Alternative Lebensformen: Unehelichkeit und Ehescheidung am Beispiel von Goethes Weimar [1 ed.] 9783412515409, 9783412515386

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Alternative Lebensformen: Unehelichkeit und Ehescheidung am Beispiel von Goethes Weimar [1 ed.]
 9783412515409, 9783412515386

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Alexandra Willkommen

Alternative Lebensformen Unehelichkeit und Ehescheidung am Beispiel von Goethes Weimar

Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen Kleine Reihe Band 57

Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen Kleine Reihe Band 57

Alexandra Willkommen

Alternative Lebensformen Unehelichkeit und Ehescheidung am Beispiel von Goethes Weimar

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR

Gedruckt mit Unterstützung der Thüringer Staatskanzlei und des Landesarchivs Thüringen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2019 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Stammbuch Johann Christoph Hamisch (1753–1797), HAAB Weimar, Stb 477, S. 29 Korrektorat: Kornelia Trinkaus, Meerbusch

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-51540-9

INHALT

Vorwort ...........................................................................................................................11 I. EINLEITUNG ............................................................................................................13 1. 2. 3. 4.

Einführung ...............................................................................................................13 Fragestellung und Forschungskontext.................................................................17 Gegenstand und Konzept......................................................................................26 Quellengrundlage und Untersuchungsmethodik ...............................................34

II. NORMATIVE LEITBILDER UND STRUKTURELLE RAHMENBEDINGUNGEN VON FAMILIE .............................................................43 1. Leben in Weimar um 1800 ....................................................................................43 2. Institutionelle und gesetzliche Rahmenbedingungen ........................................53 2.1. Die Obrigkeit in Sachsen-Weimar-Eisenach .............................................53 2.2. Gesetzgebung und Rechtsprechung – Form, Inhalt und Verlauf .....................................................................................................55 2.2.1. Geltendes Recht? ........................................................................................55 2.2.2. Eide, Strafen und Kosten um 1800 .........................................................58 2.2.3. Ehe, Vormundschaft und die Rechte von Frauen ................................61 2.2.4. Uneheliche Sexualkontakte, Schwängerungen und Kinder .................63 2.2.5. Ehescheidungen und wilde Trennungen ................................................66 3. Vorstellungen von Ehe und Familie im ausgehenden 18. Jahrhundert .........73 3.1. Die Kommunikation von Normen .............................................................73 3.2. Das „Ganze Haus“ und die „Familia“ .......................................................74 3.2.1. Bedeutung der Ehe und Eheanbahnung.................................................74 3.2.2. Wer und was ist „Familie“? .......................................................................76 3.3. Konzepte von Ehe, Liebe und Geschlecht ...............................................79 3.3.1. Frauen und Männer um 1800 ...................................................................79 3.3.2. Eheliche Zuneigung und romantische Liebe .........................................82

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INHALT

III. GELEBTE FAMILIEN – NICHT NUR IN WEIMAR .............................................85 1. Die Kernfamilie – ein klassisches Modell?..........................................................85 1.1. Die Ehe als Ursprung der Familie...............................................................87 1.1.1. Erstehen und Wiederverheiratungen.......................................................87 1.1.2. Kinder in der Ehe – Ehen ohne Kinder: Stiefkinder, Adoptivkinder, Pflegekinder .....................................................................89 1.2. Häusliches Leben nach oder außerhalb der Ehe.......................................93 2. Illegitime Geburten und Ehescheidungen in Zahlen ........................................98 2.1. Uneheliche Kinder und wilde Ehen in der Residenzstadt – und darüber hinaus ........................................................................................98 2.2. Scheidungshäufigkeit in der Residenz, dem (Groß-)Herzogtum und in anderen Städten und Territorien.................................................. 106 3. Möglichkeiten und Grenzen alternativer Lebensformen .............................. 115 3.1. Schicksale: eine Kinderleiche und ein Selbstmord ................................ 115 3.2. Ausnahmen: Goethes wilde Ehe und die Mätresse des Herzogs ....... 116 3.3. Die Gesellschaft als mahnende Instanz und schützender Raum ........ 121 3.3.1. Ehrverlust und Rufschädigung .............................................................. 121 3.3.2. Der Schutz der Gemeinschaft ............................................................... 133 4. Familien um 1800 – keine Spur vom „ganzen Haus“ .................................... 142 IV. UNEHELICHKEIT IN GESETZEN UND DEBATTEN ...................................... 147 1. Rahmenbedingungen – Illegitimität gelebt, bestraft und diskutiert............. 147 1.1. Ursachen unehelicher Geburten............................................................... 147 1.2. Von Huren und Buße: Die Landesordnung von 1589 und die Kirchenordnung von 1664.......................................................... 153 1.3. Illegitimität und wilde Ehen in der zeitgenössischen Publizistik ........ 156 1.3.1. Täter und Opfer, Folgen und Strafen .................................................. 156 1.3.2. Neue Umgangsformen mit unehelichen Kindern und wilden Ehen ...................................................................................... 166 2. Umstrittene Gesetze zu unehelichen Sexualkontakten und Schwängerungen........................................................................................... 172 2.1. Ledige Dirnen, die Männern in recht ärgerlicher Weise nachlauffen – Ordnungsversuche im 18. Jahrhundert ................................................... 172 2.2. Zwischen Accouchierhaus-Pflicht und gänzlichem Straferlass – Neue (Un-)Ordnungen am Ende des 18. Jahrhunderts ....................... 176

INHALT

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2.2.1. Reformen in Sachsen-Weimar-Eisenach ............................................. 176 2.2.2. Die Debatten um das Strafrecht bei Sittlichkeitsdelikten und Kindsmord in Sachsen-Weimar-Eisenach ................................... 183 2.2.3. Reformen in anderen deutschen und europäischen Staaten ............ 188 2.3. Anwendung, Spezifizierung und Korrektur der neuen Ordnung zu Beginn des 19. Jahrhunderts ................................................................ 192 2.4. Neue Ordnung seit 1825 – Carl Augusts letzte Regierungsjahre und Carl Friedrichs erste Akzente............................................................ 198 2.4.1. Gesetze zur Erleichterung der Ehe und zur Verpflichtung der Väter ........................................................... 198 2.4.2. Umstrittene Vater-Pflichten................................................................... 200 2.4.3. Ehe für Alle? – Debatten um wilde Ehen und ein nie verabschiedetes Gesetz ...................................................... 204 Wilde Ehen – das neue alte Thema .......................................... 204 Befürworter und Gegner der Eheerleichterung ..................... 213 2.4.4. Ehegesetze in anderen Staaten – Nacheiferer oder Vorbilder? ....... 220 3. Neue Familien durch neue Gesetze? ................................................................ 223 V.

