung, sodass nur die beiden äußeren, breiteren Achsen der Südseite mit vergleichsweise kleinen Loggien versehen waren, während die übrigen Wände nur mit quadratischen Fenstern gegliedert waren.121 Den fünfgeschossigen Bettenbau-Ost war ein Hörsaal angegliedert. In diesem Bau befanden sich der Haupteingang der Chirurgischen Klinik und das Foyer als Besucherhalle im Erdgeschoss. Im ersten Obergeschoss war neben Verwaltungsräumen die Bibliothek angesiedelt. Die oberen drei Geschosse waren Krankenzimmern vorbehalten. Im dreigeschossigen Funktionsbau befanden sich die sechs Operationssäle und die Laboratorien. 122 Verknüpfung von Hoch- und Flachbaukörpern: „kurze Wege“ und „transparente Orientierung“ Das damals im Krankenhausbau neuartige Verknüpfungssystem von Hoch- und Flachbaukörper wies im Vergleich zu den Einzelbauten der Gründungszeit eine Reihe von Vorteilen auf, die jedoch zum Teil in ihrer Ästhetik und Funktionalität zu relativieren sind:123

120 Jansen, in: Wiener/v. Hülsen-Esch/Körner (Hg.), 2014, S. 91. 121 Ebd., S. 92. 122 Ebd. 123 Für folgende Vorteile des Breitfußsystems siehe Murken, 1989, S. 243. Die in Gedankenstrichen eingefügten Relativierungen/Ergänzungen von TK.

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• Hoher Wirkungsgrad durch bauliche Konzentration:

Wodurch der Bau als Ganzes jedoch Gefahr lief, zu einem „Groß-Apparat“ zu werden.124 Befreiung von starren Achsensystemen: - Wodurch in Düsseldorf jedoch die alte ästhetisch wertvolle axiale Ordnung der bisherigen Baukörper zerstört wurde. Direkte Belichtung und Belüftung aller Räume: - Wodurch jedoch das Patienten-freundlichere Prinzip von „LichtLuft-Sonne“ aufgegeben wurde.125 Erweiterungsfähigkeit und Errichtung in Bauabschnitten: - So wurden westlich des Funktionsbaus 1962 die eingeschossige Poliklinik angegliedert und 2004 der Erweiterungsbau des „Zentrums für Operative Medizin I“ in Betrieb genommen (siehe Abb. 13). Synchronisation der seit den späten 1950er Jahren immer spezialisierteren multidisziplinären Teams. Einsparung an Baukosten durch Kombination und Doppelnutzung von Räumen. Befreiung von starren Raumhöhen. -







• • •

Die klare, funktionelle Zuordnung der einzelnen Gebäudeteile wurde durch den organisatorischen Leitgedanken des „kurzen Wegs“ ergänzt: „Keiner verlässt die Station“ war ein Slogan der damaligen Krankenhausplaner, der heißen sollte, dass durch die Einrichtung zentraler Transport- und Botendienste vermieden werden sollte, dass „am Tage immer wieder und wieder Personal die Stationen verlässt, um bald dieses, bald jenes zu holen“.126 So waren nicht nur die zentralen Verkehrswege horizontal als auch vertikal nach den Funktionsbereichen, zu denen sie führten durchdacht und getrennt, es wurde darüber hinaus auch eine Wagentransportanlage

124 Dem „Widerstreit zwischen Apparativem und Menschlichem“ war sich Gutschow in einem Manuskript, das für eine (geplante, jedoch in der Form nie erschienene) Denkschrift zur Eröffnung der Chirurgischen Klinik erstellt wurde, durchaus bewusst (vgl. Gutschow, „Chirurgische Klinik Düsseldorf. Buchveröffentlichung“, S. 1, in: HHU-Archiv, Best. 1/2 Nr. 730, Lit.verz., AQ: Inst.gesch. HHU). 125 Allerdings gab es in der Kinderstation im Erdgeschoss des Bettenhaus-West Liegeterassen für Freilufttherapie der Kinder (Oberstadtdirektor, Dezernat Städtische Krankenanstalten [Hg.], 1960, S. 20). 126 Gutschow, „Chirurgische Klinik Düsseldorf. Buchveröffentlichung“, S. 3, in: HHUArchiv, Best. 1/2 Nr. 730, (Lit.verz., AQ: Inst.gesch. HHU).

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und eine sowohl Dokumente als auch Patientenproben befördernde Rohrpost installiert.127 Stellten im Pavillonbau die einzelnen Pavillons und Barracken abtrennbare, autarke Einheiten dar, so setzte sich die Chirurgische Klinik aus einzelnen „Betriebszellen“ zusammen, die mit einer „gewissen Eigenverantwortlichkeit“ der Aufsicht eines Abteilungsleiters unterlagen. Die Herausforderung dabei war für die Planer, eine sinnvolle Feinabstimmung zwischen zentralisierter und dezentralisierter Organisationsform zu finden.128 Ein weiterer Leitgedanke der Krankenhausplaner um Gutschow war jener der „transparenten Orientierung“. Dabei sprach nach Ansicht des Architekten – und gemäß des in den 1950er recht neuen objektivistischen Dogmas „form follows function“ – aufgrund des klaren Grundrisses jeder Gebäudeteil im wahrsten Sinne des Wortes „für sich“: „Schon beim Näherkommen liest jedermann am Bau die Funktionen ab: Hier, das ist der Behandlungstrakt, dort oben die 6 Operationssäle, da der Hörsaal, dort das Haupttreppenhaus, da der eine hohe Bettenbau mit vielen Krankenzimmern, dort ein niedriger Bettenflügel mit weniger Betten […].“129

Durch das bewusste Sichtbarmachen verschiedenartiger Bereiche wie Wohnen/Schlafen und Behandeln, Forschen und Lehren sollte sich die Chirurgische Klinik „wie […] eine Stadt in Wohnviertel verschiedenen Charakters und in Arbeitsgebiete verschiedener Art mit Hauptverkehrsstraßen und Erschließungsstraßen“ sowie in Erholungsflächen gliedern. 130 Die Zuordnung und Aufteilung der Chirurgischen Klinik bezog sich eher auf eine wissenschaftlich eruierte Sachlichkeit von Funktionen, Arbeitsabläufen, logistischen Relationen und baulichen Konstruktionstechniken sowie inneren Ausstattungserfordernissen als auf eine „schöne Oberfläche“.131

127 Ebd., S. 3-4. 128 Ebd., S. 4. 129 Ebd., S. 3. 130 Ebd., S. 2. 131 Vgl. Wiener (in: ders./v. Hülsen-Esch/Körner [Hg.], 2014, S. 26 und 29), der diesen Umstand äquivalent für den „Beton-Brutalismus“ der Heinrich-Heine-Universität konstatiert und daraus schlussfolgert, dass der Begriff „Schönheit“ hier eher ethisch (weil funktionell) als ästhetisch verstanden wird. Es geht daher nicht in erster Linie um ein Design der schönen Oberfläche (wie bei heutigen „signature buildings“ mit penetrantem Unikatcharakter), sondern um die infrastrukturelle und die Fragen der Medizinversorgung betreffende, soziologische, bildungstheoretische und -politische Auseinanderset-

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Der Leitgedanke der transparenten Orientierung entsprach nicht nur diesem Funktionalismus, sondern zugleich einem dahinterstehenden – und im Krankenhausbau seit dem 18. Jahrhundert präsenten – panoptischen Konzept. So gliederten sich beispielsweise im Bettenbau-Ost die auf einer Ebene mit den Operationssälen liegende klimatisierte Frischoperiertenstation in vier Raumgruppen mit je vier bzw. fünf Einzelbetten. In einer durch Glaswände gegen die Einzelzimmer abgetrennten Zwischenzone lagen die gruppenweise dezentralisierten „Stationsbetriebsräume“. Die Schwester konnte von dieser Zone aus während aller Verrichtungen die Patienten im Auge behalten und ihre qualifizierte Aufsicht gewährleisten. Die Zusammenfassung mehrerer Raumgruppen auf einem Geschoss erleichterte zudem die Visite des Chefarztes wie auch die besondere Betreuung durch Spezialärzte.132 Auch der OP-Bereich war sowohl bezüglich der Arbeitsabläufe als auch hinsichtlich der beteiligten Fächer hochgradig vernetzt: Durch die direkte Aneinanderreihung von Anästhesie- und Vorbereitungszimmer, Operationssaal, Umbett- und Aufwachraum wurde der Trakt nicht nur intensiv genutzt, sondern auch die Vorund Nachbehandlung sowie die Forschung am Patienten erleichtert.133 Die Operationssäle lagen zudem in einer Baulinie und waren durch Glaswände getrennt, sodass auch sie vom leitenden Arzt leicht zu überwachen waren. Über zwei der OPs waren Beobachtungsräume mit eigenem Personenaufzug vom Erdgeschoss eingerichtet worden, in welchen Gäste, Studenten und Zuschauer die Eingriffe direkt mitverfolgen konnten. Zudem waren an den Wänden Fernsehgeräte zur Detailüberwachung angebracht.134 Die neue Chirurgische Klinik bot alle Voraussetzungen für die Erweiterung der Herzchirurgie unter Verwendung der extrakorporalen Zirkulation mit dem Einsatz der Herz-Lungenmaschine (HLM) und beherbergte den ersten angiokardiographischen Messplatz der Medizinischen Akademie Düsseldorf. 135

zung mit den praktischen Bedürfnissen von Wissenschaft/Medizinerausbildung und Lehre auf dem neusten Stand der Technik, welche es in dynamischen Gruppenprozessen zu koordinieren galt. 132 Gutschow, „Chirurgische Klinik Düsseldorf. Buchveröffentlichung“, in: HHU-Archiv, Best. 1/2 Nr. 730, S. 7, (Lit.verz., AQ: Inst.gesch. HHU). 133 Derra, „Die Aufgaben der Chirurgischen Klinik im Rahmen der Städtischen Krankenanstalten und der Medizinischen Akademie zu Düsseldorf“, S. 6 und S. 4, in: HHUArchiv, Best. UAD 1/2 Nr. 730, (Lit.verz., AQ: Inst.gesch. HHU). 134 Oberstadtdirektor, Dezernat Städtische Krankenanstalten (Hg.), 1960, S. 28. 135 Vgl. die Abb. 8-9 (S. 334-335) aus: Löhr/Gremmel/Loogen/Vieten, in: Diethelm et al. (Hg.), 1969.

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2.1.3.2 Die MNR-Klinik (1985) Die Planungen für ein großes Zentralklinikum auf dem Gelände der Düsseldorfer Krankenanstalten gehen bis in das Jahr 1964 zurück. 136 Nachdem die Universität Düsseldorf im Jahre 1965 gegründet wurde, gingen die Städtischen Krankenanstalten Düsseldorf im Jahre 1973 in die Trägerschaft des Landes NRW über.137 Noch vor dieser Übernahme entstand bis 1972 ein sogenannter „Generalplan 1972“,138 eine an den „Empfehlungen des Wissenschaftsrats zur Struktur und zum Ausbau der medizinischen Forschungs- und Ausbildungsstätten“ von 1968 angelehnten Masterplan, der in dieser Form zwar nicht umgesetzt, aber für die weitere Planung der Universitätskliniken von großer Bedeutung war.139 Denn aus diesem Masterplan heraus wurde – nach der Chirurgischen Klinik – das zweite Plattform-Krankenhaus der Universität Düsseldorf realisiert: Die Medizinisch-Neurologisch-Radiologische Klinik (MNR-Klinik, Abb. 14). Dieser derzeit größte Einzelbau des Universitätsgeländes wurde erneut vom Architekten Gutschow (nun in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Büro Müller & Partner) konzipiert und erst 1985 – sieben Jahre nach dem Tod Gutschows – eröffnet.140 Auf rund 30.000 Quadratmetern Nutzfläche fanden 406 Planbetten (davon 30 Intensivbetten) in dem 222 Mio. DM teuren Neubau Platz.141 Die nordsüdlich ausgerichtete Klinik orientierte sich an der ursprünglichen Mittelachse der Düsseldorfer Krankenanstalten und bildete städtebaulich eine Brücke zu dem neuen Universitätsgelände.142 Die Klinik bestand aus einem zwölfgeschossigen Bettenbau (Tower) in Form eines hohen, schmalen Quaders mit Flachdach sowie vier weiteren dreigeschossigen Funktionstrakten (Podium) in west-ost Ausrichtung. Das alte, im Pavillonkonzept verfolgte Prinzip der optimalen Belichtung und Belüftung wurde zugunsten einer dichteren und betriebsökonomisch günstigeren Bauweise nun komplett aufgegeben: Anders als bei der Chirurgischen Klinik fehlten Loggien nun völlig, selbst da, wo die Fassadenoberfläche tatsächlich zurücktritt. 143 Für den studentischen Unterricht – insbesondere mit Patientenvorstellungen – bot das Raumprogramm einen direkt an die Südseite des Gebäudes angeschlossenen Hörsaaltrakt mit zwei großen Hörsälen und einem Seminarraum.

136 Halling/Kleinöder, in: Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 258. 137 Ebd. 138 Institut für Funktionsanalyse und Krankenhausplanung, 1972. 139 Für die politischen Hintergründe des „Generalplans 1972“ siehe Plassmann, in: Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 117-120. 140 Jansen, in: Wiener/v. Hülsen-Esch/Körner (Hg.), 2014, S. 94-95. 141 Halling/Kleinöder, in: Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 260. 142 Jansen, in: Wiener/v. Hülsen-Esch/Körner (Hg.), 2014, S. 96. 143 Ebd.

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Abbildung 14: Die Medizinisch-Neurologisch-Radiologische Klinik (MNR-Klinik).

Quelle und Copyright: Abbildung 14A: Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin; Abbildung 14B: Universitätsklinikum Düsseldorf, Unternehmenskommunikation. Legende zu Abbildung 14: A) Richtfest der MNR-Klinik. B) Die MNR-Klinik, Ansicht von Südwest heute (2017).

MNR-Klinik: innere Flexibilisierung und äußere Erweiterungsfähigkeit Die Vorteile dieses Plattform-Krankenhauses lagen für die beteiligten Krankenhausplaner in erster Linie in der baulichen und organisatorischen Zentralisierung, der technischen Flexibilisierung vor allem der Innenbereiche und der Anpassungsund Erweiterungsfähigkeit des Gebäudes hinsichtlich sich zukünftig verändernden Anforderungen.144 Ziel der Planer der MNR-Klinik war, einen „autarken Gesamtorganismus“ zu entwerfen, der zum einen kurzfristig eine Entlastungsfunktion für den vorhandenen

144 Vgl. Institut für Funktionsanalyse und Krankenhausplanung, 1972, S. 116 und 46 und siehe unabhängig davon auch Keating/Cambrosio, 2003, S. 36 sowie Wischer, in: Marguth/Peter (Hg.), 1985, S. 12.

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Altbestand an Klinikbauten übernehmen und zum anderen eine Zentralisierung gemeinsamer klinischer Einrichtungen für die Innere Medizin ermöglichen sollte. 145 Die vornehmlich in den Funktionstrakten, aber zum Teil auch auf den Etagen des Bettenbaus integrierten zentralen gemeinsamen klinischen Einrichtungen waren im Einzelnen:146 • das Zentrallabor, dem die Routineuntersuchungen auf dem Laborsektor für alle

Fachabteilungen der Medizinischen Einrichtungen oblagen; • die Nuklearmedizin, die ebenfalls für alle Fachabteilungen die routinemäßigen

• • • • • • •

nuklearmedizinischen Diagnoseverfahren anwendete sowie Nukleartherapie mit elf abgeschirmten Betten; die Röntgendiagnostik; die Aufnahmestation mit zehn Betten; die Allgemein- und Fachambulanz für die in der MNR-Klinik untergebrachten Fachdisziplinen der Inneren Medizin; das Zentralarchiv, das für die gesamten Medizinischen Einrichtungen diese Funktion übernahm und die bisher 95 Einzelarchive zusammenfasste; den Hol- und Bringdienst, der rund-um-die-Uhr den vielfältigen Transportbedarf innerhalb der Klinik abwickelte; die Kommunikationszentrale, die für den Patienten Ansprechpartner war und die Verbindung zu den Stationen herstellte; die Bettenzentrale, in der die Verteilung der Betten koordiniert wurde.

Die MNR-Klinik bot in ihren vier Funktionstrakten genügend Platz für Funktionsräume, von denen drei Herzkatheter-Räume waren (zur Prozedur, siehe Kap. 2.3.2), wobei erstmals einer der Räume speziell für die Belange der Elektrophysiologie eingerichtet wurde.147 Neben der Intensivstation gab es im neuen Klinikum eine zusätzliche rhythmologische Überwachungsstation. 148 Bereits ein Jahr vor der Inbetriebnahme der MNR-Klinik wurde ein neues Versorgungszentrum eingerichtet, das u.a. Zentralküche, Apotheke, Wäscherei, Zent-

145 Institut für Funktionsanalyse und Krankenhausplanung, 1972, S. 116 und 46. 146 Für folgende Aufzählung siehe das Schreiben der Verwaltungsabteilung der Medizinischen Einrichtungen der Universität Düsseldorf an die Pressestelle der Universität vom 21.05.1985 (Betreff „Rechenschaftsbericht des Rektors für die Zeit vom 30.05.198430.05.1985“), in: HHU-Archiv: Best. UAD 3/9 Nr. 998, hier S. 10-11 des Schreibens, (Lit.verz., AQ: Inst.gesch. HHU). 147 Seipel/Both, „Franz Loogen und seine Bedeutung für die deutsche Kardiologie“, 2015, S. 35 (unveröffentlichtes Manuskript), (Lit.verz., AQ: Unveröffentlichte Manuskripte). 148 Ebd., S. 36.

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ralsterilisation, Werkstätten, Transportzentrale, Lager, Lehranstalt für Diätassistentinnen und Personalkantine unter einem Dach vereinte. Zentrales Element dieser neuen zentralisierten Versorgung auf dem Düsseldorfer Klinik-Gelände war die „Automatische Warentransportanlage“ (AWT), welche die „Durchführung der Verund Entsorgungstransporte nach einem zeitlich eng terminierten Fahrplan sowie Einrichtung und Aufrechterhaltung eines schlagkräftigen und rund-um-die-Uhr einsatzbereiten Hol- und Bringdienst für kleinvolumige Güter, insbesondere Laborproben, Befunde, Krankenakten sowie Post“149 als auch Speisetransporte sicher stelle. In diesem durch unterirdische Tunnel mit den Kliniken verbundenem Versorgungszentrum gab es für die „verschiedenen Ver- und Entsorgungstransporte […] unterschiedliche Container, die nach bestimmten Gesichtspunkten farblich markiert [waren] und in den Verbrauchsstellen als Vorrats-, Sammel- und Verteilungswagen eingesetzt werden [konnten]. Für die horizontalen Transporte [wurden] die Container von elektrisch betriebenen Fahrwerken nach dem Hängebahnprinzip bewegt. Die vertikalen Transporte erfolg[t]en in speziellen AWT-Aufzügen.“150 Die Anlage ist bis heute (2017) im Einsatz. Neben der Zentralisierung der Kranken- und betrieblichen Versorgung waren die Krankenhausplaner darauf bedacht, vor allem das Innenleben der MNR-Klinik so flexibel wie möglich zu gestalten, um den ständig neuen medizintechnischen Anforderungen gewachsen zu sein. Denn nachträgliche Veränderungen in den Funktionen – häufig bei laufendem Betrieb – erforderten Eingriffe in die Technik, sodass von Anfang an die Zugänglichkeit und Anpassungsmöglichkeit zu Vorabinvestitionen führten und die konzeptionelle Auslegung technischer Zentralen beeinflusste.151 Zugleich wurde angesichts der „übergeordneten Disposition des Kliniken-Geländes“ baulich darauf geachtet, dass die MNR-Klinik potenziell erweiterungsfähig war. So wurde das Gelände südlich der MNR-Klinik für eine Erweiterung reserviert.152 Derzeit (2017) beherbergt die MNR-Klinik zwei Medizinische Zentren (das Zentrum für Innere Medizin und Neurologie mit sieben Kliniken und das Zentrum für Radiologie mit vier Instituten und Kliniken) des Universitätsklinikums mit zwei

149 Schreiben der Verwaltungsabteilung der Medizinischen Einrichtungen der Universität Düsseldorf an die Pressestelle der Universität vom 21.05.1985 (Betreff „Rechenschaftsbericht des Rektors für die Zeit vom 30.05.1984-30.05.1985“) in: HHU-Archiv: Best. UAD 3/9 Nr. 998, S. 9 des Schreibens, (Lit.verz., AQ: Inst.gesch. HHU). 150 Ebd. 151 Vgl. das von denselben Autoren wie der „Generalplan 1972“ verfasste Handbuch zur „Methodik der Krankenhausplanung“, in welchem auch die Erfahrungen bei den Neubauten der Medizinischen Einrichtungen der Universität Düsseldorf eingeflossen sind (Lohfert, 2005, S. 29). 152 Institut für Funktionsanalyse und Krankenhausplanung, 1972, S. 58.

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Intensivstationen, einer Dialyse- und Endoskopieabteilung sowie insgesamt vier Herzkatheterlabore der Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie. 153 Mit der MNR-Klinik und der Chirurgischen Klinik verfügte das Universitätsklinikum Düsseldorf Mitte der 1980er Jahre über zwei leistungsfähige Kernkliniken, die zwar baulich und strukturell weiterhin getrennt bestehen blieben, aber in eine Schwerpunktstruktur eingefügt waren, die weitgehende und bereits zuvor etablierte Kooperationen, insbesondere im kardiovaskulären Bereich, intensivierten. Weitere Umbau- und Ausbaumaßnahmen begünstigten die Kooperationsmöglichkeiten zwischen konservativ klinischen Fächern, interdisziplinären Fächern und operativ klinischen Fächern: Die Chirurgische Klinik wurde wie bereits erwähnt 2004 um das Zentrum für Operative Medizin I (ZOM I) erweitert. Ausgehend von einem zweiten Treppen- und Aufzugsturm, der dem ursprünglichen angesetzt wurde, erstreckt sich ein flacher dreigeschossiger Bau nach Süden, dem jeweils ein weiterer West- und Ostbau angefügt wurden.154 Gutschows Leitgedanke der „transparenten Orientierung“ (vgl. Kap. 2.1.3.1.1) wurde beim Anbau des ZOM 1 konzeptionell berücksichtigt: Die Architekten Wischer und Rieger hatten für die Intensivpflegeabteilung das Ziel einer „‚offenen‘ Station“ verfolgt, die Blickkontakt zu mehreren Patienten vom Arbeitsflur aus ermöglichte. 155 Die durch den Umzug in die MNR-Klinik frei gewordene Medizinische Klinik wurde für die bisher auf acht verschiedene Standorte verteilte Kinderheilkunde Anfang der 1990er Jahre umfangreich saniert. Dadurch sollte die Kinderheilkunde nicht nur zentralisiert, sondern auch baulich und organisatorisch (u.a. durch den Anschluss an das EDV-System und die Warentransportanlage) auf den neusten Stand gebracht werden. 156 Der ursprüngliche dreiflügelige Bau von 1924 blieb im Kern bestehen, ist aber durch seine neuen Putzfassaden kaum wiederzuerkennen. 157 In den nach Norden offenen Vorhof des 1995 eingeweihten Gebäudes wurde eine Empfangshalle mit Pförtnerloge und Foyer vorgesetzt. Die beiden als Funktionsbau dienenden Seitenflügel wurden nach Süden hin verlängert und umschließen mit dem Hauptflügel und einem weiteren Querflügel einen schmalen Innenhof. Südlich des Querflügels bilden zwei zu den Seiten offene Höfe durch den Querflügel die Verlängerung des Korridors entlang der Hauptachse und einen weiteren Querbau,

153 „MNR-Klinik“, in: Internetseite des Universitätsklinikums Düsseldorf (UKD), unter: http://www.uniklinik-duesseldorf.de/pflege/pflege-in-kliniken/mnr-klinik, Stand: 12.02.2017. 154 Jansen, in: Wiener/v. Hülsen-Esch/Körner (Hg.), 2014, S. 97. 155 Ebd., S. 98. 156 Halling/Kleinöder, in: Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 260. 157 Jansen, in: Wiener/v. Hülsen-Esch/Körner (Hg.), 2014, S. 97.

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der das Gebäude nach Süden zur MNR-Klinik abschließt.158 Dieser Gebäudeabschluss diente dazu, die MNR-Klinik an ihrem nördlichen Treppenturm mit dem neuen nach dem Düsseldorfer Pädiater Arthur Schlossmann (1867-1932) benannten „Schlossmann-Haus“ mittels eines Übergangs zu verbinden. Nachdem 2001 das Universitätsklinikum Düsseldorf als Anstalt des öffentlichen Rechts mehr Selbstständigkeit erhielt, stand das nächste Großprojekt an, das prinzipiell an den Generalplan von 1972 angelehnt ist: das Zentrum für Operative Medizin II (ZOM II) entstand zwischen 2006 und 2014 und befüllte das Areal zwischen dem Schlossmann-Haus, der MNR-Klinik und der Chirurgischen Klinik. Der riesige Baukomplex integriert fünf Kliniken: Augenklinik, Hautklinik, HNO-Klinik, Neurochirurgie und Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie. Zusätzlich findet die zentrale Notaufnahme hier Platz.159 Das neue Zentrum mit einer Bruttofläche von über 49.000 Quadratmetern bietet Kapazität für 203 Betten und besteht aus vier miteinander verbundenen flach gedeckten Gebäudetrakten und drei begrünten Innenhöfen. Über einen zweigeschossigen Sockel für den Behandlungsbereich erheben sich vier zwei- bzw. dreigeschossige Pflegebereiche. 160 Wurde die MNR-Klinik noch nach dem o.g. Plattform-Schema mit getrennten vertikalen Funktionstrakten und dem horizontalen Bettenhaus in einem funktionellen Kosten-Nutzen-Kalkül gebaut, so steht dieser Bau für einen „architekturanthropologischen Wandel in der Patientenperspektive“: „Nicht mehr allein nur die Logistik der Funktionsabläufe stand im Zentrum der Funktionsdebatte. Vielmehr war ein für die Gestaltung wesentlicher Aspekt die Frage nach der Akzeptanz des Ortes bei den Patienten, um die mit einer solchen Architektur geworben wird.“ 161

Die gläsernen Fassaden und die nur zwei- bis dreigeschossigen Pflegebereiche machen eine Abkehr vom Konzept des Plattform-Krankenhauses als Hochhauskrankenhaus erkennbar und verbinden dieses Gebäude durch seine aufgelockerte Baustruktur in gewisser Weise mit den verdichteten Pavillons der Gründerzeit. 162 Das

158 Ebd. 159 Ebd., S. 98. 160 Ebd. 161 Ebd., S. 99. 162 Vgl. hierzu ebd. Die Betreiber des ZOM II stellen den Bau allerdings nicht in Beziehung zu den Hochhausbauten der Chirurgischen Klinik und der MNR-Klinik und stellen das gegenteilige fest, indem sie das ZOM II und die (verdichtete) Pavillonarchitektur der Gründerzeit gegeneinander ausspielen: „Mit dem architektonisch herausragenden Bauwerk [des ZOM II] trennt sich das UKD endgültig von der Pavillonstruktur aus der Gründerzeit und vollzieht den Wechsel zum innovativen Konzept interdisziplinärer

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ZOM II ist mittels überirdischer gläserner Brücken mit der MNR-Klinik und mit der Chirurgischen Klinik verbunden. Mit den geschilderten Umbau- und Erweiterungsmaßnahmen und die damit verbundene Juxtaposition von alten und neuen Baustrukturen schreibt sich die hier stark verkürzt dargestellte Baugeschichte 163 der Städtischen Krankenanstalten und der Akademie für praktische Medizin (1907), der Medizinischen Akademie (1923) und der Medizinischen Einrichtungen der Universität Düsseldorf (ab 1973) in eine supplementäre „Umbaugeschichte“ (Borck) ein, die verdeutlicht, dass die Bauten trotz ihrer materiellen Dauerhaftigkeit eben keine epistemisch für alle Zeit unhinterfragbaren baulichen und konzeptionellen Dispositionen sind. Vielmehr sind sie veränderliche Entwürfe, die der „fluiden Logik wissenschaftlich-technisch-sozialer Aushandlungsprozesse“ unterliegen. 164 Diese historische Formbarkeit, insbesondere von Großkrankenhäusern wird abschließend kommentiert, nachdem das Universitätsklinikum als Hospital-Plattform im Sinne Keatings und Cambrosios im Folgenden vorgestellt worden ist. 2.1.4 Das Universitätsklinikum Düsseldorf als Hospital-Plattform (Organisationsstruktur) Ende der 1960er/Beginn der 1970er Jahre trat in der Bundesrepublik nicht nur ein grundsätzlicher Wandel in der Bildungs- und Gesundheitspolitik ein, es wurde auch eine neue Facharztordnung (1972) vorbereitet, die der zunehmenden Spezialisierung der Inneren Medizin Rechnung tragen sollte, ohne das große Fach selbst infrage zu stellen oder gar zu zerschlagen. 165 Auf europäischer Ebene gab es zwar bereits Spezialisten für Kardiologie, Gastroenterologie usw., die jedoch über keine internistische Grundausbildung verfügten, sondern ihre „Facharztbezeichnung“ in Kursen erworben hatten. Hinzu kam, dass der aus den USA zurückkommende Nachwuchs

Zentren.“ (Siehe „Willkommen im Zentrum für Operative Medizin II“, in: Internetseite des UKD, unter: http://www.uniklinik-duesseldorf.de/unternehmen/zentren/zentrumfuer-operative-medizin-ii/, Stand: 13.02.2017) 163 Für einen vollständigeren Überblick siehe etwa Halling/Kleinöder, in: Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 235-271 und Jansen, in: Wiener/v. Hülsen-Esch/Körner (Hg.), 2014, S. 75-119. 164 Borck, in: Stollberg/Vanja/Kraas (Hg.), 2011, S. 20-21. 165 Blömer zitiert nach Arnold, in: ders./Lüderitz (Hg.), 2002, S. 25, siehe auch Blömer, Eur J Med Res. 2006;11:415-7. Zudem wurden durch das Krankenhausfinanzierungsgesetz von 1972 die Finanzierungsmöglichkeiten für die Investitionen insbesondere für Großgeräte in größeren Häusern (nicht unbedingt aber für den Neubau von Krankenhäusern) weiter verbessert (Hübner, 2004, S. 150-151).

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in entsprechende Positionen drängte, sodass die Etablierung des Fachs Kardiologie vorangetrieben wurde.166 Auch in den Fächern wie der Chirurgie – mit Unfall- Kinder-, Kardio- und Neurochirurgie und der Radiologie – mit Radiologischer Diagnostik, Strahlentherapie und Nuklearmedizin entstanden neue Facharztbezeichnungen, die maßgeblich von der Etablierung neuer medizintechnischer Verfahren und Apparaturen beeinflusst waren.167 In den 1970er Jahren veränderte sich auch die Struktur der Düsseldorfer Hochschulmedizin. Nicht nur wurden die Städtischen Krankenanstalten als Medizinische Einrichtungen der Universität Düsseldorf vom Land NRW übernommen,168 es erfolgte auch ein Generationenwechsel an den zentralen medizinischen Lehrstühlen: In einem Zeitraum von wenigen Jahren traten die drei prominenten Kliniker, Franz Grosse-Brockhoff (1907-1981, Innere Medizin, em. 1977), Karl Oberdisse (19032002, Diabetologie, em. 1971, u.a. Gründer des Deutschen Diabetes Zentrums im Jahre 1965) sowie Ernst Derra (1901-1979, Chirurgie, em. 1969/70) in den Ruhestand. Obwohl alle drei maßgeblich zur Spezialisierung und Technisierung ihres jeweiligen Faches beitrugen, galten sie bei den Zeitgenossen als die „letzten Generalisten“.169 Zeitgleich erfolgte 1970 die Verselbstständigung der Herzchirurgie als Klinik für Thorax- und kardiovaskuläre Chirurgie (Chirurgische Klinik B) und damit die Zweiteilung der Chirurgischen Klinik (die Chirurgische Klinik A bediente die Allgemeine, Unfall- und Gefäßchirurgie). 170 Hinzu kamen experimentelle Abteilungen, teilweise mit eigenen Lehrstühlen in den Kliniken, in den ersten Jahren des SFB 30 (Start 1968) wurden folgende Lehrstühle gegründet: • 1971 Klinische Physiologie (Kaufmann), • 1971 Experimentelle Anästhesiologie (Arndt) und • 1977 Experimentelle Chirurgie (Arnold). 171

Bereits 1963 verselbständigten sich die Kliniken für Anästhesiologie, die Neurochirurgische Klinik, die Urologische Klinik und die Klinik für Radiologie und Strahlenkunde sowie 1974 das Institut für Blutgerinnung und Transfusionswesen. 172 Eine

166 Arnold, in: ders./Lüderitz (Hg.), 2002, S. 25. 167 Vgl. Hübner, 2004, S. 246 ff. 168 Siehe die Zeittafel, in: Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 19. 169 Halling, in: ebd., S. 58. 170 Koppitz/Halling, in: ebd. S. 164 und 374. 171 Ebd., S. 164. 172 Ebd., S. 374.

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neue Unterteilung erfuhr auch die Innere Medizin: Ab 1972 wurden fünf Schwerpunktkliniken weitgehend selbstständig: • • • • • •

Allgemeine innere Erkrankungen (Medizinische Klinik A), Kardiologie (Medizinische Klinik B), Endokrinologie (Medizinische Klinik C), Gastroenterologie (Medizinische Klinik D) und Stoffwechselkrankheiten und Ernährung (Medizinische Klinik E). 1974 wurden dann noch die Laboratoriumsdiagnostik, 1975 die Rheumatologie und 1983 die Nephrologie ausgegliedert.173

Diese Neugliederung der Kliniken stand vor dem allgemeinen (und nicht nur für Düsseldorf zutreffenden) Hintergrund des Betten- und Personalmangels und den damit verbundenen gesundheitspolitischen Willen, dass vor allem kleinere, zu Medizinischen Zentren gebündelte Abteilungen geschaffen werden sollten. Die kompakteren Abteilungen sollten der sich abzeichnenden steigenden Spezialisierung sowohl der Inneren Medizin als auch der Chirurgie Rechnung tragen und Synergieeffekte im Rahmen der gemeinsamen Zuarbeit nutzen, wodurch wiederum die Verweildauer der Kranken im Haus verringert werden sollte. 174 Die Restrukturierung ging indes nicht ohne Kontroversen von sich, denn von vielen ‚alteingesessenen‘ (und nicht nur Düsseldorfer) Ordinarien wurde diese Unterteilung als eine Gefahr der „Übertreibung der Spezialisierung“ und der Zerschlagung der großen Fächer der Inneren Medizin und Chirurgie wahrgenommen. 175 Dementgegen standen die zunehmende Technisierung der Krankenhäuser und die damit verbundene steigende Komplexität der medizinischen Leistungserstellung, die nach dem Vorbild der Industrie stark rationalisiert werden sollte. Die strengen hierarchischen Strukturen in deutschen Krankenhäusern und die starke Stellung der Chefärzte erschwerten dabei die zur Beherrschung der komplizierter werdenden Abstimmungsprozesse notwendige Kommunikation in den nun nicht mehr rein konsiliarisch tätigen sondern eher multidisziplinär ausgerichteten Teams.176 Die Autorität der Chefärzte ist durch die spezialisierte Kompetenz der verschiedenen Fachärzte, die damit verbundene Fragmentierung der Arbeitsprozesse und durch die verteilte Verantwortung für die medizinisch-pflegerische Patientenversorgung gewissermaßen fragwürdig geworden. Die Folge war eine Durchbrechung der traditionellen Disziplingrenzen:

173 Ebd., S. 164. 174 Hübner, 2004, S. 215. 175 Grosse-Brockhoff zitiert nach Plassmann, in: Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 120. 176 Vgl. Hübner, 2004, S. 217.

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„Mit der durch die Reorganisationsmaßnahmen erfolgten Umsetzung dieser Vorstellung [, dass durch Fachkompetenz im Team die Autorität der Chefärzte schwand, TK] wurde die bis dahin bestehende traditionelle Gliederung in den Krankenhäusern in Medizinische – womit meist die Innere Medizin gemeint war – und Chirurgische Abteilung durchbrochen und der Weg für eine Beschleunigung der Differenzierung und technischen Durchdringung bereitet.“177

Es ging vor allem darum, die Effizienz der Zusammenarbeit zwischen therapeutischen und diagnostischen Fächern zu steigern sowie die entsprechende Vor- und Nachsorge der Patienten zu optimieren. Man erhoffte sich durch die Zentralisierung des „tower-on-podium“-Konzepts eine verbesserte architektonische und raumplanerische Antwort auf das drohende Auseinanderfallen der klinischen Medizin, in all ihren Bereichen (der Krankenversorgung, der Lehre und der Forschung), indem man die von Seiten der Ärzte eingeforderte Kooperation und die konsiliarischen Dienste auch organisatorisch besser aufeinander abstimmte. 178 Man glaubte demnach, dass die integrative, sich „unter einem Dach“ vollziehende Verflechtung der medizinischen Disziplinen nicht wie beim Pavillonkonzept durch Nachbarschaft, sondern durch architektonisch und organisatorische Dichte entsteht. 179 Die Architektur von Plattform-Krankenhäusern mit ihren flexiblen Grenzen sollte es also ermöglichen, die Kooperations- und Organisationsstruktur ihrer Hospital-Plattformen zu optimieren. Nach Keating und Cambrosio ist jede Hospital-Plattform standortspezifisch und verfügt von daher über ihre eigene lokalhistorische Genealogie: „[…] the best definition of a hospital platform may very well be: ‚what each hospital describes as such‘.“180 Auch bei der Restrukturierung der Medizinischen Einrichtungen der Universität Düsseldorf kam es in den 1970er Jahren zunächst darauf an, die Integration und Schaffung von Kooperationsmöglichkeiten zwischen konservativ klinischen Fächern (Innere Kliniken), interdisziplinären Fächern (wie Anästhesiologie oder klinische Labormedizin) als auch operativen Fächern (Chirurgische Kliniken) zu optimieren (Abb. 15).181

177 Hübner, 2004, S. 218. 178 Vgl. Goerke, in: Marguth/Peter (Hg.), 1985, S. 96 und Marguth/Peter, in: dies. (Hg.), 1985, S. 8. 179 Wischer, in: Marguth/Peter (Hg.), 1985, S. 13-14. 180 Keating/Cambrosio, 2003, S. 45 zum Plädoyer einer spezifisch lokalhistorischen Krankenhausgeschichte siehe Jetter, zitiert nach Labisch/Spree, in: dies. (Hg.), 1996, S. 16. 181 Murken, 1988, S. 234-235 und vgl. Keating/Cambrosio, 2003, S. 39.

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Abbildung 15: Vereinfachte Darstellung der organisatorischen Struktur des Universitätsklinikums Düsseldorf als Hospital-Plattform adaptiert nach Murken (1988, S. 235).

Quelle und Copyright: Thomas Krämer.

Die in Abb. 15 vereinfacht dargestellte Organisationsstruktur des Universitätsklinikums Düsseldorf (UKD) als Hospital-Plattform zeigt, dass die Verselbstständigung interdisziplinärer Fächer wie Labormedizin es – begünstigt durch die in Kap. 2.1.3 dargelegten baulichen Maßnahmen – möglich machten, z.B. aus den klinischen Fächern gewonnene Patientenproben und klinisch relevante Datensätze mit Laborund Diagnosetechniken so zu kombinieren, dass die Hospital-Plattform als ‚Lieferant‘ für Patientenmaterial für die Forschung dienen kann. Wie bereits in Kap. 1.5 erwähnt steht aus dieser Perspektive der wissenschaftliche Erfolg einer Universität in direktem Zusammenhang mit den Fall- und Leistungszahlen des dazugehörigen Klinikums und ist damit immanent plattformabhängig: Zum einen bilden die hinreichenden Mengen an Patienten gleichsam das „Material“ für naturwissenschaftliche Versuchsreihen zur Überprüfung von Hypothesen, Diagnoseverfahren und Therapiemethoden. Aber auch die Ausbildungsfunktion profitiert von einer straffen zentralen Organisation und einem „lehrwirksamen Krankengut“, was wiederum wichtig

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für die Entwicklung der Netzwerkbildung und einer berufseinheitlichen Methode ist.182 Lokalhistorisch markiert die fachliche und organisatorische Ausdifferenzierung den Mitte der 1960er Jahre vollzogenen Übergang von der Medizinischen Akademie zur Universität Düsseldorf und wurde 1973 durch die Übernahme der Städtischen Krankenanstalten durch das Land NRW (zumindest im Rückblick) beschleunigt. Während die Inneren Kliniken und Chirurgischen Kliniken zumeist in den Bettenhäusern (Tower) der MNR-Klinik oder der Chirurgischen Klinik ihren Platz fanden, waren die interdisziplinären Fächer vorwiegend in den Funktionstrakten (Podium) untergebracht. Die Medizinischen Einrichtungen sind derzeit (2017) in zehn klinische Zentren mit Aufgaben in der Krankenversorgung organisiert. 183 Das diagnostische und therapeutische Herzstück einer Hospital-Plattform ist der Funktionsbereich, in dessen Zentrum wiederum Großgeräte (sogenannte „core facilities“) untergebracht sind, um die herum sich der Pflegebereich und andere Serviceeinheiten gruppieren.184 Aufgrund der föderalen Strukturen der Bundesrepublik, in der das Gesundheitswesen überwiegend Ländersache ist, erstellten die Bundesländer, Krankenkassen und die Kassenärztliche Bundesvereinigung erst 1984 einen gemeinsamen bundeseinheitlichen Großgerätekatalog für Hospital-Plattformen.185 Danach gelten als Großgeräte:186 Linksherzkatheter-Messplätze, Computertomographen, Einrichtungen zur digitalen Subtraktionsangiographie, Kernspintomographen, Gamma-Kameras, Linearbeschleuniger, Co-60- und Cs-137-Geräte, Lithotripter. Die Entwicklung der Herzkatheteruntersuchungen, die räumlichen und apparativen Dispositionen hierzu am Standort Düsseldorf sowie der epistemische Status angiokardiographischer Bilder als „soziotechnische Evidenz“ werden in Kap. 2.3 näher thematisiert. Zentrale und obligatorische Durchgangspunkte der Hospital-Plattform Was die Hospital-Plattform zusammenhält, sind die von allen Abteilungen zu nutzenden zentralen und obligatorischen Durchgangspunkte (vgl. Abb. 15). Diese von der ANT verwendete Begrifflichkeit (siehe Kap. 1.5) macht die Verbindlichkeit der Plattform deutlich: Niemand, der z.B. Sachmittel bestellt, Personal eingestellt, medizintechnisches Gerät installiert haben oder einfach nur auf Dienstreise fahren

182 Hübner, 2004, S. 8 183 Vgl. „Organigramme des Universitätsklinikums Düsseldorf“, in: Internetseite des UKD, unter: http://www.uniklinik-duesseldorf.de/unternehmen/organigramme/, Stand: 14.02.2017. 184 Vgl. Hübner, 2004, S. 223. 185 Ebd. S. 18. 186 Für folgende Aufzählung siehe ebd.

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möchte, kommt an der für alle Medizinischen Einrichtungen des Universitätsklinikums zuständigen Verwaltung vorbei. Ebenso sind die Logistikdienste und die technische Koordination in Dezernaten organisiert.187 Diese sind im Einzelnen: • • • • •

das Personaldezernat (D01), das Finanzdezernat (D02), das Dezernat Wirtschaft und Betriebe (D03), das Dezernat Technik und Medizintechnik (D04) und das Dezernat Informations- und Kommunikationstechnologie (D05).

Seit Anfang der 1970er begann man, die Elektronische Datenverarbeitung (EDV) in den Medizinischen Einrichtungen zentral zu koordinieren. Zunächst lief die EDV des Klinikums durch einen Siemens-Großrechner im Universitätsrechenzentrum, wurde dann vor allem nach der Einführung der Personal Computer in den 1990er Jahren nach und nach eigenständig durch D05 durchgeführt. 188 Einen wichtigen Schritt zur Zentralisierung erfolge 2005 durch das für alle Kliniken des Universitätsklinikums eingeführte Datenverarbeitungssystem „Medico//s“ der Firma Siemens.189 In dem System konnten sämtliche, den Patienten betreffende Informationen abgelegt und jederzeit unter datenschutzrechtlich konformen Bedingungen von anderen behandelnden Fachabteilungen abgerufen werden: von der Terminvergabe, über alle diagnostischen (inkl. Labor-)Befunde, therapeutischen Maßnahmen und abrechnungsrelevanten Informationen, bis hin zu Informationen über Verlegungen, den Arztbriefen und Entlassungsprotokollen.190 Das Medico-System wurde dabei mit bereits vorhandenen Subsystemen vernetzt, sodass bei Einführung des Systems besonders wichtigen Abnehmer dieser Daten eine bidirektionale Verbindung zur Verfügung gestellt wurde (vor allem das Zentrallabor, die Radiologie und Pathologie, aber auch Kliniken wie Kardiologie und Neurochirurgie, Institute mit Aufgaben in der Krankenversorgung, wie z.B. Mikrobiologie oder die Blutbank und nicht zuletzt das Speise- und Transportanforderungssystem). 191 Ein weiterer wichtiger obligatorischer Durchgangspunkt der Hospital-Plattform sind bis heute Biobanken, in welchen Patientenproben (z.B. Gewebe, Zellen, Blut oder andere Körperflüssigkeiten wie Harn, Blutserum oder Blutplasma) für die kli-

187 Für eine historische Selbstdarstellung der einzelnen Dezernate des Universitätsklinikums Düsseldorf, siehe Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 479-490. 188 Unger/Walther, in: Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 487. 189 „Neues aus der Medico//S-Welt“, Newsletter der IT-Kommission des UKD vom 18.05.2005, in: Internetseite des UKD, unter: http://bit.ly/2gJSJCG, Stand: 14.02.2017. 190 Ebd., S. 1-2. 191 Ebd., S. 2.

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nische Forschung gesammelt und über Jahre aufbewahrt werden können. 192 Insbesondere in diesem Bereich einer Hospital-Plattform werden klinische und Labormethoden miteinander kombiniert: Die Gewinnung der Proben erfolgt zumeist in der Klinik (z.B. durch Blutentnahme, Biopsien für Gewebeproben) und die Auswertung mit Labormethoden – dazu zählen u.a. morphologische, biochemische, genetische und immunologische Untersuchungen an den Patientenproben, die wohlmöglich Aufschluss über die biochemischen Vorgänge pathologischer Zustände im menschlichen Organismus geben.193 Für klinische Studien am Patienten wurde 1999 aus der Sektion für „Theoretische Chirurgie“ heraus das heutige „Koordinierungszentrum für Klinische Studien“ (KKS) gegründet. Mit den Schwerpunkten Biometrie, medizinische Statistik und der Ausrichtung auf klinische Forschung werden in diesem der Medizinischen Fakultät zugehörigem Zentrum sämtliche klinische Forschungsprojekte bei der Planung, dem Entwurf der Studienprotokolle, der Probandenrekrutierung und beim Monitoring und der statistischen Auswertung begleitet und betreut.194 Parallel zu dieser Betreuung stellt die Ethikkommission der Medizinischen Fakultät sicher, dass Forschungsvorhaben am Menschen (auch am Verstorbenen) und an entnommenem Körpermaterial sowie Vorhaben epidemiologischer Forschung mit personenbezogenen Daten vor Beginn der Forschung ethisch und rechtlich beurteilt und genehmigt werden. Die Ethikkommission überprüft ferner, ob die Forschungsvorhaben am Menschen gemäß dem Heilberufsgesetz für das Land NRW, dem Arzneimittelgesetz, dem Medizinproduktegesetz, dem Transfusionsgesetz sowie der Strahlenschutz- und der Röntgenverordnung durchgeführt werden. 195

192 Zu aktuellen (2017) Biobanken des UKD siehe: BIOBANK RHINEVIT (Rheumatologie), in: Internetseite des UKD, unter: http://www. uniklinik-duesseldorf.de/unternehmen/kliniken/poliklinik-und-funktionsbereich-fuer-rheumatologie/hiller-forschungszentrum/core-facilities/, Stand: 16.02.2017; „Tumorbank des UTZ“ (Onkologie), in: Internetseite des UKD, unter: http://www. uniklinik-duesseldorf.de/unternehmen/kliniken/tumorzentrum/organisation-des-utz/einri chtungen-des-utz/tumorbank-des-utz/, Stand: 16.02.2017. 193 Vgl. „Patienteninformation und Einverständniserklärung zur Biobank des Universitätsklinikums Düsseldorf“, in: Internetseite des UKD, unter: http://www.uniklinik-duesseldorf.de/fileadmin/Datenpool/einrichtungen/universitaetstumorzentrum_id505/neu2012/Dat eien/Biobank_Einverstaendnis.pdf, Stand: 14.02.2017. 194 Cupisti/Knoefel, in: Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 376. 195 Satzung der Ethikkommission an der Medizinischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf vom 28. Juli 2008, in: Internetseite der HHU, unter: http://www. medizin.hhu.de/fileadmin/redaktion/Fakultaeten/Medizinische_Fakultaet/Dekanat/Dok_

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An die eigentliche Hospital-Plattform der Universitätsklinik Düsseldorf gliedern sich über die genannten zentralen Einrichtungen hinaus die vorklinischen und theoretischen Institute ohne Krankenversorgung, die zum größten Teil auf dem seit 1969 ausgebauten und sich bis heute (2017) ständig verändernden, südlich an das Klinikgelände anschließenden Campus der HHU196 angesiedelt sind.197 Die einzelnen Gründungsinstitute des SFB 30 und deren Bezug zur kardiovaskulären Forschungstradition in Düsseldorf werden in Kap. 2.4.1 vorgestellt. „core facilities“ der Hospital-Plattform Eine wesentliche „core facility“ der Medizinischen Fakultät auf dem Universitätscampus ist das 1992 eröffnete Biologisch-Medizinische Forschungszentrum (BMFZ). Das Zentrum wurde ins Leben gerufen, um Synergieeffekte im Bereich der lebenswissenschaftlichen Forschung über bestehende Fakultätsgrenzen hinweg zu nutzen und die Forschung der Medizinischen Fakultät stärker mit den naturwissenschaftlichen Grundlagenprinzipien zu vernetzen. 198 Die Kernstücke des BMFZ sind die Zentrallaboratorien, welche die experimentellen Plattformen für Genomund Proteomforschung zur Verfügung stellen. Diese sind im Einzelnen: das Molekularbiologische Zentrallabor, das Analytische Zentrallabor und das in der Zentralen Tierversuchsanlage (TVA, s.u.) untergebrachte Zentrallabor für transgene Tiere199 sowie der später hinzugekommene Zentralbereich Bioinformatik und Biostatistik.200 Insbesondere bei der Beantragung von Sonderforschungsbereichen und Graduiertenkollegs201 der DFG hat das BMFZ stets eine wichtige Rolle gespielt, denn es bietet wichtige zentralisierte Technologieplattformen, die allen Teilprojekten solcher Forschungsverbünde zur Verfügung stehen und die synergetische Vernet-

Ethikkommission/Mitglieder_der_EK/Satzung_EK_Med_Fak_HHU_Duesseldorf_2807-2008.pdf, Stand: 18.02.2017. 196 Zur Geschichte und Planung der HHU, siehe Jahnke-Ouni, in: Wiener/v. HülsenEsch/Körner (Hg.), 2014, S. 137-170. 197 Für ein aktuelles Organigramm (2017) der vorklinischen und theoretischen Institute des Universitätsklinikums Düsseldorf, siehe „Organigramme des Universitätsklinikums Düsseldorf“ in: Internetseite des UKD, unter: http://www.uniklinik-duesseldorf.de/unter nehmen/organigramme/, Stand: 14.02.2017. 198 Hoener/Reifenberger, in: Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 463. 199 Ebd., 463 f. 200 „Biologisch-Medizinisches Forschungszentrum“, in: Internetseite des BMFZ, unter: http://www.bmfz.hhu.de/zentrallaboratorien.html, Stand: 18.02.2017. 201 Graduiertenkollegs sind von der DFG finanzierte Forschungsprogramme an einem Hochschulort mit dem Ziel der Förderung des graduierten wissenschaftlichen Nachwuchses zur Erlangung des Doktorgrads.

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zung von Grundlagen- und klinischer Forschung erst ermöglichen. 202 Das interdisziplinär konzipierte BMFZ war mit seiner Expertise in der DNA-Sequenzierung von 1998 bis 2001 im Rahmen des Deutschen Humanen Genomprojekts geförderter Projektpartner.203 Die für die kardiovaskuläre Forschung wohl wichtigste zentrale „core facility“ auf dem Universitätscampus ist die Zentrale Tierversuchsanlage (TVA).204 Damals sogenannte „Tierställe“, insbesondere für das Pharmakologische Institut der Medizinischen Akademie gab es bereits in den 1950er Jahren auf dem Düsseldorfer Klinikgelände. Die ursprünglich auf dem gesamten Gelände verteilten (zum Teil behelfsmäßig und nicht zu diesem Zweck geplanten) Haltungsbereiche wurden 1972 erstmals in einem speziell für die Haltung von Versuchstieren eingerichteten Gebäude untergebracht und ein Tierarzt als Leiter für diesem Bereich eingestellt, der schon bald mit der Ausbildung von Tierpflegern und Biologielaboranten begann.205 Da auch ein zusätzliches 1974 hinzugekommenes Gebäude für den Bedarf der ständig wachsenden Universität nicht mehr ausreichte, wurde 1978 die Zentrale Tierversuchsanlage als eine der damals modernsten Anlagen in Europa in Betrieb genommen. Um den zentralisierten und veterinärmedizinisch kontrollierten Zugang von Versuchstieren zu garantieren, wurden nach der Inbetriebnahme alle anderen Haltungsbereiche auf dem Klinik- und Campusgelände geschlossen. 206 Mit einem Stamm von versuchstierkundlichen wissenschaftlichen Mitarbeitern und einer steigenden Zahl von selbst ausgebildeten Versuchstierpflegern wurden Zuchten von Mäusen, Ratten und anderen kleinen Nagern mit hohem hygienischen und genetischen Standard in hermetisch abgeschlossenen Bereichen aufgebaut. Größere Tiere, wie Minischweine, Hunde, Katzen und Marmoset-Affen, die in den 1970er Jahren als Versuchstiere kaum zu kaufen waren, wurden in der Tierversuchsanlage mit großem Erfolg gezüchtet. 207 Seit Ende der 1990er Jahre lösten gentechnisch verän-

202 Hoener/Reifenberger in: Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 463. 203 Finanzierungsantrag des SFB 612 für die Jahre 2002-2003-2004 (SFB 1919 zur Zeit der Antragsinitiative), S. 7, in: Privatarchiv des SFB 612, (Lit.verz., AQ: Finanz.antr. SFB 612). Zur Rolle des BMFZ als zentrale experimentelle Plattform im SFB 612 siehe Kap. 3.4.2. 204 Wohl auch um die Bezeichnung „Tierversuch“ im Namen der Einrichtung zu vermeiden heißt sie seit 2014 „ZETT – Zentrale Einrichtung für Tierforschung und wissenschaftliche Tierschutzaufgaben“. Siehe die Internetseite der ZETT, unter: http://www.medizin. hhu.de/forschung/forschungseinrichtungen/forschungseinrichtungen-an-der-medizin ischen-fakultaet/zett.html, Stand: 04.11.2018. 205 Treiber, in: Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 507. 206 Ebd. 207 Ebd.

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derte Mäuse die Ratte als Versuchstier der Wahl ab, woraufhin die Einrichtung bereits im Jahre 2007 über 200 und derzeit (2017) ca. 500 verschiedene Linien transgener Mäuse züchtet.208 Neben der Unterstützung der Forscher bei tierexperimentellen Fragen stehen die Tierschutzbeauftragen der TVA (bzw. heute der ZETT) den Experimentatoren bei der Abfassung von Tierversuchsanträgen zur Seite und verstehen sich als Mittler zwischen den Interessen der Forscher und den Ansprüchen der mit dem Tierschutz beauftragen Behörden. 209 Kooperationsnetzwerke am Standort Düsseldorf: Die „An-Institute“ der HHU Die sogenannten, im Folgenden dargestellten „An-Institute“ der HHU sind Forschungszentren, die nicht vom Etat der Universität finanziert werden, aber weitgehende Kooperationsverträge mit der Universität eingegangen sind und zum Teil den Direktor des Forschungszentrums und den Lehrstuhlinhaber eines Instituts/einer Klinik in Personalunion stellen. Deutsches-Diabetes-Zentrum Das größte An-Institut der HHU wurde bereits 1964 auf Initiative des damaligen Direktors der 2. Medizinischen Klinik der Städtischen Krankenanstalten Karl Oberdisse (1903-2002) als Diabetesforschungsinstitut gegründet.210 Es wurde 1975 auf die sogenannte „Blaue Liste“ der Leibniz-Gemeinschaft aufgenommen und führt nach einer weiteren Umbenennung seit 2004 den Namen Deutsches-DiabetesZentrum (DDZ).211 Das in unmittelbarer Nähe der Universität ansässige Zentrum war ursprünglich in drei Abteilungen gegliedert: Klinische Diabetologie, Klinische Biochemie und Biometrie und Epidemiologie. Bereits 1970 konstituierte sich der zweite Sonderforschungsbereich der HHU (SFB 113, „Diabetes-Forschung“), der wie der SFB 30 über die maximale mögliche Dauer von 15 Jahren von der DFG gefördert wurde.212 Kennzeichnendes Merkmal des DDZ ist die Vernetzung von molekularer und zellbiologischer mit klinischen und epidemiologischen Forschungsansätzen, die wiederum auf eine starke intramurale und extramurale Forschung im Verbund zwischen verschiedenen Fachbereichen angewiesen sind.213 Als interdisziplinär angelegtes Forschungszentrum mit Anschluss an eine Universitätsklinik

208 Ebd., letztere Zahl aus persönlicher Mitteilung vom 17.03.2017 des Projektleiters Gentechnik der ZETT (HHU). Zur Rolle der TVA für die Forschung an Mäusen siehe Kap. 3.1.2. 209 Treiber, in: Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 508. 210 Giani, in: ebd., S. 468. 211 Ebd, S. 469. 212 Koppitz/Halling, in: ders./Vögele (Hg.), 2007, S. 164. 213 Vgl. Giani, in: Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 470.

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verfügt das DDZ zugleich über ausreichend forschungsrelevantes ‚Patientengut‘ für die eigene klinische und epidemiologische Abteilung und die notwendigen biochemischen und zellbiologischen Methoden, um die Verknüpfung von molekularen bis hin zu Public Health Ansätzen herzustellen. Das DDZ bringt somit die Bereiche Labor und Klinik unter einem Zentrumsdach näher zusammen.214 Institut für Umweltmedizinische Forschung Neben der Diabetesforschung war auch die Umweltmedizin in Düsseldorf seit den 1960er äußerst aktiv. Sie begann 1962 mit der Gründung des „Instituts für Lufthygiene und Silikoseforschung“. 1980 wurde es als Mitglied der Blauen Liste der Leibniz-Gemeinschaft in „Medizinisches Institut für Umwelthygiene“ und 2001 in „Institut für Umweltmedizinische Forschung“ (IUF) umbenannt.215 Das IUF beschäftigt sich vor allem mit molekularer Präventivmedizin, wobei sowohl große epidemiologisch relevante Kohortenstudien durchgeführt als auch durch Umweltgifte induzierte molekulare Signalprozesse mittels moderner Labortechnologie untersucht werden.216 Aufgrund seines breiten Methodenspektrums war das IUF antragsstellendes Institut bzw. Sprecherinstitut in verschiedenen Sonderforschungsbereichen und Graduiertenkollegs der HHU. Das IUF trägt dazu bei, dass durch die Kooperation mit der Universitätsklinik einerseits Umsetzungen neuer Erkenntnisse in die Klinik führen und andererseits klinische Beobachtungen in neue grundlagenwissenschaftliche Fragestellungen münden. 217 Institut für Medizin des Forschungszentrums Jülich Ein weiteres An-Institut der HHU ist das zur Helmholtz-Gemeinschaft gehörende Institut für Medizin des Forschungszentrums Jülich (FZJ). Heute (2017) als Institut für Neurowissenschaften und Medizin bekannt.218 Der auch als Teilprojektleiter im SFB 30219 aktiv gewesene Nuklear- und Strahlenmediziner Ludwig Feinendegen

214 Vgl. ebd. 215 Beyen/Krutmann, in: Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 472. 216 Ebd. 217 Ebd., S. 473, für Details zur Beteiligung an SFB der HHU siehe S. 474. 218 Aktuell (2017) ist das FZJ kein An-Institut, aber eine Partnerinstitution der HHU, siehe „Partnerinstitutionen und An-Institute der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf“ in: Internetseite der HHU, unter: http://www.uni-duesseldorf.de/home/universitaet/partnerund-freunde-der-universitaet/partnerinstitutionen-und-aninstitute.html, Stand: 19.02.20 17. 219 Teilprojekt M1 „Nicht invasive Methoden zur Herzfunktions- und Herzstoffwechselanalyse“, Förderzeitraum 1977-1982 (Abschlussbericht des SFB 30 Kardiologie für

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(*1927) entwickelte in den 1960er und 1970er Jahren neue in-vivo-Bildgebungsverfahren mittels Positron-Emissions-Tomographie (PET)220 und trug damit zu wegweisenden Arbeiten zur bildgebenden Hirn- und Herzdiagnostik bei. 221 Das mittlerweile nur noch neurowissenschaftlich ausgerichtete Institut bündelt wichtige Plattformen der klinischen und experimentellen Bildgebung in Form von verschiedenen Magnetresonanztomographen (MRT) und PET-Geräten, wobei die in-vivoUntersuchungen am Menschen, nicht-menschlichen Primaten und Nagern durch invitro-Untersuchungen evaluiert und ergänzt werden.222 Alle drei hier vorgestellten An-Institute der HHU weisen eine Gemeinsamkeit auf: Aufgrund ihrer weitgefächerten grundlagenwissenschaftlichen Methodenspektren und ihrer gleichzeitigen Vernetzung mit der Universitätsklinik – und dem damit verbundenen Zugang zu forschungsrelevanten ‚Patientengut‘ – stimmen sie sowohl reduktive laborwissenschaftliche als auch holistische klinische Ansätze aufeinander ab. Demnach können solche Institute – so Keating und Cambrosio – als „bioklinische Interfaces“ betrachtet werden. Deren Arbeit speist sich nicht aus einem Zusammenfügen zuvor getrennter laborwissenschaftlicher und klinischer Ansätze, sondern erweist sich als Ergebnis konstanter und engmaschiger Interaktion zwischen den beiden epistemischen Feldern ‚Labor‘ und ‚Klinik‘, welche die Möglichkeitsräume für translationale Verbundforschung am Standort erweitert. 223 Plattform-Krankenhäuser als Entwürfe im Rahmen einer supplementären „Umbaugeschichte“ Die Darstellung der zuvor geschilderten, die Inneren und Chirurgischen Kliniken und die interdisziplinären Fächer wie Labormedizin oder Radiologie zusammenhaltenden zentralen und obligatorischen Durchgangspunkte des Klinikums, die auf dem Campus der HHU angesiedelten vorklinischen und theoretischen Institute, die aufgegriffenen Forschungszentren sowie die erwähnten An-Institute der HHU zeigen, dass die Hospital-Plattform des Universitätsklinikums Düsseldorf keine mono-

die Jahre 1982-1985, S. 3, in: Dt. Zentralbibliothek für Medizin, Köln, Lit.verz., AQ: Arb./Abschl.ber. SFB 30). 220 Bei der PET handelt es sich um ein nuklearmedizinisches Verfahren, das Schnittbilder von lebenden Organismen erzeugt, indem schwach radioaktivierte Substanzen im Organismus sichtbar gemacht und biochemische und physiologische Funktionen davon abgeleitet werden können. 221 Zilles, in: Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 475. 222 Ebd., S. 476. 223 Vgl. Keating/Cambrosio, 2003, S. 45-46. Die Autoren verweisen auf das Albert Bonniot Institute in Grenoble als ein Bespiel für eine den An-Instituten der HHU entsprechendes „bioclinical interface“.

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lithische Struktur hat. Vielmehr bildet die Hospital-Plattform ein zu seinen Rändern offenes und ständig neu zu gestaltendes Netzwerk, das Synergieeffekte zwischen Labor und Klinik schafft. Die planerische Herausforderung bei der Errichtung von Plattform-Krankenhäusern ist also nicht in erster Linie, ein großes und modernes Bauwerk zu errichten, sondern vielmehr, ein vernetztes System von medizinischen Versorgungsdiensten und forschenden Instituten zu etablieren. Aufgrund der damit verbundenen Flexibilisierungsanforderungen unterliegen Plattform-Krankenhäuser auf verschiedenen Ebenen (der politischen, der betriebsökonomischen, der fachlichen und der technischen) einem sich ständig fortentwickelnden und supplementären Entwurfsgeschehen. Hier berührt sich die reale Transformationsgeschichte dieser Institution mit den Wendungen und Verwicklungen der Theoriedynamik in den historischen Disziplinen: „Umbau allerorten“. 224 Dieser Slogan von Cornelius Borck spricht für eine Analyse der baulichen und organisatorischen Supplementierungen im Rahmen einer Krankenhaus-„Umbaugeschichte“ und vermeidet die Dauerhaftigkeit historisch verwirklichter Krankenhausprojekte mit epistemischer Gültigkeit zu verwechseln. 225 In diesem Sinne sind Krankenhäuser veränderliche Entwürfe, die angesichts ihrer Interdependenz mit dem jeweilig aktuellen Stand medizinischen Wissens und der Medizintechnik als potenziell unabschließbar gelten können. So vollzieht sich Umsetzung solcher Projekte im Modus des Entwurfs, denn die Veränderlichkeit der verschiedenen (insbesondere der medizintechnischen) Anforderungen macht oft eine Parallelität von Bauen und Planen erforderlich, bei der unvorhersehbare Fakten und Neuerungen in das Vorhaben integriert werden müssen.226 Die Unvollkommenheit – nicht nur in baulicher, sondern auch in organisatorischer und administrativer Hinsicht – eröffnet Kontingenzräume zwischen der Planung und den situativen Anforderungen der Realität und wird damit zur Herausforderung der Planer, die nicht mehr in voneinander getrennten Abteilungen, sondern in veränderlichen Systemnetzen denken müssen. 227 Auch wenn das Krankenhaus „ganz buchstäblich das Stein gewordene Zeugnis bestimmter medizinischer Handlungsmaximen, soziopolitischer Ordnungsvorstellungen und je spezifischer baulicher, finanzieller und lokaler Möglichkeiten“ ist, so ist es dennoch eine historisch gewordenes „Form/Ereignis“, dessen reale Planung und schließlich reale Umsetzung „aus lauter kleinen Entscheidungen“ hervorgeht, die zwar gewissen (plattformbestimmten) Bedingungen unterliegen und dennoch nie völlig vorherbestimmt sind. 228 Die Gebäudekörper selbst sind dabei nicht nur

224 Borck, in: Stollberg/Vanja/Kraas (Hg.), 2011, S. 21. 225 Ebd., S. 20. 226 Wischer, in: Marguth/Peter (Hg.), 1985, S. 14 und Asam, in: ebd., S. 31 und 37. 227 Hartmann, in: Marguth/Peter (Hg.), 1985, S. 50 und Wischmann in: ebd., S. 17. 228 Rabinow, in: Caduff/Rees (Hg.), 2004, S. 63.

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bloße Träger für die Wissensproduktion sowohl im grundlagenwissenschaftlichen als auch im klinischen Bereich. Sie sind ‚Wissensorte‘, die ständigen Transformationen unterliegen: In Anlehnung an Bruno Latours „immutable mobiles“ (vgl. Kap. 1.4.1) könnte man die Krankenhausbauten als ‚mobile Immobilien‘ bezeichnen, um sich an eine Geschichte des Krankenhauses verstanden als supplementäre Umbaugeschichte anzunähern.229 Eine genaue Analyse des Chirurgischen Pavillons als einen Vorläufer von Plattform-Krankenhäusern, der Chirurgischen Klinik von 1958 und der MNR-Klinik als ‚mobile Immobilien‘ im Rahmen einer supplementären Umbaugeschichte wäre im Kontext der vorliegenden Arbeit zu aufwendig. Es bleibt dennoch zu beachten, dass die Netzwerke, welche die Hospital-Plattform des UKD durchziehen wichtige standortspezifische Dispositionen für die Entwicklung der kardiologischen Forschung seit 1907 im Allgemeinen und die Einrichtung der kardiologischen Sonderforschungsbereiche seit Ende der 1960er Jahre im Speziellen waren. Denn die innere Flexibilisierung und äußere Erweiterungsfähigkeit der Baukörper und die damit verbundene Organisation auf einer Hospital-Plattform spannten erst jene Möglichkeitsräume auf, die Kooperationen zwischen Labor und Klinik und damit den Betrieb von speziellen biomedizinischen Plattformen erlauben. Zwei solcher Plattformen und gleichzeitig die damit für die Entwicklung der Kardiologie im 20. Jahrhundert entscheidenden Schlüsseltechnologien sollen im Folgenden anhand der EKG-Forschungen des ersten Ordinarius für Innere Medizin August Hoffmann (1862-1929) und anhand der Entwicklung der Angiokardiographie am UKD dargestellt werden. Während die Analyse zum EKG die in Kap. 1.6.2.2 eingeführten Aspekte der Semantik, der Aisthetik und der Situativität des EKG (Borck) für den Düsseldorfer Kontext anwendet, wird die Angiokardiographie in Düsseldorf als „soziotechnische Evidenz“ (David Gugerli) charakterisiert. Sowohl die Analyse zur Elektrokardiographie als auch jene zur Angiokardiographie gehen auf den epistemischen Status und die synoptische Kraft der durch diese Verfahren erzeugten Bilder ein.

229 Vgl. Borck, in: Stollberg/Vanja/Kraas (Hg.), 2011, S. 20-21.

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2.2 FRÜHE ELEKTROKARDIOGRAPHISCHE FORSCHUNG AN DER MEDIZINISCHEN KLINIK DER AKADEMIE FÜR PRAKTISCHE MEDIZIN BZW. DER MEDIZINISCHEN AKADEMIE DÜSSELDORF Der Internist und erster Direktor der Medizinischen Klinik in Düsseldorf August Hoffmann (1862-1929) publizierte bereits vor der Gründung der Akademie über die Elektrokardiographie und die Röntgenologie mit Bezug zur Herzdiagnostik. 230 Mit seinen Arbeiten zur Herzdiagnostik begründete Hoffmann die Düsseldorfer Kardiologische Schule.231 Anlehnend an die in Kap. 1.6.2.2 mit Cornelius Borcks Aufsatz „Herzstrom. Zur Dechiffrierung der elektrischen Sprache des menschlichen Herzens und ihre Übersetzung in die klinische Praxis“ 232 vorgenommenen Ausführungen zur Semantik, Aisthetik233 und Situativität des EKG soll im Folgenden eine Darstellung der EKG-Forschungen Hoffmanns und der Implementierung dieser Methode in die Medizinische Klinik der Medizinischen Akademie in Düsseldorf Anfang des 20. Jahrhunderts erfolgen. Hinsichtlich der Semantik des EKG sollen die von Hoffmann vorgenommenen Forschungen zur Frage, ob das EKG als ein Ausdruck der Kontraktilität des Herzens zu verstehen ist, untersucht werden. Anschließend wird die Aisthetik des EKG anhand seiner Überlagerung mit anderen physiologischen Kurven und der anschließenden Übersetzung in ein abstraktes, synoptisches Schema beleuchtet. Zum Abschluss der Ausführungen zu Hoffmann werden die Situativität des EKG und die damit verbundenen praktischen Probleme am Beispiel seiner Implementierung in die Medizinische Klinik der Medizinischen Akademie in Düsseldorf illustriert.

230 Einen kurzen aber relativ vollständigen Überblick über das wissenschaftliche und klinische Wirken August Hoffmanns gibt Schwartze, Z Gesamte Inn. Med. 1989;44:714-7. 231 Ebd. Für weitere frühe Aktivitäten Hoffmanns und einen medizinhistorischen und institutionsgeschichtlichen Überblick, siehe die Chronologie der Düsseldorfer HerzKreislaufmedizin von 1891-2015, im Anhang 6, auf S. 486 der vorliegenden Arbeit. 232 Borck, in: Hess (Hg.), 1997, S. 65-86. 233 Gemäß der begrifflichen Definition von Seel, 1996, S. 36 wird, wie bereits in Kap. 1.6.2.2 dargelegt, der Begriff der Aisthetik hier bevorzugt, weil es bei den EKGKurven weniger um eine ‚Schönheit‘ als mehr um die Produktion sehkonventioneller Inventars der frühen Elektrophysiologie und die damit verbundene Erzeugung optischer Konsistenz geht.

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2.2.1 Zur Konstruktion der Semantik des EKG bei Hoffmann – die Frage der Kontraktilität Hoffmann beschäftigte sich seit 1908 mit der Elektrokardiographie und beteiligte sich damit als einer der ersten klinisch tätigen Elektrokardiographologen in Deutschland an der schrittweisen Zuordnung von bestimmten EKG-Befunden zu speziellen Krankheitsbildern und der damit einhergehenden Konstruktion eines EKG-gestützten pathologischen Repräsentationsraumes an der Medizinischen Klinik in Düsseldorf. Es ist davon auszugehen, dass Hoffmann Einthoven persönlich gekannt hat, denn neben Verweisen in den eigenen Publikationen zu den Arbeiten Einthovens hielt Hoffmann auf der 80. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte (1909) einen Diskussionsbeitrag 234 zum Vortrag Einthovens. 235 Bereits in diesem Beitrag zur „Kritik des Elektrokardiogramms“ problematisierte er die Auffassung Einthovens, das EKG als „direkte[n] Ausdruck der Kontraktilität“ des Herzens zu betrachten und verwies auf einen „Mangel an Parallelismus zwischen Elektrokardiogramm und der menschlichen [Herz-]Leistung.“236 In seinem 1910 publizierten Artikel „Zur Deutung des Elektrokardiogramms“ vertiefte Hoffmann seine Forschungen über dieses Verhältnis, die sich in einen „alten Streit, ob die Erregbarkeit bzw. die Reizbarkeit von der Kontraktilität verschieden ist“, einschrieben.237 Zunächst schilderte Hoffmann die zu dieser Zeit vorherrschenden Unsicherheiten bezüglich des Verhältnisses der EKG-Kurve und der Beschreibung pathologischer Zustände des Herzmuskels. Er warnte erneut vor dem Einthoven’schen Postulat, in dem Ablauf der EKG-Kurve „einen einfachen Ausdruck der Kontraktion“ des Herzmuskels zu sehen und von darauf auf seine Qualität zu schließen. Er zweifelte damit die weit verbreitete Annahme an, im EKG ein „getreues Spiegelbild der Verhältnisse der Muskulatur des Herzens während des Kontraktionsablaufes“ zu sehen.238 Das epistemische Ding (siehe Kap. 1.4.2) war hier also das unklare Verhältnis zwischen der Darstellung elektrischer Reizbarkeit des Herzens in Form der EKG-Kurve und seiner tatsächlichen muskulären Bewegung, der Kontraktilität. Zur Überprüfung dieses Verhältnisses fuhr Hoffmann eine Doppelstrategie: „[E]rstens der Tierversuch und zweitens die klinische Beobachtung im Vergleich mit anderen

234 Hoffmann, Verh. Kongre. Inn. Med. 1909, 26:614-622. 235 Vgl. Schwartze, Z Gesamte Inn. Med. 1989;44:714-7. 236 Hoffmann, Verh. Kongre. Inn. Med. 1909, 26:614-622, hier S. 621. 237 Hoffmann, Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere, 1910 (133), 11-12, 552-578, hier S. 567. 238 Ebd., S. 559.

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graphischen Methoden sowie der Heranziehung des pathologisch-anatomischen Befundes.“239 EKG-Untersuchungen am isolierten Froschherzen und am Menschen Die Tierversuche nahm Hoffmann sowohl am freigelegten als auch am isolierten Froschherzen vor. In ersterer Experimentalanordnung wurden die Froschherzen zunächst operativ freigelegt und an der Oberfläche des Ventrikels mit einem Schreibhebel verbunden, der sich immer mitbewegte, wenn der Ventrikel an der Herzoberfläche seine räumliche Lage veränderte. Diese „Suspensionskurve“ wurde als der mechanische Ausdruck der Kontraktion der betroffenen Herzteile gedeutet und (anders als bei Einthoven) gemeinsam mit dem EKG dargestellt (Abb. 16). Abbildung 16: Elektrokardiogramm und Suspensionskurve des Ventrikels einer Temporaria [Grasfrosch, Rana temporaria] gleichzeitig übereinandergeschrieben.

Quelle: Hoffmann, Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere, 1910 (133), 11-12, 552-578, hier S. 562. Copyright: Springer Nature. Legende zu Abbildung 16: Die Latenzzeit beträgt zwischen Beginn des Elektrokardiogramms und Beginn der Ventrikelzuckung 0,18 Sek.

Hoffmann beobachtete, dass das EKG des Froschherzens bereits 0,18 Sekunden vor der am Suspensionshebel erkennbaren Kontraktion des Muskels begann. 240 Die gestrichelten Linien unter den beiden Kurven dienten als zeitliche Orientierungsmarken und erlaubten, die beiden verschiedenen Messparameter EKG- und Suspensionskurve graphisch-synoptisch zusammenzufassen, damit die Latenzzeit zwischen

239 Ebd., S. 553. 240 Ebd., S. 562.

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der elektrischen Erregung des Froschventrikels und seiner mechanischen Bewegung sofort und auf einen Blick zu erfassen war. Weitere Versuchsanordnungen erlaubten es, am isolierten Herzen verschiedene Lösungen und Substanzen zu applizieren, indem man diese bis zu einer der zu untersuchenden Herzarealen entsprechenden Höhe eines Glastrichters auffüllte. Die Froschherzen wurden schon durch die Einwirkungen von destilliertem Wasser erheblich in ihrer Kontraktionskraft geschädigt, was die Suspensionskurven im Verlauf weiterer Applikation gen Null fallen ließ. Trotzdem wurden die EKGAusschläge des Saitengalvanometers zunächst nicht schwächer (Abb. 17A). Sogar bei stillstehender Kammer zeigten sich noch vereinzelte Ausschläge am Galvanometer (Abb. 17B und C), die durch eine Feinjustierung des Geräts dem ‚normalen‘ EKG sehr ähnlich waren (Abb. 17D). Abbildung 17: Rana esculenta (Teichfrosch): Herz ausgeschnitten am Sinus auf Korkplatte im Trichter befestigt.

Quelle: Hoffmann, Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere, 1910 (133), 11-12, 552-578, hier S. 562. Copyright: Springer Nature. Legende zu Abbildung 17: Der Trichter wird mit destilliertem Wasser gefüllt. Beginn des Versuches 11 Uhr. A) 11 Uhr 15 Min. B) 11 Uhr 25 Min. C) 11 Uhr 35 Min. Stillstand von Vorhof und Kammer. D) Dito mit größerer Empfindlichkeit des Galvanometers gezeichnet. 11 Uhr 40 Min.

Diese Versuche zeigten ein direktes Missverhältnis zwischen EKG und der Muskeltätigkeit des Froschherzens, indem Hoffman nachwies, dass ein schwer geschädigtes Herz unveränderte und zum Teil noch größere Ausschläge am Saitengalvanometer geben konnte als ein kräftig kontrahierendes Herz.241 Die Übersetzung dieser Ergebnisse auf das menschliche Herz hielt Hoffmann für unproblematisch. Dies lag

241 Ebd.

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zum einen an der eher grundlegenden Fragestellung hinter seinen Versuchen und zum anderen an der langen Tradition des Frosches als Versuchstier in der Elektrophysiologie.242 So ging Hoffmann davon aus, dass das Einkammer-EKG des Frosches dem Zweikammer-EKG des Säugetieres „in seiner Form außerordentlich nahe“ kommt.243 Beim Menschen zeichnete er den Spitzenstoß (der an der vorderen Brustwand messbare Impuls der Herzspitze während der Systole) durch ein Mikrophon auf und übertrug dieses Signal auf ein kleines Saitengalvanometer. Auch hier zeigte sich eine Latenzzeit zwischen Erregung und Kontraktion (mind. 0,08 Sek.) zwischen dem Beginn der EKG-Kurve und dem Beginn der Herztonschreibung des Spitzenstoßes (Abb. 18).244 Die gleichzeitig mit verschiedenen Galvanometern aufgezeichneten Kurven bewiesen für Hoffmann, dass die elektrische Erregung der eigentlichen Tätigkeit auch des menschlichen Herzmuskels weit vorausgeht und dass das Kammerelektrogramm (Q-R-S) so nicht die Folge der Kontraktion sein kann.245 Hoffmann kam zu dem Schluss, zwischen „Erregungswelle“ und „Kontraktionswelle“ zu differenzieren, wobei er klarstellte, dass die Beziehung dieser beiden Wellen noch nicht aufgeklärt war: Es sei nämlich denkbar, dass in pathologischen Fällen, wie im Experiment trotz normaler Erregungswelle die Kontraktionswelle nicht derselben folgte. 246

242 Bereits der Begründer der galvanometrischen Methode Luigi Galvani zeigte 1787 am Froschmuskel, dass dieser bei elektrischer Ladung kontrahierte. Wegen der einfachen Präparierung und der hohen Leitfähigkeit der Muskelfasern, war der Frosch auch im 19. Jahrhundert das Tiermodell der Wahl für die elektrophysiologische Forschung. Ein frühes, nach den Prinzipien des Ludwig’schen Kymographions entwickeltes Gerät zur Registrierung von Muskelkontraktionen war die bereits erwähnte „Froschzeichenmaschine“ (1850) von Hermann von Helmholtz (1821-1894), welches die Bestimmung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Nervenreizung im zeitlichen Verlauf erlaubte (vgl. de Chadarevian, in: Rheinberger/Hagner [Hg.], 1993,S. 39-40). 243 Hoffmann, Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere, 1910 (133), 11-12, 552-578, hier S. 564. 244 Ebd., S. 562. 245 Ebd., S. 563. 246 Ebd., S. 567.

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Abbildung 18: Elektrokardiogramm und Spitzenstoß gleichzeitig mittels zweier Galvanometer am Menschen aufgezeichnet.

Quelle: Hoffmann, Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere, 1910 (133), 11-12, 552-578, hier S. 562. Copyright: Springer Nature. Legende zu Abbildung 18: Der Spitzenstoß wurde mit dem Edelmannschen Telephon (Mikrophon) aufgenommen und die Schwingungen wurden auf ein kleines Saitengalvanometer übertragen. Die Latenzzeit beträgt 0,08 Sekunden.

Die geschilderten Experimente Hoffmanns an isolierten Froschherzen und an Menschen schreiben sich in ein komplexes Entwurfsgeschehen zur Konstruktion der Semantik des EKG ein. Sie entkräfteten die Annahme, dass das EKG als „authentische ‚Elektro-Sprache des Herzens‘“247 nicht nur die elektrische Aktivität, sondern auch die Kontraktionskraft anzeigte. Sie zeigten zugleich, dass man sich in den 1910er Jahren zwar der klinischen Bedeutung der Elektrokardiographie bewusst, aber zugleich noch nicht darüber im Klaren war, was die EKG-Kurven genau aussagten. Das EKG konnte allein für sich in vielen Fällen diagnostisch noch nicht ‚wahr sprechen‘. So erschien es zunächst als Supplement bereits bekannter Methoden (namentlich der Herzschallschreibung, der Messung von Bewegungsvorgängen des Herzens und der Messung verschiedener Pulsarten), die durch den Einsatz des Saitengalvanometers entscheidend verbessert wurden. Der Status des EKG als Supplement lässt sich bei Hoffmann wie folgt belegen: „Für die Analyse der Elekt-

247 Tanner, in: Hess (Hg.), 1997, S. 89.

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rokardiogramme ist ein Vergleich der Phasen desselben mit den einzelnen mechanisch registrierbaren Phasen der Herztätigkeit notwendig.“ 248 Durch das Hinzutreten der Elektrokardiogramme zu den bereits etablierten physiologischen Kurven, musste man sich zunächst der „Ökonomie der Synopse“ (Derrida, vgl. Kap. 1.8)249 vergewissern und die verschiedenen Kurven sowie die durch sie ausgedrückten Parameter ‚zusammenziehen‘. 2.2.2 Das EKG als Supplement bereits etablierter Methoden und die „Aisthetik“ synoptischer Darstellung Die aus dem Vergleich zwischen EKG-Kurven und den Kurven mechanischer Registriermethoden produzierten Differenzen ermöglichten Hoffmann nicht nur, die theoretische Unterscheidung zwischen der bioelektrischen „Erregungs-“ und der mechanisch gemessenen „Kontraktionswelle“ vorzunehmen, sondern dabei vor allem die zeitlichen Verhältnisse zwischen den verschiedenen Kurven zu studieren. Der ‚Output‘ dieser Anordnung war die zeitgleiche Messung von insgesamt vier verschiedenen Parametern: EKG, Herztöne, Spitzenstoß und Karotispuls, deren Originalregistrierungen Hoffmann verstreut an verschiedenen Stellen seines EKGBuches von 1913 zeigt (hier nicht abgebildet) und in einem Schema graphischsynoptisch zusammenfasst (Abb. 19). Die Aisthetik und erkenntnistreibende Macht dieses synoptischen Schemas entsteht aus seiner Übersichtlichkeit und der klar definierbaren zeitlichen Zuordnung der verschiedenen Kurven: Die Markierungslinien machten es möglich, danach zu fahnden, ob in Krankheitsfällen eine wesentliche zeitliche Verschiebung der gemessenen Parameter stattfand. Eine solche beobachtete Hoffmann z.B. bei der Extrasystolen-Arrhythmie und bei der dissoziierten Kammertätigkeit. Zudem lag es nahe, zu überprüfen, ob bei erregter Herztätigkeit (Sinus-Tachykardie) vielleicht Bewegungsvorgänge rascher dem EKG folgten als in der Norm und umgekehrt ob in Fällen von Herzinsuffizienz etwa Verspätungen zu konstatieren waren. 250 Dieses Verhältnis untersuchte Hoffmann lediglich an fünf Fällen von nervöser Herzbeschleunigung und elf Fällen von Herzinsuffizienz, indem er Karotis-Pulskurven und Elektrokardiogram gleichzeitig aufzeichnete. Dabei konnte er aber keine regelmäßigen oder sicher feststellbaren Veränderungen finden. 251

248 Hoffmann, 1913, S. 28. 249 Derrida, 1974 [1967], S. 278. 250 Hoffmann, 1913, S. 33. 251 Ebd.

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Abbildung 19: Synoptisches Schema des zeitlichen Verhaltens (von oben nach unten) vom EKG zu Herztönen, Spitzenstoß und Karotispuls.

Quelle: Hoffmann, 1913, S. 29. Copyright: Verlag J.F. Bergmann (Wiesbaden).

Die Schema-Abbildung führt den Leser des EKG-Buches von 1913 durch die zahlreichen in verschiedenen Kombinationen verstreut dargestellten Überlagerungen von EKG- und anderen physiologischen Kurven und gibt ihm eine Orientierung bei der Einteilung der zeitlichen Abläufe der einzelnen Herzphasen, die wiederum Rückschlüsse auf bestimmte Pathologien zulassen. Die analogtechnisch erzeugten Originalregistrierungen der verschiedenen Saitengalvanometer werden in ein Schema übersetzt, das nicht mehr direkt etwas mit den lebendigen Versuchsobjekten selbst zu tun hat. Die Messergebnisse werden zusammengefasst, indem die Kurven „zusammengezogen“252 werden: Es sind also nicht die Inskriptionen des Lebendigen per se, sondern die „Kaskade immer simplifizierter [und abstrahierter, TK] Inskriptionen“253 in der oben gezeigten Schema-Abbildung (Abb. 19), die die einzelnen Herzphasen in „ganz bestimmte Beziehung zu den einzelnen Zacken des Elektrokardiogramms […] bringen […].“254 Die Inskriptionen lassen so u.a. die Differenzierung zwischen „Erregungs-“ und „Kontraktionswelle“ zu. Die zuvor ver-

252 Vgl. den Titel von Latours Aufsatz „Drawing Things Together: Die Macht der unveränderlichen mobilen Elemente“ („immutable mobiles“), in: Belliger/Krieger (Hg.), 2006, S. 259-307. 253 Ebd., S. 281. 254 Hoffmann, 1913, S. 29.

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streuten Kurven mussten schematisiert und zu weniger Kurven werden,255 um die erkenntnistreibende Macht der Synopse für die Belange eines Vergleichs von Puls-, Herzton-, Spitzenstoß- und den neuen EKG-Kurven voll und ganz operationalisieren zu können. Die Verschaltung der eingesetzten Settings und deren Geräte verlangten einen „obligatorischen Durchgangspunkt“ (vgl. Kap. 1.5) in Hoffmanns Medizinischer Klinik: Um an jedem Galvanometer sowohl das EKG als auch die Herztonschreibung und die Registrierung von Bewegungsvorgängen des Herzens beliebig anzulegen, war eine Schalttafel mit dreifacher Stöpselvorrichtung erforderlich, von der aus man zentral und ohne großen Zeitaufwand beliebig kombinierte Registrierungen gleichzeitig vornehmen konnte. 256 In diesem Sinne hatte die graphisch-synoptische Übersichtlichkeit der Schema-Abbildung ihre analogtechnische Entsprechung in der Verschaltung der verschiedenen Messvorrichtungen in der Klinik. Hoffmanns Experimente an Fröschen und Studien am Menschen spannen Übersetzungs- oder Translationsketten auf, die – mit Latour gesprochen257 – alle samt die Bewegung von der Materie hin zur Form verfolgen: Der noch nicht eingebettete (menschliche oder tierische) Organismus wird zunächst in das experimentelle Arrangement eingelassen und mit den Registrierapparaturen entsprechend verbunden (s.u. Kap. 2.2.3). Die vitalen Lebensäußerungen des Organismus werden durch die multifunktionelle Apparatur des Saitengalvanometers analogtechnisch in experimentelle Spuren (Kurven) übersetzt. Dabei kommen (wie bereits in Kap. 1.6.2.2 erläutert) alle drei Rheinbergischen Visualisierungstypen zum Einsatz: 1. die Dilatation/Vergrößerung durch die Projektion der aufgezeichneten Spuren auf ein kurvenschreibendes Trägermedium;

255 Vgl. Latour, in: Belliger/Krieger (Hg.), 2006, S. 288. 256 Hoffmann, 1913, S. 17. 257 In seiner Untersuchung zur „Zirkulierenden Referenz. Bodenstichproben aus dem Urwald am Amazonas“ macht Latour im Kontext des Verhältnisses zwischen konkreten Bodenproben und ihrer graphischen Darstellung in einem Forschungsartikel auf Übersetzungsketten von der Materie hin zur Form aufmerksam: „Man bemerkt, dass jedes beliebige Glied der Kette von seinem Ursprung her auf die Materie und von seiner Bestimmung her auf die Form bezogen ist; dass es aus einem zu konkreten Ensemble herausgenommen wird, um dann im nächsten Schritt selbst wieder als zu konkret zu erscheinen.“ (Latour, 2002 [1999], S. 70) Dieses Zitat wird in Verbindung mit dem Aspekt der Translationsketten von der Materie hin zur Form in den Analysen der Experimentalsysteme der SFB 30 (Kap. 2.5.2.1) und SFB 612 (Kap. 3.3 und 3.4) wieder aufgegriffen.

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2. das Enhancement/die Verstärkung durch den Einsatz von signalverstärkenden Magnetfeldern und elektrischen Strömen im Saitengalvanometer selbst; 3. die Schematisierung durch die von Hoffmann vorgenommene abstrahierte Synopse der verschiedenen synchron aufgezeichneten physiologischen Kurven. Die mit Cornelius Borck aufgegriffenen Aspekte der Konstruktion der Semantik und der Aisthetik des EKG verschachteln sich bei diesen Darstellungsmodi in gewisser Weise: Denn Hoffmann zeigt mit der Überlagerung verschiedener physiologischer Kurven zum einen, dass das EKG nicht als Ausdruck der Kontraktionskraft des Herzen zu verstehen ist (Aspekt der Semantik des EKG); zum anderen erlaubt die abstrahierende Darstellung und Übersetzung überlagerter Kurven in ein Schema (Aspekt der Aisthetik des EKG), die genauen zeitlichen Verhältnisse zwischen den einzelnen durch die Kurven dargestellten Parameter in einer eleganten Übersicht zu problematisieren. Das Zusammenziehen und aufeinander Beziehen von Spuren verschiedener physiologischer Parameter erzeugte einen durch das Saitengalvanometer apparativ-gestützten Repräsentationsraum, in welchem sich Spuren zu Daten, Daten zu Mustern und diese Muster hinterher zu möglichen Fakten verdichten ließen, die ihrerseits wieder Anlass zu neuen Experimenten bzw. Studien an Patienten und damit zur Rekonfigurationen ebendieser Muster gaben. 258 Die Plattform für diesen Darstellungsraum bot die Medizinische Klinik der Medizinischen Akademie Düsseldorf, anhand derer die standortspezifische Situativität des EKG im Folgenden illustriert werden soll. 2.2.3 Die Situativität des EKG und seine Implementierung in die Medizinische Klinik in Düsseldorf Bereits Einthoven entwickelte erste standardisierte Anweisungen für das Setting eines korrekt durchgeführten klinischen EKG. Dazu mussten nicht nur die Apparate und Räumlichkeiten entsprechend eingerichtet werden; auch die Patienten und Probanden bedurften der geeigneten Positionierung und Darstellung (vgl. Abb. 20A).

258 Vgl. Rheinberger, in: Sachs-Hombach (Hg.), 2009, S. 132.

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Abbildung 20: Klinisches elektrokardiographisches Setting.

Quelle und Copyright: Abbildung 20A: „Hart Long Centrum Leiden“, in: Internetseite des Hart Long Centrums Leiden, unter: https://hartlongcentrum.nl/over-ons/einthoven/, Stand: 03.06.2015; Abbildung 20B: Hoffmann, 1911, S. 154, Copyright: Verlag J.F. Bergmann (Wiesbaden); Abbildung 20C: Hoffmann, Methods & Problems of Med. Educ., 1929 (11), 19-27, hier. S. 23, Copyright: Rockefeller Foundation. Legende zu Abbildung 20: A) Ein am Saitengalvanometer angeschlossener Patient mit einer EKG-Ableitung von rechter und linker Hand zur Illustration der Anordnung der Elektroden für die ExtremitätenAbleitung in Einthovens erster Veröffentlichung über das EKG als klinisches Diagnoseinstrument. Die Versuchsperson trägt vermutlich die übliche Krankenhauskleidung und wird – vom „Dispositiv“259 der Anordnung auf ihre Krankenrolle diszipliniert – ganz und gar als Objekt der Ableitungsprozedur dargestellt und von der Maschine auf eine bestimmte Haltung zugerichtet. 260 B) Vollständiges klinisches Setting der EKG-Abteilung der Medizinischen Klinik der Akademie für praktische Medizin aus dem Jahre 1911. Die Situation beschreibt Hoffmanns EKG-Abteilung vor dem Bezug des Neubaus der Medizinischen Klinik im Jahre 1924.

259 Wie schon in Kap. 2.1.1 (S. 131, FN 39) erläutert, versteht Foucault unter dem Begriff „Dispositiv“ ein „entschieden heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebensowohl wie Ungesagtes umfasst. […] Das Dispositiv selbst ist das Netz, das zwischen diesen Elementen geknüpft werden kann.“ (Foucault, 1978, S. 119-120) Im vorliegenden Fall der Positionierung der EKGAbleitung erscheint das Dispositiv eher als konkrete Mensch-Maschine-Kopplung, die jedoch auch Diskurse (z.B. Publikationen) und Materialitäten (z.B. Versuchsanordnungen) im wahrsten Sinne des Wortes vernetzt. (Im Französischen ist der Begriff „dispositif“ für die Bezeichnung einer maschinellen Anlage nicht unüblich, vgl. hierzu detailliert Krämer, 2011, S. 86 ff.). 260 vgl. Borck, in: Hess (Hg.), 1997, S. 82-83.

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C) EKG-Abteilung der Medizinischen Klinik der Medizinischen Akademie Düsseldorf im Untergeschoss des Neubaus der Medizinischen Klinik von 1924.

Hoffmann beschrieb die EKG-Apparatur in ihrer Mensch-Maschine-Kopplung und der damit verbundenen Einbettung des Körpers des Patienten wie folgt: „Der Patient selber [sic] befindet sich bei der Aufnahme in einem bequemen Lehnstuhl, der bei unserer Einrichtung so beschaffen ist, dass durch Vorziehen eines auf vier Füßen ruhenden Verlängerungsstückes [in Abb. 20B und C nicht dargestellt] und durch Senken der Rückenlehne ohne weiteres [sic] ein Liegesessel daraus gemacht werden kann. In der Regel nehmen wir das E.K.G. [sic] in einer bequem sitzenden Stellung auf, wobei die beiden Hände in die Armwannen eintauchen und der linke Fuß in eine Fußwanne. Zahlreiche vergleichende Untersuchungen haben mir gezeigt, dass sowohl bei regulärem wie irregulärem Puls es gleich ist, welches Bein man zur Ableitung wählt […], nur die Wahl der Arme verändert die Kurven.“261

Der „bequeme Lehnstuhl“ (vgl. Abb. 20B und C) diente nicht nur dazu, dem Patienten durch möglichst viel Komfort eventuelle Ängste zu nehmen, sondern vor allem ihn in eine ruhige für die EKG-Ableitungen ideale Position zu bringen, um möglichst vergleichbare Kurven zu erhalten. So war die Standardisierung der EKGAbleitung auch von einer standardisierten und disziplinierten Haltung der untersuchten Patienten abhängig. Die Situativität des EKG an der Medizinischen Klinik in Düsseldorf lässt sich weiter durch ihre räumliche Konnektivität beschreiben. Bereits vor dem Neubau von 1924 war es möglich, den Patienten in einem vom Galvanometer beliebig weit entfernten Raum zu belassen, indem man die Aufnahmewannen (Elektroden, siehe Abb. 20) dort aufstellte. Durch Drahtleitungen konnten die Aktionsströme des Patientenherzens fortgeleitet und dem Saitengalvanometer zugeführt werden. Dabei musste man die Drahtleitungen durch Metallhülsen erden, um sie vor dem „Einfallen vagabundierender Ströme“ zu schützen.262 Jeder Pavillon der Medizinischen Klinik – vor 1924 war diese in den Pavillons der heutigen Hals-Nasen-Ohren- und Augenklinik untergebracht – war mit neben den Erdungskabeln angebrachten Telefonleitungen verbunden, wodurch Hoffmann eine Vielzahl an EKG-Kurven archivieren konnte. Die in seinem EKG-Handbuch abgebildeten EKG-Kurven sind zumeist derartige Telekardiogramme. Somit etablierte sich die Medizinische Klinik in Düsseldorf als eines der ersten „centers of calculation“ (im Sinne Latours, vgl. Kap. 1.4.1) für die Erstellung kombinierter Krankenakten, die nicht nur für Folge-

261 Hoffmann, 1913, S. 12. 262 Ebd., S. 18.

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untersuchungen, sondern auch für die Forschung unveränderlich, aber mobil (vgl. Latours „immutable mobiles“) zur Verfügung gestellt wurden: „Ich habe die in meiner Klinik seit 6 Jahren [1908-einschl. 1913] aufgenommenen Elektrokardiogramme, ebenso wie die Röntgenplatten aufgehoben und registriert, so dass sie zum Vergleich bei späteren Wiederaufnahmen jederzeit herangezogen werden können.“263

Trotz aller technischen Raffinessen war die Registrierung der Herz-Aktionsströme mittels Elektrokardiographie bis weit in die 1920er Jahre hinein ein äußerst störanfälliges Verfahren. Neben der Empfindlichkeit des Quarzfadens des Saitengalvanometers, der schon durch geringste Luftbewegungen im Raum oder Erschütterungen wie etwa durch das Schlagen einer Tür bewegt werden konnte, waren die Stromquellen ein Störfaktor. Zum einen bedurften die an das Saitengalvanometer angeschlossenen Elektromagnete einer besonderen Stromquelle, die ständig aufgeladen werden musste. Zum anderen beeinträchtigten im gleichen Haus befindliche Wechselstromleitungen die EKG-Registrierung erheblich. Schon das Klingeln eines Telefons oder einer elektrischen Schelle und noch mehr in der Nähe liegende Starkstromleitungen konnten Schwankungen hervorrufen. So berichtete Hoffmann, dass er mehrfach wochenlang nicht arbeiten konnte, weil die Fäden der Galvanometer heftige Oszillationen zeigten, die in keiner Weise aus den Instrumenten herauszubringen waren und deren Ursache mühsam gesucht werden musste.264 Eine weitere Fehlerquelle waren die von dem restlichen Instrumentarium durch einen dazwischen gesetzten Glaskasten mit Wasser getrennten Gleichstrombogenlampen. Ihre Spannung konnte zu Störungen bei der Aufzeichnung der EKGKurven führen. Außerdem war der durch das Licht der Lampen grau erscheinende Fadenschatten auf den Fotoplatten nicht gut sichtbar. Für Hoffmann erwies es sich als nützlich, den Inhalt des Gefäßes leicht gelb zu färben bzw. eine Gelbscheibe davor anzubringen: „Der Fadenschatten bekommt dann eine dunklere Farbe und die so photographierten [sic] Kurven sind schöner.“265 „Schöner“ steht hier klar im Dienste der optischen Konsistenz. Die diagnostische Evidenz wurde durch eine Vorrichtung verstärkt, welche in Verbindung mit einer eingravierten Millimetereinteilung des vor dem Spalt befindlichen Glases eine feine Netzzeichnung dem Papier mitteilte und so die Ausmessung der Kurven erleichterte.266 Dieses Verfahren stellt eine Weiterentwicklung der von Einthoven präsentieren fotographischen Tafeln (siehe Kap. 1.6.2.2, Abb. 7) dar und untermauerte die Übersichtlichkeit und synop-

263 Ebd., S. 104. 264 Ebd., S. 21. 265 Ebd., S. 22. 266 Ebd.

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tische Kraft der EKG-Kurven für ein ‚Gestalt-Sehen‘ der frühen Elektrokardiographologen und trägt zum bis heute gültigen ästhetischen Standard einer EKGDarstellung bei.267 Bei der Standardisierung der EKG-Kurve und deren Darstellbarkeit geht es darüber hinaus auch um Fragen des Formats. Nachdem man das Saitengalvanometer geeicht hatte, wurde das Fotopapier belichtet und damit die EKG-Kurve aufgeschrieben. Nachdem man sechs bis 20 Herzzyklen je nach Wunsch aufgeschrieben hatte, wurde der Spalt – durch den der Fadenschatten drang – geschlossen, wobei das Fotopapier jedoch weiterlaufen gelassen wurde. Nachdem der belichtete Teil des Fotopapiers sich vollständig im Aufnahmekasten befand, wurde das Papier zum Stillstand gebracht und nachdem man durch kurze Öffnung der Nummeriervorrichtung eine Registriernummer für den nächsten Streifen auffotographierte, wurde das Papier abgeschnitten. Dieses befand sich nun in einem herausziehbaren Kasten, wonach man es in die Dunkelkammer bringen konnte. So ließen sich zahlreiche Aufnahmen nacheinander machen, die man später gemeinsam entwickeln konnte. 268 Der Elektrokardiograph wurde so nach und nach zu einer apparativen Black Box, die alle Kriterien zur Produktion von „immutable mobiles“ erfüllte (vgl. Aufzählung im Sinne Latours in Kap. 1.6.2.2, S. 95): Die EKG-Kurven waren mobil (und von daher in verschiedene Texte verschiebbar), sie waren zugleich unveränderlich und reproduzierbar (weil graphisch fixiert), sie hatten ein leicht dominierbares flaches Format, welches sowohl die Kombination verschiedener physiologischer Kurven als auch ihre Zuordnung zu geschriebenen Texten ermöglichte.269 Das EKG zwischen Zeichen und Maschine Zusammenfassend bezieht sich die Etablierung der Elektrokardiographie auf eine Parallelisierung (und den damit verbundenen und geschilderten Übersetzungsketten) zwischen erstens Tatsache bzw. Zeichen und zweitens Maschine: Erstens: Die Elektrokardiographie bewies, dass das menschliche Herz über einen messbaren autonomen Aktionsstrom verfügt, dessen Interface die Spannung an der Oberfläche des Körpers darstellt. Gleichzeitig entwickelte sich aus dieser Erkenntnis heraus ein Konzept des elektrophysiologischen ‚gesunden‘ Herzens, dessen Parameter vollständig von dieser Technik determiniert waren. 270 Hoffmanns Studien zur Erregungs- und Kontraktionswelle (Semantik des EKG) zeigten, dass diese Technik in ihrem Entwurfsgeschehen zunächst als Supplement zu bereits etablierten mechanischen Registriermethoden (synoptische Aisthetik des EKG) be-

267 Vgl. Borck, in: Hess (Hg.), 1997, S. 78. 268 Hoffmann, 1913, S. 19-20. 269 Vgl. Latour, in: Belliger/Krieger (Hg.), 2006, S. 285-287. 270 Vgl. Borck, in: Hess (Hg.), 1997, S. 84.

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trachtet werden kann, welches einer ständigen Re-Definition bedurfte. Dies unterstreicht die charakteristische Nachträglichkeit von zuvor im Labor entwickelten und in die Klinik zu implementierenden Methoden. Denn erst Ende der 1920er Jahre bezeichnete Hoffmann in einem Übersichtsartikel die Elektrokardiographie als „unentbehrlich“ und völlig selbstständige klinische Untersuchungsmethode bzw. als ein „vollkommene[s] abgeschlossene[s] Gebäude, an dem kaum ein Stein zu fehlen scheint.“271 Anders als in seinen Texten der 1910er Jahre stellt er nun die Elektrokardiographie gegenüber den mechanischen Pulsregistrierungen als klar überlegen dar: „Zwar kann durch Venen- oder Arterienpulsschreibung, sowie Aufzeichnung des Spitzenstoßes und sonstiger Pulsationen, die vom Herzen ausgehen, in den meisten Fällen die Art der Unregelmäßigkeit erkannt werden, aber durch die Elektrokardiographie ist uns eine Untersuchungsmethode geschenkt worden, die bedeutend leichter zu handhaben ist, als die Venenpulsschreibung und die in ihrem Resultat viel weniger durch zufällige Störungen beeinflusst wird.“272

Zweitens: Die Elektrokardiographen mussten als klinisches Diagnoseinstrument praktikabler, kleiner, mobiler und kostengünstiger werden und der Patient zugleich in dieses Setting eingebettet werden („Situativität“ des EKG). Als diagnostische Black Box vermag die Elektrokardiographie so durch ihre Technik, Entscheidungsverfahren in die materielle Welt einzuschreiben und nicht nur als simple Maschine, sondern als Akteurin und Partnerin, sozusagen als ‚soziale Maschine‘ zu fungieren.273 Die Analyse Hoffmanns EKG-Forschung zeigt damit, dass die EKG-Kurven produktionsseitig (zu re-kombinierbaren „immutable mobiles“) standardisiert und rezeptionsseitig (in komplexen Aushandlungsprozessen zwischen elektrischer Erregbarkeit und muskulärer Kontraktion) normalisiert werden mussten.274 Dieses Spannungsverhältnis zwischen Konstruktion einer Black Box und Produktion eines klinischen Zeichens wirkte bis weit ins 20. Jahrhundert. Bis in die 1960er Jahre wurden immer komplexere und praktikablere Registrierapparaturen und neue Ableitetechniken entwickelt. Jede der heute gängigen (bipolaren und unipolaren) Ableitungen erfasst aufgrund der Lage ihrer Elektroden Potentialänderungen eines bestimmten Bereiches des Herzens und erlaubt so Aussagen über die Funktion der unterschiedlichen Areale. Anhand der Deformierung der

271 Hoffmann, Münch. Med. Wochenschr. 76 (1929): 315-318, hier S. 317. 272 Ebd., S. 317. 273 Vgl. Belliger/Krieger, in: dies. (Hg.), 2006, S. 15. 274 Vgl. Gugerli, traverse. Zeitschrift für Geschichte, 1999, 6(3): 131-159, hier S. 141.

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EKG-Kurve kann man heute nicht nur Rückschlüsse auf Herzrhythmusstörungen, sondern auch auf Anzeichen von Herzinfarkt, auf koronare Herzkrankheit, Verdickungen der Herzwand (Hypertrophie), Funktionsstörungen des rechten oder linken Herzens, Entzündungen der Herzbeutel (Perikarditis) oder des Herzmuskels (Myokarditis) sowie auf Elektrolytstörungen und unerwünschte Arzneimittelwirkungen ziehen.275 Bei aller Fortschrittsdarstellung darf man aber nicht vergessen, dass es bis zum Ende der 1940er Jahre gedauert hat, bis ein Ableitungsmodell mit einer angenäherten Nullpotential-Elektrode erarbeitet und den bis heute üblichen sechs Ableitungen von der Brustwand (sogenannte Wilson-Ableitung) etabliert wurde, das als optimal erkannt und international anerkannt wurde.276 Aufgrund dieser ‚Erfolgsstory‘ stellen sich sowohl EKG-Kurven als auch moderne kompakte EKG-Apparate als visuelle Selbstverständlichkeiten bzw. als apparative Black Boxes dar und erscheinen dem klinischen Anwender als unhinterfragte Dispositionen. Verschleiert wird dadurch nicht nur das oben geschilderte kontingente Entwurfsgeschehen, das der Einführung des EKG in die Klinik zugrunde lag, sondern es entsteht auch die Gefahr, klinische Kontingenzen und die Individualität des Patienten durch „unkritisches Gerätevertrauen“ zu missachten. Die Erkenntnisse Hoffmanns, dass das EKG nicht als Ausdruck der Kontraktilität des Herzens betrachtet werden kann, wirken in diesem Sinne bis heute fort. Denn der durch die Implementierung des EKG aufgespannte Repräsentationsraum ist keineswegs unproblematisch. Moderne kardiologische Lehrbücher warnen bis heute vor dieser Gefahr: „Das EKG misst immer nur die elektrische Aktivität des Reizleitungssystems des Herzens. Das Vorhandensein elektrischer Aktivität bedeutet NICHT [sic] zwangsläufig eine suffiziente Pumpfunktion. Die Aufmerksamkeit gilt daher primär immer dem Zustand des Patienten – Vorsicht vor unkritischen Gerätevertrauen.“277

Gerade weil das EKG sowohl apparativ (durch die Verschachtelung in eine Black Box) als auch seh-konventionell (durch die optische Konsistenz der ikonographischen Kurven) zu einer Disposition der modernen Medizin geworden ist, verlangt sie dem Diagnostiker nicht nur explizites Wissen (etwa über die exakten physiologischen Vorgänge des Herzens als Erregungsleitungssystem oder die Funktionalität der Apparate), sondern auch implizites Wissen und Erfahrung ab. Indem die EKGKurve zur vorherrschenden Darstellung für die Potentialschwankungen des Herzens

275 Einen chronologischen Überblick über die kardiale Elektrophysiologie bietet Lüderitz, Hellenic J Cardiol 2009, 50(1): 3-16. 276 Holzmann, in: Blümchen (Hg.), 1979, S. 125-126. 277 Lederhuber, 2005, S. 16.

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wurde, ermöglichte sie eine entsprechende Seherfahrung (‚Gestalt-Sehen‘), den Kurvenverlauf graphisch-synoptisch (auf einen Blick) zu erfassen und gegebenenfalls weiter zu interpretieren. Als „Handlungswissenschaft“ 278 spannt die Medizin somit im Wechselverhältnis zwischen Theorie und Praxis neue, aber stets zu stabilisierende Repräsentationsräume auf. Hoffmann war von seinem Denkstil her solchen integrativen Ansätzen zwischen Labor und Klinik nicht fern: Trotz seiner optimistischen Verwendung und Weiterentwicklung von modernen Methoden wie der Elektrokardiographie oder auch der Röntgenologie betrachtete er sie als Mittel zur „Kontrolle der klinischen Methoden, der sinnlichen Wahrnehmung des Untersuchers“ und warnte davor, dass auch die „komplizierten Methoden […] ihre Fehlerquellen“ hatten und dass bei „Überschätzung der Methoden“ zeitweilig „die Gefahr nahe lag, dass der Schwerpunkt der Krankenuntersuchung in das Laboratorium verlegt würde.“279 Er plädierte dementgegen für einen – durchaus noch heute vertretbaren – integrativen Ansatz der Inneren Medizin, der hinsichtlich der Organe eine ganzheitliche, aber gleichzeitig individuelle und daher patientenbezogene Diagnose und Therapie unter Einbezug aller bekannten klinischen Parameter ermöglichen sollte. 280

2.3 ENTWICKLUNG DES HERZKATHETERISMUS UND DER ANGIOKARDIOGRAPHIE 2.3.1 Voraussetzungen der Angiokardiographie: Entstehung der Röntgentechnik Parallel zu seinen EKG-Forschungen beschäftigte sich Hoffmann seit 1898 mit Röntgenstrahlen zur Herzdiagnostik. Die 1895 von Conrad Röntgen eingeführte Technik basiert auf einem komplexen technisch-apparativen Datenerhebungsverfahren, das im Folgenden mithilfe der Ausführungen des Medienwissenschaftlers Markus Buschhaus281 erläutert und anschließend mit dem Technikhistoriker David Gugerli hinsichtlich ihrer „soziotechnischen Evidenz“282 interpretiert werden. Unter Bezugnahme der Rheinberger’schen Visualisierungstypen in den Naturwissenschaf-

278 Labisch/Paul, „Medizin“, in: Korff (Hg.), S. 630-642, hier S. 632, (Lit.verz., WB & NW). 279 Hoffmann, 1911, S. 3. 280 Vgl. ebd., S. 2-3. 281 Buschhaus, 2005, S. 168 ff., der u.a. Röntgenbilder in „Über den Körper im Bilde sein. Eine Medienarchäologie anatomischen Wissens“ analysiert. 282 Gugerli, traverse. Zeitschrift für Geschichte, 1999, 6(3): 131-159.

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ten erfolgt abschließend die Darstellung einer klinischen Schematisierung mittels der Überlagerung von Perkussion und Röntgenbild bei Hoffmann. Der soziotechnische Voraussetzungsreichtum der Röntgenologie Die Röntgenstrahlen sind elektromagnetisch hochenergetische und für das menschliche Auge unsichtbare Wellen mit einer sehr kurzen Wellenlänge, die Körper durchdringen können. Zur Produktion eines Röntgenbildes wird der zu untersuchende Körper zwischen der Röntgenröhre und einem als Bildträger fungierenden Detektor (z.B. fotosensitive Platten) positioniert. Nicht alle ausgesendeten Röntgenstrahlen gelangen dabei auf den Bildträger, da der von den Strahlen durchdrungene organische Körper an verschiedenen Stellen unterschiedlich hohe Absorptionsgrade aufweist. Luft z.B hat einen sehr geringen, weiche Gewebe wie Muskeln oder Fett einen mittleren und Knochen einen sehr hohen Absorptionsgrad, sodass beim letzteren nur wenige Strahlen den Bildträger erreichen. Umso mehr Röntgenstrahlen auf den Bildträger treffen, umso stärker wird er von den Strahlen geschwärzt. Mit zunehmenden Absorptionsgrad der Körperteile kommt es demnach zu einer verminderten Schwärzung des Bildträgers, wodurch z.B. Knochen auf dem Röntgenbild sehr hell und Weichteile eher in dunklen Grauschattierungen erscheinen. 283 Der erkenntnismäßige Status der Röntgenbilder war zunächst prekär, denn nicht alle im Röntgenbild scharf hervortretenden Umrisse und Linien entsprachen einem „abgeschlossenen anatomischen Begriff“ und umgekehrt nicht alle „makroskopisch-anatomisch[en] […] Punkte und Linien“ hatten ihre eindeutige Entsprechung im Röntgenbild.284 Dennoch fand die Technologie in relativ kurzer Zeit Anwendung in der Klinik. Diese auf den ersten Blick problemlose Karriere der Röntgentechnik untersucht Gugerli als „soziotechnische Evidenz“ verstanden als die Analyse der Röntgenbilder „im Kontext ihrer technischen Herstellungsweisen und ihrer gesellschaftlichen Wahrnehmungsformen“. 285 In dieser Perspektive wird deutlich, dass das diagnostische Potenzial der sogenannten „X-Strahlen“ nicht von Anfang ausgemachte Sache war, sondern spezielle „Bedingungen an die Anschlussfähigkeit“ bereits existierender wissenschaftlicher, medizinischer und kultureller Praxis erforderlich waren, um als diagnostische Disposition (Gugerli spricht hier äquivalent von der „Produktion von Selbstverständlichkeiten“) im klinischen Raum positioniert werden zu können. 286 Wie das EKG und andere informationstechnische Speicher- und Übertragungsmedien (z.B. Telegraphie, Fotographie, Grammophone oder Schreibmaschinen) des

283 Für vorherigen Absatz siehe Buschhaus, 2005, S. 172. 284 Grashey zitiert nach Buschhaus, 2005, S. 178. 285 Gugerli, traverse. Zeitschrift für Geschichte, 1999, 6(3): 131-159, hier S. 132. 286 Ebd., S. 134 und 136.

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ausgehenden 19. Jahrhunderts erzeugten Röntgenbilder eine „Suggestion unmittelbarer Repräsentation“ mit allen Vorteilen einer nicht-invasiven Visualisierungstechnik: „Röntgenbilder ersetzten den subjektiven Blick des mit Schere und Hammer bewaffneten pathologischen Anatomen durch ein physikalisch-chemisches Aufschreibesystem, das in mechanischer Weise selbst an menschlichen Körpern Transparenz schaffen, ja dessen innere Struktur fotografisch reproduzieren konnte.“287

Wie die Fotographie erzeugten Röntgenbilder nicht nur Spuren, sondern ganze Bilder, wodurch sie an das „fotografische Versprechen unmittelbarer Sichtbarkeit“ anschließen konnten. Demnach wurden die Bilder verfahrenstechnisch schon früh in die Nähe der Physiologie und der wissenschaftlichen Fotographie (namentlich die von Robert Koch Ende des 19. Jahrhunderts veröffentlichten Fotographien von Krankheitserregern) gerückt.288 Die Herstellung der Beziehung zwischen dem Schattenbild und dem durchstrahlten Körperteil als eine „Beziehung des ‚Durchblicks‘“ konnte sich nach Gugerli nur durch die „Produktion eines unsichtbaren, aber radiologisch bedeutungsvollen ‚Innen‘“ etablieren, welches wiederum ihre Anschlussfähigkeit in der Inneren Medizin und Chirurgie fand. Durch die Unmittelbarkeit der Repräsentation bediente die Röntgentechnik zum einen das in Kap. 2.1.1 mit Foucault beschriebene skopische Regime des „ärztlichen Blicks“ (mit der „Triangulation der Sinne“289 zwischen Sehen-Berühren-Hören) und machte die Technik auf breitem Gebiet anwendbar: „Erst die Anwender, Mediziner vor allem, verstehen die Röntgentechnik als Fortsetzung ihrer endoskopischen Praxis mit anderen Mitteln. Sie sind interessiert an der Dinglichkeit, der Anatomie, der Blicklichkeit.“290

Zum anderen fand die Technik aber auch Anschluss an die Laborwissenschaften des ausgehenden 19. Jahrhunderts, insbesondere an die Apparaturen und Experimentalvorrichtungen der in Kap. 1.6.2 vorgestellten graphischen Methode: „Röntgentechnik gesellte sich als prima inter pares zu den bewährten Stethoskopen, Ophthalmoskopen und Laryngoskopen, sie unterstützte die Kymographen der Physiologen und die Mikroskope der Bakteriologen.“291

287 Ebd., S. 138. 288 Ebd., S. 137. 289 Foucault, 2008 [1963], S. 176. 290 Schmidt, zitiert nach Buschhaus, 2005, S. 170.

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Ähnlich dem EKG verband die Röntgentechnik bereits zum Zeitpunkt ihrer Einführung die komplexen epistemischen Felder des Labors und der Klinik. Wobei auch sie produktionsseitig standardisiert und rezeptionsseitig normalisiert werden musste, um ihren in aufwendigen Kommunikations- und Aushandlungsprozessen hervorzubringenden Evidenzcharakter herzustellen. 292 Wie bereits für das EKG festgestellt (siehe Kap. 1.6.2.2) betrifft auch die Röntgentechnik alle drei in Kap. 1.4.2 vorgestellten Rheinberger’schen Visualisierungstypen.293 Als zweidimensionales Überlagerungsbild eines dreidimensionalen Untersuchungsobjekts waren die Röntgenbilder anders als das EKG jedoch weder Ergebnis einer Dilatation (Vergrößerung) noch einer Kompression (Verkleinerung) im Sinne Rheinbergers. Denn die Höhe und die Breite des durchleuchteten Objekts bleiben erhalten, die Tiefe hingegen geht verloren. So mussten die frühen Röntgenologen nachträglich der Einführung der Technologie die Zuordnung der überlagerten Grauschattierungen der Röntgenbilder zu den zu untersuchenden Gewebestrukturen erst mühsam vornehmen und dabei stets mit technisch produzierten Artefakten und Fehlern rechnen.294 Schon früh entwickelten sich in der Röntgentechnik Verfahren des Einsatzes von Kontrastmitteln, welche es ermöglichten, die Absorptionsdichte einzelner Gewebestrukturen zu manipulieren und auf dem Bild hervorzuheben. 295 Die ersten Versuche, Gefäße mittels Kontrastmittel auf Röntgenbildern opazifiziert sichtbar zu machen, erfolgten bereits 1895 an einer amputierten Hand; es dauerte aber bis 1931 bis die erste Darstellungen der rechten Herzkammern und der Pulmonalarterien erfolgten.296 Ende der 1930er wurden dann erstmals Katheter zu Kontrastmittelinjektion am Menschen verwendet 297 und Mitte der 1940er Jahre die ersten Darstellungen der Koronargefäße am lebenden Menschen erzielt. 298 Allerdings erfolgte die Kontrastmittelinjektion hier noch nicht selektiv, d.h., es war vor der Einführung der sogenannten „selektiven Angiokardiographie“ nicht möglich, gezielt einzelne Koronargefäße sichtbar zu machen. Es wurde eher möglichst viel Kontrastmittel ver-

291 Gugerli, traverse. Zeitschrift für Geschichte, 1999, 6(3): 131-159, hier S. 139, Hervorh. im Original. 292 Ebd., S. 141. 293 Rheinberger, in: Sachs-Hombach (Hg.), 2009, S. 127-146. 294 Vgl. Buschhaus, 2005, S. 173 und 177. 295 Ebd., S. 173. 296 Fleming, 1997, S. 212. 297 Ebd. 298 Beck, 1992, S. 36.

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abreicht, um den opazifizierten Effekt auf dem Röntgenbild möglichst deutlich hervorzuheben.299 Die Opazifizierung von Gewebe- oder Gefäßstrukturen erfolgt nach dem Rheinbergischen Visualisierungstyp des Enhancements im Sinne einer Sichtbarmachung „durch Überhöhung vorhandener Formen“, die Rückschlüsse auf die Morphologie der zu betrachteten Körperstrukturen geben.300 Der durch die Injektion des Mittels – zumeist jodhaltige Substanzen – erzeugte Kontrast wird bei diesem Vorgang selbst zu einem Bestandteil des Dargestellten, weil es im wörtlichen Sinne in die Materialität des Untersuchungsgegenstands (der Gefäße) ‚einfließt‘. 301 Zugleich bildet das Kontrastmittel als „Indikator“ 302 die Schnittstelle zwischen dem sichtbargemachten Körperinneren und dem Röntgengerät, auf dessen Strahlen es jeweils spezifisch antwortet. 303 Die darzustellenden Formen werden in der visuellen Überhöhung ihrer morphologischen Strukturen nicht nur sichtbar, sondern auch messbar gemacht. Denn das im Kreislauf strömende durch Farbstoffe markierte Blut kann zusätzlich Aufschlüsse über die Kreislaufzeiten, das Blutvolumen und das Herzminutenvolumen (durch das Herz gepumpte Blut in Liter/Minute) bestimmter Gefäßabschnitte sowie über pathologische Veränderungen der Blutströmung geben. 304 Somit dient das Verfahren des Enhancements in Verbindung mit der Röntgentechnik einer instrumentell vermittelten Wissensproduktion, die Aufschluss über morphologische Strukturen, Fließeigenschaften des Blutes und dessen Volumen gibt. Die schematische Überlagerung von Perkussion und Röntgenbild bei Hoffmann Der Visualisierungstyp des Schematisierens kann am Beispiel der Supplementierung und Anschlussfähigkeit der Röntgentechnik zu den schon im 19. Jahrhundert etablierten Methoden der Perkussion und Auskultation des Herzens illustriert werden. Der Düsseldorfer Ordinarius für Innere Medizin August Hoffmann nutze bereits in der Frühphase der Etablierung dieser Technik die Röntgenstrahlen vor allem zur „Skiametrischen Untersuchung am Herzen“305 und „Beobachtungen von Herzarrhythmie mit Röntgenstrahlen“.306 Da das Herz von den lufthaltigen Lungen umge-

299 Vgl. Lichtlen, in: Lüderitz/Arnold (Hg.), 2002, S. 295. 300 Vgl. Rheinberger, in: Sachs-Hombach (Hg.), 2009, S. 132. 301 Vgl. ebd, S. 132 und 136. 302 Zum Begriff des „Indikators“ im Rahmen der Farbstoffverdünnungsmethode bei Herzkatheteruntersuchungen siehe Bayer/Loogen/Wolter, 1967, S. 24 f. 303 Vgl. Rheinberger, in: Sachs-Hombach (Hg.), 2009, S. 138. 304 Vgl. Bayer/Loogen/Wolter, 1967, S. 24. 305 Hoffmann, Verh. Kongr. Inn. Med. 1898, 16:316-327. 306 Hoffmann, Dt. Med. Wochenschr. 1899, 25: 243-245.

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ben ist, erscheint es auf den Röntgenbildern als dunkler Schatten, der sich nach rechts und links deutlich von der Umgebung abhebt. Nach unten und oben war eine Abgrenzung jedoch nur schwer möglich, da die Wirbelsäule und die oberhalb des Herzens gelagerten Gefäße einen vom Herzschatten nicht zu differenzierenden Schatten bildeten.307 Bei der „Skiametrie“ und der „Orthodiagraphie“ des Herzens wurde der Herzschatten – nach den Gesetzen der Optik – rekonstruiert und mithilfe einer (von Hoffmann selbst entworfenen) Apparatur mit Zeichenvorrichtung auf der Vorderfläche des Thorax des Patienten aufgezeichnet.308 Die Schematisierung der äußeren Grenzen des Herzschattens erfolgte also mittels der vom Untersucher vorgenommenen händisch-skizzierenden Übersetzung vom Röntgenbild direkt auf den Körper des Patienten. Die so gewonnenen „Orthodiagramme“ erlaubten es nicht nur, die äußeren Konturen des Herzens ziemlich genau zu erfassen und zu studieren, sondern die auf Grundlage der Röntgenbilder aufgezeichneten Herzschatten in Beziehung zu den durch akustische Zeichen entworfenen anatomisch-pathologischen Markierungspunkten des menschlichen Thorax zu setzen. Hoffmann stellte durch eigene Untersuchungen und mit Bezug auf andere Autoren (z.B. Friedrich Moritz [1861-1938], ein zeitgenössischer Internist) fest, dass die Perkussion des Herzens „in einer großen Anzahl von Fällen durch die Orthodiagraphie geprüft worden“ ist und „es sich gezeigt hat, dass fast immer die durch Perkussion gefundenen Grenzen [des Herzens] mit den durch Orthodiagraphie festgestellten annähernd übereinstimmen.“309 Als offensichtlichen Beweis für die Übereinstimmung der beiden Methoden zeichnete Hoffmann in seinem Lehrbuch von 1911 die durch Perkussion ermittelte Abgrenzung des Herzens als Kreuze und die durch die röntgengestützte Orthodiagraphie ermittelte Herzgrenze als Punkte auf den Thorax eines Patienten.310 Die beiden Verfahren wurden so unmittelbar auf der Körperoberfläche zeichnerisch-synoptisch zur Übereinstimmung gebracht und machten anhand der schematischen Darstellung die genaue Größe, die Form und die Lage des Herzens für den Untersucher erfassbar. Dies ermöglichte es erstmals, aufgrund von Röntgenbildern Verformungen des Herzens bestimmten Pathologien zuzuordnen.311 Die Bedeutung der Röntgenologie für die Herz-Kreislaufmedizin wurde durch eine weitere – diesmal invasive – Technik noch größer und verhalf der damals noch

307 Hoffmann, 1911, S. 27. 308 Ebd., S. 37 ff. 309 Ebd., S. 24. 310 Ebd., S. 25, vor allem Abb. 6. 311 Hoffmann stellt in seinem Lehrbuch von 1911 unter „Gestaltveränderungen des Herzens“ beispielsweise krankhafte Dilatationen des Herzens, die Insuffizienz der Aorta, Stenosen verschiedener Gefäße und der Herzklappen oder verschiedene Aneurysmen dar (Hoffmann, 1911, S. 64-77).

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nicht sogenannten Kardiologie zur Eigenständigkeit und Identität. Die Katheterisierung des Herzens und deren Entwicklung in Verbindung mit der Medizinischen Akademie in Düsseldorf werden im Folgenden dargestellt. 2.3.2 Entwicklung des Herzkatheterismus Der Chirurg Werner Forßmann (1904-1979) führte im Jahre 1929 im Krankenhaus Eberswalde bei Berlin in einem Selbstversuch einen Blasenkatheter von der Ellenbeuge aus ca. 65 cm tief über die Jugularvene in den rechten Vorhof seines Herzens ein und dokumentierte als erster weltweit ein im Menschenherzen liegenden Katheter mit einem Röntgenbild. 312 In seiner Publikation postuliert Forßmann, dass die Methode machbar und ungefährlich sei und schlägt die Katheterisierung des Herzen als Alternative der seinerzeit häufig bei Akutbehandlungen angewandten und auf-

312 Vgl. Lichtlen, in: Lüderitz/Arnold (Hg.), 2002, S. 290. Bereits 1912 unternahmen die Berliner Ärzte Bleichroder und Unger erste Selbstversuche mit Herzkathetern, jedoch ohne dies mit Druckmessungen oder Röntgenaufnahmen zu belegen oder ihre Ergebnisse zu publizieren. Erst nachdem Forßmann seine Ergebnisse 1929 publizierte, beanspruchten sie die Methode für sich (vgl. ebd. S. 291 und Nossaman B.D. et al., Cardiol Rev. 2010; 18(2): 94-101, hier S. 97). Die Idee, einen Katheter ins Herz zu schieben war indes nicht neu und bereits ab dem frühen 18. Jahrhundert experimentell erprobt worden. 1711 führte der englische Gelehrte Stephen Hales (1677-1761) die erste direkte Blutdruckmessung mittels der Einführung eines Messingrohrs in das Herz eines Pferdes durch. Anfang der 1860er Jahre wiederholten der Physiologe Etienne-Jules Marey (1830-1904) und der Veterinärmediziner Auguste Chauveau (1827-1917) diesen Versuch mit einem Katheter und konnten den Druckverlauf im schlagenden Herzen des Pferdes messen (Lichtlen, in: Lüderitz/Arnold [Hg.], 2002, S. 290). Auch Carl Ludwig und Claude Bernard nahmen tierexperimentelle Versuche mit Kathetern vor. Der Begriff „Herzkatheterismus“ („cathétérisme du coeur“) stammt von Bernard, der mit besonders biegsamen Kathetern aus Blei sowohl das rechte als auch das schwieriger zugängliche linke Pferdeherz sondierte und Temperatur- und Blutdruckmessungen vornahm. Mittels des Vergleichs der durch Herzkatheter gemessenen Temperaturen im linken und rechten Ventrikel konnte Bernard beweisen, dass der Stoffwechsel sich nicht in den Lungen, sondern im Gewebe abspielt. Für Bernard war die Methode aufgrund ihrer geringen Invasivität und aufgrund der Möglichkeit des unmittelbaren Druck- und Temperaturmessens im Herzen interessant (Bing, in: Blümchen [Hg.], 1979, S. 170). Indem das Herz von Innen inspiziert werden konnte, ohne den Thorax des Versuchstiers zu öffnen, vermittelten die Instrumente den Eindruck des unmittelbaren ‚Einblicks‘ ins Herz.

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grund möglicher Verletzungen sehr riskanten intrakardialen Injektion vor. 313 Die Arbeiten Forßmanns fanden keine Resonanz in der Fachwelt und gerieten daraufhin fast in Vergessenheit. Zur klinischen Anwendung kam die Herzkatheterisierung erst um 1940, nachdem amerikanische Mediziner bei ihren Forschungen auf Forßmanns arbeiten stießen und die Methode nach und nach verbesserten. 314 Von dort an war es mittels Herzkatheter möglich, verschiedene Drücke gleichzeitig zu registrieren, das Herzminutenvolumen und den Sauerstoffgehalt des Blutes im Herzen zu bestimmen. Überdies etablierte sich die diagnostische Maßnahme der intrakardialen Katheterisierung des rechten Herzens, was vor allem für Patienten mit kongenitalen Herzerkrankungen von großer Bedeutung war.315 So wurde die Herzkatheterisierung für die sich parallel rasant entwickelnde Herzchirurgie sowohl als prä- als auch als post-operatives diagnostisches Werkzeug immer wichtiger. Bereits 1948 konnte an der Medizinischen Akademie in Düsseldorf eine gute Kontrastmitteldarstellung des Herzens und der Gefäße erzielt werden.316 Die Einführung des Herzkatheterismus durch den Internisten Franz Loogen (1919-2010) in Verbindung mit der Röntgenologie in Düsseldorf erfolgte also zur ersten Stunde und wurde aufgrund der sozio-ökomischen Veränderungen im Deutschland der Nachkriegszeit immer wichtiger. Fast überall in der westlichen Welt stieg Anfang der 1950er Jahre u.a. aufgrund einer immer cholesterin- und fettreicheren Ernährung, weniger Bewegung und eines immer älter werdenden Patientenguts die Zahl der Fälle von Arteriosklerose und vor allem von Koronarsklerose (heute weitgehend als „koronare Herzkrankheit“ bezeichnet) stark an.317 Es bestand eine klinische Dringlichkeit (urgence – Foucault),318 die Herzkranzgefäße so genau wie möglich

313 Forßmann, Klinische Wochenschrift 8 (45), 1929, S. 2085-2087, hier S. 2085. 314 Forßmann hatte für seine Herzkatheterisierung im Selbstversuch 1929 gemeinsam mit Cournand und Richards (beide Bellevue Hospital, New York) den Nobelpreis für Medizin 1956 erhalten und war der Medizinischen Akademie Düsseldorf seit 1964 als Honorarprofessor verbunden. Gerne als Düsseldorfer Nobelpreisträger vereinnahmt, hatte Forßmann an den aktuellen Entwicklungen indes keinen Anteil mehr (Koppitz/Halling, in: ders./Vögele [Hg.], 2007, S. 157). Denn nach seinem damals umstrittenen Selbstversuch hatte Forßmann keine akademische Karriere machen können und war bei seinen Zeitgenossen eher umstritten. Er wirkte schließlich 1958-1970 als Chefarzt der Chirurgischen Abteilung am Evangelischen Krankenhaus in Düsseldorf (ebd., FN 149). 315 Lichtlen, in: Lüderitz/Arnold (Hg.), 2002, S. 291-292. 316 Loogen, in: Jahrbuch der HHU 1978-1980 [1981], S. 207. 317 Lichtlen, in: Lüderitz/Arnold (Hg.), 2002, S. 294. 318 Den Begriff „urgence“ verwendet Foucault, um die dritte Bedeutung seines ‚Werkzeug‘-Begriffs „Dispositiv“ (vgl. Kap. 2.1.1, S. 131, FN 39 und Kap. 2.2.3, S. 185,

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mittels katheter-injizierter Kontrasmittelgabe röntgenologisch darzustellen. Ein früher Vertreter (der Kinderkardiologe Mason Sones, 1918-1985) dieser sogenannten „Angiokardiographie“ bringt die urgence wie folgt auf den Punkt: „What we needed was a means of defining the morphological characteristics of the coronary circulation. We needed, not merely to know whether there were obstructions present; we needed to know how severe the obstructions were, how many obstruction existed or coexisted, how severe they were and what mechanisms might be available in the individual patient’s heart to compensate or attempt to compensate for the presence of the disease.“ 319

Die angiographischen Darstellungen der Koronararterien wurden bis 1959 noch „nicht selektiv“ vorgenommen, d.h., das Kontrastmittel wurde auf der Höhe der Koronarabgänge in die Aorta ascendens injiziert bei gleichzeitiger Aufnahme der Röntgenbilder in Großformat mittels eines (sehr lärmenden) Blattfilmwechslers. Ziel war eine möglichst „‚satte‘ Kontrastmittelanreicherung sämtlicher Koronargefäße bis weit in die Peripherie, was aber nur selten gelang.“ 320 Weder die dargestellten Gefäßdurchmesser noch die der Bewegung des Herzens während der Aufnahmen geschuldete schlechte Bildqualität waren ausreichend für ein angemessenes diagnostisches Potenzial. Die direkte Injektion von Kontrastmitteln in die Koronararterien wurde zwar angestrebt, aber als zu gefährlich eingeschätzt. 321 Die Lösung des Problems der Kontrastmitteldarstellung der Herzkranzgefäße kam durch einen Zufall. 322 Sones glaubte zunächst, es handelte sich um einen gefährlichen Zwischenfall, als bei einer Untersuchung der mit Kontrastmittel gefüllte Katheter aufgrund der noch fehlenden visuellen Kontrolle während der Injektion unbemerkt in den Bereich der proximalen rechten Koronararterie hinein glitt. Erst nach der Untersuchung wurde klar, dass man eine größere Kontrastmittelmenge direkt in ein Koronargefäß injiziert hatte. Die befürchteten Folgen des Kammerflimmerns oder der Herzrhythmusstörungen blieben aus. Die anfangs verwendete drehbare Wanne, mit der der Patient auf höchst unbequeme Weise (das ggf. nach einem Herzinfarkt!) um die Röntgenquelle gedreht werden musste, wurde auf Wunsch von Sones in Zusammenarbeit mit der Firma

FN 259) zu umschreiben: „Drittens verstehe ich unter Dispositiv eine Art von […] Formation, deren Hauptfunktion zu einem gegebenen historischen Zeitpunkt darin bestanden hat, auf einen Notstand (urgence) zu antworten. Das Dispositiv hat also eine vorwiegend strategische Funktion.“ (Foucault, 1978, S. 120, Hervorh. im Original) 319 Sones, in: Blümchen (Hg.), 1979, S. 161. 320 Lichtlen, in: Lüderitz/Arnold (Hg.), 2002, S. 295. 321 Ebd. 322 Für folgende Ausführungen siehe Ebd., S. 295-296.

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Phillips durch einen sogenannten und bis heute verwendeten C-Bogen ersetzt, bei dem die Röntgenröhre um den liegenden Patienten gedreht wurde. Zudem wurden anstatt Blattfilmwechseler Schmalfilm-Aufnahmegeräte verwendet, die bewegte Bilder aufzeichnen konnten.323 Durch diese apparativen Vorteile und die Verfeinerung der Methode zur gezielten Kontrastmittelinjektion in die Herzkranzgefäße sowie die Konstruktion spezieller Katheter dazu, waren Ende der 1950er die Grundvoraussetzungen für eine „selektive Angiokardiographie“ geschaffen. Die komplexe Geschichte der Einführung der selektiven Angiokardiographie könnte anhand einer Vielzahl von Zentren erläutert werden, die weltweit an der Weiterentwicklung dieser Methode bis Ende der 1950er Jahre mitwirkten. 324 Für eine lokalhistorische Eingrenzung soll von daher als Beispiel der Entwicklung dieser Methode in Deutschland die Düsseldorfer kardiologische Abteilung in der 1. Medizinischen Klinik325 herangezogen werden, in der wie bereits erwähnt schon Ende der 1940er Jahre röntgengestützte Herzkatheteruntersuchungen durchgeführt wurden. Hierzu werden zunächst die Standort-spezifischen apparativen, räumlichen und institutionellen Voraussetzungen (Dispositionen) dargestellt, um anschließend auf die synoptische Funktion der Angiokardiographie, deren identitätsstiftende Funktion für die Kardiologie und den epistemischen Status der durch sie erzeugten Bilder einzugehen. 2.3.2.1 Institutionelle und personelle Dispositionen zur Etablierung des Herzkatheterismus in Düsseldorf Bereits 1952 wurde aufgrund des zunehmenden Stroms von Patienten mit angeborenen und erworbenen Herzfehlern die erste kardiologische Ambulanz an der 1. Medizinischen Klinik eingerichtet, deren Leitung nach der Berufung des Internisten Otto Bayer (1902-1982) nach Berlin Franz Loogen übernahm.326 Zwischen den beiden Internisten (und einem jüngeren Kollegen namens Helmut Wolter) bestand aber weiterhin ein reger wissenschaftlicher Austausch. Als dessen Ergebnis erschien 1954 das dem späteren Nobelpreisträger Werner Forßmann gewidmete Lehrbuch „Die Herzkatheterisierung bei angeborenen und erworbenen Herzfeh-

323 Ebd., S. 296. 324 Vorreiter waren vor allem US-amerikanische Zentren: So die Cleveland-Klinik im Bundestaat Ohio (Mason Sones), welche die selektive Angiokardiographie 1959 einführte, gefolgt vom Johns-Hopkins-Hospital in Baltimore, wo die Methode 1962 eingeführt wurde. In Europa wurde sie zuerst durch Lichtlen und Senning in Zürich durchgeführt (Lichtlen, in: Lüderitz/Arnold [Hg.], 2002, S. 290, 297 und 303). 325 Nach 1945 wurde die Medizinische Klinik der Medizinischen Akademie in Düsseldorf in die 1. Medizinische Klinik und 2. Medizinische Klinik aufgeteilt. 326 Breithardt/Seipel, Kardiologie, 2010; 4:500-501.

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lern“.327 Es war die erste deutschsprachige Monographie zu diesem Thema und wurde zur „Bibel“ einer ganzen Kardiologen-Generation.328 Die Bezeichnung ‚Kardiologie‘ für eine Innere Abteilung war in den 1960er Jahren nicht unumstritten. Loogen, der seit Ende der 1950er auf eine stärkere Selbstständigkeit der Kardiologie und damit einhergehend auf eine Bildung von Schwerpunktabteilungen in der gesamten Inneren Medizin drängte, fand zunächst weder bei seinem Vorgesetzten noch bei anderen ‚alteingesessenen‘ Ordinarien der Medizinischen Akademie Unterstützung. Denn es wurde befürchtet, dass bei zunehmender Schwerpunktbildung die Innere Medizin als Fach zersplittert und sich in zu kleine (und evtl. unbedeutendere) Subdisziplinen aufteilen würde.329 Durch die im Laufe der 1960er Jahre stets steigende Zahl an kardiologischen Patienten wurde die gesundheitspolitische Bedeutung sowohl der Herzchirurgie als auch der Kardiologie in Düsseldorf immer wichtiger. Der damalige Kultusminister Paul Mikat (1924-2011) nahm mit Loogen – seit 1963 außerplanmäßiger Professor – Verhandlungen auf. Das Angebot auf einen Lehrstuhl für „kardiochirurgische Diagnostik“ lehnte Loogen ab.330 Auch Kultusminister Mikat nahm diesen Vorschlag nicht an, sondern entschied sich 1967 für die einfachere Bezeichnung und damit für die Einrichtung des ersten Lehrstuhls mit der Bezeichnung „Innere Medizin – insbesondere Kardiologie“ in Westdeutschland.331

327 Bayer/Loogen/Wolter, 1967. 328 Breithardt/Seipel, Kardiologie, 2010; 4:500-501. 329 Grosse-Brockhoff hatte angesichts der Schwerpunktbildung der Inneren Medizin der Universität Düsseldorf in seiner Abschiedsvorlesung von 1976 „Einheit und Vielfalt in der Inneren Medizin“ seine Bedenken gegenüber einer weiteren Aufgliederung des Faches mitgeteilt, die „zwangsläufig eine Parzellierung in Schrebergärten oder kleine Jagdparzellen nach sich ziehen“ würde (Grosse-Brockhoff, in: Jahrbuch der HHU 19761978 [1979], S. 99. Siehe hierzu auch Halling/Vögele [Hg.], 2007, S. 345-346). Loogen hingegen bekräftigte anlässlich eines 1979 gemeinsam mit den Herzchirurgen ausgetragenen Symposiums, dass nur eine „schwerpunktmäßig betriebene Kardiologie im Rahmen der Inneren Medizin“ erstrebenswert sein konnte und dass „auf diesem Weg zu diesem schließlich auch erreichten Ziel so manches Hindernis überwunden werden musste.“ Ab 1972 wurde das Modell der Schwerpunktklinik dann auch von den übrigen internistischen Kliniken der Universität Düsseldorf übernommen (Loogen, in: Jahrbuch der HHU 1978-1980 [1981], S 208). 330 Seipel/Both, „Franz Loogen und seine Bedeutung für die deutsche Kardiologie“, 2015, S. 30 (unveröffentlichtes Manuskript), (Lit.verz., AQ: Unveröffentlichte Manuskripte). 331 Den ersten deutschen Lehrstuhl für Kardiologie gab es indes 1962 in Halle, besetzt durch den Internisten Rudolf Zuckermann (siehe „Pioniere der deutschen Kardiologie“, in: Internetseite des Historischen Archivs der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie –

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2.3.2.2 Räumliche und apparative Dispositionen Die Räumlichkeiten, über die die Kardiologie Ende der 1950er Jahre verfügte, waren sehr knapp. Neben zwei Zimmern für den Leiter Loogen und seine Sekretärin gab es im Keller der 1. Medizinischen Klinik nur einen fensterlosen Aufenthaltsraum und den ebenfalls fensterlosen Herzkatheterraum. 332 Die Gegebenheiten in diesem Herzkatheterraum stellten sich wie folgt dar: „In dem fensterlosen Raum war damals eine moderne Durchleuchtungsanlage mit Durchleuchtungsschirm untergebracht, der in späteren Jahren von einem runden Monitor mit vielleicht 20 cm. Durchmesser ersetzt wurde. Dieser stand auf dem Podest hinter dem Kopfteil des Patienten. Die Röntgenanlage war fixiert. Der darunter liegende Patient konnte nur horizontal verschoben werden (drehbare ‚Patientenwannen‘ bzw. rotierende Röntgengeräte [s.o., sogenannte C-Bögen] kamen erst mit der Koronarographie auf). Später wurde in einem Nebenraum ein Blattfilmwechsler installiert, mit dem während der Kontrastmittelinjektion Serienbilder aufgenommen werden konnten. Hierzu musste der Patient den Kathetertisch nach Positionierung der Sonde mit liegendem Katheter in den Nebenraum gebracht werden. […] Der registrierende Arzt hatte die EKG- und Druckkurve aufzunehmen, Anfang der 60er Jahre bereits mit einem 6-Kanal-Siemens-Düsendruckschreiber. Die Rohdaten wurden anschließend von ihm ausgewertet, dabei Messwerte in ein Formular eingetragen, charakteristische Kurvenanteile ausgeschnitten und auf Pappbögen aufgeklebt. Diese Dokumente wurden dem Sondeur überreicht, der die Daten überprüfte und die Diagnose in das Formular eintrug. Eine Kopie davon wurde in ‚heiligen‘ Ordern gesammelt, die zunehmend die Regale im Chefzimmer füllten.“333

Noch weit davon entfernt eine geschlossene apparative Black Box zu sein, produzierten die Herzkatheteruntersuchungen durch die im oben aufgeführten Zitat erwähnte Dokumentation bereits „immutable mobiles“334 im Sinne Latours: Denn die aus den Befunden generierten, diagnostisch besonders relevanten Kurven wurden wortwörtlich aus ihrem ursprünglichen Kontext ‚herausgeschnitten‘ und dem Diagnoseformular als bildlicher Anhang beigelegt und gaben so einen graphischsynoptischen Überblick über den Herz-Kreislaufzustand des jeweiligen Patienten. Mit dem Umzug der kardiologischen Abteilung in die ehemaligen TuberkuloseBaracken kam Anfang der 1970er Jahre ein weiterer Katheterraum mit drehbarer

Herz- und Kreislaufforschung e.V., unter: http://historischesarchiv.dgk.org/pioniereder-deutschen-kardiologie, Stand: 04.02.2017). 332 Seipel/Both, „Franz Loogen und seine Bedeutung für die deutsche Kardiologie“, 2015, S. 30 (unveröffentlichtes Manuskript), (Lit.verz., AQ: Unveröffentlichte Manuskripte). 333 Ebd., S. 23-24. 334 Latour, in: Belliger/Krieger (Hg.), 2006, S. 276-277.

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Patientenwanne hinzu. Es dauerte jedoch bis 1972 bis eine moderne Koronarangiographie-Einheit mit densitometrischen (Dichtemessung) Messplatz (Firma Siemens) mit den Mitteln des 1968 eingerichteten Sonderforschungsbereiches 30 „Kardiologie“ beschafft und im März 1973 endlich eingerichtet werden konnte. 335 Mit dieser Anlage konnte nicht nur die Darstellung der Herzkranzgefäße mittels selektiver Angiokardiographie optimiert werden, sondern auch die Erforschung der Herzkammerflächen und -volumina sowie die Erstellung von Druckvolumendiagrammen erfolgen.336 Laut den Bewilligungsbescheiden von Bund und Land NordrheinWestfalen (NRW) beliefen sich die Anschaffungskosten auf ca. 1,2 Mio. DM.337 2.3.2.3 Die synoptische Funktion der röntgengestützten Herzkatheteruntersuchung Im Vorwort zur 1967 erschienen zweiten Auflage der Monographie von Bayer, Loogen und Wolter zur „Herzkatheterisierung bei angeborenen und erworbenen Herzfehlern“338 stellt Grosse-Brockhoff die Methode in eine historische Linie mit der der Auskultation mittels Stethoskop und der Elektrokardiographie. 339 In diesem „Rückblick auf die Entwicklung der naturwissenschaftlich begründeten Kardiologie“ leitet der Selbstversuch Forßmanns die (nach der Auskultation und dem EKG) „dritte Epoche“ ein und markiert den Ausgangspunkt von dem aus die Monographie startet. Gleichzeitig macht Grosse-Brockhoff deutlich, dass die Herzkatheterisierung die früheren Untersuchungsverfahren nicht einfach ablöst, sondern dass „die Anwendung der alten und bewährten Methoden die Voraussetzungen für einen fruchtbaren Einsatz der Herzsondierung bildeten […]. Durch die Herzkatheterisierung sind wir in der Interpretation palpatorischer, auskultatorischer bzw. phonokardiographischer oder anderer graphischer Verfahren sowie der röntgenologischen Befunde gegenüber früher wesentlich sicherer geworden.“340

335 Arbeitsbericht des Sonderforschungsbereiches 30 „Kardiologie“ für das Jahr 1972, S. 33, in: Dt. Zentralbibliothek für Medizin, Köln, (Lit.verz., AQ: Arb./Abschl.ber. SFB 30). 336 Ebd., S. 33-36. 337 Vgl. die Zuwendungsbestätigung des Kultusministers des Landes NRW vom 22.11.1968, S. 25, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-10615. Zur Entwicklung und Verbreitung medizintechnischer Großgeräte in Deutschland, inkl. Röntgengroßgeräte siehe Hübner, 2004, S. 46 ff. 338 Bayer/Loogen/Wolter, 1967. 339 Grosse-Brockhoff in: ebd., siehe Geleitwort, ohne Seite. 340 Ebd.

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Die Herzkatheterisierung ist dabei nicht nur ein bloßes Supplement der bisherigen Methoden, indem sie die einzelnen durch die etablierten Verfahren gewonnenen Befunde noch einmal bestätigt bzw. widerlegt. Aufgrund der durch die Katheter möglich gewordenen verschiedenen intrakardialen Messungen (z.B. Drücke, Durchflussmengen und Volumen, periphere Wiederstände) werden die Befunde darüber hinaus – in Einklang mit anderen Untersuchungsmethoden – zusammengezogen und zusammengefasst; sie bekommen damit eine neue epistemische Qualität: „Gerade in der Synopse der verschiedenen Untersuchungsmethoden sehe ich einen besonders großen Wert des Buches [und damit in der Herzkatheterisierung] für alle Ärzte, die sich für die Diagnostik der angeborenen und erworbenen Herzfehler interessieren bzw., die durch ihre Berufsausbildung mit dieser Materie konfrontiert werden, ohne dass sie selbst die Herzkatheterisierung anwenden.“341

Die synoptische Kraft des im Gegensatz zu operativen Verfahren minimalinvasiven Kathetereingriffs entstand durch die Möglichkeit der Kombination von verschiedenen mit dieser Technik erfassbaren Parametern:342 • Im (zu Anfang schwieriger durchzuführenden) Linksherzkatheter: Bestimmung der Herzform, -größe, -wanddicke, Kontraktilität, Klappenfunktion und Ventrikelfunktion (auch Ventrikulographie genannt); • im Rechtsherzkatheter: Registrierung des Drucks in den verschiedenen Herzarealen, des Pulmonaldrucks und des Herzminutenvolumens sowie des Blutvolumens und Blutflusses. Die Kombination dieser Parameter (unter Einbezug auskultatorischer und elektrokardiographischer Befunde) erlaubte – so Grosse-Brockhoff – Erkenntnisse über die „fundamentalen Grundprinzipien der Lehre der Hämodynamik und ihrer Störungen, die die verschiedenen Kardiopathien angeworbener und erworbener Art nach sich ziehen.“343 Die Gleichzeitigkeit der Entwicklung des aus diagnostischen Gründen durchgeführten Herzkatheterismus und des Zuwachses an Patienten mit angeborenen und erworbenen Herzkrankheiten in den 1960er und frühen 1970er Jahren gewährten den Düsseldorfer Forschern – „gleichsam als nicht beabsichtigtes Experi-

341 Ebd., Hervorh. TK. 342 Für folgende Punkte vgl. Lederhuber, 2005, S. 31. Zu beachten bleibt hier, dass sich all diese Aufzeichnungs- und Messverfahren in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren zum Teil noch in der Entwicklungsphase befanden und von daher in vielen Punkten davon entfernt waren, schon klinische Routine gewesen zu sein. 343 Grosse-Brockhoff, in: Bayer/Loogen/Wolter, 1967, siehe Geleitwort, ohne Seite.

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ment – die Möglichkeit zur Aufklärung kreislaufphysiologischer Befunde am Menschen in einer Exaktheit, wie sie bisher nur das Tierexperiment vermitteln konnte.“344 Die sowohl klinischen als auch experimentellen Forschungen über die „Hämodynamik“345 des Herz-Kreislaufsystems wird der Hauptschwerpunkt des 1968 eingerichteten SFB 30 „Kardiologie“ sein. Im Kap. 2.5.2.1 der vorliegenden Arbeit wird von daher ein experimenteller Ansatz eines Teilprojekts zur experimentellen Hämodynamikmessung im SFB 30 näher untersucht. Im Folgenden wird die Angiokardiographie als „soziotechnische Evidenz“ im Sinne des Technikhistorikers David Gugerli betrachtet und der epistemische Status ihrer Bilder anhand eines von Kardiologen verfassten Textes, der diesen Status kritisch hinterfragt, geklärt. 2.3.2.4 Die Angiokardiographie als „soziotechnische Evidenz“ und der epistemische Status angiokardiographisch erzeugter Bilder Für eine spezifische Therapie der epidemiologisch in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren klinisch immer relevanter werdenden Koronarsklerose (koronare Herzkrankheit) war die genaue Kenntnis der Anatomie und Morphologie der Herzkranzgefäße absolute Voraussetzung.346 Gleichzeitig erforderten die von den Herzchirurgen seit den späten 1960er Jahren vorgenommenen Bypass-Operationen bei koronarer Gefäßkrankheit ein hohes Maß an Genauigkeit bei der prä- und postoperativen angiokardiographischen Diagnostik. 347 Die in Düsseldorf 1969 eingeführte selektive Koronarangiographie war zunächst mit vielen Problemen, insbesondere hinsichtlich der Datenverarbeitung verbunden.348 Dies erforderte eine enge Zusammenarbeit von Physikern, Ingenieuren und Medizinern.349 In umfangreichen experimentellen Untersuchungen wurde das Verfahren mit etablierten Methoden zur Messung des Blutdurchflusses verglichen,350 denn für die Messung der Durchflussgeschwindigkeit und die automatisierte Datenauswertung waren Neuentwicklungen von speziellen Densitometern erfor-

344 Bayer/Loogen/Wolter, 1967, S. 1. 345 Zur Begriffsklärung siehe Kap. 2.5.2.1. 346 Lichtlen, in: Lüderitz/Arnold (Hg.), 2002, S. 294. 347 Vgl. Gleichmann/Mannebach in: dies. (Hg.), 1993, S. 1. 348 Ebd. 349 Vgl. Arbeitsbericht des SFB 30 für die Jahre 1968-1971, S. 33 f., in: Dt. Zentralbibliothek für Medizin, Köln, (Lit.verz., AQ: Arb./Abschl.ber. SFB 30). 350 Finanzierungsantrag des SFB 30 für die Jahre 1977-78-79, S. 334 in: HHU-Archiv: Best. 7-44, Nr. 56 (I), (Lit.verz., AQ: Finanz.antr. SFB 30).

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derlich.351 Klinisch wurden in Kooperation mit den Herzchirurgen Ergebnisse von Bypass-Operationen angiokardiographisch überprüft und hinsichtlich der Korrelation zwischen der röntgenologisch dargestellten Durchlässigkeit der implantierten Bypässe und einer verbesserten Myokardfunktion bewertet. 352 Konkret beschäftigten sich die SFB-Forscher im Rahmen des Teilprojekts (Projektnummer H2) „Quantitative Röntgenologie des Herzens“ bis Ende der 1970er Jahre vor allem mit der Bestimmung der Ventrikelflächen und -volumina anhand von Angiokardiogrammen, der mittels Katheter vorgenommenen simultanen Messung verschiedener intrakardialer Drücke und der Erstellung diesbezüglicher Druckvolumendiagramme sowie der Messung des Blutflusses mittels Herzkatheter.353 Anfang der 1980er kamen noch Untersuchungen zur digitalen Bildverarbeitung von Angiokardiogrammen hinzu, die es ermöglichten, störende Bildaspekte (z.B. die Fragestellung nicht betreffende Hintergrundstrukturen) durch digitale Subtraktion unsichtbar zu machen und durch die Überlagerung der Röntgenaufnahmen mit und ohne Kontrastmittel filmähnliche Bildsequenzen zu erstellen, bei denen nur die zu untersuchenden Blutgefäße detailliert zur Darstellung kommen. 354 Als Bestandteil einer kardiologisch spezialisierten biomedizinischen Plattform vereinte die Etablierung der Angiokardiographie im SFB 30 sowohl Prozeduren klinischer Routine und Forschung als auch grundlagenwissenschaftliche Innovationsanstrengungen in einem bildgebenden Dispositiv,355 das Akteure verschiedener Provenienz, insbesondere Ärzte, Ingenieure, technisches Personal, die verschiedenen Apparaturen und Katheterdrähte und nicht zuletzt die erzeugten Bildsequenzen und die damit verbundenen Entscheidungsketten auf den Plan rief. Gleichzeitig verdeutlichen die folgenden Leistungszahlen die Integration des Herzkatheterismus und der Angiokardiographie in den laufenden Betrieb der Hospital-Plattform der Medizinischen Akademie bzw. Universität Düsseldorf: Zwischen 1948 und 1978 wurden in Düsseldorf über 40.000 Herzkatheteruntersuchungen und zwischen 1970 und 1979 rund 4.000 Koronarangiographien vorgenommen, wobei letztere zwi-

351 Vgl. Arbeitsbericht des SFB 30 für die Jahre 1968-1971, S. 33 f., in: Dt. Zentralbibliothek für Medizin, Köln), (Lit.verz., AQ: Arb./Abschl.ber. SFB 30). 352 Arbeitsbericht des SFB 30 für die Jahre 1973-1975, S. 124, in: HHU-Archiv: Best. 744, Nr. 55. 353 Vgl. Arbeitsbericht des SFB 30 für die Jahre 1968-1971, S. 35 (in: Dt. Zentralbibliothek für Medizin, Köln) und Arbeitsbericht des SFB 30 für die Jahre 1976-1978, S. 161-164 in: HHU-Archiv: Best. 7-36 156. 354 Vgl. Abschlussbericht des SFB 30 für die Jahre 1982-1985, Universität Düsseldorf, 1986, S. 159-163 (in: Dt. Zentralbibliothek für Medizin, Köln). 355 Vgl. Keating/Cambrosio, 2003, S. 323.

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schen 1975 und 1979 einen mehr als 100%igen Zuwachs erfahren haben (400 in 1975 vs. 1.100 in 1979).356 Die Kardiologen (nicht nur in Deutschland, sondern weltweit) wurden im Laufe der 1970er Jahre aufgrund der relativ geringen Komplikationen immer mehr mit der Methode der selektiven Angiokardiographie vertraut357 und das Herzkatheterlabor wurde zum identitätsstiftenden Ort für eine Disziplin, die lange Zeit bemüht war, sich von der bereits früher institutionalisierten Herzchirurgie abzugrenzen. 358 Hinzu kam, dass es seit der neuen Facharztverordnung von 1972 einen Facharzt für Kardiologie gab und im gleichen Jahr die seit 1945 bestehende 1. Medizinische Klinik und 2. Medizinische Klinik der Städtischen Krankenanstalten in fünf Schwerpunktkliniken aufgeteilt wurde, wovon die „Medizinische Klinik B“ die Kardiologie war.359 Durch den Neubau der MNR-Klinik (siehe Kap. 2.1.3.2) im Jahre 1985 war für die Disziplinen der Inneren Medizin am Universitätsklinikum Düsseldorf ein modernes Gebäude geschaffen worden, das sowohl durch Zentralisierung den betriebswirtschaftlichen Anforderungen als auch dem Gedanken einer interdisziplinär betriebenen Forschung und einer modernen Patientenversorgung ‚unter einem Dach‘ entsprach.360 In diesem, neben der Chirurgischen Klinik, zweiten PlattformKrankenhaus an der Universität Düsseldorf standen der Kardiologie in einer der Funktionstrakte nun drei Herzkatheterräume zur Verfügung, wodurch die Kardiolo-

356 Loogen, in: Jahrbuch der HHU 1978-1980 [1981], S. 183 und 206-207. 357 Vgl. Lichtlen, in: Lüderitz/Arnold (Hg.), 2002, S. 296-297. 358 Zu den Emanzipationsbemühungen der klinisch tätigen Kardiologen vgl. Arnold, in: ders./Lüderitz, 2002, S. 25-26. Die berufspolitische Abgrenzung der Kardiologen zu den Herzchirurgen war bis weit in die 1990er Jahre Thema: Als im Zuge der Einführung der Fallpauschalen ins deutsche Krankenhauswesen 1994 die Gesundheitspolitik die Anfrage zu einer Stellungnahme bezüglich der Sonderentgelte für perkutane transluminale koronare Angioplastien (PTCA, Gefäßerweiterung mittels Ballonkatheter) nicht etwa an die Kardiologen, sondern an die Fachgesellschaft der Herz-, Thoraxund Gefäßchirurgie (DGTHG) stellte, wurden die Aufgaben und Ziele der kardiologischen Fachgesellschaft auf berufs- und standespolitische Probleme ausgedehnt und der Begriff Kardiologie in den Namen der Gesellschaft aufgenommen. Daraufhin nennt sie sich seit 1995 „Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e.V.“ (DGK, ebd., S. 31). 359 Arnold, in: ders./Lüderitz (Hg.), 2002, S. 25 und Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 346. Während Grosse-Brockhoff Direktor der 1. Medizinischen Klink A (allgemeine innere Erkrankungen) war, übernahm Loogen die Leitung der 1. Medizinischen Klinik B (Kardiologie). 360 Plassmann, in: Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 120.

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gie als gleichberechtigter Partner im Kreis der internistischen Schwerpunktkliniken auch räumlich integriert wurde. Die Angiokardiographie als „soziotechnische Evidenz“ Diese institutionellen und berufspolitischen Voraussetzungen waren wichtig, um aus der komplexen Technik der selektiven Angiokardiographie eine „gesellschaftliche Selbstverständlichkeit“ mit „soziotechnischer Evidenz“ im Sinne Gugerlis und damit eine apparativ-bildliche Disposition kardiovaskulärer Diagnostik und Intervention zu machen. Auch wenn angesichts der rasanten Entwicklung der selektiven Angiokardiographie in den 1970er und 1980er Jahren der Eindruck entstehen könnte, dass „immer bessere, genauere und nützlichere Bilder, bei der die immer höhere Auflösungsschärfe der Bildschirme gewissermaßen als Indikator für den zurückgelegten Erkenntnisweg“361 dienen, war der epistemische Status der angiokardiographischen Bilder lange prekär. Dieses Problem wurde von anwendenden Kardiologen seiner Zeit selbst erkannt und in einem historischen Überblick über „20 Jahre Kardiologie 1973-1973“362 kritisch und mit Bezug zum soziotechnischen und erkenntnistheoretischen Status angiokardiographisch erzeugter Bilder herausgearbeitet. Obwohl sie sich nicht auf Gugerli beziehen, arbeiten die Kardiologen Ulrich Gleichmann (zu seinen Düsseldorfer Zeiten Mitglied des SFB 30, später Direktor des Herz- und Diabeteszentrum Bad Oeynhausen) und Hermann Mannebach (Bad Oeynhausen später Bochum) anschaulich den technischen und wahrnehmungsmäßigen Voraussetzungsreichtum angiokardiographischer Bilder heraus. Dabei gehen sie sowohl auf die durch die Methode produzierten Lücken und Grauzonen als auch auf die dadurch entstehenden Verkürzungen des Krankheitsbegriffs ein. Bei ihrer Darstellung wird – anders als bei vielen anderen medizinischen Festschriften – klar, dass eine höhere Auflösung nicht immer gleich einen höheren diagnostischen Wert der Bilder zur Folge hat: „Mit den modernen bildgebenden Verfahren können zwar bessere und präzisere Einsichten in die Natur des Krankheitsgeschehens gewonnen werden, als dies mit den älteren Methoden möglich war. Die neuen Verfahren haben aber gleichzeitig und unausweichlich mit ihrer höheren Auflösung zu einer Verbreitung der Grauzonen der Diagnostik geführt.“363

Diese „Grauzonen“ bzw. blinden Flecken entstehen durch die bereits für das EKG und die Röntgenstrahlen angesprochenen Nachträglichkeit der Implementierung neuer diagnostischer Verfahren in die Klinik. Der zunehmende Einsatz von techni-

361 Gugerli, traverse. Zeitschrift für Geschichte, 1999, 6(3): 131-159, hier S. 131. 362 Gleichmann/Mannebach, in: dies. (Hg.), 1993, S. 1-12. 363 Ebd., S. 9.

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schen Untersuchungsmethoden verändert nicht nur die „Prävalenz“ (d.h. die anzunehmende Häufigkeit) einer Erkrankung, sondern auch den Umgang mit vermeintlich „‚auffälligen‘ […] Befunden“, die noch „in keinem Lehrbuch stehen und deren Krankheitswert oder gar prognostische Bedeutung völlig unklar ist.“ 364 Wie bereits bei den EKG-Kurven und Röntgenbildern Anfang des 20. Jahrhunderts festgestellt, mussten auch die durch Kontrastmittel und Röntgenstrahlen erzeugten angiokardiographischen Bilder in ihrer Nachträglichkeit produktionsseitig standardisiert und rezeptionsseitig normalisiert werden. 365 Ihre Anschlussfähigkeit an bestehende bildgebende Verfahren wurde dabei durch die bereits lange Verwendung von Röntgenstrahlen in der kardiovaskulären Diagnostik begünstigt. Gleichzeitig war die selektive Angiokardiographie ähnlich wie die Diagnose durch Röntgenstrahlen auf die Produktion eines unsichtbaren, aber kardiologisch „bedeutungsvollen ‚Inneren‘“366 angewiesen. Erst die angiokardiographische Sichtbarmachung der Koronargefäße machte es möglich, von einer (durch arteriosklerotische Plaques verursachten) Verschlusskrankheit dieser Gefäße auszugehen. Die Verkürzungen des Krankheitsbegriffs Nach Gleichmann und Mannebach führt die Dominanz bildgebender Untersuchungsverfahren in der modernen Diagnostik zu einer „charakteristischen Einengung des Krankheitsbegriffs“ mit der Gefahr, dass der Unterschied zwischen „Krankheit und Kranksein“ zunehmend in Vergessenheit gerät. Das Ergebnis sei eine „prozedurale Verkürzung des Krankheitsbegriffs“ in dem Sinne, dass die gerade zuvor – nämlich die Koronargefäße betreffenden – produzierten Unsichtbarkeiten nur durch die Prozedur selbst sichtbar und die Krankheit damit endgültig diagnostizierbar bzw. therapierbar gemacht werden kann: „[…] die Krankheit wird definiert durch das Verfahren, mit der sie nachgewiesen oder behandelt wird. Vor der Einführung der Koronar-Angiokardiographie gab es keine Koronare [sic] Herzkrankheit, kein small vessel disease, nur Angina pectoris. Durch die Dominanz der bildgebenden Verfahren wird die Krankheit auf ihr Abbild reduziert. Aber diese Bilder sind keine Dokumente, sie sind samt und sonders Artefakte. Zwischen der Krankheit und ihrem Bild in der Maschine besteht ein Verhältnis wie zwischen Portrait und Person: eine von VorUrteilen und Vor-Entscheidungen beeinflusste Gestaltung mit Grauzonen und blinden Flecken.“367

364 Ebd. 365 Vgl. Gugerli, traverse. Zeitschrift für Geschichte, 1999, 6(3): 131-159, hier S. 141. 366 Ebd., S. 137. 367 Gleichmann/Mannebach, in: dies. (Hg.), 1993, S. 9.

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Als ein typisches Beispiel für eine solche „prozedurale Verkürzung des Krankheitsbegriffs“, die vorwiegend nicht nur von ‚korrekten‘ theoretischen Modellen, sondern auch von traditionellen Sehgewohnheiten und Erwartungen herrührt, führen die Autoren den Begriff „vollständige Revaskularisierung“ von Koronarstenosen bei koronarer Herzkrankheit nach erfolgreicher Wiedereröffnung durch Gefäßdilatation oder Bypass-Operation an.368 Durch den Ausdruck „vollständige Revaskularisierung“ entsteht der Eindruck, als sei die Krankheit mit diesem Verfahren rein mechanisch vollständig zu heilen, obwohl weiterhin klinische Einschränkungen bestehen bleiben und viele Mechanismen der Physiologie der Koronardurchblutung noch nicht geklärt waren oder bis heute sind. 369 Die selektive Angiokardiographie erzeugt durch die Schärfe und Klarheit ihrer Bilder also den Eindruck der unmittelbaren Sichtbarkeit einer Krankheit, indem pathologische Veränderungen der Koronargefäße in den Angiokardiogrammen erkannt werden können. Die „Identifizierung der Krankheit mit einer ‚sichtbaren‘ Läsion, ihrem ‚Sitz‘“ wird über die angiokardiographischen Bilder transportiert, indem der Diagnostiker eine die Krankheit verursachende Veränderung der Gefäßstruktur (eine sogenannte „culprit lesion“) z.B. in Form einer „signifikanten Stenose“ anhand der Bilder lokalisiert.370 Es kann aber gleichzeitig mehrere nicht unbedingt kausal zusammenhängende Gründe für eine solche „signifikante Stenose“ in den Koronargefäßen geben. Die kardiologischen Autoren sprechen in diesem Zusammenhang von einer „morphologischen Reduktion des Krankheitsbegriffs“: „Diese Gleichsetzung einer morphologisch fassbaren Läsion mit der Krankheit nährt gleichzeitig die Illusion einer ‚kausalen‘ Therapie durch Beseitigung der Läsion. Eine im Koronarangiogramm sichtbare ‚hämodynamisch signifikante‘ Koronarstenose ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs; die Koronarsklerose ist in Wirklichkeit ein diffuser und ausgedehnter Prozess, der bereits weite Segmente des Koronarsystems befallen hat, bevor eine ‚signifikante‘ Stenose im Koronarangiogramm sichtbar wird.“371

Die Frage, ab wann eine Stenose „signifikant“ ist, kann also nicht einfach vom Angiokardiogramm ‚abgelesen‘ werden, sondern erfordert einen komplexen Aushandlungsprozess, der zur Normalisierung der diagnostischen Bilder beiträgt. Dabei kommt erschwerend hinzu, dass der eine technische Untersuchung durchführende und das Bild interpretierende Arzt oder Medizintechniker meist nicht mehr identisch mit dem den Patienten betreuenden Arzt ist, der den „Befund im klinischen

368 Ebd., S. 9-10. 369 Ebd., S. 10. 370 Ebd. 371 Ebd.

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Zusammenhang werten muss.“372 Es besteht hierbei die Gefahr, dass auf der einen Seite „eine intime Kenntnis des Gerätes, seiner Grenzen und Möglichkeiten“ vorhanden, aber nur begrenzte Information über den Patienten verfügbar ist; auf der anderen Seite die „individuellen Besonderheiten des Patienten, Symptome, Komorbidität, riskantes Verhalten, psycho-sozialer Hintergrund usw.“ bekannt, aber die Kenntnis der Fehlerquellen des bildgebenden Verfahrens in Abhängigkeit ihres diagnostischen Wertes der jeweiligen Krankheit fehlt. 373 Durch die Suggestion der unmittelbaren und intelligiblen (‚lesbaren‘) Repräsentation der angiokardiographischen Bilder werden die der Methode zugrunde liegenden Übersetzungs- und Entscheidungsketten verwischt. Wie für biomedizinische Plattformen charakteristisch, schalten sich Akteure verschiedener Provenienz in diesen Prozess der diagnostischen Bildgebung ein: „Der sichere Grund des eigenen Augenscheins, eigener Beobachtung, wird verlassen; ein von einem anderen gemachtes und gedeutetes Bild wird zur Grundlage riskanter Entscheidungen. Auf therapeutischem Gebiet ist der interventionell tätige Kardiologe das letzte Glied einer langen Kette von Entscheidungsträgern, die alle bereits ihre Meinung zur Indikation sowie Nutzen und Risiko einer Intervention geäußert haben. Die Unabhängigkeit des eigenen Urteils ist stets in Gefahr, von den Vorentscheidungen anderer dominiert zu werden." 374

Zusammenfassend wird dieser in Übersetzungsketten verschachtelte soziotechnische Voraussetzungsreichtum der angiokardiographischen Bilder durch die Schärfe der Bilder, den damit verbundenen Eindruck der unmittelbaren Repräsentation und durch den offensichtlichen diagnostischen und therapeutischen Mehrwert dieser Prozedur verdeckt. Nach Gugerli funktionieren Visualisierungstechniken gerade auf dem „Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit als Produzenten von Selbstverständlichkeiten“ und damit auch als Produzenten von apparativen, personellen und institutionellen Dispositionen. 375 Die Entwicklung zu dieser Disposition bleibt dabei – angesichts des komplexen Herstellungs- und Verwendungskontextes der angiokardiographischen Bilder – vom Ergebnis ihrer augenscheinlich teleologischen Technisierung her gedacht kontingent.376

372 Ebd., S. 9. 373 Ebd. 374 Ebd. 375 Gugerli, traverse. Zeitschrift für Geschichte, 1999, 6(3): 131-159, hier S. 134. 376 Vgl. ebd. Dieser mit Gugerli gemachte Befund interferiert auch mit Keatings und Cambrosios biomedizinischen Plattformen und dem Projektbegriff, wie ihn die vorliegende Arbeit versteht: Wie bereits in Kap. 1.5 festgestellt, werden im Rahmen von biomedizinischen Plattformen und wissenschaftlichen Verbundprojekten sowohl Routi-

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Fortschrittskritik seitens der Kardiologen und die Rekonfiguration des Begriffspaars normal/pathologisch Doch welche Schlüsse zogen die Kardiologen Gleichmann und Mannebach aus dieser Bewusstwerdung und differenzierten Betrachtung der „soziotechnischen Evidenz“ (sie verwenden diesen Begriff selbst nicht) der Angiokardiographie? Die Autoren sprechen von einer „neuen Ordnung“ in der Kardiologie (bzw. könnte dies für die gesamte Innere Medizin gelten), in welcher ein „Prozess der Umwertung bisher gültiger Werte“ in Gang gesetzt wurde.377 Als ein Symptom dieser Neuordnung identifizieren die Autoren „[…] das Zögern mit dem wir, anders als vor 20 Jahren [1973], den Begriff ‚medizinischer Fortschritt‘ benutzen. Dieses Zögern nährt sich aus den aufkeimenden Bedenken, ob dieser Fortschritt auch zu einem guten und wünschenswerten Ziele führt.“ 378

Medizinischer Fortschritt vollzieht sich demnach im Spannungsfeld eines „aggressive[n], am diagnostisch und therapeutisch Machbaren orientierte[n] Vorgehen[s]“ und einer „auf mögliche rechtliche Konsequenzen schielende […] ‚Absicherungsmedizin‘, welche nur auf der Basis ‚gesicherten‘ Wissens agiert.“379 Ein Mittel gegen die prozedurale und die morphologische Verkürzung des Krankheitsbegriffs sehen Gleichmann und Mannebach vor allem in Maßnahmen der Qualitätssicherung, die sowohl vom Patienten als auch von der Prozedur her denken: Systematische Erhebungen des in die Untersuchungen eingeschlossenen Patientenkollektivs, die Prävalenz bestimmter Krankheiten in diesem Klientel und die regelmäßige Überprüfung des prädiktiven Wertes der verschiedenen Diagnoseverfahren und eine entsprechende Anpassung der Indikationen und Kontraindikationen für die jeweiligen Prozeduren.380 Gleichzeitig besinnen sich die zitierten Kardiologen auf eine „auf vorhandene Evidenz gegründete, behutsame Medizin“,381 in welcher der Patient und nicht die Prozedur im Vordergrund steht:

nen (in diesem Fall Dispositionen bildgebender klinischer Diagnostik) und Innovationen (z.B. im Rahmen angiokardiographischer Experimente und in klinischen Studien erzeugte Kontingenzen) hervorgebracht. 377 Gleichmann/Mannebach, in: dies. (Hg.), 1993, S. 10. 378 Ebd. 379 Ebd., S. 11. 380 Ebd. 381 Zum historischen Bezug einer „behutsamen“ Medizin siehe das von Foucault dargestellte Spannungsfeld zwischen „handelnder und abwartender Medizin“ im 18. und 19. Jahrhundert (Foucault, 2008 [1963], S. 34-35). Zugleich beziehen sich Gleichmann

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„Die rationale Grundlage für eine behutsame Medizin liegt in der alten, scheinbar verlorengegangenen, Erkenntnis, dass die Pathodynamik eines krankhaften Prozesses nicht nur von Verlust, Defekt und Inkohärenz, sondern auch von Kohärenz, von kompensatorischen und regenerativen Gesundungsprogrammen bestimmt wird. Krankheit bietet nicht zuletzt auch die Chance zum Neuentwurf des Lebensplanes.“382

In diesem kompensatorischen Verständnis von Gesundheit ist – mit Georges Canguilhem gesprochen – die Unterscheidung zwischen normal und pathologisch eine Frage der Möglichkeit des einzelnen Organismus, Normen zu überschreiten: „Der Mensch ist nur dann wirklich gesund, wenn er zu mehreren Normen fähig ist, wenn er mehr als normal ist.“383 Gleichzeitig macht die Rückbesinnung auf das Individuum des Patienten für die beiden zitierten Kardiologen klar, dass Krankheiten menschengemachte Entwürfe sind, die lediglich eine vom historischen Kontext abhängige vorübergehende Gültigkeit besitzen. „Wir Ärzte haben noch zu begreifen, dass Symptome, Krankheitseinheiten, Diagnosen und Therapiekonzepte iatrogene Artefakte sind, Konstrukte à titre provisoire [Entwürfe, TK], gültig nur solange, bis neue, bessere Erkenntnisse vorliegen. In Wahrheit gibt es keine Krankheiten, nur kranke Menschen.“384

Die Chance einer „komplementären Betrachtungsweise“ auf die komplexen Gegenstände der Kardiologie sehen die Autoren in der seit den 1980er Jahren immer weiter aufstrebenden Molekularbiologie, die durch die Vermittlung „fundamentaler Mechanismen […]“, die (zumindest für die meisten Säugetiere) „universelle Gültigkeit“ besitzen.385 Das kompensatorische Potenzial und die damit verbundene Rekonfiguration des Begriffspaars normal-pathologisch in der Betrachtungsweise

und Mannebach hier (1993) schon auf eine „evidence based medicine“, die erst im Laufe der 1990er Jahre definiert wurde als „conscientious, explicit and judicious use of current best evidence in making decisions about the care of individual patients.“ (Sackett et al. zitiert nach Porzsolt/Fangerau, Med Klin 2010 (Nr. 8);105:560-6, hier S. 561) Das bedeutet, dass Ärzte neben ihrer klinischen Tätigkeit immer auf dem neuesten Stand der Literatur und der klinischen Leitlinien sein müssen, was angesichts der rasanten Entwicklungen in manchen medizinischen Fächern und der oft hohen klinischen Auslastung eine Herausforderung darstellt. Zur Uneinheitlichkeit des Verständnisses Evidenzbasierter Medizin siehe ebd., S. 561-562. 382 Gleichmann/Mannebach, in: dies. (Hg.), 1993, S. 11. 383 Canguilhem, in: ders., 2009, S. 305. 384 Gleichmann/Mannebach, in: dies. (Hg.), 1993, S. 11. 385 Ebd.

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Düsseldorfer Herz-Kreislauf-Forscher wird von daher im dritten Kapitel der vorliegenden Arbeit am Beispiel der im Rahmen des ‚molekularen‘ Düsseldorfer SFB 612 erzeugten genveränderten Knockout-Mäusen verdeutlicht. Die multidisziplinären Anforderungen bei der Etablierung der Angiokardiographie stimulierten auch die Kooperationen zwischen den an der kardiovaskulären Forschung beteiligten Kliniken und theoretischen Instituten. So war u.a. diese Technologie eine wichtige Voraussetzung für ein Kooperationsnetzwerk, das durch die Bündelung von klinischer und grundlagenwissenschaftlicher kardiovaskulärer Expertise die Einrichtung des ersten kardiologischen Sonderforschungsbereiches im Jahre 1968 ermöglichte.

2.4 ANALYSE DER ARCHIVDOKUMENTE DES SFB 30 Nach der kurzen Vorstellung der personellen Entwicklung der Gründungsinstitute des SFB 30 und deren Schwerpunkte in Forschung und Klinik (Kap. 2.4.1) erfolgt in den darauffolgenden Abschnitten die Analyse der Archivdokumente des SFB 30. Dabei handelt es sich in erster Linie um im Bundesarchiv Koblenz und im HHUArchiv gesichtete und ausgewertete Finanzierungsanträge, Abschlussberichte, Protokolle der Berichtskolloquien des SFB 30 mit den entsprechenden Gutachterkommentaren sowie weiterer Dokumente mit allgemeiner Korrespondenz zwischen der DFG, dem SFB 30 und anderen Institutionen. Überdies wird der von der DFG herausgegebene Bericht über „Sonderforschungsbereiche 1969-1984“386 zur verfahrenshistorischen Kontextualisierung der Archivdokumente des SFB 30 zurate gezogen. Zunächst soll auf die historisch-kontingente Initiierungsphase des SFB 30 und die in der ersten Förderperiode beantragten Geräte mit Bezug zum frühen Forschungsprogramm des SFB eingegangen werden. Dabei wird die Struktur der ersten Finanzierungsanträge und die auf diese Dokumente antwortenden Gutachterkommentare analysiert und das Maß an Improvisation, welches das noch nicht etablierte Verfahren allen Beteiligten abverlangte, herausgestellt (Kap. 2.4.2). Mit der Ausdifferenzierung der Verfahrens- und Begutachtungsstruktur für SFB stellte die DFG ab 1972 ein umfassendes kommunikatives und regulatives Dispositiv bereit, das die antragsstellenden Forscher dazu animierte, die in den Forschungsprogrammen dargelegten Kooperationsstrukturen zu verbessern, was wiederum Ende der 1970er Jahre in einer weitreichenden Reform und zugleich Konsolidierung der Projektstrukturen des SFB 30 mündete (Kap. 2.4.3). Das Kap. 2.4.4 berichtet von den personell-institutionellen, den materiellexperimentellen und den verfahrenstechnischen Supplementierungen in der Projekt-

386 Stackmann/Streiter, 1985, S. 1-35.

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und Kooperationsstruktur sowie im Forschungsprogramm des SFB 30. Dabei wird deutlich gemacht, dass die Finanzierungsanträge eben keine eins-zu-eins umzusetzenden Forschungspläne, sondern veränderliche Entwürfe darstellen, die auf das kontingente Sich-Einrichten-Müssen auf die eigenen Ergebnisse (Heidegger, siehe Kap. 1.3) antworten. Zugleich müssen sich die Forscher der Gutachterkritik und der damit verbundenen Bewilligung oder Ablehnung von Teilprojekten stellen. Die nach Heidegger vorgenommene Analyse des wissenschaftlichen Betriebs (verstanden als „Austausch der Arbeitskräfte“, „wechselseitige Mitteilung und Überprüfung der Ergebnisse“, „Zusammenschluss der Verfahrensweisen“, vgl. Heidegger in Kap. 1.7) des SFB 30 wird Punkt für Punkt unter Rücksicht der projektspezifischen Supplementierungen vorgenommen. Abschließend wird das Forschungsprogramm des SFB 30 mit vier weiteren kardiovaskulären SFB der 1970er Jahre verglichen. 2.4.1 Die Gründungsinstitute des SFB 30 Die Gründungsinstitute des SFB 30 „Kardiologie“ rekrutierten sich sowohl aus den beiden großen Internistischen und Chirurgischen Kliniken der Kardiologie und Herzchirurgie, den interdisziplinären Fächern der Radiologie und Anästhesiologie als auch aus den theoretischen Instituten der Pathologie, Pharmakologie und Physiologie (Abb. 21). Damit deckte der SFB 30 das gesamte Spektrum der Hospital-Plattform (vgl. Abb. 15 in Kap. 2.1.4) der Universität Düsseldorf ab und schaffte einen Möglichkeitsraum, der erstmals in Westdeutschland klinische und grundlagenwissenschaftliche Betrachtungsweisen in dieser Konstellation auf das Herz-Kreislaufsystem zuließ.

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Abbildung 21: Der kardiovaskuläre Nukleus in Düsseldorf (späte 1960er und 1970er Jahre).

Quelle und Copyright: Thomas Krämer (Fotos entnommen aus: Jahrbüchern der HHU).

Aufgrund der grundlegenden diagnostischen Untersuchungsmethoden (vor allem die röntgengestützten Herzkatheteruntersuchungen [siehe Kap. 2.3.2], aber auch die ultraschallbasierte Echokardiographie)387 und den von den Herzchirurgen erzielten therapeutisch-operativen Behandlungserfolge, konnte zwischen 1950 und 1965 ein national und international anerkannter Schwerpunkt für Herz-Kreislauferkrankungen in Düsseldorf etabliert werden. 388 Da sich die folgende Darstellung der Gründungsinstitute des SFB 30 in erster Linie aus medizinhistorischen Festschriften und Selbstdarstellungen der einzelnen Institute und Kliniken (z.B. Einträge aus dem Jahrbuch der HHU) speist, erfolgt die Beschreibung der lokalspezifischen Dispositionen zur Einrichtung des SFB 30 vor allem personen- und zum Teil instituts- bzw. abteilungsbezogen. Auf das Entwurfsgeschehen des SFB 30 im Spannungsfeld zwi-

387 1957 gelang dem Internisten Sven Effert (1922-2000) erstmalig, Herzklappenfehler mittels Echokardiographie nachzuweisen (Koppitz/Halling, in: ders./Vögele [Hg.], 2007, S. 156). 388 Ebd., S. 158. Für einen medizinhistorischen und institutionsgeschichtlichen Überblick siehe die Chronologie der Düsseldorfer Herz-Kreislaufmedizin von 1891-2015, im Anhang 6, auf S. 486 der vorliegenden Arbeit.

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schen experimenteller Kontingenz und wissenschaftlichem Betrieb wird im weiteren Verlauf des Unterkapitels, insbesondere in Kap. 2.4.4 eingegangen. Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie Der im Jahre 1954 an die Medizinische Akademie berufende Spezialist für HerzKreislaufkrankheiten Franz Grosse-Brockhoff (1907-1981) führte bereits in den 1940er Jahren erfolgreiche Versuche zum Stoffwechsel bei narkotisierten Hunden durch und unternahm damit erste Schritte zur Hypothermie, d.h. zur künstlichen Kreislaufunterbrechung durch Unterkühlung.389 Weitere wissenschaftliche Schwerpunkte waren Erkenntnisse in der Pathologischen Physiologie, innerhalb welcher für eine kausaltherapeutische ausgerichtete Analyse von Herz-Kreislaufkrankheiten plädiert wurde.390 Grosse-Brockhoff verfasste, als einer der letzten ‚Generalisten‘ der Inneren Medizin in Düsseldorf, sowohl Artikel und Handbucheinträge zu HerzKreislaufkrankheiten aus allgemeiner internistischer Perspektive als auch zu den neueren speziellen Untersuchungsmethoden der angeborenen und erworbenen Herzkrankheiten. Viele der neuen Verfahren (etwa Herzdiagnostik mittels röntgenbasierter Herzkatheteruntersuchungen oder mittels Ultraschall) wurden unter Grosse-Brockhoff angewandt, weiter entwickelt oder neu eingeführt. 391 Obwohl er diese spezialisierten Behandlungs- und Forschungsschwerpunkte mitbegründete und in diesem Zusammenhang internationale Anerkennung erreicht hatte, vertrat er seinem Denkstil nach doch die Innere Medizin in ihrer ganzen Breite. 392 Bei aller Vielfalt der von ihm getragenen neuen Verfahren und Möglichkeiten sah Grosse-Brockhoff die Innere Medizin insgesamt in einem Dilemma: „Stetig fortschreitende Differenzierung von Diagnostik und Therapie auf der einen Seite, Notwendigkeit der Integration auf der anderen Seite.“ 393 Es war seine Überzeugung, dass sich echter Fortschritt in der Inneren Medizin nur auf Grundlage naturwissenschaftlicher Abstraktionen und spezialisierter Verfahren erzielen lässt. Mit größtem Nachdruck wies er allerdings immer wieder darauf hin, dass die „klinische Medizin eine sehr gegenständliche Kunst“ sei und dass die „unmittelbare Beobachtung des Kranken mit Hilfe [sic] unserer Sinnesorgane“ das „tragende Fundament unserer Krankheitslehre“ bleibe.394 Sein Denkstil bezüglich der Forschung war dadurch geprägt, dass dem Krankenbett unter allen Umständen das Primat erteilt wird: An der „Einheitsidee des menschlichen Organismus“ festhaltend zeichne sich „klinische Forschung“

389 Koppitz/Halling, in: ders./Vögele (Hg.), 2007, 156. 390 Ebd. 391 Ebd. 392 Ebd., S. 58. 393 Grosse-Brockhoff, in: Jahrbuch der HHU 1976-1978 [1979], S. 95. 394 Ebd., S. 101.

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dadurch aus, dass sie „vom Krankenbett ausgeht und letztendlich dort wieder mündet […].“395 Kurz nach Grosse-Brockhoffs Rektorat (1962-1963) wurde die Medizinische Akademie Düsseldorf 1965 in den Rang einer Universität erhoben. Dadurch wurde die 1. Medizinische Klinik eine Universitätsklinik. Im selben Jahr errichtete man eine kardiologische Abteilung mit 60 Betten als planmäßiges Extraordinariat für Innere Medizin, insbesondere Kardiologie mit Franz Loogen (1919-2010) als Direktor (siehe Kap. 2.3.2.1).396 1967 erfolgte die Umwandlung des Extraordinariats in ein Ordinariat. Die Abteilung für Kardiologie bestand zu dieser Zeit aus dem Leiter (Loogen), aus einem Oberarzt und vier Assistenten. Der fast zwanzig Jahre alte Herzkatheterplatz in der 1. Medizinischen Klinik wurde weiterverwendet. In dem 1968 erbauten Laborpavillon wurden jedoch größere Räume für tierexperimentelle Untersuchungen bezogen. 397 Seit 1967 baute man eine internistische Intensivstation auf mit der Möglichkeit kontinuierlicher Überwachung akut bedrohlich Erkrankter, der Elektrotherapie von Herzrhythmusstörungen, der kontrollierten und assistierten Beatmung und der Behandlung schwerer Vergiftungen.398 Außerdem kamen die permanente Langzeitregistrierung des EKG mithilfe von tragbaren Aufnahmegeräten zum Einsatz, damit wurde eine Differentialtherapie von Antiarrhythmika klinisch ermöglicht.399 Im Jahre 1969 wurde der Umbau der ehemaligen Tuberkulosestation zur neuen kardiologischen Abteilung vollendet. Die Abteilung verfügte über ca. 50 Betten und war an einen Neubau der kardiologischen Ambulanz angeschlossen. Die Abteilung war mit modernsten kardiologischen Untersuchungsgeräten ausgestattet und verfügte über eine eigene Röntgenanlage.400 Unter Loogen nahm die 1. Medizinische Klinik B seit Anfang der 1970er eine rasante Entwicklung auf: Ende 1972 stieg die Zahl der kardiologischen Betten von 60 auf 90, jährlich wurden etwa 5.000 Patienten ambulant und ca. 1.250 stationär versorgt. Zu dieser Zeit wurden jährlich ca. 1.400 Herzkatheteruntersuchungen vorgenommen, hinzu kamen ca. 350 Untersuchungen mithilfe von Einschwemmkathetern und eine stets zunehmende Zahl von Koronarangiographien (vgl. Kap. 2.3.2.4).401 Seit 1971 wurden Katheteruntersuchungsverfahren zur Herzmuskelbiopsie und zur Untersuchung des Reizleitungssystems (His-Bündel-EKG) eingeführt.

395 Ebd., S. 96. 396 Schönberg, 1975, S. 203. 397 Schadewaldt, 1973, S. 129. 398 Schönberg, 1975, S. 66. 399 Ebd. 400 Schadewaldt, 1973, S. 129. 401 Ebd.

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Unter Loogen nahmen auch die speziellen Untersuchungsverfahren der pädiatrischen Kardiologie einen breiten Raum ein. Neben den damals üblichen Verfahren einschließlich der Kineangiographie gehörten bereits 1967 auch therapeutische Kathetereingriffe, wie Ballonseptostomie nach Rashkind zur Erweiterung einer offenen Verbindung zwischen dem linken und rechten Vorhof zu den angewandten Verfahren.402 Aber auch für den Berufsstand und die Identitätsstiftung des in den späten 1960er Jahren neu aufkommenden Fachs Kardiologie leistete Loogen wichtige Beiträge. Er war Anfang der 1970er Jahre nicht nur an der Bildung der Kommission für Klinische Kardiologie der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e.V. (DGK) beteiligt, die Leitlinien und Empfehlungen zur klinischen Routine erarbeitete,403 sondern war auch ein maßgelblicher Akteur bei der Initiative zur Bildung von Schwerpunktkliniken in der Inneren Medizin der Universität Düsseldorf (vgl. Kap. 2.1.4 und 2.3.2.1).404 Zudem sorgte sich Loogen um die seiner Zeit international verhältnismäßig geringe Sichtbarkeit der deutschen Kardiologie. Einen großen Schritt stellte daher 1972 seine Wahl als erster Deutscher in den Vorstand der European Society of Cardiology (ESC) dar, welcher er insgesamt 16 Jahre lang seinen Dienst erwies.405 Der Höhepunkt dieses Wegs war seine vierjährige Präsidentschaft der ESC von 1980-1984 und die Organisation des vom 8.12. Juli 1984 in Düsseldorf stattgefunden ersten ESC-Kongresses in Deutschland, der fast 10.000 Teilnehmer und Besucher aus aller Welt anzog. Damit stellte der Düsseldorfer ESC-Kongress einen Rekord auf, da er alle bisherigen ESC-Kongresse von der Teilnehmerzahl her überbot und nahezu die Größe des damals überlegenen Kongresses der American Heart Association (AHA) erreichte. 406 Der ungewöhnliche Erfolg dieses 9. Kongresses der ESC war Maßstab und Grundlage für die von 1988 an jährlich stattfindenden europäischen Tagungen.407 Mit diesen Anstrengungen im Rahmen von nationalen und internationalen Fachgesellschaften schuf Loogen ein kraftvolles kardiologisches Netzwerk, das nicht nur dem Standort Düsseldorf, sondern der gesamten deutschen Kardiologie zugutekam. Durch die prä- und postoperative Versorgung der Herz-OP-Patienten und durch vielfältige wissenschaftliche Kooperationen war die 1. Medizinische Klinik, später

402 Ebd. 403 Gleichmann/ Breithardt/Arnold, Kardiologe 2015, 9:182-186, hier S. 183. 404 Loogen, in: Jahrbuch der HHU 1978-1980 [1981], S 208. 405 Breithardt/Seipel, Clin Res Cardiol. 2009;98:341-3. 406 Breithardt et al., Eur. Heart J. 1985; 6:368-370. 407 Vgl. Breithardt/Seipel, Clin Res Cardiol. 2009;98:341-3.

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insbesondere die 1. Medizinische Klinik B unter Loogen stets eng mit der Chirurgischen Klinik verbunden.408 Klinik für Kardiovaskuläre Chirurgie Die bereits in Düsseldorf in den 1930er Jahren eingeführte Thoraxchirurgie nahm mit der Berufung von Ernst Derra 1946 weiter Fahrt auf. Seit 1949 entwickelte sich zunächst die Kardiovaskular-Chirurgie mit Korrekturen an den herznahen Gefäßen, später auch der Herzklappen. Der in den USA ausgebildete Anästhesist Martin Zindler (*1922) führte nach tierexperimenteller Erprobung am Hund die Oberflächenhypothermie für Herzoperationen mit Kreislaufunterbrechung ein.409 1955 wurde von Derra der erste Eingriff mit diesem auf Senkung der Körpertemperatur basierenden Hilfsmittel für die Naht eines Vorhof-Septumdefekts des Herzens unter direkter Sicht in Europa gewagt.410 Damit war erstmals die Korrektur angeborener und erworbener Herzfehler möglich. Diese „Pionierleistung“ zog zahlreiche Anästhesisten aus aller Welt als Hospitanten nach Düsseldorf. Danach konnte mit 1.873 Hypothermien die größte Serie dieses Verfahrens bei offenen Herzoperationen weltweit erreicht werden.411 Mit dem Bezug der neuen Chirurgischen Klinik 1958 (siehe Kap. 2.1.3.1) waren alle Voraussetzungen für die Verwendung der extrakorporalen Zirkulation mit dem Einsatz der Herz-Lungenmaschine (HLM) gegeben. An der entsprechenden Vorbereitung an der Mayo-Clinic in Rochester/Minnesota war der junge Assistenzarzt Heinz-Joachim Sykosch (1926-2017) beteiligt, der 1961 den ersten Herzschrittmacher in Deutschland implantierte. 412 Im Jahre 1959 führten die Chirurgen unter Leitung Derras und der anästhesiologischen Überwachung Zindlers erstmals mithilfe der HLM vom Typ MayoGibbon I erfolgreich eine offene Herzoperation durch. 413 Mit der HLM konnten auch Korrekturen komplizierter angeborener Herzfehlbildungen, die längere Herzstillstandzeiten als sechs Minuten zur operativen Korrektur erforderten, durchgeführt werden.414 Zwischen 1949 und 1979 wurden rund 22.200 Herzoperationen,

408 Vgl. Bircks, in: Jahrbuch der HHU 1978-1980 [1981], S. 202. 409 Koppitz/Halling, in: ders./Vögele (Hg.), 2007, S. 157. 410 Bircks, in: Jahrbuch der HHU 1978-1980 [1981], S. 200, siehe auch Koppitz/Halling, in: ders./Vögele (Hg.), 2007, S. 157. 411 Ebd. 412 Ebd. 413 Ebd. siehe auch Bircks, in: Jahrbuch der HHU 1978-1980, S. 200. 414 Koppitz/Halling, in: ders./Vögele (Hg.), 2007, S. 157.

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davon 8.000 sogenannte „offene“ und 9.400 sogenannte „geschlossene“ Herzoperationen und 4.800 Herzschrittmacher-Eingriffe durchgeführt.415 In den 1970er und 1980er wurden in der seit 1970 ausgegliederten Chirurgischen Klinik B unter der Leitung von Wolfgang Bircks (*1927) eine Reihe von neuen Operationsmethoden eingeführt. Zu den besonderen Leistungen gehören u.a. die erfolgreiche Durchführung von Bypass-Operationen, Langzeitperfusionen mit einem Membran-Oxygenator bei Lungeninsuffizienz (1971) und die erste Implantation eines automatischen Defibrillators (1984) in Deutschland. 416 Auf Initiative Derras entstanden in den 1960er Jahren – zum Teil erstmalig in Deutschland – Lehrstühle für Urologie, Neurochirurgie und auch Anästhesiologie (Zindler); aus entsprechenden Abteilungen von Chirurgie und Hautklinik der Lehrstuhl für Röntgenologie und Medizinische Strahlenkunde (besetzt mit Heinz Vieten, 1915-1986).417 Derra schuf damit nicht nur ein fachliches, sondern auch ein von persönlichen Verbindungen geprägtes hochschulpolitisches Netzwerk, da alle Lehrstuhlinhaber zuvor seine akademischen Schüler oder enge Mitarbeiter gewesen waren.418 Klinik für Anästhesiologie Zu den interdisziplinären klinischen Fächern des SFB 30 gehörte die bereits erwähnte Anästhesiologie unter der Leitung von Martin Zindler. Der Facharzt für Anästhesie wurde 1953 in der Westdeutschland eingeführt und Zindler, der bereits 1959 den ersten selbstständigen Anästhesiologenkongress in Düsseldorf organisierte, erhielt 1962 aufgrund seiner großen fachlichen Erfolge den Ruf als erster Direktor eines eigenständigen Instituts für Anästhesie in Deutschland. 419 Das Institut versorgte zunächst alle operativen Kliniken und später auch sämtliche Intensivstationen auf dem Düsseldorfer Klinikgelände420 und es kam 1971 ein Lehrstuhl für Experimentelle Anästhesiologie hinzu (Arndt),421 der auch ein Projektbereich im SFB 30 stellte.422 Forschungsschwerpunkte der Düsseldorfer Anästhesiologie waren u.a. Stoffwechsel und Kreislauf in Hypothermie, hyperbare Oxygenierung, maligne

415 Bircks, in: Jahrbuch der HHU 1978-1980 [1981], S. 183. 416 Koppitz/Halling, in: ders./Vögele (Hg.), 2007, S. 158. 417 Ebd., S. 159. 418 Ebd. 419 Ebd., S. 160. 420 Zindler/Tarnow/Pannen, in: ebd., S. 437. 421 Koppitz/Halling in: ebd., S. 164. 422 Projektbereich L „Kreislaufregulation, insbesondere in Narkose“, Abschlussbericht des SFB 30 für die Jahre 1982-1985, Universität Düsseldorf, 1985, S. 3, in: Dt. Zentralbibliothek für Medizin, Köln, (Lit.verz., AQ: Arb./Abschl.ber. SFB 30).

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Hyperthermie, Sauerstoffverbrauch und vor allem die im SFB 30 viel beforschte Hämodynamik unter verschiedenen Anästhesiebedingungen sowie u.a. bei Patienten nach Herzoperation. 423 Institut für Diagnostische Radiologie Die Röntgendiagnostik der Medizinischen Akademie bzw. der Universität Düsseldorf war bis vor dem Bezug der MNR-Klinik 1985 dezentral organisiert, obwohl ursprünglich bereits 1907 ein selbstständiges diagnostisches Röntgeninstitut geplant war. 1957 wurde wie bereits angedeutet auf Initiative Derras das „Institut und Klinik für Medizinische Strahlenkunde“ gegründet, dessen erster Direktor, Heinz Vieten, zugleich die diagnostische Abteilung der Chirurgischen Klinik leitete. 424 Dennoch hatte jede größere Klinik weiterhin auch eine eigene Röntgenabteilung mit jeweils spezifischen Arbeitsschwerpunkten. So wurden z.B. in der Röntgenabteilung der Chirurgischen Klinik Bronchographien und Angiokardiographien durchgeführt.425 Nach Einzug in die MNR-Klinik 1985 erfolgte die Neuordnung der internen röntgendiagnostischen Abteilungen; das von dort an sogenannte „Institut für Diagnostische Radiologie“ gliederte sich in fünf Teilbereiche: die Radiologie der MNRKlinik, der Chirurgischen Kliniken, der Neurochirurgischen Klinik, der Kinderklinik und der Frauenklinik. Das Institut verfügte seit dieser Zeit über die technologische Ausstattung (u.a. vom ersten CT-Ganzkörperscanner am Standort über MRTGeräte bis hin zu digitalen Subtraktionsangiographien), um in kurzer Zeit die bildgebende Diagnostik durchzuführen und die Ergebnisse den anfordernden Fachkliniken zeitnah zur Verfügung zu stellen. 426 Die grundlagenwissenschaftlichen Säulen des SFB 30 waren die Institute für Physiologie, Pharmakologie und Pathologie, die im Folgenden kurz dargestellt seien. Institut für Pathologie Die Pathologie entwickelte sich besonders in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einer unverzichtbaren Partnerin klinischer Forschung. War der Pathologe vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der mit Obduktionen betraute, „im Sektionssaal im Hintergrund wirkende Arzt“, so beschäftigte sich das Fach im Laufe der Zeit mehr und mehr mit der intravitalen Diagnostik von Gewebeproben und operativ entfernten Organen und den damit verbunden Labortechniken der mik-

423 Zindler/Tarnow/Pannen, in: Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 438. 424 Mödder/Jungbluth, in: ebd., S. 371. 425 Ebd. 426 Ebd., S. 372.

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roskopischen Untersuchungen, der immunbiologischen Untersuchung von Gewebeschnitten und anderer molekularer Untersuchungstechniken. 427 Damit bot die Pathologie eine für die Verbundforschung wichtige Schnittstelle zwischen den Bereichen Labor und Klinik. Hubert Meessen (1909-1992, von 1949-1977 Leiter des Instituts für Pathologie) trieb die Expansion der Düsseldorfer Pathologie bereits in der Nachkriegszeit voran. Seine Hauptarbeitsgebiete waren Herz- und Kreislauforgane, Neuropathologie sowie experimentelle Pathologie. Er setzte schon früh Elektronenmikroskopie ein und die Förderung der Zytologie führte schließlich zu einer selbstständigen Abteilung. 428 Waldemar Hort (1925-2014, 1977-1990 Leiter des Instituts) führte die Tradition kardiovaskulärer Forschung weiter und intensivierte zugleich die Forschung auf den Gebieten der Kranzarterien, der Korrelation von Koronarsklerose und Herzinfarkt, dem Endothel und der Arteriosklerose, dem Altersherz und der Rückbildung der Herzhypertrophie. 429 Institut für Pharmakologie und Klinische Pharmakologie Unter dem Einfluss von Kurt Greef (1920-1998) – von 1960-1985 Leiter des Instituts für Pharmakologie und Klinische Pharmakologie – fokussierte sich die pharmakologische Forschung in Düsseldorf auf die Kardiologie: Greef arbeitete in den 1960er Jahren nicht nur über Fragen der Adrenalinwirkung oder Milzentspeicherung bei Blutverlusten, sondern vor allem über Fragen der Kardiopharmakologie (wie z.B. über die Interaktion herzwirksamer Glykoside [Digitalis] mit anderen Arzneimitteln).430 Unter seinem Einfluss wurden in Düsseldorf Kooperationen mit anderen Kliniken und Instituten (insbesondere mit der Physiologie und Pathologie als auch mit der kardiologischen Abteilung) sowie Kooperationen mit der Industrie, insbesondere mit der Firma Bayer etabliert. 431 Die Pharmakologie war zudem eines der ersten Institute, die seit Beginn der systematischen Tierversuche an der Medizinischen Akademie in den 1950er Jahren diese experimentelle Methode am häufigsten verwendete.432 Physiologisches Institut Ein entscheidender Schritt für die weitere Entwicklung der kardiovaskulären Forschung war 1960 die Einrichtung eines Physiologischen Instituts, durch welches die Medizinische Akademie zu einer vollständigen medizinischen Fakultät wurde, an

427 Hort/Gabbert, in: Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 328. 428 Ebd. 429 Ebd., S. 329. 430 Greeff, in: Schaper/Gottwik (Hg.), 1982, S. 40-47. 431 Schrör, in: Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 316. 432 Treiber, in: ebd., S. 507.

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der alle klassischen Fächer vertreten waren. Das zunächst im Gebäude der Chirurgischen Klinik untergebrachte Institut verfolgte unter der Leitung von Wilhelm Lochner (1922-1979) Untersuchungen über den Herzstoffwechsel, der Koronardurchblutung und der Herzdynamik, wobei die Experimente sich am narkotisierten Hund und am isolierten Kleintierherzen gegenseitig ergänzten. 433 1971 bezog das Institut den Neubau für die vorklinischen Institute auf dem Campus der Düsseldorfer Universität und wurde um zwei weitere Lehrstühle, darunter einer für klinische Physiologie, erweitert.434 Mit vielbeachteten Arbeiten zur Hämodynamik des Gesamtkreislaufs (inkl. Lunge) und der Mechanik der Koronardurchblutung erlangte Lochner weltweite Anerkennung. 435 Er war maßgeblich an der Weiterentwicklung von Indikator- und Verdünnungsverfahren, verschiedenen Spezialkathetern und HerzersatzSystemen beteiligt und führte unterschiedliche pharmakologische und toxikologische Untersuchungsmethoden in die Physiologie ein. 436 Der nach seiner Habilitation 1969 zum Oberassistenten des Instituts ernannte und im Jahre 1977 auf den Lehrstuhl für Experimentelle Chirurgie berufene Gunter Arnold (*1934) übernahm (später im Rahmen des SFB 30) die Forschungen zur Herzdynamik und fand heraus, dass der koronare Perfusionsdruck auf die Leistung (Kontraktilität) des Herzens einen wesentlichen, bis dato unbekannten Einfluss ausübt.437 Die für diese Versuche vorgenommenen Überlagerungen von ex-vivo- (isolierte Meerschweinchenherzen) und in-vivo-Befunden (intaktes im Körper schlagendes Hundeherz) werden im Kapitel „Spektrum experimentelle Kardiologie“ im Rahmen der Analyse der „Hämodynamikmessung im SFB 30“ (Kap. 2.5.2.1) wieder aufgegriffen. Bereits in den 1970er Jahren fokussierte sich die Arbeit des Lehrstuhls für klinische Physiologie (Leitung Raimund Kaufmann, 1997 gestorben) im Rahmen des SFB 30 auf die Grundprozesse der elektrischen Erregbarkeit der Herzmuskelzelle, Probleme der elektromechanischen Kopplung und der Steuerung der Kontraktilität auf zellulärer Ebene. Unter seiner Leitung wurden die ersten genuin biochemischen und molekularen Arbeiten des Instituts forciert und ein Zellzucht-Labor eingerichtet, das es erlaubte, gezüchtete und kultivierte Herzmuskelzellen zum Untersuchungsobjekt kardiovaskulärer Forschung in Düsseldorf zu machen und darauf aufbauend das Gebiet der kardialen Beta-Rezeptoren zu beforschen. 438

433 Lochner, in: Jahrbuch der HHU, 1968/69 [1970], S. 271-272. 434 Schrader, in: Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 292. 435 Koppitz/Halling, in: ebd., S. 158, siehe detailliert Lochner, in: Jahrbuch der HHU, 1968/69 [1970], S. 271. 436 Koppitz/Halling, in: ders./Vögele (Hg.), 2007, S. 158. 437 Lochner, in: Jahrbuch der HHU, 1968/69 [1970], S. 274. 438 Müller-Ruchholz/Haase/Kaufmann, in: Jahrbuch der HHU 1977/78 [1980], S. 213.

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Mit den Berufungen von Derra und Grosse-Brockhoff war die Berufungspolitik der Medizinischen Akademie bzw. der Medizinischen Fakultät der Universität Düsseldorf bereits seit den 1950er Jahren auf einen kardiovaskulären Schwerpunkt ausgerichtet, was sich in den 1960er und vor allem durch die Einrichtung des SFB 30 „Kardiologie“ noch verstärkte. 439 Die bereits bestehenden Kooperationen des zuvor beschriebenen ‚kardiovaskulären Nukleus‘ (siehe Abb. 21 zu Anfang von Kap. 2.4.1) in Düsseldorf waren dabei wichtige Voraussetzungen (verstanden als lokalspezifische institutionelle Dispositionen) für die Einrichtung des SFB 30, dessen Initiierungsphase im Folgenden kurz dargestellt werden soll. 2.4.2 Die Initiierungsphase des SFB 30 Der SFB 30 Kardiologie war einer der ersten SFB überhaupt und der erste SFB mit kardiovaskulärer Ausrichtung. Da das Förderverfahren auch für die DFG im Jahre 1968 völlig neu war, gab es zu diesem Zeitpunkt keinerlei Erfahrungswerte und dementsprechend auch noch keine konkreten Vorstellungen einer einheitlichen Verfahrensordnung. Vielmehr hatte die Initiierung des Programms selbst den Charakter eines Experiments, dessen Ausgang sowohl für die Mitarbeiter der DFGGeschäftsstelle in Bonn Bad Godesberg als auch für die antragsstellenden Wissenschaftler nicht vorherzusehen war (vgl. Kap. 1.7).440 Der erste Antrag des SFB 30 aus dem Jahre 1968 konnte im Bundesarchiv Koblenz nicht aufgefunden werden. Es gibt Hinweise, dass die ersten SFB-Anträge unter hohem Zeitdruck erstellt worden sind, für den weder die DFG noch die antragsstellenden Wissenschaftler etwas konnten. Denn die Liste der zu fördernden SFB, die der Wissenschaftsrat erstellte, wurde erst zum Ende des Sommersemesters 1968 bekanntgegeben, wobei die von den einzelnen Bundesländern bereitgestellten Sondermittel noch im gleichen Jahr verausgabt werden mussten, um nicht zu verfallen.441 Somit hatten die Düsseldorfer Antragssteller nur wenige Wochen Zeit, ihren Forschungsantrag zu schreiben und die DFG musste daraufhin ebenfalls unter Zeitdruck Gutachter bestellen, Gutachten einholen, auf deren Grundlage dann die Bewilligung für die Finanzmittel des ersten Jahres (1968-1969) entschieden werden konnte. Der von der DFG eingesetzte – anfangs noch „ad-hoc-“ – seit 1972 „Bewilligungsausschuss für die Förderung der Sonderforschungsbereiche“ genannte Aus-

439 Interview mit Gunther Arnold vom 09.06.2016, S. 1-2 und S. 9. 440 Vgl. Stackmann/Streiter, 1985, S. 1 und S. 9. 441 Vgl. Schreiben der DFG vom 26.09.1968 an einen der für den SFB 30 zuständigen Gutachter, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-10615, (Lit.verz., AQ: Korr. SFB 30), vgl. auch Stackmann/Streiter, 1985, S. 5.

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schuss442 bewilligte am 16. Oktober 1968 die Förderung des SFB 30 „Kardiologie“,443 dessen erster Sprecher Grosse-Brockhoff wurde, mit der zu gleichen Teilen vom Bund und Land NRW bereitgestellten Summe von 1.180.322 DM.444 Die ersten beantragten Geräte des SFB 30 Die ersten bewilligten Geräte waren für das Forschungsprogramm des SFB 30, insbesondere für das Hauptthema „Koronardurchblutung und Dynamik des Herzens“ – das Nebenthema lautete „Hämodynamik des Lungenkreislaufs, Untersuchungen über den pulmonalen Hochdruck“ – sowohl in experimentell-grundlagenwissenschaftlicher als auch in klinisch-wissenschaftlicher Hinsicht zentral: Das Physiologische Institut beantrage u.a. eine Erweiterung der bereits vorhandenen Datenerfassungsanlage. Das Gerät erlaubte es, verschiedene physiologische Parameter zeitgleich zu registrieren, auszuwerten und in eine graphisch-synoptische Übersicht zu übersetzen. Damit konnten die SFB-Forscher den Einfluss eines experimentell veränderten Perfusionsdrucks auf die Kontraktilität des isolierten Meerschweinchenherzens bzw. des intakt schlagenden Hundeherzens mit kanülierten Koronararterien untersuchen.445 Auf der klinischen Seite sollte die „Koronardurchblutung und Dynamik des Herzens“ mithilfe der bereits in Kap. 2.3.2 geschilderten selektiven Angiokardiographie durchgeführt werden. Diese von den Antragsstellern der Abteilung für Kardiologie genannte „Densitometrische Bestimmung der Koronardurchblutung und der Kammervolumina“ beinhaltete eine noch zu konstruierende Röntgenanlage, deren Auftrag – nach Einholung entsprechender Vergleichsangebote der Firma Philips – letztendlich die Firma Siemens erhielt. 446 Mit dieser letztendlich erst 1973

442 Vgl. Stackmann/Streiter, 1985, S. 1 und S. 5. 443 Auszug aus dem Ergebnisprotokoll des ad-hoc-Ausschusses für die Sonderforschungsbereiche am 16.10.1968 in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-10615, (Lit.verz., AQ: Korr. SFB 30). 444 Vgl. hierzu das Bewilligungsschreiben der DFG vom 05.11.1968 und das Bewilligungsschreiben des Kultusministeriums des Landes NRW vom 22.11.1968, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-10615, (Lit.verz., AQ: Korr. SFB 30). 445 Finanzierungsantrag des SFB 30 „Kardiologie“ für die Jahre 1970-71-72, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-10750, Blatt: 28-31, (Lit.verz., AQ: Finanz.antr. SFB 30). Vgl. hierzu auch die einschlägigen Publikationen, die in der Experimentalanalyse in Kap. 2.5.2.1 zugrunde gelegt werden: Arnold et al., Pflugers Arch. 1968;299(4):339-56 und Arnold et al., Pflugers Arch. 1970;321(1):34-55. 446 Vgl. entsprechende Korrespondenz zur Beschaffung der Röntgenanlage für den SFB 30, in: Bundesarchiv Koblenz, Best B227-10615 und B227-10677, (Lit.verz., AQ: Korr. SFB 30).