EHESCHEIDUNGEN IN SACHSEN-WEIMAR-EISENACH: BEGRÜNDUNGEN, GESETZE UND DEBATTEN ........................................... 233

1. Die Debatten um die Ehescheidung in der Publizistik.................................. 233 1.1. Der Einfluss der Publizistik auf politische Entscheidungen – ein Beispiel ................................................................................................... 233 1.2. Vor- und Nachteile untrennbarer und geschiedener Ehen.................. 234 1.3. Zahlreiche Ehescheidungen – Deutungsansätze und Maßnahmen.......................................................... 242 1.4. Alte und neue rechtskräftige Scheidungsgründe ................................... 246 2. Scheidungsgründe in den obrigkeitlichen Gutachten .................................... 251 2.1. Die Ehescheidungen des Hofbuchbinders Schultze – ein Fallbeispiel ............................................................................................. 251 2.2. Die „Quantifizierende Methode“............................................................. 254 2.3. Die Unversöhnlichkeit der Ehegatten ..................................................... 258 2.4. Unerfüllte eheliche Zwecke: die gegenseitige Versorgung................... 263 2.5. Unerfüllte eheliche Zwecke: die (fehlenden) Kinder ............................ 267 2.6. Kodifizierte und unbekannte Ehescheidungs- und Annullierungsgründe............................................. 269 2.7. Häufigkeit und Wirksamkeit der angegebenen Scheidungsgründe .... 275

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INHALT

3. Wider die zahlreichen Ehescheidungen – Ordnungsversuche angesichts eigener Nachlässigkeiten ............................... 280 3.1. Die Strafzahlung geschiedener Paare in den Schulfonds ..................... 280 3.2. Ein Reskript zur Erschwerung der Ehescheidungen und ein Publicandum von 1816 ................................................................... 282 3.3. Eine Gesetzgebung für und wider scheidungswillige Paare ................ 287 3.4. Ehescheidungsgesetze in anderen Staaten .............................................. 292 3.5. Möglichkeiten und Grenzen einer staatlichen Regulierung der Ehescheidungen ................................................................................... 295 4. Die Ehescheidung – nützlich oder schädlich für die staatliche und familiale Ordnung? ..................................................................... 297 4.1. Ein neues Ehegesetz als neues Ehescheidungsgesetz? ......................... 297 4.2. Alte und neue Scheidungsgründe im Ehegesetzentwurf ...................... 301 4.3. Befürworter und Gegner einer liberalen Ehescheidungspraxis .......... 304 5. Ehescheidungen zum Wohle der Familien und des Staates.......................... 311 VI. WILDE FAMILIEN IM GEORDNETEN STAAT?............................................... 319 1. Die Häufigkeit von Illegitimität und Ehescheidung – Deutungsansätze .................................................................................................. 319 2. Konventionelle versus alternative Familienformen – Ordnung und Unordnung zur Konsolidierung des Staates .......................... 321 3. Strenge und nachlässige Obrigkeiten ................................................................ 332 4. Carl August und die Scheidungspraxis in Sachsen-Weimar-Eisenach ........ 341 VII. SCHLUSSBETRACHTUNG .................................................................................. 348 ANHANG ...................................................................................................................... 355 Tabellen ........................................................................................................................ 356 Tabelle 1: Illegitime Geburten in Weimar 1770–1830 ...................................... 356 Tabelle 2: Illegitime Geburten in den Kreisen Weimar, Jena und Neustadt 1817–1828 .................................................................... 358 Tabelle 3: Verhältnis Eheschließungen und Ehescheidungen in Weimar ..... 359 Tabelle 4: Einwohner, Ehen und Scheidungen 1816–1824 im Verhältnis zu ermittelten Scheidungen........................................ 362

INHALT

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Tabelle 5: Verordnungen zu unehelichen Sexualkontakten und Schwängerungen bis 1830 ................................................................... 363 Tabelle 6: Verordnungen zu Ehescheidungen bis 1830 ................................... 368 Tabelle 7: Entwürfe und nicht überlieferte Vorgänge zu Ehescheidungen .. 369 Tabelle 8: Häufigkeit und Wirksamkeit der Scheidungsgründe – Tabellarische Auswertung (Auswahl) ................................................ 370 Tabelle 9: Häufigkeit und Wirksamkeit der Scheidungsgründe – Gesamtübersicht .................................................................................. 371 Tabelle 10: Wirksamkeit der Scheidungsgründe in Prozent............................... 373 Grafiken ....................................................................................................................... 375 Grafik 1: Anteil illegitimer Geburten in Weimar an der Gesamtgeburtenzahl 1770–1830........................................................ 375 Grafik 2: Durch das erste Kind potenziell begründete wilde Familien ........ 376 Grafik 3: Quellengrundlage der Scheidungsstatistiken .................................... 377 Grafik 4: Ehescheidungen in Sachsen-Weimar-Eisenach 1769–1830 .......... 378 Grafik 5: Scheidungs-, Irrungs- und andere Eherechtsklagen in Sachsen-Weimar-Eisenach 1770–1830......................................... 379 Grafik 6: Scheidungsklagen in Sachsen-Weimar-Eisenach 1770–1830 ........ 380 Grafik 7: Ehescheidungen in Weimar 1770–1830 ........................................... 381 Grafik 8: Quellengrundlage der Scheidungsstatistik in Sachsen-Weimar-Eisenach ............................................................. 382 Grafik 9: Schematische Darstellung der standardisierten Scheidungsursachen ............................................................................. 383 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS..................................................................................... 385 QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS............................................................ 387 1. Ungedruckte Quellen........................................................................................... 387 2. Gedruckte Quellen ............................................................................................... 389 3. Literatur ................................................................................................................. 400 PERSONENREGISTER ................................................................................................. 431

Sage nie: ‚Das kann ich nicht!‘ Vieles kannst Du, will’s die Pflicht, alles kannst Du, will’s die Liebe, darum Dich im Schwersten übe. Schwerstes fordert Lieb’ und Pflicht, drum sage nie: ‚Das kann ich nicht!‘ (Autor unbekannt)