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am Standort fertig installierten Anlage konnte nicht nur die Darstellung der Herzkranzgefäße mittels selektiver Angiokardiographie optimiert werden, sondern auch die Erforschung der Herzkammerflächen und -volumina sowie die Erstellung von Druckvolumendiagrammen erfolgen (vgl. Kap. 2.3.2.2).447 Auch weitere am Anfang der Förderung des SFB 30 beantragte Geräte betrafen sowohl experimentelle als auch klinische Fragestellungen:448 • Die Chirurgischen Klinik beantragte eine Membran-Oxygenator-Herzlungenmaschine zur Reduzierung bluttraumatischer Schäden durch kürzere BypassZeiten bei Herzoperationen. • Das Pharmakologische Institut beantragte ein elektronisches Datenerfassungssystem für Kreislaufanalysen im Rahmen von Untersuchungen des Einflusses von kreislaufwirksamen Pharmaka. 449 • Das Institut für Pathologie reichte einen Antrag für ein Universalmikrospektralphotometer zur zytometrischen Messung des DNA-Gehaltes von Zellkernen ein. Die Struktur früher Finanzierungsanträge des SFB 30 und erste Resonanzen der Gutachterkommentare Bereits der erste vom Verfasser der vorliegenden Arbeit im Bundesarchiv Koblenz gefundene, im September 1969 eingereichte Finanzierungsantrag für die Jahre 1970-1972 (siehe das Inhaltsverzeichnis des Antrags im Anhang 1, S. 466)450 hatte eine von der DFG vorgegebene Gliederung. Sie beschränkte sich zunächst jedoch auf vom SFB-Sprecher – seit Ende 1969 Lochner – auszufüllende Tabellen mit Übersichten der beantragten Personal-, Sach-, Verwaltungs- und Investitionsmittel. Des Weiteren verlangte die DFG zusätzliche Erklärungen der Hochschule über die Raumsituation des SFB, eine alphabetische Liste der am SFB beteiligten Wissenschaftler, die (zu dieser Zeit noch nicht vorgelegte) mitgliedschaftliche Ordnung des SFB sowie eine Kurzzusammenfassung des Forschungsprogramms. Das eigentlich umfassend darzustellende Forschungsprogramm sollte laut dieses frühen DFG-

447 Arbeitsbericht des Sonderforschungsbereiches 30 „Kardiologie“ für das Jahr 1972, S. 33-36, in: Dt. Zentralbibliothek für Medizin, Köln 10677, (Lit.verz., AQ: Arb./Abschl.ber. SFB 30). 448 Für folgende Geräteaufzählung siehe: Finanzierungsantrag des SFB 30 „Kardiologie“ für die Jahre 1970-71-72, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-10750, (Lit.verz., AQ: Finanz.antr. SFB 30). 449 Siehe hierzu: Finanzierungsantrag des SFB 30 „Kardiologie“ für die Jahre 1971-72-73, S. 28-29, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-10858. 450 Finanzierungsantrag des SFB 30 „Kardiologie“ für die Jahre 1970-71-72, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-10750.

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Vordrucks zwar nach „Zielen, Methoden und der erwarteten Bedeutung der geplanten Arbeiten“ in Teilprojekten gegliedert werden, jedoch waren die inhaltlichen Antragsteile der einzelnen Arbeitsgruppen eher heterogen und standen – wenig auf einander abgestimmt – nebeneinander, ohne einen direkten Bezug auf einen Forschungsverbund erkennen zu lassen. Dies lässt sich an der Form des hinterher händisch paginierten Antrags – der Antrag zählte 64 Seiten – erkennen: Jede Abteilung und jedes Institut verwendete seinen eigenen Briefkopf und verfolgte eine andere Gliederung bzw. gab zum Teil nur eine knappe Begründung der beantragten Geräte ab, wodurch klar wurde, dass die Einzelanträge eben nicht in interdisziplinären Teilprojekten, sondern instituts- bzw. abteilungsbezogen konzipiert wurden. Einige initial beantragten Teilprojekte des SFB wurden nicht bewilligt und die Mittel einiger beantragten Geräte, wie z.B. die vom Physiologischen Institut beantragte Datenerfassungsanlage oder der vom Pathologischen Institut beantragte Universalmikrospektralphotometer wurden zunächst gesperrt.451 Zur Erklärung gaben die DFG-Gutachter an, dass „in Zukunft eine fundiertere Begründung [der beantragten Mittel] vorgelegt wird, die auch den Verbund besser erkennen lässt.“452 Wohl auch aufgrund des heterogen zusammengestellten Finanzierungsantrags lauteten die Bedenken einiger Gutachter konkret, dass der Eindruck entstünde, „als ob der SFB als eine Art Großgeräte-Programm angesehen wird“453 und es sich lediglich um eine „additive Aufzählung von Forschungseinrichtungen der Hochschule“ handelt, in welcher nur die Instituts- und Klinikdirektoren agierten und die Kooperation zwischen den einzelnen Partnern „in nicht idealer Weise“ gegeben bzw. geklärt war.454 Auch der Folgeantrag für die Jahre 1971-1973455 – bis 1970 mussten jährlich komplette Finanzierungsanträge an die DFG gestellt werden, ab 1971 ‚nur‘ noch alle drei Jahre – kam diesen Forderungen nur bedingt nach. Dies war jedoch laut der seiner Zeit für SFB zuständigen hauptamtlichen DFG-Mitarbeiter Karl Stackmann und Axel Streiter in den frühen Jahren des SFB-Programms nicht unüblich, denn die Breite der Themen deckte sich bei den frühen Anträgen in der Regel nicht mit

451 Bewilligungsschreiben der DFG vom 08.01.1970 in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-10750, (Lit.verz., AQ: Korr. SFB 30). 452 Ergebnisprotokoll der Sitzung des “ad-hoc“-Ausschusses für die Sonderforschungsbereiche vom 07.05.1969, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-10677. 453 Korreferat zum SFB 30 Kardiologie vom 28.04.1969, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-10677. 454 Gutachten zum SFB 30 vom 23.04.1969 und vom 30.04.1969 in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-10677. 455 Finanzierungsantrag des SFB 30 „Kardiologie“ für die Jahre 1971-72-73, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-10858, (Lit.verz., AQ: Finanz.antr. SFB 30).

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der Summe der Teilprojekte, sodass viel Heterogenität, insbesondere in sehr großen SFB herrschte.456 Die Gliederung des Finanzierungsantrags des SFB 30 für die Jahre 1971-1973 entsprach der des Vorgängerantrags, wobei diesmal hinter den von der DFG vorgegebenen Finanz- und Personaltabellen zunächst eine Liste aller SFB-Mitglieder (die Anzahl stieg im Vergleich zum Vorgängerantrag von neun auf 21), die Kurzfassung des Arbeitsprogramms mit einer Ergänzung zu den längerfristigen Vorhaben des SFB und eine detaillierte Übersicht der Forschungsthemen der einzelnen Arbeitsgruppen beigefügt waren. Wie bereits oben festgestellt, konnte in dieser Frühphase von durch die DFG eigentlich eingeforderten interdisziplinären Teilprojekten noch keine Rede sein. Die dem Finanzierungsantrag vorangestellten Aufstellungen ließen zumindest für die ersten Seiten des Antrags eine bessere Übersicht zu, wobei die inhaltlichen Teile des Antrags wieder Schreiben der jeweiligen Instituts- bzw. Klinikleiter mit eigenem Briefkopf waren, die eher – ausgerichtet auf die beantragten Geräte – nebeneinanderstanden, statt für einen Verbund thematisch und inhaltlich ineinander zu greifen.457 In der ersten am Standort Düsseldorf durchgeführten Gutachtersitzung vom 8. Oktober 1970 wurde von daher insbesondere die mangelnde Kooperation innerhalb des SFB aufgegriffen: Das Fachgremium sah zwar übereinstimmend, dass der SFB 30 „grundsätzlich förderwürdig“, die Entwicklungstendenz auch aufgrund der neu einzurichtenden physiologischen Lehrstühle „positiv zu beurteilen“ sei und dass bei vielen Projekten eine „bemerkenswerte“ wissenschaftliche Leistung, teilweise gar „Spitzenleistungen“ vorlägen. 458 Jedoch bemängelten die Gutachter, dass nur rund die Hälfte der in Düsseldorf kardiologisch tätigen Forscher in den SFB integriert seien und kritisierten „nachdrücklich […] die mangelnde Kooperation zwischen den einzelnen Gruppen“ und die noch viel zu hierarchische Struktur des SFB. Zugleich hegten sie die Hoffnung, dass sich dies angesichts der sich abzeichnenden Entwicklungstendenz in den nächsten zwei bis drei Jahren bessern könne. 459 Wenn diese Entwicklung nicht einträte, müsse man allerdings die Einstellung der Förde-

456 Vgl. Stackmann/Streiter, 1985, S. 10. 457 Vgl. Finanzierungsantrag des SFB 30 „Kardiologie“ für die Jahre 1971-72-73, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-10858, (Lit.verz., AQ: Finanz.antr. SFB 30). Jedoch muss gesagt werden, dass auf einzelne Kooperationen bezüglich der gemeinsamen Gerätenutzung auch in den frühen Anträgen eingegangen wurde, allerdings weitgehend ohne konzeptionelle Bezüge zwischen den einzelnen Projekten und zum allgemeinen Forschungsprogramm des SFB herzustellen. 458 Gutachtersitzung zum SFB 30 am 08.10.1970, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B22710857, (Lit.verz., AQ: Prot.-Ber.koll./GA-Sitz. SFB 30). 459 Ebd.

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rung für den SFB erwägen; von daher wurde für das Jahr 1973 ein „für das weitere Schicksal des Sonderforschungsbereiches“ alles entscheidendes zweitägiges Berichtskolloquium mit einer entsprechenden Erfolgsanalyse angesetzt. Die zuvor ausgesprochenen Sperrungen beantragter Geräte wurde indes aufgehoben und weitere bereits bewilligte, aber vom SFB noch nicht verausgabte 200.000 DM für die Förderung und Gewinnung von wissenschaftlichem Nachwuchs bereitgestellt. 460 Die auf Grundlage der ersten Finanzierungsanträge und der ersten Protokolle der Gutachtersitzungen des SFB 30 rekonstruierten ersten beiden Förderjahre des SFB 30 machen zweierlei deutlich: Zum einen zeigen sie, aus welcher kontingenten historischen Situation das Förderprogramm entstand; aufgrund der Kurzfristigkeit der zur Verfügung gestellten Mittel wussten weder die DFG und ihre Gutachter noch die antragsstellenden Wissenschaftler am Anfang, wie weitreichend die Förderungen in den Jahren nach 1973 tatsächlich ausfallen würden und inwiefern das Gesamtprogramm ‚Sonderforschungsbereiche‘ als finanziell gesichert angesehen und somit das anfangs noch rudimentäre Forschungsprogramm des SFB 30 umgesetzt werden konnte. Zum anderen zeigt die anfangs noch nicht etablierte Verfahrensstruktur für die Antragsdokumente und deren Begutachtung, welches Maß an Improvisation bei allen Beteiligten – der DFG-Geschäftsstelle in Bonn und der von ihr eingesetzten Gutachter, Vertretern des Wissenschaftsrats, des Bundes und der Länder und nicht zuletzt der Antragssteller – erforderlich war. Denn es war keine im Voraus abgemachte Sache, dass das Verfahren in der Praxis der Selbstverwaltung zwischen DFG und Wissenschaft nach und nach zu einer Disposition der deutschen Forschungsförderungslandschaft werden konnte: „Das Arbeitstempo der ersten Jahre war ungewöhnlich, die Belastung aller Beteiligten sehr hoch, die Improvisation regierte den Augenblick. Dem Gedanken folgte schnell die Tat, im Handeln lag schon der Keim für weitere Ideen. Die Verkehrsform zwischen Wissenschaft und Administration waren ebenso deutlich wie unkompliziert. Die Formlosigkeit geriet zum Stil, der auch die Arbeit des Senatsausschusses prägte. Man sagte, was man dachte, und meinte, was man sagte. Das Risiko mancher Neuerung schien nur erträglich, indem man das Wort ‚Experiment‘ darüber setzte.“461

Dass aus der Kontingenz der geschilderten historischen Anfangssituation des Förderprogramms bzw. dem initialen „Experiment“ ‚Sonderforschungsbereich‘ eine verfahrensordentliche Disposition deutscher Forschungsverbundförderung wurde, ist sowohl neuen von der DFG bereitgestellten Antragsvordrucken als auch der unmittelbaren Begutachtung vor Ort in Form eines zweitägigen Berichtskolloquium

460 Ebd. 461 Stackmann/Streiter, 1985, S. 8-9.

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geschuldet, das bis heute als nahezu „idealer Modus der wissenschaftlichen Beurteilung sehr komplexer Finanzierungsanträge“ gilt.462 2.4.3 Das „alles entscheidende“ Berichtskolloquium von 1973 und die Konsolidierung des SFB 30 Anfang 1972 erfolgte seitens der DFG eine Differenzierung des Förderverfahrens für SFB. In diesem Rahmen wurden die „Leitsätze der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Förderung von Sonderforschungsbereichen“ 463 verabschiedet, in welchen weitgehend alle bis heute gültige Bedingungen und die genaue Form der Verfahrensregeln festgelegt wurden. Die seit 1970 am Hochschulort durchgeführten wissenschaftlichen Bewertungen der Anträge fanden zunächst jährlich in eintägigen, ab 1973 alle drei Jahre in zweitägigen Berichtskolloquien statt. 464 Eine wichtige Voraussetzung für die Bewilligung eines SFB war dabei zum einen die angemessene Ausgewogenheit zwischen der Beantragung von der durch die DFG zu finanzierende Ergänzungsausstattung und von der Hochschule zu stellende Grundausstattung, zum anderen wurde von den SFB-Forschern erwartet, dass sich der Verbund vorab selbst einer kritischen Betrachtung unterzieht und dies sich im Antrag bei der Auswahl der Teilprojekte und der Bemessung der Mittel zur Überzeugung der Gutachter niederschlägt. 465 Neben dem Arbeitsbericht über die abgelaufene und dem Finanzierungsantrag für die anstehende Förderperiode war die Bewertungsgrundlage eines Mehrjahresantrags das zweitägige Berichtskolloquium vor Ort, das sich in fünf Abschnitte gliederte: Berichtskolloquium mit Vorträgen (ab den frühen 1980er Jahren fanden zusätzlich sogenannte ‚Poster-Sessions‘ statt), Gespräche zwischen Teilprojektleitern und Gutachtern am Arbeitsplatz, Gutachtervorbesprechung, Antragsdiskussion mit dem SFB im Ganzen (d.h. auch mit dem in den Teilprojekten eingesetzten wissenschaftlichen Nachwuchs), und Abschlussberatung der Gutachter mit der Erstellung der entsprechenden Entscheidungsvorlage für den DFG-Senatsausschuss.466 Dieses Verfahren stellte ein bis dato sehr ungewohntes Maß an Öffentlichkeit bei der Begutachtung dar, in welcher sich auch Institutsleiter und Klinikdirektoren in Anwe-

462 Ebd., S. 13. 463 „Leitsätze der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Förderung von Sonderforschungsbereichen (Januar 1972)“ (ohne Autor), in: Deutsche Forschungsgemeinschaft (Hg.), 1982, S. 22-26 (Lit.verz., Bücher, Monographien und Aufsätze). 464 Stackmann/Streiter, 1985, S. 13. 465 Ebd. 466 Ebd.

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senheit der Hochschulleitung und ihrer wissenschaftlichen Assistenten kritischen Gutachterfragen stellen mussten. 467 Eine neue Dokumentstruktur für SFB-Finanzierungsanträge Die neue inhaltliche Struktur des dem Berichtskolloquium zugrunde liegenden Finanzierungsantrags für die Jahre 1974-1976 entsprach weitgehend den bis heute verwendeten Antragsvordrucken der DFG für die Einrichtung von Sonderforschungsbereichen.468 Die Struktur gliederte sich in drei Teile: Nach der obligatorischen Erklärung zur Raumsituation des SFB folgten im ersten allgemeinen Teil u.a. Angaben zum allgemeinen Forschungsprogramm und zur Bedeutung des SFB für den jeweiligen Hochschulstandort sowie eine Übersicht der nach Projektbereichen gegliederten Teilprojekte. Im zweiten Teil ging es um die Darstellung der bisherigen und beantragten Förderung für Personalmittel, Sondermittel und Geräte jeweils unterteilt nach Mitteln aus der von der Hochschule bereitgestellten Grund- und von der DFG finanzierten bzw. zu finanzierenden Ergänzungsausstattung. Im dritten umfassendsten Teil des Antrags erfolgte die detaillierte Darstellung des Forschungsprogramms nach Projektbereichen und Teilprojekten. Die Teilprojektgliederung war ebenfalls vorgegeben: Nach der zusammenfassenden Darstellung des Projektbereiches machte jedes Teilprojekt Angaben zu den bisher beantragten Mitteln aus der Ergänzungsausstattung, der Zusammenfassung des Forschungsvorhabens, dem Stand der Forschung, den eigenen Vorarbeiten, den Zielen und Methoden des Arbeitsprogramms mit Zeitplan und der Stellung des Teilprojekts innerhalb des SFB.469

467 Vgl. Streiter, „Der Zauber der Runden“, in: „40 Jahre Sonderforschungsbereiche“, SFBBeiheft der DFG, in: Internetseite der DFG, unter: http://www.dfg.de/foerderung/ programme/koordinierte_programme/sfb/publikationen/index.html, Stand: 04.11.2018. 468 Vgl. Inhaltsverzeichnis des Finanzierungsantrags des SFB 30 für die Jahre 1974-75-76, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-11393, (Lit.verz., AQ: Finanz.antr. SFB 30) und das fortlaufend aktualisierte „Antragsmuster der DFG für die Einrichtung eines Sonderforschungsbereiches [10/16]“, in: Internetseite der DFG, unter: http://www.dfg.de/ foerderung/programme/koordinierte_programme/sfb/formulare_merkblaetter/, Stand: 16.03.2017. 469 Vgl. „Hinweise zur Antragsstellung für Sonderforschungsbereiche“ und den darin enthaltenen „DFG-Vordruck – 4.04 – 1/78 (I)“ aus dem Jahr 1978, in: interne Teamablage „Vordrucke“ der DFG-Geschäftsstelle (Lit.verz., AQ: Dokumente der Deutschen Forschungsgemeinschaft) und die noch leicht andere Teilprojektstruktur, in: Finanzierungsantrag des SFB 30 für die Jahre 1974-75-76 in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-11393, (Lit.verz., AQ: Finanz.antr. SFB 30). Die DFG-Vordrucke zur Antragsstellung für Sonderforschungsbereiche wurden ab dem Jahr 1976 mit einer bis heute üb-

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Die DFG entwickelte früh Dokumente mit „Hinweise[n] zur Antragsstellung für Sonderforschungsbereiche“,470 wo detaillierte Ausfüllhilfen die Antragssteller durch das Verfassen ihrer Anträge führten, was zum einen die Einheitlichkeit und Vergleichbarkeit der SFB-Finanzierungsanträge verbesserte, die Antragssteller aber auch dazu animierte, sich innerhalb des SFB stärker zu vernetzen und neue Kooperationen einzugehen. Dies wurde auch von den Antragsstellern so wahrgenommen. Im Falle des SFB 30 war der im Physiologischen Institut ansässige Schriftführer (in diesem Falle zugleich ein Teilprojektleiter, Gunther Arnold) dafür verantwortlich, die einzelnen Teilprojektbeiträge nach den entsprechenden Fristen einzuholen und für die Finanzierungsanträge und die Arbeitsberichte in ein einheitliches Format zu übertragen. Nicht korrekt ausgefüllte Anträge wurden mit der Bitte um Korrektur zurückgeschickt und erneut eingeholt. Die Zeit vor der Einreichungsfrist eines Finanzierungsantrags war also schon damals sehr arbeitsintensiv und erforderte für eine angemessene Darstellung der Kooperationsstrukturen enge Abstimmungen und Disziplin zwischen den beteiligten Wissenschaftlern und dem zentralen beim SFBSprecher angesiedelten Verwaltungsprojekt. 471 Im Vergleich zu den beiden gefundenen vorherigen Finanzierungsanträgen (64 bzw. 74 Seiten) war der Antrag für die Jahre 1974-1976 aufgrund der Neustrukturierung der Antragsvordrucke mit 350 Seiten sehr umfangreich. Die Gliederung der Projektbereiche des SFB 30 erfolgte weiterhin institutsbezogen (siehe die Teilprojektübersicht in Anhang 2, S. 467 ff.) und nicht wie eigentlich von der DFG angedacht in interdisziplinären Projektbereichen. Ein Projektbereich (Experimentelle Anästhesiologie) trat mit zwei Teilprojekten hinzu, wodurch der SFB im Bereich der Rezeptorforschung verstärkt wurde. Um die Vernetzung und bestehenden Kooperationsformen im Verbund trotz der institutsbezogenen Projektbereiche zu verdeutlichen, fügte die Zusammenfassung des Forschungsprogramms dem Hauptthema des SFB („Dynamik und Durchblutung des Herzens“) fünf fachübergreifende Themen hinzu, die institutsübergreifend bearbeitet wurden: • Kontraktilität des Herzens, • Bestimmung des Herzvolumens,

lichen Kennung versehen: vgl. Finanzierungsantrag für den SFB 30 für die Jahre 197778-79, in: HHU-Archiv, Best. UAD 7-44 Nr. 56(I). 470 Die gefundenen „Hinweise zur Antragsstellung für Sonderforschungsbereiche“ stammen aus dem Jahr 1978. In ihnen befindet sich der „DFG-Vordruck – 4.04 – 1/78 (I)“, ein Muster mit Ausfüllhilfen für SFB-Finanzierungsanträge. In: interne Teamablage „Vordrucke“ der DFG-Geschäftsstelle, (Lit.verz., AQ: Dokumente der Deutschen Forschungsgemeinschaft). 471 Vgl. Interview mit Gunther Arnold vom 09.06.2015.

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• Myokardfunktion, • Störungen der Dynamik bzw. der Funktion des Herzens, • Durchblutung des Herzens.472 Von diesen Begriffen aus spannt der Text ein Netz an inhaltlichen Bezügen zu einer Auswahl einzelner den genannten Themen zugeordneten Teilprojekten, ohne jedoch auf gemeinsame Konzepte, Modelle oder Methoden einzugehen. In der ausführlichen Darstellung der Teilprojekte im dritten Teil des Antrags wurde diese Zuordnung zum Teil wieder aufgegriffen und entsprechende kooperierende Institute oder Abteilungen genannt, wobei insbesondere das Institut für Pathologie – wohl aufgrund seiner intensiven Verwendung sowohl klinischer als auch grundlagenwissenschaftlicher Methoden – mit besonders vielen Überschneidungen sowohl mit experimentell als auch mit klinisch forschenden Arbeitsgruppen aufweist. 473 Die Kritik der Gutachter im Berichtskolloquium von 1973 Im Ergebnis der im Rahmen des Berichtskolloquiums abgehaltenen Gutachtersitzung wurde eine Förderung des SFB 30 für weitere drei Jahre empfohlen und die zum Teil hervorragende Leistung einiger Teilprojekte gewürdigt. Hinsichtlich der Kooperation innerhalb des Verbundes vermerkten die Gutachter jedoch kritisch, dass die wissenschaftliche Zusammenarbeit sehr unterschiedlich ausgeprägt sei, wobei die Pathologie „in erfreulicher Weise für jede sich bietende Zusammenarbeit offen sei, zum Nutzen anderer ebenso wie ihrer selbst […].“474 Insgesamt sei die Kooperation im SFB 30 „eher ein Netz bilateraler Einzelbeziehungen als ein bewusstes Zusammenwirken in einem gemeinsamen Programm“, obwohl die „thematische Homogenität“ des SFB sehr groß sei. 475 Den Grund dafür sahen die Gutachter in der Konstruktion des SFB, „die sich als Addition der nun einmal gegebenen Institute und Kliniken mit ihrer jeweiligen hierarchischen und organisatorischen Struktur darstelle; der Ton im Sonderforschungsbereich werde vorwiegend von Personen angegeben, die Forschung vorwiegend kraft Amtes aus einer gewissen Distanz dirigieren.“ 476 Diese zunächst harsch erscheinende Kritik wurde aber relativiert, und angemerkt, dass Auflagen zur Änderung dieser Struktur nichts ändern würden: „Jeder

472 Finanzierungsantrag des SFB 30 für die Jahre 1974-75-76, S. 11-14, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-11393, (Lit.verz., AQ: Finanz.antr. SFB 30). 473 Ebd., S. 167. 474 Protokoll der Gutachterklausur vom 24.10.1973 in Düsseldorf, S. 10, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-11393, (Lit.verz., AQ: Prot.-Ber.koll./GA-Sitz. SFB 30). 475 Ebd. 476 Ebd.

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Sonderforschungsbereich habe seinen eigenen Stil und seine Atmosphäre und diese Eigenarten seien zu respektieren, solange der Sonderforschungsbereich den Leitsätzen genüge. Dies sei im Ganzen ohne Zweifel der Fall.“ 477 Die Selbstkontrolle und die Beantragungspolitik des SFB 30 erschienen den Gutachtern angemessen, jedoch bemängelten sie, dass das „Augenmaß, mit dem die Einzelanträge finanziell dimensioniert worden seien, von sehr unterschiedlicher Qualität sei und es für Gutachter kein erfreuliches Geschäft sei, hypertrophe Anträge auf ein vernünftiges Maß zu reduzieren […].“478 Bei solchen Diskussionen kam immer wieder das angemessene Verhältnis von Grund- und Ergänzungsausstattung zur Sprache, denn die DFG achtete darauf, dass SFB am Standort für den Verbund förderliche Struktureffekte erzielten. Die neue, 1973 implementierte Dokument- und Verfahrensstruktur der DFG ‚zwang‘ die Forscher nicht nur zur strengeren internen Selbstkontrolle und der möglicherweise damit verbundenen internen Ablehnung von Teilprojekten, sondern verlang von ihnen u.a. auch, dass sie sich bezüglich des Forschungsprogramms, der beantragten Personalmittel und gemeinsam genutzter bzw. beantragter Geräte im Vorfeld eng abstimmten und den Finanzierungsantrag entsprechend anglichen. Die Arbeitsberichte und Finanzierungsanträge dienten somit nicht nur der Vorbereitung und Information der DFG-Gutachter für die Berichtskolloquien, sondern auch der Planung und Durchführung der in den beantragten Teilprojekten dargelegten Arbeitsprogramme und deren Bezug zum Forschungsprogramm des ganzen SFB.479 Da sich neben dem steigenden Finanzvolumen des SFB-Programms allgemein und einer Verschlechterung der allgemeinen Wirtschaftslage in Deutschland noch der Faktor hinzukam, dass sich Bund und Länder über einen neu festzulegenden Schlüssel zur Finanzierung der SFB nicht einigen konnten, kam es 1975 nur zu einer Mittelzuweisung, die dem Status quo entsprach. 480 Für den SFB 30 bedeutete dies, dass zunächst 30 % der Mittel für Personal- und Sachkosten gekürzt wurden, was zwar das Forschungstempo verlangsamte, die Forschungsziele insgesamt aber nicht gefährdet hat. 481 Hinzu kam jedoch die angespannte Finanzlage am Hochschulstandort, die auch nach der Übernahme der Düsseldorfer Krankenastalten

477 Ebd. 478 Ebd., S. 11. 479 Vgl. Arbeitsbericht des SFB 30 für die Jahre 1973-1975, S. 6, in: HHU-Archiv, Best. UAD 7-44 Nr. 55, (Lit.verz., AQ: Arb./Abschl.ber. SFB 30). 480 Stackmann/Streiter, 1985, S. 14. 481 Schreiben des Sprechers des SFB 30 an den Präsidenten der DFG vom 26.06.1976, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-11836, (Lit.verz., AQ: Korr. SFB 30).

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durch das Land NRW 1973 „keine Verbesserung der für die kardiologische Forschung zur Verfügung gestellten Grundausstattung“ zuließ. 482 Konsolidierung der DFG-Verfahrensordnung und der Kooperationsstrukturen des SFB 30 Mit dem bewilligten Finanzierungsantrag für die Jahre 1977-1979 hatten sich sowohl das Verfahrensmuster der DFG483 als auch die Kooperationsstrukturen innerhalb des SFB 30 weitgehend konsolidiert. Dies zeigt sich zum einen durch eine immer verfeinerte Struktur der DFG-Antragsvordrucke zum anderen durch die diesmal ausführlichen Erläuterungen der Kooperationen innerhalb des Verbundes im allgemeinen Teil des nun über 500 Seiten langen Antrags. 484 Die weiterhin nach Instituten gegliederten elf Projektbereiche (siehe Übersicht der Teilprojekte im Anhang 3, S. 472 ff.) wurden mit ihren insgesamt 31 Teilprojekten diesmal nur zwei für den SFB zentralen Forschungsthemen zugeordnet: „Funktionsanalyse des normalen und geschädigten Herzens“ und „Therapie von Versagenszuständen“.485 Von diesen beiden Begriffen wurde ähnlich dem Vorgängerantrag ein Netz von Bezügen zu Teilprojekten gespannt, wobei diesmal stärker auf die Kooperation zwischen klinischen und experimentellen Forschungsvorhaben eingegangen wurde.486 Im dritten inhaltlichen Teil des Antrags wurden erstmals den Beschreibungen der Teilprojekte zusammenfassende Darstellungen des Projektbereiches vorangestellt, was die Einbettung und Aufgaben der einzelnen Teilprojekte für das Gesamtprogramm des SFB besser kontextualisierte. Inhaltliche und methodische Verbindungen zu kooperierenden Gruppen wurden entweder direkt im Arbeitsprogramm oder unter dem Punkt „Stellung innerhalb des Programms des Sonderforschungsbereiches“ aufgeführt.487 Die im Antrag 1977-1979 ausgefeiltere Kooperationsstruktur des SFB 30 scheint auf dem Berichtskolloquium vom 25.05.1976 überzeugt zu haben. Die Gutachter berichten von einer im letzten Bewilligungszeitraum (1974-1976) umgesetzten „deutlich verbesserten Kooperation und Koordination im Sonderforschungsbereich“, bemängelten aber gleichzeitig, dass „bei einer Reihe von Teilprojekten“ der

482 Arbeitsbericht des SFB 30 für die Jahre 1976-1978, S. 9, in: HHU-Archiv, Best. UAD 7-36 156, (Lit.verz., AQ: Arb./Abschl.ber. SFB 30). 483 Vgl. Stackmann/Streiter, 1985, S. 18, die die verfahrenstechnische und finanzielle Konsolidierung des SFB-Programms für das Jahr 1977 feststellen. 484 Vgl. Finanzierungsantrag für den SFB 30 für die Jahre 1977-78-79, in: HHU-Archiv, Best. UAD 7-44 Nr. 56(I), (Lit.verz., AQ: Finanz.antr. SFB 30). 485 Ebd., S. 16. 486 Ebd., S. 12-16. 487 Siehe etwa für das Teilprojekt B2, in: ebd., S. 108.

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Eindruck herrsche, „dass eine intensive, vor allem methodische Abstimmung untereinander nicht erfolgt sei.“ Zudem wurde kritisiert, dass bei einigen Teilprojekten leitende Wissenschaftler über die Ergänzungsausstattung finanziert wurden, was erneut das bis heute für SFB überlebenswichtige Thema der Ausgewogenheit zwischen Grund- und Ergänzungsausstattung unterstreicht. 488 Im Berichtszeitraum 1977-1979 veränderten sich die institutionellen Dispositionen am Standort zugunsten der kardiovaskulären Forschung. Zum einen wurde das Institut für Experimentelle Chirurgie gegründet (1977), der Lehrstuhl für Pathologie durch Waldemar Hort neu besetzt (1977) und die für die tierexperimentellen Vorhaben des Verbundes äußerst wichtige zentrale Tierversuchsanlage auf dem Campus der HHU in Betrieb genommen. Dadurch verbesserte sich „das Forschungspotenzial nicht nur quantitativ, sondern durch das zu erwartende bessere Tiermaterial und die bessere Haltung der Versuchstiere auch qualitativ.“489 Zum anderen wurde im klinischen Bereich mit der Kinderkardiologie ein neuer Projektbereich (N) geschaffen, in dessen Rahmen die Grundausstattung des Verbundes durch ein neu eingerichtetes Herzkatheterlabor verstärkt worden ist.490 Mit dieser Verbesserung der institutionellen Dispositionen lagen wichtige Argumente für eine Weiterförderung des SFB 30 auf der Hand. Dem entgegen sprach allerdings der Umstand, dass die DFG ab 1978 im Rahmen der Diskussion über die letztendlich auf maximal 15 Jahre festgesetzte Laufzeit für SFB mit sogenannten Langfristigkeitsprüfungen von SFB begann, bei der es ausschließlich um die wissenschaftliche Entwicklung der geförderten Vorhaben ging. 491 Im Rahmen dieser Langfristigkeitsprüfung durch die DFG und in Vorbereitung auf die Begutachtung im Jahre 1981 erstellte der SFB zusätzlich zu den Finanzierungsanträgen und Abschlussberichten eine „Selbstdarstellung“, welche die weiterhin fruchtbare wissenschaftliche Entwicklungsfähigkeit und damit die Weiterförderung des Verbundes rechtfertigen sollte. Von dieser Selbstdarstellung und der damit verbundenen Reform der Teilprojektstruktur und der dadurch angedachten Veränderungen der Kooperationsstrukturen im Forschungsprogramm wird im ersten Teil des nächsten Abschnitts (Kap. 2.4.4) berichtet. Abschließend soll die Projektdurchführung des SFB 30 mit Heideggers Begriff des wissenschaftlichen Betriebs kommentiert werden.

488 Entscheidungsvorschlag der DFG-Geschäftsstelle vom 09.11.1976, S. 11, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-12019, (Lit.verz., AQ: Prot.-Ber.koll./GA-Sitz. SFB 30). 489 Finanzierungsantrag des SFB 30 für die Jahre 1980-81-82, S. 27, in: HHU-Archiv, Best. UAD 7-36 157, (Lit.verz., AQ: Finanz.antr. SFB 30). 490 Ebd. 491 Stackmann/Streiter, 1985, S. 26.

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2.4.4 Das Forschungsprogramm des SFB 30 und das Potenzial seines „wissenschaftlichen Betriebs“ Nachdem die DFG-Gutachter im Berichtskolloquium im Juni 1979 aufgrund seiner Stärke in der klinisch empirischen Forschung empfahlen, den SFB 30 für weitere drei Jahre zu fördern, setze die DFG im Rahmen ihrer Langfristigkeitsprüfung eine Zwischenbegutachtung für Juli 1981 an. Die dieser Begutachtung zugrunde gelegte „Selbstdarstellung des Sonderforschungsbereiches 30“492 beinhaltete eine weitreichende Reform der Projektbereich- und Teilprojektstrukturen sowie des Forschungsprogramms. Waren die Projektbereiche bisher identisch mit den jeweils beteiligten Instituten und Kliniken, so wurden sie nun thematisch zusammengefasst. Der SFB versprach sich hiervon eine seit 1973 immer wieder von den Gutachtern geforderte intensivere Zusammenarbeit unter den beteiligten Teilprojekten. 493 Für die Neustrukturierung in interdisziplinäre Projektbereiche waren aus Sicht des SFB zwei Aspekte maßgelblich: zum einen methodische Gemeinsamkeiten mit dem Fokus einer „stärkeren Betonung des Methodischen oder der Grundlagenforschung, aber auch umgekehrt der diagnostischen oder therapeutischen Anwendbarkeit“ und zum anderen „institutionelle, räumliche apparative und personelle Gemeinsamkeiten, die eine bessere Koordinierung und eine bessere Effizienz bei der Ausgabe der Forschungsmittel gewährleisten“ sollten. 494 Auf Grundlage der Selbstdarstellung stellten die Gutachter fest, dass der SFB 30 im Laufe seines zu dieser Zeit 13-jährigen Bestehens „an Gewicht und Dynamik gewonnen“ und sich immer wieder an „moderne Entwicklungen angepasst“ hätte. 495 Allerdings schien der gesteckte Rahmen – wohl auch aufgrund des 1968 festgelegten, sehr allgemeinen SFB-Titels „Kardiologie“ – „als zu weit gezogen, so dass [sic] eine Schwerpunktsetzung und Konzentration zumindest in Teilbereichen erforderlich“ erschien. 496 Dies wurde in den Augen der Gutachter durch die nun vollzogene Umstrukturierung des SFB in interdisziplinäre Projektbereiche erreicht, wobei eine „Verbesserung der Kooperation auch im [Berichts-]Kolloquium deutlich

492 Selbstdarstellung des SFB 30 anlässlich der Begutachtung in der vierten Förderperiode am 16.-17.07.1981 in Düsseldorf, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-84027, (Lit.verz., AQ: Finanz.antr. SFB 30). 493 Ebd., S. 6. 494 Finanzierungsantrag des SFB 30 für die Jahre 1983-84-85, S. 11, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-114788, (Lit.verz., AQ: Finanz.antr. SFB 30). 495 Vorschlag der DFG-Geschäftsstelle vom 06.10.1981 zur Langfristigkeitsprüfung des SFB 30 am 15.-16.07.1981, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-84027, (Lit.verz., AQ: Prot.-Ber.koll./GA-Sitz. SFB 30). 496 Ebd.

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geworden, aber anderseits eine weitere Intensivierung der Kooperation und weitere Konzentration der Arbeiten erforderlich [erschien].“497 Zudem wurde die Unterstützung seitens der Hochschule bezüglich der Grundausstattung und die auf kardiovaskuläre Forschung fokussierte Berufungspolitik als „vorbildlich“ attestiert. 498 Die neue Projektbereich- und Teilprojektstruktur (siehe die Übersicht in Anhang 4, S. 478 ff.) wurde in den letzten Finanzierungsantrag des SFB 30 für die Jahre 1983-1985 aufgenommen und das Arbeitsprogramm entsprechend angepasst. Die bereits im Antrag 1977-1979 formulierten Forschungsschwerpunkte waren weiterhin die „Funktionsanalyse des normalen und geschädigten Herzens“ und die „Therapie von Versagenszuständen“. 499 Beachtlich bei der Neustrukturierung war, dass sich komplett neue Projektbereiche mit neuen Kennziffern500 etablierten, die sowohl bisher bestehende als auch neue Teilprojekte integrierten. Dabei waren von den 34 beantragten Teilprojekten 20 Fortsetzungsanträge und 14 Neuanträge, wobei 20 Teilprojekte überwiegend tierexperimentell und 14 rein klinisch bzw. mit kombinierten Fragestellungen befasst waren.501 Das Forschungsprogramm erläutert weiter, dass sich die Schwerpunkte des SFB 30 im Laufe der Jahre immer wieder – nicht zuletzt in Abhängigkeit von den beteiligten Personen, aber auch durch die neu entwickelten Methoden – etwas verschoben haben, sodass man beim Prozess der Etablierung und Entwicklung des SFB von Supplementierungen (vgl. Kap. 1.4.2) auf verschiedenen Ebenen sprechen kann: auf personeller und institutioneller Ebene durch Berufungen und Neueinrichtungen von Instituten, Lehrstühlen und Forschungsanstalten wie die neue Tierversuchsanlage. Auf materiell-experimenteller Ebene supplementieren sich SFB durch die Verwendung verschiedener Tiermodelle und Forschungsapparaten und schließlich auf verfahrenstechnischer Ebene durch

497 Ebd. 498 Ebd. 499 Finanzierungsantrag des SFB 30 für die Jahre 1983-84-85, S. 12, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-114788, (Lit.verz., AQ: Finanz.antr. SFB 30). 500 Bereits 1978 machen die „Hinweise zur Antragsstellung für Sonderforschungsbereiche“ darauf aufmerksam, dass die Kennzeichnung der Projektbereiche mit Großbuchstaben und der Teilprojekte mit Großbuchstaben und laufender Nummer aufgrund der Überführung der Antragsdaten in die Datenverarbeitung verbindlich war und dass davon abweichende frühere Kennzeichnungen aufgegeben werden mussten. Um die Vergleichbarkeit zu früheren Teilprojektbezeichnungen herzustellen, bat man die Antragssteller bei der Aufzählung der Teilprojekte eine „Übersetzungsliste“ beizufügen, um die frühere Kennzeichnung noch einmal nachrichtlich aufzuführen (Lit.verz., AQ: Dokumente der Deutschen Forschungsgemeinschaft). 501 Finanzierungsantrag des SFB 30 für die Jahre 1983-84-85, S. 12, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-114788, (Lit.verz., AQ: Finanz.antr. SFB 30).

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das mittels der Selbstkontrolle des SFB oder durch die Gutachterkommentare bewirkte Hinzutreten bzw. Abtreten von Teilprojekten, welche die Gestalt des Verbundes über die Jahre veränderte. Den Aspekt der Supplementierung von Verbundstrukturen greift auch der Abschlussbericht des SFB 30 aus dem Jahre 1985 in ähnlicher Weise wieder auf: „Im Laufe der Jahre haben sich die Schwerpunkte der wissenschaftlichen Arbeiten innerhalb des SFB verschoben, da sich der Sonderforschungsbereich bemüht hat, seine Forschungsprogramme ständig den neusten Entwicklungen anzupassen, bestimmte Vorhaben zum Abschluss zu bringen sowie neue Fragestellungen aufzugreifen.“502

Dabei wurde von der DFG großen Wert darauf gelegt, dass länger geförderte Teilprojekte in die Grundausstattung der Hochschule überführt wurden, was zugleich verdeutlicht, dass bestimmte am Anfang noch wenig etablierte Techniken im Laufe der Jahre zur klinischen Routine wurden, wie z.B. das im Projektbereich H beheimatete Teilprojekt H2 „Quantitative Röntgenologie des Herzen“. Innerhalb dieses umfangreichen Teilprojekts entwickelte sich die selektive Angiokardiographie (vgl. Kap. 2.3.2.4) im Laufe der 1970er Jahre zu einer klinisch-diagnostischen Disposition der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, sodass das reduzierte Arbeitsprogramm des Teilprojekts ab 1980 schrittweise in die Grundausstattung überführt werden konnte.503 Der wissenschaftliche Betrieb des SFB 30 Das sich von Förderperiode zu Förderperiode fortwährend verändernde Forschungsprogramm des SFB 30 kann als Ergebnis einer ständigen Korrekturarbeit an den eigenen klinischen und experimentellen Entwürfen der SFB-Forscher verstanden werden (im Sinne Bachelards in Kap. 1.3 der vorliegenden Arbeit). Die Korrekturarbeit kam durch das unvorhersehbare Sich-Einrichten-Müssen auf die eigenen Ergebnisse (im Sinne Heideggers in Kap. 1.3 der vorliegenden Arbeit) in den jeweiligen Teilprojekten und durch die in den Vor-Ort-Berichtskolloquien des SFB 30 auf diese Ergebnisse eingehenden Gutachter-Kommentare zustande. Demnach sind die Finanzierungsanträge nicht als festgeschriebene Forschungspläne, sondern als Entwürfe zu verstehen, deren Programm in der Regel nicht eins-zu-eins in die Praxis umgesetzt werden, sei es aufgrund von überraschenden Ergebnissen

502 Abschlussbericht des SFB 30 für die Jahre 1982-1985, S. 1, in: Dt. Zentralbibliothek für Medizin, Köln, (Lit.verz., AQ: Arb./Abschl.ber. SFB 30). 503 Vgl. die Ausführungen zu Teilprojekt H2, Entscheidungsvorschlag der DFG-Geschäftsstelle vom 12.11.1979, S. 8, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-77026, (Lit.verz., AQ: Prot.-Ber.koll./GA-Sitz. SFB 30).

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im Experiment und/oder aufgrund dispositioneller Supplementierungen in Form von Einrichtungen neuer Institute, der personellen Veränderungen oder sonstiger Strukturveränderungen am Hochschulort. Die DFG war sich durchaus bewusst, dass besonders die Unvorhersehbarkeit von Grundlagenforschung nur schwer in Projektstrukturen mit klaren wissenschaftlichen Definitionen für Antragszwecke und mit Limitierungen der Dauer und Finanzierung zu integrieren ist. Aus diesem Blickwinkel haben die Antragswerke „etwas Künstliches“. Gleichzeitig war aber auch jedem der Beteiligten klar, dass man im Verkehr zwischen Förderern und Geförderten nicht auf diese Verfahrensstrukturen verzichten konnte.504 Denn erst der Betrieb des SFB-Programms eröffnete die Möglichkeit, sich in der konkreten Kooperationsform (zwischen Internisten, Chirurgen, Anästhesisten, Strahlenmedizinern, Pathologen, Pharmakologen und Physiologen) in diesem finanziellen (Fördersumme 1969-1985 ca. 28. Mio. DM) und materiellen Umfang (Grund- und Ergänzungsausstattung) aufzustellen und den „Gegenstandsbezirk“ ‚Kardiologie‘ in dieser individuellen Form des SFB 30 zu „allererst ins Seiende einzubauen“: „Im Betrieb wird der Entwurf des Gegenstandsbezirks allererst in das Seiende eingebaut. Alle Einrichtungen, die einen planbaren Zusammenschluss der Verfahrensweisen erleichtern, die wechselseitige Überprüfung und Mitteilung der Ergebnisse fördern und den Austausch der Arbeitskräfte regeln, sind als Maßnahmen keineswegs nur die äußere Folge davon, dass die Forschungsarbeit sich ausdehnt und verzweigt.“505

Bei dieser spezialisierten Vernetzung koordiniert der wissenschaftliche Betrieb „die größtmögliche freie, aber geregelte Beweglichkeit der Umschaltung und Einschaltung der Forschungen in die jeweils leitenden Aufgaben.“506 Anhand des Heidegger’schen Zitats wird im Folgenden der Betriebscharakter der Forschung im SFB 30 Punkt für Punkt dargestellt. Der „Austausch der Arbeitskräfte“: Kooperationsstrukturen im SFB 30 Für den „Austausch der Arbeitskräfte“ innerhalb des SFB 30 war die – bereits vor der Einrichtung des SFB 30 – enge Verbindung zwischen dem Physiologischen Institut und der Chirurgischen Klinik maßgeblich. Das anfangs in der Chirurgischen Klinik untergebrachte Institut war bereits seit Mitte der 1960er Jahre am durch die Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsforschung finanzierte und durch die DFG

504 Stackmann/Streiter, 1985, S. 24-25. 505 Heidegger, 1963 [1938], S. 77-78, Hervorh. TK. 506 Ebd., S. 79, Hervorh. TK.

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koordinierte Schwerpunktprogramm507 „Kardiovaskuläres System“ beteiligt, aus welchem die Kooperation mit den Ingenieuren des SFB 109 „Künstliche Organe“ (Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, RWTH) erwachsen ist, die letztendlich zur Einrichtung des SFB-30-Projektbereiches C „Entwicklung und Erprobung einer pulsatilen Blutpumpe zur kurzfristigen Herz- und Kreislaufunterstützung“ führte. Die Einrichtung des Lehrstuhls für Experimentelle Chirurgie (1977, besetzt mit Gunther Arnold) und vor allem das Interesse der physiologischen Arbeitsgruppen an klinischen Fragestellung galt zu seiner Zeit in Deutschland als „Rarität“ und betonte die Mittlerfunktion der Physiologen zwischen den Bereichen Labor und Klinik im Rahmen des SFB 30.508 Der „Austausch der Arbeitskräfte“ zwischen Labor und Klinik vollzog sich dabei allerdings nicht in erster Linie durch einfache Arbeitsteilung, sondern im Rahmen von komplexen kooperativen Entwurfsgeschehen, in welchen weniger gemeinsame Paradigmen (verstanden als theoretische Grundannahmen) als vielmehr aus gemeinsamen Fragestellungen heraus entwickelte und angewandte Methoden und kooperativ genutzte Geräte zählten.

507 Die DFG-Schwerpunktprogramme (SPP) wurden 1953 mit dem Ziel eingerichtet, Impulse zur Weiterentwicklung der Wissenschaft durch die koordinierte, ortsverteilte Förderung wichtiger neuer Themen zu geben (Internetseite der DFG: „Kompaktdarstellung Schwerpunktprogramme – Initiativen zur Einrichtung“, unter: http://www.dfg.de/ foerderung/programme/koordinierte_programme/schwerpunktprogramme/index.html, Stand: 02.05.2017). Die Vielfalt der Organe und Funktionen des Herz-Kreislaufsystems bedingte die Zusammenfassung einer größeren Zahl von Forschungsgebieten im SPP „Kardiovaskuläres System“ (DFG-Bericht über die Schwerpunktprogramme im Jahresbericht für 1963 der Fritz-Thyssen-Stiftung, [ohne Autor], S. 85). Die DFG verstand solche Anstrengungen zur Koordination der Forschung auch als Integrationsmaßnahme, die auf die zunehmende Spezialisierung der biomedizinischen Fächer antworten sollte und durch gegenseitigen Informationsaustausch über methodische und thematische Kooperation zu einer „echte[n] Verbundforschung“ zu gelangen. Diese den späteren Sonderforschungsbereichen der DFG nicht unähnlichen Prinzipien sollten die Effektivität der Forschung und den Transfer von grundlagenwissenschaftlichen Erkenntnissen in die angewandte Forschung fördern (Fischer, F.W. für die DFG, DFG-Bericht zum SPP „Kardiovaskuläres System“ im Jahresbericht für 1967 der Fritz-Thyssen-Stiftung, S. 58), (Litz.verz., Dokumente der Deutschen Forschungsgemeinschaft). 508 Vgl. die Stellungnahme der DFG vom 29.01.1975 zur Besetzung des Lehrstuhls für Experimentelle Chirurgie, S. 2, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-11615, (Lit.verz., AQ: Korr. SFB 30).

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Bereits 1970 erhielt der SFB 30 Mittel zur Gewinnung und Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses,509 wodurch neben angemessenen Neuanwerbungen es ermöglicht werden sollte, in der Klinik eingebundene Ärzte für die Forschung freizustellen.510 Die zum Teil aus der internationalen community berufenen Gastwissenschaftler und die insgesamt im Rahmen des SFB 30 abgeschlossenen 45 Habilitationen und 230 Promotionen511 hatten – auch wenn dies von außen nicht immer sichtbar war – in erheblichen Umfang Teil an der Arbeit in den jeweiligen Teilprojekten. Damit bot der SFB 30 nicht nur die „materiellen Bedingungen“, sondern auch das „geistige Klima“, in dem sich das „Zusammenspiel älterer, erfahrener Forscher mit jüngeren noch ungebahnt denkenden Wissenschaftlern“ entwickeln konnte: „Selber forschen und forschen lassen“; „kein Gegensatz“, sondern Teil eines Entwurfsgeschehens, das dem „Nachwuchs Gelegenheit [gab], eigene Ideen in Forschungsprojekte umzusetzen, diese zu verwirklichen und ihre Ergebnisse im eigenen Namen zu publizieren.“512 Die „wechselseitige Mitteilung und Überprüfung der Ergebnisse“: kommunikative Dispositive im SFB 30 Die „wechselseitige Mitteilung und Überprüfung der Ergebnisse“ wurde natürlich auch über die insgesamt 1.523 im SFB 30 produzierten Publikationen vollzogen, stand im Betrieb des allgemeinen SFB-Programms der DFG aber in erster Linie im Spannungsfeld zwischen Gutachterkommentaren, Finanzierungsanträgen und den Performances der Begutachteten auf den Berichtskolloquien. Die SFBBegutachtungsstruktur erzeugte dabei – wenn auch auf einer anderen Ebene – ähnlich wie Experimentalsysteme (vgl. Kap. 1.4.2) ständig neu zu bewertende Differenzen: Die wissenschaftliche Differenz zwischen beantragtem Teilprojekt und Ergebnis des Arbeitsberichts wurde für die Gutachter (als Experten für das jeweilige

509 Bewilligungsbescheid der DFG vom 20.12.1972, S. 5, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-11186. 510 Die DFG hat indes das Ausbildungsrotationsprogramm für forschende Kliniker (heute sogenannte „clinician scientists“) im Rahmen von SFB mit den sogenannten „GerokStellen“ institutionalisiert. Die Gerok-Stellen werden durch das Sprecherinstitut beantragt und laufen über das zentrale Verwaltungsprojekt von SFB (vgl. „Modulmerkblatt Rotationsstelle“ [01/13], in: Formulare und Merkblätter für Sonderforschungsbereiche auf der Internetseite der DFG, unter: http://www.dfg.de/foerderung/programme/ koordinierte_programme/sfb/formulare_merkblaetter/, Stand: 31.03.2017. 511 Abschlussbericht des SFB 30 für die Jahre 1982-1985, S. 3, in: Dt. Zentralbibliothek für Medizin, Köln, (Lit.verz., AQ: Arb./Abschl.ber. SFB 30). 512 Stackmann/Streiter, 1985, S. 21, die hier allgemeinen Bezug auf SFB, nicht aber auf den SFB 30 nehmen.

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Feld) zur Bewertungsgrundlage für eine Weiterfinanzierung oder Beendigung der Förderung und beeinflusste damit nicht nur die veränderliche supplementäre Teilprojektstruktur des SFB 30, sondern auch die Entwicklung der bearbeiteten Themen und verwendeten Methoden im Rahmen seines Forschungsprogramms. Gleichzeitig stellte die Verfahrensordnung der DFG die kommunikativen Dispositive bereit, die den Verbund dazu bewegten, sich durch die interne Selbstkontrolle bei der Auswahl der Teilprojekte zu disziplinieren. Hierzu dienten sowohl die Vorstandsitzungen als auch die Mitgliederversammlungen des Verbundes. Das Protokoll des Berichtskolloquiums 1976 gibt über die wissenschaftliche Kommunikation des SFB 30 konkreten Aufschluss: „[Der für die Begutachtung des SFB 30 hauptamtliche DFG-Mitarbeiter] fragt, in welcher Weise sich die wissenschaftliche Kommunikation innerhalb des SFB vollziehe. [Der Sprecher des SFB 30] erläutert dies am Beispiel der Erstellung des vorliegenden Antrags. Zunächst habe in drei Mitgliedsversammlungen jede Arbeitsgruppe über ihre in der letzten Zeit gewonnen Befunde berichtet. Dann habe jede Gruppe ihren Antrag formuliert und dem Vorstand vorgelegt. Anschließend seien alle Anträge von der Mitgliederversammlung behandelt worden. Hierbei sei zwar kein Teilprojekt gestrichen worden, aber es habe erhebliche Änderungen und Einschränkungen gegeben; einzelne Teilprojekte seien zusammengelegt worden. Erst dann sei der Antrag in seiner Endfassung formuliert worden.“513

Im Rahmen der Selbstkontrolle ging die interne Konkurrenz, überhaupt als Teilprojekt in den SFB aufgenommen zu werden, dem bei der Bewilligung von SFB zwischen den Hochschulen herrschenden Konkurrenzdruck voraus. Dies macht die „wechselseitige Mitteilung und Überprüfung der Ergebnisse“ (Heidegger) während der SFB-Mitgliederversammlungen zu einem wichtigen Bestandteil des gesamten kardiologischen Entwurfsgeschehens im Rahmen des SFB 30: „Als Instrument [der Kooperation, TK] wirken die ständige Diskussion und Abstimmung der Forschungsvorhaben, die laufend erfolgen. Institutionell ist die Mitgliederversammlung das zuständige Organ. Die Abstimmung vollzieht sich aber auch täglich von Labor zu Labor. […] Der Kontakt findet täglich statt, die Summe wird dann in der Mitgliederversammlung gezogen. Hieraus ergeben sich wieder Projektionen in die Zukunft. Dann folgt wieder der tägliche Kontakt. Die Mitgliederversammlung ist also das Organ, das immer Abschnitte manifestiert

513 Protokoll des Berichtskolloquiums des SFB 30 am 25.05.1976 in Düsseldorf, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-12020, (Lit.verz., AQ: Prot.-Ber.koll./GA-Sitz. SFB 30).

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und plant. Aber sie würde alleine nicht genügen, um die Zusammenarbeit durchzuführen. Das Gespräch von Labor zu Labor sowie andere wissenschaftliche Kolloquien gehören dazu.“ 514

Der Mehrwert dieser nicht nur für den SFB 30 charakteristischen Kommunikationsstrategie bestand darin, dass durch die Anbindung der Teilprojekte an ein gemeinsames Programm ein nützliches internes regulatives und kommunikatives Dispositiv geschaffen wurde, das die jeweiligen Arbeitsgebiete in einen gemeinsamen Problemhorizont stellte. Ein am ebenfalls kardiologisch ausgerichteten SFB 90 („Kardiovaskuläres System“, Heidelberg, s.u.) beteiligter Forscher formuliert dies wie folgt: „Durch die gemeinsamen Kolloquien, die Zwischenberichte, die Begutachtungen und die ständige Diskussion über das Gesamtthema wurde – teils bewusst, teils unbewusst – ein Einfluss auf die Fragestellungen ausgeübt; die Fragestellungen haben sich etwas geändert, sie wurden perspektivischer, auf einen größeren Zusammenhang hin ausgerichtet und konnten damit sicherlich fruchtbar sein. Das Programm bestimmte die Frage und wertete zugleich die Antwort auf.“515

Der „Zusammenschluss der Verfahrensweisen“: das Forschungsprogramm des SFB 30 Wie bereits festgestellt gilt diese Dynamik – aufgrund der vielfältigen institutionellen und methodischen Supplementierungen – auch für das Forschungsprogramm des SFB 30, das sich als „Zusammenschluss der Verfahrensweisen“ im Sinne Heideggers verstehen lässt. Zwar wurde das Hauptthema „Dynamik und Durchblutung des Herzens“ über den gesamten Förderzeitraum beibehalten, veränderte sich von den inhaltlichen Bezügen und eingesetzten Methoden im Laufe der Jahre aber erheblich. Der Abschlussbericht des SFB 30 gibt einen zusammenfassenden Überblick der Entwicklung der Unterthemen (im Folgenden in Anführungszeichen) und zum Teil der eingesetzten Methoden in den einzelnen Projektbereichen über den gesamten Förderzeitraum 1968-1985 (siehe Übersicht der Projektbereiche im Anhang 5, S. 484 f.). Die „Kontraktilität des Herzens“ wurde zunächst klinisch im Rahmen der Angiokardiographie (Projektbereich H) und experimentell zuerst am Klein- und Großtiermodell hämodynamisch (Projektbereich B, vgl. Kap. 2.5.2.1) untersucht.

514 Lochner, Uni-Zeitung der HHU 02/1972, S. 4. Hierzu zählten auch die vom SFB 30 seit 1973 alle zwei Jahre organisierten Kardiologischen Kolloquien mit der Partneruniversität Nantes, die sich weit bis in die Förderperiode (1985-1997) des anschließenden kardiovaskulären SFB 242 gezogen haben. 515 Seller, in: Stackmann/Streiter, 1985, S. 210.

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Das methodische Supplement zu diesen Forschungen waren die zellulären und molekularen Untersuchungen an isolierten Myokardpräparaten und die Etablierung einer umfangreichen für den gesamten SFB zugänglichen Plattform zur Zucht von Herzmuskelzellen (Projektbereich D).516 Auch bei der „Bestimmung des Herzvolumens“ mittels Angiokardiographie und der ultraschallbasierten Echokardiographie war der Projektbereich H beteiligt und trug letztlich zur Bearbeitung des Unterthemas der „Diagnostik von Störungen der Dynamik bzw. der Funktion des Herzens“ bei. Dass das venös-kapazitative System bei dieser Funktionsanalyse nicht etwa nur ein passives Blutreservoir darstellt, sondern aktiv an der Regulation des Gesamtkreislaufs beteiligt ist (Teilprojekt B5), waren neben Erkenntnissen über die neuro-regulative Steuerung des Kreislaufes (Teilprojekte D2 und D5) wichtige laborwissenschaftliche Supplemente dieser klinisch relevanten Fragestellung der kardiovaskulären Funktionsstörung. Neben der Diagnostik war die „Therapie der Funktionsstörung des Herzens“ mittels neuer konservativer und chirurgischer Verfahren ein wichtiges Unterthema, welches seitens der Chirurgie vor allem mit dem Einsatz der Herz-Lungenmaschine (Projektbereich J) und von experimenteller Seite (Projektbereich C) in Zusammenarbeit mit dem SFB 109 „Künstliche Organe“ (Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, RWTH) durch den Versuch zur Entwicklung einer künstlichen Blutpumpe zur linksventrikulären Herz-Kreislaufunterstützung bearbeitet wurde.517 Zunehmendes Gewicht nahmen die seit Mitte der 1970er Jahre durchgeführten Arbeiten zur physiologischen (Teilprojekt D5) und pharmakologischen (Teilprojekte F3 und L3) Charakterisierung kardialer Rezeptoren, in erster Linie Beta-Rezeptoren. Nach intensiven pharmakologischen Begleituntersuchungen zum Wirkmechanismus von Antiarrhythmika gewannen zunehmend „Untersuchungen zur elektrophysiologischen Diagnostik“ an Risikopatienten an Bedeutung (Teilprojekte H7 und P5).518 Von der Arbeitsgruppe Pathologie wurden schwerpunktmäßig während der gesamten Förderperiode die „Herzmuskelhypertrophie“ und ihre Rückbildung mit unterschiedlichen mikroskopischen, morphometrischen und histochemischen Methoden untersucht (Projektbereich E). Hierbei ist hervorzuheben, dass das Institut für Pathologie stets dem gesamten SFB in kooperativer Form zur Verfügung stand, da seine methodischen Expertisen sowohl grundlagenwissenschaftlich als auch klinisch von großer Bedeutung waren.

516 Vgl. Abschlussbericht des SFB 30 für die Jahre 1982-1985, S. 4, in: Dt. Zentralbibliothek für Medizin, Köln, (Lit.verz., AQ: Arb./Abschl.ber. SFB 30). 517 Vgl. Ebd. 518 Ebd.

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Das bereits in der ersten Förderperiode abgeschlossene Nebenthema „Untersuchungen zur pulmonalen Hypertonie“ wurde sowohl tierexperimentell als auch durch Verlaufsbeobachtungen bei Patienten mit pulmonaler Hypertonie und angeborenen und erworbenen Herzfehlern durch die Arbeitsgruppen Pathologie und Kardiologie untersucht.519 Der „Zusammenschluss der Verfahrensweisen“ (Heidegger) im Forschungsprogramm des SFB 30 deckte also das gesamte Spektrum kardiovaskulärer Forschung ab: Verschiedene experimentelle Untersuchungen im Labor wurden anschließend in der Klinik durch Verlaufsbeobachtungen am Patienten validiert. Aber auch im Spektrum der experimentellen Kardiologie überlagerten und supplementierten sich verschiedene Verfahrensweisen, um zu grundlagenwissenschaftlichen Aussagen über die Leistungsfähigkeit des Herzens zu kommen. Im Teilprojekt B1: „Untersuchungen über die Kontraktilität des Herzens“ wurden beispielsweise komplementäre Experimente ex vivo am isolierten Meerschweinchenherzen und in vivo an narkotisierten Hunden mit kanülierten Koronararterien vorgenommen, wobei die verschiedenen Messparameter jeweils graphisch zur Synopse gebracht wurden (siehe Kap. 2.5.2.1). Der Verbund brachte somit die beiden epistemischen Felder Labor und Klinik näher zusammen und ermöglichte damit einen ganzheitlichen und integrativen Blick auf die Funktion, Regulation (Kap. 2.5.1), die Dynamik (Kap. 2.5.2.1) und damit die Pathophysiologie (Kap. 2.5.2.2) des Herz-Kreislaufsystems. Das Forschungsprogramm des SFB 30 im Spiegel kardiovaskulärer SFB anderer Standorte in den 1970er Jahren Mit Heidegger gesprochen bot das SFB-Programm der DFG damit nicht nur am Standort Düsseldorf die „größtmögliche freie, aber geregelte Beweglichkeit der Umschaltung und Einschaltung der Forschungen in die jeweils leitenden Aufgaben.“520 Die DFG und vor allem die Vertreter des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft wollten sich dieser „leitenden Aufgaben“ bezüglich der durch SFB geförderten kardiovaskulären Forschung in der Westdeutschland inhaltlich versichern und thematisierten in der allgemeinen Diskussion des Berichtskolloquiums vom 25.05.1976 in Düsseldorf zunächst die Beziehung der SFB 30 „Kardiologie“ (Düsseldorf), SFB 89 „Kardiologie“ (Göttingen) und des SFB 90 „Kardiovaskuläres System“ (Heidelberg).521 Nachdem seitens des Sprechers des SFB 30 und des als Gutachter anwesenden Sprecher des SFB 89 (Göttingen) zunächst mündlich

519 Ebd., S. 5. 520 Heidegger, 1963 [1938], S. 79. 521 Protokoll des Berichtskolloquiums des SFB 30 vom 25.05.1976 in Düsseldorf, S. 24, in: Bundesarchiv Koblenz Best. B227-12020, (Lit.verz., AQ: Prot.-Ber.koll./GA-Sitz. SFB 30).

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herausgestellt wurde, dass es keine Doppelförderungen, sondern „nur wenige Überschneidungen“ zwischen den drei angesprochenen SFB gebe, sagte der Sprecher des SFB 30 zu, einen allgemeinen Überblick zu erstellen, in dem die Zusammenarbeit aller kardiologisch ausgerichteten SFB in allgemein verständlicher Form schriftlich niedergelegt werden sollte. Dieser „Vergleichende Bericht über Sonderforschungsbereiche, die sich in der Bundesrepublik Deutschland mit der Herz- und Kreislaufforschung befassen“522 hatte zum Ziel, zu ermitteln, ob und wenn ja, in welchem Umfang, aus Sicht des Düsseldorfer SFB 30 „Kardiologie“, von einer Doppel- oder Parallelförderung gesprochen werden muss, oder ob sich die Forschungsprojekte der kardiovaskulären SFB in der Weise berühren, dass es sich um eine wünschenswerte Ergänzung handelt. 523 Neben dem Göttinger und Heidelberger SFB wurde der SFB 68 „Kardiovaskuläre Restitution und Organsubstitution“ (Köln) und der SFB 37 „Restitution und Substitution innerer Organe“ (München) in die Zusammenstellung aufgenommen. Überwiegend und fast ausschließlich mit kardiologischer Fragestellung befasste sich der SFB 89 aus Göttingen. Beim SFB 90 aus Heidelberg standen Themen der Kreislaufforschung hinsichtlich der Niere im Vordergrund. In München und Köln lag der Fokus hingegen auf Transplantationsmedizin. Alle o.g. SFB behandelten sowohl grundlagenwissenschaftlich experimentelle als auch Fragestellungen klinischer Forschung.524 Aus der Düsseldorfer Warte zählte der Sprecher des SFB 30 insgesamt zwei direkte Überschneidungen und zwei Ergänzungen mit dem Göttinger und eine Überschneidung und eine Ergänzung mit dem Heidelberger SFB. Der Text kommt bei allen Ähnlichkeiten entweder zu dem Schluss, dass es sich letztendlich um „lohnenswerte“ Vervollständigungen handele oder aber dass viele Gebiete und Technologien „in stürmischer Entwicklung begriffen“ seien, sodass es geradezu als „wünschenswert“ erscheine, „dass darüber an mehr als einer Stelle gearbeitet wird.“525 Zusammenfassend stellt der Text fest, dass sich die Forschungsthemen der dargestellten SFB weit streuten und Überschneidungen nur in wenigen Fällen vorkamen und diese vom jeweiligen Forschungsansatz und den Methoden sich doch maßgeblich unterschieden, sodass „wegen der großen allgemeinen Bedeutung dieser Themen […] die Behandlung in mehr als einem Sonderforschungsbereich

522 Schreiben des Sprechers des SFB 30 „Zusammenstellung der Sonderforschungsbereiche […]“ vom 27.07.1976, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-11836, (Lit.verz., AQ: Korr. SFB 30). 523 Ebd., S. 2. 524 Ebd. 525 Ebd., S. 5.

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durchaus notwendig“ sei. 526 Natürlich konnte es nicht das Interesse eines Sprechers eines kardiovaskulären SFB sein, möglichst viele direkte Überschneidungen mit ähnlichen SFB herauszustellen. Man kann dem Urteil der Zusammenstellung insofern glauben, als dass es weder seitens der DFG und noch des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft die Intention gab, auf Grundlage des Ergebnisses dieser Zusammenstellung einen SFB abzuschaffen, sondern eine allgemeinverständliche Information über ihre Arbeit zu erhalten. 527 Fachlich wurden die „leitenden Aufgaben“ (Heidegger) der im Rahmen der SFB betriebenen Herz-Kreislaufforschung bei einem „Kolloquium der kardiologischen Sonderforschungsbereiche“ am 13.-14.04.1978 in Düsseldorf abgestimmt und zusammengefasst.528 Anhand der in dieser SFB- und standortübergreifenden „Überprüfung und Mitteilung der Ergebnisse“ (Heidegger) aufgeführten Themen wird deutlich, dass die Begriffe der Funktion, der Regulation und der Dynamik des HerzKreislaufsystems auf verschiedenen Ebenen und aus verschiedenen Perspektiven zentral in allen kardiologischen SFB der 1970er Jahre waren. Dies wird vor allem beim SFB 89 „Kardiologie“ (Göttingen) und dem SFB 90 „Kardiovaskuläres System“ (Heidelberg) deutlich: In Göttingen befasste man sich im Rahmen der Untersuchung von Koronarerkrankungen mit hämodynamischen Determinanten der Koronardurchblutung und Grundproblemen ihrer metabolischen Regulation und in Heidelberg verfolgte man den Schwerpunkt nervöser Komponenten der Kreislaufregulation, allerdings mit dem Fokus auf der Niere.529 Auch der SFB 68 „Kardiovaskuläre Restitution und Organsubstitution“ (Köln) befasste sich – wenn auch nur in einem Teilprojekt – mit der metabolischen lokalen Regulation der Koronardurchblutung.530 Für die experimentell-grundwissenschaftliche Forschung des SFB 30 stellt die Zusammenstellung heraus, dass sie sich von der Ebene des Gesamtorgans über die

526 Ebd., S. 10. 527 Protokoll des Berichtskolloquiums des SFB 30 vom 25.05.1976, S. 25, in: Bundesarchiv Koblenz Best. B227-12020, (Lit.verz., AQ: Prot.-Ber.koll./GA-Sitz. SFB 30). 528 Vgl. Programm des Kolloquiums der kardiologischen Sonderforschungsbereiche vom 13.-14.04.1978 in Düsseldorf, in: HHU-Archiv, Best. UAD 7-36 155, (Lit.verz., AQ: Korr. SFB 30), an dem Kolloquium nahmen außer dem Münchener SFB 37 alle in der Zusammenstellung aufgeführten SFB und zusätzlich der SFB 109 „Künstlich Organe, Modelle und Organersatz“ (Aachen) teil. 529 Schreiben des Sprechers des SFB 30 „Zusammenstellung der Sonderforschungsbereiche […]“ vom 27.07.1976, S. 3 und S. 7, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-11836, (Lit.verz., AQ: Korr. SFB 30). 530 Ebd., S. 9.

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zelluläre bis hin zur molekularen Ebene erstreckte. 531 Das Forschungsprogramm des SFB 30 bot also die Herausforderung, in den experimentellen Untersuchungen sowohl holistische (Ebene des Gesamtorgans) als auch reduktionistische (zelluläre und molekulare) Betrachtungsweisen miteinander zu kombinieren und diese als „Entwurf des Gegenstandsbezirks“ der experimentellen Kardiologie im Rahmen eines fortlaufenden und veränderlichen wissenschaftlichen Betriebs „in das Seiende“ einzubauen.532 Doch wie sehen die materiellen und experimentaltechnischen Konsequenzen solcher auf dem Papier formulierten kardiovaskulären Forschungsprogramme aus? Nachdem im Folgenden die Bedeutung der Begriffe der Funktion und Regulation und das Spannungsfeld zwischen holistischen und reduktionistischen Betrachtungsweisen in der Physiologie aus wissenschaftshistorischer Perspektive (spätes 19. Jahrhundert) beleuchtet werden, wird das Spektrum der experimentellen Kardiologie anhand der verschiedenen Experimentaltechniken und -methoden (von biochemischen in-vitro-Techniken über Modellorganismen bis hin zu komplexen Großtiermodellen) vorgestellt und die graphisch-synoptische Überlagerung von exvivo- und in-vivo-Befunden am Beispiel der experimentellen Hämodynamikmessung im SFB 30 herausgearbeitet. Die bei experimentellen Tier- und Krankheitsmodellen auftretenden Unvergleichbarkeiten zwischen verschiedenen Spezies werden dabei als sogenannte ‚translational gaps‘ abschließend mit Georges Canguilhem kommentiert.

2.5 SPEKTRUM EXPERIMENTELLE KARDIOLOGIE Die in der zuvor erwähnten Zusammenstellung der fünf kardiovaskulären SFB gestellte Forderung einer sich ergänzenden Behandlung von ähnlichen Problemen im Rahmen der verschiedenen Projekte hatte indes nicht nur wissenschafts- und förderpolitische Motivation, sondern ist der Komplexität des Gegenstands der HerzKreislaufphysiologie selbst geschuldet. Die Physiologie hat sich stets darum bemüht, den Organismus als Ganzes zu verstehen und gleichzeitig seine Einzelabläufe zu erklären.

531 Ebd., S. 4. 532 Vgl. Heidegger, 1963 [1938], S. 77.

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2.5.1 Die Begriffe der Funktion und Regulation und die Kombination holistischer und reduktionistischer Perspektiven in der Physiologie Um den Organismus in seiner Ganzheit und seinen Einzelabläufen fassen zu können, benötigte die Physiologie heuristische Konzepte, die es erlaubten, an sich autonome Messparameter zusammenzufassen und zu epistemischen Dingen synoptisch zu verketten: Der im späten 19. Jahrhundert konzipierte physiologische Funktionsbegriff schrieb den gesonderten Strukturen des lebendigen Organismus bestimmte Zwecke zu und entwickelte sich damit selbst zu einem Werkzeug für die Ausführungen weiterer Forschungsentwürfe: „[Die Funktion] verfestigte den Blick auf den experimentellen Gegenstand und wurde zugleich von der technischen Apparatur des Labors materialisiert. In dieser doppelten Weise wurde die Funktion sowohl zu jener speziellen Perspektive auf die experimentell zugerichteten Körperstrukturen als auch zum epistemischen Objekt des physiologischen Experiments. Funktion war nicht nur Mittel, sondern auch Gegenstand der Betrachtung und Analyse.“533

Ähnlich verhielt es sich mit dem heuristischen Konzept der Regulation, die nach Canguilhem in der Physiologie des späten 19. Jahrhunderts als eine „totale Potenzialität“ erkannt wurde und es erlaubte, „dem Werden eines Teiles die regelmäßige Übereinstimmung mit der Struktur eines Ganzen aufzuerlegen.“ Regulation bedeutete diesem Verständnis nach übergeordnete „Funktionen, die andere Funktionen kontrollieren und es dem Organismus durch die Einhaltung bestimmter Konstanten ermöglichen, sich als Ganzes zu verhalten.“ 534 In der Herz-Kreislaufphysiologie wurde so die autonome Regulation der Herztätigkeit mittels der technologischen Analogie des „Selbstreglers“ oder des „Druckreglers“ als ein autonomes Rückkopplungssystem verstanden und eingeführt.535 Die Funktion und Regulation des Herz-Kreislaufsystems werden also durch die Verkettung zahlreicher Teilvorgänge zugleich zu in technische Objekte eingefasste konzeptionelle Werkzeuge und zu epistemischen Dingen, deren Auflösung und genaue Beschreibungen typischerweise neue Fragen aufwerfen. 536 Aus diesem Grund spricht der Medizinhistoriker Karl Eduard Rothschuh von einer „Physiologie im Werden“537 und einer „autokatalytischen Selbstentfaltung der Fragestellungen“ 538

533 Stahnisch, 2003, S. 229. 534 Canguilhem, in: Lepenies (Hg.), 1979, S. 89. 535 Ebd. 536 Vgl. Rothschuh, 1969, S. 156. 537 So der Titel von Rothschuh, 1969.

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innerhalb der Physiologie, die der Individualität und Komplexität des in verschiedenen experimentellen Settings eingebunden Organismus geschuldet ist. Die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts erfolgte Engführung von Biologie und Medizin hatte die Durchsetzung biologisch-reduktionistischer Konzepte und experimenteller Laborverfahren als Erkenntnismittel zur Folge, die in Biologie und Medizin dazu dienten, Lebensvorgänge nicht nur zu verstehen, sondern – in all ihrer augenscheinlichen Komplexität – zu kontrollieren.539 Ein prägnantes historisches Beispiel für diese „Biologisierung medizinischer Fragestellungen“540 sind die berühmten Postulate der Koch’schen Bakteriologie. Diese besagen, 1. dass ein spezifischer Erreger im erkrankten Organismus nachweisbar sein muss; 2. dass seine Isolierung und Züchtung in Reinkultur im Labor erfolgen soll und 3. dass die erneute Erzeugung der Krankheit mithilfe des Erregers im Tiermodell simuliert werden soll. 541 Das wissenschaftliche Konzept der frühen Bakteriologie brachte einige wesentliche und bis heute fortwirkende Neuerungen mit sich. Dies betrifft zum einen die medizinische Grundlagenforschung: Bakterien wurden mittels der Konstruktion von Kausalzusammenhängen von einer obligaten Begleiterscheinung zu einer „ausschließlich notwendigen Ursache einer Infektionskrankheit“,542 wobei der Erreger zugleich zu einem „obligatorischen Durchgangspunkt“ (im Sinne der ANT) im Forschungsprozess wurde.543 Diese Art, über den Zusammenhang zwischen sichtbaren Krankheitseffekten und unsichtbaren Krankheitsursachen zu reden, ist die konzeptionelle Grundlage für viele weitere Experimentalentwürfe der „naturwissenschaftlichen Medizin“.544 Zum anderen setzte sich in diesem Zuge das Tiermodell als maßgebliches experimentelles Modell in Biologie und Medizin durch. An die Stelle der Krankheitserscheinungen am Patienten – welcher stets Ausgangs- und Endpunkt solcher Forschung war – traten die am Versuchstier hervorgerufenen pathologischen Prozesse, z.B. durch die gezielte ‚Einschleusung‘ eines Bakteriums in den

538 Ebd., S. 156. 539 Fangerau/Paul, in: Vögele/Fangerau/Noack (Hg.), 2006, S. 148. 540 Ebd. 541 Schlich, in: Gradmann/ders. (Hg.), 1999, S. 13. 542 Schlich zitiert nach Labisch, in: ders./Paul (Hg.), 2004, S. 215. 543 Schlich, in: Gradmann/ders. (Hg.), 1999, S. 12 bezieht sich hier mit dem Begriff „obligatory passage point“ auf Latour, 1987, S. 150-153, vgl. Auch Kap. 1.5 und 2.1.4 der vorliegenden Arbeit. 544 Schlich, in: Gradmann/ders. (Hg.), 1999, S. 24.

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Organismus.545 Jedoch wurde das erste Koch’sche Postulat – wonach immer da, wo eine Krankheit ist, auch ein Erreger nachweisbar sein muss – später im Tiermodell widerlegt. Denn die Präsenz eines Erregers führt nicht zwingendermaßen zur Erkrankung eines Organismus.546 Man sieht hier an einem frühen Beispiel aus den Laborwissenschaften, dass die Komplexität und Individualität des Organismus reduktionistische Erklärungsmodelle immer wieder einholt und dass das Labor auch damals nicht immer der „Richtmeister der Klinik“ war.547 Der Experimentalphysiologe Claude Bernard war bereits Mitte des 19. Jahrhunderts davon überzeugt, dass „die Äußerungen des Lebens allein durch die in der nackten Materie bekannten physikalisch-chemischen Erscheinungen nicht aufzuklären sind.“548 „Es ist ein großer Irrtum zu glauben, dass die physikalisch-chemischen Phänomene des Organismus mit denen identisch sind, die außerhalb desselben auftreten, und diese Phänomene innerhalb des Körpers durch Agenzien erklären zu wollen, die außerhalb desselben festgestellt worden sind. Diesem Irrtum sind manche Chemiker erlegen, die vom Labor auf den Organismus schließen, während es darauf ankommt, vom Organismus auf das Labor zu schließen.“549

Dennoch war Bernard – trotz seines holistischen Blicks auf das „innere Milieu“ des Organismus – auf reduktionistische Ansätze aus der Chemie und Physik angewiesen, um die naturwissenschaftliche Korrektheit seines biomorphen Unternehmens unter Beweis zu stellen und gleichzeitig dem jungen Fach Physiologie die Deutungshoheit einzuräumen, selbst zu entscheiden, wann und wo die Chemie oder die Physik eingreifen sollte. 550 Die Verschmelzung von holistischen und reduktionistischen Denkmodellen entspricht hier also nicht nur experimentellen, sondern auch strategisch-institutionellen Imperativen, auf die sich auch die klinische Wissenschaft stützen konnte: „Die Bezeichnung ‚physiologisch‘ wurde zum ‚Gütesiegel‘ medizinsicher Maßnahmen, die Bezugnahme auf die Laborforschung zur Garantie von Wissenschaftlichkeit […].“551 Bis heute verweisen Forscher in ihren Fachartikeln auf „physiologische Bedingungen“, um zum einen die Reproduzierbarkeit der Versuchsanordnung und damit ihre methodische Korrektheit hervorzuheben, zum

545 Roelcke, in: Griesecke et al. (Hg.), 2009, S. 20. 546 Vgl. Schlich, in: Gradmann/ders. (Hg.), 1999, S. 13/14. 547 Vgl. Hess, 2000, S. 119-120, siehe auch Kap. 1.6.3 der vorliegenden Arbeit. 548 Bernard zitiert nach Sinding, in: Sarasin/Tanner (Hg.), 1998, S. 80. 549 Bernard zitiert nach ebd., S. 81. 550 Vgl. ebd., S. 81-82. 551 Schlich, in: Gradmann/ders. (Hg.), 1999, S. 9.

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anderen wird damit die Konstruiertheit des experimentellen Settings kaschiert und ein Vergleichsbarkeitshorizont entweder zu anderen Spezies oder aber zum menschlichen Organismus hergestellt, der die jeweilige Forschung hinsichtlich ihrer ethischen und gesellschaftsrelevanten Aspekte rechtfertigen soll. Die Physiologie als Disziplin mit Perspektive auf den Gesamtorganismus stand dabei seit Mitte des 19. Jahrhunderts vor dem Paradox, dass sich einerseits ihr Prozess der Verwissenschaftlichung durch die Erhellung physikalisch-chemischer Mechanismen und die Konstitution von Gebieten wie Zell- und Molekularchemie sowie durch die Verwendung mathematischer Modelle vollzog, sie sich auf der anderen Seite aber nur in dem Maße entfalten konnte, indem sie das Problem der Spezifizität und Kontingenz des Lebens immer wieder aufgriff. 552 Angesichts der zunehmenden Vernetzung in den Lebenswissenschaften seit Ende des 19. Jahrhunderts und im besonderen Maße nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es weiter notwendig, in der Biomedizin zugleich reduktionistisch als auch holistisch zu denken. Nach Keating und Cambrosio werden Biologie und Medizin seit der Mitte des 20. Jahrhunderts nicht mehr nur aufeinander bezogen oder angewendet, indem beispielsweise das Pathologische als eine quantitative Veränderung des Physiologischen untersucht wurde. Vielmehr verschachtelten sie sich zunehmend, indem sie anfingen, sich gemeinsame Plattformen in Form gemeinsamer Institutionen, Technologien, Experimentalsysteme und Großgeräte zu teilen. 553 „Biology now‚ applies to medicine in the sense that practitioners of the activity known as biomedicine can no longer say beforehand whether a particular research project, clinical investigation, or even clinical intervention will result in the production of biological or medical facts. Somewhat like the distance between pure and applied research, the distance separating biology and medicine has collapsed without, albeit, erasing the distinction between the two activities.“554

Das Spannungsverhältnis bei der Wissensproduktion zwischen ineinandergreifenden aber zugleich autonomen reduktionistischen und holistischen Ansätzen und der damit verbundenen zunehmenden Bedeutung der biomedizinischen Verbundforschung hat auch epistemische Gründe: Reduktionistische Resultate aus einzelnen Experimentalsystem können ihre volle biomedizinische Bedeutung nur durch eine angemessene und nachträgliche Rekontextualisierung entfalten, indem sie in die Vielfalt eines Experimentalraums (wie sie z.B. ein Forschungsverbund bietet) reintegriert werden:

552 Foucault, in: ders./Defert (Hg.), 2005, S. 954-955. 553 Vgl. Keating/Cambrosio, 2003, S. 50. 554 Ebd.

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„Auf der einen Seite muss im Experiment Komplexität reduziert werden, das heißt, es müssen bestimmte Parameter stabil gehalten werden, damit man andere variieren und Zuschreibungen vornehmen kann. Auf der anderen Seite ist sich der Experimentator zumindest implizit bewusst, dass eine Reduktion möglicherweise Dinge ausblendet, die man besser nicht ausblenden sollte. Deswegen wird in diesem breiteren Experimentalkontext eines Labors [oder Forschungsverbundes, TK] die ontische Komplexitätsreduktion, die im einzelnen Experiment stattfindet, gewissermaßen epistemisch wieder aufgefangen durch die Vielfalt der Experimente und Aufzeichnungsmodi, die alle zusammen einen solchen Experimentalraum konstituieren.“555

2.5.2 Das Methodenspektrum im Herz-Kreislaufverbund Um sich dieser „Vielfalt“ konkreter Experimentalsysteme eines solchen Verbundes wie dem SFB 30 anzunähern, werden im Folgenden anhand der Abb. 22 das um die Jahrtausendwende und bereits größtenteils im SFB 30 verfügbare Methodenspektrum der experimentellen Kardiologie vorgestellt, das man als Netzwerk von einzelnen, autarken aber verbundenen Experimentalsystemen verstehen kann. Im Laufe der Ausführungen soll anhand der Erläuterungen von sogenannten ‚translational gaps‘ die Vergleichbarkeit von Labormethoden und Modellen hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit (und deren Limitationen) auf Gesamtorganismen verschiedener Spezies diskutiert werden. Zugleich bietet die experimentelle und graphische Überlagerung von ex-vivo- und in-vivo-Untersuchungen am Meerschweinchen- bzw. am Hundeherzen ein Beispiel für die experimentelle Hämodynamikmessung und den damit verbundenen Konzepten im Forschungsprogramm des SFB 30 „Kardiologie“ (Kap. 2.5.2.1).

555 Rheinberger, in: Krauthausen/Nassim (Hg.), 2010, S. 155-156.

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Abbildung 22: Das methodische Spektrum der experimentellen Kardiologie.

Quelle und Copyright: Thomas Krämer.

in-vitro-Experimente Die Unterscheidung zwischen in-vitro- und in-vivo-Systemen entwickelte sich Anfang des 20. Jahrhunderts, nachdem gezeigt worden war, dass nicht nur von Drüsen ausgeschiedene, sondern auch intrazelluläre Enzyme in der Lage sind, ihre Funktion außerhalb von Zellen (d.h. im Reagenzglas) unter bestimmten Pufferbedingungen auszuüben. In-vitro-Systeme markieren dabei den Übergang von einer organismischen und zellulären zu einer subzellulären und schließlich (ab ca. der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts) molekularbiologischen Wissensproduktion. 556 Bei in-vitro-Verfahren handelt es sich um Experimente, die in einer leicht kontrollierbaren künstlichen Umgebung außerhalb des lebenden Organismus durchgeführt werden. Weil biochemische in-vitro-Studien bestimmte Kennzeichen oder Elemente eines komplexen Netzwerkes hervorheben oder andere bereinigen,557 liegt ihnen von der Methodik und Vorgehensweise her zwar ein reduktionistisches Modell (in Analogie zu Vorgängen der Physik und Chemie) zugrunde, jedoch steht bei

556 Rheinberger, in: Griesecke et al. (Hg.), 2009, S. 399. 557 Ebd.

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solchen Settings meistens der Vergleichshorizont des lebenden Organismus infrage, dem man sich letztendlich anzunähern versucht. Das Besondere an in-vitroSystemen der Molekularbiologie ist nach Rheinberger die Schaffung eines extrazellulären Raums für die Darstellung von Prozessen, die sich intrazellulär, also in der lebenden Zelle abspielen (vgl. Kap. 1.4.2).558 Die durchsichtige gläserne Hülle des Reagenzglases ersetzt die Haut des Organismus oder die Membran der Zelle. Die innere Umwelt der organischen Prozesse wird durch ein chemo-technisches Milieu mit dem Ziel substituiert, einzelne organische Reaktionen und ihre Träger voneinander zu isolieren und getrennt zur Darstellung zu bringen. 559 Weil es in dieser Welt der isolierten Moleküle und Strukturen keine ganzen Zellen – und damit kein Leben im eigentlichen Sinne – mehr gibt, steckt die Experimentalbiologie vor dem Dilemma, sich jeweils der Grenze zwischen dem noch Organischen und dem nicht mehr Organischen vergewissern zu müssen, nachdem diese Grenze bereits überschritten wurde.560 Jede dieser Überschreitungen geschieht im Vor-griff (im ‚Projekt‘) auf eine Rückkopplung: Denn kein in-vitro-System kann als letzte Referenz für sich alleine stehen. Morphologische und funktionelle Relevanz erhält es in seiner isolierten Darstellung nur, wenn es mit den in-vivo-Bedingungen rückgekoppelt und abgeglichen wird.561 Ein Schritt hin zu dieser Abgleichung kann mittels der Züchtung von Zellkulturen oder ganzen Zelllinien erreicht werden. Einer der wichtigsten Bestandteile dieser Technik ist die Substitution des natürlichen ‚inneren Milieus‘ des Organismus durch eine künstliche Umgebung, die seine Merkmale mehr oder weniger genau reproduziert. Dabei ist die Wahl eines geeigneten Nährmediums, welches – möglichst nahe an der natürlichen Zellumgebungen im extrazellulären Raum des Organismus – die nötigen biochemischen und biophysischen Voraussetzungen gestattet, um der Zelle eine angemessene Adhäsion (an ihre artifizielle Umgebung) und eine günstige Ausbreitung in der Kultur und Überlebenschancen in vitro zu gestatten.562 Das Anlegen von Zellkulturen kann aus unterschiedlichen Geweben erfolgen, wobei je spezifische Anforderungen an das Nährmedium gestellt werden. Dies muss ein ausgewogener ‚Cocktail‘ aus künstlichen und natürlichen Bestandteilen sein, in welchem u.a. Wachstumsfaktoren (z.B. aus Seren gewonnene Enzyme und Hormone), organische Verbindungen, Bestandteile aus der extrazellulären Matrix des Organismus selbst, Säure-, Basen-, Kohlenstoff- und Sauerstoffwerte sowie antibiotische

558 Rheinberger, 2001, S. 116. 559 Rheinberger, 2006, S. 324. 560 Ebd., S. 325. 561 Ebd. 562 Rodríguez-Hernández et al., Int J Curr Res Acad Rev. 2014; 2(12): 188-200, hier S. 188.

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Stoffe zur Vermeidung von Kontaminationen der jeweiligen Kulturen exakt kombiniert und ausjustiert werden müssen.563 So vielfältig die involvierten Akteure in der Forschung um Zellkulturen sind, so vielfältig sind auch ihre Anwendungsbereiche sowohl in der grundlagenwissenschaftlichen als auch in der klinischen Forschung: Untersuchungen von Stoffwechselvorgängen, von Wirkungen von Substanzen auf die Signaltransduktion und Toxizität der Zelle und die Analyse von DNATranskriptionen oder von Proteinbiosynthesen mittels radioaktiver oder fluoreszierende Isotope, die durch ihre Fixierung und Färbung neue Konturen und Formen von Zellen sichtbar machen. Bei der Züchtung von Zellkulturen wird nicht nur ein extrazellulärer Raum geschaffen, um (diesmal) interzelluläre Vorgänge zu untersuchen, vielmehr wird versucht, den natürlichen extrazellulären Raum des Organismus in der Petrischale zu simulieren und zu manipulieren. Das technische Arrangement interferiert mit entsprechend eingesetzten natürlichen Bestandteilen und bildet so ein hybrides System, das durch ständige Verfeinerung der beinhalteten Komponenten ‚am Leben‘ gehalten werden muss. Die Petrischale oder das Reagenzglas ersetzt nicht nur das Innere des Organismus, sondern präsentiert sich als dessen produktive Steigerung. 564 Bei richtiger Manipulation der Gewebeverbände und Konstanthaltung des Nährmediums „registrieren [die Zellen] qualitativ keine Zeit. Sie werden de facto unsterblich.“565 Dem gesuchten epistemischen Ding (z.B. die Untersuchung von Reaktionen nach Gabe einer bestimmten Substanz) muss sich bei Gewebekulturen unter Umständen über Umwege genähert werden, da Natur und Kultur in der Petrischale mittels ‚trail and error‘ aufeinander abgestimmt werden müssen, um die nötigen erkenntnistreibenden Differenzen in den in-vitro-Experimenten zu produzieren. Auch hier müssen die Erkenntnisse aus Experimenten mit Zellkulturen an die Ganzheit des Organismus rückgekoppelt werden, um ein Verständnis der jeweils infrage stehenden Funktions- oder Regulationssysteme zu erzielen. So ist eines der wichtigsten Verfahren zur Produktion von Differenzen innerhalb eines oder zwischen verschiedenen Experimentalsystemen nach wie vor diese Überlagerung von in-vitround in-vivo-Befunden,566 weil man nur um den Preis des Hin-und-Her-Pendelns zwischen reduktionistischen und nicht-reduktionistischen Systemen den isolierten Ergebnissen einen Sinn geben kann. 567

563 Vgl., ebd., S. 190-192. 564 Rheinberger, in: Griesecke et al. (Hg.), 2009, S. 400-401. 565 Carrel zitiert nach ebd., S. 401, Hervorh. im Original. 566 Rheinberger, 2001, S. 66. 567 Sinding, in: Sarasin/Tanner (Hg.), 1998, S. 91.

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ex-vivo-Experimente Ein immer noch artifizieller, aber weniger reduktionistischer Ansatz sind ex-vivoUntersuchungen an präparierten Organen. Dienten Präpariertechniken vor allem in der Mikrobiologie lange Zeit der fixierenden und stabilisierenden Zurichtung von natürlichen Elementen im Dienste des Erkenntnisprozesses,568 so ist das ex vivo schlagende Herz als Präparat nicht nur Teil der Materialität eines untersuchten Sachverhalts, sondern Teil der genuinen Funktion eines untersuchten Organs. Nachdem bereits 1866 eine Methode zur künstlichen Perfusion eines isolierten Froschherzens entwickelt wurde, gelang es in den 1880er Jahren, auch Warmblüterherzen – die im Unterschied zu Kaltblüterherzen mit Koronargefäßen ausgestattet und von daher weitaus komplexer sind – mit natürlich intaktem Lungenkreislauf, beatmeter Lunge und künstlichen großen Kreislauf zu perfundieren (durchbluten). Sowohl das Herz als auch die Lungen verblieben vor wie nach der Perfusion im Kadaver des Versuchstieres (zumeist Hunde).569 Der Physiologe Oscar Langendorff (1853-1908) entwickelte 1895 eine Apparatur, bei welcher er auf die Oxygenierungsfunktion der Lunge verzichten und das Herz vollständig aus dem Kadaver des Tieres entnehmen konnte. Nach Isolierung des Herzens wurde dieses an der Aorta kanüliert und an die Apparatur angeschlossen. In diesem Präparat wurden ausschließlich die Koronargefäße retrograd (gegenläufig der natürlichen Flussrichtung) perfundiert und auf die Körpertemperatur des Versuchstiers temperiert. Der Vorteil dieser Methode bestand in seiner Einfachheit und Übersichtlichkeit. Im Gegensatz zu vorherigen Anordnungen schlug der linke Ventrikel des isoliert perfundierten Herzens bei Langendorff leer und nur im rechten Ventrikel sammelte sich das Blut aus dem Koronarsinus, konnte aber druckfrei nach außen entweichen. 570 Bereits um die Jahrhundertwende wurde diese Methode zum Studium der Mechanik, der Blutversorgung und des Stoffwechsels des Warmblüterherzens allgemein akzeptiert und angewendet. Wie in den Zellkulturen war auch für das Langendorff-Herz die richtige Nährlösung (hier vor allem die genaue Kenntnis über lebenserhaltende Salze im Blut) entscheidend für den Erfolg der Versuche.571 Später wurde gezeigt, dass das Herz auch mit einer rein salinen Lösung für kurze Zeit ebenfalls schlagend erhalten werden kann. Daraufhin gelang es durch die Verfeinerung dieser Lösung, das isolierte Warmblüterherzen sieben bis acht Stunden lang am Schlagen zu halten. Bereits 1910 wurde die Methode dahingehend erweitert, dass nun auch das „Druck-Volumen-Arbeit verrichtende Herz“ studiert werden konnte, was Untersuchungen zur Belastungsfunktion des Ventrikelmyo-

568 Vgl. Rheinberger, 2006, S. 337-338. 569 Döring, Acta Chir. Austriaca 1996; 28:328-333, hier S. 329. 570 Ebd. 571 Ebd.

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kards ermöglichte.572 Dies erlaubte es, das Langendorff-Präparat für genauere Untersuchungen hämodynamischer Parameter zu nutzen und dieses Organ als ‚SaugDruck-Pumpe‘ detailliert und isoliert (d.h. ohne Störfaktoren, die durch seine Einbettung in den Körper entstehen) zu studieren und zu charakterisieren. Ein entscheidender Vorteil des Präparats ist, dass es durch seine eigenen Koronargefäße durchblutet wird und dass die Herzfrequenz relativ normal verläuft und die Temperatur individuell eingestellt werden kann. 573 Zudem besteht die Eignung aller laborüblichen Warmblüterherzen für solche Versuche. Heutzutage können auf Grundlage des Langendorff-Präparats gewonnene hämodynamische Messdaten mittels Computersoftware zentral ausgewertet werden und beispielsweise (Dys-)Funktionen des Myokards (in seiner Kontraktion bzw. Relaxation) ausgemacht oder aber Druck-Fluss-Kurven für die Koronargefäße erstellt und so Fragen und Probleme der epidemiologisch hochrelevanten koronaren Herzkrankheit behandelt werden. 574 Überdies können in der Pharmakologie neu entwickelte oder isolierte Wirkstoffe direkt am schlagenden Herzen (also zugleich ex vivo und in situ) auf ihre Wirksamkeit hin untersucht werden. Durchströmt man ein Langendorff-Herz mit enzymhaltigen Lösungen, so löst sich der Gewebeverband des intakten Herzens auf und man gewinnt Millionen einzelner Herzmuskelzellen. Diese Zellen werden dann wiederum als Gewebekultur beispielweise hinsichtlich ihrer Reaktion auf neue Medikamente oder hinsichtlich ihrer zellulären Kontraktionskraft oder ihrer elektrischen Aktivität untersucht. In seiner Multifunktionalität kann das Langendorff-Herz demnach als eine kombinierte Methode in Betracht kommen, die über die reduktionistischen Limitationen der Zellkulturen hinausgeht und biomorphe in-situ-Untersuchungen unter kontrollierten Bedingungen unmittelbar am schlagenden Herzen ermöglicht. Allerdings darf nicht außer Acht gelassen werden, dass das isoliert-perfundierte Langendorff-Herz vom Nervensystem und von endokrinen Einflüssen des Organismus entkoppelt ist. 575 Modellorganismen und Tiermodelle Die bereits in Kap. 1.6.3.1 angesprochenen Modellorganismen stellen einen weiteren Schritt innerhalb des Spektrums experimenteller Kardiologie hin zur ganzheitlichen Perspektive auf den Organismus dar. Bei Modellorganismen handelt es sich um zumeist gut erforschte, leicht zu züchtende und zu manipulierende nichtmenschliche Spezies, die als eine Art im Experimentalsystem eingebettetes ‚Instrument‘ genutzt werden, um allgemeingültige Aussagen und auf andere zumeist

572 Ebd., S. 330-331. 573 Gross, 1994, S. 450. 574 Döring, Acta Chir. Austriaca 1996; 28:328-333, hier S. 331-332. 575 Gross, 1994, S. S. 450.

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komplexere Organismen übertragbare Erkenntnisse zu erhalten. 576 Diese Idealisierung der Funktion eines Modellorganismus in einem bestimmten Experimentalkontext geht in der Regel soweit, dass dies materielle Konsequenzen hat: Durch die Überschaubarkeit ihres Genoms, ihrer meist kleinen Größe und schnellen Fortpflanzung lassen sie sich einfach standardisieren, indem man genetisch ‚reine‘ Linien leicht züchten oder besondere Genkombinationen vornehmen kann.577 Ein seit den späten 1990er in der kardiovaskulären Forschung verwendeter Modellorganismus ist der Zebrafisch, der bewusst als Basis für vergleichende Studien mit anderen Organismen eingeführt wurde.578 Ein bestimmtes Phänomen ist bei diesem Modellorganismus besonders ausgeprägt: Der Herzmuskel des Zebrafisches kann eine 20%ige Resektion (Entfernung gewisser Gewebeteile des Myokards) in nur zwei Monaten durch Regeneration kompensieren, ohne dabei funktionsbeeinträchtigende Narben zu bilden.579 Durch diese Erkenntnis erhofft man sich die Aufklärung von molekularen Mechanismen zur Regeneration des Myokards nach einem Infarkt besser zu verstehen und auf komplexere Säugerherzen übertragen zu können. Aufgrund seiner besonderen Eigenschaften zur myokardialen Regeneration ist der Zebrafisch zwar ein besonders geeignetes Modell für die allgemeine Erforschung dieses biologischen Phänomens; er stellt dabei jedoch aufgrund seiner einfachen Struktur und Physiologie keine unhintergehbare letzte Referenz für andere Spezies dar, sondern ist eher ein opportunistisch gewähltes, für die beabsichtigte Manipulation besonders geeignetes Objekt, welches einen Vergleich mit anderen Modellsystemen erfordert.580 Modellorganismen nehmen von daher im Forschungsprozess eine Mittelstellung zwischen epistemischen Ding und technischem Objekt ein: „Als epistemisches Objekt ist ein Modell in der Regel so weit etabliert, dass es als erfolgsversprechender Forschungsattraktor wirken kann. Anderseits ist es normalerweise nicht so weit stabilisiert und standardisiert, dass es in der differentiellen [sic] Reproduktion anderer Experimentalsysteme einfach als unproblematische Subroutine eingesetzt werden könnte. Ein experimentelles Modellsystem hat daher etwas vom Charakter eines Supplements in dem Sinne, den Derrida diesem Begriff gegeben hat. Es steht für etwas, das seine Wirklichkeit aus seiner Abwesenheit [im Falle des Zebrafisches aus der fehlenden Referenz zu komplexeren Säuge-

576 Vgl. Ankeny/Leonelli, Studies in History and Philosophy of Science, 2011;42:313-323, hier S. 313. 577 Ebd., S. 316 sowie Rheinberger in: Griesecke et al. (Hg.), 2009, S. 402. 578 Ankeny/Leonelli, Studies in History and Philosophy of Science, 2011;42:313-323, hier S. 319. 579 Poss et al., Science. 2002 Dec 13;298(5601):2188-90. 580 Vgl. Rheinberger, 2001, S. 96.

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tieren, TK] bezieht. Ein Modell ist gerade Modell durch den Bezug auf eine vorgestellte Wirklichkeit, an die es nicht herankommt.“581

Ein weiteres „Supplement“ zur experimentellen „Wirklichkeit“ bzw. zum besseren Verständnis der (Dys-)Funktion des Herz-Kreislaufsystems des gesamten Organismus ist der Einsatz von Tiermodellen. Im Unterschied zu Modellorganismen dienen Tiermodelle nicht der Projektion von allgemeinen biologischen Phänomenen (wie z.B. im Falle des Zebrafisches der myokardialen Regeneration) auf alle übrigen Organismen, sondern ermöglichen die Erforschung eines Vergleichbarkeitshorizonts, der auf bestimmte Kontexte und Fragestellungen beschränkt bleibt: Sie funktionieren, indem sie einem spezifischen Phänomen (z.B. einer menschlichen Krankheit) in einem anderen Medium als dem Zielmedium ‚Modell stehen‘.582 In der Biologie und Biomedizin „beginnt mithin jede Untersuchung mit der Wahl eines ‚Systems‘. Von dieser Wahl hängt der Spielraum ab, in dem sich der Experimentierende bewegen kann, der Charakter der Fragen, die er stellen kann, und oft sogar auch die Art der Antworten, die er geben kann.“ 583 In diese Jacob’schen Wahl des Systems bzw. – um mit Heidegger zu sprechen – dieses „Öffnen eines Bezirks“584 fällt auch die Wahl des Versuchstiers. Canguilhem verdeutlicht, dass die Wahl des Versuchstiers in „selektiver Weise“ vorgenommen wird und dabei weniger von einer wissenschaftlichen Rationalität als mehr „aufgrund der relativen Bequemlichkeit anatomischer oder physiologischer Beobachtungen, der Lage oder der Größe des [zu intersuchenden] Organs, der Langsamkeit einer Erscheinung oder im Gegenteil der Beschleunigung eines Zyklus.“585 Die Wahl hängt dabei stark von der jeweiligen experimentellen Fragestellung und der Passgenauigkeit des Tiermodells bezüglich der verwendeten Techniken eines Experimentalsystems ab, aber auch von den bestehenden Expertisen der Experimentatoren (personelle/institutionelle Dispositionen) und praktischen Kriterien, wie Haltungsaufwand und -kosten, und nicht zuletzt von Aspekten des Tierschutzes. Bei Tierexperimenten steht immer die fundamentale Frage im Raum, ob das neue Wissen vom Tier auf den Menschen übertragbar ist. In der Rhetorik von Forschungsanträgen und Fachartikeln wird der Anspruch, Ergebnisse vom Tierexperiment (aber auch von invitro- und ex-vivo-Untersuchungen) in die Klinik zu übertragen mit dem Motto „from bench to bedside“ (von der Laborbank zum Krankenbett) versehen (vgl.

581 Ebd., S. 117-118. 582 Vgl. Ankeny/Leonelli, Studies in History and Philosophy of Science, 2011;42:313-323, hier S. 319-320 und Rheinberger, 2006, S. 149. 583 Jacob zitiert nach Rheinberger, 2001, S. 19. 584 Heidegger, 1963 [1938], S. 71. 585 Canguilhem, 2001 [1951], S. 10.