Meiner Großmutter Elfriede Franziska Lange

VORWORT

Die vorliegende Studie wurde im Wintersemester 2014/2015 von der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena als Dissertationsschrift angenommen und für den Druck geringfügig überarbeitet. Leider konnten nicht alle danach publizierten Forschungsergebnisse in angemessener Weise berücksichtigt werden. In den vergangenen Jahren habe ich von vielen Seiten Unterstützung erfahren und danke allen, die mich begleitet und gefördert haben. Angeregt wurde die Promotion vor dem Hintergrund meiner Examensarbeit zum Thema „Adlige Ehescheidungen um 1800“ durch Prof. Dr. Georg Schmidt. Er hat seit dem Beginn meines Studiums meinen wissenschaftlichen Werdegang entscheidend geprägt, die Dissertation engagiert betreut, mich jederzeit mit konstruktivem Rat gefördert und gefordert und nicht zuletzt auch mit Geduld und wohlwollendem Zuspruch unterstützt. Dafür gilt ihm mein herzlicher Dank. Ebenso danke ich Prof. Dr. Siegrid Westphal, die die Arbeit von Anfang an durch zahlreiche Anregungen bereichert und schließlich das Zweitgutachten übernommen hat. Einem großzügigen Graduiertenstipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung verdanke ich schließlich die Möglichkeit zum fokussierten kontinuierlichen Arbeiten und Fertigstellen der Dissertation. Ein großer Dank gilt der Historischen Kommission für Thüringen für die Aufnahme der Studie in die Kleine Reihe der Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen wie auch dem Landesarchiv Thüringen, das die Arbeit in die Veröffentlichungen aus den Thüringischen Staatsarchiven aufnahm und großzügig finanziell gefördert hat. Hervorzuheben sind hier der Vorsitzende des Gremiums Prof. Dr. Werner Greiling sowie Dr. Bernhard Post, vormaliger Leiter des Landesarchivs. Ihnen wie auch Johannes van Ooyen vom Böhlau Verlag und nicht zuletzt Dr. Marco Swiniartzki, der mir als Geschäftsführer der Historischen Kommission für Thüringen ein stets hilfsbereiter Ansprechpartner war, bin ich zu Dank verpflichtet. Die Arbeit basiert maßgeblich auf den Quellen und der Literatur des Hauptstaatsarchivs Weimar und der Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern danke ich herzlich für einen vorbildlichen Service und optimale Arbeitsbedingungen. Meine Anerkennung gilt ferner den Kolleginnen und Kollegen des Stadtarchivs Weimar und des Evangelischen Kirchenarchivs Weimar wie auch der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena. Ein besonderer und herzlicher Dank richtet sich an dieser Stelle auch an das Team des Staatsarchivs Nürnberg und seinen Leitenden Archivdirektor

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VORWORT

Prof. Dr. Peter Fleischmann, die mir als neuer Kollegin durch ihren Rückhalt die Fertigstellung meiner Dissertation wesentlich erleichterten. Über die Jahre hinweg begleitet, in zahlreichen Gesprächen bereichert und durch das Korrekturlesen der Arbeit unterstützt haben mich Freunde und Kollegen des Historischen Instituts der FSU Jena und des Goethe- und Schiller-Archivs Weimar. Zu nennen sind hier vor allem Frauke Stange-Methfessel, Beate Umann, Dr. Christian Hain, Dr. Stefanie Freyer und Astrid Lange. Als geduldige, anregende und motivierende Weggefährten weiß ich sie an meiner Seite und danke ihnen dafür von Herzen. Meine Familie und Freunde haben diese Arbeit und mich über die Jahre mit Geduld und gutem Zuspruch getragen und damit ihren unschätzbaren Beitrag zum Gelingen geleistet. Allen voran hat mein Mann Hannes Bode durch seinen liebevollen Rückhalt, viel Verständnis und seine technische Expertise die Promotion und Publikation unterstützt. Von ganzem Herzen danke ich schließlich meiner Großmutter Elfriede Lange, die mir für die Bewältigung der Herausforderungen, die man sich selbst und einem das Leben stellt, ein großes Vorbild war und immer sein wird. Ihr ist dieses Buch gewidmet.

Berlin, im Frühjahr 2019

Alexandra Willkommen

I. EINLEITUNG EINLEITUNG

1. Einführung* 1. EINFÜHRUNG

Der kleinen Werthern wollt ich auch lieber eine Wohnung bey ihrem Geliebten in Afrika als im Grabe gönnen. Ich glaube es nicht. Zu unserer Zeit ist ein solcher Entschluß seltener, wir würden es auch balde in den Zeitungen lesen.1

Dass die 28-jährige Emilie von Werthern Gerüchten zufolge noch am Leben sei, konnte Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) 1785 fast nicht glauben. Ein Bekannter will sie in Straßburg gesehen haben – mit ihrem heimlichen Geliebten Johann August von Einsiedel auf dem Weg nach Afrika. Das Gerücht erwies sich als wahr. Was war in der von Werthern’schen Ehe vorgefallen, dass die Gattin ihren Ehemann derart täuschte und ihren eigenen Tod inszenierte? Emilie von Werthern, später von Einsiedel (1757–1844), wurde in London als Tochter von Philipp Adolph von Münchhausen-Steinburg geboren, dem Minister der dortigen deutschen Kanzlei. 2 Ihre Kindheit und Jugend verbrachte sie überwiegend in Hannover. 1775 heiratete sie den 19 Jahre älteren Christian Ferdinand Georg von Werthern-Beichlingen (1738–1800), den sie erst wenige Tage vor der Hochzeit kennengelernt hatte. Durch die Anstellung ihres Gatten als Kammerjunker und später als Stallmeister und Oberkammerherr am Weimarer Hof wurde Emilie von Werthern in die dortigen gesellschaftlichen Zirkel eingeführt.3 Die junge Gattin war in der Ehe nicht glücklich und bat ihren Mann nach den ersten Jahren um einen einvernehmlichen Scheidungsantrag an den Herzog. Georg von Werthern lehnte ab und Emilie von Werthern musste sich weiterhin mit ihm arrangieren. Bald entwickelte sie zu dem fast gleichaltrigen kursächsischen Bergkommissionsrat Johann August von Einsiedel-Scharfenstein (1754–1837) ein inniges Verhältnis, was in den höfischen Kreisen Weimars zum offenen Geheimnis avancierte. Der Schriftsteller Carl August Böttiger notierte rückblickend: „So (blieben) […] mir die Verhältnisse der Höflinge gegen einander […] fremd *

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Bei den Erstnennungen wurden für eine bessere Übersicht der Fußnoten auf die ausführlichen bibliografischen Angaben verzichtet und von Beginn an Kurztitel verwendet, die mit Hilfe des Quellen- und Literaturverzeichnisses und des Abkürzungsverzeichnisses aufgelöst werden können. Goethe an Charlotte v. Stein (1785), in: G WA 4/7, S. 66. CARIUS, Art. v. Einsiedel, Emilie, in: FrauenGestalten (2009), S. 119; NOLL, Eröffnung (2005), S. 7f. N.N., Art. Einsiedel, in: GHdA 66 (1977), S. 103; EKAW, HR HK 1775, S. 148, Nr. 75; NOLL, Eröffnung (2005), S. 9; Hof-Etat, in: Staatskalender 1771–1800.

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I. EINLEITUNG

[…], während alle Welt […] davon unterrichtet war […]. So bin ich fast täglich mit der Frau von Werther umgegangen, ohne ihr Verhältniß zu dem Herrn v. Einsiedel zu ahnden, von dem sie sich in der Folge aus dem Grabe entführen ließ.“4 Ohnehin erregte August von Einsiedel mit einer geplanten Forschungsreise in das Innere des afrikanischen Kontinents die Aufmerksamkeit der Weimarer Gesellschaft. Als er die Expedition im Frühling 1785 antrat, reiste auch Emilie von Werthern unter dem Vorwand ab, ihren Bruder in Leitzkau besuchen zu wollen. Dort sei sie wenige Wochen später plötzlich verstorben. Das soziale Umfeld Emilie von Wertherns nahm großen Anteil an der Trauer des vermeintlichen Witwers. Die oben durch Goethe formulierten Zweifel kamen erst nach der Nachricht aus Straßburg auf. Als der Ehemann das Grab in Leitzkau öffnen ließ, fand er darin eine Strohpuppe.5 Das Scheinbegräbnis war enttarnt. Bei der Suche nach Hinweisen auf ihren Verbleib stieß er auf eine Notiz, die Emilie von Werthern zurückgelassen hatte: „Ich gehe mit dem, den ich innigst liebe, […] er hat mir alle Gefahr, alle Unbequemlichkeit geschildert, nichts gemildert […] ich gehe mit ihm und sollt es auch in den tiefsten Höllenschlund seyn […] ich habe Freunde, Güter und Geld gehabt, alles dies verlasse ich – blos für ihn.“6 Die gemeinsame Afrika-Reise scheiterte letztlich an der dort grassierenden Pest. 7 Spätestens im Sommer 1786 war August von Einsiedel wieder in Deutschland, denn Goethe schrieb in einem Brief an Charlotte von Stein: Er war bey der Werthern Bruder und hat freundschaftlich mit ihm getruncken. Münchhausen erklärt: daß wenn seine Schwester von ihrem Manne ordentlich geschieden, mit ihrem Liebhaber ordentlich getraut seyn werde, er sie für seine Schwester erkennen und bey der Mutter auswürcken wolle daß sie auch als Tochter anerkannt und ihr das Erbtheil nicht entwendet werde. […] Nun aber unsre Flüchtlinge! Wie abscheulich! – Zu sterben! nach Afrika zu gehen, den sonderbarsten Roman zu beginnen, um sich am Ende auf die gemeinste Weise scheiden und kopuliren zu lassen! Ich hab es höchst lustig gefunden.8

Um nach diesem Skandal von ihrer Familie wieder aufgenommen zu werden und sich auch gesellschaftlich zu rehabilitieren, musste sich Emilie von Werthern rechtskräftig scheiden lassen und anschließend ihre illegitime Beziehung zu August von Einsiedel durch Heirat legalisieren. Beides gelang: Nach mehreren kinderlosen Ehejahren, nach gescheiterten Scheidungsverhandlungen, nach einer heimlichen Affäre, der Inszenierung ihres eigenen Begräbnisses und einer

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BÖTTIGER, Zustände (1998), S. 213; N.N., Art. Einsiedel, in: GHdA 66 (1977), S. 102. EINSIEDEL, Ideen (1957), S. 25; NOLL, Eröffnung (2005), S. 24; Goethe an Charlotte v. Stein (1785), in: G WA 4/7, S. 60. Zit. nach: NOLL, Eröffnung (2005), S. 15. V. EINSIEDEL, Ideen (1957), S. 26. Goethe an Charlotte v. Stein (1786), in: G WA 4/7, S. 239f. V.

1. EINFÜHRUNG

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Afrika-Reise wurde Emilie von Werthern 1788 endlich geschieden und kurz darauf mit August von Einsiedel vermählt.9 Goethe stand im Sommer 1786, als er Emilie und August von Einsiedels Scheinbegräbnis und Flucht als abscheulich und höchst lustig beurteilte, selbst kurz vor seiner Italienreise – möglicherweise ebenfalls eine Flucht aus der unbefriedigenden Freundschaft zur verheirateten Charlotte von Stein.10 Danach begann er ähnlich den von Einsiedels ein skandalöses Leben in einer so genannten „wilden Ehe“ mit Christiane Vulpius. So wurde er selbst wie zuvor unsre Flüchtlinge zum Inbegriff eines unkonventionellen Familienlebens. Die Paare Goethe und von Einsiedel sind nur zwei Beispiele für Lebensformen um 1800, die vom Ideal des verheirateten Paares mit Kindern abwichen und in der Residenzstadt Weimar keine Einzelfälle blieben. Der Hofbuchbinder Schultze etwa wurde mehrfach geschieden und wieder verheiratet und zeugte außereheliche Kinder. Seine Geschichte wird die folgende Darstellung begleiten. Der gebürtige Warschauer Johann Christian Schultze heiratete 1796 die Weimarerin Christiane Sophie Friederike geb. Riegländer (circa 1763–1821).11 Sie war die Witwe des ein Jahr zuvor verstorbenen Buchbinders Christoph Ludolph Zäncker, war außerdem Hebamme und bot damit dem zugezogenen Buchbinder Schultze Zutritt zur Weimarer Gesellschaft. Immerhin standen bei ihren vier Kindern aus erster Ehe unter anderem der Hofbuchdrucker Glüsing, die Töchter von Hofbuchhändler Hofmann und von Bergrat Dr. Buchholz, die Frauen von Legationsrat Bertuch und von Kammerrevisor Julius und der Rat Krause Pate.12 Aus der ersten Ehe mit Schultze gingen fünf Kinder hervor, dann ließ sich das Paar 1802 scheiden. Die Trennung sollte jedoch nicht von Dauer sein: Nach seiner zweiten Ehe und Scheidung mit einer 9

Der Antrag des Ehepaares von Werthern auf Ehescheidung durch landesherrlichen Dispens wurde dem Herzog am 16. Februar 1788 präsentiert. Carl August wies das Oberkonsistorium Weimar an, dem Gesuch stattzugeben, wenn kein erhebl. Bedencken vorhanden. (Registrande (1788), LATh–HStAW, Behörden B889, fol. 16r). Ein Bericht des Oberkonsistoriums erreichte den Herzog am 8. Mai 1788, dessen Inhalt wurde allerdings nur mit die von Wertheri. ScheidungsSache betr. betitelt. Er könnte auch etwaige Konsequenzen der bereits erfolgten Scheidung thematisieren. Daraufhin erging ein herzogliches Reskript an das Oberkonsistorium, ebenfalls unbekannten Inhalts (Registrande (1788), LATh– HStAW, Behörden B889, fol. 51r). Da Emilie von Werthern am 27. September 1788 erneut heiratete (NOLL, Eröffnung (2005), S. 28), fand die Scheidung zwischen Februar und September 1788 statt. 10 GÖRNER, Narren (2007), S. 74. 11 EKAW, HR SK 1796, fol. 113r; ebd. SR SK 1821, S. 289, Nr. 114. Für Johann Christian Schultze konnten keine Lebensdaten ermittelt werden, da er in Weimar weder geboren wurde noch gestorben ist. 12 EKAW, TR SK 1784, fol. 191r; ebd. 1786, fol. 260r, Nr. 35; ebd. 1788, fol. 38v, Nr. 69; ebd. 1791, fol. 127r.