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Kap. 1.6.3). Funktioniert dieser Transfer gar nicht oder nur problematisch, spricht man von ‚translational gaps‘. Solche ‚gaps‘ zu schließen kann als Motivation eines jeden biomedizinisch tätigen Forschers gelten: „[…] the gap between elegant concepts and successful experimental systems was every scientist’s demon.“586 Die gängigsten Tiermodelle in der Herz-Kreislaufforschung sind klassischerweise laut des tierexperimentellen Handbuches „Animal models in cardiovascular research“ von David R. Gross587 Hunde, Katzen, Ratten, Kaninchen, Schafe, Kälber, Schweine, Pferde und Primaten. Im Düsseldorfer SFB 30 wurden darüber hinaus auch Meerschweinchen und Frösche verwendet. Um auf andere Spezies oder auf den Menschen übertragbare Ergebnisse zu produzieren, besteht die Anforderung an biomedizinische Experimentatoren, auf den Vergleichbarkeitshorizont sowohl in physiologischer, pathophysiologischer als auch in anatomischer Hinsicht zu achten. Nager waren und sind als Versuchstiere aufgrund ihrer dem Menschen ähnlichen genetischen Struktur, ihrer ähnlichen pathophysiologischen und nicht zuletzt aufgrund ihres geringen Kosten- und Haltungsaufwands sehr beliebt. Nager sind der Hauptlieferant für purifizierte Zelllinien, immunologisch zu meist gut charakterisiert und Versuchsanordnungen mit solchen Tieren sind in der Literatur gut beschrieben.588 Großtiere, wie Hunde oder Kälber werden vor allem bei Fragestellungen verwendet, die den gesamten Kreislauf und makroskopische Phänomene betreffen. Wie in Kap. 1.6.2.1 gesehen, wurden zu Blutdruckversuchen schon bei Carl Ludwig vornehmlich Hunde eingesetzt. Untersuchungen an isolierten Organen oder Gewebeschnitten nimmt man hingegen eher an kleinen Nagern wie Meerschweinchen, Mäusen oder Ratten vor. Schweine weisen eine große physiologische und anatomische Ähnlichkeit zum Menschen auf. Die Anatomie der Koronargefäße ist nahezu mit der humanen identisch. Schweine wie Menschen können einen Herzinfarkt nicht so gut vertragen wie zum Beispiel der Hund. Dies liegt vor allem an der Kapazität des Hundes, dem Infarkt mittels der Ausbildung von Umgehungsgefäßen (sogenannten „Kollateralgefäßen“) entgegenzuwirken. Zum Vergleich: Nach Verschluss der Koronararterie verbleibt im Schwein ein Blutfluss von ca. 1,5 %, was oft einen die ganze Organwand durchziehenden (sogenannten „transmuralen“) Herzinfarkt zur Folge hat, während beim Hund bis zu 37 % Blutverbleib nachgewiesen wurde. Allerdings verläuft der Blutfluss in den Umgehungsgefäßen des Hundes sehr inhomogen und die Ergebnisse sind von daher nicht gut zu reproduzieren.589

586 Rabinow, 1996, S. 93. 587 Gross, 1994. 588 Held, 2013, S. 46. 589 Ebd.

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Trotz der anatomischen und zum Teil pathophysiologischen Ähnlichkeiten zwischen Schwein und Mensch bestehen dennoch gravierende Unterschiede, wie z.B. die beim Schwein fehlende Ausbildung von Arteriosklerose,590 unterschiedliche Substrat-Präferenzen (verstanden als die Kapazität eines Organismus, bestimmte Makronährstoffe zu verstoffwechseln) oder aber die Fähigkeit, neue Gefäße zu generieren.591 Die Größe des Versuchstieres ist nicht nur für die Versuchsanordnung und experimentelle Fragestellung von Bedeutung. Es ändern sich mit der Größe wichtige Parameter wie der Blutdruck und der Blutfluss und je größer das Tier ist, desto geringer ist die Herzfrequenz.592 Die Größe des Versuchstiers wird von vielen Forschern besonders in Forschungsartikeln oftmals nicht als variable zur Kenntnis genommen. In der Zellforschung ist dies besonders auffällig. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Zellen von kleinen Tieren und vom Menschen die gleiche Größe haben und auch die Dauer der Zellzyklen mehr oder weniger konstant sind. Die Zellzahl ist je nach Größe des Tieres jedoch höchst variant. Die gleiche Funktion kann bei großen Tieren also wesentlich häufigere Zellteilungen erfordern. So können sich bei Bedarf die Gefäße des Hundes um das 20-Fache ihres Durchmessers und das 50-Fache ihrer Gewebemasse vergrößern, um z.B. eine Ligatur oder Gefäßverstopfung zu umgehen (Bildung von Kollateralgefäßen). Die Maus hingegen vergrößert den Gefäßdurchmesser ‚nur‘ um das Fünffache. Weniger Zellzyklen werden schneller ausgeführt als beim Hund. Von daher ist es schwierig vorherzusagen, ob an Mäusen generierte Ergebnisse ohne Vorbehalte auf größere Spezies und auf den Menschen zu übertragen sind. Natürlich haben kleine Tiere einen höheren Grundstoffwechsel, gleichzeitig sind sie nicht so robust und haben eine geringere Ischämietoleranz.593 Die gleichzeitige Verwendung von kleineren und größeren Versuchstieren hat den Vorteil, die experimentellen Fragestellungen zunächst in einfachen Versuchsarrangements ausprobieren zu können, um sie dann an einem komplexeren Organismus zu vertiefen. Solche Experimentalstrategien wurden im SFB 30 dazu verwendet, eine Art Standardprotokoll für die Hämodynamikmessung an ex vivo schlagenden Meerschweinchenherzen und in vivo an narkotisierten Hunden mit kanülierten Koronararterien zu entwickeln, das als experimentaltechnische Disposition für die folgenden Düsseldorfer SFB (242 und 612) betrachtet werden kann. Ziel dabei war es, einen „Überblick über die Leistungsfähigkeit des Herzens“ zu bekommen. 594

590 Ebd., S. 47. 591 Schaper/Winkler, Cardiovasc Res. 1998 Jul;39(1):3-7, hier S. 5. 592 Gross, 1994, S. 343. 593 Schaper/Winkler, Cardiovasc Res. 1998 Jul;39(1):3-7, hier S. 4. 594 Interview mit Gunther Arnold vom 01.08.2016, S. 3.

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Welche hämodynamischen Parametermessungen dabei für den SFB 30 und die gesamte Herz-Kreislaufphysiologie von besonderem Interesse waren und wie diese in eine synoptische Übersichtsabbildung übersetzt wurden, soll im Folgenden aus der Mikroperspektive eines Teilprojekts des SFB 30 dargestellt werden. 2.5.2.1 Experimentelle Hämodynamikmessung im SFB 30 Bereits zur Zeit der Gründung des Physiologischen Instituts an der Universität Düsseldorf im Jahre 1960 führte man sowohl Experimente an isolierten Meerschweinchenherzen (Langendorff-Herz, siehe Kap. 2.5.2), als auch an Hunden mit kanülierten Koronararterien durch. Im Mittelpunkt der Arbeit des Instituts standen seitdem Untersuchungen über den Herzstoffwechsel, der Koronardurchblutung und der Herzdynamik, wobei die Untersuchungen sich am narkotisierten Hund und am isolierten Kleintierherzen gegenseitig ergänzten. 595 In den experimentellen Forschungen des SFB 30 kam diese Überlagerung von ex-vivo- und in-vivo-Befunden durch die gesamte Förderperiode (1968-1985) in verschiedenen Teilprojekten zum Einsatz und etablierte wichtige experimentaltechnische Dispositionen in Form von Messparametern, die alle die sogenannte „Herzdynamik“ beeinflussten. Unter Herzdynamik versteht man die gemäß physiologischen Herzgesetzen596 erfolgende Anpassung der Herztätigkeit an die mechanischen Arbeitsbedingungen (z.B. die Füllung oder den Auswurfdruck) und die Anpassung der Herzmuskelkontraktilität. 597 Herzdynamik ist also in erster Linie eine Frage des komplexen Zusammenspiels von Drücken, Flüssen (und der damit verbundenen Viskosität des Blutes), Widerständen, Dehnungseigenschaften des Gefäßsystems und Volumina der Herzkammern und der Gefäße. Die ‚Dynamik‘ entsteht aus der komplexen Kombinatorik dieser mechanischen Parameter, die bis heute auf verschiedenen Ebenen Gegenstand kardiovaskulärer Forschung sind.598 Der Begriff „Hämodynamik“ beschreibt den Blutfluss im Herz-Kreislaufsystem in Abhängigkeit von den verantwortlichen mechanischen Kräften, die durch die Geometrie des Herzens und der Gefäße, die Elastizität und der in den Gefäßen herrschenden Drücke, durch das Herzzeitvolumen (gefördertes Blutvolumen pro

595 Lochner, in: Jahrbuch der HHU, 1968/69, S. 271-272. 596 Fuchs, 2007 gibt einen prägnanten Überblick sowohl über die Geschichte der Messung physiologischer Variablen als auch über die Kreislaufmodelle der einzelnen Epochen vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart. 597 „Herzdynamik“, in: Roche Lexikon Medizin (Online), unter: http://www.roche.de/ lexikon/index.htm?loc=www.roche.de, Stand: 08.12.2016. 598 Für einen Review zur Hämodynamikmessung sowohl aus historischer als auch zeitgenössischer Sicht siehe: Mathews, The Internet Journal of Anesthesiology, 2006, Volume 11, Number 2.

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Herzzyklus) und das Blutvolumen sowie durch die Blutzusammensetzung bestimmt sind.599 Die Begriffe Herzdynamik und Hämodynamik liegen also eng beieinander, wobei sich ersterer eher auf beobachtbare mechanische Vorgänge des Herzens selbst und zweiter auf messbare Parameter, die den Zusammenhang zwischen dem Blutfluss und der Saug-, Druck- und Pumpfunktion des Herzens herstellen. Hämodynamikmessung am isolierten Meerschweinchenherzen Im Projektbereich B (insbesondere im Teilprojekt B1: „Untersuchungen über die Kontraktilität des Herzens“) des SFB 30 wurden hämodynamische Messmethoden entwickelt, um die Herzdynamik genauer zu untersuchen. Aufgrund der Einfachheit des Modells verwendete man zunächst das nach Langendorff isolierte Meerschweinchenherz, um den Einfluss eines gesteigerten koronaren Perfusionsdrucks (das ist der Druckgradient zwischen linkem Ventrikel und der Aorta ascendens)600 auf das Herz-Kreislaufsystem und auf die Autoregulation der Herzarbeit zu untersuchen. Das epistemische Ding in diesen Experimenten war also der zu untersuchende Einfluss eines experimentell gesteigerten Perfusionsdrucks auf die Leistungsfähigkeit (u.a. die Kontraktionskraft und den Sauerstoffverbrauch) des Herzens.601 Für die Untersuchungen bot das Langendorff-Herz das „ideale Präparat“602 zur Verfeinerung der bereits von anderen (externen) Arbeitsgruppen etablierten Messmethoden und wurde in folgendes experimentaltechnisches Arrangement eingelassen (Abb. 23). Die Meerschweinchenherzen wurden operativ entnommen und mit einer salinen Lösung, die das Blut ersetzte, durchströmt. Der Sauerstoffpartialdruck und der venöse Ausfluss (in der Abb. 23 jeweils pO2) wurden mithilfe von Makro- bzw. Mikroelektroden gemessen, wobei letztere in den rechten Vorhof des isolierten Herzens eingelassen wurden. 603 Der koronare Durchfluss wurde mit damals neuartigen elektromagnetischen Flowmetern604 und der Druck im linken Ventrikel mittels eines eigens angefertigten Ballons gemessen, der zudem erlaubte, diesen Druck konstant zu

599 Vgl. Lapp/Krakau, 2005, S. 92 f. 600 Lederhuber, 2005, S. 8. 601 Vgl. Arnold et al., Pflugers Arch. 1968;299(4):339-56, hier S. 399, siehe Abstract). 602 Interview mit Gunther Arnold vom 01.08.2016, S. 1. 603 Arnold et al., Pflugers Arch. 1968;299(4):339-56, hier S. 340. 604 Wenn ein Magnetfeld um ein zu untersuchendes Gefäß angelegt wurde, konnte durch das darin fließende Blut eine Spannung erzeugt werden, deren Stärke man mit den Flowmetern messen konnte. Die Spannung erhöhte sich dabei proportional zum Blutfluss, sodass ein erhöhter Fluss genau registriert werden konnte (vgl. Interview mit Gunther Arnold vom 01.08.2016, S. 6).

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halten, aber gleichzeitig als Fremdkörper im Herzen die ‚normale‘ Funktion beeinträchtige.605 Abbildung 23: Schematische Darstellung der Versuchsanordnung des isolierten, isovolumetrisch arbeitenden Meerschweinchenherzens.

Quelle: Arnold et al., Pflugers Arch. 1968;299(4):339-56, hier S. 341. Copyright: Springer Nature.

Ein wichtiger und in den 1960er neu aufgekommener Parameter für die Kontraktilitätskraft des Herzens war die Zeitdifferenz „delta pressure/delta time“ (dp/dt), die als „Anstiegsflanke des Ventrikeldrucks“ 606 Aufschluss über die Druck-VolumenBeziehung im Herzen gab und mittels eines Druckmessverstärkers aufgezeichnet wurde. Zusätzlich wurde das Elektrokardiogramm von der Oberfläche der isolierten Herzen abgeleitet, um die Herzfrequenz zu bestimmen. Alle vorgenannten hämodynamischen Parameter wurden mithilfe eines analogen 6-Kanalschreibers zeitgleich

605 Vgl. Arnold et al., Pflugers Arch. 1968;299(4):339-56, hier S. 351 sowie Interview Gunther Arnold vom 01.08.2016, S. 1. 606 Ebd., S. 8.

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registriert. Dieser bestimmte auch das Ausgabeformat der Originalregistrierung und damit die synoptische Darstellungsweise der in den Experimenten gewonnenen Signale bzw. Spuren (siehe die sechs übereinander gelagerten Spuren in folgender Abb. 24). Abbildung 24: Die Originalregistrierung der Versuche zeigt den Einfluss eines gesteigerten koronaren Perfusionsdrucks auf das isolierte, isovolumetrisch arbeitende Meerschweinchenherz.

Quelle: Arnold et al., Pflugers Arch. 1968;299(4):339-56, hier S. 344. Copyright: Springer Nature.

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Zusammengenommen zeigen diese Versuche, dass der Druck in den Koronargefäßen – unabhängig von der Größe des Durchflusses – einen positiv-inotropen Effekt (also eine Steigerung der Kontraktionskraft) und damit einen stoffwechselsteigernden Effekt ausübt.607 Dieser Befund war insofern relevant, da die wechselwirkenden Beziehungen zwischen Perfusionsdruck, koronarem Fluss, Sauerstoffverbrauch und der Kontraktilität des Herzens nicht klar waren. Die oben gezeigte Originalregistrierung wurde dahingehend interpretiert, dass ein Anstieg des koronaren Perfusionsdrucks die Herzkranzgefäße und die Herzmuskelfasern dehnt mit der Folge einer verbesserten Kontraktilität. Dieser Dehnungsmechanismus wurde von den Autoren als „Gartenschlauch-Effekt“608 bezeichnet und sollte durch weitere in-vivo-Untersuchungen an narkotisierten Hunden bestätigt werden. Hämodynamikmessung an narkotisierten Hunden mit kanülierter Aorta Wie in den Experimenten an isolierten Meerschweinchenherzen war das epistemische Ding in den Versuchen an narkotisierten Hunden mit kanülierter Aorta und Koronargefäßen der zu untersuchende Einfluss eines experimentell gesteigerten koronaren Perfusionsdrucks auf die Leistungsfähigkeit des Herzens.609 Der Hund bot ein weitaus komplexeres und den tatsächlichen physiologischen Bedingungen näherliegendes Modell als das der isolierten Meerschweinchenherzen. Die folgende Abbildung (Abb. 25) zeigt schematisch das experimentelle Arrangement, in welchem die in den Laborhunden verbleibenden Herzen eingelassen wurden. Es ist der Komplexität des Versuchsaufbaus und der Übersichtlichkeit geschuldet, dass hier nur das kanülierte Herz und nicht das vollständige Versuchstier abgebildet ist. Außerdem vermeidet man mit solchen schemenhaften Abbildungen, ‚blutige‘ Bilder der Originalversuche zeigen zu müssen und erzeugt durch die Abstraktion der Darstellung ein höheres Maß an Objektivität. Die interviewten SFB-Forscher zeigten bei den Versuchen viel Verantwortung und Bewusstsein für das einzelne Tier und achteten darauf, die Anzahl von Versuchstieren so gering wie möglich zu halten.610 Die Tiere wurden zunächst narkotisiert, anschließend wurde der Thorax eröffnet und bestimmte Koronararterien und die Aorta kanüliert und mit Blutreservoirs (BR 1 und BR2) verbunden, die wiederum an verschiedene Pumpen (P 1-P3) angeschlossen wurden.611 Ähnlich wie beim Ludwig’schen Kymographion (Kap. 1.6.2.1) bedurfte

607 Arnold et al., Pflugers Arch. 1968;299(4):339-56, hier S. 352. 608 Ebd. 609 Arnold et al., Pflugers Arch. 1970;321(1):34-55, hier S. 34-35, siehe Abstract. 610 Vgl. hierzu Amann, in: Rheinberger/Hagner/Wahrig-Schmidt (Hg.), 1994, S. 274, FN 34, der ähnliche Beobachtungen in molekularbiologischen Labors gemacht hat. 611 Für folgende Ausführungen zum Versuchsaufbau siehe den Methodenteil von ebd., S. 36-37.

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der Versuchsaufbau eines invasiven Eingriffs und der Erfolg der Aufzeichnung hing entscheidend vom chirurgischen Geschick des Experimentators und der Kanülierungstechnik ab, welche die Schnittstelle (bei Ludwig hieß dies „Kommunikator“, siehe Kap. 1.6.2.1) zwischen lebendem Organismus und den technischen Geräten des Experiments herstellte. 612 Abbildung 25: Schematische Darstellung der in-vivo-Versuche an narkotisierten Hunden mit kanülierten Koronararterien und kanülierter Aorta.

Quelle: Arnold et al., Pflugers Arch. 1970;321(1):34-55, hier S. 36. Copyright: Springer Nature.

Der Druck in dem Reservoir konnte genau eingestellt werden, wodurch der koronare Perfusionsdruck experimentell variiert und mittels eines elektromagnetischen

612 Vgl. Rheinberger, 2006, S. 320.

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Flowmeter (EMF1) gemessen werden konnte. Neben den Blutreservoirs waren Druckausgleichsgefäße (sogenannte „Windkessel“, WK) notwendig, um überschüssige Energie (in Analogie zur natürlichen energiespeichernden „Windkesselfunktion“ der Aorta) zu speichern und bei Bedarf gezielt wieder abzugeben. 613 Das dritte Blutreservoir (BR3) enthielt mit Heparin (ein Blutgerinnungshemmer) angereichertes Blut von einem Spenderhund und wurde zur schnellen Bluttransfusion verwendet, die das gesamte System mit Frischblut versorgte. Die hämodynamischen Parameter wurden wie folgt gemessen: Die Blutdruckmessung in der Aorta erfolgte durch eine Metallröhre, die mit einem Druckwandler (SG) verbunden war und der phasische Blutfluss der Aorta wurde durch einen weiteren elektromagnetischen Flowmeter registriert. Der Blutdruck im linken Ventrikel wurde mittels eines eingeführten Katheters gemessen, dessen Einbringung in das Herz dem Experimentator ebenfalls großes Geschick abverlangte. Die Etablierung der Druck-Volumen-Bestimmung mittels experimenteller Katheter im SFB 30 ist als experimentaltechnische Disposition auch für die Versuche in den folgenden SFB 242 und SFB 612 (dort miniaturisiert an Mäusen) von großer Bedeutung und wird bei der Darstellung von in-vivo-Messungen im (‚molekularen‘) SFB 612 im dritten Kapitel (Kap. 3.4.5) der vorliegenden Arbeit wieder aufgegriffen. Durch die Verbindung dieses experimentellen Arrangements mit einem zum Teil durch den SFB 30 finanzierten (siehe Kap. 2.4.2) analogen 8-Kanalschreiber konnten die hämodynamischen Parameter (Aortendruck, Druck im linken Ventrikel, Kontraktion mittels dp/dt, der koronare Perfusionsdruck, die Flussgeschwindigkeit in der Aorta und die Schlagarbeit des Herzens) zeitgleich und synchron registriert und graphisch zur Synopse gebracht werden (siehe Abb. 26). Die unmittelbarste erkenntnistreibende Kraft dieser Zusammenschau war zunächst die Produktion von Druck-Volumen-Differenzen ausgelöst durch die experimentelle Veränderung des koronaren Perfusionsdrucks: Zunächst bewirkte eine Senkung des koronaren Perfusionsdrucks (Spur 6, Abb. 26) eine leichte Senkung des linksventrikulären Drucks (Spur 3, Abb. 26) und eine Abnahme des Maximalausschlags von dp/dt (Spur 4, Abb. 26) und der Schlagarbeit (Spur 8, Abb. 26), wobei der linksventrikuläre enddiastolische Druck (der Druck im linken Ventrikel am Ende der Entspannungsphase des Herzens, Spur 5, Abb. 26) deutlich anstieg. Anschließend wurde der koronare Perfusionsdruck erhöht, wodurch der Druck im linken Ventrikel sowie der Kontraktionsparameter dp/dt und die Schlagarbeit zu höheren Werten als in den Kontrollgruppen anstiegen.

613 Vgl. Interview mit Gunther Arnold vom 01.08.2016, S. 6.

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Abbildung 26. Die Originalregistrierung der Versuche zeigt den Einfluss eines zunächst gesenkten und dann gesteigerten koronaren Perfusionsdrucks an einem narkotisierten Hund mit kanülierten Koronararterien und kanülierter Aorta.

Quelle: Arnold et al., Pflugers Arch. 1970;321(1):34-55, hier S. 41. Copyright: Springer Nature.

Diese Befunde allein genommen wären nichts Besonderes gewesen, denn es war zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt, dass das Herz in der Lage ist, aus sich heraus eine vermehrte enddiastolische Ventrikelfüllung durch Auswurf eines höheren Schlagvolumens (etwa bei physischer Belastung) zu kompensieren.614 Dazu hätte in

614 Lederhuber, 2005, S. 7. Dieser Anpassungsmechanismus des Herzens an eine erhöhte Druckbelastung (je größer das Volumen des während der Diastole einströmenden Bluts,

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der oben gezeigten Originalregistrierung allerdings auch der enddiastolische linksventrikuläre Druck (Spur 5, Abb. 26) bei einer Erhöhung des koronaren Perfusionsdruck steigen müssen; jedoch fiel dieser, obwohl sich der systolische Druck erhöhte.615 Mit der Aufzeichnung dieses Phänomens sahen die SFB-Forscher die bereits im Rahmen der Experimente an isolierten Meerschweinchen aufgestellte Hypothese bestätigt, dass es bei erhöhtem koronaren Perfusionsdruck zu einer Ausdehnung der Herzkranzgefäße und einer erhöhten Spannung der Herzmuskelfasern und dadurch zu einer verbesserten Leistungsfähigkeit (vor allem der Kontraktilität) des Herzens kommt.616 Nachträglich erscheinen die in-vivo-Experimente an narkotisierten Hunden mit kanülierter Aorta und kanülierten Koronargefäßen als „eine logische Folge“617 der ex-vivo-Versuche an isolierten Meerschweinchenherzen und führten zur „Synopsis des Gartenschlauch-Effekts“.618 Es würde den Rahmen des vorliegenden Kapitels sprengen, die kontroverse physiologische Debatte um den „GartenschlauchEffekt“ im Einzelnen wiederzugeben. 619 Festzuhalten bleibt, dass die durch den 6-Kanal- bzw. 8-Kanalschreiber synchron registrierten experimentellen Spuren in ihrer Synopse (Zusammenschau) es ermöglichten, die relevanten hämodynamischen Parameter auf einen Blick zu erfassen und es so erlaubten, einen Überblick über die Leistungsfähigkeit des Herzens in Verbindung mit einem experimentell veränderten Perfusionsdruck zu bekommen. Die Sichtbarmachung von experimentell erzeugten Druck-Volumen-Verhältnissen im Herz-Kreislaufsystem erfolgte dabei gemäß den Rheinberger’schen Visualisierungsmodi der Kompression bzw. Dilatation: Die Darstellungsform übereinander gelegter experimenteller Spuren in Form von Druck-Volumen-Kurven ließ es zu, Muster zu erkennen, die man in Datentabellen, welche diesen Kurven entsprechen

je größer das bei der folgenden Systole ausgeworfene Blutvolumen) wurde zuerst durch die Physiologen Otto Frank (1865-1944) und Ernest Starling (1866-1927) beschrieben und wird heute als „Frank-Starling-Mechanismus“ bezeichnet. 615 Arnold et al., Pflugers Arch. 1970;321(1):34-55, hier S. 43 und 47. 616 Ebd., S. 34 (Abstract) und S. 53. 617 Interview Gunther Arnold vom 01.08.2016, S. 10. 618 Ebd. 619 Für eine Einordnung des Phänomens in die zeitgenössische Koronarphysiologie und seine Bedeutung aus Sicht der 2000er Jahre, siehe Schipke/Frehen, Z Kardiol. 2001 May;90(5):319-26, die feststellen, dass der „Gartenschlauch-Effekt“ sich zwar nicht allgemein durchsetzen konnte, aber unter gewissen pathophysiologischen Bedingungen (mit Bezug zur Steifigkeit der Gefäße in bestimmten Herzinfarktarealen) eine anschauliche Vorstellung von „erektilen Effekten“ des Koronargefäßbaums geben kann (ebd., S. 323-324).

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vergeblich suchen müsste.620 Das einheitliche Ausgabeformat der analogen Registriergeräte (6- bzw. 8-Kanal) brachte dabei die verschiedenen Parameter nicht nur ‚auf ein Bild‘, sondern ließ es zudem zu, durch die Überlagerung von ex-vivound in-vivo-Daten einen Repräsentationsraum zu generieren, in welchem sich Spuren zu Daten, Daten zu Mustern und letztere zu möglichen Fakten in Form von postulierten Wirkmechanismen (dem „Gartenschlauch-Effekt“) verdichten ließen.621 Gleichzeitig erzeugte das einheitliche Format der Synopse hämodynamischer Parameter mit Latour gesprochen eine „optische Konsistenz“ und macht die physiologischen Kurve zum vergleichbaren, replatzierbaren und vor allem rekombinierbaren und dekontextualisierbaren „immutable mobile“, das sich in das seh-konventionelle Inventar der SFB-Forscher einschrieb (vgl. Kap. 1.4.1).622 Die Translationsketten in den geschilderten Experimenten gehen dabei den Weg von der Materie hin zur Form:623 Am Anfang stand das Labortier, welches in ein experimentelles Arrangement eingefügt wurde (Abb. 23 und Abb. 25, Versuchsaufbauten), dessen vitale Lebensäußerungen in Form der genannten Parameter gemessen, in graphischsynoptische Spuren (Abb. 24 und Abb. 26, Parameter-Überlagerungen) übersetzt und anschließend in Muster interpretiert wurden. Die ständige Rekonfiguration dieser Muster gab nicht nur Anlass zu neuen experimentellen Entwürfen, sondern zur konzeptionellen Synopse eines postulierten Wirkmechanismus. Dieser von den SFB-Forschern „Gartenschlauch-Effekt“ genannte Mechanismus hat in seiner technischen Metaphorik Modellfunktion. Er veranschaulicht das postulierte Phänomen, indem er den biologischen Mechanismus als „notwendige Sequenzen von Operationen“ darstellt; die erhöhte Dehnung der Koronargefäße durch erhöhten Perfusionsdruck verbessert die Leistungsfähigkeit des Herzens. Diese Kausalkette wurde „von der Form und der Struktur des Apparats“ her gedacht und dann in das beobachtete natürliche Phänomen hineinprojiziert. 624 Die Finalität und die Zweckmäßigkeit des „Gartenschlauch-Effekts“ wird dabei von einem bekannten technischen Vorgang her deduziert625 – nämlich der zunehmenden Dehnung bei Druckerhöhung in einem hier den Gefäßen entsprechenden aufgewickelten herkömmlichen Schlauch. Das isolierte Meerschweinchenherz bzw. der Organismus des narkotisierten Hundes

620 Vgl. Rheinberger, in: Sachs-Hombach (Hg.), 2009, S. 131. 621 Vgl. Rheinberger, in: Gugerli et al. (Hg.), 2007, S. 117-125. 622 Vgl. Latour, in: Belliger/Krieger (Hg.), S. 270. 623 Vgl. Latour, 2002 [1999], S. 70 und 74. 624 Canguilhem, in: ders., 2009, S. 211. 625 Ebd., dass auch molekulare biologische Mechanismen als „notwendige Sequenzen von Operationen“ im Sinne Canguilhems verstanden werden können, wird im Kap. 3.2.1 der vorliegenden Arbeit am Beispiel der homologen Rekombination in Verbindung mit der Herstellung von transgenen Mäusen näher erläutert.

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wurde dabei zur Schnittstelle zwischen den technischen Objekten des Experimentalsystems und den durch experimentelle Manipulation an ihm selbst hervorgerufenen physio-mechanischen Effekte, die es als epistemische Dinge zu untersuchen und zu modellieren galt. Hierzu schrieb sich das Mechanische (in Form von Elektroden, Kathetern, Kanülen, Blut- und Druckreservoiren und verschiedenen Pumpen) in das Organische ein. 626 Das ‚mechanische‘ Paradigma in der Herz-Kreislaufphysiologie und ‚molekulare‘ Perspektiven auf das Endothel Das Spannungsfeld zwischen perfundiertem-isolierten Organ und in-vivo-Versuchen wurde durch die für diese Modelle gemeinsam verwendeten mechanischen Parameter gefüllt. In diesem ‚herzmechanischen‘ Paradigma wurden „allgemeine chemische und physikalische Gesetzte auf ihre physiologische bzw. pathophysiologische Manifestation hin untersucht.“ So übertrug zum Beispiel die „‚Rheologie‘ […], eine Disziplin [in der Herz-Kreislaufphysiologie] der 1970er/1980er Jahre, […] Gesetzmäßigkeiten flüssiger Stoffe auf die Fließeigenschaften des Blutes […]. Der Blutkreislauf erscheint in diesem Modell als ein biophysikalisches Problem von Durchfluss, Wiederstand und Menge.“627

In dieser mathematisch-strömungsphysikalischen Betrachtungsweise der HerzKreislauffunktionen hatten die SFB-Forscher noch keinen genauen Begriff von molekularen Vorgängen. Zwar wurden im frühen SFB 30 bereits verschiedene Stoffwechselparameter (wie z.B. Adenosin-Phosphat, Laktatverbrauch, Milchsäurebestimmung) untersucht, die genau genommen in ihrer Feinstruktur auf ‚molekularer‘ Ebene wirkten, jedoch waren die damaligen Methoden „viel gröber“ und die Betrachtungsweise fokussierte sich vor allem auf Fragestellungen der Mechanik und daraus resultierenden Dynamik des Herzens:628 „Das Denken in Drücken und Flüssen, überwiegend in den Herzkammern und großen Arterien, bestimmte die Palette früherer [ca. 1960-1980, TK] medizinischer Möglichkeiten.“629 Ein prägnantes Beispiel für eine Differenzierung des ‚mechanischen‘ und ‚molekularen‘ Paradigmas in der Herz-Kreislaufphysiologie lässt sich am Beispiel des Endothels aufzeigen. Als innerste Auskleidung der Blutgefäße galt es lange Zeit als passive Grenzschicht zwischen Blut und Gefäß, der lediglich die Aufgabe eines se-

626 Vgl. ebd., S. 231. 627 Labisch, in: Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 22. 628 Vgl. Interview Gunther Arnold vom 01.08.2016, S. 13. 629 Strauer, in: Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes NRW (Hg.), 1995, S. 68.

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lektiven und Thromben (Blutgerinnsel) vermeidenden Filters zugeschrieben wurde.630 Jedoch stellte sich im Laufe der 1980er Jahre heraus, dass das Endothel in verschiedenen Gefäßen einen sehr unterschiedlichen Aufbau hat und über einen äußerst lebhaften Stoffwechsel und hohe Syntheseleistungen verfügt. 631 An die Stelle der biophysikalischen Betrachtungsweise mit ihren Problemen der verschiedenen Drücke, Widerstände, Volumina und Fließeigenschaften traten nun „[…] Fragen der Zelle-Gefäßwand-Interaktion auf der Ebene von Oberflächenmarkern, wandständigen Proteinen und dem molekularen Signalaustausch. Eine Zelle oder ihre Produkte zwäng[ten] sich also nicht mehr physikalisch-chemisch durch eine Gefäßwand, sondern w[u]rden in einer Kaskade von Oberflächenmarkern, Signalen und Transporterproteinen hindurchgeleitet (oder eben nicht!).“632

Die endotheliale Zellbiologie leistete damit einen wichtigen Beitrag für einen Wechsel von der mechanischen zur molekularen Perspektive der Herz-Kreislaufphysiologie, ohne dass dabei eine der beiden Perspektiven obsolet oder ‚abgeschafft‘ wurde: Denn hämodynamische Kräfte spielen nicht nur für den Blutfluss an sich eine große Rolle, sondern haben auch wesentlichen Einfluss auf die Physiologie des Endothels und der glatten Gefäßmuskeln. 633 Endothelzellen können z.B. Änderungen des Blutdrucks ‚erkennen‘ und ‚steuern‘ davon abhängig die Gefäßmuskulatur zu seiner Regulation. Sie vermitteln und/oder beeinflussen dabei in vielfältiger Weise Stoffwechselfunktionen, die z.B. durch die Freisetzung von Stickstoffmonoxid („nitric oxide“, NO, siehe Kap. 3.4.7.1) eine Gefäßerweiterung verursachen. Durch die Freisetzung von Wachstumsfaktoren fördern Endothelzellen das Auswachsen von neuen Blutgefäßen und die Teilung von Gefäßmuskelzellen, die die mechanische Stabilität der größeren und mittleren Blutgefäße garantieren. Diese Mechanismen stellen nur einige wenige Beispiele der autoregulativen Kraft von Endothelzellen dar. In Düsseldorf wurde dieses Thema im Rahmen des von 1986-1997 geförderten SFB 242 („Koronare Herzkrankheit. Prävention und Therapie akuter Komplikationen“) in verschiedenen Teilprojekten intensiv beforscht und auf einem Symposium

630 Hort, Uni-Zeitung der HHU, Heft 3, 1990, S. 14 und Granger, Am J Physiol. 1998 Dec; 275(6 Pt 2):H1925-36. 631 Vgl. Hort, Uni-Zeitung der HHU, Heft 3, 1990, S. 14. 632 Labisch, in: Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 22. 633 Vgl. hierzu und für folgende Beispiele „Endothelzellen“ in: Lexikon der Biologie (Online), Internetseite von „Spektrum der Wissenschaft“, unter: http://www.spektrum.de/ lexikon/biologie/endothelzellen/21311, Stand: 09.12.2016.

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am 28.04.1990 zusammengefasst.634 Hier sind insbesondere die Forschungen um den erwähnten Gasotransmitter Stickstoffmonoxid (NO) zu nennen, der sich, wie sich u.a. durch Beiträge des SFB 242 herausstellte, zu großen Teilen im Endothel exprimiert, eine gefäßerweiternde Funktion hat und demnach therapeutisch relevant für die Herz-Kreislaufforschung ist. Die Charakterisierung der Interaktion von NO und dem sauerstoffspeichernden Protein Myoglobin wird im dritten Kapitel (Kap. 3.4.7 und 3.4.8) der vorliegenden Arbeit im Rahmen der Analyse des SFB 612 („Molekulare Analyse kardiovaskulärer Funktion und Funktionsstörungen“) am Beispiel von in Düsseldorf hergestellten transgenen Mäusen vorgenommen. Trotz der in den 1980er Jahren aufkommenden molekularen Betrachtungsweise auf den Organismus wurden die oben beschriebenen und im SFB 30 etablierten Messungen hämodynamischer Parameter nicht obsolet. Vielmehr überlagerten sich die molekulare und mechanische Perspektive auf das Herz-Kreislaufsystem. Von daher ist im dritten Kapitel (insbesondere Kap. 3.3 und 3.4) zu zeigen, dass zwischen mechanistischen und molekularen Parametern trotz gewisser Inkommensurabilitäten von den SFB-Forschern Kausalzusammenhänge konstruiert wurden: Mechanische Phänomene wie Druck, Volumen, Widerstände des Herzens und der Gefäße werden zu in Kurven und Diagrammen visualisierten materiellen ‚Spuren‘ von gentechnisch veränderten molekularen Wirkmechanismen. In diesem Sinne wird das Hämodynamische zum funktionellen ‚read-out‘635 des Molekularen. Es handelte sich also weniger um einen klassischen Paradigmenwechsel von der Hämodynamik zur Molekularphysiologie. Vielmehr supplementierten und überlagerten sich diese beiden Perspektiven und die mit ihnen verbundenen Methoden und Apparaturen. Die im SFB 30 etablierten Methoden zur Hämodynamikmessung waren dabei (verstanden als experimentaltechnische und projektspezifische Dispositionen) grundlegend für das experimentelle Entwurfsgeschehen (und die damit verbundene Produk-

634 Siehe den Ergebnisbericht des Symposiums, in: Hort, Uni-Zeitung der HHU, Heft 3, 1990, S. 14-15. 635 Der funktionelle ‚read-out‘ bezeichnet in physiologischen Experimenten die apparativgestützte Auslese von Spuren, die durch eine experimentelle Intervention oder Manipulation am Versuchsorganismus hervorgerufen wurde und Aufschluss über die funktionellen Konsequenzen solcher Veränderungen gibt. Der von vielen Forschern verwendete Begriff „functional read-out“ verweist also auf die konkrete Praxis des „Spurenlesens“ in Experimenten (vgl. allgemein Rheinberger, in: Gugerli et al. [Hg.], 2007, S. 117-125 und dazu ausführlicher Rheinberger, in: Krämer/Kogge/Grube [Hg.], 2007, S. 293-308). Rheinberger geht allerdings nicht auf den Begriff des funktionellen ‚readouts‘ im Rahmen der Messung physiologischer Parameter ein.

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tion von experimentellen Kontingenzen) der beiden folgenden Düsseldorfer SFB 242 und SFB 612. Im Folgenden wird der Abb. 22 auf Seite 258 (‚Spektrum experimentelle Kardiologie‘) weiter gefolgt, um auf experimentell hergestellte kardiovaskuläre Krankheitsmodelle (insbesondere zum Herzinfarkt) näher einzugehen. Die von den betrachteten Tiermodellen hinterlassenen ‚translational gaps‘ werden abschließend mit Georges Canguilhem mit Ausblick auf das dritte Kapitel kommentiert. 2.5.2.2 Kardiovaskuläre Krankheitsmodelle In der biomedizinischen Forschung ist es von großem Interesse, spezifische menschliche Erkrankungen am Tiermodell zu erforschen. Zwar kommen die meisten im Menschen vorkommenden kardiovaskulären Erkrankungen auch in Tieren vor, jedoch bleibt die Nützlichkeit und praktische Anwendbarkeit „natürlich vorkommender Krankheitsmodelle“636 in Versuchstieren beschränkt, weil viele dieser sogenannten „angeborenen Herz-Kreislaufdefekte“ fast immer mit nicht-kardiovaskulären Defekten einhergehen.637 Dadurch sind die anhand der Krankheitsmodelle gewonnenen Erkenntnisse weder von Tierart zu Tierart, von Varietät zu Varietät (innerhalb derselben Tierart) noch von einem individuellen Organismus zu einem anderen (derselben Art und Varietät) übertragbar.638 Tiermodelle für den akuten Herzinfarkt Diesen Problemen der Standardisierbarkeit und Reproduzierbarkeit der Nachahmung von menschlichen Erkrankungen versucht man in der Experimentalforschung, mit sogenannten „iatrogenen Modellen“ von Erkrankungen zu begegnen. Bereits im Altertum induzierte man bei Tieren Pathologien mittels Abbindeexperimenten (vgl. hierzu Kap. 1.6.1).639 Eine Ischämie oder einen Myokardinfarkt kann man am Tiermodell induzieren, indem man nach der Eröffnung des Brustkorbes des Versuchstiers ein Herzkranzgefäß an einer bestimmten Stelle abbindet, sodass das gesamte Herz oder aber ein bestimmter zuvor definierter Bereich des Herzmuskelgewebes nicht mehr mit Blut und damit mit ausreichend Nährstoffen und Sauerstoff

636 Gross (1994, S. 403 ff.) geht bei dem Begriff „naturally occuring models of cardiovascular disease“ nicht weiter darauf ein, dass die Ursache solcher Krankheiten bei Tiermodellen zwar ‚natürlich‘ vorkommen, man jedoch z.B. durch Züchtung oder Veränderung der Ernährung es bewusst erzielen möchte, die Tiere krank zu machen. Man findet sie also nicht krank vor, sondern manipuliert die Bedingungen entsprechend, sodass die Tiere für die Experimente krank werden. 637 Gross, 1994, S. 403. 638 Canguilhem, 2001 [1951], S. 11. 639 Ebd., S. 2.

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versorgt wird. Diese Technik erfordert besonderes Geschick vom Experimentator und ist zugleich sehr schwer zu standardisieren, weil die Abzweigungen der Herzkranzgefäße bei jedem individuellen Organismus anders verlaufen und erst im Nachhinein klar wird, ob der für die experimentelle Fragestellung günstigste Punkt der Ligatur gewählt wurde. Hierzu wurden seit den 1960er Jahren eine Vielzahl von Methoden und Techniken entwickelt und viele experimentelle Studien vorgenommen, die zumeist davon ausgegangen sind, dass es bei künstlich induziertem Infarkt im Tiermodell wie beim Menschen einen Übergangsbereich, eine sogenannte „boarder zone“ von gesundem zu geschädigten Gewebearealen gibt. Diese „boarder zone“ war das Zielgewebe der meisten solcher Studien. Gross (1994) stellt jedoch fest, dass es in wohl etablierten und gut untersuchten Tiermodellen für den akuten Myokardinfarkt wie dem Hund oder dem Schwein eine solche „boarder zone“ überhaupt nicht gibt: „[In pigs and in dogs] [t]here is a sharp, but irregular transition from normal to ischemic myocardium. The absence of an area of intermediate injury is different from that seen in slowly progressing coronary artery disease in man and adds a question to the utility of these acute models in evaluating beneficial interventions.“640

In diesem Sinne ist das Konzept iatrogener in-vivo-Modelle für den akuten Herzinfarkt sehr mechanisch und kommt den klinischen Bedingungen wie sie bei Infarktpatienten herrschen wenig nahe. Denn in der menschlichen Pathogenese eines Herzinfarkts werden die Herzkranzgefäße nicht einfach wie ein Rohr verschlossen, sondern sie stellt einen komplex wechselwirkenden multifaktoriellen und diffusen Prozess dar, der in seinem Verlauf von keinem Tiermodell imitiert werden kann. 641 Ein weiteres Problem der Unvergleichbarkeit von induzierten Herzinfarkten am Tiermodell ist das der Infarktgröße. Obschon die Sauerstoffversorgung des Myokards als eine speziesübergreifende physikalische Konstante betrachtet werden kann, ist die Größe des induzierten Infarkts aufgrund der Unvorhersehbarkeit der sich nach Infarkt ausbildenden Umgehungsgefäße und der verschiedenen Herzgrößen der jeweiligen Spezies nur schwer kontrollierbar.642 Generell entwickeln sich Herzinfarkte schnell und vollständig in Kaninchen, Mäusen, Ratten und Schweinen. Bei Hunden und Katzen hingegen ist dies nur begrenzt der Fall. Für die HerzKreislaufforschung der frühen 1980er Jahre war es eine große Überraschung, dass die eigentlich als Tiermodell sehr gut charakterisierten Meerschweinchen aufgrund

640 Gross, 1994, S. 428. 641 Vgl. Duelsner et al., Acta Physiol (Oxf). 2013, 208, 1-5, hier S. 1. 642 Vgl. Gross, 1994, S. 422.

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ihres gut ausgebildeten intrakoronaren Kollateralnetzwerkes überhaupt keinen Herzinfarkt entwickeln. 643 ‚translational gaps‘ und „methodologische Vorsichtsmaßnahmen“ im experimentellen Vorgehen nach Canguilhem Den Standardisierungsanstrengungen seitens der Experimentatoren stellt sich die Widerständigkeit des Organismus in den Weg, was Tiermodelle zu einem Kontingenzfaktor des experimentellen Entwurfsgeschehens macht: Der finale Grad einer Ischämie oder einer anderen induzierten Dysfunktion oder Insuffizienz des Herzens sind weder exakt reproduzierbar noch vorhersehbar.644 Dies wird in den Fachartikeln der kardiovaskulären Experimentatoren oft nicht genügend adressiert. Oftmals wird nur im obligatorischen „Material und Methoden“-Teil erwähnt, um welche Tierart es sich eigentlich handelt. Im Vordergrund stehen die Überlegenheit der eigenen methodologischen Annahmen und verwendeten Techniken, die zugleich gewisse Realitätsannahmen (häufig bereits im Titel oder Hypothesenteil der Artikel) einfach voraussetzen, ohne dabei die Limitationen und Vorbehalte zu adressieren, die hinsichtlich der verwendeten Versuchstiere und deren Vergleichbarkeit untereinander und zum menschlichen Organismus auftreten. In seinem bereits 1951 erschienen Aufsatz „Das Experimentieren in der Tierbiologie“ macht Canguilhem auf genau diesen Umstand aufmerksam: „[…] oftmals wäre es umsichtig und ehrlich, ein Kapitel zu ergänzen, in dem erklärt würde, dass es sich um die Physiologie dieses oder jenes Tieres handelt. Dann würden die Gesetze der Phänomene, die, hier wie anderorts, fast immer den Namen des Menschen tragen, der sie formuliert hat, immer auch den Namen des Tieres erhalten, das für das Experiment verwendet wurde: der Hund für die konditionierten Reflexe, die Taube für das Gleichgewicht, der Süßwasserpolyp für die Regeneration, die Ratte für die Vitamine und das mütterliche Verhalten, der Frosch, als ‚Hiob der Biologie‘, für die Reflexe, der Seeigel für die Befruchtung und die Teilung des Eis, die Drosphilia für die Vererbung, das Pferd für den Blutkreislauf usw.“ 645

‚translational gaps‘ verstanden als experimentelle Inkommensurabilitäten zwischen verschiedenen Spezies werden mittels der Produktion von Realitätsannahmen, die den Vergleichsbarkeitshorizont unzureichend reflektieren nicht nur nicht erwähnt, sondern – und dies ist viel gravierender – nicht in die experimentelle Fragestellung einbezogen: Die Wahl des Versuchstiers geschieht somit wie eingangs erwähnt „in selektiver Weise“ und „aufgrund der relativen Bequemlichkeit“ der zur Verfügung

643 Schaper et al., Prog Cardiovasc Dis, 1988, 31: 57-77, hier S. 57-58. 644 Vgl. Gross, 1994, S. 422. 645 Canguilhem, 2001 [1951], S. 10, Hervorh., TK.

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stehenden Ressourcen an Versuchstieren und der praktischen Erfahrungen des Experimentators.646 Canguilhem bietet in seinem Aufsatz vorzunehmende „methodologische Vorsichtsmaßnahmen“ im experimentellen Vorgehen an, die bis heute relevant sind, da sie solche ‚translational gaps‘ betreffen:647 1. Die „Spezifität der lebenden Formen“: mit dem Problem der vorbehaltlosen Extrapolation von experimentell gewonnenen Daten von einer Varietät zu einer anderen innerhalb derselben Art, von einer Art auf eine andere oder vom Tier auf den Menschen. 2. Die „Diversität der Individuen“: mit dem Problem, experimentell veränderten Organismen eine adäquate Kontrollgruppe zuzuordnen. 3. Die „Totalität des Organismus“: mit dem Problem, der Polyvalenz der Organe, die nicht zulässt, eine Organentnahme als eine einfache Subtraktion eines Teils von einem Ganzen zu betrachten, sondern unvorhersehbare Auswirkungen auf die Gesamtheit biochemischer Phänomene hat. 4. Die „Irreversibilität der lebendigen Erscheinungen“: mit dem entwicklungsbiologischen Problem, dass die Ablation eines Segments im Versuchstier in einem bestimmten (oftmals embryonalen) Stadium kompensiert werden, hingegen im voll ausdifferenziertem Stadium zu gravierenden Dysfunktionen oder zum Tode führen kann. Um dem 2. Problem der „Diversität der Individuen“ zu begegnen, müsste es Tiermodelle mit „vollständig homozyten Organismen“ geben; solches „Tiermaterial“ wäre nach Canguilhem aber eine rein „menschliche Fabrikation, das Ergebnis einer beständig wachsamen Segregation“. 648 Um dem 4. Problem der „Irreversibilität der lebendigen Erscheinungen“ zu begegnen, müsste man aktiv in die embryonale Entwicklung eingreifen können. Dies nicht nur, um gewisse Elemente im Organismus auszuschalten (zu „abladieren“, wie Canguilhem sich noch in chirurgischer Manier ausdrückt), sondern auch um andere Elemente überzuexprimieren (künstlich zu verstärken und hervorzuheben), die es dann gestatten, „eine Brücke zwischen der normalen Konstitution und der monströsen Form von gewissen Organismen“ zu schlagen.649 Canguilhem sah zum einen die enge Verbindung zwischen der Irreversibilität der lebendigen Erscheinungen und Diversität der Individuen und zugleich die Be-

646 Vgl. ebd. 647 Für folgende Punkte vgl. ebd., S. 10-14. 648 Ebd., S. 12. 649 Ebd., S. 14.

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grenztheit, ihre Beziehung für eine experimentelle Reproduzierbarkeit fruchtbar zu machen: „Man sieht somit, wie die Irreversibilität der biologischen Phänomene, die sich zur Individualität der Organismen hinzugesellt, dazu führt, dass die Möglichkeiten der Wiederholung und der Wiederherstellung von bestimmten Bedingungen eines Phänomens, bei Gleichbleiben alles anderen (was ein charakteristisches Verfahren des Experimentierens in den Wissenschaften der Materie bleibt), begrenzt ist.“650

Canguilhem konnte zu dieser Zeit (Anfang der 1950er) Jahre nicht ahnen, dass in den späten 1980er Jahren ein Verfahren zur Produktion von transgenen Mäusen entwickelt werden würde, das sowohl dem Problem der „vollständig homozyten Organismen“ von komplexen Tiermodellen (und nicht ‚nur‘ von einfachen Modellorganismen) und dem Problem der „Irreversibilität der lebendigen Erscheinungen“ mittels der Ausschaltung bzw. der Überexpression von krankheitsrelevanten Gensequenzen entgegnen kann. Der sich in der Rhetorik von Fachartikeln und Forschungsanträgen niederschlagende Optimismus, in-vivo-Modelle zu entwickeln, die mittels der Gentechnologie ohne großen Aufwand auf den Menschen zu übertragen sind, war in der Forschungsliteratur der späten 1990er und frühen 2000er Jahre präsent. Das folgende dritte Kapitel berichtet von diesem Optimismus im Rahmen des SFB 612. Es ist zu zeigen, wo trotz der eingesetzten zielgerichteten (dispositionellen) gentechnischen Methoden die Widerständigkeit und Materialität des Organismus den Experimentatoren ‚einen Strich durch die Rechnung‘ zog und unvorhersehbare Kontingenzräume aufspannte. Zugleich soll im Laufe des Kapitels die zentrale Frage geklärt werden, ob die transgene Maus das Potenzial hat, die oben ausgemachten ‚translational gaps‘ zu füllen und ob sie so eine Brücke zwischen Labor und Klinik herstellen kann. Dazu ist es zunächst notwendig, einleitend auf den Kontext der SFB 242 und SFB 612 einzugehen, um anschließend die wissenschaftshistorischen und experimentaltechnischen Dispositionen vorzustellen, die es erlaubten, die Maus zunächst in ein Labortier und anschließend in einen genveränderten Organismus zu transformieren.

650 Ebd., S. 15.

3. Projekt-Ereignisse: Mausmodelle im Sonderforschungsbereich 612

Nachdem die Forschungen des Sonderforschungsbereiches (SFB) 30 im Jahre 1985 abgeschlossen wurden, folgte im direkten Anschluss ein weiterer kardiovaskulärer SFB in Düsseldorf, der SFB 242 „Koronare Herzkrankheit, Prävention und Therapie akuter Komplikationen“ (Förderzeitraum 1986-1997, Fördersumme ca. 20 Mio. DM). Die Antragsstellung des SFB 242 bereitete zugleich an verschiedenen Stellen einen Generationswechsel im kardiovaskulären Nukleus der Universität Düsseldorf vor.1 Mit der Einrichtung des SFB 242 war zugleich der Übergang von einer ‚mechanischen‘ auf die Hämodynamik fokussierte zu einer molekularen auf Stoffwechselvorgänge und Signalwege ausgerichtete kardiovaskuläre Forschung in Düsseldorf in vollem Gange. Vor allem die durch den Verbund erbrachten Arbeiten in der Koronarphysiologie und der damit verbundenen endothelialen Zellbiologie waren an diesem methodischen und konzeptionellen Übergang beteiligt, ohne dass jedoch hämodynamische Parameter und Messungen trotz der neuen molekularen Methoden und Perspektiven obsolet wurden (vgl. Kap. 2.5.2.1 und 3.3). Insbesondere die Arbeitsgruppe um den bereits im SFB 30 aktiven und 1984 berufenen HerzKreislaufphysiologen Jürgen Schrader (*1942, derzeit [2017] Direktor des Instituts für Molekulare Kardiologie) charakterisierte verschiedene Vasodilatatoren (gefäß-

1

Nachdem Franz Loogen 1986 emeritiert wurde, übernahm der Pathologe Waldemar Hort die Sprecherfunktion des neuen SFB 242. Später übernahm der 1987 berufene Direktor der Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie Bodo-Eckhart Strauer (*1943) diese Funktion. Neben Loogen schieden auch der Pharmakologe Kurt Greeff und der Anästhesist Martin Zindler sowie der Pathologe Waldemar Hort und der Chirurg Wolfgang Bircks in der Projektlaufzeit des SFB 242 aus (Arbeitsbericht des SFB 242 für die Jahre 1986-1988, S. 1, in: Dt. Zentralbibliothek für Medizin, Köln und Arbeitsbericht des SFB 242 für die Jahre 1992-1994, S. 5, in: ULB Düsseldorf, siehe Lit.verz., AQ: Arb./ Abschl.ber. SFB 242).

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erweiternde Stoffe), wie u.a. Adenosin, welche im Endothel produziert werden. Im Laufe der 1980er Jahre kamen weitere, für den Koronarkreislauf wichtige vasodilatatorische Faktoren hinzu: So wurde im Teilprojekt A5 des SFB 242 (Schrader, Förderperiode 1986-1988) deutlich, dass Endothelzellen unter Ruhebedingungen auch Stickstoffmonoxid („nitric oxide“, NO) als freies Radikal freisetzen. 2 Malte Kelm (*1960, damals Postdoc bei Schrader, seit 2009 Direktor der Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie) und Kollegen zeigten in diesem Zusammenhang durch eine genaue Quantifizierung der NO-Freisetzungsraten, dass NO die vasodilatatorischen Eigenschaften des in den vorherigen Jahren weltweit vieldiskutierten „EDRF“ („endothelial-derived-relaxing-factor“) vollständig erklären kann.3 Ein wichtiger Mosaikstein für die Identifizierung von EDRF und NO kam also aus dieser, dem SFB 242 angehörigen Düsseldorfer Arbeitsgruppe (siehe Kap. 3.4.7.1). Neben den NO-Forschungen war die Etablierung einer experimentellen Plattform zur Magnetresonanzspektroskopie (MRT, Kap. 3.4.3 und 3.4.4) zur Analyse des kardialen und endothelialen Energiestoffwechsels wichtige projektspezifische Disposition für den SFB 612 „Molekulare Analyse kardiovaskulärer Funktionen und Funktionsstörungen“ (Förderzeitraum: 2002-2012, Fördersumme ca. 14,5 Mio. €, Sprecher: Jürgen Schrader).4 Bereits im Rahmen des SFB 242 avancierte die Maus zum Tiermodell der ersten Wahl. Dies lag vor allem daran, dass man in Düsseldorf bereits in den frühen 1990er Jahren mit der Etablierung von Laborinfrastrukturen zur Herstellung von transgenen Mäusen begann, die es ermöglichten, gezielt Gene auszuschalten bzw. überzuexprimieren, um gegebenenfalls selektive in-vivo-Modelle für kardiovaskuläre Erkrankungen herzustellen. Bevor die Geschichte und die Prinzipien dieser Technologie vorgestellt werden, erfolgt eine Darstellung der Transformation der Maus zum Labortier, mit dem Ziel, die Herkunft, die Umgebung und die Funktion der Maus als Modell in der kardiovaskulären Forschung herauszuarbeiten.

2

Arbeitsbericht des SFB 242 für die Jahre 1986-1988, S. 62, in: Dt. Zentralbibliothek für Medizin, Köln.

3

Kelm et al., Biochem Biophys Res Commun. 1988;154:236-44.

4

Abschlussbericht des SFB 612, Universität Düsseldorf, 2014, S. 7, in: Privatarchiv des SFB 612, (Lit.verz., AQ: Arb./Abschl.ber. SFB 612).

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3.1 DISPOSITIONEN I: DIE MAUS ALS LABORTIER Die folgenden Ausführungen sollen einen Überblick geben, wie sich die Maus zu einem Labortier transformierte und fester Bestandteil von Experimentalsystemen wurde. Hierfür sollen folgende Fragen beantwortet werden: • Woher kommt die Labormaus und wie wurde sie standardisiert? • In welche Umgebung wird sie für ihre experimentelle Verwendung eingebettet? • Wie funktioniert sie als Modell in Experimentalsystemen?

3.1.1 Herkunft der Labormaus Die Maus ist in der biologischen und medizinischen Forschung das am besten untersuchte Säugetier. Bereits der Arzt und Anatom William Harvey (1578-1657), der 1628 als erster den Blutfluss als Kreislauf beschrieb, machte Versuche mit Mäusen, Ratten und anderen Nagern. Im 18. Jahrhundert verwendete z.B. der Chemiker Antoine Lavoiser (1743-1794) Mäuse für Respirationsexperimente. 5 Im 19. Jahrhundert tauschten Hobbyzüchter untereinander Mäuse als Haustiere und segregierten und kreuzten verschiedene Mausstämme nach unterschiedlicher Fellfarbe und/oder Verhalten. Auch der Begründer der modernen Vererbungslehre Gregor Mendel (1822-1884) soll mit Mäusen experimentiert haben, wurde aber von seinem Ordensoberen aufgefordert, die Versuche mit diesen „schrecklich stinkenden und kopulierenden Kreaturen“ zu stoppen.6 Nachdem die bereits 1866 publizierten heute sogenannten „Mendel’schen Regeln“ erst Anfang des 19. Jahrhunderts wiederentdeckt wurden,7 versuchte zunächst der Genetiker Ernest Castle (1867-1962) und dann sein Schüler Clarence Cook Litt-

5

Guénet/Bonhomme, in: Hedrich/Bullock (Hg.), 2004, S. 8 (im ersten Kapitel).

6

Ebd., Übersetzung, TK.

7

Ebd. Foucault, 1991 [1972], S. 24 verweist auf Mendel und zeigt, dass er seiner Zeit weit voraus war und von daher bei seinen Zeitgenossen nicht „im Wahren“ lag: „Das liegt daran, dass Mendel von Gegenständen sprach, dass er Methoden verwendete und sich in einen theoretischen Horizont stellte, welche der Biologie seiner Epoche fremd waren. […] Mendel ist es, der das Erbmerkmal als absolut neuen biologischen Gegenstand konstituiert, indem er eine bis dahin unbekannte Filterung vornimmt: er löst das Erbmerkmal von der Art ab, er löst es vom Geschlecht ab, das es weitergibt; und der Bereich, in dem er es beobachtet, ist die unendlich offene Serie der Generationen, in der es nach statistischen Regelhaftigkeiten auftaucht und verschwindet. Dieser neue Gegenstand erfordert neue begriffliche Instrumente und neue theoretische Begründungen. Mendel sagte die Wahrheit, aber er war nicht ‚im Wahren‘ des biologischen Diskurses seiner Epoche […].“

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le (1888-1971), die Mendel’schen Regeln auf die Mäusezucht anzuwenden. Little schaffte es bis in die späten 1920er Jahre, zwei „pure“ Mausstämme, die dba-Maus („dilute brown non-agouti“) und die C57BL-Maus8 für die Krebsforschung zu züchten.9 Diese Stämme finden bis heute weitverbreitete Anwendung. Schon in der frühen Forschung zur Vererbung von Krebs und den Experimenten zur Transplantation von Tumoren stand die Maus zwischen der neu aufkommenden genetischen Grundlagenwissenschaft und klinisch ausgerichteter Forschung. Karen Rader stellt in ihrer 2004 erschienen Geschichte zur Standardisierung der Labormaus in der USamerikanischen Biomedizin fest: „[This early] collaborative work [between medical doctors and genetics researchers] actually employed a fairly loose combination of genetic and medical research practices. The 1916 papers, for example, included tables of expected Mendelian types as well as pathological charts of individual mice and sketches of the progress of their tumors over the course of an experiment. But their conclusions ultimately confirmed the power of inbred mice as tools for studying multifactional heredity. Because of the mathematical precision of Little’s Mendelianbased theory predictions, the multifactional hypothesis of cancer transmission could, by definition, be probed experimentally only with inbred strains.“10

Die Maus stand also bereits zum Beginn ihrer Entwicklung zum Labortier Anfang des 20. Jahrhunderts zwischen den epistemischen Feldern des Labors und der Klinik. Schon damals erhoffte man sich von dem Versuchstier eine Brückenfunktion, um das Programm der Genetik auf klinisch relevante Fragestellungen zu münzen.11 Dazu bedurfte es aber verschiedener Transformationsschritte: Zunächst musste die

8

Die Code-Nummer 57 ist auf die Farm zurückzuführen, von der die Mäuse ursprünglich stammten, BL steht für die Fellfarbe Black/Schwarz.

9

Siehe die „Timeline. The Mouse Genome“ zur Geschichte der Labormaus, in: Mouse Genome Sequencing Consortium, Nature. 2002 Dec 5;420(6915): 510.

10 Rader, 2004, S. 46. 11 Dies nicht ohne Kontroversen. Rader zeigt eine über 30 Jahre anhaltende Debatte zwischen Clarence Cook Little und Maud Slye (1879-1954), bei der es im Kern um die Stringenz der Anwendung der Mauslinien ging. Folgte der (frühe) Genetiker Little deduktiv den theoretischen Vorgaben Mendels, um an wissenschaftliche Aussagen zu kommen, so präsentiert die Pathologin Maud Slye eher Fallanalysen sowie pathologische Verläufe und postuliert von dort aus (induktiv) die Vererbung bestimmter Arten von Krebs (vgl. ebd., S. 21 und 47 ff.). Dies untermauert die Feststellung, dass die Maus von Anfang an ihrer Verwendung als Labortier konzeptionell sowie materiell (wegen der Transplantation von menschlichen Krebszellen in Mäuse) zwischen Labor und Klinik situiert war.

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Maus von einem gezüchteten Haus- zu einem genetisch purifizierten Labortier werden, um hinterher als Tiermodell in Experimentalsystemen zur Verfügung zu stehen. Die Maus eignete sich hierfür besonders gut, weil sie folgende Eigenschaften besitzt, die für den Einsatz als Labortier von Vorteil sind:12 • Mäuse sind aufgrund ihrer kleinen Größe, ihrer hohen, ganzjährlichen Reproduk-

tionszahlen, ihrer breitgefächerten Nahrungsaufnahme und ihres anpassungsfähigen Verhaltens relativ einfach im Labor zu züchten. Aufgrund ihrer kurzen Lebensspanne lassen sich verschiedene Lebensprozesse in einer überschaubaren Zeitspanne beobachten. • Ihre genetische Plastizität und Widerständigkeit macht sie zu einem effizienten Werkzeug für die Zucht von genetisch ‚reinen‘ Mausstämmen im Rahmen der Genforschung. Die Hobby-Mauszüchter des späten 19. Jahrhunderts lieferten mit der Zucht vom Mäusen mit reiner Fellfärbung, Fellvarianten und Körpergrößen die Grundlage für die Produktion einer großen Anzahl von Inzuchtstämmen, die aus genetisch identischen Tieren bestanden. Diese wiederum eigneten sich aufgrund ihrer minimierten genetischen Varianz besonders für die genetische Manipulation in Experimenten. • Wie der Mensch ist die Maus ein sehr anpassungsfähiges und in großen Gemeinschaften lebendes Säugetier. Maus und Mensch liegen aufgrund einer Vielzahl von gemeinsam konservierten Genen in der Evolutionsgeschichte sehr nahe bei einander. Von daher wurde die Maus bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als effizientes Modell für in-vivo-Untersuchungen von biologischen Prozessen in Säugern herangezogen. Um die Maus von einem Haus- in ein Labortier zu transformieren, wurde die Maus zu einer Ressource für die Bereitstellung von biologischem Forschungsmaterial. Auf materieller Ebene bedurfte es einer auf einen oder wenigen Stämme mit homogenisiertem genetischen Background konzentrierte Tierhaltung,13 um die gewünsch-

12 Für folgende Punkte siehe Davies, Body & Society 2012, 18 (3-4): 126-155, hier S. 130. Die Fußnote auf S. 130 mit den hier aufgegriffenen Erläuterungen der Eigenschaften der Maus als „‚ideal‘ laboratory animal“ wurde in der Veröffentlichung leider entfernt. Der hier zugrunde gelegte Artikel wurde als „pre-review copy“ am 13.03.2013 von der Internetseite der University of Exeter heruntergeladen, unter: https://ore.exeter.ac.uk/ repository/handle/10871/14253. Die Fußnote wurde leider auch in der aktuellen auf der Internetseite zum Download angebotenen „post-print“-Version entfernt (Stand: 06.05.2017). 13 Amann, in: Hagner/Rheinberger/Wahrig-Schmidt (Hg.), 1994, S. 274.

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ten Vererbungseigenschaften der Tiere zu stabilisieren. Auf konzeptionell-theoretischer Ebene musste die genetisch purifizierte Maus mit einer Reihe von bekannten Forschungsansätzen der sich Anfang des 20. Jahrhunderts schnell verbreitenden Mendel’schen Genetik effektiv verknüpft werden.14 Als Vorbild dienten bereits gut etablierte genetische Modellsysteme wie z.B. Drosophila-Mutanten (Fruchtfliegen), die in der klassischen Genetik als Kartierungsmarken (Instrumente) verwendet wurden, um die relative Lage von Genen auf Chromosomen zu erkunden und festzulegen. 15 Nachdem gezeigt wurde, dass die Mendel’sche Genetik auch auf Säugetiere zutraf, wurde die Maus als Labortier interessant. Mausgenetiker trugen mit ihren kollaborativen Anstrengungen dazu bei, dass sich einige Stämme in Windeseile verbreiteten und hielten die Linien durch genetische Standardisierungsverfahren stabil. Mit der Gründung des Jackson Laboratory in Bar Harbour im US-amerikanischen Bundestaat Maine im Jahre 1929 institutionalisierte sich eine bereits in den Jahren zuvor begonnene umfangreiche Kommerzialisierung der Produktion von Labormäusen. Die Tiere wurden nach tayloristischen Prinzipien gezüchtet, gehalten und schon in den 1930er Jahren an Kunden (zumeist Labore) der gesamten US-Ostküste verschickt.16 Auch aufgrund dieser ab Ende der 1930er Jahre staatlich geförderten Kollaborationsanstrengungen (vornehmlich im Bereich der Krebs- und Tumortransplantationsforschung) wurden die gezüchteten Mäusestämme nach und nach neu klassifiziert und unter jeweils spezifischer Nomenklatur 17 in Katalogen zum Kauf angeboten. Diese Maus-Kataloge führten die ‚Produkteigenschaften‘ der verschiedenen genetisch purifizierten Linien auf (von Fellfarbe über Größe/Gewicht bis hin zu experimentell wichtigen Eigenschaften wie Transplantationstoleranz etc.) und enthielten selbst Informationen über nicht fortgeführte Produkte, also ausgestorbene Mauslinien. 18 Die Genealogie der im Jackson Laboratory gezüchteten bzw.

14 Rader, 2004. S. 41. 15 Rheinberger, 2006, S. 322. 16 Rader, 2004, S. 99. 17 Mäuse aus dem Jackson Laboratory werden heute nach den Richtlinien des „International Committee on Standardized Genetic Nomenclature for Mice“ benannt. Für Wissenschaftler, die für ihre Forschung entsprechende Mausstämme benötigen, ist es von großer Bedeutung, die Namen dieser Stämme zu kennen, um die für ihre Fragestellungen richtigen Tiere auszuwählen. Für die komplizierte Nomenklatur der Mäuse gibt es mittlerweile ganze Internetseiten mit Handbüchern und Tutorials. Siehe „Nomenclature for Mouse Strains“, in: Internetseite des Jackson Laboratory, unter: https://www.jax.org/jax-miceand-services/customer-support/technical-support/genetics-and-nomenclature, Stand: 24.10.2016. 18 Vgl. Amann, in: Hagner/Rheinberger/Wahrig-Schmidt (Hg.), 1994, S. 273.

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verwendeten Mausstämme, lässt sich anhand von veröffentlichten Stammbäumen von heute bis ins frühe 20. Jahrhundert zurückverfolgen.19 Nach eigenen Angaben geht das Jacksons Laboratory davon aus, dass weltweit bis zu 95 % aller Mausmodelle aus dieser Institution stammen. 20 Die in solchen Mausfabrikationsstätten gezüchteten Mausstämme enthalten homozygote (reinerbige) Tiere, die ständig durch Neukreuzungen stabilisiert werden müssen und mit den ursprünglichen Subspezies, aus denen sie entstammen eigentlich nichts mehr zu tun haben. „[…] today’s classical laboratory strains should be regarded as interspecific recombinant strains derived (in unequal percentages) from three parental components: Mus m. domesticus [Herkunft Osteuropa, TK], Mus m. musculus [Herkunft Westeuropa, TK] and Mus m. castaneus [Herkunft Südostasien, TK]. For this reason, and to point to a relatively unnatural genetic constitution, it would probably be more appropriate to designate them as Mus m. ‚laboratorius‘!“21

Die Labormaus ist also seit Langem von der äußeren Umwelt abgekoppelt und in eine analytische Umgebung eingebettet, die experimentelle Manipulation und Intervention an vergleichbaren Organismen (und damit die Produktion von forschungsrelevanten Differenzen) erst ermöglicht. Die Anforderungen und lokalspezifischen Charakteristika solcher „analytischen Infrastrukturen“ (verstanden als lokalspezifische Dispositionen)22 zur späteren Herstellung und Modellierung transgener Mäuse

19 Für einen solchen von Jackson Laboratory selbst veröffentlichten Stammbaum siehe das herunterladbare PDF-Dokument „Genealogy Chart of Inbred Strains“, unter: http://www. informatics.jax.org/mgihome/genealogy/, Stand: 24.10.2016. 20 Rader, 2004, S. 8. 21 Guénet/Bonhomme, in: Hedrich/Bullock (Hg.), 2004, S. 10 (im 1. Kap.). 22 Wie bereits in Kap. 1.2 der vorliegenden Arbeit erwähnt, nutzen Plattformen verstanden als projektspezifische Dispositionen zwar Infrastrukturen, sind mit ihnen aber nicht gleichzusetzen, weil sie viel spezialisierter und generativer einsetzbar sind als einfache passive Infrastrukturen (vgl. Keating/Cambrosio, 2003, S. 326). Beim dem im Folgenden aufgegriffenen Begriff der „analytischen Infrastruktur“ von Amman ist das Attribut „analytisch“ entscheidend, weil es sich auf die bestimmten Herstellungskontexte zur Modellierung von Labormäusen für Experimente bezieht. „Analytische Infrastrukturen“ sind damit zugleich spezieller und vielfältiger anwendbar als allgemein zugängliche Infrastrukturen (vgl. Amann, in: Hagner/Rheinberger/Wahrig-Schmidt [Hg.], 1994, S. 267268).

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soll im Folgenden mit dem Wissenschaftssoziologen Klaus Amann 23 und am Beispiel der Zentralen Tierversuchsanlage (TVA) in Düsseldorf verdeutlicht werden.

23 Nach Amann bringt die Labormaus als Element von „experimentellen Modellierungsprozessen“ durch ihre Einbettung in eine „analytische Infrastruktur“ (bzw. in ein durch bestimmte Bedingungen stabil gehaltenes „Laboratop“) eine von ihm sogenannte „zweite Natur“ hervor: „Das biologische Labor gewinnt mit ihnen [den Modellierungsprozessen] jenseits seiner Eigenschaft als ein technisches Arrangement zur Dekonstruktion von Lebewesen, das zur Produktion eines Wissens um deren Eigenschaften und Funktionsweisen genutzt werden kann, die Bedeutung einer zweiten Natur. Es tritt als Bezugsgröße der Wissensproduktion an die Stelle einer natürlichen Natur, in der wir noch mit vertrauten oder unvertrauten Organismen eine Lebenswelt bewohnen.“ (Amann, in: Hagner/Rheinberger/WahrigSchmidt [Hg.], 1994, S. 270, Hervorh. im Original) Auch wenn Amanns Ausführungen zur Charakterisierung von „analytischen Infrastrukturen“ als dispositionelle Umgebungen für Labormäuse bestechen und für den folgenden Punkt der vorliegenden Arbeit herangezogen werden, wird die Dichotomisierung zwischen einer ersten „natürlichen“ und einer zweiten im Labor erzeugten ‚artifiziellen‘ Natur hier nicht weiter vertieft. Denn diese Unterscheidung suggeriert eine vorgängige vom Labor noch ‚unberührte‘, „natürliche Natur“ und postuliert damit ein Außen, das es so gar nicht gibt. Die Maus und andere Nager haben nicht nur für sich selbst eine Art ‚Sozialleben‘, sondern waren bereits lange vor ihrer Nutzung als Labortiere mit sozialen und historischen Kontexten des Menschen eng verbunden. Die Anthropologin Gail Davies bringt diesen Aspekt wie folgt auf den Punkt: „Rats and mice disturb modern ideals of circulation and globalization, following trade routes, bringing disease and disruption, inhabiting transport networks, scurrying through the sewers and other mazes of modernity. Mice have travelled to all parts of the globe occupied by humans, following waves of human migration, and enjoying population explosions around settled forms of farming and calorific urban environments (Boursot et al. 1993). They are a diverse and adaptable species, able to live in all environments from the tropics to the tundra (Berry, 2008), from warm apartment blocks to cold meat stores. They live socially, in anything from small family groups to swarms of literally thousands of animals.“ (Davies, Geoforum, 2013, 48, S. 268-278, hier S. 274) Nicht nur aufgrund dieser mit dem Menschen eng gekoppelten ‚Sozialgeschichte‘ der Maus ist auch die Unterscheidung zwischen ‚Natur‘ und ‚Kultur‘ nicht zielführend. Ohne diese Debatte hier weiter vertiefen zu können, sei auf Latours Begriffspaar Naturen/Kulturen hingewiesen, das auch Amanns Unterscheidung einer ersten „natürlichen“ und einer „zweiten“ durch das Labor erzeugten oder manipulierten Natur unterläuft: „Wie kann man einen radikalen Unterschied machen zwischen der universellen Natur und der relativen Kultur? Aber gerade der Begriff Kultur ist ein Artefakt, das wir durch Aus-

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3.1.2 Die Umgebung der Labormaus Die Räume, in denen Mäuse in experimentaltechnische Settings eingebettet und zu epistemischen Dingen modelliert werden, haben folgende infrastrukturelle Anforderungen, die bis heute als gegebene Dispositionen betrachtet werden können. Unter ähnlichen Bedingungen wurden die in Kap. 3.3 und Kap. 3.4 zu untersuchenden SFB-Mäuse in der Zentralen Tierversuchsanlage (TVA) der Universität Düsseldorf (HHU) gezüchtet:24 • die Systematisierung der Züchtung durch professionelle und/oder kommerzielle

Labors; • die Erzeugung von reinen Rassen durch spezielle Züchtungsverfahren (und die

damit verbundenen Aufwendungen für veterinärmedizinisches Personal); • die Standardisierung von Haltungsbedingungen (und die damit verbundenen Aufwendungen für Pflegepersonal);25 • die Dokumentation von Forschungsergebnissen an und mit Varianten sowie deren Pflege und Erhaltung; • die rigorose Kontrolle des Zugangs von neuem Material in die forschungsinternen Prozesse.

klammern der Natur produziert haben. Es gibt ebensowenig Kulturen – unterschiedliche oder universelle –, wie es eine universelle [bzw. eine ‚erste‘, ‚natürliche‘ oder ‚zweite‘, ‚artifizielle‘, TK] Natur gibt. Es gibt nur Naturen/Kulturen: sie bilden die einzige Grundlage für einen möglichen Vergleich.“ (Latour, 2013 [1991], S. 138, Hervorh. im Original) 24 Siehe für folgende Aufzählung Amann, in: Hagner/Rheinberger/Wahrig-Schmidt (Hg.), 1994, S. 272-273. 25 Die Gesellschaft für Versuchstierkunde/Society of Laboratory Animal Science (GVSOLAS) gibt regelmäßig aktualisierte Handlungsempfehlungen und Leitlinien für „tiergerechte Laborhaltung“ heraus. In diesen Dokumenten werden nicht nur haltungsrelevante Aspekte der Biologie der Labormaus und Richtlinien für die verschiedenen Haltungssysteme wie Käfige und den damit verbundenen Flächenanforderungen, Klimatisierungen und Belichtungen der Versuchsanstalten selbst, sondern auch Maßnahmen für das sogenannte „environmental enrichment“ thematisiert. Hierunter fällt z.B. „das Einbringen von geeigneten Materialien und/oder Strukturen in den Käfig, welche natürliches Verhalten fördern und die Befindlichkeit der Tiere verbessern sollen. Damit sollen Defizite der früher üblichen, weitgehend unstrukturierten und damit sehr reizarmen Haltungsform vermieden werden.“ (Ausschuss für Tiergerechte Labortierhaltung der Gesellschaft für Versuchstierkunde, „Tiergerechte Haltung von Labormäusen“ [August 2014], in: Internetseite der GV-SOLAS, unter: http://www.gv-solas.de/index.php?id=35, Stand: 14.04.2017)

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Um alle diese Anforderungen an die Tierzucht und -haltung erfüllen zu können und um eine dauerhafte Qualitätsverbesserung der Versuchstiere zu erreichen, wurde an der Universität Düsseldorf bereits 1972 (sechs Jahre vor der Eröffnung des Neubaus zentralen TVA, siehe Kap. 2.1.4) ein hauptamtlicher Leiter für die tierexperimentelle Einrichtung eingestellt. Der Zukauf von Versuchstieren von externen Händlern hatte oft hygienische Probleme mit Infektionen und anderen Kontaminationen zur Folge, sodass eigene, von Fachpersonal betreute Tierzuchten und Impfprogramme in der TVA aufgebaut und externe Tiere nur noch aus kontrollierten und tierärztlich überwachten Versuchstierzuchten beschafft wurden.26 So verringerte sich der Anteil der von externen Händlern bezogenen Versuchstiere in gut zehn Jahren von 90 % (1971) über 20 % (1975) bis hin zu ca. 5 % (1982).27 Damit wurde der Verbrauch von Versuchstieren in den genannten Jahren deutlich eingeschränkt. Diese Entwicklung wurde auch durch die zunehmende Herstellung institutseigener Zuchten begünstigt, im Rahmen derer die ersten ‚hauseigenen‘ Ratten und Mäuse im Jahre 1974 hergestellt wurden.28 Eine Übersicht, der zwischen 1972 und 1992 in der TVA verwendeten Versuchstiere (Gesamtzahl laut TVA-Abgabelisten) macht deutlich, dass Nager die Versuchstiere der ersten Wahl waren und bis in die frühen 1990er Jahre hinein die Maus noch deutlich hinter der Ratte lag: Wurden in den 20 Jahren insgesamt 264.755 Ratten (über 50 % der Gesamtzahl) verwendet, so wurden ‚nur‘ 105.165 Mäuse (20,1 % der Gesamtzahl), gefolgt von 98.716 Meerschweinchen (18,8 % der Gesamtzahl). Von den größeren Wirbeltieren waren Katzen (11.798) und Hunde (7.131) die meist verwendeten Versuchstiere. 29 Die Maus wurde an der Universität Düsseldorf bis 1992 regelmäßig in den Fachrichtungen Pathologie (Mitgliedsinstitut des SFB 30 und SFB 242), Physiologie (Mitgliedsinstitut des SFB 30 und SFB 242, hierzu zählten auch einige Mitglieder der Klinik für Kardiologie, die ihre Forschungen im Physiologischen Institut vornahmen), Pharmakologie (Mitgliedsinstitut des SFB 30 und SFB 242), Genetik und Mikrobiologie sowie von den klinischen Fächern Dermatologie, Hals-NasenOhren Heilkunde und Gynäkologie eingesetzt. Durch das erhöhte Raumangebot ab 1979 (bedingt durch den Bezug des Neubaus der TVA) konnten die bereits 1974 etablierten Stämme der NMRI-Maus30 und NZO-Maus31 stabilisiert bzw. nach einer

26 Nefen, 1997, S. 13. 27 Ebd., S. 18. 28 Ebd. 29 Ebd., S. 10-11. 30 Ein ursprünglich in den 1920er Jahren in der Schweiz gezüchteter Stamm, der aufgrund seiner Immun-schwäche häufig als Modell für Infektionskrankheiten eingesetzt wird. Siehe hierzu: „NMRI“, in: Internetseite des kommerziellen Anbieters Janvier-Labs mit

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Pockenepidemie nahezu komplett neu aufgebaut werden. Neben weiteren Stämmen verschiedener Nacktmäuse wurden die bis heute in der Biomedizin am meisten verwendeten Mausstämme C3H und C57BL (s.o.), die beide bereits seit den 1920er Jahren von den Jackson Laboratories vermarktet werden, herangezüchtet. 32 Im Gegensatz zur Spezies Ratte wurden in der TVA bei der Spezies Maus nur weibliche Tiere im Versuch gehalten, da männliche Tiere ein aggressives Verhalten gegenüber gleichgeschlechtlichen Mäusen aufweisen. 33 Wie bereits in den Ausführungen zur TVA in Kap. 2.1.4 erwähnt, lösten seit Ende der 1990er Jahre gentechnisch veränderte Mäuse die Ratte als Versuchstier der Wahl ab, woraufhin die Einrichtung bereits im Jahre 2007 über 200 und derzeit (2017) ca. 500 verschiedene Linien transgener Mäuse züchtet.34 Tierschutzrechtliche Regularien Aber nicht nur die Verantwortlichen für die Mäusezucht mussten sich an Vorschriften und gesetzliche Regelungen und Kontrollen halten. Auch die Experimentatoren selbst mussten ihre Versuche vor dem Tierschutzgesetzt, welches seit seinem Inkrafttreten 1972 in den Jahren 1987 und 2002 aktualisiert wurde,35 rechtfertigen: Alle mit Schmerzen, Leiden oder Schäden verbundenen Tierversuche bzw. deren Züchtung und Haltung bedürfen einer schriftlichen Genehmigung des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (kurz LANUV). Ein Antrag auf Genehmigung eines Tierversuchs muss (nach vorgegebenen Muster) wissenschaftlich begründen, warum es unerlässlich ist, den Versuch durchzuführen. Es muss erklärt werden, zu welchem Zweck er mit welchen Methoden umgesetzt wird. Darüber

näheren Informationen zur Genealogie und Verwendung, unter: http://www.janvierlabs.com/forschungsmodelle/per-arten/auszucht-maeuse/product/nmri.65.html, Stand: 25.10.2016. 31 Dieser Stamm, auch „New Zeeland Obese“ genannt, entstammt einem Labor aus Neuseeland und wurde 1948 nach England gebracht. Diese Mäuse neigen zu Übergewicht und sind von daher für die Erforschung von Diabetes geeignet. Die Stämme werden mittlerweile vom Jackson Laboratory vertrieben. Siehe „Mouse Strain Datasheet-002105“, in: Internetseite des Jackson Laboratory, unter: https://www.jax.org/strain/002105, Stand: 25.10.2016. 32 Vgl. Nefen, 1997, S. 38-39. 33 Ebd. 34 Treiber, in: Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 507, letztere Zahl aus persönlicher Mitteilung vom 17.03.2017 des Projektleiters Gentechnik der ZETT. 35 Siehe „Nichtamtliches Inhaltsverzeichnis des Tierschutzgesetztes“, in: Internetseite des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, unter: https://www.gesetzeim-internet.de/tierschg/BJNR012770972.html, Stand: 25.10.2016.

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hinaus muss nachgewiesen werden, dass eine fachliche Eignung der ausführenden Personen (inkl. Kenntnisse der Narkotisierung) sowie die Geräte und Mittel zur Durchführung des Versuchs vorhanden sind und dass die Betreuung und Unterbringung der Tiere den gesetzlichen Vorschriften entspricht. 36 Willkürlichen Haltungsbedingungen und ‚entfesselten‘ Experimenten an Mäusen soll durch solche Maßnahmen Einhalt geboten werden. Denn die Tiere sind in einer analytischen (und zugleich juristisch abgesicherten) Infrastruktur eingebettet, die sowohl Forscher (und deren Vorhaben), Tierzüchter und Tierschutzbeauftragte, Behörden und Gesetzestexte, Hochschulgremien als auch Apparaturen und andere Experimentalvorrichtungen, Gebäude und Prozessabläufe – kurz menschliche und nicht-menschliche Akteure – auf den Plan ruft. Die Standardisierung der Maus zu Modellsystemen Die Segregations- und Standardisierungsbemühungen der Produktionsstätten und die Forschungsvorhaben der (antragsstellenden) Experimentatoren werden durch Klassifikationsinstitutionen unterstützt, die für die Einhaltung und Weiterentwicklung der Benennung von Bestandteilen des genetischen Materials sorgen. Dieses Material wird weltweit in Laboren analysiert, auf der genomischen Karte der Maus lokalisiert und dann allgemeinverbindlich eingetragen. 37 So war die Maus das erste Säugetier, dessen Genom im Jahre 2002 komplett sequenziert wurde und welches freizugänglich im Internet abgerufen werden kann.38 Die Maus ist, so wie man sie heute im Labor vorfindet also schon immer ein wissenschaftliches Produkt, das einen Namen bzw. eine Stammnummer und eine Vielzahl forschungsrelevanter Eigenschaften besitzt, die ihm mittels genetischer

36 Fetz, in: Studierende für Transparenz im Tierversuch & AStA der HHU (Hg.): TRANPARENZ. Tierversuche an der HHU, 1. Auflage, Februar 2014, S. 6-7, (Lit.verz., Bücher, Monographien und Aufsätze). 37 Amann, in: Hagner/Rheinberger/Wahrig-Schmidt (Hg.), 1994, S. 273. 38 U.a. Rader, 2004, S. 10 und Müller-Wille/Rheinberger, 2009, S. 101. Für eine Darstellung des vollständigen Mausgenoms siehe z.B. die seit Anfang 2000 bestehende Internetseite des „Ensembl Projects“. Die Darstellung kann als eine Synopse des gesamten Mausgenom-Projekts angesehen werden, das weltweit viele Kollaborationen einbezieht. Man kann Sequenzen des Genoms von eigenem Interesse per Mausklick auswählen und erhält eine graphische Zusammenfassung des jeweiligen Chromosoms bzw. eine Detailansicht einer bestimmten Region. Überdies kann das Genom der Maus mit dem des Menschen oder anderer Spezies digital verglichen werden. In: Internetseite des „Ensembl Project“, unter: http://www.ensembl.org/Mus_musculus/Location/Genome, Stand: 24.10.2016.

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Manipulationen abgerungen und/oder zugefügt wurden. 39 Sie ist in eine analytische Plattform eingebettet, in der sie sich zugleich als forschungsrelevantes „Material“ „liefert“ und zu einer Kategorie von Bezugsobjekten der Forschung wird. 40 Mäuse werden in molekularbiologischen Labors zum „Ausgangsmaterial“ für experimentelle Untersuchungen verschiedenster Art herangezogen und decken damit das gesamte in Kap. 2.5 (siehe Abb. 22., S. 256 dargelegte Spektrum der experimentellen Kardiologie ab: „So wird die Maus als Modellsystem für die Untersuchung der Säugetierentwicklung und damit letztlich für die Entwicklung des Menschen, die in vitro Differenzierung [sic] von Zellen, die als Zelllinien in Laboren kultiviert werden als das Modellsystem für die Mausentwicklung, eine isolierte und gereinigte DNS in einem Transkriptionssystem als das Modell für Differenzierungsprozesse in Körperzellen betrachtet.“41

Um als ein Modellsystem zu funktionieren, müssen die Mäuse unter den genannten Haltungs- und Zuchtbedingungen instrumentell-technisch rekonfiguriert und in ein experimentelles Repräsentationssystem (z.B. in Form von aufgearbeiteten Präparaten wie gefärbten Gewebeschnitten oder in Form von DNA-Sequenzierungsgels, siehe Kap. 3.1.3) integriert werden. Molekularbiologische Labors stellen somit zum einen komplexe Arrangements einer technischen Plattform (bzw. Infrastruktur) zur Gewinnung und Analyse biologischen Materials dar, zum anderen vollzieht sich durch diese technische Einbettung von Organismen eine Autonomisierung der Bezugsobjekte im Wissensprozess, die zugleich die Konstitution lokal prozessierter biologischer Objekte darstellt. 42 Das Problem der ‚natürlichen‘ Referenz Die in Laboren erzeugten Mäuse schließen durch diese Autonomisierung als Referenzobjekte eine Integration wilder Mäuse oder Hausmäuse aus.43 So hat die in den Experimenten verwendete sogenannte „Wildtyp-Maus“ keinesfalls etwas mit einer freilebenden oder im Institutskeller lebenden Hausmaus zu tun, sondern gehört einer wohldefinierten Rasse an, bei deren Selektion u.a. auf ihre Pflegeleichtigkeit

39 Amann, in: Hagner/Rheinberger/Wahrig-Schmidt (Hg.), 1994, S. 273. 40 Vgl. ebd., S. 274 und S. 278. 41 Ebd., S. 268. 42 Ebd., S. 271. 43 Auch der umgekehrte Weg ist in keiner Weise wünschenswert, was die fortlaufende Debatte über die Freisetzung genetisch veränderter Organismen belegt (siehe hierzu ebd., S. 272, FN 30).

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unter Laborbedingungen geachtet wurde.44 Das Labor bildet eine hermetisch abgeschlossene Welt, in der in freier Wildbahn lebende Tiere keinen Platz haben, weil sie den Referenzrahmen kontaminieren würden und eine empirische Vergleichbarkeit zwischen Experimentalgruppe und Wildtyp- bzw. Kontrollgruppe nicht zulassen würden. Vergleichbares stellt Rheinberger in seinen Untersuchungen zu invitro-Experimenten fest: „Die Natur als solche ist somit kein ein für alle Mal gegebener Referenzpunkt für das Experiment. Sie wird vom Forscher sogar oft als eine Gefahr angesehen, die ein wissenschaftliches Unternehmen zum Scheitern zu bringen droht. Es besteht stets die Gefahr, dass sie ungewollt in ein Experimentalsystem eindringt. Wenn Zellen fraktioniert werden, müssen unfraktionierte Zellen aus dem Repräsentationsraum ausgeschlossen werden. In einem In-vitro-System [sic] verhält sich jede Zelle wie ein ‚Ganz-Zell-Artefakt‘ […]. Ein In-vitro-Experiment [sic] darf keinesfalls durch lebende Zellen kontaminiert werden. Wir kommen in die eigentümliche Lage zu konstatieren, dass etwas, dass wir ‚natürlich‘ zu nennen gewohnt waren, zu etwas Artifiziellem gerade dadurch wird, dass es ‚natürlich‘ bleibt.“45

Der Prozess der Transformation der Maus vom Haus- zum Labortier erscheint in diesem Zusammenhang als ein „Mensch-gemachtes System der Natur“.46 Dabei geht es aber nicht (wie bei Amann, vgl. Kap. 3.1.1, S. 290, FN 23) um eine Dichotomie zwischen einer ‚natürlichen‘, ‚ersten‘ und einer ‚artifiziellen‘, „zweiten Natur“, sondern um ‚die Natur‘ als Differenzerzeuger: Gerade weil die Organismen trotz kontrollierter und standardisierter Umgebung und trotz des späteren Einsatzes von transgenen Techniken in Experimentalsystemen ihre eigenen und vom Experimentator nicht vorherzusehenden Möglichkeiten auszuspielen vermögen, kommen sie überhaupt als Modellsystem infrage. Sie sind auf der einen Seite gut genug in eine dispositionelle analytische Plattform eingebettet und standardisiert, um Vergleichbarkeiten zu reproduzieren. Auf der anderen Seite sind sie aber noch nicht so weit stabilisiert und standardisiert, sodass sie neue Fragen und Kontingenzen zur Produktion von Differenzen innerhalb von Experimentalsystemen zulassen. 47 Während Amann sich – trotz des Untertitels seiner „wissenschaftssoziologischen Analyse der Transformation von Organismen in epistemische Objekte“ – eher auf die Einbettung von Mäusen in eine analytische (dispositionelle) Infrastruktur und weniger auf die eigentlichen Forschungsfragen (epistemischen Dinge) der von ihm untersuchten molekularbiologischen Labors konzentriert, soll im Folgenden das Span-

44 Ebd., S. 273. 45 Rheinberger, 2001, S. 117. 46 Miriam M. Cortese-Krott, persönliche Mitteilung vom 07.09.2016. 47 Vgl. Rheinberger, 2001, S. 117.

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nungsfeld zwischen Disposition und Kontingenz bei der Modellierung von Labormäusen in kardiovaskulären Experimentalsystemen herausgearbeitet werden. Dabei wird deutlich, dass eine Modellierung selten ohne eine entsprechende experimentelle Intervention am lebenden Organismus vonstattengeht. 3.1.3 Die Funktion der Maus als Modell in Experimentalsystemen Wie bereits in Kap. 1.6.3.1 und Kap. 2.5.2 beschrieben, dienen Modellorganismen (zumeist einfach zu züchtende und experimentell zugerichtete Lebewesen, wie Bakterien, Fruchtfliegen oder Zebrafische) als biologische Werkzeuge. Deren „Manipulation [führt] zu Einsichten in die Konstitution, das Funktionieren, die Entwicklung oder die Evolution einer ganzen Klasse von Organismen, wenn nicht gar zu ubiquitär gültigen Einsichten über Organismen […].“48 In der biologischen Forschung sollen Modellorganismen also einen allgemeinen Referenzrahmen für alle übrigen Lebewesen einer Art bzw. einer Klasse stellen. Im Gegensatz dazu stellen Tiermodelle einen auf spezielle Fragestellungen beschränkten Vergleichbarkeitshorizont zur Verfügung: Sie funktionieren, indem sie einem spezifischen Phänomen (z.B. einer menschlichen Krankheit) in einem anderen Medium als dem Zielmedium ‚Modell stehen‘.49 Nach Rheinberger stellen auch Mäuse in der medizinischen Forschung im Gegensatz zur biologischen Forschung keinen allgemeinen Referenzrahmen, sondern ein „Surrogat“ bzw. Supplement (vgl. Kap. 1.4.2 und Kap. 2.5.2) dar: „Modellorganismen [werden] in der Medizin aufgrund eines prinzipiell anderen epistemologischen Regimes als in der biologischen Forschung ausgewählt, und sie spielen dort auch eine andere Rolle. Denn wenn biologische Modellorganismen aufgrund ihres Potenzials zur Aufklärung von allgemeinen oder ubiquitären Charakteristika von Lebewesen zum Einsatz kommen, so selektiert man Modellorganismen in der medizinischen Forschung im Allgemeinen aufgrund ihrer spezifischen Nähe zur menschlichen Kondition.“50

Mäuse werden also in der biomedizinischen Forschung vor allem dazu verwendet, menschliche Erkrankungen zu imitieren und ‚translational gaps‘ (vgl. Kap. 2.5) entstehen dort, wo sich die Übertragbarkeit von an der Maus gewonnenen Befunden auf den Menschen als defizient erweist. Diese Unbestimmtheit ist für Modelle in

48 Rheinberger, in: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, 2003, S. 70. 49 Vgl. Ankeny/Leonelli, Studies in History and Philosophy of Science, 2011;42:313-323, hier S. 320 und Rheinberger, 2006, S. 349. 50 Rheinberger, in: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, 2003, S. 73, Hervorh. im Original.

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den Lebenswissenschaften charakteristisch, denn sie sind genauso lange forschungsrelevant, solange sie noch etwas zu wünschen übriglassen.51 Genetisch „reine“ Mauslinien und das „zentrale Dogma“ der Molekularbiologie Die von den frühen Mausgenetikern aufgestellte Hypothese der „reinen Linien“ ging davon aus, dass nach den Mendel’schen Regeln vorgenommene Inzuchtverfahren Mausstämme hervorbringen, die es durch ihre „Reinrassigkeit“ ermöglichen, ein bestimmtes genotypisches oder phänotypisches Merkmal gezielt experimentell hervorzuheben.52 Diese Vorstellung der „puren Mauslinien“ suggerierte eine „mathematische Präzision“ bei der Mauszucht und transformierte die von Hobbyzüchtern bereitgestellten Mausstämme in eine biologische Ressource, deren genetischdeterminierte Genauigkeit mit chemischen Reagenzien verglichen wurde. So wurde es erst möglich, die Stabilität und Standardisierbarkeit von Labormäusen als neue Werkzeuge der Forschung zu postulieren, zu verbreiten und anschließend zu vermarkten.53 „Reine Linien“ waren somit gewissermaßen genetisch stillgelegt und variierten nur noch umweltbedingt.54 Diese Reaktionen sollten wiederum durch die Einrichtung hermetisch verschlossener Labors verhindert werden. Die Determiniertheit von „reinen“ Mausstämmen korrelierte zum einen mit weiteren bereits gut etablierten genetischen Modellsystemen, wie dem der Drosophila-Mutanten.55 Zum anderen interferierte die Zucht von Labormäusen mit Vorstellungen des sogenannten „zentralen Dogmas“ der Molekularbiologie, das eine problemlose Übersetzung von Basenpaaren in Gene und Proteine postulierte und sich wiederum aus den Forschungen mit dem Modellorganismus der Drosophila ableitete:

51 Ebd. 52 Vgl. hierzu Müller-Wille/Rheinberger, 2009, S. 55. 53 Vgl. Gaudillière, in: Fortun/Mendelsohn (Hg.), 1997, S. 107 und vgl. Rader, 2004, S. 147. 54 Müller-Wille/Rheinberger, 2009, S. 55. Die Autoren machen in diesem Kontext darauf aufmerksam, dass u.a. durch die Hypothese der genetisch „reinen Linien“ die Unterscheidung zwischen Genotyp und Phänotyp aufkam. Während sich der Begriff „Phänotyp“ als „Erscheinungstypus“ auf die physiologischen Eigenschaften und Verhaltensmerkmale eines Organismus bezieht und durch das Zusammenwirken von Erbanlagen und Umweltfaktoren bestimmt wird, sei der Begriff des „Genotyps“ in der klassischen Genetik als „‚ahistorischer‘ Begriff zu fassen […], der in den Lebewesen das bezeichnete, was durch die Generationen hindurch in überschaubaren Zeiträumen identisch erhalten blieb und womit man deshalb auch wie mit Molekülen in der Chemie und mit Atomen in der Physik experimentieren konnte.“ (Ebd., S. 56) 55 Vgl. Rheinberger, 2006, S. 322.

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„Identifizierbare Aspekte des Phänotyps, von denen man in bewusster Black-Box-Manier annahm, dass sie durch Gene und ihre jeweils alternativen Ausprägungen, die sogenannten Allele, determiniert waren, wurden als Indikatoren oder ‚Fenster‘ benutzt, um einen Ausblick auf die formale Struktur des Genotyps zu erhalten.“56

Der Organismus erscheint diesem Dogma nach als die Realisierung eines genetischen Programms, in welchem es eine strikte Hierarchie vom Gen über das Protein zum Organismus gibt.57 Neben den Forschungen an einfachen Modellorganismen hat die Etablierung von Inzucht-Mausstämmen das Verständnis des genetischen Determinismus entscheidend mitgeprägt und beflügelte die Entwicklung der Maus als wissenschaftliches Werkzeug, d.h. als Modell in biomedizinischen Experimentalsystemen.58 Voraussetzung für Modellsysteme: materielle Intervention und konzeptionelle Reintegration Der Modellbegriff in der Biomedizin und Molekularbiologie hat sowohl eine materielle als auch eine konzeptionelle Dimension. Auf materieller Ebene erfordert ein Modell innerhalb eines Experimentalsystems stets eine Intervention (in Form einer intendierten Veränderung am Organismus selbst), damit es überhaupt zur Produktion von Differenzen (zwischen Experimental- und Kontrollgruppe) kommt. Auf konzeptioneller Ebene muss ein Modell einen angemessenen Bezugsrahmen zu anderen Modellsystemen herstellen, um in einen gewissen Experimentalkontext eingeordnet werden zu können. Das Modell erscheint in den Biowissenschaften als ein Hybrid zwischen Material und Zeichen und nimmt in von Latour sogenannten Übersetzungsketten von der Materie hin zur Form Gestalt an: „Man bemerkt, dass jedes beliebige Glied der Kette von seinem Ursprung her auf die Materie und von seiner Bestimmung her auf die Form bezogen ist; dass es aus einem zu konkreten Ensemble herausgenommen wird, um dann im nächsten Schritt selbst wieder als zu konkret zu erscheinen.“59

Insbesondere in der Herz-Kreislaufforschung wird die Maus durch experimentelle Intervention zum Modell. Erst eine entscheidende Veränderung am Organismus selbst gibt Anlass, die Maus in Übersetzungsketten von der Materie hin zur Form einzufügen, indem man die gemessenen Körperfunktionen in experimentelle Spuren

56 Müller-Wille/Rheinberger, 2009, S. 59-60, Hervorh. im Original. 57 Vgl. Labisch, in: ders./Paul (Hg.), 2004, S. 218. 58 Vgl. Guénet/Bonhomme, in: Hedrich/Bullock (Hg.), S. 9 (im ersten Kapitel). 59 Latour, 2002 [1999], S. 74.

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(Rohdaten) fasst, in Form von Tabellen und Diagrammen festhält und schließlich in synoptisch-interpretatorisch verfassten Schema-Abbildungen ganze molekulare Signal- und Interaktionswege postuliert. Die Intention dabei ist es, adäquate in-vivo-Modelle für menschliche HerzKreislauferkrankungen zu entwerfen. In der klassischen kardiovaskulären Forschung (d.h. vor der Einführung der transgenen Technologie, siehe Kap. 3.2) wurden und werden bis heute Mäuse in ihrer Laborumwelt mittels verschiedener Interventionen zu Modellen transformiert: • Sie werden z.B. einer bestimmten Diät unterworfen, um pathologische Effekte der Fettleibigkeit (insbesondre bei Fragestellungen, die Herz-Kreislauf- und Diabetesforschung verbinden) nachzuahmen, • mittels pharmakologischer Intervention werden spezielle Herz-Kreislauffunktionen beeinträchtigt oder besonders hervorgehoben, • mittels chirurgischer Verfahren werden Ligaturen an bestimmten Gefäßen oder Organen vorgenommen, um Effekte von pathologischen Verengungen und Blockaden im Gefäßsystem zu imitieren (vgl. hierzu das in Kap. 2.5.2.2 dargelegte iatrogene in-vivo-Modell für den akuten Herzinfarkt) und • es kommen klassische Inzuchtverfahren zur Anwendung, um gewisse phänotypische Merkmale besonders auszubilden und anschließend zu untersuchen. 60 Mit diesen Methoden lassen sich ganze Krankheitsspektren, von Arteriosklerose, über koronare Herzkrankheit oder Myokardinfarkt, Bluthochdruck, Herzinsuffizienz und die damit oft einhergehende Hypertrophie (pathologische Vergrößerung des Herzens) bis hin zu Herzrhythmusstörungen imitieren. 61 Jedoch sind viele dieser interventionellen Experimente nur schwer reproduzierbar. Diätetische Intervention kann orts- und zeitabhängig variieren, die Gabe von Pharmaka kann zu verfälschenden Nebenwirkungen führen, chirurgische Verfahren lassen sich aufgrund individueller anatomischer Merkmale der Versuchstiere und unterschiedlicher Geschicklichkeit und Erfahrung der Experimentatoren nur schwer reproduzieren und klassische Inzucht allein ist auf zufällige Mutationen angewiesen und kann damit

60 Vgl. Kelmenson, Peter vom Jackson Laboratory im Webinar „Mouse Models of Cardiovascular Disease“, in: Internetseite des Jackson Laboratory, unter: https://www.jax.org/ education-and-learning/webinars/mouse-models-of-cardiovascular-disease, Stand: 20.11.2016. 61 Vgl. ebd. Für einen experimentaltechnischen, sehr detaillierten Überblick der verschiedenen induzierbaren (nicht transgenen) Verfahren zur Erzeugung von Herz-Kreislauferkrankungen u.a. bei Mäusen siehe neben Kap. 2.5.2.2 der vorliegenden Arbeit vor allem Gross, 1994.

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keine gezielten Genveränderungen untersuchen. Solche Interventionsstudien haben von daher nur beschränkte Aussagekraft für humane Erkrankungen und charakterisieren den Problematisierungsaspekt der in Kap. 2.5 adressierten ‚translational gap‘ zwischen Maus und Mensch. Von der experimentellen Dekonstruktion biologischen Materials zur „Plastizität“ der Funktionsanalyse Bei ihrer Modellierung liefern die Tiere das Ausgangsmaterial für eine Vielfalt von labortechnischen Repräsentationen: Dies können Präparate, wie z.B. gefärbte, hauchdünne Gewebeschnitte sein; zum anderen können die Gensequenzen als schwarze Balken auf einem DNA-Sequenzierungsgel dargestellt werden (siehe Kap. 3.2.2). Durch diese experimentelle Verarbeitung und Übersetzung in bildliche Repräsentationen scheinen die Labormäuse die Dimension ihrer Körperlichkeit zu verlassen. Amann spricht von Labors „als ein technisches Arrangement zur Dekonstruktion von Lebewesen, das zur Produktion eines Wissens um deren Eigenschaften und Funktionsweisen genutzt werden kann […].“62 Dies gilt für die kardiovaskuläre Forschung nur bedingt. Denn im Gegensatz zu rein molekularbiologischen Fragestellungen werden hier vor allem Daten am lebendigen Organismus erhoben. Mäuse, die als Modelle spezieller humaner Erkrankungen dienen, werden in sogenannten Funktionsanalysen physischen und psychischen Belastungstests ausgesetzt. In sogenannten Provokationsexperimenten werden mittels pharmakologischer oder chirurgischer Intervention bestimmte mit der zu untersuchenden Krankheit in Verbindung gebrachte Effekte hervorgerufen, um neue Ansätze für Therapien zu entwickeln. Bei solchen Fragestellungen wird die von den Forschern des SFB 612 so bezeichnete „Plastizität des Phänotyps“ und seine Interaktion mit dem Genotyp immer interessanter, um die molekularen Ursachen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu untersuchen. 63 Von daher ist im weiteren Verlauf des dritten Kapitels (Kap. 3.3 und 3.4) u.a. zu zeigen, dass es im Rahmen des SFB 612 nicht wie bei Amann um eine Dekonstruktion der Maus, sondern im Gegenteil um die Produktion von in-vivo-Modellen geht, bei denen der lebende Organismus im Rahmen seiner sogenannten „Phänotypisierung“ mit all seinen hämodynamischen und molekularen Funktionsparametern zuerst hervorgebracht wird. Zentral bei der Etablierung einer Phänotypisierungsplattform in Düsseldorf (der sogenannten „Mäuseklinik“) war die rekombinante DNA-Technologie, mit der es möglich wurde, genveränderte (transgene) Mäuse herzustellen, bei denen man gezielt ein Gen manipulieren kann.

62 Amann, in: Hagner/Rheinberger/Wahrig-Schmidt (Hg.), 1994, S. 270 63 Vgl. Gödecke, 2002, S.41.

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Festzuhalten bleibt, dass die (in eine analytische Infrastruktur eingebettete) Transformation der Labormaus in ein Modellsystem stets an Interventionen am Organismus selbst und an labortechnisch erzeugte Repräsentationen gebunden ist. Die Funktion der Maus als Modellsystem ist dabei, die durch experimentelle Intervention generierten neuen Daten in bereits bekannte Bezugssysteme zu integrieren. In diesem Sinne stellen Mausmodelle (wie auch andere biologische Modellsysteme) einen Versuch dar, neu gewonnene und bereits existierende Daten zu verknüpfen und ihnen einen (in diesem Falle klinisch relevanten) Sinn zu geben. 64 Die Maus ist dabei in ein komplexes Entwurfsgeschehen bzw. in ein Spannungsfeld zwischen experimentaltechnischen Dispositionen (technischen Objekten) und projektspezifischen Kontingenzen (epistemischen Dingen) und den damit verbunden Fragestellungen zu biologischen Mechanismen (Labor) und pathophysiologischen Prozessen (Klinik) eingefügt. Dieses Spannungsverhältnis erzeugt auf verschiedenen Ebenen ‚Lücken‘ (‚translational gaps‘) und wird durch das Aufkommen der rekombinanten DNA-Technologie und den damit verbundenen Einsatz transgener Mäuse nicht (wie eigentlich zu erwarten wäre) annulliert, indem die Maus etwa durch genetische Manipulation vom eher unbestimmten Tiermodell zum determinierten Modellorganismus avanciert. Vielmehr wird diese Unbestimmtheit durch die Unvorhersehbarkeit und Plastizität des jeweiligen (transgenen) Phänotyps noch verstärkt. Das folgende Kapitel berichtet von der Entstehungsgeschichte transgener Mäuse (verstanden als experimentaltechnische Disposition für die Herstellung der transgenen Mäuse im SFB 612) und den an dieser Entwicklung beteiligten Experimentalsystemen.

64 Vgl. Keller, Philosophy of Science, Vol. 67, Supplement. Proceedings of the 1998 Biennial Meetings of the Philosophy of Science Association. Part II: Symposia Papers (Sept., 2000), S72-S86 (Suppl.), hier S. S77.