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I. EINLEITUNG

Erfurterin heirateten Schultze und die von ihm seit vier Jahren geschiedene Hebamme Riegländer 1806 erneut.13 Alle drei Beispiele belegen, dass die Kernfamilie in der Praxis nur eine von vielen gelebten Familienformen war. Bis heute halten sich jedoch in der Öffentlichkeit, in akademischen Nachbardisziplinen und in der Geschichtswissenschaft hartnäckig Vorurteile über die Geschichte der Familie oder über in der Vergangenheit vermeintlich stabile Geschlechterrollen, die etwa in Debatten über das Ehegattensplitting oder die Eheschließung Homosexueller bedient werden. So stellt die Historikerin Monika Wienfort fest, dass die „Pluralisierung von Lebensmodellen […] mit den Ehedebatten der Romantik am Anfang des 19. Jahrhunderts“ begann. 14 Der Erlanger Politik- und Wirtschaftswissenschaftler Werner Lachmann behauptet 2009 in seinem Aufsatz Einst gemeinsam vor der Feuerstelle – jetzt vereinzelt vor der Mikrowelle, dass wenig über die Aufgaben der Frau in „damaliger Zeit“ bekannt sei. Angesichts einer seit Jahrzehnten produktiven Frauen- und Geschlechtergeschichte auch zur Antike, auf die er sich wohl mit den darauffolgenden Anspielungen auf „Schild und Helm des Achilles“ und „Einkaufszettel der Xanthippe“ bezieht, ist das schlichtweg falsch und verhärtet vorherrschende Stereotype.15 Den frühneuzeitlichen Lebensformen werden so noch weiter zementierte Vorurteile über weibliche Unmündigkeit und familiäre Einheit nicht gerecht. Das Zusammenleben gestaltete sich allein aufgrund von Todesfällen infolge von Krankheit oder Schwangerschaft sehr viel heterogener, als das Ideal der Kernfamilie suggeriert. Uneheliche Schwangerschaften, unverheiratete Paare und die seit Luther in protestantischen Rechtsgebieten vollzogenen Ehescheidungen und Wiederverheiratungen zersplitterten die Familien- und Lebensformen zusätzlich und sorgten für eine familiale Unordnung in dem auf Ordnung basierenden und nach Ordnung strebenden frühneuzeitlichen Staat. Vor allem die nachweislich jahrelang geführten, sogenannten „wilden Ehen“, wie sie etwa Goethe mit Christiane Vulpius führte, werfen die Frage auf, warum und wie Paare dauerhaft unverheiratet zusammenleben konnten, ohne dafür juristisch belangt zu werden oder letztlich gesellschaftlich völlig isoliert zu sein. Der Heterogenität gelebter Familien- und Lebensformen, den gesellschaftlichen wie obrigkeitlichen Reaktionen auf ledige Mütter, unverheiratete Paare und scheidungswillige bzw. geschiedene Eheleute in Sachsen-Weimar-Eisenach um 1800 und den zugrunde liegenden Vorstellungen von Ordnung geht die vorliegende Studie nach. Sie verfolgt dabei die zentrale These, dass sich alternative Vorstellungen und Formen 13 EKAW, TR SK 1796, fol. 295r; ebd. 1798, fol. 13v; ebd. 1800, fol. 77r, Nr. 34; ebd. 1803, fol. 185r; ebd. SR SK 1802, fol. 138r; ebd. HR SK 1806, fol. 232r. 14 WIENFORT, Verliebt (2014), S. 8f. 15 LACHMANN, Feuerstelle (2009), S. 58.

2. FRAGESTELLUNG UND FORSCHUNGSKONTEXT

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von Familie nur etablieren konnten, weil sie durch lokale Obrigkeiten geduldet, ja sogar ermöglicht wurden.

2. Fragestellung und Forschungskontext 2. FRAGESTELLUNG UND FORSCHUNGSKONTEXT

Mit dem Blick auf Alternative Lebensformen. Unehelichkeit und Ehescheidung am Beispiel von Goethes Weimar stehen nachfolgend die familiale Lebenswirklichkeit einerseits, ihre traditionellen Leitbilder und aus ihnen entwickelte staatliche Normen andererseits und schließlich der parallel geführte Diskurs über familiale Werte am Beispiel des ernestinischen Herzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach und besonders seiner Residenz um 1800 im Fokus. Familienähnliche Gemeinschaften mit und ohne Kinder, die den konventionellen Familienbildern nicht gerecht wurden, standen im Widerspruch zu den staatlichen Bemühungen um die Kontrolle des zwischenmenschlichen Zusammenlebens und regten die Zeitgenossen zu teils progressiven Ideen über familiales Zusammenleben an. Die Trias von Norm, Wirklichkeit und Diskurs impliziert die zentralen Fragestellungen dieser Studie: Welche Familientypen und Lebensweisen existierten um 1800 nebeneinander? Ist das Konzept des „ganzen Hauses“ angesichts der heterogenen Lebensformen eine angemessene analytische Kategorie? Wie reagierte die Gesellschaft auf geschiedene Eheleute, auf ledige Mütter und unverheiratete Paare mit Kindern? Wie erlebten und bewerteten staatliche und kirchliche Obrigkeiten bzw. weltliche und geistliche AutorInnen16 die nicht zu unterschätzende Zahl an Scheidungen, die vielen unehelichen Geburten und die unverheirateten Paare mit Kindern? Welchen Anteil hatten staatliche und kirchliche Entscheidungsträger an der Verbreitung unehelicher Geburten und Ehescheidungen? Wie veränderten sich um 1800 die bis dato existierenden Familienbilder unter dem Eindruck geschiedener und wilder Ehen? Die vorliegende Studie verbindet und ergänzt die Forschung, indem sie uneheliche Kinder und Ehescheidungen als familienstrukturierende Ereignisse verknüpft, in ihrer familialen und sozialen Lebenswelt analysiert und die darauf reagierende Gesetzgebung, Rechtsprechung und Publizistik untersucht. Mit der Beleuchtung von Prozessen des sogenannten „Verwandtschaft-Machens“, das unter anderem durch die Zeugung unehelicher Kinder oder die Initiierung von Ehescheidungen geschieht, ist die vorliegende Studie auch den New Kinship Studies

16 Da die Vor- und Nachnamen einiger anonymer Verfasser gänzlich unbekannt sind, könnten auch Autorinnen unter ihnen sein. Um jedoch den Lesefluss zu erleichtern, wurde auf die wiederkehrende beidgeschlechtliche Bezeichnung auch mittels Artikel verzichtet und die für die Zeit um 1800 statistisch wahrscheinlichere, männliche Autorschaft angenommen.