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3.2 DISPOSITIONEN II: GESCHICHTE UND PRINZIPIEN DER TRANSGENEN TECHNOLOGIE ZUR HERSTELLUNG VON KNOCKOUT-MÄUSEN Bis zur Entwicklung der Knockout-Maus Ende der 1980er Jahre waren MausGenetiker in ihren Experimenten auf Mutationen angewiesen, die entweder spontan im Phänotyp entstanden oder künstlich induziert wurden z.B. durch die Gabe von genverändernden Chemikalien oder durch den Einfluss von Röntgenstrahlen. 65 Das Problem der Forscher an solchen Modellen war die mangelnde Spezifität und Kontrollierbarkeit, denn auch die künstlich-induzierten genetischen Manipulationen treten zufällig an nicht im Voraus ausgemachten Loci des Genoms auf. Pharmakologische Interventionsstudien, welche die Veränderungen des Phänotyps nach Gabe von bestimmten pharmakologischen Substanzen untersuchen, haben den Nachteil, dass sie zum einen nur akute Stadien der Veränderung beschreiben können und chronische Effekte außer Acht lassen, zum anderen wirken Pharmaka stets am gesamten Organismus der Maus und nicht gewebe- oder gar zellspezifisch und können dadurch unerwünschte Nebenwirkungen verursachen.66 Solche in-vivo-Modelle bieten dem Forscher unter standardisierten Bedingungen zwar einen weitgehend definierten Phänotyp, dessen molekulare Ursachen man mittels spezieller Kopplungsanalysen unter Umständen erklären kann. Jedoch kommt es bei dieser klassischen Mutagenese (die Erzeugung von Mutationen im Erbgut von Lebewesen) häufig zur Identifizierung mehrerer Gene, die als Erklärungsmodell für die Ursache eines veränderten Phänotyps im Sinne einer polygenetischen Erkrankung dienen können. Wie bei der Erforschung humaner Erkrankungen liegt diesen Arbeiten ein deduktiver Forschungsansatz zugrunde: Am Anfang steht ein natürlich, zufällig mutierter oder künstlich-exogen manipulierter (aber nicht ‚kontrollierter‘) Phänotyp, am Ende die durch genetisches Mapping erfolgte Identifizierung eines oder mehrerer Gendefekte.67 Die Herausforderung lag nun darin, einen eher induktiven Forschungsansatz zu entwickeln, an dessen Anfang ein spezifisches und zuvor ausgewähltes zu manipulierendes Gen liegt und am Ende der Phänotyp der gezielt genetisch veränderten Maus, der womöglich Rückschlüsse auf die molekularen Mechanismen humaner Erkrankungen zulässt.68 Hierzu bedurfte es einer Technik, die eine gezielte Expression oder Inaktivierung eines Gens zulässt. Genetiker und Molekularbiologen waren seit Anfang der 1970er Jahre auf der Suche nach einem geeigneten Mittel, um

65 Gondo, Nat Rev Genet. 2008 Oct;9(10):803-10. 66 Interview mit Axel Gödecke vom 26.04.2016, S. 7. 67 Vgl. Gödecke, 2002, S. 3 sowie Gondo, Nat Rev Genet. 2008 Oct;9(10):803-10. 68 Vgl. Gödecke, 2002, S. 3.

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fremde DNA in die Zellen eines Organismus zu transferieren. Eine wichtige experimentelle Disposition für dieses umfassende Projekt war die bereits in Kap. 1.6.3.1 erwähnte rekombinante DNA-Technologie, in welcher die molekularen Strukturen und Prozesse des Organismus nicht nur dem Experimentieren zugänglich gemacht, sondern auch in labortechnisch handhabbare Repräsentationen verwandelt und übersetzt werden.69 Die Verfahren und Prozeduren der klassischen Genetik – damit sind insbesondere die in-vitro-Systeme zur extrazellulären Darstellung von intrazellulären Konfigurationen gemeint – wurden durch die neuen Entwicklungen der rekombinanten DNA nicht obsolet, sondern waren wiederum selbst wichtige experimentelle Dispositionen und Voraussetzungen für das Entwerfen von transgenen Mäusen. Die eigentlich zentralen Werkzeuge, wie z.B. Restriktionsenzyme (zur Erkennung und zum ‚Schneiden‘ bestimmter DNA-Fragmente), Polymerasen (zur replikativen Vermehrung der DNA), Plasmide und verschiedene Arten von Vektoren (zur gezielten Expression von Genen), haben alle selbst die Eigenschaft von Molekülen.70 So sind die „‚Scheren‘ und die ‚Nadeln‘, mit denen die Gene ‚geschnitten‘ und ‚gespleißt‘ werden, und die Träger, mit denen man sie transportiert selbst natürlich vorkommende Entitäten, nämlich Makromoleküle, die ihrem Charakter nach nicht von den Prozessen, in die sie eingreifen zu unterscheiden sind.“71

Mit dieser an Rheinberger angelehnten Darstellung wichtiger molekularbiologischer Dispositionen ist nicht gemeint, dass die Verfahren und Technologien zur DNA-Rekombination Ende der 1970er Jahre bereits zur Reife entwickelt waren und für die Produktion von in-vivo-Modellen für menschliche Erkrankungen in der Maus einfach aufgegriffen und angewendet werden mussten. Vielmehr schreiben sich diese experimentaltechnischen Dispositionen in ein äußerst heterogenes experimentelles Entwurfsgeschehen ein, an dessen Ende zwar die verfertigte transgene Maus steht, in dessen Verlauf aber zunächst zwei zentrale experimentelle Probleme gelöst werden mussten: 1. Die Einführung von Fremd-DNA in das Genom von Zellen in Zellkulturen über homologe Rekombination (siehe Kap. 3.2.1). 2. Die Kultivierbarkeit von embryonalen Stammstellen (ES-Zellen) und ihr ReTransfer in einen lebensfähigen Organismus (siehe Kap. 3.2.2).

69 Rheinberger, in: Jahn (Hg.), 1998, S. 661. 70 Vgl. ebd. 71 Ebd.

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3.2.1 Einführung von Fremd-DNA über homologe Rekombination Nachdem bereits 1978 nachgewiesen wurde, dass eine gezielte Gensubstitution in vitro in der Hefe möglich ist, integrierte der amerikanische Genetiker Oliver Smithies (1925-2017) im Jahre 1985 ein Plasmid, das Globin-Gensequenzen enthielt, in den Beta-Globin-Locus in kultivierten humanen Zellen. 72 Die Sichelzellanämie, eine durch Punktmutationen verursachte Erbkrankheit der roten Blutkörperchen, war zu dieser Zeit bereits gut untersucht.73 Die der Krankheit zugrunde liegenden Punktmutationen im Beta-Globin-Locus bildeten ein weitgehend bekanntes System, auf dessen Grundlage man ein Modellsystem für die gezielte Modifikation von Genen etablieren konnte. 74 Der amerikanische Genetiker Mario Capecchi (*1937) zeigte kurz darauf (1986) mit einem Neomycin-Resistenzgen, dass das gezielte Abschalten von Genen in Säugerzellkulturen über homologe Rekombination möglich ist.75 Die vollständige Darstellung des experimentellen Entwurfsgeschehens, das zur standardmäßigen Verwendung von transgenen Mäusen in kardiovaskulären Experimentalsystemen geführt hat, würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Im Folgenden sollen von daher nur jene Aspekte der Entwicklung der transgenen Technologie aufgegriffen werden, die für die Analyse der untersuchten Experimentalsysteme des SFB 612 von Bedeutung sind. Capecchi arbeitete in seinen frühen Experimenten Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre mit sehr feinen Glasnadeln (Mikroinjektionsnadeln) zur direkten DNA-Injektion in Zellkerne, wodurch bereits die Produktion von transgenen Mäu-

72 Beta-Globin ist ein Protein, das Teil des Hämoglobin-Proteinkomplexes in Wirbeltieren ist. 73 Bereits Ende der 1940er Jahre wurde die Sichelzellanämie als erste „molecular disease“ charakterisiert. Hierzu untersuchte man das Hämoglobin im Blut von SichelzellanämiePatienten und konnte mit dem elektrochemischen Verfahren der Elektrophorese (dazu weiter unten mehr) zeigen, dass das Hämoglobin erkrankter Patienten unter bestimmten Bedingungen zu einem anderen Pol im elektrischen Feld der Elektrophorese wanderte als jenes von gesunden Probanden. Das verschiedene elektrochemische Verhalten des Sichelzellhämoglobins wurde auf kleinste strukturelle Veränderungen im Globin des Moleküls zurückgeführt, welche letztendlich zur Starrheit und zur Schädigung der roten Blutkörperchen führen. Das elektrochemische Verfahren der Elektrophorese dient dabei als eine Art ‚Sortiermaschine‘, die zwischen ‚gesundem‘ und ‚krankem‘ Hämoglobin unterscheiden kann und das klinische Bild der Sichelzellanämie maßgeblich mitbestimmt (vgl. de Chadarevian, in: dies./Kamminga [Hg.], 1998. S. 171). 74 Smithies, Nat Med. 2001 Oct;7(10):1083-6. 75 Graw, Biologie in unserer Zeit, 2007, 6(37), 352-354.

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sen ermöglicht wurde. Dies jedoch nur an zufälligen und nicht zuvor definierten Stellen im Genom.76 Außerdem konnte damit ‚nur‘ eine zusätzliche Funktion (eine sogenannte ‚gain of function‘) des neu eingeführten Gens untersucht, aber kein Gen gezielt ausgeschaltet werden. Es musste zunächst gelingen, die Effizienz, mit der neue Gene in Säugerzellen eingeführt werden, zu erhöhen. Capecchi war in diesen Zusammenhängen an der Erkenntnis beteiligt, dass spezielle hochentwickelte virale Genome DNA-Teile enthalten, die die Fähigkeit verstärken, sich selbst in Säugerzellen zu exprimieren. Diese Experimente trugen zur späteren Bildung des Konzepts der genetischen ‚Enhancer‘ bei, mit denen man die genetische Transkription gezielt verstärken kann. 77 In diesem Kontext machte Capecchi eine entscheidende Beobachtung: Wenn viele Kopien eines speziellen Plasmids in Zellen injiziert wurden, wurden diese Kopien nur in ein oder zwei Loci innerhalb des Chromosoms der Empfängerzelle integriert und darüber hinaus folgte diese Integration der stringenten Ordnung von polymeren Molekülen. Die Frage war nun, ob diese überraschend geordnete Genintegration das Resultat von ‚einfacher‘ Replikation oder homologer Rekombination 78 war. Capecchi bewies, dass letzteres zutraf.79 Die bei homologer Rekombination auftretenden natürlichen Prozesse des Trennens und Wiederzusammenfügens, die den Genaustausch ermöglichen, sind erstaunlich präzise und geordnet, sodass bei diesem Mechanismus kein einziges Nukleotid verloren geht. 80 Der biologische Mechanismus der homologen Rekombination bekam im experimentellen Entwurfsgeschehen nicht nur eine Finalität und Zweckmäßigkeit, sondern eröffnete auch den Horizont, diese „efficient enzymatic machinery“ 81 für die Einführung von fremden

76 Capecchi, Nat Med. 2001 Oct;7(10):1086-90. 77 Ebd. 78 Die homologe Rekombination ist ein natürlicher Mechanismus, der während der Zellteilung von sich sexuell fortpflanzenden Organismen zum Austausch genetischer Information führt und zugleich Brüche in den DNA-Strängen reparieren kann. Dabei werden, wie bei einem Reißverschluss, die DNA-Stränge aufgetrennt, ‚zugeschnitten‘ und neu angeordnet wieder zusammengefügt. Dieser Mechanismus stellt mit hoher Präzision sicher, dass jedes der vererbten Chromosomen eine Kombination der DNA-Sequenzen der Mutter und des Vaters eines sich sexuell fortpflanzenden Lebewesens ist. Diese Art von Chromosomen-Neuordnung ist eines der wichtigsten und in der Evolution am längsten konservierten Ereignisse bei der geschlechtlichen Fortpflanzung und trägt maßgeblich zur großen genetischen Vielfalt auf unserem Planeten bei (Alberts et al., in: Graw [Hg.], 2010, S. 236-237). 79 Capecchi, Nat Med. 2001 Oct;7(10):1086-90, hier S. 1087. 80 Alberts et al., in: Graw (Hg.), 2010, S. 236. 81 Capecchi, Nat Med. 2001 Oct;7(10):1086-90, hier S. 1087.

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DNA-Sequenzen in das Genom von Empfängerzellen zur gezielten genetischen Manipulation zu nutzten. Die Verwendung der Metapher der „enzymatischzellulären Maschinerie“ für die molekularen Prozesse der homologen Rekombination verstärkt dabei die von den Forschern zu erbringende Evidenz, dass es sich auch wirklich um einen biologischen Mechanismus im eigentlichen Sinne handelt, den Canguilhem als eine „notwendige Sequenz von Operationen“ definiert.82 Zugleich wird diese enzymatisch-zelluläre Maschinerie zu einer zu zügelnden Partnerin im experimentellen Entwurfsgeschehen, deren ‚Präferenzen‘ und ‚Performanzen‘ von den Forschern zu berücksichtigen sind, wenn man sie für die eigenen Belange nutzen möchte: „Our next step in the quest for gene targeting required our becoming familiar with this machinery; specifically, with its substrate preferences and reaction products.“83 Um die Maschinerie in ein Manipulationswerkzeug zur gezielten DNA-Mutation zu transformieren, bedurfte es noch des Einschleusens eines sogenannten „Vektors“, der als eine Art „Transporter-Gen“ (auch als „Gen-Fähre“ bezeichnet) fungiert und als „targeting vector“ die Verbindung zwischen neu einzuführender DNA und dem Genom der Empfängerzelle herstellt. Nach mehreren Versuchen, hatten Capecchi und seine Mitarbeiter es im Jahre 1984 geschafft, die Transfektionseffizienz zur Einschleusung von Fremd-DNA deutlich zu erhöhen. Sie konnten nun davon ausgehen, dass große Teile des Mausgenoms durch dieses fortan als „gene tar-

82 Georges Canguilhem weist in seinem gleichnamigen Text auf das Spannungsfeld zwischen „Maschine und Organismus“ hin (Canguilhem, in: ders., 2009, S. 183-232, hier S. 211). Wie bereits in Kap. 2.5.2.1 erwähnt wird unser Verständnis von biologischen Mechanismen als „notwendige Sequenzen von Operationen“ laut Canguilhem meistens „von der Form und der Struktur des Apparats“ hergedacht und dann in das beobachtete natürliche Phänomen hineinprojiziert. Die Finalität und die Zweckmäßigkeit eines solchen Mechanismus werden dabei von bereits bekannten technischen Vorgängen her deduziert und damit im Grunde genommen artifiziell. Zur Erzeugung von Künstlichkeit bei der Wissensproduktion sind die von Canguilhem zitierten Ausführungen von Paul Valéry (S. 213, FN 31, Hervorh. im Original) im Kontext der Maschinenmetapher besonders relevant: „‚Künstlich‘ will sagen: ‚was auf einen begrenzten Zweck hinzielt‘ und sich deshalb dem Lebendigen gegenüberstellt. ‚Künstlich‘ oder ‚menschlich‘ oder ‚anthropomorph‘ unterscheiden sich von dem nur Lebendigen oder Vitalen. Alles, was dahin gelangt, in Gestalt eines klaren und begrenzten Zweckes zu erscheinen, wird ‚künstlich‘, und das ist ja die Tendenz der zunehmenden Bewusstheit. Darin besteht auch die Arbeit des Menschen, wenn er sich bemüht, ein Objekt oder ein spontanes Phänomen so genau wie möglich nachzuahmen. Das sich seiner selbst bewusste Denken bildet von selbst ein künstliches System. […] Wenn das ‚Leben‘ einen Zweck hätte, wäre es nicht mehr das Leben.“ 83 Capecchi, Nat Med. 2001 Oct;7(10):1086-90, hier S. 1087.

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geting“ bezeichnete Verfahren modifiziert werden konnten. Zeitgleich bestätigte Oliver Smithies und Mitarbeiter, dass ein endogenes Gen in kultivierten Säugerzellen gezielt ausgeschaltet werden kann, sodass der Ansatz der gezielten Mutagenese mittels homologer Rekombination auf die gesamte Maus ausgeweitet werden konnte.84 3.2.2 Embryonale Stammzellen und ihr Re-Transfer in einen lebensfähigen Organismus Es fehlte aber noch ein entscheidender Schritt, um dieses Verfahren aus dem invitro-Bereich einzelner Zellen oder Zellkulturen in die Keimbahn der Maus zu bringen und diese damit dauerhaft genetisch zu verändern. Der Genetiker Martin Evans (*1941) konnte 1981 zeigen, dass Zellen aus der inneren Zellmasse eines frühen Mausembryos isoliert und in vitro permanent kultiviert werden können; diese Zelllinien sind heute als „embryonale Stammzellen“ (ES-Zellen) bekannt.85 Der Vorteil der ES-Zellen ist ihre Pluripotenz, mit der sie sich in jede Art von Gewebe ausdifferenzieren können. 86 Der für die Herstellung von Knockout-Mäusen entscheidende Schritt ist die Einführung der manipulierten ES-Zellen in andere frühe Embryonen und ihre anschließende Entwicklung zu einer lebensfähigen Maus.87 Mäuse, bei denen diese Keimbahntransmission funktioniert hat, sind Hybride oder werden auch als „Mosaik“Mäuse bezeichnet; denn sie bestehen aus genetisch unterschiedlichen Zellen, den ES-Zellen und den Zellen des ursprünglichen Embryos. Wenn aus der Zelle der ESKultur im Embryo später Keimzellen werden, wird die genetische Information der ES-Zelle auf die nächste Generation weitergegeben und nicht die Information, die der ursprüngliche Embryo in sich trug.88 Das Standardprotokoll zur Züchtung von Knockout-Mäusen Die Kombination der Verfahren zur Einführung von Fremd-DNA über homologe Rekombination und die durch Evans ermöglichte Keimbahntransmission von ESZellen in überlebensfähige chimäre Mäuse brachte 1987 den Durchbruch: In der Zeitschrift „Cell“ schrieben Kirk Thomas und Capecchi am Ende des Abstracts ih-

84 Ebd. 85 Graw, Biologie in unserer Zeit, 2007, 6(37), 352-354. 86 Auf die ethische Debatte rund um die Verwendung ES-Zellen in der Biomedizin kann hier nicht eingegangen werden. Einen guten Überblick zur Wissenschaftsgeschichte und der ethischen Dimension der Verwendung von ES-Zellen gibt Badura-Lotter, 2005. 87 Graw, Biologie in unserer Zeit, 2007, 6(37), 352-354. 88 Ebd.

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res Artikels lapidar: „The protocol described herein should be useful for targeting mutations into any gene.“89 Dieses Protokoll zur Versuchsanordnung zur Produktion von genveränderten Knockout-Mäusen wurde zur veritablen experimentellen Disposition und ist für das Verständnis der im SFB 242 und SFB 612 verwendeten Mausmodelle von großer Bedeutung. Vereinfacht lassen sich die auf Grundlage der 2007 mit dem Nobelpreis für Medizin oder Physiologie ausgezeichneten Arbeiten von Capecchi, Evans und Smithies erarbeiteten Schritte zur Herstellung von Knockout-Mäusen in folgender Abbildung (Abb. 27) darstellen und im umseitigen Legendentext nachvollziehen:

89 Thomas/Capecchi, Cell. 1987 Nov 6;51(3):503-12. Diese lakonische und scheinbar beiläufige Aussage, deren Übertragbarkeit auf andere Experimentalsysteme jedoch von herausragender wissenschaftlicher Bedeutung war, ist vergleichbar mit dem Ende des berühmten Artikels in der Zeitschrift „Nature“ von Watson und Crick aus dem Jahr 1953, der die Doppelhelix-Struktur der DNA ankündigte: „It has not escaped our notice that the specific pairing we have postulated immediatly suggests a possible copying mechanism for genetic material.“ (Watson, Crick zitiert nach Rabinow, 1996, S. 125, Originalarbeit: Watson/Crick, Nature. 1953 Apr 25;171[4356]:737-8) Konkrete experimentelle Beobachtungsdaten werden in beiden Fällen zu Mechanismen verallgemeinert und es wird die universelle Gültigkeit und Anwendbarkeit der gefundenen Mechanismen postuliert. Solche (wohl bewussten) Understatements wecken in den jeweiligen scientific communities den Eindruck von unbefangener Wissenschaftlichkeit und Objektivität. Frei nach dem Motto: ‚Seht her was, prinzipiell möglich ist! Entscheidet selbst über die Tragweite der beschriebenen Beobachtung!‘.

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Abbildung 27: Protokoll zur Herstellung von Knockout-Mäusen.

Quelle und Copyright: Thomas Krämer. Abbildung modifiziert nach Graw, Biologie in unserer Zeit, 2007, 6(37), 352-354 sowie nach Braun/Willnow, Dt Ärztebl 1996; 93: A-1765-1769 [Heft 26]. Mein Dank gilt Tamara Straub für ihre Unterstützung bei dieser Abbildung.

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Legende zu Abbildung 27:90 1. ES-Zellen werden aus Präimplantationsembryonen (Blastozysten) der Maus gewonnen und kultiviert. 2. Der Ziel-Vektor („targeting vector“) enthält längere DNA-Fragmente, die zu dem ZielGen homolog sind sowie eine eingefügte DNA, die das Ziel-Gen verändert und eine positiv-negativ Selektion ermöglicht. 3. Der Ziel-Vektor wird in die ES-Zellen eingefügt (Transfektion). Die von Capecchi beschriebene „enzymatisch-zelluläre Maschinerie“ ermöglicht es dem Ziel-Vektor, die homologen Sequenzen des Ziel-Gens zu erkennen und mit dem Ziel-Gen zu rekombinieren. 4. Durch eine positiv-negativ Selektion vermehren sich nur die wenigen Zellen, bei denen die homologe Rekombination dazu geführt hat, dass die Neomycin-Resistenz (einem Antibiotikum) mittels des Ziel-Vektors in das zuvor definierte Ziel-Gen eingefügt wurde und es ausgeschaltet wurde. 5. Die so veränderten ES-Zellen werden in Blastozysten der Maus eingefügt und bilden ein Mosaik mit den anderen Zellen der inneren Zellmasse. Die Blastozysten werden in sogenannte Ammenmütter implantiert, wo sie zu den erwähnten Mosaik-Embryonen heranreifen und als Chimäre zur Welt kommen. 6. Die an der Fellfarbe zu erkennenden chimären Mäuse bzw. Mosaik-Mäuse werden mit sogenannten Wildtyp-Mäusen, die aus derselben Zuchtlinie stammen verpaart. Wenn sich aus den veränderten ES-Zellen Keimzellen entwickelt haben, enthalten diese das ausgeschaltete Gen, und eine Knockout-Linie kann gezüchtet werden. Es entstehen bei dieser Prozedur immer auch Wildtypen, die in den Experimenten dann oft als Kontrollgruppen verwendet werden. Der Zwischenschritt über die Erzeugung von chimären bzw. Mosaikmäusen ist entscheidend, weil die erste Generation (F1) durch die genetische Manipulation so stark verändert wird, dass eine reine künstlich induzierte Mutation nicht über den embryonalen Status hinaus überleben könnte. Von daher müssen die zunächst genetisch stabileren chimären Mäuse gewissermaßen ‚zwischengeschaltet‘ werden, um eine ‚natürliche‘ Zeugung überlebensfähiger ‚reiner‘ Knockout-Mäuse produzieren zu können. Wie bei der homologen Rekombination (und der noch zu erläuternden Methode der Polymerasen-Kettenreaktion) liefert hier die Natur die Rahmenbedingungen in Form von biologischen Mechanismen für einen eigentlich ‚künstlich‘ induzierten Vorgang.

Ein elektrophoretischer Repräsentationsraum gezielter Mutagenese Bei dieser Beschreibung zur Anordnung eines Experimentalsystems zur Produktion von Knockout-Mäusen gibt es einen entscheidenden Moment, der nicht nur für den Fortgang des weiteren experimentellen Vorgehens, sondern auch für die Repräsentationsweise der experimentell gewonnen Spuren und deren Übersetzung in Daten

90 Legendentext vgl. Graw, Biologie in unserer Zeit, 2007, 6(37), 352-354 sowie Braun/ Willnow, Dt Ärztebl 1996; 93: A-1765-1769 [Heft 26].

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und Fakten von zentraler Bedeutung ist. Dieser Moment ereignet sich üblicherweise zwischen Punkt 4 und 5 des o.g. Protokolls (siehe Abb. 27 sowie die Erläuterungen dazu) und betrifft die Frage, ob das entsprechende Ziel-Gen auch wirklich getroffen wurde und so die Spezifizität des Knockout-Modells gewährleistet ist. Den sichtbar gemachten Beweis für eine erfolgreiche Inaktivierung des Ziel-Gens mittels homologer Rekombination wird durch Elektrophorese, eines bereits in den 1930er und 1940er Jahren entwickelten Verfahrens zur Auftrennung und Umordnung von Biomolekülen in einer Gelmatrix entsprechend ihrer Größe und ihres Molekulargewichtes, erbracht. Das Gel besteht z.B. aus Agarose, einer Kohlenhydratverbindung aus Algen. Nach Anlegen einer Spannung bewegen sich die negativ geladenen DNA-Moleküle entsprechend ihrer Ladung vom Minus-Pol zum Plus-Pol, dabei wandern große DNA-Moleküle in der Gelmatrix langsamer als kleinere Moleküle, es entsteht ein spezifisches Bandenmuster, das durch Färbung auf der Gelplatte sichtbar gemacht werden kann (Abb. 28).91 Abbildung 28: Heute gebräuchliche elektrophoretische Darstellung der Genexpression eines Enzyms (hier beispielhaft eine sogenannte „Western Blot“-Analyse des Enzyms der endothelialen Stickstoffmonoxid-Synthase [eNOS] in kardialen Proteinextrakten).

Quelle: Gödecke et al., Cardiovasc Res. 2002 Jan;53(1):253-62. Copyright: Oxford University Press.

Diese den zwei Parametern der Molekulargröße und des Molekulargewichts folgende zweidimensionale Anordnung hat mit ihrem dreidimensionalen Zusammenhalt im Makromolekülverbund innerhalb der Zelle zwar so gut wie nichts mehr gemein, es können jedoch mit der zweidimensionalen Darstellung auf der Gelplatte andere wesentliche Eigenschaften, wie Anzahl und Größenverteilung der Komponenten, gewonnen werden.92 Die Sichtbarmachung der DNA-Sequenzen durch Elektrophorese erfolgt im Rheinberger’schen Sichtbarmachungsmodus der Dilatation und des Enhancements (siehe Kap. 1.4.2). Denn die auf der Gelplatte dargestellten Sequenzen sind zum ei-

91 Wiesener-Steiner, 2004, S. 271. 92 Rheinberger, in: Sachs-Hombach (Hg.), 2009, S. 137.

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nen so klein, dass sie nicht einmal mit einem Elektronenmikroskop visualisiert werden können.93 Zum anderen schreibt sich die Kontrastierung und Verstärkung der umgeordneten molekularen Strukturen auf dem ephemeren Material der Gelplatte (das beim Austrocknen schnell porös und unbrauchbar wird) unmittelbar ein. Das Präparat und die darauf durch Elektrophorese erzeugten experimentellen Spuren werden so zum Bestandteil der Materialität des Bildes. Intervention am genetischen veränderten Material (die Umordnung der Biomoleküle) und Repräsentation des genetisch veränderten Materials (das unmittelbare Einschreiben molekularer Informationen auf dem Präparat) gehen bei diesem Verfahren einher und spannen nicht nur einen Repräsentationsraum, sondern vor allem einen elektrophoretischen experimentellen Entscheidungsraum auf. Denn für das „gene targeting“ sind die mittels Elektrophorese produzierten Spuren die Grundlage für die letzte zu erbringende Evidenz einer erfolgreichen Genmanipulation vor dem Übergang von einem invitro- in ein in-vivo-System. Für Oliver Smithies, der unabhängig von seinen Beiträgen zur Produktion der Knockout-Maus in den 1950er Jahre entscheidend an der Verfeinerung des elektrophoretischen Analyseverfahrens beteiligt war,94 sind solche elektrophoretischen Bilder (auch „Autoradiogramme“ oder DNA-Sequenzierungsgel bezeichnet), die eine erfolgreiche Genmanipulation beweisen, veritable „Wahrheitsmomente“: „I presented the results of our work at a Gordon Conference in 1985, and told the attendees the true story that, as I developed the critical gel autoradiograph, which we knew would provide the first direct test of whether or not the target gene had been modified, I was thinking that we had been a long time (3 years) knowing that our experiment was working only by indirect evidence – much like being an airplane pilot on instruments in the clouds. The autoradiograph was the moment of truth, comparable to the moment when you descend below the clouds and no longer depend on the indirect indications of your instruments: The runway is

93 Vgl. Rheinberger, in: Gugerli et al. (Hg.), 2007. S. 120-121. 94 Smithies benutzte Mitte der 1950er Jahre erstmals ein durch erhitzte Stärke produziertes Gel, anstatt dem bisherigen Filterpapier zur Herstellung elektrophoretischer Bilder. Die Idee dazu kam ihm kontingenterweise nicht auf Grundlage von wissenschaftlichen Überlegungen, sondern von Kindheitserinnerungen: „[…] I couldn’t afford the time to do multiple protein assays for each electrophoresis experiment. Happily, however, when I was a boy I sometimes helped my mother with the laundry, and remembered that the boiled starch she used for my father’s shirts set into a jelly when it was cold. This memory suggested to me that I could cook the starch grains, make a gel, carry out the electrophoresis, and then just stain the gel to find the proteins.“ (Smithies, „Nobel Lecture, December 7, 2007“, S. 210, PDF auf der Nobelpreis-Internetseite, unter: https://www.nobelprize.org/ nobel_prizes/medicine/laureates/2007/smithies-lecture.html, Stand: 23.07.2016)

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either there or it is not! The thrill of seeing it never pales. For the remainder of that meeting, other investigators would say, as they pointed to a desired result, ‚And there is my runway!‘“95

Konnte der Beweis der erfolgreichen Genmanipulation zuvor ‚nur‘ indirekt über sich ausdifferenzierende Bakteriophagen in der Zellkulturschale des Beta-GlobinSystems als Folge der Applikation eines genetischen Vektors beobachtet werden, so gibt die elektrophoretische experimentelle Spur des Autoradiogramms den unmittelbar in das Präparat eingeschriebenen visuellen Beweis. Die Forscher schienen ihre „Landebahn“ in Form der schwarzen Balken auf dem elektrophoretischen Gel gefunden zu haben. Doch bevor aus dieser Spur experimentell reproduzierbare und handhabbare Daten werden konnten, musste die Frequenz, mit der man das „gene targeting“ vornehmen konnte, verbessert und vereinfacht werden. Hierzu bedurfte es einer weiteren mit der homologen Rekombination eng in Verbindung stehenden ‚Maschinerie‘. 3.2.3 Die Polymerase-Kettenreaktion Die Cetus Corporation war das erste Start-up, das sich mit rekombinanter DNATechnologie beschäftigte. Das 1971 gegründete Unternehmen entwickelte in den 1980er Jahren eine Methode zur Vervielfältigung von DNA-Material. Das Verfahren wird Polymerase-Kettenreaktion („polymerase chain reaction“, PCR) genannt. Hierzu wird ein natürlich vorkommendes Enzym, die DNA-Polymerase verwendet, welche die Bildung und die Reparatur von DNA (und Ribonukleinsäure, RNA) katalysiert. Im Laufe der 1980er Jahre gelang es, die DNA-Polymerase an spezifischen Punkten entlang eines einzelnen DNA-Strangs künstlich zu starten und zu stoppen. Durch „Bändigung dieser Komponente der molekularen Reproduktionstechnologie“ konnte es daraufhin erreicht werden, die modifizierte Ziel-DNA exponentiell zu amplifizieren (vermehren). 96 Interessanterweise wurde die Methode im selben Modellsystem, dem BetaGlobin-System, erprobt wie es Smithies und Capecchi nahezu zeitgleich für die Genmanipulation mittels homologer Rekombination vornahmen. Obwohl der Prozess der DNA-Polymerase in der Natur äußerst komplex ist, sind die dahintersteckenden Prinzipien – ähnlich wie bei der homologen Rekombination – sehr präzise und gradlinig.97 Der Startpunkt der DNA-Polymerase ist die Auftrennung einer doppelsträngigen DNA in Einzelstränge. Diese Trennung ist Teil der natürlichen

95 Smithies, Nat Med. 2001 Oct;7(10):1083-6, hier S. 1085. 96 Rabinow, 1996, S. 3, Übersetzung TK. 97 Für folgende Ausführungen siehe ebd., S. 94.

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Zellteilung und kann im Labor durch Erhitzen nachgeahmt werden. Ist der Doppelstrang, der sogenannte „template“ einmal getrennt, kann der Duplikationsprozess beginnen. Da Polymerasen ihre Duplikationsarbeit nicht von allein beginnen können, braucht es einen sogenannten „primer“, einen zusätzlichen DNA-Strang, der sich an das „template“ ‚anhängt‘. Die Wahl des „primers“ ist dabei von entscheidender Bedeutung, denn sie bestimmt den Abschnitt der DNA, der dupliziert werden soll. Die Polymerase nutzt den „primer“ als Startpunkt, von dem aus sie entlang des „templates“ die DNA dupliziert. Durch kontinuierliches Ablesen der Nukleotidbasen wird eine komplementäre Basenpaarung, vermittelt durch Wasserstoffbrückenbindungen, erreicht und somit erfolgt eine genaue Duplikation des originären DNA-Strangs. Die Nutzbarmachung dieses Prozesses (durch Kary Mulli und Kollegen von der Cetus Corporation) war die Kombination der künstlich erzeugten Polymerase und Methoden der Gensequenzierung. Von nun an war es möglich, genetisches Material in beliebiger Quantität innerhalb von einigen Stunden zu produzieren, was den aufwendigen Materialtransfer zwischen Laboren zu großen Teilen überflüssig machte. Man brauchte nur die Sequenz einer zu untersuchenden DNA zu kennen und konnte sie mittels PCR kopieren, und das sogar ausgehend von einer beliebigen vollständigen menschlichen DNA.98 Die PCR-Methode steht heute am Anfang vieler Laboruntersuchungen, um einen in Vorhinein genau definierten Teil eines DNADoppelstrangs in vitro zu vervielfältigen und für weitere Experimente und Anwendungen zur Verfügung zu stellen. Dabei kann es sich um ein Gen, um einen Teil eines Gens oder auch um nicht-kodierende DNA-Sequenzen handeln. Die PCR wird in biologischen und medizinischen Laboratorien eingesetzt, um große Mengen von definierten DNA-Abschnitten zu bekommen, die in weiteren Verfahren verwendet werden: Vaterschaftstests, der Nachweis bestimmter genetischer Erkrankungen oder Virusinfektionen, das Klonen von Genen, ja sogar der Nachweis gefälschter Lebensmittel, alle diese Verfahren beginnen mit einer PCR.99

98 Ebd., S. 164. 99 Vgl. hierzu „DNA kopieren – Mit der Polymerase-Kettenreaktion (PCR)“, in: simplyscience.ch, unter: http://www.simplyscience.ch/teens-liesnach-archiv/articles/dnakopieren-mit-der-polymerase-kettenreaktion-pcr.html, Stand: 23.07.2016.

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3.2.4 Der Entwurfscharakter der Knockout-Maus im Rahmen der „functional genomics“ Für die Produktion von Knockout-Mäusen ist die PCR-Methode von entscheidender Bedeutung, weil sie homologe Rekombinationsereignisse als schwarze Balken auf dem elektrophoretischen Gel sichtbar machen und nachweisen kann und dies mit einer viel größeren Effizienz und Genauigkeit als die zuvor verwandten Blotanalysen (vgl. Abb. 28). Smithies und seine Mitarbeiter machten sich die von Mulli und den Cetus-Mitarbeitern mitgeteilten Erkenntnisse und Techniken zu PCR zunutze und bauten sich mehr oder weniger zeitglich ihre eigene PCR-Maschine, bevor diese kommerziell erhältlich waren. 100 Die PCR-Methode spannt in Experimenten mit Knockout-Mäusen einen elektrophoretischen Entscheidungsraum auf, weil alle Schlussfolgerungen, die man dem bildlichen PCR-Nachweis nachschaltet von der Annahme ausgehen, dass das richtige, zu untersuchende Ziel-Gen getroffen wurde und eine eventuell auftretende primäre Störung im Phänotyp auch tatsächlich auf den induzierten genetischen Defekt zurückzuführen ist. Die elektrophoretische Evidenz ist also ein ganz entscheidender Schritt in der Verfertigung einer KnockoutMauslinie, denn nur mit diesem bildlichen Beleg können die Forscher die genetische Spezifizität der Mauslinie garantieren.101 Erst die Produktion dieser Spezifizität erlaubt den Forschern, sich der eingangs zu Kap. 3.2 erwähnten Problematisierung von adäquaten in-vivo-Modellen für humane Erkrankungen zu nähern: Denn so lässt sich der gewünschte induktive Forschungsansatz entwickeln, an dessen Anfang ein spezifisches und zuvor ausgewähltes zu manipulierendes Gen liegt und an dessen Ende der Phänotyp der gezielt genetisch veränderten Maus, der wohlmöglich Rückschlüsse auf die molekularen Mechanismen humaner Erkrankungen zulässt.102 Das Neue an diesem durch „gene targeting“ gestützten induktiven Ansatz war, dass im genetischen Experiment nicht mehr die Organismen verändert werden, um aus ihren Erscheinungsformen etwas über ihre verborgene genetische Konstitution zu erfahren; verändert wird vielmehr diese genetische Konstitution selbst, um etwas über die phänotypischen Veränderungen zu erfahren, die sie im Organismus bewirkt.103

100 Dabei war viel Improvisation und ‚Bastelei‘ gefragt: „But, again, there were no commercial PCR machines available. So we made our own out of three old water-baths, home-made controllers and hot water valves used in domestic heating systems.“ (Smithies, Nat Med. 2001 Oct;7(10):1083-6, hier S. 1085) 101 Interview mit Axel Gödecke vom 26.04.2016, S. 3. 102 Vgl. Gödecke, 2002, S. 3. 103 Müller-Wille/Rheinberger, 2009, S. 98.

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Die potenzielle Spezifizität eines so produzierten Knockout-Modells ist vergleichbar mit der von Heidegger postulierten „Strenge der Forschung“ (Kap 1.3). Denn das zu untersuchende Ziel-Gen wird „als das Schon-Bekannte im Vorhinein ausgemacht“ und „betrifft nichts Geringeres als den Entwurf dessen, was künftig Natur sein soll“: nämlich den durch Genmanipulation hervorgebrachen, zu untersuchenden und im Idealfall mit einer menschlichen Erkrankung korrelierenden Phänotyp.104 Ähnlich wie bei dem in Kap. 1.6.2 erwähnten Beispiel des EKG entpuppt sich die elektrophoretische Darstellung einer erfolgreichen Genmutation als bildlicher Entwurf, dessen Konsequenzen im lebendigen Organismus man in zukünftigen Experimenten analysieren muss und für deren Darstellungen man weitere Messmethoden und die damit verbundenen Repräsentationstechniken benötigt. Zusammenfassung der experimentellen Dispositionen zur Produktion von Knockout-Mäusen und ihre Modellierung zu epistemischen Dingen Aber das „Schon-Bekannte im Vorhinein“ im Sinne Heideggers betrifft auch die experimentellen Dispositionen der Produktion von Knockout-Mäusen. Die beiden entscheidenden Methoden (Genmanipulation mittels homologer Rekombination und Keimbahntransmission der ES-Zellen) sind nicht nur vorgefundene Methoden und Prozeduren, die einfach abgegriffen und zusammengefügt werden mussten. Auch hier kommt es auf das historisch-singuläre Entwurfsgeschehen an, das sich weniger in von ‚Genies‘ erbrachten ‚Meilensteinen‘ als vielmehr in Ketten von nicht geplanten Ereignissen vollzog. Smithies, der sich und seine Nobelpreis-Mitstreiter (Capecchi und Evans) als „Werkzeugmacher“ („toolmakers“) bezeichnet, bringt dieses Entwurfsgeschehen wie folgt auf den Punkt: „[Toolmakers] see problems, invent tools to solve them and enjoy the solutions, which often demonstrate new principles that were not part of the original thought. As a bonus, they also enjoy the vicarious pleasure of seeing other people use the same tools to solve very different problems. Yet the invention of an effective scientific tool is rarely an isolated event; there are often many prior experiences that trigger the inventive thought, and there may be various unexpected additional problems to solve before the toolmaker can bring a nascent idea into practice.“105

104 Vgl. Heidegger, 1963 [1938], S. 72. Hervorh. TK. Bezüglich Heideggers Begriff der „Strenge der Forschung“ sei hier angemerkt, dass für Heidegger die Lebenswissenschaften, „gerade um streng zu bleiben, notwendig unexakt sein“ müssen, denn man erfasse das „Lebendige“ nicht durch die Beschreibung in „rein physikalisch-mathematischen Größen.“ (Ebd., S. 73) 105 Smithies, Nat Med. 2001 Oct;7(10):1083-6, hier S. 1083.

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Smithies spricht von daher nicht von einem gradlinigen Prozess oder einem Fortschritt hin zur Produktion der Knockout-Maus, sondern von einer „chain of events leading to my contributions“.106 Sowohl die Techniken zum „gene targeting“ als auch zur Zucht von ES-Zellen in vitro standen Mitte der 1980er Jahre zwar alle (wenn auch nicht unbedingt ausgereift) zur Verfügung, was jedoch fehlte war das Konzept, diese dispositionellen Technologien so zu kombinieren und zu rekonfigurieren, sodass man die in-vitro-Bereiche der homologen Rekombination und der ES-Zellkultur mit dem in-vivo-Bereich des lebenden Organismus der Maus in einem Experimentalsystem zusammenbringen konnte. Die in einem solchen Experimentalsystem vorkommenden Akteure sind neben den Forschern und den von ihnen konstruierten oder verfeinerten Apparaturen vor allem natürlich vorkommende, aber zugleich experimentell manipulierte Entitäten, wie z.B. Zellen, Moleküle, Proteine, DNA-Sequenzen, Enzyme usw. Das wissenschaftsgeschichtlich Erstaunliche an solchen Settings von Akteuren innerhalb von Experimentalsystemen ist die Transformation von natürlichen Prozessen (wie jene der homologen Rekombination oder der DNA-Polymerase) in enzymatisch-zelluläre Maschinen bzw. Werkzeuge, bei welchen die „notwendigen Sequenzen von Operationen“,107 nämlich die entscheidenden vorhersagbaren und manipulierbaren Biomechanismen von der Natur ‚mitgeliefert‘ werden. 108 Die experimentellen Dispositionen zur Produktion von Knockout-Mäusen sind (wie die chimären Mäuse) ‚mosaikhaft‘: Weder die ‚Bändigung‘ der enzymatischzellulären Maschinerie der homologen Rekombination und die Zucht von ES-Zellen und ihre Transmission in die Keimbahn von Labormäusen noch die Etablierung der damit verbundenen Experimentaltechniken sind mit präexistenten Platonischen Formen zu vergleichen, die man nur noch ‚abgreifen‘ musste, sondern sind veränderliche, in sozialen und institutionellen Kontexten situierte und verankerte Konstrukte, die als epistemische Dinge und technische Objekte in divergenten Experimentalkulturen detektiert, repräsentiert und nicht zuletzt verhandelt werden. Mit der o.g. Etablierung des Standardprotokolls zu Herstellung von KnockoutMäusen (siehe Abb. 27) könnte man mit Latour argumentieren, dass dieses Verfahren zur experimentellen Black Box109 geworden ist. Denn das Konzept der Zusammenführung der in-vitro- und in-vivo-Bereiche (homologe Rekombination und ESZellkultur) wurde zunächst zu einem Experimentalsystem. Mit dem standardisierten Protokoll wurde das Verfahren daraufhin zu einer potenziell universellen Technik, die aufgrund der genetisch veränderten Phänotypen der Knockout-Mäuse neue Ge-

106 Ebd. 107 Canguilhem, in: ders., 2009, S. 211. 108 Vgl. Rabinow, 1996, S. 9. 109 Vgl. Latour, 1987, S. 3.

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genstandsbezirke (im Sinne Heideggers) eröffnet und wohlmöglich wieder Anlass zu neuen Konzepten gibt, die den beobachteten Phänotyp mit Pathologien in Korrelation setzen. Bei dieser Modellierung von Mäusen zu epistemischen Dingen werden die einzelnen Mäuse zu Trägerinnen theoretischer Eigenschaften. Sie sind nicht länger nur passive natürliche Objekte, die in Experimentalsystemen etwas von ihrer verborgenen Konstitution preisgeben, sondern bringen als Resultat ihrer Modellierung ein zuvor definiertes theoretisches Konzept zur körperlichen Erscheinung und liefern sich selbst als Material für die phänotypische Funktionsanalyse. 110 Der Fokus auf den Gesamtorganismus im Rahmen einer „functional genomics“ Der spannende Punkt bei Experimenten mit Knockout-Mäusen war, nachdem die Technik Anfang der 1990er Jahre weitgehend etabliert wurde, die Frage nach den Konsequenzen der Genveränderung im Phänotyp der Knockout-Mäuse. Welche Genmanipulation wurde überhaupt vom Organismus der Maus toleriert? Welche Genmanipulation produzierte einen letalen (d.h. nicht überlebensfähigen) Phänotyp? Sind die Auswirkungen der Genmanipulation am Phänotyp erkennbar, d.h., zeigt das Ausschalten eines Gens überhaupt die gewünschten pathologischen Effekte für ein adäquates in-vivo-Modell menschlicher Erkrankungen? Mit der Modellierung der transgenen Maus als epistemisches Ding zur phänotypischen Funktionsanalyse geht ein allgemeinerer Trend zurück zur Untersuchung des Gesamtorganismus innerhalb der Biowissenschaften einher: „A generation of molecular biologists, whose educational trajectory was oriented to expect the future of biological enquiry to be completed in vitro and in silico, are returning in large numbers to study life in vivo. After a period scattered at the margins, the mouse is returning to the large-scale centres of contemporary biology as model organisms in functional genomics, as one part of these post genomic endeavours.“111

Mit dem neuen ‚Zauberwort‘ der „functional genomics“ ging Ende der 1990er Jahre zugleich eine Welle der Euphorie durch die scientific communitiy, welche die Hoffnung hegte, dass die Verbindung der transgenen Technologie mit der Anfang des neuen Jahrtausends erwarteten Entschlüsselung des menschlichen Genoms und des Mausgenoms völlig neue Möglichkeiten bei der Konzipierung von in-vivoModellen für menschliche Erkrankungen bieten könnte. Die Frage, ob die Maus tatsächlich ein Modellorganismus im engeren Sinne (verstanden als ein auf alle anderen Spezies und Klassen übertragbares Modell) werden könnte bzw. ein offeneres

110 Vgl. Amann, in: Hagner/Rheinberger/Wahrig-Schmidt (Hg.), 1994, S. 278. 111 Davies, Geoforum, 2013, 48, S. 268-278, hier S. 269. Hervorh. im Original.

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und zugleich spezifischeres (weil menschliche Erkrankungen imitierendes) Tiermodell bleibt, soll im nächsten Abschnitt anhand der Materialität eines im Rahmen der Düsseldorfer SFB 242 und SFB 612 etablierten Knockout-Modells, der MyoglobinKnockout-Maus, erläutert werden.

3.3 PROJEKT-EREIGNISSE IM SFB 612: MATERIALITÄT UND KONTINGENZ DER MYOGLOBIN-KNOCKOUT-MAUS Der verstärkte Einsatz transgener Mäuse hat insbesondere in der Herz-Kreislaufphysiologie im Laufe der 1990er Jahre zu einer Rückbesinnung auf die Untersuchung des Ganztiers geführt. Lange Zeit stand die in-vitro-Funktionsanalyse einzelner Proteine auf zellulärer Ebene und ex-vivo-Untersuchungen an isolierten Organen im Vordergrund. Nun rückt die Untersuchung in den Fokus, welche Funktionen Proteine auf der Ganztierebene haben. Mit der transgenen Technologie wurde es möglich, die Genfunktion von der Zelle bis zum Ganztier zu untersuchen und so Einblick in die „Plastizität“ des Geno- und des Phänotyps zu bekommen. 112 Die Euphorie und Hoffnung, ein universelles Werkzeug zur Etablierung von selektiven in-vivo-Modellen zur Erforschung der Funktion eines Gens bzw. eines Proteins und deren Bedeutung für die Entstehung kardiovaskulärer Erkrankungen zu finden, war bei den Forschern entsprechend groß: „The recent developments have significantly broadened the scope of questions that can be addressed using transgenic technology, to the extent that almost any transgenic experiment conceivable seems to be technically possible. It is to be expected that transgenic animal models will not only deepen our understanding of cardiovascular physiology but also, in combination with advances in the field of direct and somatic gene transfer, will open the way to new therapeutic approaches in treatment of cardiovascular disease.“113

Die Überlegung hinter solchen Hoffnungen war meist sehr direkt: Die Wegnahme eines Gens bei einer Knockout-Maus resultiert in krankheitsspezifischen Veränderungen des Phänotyps, aus der sich die Genfunktion unmittelbar ablesen lässt – ganz im Sinne einer mathematischen Gleichung mit einer Unbekannten. 114 Dieser Glaube an die Möglichkeit einer mehr oder weniger ‚eins-zu-eins‘-Simulation von

112 Gödecke, 2002, S. 40-41. 113 Franz/Katus et al., J Mol Med (Berl). 1997 Feb;75(2):115-29, hier S. 126. 114 Schrader, in: Jahrbuch der HHU, 2005/06, S. 79.

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humanen Pathologien durch transgene Mausmodelle korrespondiert noch mit dem in Kap. 3.1.3 erläuterten „zentralen Dogma der Molekularbiologie“: „Ein Gen kodiert ein Protein, ein Protein setzt ein Gen voraus – oder klinisch gewendet: ein Gen kodiert eine Krankheit, bzw. eine Krankheit setzt ein [defektes oder fehlendes] Gen voraus. Der […] Organismus ist demnach die Realisierung eines genetischen Programms, es gibt eine strikte Hierarchie von Gen zu Organismus.“115

Bereits in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren gab es aufgrund der Kooperation des Instituts für Herz- und Kreislaufphysiologie der Heinrich-HeineUniversität Düsseldorf (HHU) mit der University of Virginia ein reges Forschungsinteresse an der Diffusion und dem Transport von Sauerstoff im humanen und murinen Organismus.116 Die Forschung um Myoglobin In diesem Kontext bot es sich an, die sauerstofftransportierende Funktion des Proteins Myoglobin mithilfe der transgenen Technologie näher zu untersuchen. Ähnlich wie das verwandte Hämoglobin, das den Sauerstofftransport von der Lunge zu den Zellen bewerkstelligt, bindet das Myoglobin reversibel den Sauerstoff – allerdings mit einer sechsfach höheren Affinität als das im Blutkreislauf zirkulierende Hämoglobin. Zudem enthält das in der Evolution hochgradig konservierte Myoglobin einen Farbstoff, der die Muskeln rot färbt. 117 Myoglobin wurde bereits 1897 entdeckt und im Anschluss intensiv beforscht und ist neben dem Hämoglobin das erste Protein, dessen Struktur in einem molekularen dreidimensionalen Modell mittels Röntgenkristallographie Ende der 1950er Jahre aufgeklärt werden konnte. 118 Nachdem Anfang der 1960er Jahre das Hämoglobin als Vermittler einer erleichterten Sauerstoffdiffusion charakterisiert wurde, konnte Mitte der 1960er Jahre die-

115 Labisch, in: ders./Paul (Hg.), 2004, S. 218. 116 Interview mit Jürgen Schrader vom 18.06.2015, S. 17. In Virginia gab es bereits entsprechende zentrale Einrichtungen (sogenannte „core facilities“) zur Mäusezucht. 117 „Myoglobin“, in: Internetseite des Instituts für Molekulare Kardiologie der HHU, unter: http://www.nmr.hhu.de/sets/myoglobin.html, Stand: 25.07.2016. 118 de Chadarevian, in: dies./Kamminga (Hg.), 1998, S. 177. Durch das Messen der Punktmuster, der Röntgenstrahlen, die durch das Myoglobin-Kristall in viele Richtungen gestreut wurden, war der englische Biochemiker John Kendrew (1917-1997) in der Lage, die Proteinstruktur des Moleküls in einem dreidimensionalen Modell darzustellen. Auf Grundlage dieser Methode konnten im Anschluss die Proteinstrukturen von vielen verschiedenen Molekülen aufgeklärt werden. Die Methode findet in verfeinerter Form bis heute Anwendung.

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ses Konzept auf das Myoglobin ausgedehnt und postuliert werden, dass die Sauerstoffdiffusion eine wichtige Funktion dieses Proteins ist. Jedoch war es lange Zeit umstritten, ob dieser postulierte „Myoglobin-Sauerstoffkomplex“ auch unter invivo-Bedingungen dafür sorgte, dass Myoglobin in den Zellen schnell genug diffundierte, um den Sauerstoff zu transportieren oder nicht. 119 Neben ausgefeilten zellbiologischen Untersuchungen stützte man sich in der Myoglobin-Forschung bis weit in die 1990er Jahre auf Vergleichsstudien zwischen verschiedenen Spezies. Z.B. untersuchte man ähnliche Fischarten – die eine Art hat Myoglobin, die andere nicht – oder Meeressäuger wie z.B. Wale, die aufgrund ihrer Fähigkeit, tief zu tauchen, eine bis zu zehnfach höhere Konzentration an Myoglobin im Muskelgewebe exprimieren, um ausreichend Sauerstoff beim Tauchvorgang zu speichern. Experimentell waren die Spezies jedoch nicht direkt vergleichbar, sodass sich das Feld um die Myoglobin-Forschung Mitte der 1990er Jahre in gewisser Weise ‚festgefahren‘ schien. Lediglich die Funktion von Myoglobin als Sauerstoffspeicher war weitgehend akzeptiert.120 Fraglich blieb die sauerstofftransportierende Funktion von Myoglobin. Was fehlte, war ein integratives in-vivo-Modell zur Produktion von experimentellen Differenzen: „Plus-Minus: der Rest gleich“,121 d.h. ein in-vivo-Modell, bei dem Myoglobin gezielt ausgeschaltet wurde, um im Langzeitexperiment Vergleiche zwischen myoglobindefizienten und Wildtyp-Mäusen herstellen zu können. Die Myoglobin-Knockout-Maus Im Rahmen der Etablierungsarbeit zur Produktion von transgenen Tieren wurde in der Zentralen Tierversuchsanlage (TVA) der HHU im Rahmen des SFB 242 (siehe Einleitung zum dritten Kapitel, S. 283) zwischen 1993 und 1995 ein Labor mit allen Ausstattungsmerkmalen, wie z.B. Mikroinjektionsapparatur, ES-Zellkulturtechniken, PCR-Apparaturen usw. zur Produktion von Knockout-Mäusen eingerichtet. Dabei waren zunächst die nötigen Gentechnikgenehmigungen einzuholen, die ESZellkulturen zu etablieren und die nötigen Apparaturen zu beschaffen. 122

119 Vgl. Finanzierungsantrag des SFB 612 für die Jahre 2002-2003-2004 (SFB 1919 zur Zeit der Antragsinitiative), S. 176, in: Privatarchiv des SFB 612, (Lit.verz., AQ: Finanz.antr. SFB 612). 120 „Myoglobin“, in: Internetseite des Instituts für Molekulare Kardiologie der HHU, unter: http://www.nmr.hhu.de/sets/myoglobin.html, Stand: 25.07.2016. 121 Interview mit Axel Gödecke vom 26.04.2016, S. 7. 122 Diese Etablierungsarbeit war zeit- und kostenintensiv und weder intra- noch extramural einfach durchzusetzen. Beispielsweise war das Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen zunächst gewillt, die HHU beim Aufbau von Strukturen zur Forschung mit transgenen Tieren zu unterstützen. Jedoch kam schnell die Frage auf: „Kann man das nicht anders nennen [als transgene Tiere]?“

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Das Projekt zur Myoglobin-Knockout-Maus stellte gewissermaßen ein ‚Highrisk‘-Projekt dar, bei dem man glaubte, dass der genetisch modifizierte Organismus wahrscheinlich nicht lebensfähig sein würde. Das epistemische Ding in diesem Projekt war also die Erforschung der Konsequenzen einer Myoglobin-Defizienz bei transgenen Mäusen, wobei insbesondere die Funktionsanalyse des Phänotyps im Vordergrund stehen sollte. Das Experimentalsystem zur Produktion und zur Phänotyp-Analyse der Myoglobin-Knockout-Maus soll anhand der folgenden synoptischen Abbildung aus dem Originalartikel der SFB-Forscher aus dem Jahre 1999 illustriert werden (siehe Abb. 29). Die experimentelle Haupttätigkeit bestand zunächst darin, gemäß des in Kap. 3.2 geschilderten Knockout-Protokolls (vgl. Abb. 27), ES-Zellen zu kultivieren und mittels homologer Rekombination genetisch zu manipulieren und sie anschließend in zweieinhalbtägige Mausembryonen zu mikroinjizieren. Die Mausembryonen stammen aus einem vom Jackson Laboratory gezüchteten Inzuchtstamm (Stammnummer 129), dessen Genealogie bis in das Jahr 1928 zurückverfolgt werden kann. Die ursprüngliche Herkunft dieser Mauslinie entstammt einer Kreuzung von Mäusen, erhalten von englischen Hobby-Fellfarbzüchtern und einem Chinchilla-Stamm, der ebenfalls zur Fellfarbzucht verwendet wurde. Der in diesem Experiment verwendete Mausstamm (129Sv) wurde erstmals im Jahre 1953 im Jackson Laboratory gezüchtet. Die aus diesem Stamm gewonnen ES-Zellen eignen sich aufgrund ihrer hohen Affinität gut für die Keimbahntransmission im Rahmen der transgenen Technologie.123

Letztendlich konnten die zuständigen Mitarbeiter im Ministerium nichts bezüglich einer finanziellen Unterstützung bewirken, weil die angestrebte transgene Technologie Anfang der 1990er Jahre politisch nicht opportun war (Interview mit Jürgen Schrader vom 18.06.2015, S. 17). 123 Threadgill et al., Mamm Genome. 1997 Jun;8(6):390-3.

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Abbildung 29: Strategie des „gene targeting“ und die molekulare und makrostrukturelle Verifikation der Ausschaltung von Myoglobin in transgenen Mäusen.

Quelle: Gödecke et al., Proc Natl Acad Sci USA. 1999 Aug 31;96(18):10495-500. Copyright: National Academy of Sciences, USA (1999).

Der obere Teil A) der Abb. 29 zeigt die Strategie des „gene targeting“: Nachdem der Ziel-Vektor (A), mittig „vector“) erfolgreich in das Ziel-Gen der ES-Zellen eingeführt wurde, konnten mittels der in Kap. 3.2.3 geschilderten PCR-Methode drei von insgesamt 98 Klone ausgemacht werden, die korrekt getroffen wurden, um sie anschließend für die Erzeugung der gewünschten Myoglobin-Knockout-Linie zu verwenden.124 Mit den in Abb. B), C) und D) dargestellten Daten ist der erfolgreiche Übergang von einem in-vitro- zu einem in-vivo-System erreicht (Abb. 29). Diese durch Elektrophorese hergestellten experimentellen Spuren gewinnen ihre Aussagekraft durch die Produktion von Differenzen zwischen den sogenannten Wildtypen (+/+), den heterozygoten Mäusen (-/+) und den homozygoten Myoglobin-Knockout-Mäusen (-/-). Informationstragenden Moleküle schreiben sich hier unmittelbar in das Gelpräparat ein, sodass die Intervention und die Repräsentation des genetisch manipulierten Materials einhergehen. Wie bereits in Kap. 3.2.2 geschildert, wird damit nicht nur ein von vielen Forschern geteilter Repräsentations-, sondern auch ein Ent-

124 Gödecke et al., Proc Natl Acad Sci USA. 1999 Aug 31;96(18):10495-500, hier S. 10495.

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scheidungsraum aufgespannt: Denn nur nach der bildlichen Evidenz, welche die korrekte Ausschaltung des Ziel-Gens Myoglobin beweist, kann man mit der aufwendigen Funktionsanalyse des Phänotyps beginnen und ist sicher, dass man auch wirklich die gewünschte Knockout-Linien gezüchtet hat. Die experimentelle Spur wird damit zum epistemischen Bild, das Fakten schafft, den Forschern Handlungsanweisungen gibt, was laut Protokoll als Nächstes zu tun ist und damit den Fortgang des Experiments maßgeblich mitbestimmt. Das Aufspannen eines elektrophoretischen Entscheidungsraums ist von großer Wichtigkeit, weil das Arrangement zur Manipulation der ES-Zellen äußerst prekär und betreuungsintensiv ist. Es kann leicht passieren, dass die ES-Zellen sich bei fehlender Überwachung nicht wie gewünscht ausdifferenzieren und unbemerkt nicht ausreichend chimäre Mausembryonen produzieren und der kosten- und zeitintensive Versuch aufwendig korrigiert oder gar abgebrochen werden muss. Die Hauptfehlquelle liegt dabei häufig beim Experimentator selbst: „Der Feind der transgenen Technologie ist das Wochenende“, an dem die ES-Kulturen leicht vernachlässigt werden.125 Im vorliegenden Falle der Myoglobin-Knockout-Maus hat, wie sich an den schwarzen elektrophoretischen Banden in den Abb. B), C) und D) ablesen lässt, sowohl die Ausschaltung des ZielGens zur Inaktivierung von Myoglobin als auch die Keimbahntransmission zur Züchtung dieser Mäuse funktioniert. Das besondere beim Ausschalten von Myoglobin ist, dass die Forscher den Knockout frei nach dem Motto ‚seht selbst her!‘ 126 zusätzlich auf makroskopischer Ebene, also für das ganz und gar ‚unbewaffnete‘ Auge beweisen konnten: Da Myoglobin das Gewebe rot färbt, kann man hier geradezu emblematisch (ohne aufwendige molekularbiologische Methoden) sehen, dass die isolierten Herzen der Knockout-Mäuse blass im Vergleich zu den roten Wildtyp-Herzen sind (Abb. 29 E). Da die SFB-Forscher davon ausgingen, dass der produzierte Phänotyp der Myoglobin-Knockout-Maus letal, d.h. nicht überlebensfähig sein wird, war die Überraschung groß, dass unter den Nachkommen tatsächlich homozygot-mutierte Tiere gefunden wurden. Die noch größere Überraschung war, als die entsprechende erste komplette Myoglobin-Knockout-Maus aus den Käfigen geholt wurde, dass diese nicht schlaff in der Ecke lag und kurz vor dem Versterben stand, sondern „fröhlich am Käfigdeckel hin und her turnte, was […] bei einem [chronischen] Sauerstoff-

125 Interview mit Axel Gödecke vom 26.04.2016, S. 13. 126 Das ‚seht selbst her‘ entspricht dem Modus des „dissenters“ in Latours „Science in Action“ (1987), wo er zeigt, dass die Naturwissenschaften ihre Ergebnisse und Postulate mittels Inskriptionen, anderen wissenschaftlichen Bildern oder aber auch mit offensichtlichen makroskopischen Belegen in von ihm sogenannten „trials of strength“ verteidigen müssen, um im ‚Wahren‘ des wissenschaftlichen Diskurses ihrer scientific community zu sein (vgl. Latour, 1987, S. 74-79).

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mangel nicht zu erwarten gewesen wäre.“127 Nach diesen entgegen den Erwartungen der SFB-Forscher eingetroffenen experimentellen Kontingenzen konnte die Suche nach der Funktion von Myoglobin und den Gründen für den unerwartet ‚normalen‘ Phänotyp beginnen. Als man diese aufwendige Funktionsanalyse in Düsseldorf fast abgeschlossen hatte und das oben zitierte Paper128 bereits in den Endzügen geschrieben war, erreichte die SFB-Forscher die Nachricht von der Publikation einer konkurrierenden Arbeitsgruppe aus den USA zum gleichen Thema: „Mice without myoglobin“ 129 hieß der Titel des, zum Ärger der SFB-Forscher, in der renommierten Fachzeitschrift „Nature“130 veröffentlichten Papers. Hier wurden exakt die gleichen experimentellen Kontingenzen präsentiert: „Here we show, however, that mice without myoglobin, generated by gene-knockout technology, are fertile and exhibit normal exercise capacity and a normal ventilatory response to low oxygen levels (hypoxia).“131 Der „Nature“-Artikel war allerdings mit deutlich weniger Daten unterlegt als das Manuskript der SFB-Forscher und schloss mit dem sehr direkten Fazit: „These data show that myoglobin is not essential for apparently normal cardiovascular and

127 Interview mit Axel Gödecke vom 26.04.2016, S. 4. 128 Gödecke et al., Proc Natl Acad Sci USA. 1999 Aug 31;96(18):10495-500. 129 Garry et al., Nature. 1998 Oct 29;395(6705):905-8. 130 Veröffentlichungen in der Fachzeitschrift „Nature“ bedeuten in der biomedizinischen community die höchste Priorität einer Publikation und stehen jeweils für einen zentralen Beitrag zur Weiterentwicklung einer Disziplin (Amann, in: Hagner/Rheinberger/ Wahrig-Schmidt [Hg.], 1994, S. 281, FN 44). Diese Priorisierung erfolgt auch, weil die Journale u.a durch Zitationsanzahlen errechnete „impact factors“ (IF) nach ihrer wissenschaftlichen Bedeutung hierarchisiert werden. Hat z.B. ein ‚kleineres‘ nationales Journal, wie „Basic research in cardiology“ für das Jahr 2016 einen IF von 5,306, so wird „Nature“ mit einem IF von 40,137 beziffert (vgl. Internetseiten der beiden Journale, unter: http://www.springer.com/medicine/cardiology/journal/395 und unter: http:// www.nature.com/npg_/company_info/journal_metrics.html, jeweiliger Stand: 27.09.2017). Für die biomedizinischen oder naturwissenschaftlichen Forscher ist das generieren eines hohen kumulativen IF für ihre Karriereentwicklung äußerst wichtig, denn zum einen werden die aus den Publikationen generierten kumulativen IF in den Lebensläufen aufsummiert, um die gesamte Publikationsleistung eines Forschers beziffern zu können, was für Bewerbungsverfahren von großer Bedeutung sein kann. Zum anderen muss in vielen Medizinischen Fakultäten eine gewisse Mindestzahl von IF erreicht werden, um für ein Habilitationsverfahren zugelassen zu werden. 131 Garry et al., Nature. 1998 Oct 29;395(6705):905-8, hier S. 905.

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musculoskeletal function in a terrestrial, homeothermic mammal with high metabolic demands.“132 Die Logik hinter diesem etwas provokanten Postulat ging nicht von einer Dynamik komplexer Genaktivierungen aus, sondern blieb dem bereits eingangs erwähnten „zentralen Dogma der Molekularbiologie“ verhaftet: Schaltet man Myoglobin mittels der Knockout-Technologie aus und zeigt der Phänotyp keine Störungen im Vergleich zum Wildtyp, kann Myoglobin nicht essenziell für die normale kardiovaskuläre und muskuloskelettale Funktion von Säugern sein. Weil sich die Myoglobin-Forschung bereits jahrzehntelang mit dieser Thematik beschäftigte und die Annahme der Myoglobin-Funktion als Sauerstoffspeicher bereits im Paradigma, und somit auch in den experimentellen Dispositionen der HerzKreislaufphysiologie verankert war, traf dieses Postulat die scientific community wie ein „Paukenschlag“. 133 Damit war die Frage aufgeworfen, ob Myoglobin nur ein rudimentäres Relikt aus der Evolution ohne wichtige Funktion ist. Supplementäres Messen Die Antwort der SFB-Forscher auf das „Nature-Paper“ war nicht etwa eine theoretische Auseinandersetzung mit diesem evolutionsbiologischen Postulat. Vielmehr supplementierte man die Resultate der amerikanischen Arbeitsgruppe mit weiteren Messdaten. Mit diesem ‚Mehr an Messen‘134 überlagerten die SFB-Forscher nicht nur verschiedene Repräsentationstechniken und nutzten (zum Teil im Vorgänger-

132 Ebd. 133 Vgl. Interview mit Axel Gödecke vom 26.04.2016, S. 6. Aufgrund von relativierenden Sätzen im „Nature“-Artikel wie z.B. „other counter-regulatory phenomena, yet to be identified, may lead to preservation of muscle function in the absence of myoglobin“ liegt es nahe, dass Garry et al. (Nature. 1998 Oct 29;395(6705):905-8) diesen „Paukenschlag“ bewusst herbeigeführt haben, um mit dieser Sensation in das renommierte Journal aufgenommen zu werden. 134 Ein wissenschaftshistorisches Beispiel für supplementäres Messen findet sich bereits bei Claude Bernard, der die glykogene Funktion der Leber nicht durch theoretische Überlegungen, sondern durch zusätzliches Messen im Rahmen einer Funktionsanalyse entdeckte: „[…] Bernard [stellte fest], dass die Frage, wozu ein Organ dient, nicht zur Entdeckung seiner Funktion führt. Vielmehr muss man den verschiedenen Momenten und Aspekten der Funktion nachgehen, um das Organ oder den Apparat zu entdecken, der für sie Verantwortung trägt. Nicht dadurch, dass man fragte: ‚Wozu dient die Leber?‘ hat man ihre glykogene Funktion entdeckt, sondern indem man den Zucker des Bluts gemessen hat, das man an verschiedenen Punkten aus dem Zirkulationsfluß [sic] eines Tiers entnommen hat, welches seit mehreren Tagen nüchtern war.“ (Canguilhem, 2001 [1951], S. 5)

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SFB produziertes) supplementäres Wissen (im Sinne Latours)135, sie zeigten auch, dass das Ausschalten eines Gens nicht unbedingt immer mit einem Verlust der ihm zugeschriebenen Funktion einhergeht. Die Frage war nun, wie es die MyoglobinKnockout-Maus bewerkstelligte, ihre ausreichende Sauerstoffversorgung im Herzen aufrecht zu erhalten. Wie in Abb. 30 zu sehen, benutzten die SFB-Forscher zunächst prinzipiell die gleichen Techniken wie die in Kap. 2.5.2.1 geschilderten Experimente des SFB 30 zum erhöhten Perfusionsdruck: Sie untersuchten die basalen funktionellen Parameter mittels klassischer Hämodynamikmessung an isoliert perfundierten Langendorff-Herzen; dazu zählten kontraktile Parameter wie der Druck im linken Ventrikel („LVP“) und die Druckanstiegsgeschwindigkeit („dp/dtmax“), die Bestimmung des Sauerstoffverbrauchs („MVO2“), des venösen Blutgases („V-PO2“) und des koronaren Flusses („Coronary Flow“). Zusätzlich bestimmten sie die Anzahl der roten Blutkörperchen und den Hämoglobinwert im Blut. Dabei kamen im Vergleich zu den Messtechniken des SFB 30 der 1970er Jahre noch Bestimmungen metabolischer Parameter mittels MRT-Spektrometrie hinzu (dazu mehr in Kap. 3.4). Die Darstellung der Messung der hämodynamischen und metabolischen Parameter erfolgte ebenfalls übereinander gelagert wie jene im SFB 30 (vgl. Abb. 24 und 26 im Kap. 2.5.2.1, S. 268 und 272) mit dem synoptischen Effekt, alle relevanten Größen der Herz-Kreislauffunktion ‚auf einen Blick‘ erfassen zu können.

135 In seinem Text „Zirkulierende Referenz“ macht Latour (2002 [1999], S. 42) darauf aufmerksame, dass bei der Produktion von wissenschaftlichen Bildern man das „Knowhow jahrhunderteralter Disziplinen aufbietet.“ Dieses Wissen nennt er „supplementäres Wissen“, das durch die „Papierarbeit“ der Inskription zu gleich fixiert und mobilisiert wird, was wiederum auf sein Konzept des „immutable mobile“ (vgl. etwa Kap. 2.2 zum EKG) verweist. Supplementäres Wissen entspricht damit den Dispositionen, verstanden als „Sprungbretter in die Zukunft“ (vgl. Keating/Cambrosio, 2003, S. 27), welche die Möglichkeitsräume für die experimentelle Wissensproduktion zuerst aufspannen.

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Abbildung 30: Synoptische Darstellung von Messergebnissen hämodynamischer und metabolischer Parameter zur Produktion von Differenzen zwischen Myoglobin-Knockout- und Wildtyp-Mäusen.

Quelle: Gödecke et al., Proc Natl Acad Sci USA. 1999 Aug 31;96(18):10495-500. Copyright: National Academy of Sciences, USA (1999).

Die durch den Vergleich zwischen Wildtyp-Mäusen (links schwarz) und Myoglobin-Knockout-Mäusen (rechts grau) produzierten Differenzen lassen erkennen, dass die Myoglobin-Knockout-Mäuse keine besonderen Auffälligkeiten hinsichtlich der meisten basalen funktionellen Herz-Kreislaufparameter aufweisen, was die auf dem ersten Blick ausgemachte normale Belastungsfähigkeit der Tiere zunächst bestätigte. Doch war der koronare Fluss („Coronary Flow“) und die Sauerstoffsättigung bei den Myoglobin-Knockout-Mäusen zum Teil statistisch signifikant erhöht. Die Frage der Belastungsfähigkeit vertiefte man in einem zusätzlichen „trial of strength“ 136 mittels Provokationsexperimenten. Die Tiere wurden auf einem Laufband körperli-

136 Im Sinne Latours, 1987, S. 74-79.

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cher Belastung unterzogen, sie wurden mit einer beta-adrenergen Stimulation pharmakologisch behandelt, wodurch das Herz sehr stark pumpt und hypertrophiert (nimmt an Größe zu). Zusammengefasst zeigten diese Provokationsexperimente, dass die Myoglobin-Knockout-Mäuse überraschenderweise besser an diesen Stress angepasst waren als die Wildtypen.137 Noch erstaunlicher waren die durch die Myoglobin-Mutation verursachten strukturellen Veränderungen, welche in Abb. 31 zusammengefasst sind. Abbildung 31: Strukturelle Veränderungen im Gewebe der Myoglobin-Knockout-Mäuse im Vergleich zu Wildtyp-Mäusen.

Quelle: Gödecke et al., Proc Natl Acad Sci USA. 1999 Aug 31;96(18):10495-500. Copyright: National Academy of Sciences, USA (1999).

Waren für die Messung hämodynamischer Parameter Diagramme die ideale Darstellungsform zur Illustration der im Experiment produzierten Differenzen, so sind es für die Darstellung morphologischer Strukturen immunhistochemisch bearbeitete und gefärbte Gewebeschnitte. Beachtlich in dieser Abbildung (oberer Teil) ist, dass die Myoglobin-Knockout-Mäuse eine um 30 % erhöhte (hier mittels Elektronenmikroskopie dargestellte) Kapillardichte haben, welche den Abstand von der Kapil-

137 Gödecke et al., Proc Natl Acad Sci USA. 1999 Aug 31;96(18):10495-500, hier S. 10498 sowie Interview mit Axel Gödecke vom 26.04.2016, S. 5.

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lare zum Kern der Herzmuskelzelle signifikant verringert und dadurch den Sauerstofftransport zu den Mitochondrien (den ‚Energieerzeugern‘ in der Zelle) erleichtert. Kontingenz der Myoglobin-Knockout-Maus: Kompensationsmechanismen Die Frage, durch welche Kompensations- oder Adaptationsmechanismen die Myoglobin-Knockout-Maus den fehlenden Sauerstoff in ihr Herz bekommt, lässt sich auf Grundlage der umfangreichen Phänotypanalyse der SFB-Forscher wie folgt beantworten: Die Myoglobin-Knockout-Maus hat einen 8 % höheren Hämoglobingehalt und damit mehr Sauerstoff im Blut. Sie erhöht den koronaren Blutfluss signifikant und weil der Sauerstoff für den Stoffwechsel gebraucht wird, wurde in fortführenden Experimenten zusätzlich festgestellt, dass sie sogar ihren Stoffwechsel durch Herunterregulierung der Fettsäuren und Heraufregulierung der Glukosenutzung umschaltet, um Sauerstoff zu sparen. Nicht zuletzt erhöht sie, wie erwähnt die Kapillardichte um mehr als 30 % im Herzmuskelgewebe, was ebenfalls zu einer besseren Sauerstoffversorgung führt.138 Der Organismus der Knockout-Maus war unerwarteter Weise in der Lage, das Fehlen eines in der Evolution sehr gut erhaltenen und aufgrund der aufgezeigten Mechanismen offensichtlich äußerst wichtigen Proteins wie dem Myoglobin zu kompensieren. Dabei veränderten sich nicht nur molekulare Vorgänge wie der Stoffwechsel, sondern auch mit klassischen Messmethoden erfassbare Veränderungen der Hämodynamik und sogar morphologische Strukturen. Intendiert hatten die SFB-Forscher, einen pathologischen Phänotyp zu produzieren, um als Fernziel daraus ein in-vivo-Modell für kardiovaskuläre Erkrankungen wie Hypoxie und Ischämie im Herzen zu gewinnen. Aus dieser Perspektive ist der Versuch ‚gescheitert‘ und die Myoglobin-Knockout-Maus hat den SFB-Forschern ein „Schnippchen geschlagen“,139 d.h., Mäuse, die eigentlich hätten ‚todkrank‘ sein und anschließend als Krankheitsmodell untersucht werden sollen, waren aufgrund von den o.g. multiplen Kompensationsmechanismen nicht nur kerngesund, sie hatten zum Teil noch bessere Herz-Kreislauffunktionen unter den genannten Stressbedingungen. Messungen der erstaunlich ‚normalen‘ Hämodynamik der Myoglobin-Knockout-Maus wurden in einen Kausalzusammenhang mit der auf molekularer Ebene vorgenommenen genetischen Veränderung gebracht. Dadurch verschachtelte sich – trotz aller Inkommensurabilitäten – das in Druck-Volumen-Widerständen denkende mechanistische Paradigma der ‚Hämodynamiker‘ des SFB 30 (vgl. Kap. 2.5.2.1) mit dem molekularen Paradigma des späten SFB 242 und frühen

138 Gödecke et al., Proc Natl Acad Sci USA. 1999 Aug 31;96(18):10495-500, hier S. 10499 sowie Interview mit Axel Gödecke vom 26.04.2016, S. 5. 139 Christoph Jacoby, persönliche Mitteilung vom 26.04.2016.

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SFB 612, das im Gegensatz dazu in Stoffwechselvorgängen und in Signaltransduktionen140 dachte. Mehr noch: Mechanistische Phänomene wie z.B. Veränderungen von Drücken und Widerständen oder der Kontraktilität des Herzmuskels werden zu in Kurven und Diagrammen visualisierten materiellen Spuren von genetisch veränderten molekularen Wirkmechanismen. In solchen Experimenten wird das Hämodynamische zum funktionellen ‚read-out‘ des Molekularen.141 Diese Verkettung von experimentellen hämodynamischen Spuren der Kompensationsmechanismen der Myoglobin-Knockout-Maus zeigt zum einen, dass klassische hämodynamische Parameter trotz molekularer Denkweisen und Technologien nicht obsolet wurden, da sie weiterhin wichtige Endpunkte der Experimente blieben. Zum anderen widerlegten die Messungen der SFB-Forscher die Hypothese des Nature-Artikels, nach welcher Myoglobin aufgrund des offensichtlich ‚normalen‘ Phänotyps nicht wichtig für den Sauerstofftransport sei: „These data demonstrate that disruption of myoglobin results in the activation of multiple compensatory mechanisms that steepen the pO2 gradient and reduce the diffusion path length for O2 between capillary and the mitochondria; this suggests that myoglobin normally is important for the delivery of oxygen.“142

Die wichtigsten Erkenntnisse aus der Phänotypanalyse der Myoglobin-KnockoutMäuse waren: 1. Das Ausschalten eines Gens mittels transgener Technologie muss nicht unbedingt zu den von der ‚normalen‘ Genfunktion abgeleiteten Veränderungen im Phänotyp führen. 2. Auch wenn Myoglobin-Knockout-Mäuse keine funktionellen Beeinträchtigungen zeigten, kann man nicht davon ausgehen, dass Myoglobin unter ‚normalen‘ physiologischen Bedingungen keine funktionelle Bedeutung hat.

140 Signaltransduktion ist die „Umwandlung eines extrazellulären Signals in eine intrazelluläre ‚Antwort‘. […] [Sie] ist vor allem für die Kommunikation verschiedener Zellen […] oder Zelltypen innerhalb eines vielzelligen Organismus von fundamentaler Bedeutung und spielt somit auch bei der Koordination von Wachstums- […] und Entwicklungsvorgängen […] eine entscheidende Rolle.“ („Signaltransduktion“, in: Lexikon der Biologie [Online], Internetseite von „Spektrum der Wissenschaft“, unter: http://www. spektrum.de/lexikon/biologie/signaltransduktion/61524, Stand: 30.09.2017) 141 Zur Begriffsklärung von ‚functional read-out‘ siehe Kap. 2.5.2.1, S. 277, FN 635. 142 Gödecke et al., Proc Natl Acad Sci USA. 1999 Aug 31;96(18):10495-500, hier S. 10495, Hervorh. TK.

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Die Myoglobin-Knockout-Maus folgt also keiner deterministischen Logik, nach dem Motto: ‚Schaltet man ein Gen ohne offensichtliche funktionelle Konsequenzen im Phänotyp aus, dann kann das Gen nicht wichtig für die untersuchte physiologische Funktion sein.‘ Mit der Knockout-Technologie lässt sich die Funktion eines ausgeschalteten Gens also nicht unmittelbar ablesen. 143 Durch den direkten Vergleich von myoglobinfreien und myoglobinhaltigen Mäuseherzen im in-vivoExperiment wurde es zugleich aber erst möglich, jene Differenzen zu produzieren, die spezifische experimentelle Fragestellungen über die Myoglobin-Funktion im Organismus der Maus zuließen und der Myoglobin-Forschung damit neuen Auftrieb gaben. Trotz der augenscheinlichen genetischen Verfügungsmacht über den Organismus durch den Einsatz der ‚dispositionellen‘ Technologie des Knockout-Protokolls (vgl. Kap. 3.2. Abb. 27, S. 310) spannt die genveränderte Maus durch die Kompensationsmechanismen unvorhersehbare Kontingenzräume auf, die Anlass zu neuen Fragestellungen (epistemischen Dingen) und Anschlussexperimenten geben. Das Spannungsverhältnis zwischen Kontingenz und Disposition bei den geschilderten Experimenten wird durch die Individualität des künstlich (weil transgen) erzeugten Organismus bestimmt, der zugleich in eine natürliche, Jahrmillionen alte Evolutionsgeschichte eingebettet ist. Kompensationsmechanismen: die Rekonfiguration des Verständnisses von ‚normal‘ und ‚pathologisch‘ nach Canguilhem Der Begriff der Norm wird damit zum Problem und bekommt in den geschilderten Experimenten eine Doppelbedeutung. Auf den ersten Blick zeigt die MyoglobinKnockout-Maus eine weitgehend ‚normale‘ Herz-Kreislauffunktion; bei genauerem ‚Hinschauen‘ (dem erwähnten supplementären Messen der SFB-Forscher) hat sich die Maus durch die gentechnisch induzierten Kompensationsmechanismen, auf molekularer, metabolischer sowie struktureller Ebene (vgl. Abb. 30 und Abb. 31, S. 329-330) materiell transformiert. Damit bestätigt sie indirekt die wichtige Funktion von Myoglobin als Sauerstoffspeicher und -transporter unter ‚normalen‘ physiologischen Bedingungen im Wildtyp. Die Materialität – verstanden als Widerständigkeit – des transgenen Phänotyps gehorcht keiner Norm in Form eines genetischen Programms, sondern spielt im Experimentalsystem der SFB-Forscher ihre eigenen Möglichkeiten aus, indem sie gerade diese zuvor (vom Experimentator) konstruierten Normen (der Myoglobin-Funktion) überschreitet. Aus der Perspektive der SFBForscher, die mittels dieser Experimente ja einen pathologischen Phänotyp provozieren wollten, stellt der unerwartet ‚gesunde‘ Phänotyp eine experimentelle Widerständigkeit dar, welche mit Georges Canguilhems Begriff des „Einzigartigen“ in

143 Vgl. Schrader, in: Jahrbuch der HHU, 2005/06, S. 79.

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den Lebenswissenschaften interferiert: „[…] die Leistung des Einzigartigen [liegt] darin, dass es das System zum Stellungswechsel zwingt, dass es die Natur, welche die Einzigartigkeiten hervorbringt, in ihrem Widerstand gegen Gesetzte oder Regeln unterstützt.“144 Der Nature-Artikel der US-amerikanischen Arbeitsgruppe nutzte (auf Grundlage der falschen Annahme, dass Myoglobin in seiner Funktion nicht wichtig für den Sauerstofftransport sei) die Individualität des myoglobinfreien Phänotyps noch zur Produktion eines (hochrangig publizierten) „Skandals“: „Indem es auf dem Boden der vertrauten Regelmäßigkeit wie ein Skandal oder ein Widersinn explodiert, wird das Einzigartige zum Problem. Es treibt zur Suche nach einer Lösung an, führt diese aber nicht selbst herbei. Die Abweichungen verbreiten weder Licht noch decken sie die Natur auf: sie bündeln gleichsame den Gegenstand, auf den man das Licht konzentrieren muss.“145

Die Konzentration auf den Gegenstand des Phänotyps der transgenen Maus erfolgte anschließend durch die SFB-Forscher mittels der geschilderten supplementären Messungen und der „Provokation“ dieses Phänotyps, welche die Kompensationsmechanismen zuerst aufdeckte und zeigte, dass die Maus in der Lage war, die vorangenommene Norm zu überschreiten: „Das Einzigartige hat seine epistemologische Rolle nicht mehr darin, dass es sich selbst zur Verallgemeinerung darbietet, sondern darin, dass es zur Kritik der Allgemeinheit verpflichtet, der gegenüber es sich einzigartig darstellt. Seinen wissenschaftlichen Wert gewinnt es gerade dann, wenn es aufhört eine spektakuläre Besonderheit zu sein und zu einer exemplarischen Spielart wird. Gaston Bachelard hat gezeigt, dass das Eigentümliche des vorwissenschaftlichen Geistes darin besteht, lieber Besonderheiten aufzusuchen als Variationen zu provozieren.“146

Diese Widerständigkeit des Organismus gegen die allgemeine ‚genozentrische‘ Norm wird von den SFB-Forschern auch als „Plastizität des Genoms“147 bezeichnet, welche nicht durch theoretische Überlegungen, sondern durch die bewusste experimentelle „Provokation“ eines Phänotyps zuerst genauer untersucht werden konnte. Das Motto dieser experimentellen „Spielart“ könnte lauten: ‚Phänotypen provozie-

144 Canguilhem, in: Lepenies (Hg.), 1979, S. 61. 145 Ebd., S. 66. 146 Ebd., S. 67. 147 Gödecke, 2002, S.41.

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ren und unerwartete Variationen produzieren‘,148 bei welcher der Organismus der transgenen Maus in seiner Materialität und Offenheit eine aktive Rolle einnimmt. Zum einen liefert die Maus sich selbst als sowohl genetisch standardisiertes als auch widerständiges Material und nimmt damit die Rolle eines „locus technicus“ 149 innerhalb eines experimentaltechnischen Repräsentationsraums ein, zum anderen sind die Konsequenzen genau dieser gentechnischen Einbettung kontingent, weil der resultierende Phänotyp nicht vorhersehbar ist. Dieses Spannungsfeld machen die transgenen Mäuse zu Mischwesen, die den prekären Status haben, schon technisches Objekt und zugleich noch epistemisches Ding im Sinne Rheinbergers zu sein. Durch dieses Spannungsverhältnis zwischen gentechnischer Disposition und der Kontingenz bzw. Plastizität des unerwarteten Phänotyps wird die transgene Maus zum experimentellen Entwurf dessen, was möglicherweise zukünftig als ‚normal‘ und was als ‚pathologisch‘ zu gelten hat: „[Die Erforschung der Myoglobin-Knockout-Maus] hat aber auch gewisse Implikationen für medizinische Fragestellungen. Man kann sich ja einmal fragen, wer geht eigentlich zum Arzt? Das ist der oder die, deren Kompensationsmechanismen irgendwann mal versagen. Das kann man daraus lernen, d.h., viele Krankheiten werden ja erst einmal gar nicht auffällig, sondern erst zu dem Zeitpunkt, wenn diese Kompensation [z.B. aufgrund von Prozessen des Alterns, TK] versagt und da muss man sagen, ist die Myoglobin-Knockout-Maus ein wirklich lehrreiches Beispiel, was eben zeigt, wie effizient und wie wichtig diese Kompensationen sind aber auch wie robust Systeme gegen eine Vielzahl von Störungen sein können.“ 150

Die wissenschaftliche Produktivität der transgenen Maus vollzieht sich also auf experimenteller Ebene im Spannungsfeld zwischen technischen Objekten und epistemischen Dingen mit der konzeptionellen Konsequenz, das Verständnis von ‚normal‘ und ‚pathologisch‘ der SFB-Forscher zu rekonfigurieren. Die Maus hätte aufgrund des Fehlens von Myoglobin eigentlich ‚todkrank‘ sein müssen, bringt ihre ei-

148 Vgl. Kap. 2.1.1, S. 134 der vorliegenden Arbeit. Bereits Claude Bernard stellte Mitte des 19. Jahrhunderts fest, dass Forscher der „experimentellen Medizin“ Beobachtungen gezielt provozierten: „Hat [der Experimentator] aber erst die Bedingungen des Versuchs entsprechend seiner vorausgefassten Idee […] festgelegt und ins Werk gesetzt, so ergibt sich […] eine provozierte oder vorbedachte Beobachtung. Ihr folgt das Auftreten der vom Experimentator bestimmten Vorgänge, die zunächst festgestellt werden müssen, um dann zu wissen, welche Folgerung man aus ihnen hinsichtlich des experimentellen Gedankens, den sie erwecken, ziehen kann.“ (Bernard, 1961 [1865], S. 42-45, Hervorh. im Original) 149 Rheinberger, in: Borck (Hg.), 1996, S. 290. 150 Interview mit Axel Gödecke vom 26.04.2016, S. 5.

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gene Existenzbedingung aber durch das Überschreiten vorangenommener Normen zur Geltung. Das Lebendige ist seinem Wesen nach kontingent: „Die Unregelmäßigkeiten [des Lebendigen] und die Anomalie werden in einer solchen Perspektive nicht als Akzidenzien begriffen, die das Individuum affizieren, sondern als dessen Existenz selbst.“151 Die Abweichung von der Norm erscheint nicht als ‚Fehler‘, sondern als eine Bedingung der Möglichkeit zur Gesundheit, verstanden als „die Fähigkeit, organische [oder künstlich induzierte genetische] Krisen zu überwinden, um eine neue, von der alten verschiedene physiologische Ordnung zu errichten.“ 152 Oder anders formuliert: „[…] der normalste Organismus ist derjenige, der am häufigsten seine Normen übertreten und transformieren kann. Die Norm des Lebendigen ist also die Transformationsfähigkeit, nämlich die Fähigkeit, sich selbst zu alterieren.“153 Die transgene Maus liefert mit den Kompensationsmechanismen einen transformationsreichen und performativen „biologischen Surplus“154, indem sie Gendefekte unvorhersehbar ausgleichen kann. In diesem Sinne ist diese Maus selbst ein Supplement, sie ist ‚mehr als normal‘, weil sie das subversive Potenzial hat, biologische Normen zu kippen: „Die Gesundheit beschreibt gerade und hauptsächlich beim Menschen eine bestimmte Bewegungsfreiheit, ein bestimmtes Spiel der Lebens- und Verhaltensnormen. Sie wird durch das Vermögen charakterisiert, Abweichungen von den Normen zu tolerieren, denen nur die scheinbar verbürgte und tatsächlich prekäre Stabilität der Situationen und des Milieus den trügerischen Wert des endgültig Normalen verleiht. Der Mensch ist nur dann wirklich gesund, wenn er zu mehreren Normen fähig ist, wenn er mehr als normal ist.“155

Gerade weil viele Krankheiten erst bei fehlenden Kompensationsmöglichkeiten zutage treten, ist das „Wohlbefinden“ eines Organismus von seiner Fähigkeit abhängig, mehrere Normen zu verkörpern. Dieser Befund korrespondiert mit der 1948 verabschiedeten Gesundheitsdefinition der Weltgesundheitsorganisation (WHO): „Health is a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of disease or infirmity.“ 156 Die Abwesenheit eines Gens führte zu keiner offensichtlichen phänotypischen Einschränkung, dennoch war die transgene Maus durch ihre in eine Evolutionsge-

151 Canguilhem, in: ders., 2009, S. 289. 152 Ebd., S. 305. 153 Borsò, in: dies. (Hg.), 2014, S. 150. 154 Davies, Geoforum, 2013, 48, S. 268-278, hier S. 268. 155 Canguilhem, in: ders., 2009, S. 305. 156 „WHO definition of Health“, in: Internetseite der WHO, unter: https://www.who.int/ suggestions/faq/en/, Stand: 07.12.2018.

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schichte eingebettete Offenheit in der Lage, die Norm der Myoglobin-Funktion zu überschreiten. Mit Heidegger gesprochen eröffnete das Sich-Einrichten-Müssen auf die eigenen (durch die Phänotypanalyse gewonnenen) experimentellen Ergebnisse einen neuen Gegenstandsbezirk.157 In diesem wird die Identifizierung der entsprechenden Genaktivierungen, die für die Kompensationsmechanismen verantwortlich sind, akut: „Understanding the molecular mechanisms which orchestrate the activation of ‚compensatory genes‘ will be an important future task.“158 Diese Herausforderung wird experimentalwissenschaftlich noch relevanter, weil sich parallel zu den geschilderten Untersuchungen der SFB-Forscher zeigte, dass ca. 30 % der durch Knockout-Mauslinien hervorgebrachten Phänotypen entweder überhaupt keine oder nur geringfügige Effekte der Geninaktivierung zeigten: 159 „Quite frequently and often to the disappointment of the researcher transgenic animals show no overt phenotypic changes.“160 Normalität wird mit den aufgezeigten Kompensationsmechanismen transgener Phänotypen zum komplexen experimentellen Problem und zur Herausforderung für lebenswissenschaftliche Verbundforschung. Diese besteht mit Canguilhems Perspektive auf biologische Normalität als ein normenschaffender Überschreitungsprozess darin, dass die Spezifität des Lebens zugleich zum theoretischen und zum kritischen Indikator wird: zum theoretischen Indikator für Probleme hinsichtlich der generellen Originalität und Kontingenz des Lebendigen; zum kritischen Indikator für eine für die Betrachtung des Gesamtorganismus samt seiner Funktions- und Regulationsprinzipien zu vermeidende Reduktion.161 Auf diskursiver Ebene ist dabei zu beobachten, dass sowohl die Verwendung der Netzwerkmetapher als auch die Zuweisung von Handlungsträgerschaft an Moleküle, Gene, Proteine, Enzyme oder auch ganze Zellen einen Versuch darstellen, Komplexität systematisch zu reduzieren. Denn der experimentelle Umgang mit einem augenscheinlich ‚normalen‘, aber anderen Normen als den zuvor angenommenen folgenden transgenen Organismus, machte die SFB-Forscher unmissverständlich darauf aufmerksam, dass die Regulationsnetzwerke der Entwicklung mitunter

157 Vgl. Heidegger, 1963[1938], S. 77. 158 Gödecke/Schrader, Basic Res Cardiol. 2000 Dec;95(6):492-8, hier S. 497. 159 Piotrowska, Biology and Philosophy (2013), 28:439-455, hier S. 452. 160 Gödecke/Schrader, Basic Res Cardiol, 2000, 95: 492-498, hier S. 493. Einige eher klinisch ausgerichtete Forscher sprachen um die Jahrtausendwende in den Zusammenhängen von Kompensationsmechanismen transgener Mäuse auch von „enttäuschenden Phänotypen“, da sie eben nicht das erhoffte in-vivo-Modell für zu untersuchende humane Pathologien bereitstellten (Axel Gödecke, persönliche Mitteilung vom 13.04.2017). 161 Foucault, in: ders. /Defert (Hg.), 2005, S. 955.

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eine hohe funktionelle Redundanz aufweisen. 162 Die starke Pufferung und die innere und äußere Robustheit dieser Regulationsnetzwerke galt es, als neuen Gegenstandsbezirk im SFB 612 zu beforschen, indem folgende Fragen akut wurden: „Woher ‚weiß‘ das Herz und der Organismus überhaupt“, dass es diese oder jene Kompensationsmechanismen aktivieren muss? Welche Signalwege führen zu der entscheidenden Informationsübertragung? In welche „genomischen Netzwerke“ wird hier eingegriffen und welche „tieferen Regulationsebenen“ werden momentan noch gar nicht gesehen?163 Die Myoglobin-Knockout-Maus im Interaktionsfeld zwischen Genotyp und Phänotyp und die Charakterisierung ihrer Komplexität als Tiermodell Die Myoglobin-Knockout-Maus eröffnete einen Repräsentationsraum, in dem das für den SFB 612 zentrale Spannungs- und Interaktionsfeld zwischen Genotyp und Phänotyp164 in seiner Flexibilität und seiner Robustheit auf der Ebene der Instruktion manipulierbar wurde. Der Organismus wird nicht länger von außen manipuliert, um seine metabolische Performanz zu verändern, sondern durch die transgene Technik können zuvor nicht existente genetische Variationen unmittelbar und in vivo getestet werden: „Der Organismus selbst wird in ein Labor verwandelt. Von nun an zählt nicht mehr die [im in-vitro-System vorgenommene] extrazelluläre Repräsentation intrazellulärer Prozesse, d.h. das ‚Verstehen‘ des Lebens, sondern vielmehr die intrazelluläre Repräsentation eines extrazellulären Projekts, d.h. die ‚Umschreibung‘ des Lebens.“165

Diese mit Rheinberger beschriebene Demarkationslinie kündigt auch die (in Anlehnung an die Postmoderne) sogenannte „Postgenomik“ an, bei der es nicht mehr nur auf den Genotyp – den Text des Lebens –, sondern vor allem auf den durch komplexe Genaktivierungen hervorgebrachten Phänotyp – den Kontext des Lebens –

162 Vgl. Müller-Wille/Rheinberger, 2009, S. 114-115. Sie zeigen äquivalente Kompensationsmechanismen bei Knockout-Technologien im Rahmen der Geschichte der Molekularbiologie auf. 163 Vgl. Interview mit Jürgen Schrader vom 18.06.2015, S. 21. 164 Vgl. hierzu den Titel des Abschlusssymposiums des SFB 612 vom 20.10.2012 in Düsseldorf: „Genotype- Phenotype Relationship in the Cardiovascular System“. 165 Rheinberger, in: Borck (Hg.), 1996, S. 291, Hervorh. TK.

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ankommt.166 Die Kontextualisierung des Phänotyps eröffnete durch die zutage getretenen Kompensationsmechanismen einen neuen Gegenstandsbezirk, in welchem neue epistemische Dinge in Form von Fragen nach den „kompensatorischen Genen“, welche dem transgenen Organismus eine so große Anpassungsfähigkeit an einen Gendefekt ermöglichen, wichtig werden. Zugleich zeigt die Materialität des transgenen Mäuseorganismus, dass letzterer eben kein experimentell vollständig beherrschbarer Modellorganismus, sondern ein komplexeres aber zugleich viel spezifischeres, weil pathophysiologische Fragestellungen erlaubendes Tiermodell bleibt.167 Die experimentelle Plattform der Knockout-Maus ermöglichte den SFBForschern, sich durch den produzierten Phänotyp ‚instruieren‘ zu lassen: Dies führte neben der Zucht von sehr verschiedenen Knockout-Linien in Düsseldorf zur Aufklärung weiterer wichtiger Funktionen von Myoglobin, insbesondere seiner Interaktion mit anderen Molekülen. Zur Beforschung dieses neu eröffneten Gegenstandsbezirks wurde im Rahmen des SFB 612 eine tierexperimentelle Plattform eingerichtet, die sogenannte „Düsseldorfer Mäuseklinik“, in welcher das Interaktionsfeld zwischen Geno- und Phänotyp auf ihre pathophysiologische Relevanz hin analysiert werden sollte.

3.4 „FROM BEDSIDE TO BENCH“: EXPERIMENTELLE PLATTFORMEN FÜR DIE KARDIOVASKULÄRE PHÄNOTYPANALYSE IM SFB 612 3.4.1 Der SFB 612 am Übergang von der Genomik zur Postgenomik Der Projektstart des SFB 612 mit dem Titel: „Molekulare Analyse kardiovaskulärer Funktionen und Funktionsstörungen“ im Jahre 2002 fällt in eine Zeit, in der sich ein Paradigmenwechsel von der Genomik (der Kartierung des Genoms) zur Postgenomik (der funktionellen Kontextualisierung der Genexpression im Proteinprofil) abzeichnete. Diesem Umbruch lagen die überraschenden Ergebnisse von internationalen Sequenzierungsprojekten, wie dem Human Genome Project (HGP) zugrunde: War man zu Beginn des HGP Ende der 1980er Jahre noch davon ausgegangen, dass

166 Bezüglich ‚Text‘ vs. ‚Kontext‘ des Lebens bzw. zum „shift“ in den Biowissenschaften vom „code“ hin zum „context“ vgl. Franklin zitiert nach Davies, Body & Society 2012, 18 (3-4): 126-155, hier S. 135. 167 Vgl. hierzu die Ausführungen zur Unterscheidung von Modellorganismus und Tiermodell in der biomedizinischen Forschung in Kap. 3.1.3, S. 297 f. der vorliegenden Arbeit.

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das menschliche Genom etwa 100.000 Gene enthält, so musste die Zahl schließlich auf ca. 30.000 Gene reduziert werden.168 Dies ist eine erstaunlich geringe Zahl, bedenkt man, dass z.B. ein moderner Airbus bereits aus Millionen von unterschiedlichen Einzelteilen zusammengesetzt ist.169 Das „simple Schema ‚eines Gens für dies‘ und ‚eines Gens für das‘ […] bekam irreversible Risse, und aus der vormals alles determinierenden DNA der Chromosomen wurde eine ‚Ressource‘ […] für die Differenzierung von Zellen, für Entwicklungsvorgänge und für das gesamte Stoffwechselgeschehen des Organismus.“170

Zudem zeigten die Ergebnisse u.a., dass Menschen und Primaten ein überraschend ähnliches Genom besitzen, wodurch deutlich wurde, dass große Veränderungen im Phänotyp mit kleineren Veränderungen im Genotyp durchaus kompatibel sind. Eine weitere Überraschung war der Polymorphismus der Individuen innerhalb einer Art: Das Erbgut einzelner Menschen kann sich erheblich voneinander unterscheiden, ohne dass sich dabei notwendigerweise eine entsprechende phänotypische Veränderung zeigt.171 Die Beziehung und Interaktion zwischen Genotyp und Phänotyp ist also viel weniger zwangsläufig und determiniert als zuvor gedacht. Solche und andere Beobachtungen brachten auch die Verfechter der großen Genomprojekte seit Ende der 1990er Jahre dazu, von einem anbrechenden Zeitalter der „Postgenomik“ (in Äquivalenz zur Postmoderne) zu sprechen und den Fokus auf die Zellaktivität als Ganze und vor allem den Organismus als Ganzes zu richten. 172 Dieser Paradigmenwechsel lenkte die Aufmerksamkeit der Forscher vom Genom auf das Proteom und damit zur Analyse des Proteinprofils einer Zelle mit Blick auf die jeweiligen Funktionen von Genen.173 Zeitgleich mit dem menschlichen Genom wurden eine Reihe weiterer Genome von Modellorganismen wie dem Bakterium Escherichia coli, der Hefe, dem Faden-

168 Müller-Wille/Rheinberger, 2009, S. 101. 169 Vgl. Schrader, in: Jahrbuch der HHU 2003, S. 93. 170 Müller-Wille/Rheinberger, 2009, S. 101. 171 Ebd., S. 102. 172 Ebd. 173 Labisch, in: ders./Paul (Hg.), 2004, S. 219-220. Während der Begriff „genomics“ die Kartierung und Sequenzierung der gesamten genetischen Information eines Individuums sowie die Analyse der Verhältnisse von Genaktivität und Zellfunktion umfasst, umschreibt der Begriff „proteomics“ die systematische Analyse des Proteinprofils von Zellen oder Gewebe zu einer bestimmten Zeit mit Bezug auf die jeweils aktiven, also exprimierten Gene (Genexpression, vgl. ebd., S. 219, FN 21).

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wurm, der Taufliege und dem Tiermodell der Maus entschlüsselt. 174 Dabei wurde u.a. deutlich, dass das Genom der Maus nur um 14 % kleiner als das des Menschen ist und die Gemeinsamkeiten in der Reihenfolge der Gensegmente (die sogenannte „Syntänie“) bei etwa 90 % liegt. Das spricht für eine enge genetische Verwandtschaft und entsprechend viele konservierte Gene gemeinsamer Vorfahren bei diesen beiden Arten.175 Entsprechend groß war die Hoffnung, durch die Maus als Modellsystem den menschlichen Organismus besser zu verstehen. Ein Alleinstellungsmerkmal des SFB 612 dabei war, dass alle bisher in der klinischen Routine verwendeten diagnostischen Methoden in miniaturisierter Form auf Mausmodelle zugeschnitten wurden (siehe Kap. 3.4.4) und so experimentelle Entwürfe zuließen, die nicht nur den Erkenntnisweg von der Laborbank zum Krankenbett berücksichtigten (im Fachjargon „from bench to bedside“). Vielmehr dachte man auch den umgekehrten Weg, der von der klinischen Situation am Menschen ausgeht und die damit verbundenen Methoden und Fragestellungen ins Labor überträgt („from bedside to bench“, vgl. hierzu auch Kap. 1.6.3 der vorliegenden Arbeit). Wichtige Vorarbeiten für eine solche Perspektive wurden durch Forschungen rund um das Mausgenom erbracht. Experimente mit transgenen Mäusen leisteten dabei einen Beitrag zur Postgenomik, denn die Komplexität und Unvorhersehbarkeit des Phänotyps zeigten die Grenzen eines genetischen Essentialismus auf, der (gemäß dem zentralen molekularbiologischen Dogma) Gene als originäre und unidirektionale Codes für die Lebensäußerungen des Phänotyps verstand. Für die Anthropologin Gail Davies stellt die weit verbreitete Verwendung von transgenen Mäusen zur Untersuchung von Genaktivierungen und -funktionen ein „constant supplement to the reductionist grammars of genomics“ dar; die Maus produziert und organisiert damit einen „biological surplus and excess, which is experimental, corporeal and affective.“176 Nachdem mit den „genomics“ bis weit in die 1990er Jahre das Mapping von Gensequenzen im Vordergrund stand, wird angesichts der Entwicklung neuer gentechnischer Verfahren und der Entschlüsselung des humanen und murinen Genoms die Frage der funktionellen Phänotypisierung und die Betrachtung auf den Gesamtorganismus von transgenen Mäusen zentral: „[…] functional genomics [means, TK], searching for the functions and interactions of each mapped gene in whole organisms. [Researchers, TK] do this by working with model organisms; by developing an array of mouse embryonic stem cells, then deriving mice which have

174 Müller-Wille/Rheinberger, 2009, S. 101. 175 Mouse Genome Sequencing Consortium, Nature. 2002 Dec 5;420(6915):520-62, hier S. 520-521. 176 Davies, Geoforum, 2013, 48, S. 268-278, hier S. 268.

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a known genetic alteration. These can then be phenotyped, their bodies and behaviors examined to look for the resulting structural, metabolic, sensory, cognitive and affective changes, which provide clues to gene function and, the hope is, new ways of understanding and intervening in the trajectories of human disease.“177

Wie in Kap. 3.3 gezeigt, rekonfigurierten die Kompensationsmechanismen der Myoglobin-Knockout-Maus das Verständnis vom Normalen und Pathologischen der SFB-Forscher und trugen damit zur Eröffnung des postgenomischen Gegenstandsbezirks bei, dessen Fokus auf der komplexen Interaktion von Genotyp und Phänotyp liegt. Angesichts der Fülle der produzierten transgenen Mäuse seit Ende der 1990er Jahre wurde es zunehmend schwierig, mit der aufwendigen Phänotypisierung der Mäuse nach zu kommen. 178 Dies erforderte neue experimentelle Plattformen zur Phänotypisierung von transgenen Mäusen, die verschiedene Verfahren, Messparameter und Instrumente effizient miteinander vernetzten. 3.4.2 Das Forschungsprogramm des SFB 612 Das Forschungsprogramm des SFB 612 war darauf bedacht, eine solche (zum Teil bereits am Standort bestehende) Plattform zur Phänotypisierung bereitzustellen und methodisch zu erweitern. Das Spannungsverhältnis und der komplexe Übergang zwischen Genotyp und Phänotyp sowie die Anpassungsfähigkeit des murinen Organismus standen dabei seit Anfang der Förderung im Jahre 2002 durch die DFG im Vordergrund. So lautet es im initialen Antrag des SFB 612: „Ein zentrales Anliegen hierbei ist die Aufklärung von Regelkreisen, die die Anpassung des Organismus oder von Zellverbänden an Funktionsänderungen bzw. an Krankheitsbilder auf genomischer, morphologischer und funktioneller Ebene steuern. Es ist der komplexe Übergang von Genotyp zum Phänotyp, der unter Einbeziehung moderner Methoden der Molekularbiologie, Genomanalytik sowie der integrativen Physiologie untersucht werden soll. Diese molekulare Phänotypanalyse wird zu einem vertieften Verständnis kardiovaskulärer Krankheitsbilder führen und zwangsläufig neue Therapieansätze ermöglichen.“179

Das Programm des SFB zeichnet sich durch einen Diskurs der Interdisziplinarität, der Integration verschiedener methodischer Ansätze in die Herz-Kreislauf-

177 Ebd., S. 272. 178 Ebd., S. 274. 179 Finanzierungsantrag des SFB 612 für die Jahre 2002-2003-2004 (SFB 1919 zur Zeit der Antragsinitiative), S. 3-4, in: Privatarchiv des SFB 612, (Lit.verz., AQ: Finanz.antr. SFB 612).