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I. EINLEITUNG

zuzuordnen und ergänzt diese um eine weitere (früh-)neuzeitliche Perspektive. Ausgehend vom englischsprachigen Raum wurden jene Forschungen unter anderem durch die Arbeiten von Erdmute Alber, Bettina Beer, Julia Pauli und Michael Schnegg auch in der deutschen Verwandtschaftsethnologie rezipiert. Die New Kinship Studies hinterfragen seit der Mitte der 1990er Jahre entgegen der vorherigen Verwandtschaftsforschung die Genealogie als die einzige Grundlage verwandtschaftlicher Beziehungen und entwickelten das Konzept des Verwandtseins. Demnach basiere Verwandtschaft vor allem auf der gedachten bzw. empfundenen oder auch gelebten Beziehung von Personen zueinander.17 Der Prozess des „Verwandtschaft-Machens“, des „kinning“, geht auf Signe Howell zurück und betont die Aktivität und Prozesshaftigkeit der Entstehung verwandtschaftlicher Beziehungen. Er berücksichtigt zugleich die Möglichkeit des „de-kinnings“, des Lösens oder auch Scheiterns von Verwandtschaftsbeziehungen, das sich unter anderem bei Ehescheidungen ereignet. 18 Zuletzt widmeten sich unter anderem Margareth Lanzinger und Christine Fertig in einem Sammelband den Beziehungen, Vernetzungen und Konflikten seit dem 14. Jahrhundert bis in die Neuzeit und darin Jürgen Schlumbohm mit seinem Beitrag zur Verwandtschaft unehelicher Kinder den Formen des Verwandt-Machens.19 Insgesamt konzentrierte sich die historische Wirtschafts-, Sozial- und Familienforschung bislang eher auf intakte Paar- und Geschlechterbeziehungen und veröffentlichte übergreifende Studien zu Familienformen und deren Wandlungsprozessen etwa unter ökonomischen Gesichtspunkten. Dazu zählen Arbeiten von Michael Mitterauer, Andreas Gestrich, Heide Wunder, Josef Ehmer, Hans Medick, David Sabean und Philippe Daumas, aber auch die Studie von Lars Hennings und die Sammelbände von Andreas Holzem und Ines Weber sowie Inken Schmidt-Voges.20 Andere Untersuchungen zu Ehe und Familie etwa von Monika Wienfort zur Geschichte der Ehe seit der Romantik nehmen sowohl nichteheliche Lebensgemeinschaften wie auch Ehescheidungen in den Blick, bleiben jedoch Überblicksdarstellungen, differenzieren jene familialen Ereignisse

17 ALBER u.a., Verwandtschaft (2010), S. 10–12. 18 Vgl. HOWELL, Kinning (2006); ALBER u.a., Verwandtschaft (2010), S. 20–25. 19 Vgl. FERTIG/LANZINGER (Hg.), Beziehungen (2016); SCHLUMBOHM, Verwandtschaft (2016); LANZINGER/SAURER (Hg.), Politiken (2007); SABEAN, Kinship (1998); JARZEBOWSKI, Inzest (2006). 20 Vgl. MITTERAUER, Grundtypen (1979); MITTERAUER/SIEDER (Hg.), Patriarchat (1984); GESTRICH u.a., Geschichte (2003); WUNDER/VANJA (Hg.), Wandel (1991); MEDICK/ SABEAN (Hg.), Emotionen (1984); DAUMAS, Familles (2003); EHMER/MITTERAUER (Hg.), Familienstruktur (1986); MITTERAUER, Arbeitsteilung (1992); REINHARD, Lebensformen (2004); HENNINGS, Gemeinschaftsformen (1995); HOLZEM/WEBER (Hg.), Ehe (2008); SCHMIDT-VOGES (Hg.), Ehe (2010).

2. FRAGESTELLUNG UND FORSCHUNGSKONTEXT

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in den kurzen Kapiteln zu wenig und lassen neuere Studien teilweise völlig außer Acht.21 Die Untersuchungen zur Familienentwicklung im Bürgertum von Rebekka Habermas und Anne-Charlott Trepp, zur Ledigkeit Bürgerlicher von Bärbel Kuhn oder zum Mythos der intakten Familie in Recht und Literatur berücksichtigen nur einen Teil der Gesellschaft oder legen ihren Schwerpunkt auf das 19. Jahrhundert.22 Deren Ergebnisse über den Wandel familialer Realitäten und Leitbilder lassen sich nur bedingt auf andere soziale Schichten und Epochen übertragen, zumal das noch heute propagierte Ideal der Kernfamilie im Bürgertum des 19. Jahrhunderts generiert wurde. Die Heiratsmöglichkeiten ärmerer Paare waren mitunter durch obrigkeitlichen Ehekonsens oder Heiratsverbote für bestimmte Berufsgruppen beschränkt. Die Partnerwahl in Adel und Bürgertum unterlag ökonomischen oder dynastischen Zwängen. All dies provozierte heimliche Affären bzw. uneheliche Kinder sowie Ehekonflikte und Trennungswünsche. Der Illegitimität bzw. den wilden Ehen an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert widmet sich die Forschung bereits ausführlich aus sozial-, kulturund geschlechtergeschichtlichen Perspektiven. Sie untersucht vor allem das Auftreten und die Ursachen von Unehelichkeit, das Phänomen Kindsmord oder die jeweiligen Lebensumstände der Mütter bzw. Elternpaare. Hierzu zählen die Veröffentlichungen von Michael Mitterauer, Stefan Breit, Markus Meumann, Beate Harms-Ziegler sowie Jürgen Schlumbohm und Karin Gröwer, um nur einige zu nennen.23 Im europäischen Kontext sind beispielsweise die Arbeiten von Verena Pawlowsky zu Wiener Findelkindern oder Susanna Burghartz zu frühneuzeitlicher Ehe und Sexualität in Basel zu nennen.24 Studien zur frühneuzeitlichen Prostitution und zu Straf- oder Fürsorgeeinrichtungen, auch zu

21 WIENFORT, Verliebt (2014), S. 30–32, 242–244. 22 Vgl. HABERMAS, Frauen und Männer (2000); TREPP, Männlichkeit (1996); KUHN, ledig (2002); MICHALSKI, Heile Familie (2015); KROPPENBERG/LÖHNIG (Hg), Fragmentierte Familien (2010). 23 Vgl. MITTERAUER, Mütter (1983); SCHLUMBOHM (Hg.), Familie (1993); DERS., Lebensläufe (1997); GRÖWER, Wilde Ehen (1999); MÜNCH, Lebensformen (1992); HARMS-ZIEGLER, Mutterschaft (1997); DIES., Illegitimität (1991); SUTTER, Act (1995); ULBRICHT, Kindsmord (1997); BREIT, Leichtfertigkeit (1991); WAHL (Hg.), Kind (2004); BATEN/MURRAY, Bastardy (1997); KRAUS, Ehesegen (1979); MEUMANN, Findelkinder (1995); VAN DÜLMEN, Kindsmord (1991); HARRINGTON, Unwanted Child (2009); HULL, Sexuality (1996). 24 Vgl. PAWLOWSKY, Mütter (1997); BURGHARTZ, Zeiten (1999); VIAZZO, Mortality (2001); SOGNER, Looking (2003).