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physiologie, der Kooperation durch gemeinsam beantragte Geräte sowie der Übersetzbarkeit von im Labor produzierten Resultaten in die Klinik aus. Diese Diskursstrategien dienten zum einen, den kooperativen und inhaltlichen Anforderungen des DFG-Förderprogramms Sonderforschungsbereich argumentativ zu entsprechen, um so die Gutachter von einer Förderung zu überzeugen. Zum anderen ergab sich der Fokus auf die molekularen Regelkreise zur Steuerung von Adaptationssmechanismen des Organismus an Funktionsänderungen unmittelbar aus den Erfahrungen der Kompensationsmechanismen, die zuvor bei der Phänotypisierung von transgenen Mäusen an verschiedenen Stellen beobachtet wurden: „Es mehren sich aber die Befunde, denen zufolge es bei unverändertem Phänotyp [trotz genetischer Manipulation, TK] häufig zu drastischen Adaptationen auf struktureller und biochemischer Ebene kommt, die durch Aktivierung von alternativen genetischen Programmen oder auch posttranslationale [zelluläre, TK] Veränderungen vermittelt wird. Über die Analyse der Adaptionsmechanismen kann man folglich fundamentale Erkenntnisse über die Organisation von genomischen Regelkreisen erhalten, die einen Gendefekt ausgleichen könnten. Dies hat auch wichtige Konsequenzen für das Verständnis der Entstehung von Krankheit: dieser Sicht zufolge ist ein [pathologischer] Phänotyp nicht lediglich Ausdruck eines Gendefektes, sondern die unmittelbare Folge eines endgültigen Versagens aller rekrutierbaren Adaptationsmechanismen.“180

Somit kann die Myoglobin-Knockout-Maus mit ihren Kompensationsmechanismen neben anderen in Düsseldorf hergestellten Knockout-Mauslinien als ein wichtiger Bestandteil verstanden werden, von dem aus die SFB-Forscher ihren initialen Finanzierungsantrag formulierten. Die zuvor um diese transgenen Mäuse herum produzierten (kontingenten) Ergebnisse, angewandten Methoden und eingesetzten Apparaturen können somit als experimentelle Dispositionen verstanden werden, die es zu wichtigen Teilen erst ermöglichten, erfolgreich eine SFB-Förderung von der DFG einzuwerben. Denn für die DFG war die bereits vorhandene Grundausstattung und Expertise für die Produktion von Knockout-Mauslinien am Standort ein entscheidendes Förderkriterium. Im initialen Finanzierungsantrag wird von daher Bezug auf die gut ausgestattete zentrale Tierversuchsanlage (TVA, siehe Kap. 2.1.4 und 3.1.2) genommen, die bereits seit 1993 über alle notwendigen instrumentellen und labortechnischen Voraussetzungen und vor allem über die ausgewiesenen Experten verfügte, transgene Mäuse herzustellen. 181

180 Ebd., S. 5. 181 Ebd., S. 18-19.

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Die Projektbereiche des SFB 612 zwischen reduktionistischen und holistischen Ansätzen Der SFB 612 gliederte sich in zwei zentrale Projektbereiche, welche in ihren Analysemodi vom Gesamtorganismus bzw. Organ über die Zelle bis hin zur molekularen Ebene voranschritten (bzw. je nach Fragestellung auch den umgekehrten Weg). Projektbereich A „Myokard“ befasste sich mit Fragen, inwiefern • die Funktion des intakten Herzens auf der Ebene des Gesamtorgans das geregelte Zusammenspiel zweier in „Serie geschalteter Muskelpumpen“ ermöglicht; • „auf Zellebene ein voll funktionstüchtiger kontraktiler Apparat zur Verfügung steht[;] • die bedarfsangepasste Steuerung der Kontraktionskraft gewährleistet ist[;] • energieliefernde und metabolische Vorgänge geregelt ablaufen und[;] • Mediatorsysteme bzw. intrazelluläre Signalwege verfügbar sind, die die Koordination der vorgenannten Mechanismen unter normalen und ganz besonders auch pathologischen Bedingungen […] übernehmen.“ 182 Im Projektbereich B „Vaskuläres System“ wurden verschiedene „Mediatoren“ (Signalmoleküle) untersucht, • „die das Gefäßwachstum koordinieren[;] • die Interaktion zwischen Endothel [der innersten Wandschicht von Blutgefäßen] und zirkulierenden Blutelementen steuern und[;] • die Größe der Perfusion [Durchblutung] einstellen.“ 183 Das zur Darstellung der Projektbereiche im Finanzierungsantrag verwendete Vokabular macht deutlich, dass Molekülen, Signalwegen, Zellen und auch ganzen Organbestandteilen Handlungsträgerschaft zugeschrieben wird, indem sie als „koordinierende“, „steuernde“ oder „regelnde“ Elemente im „Konzert miteinander und insbesondere im Hinblick auf die Funktion des gesamten Herzen“ im Organismus der Maus angesehen werden. 184 Bei der Analyse der Interaktion von Genotyp und Phänotyp deckte der SFB 612 das gesamte Spektrum der experimentellen Herz-Kreislaufphysiologie ab (vgl. Abb. 22, in Kap. 2.5.2, S. 256), wobei man sowohl reduktionistisch als auch systemorientiert vorging, um die komplexen Prozesse in der Genese von HerzKreislauferkrankungen zu verstehen:

182 Vgl. ebd., S. 5. 183 Ebd. 184 Vgl. ebd.

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„Die Reduktion auf das zelluläre [oder gar subzelluläre] Niveau ist notwendig, um Einzelprozesse auf zellulärer Ebene bei der Krankheitsgenese zu analysieren. Auf der anderen Seite ist eine systembiologische Betrachtungsweise unumgänglich, da auf der Ebene des Gesamtorganismus zusätzliche, d.h., systemische Faktoren ins Spiel kommen, die sich nicht aus Erkenntnissen der Zellbiologie allein ableiten lassen. Beide Vorgehensweisen sind gleichermaßen wichtig, wie wir in den letzten Jahren aus einer Vielzahl von Arbeiten mit transgenen Tieren gelernt haben. So spiegelt der Phänotyp mancher Verlustmutanten nicht notwendigerweise die Genfunktion wider, sofern kompensatorische Mechanismen die Organfunktion aufrechterhalten können. Damit kommen transgene Tiere sehr nahe an die klinische Realität, weil auch dort der genetische Hintergrund und ‚genetic modifiers‘ das Krankheitsgeschehen bzw. die Antwort auf Pharmaka wesentlich beeinflussen können.“185

Die Kombination von reduktionistischen Ansätzen aus dem Labor und holistischen Ansätzen aus der Klinik bzw. eine sich aus der Systemtheorie speisenden ganzheitliche Betrachtungsweise der „Systembiologie“ 186 interferiert mit Erkenntnissen der Medizinhistorikerin Christiane Sinding. In ihrer wissenschaftshistorischen Darstellung zur Herausbildung des Konzepts der „chemischen Botenstoffe“ (sogenannte „second messenger“) und der damit verbundenen Annahme von Signaltransduktionen stellt Sinding fest: „Was man in einem Reagenzglas findet, bringt niemals die Lösung eines biologischen Problems, und nur um den Preis des Hin-und-her-Pendelns zwischen reduktionistischen und nichtreduktionistischen Systemen kann man isolierten Ergebnissen einen Sinn geben.“ 187

Die zentralen experimentellen Plattformen, die dieses experimentelle „Hin-und-herPendeln“ ermöglichten, waren die Z-Projekte des SFB 612, die als Art ServiceEinheiten (sogenannte „core facilities“) sämtlichen Teilprojekten des SFB zur Verfügung standen. Das im Biologisch-Medizinischen Forschungszentrum (BMFZ, siehe Kap. 2.1.4) der HHU angesiedelte Z1-Projekt war die Zentrale Bioanalytik. Darin wurden moderne molekularbiologische Methoden in Form von Großgeräten

185 Finanzierungsantrag des SFB 612 für die Jahre 2009-2010-2011-2012, S. 7, in: Privatarchiv des SFB 612, (Lit.verz., AQ: Finanz.antr. SFB 612). 186 Unter Systembiologie verstehen die SFB-Forscher einen „Wissenschaftszweig, der alle molekularen Elemente eines Systems (Gene, Proteine und kleine Moleküle) quantifizieren möchte“ mit dem Ziel, „die Interaktion zwischen den Elementen zu erforschen, um sie dann in ein grafisch darstellbares Netzwerk einzuordnen, aus dem sich neue nachprüfbare Hypothesen zu deren potenzieller Funktionalität ergeben.“ (Schrader, in: Jahrbuch der HHU, 2005/06, S. 80) 187 Sinding, in: Sarasin/Tanner (Hg.), 1998, S. 91.

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(roboterunterstütze Nukleinsäureaufreinigung, DNA-Sequenziergeräte, Kapillarelektrophorese, „On-Line“-PCR-Gerät, BioChip-Spotter und BioChip-Reader) zur molekularen Phänotypisierung von transgenen Mäusen zur Verfügung gestellt, um den SFB-Teilprojekten eine Erforschung der Grundlagen und Pathomechanismen kardiovaskulärer Funktionen und Funktionsstörungen auf molekularer Ebene zu ermöglichen.188 Das interdisziplinär konzipierte BMFZ war mit seiner Expertise in der DNA-Sequenzierung von 1998 bis 2001 im Rahmen des Deutschen Humanen Genomprojekts geförderter Projektpartner. 189 Innerhalb dieser experimentellen Plattform wurden eher reduktionistische Ansätze verfolgt, indem etwa mit molekularbiologischen Methoden ein SFB-spezifischer, speziell zur Analyse kardiovaskulärer Fragestellungen geeigneter subgenomischer Maus DNA-Array etabliert wurde, mit dem globale Genexpressionsanalysen verschiedener Mausmodelle des SFB erstellt werden konnten. Die in der Zentralen Tierversuchsanlage gezüchteten Tiere wurden im Z2Projekt „Kardiovaskuläre Phänotypisierung transgener Mäuse“ hinsichtlich verschiedener kardiovaskulärer Funktionsparameter untersucht. Die ‚Verfertigtheit‘ der Maus in unterschiedliche experimentelle Dispositive erlaubte den SFBForschern, den Gesamtkörper der Maus samt seinen Funktionen in den Fokus zu nehmen und damit einen integrativen Ansatz im SFB 612 zu formulieren, der eine Rückkopplung von in-vivo-, ex-vivo- und in-vitro-Daten für eine möglichst vollständige Phänotypisierung erlaubt: „Die Bearbeitung von experimentellen Systemen mit zunehmender Komplexität und die Integration in das funktionierende Gesamtsystem zieht sich wie ein rotes Band durch die Gesamtinitiative und bedingt vielfältige methodische und thematische Interaktionen zwischen den Einzelprojekten und den Projektbereichen.“190

Dieser Diskurs der Integration von Methoden für die Untersuchung von der Zelle zum Gesamttier wird also nicht nur experimentaltechnisch, sondern auch hinsichtlich der Kooperationen innerhalb des SFB 612 begründet. Denn die ganzheitliche Betrachtungsweise benötigt zwingendermaßen eine interdisziplinäre Erforschung des murinen Organismus. Dabei sind die Kooperationsmöglichkeiten innerhalb des SFB 612 plattformbestimmt und weit informeller als der in den Finanzierungsanträ-

188 Köhrer, „Z1 – Zentrale Bioanalytik“, in: Internetseite des SFB 612 (seit 2012 offline: Inhalte liegen als abgespeicherte HTML-Dateien vor. Siehe Lit.verz., AQ). 189 Finanzierungsantrag des SFB 612 für die Jahre 2002-2003-2004 (SFB 1919 zur Zeit der Antragsinitiative), S. 7, in: Privatarchiv des SFB 612, (Lit.verz., AQ: Finanz.antr. SFB 612). 190 Ebd. S. 5.

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gen und Abschlussberichten verwendete Begriff „Düsseldorfer Mäuseklinik“ vermuten lässt. Bei der Mäuseklinik handelt es sich nämlich weder um ein geschlossenes Gebäude (obwohl die Zentrale Tierversuchsanlage der Ort war, an dem alle SFB-Mäuse gezüchtet wurden) noch um eine klar definierte Zugehörigkeit von Instituten. Denn auch assoziierte Projekte, die strenggenommen nicht Teil des SFB 612 waren, nutzten diese experimentelle Phänotypisierungsplattform mit, was auch ausdrücklicher Wunsch der DFG war. Denn sie achtete bei der Einrichtung von SFB prinzipiell darauf, dass die bestehende Grundausstattung und die beantragten Geräte durch gemeinsame Nutzung ein möglichst hohes Maß an Synergieeffekten für das Arbeitsprogramm des SFB aber auch für das Profil der beantragenden Hochschule samt ihrer relevanten Kooperationen aufweisen. 191 Verbundforschung erfordert demnach ein ständiges Differenzen und damit Daten produzierendes Oszillieren zwischen Holismus und Reduktionismus innerhalb der Projektbereiche und Teilprojekte, das für Forschungsanträge zur Synopse gebracht werden muss.192 Die Phänotypisierungsplattform im SFB 612 Der Kern der kardiovaskulären „Mäuseklinik“ im SFB 612 (siehe Kap. 3.4.4) war die im Z2-Projekt angelegte und allen SFB-Teilprojekten zugängliche Phänotypisierungsplattform, welche das gesamte Spektrum zur vollständigen Charakterisierung von Herz und Gefäßen genetisch veränderter Mäuse erlaubte. Das Bemühen hinter dieser Plattform war, „zu wesentlichen biologischen Aussagen zu kommen, indem man ein System reduziert hat, [in welchem] man Techniken einsetzen konnte, die

191 Die fachübergreifende Kooperation ist bis heute bei der Begutachtung von SFB ein wichtiges Förderkriterium. So werden in den Teilprojektanträgen von SFB explizite Bezüge zu anderen Teilprojekten der verschiedenen Projektbereiche hergestellt, um diesem Kriterium zu entsprechen und die Förderchancen zu erhöhen. Das sogenannte „Ortsprinzip“ für SFB besagt, dass geförderten Forscher am selben Standort arbeiten sollten, um den Vorteil der räumlichen Nähe von Kooperationspartnern (z.B. in Form von gemeinsamer Gerätenutzung) für die Erzielung der anvisierten Struktureffekte an den geförderten Standorten zu nutzen. In Ausnahmefällen können auch Forscher an verschiedenen Standorten gefördert werden. Das seit 2009 bestehende Programm der „SFB/Transregio“ fördert standortübergreifende Kooperationen in einem Verbund („Monitoring des Förderprogramms Sonderforschungsbereiche, Bericht 2010“, S. 10, in: Internetseite der DFG, unter: http://www.dfg.de/dfg_profil/zahlen_fakten/evaluation _studien_monitoring/studien/bericht_monitoring_sfb/index.html, Stand: 17.11.2018). 192 Vgl., Holzhey, in: Deuber-Mankowsky/ders. (Hg.), 2013, 128-130, der ähnliche Befunde zwar nicht für Verbundforschung aber für die Spannung zwischen Organizismus und Reduktionismus bei Donna Haraway bzw. zwischen Vitalismus und Mechanismus bei Georges Canguilhem herausarbeitet.

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einem […] Antworten geben können. Um dahin zu kommen, musste man einen langen Atem haben, Durststecken durchstehen, bis man [das Ziel] einmal erreicht hatte.“193 Das entscheidende Alleinstellungsmerkmal an dem „Prinzip der Mäuseklinik“ war wie bereits erwähnt, dass „nahezu alle in der Klinik üblichen diagnostischen Untersuchungen auch an der Maus“ durchgeführt werden konnten. Ein besonderer Vorteil war dabei die Analyse von klinisch relevanten Parametern, die am Menschen aufgrund ethischer und regulatorischer Gründe nicht so einfach erhoben werden können, die für das Verständnis der Krankheitsentstehung aber äußerst wichtig sind.194 Es ist also nicht in erster Linie der Weg von der Laborbank zum Krankenbett („from bench to bedside“), der im SFB 612 verfolgt wurde, sondern die Herausforderung lag zunächst darin, die in der Klinik üblichen Verfahren im Labor (in miniaturisierter Form) zu etablieren („from bedside to bench“), um anschließend wiederum möglicherweise zu klinisch relevanten Erkenntnissen zu kommen. Die erkenntnismäßige Bewegung geht von daher streng genommen von der Klinik ins Labor und von dort aus (und nur im Idealfall) wieder in die Klinik (vgl. Kap. 1.6.3.1 und die Zusammenfassung der vorliegenden Arbeit in Kap. 4). Die umseitige Abbildung fasst das diagnostische Spektrum der „Düsseldorfer Mäuseklinik“ zusammen (Abb. 32). Die innerhalb der „Mäuseklinik“ verwendeten MRT-Techniken erlauben eine integrative Untersuchung von der Zelle zum Gesamttier: Neben in-vivo-Messungen ist es mit dieser Technik ebenfalls möglich, Messungen an perfundierten Zellen und an Gewebeextrakten durchzuführen. Der Vorteil solcher Methoden ist eine einfachere Manipulierbarkeit des experimentellen Materials, die es je nach Fragestellung erlaubt, die Komplexität und Heterogenität des Modellsystems zu reduzieren. 195 Trotz solcher Versuche der Komplexitätsreduktion verfolgte die im Z2-Projekt angelegte Plattform zur Phänotypisierung im Gegensatz zum Z1-Projekt eher ganzheitliche Ansätze, weil der gesamte Organismus der transgenen Maus auf die Geometrie und Morphologie des Herzens und der Gefäße, auf die Hämodynamik, die Stoffwechselprodukte, die Regulation des Energiehaushaltes und auf die physische Leistungsfähigkeit hin untersucht wurde.196

193 Interview mit Jürgen Schrader vom 18.06.2015, S. 22. 194 Schrader, in: Jahrbuch der HHU 2003, S. 94. 195 Vgl. Artikel „Hardware“, in: Internetseite des Instituts für Molekulare Kardiologie der HHU, unter: http://nmr.uni-duesseldorf.de/sets/hardware.html, Stand: 10.09.2016. 196 Vgl. ebd.

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Abbildung 32: Diagnostisches Spektrum der „Düsseldorfer Mäuseklinik“ adaptiert nach Schrader, in: Jahrbuch der HHU, 2003, S. 94.

Quelle und Copyright: Thomas Krämer

Bevor auf dieses Methodenspektrum mit Bezug zur Myoglobin-Forschung im SFB 612 näher eingegangen werden kann, ist es zunächst notwendig, die Technik und die Repräsentationsweise der MRT genauer zu erklären. Hierzu werden die Ausführungen der Soziologin Hannah Fitsch aus ihrer Studie „…dem Gehirn beim Denken zusehen? Sicht- und Sagbarkeit der funktionellen Magnetresonanztomographie“ (2014) miteinbezogen.197 3.4.3 MRT: Theorie und Repräsentationsweise der Technologie Im Zentrum dieser experimentellen Phänotypisierungsplattform des Z2-Projekts stand die Bildgebung von Herz und Gefäßen mittels der Kernspintomographie oder Magnetresonanztomographie (MRT).198 Die MRT nutzt die physikalische Eigen-

197 Fitsch, 2014. Die Autorin bezieht sich in ihrer Studie zwar auf die Neurowissenschaften, wobei viele Aspekte der funktionellen MRT prinzipiell auch auf die kardiovaskuläre MRT zutreffen. 198 Die 1938 erstmals beschriebene Technik wird als „Nuclear Magnetic Resonance“ (NMR) bezeichnet. Obwohl die erste biologische NMR-Untersuchung an roten Blutkörperchen bereits 1955 beschrieben wurde, konnte sich die NMR-Technik als Methode zur Untersuchung physiologischer Prozesse erst 20 Jahre später durchsetzen, als gezeigt wurde, dass es mittels 31P-NMR-Spektroskopie möglich ist, wichtige Stoffwechselpro-

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schaft, dass sich Körperwasser (H2O) in einem starken Magneten – ähnlich wie eine Kompassnadel – parallel zu seinem Feld ausrichtet. Eingestrahlte Radiowellen führen zu einer kurzfristigen Ausrichtung der Protonen in Gegenfeldrichtung und veranlassen sie bei der Rückkehr in den Ursprungszustand zur Energieabgabe; diese kann lokalisiert und dann zu einem Bild zusammengesetzt werden. 199 Bei der MRT macht man sich den Eigendrehimpuls, den „Spin“ NMR-aktiver Atomkerne zunutze, die einen magnetischen Moment bewirken. Die Ausrichtung dieser kleinen Magneten im Organismus entlang des äußeren Magnetfelds stellt dabei die Voraussetzung des Messvorgangs dar. Der dreidimensionale Bildaufbau erfolgt durch Gradientenfelder, die eine Ortskodierung zulassen. Die Magnetfeldgradienten bestimmen den exakten Ort der Signale in einem Raster aus drei Raumebenen; zwei der Ebenen (x- und y-Achse) beschreiben die Frequenz- sowie Phasenkodierung, die dritte Ebene wird durch die jeweilig aufgenommene Schicht bestimmt (z-Achse).200 Die Darstellung des Objekts verläuft also über drei virtuell an das Objekt angelegte Achsen; man nutzt dabei eine mathematische Operation, die sogenannte Fourier-Transformation, um die Messdaten von der Zeitdomäne in die Frequenzdomäne zu überführen. 201 Vereinfacht wird dabei jede Frequenz einem bestimmten Ort und die Signalintensität dem zugehörigen Wert auf der Graustufenskala zugeordnet. Bei der Anzeige auf dem Bildschirm werden die Signale einzelnen Volumenelementen, sogenannten „Voxeln“ (zusammengesetzt aus „volumetric“ und „pixel“) zugewiesen. Die MRT-Bilder entstehen in einem ‚entwurfsgemäßen‘ Repräsentationsraum und durch die Nutzung supplementären Wissens. Fitsch bringt dies wie folgt auf den Punkt:

dukte wie Adenosintriphosphat (ATP) und Phosphokreatin (PCr) im Organismus zu detektieren, ohne ihn zu zerstören (siehe entsprechende Literatur bei Flögel, 2012, S. 3-4). Auffällig ist, dass die zunehmende Verbreitung der NMR-Techniken im medizinischen Bereich seit den 1970er Jahren zu einer raschen Eliminierung des „N“ aus NMR führte (unter anderem auch bei MRS = Magnetresonanzspektroskopie), was vor allem darauf zurückzuführen ist, dass seit den 1970er Jahren der Begriff „nuklear“ extrem negativ behaftet ist, und dadurch eine eindeutige Abgrenzung zu den nuklearmedizinischen Techniken vorgenommen werden konnte (ebd., S. 5). Im weiteren Verlauf des Textes der vorliegenden Arbeit wird der Begriff Magnetresonanztomographie (MRT) verwendet. 199 Schrader, in: Jahrbuch der HHU, 2003, S. 94. 200 Fitsch, 2014, S. 144. 201 Artikel „Theorie“, in: Internetseite des Instituts für Molekulare Kardiologie der HHU, unter: http://nmr.uni-duesseldorf.de/sets/theorie.html, Stand: 07.07.2017.

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„Um das menschliche Gehirn [oder Herz, TK] messbar zu machen, greift die funktionelle Magnetresonanztomographie auf klassische geometrische Vermessungstechniken zurück. Der k-Raum, der das Vermessungsraster für die Zuweisung der Voxel-Koordinaten und damit der Aktivitätswerte darstellt, baut auf einer simplen zweidimensionalen Fläche (x- und y-Achse) auf; seine dritte Dimension erlangt er über das Hintereinanderlegen der einzeln vermessenen Schichten [sogenannte z-Achse, TK]. Darüber wird die Visualisierung von Volumendaten erreicht, der [sic] die Körperdaten in ein dreidimensionales Bezugssystem bringt. Die Koordinaten der Gitterpunkte im k-Raum sind im Scanner implizit schon angelegt und stellen eine vorgegebene Struktur im Scanner dar.“202

Bei MRT-Bildern handelt es sich also keineswegs um ein direktes Abbild morphologischer Strukturen, was letztlich gemessen wird ist das Signal von NMR-aktiven Kernen, die angeregt werden und anschließend wieder relaxieren. Unterschiedliche Kernspinrelaxationszeiten können verschiedenen Gewebearten zugeordnet werden, die in den typischen Schwarz-Grau-Changierungen dargestellt werden. Um über die anatomischen Visualisierungen hinaus physiologische Daten für eine funktionelle Bildgebung an der Maus erhalten zu können, bedarf es einer Magnetfeldstärke, die über die für klinische MRT-Scanner üblichen 1,5 Tesla hinausgeht. Man benötigt eine erhöhte Feldstärke, um bei vergleichbarer Signalintensität eine höhere räumliche Auflösung zu erhalten, die den Anforderungen an die bildgebende Darstellung der murinen Anatomie gerecht wird. Der im SFB 612 im Z2-Projekt zur Verfügung stehende Bruker-UltraShieldTM-Magnet besitzt eine Magnetfeldstärke von 9,4 Tesla.203 Die MRT als Phänomenotechnik im Sinne Bachelards Das bildgebende Verfahren der MRT zeichnet sich dadurch aus, dass es kein originäres Relatum in ein Bild übersetzt – abbildet –, sondern dass die Methode einen Vorgang visualisiert, den sie gleichzeitig als Phänomen erst herstellt204 (die Messung von NMR-aktiven Atomkernen und deren anschließende Übersetzung in einen digitalen Repräsentationsraum). Die Bilder sind zwar kausal verursacht, doch werden sie mittels einer Unmenge an supplementärem und dispositionellem Vorwissen erzeugt, sodass die Bilder zeichentheoretisch eher einen Symbol- als einen Abbildcharakter bekommen. 205 Das Bild ist kein Abbild, weil es vor allem phänomenotechnisch (im Sinne Bachelards, siehe Kap. 1.3) verfasst ist: Die indirekte Darstellung morphologischer Strukturen

202 Fitsch, 2014, S. 150. 203 Schrader, in: Jahrbuch der HHU, 2003, S. 94-95. 204 Fitsch, 2014, S. 16. 205 Vgl. Grau zitiert nach ebd., S. 16-17.

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und Stoffwechselvorgänge lässt keine voraussetzungslosen Beobachtungen zu, da die ‚entwurfsgemäße‘ Darstellung der zu repräsentierenden Strukturen im Vorhinein vom Scanner determiniert ist und die Schärfe der dargestellten Kontraste von den durch die Fourier-Transformation errechneten Graustufen im MRT-Scanner abhängt. Gaston Bachelard bringt die Voraussetzungshaftigkeit und Mittelbarkeit von solchen wissenschaftlichen Beobachtungen wie folgt auf den Punkt: „Schon die [und insbesondere die apparativ vermittelte, TK] Beobachtung bedarf eines Korpus von Vorkehrungen, die uns dazu veranlassen, nachzudenken, bevor wir hinsehen, und die zumindest den ersten Blick einer Revision unterziehen, weil der erste Blick niemals auch der beste ist. Wissenschaftliche Beobachtung ist stets polemisch; sie bestätigt oder verwirft eine im Voraus verfasste These, ein vorgängiges Schema, einen Beobachtungsplan; sie zeigt, indem sie beweist; sie schafft eine Hierarchie der Erscheinungen, sie geht über das unmittelbar Gegebene hinaus; sie rekonstruiert die Realität nachdem sie ihre eigenen Schemata rekonstruiert hat.“206

So sind der funktionellen und diagnostischen Interpretation der MRT-Bilder ganze Abschnitte in Lehrbüchern gewidmet, die diese MRT-Schnittbilder mit fotographisch erzeugten anatomischen Strukturbildern in Korrelation setzen, damit der Diagnostiker die MRT-generierten morphologischen Darstellungen anatomisch und funktionell richtig einordnen und deuten kann. 207 Diese Form der Bildgebung entzieht sich den von Rheinberger vorgeschlagenen Typisierungen naturwissenschaftlicher Visualisierungen (vgl. Kap. 1.4.2).208 Obwohl es mit der MRT möglich ist, Ausschnitte gescannter Objekte beliebig zu vergrößern und anatomische Bewegungsvorgänge sowie metabolische Veränderungen beschleunigt oder verlangsamt darzustellen, ist sie von ihrer technischen Darstellung her betrachtet weder eine Kompression noch eine Dilatation. Denn das erzeugte Bild hat kein direktes Relatum mehr und wird durch die Messung NMR-aktiver Kerne erst hervorgerufen. Sie ist auch keine Verstärkung (Enhancement) in dem Sinne, dass sie eine einfache Kontrastverstärkung von Strukturen mittels Färbungen oder Tracer-Techniken vornimmt und in einem Präparat zur Darstellung bringt. Vielmehr werden die Phänomene wie sich mit Bachelard sagen lässt „auf der Ebene der Instrumente erzeugt“.209 Die MRT-Bildgebung ist von daher ihrem Wesen nach eine Phänomenotechnik: „Sie verstärkt das, was hinter dem Erscheinen durch-

206 Bachelard, 1988 [1934], S. 17-18, Hervorh. im Original. 207 Vgl. etwa Hombach/Barkhausen (Hg.), 2009, S. 40 ff. 208 Rheinberger, in: Sachs-Hombach (Hg.), 2009, S. 127-146. 209 Bachelard, 1988 [1934], S. 18

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scheint“,210 indem sie durch das Magnetfeld die Atome im Organismus entlang seiner (virtuell angelegten) Hauptachse scannt und in einen Repräsentationsraum übersetzt und anschließend auf einem Bildschirm zur Darstellung bringt. Die ‚Körperlichkeit’ hinter den Bildern im Kontext kardiovaskulärer Funktionsanalysen Fitsch geht in ihrer Studie über das MRT im Bereich der Neurowissenschaften davon aus, dass der menschliche Körper durch die Repräsentationsweise der erzeugten MRT-Bilder zum Verschwinden gebracht wird: „Die Ausbreitung medizinischer wie naturwissenschaftlicher Darstellungen vom Körper führt gleichzeitig zum Verlust des Körpers – an dessen Stelle das Bild tritt. Die Hirnforschung ist von Körpervergessenheit in ihren Forschungspraktiken und -theorien auf besondere Weise betroffen und muss darauf hin gesondert befragt werden […]. Denn in der Hirnforschung wird der Körper nicht nur durch ein Bild ersetzt, auch ihr Gegenstand der Visualisierung – das Gehirn – ist bereits körperlos gedacht.“211

Zwar tritt auch in der Herz-Kreislaufforschung (insbesondere in der klinisch ausgerichteten Diagnostik) der Körper oft hinter das zu interpretierende diagnostische Bild (vgl. hierzu Angiokardiographie in Kap. 2.3.2.4). Hinsichtlich der im Folgenden vorzustellenden experimentellen Plattform zur Phänotypisierung von transgenen Mäusen im SFB 612 lässt sich vorab jedoch feststellen, dass der Körper der Maus zwar experimentaltechnisch verfertigt und in verschiedene Dispositive der Tierhaltung und der experimentellen Funktionsmessung und deren anschließende bildliche Darstellung eingelassen wird, aber eben nicht „verschwindet“. Im Gegenteil wird der genetisch veränderte Organismus zu großen Teilen durch die ‚Provokation‘ gewisser Phänotypen zunächst in seiner funktionellen Performance gefordert und durch die Messungen der Herz-Kreislauffunktion in gewisser Weise erst hervorgebracht. Denn ihren für die Versuche übergeordneten Sinn bekommt die Maus gerade durch die Synthese und Synopse verschiedener (und nicht nur MRTgenerierter) Messdaten, die es am Ende erlauben, sich ein individuelles Bild vom Zustand des Gesamttiers in seiner Umgebung zu machen.

210 Ebd. 211 Fitsch, 2014, S. 22

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3.4.4 Das „Prinzip der Mäuseklinik“: das diagnostische Spektrum des SFB 612 Das im Z2-Projekt entwickelte „Prinzip der Mäuseklinik“ nimmt die bereits in der Klinik etablierten Techniken und bringt sie in miniaturisierter Form im Labor zum Einsatz, wobei es zugleich transgene Organismen verwendet, die gemäß den relevanten Fragestellungen genetisch verändert wurden: „In zunehmenden Maße wird erkannt, dass zur Analyse der in den transgenen Mäusen ausgelösten Kompensationsmechanismen eine exakte Phänotypisierung unabdingbar ist, die nur durch eine Bündelung von invasiven und nicht-invasiven Phänotypisierungsmethoden gewährleisten werden kann. Die in diesem Teilprojekt bereitgestellten Möglichkeiten entsprechen demgemäß im Prinzip einer ‚Mäuseklinik‘, in der bildgebende Verfahren, spiroergometrische Untersuchungen und hämodynamische Methoden parallel zum Einsatz kommen. Eine zentrale Rolle spielen hierbei die Magnetresonanz-Techniken, bei der die von uns erreichte Bildqualität sich inzwischen auch mit den international führenden Zentren messen lassen kann.“212

Der dem Institut für Herz- und Kreislaufphysiologie der Universität Düsseldorf zur Verfügung stehende 9,4 Tesla Widebore-BrukerTM-NMR-Spektrometer (Abb. 33) wurde 1990 aus Mitteln des SFB 242 beschafft und mithilfe einer DFG-Sachbeihilfe213 bereits zwei Jahre vor Beginn des SFB 612 entscheidend aufgerüstet. Wurden bis dahin MRT-spektroskopische Untersuchungen an dem in der Apparatur vorhandenen Vertikalmagneten nur an isolierten Herzen vorgenommen, so ist es im Rahmen dieses Projekts gelungen, bildgebende Verfahren zur in-vivo-Charakterisierung ganzer transgener Mäuse zu etablieren. 214

212 Arbeits- und Ergebnisbericht des SFB 612 für die Jahre 2002-2004, HHU, 2005, S. 209, in Privatarchiv des SFB 612, (Lit.verz., AQ: Arb./Abschl.ber. SFB 612). 213 DFG-Förderung von 2000-2006, Titel: „Erfassung von Herzfunktion und Ventrikelgeometrie in transgenen Mäusen mittels hochauflösender Magnetresonanz Bildgebung (MRI)“, in: GEPRIS-Portal der DFG, unter: http://gepris.dfg.de/gepris/projekt/5235520, Stand: 04.09.2016. 214 Ebd.

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Abbildung 33: 9.4 Tesla Bruker-UltraShieldTM-Magnet (links im Bild) im Institut für Molekulare Kardiologie der Universität Düsseldorf.

Quelle und Copyright: Institut für Molekulare Kardiologie der HHU, unter: http://nmr.uniduesseldorf.de/sets/hardware.html, Stand: 04.09.2016.

3.4.5 in-vivo-Messungen mittels MRT Zunächst musste sichergestellt werden, dass die vertikale Positionierung der Tiere im Magneten keinen Einfluss auf deren ‚normale‘ Physiologie hat. Für die Untersuchung musste der zuvor mit einer Miniaturatemmaske narkotisierte Körper des Versuchstiers in den Magneten im Bereich des für die Messung sensitiven Volumens platziert werden. Hierzu wird die Maus in das Halterungssystem des sogenannten „Probenkopfes“ eingebracht, damit sie während der Messungen nicht verrutschen kann (Abb. 34, rechts). Der experimentell manipulierte und in das apparative Dispositiv des MRTSpektrometers eingelassene Körper der Maus rückt bei diesen Untersuchungen in den Vordergrund. Denn seine Funktionen werden mit bereits über ein Jahrhundert alten Methoden, die nun miniaturisiert zum Einsatz kommen, überwacht: Um die MRT-Bilder zu definierten Zeitpunkten des Herzzyklus aufzunehmen, ist eine Triggerung der Bildgebungssequenzen durch das EKG notwendig, welches über die Vorderpfoten und Hinterpfoten abgeleitet wird. Zusätzlich wird über einen Drucksensor die Atemfrequenz der Maus erfasst, um zu gewährleisten, dass sich das Herz immer an der gleichen Position bei den Aufnahmen befindet, um so Bewegungsartefakte zu verhindern. Beide Signale werden über ein speziell zur Registrierung von

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Respirations- und EKG-Signalen konstruiertes Gerät verarbeitet, das die Datenakquise auf den QRS-Komplex des EKG sowie auf die Ausatmungsphase triggert.215 Abbildung 34: Schematische Darstellung einer in-vivo-Messung im MRT-Spektrometer samt Probenkopf mit Einlassung in das Gradientensystem (links), Einlassung der Maus in den Probenkopf (rechts).

Quelle und Copyright: Institut für Molekulare Kardiologie der HHU, unter: http://nmr.uniduesseldorf.de/sets/hardware.html, Stand: 04.09.2016.

Der Körper der Maus definiert also den Zeitpunkt des Scans, indem die beiden Signale in überlagerter Form verarbeitet und an die Bildsequenzierungen angepasst werden. Dabei kam es für die SFB-Forscher darauf an, die Messzeiten in Abstimmung mit den EKG- und Respirationssignalen stetig zu verkürzen, um eine bessere Bildqualität zu erhalten. Innerhalb eines Herzzyklus werden 20 Bilder aufgenommen, sodass bei einer Herzfrequenz der Maus von ca. 600 Schlägen/Minute (das Achtfache der menschlichen Frequenz) eine Zeitauflösung von 5-7 Millisekunden resultiert. Dies ermöglicht eine ausreichende zeitliche und räumliche Auflösung für eine routinemäßige, in einem Standardprotokoll festgehaltene Ermittlung der funktionellen Parameter, wie Herzzeitvolumen, Ejektionsfraktion, enddiastolischen bzw.

215 Arbeits- und Ergebnisbericht des SFB 612 für die Jahre 2002-2004, HHU, 2005, S. 203, in: Privatarchiv des SFB 612, (Lit.verz., AQ: Arb./Abschl.ber. SFB 612).

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-systolischen Ventrikelvolumen, linksventrikulärer Masse oder Wanddicken/Pumpfunktionen (Abb. 35). 216 Abbildung 35: Transversaler Schnitt des Mäuseherzens (links), Koronaler Schnitt des Mäuseherzens (rechts).

Quelle und Copyright: Institut für Molekulare Kardiologie der HHU, unter: http://nmr.uniduesseldorf.de/sets/herz.html, Stand: 04.09.2016. Legende zu Abbildung 35: Zu beachten ist, dass die oben gezeigten Bilder in bewegter Form z.B. in sogenannten „MRCineFLASH-Movies“ ausgegeben werden und so ein Urteil über die Herzdynamik zulassen, was durch das reine Ablesen von Wertetabellen oder Diagrammen nicht möglich ist.

Antragsrhetoriken: der Diskurs der hohen Bildauflösung und der Nicht-Invasivität Die Rhetorik zur Beantragung von Mitteln für die kardiovaskuläre Bildgebung (Herz und Gefäße) war durch einen Diskurs der hohen Bildauflösung charakterisiert. Dies lässt sich an verschiedenen Stellen der Forschungsberichte und Finanzierungsanträge bzw. Arbeits- und Ergebnisberichte des SFB 612 belegen: anhand von Formulierungen wie „hoch auflösende Bilder des Mäuseherzens mit großem Detailreichtum“,217 „ausgezeichnete Auflösung“ der „großen Koronargefäße“ oder „höch-

216 „Herzbildgebung in der Maus“, in: Internetseite des Instituts für Molekulare Kardiologie, HHU, unter: http://nmr.uni-duesseldorf.de/sets/herz.html, Stand: 04.09.2016. 217 Schrader, in: Jahrbuch der HHU, 2003, S. 95.

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stauflösende bildgebende Verfahren.“218 Diese Antragsrhetorik diente nicht nur dazu, entscheidende Alleinstellungsmerkmale des Standorts für die Gutachter der DFG hinsichtlich einer Förderung auf den Punkt zu bringen, sondern auch, um die Bilder in ihrem analytischen Wert hervorzuheben und sich von anderen bildgebenden Verfahren abzugrenzen. Je schärfer die Auflösung der MRT-Bilder, umso eher wirken die Bilder wie ein durch Fotographie hergestelltes Abbild der morphologischen Strukturen. Da die Fotographie bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zum sehkonventionellen Inventar wissenschaftlicher Bildproduktion gehört,219 erscheinen die durch Erhöhung der Scandurchläufe optimierten MRT-Bilder als ‚wahrhaftiger‘: „Vielleicht ist es mehr Angelegenheit des Glaubens für den Morphologen als eine Sache gezeigter Fakten, dass ein Bild, das scharf, kohärent, gleichmäßig, feinauflösend und insgesamt ästhetisch ansprechend ist, eher als wahr angesehen wird als eines, das grobkörnig, ungleichmäßig und verschwommen ist. Wie andere Glaubensangelegenheiten mag dies logischer Analyse nicht standhalten, aber es hat sich als alltagstauglich erwiesen […].“220

Die Wahrhaftigkeit der in den in-vivo-Messungen hervorgebrachten Bilder des Herzens wurde durch die Nicht-Invasivität des MRT-Verfahrens untermauert: Im Gegensatz zu anderen Verfahren wie z.B. morphometrischer histologischer Gewebeschnitte, muss bei der MRT der Körper der Versuchstiere nicht geöffnet werden und es müssen darüber hinaus keine radioaktiven Substanzen als Tracer (wie z.B. bei der Computertomographie) bzw. keine Kontrastmittel (wie z.B. bei der Röntgenstrahl-gestützten Angiographie) verabreicht werden, deren Wirkung nicht eindeutig geklärt ist. In den Finanzierungsanträgen des SFB 612 wird die NichtInvasivität des MRT-Verfahrens als förderwürdiges Alleinstellungsmerkmal dargestellt, das einen ‚unverfälschten‘ Einblick in das Innere der Versuchsmäuse gibt und anderen Verfahren dadurch überlegen ist: „Die Untersuchungen von Gefäßveränderungen bedarf in Regel aufwendiger, morphometrischer Analysen anhand histologischer Schnitte zur Bestimmung der Gefäßlumina post mortem. Darüber hinaus handelt es sich auch hier lediglich um Endpunktbestimmungen, die keine Aussage über die Kinetik [den tatsächlichen Verlauf, TK] solcher Veränderungen erlauben. Ein prinzipielles Problem bei der Auswertung der histologischen Schnitte ist, dass es

218 Finanzierungsantrag des SFB 612 für die Jahre 2002-2003-2004 (SFB 1919 zur Zeit der Antragsinitiative), S. 455 und 457, in: Privatarchiv des SFB 612, (Lit.verz., AQ: Finanz.antr. SFB 612). 219 Vgl. Daston/Galison, in: Geimer (Hg.), 2002, S. 29-100. 220 Fawcett (1964) zitiert nach ebd., S. 78.

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hierbei unvermeidlich zu partiellen Zerstörungen und Deformationen des Gefäßes kommt […]. Dementsprechend wäre eine nichtinvasive 3D-Methode zur kontinuierlichen, quantitativen Gefäßanalyse wünschenswert.“221

Die Unversehrtheit des Mäusekörpers wurde in diesem Kontext zum Argument für die universelle Anwendung der MRT-Technik sowie für die Unvoreingenommenheit und Exaktheit der produzierten Bilder und Daten. Denn nur durch die NichtInvasivität wurde es möglich, potenziell an allen erdenklichen Versuchstieren (unabhängig von ihrer Größe und ihrer Haltung) Experimente durchzuführen. Darüber hinaus werden die Versuche beliebig oft wiederholbar und die Ergebnisse damit reproduzierbar. Durch diese repetitiven MRT-Untersuchungen konnte man Zeitverläufe für die Ausbildung von pathologischen Veränderungen oder die Wirkung von bestimmten Substanzen im Organismus genau beobachten und Rückschlüsse auf mögliche therapeutische Ansätze ziehen.222 Durch die Betonung der hochauflösenden Qualität der MRT-Bilder und der den Versuchsorganismus nicht verfälschenden Nicht-Invasivität des Verfahrens erlangt die Methode Objektivität und die Daten ‚Wahrhaftigkeit‘. Die Darstellung des technologischen Fortschritts wird dabei bewusst in Szene gesetzt, um das Alleinstellungsmerkmal der „Mäuseklinik“ im Bereich der funktionellen Bildgebung hervorzuheben und so die DFG Gutachter von einer Förderung zu überzeugen.223 Die Überlagerung von ‚klassischen‘ hämodynamischen und molekularen Methoden zur Phänotypisierung transgener Mäuse Durch den Einsatz dieser MRT-Hochtechnologie wurde die Messung klassischer hämodynamischer Parameter, so wie sie bereits im SFB 30 vorgenommen wurde, nicht obsolet. Vielmehr flankierte die Hämodynamikmessung die modernen Bildgebungsmethoden, um ein möglichst vollständiges Bild des Organismus im Rahmen der Phänotypisierung zu erhalten.

221 Finanzierungsantrag des SFB 612 für die Jahre 2009-2010-2011-2012, S. 548, in: Privatarchiv des SFB 612, Hervorh. im Original, (Lit.verz., AQ: Finanz.antr. SFB 612). 222 Vgl. ebd. S. 550-551. 223 Eine vergleichbare MRT-Anlage befand sich zu dieser Zeit nur in Würzburg. Die SFBForscher berichten bereits im Arbeits- und Ergebnisbericht für die Jahre 2002-2004 von einer zunehmenden nationalen und internationalen Sichtbarkeit der „Düsseldorfer Mäuseklinik“ und von vermehrten Kooperationsanfragen, denen aufgrund der hohen Arbeitsauslastung leider nicht immer nachgekommen werden konnte (Arbeits- und Ergebnisbericht des SFB 612 für die Jahre 2002-2004, HHU, 2005, S. 4, in: Privatarchiv des SFB 612), (Lit.verz., AQ: Arb./Abschl.ber. SFB 612).

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Der Körper der Maus tritt hierbei einmal mehr in den Vordergrund, denn er wird in weitere experimentelle Dispositive eingebettet, die eine Perspektive auf die Herz-Kreislauffunktion des Gesamtorganismus zulassen. Zur Messung hämodynamischer Parameter mussten die zuvor vor allem für in-vivo-Untersuchungen an Hunden (siehe Kap. 2.5.2.1) entwickelten Druck-Volumen-Katheter für die Belange der Forschungen an der Maus miniaturisiert werden. Mit den in dieser Form seit 1997 zur Verfügung stehenden Kathetern (weiterentwickelte Modelle des „Millar Mikro-Tip®“ finden bis heute Anwendung) ist es möglich, Druck-Volumen-Kurven zu erstellen, mit denen man den hämodynamischen ‚read-out‘ molekularer Veränderungen der transgenen Maus anhand der verschiedenen Drücke und anhand der Fließeigenschaften des Blutes im Herzen untersuchen kann. 224 Die Einführung der Millar-Katheter in das Mäuseherz erfordert ein hohes Maß an Geschick vom Experimentator und kann aufgrund der individuellen Anatomie und Morphologie des jeweiligen Versuchstiers zwar einer Standardprozedur unterworfen, aber nie eins zu eins im Voraus geplant werden, weil hier unvorhersehbare experimentelle Probleme auftreten können. Zudem sind die Katheter in ihrer Haltbarkeit limitiert und müssen nach einer gewissen Anzahl von Hämodynamikmessungen entsorgt werden. 225 Eine weitere, die Bildgebung flankierende Messung, in der der Körper der Maus im Vordergrund steht, sind ergo- und kalimetrische Untersuchungen zur Erfassung der Leistungsfähigkeit des Gesamtorganismus und des Gesamtenergieumsatzes (Sauerstoffverbrauch und CO2-Produktion). Bei Provokationsexperimenten zur phänotypischen Charakterisierung werden die Tiere auf einem miniaturisierten Laufband positioniert und bei einer Bandgeschwindigkeit von 25 Metern pro Minute belastet. Dabei wird die Maximallaufzeit ermittelt, um so Aussagen über die Anpassungsfähigkeit hinsichtlich des Energiebedarfs in Ruhe und unter Belastung machen zu können.226 Sowohl die Ermittlung der mittels des Millar-Katheters gewonnen hämodynamischen Parametern als auch der physischen Leistungsfähigkeit mittels Laufbanduntersuchungen lassen selektive Rückschlüsse auf die Herz-Kreislauffunktion zu untersuchender transgener Phänotypen zu. Diese bereits im SFB 30 verwendeten Messparameter können als hämodynamischer und energetischer ‚read-out‘ der durch die transgene Technologie hervorgerufenen molekularen Veränderungen betrachtet werden, die Rückschlüsse auf die Funktion des Gesamttiers zulassen.

224 Vgl. Lorenz/Robbins, Am J Physiol. 1997 Mar;272(3 Pt 2):H1137-46. 225 Vgl. die Beantragung von Verbrauchsmittel bei den Ausführungen zum Z2-Projekt im Finanzierungsantrag des SFB 612 für die Jahre 2002-2003-2004 (SFB 1919 zur Zeit der Antragsinitiative), S. 466, in: Privatarchiv des SFB 612, (Lit.verz., AQ: Finanz.antr. SFB 612). 226 Ebd., S. 190.

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Dadurch werden (wie bereits in Kap. 2.5.2.1 und 3.3. erwähnt) das Hämodynamische zum funktionellen ‚read-out‘ des Molekularen und alt bewährte mechanische Methoden und Parameter trotz moderner molekularer Techniken nicht obsolet. Aus den Methodenspektrum sollen im Folgenden ex-vivo-Versuche am isoliert perfundierten Langendorff-Herzen (siehe zur Methode Kap. 2.5.2, S. 255 f.) thematisiert werden, die zur Entdeckung einer zuvor in vivo unbekannten Funktion von Myoglobin führten. 3.4.6 ex-vivo-Untersuchungen an transgenen Mäuseherzen Wie bereits in den Ausführungen zum ‚Spektrum der experimentellen Kardiologie‘ (siehe Kap. 2.5.2) vermerkt, haben Untersuchungen an isoliert-perfundierten Organen den großen Vorteil, eine nahezu vollständige Kontrolle über alle experimentellen Bedingungen zu haben, wie z.B. Pharmaka unter erheblich genaueren definierten Bedingungen direkt am Objekt des Interesses applizieren zu können, ohne dass es zu störenden Interaktionen mit dem Blutkreislauf oder anderen Organen kommt.227 Allerdings erfordert „die Präparation und das ‚Aufhängen‘ des kleinen Mäuseherzens an der Perfusionskanüle“ vom Experimentator ein hohes Maß an „Fingerspitzengefühl“. 228 Nach dem die Herzen aus den Mäusen entfernt wurden, werden sie mittels einer Reihe Kabeln zur Erfassung der funktionellen Parameter über ein mit Nährlösungen gefülltes Pufferreservoir mit einem Messturm verbunden. Anschließend werden sie in ein zehn Millimeter breites „NMR-Röhrchen“ überführt, was (wie das Ganztier bei den in-vivo-Messungen) in das sensitive Volumen des Magneten bei einer konstant gehaltenen Temperatur von 37 °C platziert wird (Abb. 36A). Routinemäßig lassen sich mit dieser Methode alle der MRT-Spektroskopie zugänglichen Größen, wie z.B. die Energetik, der Stoffwechsel und die Sauerstoffbeladung des ex vivo schlagenden Herzens als auch hämodynamische Parameter wie der linksventrikulär entwickelte Druck (LVDP), die Druckanstiegsgeschwindigkeit (dp/dt), die Herzfrequenz, der koronare Fluss sowie der myokardiale Sauerstoffverbrauch untersuchen.229 Anders als im SFB 30 (Kap. 2.5.2.1) erfolgen diese Messmethoden mittels MRT alle nicht invasiv.

227 Ebd. 228 Ebd. 229 Artikel „Hardware“, in: Internetseite des Instituts für Molekulare Kardiologie der HHU, unter: http://nmr.uni-duesseldorf.de/sets/hardware.html, Stand: 10.09.2016.

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Abbildung 36: ex-vivo-Untersuchungen an transgenen Mäuseherzen

Quelle und Copyright: Institut für Molekulare Kardiologie der HHU, unter: http://nmr.uniduesseldorf.de/sets/hardware.html, Stand: 10.09.2016. Legende zu Abbildung 36: A) Positionierung des Langendorff-Herzens in den MRT-Scanner. Die Perfusion und die adäquate Versorgung des Herzens erfolgt über die Aorta mit einer speziellen Pufferlösung (Krebs-Henseleit Buffer, KHB) bei einem physiologischen Druck von 100 mmHg (mmHg = Torr, eine Maßeinheit des Drucks). B) Größenvergleich eines Mäuseherzens mit einem herkömmlichen Streichholz. Links neben dem Herz ist ein im Z2-Projekt eigens hergestellter, wassergefüllter Ballon zu erkennen, der zur Erfassung der Pumpfunktion in die linke Herzkammer eingeführt wird.

3.4.7 Ein ‚neues‘ epistemisches Ding: die Interaktion von Myoglobin und Stickstoffmonoxid in vivo Die Messung der Sauerstoffbeladung von ex vivo schlagenden Herzen mittels MRT-basierter 1H-Spektroskopie (wobei „1H“ den Atomkern von Wasserstoff bezeichnet) war von entscheidender Bedeutung, um das über die sauerstoffspeichernde und -transportierende Funktion hinausgehende „kardioprotektive Potenzial“ 230 von Myoglobin zu untersuchen. Beim Start der Experimente galt die Sauerstoffspeicherung von Myoglobin (als „Notfallreserve“) als weitgehend akzeptiert; beforscht wurde weiterhin die von den SFB-Forschern postulierte erleichterte Sauerstoffdiffusion durch Myoglobin von den feinen Kapillargefäßen zu den in der

230 Arbeits- und Ergebnisbericht des SFB 612 für die Jahre 2002-2004, HHU, 2005, S. 84, in: Privatarchiv des SFB 612, (Lit.verz., AQ: Arb./Abschl.ber. SFB 612).

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Zelle sitzenden Mitochondrien (vgl. Kap. 3.3).231 Ausgehend von den Reaktionseigenschaften von Myoglobin und deren indirekte Darstellbarkeit mittels 1H-NMRSpektroskopie (eine Methode, mit der man die Sauerstoffbeladung des Herzens messen kann) wollten die SFB-Forscher nun die Rolle von Myoglobin in der kardialen Homöostase232 des Enzyms der Stickstoffmonoxid-Synthase („nitric oxide synthase“, NOS) näher untersuchen. 233 Das epistemische Ding in dieser Untersuchung war also der Prozess der Aufklärung der Interaktionen von Myoglobin mit dem Gasotransmitter Stickstoffmonoxid („nitric oxide“, NO). Anlass zu diesen Experimenten gab zum einen der bereits in den 1980er Jahren mittels in-vitroUntersuchungen erbrachte Hinweis, dass Myoglobin mit dem anorganischen Molekül NO weitreichende Reaktionen eingeht. 234 Zum anderen wurde das Molekül bereits im Vorgänger SFB 242 intensiv beforscht und die erste Knockout-Maus in Düsseldorf war eine NO-Verlustmutante, sodass eine fachübergreifende Expertise auf dem Gebiet der NO Forschung bereits vorhanden war.235 Um die Tragweite des Interaktionsfeldes von Myoglobin und NO besser zu verstehen, soll im Folgenden kurz auf relevante wissenschaftshistorische Aspekte von NO eingegangen werden. 3.4.7.1 Exkurs: Was ist Stickstoffmonoxid und wie wurde es entdeckt? Stickstoffmonoxid (NO) ist ein farbloses, in der Atmosphäre eigentlich explosives und giftiges Gas, das auch im Nitroglyzerin vorkommt. Schon Alfred Nobel, der diesen Stoff Ende des 19. Jahrhunderts zur Sprengstoffverarbeitung verwendete, berichtete von durch seine Verwendung verursachten Kopfschmerzen und Kreislaufstörungen. In manchen Situationen ist Nitroglyzerin allerdings eine hilfreiche Anwendung gegen Krankheiten. Bereits 1867 fand der englische Arzt Lauder Brunton heraus, dass organische Nitrate (als Oxidationsprodukte von NO) effektiv gegen Brustschmerzen (Angina pectoris) eingesetzt werden konnten. In den darauffolgenden 100 Jahren wurde Nitroglyzerin verbreitet zur Behandlung von Angina pectoris

231 Artikel „Myoglobin“, in: Internetseite des Instituts für Molekulare Kardiologie der HHU, unter: http://nmr.uni-duesseldorf.de/sets/myoglobin.html, Stand: 25.07.2016. 232 Der Begriff der Homöostase bezeichnet in Biologie und Physiologie die Erhaltung der Konstanz eines Gleichgewichtszustands im Organismus mittels interner selbstregulativer Prozesse. Zur Wissenschaftsgeschichte der Homöostase, siehe Borck, in: Contemporary History, Online-Ausgabe, 11 (2014), Heft 3, unter: http://www.zeithistorischeforschungen.de/3-2014/id=5150, Stand: 15.04.2017. 233 Flögel et al., Proc Natl Acad Sci USA. 2001; 98: 735-40. 234 Ignarro et al., Proc Natl Acad Sci USA. 1987 Dec;84(24):9265-9. 235 Zur Herstellung der ersten NO-defizienten Maus in Düsseldorf siehe: Gödecke et al., Circ Res. 1998 Feb 9;82(2):186-94.

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eingesetzt, ohne dass man die genauen physiologischen Mechanismen kannte, die seiner Wirkung zugrunde liegen. 236 Seit den 1930er Jahren gewannen Wissenschaftler mehr und mehr Einblick in die Prinzipien der Kommunikationsvorgänge im Körper. Alle Zellen eines vielzelligen Organismus müssen ständig Botschaften (mittels chemischen Botenstoffen) austauschen, um ihre Entwicklung zu Geweben zu organisieren, ihren Wachstum zu kontrollieren und vor allem, um die verschiedenen Aktivitäten in Gang zu setzen wie z.B. die Ausschüttung von Magensäften, die gezielte Anpassung von Muskeln und Geweben oder die Organisation des Immunsystems gegen eindringende Bakterien. 237 In den 1960er Jahren wurde durch die Erfolge der Kybernetik und der Informationstheorien das Vokabular der Kommunikation in die Lebenswissenschaften eingeführt: Signalkaskaden, informationsübertragende Botenstoffe, Kontrollmechanismen usw. wurden zu „entscheidenden sprachlichen Dispositiven“ zunächst in der Endokrinologie und später auch in der Molekularbiologie.238 Im Gegensatz zu „first messenger“, den hormonellen Botenstoffen, die von außen an die Zellen andocken, sprechen die Forscher bei den intrazellulären Botenstoffen von „second messenger“. Der kontingente Entdeckungskontext von NO 1977 teilte der Biochemiker Ferid Murad erste Hinweise über die relaxierende Wirkung von NO an Gewebeschnitten mit. 239 Es galt damals in der Fachwelt als unglaubwürdig, dass NO, obwohl es ein von seiner Molekularstruktur her sehr flüchtiges Gas ist, als Signalmolekül fungieren könnte. Zeitgleich machte die Arbeitsgruppe um den Pharmakologen Robert Furchgott eine durch experimentelle Kontingenzen hervorgerufene Beobachtung: Nachdem er bereits in den 1940er Jahren feststellte, dass sich eine Arterie in einem Reagenzglas dehnte, wenn man NO durch eine Nährlösung hinzugab, leistete sich sein Assistent David Davidson – trotz des zuvor exakt entworfenen (dispositionellen) Versuchsprotokolls – einen Fehler. Er vergaß gleich nach der ersten Testkontraktion die Reinigung des Präparats. Er traktierte das noch durch Noradrenalin kontrahierte Blutgefäß zusätzlich mit Carbachol. Anstatt dass es sich aber noch weiter zusammenzog, wie es zu erwarten gewesen wäre, dehnte es sich auf einmal. 240

236 Ringertz, „Alfred Nobel’s Health and His Interest in Medicine“, in: Internetseite des Nobelpreises, unter: https://www.nobelprize.org/alfred_nobel/biographical/articles/ ringertz/, Stand: 02.09.2016. 237 Schneider, 2002, S. 169. 238 Sinding, in: Sarasin/Tanner (Hg.), 1998, S. 90. 239 Arnold et al., Proc Natl Acad Sci USA. 1977;74:3203-3207. 240 Schneider, 2002, S. 171-172.

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Es begann eine akribische Suche nach den Gründen für die unerwartete Relaxation der Blutgefäße. Hatte man zuvor vornehmlich mit in Streifen geschnittenen Blutgefäßen experimentiert, präparierte man die Gefäße nun zu Ringen und erhielt zunächst keine eindeutigen Ergebnisse. Durch weitere Tests an den Gefäßringen stellte sich die Frage, ob nicht durch die Präparation entscheidende Teile der Gefäße entfernt wurden: „Wenn man die innere Oberfläche der Ringe vorsichtig mit den Fingern abrieb, gab es ebenfalls keine Relaxation. […] Bei all unseren frühen Versuchen mit Gefäßstreifen hatten wir unabsichtlich die inneren Endothelzellen der Gefäße zerstört. Wenn man extrem vorsichtig war beim Zuschneiden der Streifen und die innere Oberfläche nicht berührte, dehnten auch sie sich bei Acetylcholinzugabe.“241

Furchgott konnte daraufhin 1980 in einem „Sandwich-Experiment“, bei dem er ein innen abgeriebenes Stück der Aorta mit einem intakten Stück verband, nachweisen, dass es die Endothelzellen – die dünne, einlagige Zellschicht, die die Blutgefäße innen auskleidet – waren, die für die beobachteten Relaxationsvorgänge die entscheidende Rolle spielten.242 Die Gabe des Neurotransmitters Acetylcholin schien also die Endothelzellen anzuregen, einen „second messenger“ zu bilden, der dann das Signal zur Gefäßdehnung gab. Ein neues epistemisches Ding betrat die Experimentalbühne, denn Furchgott konnte den Botenstoff weder genauer identifizieren noch isolieren; daher gab er ihm den schlichten Namen „endothelium derived relaxing factor“ (EDRF).243 Von entscheidender Bedeutung für die Herz-Kreislaufphysiologie war zum einen die durch diese Versuche gewonnene Erkenntnis, dass das Endothel nicht einfach eine passive Grenzschicht zwischen Blut und Gefäß ist, sondern in verschiedenen Gefäßen einen sehr unterschiedlichen Aufbau hat und über einen äußerst lebhaften Stoffwechsel und hohe Syntheseleistungen verfügt.244 Zum anderen war es in der Fachwelt eine Sensation, dass ein eigentlich umweltverschmutzendes (auch in Autoabgasen enthaltenes) und zudem noch aufgrund seiner Halbwertszeit von nur zehn Sekunden äußerst flüchtiges Gas wie NO im Organismus als wichtiges regu-

241 Furchgott zitiert nach ebd., S. 172. 242 Ebd. 243 Ebd., S. 173. 244 Vgl. Hort, Uni-Zeitung der HHU, Heft 3, 1990, S. 14. Wie in Kap. 2.5.2.1 der vorliegenden Arbeit bereits erwähnt, fasst der Artikel in der Uni-Zeitung der HHU die Ergebnisse eines SFB-242-Symposiums über das Endothel am 28.04.1990 zusammen, an dem auch das Thema Stickstoffmonoxid durch verschiedene SFB-242-Teilprojektleiter im Kontext der Endothelforschung behandelt wurde.

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lierendes Signalmolekül fungierten konnte. Damit wurde zum ersten Mal überhaupt gezeigt, dass ein Gas die Funktion eines „second messenger“ übernehmen kann. 245 Neben Ferid Murad und Louis Ignarro, die gemeinsam mit Robert Furchgott 1998 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhielten, versuchten weltweit eine Vielzahl von Forschern, dem geheimnisvollen Faktor „EDRF“ auf die Spur zu kommen. Forschergruppen aus den verschiedensten lebenswissenschaftlichen Fachrichtungen sammelten (teils wieder unabhängig voneinander) Indizien, die dafür sprachen, dass EDRF und NO ein und dieselbe Substanz war.246 Innerhalb dieses informellen kooperativen Entwurfsgeschehens konnten Düsseldorfer Forscher im Rahmen des SFB 242 im Jahre 1988 anhand von kultivierten Endothelzellen und photometrischen Verfahren zur Quantifizierung der genauen NO-Freisetzungsraten nachweisen, dass Endothelzellen NO als freie Radikale absondern und dass NO allein für die gefäßerweiternden Eigenschaften von EDRF verantwortlich ist.247 Ein wichtiger Mosaikstein für die Identifikation von EDRF und NO kam also aus dieser mit Kardiologen, Physiologen, Pharmakologen und Biochemikern besetzten Düsseldorfer Arbeitsgruppe. Diese im SFB 242 gemachten Erkenntnisse und das experimentelle Setting der Myoglobin-Knockout-Maus (vgl. Kap. 3.3) dienten als projektspezifische Dispositionen für die in Kap. 3.4.8 zu beschreibenden Untersuchungen des SFB 612 zur Rolle von Myoglobin in der kardialen Homöostase des Enzyms der Stickstoffmonoxid-Synthase („nitric oxide synthase“, NOS). NO: Isoformen und klinische Relevanz Um die Begriffe und physiologischen Funktionen in der vorzunehmenden Analyse der Experimentalsysteme im SFB 612 vorab zu klären, werden hier wichtige Eckdaten und Informationen zu NO erläutert.248 1. Die endotheliale NO-Synthase (eNOS), welche in den Endothelzellen exprimiert wird und eine vaskuläre Relaxation bewirkt. Diese Reaktion liegt der Wirkung einer Reihe von Medikamenten z.B. zur Arteriosklerose-Behandlung zugrunde; 2. die induzierbare NO-Synthase (iNOS), welche in Abwehrzellen (Makrophagen) NO zum Schutz des Körpers vor Bakterien und eindringenden Zellen expri-

245 Ringertz, „Alfred Nobel’s Health and His Interest in Medicine“ in: Internetseite des Nobelpreises, unter: https://www.nobelprize.org/alfred_nobel/biographical/articles/ ringertz/, Stand: 02.09.2016. 246 Schneider, 2002, S. 173. 247 Kelm et al., Biochem Biophys Res Commun. 1988;154:236-44. 248 Für folgenden Absatz vgl. Hill et al., J Biol Chem. 2010 Jun 25;285(26):19699-704.

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miert. Eine zu hohe Konzentration der iNOS kann allerdings zum septischen Schock führen; 3. die neuronale NO-Synthase (nNOS), die im Gehirn die Funktion eines Neurotransmitters übernimmt und relativ große Areale des Zentral-Nervensystems moduliert. Klinisch kann NO sowohl als Gift als auch als Vasodilatator wirken. Durch die schnelle Umwandlung in Stickstoffdioxid an der Luft wirkt Stickstoffmonoxid schleimhautreizend und durch die Bildung von Methämoglobin wirkt Stickstoffmonoxid im Körper toxisch. Aber zugleich fungiert NO in seinen Isoformen als wichtiges Enzym im Körper. Denn es hat eine erweiternde Wirkung auf die Blutgefäße und wird in der Lunge sowie unter anderem bei Sepsis durch ein körpereigenes Enzym, die endotheliale Stickstoffmonoxid-Synthase (eNOS), aus der Aminosäure LArginin synthetisiert. Viele Studien und Originalarbeiten belegen die protektiven Wirkungen von NO und seiner Vorstufe L-Arginin bei Gesunden ebenso wie bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen wie Arteriosklerose, Bluthochdruck und Durchblutungsstörungen und empfehlen eine Sicherstellung der NO-Bildung durch eine gezielte Zufuhr ausreichender Mengen an L-Arginin.249 Im Folgenden soll zunächst auf die MRT-Methode zur Messung von Myoglobin und NO eingegangen werden, um im Anschluss die Übersetzungsschritte aufzuzeigen, die die Forscher unternahmen, um die MRT-generierten Spuren in ein Schema zu übersetzen, dass einen postulierten molekularen Interaktionsweg von Myoglobin und NO anzeigt. 3.4.8 Moleküle und ihre Handlungsträgerschaft: Myoglobin als „NO-Fänger“ Die Messung von Myoglobin mittels 1H-Spektroskopie erfolgt indirekt: Die Protonen der Aminosäure Valin 68 sind spektroskopisch erfassbar und dienen als „Antennen“250 bzw. „Reporterkerne“ für die aktuelle Situation am Häm.251

249 Vgl. Rassaf et al., Biol Chem. 2006 Oct-Nov;387(10-11):1347-9 zu NO und L-Arginin. 250 Schrader, in: Jahrbuch der HHU, 2003, S. 98. 251 Artikel „Myoglobin“ in: Internetseite des Instituts für Molekulare Kardiologie der HHU, unter: http://nmr.uni-duesseldorf.de/sets/myoglobin.html, Stand: 10.09.2016. Häme bzw. Eisen-Porphyrin-Komplexe sind Proteine, die Moleküle beinhalten, welche für eine Vielzahl von Aktivitäten im Molekulargeschehen verantwortlich gemacht werden: z.B. Elektronentransfer, Katalyse, Sauerstofftransport und -speicherung, Ligandenbindung, Signaltransduktion und Genexpression (Paoli et al., DNA Cell Biol. 2002 Apr;21(4):271-80, hier S. 271).

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Bei der indirekten Messung der MRT-Signale des Myoglobins ist sein jeweiliger Oxygenierungsstatus wichtig, um die vom MRT-Gerät ausgegebenen Spuren verstehen zu können. Die folgende Abbildung zeigt diese (von den Forschern selbst sogenannten) „Spuren“ in Form von Kurven, wobei die linken und rechten Kurven verschiedene MRT-Spektren wiedergeben, die graphisch zur Synopse gebracht wurden (Abb. 37): Zum einen die mittels 1H-Spektroskopie erfasste Konzentration des kardialen Myoglobins und die damit verbundene Sauerstoffbeladung der isolierten Mäuseherzen (links) und zum anderen die mittels 31Phosphor-Spektroskopie (31P) erfasste Konzentration der für den kardialen Energiehaushalt wichtigen Stoffe Phosphokreatin (PCr) und Adenosintriphosphat (ATP, rechts). Abbildung 37: Die graphische Zusammenfügung der 1H- und

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P-Spektren von isolierten

Wildtyp-Herzen zeigt den Effekt einer steigenden NO-Konzentration auf den kardialen Myoglobin-Status (links) und den kardialen Energiehaushalt (rechts).

Quelle und Copyright: Institut für Molekulare Kardiologie der HHU, unter: http://nmr.uniduesseldorf.de/sets/myoglobin.html, Stand: 10.09.2016. Legende zu Abbildung 37: Abkürzungen: ATP = Adenosintriphosphat (α-, β-, bzw. γ-Phosphat); MbO2 = oxygeniertes Myoglobin; metMB = Metmyoglobin; PCr = Phosphokreatin; Pi (ext.) und (int.) = extrazelluläres und intrazelluläres anorganisches Phosphat.

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Myoglobin liegt bei adäquater Sauerstoffversorgung des Herzgewebes infolge seiner hohen Sauerstoffaffinität vollständig oxygeniert als „MbO2“ (Abb. 37 unterste Spur) vor. Bei einem Ungleichgewicht zwischen Sauerstoffbedarf und -angebot kommt es zu einer Deoxygenierung des Myoglobins und somit zu einer Abnahme der Intensität des MbO2-Signals. Insofern lässt sich aus der Stärke dieses Signals auf den aktuellen Stand der myokardialen O 2-Versorgung schließen. 252 Neben dem sauerstoffabhängigen Oxygenierungsstatus ist auch der Oxidationsstatus von Myoglobin wichtig für das Signal der Reporterkerne: Verliert das Eisen im Myoglobin beispielsweise ein Elektron und geht vom normalerweise zweiwertigen in den dreiwertigen Zustand über, der üblicherweise als Metmyoglobin253 (metMb) bezeichnet wird, so lässt sich der Anteil des gebildeten metMb anhand seines Signals mittels 1 H-Spektroskopie eindeutig nachweisen. Insgesamt lassen sich also über die 1 H-MRT-spektroskopisch sensitiven Reporterkerne des Valins 68 vielfältige Informationen über die Situation an der Hämgruppe des Myoglobins gewinnen, die wiederum den aktuellen metabolischen Zustand des Herzens reflektieren. 254 Der besondere Vorteil bei dieser Methode ist, dass aufgrund der Nicht-Invasivität des Verfahrens ein Verlauf beobachtet werden kann, welcher auftritt, wenn man die isolierten Herzen von Wildtyp-Mäusen intrakoronar mit immer größer werdenden Mengen an NO behandelt. Die untere MRT-Spur in Abb. 37 ist die sogenannte Kontrolle, bei der keinerlei Gabe von NO vorliegt. Bei einer Konzentration von einem mikromol (µM) NO pro Liter lassen sich keinerlei Auswirkungen auf die Oxygenierung des Myoglobins (links, MbO 2 = oxygeniertes Myoglobin) bzw. auf den Energiestatus des Herzens erkennen (rechts zweite Spur von unten). Nach einer weiteren Steigerung der NO-Konzentration kommt es zunächst zu einer deutlichen Schwächung des MbO2-Signals woraufhin bei einer Konzentration von fünf mikromol (µM) NO pro Liter das MbO2 nahezu vollständig zu Methämoglobin (metMb) reagiert.255 Da diese Reaktion offensichtlich nach Beendigung der NOInfusion reversibel ist (siehe Abb. 37 oberste Spur „Erholung“), lag für die SFBForscher die Vermutung nahe, dass sich die rasche Regenerierung des MbO 2 durch das Enzym der „metMb-Reduktase“ vollzieht.

252 Artikel „Myoglobin“, in: Internetseite des Instituts für Molekulare Kardiologie der HHU, unter: http://nmr.uni-duesseldorf.de/sets/myoglobin.html, Stand: 10.09.2016. 253 Das durch Autooxidation im Körper von Wirbeltieren produzierte Metmyoglobin ist u.a. der Grund für die braungraue Verfärbung von totem Fleisch, vgl. Baron/Andersen, J Agric Food Chem. 2002 Jul 3;50(14):3887-97, hier S. 3887. 254 Artikel „Myoglobin“, in: Internetseite des Instituts für Molekulare Kardiologie der HHU, unter: http://nmr.uni-duesseldorf.de/sets/myoglobin.html, Stand: 10.09.2016. 255 Flögel et al., Proc Natl Acad Sci USA. 2001; 98: 735-40, hier S. 736-737.

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Die für die Aufklärung der Rolle von Myoglobin in der kardialen Homöostase entscheidenden experimentellen Differenzen wurden durch systematische Vergleiche der dosisabhängigen Effekte von NO auf die Funktion und Energetik von Wildtyp-Mäuseherzen bzw. myoglobindefizienten Mäuseherzen produziert. Mittels quantitativer Auswertungen konnten die SFB-Forscher zeigen, dass genau in dem Konzentrationsbereich, in dem in den Wildtyp-Mäuseherzen die Umwandlung von MbO2 in metMb erfolgt, die myoglobindefizienten Herzen der Knockout-Mäuse empfindlicher auf gleiche Mengen infundierten NO reagieren.256 Dies spiegelte sich sowohl in klassisch hämodynamischen Parametern wie dem linksventrikulären Druck (LVDP) als auch dem Energiestatus wider. Die Relevanz dieser Ergebnisse in vivo wurde durch ein Provokationsexperiment bestärkt, das zeigte, dass das Fehlen des Myoglobins nicht nur zu einer erhöhten Sensitivität des Herzens auf die exogene Gabe von NO, sondern auch auf die endogene Stimulation der endothelialen NO-Synthase (eNOS) mittels des Hormons Bradykinin führt. Diese Befunde legten den Schluss nahe, dass es in Gegenwart von Myoglobin zu einer substanziellen Inaktivierung des in zu großen Mengen schädlichen bioaktiven NO kommt.257 Interessant hierbei ist, dass sich die experimentelle Rolle der Myoglobin-KnockoutMaus im Vergleich zu den in Kap. 3.3 dargestellten Experimenten umkehrt: Waren die myoglobindefizienten Mäuse zuvor die Experimentalgruppe, an welcher die Kompensationsmechanismen im Vergleich zu den Wildtyp-Mäusen (Kontrollgruppe) ermittelt wurde, so sind nun die Wildtyp-Mäuse die Experimentalgruppe, an der die Inaktivierung des NO durch das Myoglobin gezeigt wurde. Die MyoglobinKnockout-Maus diente hierbei ‚nur‘ noch als Kontrolle, um zu zeigen, dass die schädlichen NO-Spiegel in diesen Mäusen nicht reduziert wurden, um im Umkehrschluss zu untermauern, dass Myoglobin bioaktives NO inaktivieren kann. Die Effekte der genetischen Manipulation der Mäuse selbst traten anders als im PNASPaper258 von 1999 (siehe Kap. 3.3) nun in den Hintergrund und die Handlungsträgerschaft von Molekülen in den Vordergrund. Wie in Kap. 1.4.2 geschildert, stellt Rheinberger fest, dass sich die Schematisierung molekularer Vorgänge gegenüber der Darstellung in chemischen Formeln in den Biowissenschaften durchgesetzt hat. Denn schematische Zeichnungen vermitteln ein „weit intuitiveres, synthetisches Verständnis eines komplexen molekularen Geschehens“259 und können als eine in den Forschungsartikeln dargestellte Art von ‚synoptischer Bühne‘ betrachtet wer-

256 Artikel „Myoglobin“ in: Internetseite des Instituts für Molekulare Kardiologie der HHU, unter: http://nmr.uni-duesseldorf.de/sets/myoglobin.html, Stand: 10.09.2016 sowie Flögel et al., Proc Natl Acad Sci USA. 2001; 98: 735-40, hier S. 736-737. 257 Ebd. 258 Gödecke et al., Proc Natl Acad Sci USA. 1999 Aug 31;96(18):10495-500. 259 Rheinberger, in: Sachs-Hombach (Hg.), 2009, S. 140.

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den, auf der den einzelnen Molekülen der Status von experimentellen Handlungsträgern zugewiesen wird. Die Übersetzung der ex-vivo-Befunde in ein molekulares Schema So wurden die durch differentielle Reproduktion (Vergleich Myoglobin-KnockoutMaus vs. Wildtyp-Maus) erzeugten quantitativen Auswertungen in Form von MRTSpuren ausgegebenen (Abb. 37) und die Resultate zur Interaktion von Myoglobin und NO von den SFB-Forschern in ein Schema übersetzt. Dieses vereinfachte die komplexen molekularen Vorgänge durch seine graphische Übersichtlichkeit ausreichend, um die Moleküle Myoglobin und NO als Akteure auf einer solchen ‚synoptischen Bühne‘ (Schema) darstellen zu können (Abb. 38). Abbildung 38: Schematische Synopse (zelluläres ‚Bühnen-Setting‘) der von den SFBForschern postulierten möglichen Interaktionen von Myoglobin und NO.

Quelle und Copyright: Institut für Molekulare Kardiologie der HHU, unter: http://nmr.uniduesseldorf.de/sets/myoglobin.html, Stand: 10.09.2016. Legende zu Abbildung 38: Das Schema zeigt im linken Kästchen die Kapillare, in der Mitte das Endothel und rechts die Herzmuskelzelle mit dem Mitochondrium. Abkürzungen: eNOS = endotheliale Stickstoffmonoxidsynthase; iNOS = induzierte Stickstoffmonoxidsynthase; NO = Stickstoffmonoxid („nitric oxide“); NO3 = Nitrat; metMb = Metmyoglobin; Mb = Myoglobin, MbO2 = oxygeniertes Myoglobin.

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Das ‚Bühnen-Setting‘ unterteilt sich in drei ‚Kulissen‘, welche die in Betracht gezogenen zellulären Strukturen in radikal vereinfachter Form wiedergeben: Die linke ‚Kulisse‘ stellt die Kapillare (hier ein feines Herzkranzgefäß) dar, die mittlere das Endothel, aus welchem das Enzym eNOS synthetisiert wird, und die rechte ‚Kulisse‘ stellt die Herzmuskelzelle mit dem zellulären ‚Kraftwerk‘, dem Mitochondrium dar. In der Herzmuskelzelle spielt sich (wiederum in verschiedenen „Kompartimenten“)260 der Großteil der dargestellten molekularen Vorgänge ab und sie ist von daher verhältnismäßig prominent ins Schema eingefasst. Die schematische Darstellung veranschaulicht das Postulat des möglichen molekularen Reaktionswegs (auch „pathway“ genannt), der die Interaktion von Myoglobin und NO im Herzen beschreiben soll: Oxygeniertes Myoglobin (MbO2) reagiert mit NO zu Methämoglobin (metMb) und Nitrat (NO 3-). Da der Bindungsvorgang von Myoglobin (Mb) an O2 reversibel ist, suggeriert die Positionierung der Moleküle im Innenraum der Zelle eine repetitive molekulare Relativbewegung in zyklischer Form, die durch die Pfeile angezeigt wird. Der rot eingefärbte Bereich lenkt nicht nur die Aufmerksamkeit des Lesers auf den postulierten Reaktionsweg, sondern stellt einen besonders aktiven Bereich in der Zelle mit physiologischer Relevanz dar: Die zuvor noch nicht in vivo bzw. ex vivo beschriebene kardioprotektive Funktion von Myoglobin, bei welcher das Herz vor einer Überexpression von NO durch den Aufbau einer Barriere geschützt wird. Überrascht von der Effektivität und der experimentellen Reproduzierbarkeit dieses Schutzmechanismus bezeichneten die SFB-Forscher ihn als einen „‚chemischen Staubsauger‘, der dafür sorgt, dass selbst bei erhöhter NOS-Aktivität die cytosolischen NO-Spiegel extrem niedrig gehalten und so schädigende Einflüsse der NO-Radikale […] vermieden werden können.“261 Von entscheidender Bedeutung für die Wirksamkeit dieses „Staubsaugers“ ist die Aktivität des mittig im roten Bereich positionierten Enzyms „metMbReduktase“. Es sorgt dafür, dass gebildetes metMb wieder in MbO2 überführt wird und für einen neuen molekularen Zyklus zur Verfügung steht. 262 Diese Barrierefunktion von Myoglobin erläutern die SFB-Forscher mit einer weiteren Metapher,

260 Der sogenannte „Intrazellularraum“ ist nicht auf eine Zelle beschränkt und bezeichnet einen Verteilungsraum im Organismus, der aus der Gesamtheit aller von Zellmembranen umschlossenen Zellbestandteile gebildet wird. Er ist von daher nicht eindeutig abgrenzbar, weil er in „Kompartimente“ unterteilt ist, die durch die homogenen Verteilungen und die physiko-chemischen Eigenschaften von jeweiligen Stoffen bestimmt werden (Amshoff et al., 2010, S. 425). 261 Artikel „Myoglobin“, in: Internetseite des Instituts für Molekulare Kardiologie der HHU, unter: http://nmr.uni-duesseldorf.de/sets/hardware.html, Stand: 10.09.2016. 262 Ebd.

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die ebenfalls aus einem dekontextualisierten technischen Bereich entstammt: „Diese molekulare ‚Firewall‘ arbeitet so effizient, dass überraschenderweise selbst eine massiv gesteigerte NO-Produktion durch eine Überexpression der induzierbaren NO-Synthase (iNOS) neutralisiert werden kann.“ 263 Die molekularen Reaktionswege und Mechanismen werden auch hier (vgl. Kap. 3.2) als „notwendige Sequenzen von Operationen“ verstanden, welche „ausgehend von der Form und der Struktur des Apparates“264 hergedacht werden. In diesem Fall entstammt die Metapher dem IT-Bereich, in welchem ‚Firewalls‘ einen Schutz vor sogenannten ‚Viren‘ bieten sollen (hier dient umgekehrt eine biologische Metapher dem technischen Bereich). Die ‚Firewalls‘ der IT-Branche stellen nicht nur eine technische Herausforderung für die Programmierer dar, sondern bedienen darüber hinaus einen lukrativen Sicherheitsmarkt, bei dem die Angst der Internetnutzer vor gefährlichen, sich immer verändernden ‚Viren‘ ein wichtiger Verkaufsfaktor ist. Der „chemische Staubsauger“ bezeichnet den gesamten Reaktionsweg von MbO2 + NO → metMb + Nitrat, der im roten Bereich von Abb. 38 hervorgehoben wird. Die effektive Barrierefunktion von Myoglobin bildet intrazellulär begrenzte Räume und verhindert, dass NO von einem intrazellulären Kompartiment in das andere diffundieren kann und umgekehrt.265 Die „molekulare Firewall“ befindet sich also genaugenommen innerhalb des als „chemischen Staubsaugers“ bezeichneten übergeordneten Reaktionswegs und trennt die Zelle in Kompartimente mit und ohne NO. Die Verwendung der aus dem technischen Bereich entnommenen Metaphern vereinfacht den molekular-mechanischen Hintergrund der Interaktion von NO und Myoglobin und bereitet den Leser auf die von den SFB-Forschern postulierte physiologische Relevanz von Myoglobin als effektiven „NO-Fänger“266 vor: „Zusammenfassend lässt sich aus diesen Experimenten ableiten, dass Myoglobin eine zentrale Rolle in der Inaktivierung von NO zukommt und eine effektive Barriere zum Schutz des Herzens vor nitrosativem Stress bildet. Dies stellt – neben den […] [bereits zuvor] beschriebenen

263 Ebd. Auf die Herstellung einer transgenen ‚iNOS-Maus‘ wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit eingegangen. 264 Canguilhem, in: ders., 2009, S. 211. 265 Gödecke, Cardiovasc Res. 2006 Feb 1;69(2):309-17. 266 Vgl. den Titel des Artikels, in dem die hier diskutierten Ergebnisse zuerst veröffentlicht wurden: „Myoglobin: A scavenger of bioactive NO.“ (Flögel et al., Proc Natl Acad Sci USA. 2001 Jan 16;98(2):735-409).

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Funktionen wie O2-Speicher und -Transport – eine neue, bislang im Verborgenen gebliebene physiologische Funktion dieses altbekannten Proteins dar.“267

Zum einen vollzog sich das ‚Aufdecken‘ dieser bislang verborgenen enzymatischen Funktion von Myoglobin mit Latour gesprochen zunächst durch Transformationsketten von der Materie hin zur Form (vom isolierten Mäuseherzen zur Form der MRT-Spur). Zum anderen mobilisierte man die Moleküle Myoglobin und NO als interne experimentelle Referenten, die letztendlich auf dem Interaktionsschema (Abb. 38) den Status von Handlungsträgern bekommen. Diese Transformationsund Mobilisierungsschritte seien hier kurz zusammengefasst: Wie oben dargestellt, wurde das (zuvor operativ entfernte) ex vivo schlagende Mäuseherz (als Versuchsmaterial) zur Messung der Myoglobin-Spiegel zuerst in das experimentelle Dispositiv der MRT-Apparatur eingebracht (vgl. Abb. 36, S. 362). Die durch das indirekte Darstellungsverfahren der 1H-Spektroskopie gewonnenen experimentellen Spuren zeigten, dass sich der Myoglobin-Spiegel bei entsprechend erhöhter NO-Gabe verringert (vgl. Abb. 37, S. 368), was bereits dafür sprach, dass Myoglobin ex vivo eine NO-hemmende Funktion haben könnte. Um diese Spuren weiter zu interpretieren, mussten zusätzliche Experimente gemacht werden, bei denen die MyoglobinKnockout-Maus ‚nur‘ noch als Kontrolle fungierte, um zu zeigen, dass die erhöhten NO-Gaben aufgrund des Fehlens von Myoglobin von diesen transgenen Tieren nicht so gut wie von den Wildtypen verkraftet wurden. Auf Grundlage dieser experimentell produzierten Differenzen folgte dann der größte Übersetzungsschritt: Der postulierte molekulare Reaktionsweg wurde von der Materialität der im MRT-Gerät einbrachten Mäuseherzen vollständig entkoppelt und in ein Schema transferiert. Die Delegation von Handlungsträgerschaft an Moleküle Hatten die Forscher zuvor noch ihre ‚Hand im Spiel‘, indem sie z.B. die NO-Gabe in den kontrollierten ex-vivo-Experimenten genau bestimmen konnten, so führt die durch die technischen Metaphern des „chemischen Staubsaugers“ und der „molekularen Firewall“ hervorgehobene Funktion von Myoglobin als „NO-Fänger“ zur Delegation von Handlungsträgerschaft. Um die durch menschliche Akteure experimentell hervorgerufenen Effekte in den Kontext des Gesamtorganismus einordnen zu können, müssen sie einer Kausalität unterworfen werden, die außerhalb des Einflussbereiches des Experimentators als effektive Performanz nicht-menschlicher Akteure vorliegt. Dadurch wurde wiederum die ‚Wahrhaftigkeit‘ der von den Wissenschaftlern postulierten molekularen Reaktionswege untermauert. Das Molekulare muss unabhängig vom Wissenschaftler ‚für sich‘ sprechen können:

267 Artikel „Myoglobin“, in: Internetseite des Instituts für Molekulare Kardiologie der HHU, unter: http://nmr.uni-duesseldorf.de/sets/myoglobin.html, Stand: 10.09.2016.

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„It is an action performed by the scientist so that the nonhuman will be made to appear on its own. [...] The experiment creates two narrative planes: one in which the narrator is active, and one in which the action is delegated to another character, a nonhuman one. An experiment shifts out action from one frame of reference to another. Who is acting in this experiment?“268

Auf der Ebene des zugrunde gelegten Versuchsmaterials sind die maßgeblichen Akteure in den geschilderten Experimenten die ex vivo schlagenden Herzen der Wildtyp- und der Myoglobin-Knockout-Mäuse; auf der Ebene der technischen Objekte ist es das MRT-Gerät, samt seinen Dispositiven zur Einlassung des zu untersuchenden organischen Materials. Auf der Ebene der epistemischen Dinge sind es zum einen die Forscher, welche die Rahmenbedingungen für die Untersuchung gewisser molekularer Vorgänge schaffen, zum anderen sind es die Moleküle selbst, die durch die Attribuierung an technische Vorgänge (die erwähnten technischen Metaphern) als interne Referenten in ihrer experimentellen Performanz Eigenständigkeit und Handlungsträgerschaft zugeschrieben bekommen (Prozess der Delegation): „Der wissenschaftliche Text mobilisiert seinen eigenen internen Referenten und verifiziert sich damit selbst.“269 Die Schema-Abbildung (Abb. 38, S. 371) umreißt dabei die am epistemischen Ding der Interaktion von NO und Myoglobin beteiligten internen Referenten und erlaubt zugleich, dieses Entwurfsgeschehen zwischen Myoglobin und NO fortzuschreiben, um weitere Fragen und Experimente zur molekularen Mechanik des Prozesses abzuleiten und in dieses Schema weitere experimentelle Befunde einzutragen.270 Durch die Übersetzung der von den Forschern hervorgerufenen und gemessenen molekularen Spuren und deren Übersetzung und Einbringung in die synoptischschematische Zusammenfassung von Zeichen überblicken und ‚beherrschen‘ sie die experimentelle Situation und können anhand der vereinfachenden graphischen Homogenität dieses Schema weiterführende Experimente planen. In diesem Sinne dient das Schema als zugleich abstrakte und konkrete experimentelle Disposition, als graphisch-synoptische Plattform, die als Ausgangs- und Übergangspunkt für den nächsten experimentellen Entwurf zur Verfügung steht. „[Das Diagramm] vertritt die Ausgangssituation, mit der es durch eine Serie von Transformationen verbunden bleibt und deren Spur wir [von der Einlassung des Versuchsmaterials in das MRT-Gerät bis zur schematischen Interpretation der molekularen Reaktionswege, TK] zu-

268 Latour, Configurations, 1993, Vol 1, No 1, 127-142, hier S. 140. 269 Latour, 2002 [1999], S. 69. 270 Vgl. Rheinberger, in: Sachs-Hombach (Hg.), 2009, S. 140-41.

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rückverfolgen können […]. Dennoch können wir das Diagramm nicht aus der Gesamtheit dieser Transformationen extrahieren. Isoliert sagt es überhaupt nichts mehr. Es ersetzt, ohne etwas zu ersetzen. Es fasst zusammen, ohne das ersetzen zu können, was es zusammenfasst. Ein seltsames transversales Objekt, ein Ausrichtungsoperator, der nur insoweit wahrheitsgetreu ist, als er den Übergang zwischen dem erlaubt, was vorangeht, und dem, was folgt.“271

Die Funktion von Myoglobin als „NO-Fänger“ wurde im weiteren Entwurfsgeschehen der SFB-Forscher zunächst durch die Herstellung einer weiteren transgenen Maus fortgeschrieben. Die Übersetzung der Forschung zur Interaktion von Myoglobin und NO in den Gesamtorganismus Diese Mäuse überexprimierten die induzierbare NO-Synthase (iNOS).272 So wurde die zuvor in ex-vivo-Experimenten belegte und in der Schema-Abbildung (Abb. 38, S. 371) interpretierte und bezeichnete „NO-Fänger“-Funktion von Myoglobin in die Materialität des Gesamtorganismus übersetzt. Die iNOS ist insbesondere in Abwehrzellen aktiv und schützt den Organismus normalerweise vor eindringenden Bakterien, kann jedoch in zu hohen Dosen schädlich sein und zur Herzinsuffizienz273 führen. Angesichts der sehr hohen NO-Spiegel in diesen transgenen Mäusen ging man davon aus, dass sie (ähnlich wie die in Kap. 3.3 beschriebene Myoglobin-Knockout-Maus) durch eine eingeschränkte Herzfunktion nur bedingt überlebensfähig sein werden. Überraschenderweise gab die Plastizität des Phänotyps erneut eine andere Antwort: „Wir haben diese Isoform im Herzen damals überexprimiert zu wirklich hohen Spiegeln und zu hohen Aktivitäten. Das wiederum erstaunliche war – es passt eigentlich auch wieder in diese Kette von Phänotypen, die man so zunächst nicht erwartet: Bei den Mäusen war die

271 Latour, 2002 [1999], S. 82, Hervorh. im Original. 272 Heger et al., Circ Res. 2002 Jan 11;90(1):93-9. 273 Die Herzinsuffizienz ist weniger eine klar definierte Erkrankung als eine Ansammlung von Symptomen, die das Unvermögen des Herzens ausmachen, die benötigte Blutmenge ohne Druckanstieg in den Herzvorhöfen zu fördern. Die Ursachen der Symptome können sehr unterschiedlich sein. Nach der allgemein anerkannten Klassifikation der New York Heart Association (NYHA) werden die Symptome vorwiegend an der körperlichen Leistungsfähigkeit des Patienten festgemacht (NYHA I-IV) (vgl. „Classes of Heart Failure“, in: Internetseite der American Heart Association [AHA], unter: http://www.heart.org/HEARTORG/Conditions/HeartFailure/AboutHeartFailure/Classes -of-Heart-Failure_UCM_306328_Article.jsp#.V_E07STNjAo, Stand: 02.10.2016).

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Herzfunktion nicht beeinträchtigt und auch die Struktur der Herzen war nicht verändert. Das war wieder so eine Geschichte, die man eigentlich nicht erwartet hat.“274

Ähnlich wie bei der Myoglobin-Knockout-Maus war man bei der iNOS-Überexpressionsmutante von einer klinischen Situation ausgegangen, die man in der „Düsseldorfer Mäuseklinik“ (also im Labor) nachahmen wollte: Patientenstudien legten den Schluss nahe, dass bei einer humanen Herzinsuffizienz der iNOS-Spiegel heraufreguliert wird.275 Nun war erneut die Frage, welche Kompensationsmechanismen die Überexpression der iNOS in den Mäusen neutralisieren. Auch stand erneut die Grenzziehung zwischen ‚normal‘ und ‚pathologisch‘ auf dem Spiel, denn das Konzept, nachdem durch iNOS erzeugtes NO der ausschlaggebende Faktor bei der Entstehung einer Herzinsuffizienz ist, musste angesichts der Kompensation der iNOSMutanten überdacht werden. 276 Die beiden Proteine iNOS und Myoglobin, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, wurden durch die Herstellung einer weiteren transgenen Maus, die zugleich die iNOS überexprimiert und myoglobindefizient ist, nochmals ‚zur Interaktion‘ gebracht. Dazu kreuzte man das zuvor erwähnte iNOS-Überexpressionsmodell mit der bereits etablierten Myoglobin-Knockout-Maus (in den Forschungsartikeln mit tg-iNOS+/myo-/- abgekürzt). 277 Die Auswirkungen dieses Kreuzungsexperiments waren offensichtlich: Die doppelmutanten Mäuse entwickelten klare Anzeichen von Herzinsuffizienz, in Form von kardialer Hypertrophie (pathologische Vergrößerung und Schwächung des Herzens), ventrikulärer Dilatation (eine krankhafte Ausdehnung der Herzkammern) und interstitielle Fibrose (eine krankhafte Vermehrung des Bindegewebes zwischen einzelnen Herzmuskelzellen).278 Zusätzlich waren hämodynamische Parameter wie die Kontraktilität, die Ejektionsfraktion (die Auswurfleistung des Herzens an Blut im Verhältnis zum Gesamtblutvolumen des Herzens in der Entspannungsphase) und die kardiale Energetik bei den tg-iNOS+/myo-/- Mäusen eingeschränkt. Dieser pathologische Phänotyp war der auf Ebene des Gesamtorganismus erbrachte Beweis, dass Myoglobin der „entscheidende Partner“ ist, der dafür sorgt, dass in der Herzmuskelzelle eine Barriere entsteht, die das NO-haltige intrazelluläre Kompartiment vom NO-armen

274 Interview mit Axel Gödecke vom 26.04.2016, S. 11. 275 Ebd. sowie Heger et al., Circ Res. 2002 Jan 11;90(1):93-9, hier S. 93. Die Forscher gingen hier von den Symptomen einer sogenannten „dilatativen Kardiomyopathie“ aus, bei der sich vor allem der linke Ventrikel pathologisch vergrößert und dadurch die Leistungsfähigkeit des gesamten Herzens abnimmt. 276 Abstract von Heger et al., Circ Res. 2002 Jan 11;90(1):93-9. 277 Gödecke et al., J Biol Chem. 2003 Jun 13;278(24):21761-6. 278 Ebd.

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trennt.279 Von nun an war endgültig klar, dass Myoglobin kein einfacher passiver O2-Speicher ist, sondern vielmehr ein „multifunktionelles Protein mit kardioprotektivem Potenzial“280 mit dem Effekt, Forscher aus Labor und Klinik auf organismischer Ebene zur Kollaboration zu bringen. Die transgene Maus als Hybrid zwischen epistemischen Dingen und technischen Objekten und ihr kollaborativer Wert zur Erforschung von ‚translational gaps‘ Durch den experimentellen Einsatz der Doppelmutante tg-iNOS+/myo-/- wurde nicht nur die Interaktion von NO und Myoglobin als epistemisches Ding auf der materiellen Ebene des Gesamtorganismus auf die Spitze getrieben, es kamen dabei ebenfalls auf organismischer Ebene Forscher aus völlig verschiedenen Bereichen zur Kollaboration. Zuvor getrennte Forschungsfelder begegneten sich auf dem Hybrid der transgenen Maus, die in ihrer experimentellen Rolle aufgrund ihrer genetischen Manipulierbarkeit schon als technisches Objekt und aufgrund der Unvorhersagbarkeit und der Plastizität des jeweiligen Phänotyps noch als epistemisches Ding zu betrachten ist. Diesen Zwischenstatus transgener Mäuse bezeichnet die Anthropologin Gail Davies in Anlehnung an den Soziologen Mike Micheal 281 als „collaborative thing“: „Humanizing mice [als die Einführung von Humanzellen in transgene murine Organismen] simultaneously moves these animal forms towards the intimate geographies of corporeal equivalence with humans and the expansive geographies of translational research. These multiple trajectories are achieved by the way humanized mice function as both uncertain ‚epis-

279 Interview mit Axel Gödecke 26.04.2016, S. 11. 280 Arbeits- und Ergebnisbericht des SFB 612 für die Jahre 2002-2004, HHU, 2005, S. 84, in: Privatarchiv des SFB 612, (Lit.verz., AQ: Arb./Abschl.ber. SFB 612). 281 Michael et al., Configurations, 2005, 13:373-394. Michael et al. erklären den Begriff „collaborational thing“ unter Rückgriff auf Rheinbergers Unterscheidung zwischen epistemischen Dingen und technischen Objekten mit Bezug zur translationalen Forschung zwischen Labor und Klinik. Während viele Förderprogramme und andere wissenschaftspolitische Initiativen auf die effektive Übertragbarkeit von im Labor erzielten Ergebnissen in die klinische Praxis pochen und damit die Produktion von stabilen und standardisierbaren „translational objects“ (z.B. ein am Menschen als wirksam erprobtes Pharma-Präparat) einfordern, bezeichnet der Begriff „collaborational thing“ eher die Realität und Komplexität von kollaborativen Projekten, bei denen Spannungen zwischen verschiedenen Professionen, Unvergleichbarkeiten zwischen Methoden, Modellen und Spezies und nicht zuletzt unvorhergesehene Ergebnisse Kontingenzräume aufspannen.

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temic things’ and as expansive ‚collaborative things’, articulating mouse genetics with other research, notably stem cell science. In the context of post-genomics, their indeterminacy is critical to their collaborative value; their expansive potential follows as much from their biological openness as from specific expectations. Yet, these new research organisms have both accumulative and disruptive capacities, for there are patterns of interference between these trajectories, remaking boundaries between experimental practices and clinical contexts.“282

Der kollaborative Effekt der Doppelmutante tg-iNOS+/myo-/- speiste sich zunächst aus der endgültigen Bestätigung, dass Myoglobin durch seine Interaktion mit NO als „NO-Fänger“ fungiert und dass beim Fehlen eines wirkungsvollen „NOStaubsaugers“ von der iNOS gebildetes NO tatsächlich in kritischer Weise mit dem Gesamtorganismus interferieren kann. Dies führt letztlich zu einer Beeinträchtigung der kardialen Energiehomöostase. Die in diesen Experimenten produzierten Daten hatten aufgrund des pathologischen Phänotyps höchste klinische Relevanz, denn die beobachteten Beeinträchtigungen des Energiehaushalts der tg-iNOS+/myo-/- lagen in der gleichen Größenordnung wie die Veränderungen, die beim Menschen während der Entwicklung einer Herzinsuffizienz nachgewiesen wurden. 283 So bot diese Maus eine ideale experimentelle Plattform, auf der Grundlagenwissenschaftler und Kliniker miteinander kollaborierten und klinisch immer relevantere Ansätze entwickelten: Z.B. konnte der Hinweis erbracht werden, dass Myoglobin sich unter hypoxischen Bedingungen (Sauerstoffmangel wie z.B. bei einem Herzinfarkt) von einem „NO-Inaktivator zu einem NO-Produzenten transformieren kann.“284 Es mehrten sich hierbei die experimentellen Hinweise, dass auch Nitrit kardioprotektiv wirken kann, indem die nichtenzymatische Bildung von NO durch Reaktion von Myoglobin mit Nitrit285 eine wichtige Rolle einnimmt, um das Ungleichgewicht zwischen Sauerstoffangebot und -verbrauch auszugleichen. Diese an der althergebrachten Myoglobin-Knockout-Maus durchgeführten Experimente legten die Hypothese nahe, dass Myoglobin als ein „O2-Sensor“ agieren könnte, der die Muskelenergetik bei limitiertem O2-Angebot anpassen kann. 286 Auf Grundlage der MyoglobinKnockout-Maus und den Forschungen zur Interaktion zwischen Myoglobin und NO wurde ein auf den im SFB 612 geleisteten Vorarbeiten aufbauendes Forschungsprogramm etabliert, das sowohl Experimente mit Mäusen als auch klinische Studien

282 Davies, Body & Society 2012, 18 (3-4): 126-155, hier S. 126 (Abstract). 283 Flögel, 2012, S. 35-36. 284 Ebd., S. 37 285 Nitrit ist ein vielfach vorkommendes Salz aus der salpetrigen Säure mit vielfältigen Reaktionseigenschaften im Körper. 286 Rassaf et al., Circ Res. 2007 Jun 22;100(12):1749-54.

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am Menschen miteinbezog und so das gesamte Spektrum der experimentellen Kardiologie abdeckt (vgl. Kap. 2.5.2, Abb. 22, S. 256). Myoglobin spielt hierbei weiterhin eine wichtige Rolle, denn es ist ein entscheidender ‚Partner‘ in einem weiteren, in den 2000er Jahren gefundenen molekularen Reaktionsweg: Vor allem unter hypoxischen Bedingungen transformiert sich Myoglobin von einem „NO-Fänger“ (siehe Kap. 3.4.8) zu einem NO-Produzenten, indem desoxygeniertes Myoglobin Nitrit zu NO umwandelt, was wiederum den kardialen Stoffwechsel und die kardiale Funktion reguliert. 287 Dieser und andere Mechanismen werden in der Literatur als „nitrate-nitrite-nitric oxide pathway“ zusammengefasst und man vermutet hinter diesem Reaktions-Komplex ein großes Potenzial für die Protektion von myokardialem Gewebe nach einem Herzinfarkt. 288 Allerdings konnte man in klinischen Studien an Patienten mit akutem Myokardinfarkt, denen man Nitrit verabreichte, keine signifikanten protektiven Eigenschaften dieses „pathways“ z.B. in Form einer Reduktion der Infarktgröße nachweisen. 289 Die Gründe für diese konkrete ‚translational gap‘ zwischen Mausmodell und Mensch sind vermutlich vielfältig und Gegenstand laufender Forschung (2017).

287 Ebd., S. 1753. 288 Lundberg et al., Nat Rev Drug Discov. 2008 Feb;7(2):156-67, hier S. 161. 289 Jones et al., Circ Res. 2015 Jan 30;116(3):437-47 und Siddiqi et al., Eur Heart J. 2014 May 14;35(19):1255-62. Einen Review verschiedener klinischer Studien mit unterschiedlichen Ansätzen zur Kardioprotektion und einer guten Übersicht der erzielten Ergebnisse gibt Bulluck et al., Heart. 2016 Mar;102(5):341-8.