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I. EINLEITUNG

Hebammen und Scharfrichtern, thematisieren ebenfalls mehr oder weniger ausführlich alternative Familien- und Lebenskonzeptionen.25 Weniger intensiv wurden von der Geschichtswissenschaft bislang Ehescheidungen im 18. und 19. Jahrhundert untersucht, obwohl sich die Geschlechtergeschichte in den vergangenen Jahren ausgiebig mit Ehe(-konflikten) und Partnerschaft auseinandergesetzt hat. Mit der sich bereits abzeichnenden relativ hohen Zahl nachgewiesener Ehescheidungen in Sachsen-Weimar-Eisenach und in der Residenzstadt ergänzt die vorliegende Studie bisherige Forschungsergebnisse zum Untersuchungszeitraum. Als einschlägig gelten die Publikationen von Dirk Blasius zu Ehescheidungen und deren rechtlichen Rahmenbedingungen in Preußen. Ehekonflikte und -scheidungen im deutschsprachigen Raum untersuchten Siegrid Westphal, Silvia Möhle für Göttingen und Alexandra Lutz für die holsteinische Propstei Münsterdorf. Im europäischen Kontext forschten Jeffrey Watt zum schweizerischen Neuchâtel, Hanne Marie Johansen zu Norwegen sowie Patricia Mainardi, James Traer und Roderick Phillips zu Frankreich, Lawrence Stone zu England und Leah Leneman zu Schottland. 26 Weitere Untersuchungen widmen sich Detailfragen wie etwa Ehescheidungen unter (hoch-)adligen Paaren oder dem Scheidungsrecht. 27 Ehescheidungen durch landesherrlichen Dispens blieben hingegen bislang völlig unberücksichtigt. Die nachfolgenden Kapitel werden dieses Desiderat erschließen. Die Auseinandersetzung mit gelebten Familienformen berührt einen innerhalb der Geschichtswissenschaft immer wieder diskutierten Themenkomplex: den des frühneuzeitlichen „ganzen Hauses“. Inwieweit war dieses Modell um 1800 bzw. im 19. Jahrhundert immer noch präsent? Wird es den damaligen Familienformen gerecht? Die Forschung zu familialen Wandlungsprozessen in dieser Zeit wurde lange durch Wilhelm Heinrich Riehls (1823–1897) Konzept vom „ganzen Haus“ geprägt, das Otto Brunner in der Mitte des 20. Jahrhunderts noch einmal popularisierte.28 Riehl konstatierte einen linearen Wandel von einer vormodernen Großfamilie, die auch das Dienstpersonal einschloss, hin zu einer 25 Vgl. ASSFALG, Strafen (2001); SCHAUZ, Strafen (2008); DUDEN, Ungeborenen (2002); DIES., Haut (2007); SEIDEL, Kultur des Gebärens (1998); KIENITZ, Sexualität (1995); BAUER u.a., Fürsorge (2011); EDER, Kultur (2002). 26 Vgl. BLASIUS, Ehescheidung (1987); DERS., Last (1992); DERS., Reform (1997); WESTPHAL u.a., Venus (2011); MÖHLE, Ehekonflikte (1997); LUTZ, Ehepaare (2006); WATT, Divorce (1989); JOHANSEN, Marriage Trouble (2005); MAINARDI, Husbands (2003); TRAER, Family Court (1974); PHILLIPS, Rouen (1976); DERS., Untying (1991); DERS., Breakdown (1980); STONE, Road (1990); DERS., Broken Lives (1993); LENEMAN, Alienated Affections (1998). 27 Vgl. IFFERT, Trennung (2007); WILLKOMMEN, Schiller (2011); BUCHHOLZ, Ehescheidungsrecht (1997); R. BECK, Frauen in Krise (1992); ERBE, Ehescheidungsrecht (1955); RABAA, Rechtsinstitut (2011); GRÜNENFELDER, Ehegericht (2007). 28 Vgl. BRUNNER, Ganze Haus (1968).

2. FRAGESTELLUNG UND FORSCHUNGSKONTEXT

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bürgerlichen Kernfamilie des 19. Jahrhunderts, bei der das „ganze Haus […] der Vereinzelung der Familie weichen“ musste.29 Otto Brunner griff dieses Konzept von einer stringenten Entwicklung generalisierend auf und wurde dafür kritisiert und widerlegt.30 In Anlehnung an die Kategorie des „ganzen Hauses“ als Bezeichnung für frühneuzeitliche Wohn- und Sozialformen, die neben den Familienangehörigen auch die Dienstboten einschlossen, wird der Terminus des „Hauses“ von der Forschung jedoch weiterhin verwendet, um soziale, wirtschaftliche, rechtliche und räumliche Dimensionen frühneuzeitlichen Zusammenlebens zu beschreiben. So hebt Joachim Eibach den Mischcharakter des „Hauses“ hervor, das als sozialer Raum den handelnden Akteuren öffentlich zugänglich war und den Bewohnern zugleich als Rückzugsraum diente. Für ihn ist das Modell des frühneuzeitlichen „Hauses“ nach wie vor aktuell, da es ein „normativ aufgeladene[s] zeitgenössische[s] Konzept“ darstelle, in den Quellen anhand von Begrifflichkeiten wie etwa dem „Hausvater“ und der „Hausmutter“ wiederzufinden sei und zudem die zeitgenössische Perspektive biete. 31 Renate Dürr verwendet das „Ganze Haus“ als „,analytische‘ Kategorie“, weil es die unterschiedlichen Ebenen zwischenmenschlichen Zusammenlebens und Arbeitens, des gemeinsamen „Hausens“ zu umfassen vermag.32 Inken Schmidt-Voges betont die rechtlichen und normativen Dimensionen des Hauses, in dem eine „Vielfalt unterschiedlicher Rechtsbeziehungen“ vorherrschte, die durch christlich-ökonomische „Normenkomplexe“ reguliert wurden.33 Die bisherigen Forschungsarbeiten zu alternativen Familienformen bzw. unehelichen Geburten und Ehescheidungen fragen nach Möglichkeiten und Grenzen der Akteure in ihrem jeweiligen Milieu. Die Ergebnisse werden mit jenen dieser Studie verglichen. Mehrere Publikationen erörtern die im jeweiligen Untersuchungs(zeit)raum erlassenen Gesetze oder Maßnahmen staatlicher und lokaler Obrigkeiten, hinterfragen dabei jedoch meist nicht explizit die den Verordnungen und Debatten innerhalb der Verwaltung zugrunde liegenden Wahrnehmungen und Vorstellungen vom familialen Leben.34 Die nachfolgende 29 RIEHL, Naturgeschichte 3 (1856), S. 147. 30 Vgl. OPITZ, Neue Wege (1994); EIBACH, Haus (2008); DILCHER, Ordnung (1997); WEISS, Brunner (2001); TROSSBACH, Haus (1993); GRÖBNER, Außer Haus (1995); DÜRR, Dienstbote (1997). Obwohl die Forschung das „ganze Haus“ verworfen hat, findet es noch immer Anklang: KRUSE, Natur-Diskurs (2013). 31 EIBACH, Haus (2008), S. 187, 190; EIBACH/SCHMIDT-VOGES (Hg.), Haus Handbuch (2015). 32 DÜRR, Mägde (1995), S. 22. 33 SCHMIDT-VOGES, Strategien (2010), S. 19. 34 Vgl. ELLRICHSHAUSEN, Mutterschaft (1988); MICHALIK, Kindsmord (1997); BLASIUS, Ehescheidung (1987); SCHLUMBOHM, Wilde Ehen (1993); LUTZ, Ehepaare (2006).