4. Zusammenfassung der Ergebnisse im Interaktionsfeld Labor/Klinik und die transgene Maus als „collaborational thing“

Projektepistemologie bietet Potenzial für die Analyse von Forschungsverbundprojekten. Das übergeordnete Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, am Beispiel der Düsseldorfer Herz-Kreislaufforschung und speziell am Beispiel dreier kardiovaskulärer SFB der HHU, Spannungsverhältnisse zwischen förderpolitischer, institutioneller und technologisch/materieller Disposition und projektspezifischer Ereignishaftigkeit nachzuzeichnen. Eine Projektepistemologie hat dabei die Aufgabe, die projektrelevanten intermediären Räume zwischen dem forschenden Subjekt und dem Wissensobjekt samt seines technologischen, graphematisch/bildgebenden und epistemologischen Voraussetzungsreichtums zu untersuchen. Dabei folgt die vorliegende Arbeit der theoretischen Rahmung ‚Wissenschaft als Projekt‘ weder auf subjektzentrierter noch auf fortschrittsorientierter Weise. Neues Wissen fügt sich demnach selten problemlos in einen bestehenden Wissenskorpus ein. Wissenschaft entdeckt nicht: Sie entwirft, weil sie sich bei der Wissensproduktion sowohl auf bestehendes Wissen und Ressourcen (Disposition) bezieht als auch auf unvorhersehbare Ereignisse (Kontingenz) einrichten muss. Dispositionen wurden dabei als Ausund Übergangspunkte für wissenschaftliches Entwerfen definiert und mit dem Plattformbegriff (Keating/Cambrosio) identifiziert. Dies birgt den Vorteil, Dispositionen nicht als starre unveränderliche Entitäten, sondern als dynamische „Sprungbretter für zukünftige Aktivitäten“ zu charakterisieren, die verschiedene ontologische Bereiche verbinden und der Analyse zugänglich machen. Demnach können Dispositionen nach vorliegendem Verständnis sowohl etablierte förderpolitische Werkzeuge (wie Verfahrensordnungen der DFG für SFB), institutionelle Ressourcen (Personen, lokale Hochschulstrukturen und bauliche Voraussetzungen) als auch etabliertes Wissen oder bewährte Tiermodelle und Experimentaltechniken sein. Auch wenn projektspezifische Dispositionen von lokalen Infrastrukturen profitieren, sind sie nicht mit ihnen gleichzusetzen, weil hier (menschliche und nicht-menschliche) Ak-

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teure für einen ganz speziellen Problemkontext mobilisiert und dabei Elemente auf einer für das jeweilige (zeitlich begrenzte) Projekt zugeschnittenen Plattform miteinander vernetzt werden. Diese zeitweilige Kontinuität ist eine Voraussetzung für die Produktion von projektspezifischen Kontingenzen, die als „präzedenzlose Ereignisse“ der Forschung (Rheinberger) häufig aus der Wechselwirkung zwischen Stabilisierungen und Destabilisierungen von Systemen hervorgehen. Projekte müssen demnach in der Weise arrangiert und organisiert werden, dass sie neue Möglichkeitsräume – verstanden als die Verquickung von historischen Ereignis- und Erkenntniszusammenhängen – aufspannen, in denen sich kontingente Ereignisse überhaupt erst abspielen können. Denn ohne entsprechende institutionelle und experimentaltechnische Dispositionen werden Kontingenzen im Entwurfsgeschehen als Anomalien (z.B. in Form von unvorhersehbaren experimentellen Ergebnissen im Forschungsprozess) gar nicht sichtbar. Experimentelle Kontingenzen haben dabei das Potenzial, die Forschung in neue Richtungen zu weisen und so mittelfristig und schwerpunktmäßig auch auf die institutionellen und experimentaltechnischen Dispositionen zurückzuwirken (vgl. Kap. 1.2). Mit der Analyse des Projektbegriffs bei Bachelard (Kap. 1.3) wird klar, dass das wissenschaftliche Subjekt seine Gegenstände nicht unverstellt in den Blick bekommt. Vielmehr ist dieser ‚Blick‘ ein apparativ-gestützter und herstellender Blick und daher keine einfache Verlängerung der Sinnesorgane. Mit Rheinberger wurde in diesem Zusammenhang verdeutlicht, dass Wissenschaft und Theoriebildung nicht nur im Gehirn der Forscher stattfinden, sondern ein intermediäres Feld von Apparaten und Instrumenten, Praktiken und sozialen Beziehungen sowie Materialien voraussetzten. Bachelards Begriff der Phänomenotechnik veranschaulicht, dass es in den modernen Wissenschaften weniger darum geht, die unmittelbare Wirklichkeit eins zu eins abzubilden, sondern vielmehr darum, Prozesse der Verwirklichung eines wissenschaftlichen Phänomens sichtbar zu machen, in welchem sich ‚das‘ Subjekt und ‚die‘ wissenschaftliche Apparatur auf der Ebene der Instruktion begegnen. Objekte empirischen Wissens sind dem Forschungsprozess nicht vorgängig und werden demnach nicht einfach (im Rahmen eines wissenschaftlichen ‚Fortschritts‘) ‚entdeckt‘. Vielmehr werden sie im Projekt, d.h. im intermediären Raum zwischen dem Subjekt und dem Objekt, erzeugt und mittels fortlaufender Korrekturarbeit für das weitere Entwurfsgeschehen sichtbar und operationalisierbar gemacht. Der eigentliche Modus der modernen Experimentalwissenschaft vollzieht sich für Bachelard also im Projekt; für die vorliegende Arbeit verstanden als das plattformabhängige Spannungsfeld zwischen forschendem Subjekt und phänomenotechnisch in Experimentalzusammenhängen hervorzubringendem Objekt. Die Analyse des Parallelbegriffs des Entwurfs bei Heidegger (Kap. 1.3) ergab, dass Entwürfe Aus- und Übergangspunkte sind, von denen aus neue „Gegenstandsbezirke“ (bzw. Möglichkeitsräume) eröffnet werden. Im „Gesichtskreis des Ent-

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wurfs“ wird ein Naturvorgang für Heidegger als solcher mittels technisch verfasster Methoden und Verfahren erst sichtbar und für die Forschung anwendbar gemacht. Der Heidegger’sche Entwurf wurde für das Anliegen dieser Arbeit in ein Spannungsverhältnis zwischen Kontingenz und Disposition gesetzt: Zum einen muss sich die Forschung stets auf ihre eigenen produzierten aber unvorhersehbaren, kontingenten Ergebnisse einrichten und diese für das weitere Entwurfsgeschehen berücksichtigen. Zum anderen ermöglicht der wissenschaftliche Betrieb durch seinen institutionellen Charakter für Heidegger ein gewisses Maß an Planbarkeit und Kontinuität (Disposition) und erlaubt es der Forschung, sich wiederum auf die selbst eröffneten Möglichkeiten einzulassen. Durch den wissenschaftlichen Betrieb gelangt die Forschung nach Heidegger zu spezialisierten Kooperationsformen, die es gestatten, Verfahrensweisen (etwa für einen Forschungsverbund wie SFB) zusammenzuführen, erzielte Ergebnisse (z.B. auf Berichtskolloquien) mitzuteilen und abzugleichen, den Austausch von Arbeitskräften für spezielle Forschungsfragen (etwa zwischen Teilprojekten) zu regeln und damit die größtmögliche freie, aber geregelte Beweglichkeit der Um- und Einschaltung der Forschungen in die jeweils leitenden Aufgaben sicherzustellen und daraus Handlungsmaximen für die Wissenschaftspolitik abzuleiten (hier am Beispiel des SFB-Förderprogramms für Herz-Kreislaufphysiologie in den 1970er Jahren, siehe Kap. 2.4.4). Im Spannungsfeld zwischen dem kontingenten Sich-Einrichten-Müssen auf die eigenen Ergebnisse und der (wenn auch begrenzten) Planbarkeit des wissenschaftlichen Betriebs (Disposition) erscheint der Entwurf bei Heidegger als etwas Hinterlegtes mit dem Potenzial und der Notwendigkeit der Ausarbeitung. Im Prozess der Durchführung von Forschungsverbundprojekten bedeutet dies, dass die Forscher in regelmäßigen Abständen zur Synthese und Synopse, aber auch zur Korrekturarbeit an den eigenen Entwürfen ‚gezwungen‘ werden, um weitere Förderperioden einzuwerben, die wiederum neue (kontingente) Ergebnisse zulassen. Experiment, Inskription, Translation Für die projektepistemologische Analyse der kardiovaskulären SFB war es zunächst notwendig, ein grundlegendes Verständnis des Entwurfsgeschehens der Herz-Kreislaufphysiologie zu vermitteln. Hierzu wurden die Begriffe Experiment, Inskription und Translation einer historischen Analyse unterzogen (Kap. 1.6). Im Ergebnis zeigt sich mit Canguilhem, dass Experimente mit kardiovaskulärer Relevanz schon im Altertum von technischen Metaphern her gedacht wurden, die gewisse Anthropomorphismen voraussetzten, indem komplexe organische Prozesse mit jeweils zeitgenössischen technischen und/oder mechanischen Vorgängen beschrieben wurden (vom Bewässerungssystem für den Blutkreislauf bis zur Funktion des Herzens als Saug-Druck-Pumpe). Die Inskriptionen der graphischen Methode verhalfen der Physiologie von der Mitte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nicht nur zur Autonomie und Autorität im Rahmen einer „naturwissenschaftlichen Medizin“, sondern

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garantierten auch eine graphisch-synoptische Anschlussfähigkeit verschiedener (kurvengenerierender) Messverfahren (hier am Beispiel des Kymographions und des EKG, Kap. 1.6.2). Damit trat die Vergleichbarkeit und Reproduzierbarkeit von Experimentalergebnissen mit Hinblick auf ihre Übertragbarkeit in die Klinik auf den Plan und wurde von den zeitgenössischen Forschungsprogrammen aufgegriffen. Charakteristisch für solche frühen Translationen vom Labor in die Klinik war (und ist bis heute) ihre Nachträglichkeit. Denn die Unmittelbarkeit physiologischer Kurven und der dadurch entstehende Eindruck einer „sich selbst schreibenden Natur“ (Hagner/Rheinberger) verdeckt in der Retrospektive die komplexen Herstellungs- und kontroversen Aushandlungsprozesse, die den Kurven zum Status von unhinterfragten Selbstverständlichkeiten (Dispositionen) der Forschung und der Klinik verhalfen. Darstellung der Ergebnisse zwischen Labor und Klink Mit diesen epistemologischen und historischen Voraussetzungen birgt die Untersuchung von Spannungsverhältnissen zwischen institutioneller Disposition und projektspezifischer Ereignishaftigkeit im Rahmen von kardiovaskulären SFB das Potenzial, erkenntnisbringende Resonanzen zwischen historisch zeitgleich stattgefundenen Prozessen und Verfahren in den Blick zu nehmen und damit Wechselwirkungen zwischen verschiedenen ontologischen Bereichen für die Analyse fruchtbar zu machen. Mit ihrem Fokus auf ‚Wissenschaft als Projekt‘ rekrutiert die vorliegende Arbeit die zu behandelnden Inhalte für die Untersuchung der drei kardiovaskulären SFB in Düsseldorf von 1968 bis 2012 dabei sowohl wissenschaftspolitisch aus förderverfahrenstechnischen, lokal aus institutionsgeschichtlichen als auch materiell aus experimental- und diagnosetechnischen Themenfeldern. Dies erlaubt es, die Ergebnisse des zweiten und dritten Kapitels dieser Arbeit im Folgenden anstatt chronologisch nach ihrer Gliederung, gemäß den Resonanzen und Wechselwirkungen zwischen den Bereichen des Labors und der Klinik zusammenzufassen. Bevor diese Resultate präsentiert werden, erfolgt eine Zusammenfassung der angewendeten zentralen theoretischen und konzeptionellen Begriffe. Projektepistemologie: zusammenfassende Darstellung der verwendeten Konzepte Das in Kap. 1.8 graphisch-synoptisch dargestellte Erkenntnismodell (Abb. 8, S. 121) hat sich im Verlauf des zweiten und dritten Kapitels als erkenntnisfördernd erwiesen. Hierzu wurden die im ersten Kapitel vorgestellten methodologischen Operationen auf Spannungsverhältnisse zwischen Kontingenz und Disposition bei der Wissensproduktion von kardiovaskulären SFB angewendet. Die zentralen Begriffe und Konzepte seien hier kurz zusammengefasst: Mit der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) wurde untersucht, wie sowohl Technologien der Sichtbarmachung als auch zu visualisierende Materialien wie Molekü-

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le oder molekulare Signalwege als vollwertige Akteure in den Forschungsprozess eingreifen. Der mit Bachelard phänomenotechnisch verfasste, apparativ-gestützte und damit herstellend-intervenierende Blick der Forscher impliziert Translationsketten von der Materie hin zur Form. Die in experimentelle und/oder klinische Dispositive eingelassenen Körper der Versuchstiere bzw. der Patienten sind dabei der ‚physiologische Input‘. Die Formen von Inskriptionen (Tabellen, Graphen, Kurven etc.) sind wiederum der ‚graphisch-synoptische Output‘ von zu Black Boxes verschachtelten Forschungsapparaturen. Rheinbergers Konzept des Experimentalsystems eignet sich, um auf der materiellen Ebene von Experimenten die für die untersuchten SFB projektspezifischen Kontingenzen (epistemische Dinge) und Dispositionen (technische Objekte) auszumachen. Epistemische Dinge werden für die Verwendung in der vorliegenden Arbeit allgemein als Prozess der Aufklärung von Unbekanntem definiert. Besonderes Augenmerk wird dabei auf Strategien der Sichtbarmachung und die damit verbundene Erzeugung von materiellen Spuren gelegt, indem die Typen wissenschaftlicher Visualisierung nach Rheinberger (Kompression/Dilatation, Schematisierung und Enhancement) systematisch zugeordnet werden, um die jeweiligen projektspezifischen Repräsentationsräume zu charakterisieren. Der Begriff biomedizinische Plattform (Keating/Cambrosio) dient der vorliegenden Arbeit dazu, das auf grundlagenwissenschaftliche Ansätze beschränkte Konzept des Experimentalsystems durch die Analyse von klinischen Bildgebungstechniken zu erweitern. Für die Untersuchung der selektiven Angiokardiographie als bildgebende biomedizinische Plattform des SFB 30 wurde ergänzend das Konzept der „soziotechnischen Evidenz“ (Gugerli) angewendet, um die genauen Herstellungsweisen, Wahrnehmungsformen und den epistemischen Status dieser röntgenologisch erzeugten ‚normativen‘ Bilder herauszuarbeiten. Dem Begriff des Supplements kommt für die Analyse von wissenschaftlichen und klinischen Visualisierungen besondere Bedeutung zu. Zum einen tritt ein Supplement vor allem dort in Erscheinung, wo neue Messmethoden zunächst ‚nur‘ als Hinzufügung zu bereits etablierten Verfahren erscheinen. Supplements charakterisieren damit die Nachträglichkeit von Projekten, insbesondere hinsichtlich der Einführung von im Labor entwickelten Methoden in die Klinik. Zum anderen veranlassen Supplementierung die Forscher (und dies oft auch im Nachhinein) von Zeit zu Zeit zu einer „Ökonomie der Synopse“ (Derrida, siehe Kap. 1.8). Diese erlaubt es ihnen, eine Art ‚Kassensturz‘ ihres bildlich-wissenschaftlichen Inventars vorzunehmen und so neue Problemfelder zu erschließen, aus denen sich wiederum neue Projektentwürfe ergeben. Überdies wird der Begriff des Supplements für die Beschreibung architektonischer und organisatorischer Formen verwendet. Es handelt sich beim Neu-, Aus-, und Umbau bzw. der Neu-Strukturierung von Gebäuden auf dem Gelände eines Universitätsklinikums nicht nur um Erweiterungen oder Hinzufügungen, sondern

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erfordert eine Parallelität von Bauen und Planen und gibt der Anlage insgesamt eine neue Gestalt. Mit den Anforderungen der äußeren Erweiterungs- und der inneren Flexibilisierungsfähigkeit wurden die Bauten (in Resonanz mit Latours „immutable mobiles“) anlehnend an Borck als ‚mobile Immobilien‘ beschrieben, die sich in die individuelle supplementäre Umbaugeschichte des jeweiligen universitären Standorts einschreiben. Die erkenntnistreibende Funktion der Synopse (Rheinberger) wird für die Analyse von Forschungsprojekten auf drei Ebenen operationalisierbar gemacht (vgl. Kap. 1.4.1): • Erstens werden Synthese und Synopse im Forschungsprozess vor allem dann notwendig, wenn die rekursive Anordnung von Experimentalzusammenhängen die Forscher dazu veranlasst, die Voraussetzungen ihres erfolgten Eingreifens neu zu justieren und für weitere Operationen und Entwürfe bildlich zusammenzufassen (Bachelard, vgl. auch oben Derrida). • Zweitens erfordert das Sich-Einrichten-Müssen auf die eigenen Ergebnisse (Heidegger) die Herstellung von reproduzierbaren und dekontextualisierbaren „immutable mobiles“ (Inskriptionen wie Kurven, Diagramme etc.) zur Erzeugung einer „optischen Konsistenz“ (Latour), welche die graphisch-synoptische Anschlussfähigkeit von neuen bildgebenden Verfahren zu bereits existierenden Technologien ermöglicht. • Drittens gestattet die Funktion der Synopse, Daten verschiedener Provenienz aufeinander zu beziehen und so durch die Überlagerung von in-vitro-, ex-vivo- und in-vivo-Befunden die erkenntnistreibenden Differenzen im Entwurfsgeschehen von Experimentalsystemen zu erzeugen (Rheinberger). Darüber hinaus leisten wissenschaftliche Projekte auch auf der sozialen Ebene Synthese und Synopse, indem sie Forscher aus verschiedenen Disziplinen für einen bestimmten Problemkontext für begrenzte Zeit mobilisieren, auf gemeinsame Plattformen binden und zur Kollaboration bringen. Für solche Kollaborationen im Forscherverbund ist es nicht zwingend notwendig, eine gemeinsame ParadigmaTheorie zu teilen. Es zählt vielmehr das Detektieren gemeinsamer reproduzierbarer interner Referenten (z.B. ein gemeinsames Tiermodell) auf vergleichbaren experimentellen Plattformen (z.B. gemeinsam genutzte Großgeräte). Es folgt die Zusammenfassung der im zweiten und dritten Kapitel erzielten Ergebnisse hinsichtlich der in den SFB ausgemachten Interaktionen zwischen Labor und Klinik. Die Ergebnisse gliedern sich in den folgenden Unterkapiteln nach drei Themenfeldern:

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• Kap. 4.1, förderpolitisch: das DFG-Programm „Sonderforschungsbereich“ und der SFB 30 „Kardiologie“ (1968-1985) – zweites Kapitel; • Kap. 4.2, institutionell: Dispositionen und Struktureffekte des SFB 30 zwischen Labor und Klinik– zweites Kapitel; • Kap. 4.3, technisch/materiell: Ergebnisse der Analyse von Experimentalsystemen und biomedizinischen Plattformen – zweites und drittes Kapitel.

4.1 DAS DFG-PROGRAMM „SONDERFORSCHUNGSBEREICH“ UND DER SFB 30 „KARDIOLOGIE“ (1968-1985) – ZWEITES KAPITEL Auf der Ebene des förderpolitischen Werkzeugs „Sonderforschungsbereich“ wurde die Kollaboration zwischen Labor und Klinik im SFB 30 durch die Optimierung der DFG-Verfahrensstruktur begünstigt (Kap. 2.4). Die am Anfang der 1970er Jahre eingeführte Vor-Ort-Begutachtung schuf völlig neue kommunikative und regulative Dispositive, die einen direkten Austausch zwischen Gutachtern und Begutachteten ermöglichte und damit die Feedback-Mechanismen verbesserte. Dabei pochten die Gutachter vor allem in den ersten Jahren auf eine engere Kollaboration und Absprache zwischen den einzelnen klinischen und experimentellen Teilprojekten. Nachdem sich der SFB 30 im Laufe der 1970er Jahre konsolidierte, antwortete er Anfang der 1980er Jahre auf diese Anforderungen mit einer neuen Struktur der Projektbereiche und Teilprojekte, die nicht mehr nach den beteiligten Fächern und Instituten, sondern anhand von interdisziplinären Themen- und Methodenblöcken gegliedert war. Die Dynamik und Veränderlichkeit der Projektstrukturen des SFB 30 erfolgte vor allem durch das Hinzu- und Abtreten von Teilprojekten im Verlauf der Projektdurchführung. Maßgebliche Entscheidungsfaktoren hierfür waren die interne Selbstkontrolle des Verbundes und die auf Grundlage der Gutachterkommentare erstellten Förderempfehlungen des Bewilligungs- und des Senatsausschusses der DFG. Sowohl die durch die Förderung entstandenen Struktureffekte auf personeller und institutioneller Ebene als auch die Verschiebungen im Forschungsprogramm des SFB 30 werden in der vorliegenden Arbeit mit dem Begriff des Supplements analysiert. Im Spannungsfeld zwischen Finanzierungsanträgen, Arbeitsberichten, Gutachterkommentaren und der jeweiligen Performance der SFB-Forscher während der Berichtskolloquien vor Ort erzeugte die SFB-Verfahrensstruktur sowohl für die Gutachter als auch für die Begutachteten ständig neu zu bewertende Differenzen und beeinflusste damit nicht nur die veränderliche supplementäre Teilprojektstruktur des SFB, sondern auch die Entwicklung des Forschungsprogramms. Im Ergebnis befähigten diese Verschiebungen den SFB 30, sein Forschungsprogramm hinsichtlich der Komplexität der untersuchten Systeme zu formulieren: In den einzel-

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nen Projektbereichen kamen molekulare (insbesondere seit den 1980er Jahren), zelluläre (vor allem durch die Etablierung von Zellkulturen für Herzmuskelzellen) und die Forschungen auf der Ebene des ganzen Organs und des Gesamtorganismus sowohl aus experimenteller als auch aus klinischer Sicht zum Tragen. Der SFB 30 zeigt in seinem wissenschaftlichen Betrieb (Heidegger), dass er es – gestützt durch die kommunikativen und regulativen Dispositive der DFG-Verfahrensordnung – in Bezug auf die „wechselseitigen Mitteilung und Überprüfung der Ergebnisse“ und des „Zusammenschlusses der Verfahrensweisen“ geschafft hat, laborwissenschaftliche und klinische Ansätze erfolgreich miteinander zu kombinieren. Dies gelang, indem durch das Forschungsprogramm des SFB 30 zwischen den Teilprojekten ein gemeinsamer hämodynamischer Problemhorizont aufgespannt wurde. Die übergeordneten „leitenden Aufgaben“ (Heidegger) der in Westdeutschland im Rahmen von SFB betriebenen Herz-Kreislaufforschung wurden dabei im Spiegel vier weiterer SFB der ersten Stunde vorgestellt (Kap. 2.4.4). Im Ergebnis zeigt sich, dass die Begriffe der Funktion und Regulation für eine kombinierte Betrachtung des Gesamtorganismus und seiner Einzelelemente (isolierte Organe, Zellen, Moleküle) sowohl in der experimentellen als auch in der klinischen Forschung von großer Bedeutung sind. Grundlegende Voraussetzung für diese Art von integrativer HerzKreislaufforschung an der Schnittstelle zwischen Labor und Klinik war die Etablierung des UKD und der HHU als Hospital-Plattform, welche die notwendigen institutionellen Dispositionen zur Einrichtung des SFB 30 im Jahre 1968 erst ermöglichte.

4.2 INSTITUTIONELLE DISPOSITIONEN UND STRUKTUREFFEKTE DES SFB 30 ZWISCHEN LABOR UND KLINIK – ZWEITES KAPITEL Die historische Kontextualisierung der Interaktion von Labor und Klinik (Kap. 1.6.3) zeigt, dass es vor allem in Deutschland bereits Ende des 19. Jahrhunderts üblich war, parallel klinisch und experimentalphysiologisch zu denken, indem z.B. zweiarmige Studien an Versuchstieren und an Menschen durchgeführt und miteinander verglichen wurden. Die Voraussetzung für die rasante Entwicklung der naturwissenschaftlich ausgerichteten Medizin in Deutschland und Frankreich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird zum einen mit Foucaults Begriff der „Protoklinik“ beschrieben. „Protoklinik“ charakterisiert die Ende des 18. Jahrhunderts einsetzende Entwicklung vom Hospital als Einrichtung der Armenfürsorge zu einem Ort der „fundamentalen Verräumlichung und Versprachlichung des Pathologischen“. Zum anderen ist es der von Foucault sogenannte „klinische“ oder „ärztliche Blick“, verstanden als eine Art diagnostisches Rüstzeug, der für die Entwicklung

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der naturwissenschaftlichen Medizin von Bedeutung ist. Mit diagnostischem Rüstzeug ist das Aufkommen der systematischen Verwendung von Perkussion, Auskultation und Palpation gemeint. Diese drei Diagnoseverfahren überziehen den Körper mit einem Netz von Markierungspunkten und schreiben sich als Triangulation der Sinne Sehen-Hören-Berühren im Laufe des 19. Jahrhunderts als Wahrnehmungskonfiguration in den Raum der klinischen Praxis ein (Kap. 2.1.1). Mit Claude Bernard wurde darüber hinaus festgestellt, dass auch Ärzte – aufgrund der sich ihnen in der Klinik darbietenden Kontingenzen – experimentell denken müssen, um aus diesen empirisch-klinischen Beobachtungen physiologische Schlussfolgerungen ziehen zu können (Kap. 2.1.1). Daher kommt es nach Bernard nicht in erster Linie darauf an, vom Labor auf den Organismus zu schließen, sondern von der Komplexität des Organismus auf adäquate Labormethoden. Diese Perspektive erfordert ein ständiges Pendeln zwischen holistischen pathophysiologischen und reduktiven mechanistischen Forschungsansätzen, die sich in einem Forschungsverbund methodisch begegnen (Kap. 2.5). Die EKG-Forschungen Hoffmanns Mit den EKG-Forschungen des ersten Ordinarius für Innere Medizin an der Medizinischen Akademie in Düsseldorf, August Hoffmann wurde ein früher lokalspezifischer Interaktionsraum zwischen Labor und Klinik beschrieben (Kap. 2.2). Anhand von parallelen Untersuchungen an Fröschen und Menschen zeigte sich, dass das EKG nicht (wie initial von Einthoven angenommen) als ein Ausdruck der Kontraktionskraft, sondern als Zeichen der elektrophysiologischen Aktivität des Herzens zu verstehen ist. Die EKG-Kurve stellte sich dabei zunächst als anschlussfähiges Supplement verschiedener etablierter Pulskurven dar und erst das ‚Zusammenziehen‘ der verschiedenen Kurven zu einer Synopse (Abb. 19, S. 182) ermöglichte Hoffmann die Zuordnung der verschiedenen Kurvenmuster zu speziellen Pathologien des Herzens. Das EKG kann aufgrund seiner verhältnismäßig schnellen Implementierung in die Klinik als ein frühes Musterbeispiel einer erfolgreichen ‚Translation‘ gelten. Doch die Nachträglichkeit seiner Semantik (Kontraktion vs. elektrische Erregbarkeit), die Anschlussfähigkeit seiner Aisthetik (Seel) mit der graphischen Methode und die Situativität der frühen Elektrokardiographie in der Medizinischen Klinik in Düsseldorf zeigt, dass diese Technologie zur breiten Anwendung erst zu einer „immutable mobiles“ (Latour) produzierenden Black Box werden musste. Sowohl die Analyse der EKG-Kurven Wallers und Einthovens (Kap. 1.6.2.2) als auch die der EKG-Forschungen Hoffmanns (Kap. 2.2) verdeutlichen (mit Borck und Gugerli), dass die Technologie in komplexen Aushandlungsund Entwicklungsprozessen produktionsseitig standardisiert und rezeptionsseitig normalisiert werden mussten. Die supplementäre (Um-)Baugeschichte der Düsseldorfer Plattform-Krankenhäuser wurde (anlehnend an Borck) mit dem Begriff der ‚mobilen Immobilien‘ (in

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Resonanz mit Latours „immutable mobiles“) untersucht und ergab, dass sich auch architektonische Formen in komplexe Entwurfsgeschehen einschreiben, die aufgrund der parallelen Anforderungen von Bauen und Planen Kontingenzräume aufspannen können. Krankenhausgeschichtlich kommen den 1907 eröffneten Städtischen Krankenanstalten und der Akademie für praktische Medizin eine Schlüsselrolle zu, denn man rückte im Vergleich zu anderen Standorten früh zugunsten einer dichteren und betriebswirtschaftlich besser nutzbaren mehrgeschossigen Bauweise vom Pavillonsystem ab, ohne das Konzept aufzugeben, die Anstalten aufgelockert in eine parkähnliche Anlage einzulassen. Der Chirurgische Pavillon (1907, Abb. 10, S. 141) wurde dabei als ein Vorläufer der im Laufe der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts etablierten Plattform-Krankenhäuser (vgl. Schema-Abb. 12, S. 146) ausgemacht, weil er zum ersten Mal eine funktionelle Zuordnung von Operationssälen im eingeschossigen Flachbau (Podium) und den Krankenstationen im mehrgeschossigen Bettenbau (Tower) zuließ. Die Analyse der Plattform-Krankenhäuser der Chirurgischen Klinik (1958, Abb. 13, S. 148) und der MNR-Klinik (1985, Abb. 14, S. 155) hat zum Ergebnis, dass es bei der Errichtung dieser Baukörper vor allem darum ging, die Gebäude nach innen flexibel und nach außen erweiterungsfähig zu gestalten. Die Zuordnung von flachgeschossigen Funktionsbereichen und mehrgeschossigen Bettentürmen sowie die durch Übergangswege geschaffene Vernetzung der Gebäude begünstigte die Kooperationsmöglichkeiten und den konsiliarischen Dienst zwischen konservativ klinischen Fächern, interdisziplinären Fächern und operativ klinischen Fächern. Für die Interaktion von Labor und Klinik war dabei die Etablierung der zentralen Laboratoriumsdiagnostik in der MNR-Klinik wichtig, denn sie erlaubte eine effektive Zirkulation von Patientenproben zwischen den einzelnen Kliniken und dieser zentralen Einrichtung. Das UKD als Hospital-Plattform und Struktureffekte des SFB 30 Die Darstellung der Organisationsstruktur des UKD und der HHU als HospitalPlattform (siehe Abb. 15, S. 164) zeigte, dass gemeinsame zentrale und obligatorische Durchgangspunkte, wie z.B. eine gemeinsame Verwaltung oder gemeinsame „core facilities“ (wie z.B. die Tierversuchsanlage) die Plattform zusammenhalten und damit jene Möglichkeitsräume aufspannten, die Kooperationen zwischen Labor und Klinik und damit den Betrieb von speziellen biomedizinischen Plattformen erst ermöglichten. Die wichtigste Funktion der Hospital-Plattform eines Universitätsklinikums wurde dabei mit ihrer Rolle als ‚Lieferant‘ von forschungsrelevantem Patientenmaterial und lehrwirksamen Krankengut ausgemacht, wodurch die Fall- und Leistungszahlen in direktem Zusammenhang mit der Effizienz des wissenschaftli-

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chen Betriebs der Institution stehen.1 Die Gründung der vorklinischen Institute auf dem Campus der HHU ab Mitte der 1960er Jahre, die Vernetzung mit interdisziplinär ausgerichteten An-Instituten (an die HHU assoziierte Institute) und eine bereits seit den 1950er Jahren auf den kardiovaskulären Schwerpunkt ausgerichtete Berufungspolitik (vor allem die Einrichtung des ersten Lehrstuhls für Kardiologie in Westdeutschland im Jahre 1967) waren dabei wichtige Voraussetzungen, die eine enge Kooperation von Chirurgen, Internisten, Radiologen, Anästhesisten, Pathologen, Pharmakologen und Physiologen auf dem Gebiet der Herz-Kreislaufmedizin gestatteten. Dies führte 1968 wiederum zur Einrichtung des SFB 30 und stellt bis heute wichtige standortspezifische Strukturmerkmale für eine ‚translational‘ ausgerichtete Forschung zwischen Labor und Klinik dar. Aus der Retrospektive (2017) bleibt allerdings zu beachten, dass das UKD und die HHU dabei sowohl baulich (durch den mit einem Grünzug abgedeckten Autobahntunnel der A 46) als auch organisatorisch (verschiedene Personal- und Finanzverwaltungen und IT-Systeme etc.) und rechtlich (durch die Verselbstständigung des UKD als Anstalt des öffentlichen Rechts im Jahre 2001) voneinander getrennt sind. Daraus folgten zum Teil erhebliche organisatorische und administrative Probleme,2 die eine Interaktion zwischen Labor und Klinik erschweren. Solche strukturellen Differenzen wurden im Rahmen der untersuchten Verbünde durch Persönlichkeiten mit Mittlerfunktion überbrückt. Hinsichtlich des „Austauschs der Arbeitskräfte“ (Heidegger) im wissenschaftlichen Betrieb der Projektdurchführung des SFB 30 wurde die in Düsseldorf traditionell enge Verbindung des Physiologischen Instituts (zugleich Sprecherinstitut des SFB) und der Chirurgischen Klinik als wichtige kollaborative Disposition ausgemacht. Die DFG-Gutachterkommentare belegen dazu, dass das klinische Interesse der physiologischen Arbeitsgruppen seiner Zeit in Deutschland als „Rarität“ galt. Nachhaltiger Struktureffekt solcher kollaborativen Anstrengungen des SFB war die Einrichtung von experimentellen Lehrstühlen (1971 Experimentelle Anästhesiologie und 1977 Experimentelle Chirurgie), die eng mit den Forschungsprogrammen der jeweiligen Kliniken verknüpft waren. Im Rahmen der Projektdurchführung haben sowohl das Institut für Pathologie aufgrund seiner methodischen Expertisen für klinische und für grundlagenwissenschaftliche Fragestellungen als auch die Kooperation zwischen dem SFB 30 und dem SFB 109 der Rheinisch-

1

Wie in Kap. 1.5 (S. 69, FN 178) angemerkt, wurden in der vorliegenden Arbeit weder Arzt-Patienten-Verhältnisse noch Patientenkollektive genauer betrachtet. Aufgrund des Schwerpunkts auf experimentelle Wissensproduktion wurden diese beiden Kategorien als Teil der klinischen Disposition und damit als wichtige Rahmenbedingung für klinische Forschung im Verbund verstanden.

2

Vgl. Labisch, in: Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 26, der sich hier auf den rechtlichen Aspekt bezieht.

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Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen zur Entwicklung eines künstlichen Teilherzens als Schnittstellen zwischen Labor und Klinik herausgestellt. Bedeutendster Struktureffekt des SFB 30 aus klinischer Perspektive war die Implementierung der selektiven Angiokardiographie und der damit verbundene räumliche und apparative Aufwand. Dieser führte letztlich Anfang der 1980er Jahre dazu, dass das umfangreiche Teilprojekt H2 „Quantitative Röntgenologie des Herzens“ (1968-1982) in die Grundausstattung der HHU bzw. des UKD überführt und damit zur klinisch-diagnostischen Disposition des Standorts werden konnte.

4.3 ERGEBNISSE DER ANALYSE VON EXPERIMENTALSYSTEMEN UND BIOMEDIZINISCHEN PLATTFORMEN IM SFB 30 UND SFB 612 – ZWEITES UND DRITTES KAPITEL Im Folgenden werden die Ergebnisse aus dem zweiten Kapitel zu Angiokardiographie, dem Spektrum der experimentellen Kardiologie und der experimentellen Hämodynamikmessung im SFB 30 dargestellt. Voraussetzung für den diagnostischen Aspekt der Angiokardiographie als biomedizinische Plattform war die Entstehung der Röntgentechnik, die mit Gugerli als „soziotechnische Evidenz“ beschrieben wurde. Es dauerte allerdings bei der im Nachhinein problemlos erscheinenden Implementierung dieser Technik in die Klinik eine ganze Weile, bis die von ihr erzeugten Bilder mit ihren Grauschattierungen in einen abgeschlossenen anatomischen Begriff gefasst werden konnten. Diese Nachträglichkeit wurde u.a. anhand der frühen Röntgenologie des Herzens bei Hoffmann gezeigt, der dieses Verfahren überprüfte, indem er die Röntgenbilder systematisch mit auskultatorischen Markierungspunkten auf der Thoraxoberfläche von Patienten verglich (Kap. 2.3.1). Eine weitere technische Voraussetzung der selektiven Angiokardiographie war der Herzkatheterismus, der schon 1929 (Forßmann) am Menschen vorgenommen und mit Röntgenbildern nachgewiesen wurde, jedoch erst in den 1940er Jahren zur klinischen Anwendung kam. Dem Erfolg der Technologie lag die klinische urgence (Foucault) der epidemiologisch in der westlichen Welt der Nachkriegszeit immer bedeutenderen Arteriosklerose und vor allem der Koronarsklerose (später als koronare Herzkrankheit bezeichnet) zugrunde. So wurde die aufgrund des Einsatzes von Kontrastmitteln dem Visualisierungstyp des Enhancements zuzuordnenden röntgengestützte Herzkatheteruntersuchung Ende der 1940er Jahre erstmals in Düsseldorf durchgeführt und 1954 in der ersten deutschen Monographie zu diesem Thema von zum Teil später im SFB 30 aktiven Forschern zusammengefasst.

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Mit einer aus den Mitteln des SFB 30 beschafften Angiokardiographie-Anlage konnte die 1969 in Düsseldorf eingeführte selektive Angiokardiographie (‚selektiv‘ meint hierbei die gefäßspezifische Gabe von Kontrastmitteln) entscheidend optimiert werden. Dabei war das auf Katheter- und Röntgentechnik beruhende Verfahren kein einfaches Supplement bisher üblicher Methoden der Druck- und Volumenbestimmung des Herzens. Denn es konnte verschiedene Parameter durch intrakardiale Messungen von Drücken, Durchflussmengen, Volumen und peripheren Widerständen zeitgleich erfassen und in Druckvolumenkurven zur Synopse bringen. Das Besondere an der Entwicklung und Optimierung des Verfahrens im Rahmen des SFB 30 war, dass es aufgrund des immer größer werdenden Zustroms an Patienten in den 1960er und 1970er Jahren diagnostisch (z.B. für die prä- und postoperative Nachsorge von Herz-OP-Patienten) eingesetzt wurde und zugleich als „nicht beabsichtigtes Experiment“ auch die Möglichkeit der Erforschung kreislaufphysiologischer Mechanismen bot, wie sie zuvor nur im Tierexperiment möglich war. Die Analyse der selektiven Angiokardiographie als „soziotechnische Evidenz“ hat ergeben, dass das Herzkatheterlabor (man beachte den Ausdruck ‚Labor‘, obwohl solche Anlagen in der Klinik installiert waren) im Laufe der 1970er und frühen 1980er Jahre zunehmend zum identitätsstiftenden Ort für Kardiologen wurde, die über diese Technik Alleinstellungsmerkmale ihrer Profession definierten. Trotz dieser ‚Erfolgsstory‘ war der epistemische Status der sogenannten ‚Angiokardiogramme‘ (zumeist durch Röntgen und Kontrastmittel gestützte Darstellungen der Koronargefäße) lange Zeit prekär. Die durch dieses bildgebende Verfahren verursachten Grauzonen wurden mit den Kardiologen Gleichmann und Mannebach analysiert, die (ohne sich auf Gugerli zu beziehen) den Charakter der „soziotechnischen Evidenz“ des Verfahrens prägnant herausgearbeitet haben. Im Ergebnis wird gezeigt, dass eine immer höhere Auflösung der angiokardiographischen Bilder nicht immer unmittelbar zu einer besseren Diagnose beiträgt, da der Umgang mit vermeintlich auffälligen Befunden nur schwer zu standardisieren ist und er die anzunehmende Häufigkeit von Herzerkrankungen verändert. Die Folge sei – so Gleichmann/Mannebach – eine „prozedurale Verkürzung des Krankheitsbegriffs“, in der die Krankheit nach dem Verfahren definiert wird, mit dem sie nachgewiesen wurde. So gab es vor der Angiokardiographie noch nicht die Krankheitsbezeichnung „koronare Herzkrankheit“, was verdeutlicht, dass die Krankheit auf ihr Abbild reduziert wird mit der Gefahr eines ‚blinden‘ Gerätevertrauens, bei dem der Blick für den klinischen Gesamtzustand des Patienten verloren geht. Damit eng verbunden ist die „morphologische Verkürzung des Krankheitsbegriffs“, die einen eindeutig lokalisierbaren „Sitz“ der Krankheit (z.B. in Form einer „signifikanten Stenose“) suggeriert und der Pathogenese der Krankheit einen kausalen Zusammenhang unterstellt. Dies lässt jedoch außer Acht, dass es sich vor allem beim Verlauf der koronaren Herzkrankheit um zum Teil diffuse, nicht kausal zu erklärende und ausgedehnte Prozesse handelt, die weite Segmente des Gefäßsystems befallen haben können, be-

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vor sie im Angiokardiogramm sichtbar werden. Zudem kommt der von Kardiologen selbst betonte Umstand, dass verschiedene (menschliche und nicht-menschliche) Akteure an der Erzeugung angiokardiographischer Bilder beteiligt sind und so ein von anderen gemachtes und zum Teil schon gedeutetes Bild zur Grundlage weitreichender Entscheidungen im klinischen Alltag wird. Der in Übersetzungsketten verschachtelte soziotechnische Voraussetzungsreichtum wird durch die Schärfe der Bilder, den damit verbundenen Eindruck der unmittelbaren Repräsentation und durch die prozeduralen und morphologischen Verkürzungen des Krankheitsbegriffs verdeckt. Gleichmann und Mannebach schlussfolgern, dass die Pathodynamik eines krankhaften Prozesses nicht nur von Verlust, Defekt oder Inkohärenz charakterisiert ist, sondern auch von „kompensatorischen und regenerativen Gesundungsprogrammen“ bestimmt werden kann, die Chancen zu einem Neuentwurf des Lebensplanes der Patienten bieten. Anknüpfend war mit Georges Canguilhem festzuhalten, dass dieses kompensatorische Verständnis von normal und pathologisch die Frage beinhaltet, inwiefern der Mensch zu mehreren Normen fähig sein muss, um wirklich gesund zu sein, was wiederum mit der Darstellung von Kompensationsmechanismen bei transgenen Mäusen im dritten Kapitel der vorliegenden Arbeit interferiert. Im Hinblick auf das Forschungsprogramm des SFB 30, das sich von der molekularen über die zelluläre bis hin zur organischen Ebene erstreckt, ergibt sich die Frage, wie die materiellen und experimentaltechnischen Konsequenzen solcher auf dem Papier formulierten kardiovaskulären Forschungsprogramme aussehen (Kap. 2.2.4). Da die Begriffe der Funktion und Regulation nicht nur für das Forschungsprogramm des SFB 30, sondern auch anderer zeitgenössischer SFB zentral sind, werden sie im Spannungsfeld zwischen holistischen und reduktionistischen Betrachtungsweisen in der Physiologie einer wissenschaftshistorischen Analyse unterzogen (Kap. 2.5.1). Die Herausforderung, den Organismus als Ganzes und zugleich seine Teilelemente zu untersuchen, wird in Forschungsverbünden durch die Vernetzung von Experimentalsystemen bewältigt. Hierzu wenden sie verschiedene Methoden im Rahmen eines gemeinsamen Problemhorizonts an. Das Kapitel ‚Spektrum experimentelle Kardiologie‘ (Kap. 2.5.2, Abb. 22, S. 256) hat zum Ziel, einen Überblick der in den SFB eingesetzten experimentellen Methoden zu geben. Bei in-vitroExperimenten wurde mit Rheinberger festgestellt, dass es sich um die Schaffung eines extrazellulären Raums für die Darstellung von intrazellulären Prozessen handelt, bei welchem die gläserne Hülle des Reagenzglases die Membran der Zelle ersetzt und so das Innere der Zelle simuliert. Beim Anlegen von ganzen Zell- oder Gewebekulturen in vitro wird ebenfalls ein künstlicher extrazellulärer Raum geschaffen, aber diesmal mit dem Ziel, das Innere des Organismus als Ganzes zu simulieren, um Vorgänge, die sich zwischen den Zellen (also interzellulär) abspielen zu untersuchen. Das Präparat des ex vivo schlagenden Herzens (das sogenannte

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„Langendorff-Herz“) erlaubt die Messung verschiedener hämodynamischer Parameter unter kontrollierten und reproduzierbaren Bedingungen. Dabei ist es auch möglich, aus dem Gesamtorgan herausgelöste Herzmuskelzellen wieder in in-vitroSysteme zurückzuführen. Am Ende des Spektrums der verwendeten experimentellen Methoden und Systemen stehen Modellorganismen und Tiermodelle. Während Modellorganismen einfache Lebewesen sind, die mit dem Ziel eingesetzt werden, allgemeingültige Aussagen und auf andere zumeist komplexere Organismen übertragbare Erkenntnisse zu erhalten, finden komplexere Tiermodelle dort Anwendung, wo die Fragestellung sich auf einen bestimmten Kontext (z.B. eine menschliche Erkrankung) beschränkt. Hierbei steht immer die fundamentale Frage im Raum, ob das neue mithilfe des jeweiligen Models produzierte Wissen von einer Spezies auf die andere und letztendlich auf den Menschen übertragbar ist. Die Komplexität der Nichtvergleichbarkeit kardiovaskulärer Befunde an verschiedenen Spezies wurde mithilfe der Darstellung relevanter physiologischer Eigenschaften herausgearbeitet. Die verschiedenen Organismen unterscheiden sich hinsichtlich ihres Haltungsaufwands, ihres Gefäßsystems, ihrer Größe und damit ihrer Herzfrequenz, ihrer Anfälligkeit für Erkrankungen, ihres Zellzyklus und ihrer Anatomie zum Teil erheblich. Diese Lücken der Vergleichbarkeit werden als ‚translational gaps‘ bezeichnet. Die experimentelle Verwendung von Großtieren (Hunden) und Nagern (Meerschweinchen) und die damit verbundene Überlagerung von ex-vivo- und in-vivoBefunden wurde am Beispiel der experimentellen Hämodynamikmessung im Teilprojekt B1 des SFB 30 „Untersuchungen über die Kontraktilität des Herzens“ analysiert (Kap. 2.5.2.1). Die erkenntnistreibenden Differenzen wurden in diesen Experimenten durch die graphisch-synoptische Darstellung von Druck-, Fluss, Volumenund Kontraktionsparametern produziert, die einen Überblick über Leistungsfähigkeit des Herzens in Verbindung mit einem experimentell erhöhten Perfusionsdruck geben sollten. Die Verbesserung der Kontraktionskraft des Herzens durch erhöhten Perfusionsdruck wurde von den SFB-Forschern als „Gartenschlauch-Effekt“ bezeichnet. Die synoptische Parameterüberlagerung und die sich ergänzenden Experimente an ex vivo schlagenden Meerschweinchenherzen und in vivo an narkotisierten Hunden mit kanülierter Aorta erlaubten, die Ergebnisse in einen kausalen biologischen Mechanismus zu übersetzen, dessen Finalität und Zweckmäßigkeit von einem bekannten technischen Vorgang her deduziert wurde (Canguilhem) – hier von der zunehmenden Dehnung bei Druckerhöhung in einem im vorliegenden Fall den Gefäßen entsprechenden aufgewickelten herkömmlichen Schlauch. Der Organismus der Tiere diente bei diesen Experimenten noch als Schnittstelle zwischen den technischen Objekten des Experimentalsystems; ‚das Mechanische‘ schrieb sich in Form von Kathetern, Elektroden, Kanülen, Blut- und Druckreservoiren, verschiedenen Pumpen usw. in das Organische ein. Diese im SFB 30 etablierten Methoden zur Messung hämodynamischer Parameter wurden zu wichtigen experimentellen Dis-

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positionen, die auch das Entwurfsgeschehen der folgenden kardiovaskulären SFB prägten. Dem Spektrum der experimentellen Kardiologie weiter folgend hat die Analyse kardiovaskulärer Krankheitsmodelle gezeigt, dass die Reproduzierbarkeit und Vergleichbarkeit von induzierten Herzinfarkten aufgrund der ‚Widerständigkeit‘ des Organismus in Form von individuellen anatomischen Merkmalen, verschiedenen Ischämieausmaßen und Infarktgrößen, unterschiedlicher Bildung von Umgehungsgefäßen usw. problematisch ist. Solche ‚translational gaps‘ werden in Forschungsartikeln oft nicht detailliert adressiert. Dies hat die Produktion von Realitätsannahmen zur Folge, die das Problem der Nichtvergleichbarkeit zwischen verschiedenen Spezies bei der experimentellen Fragestellung kaum berücksichtigt. Mit Canguilhem wurden „methodologische Vorsichtsmaßnahmen“ präsentiert, welche die „Spezifizität der lebenden Formen“, die „Diversität der Individuen“, die „Totalität des Organismus“ und die „Irreversibilität der lebendigen Erscheinungen“ einbeziehen, um nicht verkürzt von einem Organismus auf den anderen zu schließen. Ob die transgene Maus angesichts dieser hohen experimentellen Anforderungen das Potenzial hat, ‚translational gaps‘ zu schließen und damit als eine Art Brücke zwischen Labor und Klinik fungieren kann, wurde im dritten Kapitel der vorliegenden Arbeit zentral behandelt. Analyse transgener Mäuse im SFB 612 Die Entwicklung der Maus als Labortier hat gezeigt (Kap. 3.1), dass sie bereits Anfang des 20. Jahrhunderts als Modell für klinische und grundlagenwissenschaftliche Fragestellungen diente, indem man durch Zucht von genetisch „reinen Linien“ versuchte, das Programm der Mendel’schen Genetik auf klinisch relevante Fragestellungen zu münzen. Durch die weltweite Verbreitung von Mausstämmen durch Institutionen wie dem US-amerikanischen Jackson Laboratory wurde die Maus endgültig zu einem von seiner natürlichen Umwelt komplett abgekoppelten Labortier und damit zur biologischen Ressource für Experimente in den Lebenswissenschaften. Für den Standort Düsseldorf war die Inbetriebnahme der Zentralen Tierversuchsanlage (TVA) im Jahre 1978 ein wichtiger Schritt für die Einbettung der Labormaus in eine analytische Infrastruktur (Amann). Dabei wurde festgestellt, dass zwischen 1972 und 1992 mit über 50 % der Gesamtzahl noch die Ratte das Labortier der ersten Wahl in Düsseldorf war. Die Maus kam im gleichen Zeitraum ‚nur‘ auf 21 % der Gesamtzahl. Dies änderte sich Anfang der 1990er Jahre aufgrund der Etablierung der transgenen Technik. Mit ca. 500 transgenen Mausstämmen stellt die Maus derzeit (2017) das meist verwendete Versuchstier an der HHU dar. Die Zucht und Umgebung von sogenannten „Wildtyp-Mäusen“, die zur Kontrolle bei Experimenten verwendet werden, sind keinesfalls mit freilebenden Mäusen gleichzusetzen, da sie selbst aus purifizierten Linien entstammen. Im Ergebnis wurde in diesem Kontext mit Rheinberger gezeigt, dass die Natur in Experimental-

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systemen kein gegebener Referenzpunkt ist. Gleichzeitig wurde die von Amann aufgestellte Dichotomie einer „ersten, natürlichen Natur“ im Gegensatz zu einer „zweiten“, im Labor künstlich erzeugten „Natur“ abgelehnt. ‚Die Natur‘ bleibt in einem „Mensch-gemachten System der Natur“ (Cortese-Krott) Differenzerzeuger, gerade weil die Organismen trotz kontrollierter und standardisierter Umgebung und trotz des späteren Einsatzes von transgenen Techniken in Experimentalsystemen ihre eigenen, vom Experimentator nicht vorherzusehenden Möglichkeiten auszuspielen vermögen. Aus diesem Grund kommen Mäuse überhaupt als Modellsystem infrage: Sie sind auf der einen Seite in eine dispositionelle analytische Plattform eingebettet und standardisiert, auf der anderen Seite aber noch nicht so weit stabilisiert, sodass sie neue Fragen und Kontingenzen zulassen. Im Ergebnis ist die Transformation der Labormaus in ein Modellsystem stets an Interventionen am Organismus selbst und an labortechnisch erzeugte Repräsentationen gebunden. Die Funktion der Maus als Modellsystem ist dabei, die durch experimentelle Intervention generierten neuen Daten in bereits bekannte Bezugssysteme zu integrieren. Dabei steht vor allem in der kardiovaskulären Forschung die Körperlichkeit bei den auf den gesamten Organismus fokussierten Funktionsanalysen im Vordergrund, denn sie liefert die entscheidenden Parameter und Daten, um die von den SFB-Forschern sogenannte „Plastizität des Phänotyps“ zu untersuchen. Die Entwicklung der transgenen Technologie (Kap. 3.2) ist die grundlegende experimentaltechnische Disposition für die Herstellung der im SFB 612 verwendeten Mausmodelle, denn sie ermöglichte die Untersuchung eines genetisch gezielt veränderten Phänotyps. Die experimentelle Voraussetzung hierfür war zum einen die Einführung von Fremd-DNA in das Genom von Zellen über homologe Rekombination, die als „enzymatisch-zelluläre Maschinerie“ zu einem von der Natur ‚zur Verfügung‘ gestellten biologischen Werkzeug wurde. Zum anderen erfolgte der Übergang von einem in-vitro- zu einem in-vivo-System durch den Re-Transfer embryonalen Stammstellen (ES-Zellen) in einen lebensfähigen Organismus. Das Protokoll zur Herstellung von Knockout-Mäusen (Abb. 27, S. 310) spannt für die Forscher einen Entscheidungsraum auf. Denn für das „gene targeting“ sind die mittels Elektrophorese produzierten Spuren (Abb. 28, S. 312) die Grundlage für die letzte zu erbringende Evidenz einer erfolgreichen Genmanipulation vor dem Übergang vom Reagenzglas in einen Organismus. Mit der Etablierung und Verbreitung der transgenen Technik ging die Hoffnung einher, dass man durch das Ausschalten bzw. durch die Überexpression eines Gens Phänotypen hervorbringt, die als invivo-Modelle für menschliche Erkrankungen untersucht werden können. Eine zu den Forschern des SFB 612 in Konkurrenz stehende US-amerikanische Arbeitsgruppe ging – dem molekulargenetischen Dogma ‚ein Gen codiert ein Protein‘ folgend – noch davon aus, dass aufgrund des zunächst unauffälligen Phänotyps der Knockout-Maus das Protein Myoglobin nicht wichtig für die ‚normale‘ Herz-Kreislauffunktion ist (Kap. 3.3). Dieses evolutionsbiologische Postulat wider-

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legten die SFB-Forscher nicht durch theoretische Überlegungen. Vielmehr konnten sie durch zusätzliches supplementäres Messen mittels aufwendigen zum Teil schon im SFB 30 etablierten Funktionsanalysen zeigen, dass multiple Kompensationsmechanismen auf molekularer, metabolischer, hämodynamischer und struktureller Ebene das Fehlen von Myoglobin in unerwarteter Weise ausgleichen. Diese Materialität der Knockout-Maus wurde als Widerständigkeit des Organismus identifiziert, die sich zugleich einem experimentellen Plan und einem als zuvor determiniert erachteten genetischen Programm entgegenstellt und die Forscher in unvorhersehbare Richtungen lenkt. In diesem Sinne ist die Knockout-Maus in ihrer experimentellen Eingebundenheit schon technisches Objekt (Disposition) und noch epistemisches Ding (Kontingenz), bei der die Abweichung von der (erwarteten) ‚Norm‘ nicht als Fehler, sondern mit Canguilhem als Fähigkeit verstanden wird, mehrere Normen zu verkörpern und damit (in Resonanz mit den Ergebnissen zur Angiokardiographie in Kap. 2.3.2.4) die Frage aufwirft, inwiefern Kompensationsmechanismen auch für die menschliche Gesundheit und Krankheit eine Rolle spielen. Zugleich schreiben sich die aufgezeigten Kompensationsmechanismen in ein ‚postgenomisches‘ Verständnis des Organismus ein. Hierbei gerät der komplexe Übergang vom Geno- zum Phänotyp in den Fokus, sodass man im Resultat sagen kann, dass das Forschungsprogramm des SFB 612 maßgeblich vom unvorhersehbaren „Sicheinrichtenmüssen auf die eigenen [an der Myoglobin-Knockout-Maus erbrachten] Ergebnisse“ (Heidegger) her formuliert wurde. Die überraschenden Phänotypen transgener Mäuse wurden mit Davies demnach als „subversive Supplements“ einer reduktionistischen Grammatik der Genomik charakterisiert, welche die Perspektive auf den Gesamtorganismus mit Hinblick auf die regulatorischen Molekularnetzwerke zuließen, die für die Aktivierung verschiedener Gensequenzen und damit für den „biologischen Surplus“ der Kompensationsmechanismen verantwortlich gemacht wurden. Für lebenswissenschaftliche Verbundforschung wird die unerwartete Kompensation der transgenen Mäuse so zum theoretischen Indikator für das Problem der generellen Materialität und Kontingenz des Lebendigen und zum kritischen Indikator für eine zu vermeidende Reduktion, zugunsten eines ständigen methodischen Oszillierens zwischen Holismus und Reduktionismus (Foucault, siehe Kap. 3.3). Das Alleinstellungsmerkmal des SFB 612 bezogen auf sein methodisches und diagnostisches Spektrum (Abb. 32, S. 349) bestand trotz seiner grundlagenwissenschaftlichen Ausrichtung darin, in der Klinik bereits etablierte Verfahren auf die Maus ‚zuzuschneiden‘, um so einen möglichst großen Vergleichbarkeitshorizont und Anschlussfähigkeit zwischen Labor und Klinik herzustellen (Kap. 3.4.2). Das Ergebnis war die Etablierung des institutsübergreifenden (und nicht auf den SFB 612 beschränkten) methodischen Netzwerkes der „Mäuseklinik“, welche die notwendigen Plattformen zur kardiovaskulären Phänotypisierung bereitstellte, auf denen laborwissenschaftlich und klinisch tätige Forscher gemeinsame Fragestellun-

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gen bearbeiten konnten. Das anhand der Finanzierungsanträge sowie Zwischen- und Abschlussberichte analysierte Forschungsprogramm des SFB 612 zeichnet sich demnach durch einen Diskurs der Interdisziplinarität, der Integration verschiedener methodischer Ansätze in die Herz-Kreislaufphysiologie, der Kooperation durch gemeinsam beantragte Geräte sowie der Übertragbarkeit von im Labor produzierten Resultaten in die Klinik aus. Das Pendeln zwischen reduktionistischen und ganzheitlichen Perspektiven auf den murinen Organismus wurde methodisch durch die zentralen Serviceprojekte des SFB 612 ermöglicht: Eher reduktionistische Ansätze wurden in der im BMFZ angesiedelten zentralen Bioanalytik (Z1-Projekt) verfolgt, während die kardiovaskuläre Phänotypisierungsplattform (Z2-Projekt) Untersuchungen mit Bezug auf den Gesamtorganismus vornahm. Die Bildgebung des Herzens und der Gefäße und damit die potenzielle Diagnose von Herz-KreislaufErkrankungen profitierte besonders von der MRT, weil sie aufgrund ihrer verschiedenen Modalitäten ein breites Spektrum an kardiovaskulären Parametern mit allen Vorteilen der Nicht-Invasivität erfassen kann. Diese als Phänomenotechnik (Bachelard) charakterisierte Form der Bildgebung entzieht sich den von Rheinberger vorgeschlagenen Typen naturwissenschaftlicher Visualisierungen, weil die erzeugten Bilder kein direktes Relatum mehr haben und durch die Messung der Signale von NMR-aktiven Kernen erst hervorgerufen und anschließend in einen digitalen Repräsentationsraum übersetzt werden (Kap. 3.4.3). Die Einlassung der Maus in die beschriebenen experimentellen Dispositive der MRT-Apparatur (Abb. 33, 34, 36, S. 355-356 und S. 362) brachte die Körperlichkeit der Maus im Rahmen der Phänotypisierung in Form von Messungen kardiovaskulärer Parameter zur Geltung und war in den Finanzierungsanträgen und Abschlussberichten des SFB 612 von einer Rhetorik der hohen Auflösung der MRTBilder (Abb. 35, S. 357) und der gegenüber anderen Methoden vorteilhaften NichtInvasivität begleitet (Kap. 3.4.4 und 3.4.5). Im Ergebnis verschaffte man der Methode durch solche (auch an die DFG-Gutachter gerichteten) Argumente ein höheres Maß an Objektivität und damit den gewonnenen Daten den Eindruck der ‚Wahrhaftigkeit‘ einer unmittelbaren Repräsentation. Mit der Analyse des epistemischen Dings der Interaktion von Myoglobin und Stickstoffmonoxid („nitric oxide“, NO, Kap. 3.4.7) trat die Handlungsträgerschaft von Molekülen in den Vordergrund. Die zunächst durch MRT-Signale (1HSpektroskopie, Abb. 37, S. 368) erzeugten Differenzen des ex vivo schlagenden Mäuseherzens und deren anschließende quantitative Auswertung hinsichtlich der Interaktion der beiden Moleküle wurden von den SFB-Forschern in ein Schema (Abb. 38, S. 371) übersetzt, das letztendlich einen ganzen molekularen Reaktionsweg (auch hier mit Canguilhem verstanden als „notwendige Sequenz von Operationen“) postuliert: Myoglobin inaktiviert im Herzen NO und verhindert somit zu hohe Konzentrationen von toxischem NO, es fungiert damit als „NO-Fänger“ (Kap. 3.4.8). Hatten die SFB-Forscher in den vorherigen experimentellen Übersetzungs-

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schritten (vom operativ entfernten und in das experimentelle Dispositiv des MRT eingelassene Mäuseherz bis zur Messung des durch NO-Gabe verringerten Myoglobinspiegels) noch ihre ‚Hand im Spiel‘, so führte die Übersetzung in das Schema zur Delegation von Handlungsträgerschaft. Dies erfolgt, indem die Reaktionen der beiden Moleküle einer Kausalität unterworfen wurden, die außerhalb des Einflussbereiches der Experimentatoren lag und so das Molekulare und die ‚Wahrhaftigkeit‘ des postulierten Reaktionswegs ‚für sich sprechen‘ ließen. Gleichzeitig erlaubte das Schema den SFB-Forschern, die experimentelle Situation durch die graphischsynoptische Zusammenfassung von Zeichen zu überblicken, zu ‚beherrschen‘ und für weitere experimentelle Entwürfe nutzbar zu machen. So wurden die Ergebnisse der ex-vivo-Untersuchungen der Interaktion von Myoglobin und NO in den Gesamtorganismus einer weiteren transgenen Maus übersetzt, welche eine Isoform von NO (iNOS) überexprimiert. Anders als angenommen spielte die Materialität des Organismus auch bei diesem Mausmodell in Form von Kompensationsmechanismen ihre eigenen Möglichkeiten aus und zeigte wie bereits die Myoglobin-Knockout-Maus nicht den erwünschten pathologischen Phänotyp. Ein solcher pathologischer Phänotyp wurde erst mit Herstellung der zugleich NO-überexprimierenden und myoglobindefizienten Doppelmutante (tg-iNOS+/ myo-/-) erzielt, mit dem Effekt, dass Experten für verschiedene Moleküle aus den Bereichen Labor und Klinik auf organismischer Ebene Kollaborationen eingingen. Auch wenn die an der Doppelmutante tg-iNOS+/myo-/- gewonnenen Erkenntnisse bisher nicht in die Klinik übersetzt werden konnten, gibt diese transgene Maus als „collaborational thing“ Anlass zu neuen experimentellen und klinischen Entwürfen und zeigt zugleich, dass ‚translational gaps‘ in den kardiovaskulären Lebenswissenschaften bewegliche Ziele sind, die nicht mit unidirektionalen Modellen „from bench to bedside“ zu füllen sind, sondern denen iterative Entwurfsgeschehen zwischen Disposition und Kontingenz zugrunde liegen. Die Maus bleibt demnach, wie gezeigt, ein komplexes ‚lückenhaftes‘ Tiermodell und avanciert nicht zu einem determinierten Modellorganismus. Die Synopse-Leistung von Projekten Zusammengenommen zeigt die Analyse der kardiovaskulären SFB in Düsseldorf, dass solche Verbünde Möglichkeitsräume aufspannen, die eine Interaktion von laborwissenschaftlichen und klinischen Fragestellungen begünstigen. Die Herausforderung dabei war für alle drei SFB, die zum Teil gegensätzlichen Perspektiven der Kliniker und der Naturwissenschaftler in einen gemeinsamen Problemhorizont zu übersetzen: Auf der einen Seite die Perspektive der Kliniker mit ihrem holistischen patho-physiologischen Blick auf die Effekte des Lebens und ihrem Interesse an standardisierbaren Therapieverfahren, auf der anderen Seite die eher reduktive Perspektive der Naturwissenschaftler auf die Ursachen des Lebens und ihrem Interesse an der detaillierten Aufklärung von molekularen Wirk- und Reaktionsmechanis-

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men. Dabei wurde klar, dass Forschungsverbundprojekte wie SFB über die graphematische Ebene der Inskription und der Bildgebung im Rahmen ihrer Experimentalsysteme und biomedizinischen Plattformen hinaus auch auf der institutionellen, (inter-)disziplinären und damit auf der sozialen Ebene Synthese und Synopse leisten. Denn projektgemäße Entwürfe, wie sie Anträge auf Forscherverbünde darstellen, ‚zwingen‘ die Antragssteller in regelmäßigen Abständen, ihre Ergebnisse aufeinander abzustimmen, zusammenzufassen und für weitere Förderperioden operationalisierbar zu machen. Dabei ist es nicht zwingend notwendig, eine gemeinsame Paradigma-Theorie zu teilen. Disziplinäre Grenzen sowie begriffliche und methodologische Inkommensurabilitäten müssen nicht völlig ausgeräumt werden, um sich auf gemeinsame interne Referenten z.B. in Form von für die übergeordneten Fragestellungen reproduzierbaren Tiermodellen oder im Verbund genutzte Experimentalplattformen zu einigen und diese auf die einzelnen Vorhaben in den Teilprojekten beziehen zu können. Mechanische und molekulare Perspektiven auf das Herz-Kreislaufsystem im Kontext translationaler Forschung Die aus den klinischen und experimentellen Untersuchungen des SFB 30 „Kardiologie“ (1968-1985) hervorgegangen Methoden zur Hämodynamikmessung und deren Rückführungen auf die Funktion und Regulation des Gesamtorganismus trugen während der 1960er und 1970er Jahre zur Konsolidierung eines ‚herzmechanischen Paradigmas‘ in Deutschland bei, in dem vor allem in biophysikalischen Größen wie in Drücken, Flüssen, Widerständen und Volumina gedacht wurde (Kap. 2.5.2.1). Die im SFB 30 entwickelten Methoden zur Hämodynamikmessung können damit als grundlegende experimentaltechnische Dispositionen verstanden werden, die auch das Entwurfsgeschehen der folgenden SFB 242 und 612 maßgeblich beeinflussten. Denn wie am Beispiel der endothelialen Zellbiologie gezeigt, wird die Hämodynamik des Herz-Kreislaufsystems auch unter den molekularen Vorzeichen der Stoffwechselreaktionen und Signaltransduktion nicht obsolet. Hämodynamische Kräfte spielen nicht nur für den Blutfluss an sich eine große Rolle, sondern haben auch wesentlichen Einfluss auf die (Molekular-)Physiologie des Endothels und der glatten Gefäßmuskeln. Es handelt sich im Ergebnis also nicht um einen klassischen Paradigmenwechsel, sondern um eine Überlagerung mechanischer und molekularer Perspektiven auf das Herz-Kreislaufsystem, denn mit der transgenen Technik werden hämodynamische Parameter zum ‚read-out‘ genveränderter molekularer Wirkmechanismen. Der aufgrund der Materiallage und des abgrenzenden Umfangs der vorliegenden Arbeit nicht detailliert untersuchte SFB 242 „Koronare Herzkrankheit, Prävention und Therapie akuter Komplikationen“ (1986-1997) spezialisierte sich im Gegensatz zu seinem allgemein gehaltenen Vorgänger auf ‚nur‘ eine humane Pathologie, die wiederum mit der im Rahmen des SFB 30 in die Grundausstattung über-

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führten selektiven Angiokardiographie auf eine etablierte Disposition in Form einer biomedizinischen Plattform zurückgreifen konnte. Mit dem Abschluss des SFB 242 im Jahre 1997 kann die Überlagerung der mechanischen und molekularen Perspektive auf das Herz-Kreislaufsystem als etabliert betrachtet werden. Mit dem im Rahmen der Endothelforschung klinisch und experimentell untersuchten Gasotransmitter NO und die damit verbundene Herstellung der ersten transgenen Mausmodelle in Düsseldorf avancierte die Labormaus im Laufe der 1990er Jahre zum Versuchstier der ersten Wahl. Zugleich wurde die experimentelle MRT-Technologie im Rahmen dieses SFB am Standort eingeführt, die wiederum zentrale apparative Disposition für die Etablierungsarbeit der „Mäuseklinik“ im SFB 612 war. Der eher grundlagenwissenschaftlich ausgerichtete SFB 612 „Molekulare Analyse kardiovaskulärer Funktionen und Funktionsstörungen“ (2001-2012) fokussierte sich auf den komplexen Übergang vom Genotyp zum Phänotyp und miniaturisierte dafür die in der Klinik gebräuchlichen Methoden für Experimente an der Maus. Im Ergebnis ist zwar keine Translation „from bench to bedside“ zu verzeichnen, aber die Etablierung einer institutsübergreifenden Phänotypisierungsplattform („Mäuseklinik“), die aufgrund der Unvorhersehbarkeit der jeweiligen Phänotypen eine enge Kooperation verschiedener Experten auf der Ebene der organismischen ‚Instruktion‘ zulässt. Die sich aus den Kompensationsmechanismen der verschiedenen Mausmodelle ergebenden Befunde verschieben das Verhältnis von ‚normal‘ und ‚pathologisch‘ und eröffnen wiederum neue Perspektiven auf die klinische Situation am Menschen. Bereits im Laufe der 2000er Jahre und vor allem seit 2010 werden Forderungen einer „translationalen Medizin“ immer lauter, die eben nicht den Erkenntnisweg vom Labor zum Krankenbett geht, sondern umgekehrt mit Beobachtungen am Patienten startet, mit klinischen Studien fortfährt und erst dann, nach angemessener Untersuchung der humanen Pathophysiologie mit der Herstellung eines auf die klinische Situation am Menschen zugeschnittenen Tiermodells beginnt (Kap. 1.6.3). Diese Forderung eines „anderen Entwurfs“ translationaler Forschung entspricht vom Erkenntnisweg her den bereits im 19. Jahrhundert verfolgten Konzepten, die klinische und naturwissenschaftliche Fragestellungen in ihren Forschungen zusammendachten. Durch den rasanten Fortschritt der molekularen Methoden insbesondere seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert haben sich die Rahmenbedingungen jedoch verändert. Die Hülle und Fülle an laborwissenschaftlichen Daten sind nur schwer in die klinische Praxis zu integrieren und gentherapeutische Ansätze, die von den neuen im Labor entwickelten molekularen Methoden profitieren könnten, scheitern oft an der Tatsache, dass die meisten Herz-Kreislauferkrankungen nicht monogenetisch, sondern polygenetisch zu erklären sind (vgl. Kap. 1.6.3). Der im Jahre 2015 eingerichtete vierte kardiovaskuläre SFB am Standort Düsseldorf „Master Switches bei kardialer Ischämie“ (SFB 1116) versucht auf diese Herausforderungen zu antworten, indem Kliniker und Grundlagenwissenschaftler

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gemeinsam versuchen, den Herzinfarkt „durch präklinische Untersuchungen an standardisierten Klein- und Großtiermodellen sowie durch klinische Studien in einem multidisziplinären Forschungsverbund“ besser zu verstehen. „Das Ziel der Initiative ist es, kardiale und systemische Effektormechanismen (Master Switches) zu identifizieren, die schon in der akuten und subakuten Phase nach AMI [akutem Myokardinfarkt] die Weichen für den weiteren klinischen Verlauf stellen, Angriffspunkte neuer therapeutischer Ansätze darstellen und so zur Reduktion von Morbidität und Mortalität nach AMI beitragen können.“3

Das Forschungsprogramm des SFB 30 „Kardiologie“ (1968-1985) war anfangs allgemein auf die Hämodynamik fokussiert. Der SFB 242 hingegen fokussierte sich auf eine spezielle Pathologie: „Koronare Herzkrankheit, Prävention und Therapie akuter Komplikationen“ (1986-1997). Der SFB 612 „Molekulare Analyse kardiovaskulärer Funktionen und Funktionsstörungen“ (2001-2012) war wiederum eher allgemein interessiert an Interaktionsmustern zwischen Genotyp und Phänotyp. Mit seinem Schwerpunkt auf den Herzinfarkt schreibt sich der neue SFB 1116 in die Konjunktur der Forschungsprogramme der bisherigen kardiovaskulären SFB in Düsseldorf ein. Im Unterschied zu seinem allgemeineren Vorgänger fokussiert er sich (ähnlich wie der SFB 242) auf eine spezielle Erkrankung und greift dabei auf in den Vorgänger-SFB produziertes (supplementäres) Wissen zurück. Die Bedeutung von Kompensationsmechanismen wird wieder aufgegriffen, indem die (intra-)zelluläre und metabolische Adaptation des Organismus an den akuten Herzinfarkt in den verschiedenen Teilprojekten hinsichtlich Diagnose, Prognose und Therapie untersucht werden soll. Die Forschungen des neuen SFB werden (mit der Perspektive der Übertragbarkeit der Ergebnisse auf Großtiermodelle und auf den Menschen) weiterhin vornehmlich an Mäusen durchgeführt. Es bleibt abzuwarten, welche Mausmodelle eventuelle Übertragbarkeiten (auf Großtiere oder auf den Menschen) zulassen bzw. welche neuen ‚translational gaps‘ in den Experimenten entstehen und wie der Verbund auf diese antwortet. Die transgene Maus als „collaborational thing“ Die Verwendung von transgenen Mäusen im Kontext biomedizinischer Verbundprojekte produziert ‚translational gaps‘, welche auf den beschriebenen Zwischenstatus dieser Tiere zwischen epistemischen Dingen und technischen Objekten zurückzuführen ist. Aus dem Projekt der Myoglobin-Knockout-Maus (Kap. 3.3) ergab sich, dass die ursprünglich als in-vivo-Modell für die Funktionalität von Myoglobin

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Zusammenfassung des SFB 1116, in: Internetseite der HHU, unter: http://www.sfb1116. hhu.de/de.html, Stand: 17.06.2017.

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gedachte Maus in ihrer Materialität nicht den gewünschten pathologischen Phänotyp zeigte, sondern anhand unvorhergesehener Kompensationsmechanismen das künstlich erzeugte Fehlen von Myoglobin ausglich. Das Projekt als ‚gescheitert‘ zu betrachten, wäre jedoch verkürzt. Die Kompensationsmechanismen gaben zum Anlass, das Verhältnis von normal und pathologisch (im Sinne Canguilhems) zu überdenken und dienen damit als Erkenntnismittel, die wiederum neue Fragestellungen über die klinische und therapeutische Dimension und Funktion von Kompensationen am Menschen zulässt. Gleichzeitig schreibt sich diese Maus in den komplexen Übergang von einer ‚Genomik‘ zu einer ‚Postgenomik‘ ein, in welchem nicht mehr der ‚Code‘ bzw. der ‚Text‘, sondern der ‚Kontext‘ des Lebens in Form von speziellen Genaktivierungsmustern im transgenen Phänotyp in den Fokus gerät (Kap. 3.3, S. 338-339). Aber auch ein ‚erfolgreiches‘ transgenes Mausmodell, das einen intendierten pathologischen Phänotyp zeigt, ermöglicht nicht unbedingt – wie in Kap. 3.4.8 (S. 378 f.) an der Doppelmutante tg-iNOS+/myo-/- gezeigt – eine direkte Übersetzung dieser Ergebnisse auf die klinische Situation am Menschen. Doch auch dies lässt sich nicht als ein ‚Scheitern‘ verurteilen. Denn bei Forschungen an Mäusen zwischen laborwissenschaftlichen und klinischen Fragestellungen handelt es sich nicht um Einbahnstraßenmodelle „from bench to bedside“ (Kap. 1.6.3, S. 100 f.). Vielmehr sind es iterative Entwurfsgeschehen, bei denen Daten verschiedener Provenienz zur Erzeugung von Differenzen aber auch von Vergleichbarkeiten in einem gemeinsamen Repräsentationsraum zunächst zur Darstellung und anschließend in einem gemeinsamen Problemhorizont (z.B. in einem Projektantrag) zur Synopse gebracht werden. Die transgene Maus fungiert innerhalb solcher klinischen und experimentellen Entwurfszusammenhänge auf verschiedenen Ebenen als „collaborational thing“ (siehe Kap. 3.4.8, S. 378 f.): Sie liefert zugleich das Material (wie Zellen, Gewebeschnitte und isolierte Organe) für detaillierte in-vitro- und ex-vivoUntersuchungen sowie einen Gesamtorganismus für eine umfassende Funktionsanalyse in vivo. Ihr kollaborativer Wert entsteht zum einen aufgrund des umfangreichen Methodenspektrums solcher Untersuchungen, das verschiedene Experimentalsysteme auf der Ebene des Forschungsverbundes vernetzt (Kap. 2.5 und 3.4), zum anderen durch die Kombination von spezifischen Erwartungen der beteiligten Forscher bei der Modellierung von transgenen Mäusen und der biologischen Offenheit des Organismus sowie der damit verbundenen Plastizität des jeweilig unvorhersehbaren Phänotyps. Im Rahmen der Funktionsanalyse steht die Körperlichkeit der Maus im Vordergrund und instruiert Forscher aus verschiedenen Kontexten auf organismischer Ebene, indem beispielsweise Interaktionsmuster und molekulare Reaktionswege verschiedener Proteine und Moleküle an solchen Mausmodellen untersucht werden können. Charakteristischerweise bekommen Proteine und Moleküle innerhalb von biologischen Mechanismen (mit Canguilhem verstanden als „notwendige Sequenzen von Operationen“) genau dann Handlungsträgerschaft zuge-

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wiesen, wenn sie (z.B. zur Kontextualisierung in den Gesamtorganismus) einer Kausalität unterworfen werden, die außerhalb des Einflussbereiches des Experimentators liegt. Dies ermöglicht den Forschern, die ‚Wahrhaftigkeit‘ eines postulierten molekularen Reaktionswegs zu untermauern (Kap. 3.4.8, S. 374 ff.). Die Maus ist innerhalb solcher Entwurfsgeschehen zum einen in eine ausreichend stabilisierte technologisch-experimentelle Plattform eingelassen (Disposition), um die notwendigen erkenntnistreibenden Differenzen reproduzieren zu können. Zum anderen avanciert sie trotz der transgenen Technik nicht zu einem Modellorganismus, sondern bleibt komplexes Tiermodell mit all den Lücken und Leerstellen hinsichtlich der Vergleichbarkeit zum Menschen (Kontingenz). In diesem Sinne ist das Labor nicht mehr (wie etwa noch bei Ludwig Traube im 19. Jahrhundert, vgl. Kap. 1.6.3, S. 99 f.) „Richtmeister“ der Klinik, indem die empirische Beobachtung am Krankenbett im Labor durch die Formulierung physiologischer Hypothesen bestätigt werden soll, sondern die Klinik fungiert aufgrund der ‚translational gap‘ zwischen Maus und Mensch als eine Art „Wellenbrecher“ (Labisch, siehe Kap. 1.6.3, S. 101), der Anlass zur Korrekturarbeit an den eigenen experimentellen Modellen und Entwürfen gibt. Mausmodelle bleiben trotz der Anstrengungen translationaler Forschung veränderliche Entwürfe, die zwischen Kontingenz (epistemischen Dingen) und Disposition (technischen Objekten) ständig fortgeschrieben werden und somit bewegliche ‚translational gaps‘ produzieren: „The value of never arriving, of always being one iteration away from the achievement of translation, articulates more people and incorporates further intellectual capital into the animal model.“4

Am Beispiel von drei kardiovaskulären SFB konnte die Analyse von Spannungsverhältnissen zwischen Kontingenz und Disposition bei der Wissensproduktion Lücken zwischen Modellen und Anwendungen aufzeigen und für die Darstellung des Entwurfsgeschehens zwischen Labor und Klinik kontextualisieren. Die Perspektive auf die Wechselwirkung zwischen Disposition und Kontingenz könnte auch bei der Analyse von Projekten aus anderen Disziplinen zum Tragen kommen, die versuchen, eine ‚Kluft‘ zwischen Theorie und Praxis zu überwinden.

4

Davies, Body & Society 2012, 18 (3-4): 126-155, hier S. 146.

5. Epilog: theoretische und methodische Reflexion des Erkenntnismodells *

Die Etablierung der Methodensynopse im Rahmen einer Projektepistemologie hat es ermöglicht, stattgefundene Forschungsverbundprojekte als Zwischenräume (im Sinne Bachelards) zwischen forschenden Subjekten und hervorzubringenden Wissensobjekten zu charakterisieren. Die Analyse von Spannungsverhältnissen zwischen Kontingenz und Disposition erlaubt es, unvorhersehbare experimentelle Ereignisse und dafür notwendige wissenschaftliche, technologische und institutionelle Voraussetzungen in ihrer Wechselwirkung mit den dahinterliegenden Denkmodellen der Forscher zu betrachten. Die Theoretisierung des Projektbegriffs gestattet die systematische und historische Untersuchung von Verbundprojekten als Forschungsgegenstände. Die Herausforderung dabei war, zu überprüfen, ob die mit den vorangestellten projektepistemologischen Fragen genannten Prozesse und Phänomene im Material der drei kardiovaskulären SFB präsent sind. Die Ergebnisse des zweiten und dritten Kapitels zeigen, dass die Verknüpfung einer projektepistemologischen Methodensynopse und dem SFB-Material nur bewältigt werden konnte, indem Begriffe und Konzepte aus den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften und aus den Naturwissenschaften sowie der Biomedizin zusammengedacht und – trotz aller offensichtlichen sprachlichen und konzeptionellen Inkommensurabilitäten – in einem gemeinsamen historischen Narrativ und Problemhorizont übersetzt werden. Um die verschiedenen historischen Durchläufe und die Ergebnisse darstellbar sowie generalisierbar zu machen, mussten im Rahmen dieses neuen projektepistemologischen Narrativ zum Teil eigene Kausalitäten und Kontiguitäten erzeugt werden. Dabei erlaubt die Betrachtung auf Spannungsver-

*

Der vorliegende Epilog entstand aus Anregungen aus den Gutachten und aus der Diskussion während der Verteidigung der vorliegenden Arbeit im Juni 2018. Meinen Gutachtern Vittoria Borsò und Alfons Labisch gilt mein herzlicher Dank. Jürgen Schrader und Timo Skrandis danke ich für die erhellende Diskussion.

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hältnisse zwischen Kontingenz und Disposition, biomedizinische Verbundforschung und die dafür gewählten Primärquellen nicht teleologisch als Fortschritt, sondern als dynamischen Entwurfszusammenhang zu untersuchen. Entwurfszusammenhänge findet man als Gegenstände jedoch nicht einfach vor, vielmehr müssen sie hervorgebracht werden. Die im ersten Kapitel etablierte Projektepistemologie stellt dafür einen ‚geisteswissenschaftlichen Apparat‘ verstanden als methodologische Synopse zu Verfügung, die den Blick auf die mannigfaltigen empirischen Daten von kardiovaskulärer Verbundforschung leitet. Zugleich verdichtet sie die so gewonnen aussagefähigen Daten zu einem kurzen, aber detaillierten historischen Narrativ. Alle verwandten Begriffe können so aus ihrer Genese erläutert und im Rahmen der Konzeption zugeordnet werden, so dass die forschungsleitende Fragestellung bis in ihre Verästelungen hinein systematisch ausgelotet werden kann. Die konzeptionelle Leistung, die Generalisierbarkeit und die Anwendbarkeit von Projektepistemologie soll im Folgenden in Form eines Kommentars zur Methodensynopse und zum daraus resultierenden historischen Narrativ verdeutlicht werden.

5.1 KONZEPTIONELLE LEISTUNG DES ERKENNTNISMODELLS: VON DER MAKRO- BIS ZUR MIKROEBENE VON VERBUNDFORSCHUNG Die Analyse von Spannungen zwischen Kontingenz und Disposition bei der Wissensproduktion deckt die Abstraktionsebenen von Verbundforschung umfassend ab; von regulierenden Maßnahmen der DFG und der Hochschulleitung über institutionelle Rahmungen und bauliche Voraussetzungen bis hin zu den in Experimenten eingesetzten Methoden und Techniken und zur Materialität von Organismen, Molekülen und Genen. Das Potenzial des im ersten Kapitel entwickelten Erkenntnismodells (vgl. Abb. 8, S. 121) liegt in der Verknüpfung folgender Konzepte: • Projekt als Zwischenraum (Bachelard); • Entwurf zwischen Betrieb und Sich-Einrichten-Müssen auf kontingente Ergebnisse (Heidegger); • in symmetrischen Relationen geformte kollaborative Netzwerke (Latour); • Experimentalsysteme (Rheinberger); • Plattformen als integrativer und offener Wissensraum (Keating/Cambrosio)

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Damit kann gezeigt werden, unter welchen materiellen, situativen, institutionellen und technischen Bedingungen Wissensproduktion zwischen Kontingenz und Disposition innovationsfördernd sein kann. Ein wichtiges Element dieses methodologischen Rüstzeugs ist der wissenschaftliche Betrieb, der die empirische Analyse des Archivmaterials hinsichtlich konkreter Kooperationsformen sowie geistiger und materieller Umgebungsbedingungen von drittmittelgeförderter Verbundforschung am Beispiel des SFB 30 leitet (Kap. 2.4.4). Heideggers Wissenschaftlicher Betrieb geht über eine Kuhn’sche „Normalwissenschaft“ hinaus, weil die Wechselwirkungen zwischen Kontinuitäten und Diskontinuitäten nicht nur in großen Sprüngen in Form von „wissenschaftlichen Revolutionen“ sichtbar werden, sondern immer in Bezug auf die im Betrieb erzielten kontingenten Ergebnisse zu denken sind, auf die sich das Vorgehen einrichten muss. Dabei wird eine Analyse von der Mikro- in Bezug zur Makroebene von Verbundforschung ermöglicht, indem Heidegger mit dem Betriebscharakter von Forschung konkrete Analysekategorien anbietet, die wie folgt artikuliert werden: vom Zusammenschluss der Verfahrensweisen auf der materiell-methodischen Ebene und der wechselseitigen Überprüfung der Ergebnisse auf der diskursiven Ebene, über den Austausch der Arbeitskräfte auf der personellen Ebene bis hin zur Koordination von leitenden Forschungsaufgaben auf der wissenschaftspolitischen Ebene. Der mit Bachelard aufgespannte Zwischenraum zwischen dem zugleich erkennenden und aufgrund der Gebundenheit an „Phänomenotechnik“ erkenntnistheoretisch nicht unbefangenen Subjekt und dem nachträglichen Wissensobjekt ermöglicht eine Analyse des Entwurfscharakters von Wissensproduktion anhand der Darstellung von Transformationen grundsätzlicher epistemischer und technischer Präkonfigurationen. Rheinbergers Grundthese der Spannung zwischen dem ‚verstellten‘ Blick der Wissenschaftler, dem noch im Prozess seiner materiellen Definition begriffenen epistemischen Ding und dem durch Rekurrenzen bestimmten technischem Objekt erweitert Projektepistemologie auf sämtliche an Verbundprojekten beteiligte Dimensionen: Vom Förderverfahren der DFG, dass durch die Begutachtung der Anträge und Vor-Ort-Begehungen ebenso Differenzen erzeugt wie die in Verbundnetzwerke eingebrachten Experimentalsysteme und die kollaborativen Interaktionen zwischen Labor und Klinik. Entscheidend bei biomedizinischer Verbundforschung ist, dass hier über Rheinberger hinaus gefragt wird, was passiert, wenn ein epistemisches Ding das Labor verlässt und sich in Diskurse einschreibt, die das Verhältnis der Zuschreibungen von normal und pathologisch verändern. Die damit infrage stehenden Lücken (‚translational gaps‘) zwischen Grundlagenforschung und klinischer Anwendung sind bewegliche Ziele und befördern die rekursive Struktur von Wissensproduktion: Auf allen Ebenen – der förderpolitischen, der institutionellen und der experimentaltechnischen sowie epistemischen – müssen sich die strukturel-

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len Dispositionen im wissenschaftlichen Betrieb auf unerwartete Kontingenzen und ‚Lücken‘ einrichten, welche wiederum in übergeordnete Strategien einfließen können (z.B. Struktureffekte, Schwerpunktbildungen, Technologieprofile). Die sich aus der Spannung zu den Kontingenzen ergebene Plastizität der Dispositionen ist dabei ebenso entscheidend wie die Stabilisierung von Kontingenzen und deren Überführung in neue strukturelle Plattformen, welche wiederum als Ausgang für neue Forschungsentwicklungen dienen. So werden neue Gegenstandsbezirke eröffnet, die neue Zwischenräume zwischen Subjekt und Objekt, und neue phänomenotechnische Repräsentationsräume aufspannen. Diese Zwischenräume gilt es mithilfe von Translationsketten in soziomaterielle Netzwerke einzuflechten, die sich in Form von Black Boxes und Inskriptionen zunächst konkretisieren und stabilisieren, um anschließend wiederum im Rahmen von Experimentalsystemen und biomedizinischen Plattformen aus ihrer ursprünglichen Situation dekontextualisiert zu werden. Diese rekursive Struktur von Wissen produziert für das Entwurfsgeschehen neue Differenzen und damit Daten, die es als ‚interne Referenten‘ in eine gemeinsame Sprache und einen geteilten Problemhorizont zu übersetzen und in einem dazu passenden historischen Narrativ zu verdichten gilt. Damit lässt sich die in den Dispositionen nicht mehr auf dem ersten Blick erkennbare Dynamik von Forschungsereignissen sichtbar machen. Dass die dynamische Relationalität im Makrobereich sozio-materieller Netzwerke mit der Mikrodynamik in Experimentalsystemen interagiert, ist hier entscheidend. Die strukturelle Homologie von Netzwerken und Experimentalsystemen besteht nicht nur darin, dass ein Verbund als Netzwerk von autarken aber miteinander interagierenden Experimentalsystemen verstanden wird, sondern auch darin, dass Translationsketten von der Materie über die experimentelle Spur bis hin zur fixierten aber dekontextualisierbaren Inskription sich in gemeinsamen experimentell-klinischen Repräsentationsräumen abspielen. Zwischenräume, in denen die materielle Spur noch nicht in Schrift oder Bild übersetzt wurde, technische Objekte, die durch Inskription oder Bildgebung zur apparativen Disposition, also zur Black Box werden, betreffen ebenso kontingenzreiche epistemische Dinge wie die epistemischen Präkonfigurationen, die durch Translationsketten im Rahmen der ANT verändert werden. Eine Konsequenz aus dieser strukturellen Homologie von Netzwerken und Experimentalsystemen ist die über Rheinberger hinaus erweiterte Anwendung des Derridaschen Supplementbegriffs auf Translationsketten in den Lebenswissenschaften. Die supplementierende Übersetzung ist ein verschiebender Ersatz bzw. eine Ergänzung, die den epistemologischen und technologischen Zugang grundsätzlich transformiert. Hierdurch konnte vor allem verdeutlicht werden, welche Nachträglichkeiten bei den Einführungen neuer zuvor im Labor erprobter Methoden in den Anwendungsbereich der Klinik entstehen. Dadurch werden die hinter solchen

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Translationsketten verborgenen komplexen Aushandlungsprozesse und ihr soziotechnischer Voraussetzungsreichtum sichtbar gemacht. Als innovativ und erkenntnisfördernd für den Gesamtkontext der Arbeit war die über experimentelle Translationen hinaus erweiterte Anwendung des Supplementbegriffs für die Darstellung der Geschichte des Krankenhausbaus und der damit verbundenen Organisationsstrukturen sowie für die Analyse der veränderlichen Teilprojektstrukturen von Verbundforschung. Die supplementierende Verschachtelung von Transformationen im baulichen Bereich mit ihrer Kombination von alten und neuen Strukturen (am Beispiel der graduellen Abschaffung des Pavillonstils zugunsten einer Plattformarchitektur), mit der Parallelität von Bauen und Planen und der Notwendigkeit, Unvorhergesehenes zu integrieren sowie dem Erfordernis, die Bauten nach innen flexibel und nach außen erweiterungsfähig zu gestalten, charakterisiert das Potenzial einer supplementären ‚Umbaugeschichte mobiler Immobilien‘. Sie ist prinzipiell für jeden Forschungsstandort anwendbar. Die fortlaufende Dokumentation von Verbundforschung erlaubt es zudem, den Supplementbegriff auf veränderliche Teilprojektstrukturen von Forscherverbünden anzuwenden. Die sich durch die Evaluation der Begutachtung und durch die Selbstkontrolle eines Verbundes ergebenen Differenzen in der Projektstruktur hat wiederum erhebliche Auswirkungen auf die personelle und instrumentelle Ausstattung von in Teilprojekten verankerten Experimentalsystemen und biomedizinischen Plattformen. Auf dieser epistemischen, technischen und materiellen Ebene kommt der Begriff des Supplements wiederum dort zum Tragen, wo sich alte und neue Messmethoden nicht einfach ablösen, sondern dem Forscherverbund durch synoptische Zusammenziehung von dekontextualisierten Spuren, Graphen, Diagrammen, Inskriptionen usw. insgesamt eine neue Orientierung geben und neue Interaktionsräume zwischen Labor und Klinik aufspannen. Dies wiederum ermöglicht es, von Supplementierungen der Messtechniken und daraus entstandenen synoptischen Schemata auf spezielle Denkmodelle beteiligter Forscher zu schließen und daraus einen verdichteten medizinhistorischen Narrativ zu entwickeln. Die Produktion von Evidenz in den kardiovaskulären Denkmodellen wurde anhand von Translationsketten aufgezeigt, deren Inskriptionen und Bilder (EKG, Angiokardiographie, MRT) bis heute ihre ikonographische, aisthetische und diagnostische Wirkmacht entfalten. Entscheidend dabei war, dass gemeinsame Repräsentationsräume von Labor und Klinik ins Auge gefasst wurden mit ihren Formen der Bildgebung, die sich Rheinbergers Typologie naturwissenschaftlicher Visualisierungen (Kompression/ Dilatation, Enhancement) entziehen. So werden die MRT-Bilder zwar apparativ erzeugt, entstehen genau genommen aber im Zwischenbereich zwischen Organismus und Maschine wobei die Körperlichkeit des Organismus der transgenen Maus in seiner Performanz für eine anschließende funktionelle Untersuchung phänomenotechnisch hervorgebracht wird und damit einen eigenen onto-epistemologischen Status bekommt (Kap. 3.4.3).

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Plattformen haben bei solchen Übersetzungsketten von der Materie des Organismus hin zur Inskription bzw. zum Bild integrative Funktionen, die sich in der Spannung zwischen Regulation und der Mobilisierung heterogener Akteure abspielen und als „Sprungbretter für zukünftige Aktivitäten“ (Keating/Cambrosio) Biologie und Medizin miteinander verflechten. Die Plastizität der Disposition zwischen Stabilisierung und Destabilisierung wird der Analyse so zugänglich gemacht und in den Kontext der Interaktion zwischen Labor und Klinik gestellt. Transgene Mausmodelle füllen diesen Interaktionsraum, indem der Organismus im Rahmen der Phänotypisierung zur Kooperationsplattform wird („collaborative thing“, Michael) und durch seine kompensatorische Biomaterialität das Verständnis von normal und pathologisch rekonfiguriert (Canguilhem). Der biologische Surplus der Knockout-Maus erscheint wiederum als Supplement und Subversion und leitet eine Transformation von einer reduktionistischen Genomik zu einer auf den Gesamtorganismus ausgerichteten funktionellen Systembiologie ein (Davies, Schrader). Die Widerständigkeit in Form der normenüberscheitenden Kompensationsleistung des Organismus ist in der vorliegenden Arbeit das zentrale Konzept zur Beschreibung von experimentellen Kontingenzen kardiovaskulärer Verbundforschung. Canguilhems Perspektive auf biologische Normalität als ein normenschaffender Überschreitungsprozess wird dabei zum theoretischen und kritischen Indikator für lebenswissenschaftliche Verbundforschung (Foucault, Kap. 3.3). Theoretisch erlaubt diese Perspektive es, das Leben in seiner generellen Kontingenz zu erfassen und kritisch zeigt sie eine aufgrund der Komplexität des Organismus zu vermeidende Reduktion auf. Das Erfordernis von Verbundforschung ist demnach ein ständiges Differenzen und damit Daten produzierendes Oszillieren zwischen Holismus und Reduktionismus, welches von Zeit zur Zeit nach einer Synopse, einer Zusammenschau und eines iterativen Abgleichs dieser Daten verschiedener Provenienz verlangt. Die erkenntnisreibende Kraft der Synopse liegt dabei im Entwurf: Durch den ‚Zwang‘ zur Erzeugung optischer Konsistenzen und zur ständigen Neujustierung der eigenen Voraussetzungen werden neue Hin- und Rückübersetzungen mit Objekten ermöglicht, die wiederum auf sozialer Ebene Forschende und Institutionen in gemeinsame Problemhorizonte für Projektanträge überführen. Dass Projektepistemologie selbst Synthese und Synopse leistet, wird mit Abbildung 8 (Kap. 1.8, S. 121) belegt, die das Gerüst des epistemologischen Arguments (Kap. 1.2) stützt und den Interaktionsraum zwischen Labor und Klinik für die Analyse im zweiten und dritten Kapitel öffnet. Den ‚Kit‘ für dieses forschungsleitende Erkenntnismodell liefert ein verdichteter historischer Narrativ, der das Konzept der vorliegenden Arbeit mit einer konkreten Forschungsgeschichte verknüpft.

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Historischer Narrativ mit Fokus auf Diskontinuitäten zwischen Labor und Klinik Der projektepistemologische Narrativ zwischen Menschen-, Institutions- und Technikgeschichte orientiert sich an prägnanten wissenschaftshistorischen Diskontinuitäten. Ausgehend von den in den untersuchten Projekten beobachteten bildlichen Erzeugnissen wie die Inskriptionen der EKG-Kurven, die röntgengestützten Bilder der Angiokardiographie, die Herz-Kreislaufparameter der Hämodynamikmessung, die elektrophoretischen Spuren von DNA-Sequenzen, die phänomenotechnisch erzeugten MRT-Bilder und die Schemata zur Anzeige von molekularen Reaktionswegen wird das Aufspannen von verschiedenen experimentellen und diagnostischen Repräsentationsräumen beschrieben. So wird verdeutlicht, wie sich die verschiedenen Repräsentationstechniken und Denkmodelle dahinter supplementär verschachteln, überlagern und stets von Neuem aufeinander beziehen, um sich letztendlich an die Komplexität physiologischer Prozesse anzunähern. Verschiedene historische Durchläufe werden damit in einem gemeinsamen Narrativ darstellbar. Hat die medizinische Bildgebung etwa ihre Anfänge in der Fotographie und entwickelt sich im Röntgenapparat weiter, so bietet das EKG eine Anschlussfähigkeit zur graphischen Methode des 19. Jahrhunderts und etabliert in ihrem Hergestelltsein völlig neue Mensch-Maschine-Kopplungen, die das Herz zum ersten Mal in der Medizingeschichte „zum Schreiben“ bringen (Borck). Gleichzeitig verändern die apparativen Anforderungen die bauliche, betriebliche und organisatorische Struktur von Universitätskliniken. Ähnliches gilt für den räumlichen, apparativen und personellen Aufwand der röntgengestützten Herzkatheteruntersuchung, die nicht nur ein einfaches Supplement bereits etablierter Methoden darstellt, sondern viele Methoden durch die Multiplizität der erfassten Parameter zur Synopse bringt und so zu einem Schwerpunkt des SFB 30 wurde, der zugleich auf die klinische „urgence“ (Foucault) der Koronaren Herzkrankheit und die Anforderungen einer genauen Hämodynamikmessung im experimentellen Bereich antwortete. Im SFB 612 gibt die genetische Manipulation am Organismus selbst Anlass, die gemessenen Körperfunktionen in experimentelle Spuren zu fassen, in Form von Tabellen und Graphen festzuhalten und in Schema-Abbildungen ganze molekulare Signal- und Reaktionswege zu postulieren. Bezüglich der Nachträglichkeit besteht hier eine auffällige Analogie zum EKG: Wurde die elektrophysiologische Aufzeichnung der Herzaktivität schnell zum technischen Objekt, ohne dass ihr Objektbereich schon definiert gewesen wäre (mechanische Kontraktion vs. elektrische Erregbarkeit), wird die elektrophoretische Darstellung einer erfolgreichen Genmutation zum bildlichen Entwurf, dessen Konsequenzen im lebendigen Organismus in Zukunft zu analysieren sind. Dafür mussten weitere Messmethoden und Repräsentationstechniken – etwa MRT-Messungen – für Untersuchungen an Mäusen entwickelt werden. Das zur experimentaltechnischen Disposition gewordene Projektwissen öffnet neue Bezirke für zukünftige Untersuchungen im Spannungsfeld zwischen

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experimentell-technischer Epistemologie und den Kontingenzen in der Widerständigkeit des lebenden Organismus. Translationale Medizin zwischen Labor und Klinik arbeitet damit im Modus des Entwurfs abhängig von kollaborativen Netzwerken und unterzieht ihre Inhalte einer ständigen Revision. Im historischen Narrativ der vorliegenden Arbeit lag ein Fokus daher auf wissenschaftshistorische Diskontinuitäten, die wiederum durch Interaktionen zwischen Stabilisierungen (Dispositionen) und Destabilisierungen (Kontingenzen) auf verschiedenen historischen und inhaltlichen Ebenden hervorgerufen werden. Einige prägnante Beispiele solcher makrostrukturellen Diskontinuitäten in der hier präsentieren kardiovaskulären Wissenschaftsgeschichte werden im Folgenden kommentiert. Die Darstellung des Übergangs von einem pathologisch-anatomischen zum funktionellen und regulativen Verständnis des Organismus während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Kap. 1.6.3) verdeutlicht die Nachträglichkeit von in die Klinik einzuführenden Labormethoden. Denn die Akzeptanz von den diagnostischen Zeichen der graphischen Methode vollzog sich weder problemlos noch gradlinig. Vielmehr musste der Organismus zunächst nach einem iatrotechnischem Modell als Kausalsystem konzipiert werden, in welchem die intimen Abläufe im Organismus in Form von graphischen Repräsentationen (zumeist Kurven) einem bestimmten physiologischen Zweck zugeordnet werden konnten. Als heuristische Konzepte der Physiologie schrieben sich so die Begriffe der Funktion und der Regulation (Kap. 2.5.1) in die klinische und laborwissenschaftliche Praxis ein, indem sie durch die Verkettung zahlreicher physiologischer Teilvorgänge zugleich zu in technische Objekte eingefasste konzeptionelle Werkzeuge und zu epistemischen Dingen wurden, die charakteristischerweise neue Fragen aufwarfen. Bei solchen kausalen Konzeptionen des Organismus wurde ein hierarchisches Erkenntnismodell vorausgesetzt, indem aus der empirischen Beobachtung am Krankenbett eine physiologische Hypothese generiert wurde, die es im Labor zu überprüfen galt. Das Labor diente hier als „Richtmeister der Klinik“ (Hess) und wurde zum Gütesiegel für die Wahrhaftigkeit und Überprüfbarkeit medizinischer Maßnahmen. Parallel hierzu gab es im späten 19. Jahrhundert biomorphe Ansätze in der Physiologie, die davon ausgingen, dass die Komplexität und Individualität des Organismus reduktionistische Erklärungsmodelle immer wieder einholt und man eben nicht vom Labor auf den Organismus schließen sollte (Bernard, Kap. 2.1.1 und 2.5.1). Experimentelle und klinische Forschung verschmelzen, indem der Organismus offen und dynamisch konzipiert und die Klinik als eigenständiger Kontingenzraum akzeptiert wurde. Die Klinik erscheint hier als kritischer Indikator (Canguilhem) oder ‚Wellenbrecher‘ (Labisch) für reduktionistische Fragestellungen, was mit der Entwicklung der Molekularbiologie seit der Mitte des 20. Jahrhunderts besonders sichtbar wird. Die sich mit dem Aufkommen des „ärztlichen Blicks“ vollziehende „Verräumlichung und Versprachlichung des Pathologischen“ (Foucault, Kap. 2.1.1) be-

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wirkte nicht nur eine Transformation im Krankenhausbau (gradueller Übergang vom Pavillon- zum Plattformkonzept) und eine überwachende Individuation der Patienten in Form eines Tableaus, sondern implementierte durch die Triangulation von Sehen-Hören-Berühren eine neue Wahrnehmungskonfiguration in den Raum der klinischen Praxis. Hier tritt nicht mehr nur der Kranke als Individuum auf, sondern die Krankheit selbst wurde als Gegenstand konzipiert und zum Ziel therapeutischer Maßnahmen. Die Engführung von Pathologie und Physiologie hatte zur Folge, dass zwischen krankhaften und normalen Zuständen des Organismus kein prinzipieller, sondern nur noch ein quantitativer und vor allem messbarer Unterschied besteht. Man hatte von nun an den Anspruch, physiologische Vorgänge nicht nur zu kennen und vorauszusagen, sondern sie auch aktiv zu lenken und zu verändern. In diesem Sinne mussten auch Kliniker experimentell denken und physiologische Zustände sowie Krankheitsverläufe durch „provozierte Beobachtungen“ (Bernard, Kap. 2.1.1) herbeiführen. Die Klinik wurde damit zur Differenzerzeugerin und Datenproduzentin. Als „wesensmäßig […] durchstrukturiertes nosologisches Feld“ (Foucault) bot die Klinik im Unterschied zum Hospital ein empirisches Terrain für eine interventionelle, also auf den Krankheitsverlauf einwirkende Medizin samt ihrer apparativen Ausstattung, die den ärztlichen Blick und seine multiplen Objektivierungen stützten. Diese Engführung von Pathologie und Physiologie hatte für die translationale Herz- Kreislaufforschung vor allem methodische Konsequenzen, die sich im Laufe des 20. Jahrhunderts im Spannungsfeld zwischen holistischen, pathophysiologischen Perspektiven und reduktionistischen biochemischen bzw. ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts molekularbiologischen Perspektiven auf den Organismus konkretisierten. Im Spektrum der experimentellen Kardiologie (Kap. 2.5.2) überlagern sich diese Perspektiven in Form von Übersetzungsketten zwischen invitro-, ex-vivo- und in-vivo-Daten, die im kollaborativen Entwurfsgeschehen erkenntnistreibende Differenzen zwischen verschiedenen Experimentalsystemen erzeugen. So werden der Fokus der Kliniker auf die Effekte des Lebens und ihrem Interesse an standardisierbaren Therapieverfahren und der Fokus der Experimentalwissenschaftler mit ihrem Interesse an den Ursachen und an der Aufklärung der genauen Mechanismen des Lebens in mühseliger Feinarbeit in einen für den Verbund gemeinsamen Problemhorizont überführt. Hierfür werden Daten vergleichbar und reproduzierbar gemacht, um sie schließlich in einer gemeinsamen Sprache für Projektanträge zur Synopse zu bringen. Die Überlagerungen von Denkmodellen finden ihre materielle Entsprechung in den Überlagerungen der Methoden, auf die man wiederum durch die Verschachtelung von Repräsentationen (von der EKG-Kurve über das Röntgenbild bis hin zu mikroskopischen Gewebeschnitten und DNASequenzengels) diskursiv zugreifen kann. Die Lücken zwischen Labor und Klinik (‚translational gaps‘) bleiben dabei bewegliche Forschungsziele.

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Dies erfordert ein ständiges entwurfsgemäßes Oszillieren zwischen Holismus und Reduktionismus, um gemeinsame interne Referenten in Form von Modellorganismen und Tiermodellen für die Kollaboration im Verbund anwendbar zu machen. Der in der Fachliteratur nicht immer klare Unterschied zwischen diesen beiden Formen physiologischer Modelle wurde in der Arbeit verdeutlicht: Während Eigenschaften von Modellorganismen für alle übrigen Organismen gelten sollen, bleibt der Vergleichbarkeitshorizont bei Tiermodellen auf bestimmte Kontexte und Fragestellungen (z.B. für eine spezielle Erkrankung) beschränkt. Mit der Züchtung von „reinen“ Mauslinien Anfang des 20. Jahrhunderts (Kap. 3.1.1) und der Herstellung von genveränderten Mausmodellen Ende des 20. Jahrhunderts (Kap. 3.2) war die Hoffnung groß, aus der Labormaus einen determinierten Modellorganismus zu machen, der als in-vivo-Modell für kardiovaskuläre Erkrankungen eine Übertragbarkeit auf die klinische Situation am Menschen zulässt. Im Unterschied zur rein molekularbiologischen Forschung geht es in der HerzKreislaufforschung nicht nur um eine Dekonstruktion des Organismus, in der sich die Maus in bildliche Repräsentationen auflöst (Amann). Vielmehr wird der Körper durch experimentelle Provokation in Funktionsanalysen in seiner physiologischen und anhand von Parametern messbaren Performanz erst hervorgebracht, wodurch die Plastizität des jeweils individuellen Phänotyps in den Fokus gerät. Mit der unvorhersehbaren Plastizität des Phänotyps stellt die transgene Maus einen Sonderfall und einen gesteigerten Kontingenzfaktor bei der kardiovaskulären Wissensproduktion dar. Die entscheidende wissenschaftshistorische Diskontinuität liegt hier im hybriden Status der Tiere zwischen artifizieller Gentechnik und natürlichem Organismus. Als Konsequenz ‚durchkreuzt‘ die transgene Maus nicht nur den experimentell-translationalen Plan, in-vivo-Modelle zur Erforschung von Sauerstoffmangel im Herzen bereitzustellen, sondern läutet auch ein post-genomisches Verständnis des Organismus ein, in welchem es nicht mehr nur auf den ‚Text‘ des Lebens (Genotyp), sondern den ‚Kontext‘ des Lebens ankommt (die Interaktion von Genotyp und Phänotyp inklusive ihrer Umweltbedingungen). Den Kumulationspunkt der Plastizität des Organismus und damit die in dieser Arbeit zentrale experimentelle Kontingenz drückt sich in der widerständigen Materialität der im Rahmen des SFB 612 hergestellten Myoglobin-Knockout-Maus aus (Kap. 3.3). Anders als erwartet kompensierten die Mäuse gentechnische Manipulationen, die sie ursprünglich krank machen sollten, und machen dabei experimentelle Inkommensurabilitäten zwischen verschiedenen Spezies sichtbar. Zugleich bringt die transgene Maus mit ihren intrazellulären Repräsentationen eines extrazellulären Projekts als „collaborative thing“ (Michael) Kliniker und Naturwissenschaftler auf organismischer Ebene zur Kollaboration. Sie bildet damit eine Brücke zwischen Labor und Klinik, auch wenn bisher keine unmittelbare Translation von grundlagenwissenschaftlichen Ergebnissen in die klinische Praxis zu verzeichnen ist. Für den SFB 612 war die zentrale Herausforderung, holistische und reduktionistische Per-

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spektiven auf den Organismus in einen gemeinsamen Entwurfszusammenhang für Forschungsanträge zu übersetzen. Diese Herausforderung des Übersetzens zwischen Labor und Klinik fand durch die supplementierende Plattform der im SFB 612 entworfenen „Mäuseklinik“ ihre methodische und institutionelle Realisierung und Entsprechung. Durch die supplementäre Verkettung und Verschachtelung von Genen, Molekülen, Organismen, Apparaten und Menschen in ihren Instituten mit ihren forschungsleitenden Perspektiven und Erfordernissen öffnet diese Phänotypisierungsplattform neue Gegenstandsbezirke zwischen Kontingenz und Disposition.

5.2 GENERALISIERBARKEIT DES ERKENNTNISMODELLS Projektepistemologie ist auf drei Ebenen generalisierbar: Erstens: Wissenschaftstheoretisch wird durch die innovative Nutzung und Kombination von Theorieressourcen aus den Science Studies und dem New Materialism ein neuer Zugang zur Analyse von Projektwissen etabliert, indem sich alle verwendeten Konzepte in die übergeordnete Spannung zwischen Kontingenz und Disposition integrieren lassen. Dies ist für die Geistes- und Kulturwissenschaften von Bedeutung, da damit ein Zugang zu den internen Wirkmechanismen von Wissensproduktion geschaffen wird, bei welchem Wissen nicht allein als die problemlose Kumulation von Daten und als Modus des Erkennens einer ‚Außenwelt‘ zu verstehen ist. Durch den prozessualen und generativen Entwurfscharakter von Wissen erhalten Forschende eine methodische Schärfung für die Analyse der Materialität wissenschaftlicher Praxis. Dies begünstigt den in vielen geistes- und kulturwissenschaftlichen Bereichen unlängst begonnen Neuorientierungsprozess weg von einer humanistischen Gegenüberstellung des vernunftbegabten Menschen und einer unbelebt-statischen Materie hin zur einer „Onto-epistemologie“ (Barad);1 in dieser Perspektive werden die materiellen Aspekte von Phänomenen und Wissensprozessen nicht nur auf der Höhe neuerer Entwicklungen der Naturwissenschaften betrachtet, sondern menschliche Praktiken generell als Bestandteil von materiellen Konfigurationen der Welt in ihrem interaktiven Werden akzeptiert. Das Beispiel lebenswissenschaftlicher Verbundforschung erfordert gleichsam Ansätze, die untersuchten Repräsentationsformen nicht als ‚Abbilder‘ zu verstehen, sondern als Inskriptionen von materiellen Spuren des Lebendigen. Denn die dahinterliegenden Übersetzungsketten zwischen der epistemischen Repräsentation und der von Canguilhem betonten sich im Überschusscharakter des Ästhetischen manifestierenden Widerständigkeit und Materialität des Lebendigen geben Auskunft über die Dyna-

1

Barad, 2017 [2003], S. 100.

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mik und den Kontingenzreichtum biologischer Normalität (Borsò). 2 Durch die Spannung zwischen diesem biologischen Surplus des Organismus und den epistemischen Funktionen medizintechnischer Inskriptionen bekommen ebenso die Anthropologie und die Medien- bzw. Bildwissenschaften Anregungen, indem ein Zugang zur Analyse historischer Präkonfiguration zur Produktion von Evidenz und Wirkmacht durch Bilder in den Lebenswissenschaften angeboten wird. Damit erbringt die vorliegende Arbeit den Beweis der Fruchtbarkeit der Transdisziplinarität zwischen Geistes-/Kulturwissenschaften, Biowissenschaften und Medizin. Zugleich zeigt sie, wie man „Situiertes Wissen und regionale Epistemologie“ (DeuberMankowsky und Holzhey) 3 ausgehend von der Spezifizität zu untersuchender Wirklichkeitssektoren als offenen Raum der Wissensproduktion entwerfen kann, in welchem sich Projekte im Spannungsfeld zwischen institutionellen und methodischen Plattformen und Unvorhersehbarkeiten bei der praktischen Durchführung ständig fortschreiben und konkrete epistemische und materielle Widerständigkeiten offenlegen. Zweitens: Wissenschaftshistorisch wird mit dem Aufspüren der Entwurfs- und Projektereignisse in den drei untersuchten SFB und mit ihrer Einbettung in die Geschichte kardiovaskulärer Forschung erstmalig für dieses Forschungsfeld ein medizinhistorischer Narrativ zwischen Menschen-, Institutions- und Technikgeschichte entwickelt. Er bietet den ‚Kit‘ zur projektepistemologischen Methodensynopse. Im wissenschaftshistorischen Vorgehen erwies es sich als hilfreich, zentrale medizinische Konzepte zunächst von ihrer Begriffsgenese her zu erfassen, sie im Rahmen der eigenen Konzeption zuzuordnen, um dadurch weitergehende Transformationsprozesse in der Medizingeschichte nachzuzeichnen. So konnten für kardiovaskuläre Verbundforschung grundlegende Transformationsketten untersucht werden, wie etwa das Verhältnis von Pathologie und Normalität (Canguilhem), den „ärztlichen Blick“ (Foucault), die „experimentelle Medizin“ und der Organismus als offenes, aber auch von außen „provoziertes“ System (Bernard), der Übergang von einer ‚mechanischen‘ zu einer ‚molekularen‘ Sicht auf das Herz- Kreislaufsystem sowie das Erfordernis eines ständigen Oszillierens zwischen reduktionistischen und holistischen Ansätzen und die Bedeutung von Kompensation für translationale Medizin. Der Fokus der vorliegenden Arbeit auf Interaktionsfelder und ‚translational gaps‘ zwischen Labor und Klinik bringen die verwendeten geisteswissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen bzw. biomedizinischen Ansätze zusammen. Im Ergebnis geschieht dies, indem unterschiedliche Experimentalsysteme sowie biomedizinische Plattformen in einem – durch die Institutionsgeschichte des UKD/der HHU und die

2

Borsò, in: dies. (Hg.), 2014, S. 250.

3

So der Titel des Sammelbandes zur Aktualität George Canguilhems und Donna J. Haraways, Deuber-Mankowsky/Holzhey (Hg.), 2013.

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Durchführung der drei kardiovaskulären SFB gestützten – Netzwerk zur Darstellung kommen. Der Vorteil der Analyse von Forschungsverbundprojekten wie SFB ist zum einen – sofern zur Verfügung stehend – die fortlaufende Dokumentation der Forschung durch die Anträge und Arbeitsberichte. Zum anderen fokussiert die Verbundforschung verschiedene Akteure (von Disziplinen und Personen bis hin zu Apparaten, Molekülen und Organismen) auf eine gemeinsame Fragestellung und einen Forschungsgegenstand. Anhand der Analyse vergleichbarer experimenteller Plattformen und gemeinsamer Tiermodelle werden forschungsleitende Perspektiven im Verbund sichtbar. Hierbei kommt es nicht notwendigerweise darauf an, ein Paradigma zu teilen und jedwede Inkommensurabilität auszuräumen. Es geht vielmehr um gemeinsame praktische Strategien zur Herstellung interner Referenten in Form von Modellen und genutzten Geräten. Für die Wissenschaftsgeschichte ist hierbei zentral, dass verschiedene Denkmodelle auf diese Weise sowohl kontrastiert als auch in ihrer gegenseitigen technisch-methodischen Bedingtheit und historischen Entwicklung zusammengedacht werden können. Drittens: Wissenschaftsorganisatorisch wird mit den Düsseldorfer kardiovaskulären SFB eine spezifische Betrachtung der Dynamiken möglich, die den Übergang von der Einzel- zur Verbundforschung charakterisieren. Die DFG, die 2018 das fünfzigjährige Bestehen des Programms Sonderforschungsbereiche feierte, findet in der vorliegenden Arbeit konkrete Nachweise der experimentellen Phase des Programms sowie der produktiven Funktion seiner Richtlinien, des Begutachtungsverfahrens sowie der Vor-Ort-Berichtskolloquien, durch welche die Integration von einzelnen Forschungsinstituten bis hin zur Kooperation von Klinik und Forschung implementiert wurde – etwa am Beispiel der Konsolidierung von Kooperationsstrukturen im SFB 30 in den 1970er Jahren, nachdem der Verbund als Netz bilateraler Bezüge begonnen hatte (Kap. 2.4.3). Durch die Vorzüge der ANT (Latour) und des Plattformkonzepts (Keating/Cambrosio) war es möglich, Menschen-, Technik-, Bau- und Institutionsgeschichte miteinander zu verflechten und in eine Forschungsgeschichte zu überführen. Die HHU und andere Hochschulen erhalten damit einen beispielhaften Überblick der Voraussetzungen und Netzwerke eines Standorts zur erfolgreichen Einwerbung von Verbundprojekten über mehrere Förderperioden und Dekaden hinweg.

420 | Projektepistemologie

5.3 ANWENDBARKEIT DES ERKENNTNISMODELLS Welche Fragen zur Anwendbarkeit von Projektepistemologie sind noch offen? Nehmen wir an, man möchte ein interdisziplinäres Verbundprojekt zu Prozessen des Alterns konzipieren4 oder projektepistemologisch untersuchen. Welche methodologischen Maßnahmen könnte man hierzu ergreifen und welche forschungsleitenden Fragen stellen? Da Projektepistemologie weniger als ein starres Korsett, sondern als konzeptionell offenes Methodenmodell zu verstehen ist, welches sich durch weitere Ansätze modifizieren und adaptieren lässt, ist es problematisch, einen allgemeingültigen Algorithmus oder eine ‚Checkliste‘ zur Analyse von Verbundforschung zu formulieren. Das Thema Prozesse des Alterns gibt aber hinreichende Anknüpfungspunkte, um zumindest eine erste stichpunktartige Orientierung zu geben und seinen eigenen Entwurfsplan hinsichtlich des Materials, der Methoden und der forschungsleitenden Fragen abzustecken. Materialfragen5 Ist das zu untersuchende Projekt durch ein übergeordnetes (evtl. staatliches) Programm gefördert? Welche wissenschaftspolitischen Ziele und Maßnahmen sind mit diesem Programm verbunden? Gibt es eine übergeordnete wissenschaftspolitische und/oder gesellschaftliche „urgence“ (Foucault), auf die ein strategischer Imperativ antworten muss? Welche Synopsen müssen die Forschenden herbeiführen, wenn Sie der „urgence“ und dem strategischen Imperativ antworten wollen, um eine Projektförderung zu erhalten? Wie genau sieht die Verfahrensordnung des Förderprogramms aus? In welchen Zeitabständen und in welcher Form werden die Ergebnisse abgefragt und wie sind sie dokumentiert? An welcher Institution ist das Projekt angesiedelt? Gibt es ein instituts- oder fakultätsübergreifendes Forschungsprogramm und ein gemeinsames geistiges wie materielles Netzwerk mit einer rekonstruierbaren Geschichte zur Schwerpunktbildung in der Erforschung von Prozessen des Alterns? In der vorliegenden Arbeit hat es sich als fruchtbar erwiesen, von den Forschungsanträgen, den Zwischen- und Abschlussberichten der untersuchten SFB auszugehen, da hier die forschungsleitenden Programme eines Verbundes besonders sichtbar werden. Für die Analyse konkreter Experimente sind die jeweiligen

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Alfons Labisch danke ich für den Hinweis des Erweiterungspotenzials von Projektepistemologie auf laufende und zu beantragende Verbundprojekte.

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Betreffen die retrospektive Analyse von Verbundforschung.

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Teilprojektanträge aufschlussreich, weil hier zumeist in knapper Form wichtige experimentelle Vorarbeiten verdichtet zur Darstellung und kommen und die Perspektive für das beantragte Arbeitsprogramm formuliert wird. Zudem verweisen Teilprojektanträge in der Regel auf eine begrenzte Zahl von wichtigen Publikationen, die für eine Charakterisierung konkreter Experimentalsysteme herangezogen werden können. Für eine projektepistemologische Untersuchung von Verbundforschung ist deshalb vorab zu klären, ob die wichtigsten Forschungsanträge und berichte zugänglich sind und zitiert werden dürfen. Hierbei muss auf entsprechende Archivsperren und/oder Geheimhaltungsrichtlinien der Förderinstitution geachtet werden. Die Nutzung eines Universitätsarchivs war für die vorliegende Arbeit von Vorteil, um das Material der untersuchten SFB mit der Institutionsgeschichte der HHU zu verbinden. Im Bundesarchiv Koblenz aufgefundenes allgemeines Material zum SFB-Programm gab wichtige Hinweise zur Verknüpfung der Geschichte des Förderverfahrens und der Entwicklung des SFB 30. Der direkte Kontakt zu im Projekt beteiligten Forschenden hat sich als großer Vorteil erwiesen. Dies ermöglicht ausgehend von den Forschungsanträgen, Experteninterviews zu führen und ggf. Informationen zu wichtigen Transformationen und Diskontinuitäten bei der Projektdurchführung zu erhalten. Methodologische und forschungsleitende Fragen6 Die konzeptionelle und methodische Offenheit von Projektepistemologie erlaubt, sowohl den Vorschlag der verwendeten Ansätze (Bachelard/Heidegger, Canguilhem, Latour, Rheinberger, Keating/Cambrosio) zu modifizieren als auch zu kürzen bzw. zu erweitern. Da sich Forschung zu Prozessen des Alterns ähnlich wie HerzKreislaufforschung zwischen Labor und Klinik sowie auf gesellschaftlicher Ebene abspielt, ist zunächst zu klären, ob ein weiteres grundlegendes Konzept der projektepistemologischen Methodensynopse hinzugefügt werden soll. Hierbei wäre vorab die Frage entscheidend, ob es sich beim zu untersuchenden Projekt um einen rein biomedizinischen oder um einen Verbund handelt, der auch sozial- und geisteswissenschaftliche Teilprojekte stellt. Denn dies wiederum würde die grundlegende Frage aufwerfen, welche gemeinsamen epistemischen Dinge (Rheinberger) der Verbund bearbeitet, zumal sich der Prozess der materiellen Definition von epistemischen Dingen in den Geisteswissenschaften und in der Biomedizin grundsätzlich voneinander unterscheiden dürfte. Als einer der ersten Schritte hinsichtlich des Aufbaus der vorzunehmenden Arbeit müsste geklärt werden, ob es eine zentrale wissenschaftliche Kontingenz bei der Projektdurchführung gibt, auf die der zu konzipierende historische Narrativ hin-

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Betreffen sowohl die retrospektive Analyse abgeschlossener als auch die projektepistemologische Evaluation laufender oder zu beantragender Verbundprojekte.

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auslaufen kann. Es ist dabei nicht wichtig, ob die experimentelle oder klinische Kontingenz weit über die Fachcommunity hinaus sichtbar ist, von entscheidender Bedeutung ist vielmehr, ob sich die zentralen Denkmodelle der beteiligten Forscher und damit die Perspektive auf Prozesse des Alterns dadurch verändern können bzw. verändert haben (z.B. bei Fortsetzungsanträgen). Es sollte vorab geklärt werden, welche bildgebenden Verfahren der Verbund verwendet und ob es während der Projektdurchführung zur Einführung neuer Methoden und Verfahren gekommen ist, die das Potenzial aufweisen, den epistemischen Zugang zur Produktion von wissenschaftlicher Evidenz grundsätzlich zu verändern. Welche ikonographische, aisthetische und diagnostische Wirkmacht erzeugten die Bilder auf ihrem Weg vom Labor in die klinische Praxis? Welche Inskriptionen und/oder Bilder wurden aus ihrem ursprünglichen Kontext herausgenommen, um zu einer Synopse der physiologischen und/oder gesellschaftlichen Funktion von Prozessen des Alterns zu kommen? Welche supplementären Nachträglichkeiten – z.B. bei der Definition von neuen Objektbereichen – sind bei solchen Prozessen auszumachen? Speziell für die Erforschung von Prozessen des Alterns wäre eine weitere wichtige methodische Frage für ein diesbezügliches projektepistemologisches Vorhaben, inwiefern das Konzept der Kompensation im Forscherverbund eine Rolle spielt. Denn die unerwartete Kompensation des Organismus hat sich in der vorliegenden Studie als erkenntnistreibende Kontingenz erwiesen, indem biologische Normalität mit Canguilhem als normenschaffender Überschreitungsprozess betrachtet und die Kompensation der transgenen Maus als biologischer Surplus charakterisiert wurde. Welche biologischen, klinischen und sozialen Dimensionen der Kompensation betreffen Prozesse des Alterns und mit welchen Strategien, Methoden und Modellen richtet sich der Verbund auf unerwartete Ergebnisse hierzu ein? Schließlich wäre sowohl für eine retrospektive Untersuchung eines abgeschlossenen Verbundprojekts als auch für die projektepistemologische Evaluation von laufenden oder zu beantragenden Initiativen wichtig herauszuarbeiten, welche Lücken zwischen Grundlagen und Anwendung vorab festzustellen sind. Denn diese Lücken bestimmen, wie genau das Erfordernis eines Oszillierens zwischen holistischen und reduktionistischen Perspektiven im Verbund auf Prozesse des Alterns zu formulieren wäre und welche Methoden, Apparate, Repräsentationen und Denkmodelle sich dabei überlagern und supplementieren. Für einen Forschungsantrag wären diese Elemente zugleich als gegebene Plattform (‚dispositionelle‘ Vorarbeiten) und als Projektionen im Arbeitsprogramm für die Projektdurchführung zur Synopse zu bringen. Diese Synopse könnte Anhaltspunkte geben, wie die genaue Strukturierung der Projektbereiche und Teilprojekte des Forscherverbunds aussehen könnte. Bei der Zuordnung der Projektbereiche und der Teilprojekte sollte die Produktion von erkenntnistreibenden Differenzen im Vordergrund stehen, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, auf unvorhersehbare Kontingenzen bei der Projektdurchfüh-

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rung zu stoßen, die womöglich zu Innovationen führen. Demnach wäre es ratsam, nicht nur auf dem Papier, sondern vor allem methodisch interdisziplinär zu arbeiten; d.h. klinische, laborwissenschaftliche und geisteswissenschaftliche Methoden sollten im gemeinsamen Problemhorizont der Prozesse des Alterns zur Geltung kommen. Die Projektbereiche und Teilprojekte wären demnach mit Arbeitsgruppen zu besetzen, die durch das Oszillieren zwischen Holismus (Perspektive auf Gesamtorganismus und Gesellschaft) und Reduktionismus (Perspektive auf Zellen/Moleküle und sozio-materielle Praktiken) zu aussagefähigen, reproduzierbaren und dekontextualisierbaren Daten kommen, die auf gemeinsamen Plattformen bearbeitet und in gemeinsame Repräsentationsräume übersetzt werden können. Einerseits wäre der Verbund damit durch die gemeinsam genutzten methodischen Plattformen geschlossen genug, um eine Kontinuität im normalwissenschaftlichen Betrieb zu erzeugen, anderseits bliebe er offen genug für den unvorhersehbaren Kontingenzreichtum von Prozessen des Alterns und der damit verbundenen Konzeption von epistemischen Dingen. Projektepistemologie bietet durch ihre Anschlussfähigkeit an die historische Epistemologie, die Science & Technology Studies (STS) und die Akteur-NetzwerkTheorie (ANT) ein hohes Anwendungs- und Entwicklungspotenzial. Denn die projektepistemologische Untersuchung von Forscherverbünden leistet selbst Synthese und Synopse (vgl. Abb. 8, S. 121), indem die forschungsleitenden Konzepte für weitere projektepistemologische Untersuchungen adaptierbar und modifizierbar zur Verfügung gestellt werden.

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ZEITSCHRIFTENARTIKEL Wie bereits in den Lektürehinweisen der vorliegenden Arbeit erwähnt, werden Zitate aus biomedizinischen Fachzeitschriften gemäß den Einträgen der Meta-Datenbank „PubMed“ der National Library of Medicine (USA) abgekürzt. Dies betrifft in folgender Auflistung vor allem Autoren- und Journalabkürzungen und hat den Vorteil der leichteren Recherche der Artikel bei PubMed. Zusätzlich wird die PubMedIdentifikationsnummer (PMID) angegeben. Bei nicht PubMed-gelisteten Fachartikeln werden die (Kurz-)Angaben des jeweiligen Deckblatts übernommen, wobei die Abkürzungen der Autorenvornamen angeglichen werden. Ankeny RA, Leonelli S. What’s so special about model organisms? Studies in History and Philosophy of Science. 2011;42:313-323. Arnold G, Kosche F, Miessner E, Neitzert A, Lochner W. The importance of the perfusion pressure in the coronary arteries for the contractility and the oxygen consumption of the heart. Pflugers Arch. 1968;299(4):339-56 (PMID: 5247 223). Arnold G, Morgenstern C, Lochner W. The autoregulation of the heart work by the coronary perfusion pressure. Pflugers Arch. 1970;321(1):34-55 (PMID: 5529 741). Arnold WP, Mittal CK, Katsuki S, Murad F. Nitric oxide activates guanylate cyclase and increases guanosine 3':5'-cyclic monophosphate levels in various tissue preparations. Proc Natl Acad Sci USA. 1977 Aug;74(8):3203-7 (PMID: 20623). Baron CP, Andersen HJ. Myoglobin-induced lipid oxidation. A review. J Agric Food Chem. 2002 Jul 3;50(14):3887-97 (PMID: 12083855). Blömer H. When Cardiology became a seperate matter. Eur J Med Res. 2006;11: 415-7 (PMID: 17107874). Breithardt G, Lösse B, Horstkotte D. IXth European Congress of Cardiology, Düsseldorf, 8-12 July 1984. Final Report of the Organizing Committee. Eur. Heart J. 1985; 6:368-370 (PMID: 6734655). Breithardt G, Seipel L. Laudatio anlässlich des 90. Geburtstages von Professor Dr.med. Dr. h.c. Franz Loogen. Clin Res Cardiol. 2009;98:341-3 (PMID: 19504142) Breithardt G, Seipel L. Zum Tode von Prof. Dr. med. Dr. h.c. Franz Loogen (13.04.1919–03.09.2010). Dem Nestor der deutschen Kardiologie. Kardiologe 2010; 4:500–501. Braun R, Willnow E. Die „Knockout“-Maus als Krankheitsmodell: Prinzipien und klinische Relevanz. Dt Ärztebl 1996; 93: A-1765–1769 [Heft 26].

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„Liste der laufenden Sonderforschungsbereiche“, in: Internetseite der DFG, unter: http://www.dfg.de/gefoerderte_projekte/programme_und_projekte/listen/index.j sp?id=SFB, Stand: 17.11.2018. „MNR-Klinik“, in: Internetseite des Universitätsklinikums Düsseldorf, unter: http:// www.uniklinik-duesseldorf.de/pflege/pflege-in-kliniken/mnr-klinik, Stand: 12. 02.2017. „Modulmerkblatt Rotationsstelle“ [01/13], in: Formulare und Merkblätter für Sonderforschungsbereiche auf der Internetseite der Deutschen Forschungsgemeinschaft, unter: http://www.dfg.de/foerderung/programme/koordinierte_programm e/sfb/formulare_merkblaetter/, Stand: 31.03.2017. „Monitoring des Förderprogramms Sonderforschungsbereiche, Bericht 2010“, in: Internetseite der Deutschen Forschungsgemeinschaft, unter: http://www.dfg.de/ dfg_profil/zahlen_fakten/evaluation_studien_monitoring/studien/bericht_monit oring_sfb/index.html, Stand: 17.11.2018. „Mouse Strain Datasheet-002105“, in: Internetseite des Jackson Laboratory, unter: https://www.jax.org/strain/002105, Stand: 25.10.2016. „Myoglobin“, in: Internetseite des Instituts für Molekulare Kardiologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, unter: http://www.nmr.hhu.de/sets/myoglobin. html, Stand: 25.07.2016. „Nature“, in: Internetseite des Journals, unter: http://www.nature.com/npg_/com pany_info/journal_metrics.html, Stand: 27.09.2017. „Neues aus der Medico//S-Welt“, Newsletter der IT-Kommission des Universitätsklinikums Düsseldorf vom 18.05.2005, in: Internetseite des Universitätsklinikums Düsseldorf, unter: http://bit.ly/2gJSJCG, Stand: 14.02.2017. „Nichtamtliches Inhaltsverzeichnis des Tierschutzgesetztes“, in: Internetseite des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, unter: https://www .gesetze-im-internet.de/tierschg/BJNR012770972.html, Stand: 25.10.2016. „NMRI“, in: Internetseite des kommerziellen Anbieters Janvier-Labs, unter: http:// www.janvier-labs.com/forschungsmodelle/per-arten/auszucht-maeuse/product/n mri.65.html, Stand: 25.10.2016. „Nomenclature for Mouse Strains“, in: Internetseite des Jackson Laboratory, unter: https://www.jax.org/jax-mice-and-services/customer-support/technical-support/ genetics-and-nomenclature, Stand: 24.10.2016. „Organigramme des Universitätsklinikums Düsseldorf“, in: Internetseite des Universitätsklinikums Düsseldorf, unter: http://www.uniklinik-duesseldorf.de/unter nehmen/organigramme/, Stand: 14.02.2017. „Partnerinstitutionen und An-Institute der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf“ in: Internetseite der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, unter: http://www .uni-duesseldorf.de/home/universitaet/partner-und-freunde-der-universitaet/part nerinstitutionen-und-aninstitute.html, Stand: 19.02.2017.

450 | Projektepistemologie

„Patienteninformation und Einverständniserklärung zur Biobank des Universitätsklinikums Düsseldorf“, in: Internetseite des Universitätsklinikums Düsseldorf, unter: http://www.uniklinik-duesseldorf.de/fileadmin/Datenpool/einrichtungen/ universitaetstumorzentrum_id505/neu2012/Dateien/Biobank_Einverstaendnis.p df, Stand: 14.02.2017. „Pioniere der deutschen Kardiologie“, in: Internetseite des Historischen Archivs der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e.V., unter: http://historischesarchiv.dgk.org/pioniere-der-deutschen-kardiologie/, Stand: 04.02.2017. „PubMed“-Recherche zu „platform[title]“, Internetseite der US National Library of Medicine (National Institutes of Health), unter: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/ pubmed?term=platform[Title], Stand: 19.10.2018. „pre-review copy“ vom Zeitschriftenartikel Davies, Body & Society 2012, 18 (3-4): S. 126-155, in: Internetseite der University of Exeter, unter: https://ore.exeter. ac.uk/repository/handle/10871/14253, Stand: 13.03.2013. Ringertz, N.: „Alfred Nobel’s Health and His Interest in Medicine“, in: Internetseite des Nobelpreises, unter: https://www.nobelprize.org/alfred_nobel/biographical/ articles/ringertz/, Stand: 02.09.2016. „Satzung der Ethikkommission an der Medizinischen Fakultät der Heinrich-HeineUniversität Düsseldorf vom 28. Juli 2008“, in: Internetseite der Heinrich-HeineUniversität Düsseldorf, unter: http://www.medizin.hhu.de/fileadmin/redaktion/ Fakultaeten/Medizinische_Fakultaet/Dekanat/Dok_Ethikkommission/Mitglieder _der_EK/Satzung_EK_Med_Fak_HHU_Duesseldorf_28-07-2008.pdf, Stand: 18.02.2017. „Signaltransduktion“, in: Lexikon der Biologie (Online), Internetseite von „Spektrum der Wissenschaft“, unter: http://www.spektrum.de/lexikon/biologie/signal transduktion/61524, Stand: 30.09.2017. Smithies, Oliver: „Nobel Lecture, December 7, 2007“, S. 210, PDF auf der Nobelpreis-Internetseite, unter: https://www.nobelprize.org/nobel_prizes/medicine/lau reates/2007/smithies-lecture.html, Stand: 23.07.2016. „Sonderforschungsbereiche“, in: Internetseite der DFG, unter: http://www.dfg.de/ foerderung/programme/koordinierte_programme/sfb/, Stand: 31.10.2018. Streiter, Axel: „Der Zauber der Runden“, in: „40 Jahre Sonderforschungsbereiche“, S. 6-7, SFB-Beiheft der Deutschen Forschungsgemeinschaft, in: Internetseite der Deutschen Forschungsgemeinschaft, unter: http://www.dfg.de/foerderung/ programme/koordinierte_programme/sfb/publikationen/index.html, Stand: 04. 11.2018. Strohschneider, Peter: „Schockierend neu“, in: „40 Jahre Sonderforschungsbereiche“, S. 8, SFB-Beiheft der Deutschen Forschungsgemeinschaft, in: Internetseite der Deutschen Forschungsgemeinschaft, unter: http://www.dfg.de/foer

Literatur und Quellen | 451

derung/programme/koordinierte_programme/sfb/publikationen/index.html, Stand: 04.11.2018. „Theorie“, in: Internetseite des Instituts für Molekulare Kardiologie, HeinrichHeine-Universität Düsseldorf, unter: http://nmr.uni-duesseldorf.de/sets/theorie. html, Stand: 07.07.2017. „Tumorbank des UTZ“ (Onkologie, UTZ=Universitätstumorzentrum), in: Internetseite des Universitätsklinikums Düsseldorf, unter: http://www.uniklinik-dues seldorf.de/unternehmen/kliniken/tumorzentrum/organisation-des-utz/einrichtun gen-des-utz/tumorbank-des-utz/, Stand: 16.02.2017. „WHO definition of Health“, in: Internetseite der Weltgesundheitsorganisation (WHO), unter: https://www.who.int/suggestions/faq/en/, Stand: 07.12.2018. „Willkommen im Zentrum für Operative Medizin II“, in: Internetseite des Universitätsklinikums Düsseldorf, unter: http://www.uniklinik-duesseldorf.de/unternehm en/zentren/zentrum-fuer-operative-medizin-ii/, Stand: 13.02.2017. „Wissen im Entwurf. Zeichnen und Schreiben als Verfahren der Forschung“, in: Internetauftritt der Initiative, unter: http://knowledge-in-the-making.mpiwg-berlin .mpg.de/knowledgeInTheMaking/de/index.html, Stand: 06.05.2017. „ZETT – Zentrale Einrichtung für Tierforschung und wissenschaftliche Tierschutzaufgaben“, in: Internetseite der ZETT (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf), unter: http://www.medizin.hhu.de/forschung/forschungseinrichtungen/forschungs einrichtungen-an-der-medizinischen-fakultaet/zett.html, Stand: 04.11.2018. „Zusammenfassung des SFB 1116 ‚Master Switches bei kardialer Ischämie‘“, in: Internetseite der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, unter: http://www.sfb 1116.hhu.de/de.html, Stand: 17.06.2017.

452 | Projektepistemologie

WÖRTERBÜCHER UND NACHSCHLAGEWERKE Die Zuordnung von Zitaten aus Wörterbüchern und Nachschalgewerken zum Literaturverzeichnis erfolgt mit Hilfe der Abkürzungen ‚Lit.verz., WB & NW‘ in den jeweiligen Fußnoten (siehe Abkürzungsverzeichnis und Lektürehinweise). Bunia, Remigius, in: Nünning, Ansgar (Hg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, 3. aktualisierte und erweiterte Auflage, Stuttgart/Wiesbaden: Metzler, 2004, S. 640, Eintrag: „Supplement“. Deutsches Fremdwörterbuch von Otto Basler, Hg. v. Walter de Grupter & Co., Berlin, 1942, Band 2, S. 677-679, Eintrag: „Projekt“. Dictionnaire de la langue française, par E. Littré, Paris: Gallimard, Hachette, 1967, S. 1343, Eintrag: „Projet“. Dictionnaire historique de la langue française: contenant les mots français en usage et quelques autres délaissés, avec leur origine proche et lointaine: leur apparition datée dans l’usage, depuis l’an 842 jusqu’a nos jours … (éd. par Alain Rey), Paris: Dictionnaires Le Robert, 2016, S. 2964-2965, Eintrag: „Projet“. Labisch, Alfons / Paul, Norbert, in: Korff, Wilhelm (Hg.): Lexikon der Bioethik, Band 2 (G-Pa), Gütersloh: Gütersloher Verl.-Haus, 1998, S. 630-642, Eintrag: „Medizin“. Le Dictionnaire universel d’Antoine Furetière, [Nachdr. d. Ausg.] La Haye [u.a.], 1690, Paris: SNL – Le Robert, 1978, keine Seitenangabe, Eintrag: „Projet“. Le Grand Robert de la langue française, 2. éd. / dir. par Alain Ray, nouvelle édition augmentée, Robert: Paris, 2001, S. 1269, Eintrag: „Projet“. Le Nouveau Petit Robert, Dictionnaire alphabétique et analogique de la Langue Française, Dictionnaires Le Robert: Paris: 2004, S. 2088, Eintrag: „Projet“. Probst, P., in: Historisches Wörterbuch der Philosophie von Joachim Ritter (Hg.), Basel [u.a.]: Schwabe, 2001, Band 2, S. 564, Eintrag: „Entwurf“. Trésor de la langue française: dictionnaire de la langue du XIXe et du XXe siècle (1789-1960), Tome 13, Paris: Édition du Centre National de la Recherche Scientifique, 1971, S. 1293-1294, Eintrag: „Projet“. Zapf, Hubert, in: Nünning, Ansgar (Hg.), Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, Dritte, aktualisierte und erweiterte Auflage, Stuttgart/Wiesbaden: Metzler, 2004, S. 116, Eintrag: „Différance/Différence“.

Literatur und Quellen | 453

ARCHIVQUELLEN Zu den nach den Titeln aufgeführten Abkürzungen der folgenden Archivquellen siehe das Abkürzungsverzeichnis und die Lektürehinweise zu Beginn der vorliegenden Arbeit. Quellen zur Institutionsgeschichte der Heinrich-Heine-Universität (Lit.verz., AQ: Inst.gesch. HHU) Derra, Ernst: „Die Aufgaben der Chirurgischen Klinik im Rahmen der Städtischen Krankenanstalten und der Medizinischen Akademie zu Düsseldorf“, in: Universitätsarchiv der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Best. UAD 1/2 Nr. 730. Gutschow, Konstanty: „Kleine Frankreichreise. Zur Besichtigung von Krankenhäusern vom 29. August bis 5. September 1953“, in: Universitätsarchiv der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Best. UAD 1/2 Nr. 492. Gutschow, Konstanty: „Chirurgische Klinik Düsseldorf. Buchveröffentlichung“, in: Universitätsarchiv der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Best. UAD 1/2 Nr. 730. „Rechenschaftsbericht des Rektors für die Zeit vom 30.05.1984-30.05.1985“ vom 21.05.1985, in: Universitätsarchiv der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Best. UAD 3/9 Nr. 998. Quellen zum Sonderforschungsbereich 30 Finanzierungsanträge des SFB 30 (Lit.verz., AQ: Finanz.antr. SFB 30) Finanzierungsantrag des SFB 30 „Kardiologie“ für die Jahre 1970-1971-1972, Universität Düsseldorf, 1969, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-10750. Finanzierungsantrag des SFB 30 „Kardiologie“ für die Jahre 1971-1972-1973, Universität Düsseldorf, 1970, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-10858. Finanzierungsantrag des SFB 30 für die Jahre 1974-1975-1976, Universität Düsseldorf, 1973, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-11393. Finanzierungsantrag des SFB 30 für die Jahre 1977-1978-1979, Universität Düsseldorf, 1976, in: Universitätsarchiv der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Best. UAD 7-44, Nr. 56 (I). Finanzierungsantrag des SFB 30 für die Jahre 1980-1981-1982, Universität Düsseldorf, 1979, in: Universitätsarchiv der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Best. UAD 7-36 157. Finanzierungsantrag des SFB 30 für die Jahre 1983-1984-1985, Universität Düsseldorf, 1982, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-114788.

454 | Projektepistemologie

Selbstdarstellung des SFB 30 anlässlich der Begutachtung in der vierten Förderperiode am 16.-17. Juli 1981 in Düsseldorf, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-84027. Arbeits- und Abschlussberichte des SFB 30 (Lit.verz., AQ: Arb./Abschl.ber. SFB 30) Arbeitsbericht des SFB 30 für die Jahre 1968-1971, Universität Düsseldorf, ohne Jahr, in: Dt. Zentralbibliothek für Medizin, Köln. Arbeitsbericht des Sonderforschungsbereiches 30 „Kardiologie“ für das Jahr 1972, Universität Düsseldorf, 1973, in: Dt. Zentralbibliothek für Medizin, Köln. Arbeitsbericht des SFB 30 für die Jahre 1973-1975, Universität Düsseldorf, 1976, in: Universitätsarchiv der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Best. UAD 744, Nr. 55. Arbeitsbericht des SFB 30 für die Jahre 1976-1978, Universität Düsseldorf, 1979, in: Universitätsarchiv der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Best. UAD 736 156. Abschlussbericht des SFB 30 Kardiologie für die Jahre 1982-1985, Universität Düsseldorf, 1985, in: Dt. Zentralbibliothek für Medizin, Köln. Protokolle der Berichtskolloquien und Gutachtersitzungen des SFB 30 (Lit.verz., AQ: Prot.-Ber.koll./GA-Sitz. SFB 30) Entscheidungsvorschlag der Deutschen Forschungsgemeinschaft-Geschäftsstelle vom 09.11.1976 (hier zum Aspekt der Kooperation und methodischen Abstimmung des SFB 30 und zum Verhältnis von Grund- und Ergänzungsausstattung), in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-12019. Entscheidungsvorschlag der Deutschen Forschungsgemeinschaft-Geschäftsstelle vom 12.11.1979 (hier zum Aspekt Überführung von Teilprojekt H2 in die klinische Routine), in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-77026. Gutachtersitzung zum SFB 30 am 08.10.1970 (hier zum Aspekt der Entwicklungstendenz des SFB), in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-10857. Protokoll des Berichtskolloquiums des SFB 30 vom 25.05.1976 in Düsseldorf (hier u.a. zum Aspekt der wissenschaftlichen Kommunikation des SFB 30), in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-12020. Protokoll der Gutachterklausur vom 24.10.1973 in Düsseldorf (hier zum Aspekt der Kooperation und Beantragungspolitik des SFB 30), in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-11393. Vorschlag der Deutschen Forschungsgemeinschaft-Geschäftsstelle vom 06.10.1981 zur Langfristigkeitsprüfung des SFB 30 am 15.-16.07.1981 (hier zum Aspekt der Kooperation und Entwicklung des SFB 30), in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-84027.

Literatur und Quellen | 455

Korrespondenz zum SFB 30 (Lit.verz., AQ: Korr. SFB 30) Auszug aus dem Ergebnisprotokoll des ad-hoc-Ausschusses für die Sonderforschungsbereiche am 16.10.1968 bezüglich der Fördersumme für das Jahr 1968, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-10615. Bewilligungsbescheid der Deutschen Forschungsgemeinschaft vom 20.12.1972 (hier zum Aspekt der Mittel zur Gewinnung und Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses), in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-11186. Bewilligungsschreiben der Deutschen Forschungsgemeinschaft vom 05.11.1968, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-10615. Bewilligungsschreiben des Kultusministeriums des Landes NRW vom 22.11.1968, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-10615. Bewilligungsschreiben der Deutschen Forschungsgemeinschaft vom 08.01.1970 in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-10750. Ergebnisprotokoll der Sitzung des „ad-hoc“-Ausschusses für die Sonderforschungsbereiche vom 07.05.1969 (hier zum Aspekt der Begründung beantragter Mittel), in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-10677. Gutachten zum SFB 30 vom 23.04.1969 und vom 30.04.1969 (hier zum Aspekt der Kooperation im SFB 30), in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-10677. Korreferat zum SFB 30 Kardiologie vom 28.04.1969 (zum Aspekt „SFB [30] als eine Art Großgeräte-Programm“), in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B22710677. Korrespondenz zur Beschaffung der Röntgenanlage für den SFB 30, in: Bundesarchiv Koblenz, Best B227-10615 und B227-10677. Programm des Kolloquiums der kardiologischen Sonderforschungsbereiche vom 13.-14.04.1978 in Düsseldorf, in: Universitätsarchiv der Heinrich-HeineUniversität Düsseldorf, Best. UAD 7-36 155. Schreiben der Deutschen Forschungsgemeinschaft vom 26.09.1968 an einen der für den SFB 30 zuständigen Gutachter bezüglich der Verausgabung der Sondermittel für das Jahr 1968, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-10615. Schreiben des Sprechers des SFB 30 an den Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft vom 26.06.1976 (hier zum Aspekt der Mittel für Personalund Sachkosten des SFB 30), in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-11836. Schreiben des Sprechers des SFB 30 „Zusammenstellung der Sonderforschungsbereiche, die auf dem Gebiet der Herz- und Kreislaufforschung tätig sind“ vom 27.07.1976, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-11836. Stellungnahme der Deutschen Forschungsgemeinschaft vom 29.01.1975 zur Besetzung des Lehrstuhls für Experimentelle Chirurgie, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-11615. Zuwendungsbestätigung des Kultusministers des Landes NRW vom 22.11.1968, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-10615.

456 | Projektepistemologie

Quellen zum Sonderforschungsbereich 242 Arbeits- und Abschlussberichte des SFB 242 (Lit.verz., AQ: Arb./Abschl.ber. SFB 242) Arbeitsbericht des SFB 242 für die Jahre 1986-1988, Universität Düsseldorf, 1988, in: Dt. Zentralbibliothek für Medizin, Köln. Arbeitsbericht des SFB 242 für die Jahre 1992-1994, Universität Düsseldorf, 1994, in: Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf. Quellen zum Sonderforschungsbereich 612 Finanzierungsanträge des SFB 612 (Lit.verz., AQ: Finanz.antr. SFB 612) Finanzierungsantrag des SFB 612 für die Jahre 2002-2003-2004 (SFB 1919 zur Zeit der Antragsinitiative), Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, 2001, in: Privatarchiv des SFB 612. Finanzierungsantrag des SFB 612 für die Jahre 2009-2010-2011-2012, HeinrichHeine-Universität Düsseldorf, 2008, in: Privatarchiv des SFB 612. Arbeits- und Abschlussberichte des SFB 612 (Lit.verz., AQ: Arb./Abschl.ber. SFB 612) Arbeits- und Ergebnisbericht des SFB 612 für die Jahre 2002-2004, HeinrichHeine-Universität Düsseldorf, 2005, in: Privatarchiv des SFB 612, in: Privatarchiv des SFB 612. Abschlussbericht des SFB 612, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, 2014, in: Privatarchiv des SFB 612. Internetseite des SFB 612 Die Internetseite ist mit der Beendigung des SFB 612 im Jahre 2012 offline gegangen. Aus dem Privatarchiv des SFB liegen HTML-Dateien des Internetauftritts von Mai 2003 vor. Köhrer, Karl: „Z1 – Zentrale Bioanalytik“, in: Internetseite des SFB 612, HTMLDatei aus dem Privatarchiv des SFB 612. Dokumente der Deutschen Forschungsgemeinschaft Hinweise zur Antragsstellung für Sonderforschungsbereiche aus dem Jahre 1978, in: interne Teamablage „Vordrucke“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Genehmigung des Leiters der Gruppe Sonderforschungsbereiche vom 11.04. 2017).

Literatur und Quellen | 457

DFG-Bericht über die Schwerpunktprogramme im Jahresbericht für 1963 der FritzThyssen-Stiftung, (ohne Autor), S. 82-86, in: Archiv der Fritz-Thyssen-Stiftung für Wissenschaftsförderung, Köln. Fischer, F.W. für die Deutsche Forschungsgemeinschaft, DFG-Bericht zum Schwerpunktprogramm „Kardiovaskuläres System“ im Jahresbericht für 1967 der Fritz-Thyssen-Stiftung, S. 56-75, in: Archiv der Fritz-Thyssen-Stiftung für Wissenschaftsförderung, Köln. Unveröffentlichte Manuskripte Seipel, Ludger und Both, Anton: Franz Loogen und seine Bedeutung für die deutsche Kardiologie, 2015, (unveröffentlichtes Manuskript). Interviews und persönliche Mitteilungen Interviews (chronologisch) Interview zum SFB 30 mit Gunther Arnold, Schriftführer und Teilprojektleiter im SFB 30 am 09.06.2015. Interview zur Hämodynamikmessung im SFB 30 mit Gunther Arnold, Schriftführer und Teilprojektleiter im SFB 30 am 01.08.2016. Interview zur kardiovaskulären Forschung in Düsseldorf mit Jürgen Schrader, Sprecher des SFB 612 am 18.06.2015. Interview zu transgenen Tiermodellen in der kardiovaskulären Forschung und den Düsseldorfer kardiovaskulären SFB mit Axel Gödecke, wissenschaftlicher Sekretär und Teilprojektleiter im SFB 612 am 26.04.2016. Persönliche Mitteilungen Cortese-Krott, Miriam M., Teilprojektleiterin im SFB 1116: persönliche Mitteilung vom 07.09.2016 zum „Mensch-gemachten System der Natur“. Gödecke, Axel, wissenschaftlicher Sekretär und Teilprojektleiter im SFB 612: persönliche Mitteilung vom 13.04.2017 zu „enttäuschenden Phänotypen“ transgener Mäuse. Jacoby, Christoph, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Molekulare Kardiologie und an der Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie (HHU/ UKD): persönliche Mitteilung vom 26.04.2016 zur Myoglobin-Knockout-Maus. Labisch, Alfons, emeritierter Direktor des Instituts für Geschichte der Medizin der HHU: persönliche Mitteilung vom 16.07.2012 zum Verhältnis Labor und Klinik. Projektleiter Gentechnik der ZETT – Zentrale Einrichtung für Tierforschung und wissenschaftliche Tierschutzaufgaben (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf):

458 | Projektepistemologie

persönliche Mitteilung vom 17.03.2017 zur Anzahl der transgenen Mauslinien an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abbildung 1 (S. 54), Darstellung des epistemischen Raums des Experiments gemäß Rheinberger, Copyright: Thomas Krämer, Sequenzierungsgel unten links entnommen aus: Gödecke et al., Cardiovasc Res. 2002 Jan;53(1):253-62. (Copyright: Oxford University Press. Lizenznummer: 4451970407954 vom 18.10. 2018). Abbildung 2 (S. 75), Das Kymographion von Carl Ludwig, A) Die Versuchsanordnung, B) Die Inskription, die den Blutdruck in einer Kurve darstellt, Copyright: „The Virtual Laboratory“, entnommen aus: Langendorff, 1891, S. 206 (Abb. 2A) und S. 207 (Abb. 2B), in: Interseite des MPIWG, Berlin „The Virtual Laboratory“, unter: http://vlp.mpiwg-berlin.mpg.de/index_html, Stand: 30.04.2017 (Genehmigung von „The Virtual Laboratory“ vom 18.07.2017). Abbildung 3 (S. 82), Wallers erste Darstellung eines menschlichen EKG in Silhouettenform (unten), zusammen mit Pulskurve (Mitte) und Zeitmarkierung (oben), Copyright: John Wiley and Sons, entnommen aus: Waller AD. J Physiol. 1887 Oct; 8(5): 229-234 (Lizenznummer: 4412490628609 vom 19.08.2018). Abbildung 4 (S. 84), Illustration zum Rekonstruierverfahren von Einthoven, Copyright: Springer Nature, entnommen aus: Einthoven, Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere. 1895, Volume 60, Issue 3-4, 101-123 (Lizenznummer: 4396020392917 vom 25.07.2018). Abbildung 5 (S. 86), Einthovens Darstellung der registrierten (hell/gepunktet) und der rekonstruierten EKG-Kurve (matt/gestrichelt), Copyright: Springer Nature, entnommen aus: Einthoven, Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere. 1895, Volume 60, Issue 3-4, 101-123 (Lizenznummer: 4396020392917 vom 25.07.2018). Abbildung 6 (S. 93), Einthovens Gegenüberstellung von Kapillarelektrometergenerierter EKG-Silhouette (oben) und der daraus rekonstruierten EKG-Kurve (unten) mit jeweils vermerkten Zeitmarkierungen, Copyright: Springer Nature, entnommen aus: Einthoven, Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere. 3. Nov. 1903, Volume 99, Issue 9-10, 472-80 (Lizenznummer: 4396021258126 vom 25.07.2018). Abbildung 7 (S. 94) Lithographische Tafel mit sechs originalen EKG-Ableitungen, Copyright: Springer Nature, entnommen aus: Einthoven, Pflügers Archiv für die

Literatur und Quellen | 459

gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere. 3. Nov. 1903, Volume 99, Issue 9-10, 472-80 (Lizenznummer: 4396021258126 vom 25.07.2018). Abbildung 8 (S. 121), Synopse Projektepistemologie, Copyright: Thomas Krämer. Abbildung 9 (S. 139), Die Städtischen Krankenanstalten Düsseldorf, A) Luftbild, Copyright: Rockefeller Foundation, entnommen aus: Hoffmann, Methods & Problems of Med. Educ., 1929 (11), S 19 (Genehmigung der Rockefeller Foundation vom 12.05.2017). B) Lageplan der Städtischen Krankenanstalten von 1907, Copyright: Verlag A. Bagel, Düsseldorf, entnommen aus: Greve, 1907 (Rechtsinhaber des Bildes nicht ausfindig zu machen). Abbildung 10 (S. 141), Vorläufer von Plattform-Hospitälern: Die Chirurgische Klinik der Städtischen Krankenanstalten Düsseldorf (1903-1907), Ansicht von Nord, Postkarte von 1909, Copyright: Universitätsklinikum Düsseldorf, Unternehmenskommunikation (Genehmigung vom 13.08.2018). Abbildung 11 (S. 143), Neubau der Medizinischen Klinik um 1926, Copyright: Rockefeller Foundation, entnommen aus: Hoffmann, Methods & Problems of Med. Educ., 1929 (11), S. 22 (Genehmigung der Rockefeller Foundation vom 15.05.2017). Abbildung 12 (S. 146), Plattform-Architektur für Krankenhäuser adaptiert nach Murken (1988, S. 235), Copyright: Thomas Krämer. Abbildung 13 (S. 148), Die Chirurgische Klinik, A) Die Chirurgische Klinik der Medizinischen Akademie Düsseldorf kurz nach ihrer Inbetrieb-nahme 1958, Copyright: Archiv Krankenhausbau des XX. Jahrhunderts (TU Berlin), unter: http://www.xxarchiv.de, Stand: 18.03.2013 (Genehmigung des Archivs Krankenhausbau vom 20.02.2017). B) Die Chirurgische Klinik mit dem 2004 in Betrieb genommenen Erweiterungsbau „Zentrum für Operative Medizin I“, Copyright: Universitätsklinikum Düsseldorf, Unternehmenskommunikation (Genehmigung vom 13.08.2018). Abbildung 14 (S. 155), Die Medizinisch-Neurologisch-Radiologische Klinik (MNR-Klinik), A) Richtfest der MNR-Klinik, Copyright: Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (Genehmigung von Alfons Labisch aus 05/2014). B) Die MNR-Klinik, Ansicht von Süd-West heute (2017), Copyright: Universitätsklinikum Düsseldorf, Unternehmenskommunikation (Genehmigung vom 13.08.2018). Abbildung 15 (S. 164), Vereinfachte Darstellung der organisatorischen Struktur des Universitätsklinikums Düsseldorf als Hospital-Plattform adaptiert nach Murken (1988, S. 235), Copyright: Thomas Krämer. Abbildung 16 (S. 177), Elektrokardiogramm und Suspensionskurve des Ventrikels einer Temporaria [Grasfrosch, Rana temporaria] gleichzeitig übereinanderge-

460 | Projektepistemologie

schrieben, Copyright: Springer Nature, entnommen aus: Hoffmann, Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere, 1910 (133), 11-12, S. 552-578 (Lizenznummer: 4396030490368 vom 25.07.2018). Abbildung 17 (S. 178), Rana esculenta (Teichfrosch): Herz ausgeschnitten am Sinus auf Korkplatte im Trichter befestigt, Copyright: Springer Nature, entnommen aus: Hoffmann, Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere, 1910 (133), 11-12, S. 552-578 (Lizenznummer: 4396030490368 vom 25.07.2018). Abbildung 18 (S. 180), Elektrokardiogramm und Spitzenstoß gleichzeitig mittels zweier Galvanometer am Menschen aufgezeichnet, Copyright: Springer Nature, entnommen aus: Hoffmann, Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere, 1910 (133), 11-12, S. 552-578 (Lizenznummer: 4396030490368 vom 25.07.2018). Abbildung 19 (S. 182), Synoptisches Schema des zeitlichen Verhaltens (von oben nach unten) vom EKG zu Herztönen, Spitzenstoß und Karotispuls, Copyright: Verlag J.F. Bergmann (Wiesbaden), entnommen aus: Hoffmann, 1913, S. 29. Abbildung 20 (S. 185), Klinisches elektrokardiographisches Setting, A) Ein am Saitengalvanometer angeschlossener Patient mit einer EKGAbleitung von rechter und linker Hand zur Illustration der Anordnung der Elektroden für die Extremitäten-Ableitung in Einthovens erster Veröffentlichung über das EKG als klinisches Diagnoseinstrument, Copyright: Hart Long Centrum Leiden (Einthoven Foundation), entnommen aus: „Hart Long Centrum Leiden“, in: Internetseite des Hart Long Centrums Leiden, unter: https:// hartlongcentrum.nl/overons/einthoven/, Stand: 03.06.2015 (Genehmigung des Hart Long Centrums Leiden vom 07.02.2017). B) Vollständiges klinisches Setting der EKG-Abteilung der Medizinischen Klinik der Akademie für praktische Medizin aus dem Jahre 1911, Copyright: Verlag J.F. Bergmann (Wiesbaden), entnommen aus: Hoffmann, 1911, S. 154. C) EKG-Abteilung der Medizinischen Klinik der Medizinischen Akademie Düsseldorf im Untergeschoss des Neubaus der Medizinischen Klinik von 1924, Copyright: Rockefeller Foundation, entnommen aus: Hoffmann, Methods & Problems of Med. Educ., 1929 (11), S. 23 (Genehmigung der Rockefeller Foundation vom 15.05.2017). Abbildung 21 (S. 216), Der kardiovaskuläre Nukleus in Düsseldorf (späte 1960er und 1970er Jahre), Copyright: Thomas Krämer, Fotos entnommen aus: Jahrbüchern der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (Genehmigung von Düsseldorf University Press und den Herausgebern des Bandes „100 Jahre Hochschulmedizin in Düsseldorf“ vom 23.08.2018). Abbildung 22 (S. 256), Das methodische Spektrum der experimentellen Kardiologie, Copyright: Thomas Krämer.

Literatur und Quellen | 461

Abbildung 23 (S. 267), Schematische Darstellung der Versuchsanordnung des isolierten, isovolumetrisch arbeitenden Meerschweinchenherzens, Copyright: Springer Nature, entnommen aus: Arnold et al., Pflugers Arch. 1968;299(4): 339-56 (Lizenznummer: 4396040844073 vom 25.07.2018). Abbildung 24 (S. 268), Die Originalregistrierung der Versuche zeigt den Einfluss eines gesteigerten koronaren Perfusionsdruckes auf das isolierte, isovolumetrisch arbeitende Meerschweinchenherz, Copyright: Springer Nature, entnommen aus: Arnold et al., Pflugers Arch. 1968;299(4):339-56 (Lizenznummer: 4396040844073 vom 25.07.2018). Abbildung 25 (S. 270), Schematische Darstellung der in-vivo-Versuche an narkotisierten Hunden mit kanülierten Koronararterien und kanülierter Aorta, Copyright: Springer Nature, entnommen aus: Arnold et al., Pflugers Arch. 1970;321 (1):34-55 (Lizenznummer: 4396040967777 vom 25.07.2018). Abbildung 26 (S. 272), Die Originalregistrierung der Versuche zeigt den Einfluss eines zunächst gesenkten und dann gesteigerten koronaren Perfusionsdruckes an einem narkotisierten Hund mit kanülierten Koronararterien und kanülierter Aorta, Copyright: Springer Nature, entnommen aus: Arnold et al., Pflugers Arch. 1970;321(1):34-55 (Lizenznummer: 4396040967777 vom 25.07.2018). Abbildung 27 (S. 310), Protokoll zur Herstellung von Knockout Mäusen, Copyright: Thomas Krämer, modifiziert nach Graw, Biologie in unserer Zeit, 2007, 6(37), 352-354 sowie Braun/Willnow, Dt Ärztebl 1996; 93: A-1765–1769 [Heft 26]. Abbildung 28 (S. 312), Heute gebräuchliche elektrophoretische Darstellung der Expression eines Enzyms (hier eine sog. „Western Blot“-Analyse des Enzyms der endothelialen Stickstoffmonoxid-Synthase [eNOS] in kardialen Proteinextrakten), Copyright: Oxford University Press, entnommen aus: Gödecke et al., Cardiovasc Res. 2002 Jan;53(1):253-62 (Lizenznummer: 4451970407954 vom 18.10.2018). Abbildung 29 (S. 324), Strategie des „gene targeting“ und die molekulare und makrostrukturelle Verifikation der Ausschaltung von Myoglobin in transgenen Mäusen, Copyright: National Academy of Sciences, USA (1999), entnommen aus: Gödecke et al., Proc Natl Acad Sci USA. 1999 Aug 31;96(18):10495-500 (Genehmigung der Zeitschrift PNAS vom 25.07.2016). Abbildung 30 (S. 329), Synoptische Darstellung von Messergebnissen hämodynamischer und metabolischer Parameter zur Produktion von Differenzen zwischen Myoglobin-Knockout- und Wildtypmäusen, Copyright: National Academy of Sciences, USA (1999), entnommen aus: Gödecke et al., Proc Natl Acad Sci USA. 1999 Aug 31;96(18):10495-500 (Genehmigung der Zeitschrift PNAS vom 25.07.2016). Abbildung 31 (S. 330), Strukturelle Veränderungen im Gewebe der MyoglobinKnockout-Maus im Vergleich zum Wildtyp, Copyright: National Academy of

462 | Projektepistemologie

Sciences, USA (1999), entnommen aus: Gödecke et al., Proc Natl Acad Sci USA. 1999 Aug 31;96(18):10495-500 (Genehmigung der Zeitschrift PNAS vom 25.07.2016). Abbildung 32 (S. 349), Diagnostisches Spektrum der „Düsseldorfer Mäuseklinik“ adaptiert nach Schrader, in: Jahrbuch der HHU, 2003, S. 94, Copyright: Thomas Krämer. Abbildung 33 (S. 355), 9.4 Tesla Bruker-UltraShieldTM-Magnet (links im Bild) im Institut für Molekulare Kardiologie der Universität Düsseldorf, Copyright: Institut für Molekulare Kardiologie, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, unter: http://nmr.uni-duesseldorf.de/sets/hardware.html, Stand: 04.09.2016 (Genehmigung des Instituts für Molekulare Kardiologie vom 14.09.2017). Abbildung 34 (S. 356), Schematische Darstellung einer in-vivo-Messung im MRTSpektrometer samt Probenkopf mit Einlassung in das Gradientensystem (links), Einlassung der Maus in den Probenkopf (rechts), Copyright: Institut für Molekulare Kardiologie, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, unter: http://nmr. uni-duesseldorf.de/sets/hardware.html, Stand: 04.09.2016 (Genehmigung des Instituts für Molekulare Kardiologie vom 14.09.2017). Abbildung 35 (S. 357), Transversaler Schnitt des Mäuseherzens (links), Koronaler Schnitt des Mäuseherzens (rechts), Copyright: Institut für Molekulare Kardiologie, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, unter: http://nmr.uni-duesseldorf.de /sets/herz.html, Stand: 04.09.2016 (Genehmigung des Instituts für Molekulare Kardiologie vom 14.09.2017). Abbildung 36 (S. 362), ex-vivo-Untersuchungen an transgenen Mäuseherzen, A) Positionierung des Langendorff-Herzens in den MRT-Scanner. B) Größenvergleich eines Mäuseherzens mit einem herkömmlichen Streichholz. Copyright: Institut für Molekulare Kardiologie, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, unter: http://nmr.uni-duesseldorf.de/sets/hardware.html, Stand: 10. 09.2016 (Genehmigung des Instituts für Molekulare Kardiologie vom 14.09.20 17). Abbildung 37 (S. 368), Die graphische Zusammenfügung der 1H- und 31P-Spektren von isolierten Wildtyp-Herzen zeigt den Effekt einer steigenden NO-Konzentration auf den kardialen Myoglobin-Status (links) und den kardialen Energiehaushalt (rechts), Copyright: Institut für Molekulare Kardiologie, HeinrichHeine-Universität Düsseldorf, unter: http://nmr.uni-duesseldorf.de/sets/myogl obin.html, Stand: 10.09.2016 (Genehmigung des Instituts für Molekulare Kardiologie vom 14.09.2017). Abbildung 38 (S. 371), Schematische Synopse (zelluläres ‚Bühnen-Setting‘) der von den SFB-Forschern postulierten möglichen Interaktionen von Myoglobin und NO, Copyright: Institut für Molekulare Kardiologie, Heinrich-HeineUniversität Düsseldorf, unter:

Literatur und Quellen | 463

http://nmr.uni-duesseldorf.de/sets/myoglobin.html, Stand: 10.09.2016 (Genehmigung des Instituts für Molekulare Kardiologie vom 14.09.2017).

Anhang

ANHANG 1-5: PROJEKTBEREICHE UND TEILPROJEKTE DES SFB 30

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Anhang 1: Inhaltsverzeichnis, Finanzierungsantrag des SFB 30 „Kardiologie“ für die Jahre 1970-1971-1972, Universität Düsseldorf, 1969, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-10750, (Lit.verz., AQ: Finanz.antr. SFB 30).

Anhang | 467

Anhang 2: Teilprojektstruktur des SFB 30 nach der Neustrukturierung der Antragsvordrucke durch die DFG im Finanzierungsantrag des SFB 30 für die Jahre 19741975-1976, Universität Düsseldorf, 1973, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B22711393, (Lit.verz., AQ: Finanz.antr. SFB 30).

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Anhang | 469

470 | Projektepistemologie

Anhang | 471

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Anhang 3: Übersicht der Teilprojekte des SFB 30 im Finanzierungsantrag des SFB 30 für die Jahre 1977-1978-1979, Universität Düsseldorf, 1976, in: Universitätsarchiv der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Best. UAD 7-44, Nr. 56 (I), (Lit.verz., AQ: Finanz.antr. SFB 30).

Anhang | 473

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Anhang | 475

476 | Projektepistemologie

Anhang | 477

478 | Projektepistemologie

Anhang 4: Übersicht der neuen Projektbereich- und der Teilprojektstruktur im Finanzierungsantrag des SFB 30 für die Jahre 1983-1984-1985, Universität Düsseldorf, 1982, in: Bundesarchiv Koblenz, Best. B227-114788, (Lit.verz., AQ: Finanz.antr. SFB 30).

Anhang | 479

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482 | Projektepistemologie

Anhang | 483

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Anhang 5: Projektbereiche im SFB 30 von 1968-1985 und die daraus hervorgegangene Anzahl an Publikationen, Habilitationen und Promotionen, in: Abschlussbericht des SFB 30 Kardiologie für die Jahre 1982-1985, Universität Düsseldorf, 1985, in: Dt. Zentralbibliothek für Medizin, Köln, (Lit.verz., AQ: Arb./Abschl.ber. SFB 30).

Anhang | 485

486 | Projektepistemologie

ANHANG 6: CHRONOLOGIE DER DÜSSELDORFER HERZ-KREISLAUFMEDIZIN 1891-2015 Die Angaben erfolgen nach den jeweiligen Jahreszahlen gemäß der Kategorien Kardiologie (K), Kardiochirurgie (KC) und Akademie- bzw. Universitätsgeschichte (AK). Die Zusammenstellung der Chronologie wurde auf Grundlage der Recherchen zur Düsseldorfer Herz-Kreislaufforschung im Rahmen der vorliegenden Arbeit angefertigt. Aus diesem Grund ist die Auswahl der medizinhistorischen Quellen subjektiv und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Nachnamen und Bezeichnungen von eingeführten Prozeduren mit Eigennamen werden in Großbuchstaben angegeben. AK = Allgemeines zur Akademiegeschichte. K = Kardiologie. KC = Kardiochirurgie. 1891-K

1898/1899 K

1900 K

1901 K

1901 AK

Der Internist August HOFFMANN (1862-1929) ließ sich als Facharzt für Innere Medizin und Nervenkrankheiten in Düsseldorf nieder.1 HOFFMANN integrierte die 1895 von RÖNTGEN entdeckten X-Strahlen in seine klinische Arbeit mit Bezug zu HerzKreislauferkrankungen. 2 HOFFMANN publizierte seine vielbeachtete Monographie „Die paroxysmale Tachykardie (Anfälle von Herzjagen)“, in der er das „Herzjagen“ in seinem Mechanismus als gehäufte Extrasystole richtig erkannt hat. 3 HOFFMANN publizierte sein Lehrbuch „Pathologie und Therapie der Herzneurosen und der funktionellen Kreislaufstörungen“.4 Erlass der neuen Prüfungsordnung für Ärzte vom 28.05.1901, auf Grundlage derer Mediziner nach vollständiger bestandener ärztlicher Prüfung noch ein Jahr an einer Universitätsklinik oder einem dazu ermächtigten Krankenhaus des Deutschen Reiches als Medizinalpraktikanten tätig sein mussten, bevor sie sich als prak-

1

Schönberg, 1975, S. 70

2

Hoffmann, Verh. Kongr. Inn. Med. 1898, 16:316-327 und Hoffmann, Dt. Med. Wochenschr. 1899, 25: 243-245.

3

Hoffmann, 1900.

4

Hoffmann, 1901.

Anhang | 487

1903 K

1904 AK

1907 AK/K

1911 K

1913 K 1913 K

1914-1915 K

tische Ärzte niederlassen durften. 5 Dies war eine wichtige Voraussetzung für die Gründung einer Akademie für praktische Medizin in Düsseldorf. HOFFMANN gründete mit einigen Fachkollegen die „Rheinisch-Westfälische-Gesellschaft für Innere Medizin und Nervenheilkunde“.6 In der entscheidenden Stadtverordnetenversammlung am 05.01. 1904 wurde der „Bau eines Allgemeinen Krankenhauses in Verbindung mit der Errichtung einer Akademie für praktische Medizin“ beschlossen.7 Als Mitglied des Stadtparlaments für die Liberale Partei von 1904-1906 hatte HOFFMANN maßgeblichen Einfluss bei der Planung und Umsetzung des Baus der Anstalten.8 Eröffnung der Städtischen Krankenanstalten und der Akademie für praktische Medizin. HOFFMANN wurde erster Direktor der Medizinischen Klinik. HOFFMANN publizierte sein wissenschaftliches Hauptwerk „Funktionelle Diagnostik und Therapie der Erkrankungen des Herzens und der Gefäße“.9 HOFFMANN wurde der Charakter als Geheimer Medizinalrat von Kaiser Wilhelm II verliehen. 10 HOFFMANN publizierte sein Buch „Die Elektrokardiographie als Untersuchungsmethode des Herzens und ihre Ergebnisse insbesondere für die Herzunregelmäßigkeiten“ 11, in welchem er früh für die Notwendigkeit plädierte, alle drei EINTHOVEN’schen Ableitungen bei der Registrierung zu beachten. 12 Vier Infektionsbaracken wurden erbaut und der Direktion der Medizinischen Klinik unterstellt. 13

5

Schadewaldt, 1973, S. 37.

6

Schönberg, 1975, S. 70.

7

Schadewaldt, 1973, S. 37.

8

Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 68.

9

Hoffmann, 1911.

10 Schönberg, 1975, S. 71. 11 Hoffmann, 1913. 12 Schwartze, Gesamte Inn. Med. 1989;44:714-7. 13 Schadewaldt, 1973, S. 127.

488 | Projektepistemologie

1916 K

1920 K 1920 K

1919 AK 1923 AK/K 1923-1924 K

1924 K 1926 K

1927 K

1927 K 1929 K

Ernst EDENS (1876-1944) publizierte sein vielbeachtetes Buch „Die Digitalisbehandlung“14, welches bis 1948 dreimal neu aufgelegt wurde. EDENS veröffentlichte sein Lehrbuch zur Perkussion und Auskultation.15 Erich BODEN (1883-1956) leistete durch die im Kontext seiner EKG-Studien durchgeführten grundlagenwissenschaftlichen Untersuchungen (1920) am Säugetierherzen Pionierarbeit, indem er erstmals „das nach LANGENDORFF durchströmte Herz aus einer Salzlösung indirekt, ‚fluid‘ mit Platinenblechelektroden ableitete […]“ und so die Vergleichbarkeit von in vivo und ex vivo gewonnen Daten nachwies. Das frei schlagende überlebende Herz konnte bei dieser Methode zahlreichen physiologischen und pharmakologischen Fragestellungen unterworfen werden.16 Aufnahme des klinischen Unterrichts an der Akademie für praktische Medizin. 17 Gründung der Medizinischen Akademie. HOFFMANN wurde im Juli 1923 erster Ordinarius für Innere Medizin. 18 Obwohl zunächst als schwacher Klinikleiter angesehen, wurde HOFFMANN zum ersten Rektor der Medizinischen Akademie Düsseldorf ernannt. 19 Bezug des Neubaus der Medizinischen Klinik. Die Medizinische Poliklinik wird unter der Leitung von Erich BODEN verwaltungsmäßig von der Medizinischen Klinik abgetrennt.20 HOFFMANN vollendete sein wissenschaftliches Werk mit seiner zweibändigen „Differentialdiagnostik der Krankheiten der Brustorgane und des Kreislaufs“. 21 HOFFMANN wurde emeritiert. EDENS publizierte sein wissenschaftliches Hauptwerk „Die Krankheiten des Herzens und der Gefäße“.22

14 Edens, 1916. 15 Edens, 1920. 16 Vgl. Schönberg, 1975, S. 86. 17 Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 19. 18 Ebd., S. 345. 19 Schönberg, 1975, S. 22. 20 Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 345. 21 Hoffmann, 1927.

Anhang | 489

1927 K

1930 KC 1931 K

1932 K

1933 K

1933 AK

1934 K

1935 AK

Siegfried THANNHAUSER (1885-1962) wurde von 1927-1930 Ordinarius für Innere Medizin und Direktor der Medizinischen Klinik. 1930 wurde THANNHAUSER nach Freiburg berufen. 23 Ein Pionier der Thoraxchirurgie, Emil Karl FREY (1888-1977) wurde zum Leiter der Chirurgischen Klinik. 24 Ernst EDENS wurde Ordinarius für Innere Medizin und Direktor der Medizinischen Akademie. EDENS führte die von HOFFMANN eingeführte Tradition kardiologischer Forschung in Düsseldorf fort. 25 Erich BODEN publizierte sein bis 1952 siebenfach neuaufgelegtes Lehrbuch „Elektrokardiographie für die ärztliche Praxis“26, welches ihn über Deutschlands Grenzen hinweg als den „EKGLehrer einer ganzen […] Generation“ bekannt machte.27 Die Medizinische Poliklinik erhielt zwei zusätzliche Baracken, wodurch die Bettenzahl der Medizinischen Klinik von 293 auf 383 stieg.28 Mit dem am 07.04.1933 vom NS-Regime eingeführten „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ wurden an den Städtischen Krankenanstalten bis 1935 insgesamt 17 Ärzte, fünf Medizinalpraktikanten, eine Schwester, drei technische Volontärinnen und zwei Angestellte entlassen. 29 EDENS führte die zunächst umstrittene Strophantinbehandlung der Angina pectoris ein. 30 Einen für Jahrzehnte bedeutenden Fortschritt stellte EDENS’ Erkenntnis dar, dass die Angina pectoris allein durch die Beseitigung einer myokardialen Insuffizienz mittels Strophantin gebessert oder beseitigt werden konnte. 31 Die Medizinische Akademie erhielt ein eigenes Promotionsrecht.32

22 Edens, 1929. 23 Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 345 24 Ebd., S. 375. 25 Ebd., S. 345. 26 Boden, 1932 [1952]. 27 Schönberg, 1975, S. 86. 28 Ebd., S. 39-40. 29 Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 146. 30 Edens, Münch. Klin. Wochenschr. 1934, 37: 1424-1427. 31 Grosse-Brockhoff, in: Jahrbuch der HHU 1971/1972, S. 87. 32 Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 19.

490 | Projektepistemologie

1934-1945 K

1937 K

1938 KC 1939 K

1939 K

1942/1943 AK 1944 K 1945 K

1945 K

Aufgrund seiner Zwangspensionierung von 1934-1945 durch das NS-Regime übte Erich BODEN ärztliche Tätigkeit an der Klinik Golzheim in Düsseldorf aus, an welcher er nach seiner Emeritierung im Jahre 1954 ein kardiologisch-wissenschaftliches Institut schuf.33 EDENS veröffentlichte seine bis 1944 fünfmal neuaufgelegte Schrift „Digitalisfibel für den Arzt“34, welche eines der ersten medizinischen Taschenbücher darstellte und viele tausend Ärzte in der Rezept- oder Brieftasche lange Jahre hindurch begleitete.35 Karl FREY operierte in Düsseldorf erstmalig einen offenen Ductus arteriosus Botalli. 36 EDENS publizierte seine Theorie über die Dynamik des Mitralklappenfehlers 1939 mit der sorgfältig geprüften Erkenntnis, dass der linke Vorhof direkt auf das rechte Herz einwirken kann. 37 Ernst EDENS war Tagungspräsident der Jahrestagung der „Deutschen Gesellschaft für Kreislaufforschung“ mit dem Themenschwerpunkten 1. „Elektrokardiogramm“ und 2. „Therapie der Herzinsuffizienz“.38 Die Medizinische Klinik wurde durch Bombenangriffe stark beschädigt.39 Am 19.03.1944 verstarb Ernst EDENS in seiner Klinik, mitten aus der Arbeit gerissen.40 Der nach dem Tod EDENS zunächst verwaiste Lehrstuhl für Innere Medizin wurde in der schwierigen Nachkriegszeit durch Erich BODEN besetzt.41 Am 01.11.1945 wurde die bisher in Bau III gemeinsam mit der Medizinischen Klinik untergebrachte Poliklinik als 2. Medizinische Klinik und Medizinische Poliklinik in das ehemalige Pflegeheim Himmelgeisterstraße (heute Kieferklinik) verlegt; die

33 Schönberg, 1975, S. 82-83. 34 Edens, 1937. 35 Blumberger, in: Jahrbuch der HHU 1976/1977, S. 73. 36 Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 373. 37 Edens, 1939. 38 Arnold, in: ders./Lüderitz (Hg.), 2002, S. 45. 39 Schönberg, 1975, S. 41. 40 Ebd. 41 Schönberg, 1975, S. 203.

Anhang | 491

Medizinische Klinik wurde in 1. Medizinische Klinik umbenannt. 42 1946 KC Der Bonner Chirurg Ernst DERRA (1901-1979) wurde zum Klinikleiter der Chirurgischen Klinik.43 Seit 1946 KC Einführung der Intubationsnarkose und neuer Beatmungstechniken durch Ernst DERRA und Martin ZINDLER.44 1947-1948 AK BODEN wurde Rektor der Medizinischen Akademie. 1948/1949 K/KC Die ersten Herzkatheteruntersuchungen wurden in Düsseldorf durchgeführt und nur ein Jahr später konnte unter der Mitarbeit der Röntgenabteilung der Chirurgie (Heinz VIETEN, 1915-1985) eine gute Kontrastmitteldarstellung des Herzens und der Gefäße erzielt werden.45 1949 K Hubert MEESSEN (1909-1992) wurde Leiter des Instituts für Pathologie.46 1949 KC Einrichtung einer Fremdblutentnahmestation in der Chirurgischen Klinik.47 1950 KC Ernst DERRA: Erste Operation einer Mitralklappenstenose, Entrindung beim Panzerherz, Resektion Aortenisthmusstenose, Herzstecksplitterentfernung.48 1950 K GROSSE-BROCKHOFF publizierte sein bis 1969 wiederaufgelegtes, vielbeachtetes Lehrbuch „Pathologische Physiologie“ 49, womit er eine rational und kausaltherapeutisch ausgerichtete Analyse von Herz-Kreislaufkrankheiten begründete.50 1952 KC Ernst DERRA: Sprengung Aortenklappenstenose. 51 1952 K Einrichtung der ersten kardiologischen Ambulanz an der 1. Medizinischen Klinik. 52

42 Ebd. 43 Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 373. 44 Ebd., S. 379. 45 Loogen, in: Jahrbuch der HHU 1978-1980, S. 207. 46 Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 328. 47 Ebd., S. 157. 48 Bircks, in: Jahrbuch der HHU 1978-1980, S. 204. 49 Grosse-Brockhoff, 1969 [1950]. 50 Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 350. 51 Bircks, in: Jahrbuch der HHU 1978-1980, S. 204. 52 Breithardt/Seipel, Kardiologe 2010; 4:500-501.

492 | Projektepistemologie

1952 K

1954 K 1954 K 1954 K

1955 KC 1957 KC

1957 K/KC 1958 KC 1958 K 1958 KC

1959 KC 1960 K

BODEN war Tagungspräsident der Jahrestagung der „Deutschen Gesellschaft für Kreislaufforschung“ mit dem Themenschwerpunkt „Elektrokardiogramm.“53 BODEN wurde emeritiert. Franz GROSSE-BROCKHOFF wurde Ordinarius für Innere Medizin und Direktor der 1. Medizinischen Klinik. GROSSE-BROCKHOFF verfasste den von ihm bis zur 8. Auflage fortgeführte kardiologischen Teil „Herz- und Gefäßkrankheiten“ im von DENNING herausgegebenen „Lehrbuch der Inneren Medizin“ (1954).54 Ernst DERRA: Erste offene Herz-OP in Oberflächen-Unterkühlung in Kontinentaleuropa. 55 DERRA war Tagungspräsident der Jahrestagung der „Deutschen Gesellschaft für Kreislaufforschung“ mit dem Themenschwerpunkt 1. „Kreislauf in Narkose und Hypothermie“, 2. „Angeborene Herzfehler“. 56 Sven EFFERT gelang es erstmalig, Herzklappenfehler echokardiographisch nachzuweisen. 57 Neubau der Chirurgischen Klinik. GROSSE-BROCKHOFF lehnte den Ruf an die Universität Bonn ab.58 Ernst DERRA gab zusammen mit Otto BAYER und Wilhelm BOLT sein mehrfach wiederaufgelegtes „Handbuch der Thoraxchirurgie, Chirurgische Operationslehre“ (3 Bde., Berlin 19581959; Leipzig [8. Aufl.] 1969).59 Ernst DERRA: Erste offene Herz-OP mit Herz- Lungenmaschine (MAYO-GIBBON), Kardioplegie: Kaliumzitrat-Herzstillstand.60 Errichtung des Physiologischen Instituts unter der Leitung von Wilhelm LOCHNER (1922-1979).61

53 Arnold, in: ders./Lüderitz (Hg.), 2002, S. 45. 54 Effert, in: Jahrbuch der HHU 1980-1981, S. 15. 55 Bircks, in: Jahrbuch der HHU 1978-1980, S. 200. 56 Arnold, in ders./Lüderitz (Hg.), 2002, S. 45. 57 Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 156. 58 Schönberg, 1975, S. 86. 59 Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 156, FN 147. 60 Bircks, in: Jahrbuch der HHU 1978-1980, S. 204. 61 Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 158.

Anhang | 493

1960 K 1960 KC 1960-1962 KC 1961 K/KC

1962 KC 1962-1963 AK 1963 KC

1963 KC 1963 K/KC 1964 KC 1965 KC

Kurt GREEF (1920-1998) wurde Leiter des Instituts für Pharmakologie und Klinische Pharmakologie. 62 Ernst DERRA: Koronarperfusion. 63 Erweiterung der Chirurgischen Klinik um eine chirurgische Poliklinik.64 Ernst DERRA: Lokale Hypothermie des Herzens mit Eis, erster Aortenklappenersatz.65 Der in den USA ausgebildete Assistenzarzt Dr. Heinz Joachim SYKOSCH (1926-2017) implantierte (gegen den Willen DERRAs) erstmals in Deutschland einen Herzschrittmacher. 66 Fanz LOOGEN baute daraufhin die erste Schrittmacherambulanz in Düsseldorf auf. 67 Ernst DERRA: Erster Mitralklappenersatz.68 GROSSE-BROCKHOFF wurde Rektor der Medizinischen Akademie. Die Klinik für Anästhesiologie, die Neurochirurgische Klinik, die Klinik für Radiologie und Strahlenheilkunde, und die Urologische Klinik wurden von der Chirurgischen Klinik verselbstständigt.69 Ernst DERRA: Operation der IHSS/HOCM: Hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie. Sven EFFERT veröffentlichte seine bahnbrechende Monographie „Herzdiagnostik mittels Ultraschall“. 70 Ernst DERRA: Bändelung der großen Pulmonalarterie (bei großen Vorhof-Septumdefekt).71 Ernst DERRA: Deutsche Herz-Lungenmaschine (WEISSHAAR) im Einsatz mit sog. „Bubble-Oxygenator“, Doppelklappenersatz (Aorten- und Mitralklappe), Gegenpulsation zur Herzunterstützung (SYMAS-Pumpe).72

62 Ebd., S. 316. 63 Bircks, in: Jahrbuch der HHU 1978-1980, S. 204. 64 Halling/Vögele, in: Jahrbuch der HHU 2005-2006, S. 682. 65 Bircks, in: Jahrbuch der HHU 1978-1980, S. 204. 66 Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 375. 67 Breithardt/Seipel, Kardiologe 2010; 4:500-501. 68 Bircks, in: Jahrbuch der HHU 1978-1980, S. 204. 69 Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 374. 70 Effert, in: Uhlenbruck, P. (Hg.), 1963 (S. k.A.) 71 Bircks, in: Jahrbuch der HHU 1978-1980, S. 204. 72 Ebd.

494 | Projektepistemologie

1965 AK 1965 K

1965 K

1966 KC

1967 KC

1967 K 1967 K

Gründung der Universität Düsseldorf. Errichtung einer kardiologischen Abteilung mit 60 Betten als planmäßiges Extraordinariat für Innere Medizin, insbesondere Kardiologie, welches durch Franz LOOGEN (1919-2010) besetzt wurde.73 GROSSE-BROCKHOFF war Tagungspräsident der Jahrestagung der „Deutschen Gesellschaft für Kreislaufforschung“ mit dem Themenschwerpunkt „Herzklappeninsuffizienz“.74 Ernst DERRA: Direktkanülierung der Aorta ascendens für extrakorporalen Kreislauf, BLALOCK-HANLON-Operation (künstlicher Vorhof-Septumdefekt bei Transposition der großen Arterien), WATERSTON-COOLEY-Operation: aorto-pulmonale Anastomose: zwischen Aorta ascendens und rechter Pulmunalarterie. 75 Ernst DERRA: POTTS-Anastomose: zwischen Aorta descendens und linker Pulmonalarterie, Lungenarterienembolektomie (mit Herz- Lungenmaschine), MUSTARD-Operation (Vorhofumkehr bei Transposition der großen Arterien).76 Umwandlung des Extraordinariats in ein Ordinariat für Innere Medizin, insbesondere Kardiologie (LOOGEN). Aufbau einer internistischen Intensivstation mit der Möglichkeit kontinuierlicher Überwachung akut bedrohlich Erkrankter, der Elektrotherapie von Herzrhythmusstörungen, der kontrollierten und assistierten Beatmung und der Behandlung schwerer Vergiftungen. Außerdem wurde die permanente Langzeitregistrierung des EKG mithilfe von tragbaren Aufnahmegeräten eingeführt und die Differentialtherapie von Antiarrhythmika klinisch durchgeführt.77 Neben den damals üblichen Verfahren einschließlich der Kineangiographie (Angiokardiographie) gehörten bereits 1967 auch therapeutische Kathetereingriffe, wie Ballonseptostomie nach RASHKIND zur Erweiterung einer offenen Verbindung zwischen dem linken und rechten Vorhof zu den angewandten Verfahren. 78

73 Schönberg, 1975, S. 203. 74 Arnold, in: ders./Lüderitz (Hg.), 2002, S. 45. 75 Bircks, in: Jahrbuch der HHU 1978-1980, S. 205. 76 Ebd. 77 Schönberg, 1975, S. 66. 78 Schadewaldt, 1973, S. 129.

Anhang | 495

1967 K/KC

1967 K

1968 K 1968 K

1968 K 1969 K

1969 KC 1970 KC 1970 KC 1970 KC

1970 KC

Heinz VIETEN (1915-1985) et al. veröffentlichten das bis 1977 wiederaufgelegte Buch „Röntgendiagnostik des Herzens und der Gefäße“ (Kapitel von LOOGEN und Mitarbeitern: a) „Angeborene Herz- und Gefäßfehler“, 1967, b) „Darstellung der Herzhöhlen, der Gefäßlumina und des Blutstromes“, 1969, c) „Erworbene Herzklappenfehler“, 1977, d) „Kardiomyopathien“, 1977).79 Der EDENS-Preis für den wissenschaftlichen Nachwuchs auf dem Gebiet der Herz- Kreislaufforschung wurde zum ersten Mal verliehen.80 Errichtung eines Laborpavillons für tierexperimentelle Untersuchungen für die kardiologische Abteilung.81 LOOGEN, BAYER und WOLTER veröffentlichten ihr einflussreiches Buch „Herzkatheterismus bei angeborenen und erworbenen Herzfehlern“. 82 Einrichtung des ersten Düsseldorfer Sonderforschungsbereichs 30 „Kardiologie“. Umbau der ehemaligen Tuberkulosestation zur neuen kardiologischen Abteilung mit 50 Betten und einem angeschlossenen Neubau für die kardiologische Ambulanz.83 Ernst DERRA: Aortenklappen- und Aorta ascendens-Ersatz mit Implantation der Koronararterien in die Prothese.84 Ernst DERRA: Dreifachklappenersatz.85 Ernst DERRA wurde emeritiert. Die Chirurgische Klinik wurde in die Chirurgische Klinik A (Allgemeine, Unfall und Gefäßchirurgie, Leiter Karl KREMER) und in die Chirurgische Klinik B (Thorax- und KardiovaskularChirurgie, Leiter Wolfgang BIRCKS) unterteilt.86 Wolfgang BIRCKS: VINEBERG-Operation (Implantation der Arteria mammaria interna in das Myokard).87

79 Vieten et al., 1969 [1967-1977]. 80 Igler, in: Jahrbuch der HHU 1981-1983, S. 81. 81 Schadewaldt, 1973, S. 129. 82 Bayer/Loogen/Wolter, 1967. 83 Schadewaldt, 1973, S. 129. 84 Bircks, in: Jahrbuch der HHU 1978-1980, S. 205. 85 Ebd. 86 Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 374. 87 Bircks, in: Jahrbuch der HHU 1978-1980, S. 205.

496 | Projektepistemologie

1970/1971 K

1970 K 1971 KC

1972 KC

1971 K

1972 K 1971/72 K

1972 K

1973 AK

Durchführung umfangreicher Umbauarbeiten im Hauptgebäude der Medizinischen Klinik. Durch die Umbauarbeiten verringert sich die Bettenzahl auf 191.88 LOOGEN lehnte den Ruf auf den Lehrstuhl für Kardiologie der Universität Heidelberg ab.89 BIRCKS: Aortokoronarer Venenbypass, BRAMSON-Membranoxygenator, Extrakorporale Membran-Langzeitperfusion (42 Std.), Überbrückung einer Aortenbogenunterbrechung mit der linken Arteria carotis communis, Einführung Isotopen Herzschrittmacher, Ventrikelaneurysma-Resektion wegen intraktabler Tachykardien.90 BIRCKS: Inbetriebnahme des 2. OP-Saal in der Chirurgie für Operationen mit der Herz- Lungenmaschine, erste postoperative Hämodialyse in eigener Regie. 91 LOOGEN war Gründungsmitglied der Kommission für Klinische Kardiologie der „Deutschen Gesellschaft für Kreislaufforschung“.92 Unterteilung der 1. Medizinischen Klinik in Klinik A (GROSSEBROCKHOFF) und Klinik B (LOOGEN).93 Einführung der Katheteruntersuchungsverfahren zur Herzmuskelbiopsie und zur Untersuchung des Reizleitungssystems (HISBündel-EKG).94 MEESSEN war Tagungspräsident der Jahrestagung der „Deutschen Gesellschaft für Kreislaufforschung“ mit dem Themenschwerpunkt „Herzhyperthrophie“.95 Die Städtischen Krankenanstalten wurden als Medizinische Einrichtungen der Universität Düsseldorf vom Land NRW übernommen.96

88 Schadewaldt, 1973, S. 127. 89 Schönberg, 1975, S. 91. 90 Bircks, in: Jahrbuch der HHU 1978-1980, S. 205. 91 Ebd. 92 Gleichmann et al., Kardiologe 2015, 9:182-186, hier S. 183. 93 Schadewaldt, 1973, S. 127. 94 Ebd., S. 129. 95 Arnold, in ders./Lüderitz (Hg.), 2002, S. 46. 96

Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 19.

Anhang | 497

1973 K

1973 KC 1975 KC 1975 K 1977 K/KC 1977 KC 1977 K 1977 K 1978 KC 1978 AK 1979 K/KC 1980-1984 K 1982 K

1984 K

Erstes Kardiologisches Kolloquium mit der Partneruniversität Nantes (im Rahmen des SFB 30, später im Rahmen des SFB 242). BIRCKS: Intra-aortale Ballonpulsation. 97 BIRCKS: 3. OP-Saal in der Chirurgie für Operationen mit der Herz-Lungenmaschine.98 LOOGEN war Tagungspräsident der Jahrestagung mit dem Themenschwerpunkt „Koronare Herzkrankheit“. 99 Einrichtung des Lehrstuhls für Experimentelle Chirurgie, der durch Gunther ARNOLD besetzt wurde.100 BIRCKS: Intraoperative Kineangiographie. 101 GROSSE-BROCKHOFF wurde emeritiert. Waldemar HORT wurde Leiter des Instituts für Pathologie. 102 BIRCKS: Intraoperatives „Mapping“ bei bedrohlicher Tachykardie.103 Neubau der zentralen Tierversuchsanlage (TVA).104 Internationales Symposium (unter Beteiligung der Kardiologie) zu „Dreißig Jahre Kardiovaskuläre Chirurgie in Düsseldorf“. LOOGEN wurde Präsident der „European Scociety of Cardiology“.105 GREEF war Tagungspräsident der Jahrestagung der „Deutschen Gesellschaft für Herz- und Kreislaufforschung“ mit dem Themenschwerpunkt „Therapie der Myokardinsuffizienz, Reperfusion und Revaskularisierung des Myokards“.106 9. Kongress der „European Scociety of Cardiology“ in Düsseldorf.107

97

Bircks, in: Jahrbuch der HHU 1978-1980, S. 205.

98

Ebd.

99

Arnold, in ders./Lüderitz (Hg.), 2002, S. 46.

100 Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 164. 101 Bircks, in: Jahrbuch der HHU 1978-1980, S. 205. 102 Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 329. 103 Bircks, in: Jahrbuch der HHU 1978-1980, S. 205. 104 Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 507. 105 Breithardt/Seipel, Clin Res Cardiol. 2009;98:341-3. 106 Arnold, in ders./Lüderitz (Hg.), 2002, S. 47. 107 Breithardt et al., Eur. Heart J. 1985; 6:368-370.

498 | Projektepistemologie

1984 K/KC 1984-1988 K

1985 K

1985 K

1986 K 1986 K

1987 K 1987 K 1987-1988 K

1988 K 1989 K 1990 K

BIRCKS: erste Implantation eines automatischen Defibrillators in Deutschland.108 Entwicklung der chronisch-intermittierenden Urokinase-Therapie zur Behandlung der Endstadien der Koronaren Herzkrankheit (LESCHKE, STRAUER).109 Inbetriebnahme der MNR-Klinik. Mit dem Einzug in die MNRKlinik wurde die 1. Medizinische Klinik B in Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie umbenannt. 110 HORT war Tagungspräsident der Jahrestagung der „Deutschen Gesellschaft für Herz- und Kreislaufforschung“ mit dem Themenschwerpunkt „Das Herz des älteren Menschen, das Gefäßendothel, besonders des Herzens, Rückbildung der Herzhypertrophie“.111 LOOGEN wurde emeritiert. Einrichtung des SFB 242: „Koronare Herzkrankheit, Prävention und Therapie akuter Komplikationen“ (Förderzeitraum 19861997, Sprecher HORT, später STRAUER).112 Bodo E. STRAUER wurde Klinikleiter der Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie. Inbetriebnahme des kardiologischen Labors.113 Ausbau der Hochfrequenzablation bei ventrikulären Tachykardien (BREITHARDT, BORGGREFE, HENNERSDORF, VESTER, STRAUER).114 Einführung der Laserangioplastie zur Behandlung der peripheren Verschlusskrankheit (HEINTZEN, STRAUER).115 ARNOLD wurde Geschäftsführer der „Deutschen Gesellschaft für Herz- und Kreislaufforschung“. Internationales Symposium in Düsseldorf über das Endothel und die periphere Zirkulation im Herzen.116

108 Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 158. 109 Ebd., S. 350. 110 Ebd. 111 Arnold, in: ders./Lüderitz (Hg.), 2002, S. 47. 112 Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 350. 113 Ebd. 114 Ebd. 115 Ebd. 116 Hort, Uni-Zeitung der HHU, Heft 3, 1990, S. 14-15.

Anhang | 499

1990 KC

1992 KC 1992 KC 1995 KC 1995 K/KC 1999 K

2000 K

2000 K

2002 K

2004 KC

BIRCKS war Tagungspräsident der Jahrestagung der „Deutschen Gesellschaft für Herz- und Kreislaufforschung“ mit dem Themenschwerpunkt „Extrakardiale Risikofaktoren in der Herzchirurgie, Intraoperative Diagnostik des Herzens und der herznahen großen Gefäße, Grenzen der Frühmobilisation nach Herzoperation, Spätresultate nach operativer und interventionell-kardiologischer Behandlung“.117 BIRCKS wurde emeritiert. Hagen D. SCHULTE wurde kommissarischer Leiter der Klinik für Thorax- und Kardiovaskular-Chirurgie.118 Emmeran GAMS wurde Leiter der Klinik für Thorax- und Kardiovaskular-Chirurgie.119 Wiederaufnahme der Durchführung von Herztransplantationen.120 Die Geschäftsstelle der „Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e.V.“ wurde in Düsseldorf errichtet.121 Jürgen SCHRADER (Institut für Herz- Kreislaufphysiologie) war Tagungspräsident der Jahrestagung der „Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e.V.“ mit dem Themenschwerpunkt „Gentherapie kardiovaskulärer Erkrankungen“ und „Koronare Durchblutung und myokardiale Perfusion“.122 Einrichtung dreier Herzkatheterlabore mit biplanen, digitalen Angiographieanlagen und physiologischer Messplatzeinrichtung in der MNR-Klinik.123 Einrichtung des SFB 612 „Molekulare Analyse kardiovaskulärer Funktionen und Funktionsstörungen“ (2002-2012, Sprecher SCHRADER). Eröffnung des ZOM I angrenzend an die Chirurgische Klinik.

117 Arnold, in: ders./Lüderitz (Hg.), 2002, S. 46. 118 Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 378. 119 Ebd. 120 Ebd., S. 379. 121 Arnold, in: ders./Lüderitz (Hg.), 2002, S. 32. 122 Ebd., S. 34. 123 Halling/Vögele (Hg.), 2007, S. 351.

500 | Projektepistemologie

2005 K

2009 K 2009 K

2009 KC 2009 KC 2010-2012 K

2011 K/KC 2012 K 2013 K

2014 AK 2015 K

2015 K 2015 K

Einrichtung des DFG-Graduiertenkollegs 1089 „Proteininteraktionen und -modifikationen im Herzen“ (Sprecher Axel GÖDECKE, Förderzeitraum 2005-2009). STRAUER wurde emeritiert. Malte KELM wurde Klinikleiter der Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie. Darauffolgend Erweiterung der Diagnose, Intervention und Therapie der Strukturellen Herzerkrankung. GAMS wurde emeritiert. Artur LICHTENBERG wurde Leiter der Klinik für Kardiovaskuläre Chirurgie. Installation einer neuen Hybrid-Anlage in der Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie (Herzkatheter, Kardio-MRT, 3D-Rotationsangiographie und 3D-TEE). Gründung der Düsseldorfer Herzstiftung Hybride interventionelle Bildgebung (Heart- und Echonavigator). Einrichtung des DFG-Graduiertenkollegs IRTG 1902, „Intra- and interorgan communication of the cardiovascular system“, Sprecher Axel GÖDECKE). Bezug des Neubaus Zentrum für Operative Medizin II (ZOM II). Einrichtung des SFB 1116 „Masterswitches bei kardialer Ischämie“, Sprecher, Jens FISCHER (Institut für Pharmakologie und Klinische Pharmakologie). Micra – kabelloser Herzschrittmacher. Kardiale MRT: Bildgebung der kardialen Inflammation im Tiermodell.

Anhang | 501

DANKSAGUNG Die vorliegende Arbeit bringt Ansätze aus den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften und aus den Naturwissenschaften sowie der Biomedizin in einem Projekt zusammen. Dies wäre ohne die Unterstützung der folgenden Personen nicht möglich gewesen. Frau Univ.-Prof. Dr. Vittoria Borsò möchte ich danken, weil sie mir – getragen durch ihre konzeptionelle Offenheit, ihr breites Fachwissen und ihre unermüdliche Motivationskraft – die akademische Ausbildung gegeben hat, die ein vernetztes Denken und Schreiben über Disziplinengrenzen hinweg ermöglicht. Herr Univ.-Prof. Dr. Dr. Alfons Labisch vermittelte mir die für die Untersuchung kardiovaskulärer Wissensproduktion notwendigen wissenschafts- und medizinhistorischen Fähigkeiten und unterstützte mich seit Beginn des Projekts bei der Vernetzung in der kardiologischen und medizingeschichtlichen Fachwelt. Herr Univ.-Prof. Dr. Malte Kelm verschaffte mir einen direkten Einblick in die kardiovaskuläre Wissensproduktion. Er bot mir stets die notwendigen Freiräume, um ein Dissertationsprojekt neben dem Beruf zum Abschluss zu bringen. Dem gesamten Team der Klinik für Kardiologie, Pneumolgie und Angiologie des Universitätsklinikums Düsseldorf gilt mein Dank für die stets große Unterstützung. Dem Graduiertenkolleg „Materialität und Produktion“ (GRK 1678) und seiner Sprecherin Frau Univ.-Prof. Dr. Andrea von Hülsen-Esch möchte ich für die fruchtbaren Diskussionen, das zielorientierte Ausbildungsprogramm, die interessanten Resonanzen zwischen verschiedenen Projekten und Disziplinen und für die Finanzierung der Archivaufenthalte danken. Herrn Univ.-Prof. Dr. Gunther Arnold danke ich für die Weitergabe seiner wertvollen Fachkompetenz und Erfahrung bezüglich des SFB 30 und der Geschichte der Kardiologie. Mein Verständnis eines ‚hämodynamischen‘ Paradigmas in der Herz-Kreislaufforschung wurde maßgeblich in Diskussionen mit ihm geprägt. Herrn Univ.-Prof. Dr. Jürgen Schrader verdanke ich das Verstehen von ‚molekularen‘ Perspektiven auf das Herz-Kreislaufsystem im SFB 612. Seine Hinweise zur Etablierung der Phänotypisierungsplattform der „Düsseldorfer Mäuseklinik“ waren entscheidend für die Darstellung des Forschungsprogramms des SFB 612 und seine Einordnung in den Übergang von einer „Genomik“ zu einer „Postgenomik“. Herr Univ.-Prof. Dr. Axel Gödecke verschaffte mir Einblick in den experimentellen Umgang mit transgenen Mäusen im Allgemeinen und mit der MyoglobinKnockout-Maus im Speziellen. Herrn Univ.-Prof. Dr. Ulrich Flögel danke ich für die Bereitstellung des Materials zum SFB 612 und Herrn Dr. Christoph Jacoby für die wertvollen Hinweise zur MRT und zum EKG.

502 | Projektepistemologie

Frau Univ.-Prof. Dr. Dr. Miriam M. Cortese-Krott verdanke ich einen umfassenden Überblick der rezenten Herz-Kreislaufforschung und ausschlaggebende Aspekte zum Problem der natürlichen Referenz in Experimentalsystemen. Frau Rita Ofterdinger stellte mir freundlicherweise die Dokumente des SFB 612 zur Verfügung. Frau Tamara Straub, M.A. danke ich für die Unterstützung bei Abbildung 27. Herrn Luigi Lo Grasso, M.A. möchte ich für seine umfassende und konstruktive Kritik sowie Durchsicht des finalen Manuskripts danken. Ohne die tatkräftige Unterstützung meiner Eltern und meiner Familie wäre die vorliegende Dissertation nicht zustande gekommen. Ihnen möchte ich vom ganzen Herzen danken. Nicht zu Letzt möchte ich meiner Verlobten Regina Flahs, B.A. Dank äußern: Sie hat mich stets dazu gebracht, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren und Formulierungen auf den Punkt zu bringen. Ihre emotionale Unterstützung gab mir die Kraft, das Projekt zu vollenden.

Anhang | 503

ZUSAMMENFASSUNG DER ARBEIT Die Studie entwirft eine „Projektepistemologie“ mit einer methodologischen Synopse von Konzepten aus den Science Studies und dem New Materialism, um Verbundforschung am Beispiel von drei kardiovaskulären Sonderforschungsbereichen (SFB) in Düsseldorf zwischen 1968 und 2012 als Forschungsfeld der Wissenschaftsgeschichte und -philosophie zu konzeptualisieren – u.a. werden Theorieressourcen von Bachelard/Heidegger, Canguilhem, Latour, Rheinberger, Keating/Cambrosio innovativ kombiniert. Die Grundthese dabei ist, dass Wissensproduktion sich entlang des Spannungsfeldes zwischen institutionellen und methodischen Plattformen (Dispositionen) und den Unvorhersehbarkeiten bei der Projektdurchführung (Kontingenzen) vollzieht und dabei veränderliche Entwürfe zwischen den soziomateriellen Bereichen des Labors und der Klinik vernetzt. Diese Perspektive erlaubt es, Verbundforschung nicht als geradlinigen wissenschaftlichen Fortschritt, sondern als komplexen Entwurfszusammenhang zwischen Wissenschafts-, Medizin- und Technikgeschichte zu charakterisieren und fördert darüber hinaus durch ihre Fragestellung und durch das zugrunde gelegte Material die Transdisziplinarität zwischen Geistes-/Kulturwissenschaften, Biowissenschaften und Medizin. Zur Analyse der kardiovaskulären SFB bezieht die Arbeit ihr Material aus Forschungsanträgen sowie aus Zwischen- und Abschlussberichten, Archivdokumenten wie z.B. Gutachten, projektrelevanten Publikationen, Manuskripten aber auch aus Experteninterviews und persönlichen Mitteilungen beteiligter Forscher. Für die Auswertung des Materials etabliert das erste Kapitel eine Projektepistemologie, die davon ausgeht, dass Wissenschaft nicht entdeckt, sondern entwirft: Forschung vollzieht sich nicht nur im Kopf der Wissenschaftler, sondern setzt ein intermediäres Feld von Apparaten und Instrumenten, Praktiken und sozialen Beziehungen sowie Materialien voraus (Rheinberger). Projekte sind demnach als Zwischenraum zwischen forschendem Subjekt und im Forschungsprozess hervorzubringendem Wissensobjekt samt seiner apparativ-bildlichen Repräsentationen zu betrachten (Bachelard). Das SFB-spezifische Entwurfsgeschehen zwischen Disposition und Kontingenz wird mithilfe der heideggerschen Begriffe des wissenschaftlichen Betriebs und des Sich-Einrichten-Müssens auf unvorhergesehene Ergebnisse bei der Projektdurchführung analysiert. Mit der Akteur-Netzwerk-Theorie (vor allem Latour) wird hierfür ein allgemeines Verständnis von Translationsketten von der Materie des Organismus zur Form einer Inskription in den Lebenswissenschaften vermittelt. Epistemische Dinge und technische Objekte in Experimentalsystemen (Rheinberger) werden mit SFB-spezifischen experimentellen Kontingenzen und standortsspezifischen institutionellen bzw. technischen Dispositionen identifi-

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ziert. Die Darstellung der Institutionsgeschichte und der klinischen Forschung am Standort Düsseldorf erfolgt mithilfe der Begriffe Plattform-Hospital, HospitalPlattform und biomedizinische Plattform (Keating/Cambrosio). Im zweiten Kapitel erfolgt somit die Beschreibung der wissenschaftshistorischen, krankenhausgeschichtlichen und institutionellen Dispositionen, die es erlaubten, bereits im frühen 20. Jahrhundert einen kardiovaskulären Schwerpunkt in Düsseldorf zu etablieren und diesen schrittweise zu einer modernen Plattform für Herz-Kreislaufforschung auszubauen. In diesem Zuge werden u.a. die Elektrokardiographie (als Inskriptionsverfahren) und die Angiokardiographie (als bildgebendes Verfahren) samt ihres soziotechnischen Voraussetzungsreichtums (Gugerli) untersucht und die synoptische Funktion sowie der epistemische Status ihrer Bilder kommentiert. Die Analyse der Archivdokumente des ersten untersuchten SFB 30 „Kardiologie“ (1968-1985) zeigt neben der historisch-kontingenten Initiierungsphase des SFB-Förderprogramms, welche Resonanzen zwischen der Optimierung der DFGVerfahrensordnung und der Entwicklung der Kooperations-strukturen sowie des Forschungsprogramms des SFB 30 bestehen. Das methodische Spektrum der experimentellen Kardiologie verdeutlicht, welche materiellen Konsequenzen solche auf dem Papier formulierten Forschungsprogramme haben. Die Vernetzung von Experimentalsystemen und die Überlagerung von ex-vivo- und in-vivo-Daten erzeugen im Verbund erkenntnistreibende Differenzen und veranlassen die SFB-Forscher, ganze physiologische Wirkmechanismen zu postulieren. Die Herausforderung von Verbundforschung liegt darin, verschiedene Ansätze in einen gemeinsamen Problemhorizont zu übersetzen und erfordert ein ständiges Oszillieren zwischen reduktionistischen und holistischen Ansätzen. Die dabei auftretenden Unvergleichbarkeiten zwischen verschiedenen Tiermodellen und der klinischen Situation am Menschen werden als ‚translational gaps‘ charakterisiert und mit Canguilhem kommentiert. Ob die Labormaus das Potenzial hat, solche ‚translational gaps‘ zu schließen, und so als Brücke zwischen Labor und Klinik fungieren kann, wird im dritten Kapitel beantwortet. Im Fokus der Untersuchung stehen die Interaktion zwischen Labor und Klinik (translationale Forschung) und die in diesem Kontext verwendeten transgenen Mausmodelle im SFB 612 (2002-2012). Es ist zu zeigen, inwiefern diese Mäuse als Hybride zwischen epistemischen Dingen und technischen Objekten zu verstehen sind. Trotz der Zielgerichtetheit der eingesetzten (dispositionellen) gentechnischen Methoden bleibt die transgene Maus ein komplexes Tiermodell und avanciert nicht zum determinierten Modellorganismus. Die Materialität – verstanden als Widerständigkeit – des Organismus spielt in Experimentalsystemen somit ihre eigenen Möglichkeiten aus und spannt (für die SFB-Forscher) auf unvorhersehbarer Weise Kontingenzräume auf, die das Verständnis von normal und pathologisch (Canguilhem) und damit die Interaktionen zwischen Labor und Klinik re-

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konfigurieren. Die Maus wird in diesem Zuge selbst zur experimentellen Plattform, über welche Naturwissenschaftler und Kliniker Kollaborationen auf organismischer Ebene eingehen. Das Thema Verbundforschung am erfordert es, Geistes-/Kulturwissenschaften, Biologie und Medizin methodisch zu verknüpfen. Die dazu entwickelte Methodensynopse wird mit einem auf die Geschichte der Herz- Kreislaufforschung zugeschnittenen medizinhistorischen Narrativ verbunden und so in eine konkrete auf das Beispiel Düsseldorf bezogene Forschungsgeschichte überführt. Die Innovation der Arbeit liegt somit in der Etablierung von Verbundforschungsprojekten als Forschungsgegenstände für Wissenschaftsgeschichte und -philosophie. Das Material kann auf diese Weise bezüglich der Abstraktionsebenen von Verbundforschung umfassend untersucht werden: von regulierenden Maßnahmen der DFG und der Hochschulleitung über institutionelle Rahmungen und bauliche Voraussetzungen bis hin zu den in Experimenten eingesetzten Methoden und Techniken und zur Materialität von Organismen, Molekülen und Genen. Die Perspektive auf Spannungen zwischen dem beim Projektantrag Bekannten (Disposition) und dem bei der Projektdurchführung Unvorhergesehenen (Kontingenz) leitet den Blick auf das empirische Material und systematisiert die Analyse bis in ihre Verästelungen hinein. Dies erlaubt es wiederum, die methodischen und materiellen Umgebungsbedingungen kardiovaskulärer Forschung in ihrer Wechselwirkung mit den dahinterliegenden Denkmodellen der Forscher zu betrachten. Aufgrund ihrer theoretischen, methodischen und empirischen Ausrichtung sowie aufgrund der Modifizierbarkeit des Erkenntnismodells ist Projektepistemologie für die Analyse weiterer Verbundforschungsprojekte anwendbar und generalisierbar (siehe Epilog). Angesichts des 50-jährigen Jubiläums des SFB-Programms im Jahre 2018 erhält die Studie einen aktuellen Bezug zur deutschen Landschaft der Forschungsförderung. Sie leistet damit einen wichtigen Beitrag für die Theorie, die Geschichte und die Organisation der Wissenschaft.

Soziologie Juliane Karakayali, Bernd Kasparek (Hg.)

movements. Journal for Critical Migration and Border Regime Studies Jg. 4, Heft 2/2018

Februar 2019, 246 S., kart. 24,99 €(DE), 978-3-8376-4474-6

Sybille Bauriedl, Anke Strüver (Hg.)

Smart City – Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten 2018, 364 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-4336-7 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4336-1 EPUB: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4336-7

Weert Canzler, Andreas Knie, Lisa Ruhrort, Christian Scherf

Erloschene Liebe? Das Auto in der Verkehrswende Soziologische Deutungen 2018, 174 S., kart., zahlr. Abb. 19,99 € (DE), 978-3-8376-4568-2 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4568-6 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4568-2

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Soziologie Gianna Behrendt, Anna Henkel (Hg.)

10 Minuten Soziologie: Fakten 2018, 166 S., kart. 16,99 € (DE), 978-3-8376-4362-6 E-Book: 14,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4362-0

Heike Delitz

Kollektive Identitäten 2018, 160 S., kart. 14,99 € (DE), 978-3-8376-3724-3 E-Book: 12,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3724-7

Anna Henkel (Hg.)

10 Minuten Soziologie: Materialität 2018, 122 S., kart. 15,99 € (DE), 978-3-8376-4073-1 E-Book: 13,99 €(DE), ISBN 978-3-8394-4073-5

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de