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I. EINLEITUNG

Untersuchung wagt hier einen innovativen Brückenschlag zwischen den real existierenden Familienformen und den zeitgenössisch konstruierten Familienbildern: Die Ergebnisse der sozialgeschichtlichen Analyse werden mit den zeitgenössischen Diskussionen über Ehe und Familie konfrontiert, um so den Realitätsgehalt der propagierten Familienbilder zu prüfen. Dadurch kann das Verhältnis zwischen Praxis und Theorie anhand obrigkeitlich-staatlicher Eingriffe in die private Lebensführung beleuchtet werden. Obrigkeitliches Handeln angesichts begangener Straftaten wie etwa Kindsmord sind samt den einschlägigen Debatten von der Forschung bereits ausführlich analysiert worden. Volker Wahls Edition zu Sittlichkeitsdelikten und Kindsmord in der Frühen Neuzeit geht neben der Wiedergabe der einschlägigen Unterlagen zu vier Strafgerichtsprozessen in Sachsen-Weimar-Eisenach im ausführlichen Nachwort von René Jacques Baerlocher auf die zeitgenössische Debatte, wie der Infantizid zu verhindern sei, und die nachfolgende Rezeption und Forschung ein.35 Zahlreiche ältere und jüngere Studien, die sich etwa auf Max Weber, Norbert Elias, Paul Oestreich oder Michel Foucault beziehen, haben sich zudem mit frühneuzeitlichen (Sozial-)Disziplinierungsmechanismen und Strategien absolutistischer Reformpolitik sowie gesellschaftlichen Wandlungsprozessen befasst, die wie die Maßnahmen im ernestinischen Herzogtum dem Erhalt der staatlichen Ordnung dienten.36 Mit einem Fokus auf die Sozialdisziplinierung hat Werner Greiling den gesellschaftlichen Wandel in Thüringen unter Einfluss der sogenannten „Intelligenzblätter“ untersucht. 37 Der Beschaffenheit bzw. der Stabilisierung der Ordnung des Gemeinwesens widmen sich bislang Studien etwa von Andrea Iseli zur „guten Policey“ oder von Thomas Simon zu Ordnungsleitbildern und Zielvorstellungen politischen Handelns in der Frühen Neuzeit. Mit der Ordnung der Geschlechter und dabei mit der Diskussion der traditionellen Geschlechterrollen im ausgehenden 18. Jahrhundert befasste sich Claudia Honegger.38 Ferner sind sich die unterschiedlichen Strömungen der Verwandtschaftsethnologie darüber einig, dass es sich „bei Verwandtschaft um ein universelles Ordnungsprinzip handelt, das in allen Gesellschaften […] für die soziale Organisation eine wichtige Rolle spielt.“39 Vor diesem Hintergrund fragt 35 Vgl. WAHL (Hg.), Kind (2004). 36 Vgl. WEBER, Wirtschaft (2009); FOUCAULT, Überwachen (2004); ELIAS, Prozess (1997); OESTREICH, Strukturprobleme (1969); SCHILLING/GROSS (Hg.), Spannungsfeld (2003); MAIER, Sozialdisziplinierung (1993). 37 Vgl. GREILING, Intelligenzblätter (1995). 38 WUNDER, Sonn (1992), S. 67, 69; BURGHARTZ, Zeiten (1999), S. 37; MAIER, Art. Polizei, in: HRG 3 (1984), Sp. 1800. Vgl. ISELI, Policey (2009); SIMON, Ordnungsleitbilder (2004); HONEGGER, Ordnung (1992). 39 ALBER u.a., Verwandtschaft (2010), S. 20.

2. FRAGESTELLUNG UND FORSCHUNGSKONTEXT

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die vorliegende Studie explizit nach dem Wechselspiel politischer, gesellschaftlicher und familialer Ordnung und Unordnung und nach deren Fundamenten sowie Störfaktoren. Zahlreiche Untersuchungen widmeten sich bereits den einschlägigen publizistischen Gattungen wie der Hausväterliteratur sowie Strömungen innerhalb der zeitgenössischen Volksaufklärung. So untersuchten Alexander Krünes in seiner Dissertation die Volksaufklärung in Thüringen zur Zeit des Vormärz und Werner Greiling die Korrelation von Presse und Öffentlichkeit sowie die Mediale Verdichtung und kommunikative Vernetzung im 18. und 19. Jahrhundert in Thüringen.40 Wandlungsprozesse sozialer und familialer Normen und Werte erörtern vor allem anhand konventioneller Familienformen mehrere Forschungsarbeiten beispielsweise zum Bürgertum oder zur Geschlechterordnung sowie die bereits vorgestellte historische Familienforschung. 41 So weist Inken Schmidt-Voges darauf hin, dass die Diskrepanz zwischen gelebten Familien- und Lebensformen und den traditionellen Deutungsmustern des 18. Jahrhunderts zunehmend wuchs und es einer Korrektur bzw. Anpassung der Normen bedurfte.42 Die Verknüpfung von unehelichen Geburten und Ehescheidungen liefert neue Erkenntnisse, inwieweit beide Phänomene bzw. deren Wahrnehmung und Diskussion jene Transformationsprozesse und neue Vorstellungen von familialem Leben angeregt haben. Sie verdeutlicht, wie bis dato bestandene Ressentiments gegenüber Illegitimität oder wilden Ehen und geschiedenen Paaren aufgebrochen und die neuen Phänomene in bestehende Vorstellungen von familialem Leben integriert wurden. Die vorgestellten Studien zu Illegitimität oder Ehescheidungen behandeln beide Phänomene separat und betrachten sie nicht oder nur marginal als familienbildende oder -strukturierende Ereignisse. Dabei handelt es sich um zwei dem zeitgenössischen Ideal bzw. dem Ordnungsmodell einer auf der Ehe basierenden Familie zuwiderlaufende Phänomene. Deshalb eignen sie sich besonders gut für die Untersuchung der darauf reagierenden obrigkeitlichen Regulierungsversuche, der Debatten in Rechtsprechung und Publizistik sowie für die Untersuchung der gewandelten Vorstellungen vom familialen Leben. Den genannten Publikationen der historischen Familienforschung liegt zudem meist ein anthropologischer oder sozialgeschichtlicher Ansatz zugrunde, während ideengeschichtliche Aspekte nur eine untergeordnete Rolle spielen oder 40 Vgl. KRÜNES, Volksaufklärung (2013); DERS., Volksaufklärung (2007); GREILING, Presse (2003); FRÜHSORGE, Einheit (1976); DERS., Begründung (1978); HOFFMANN, Hausväterliteratur (1959); HÄUSLER, Hausmutter (1989). 41 EIBACH, Haus (2008), S. 188; SCHMIDT-VOGES, Strategien (2010), S. 11; LUTZ, Ehepaare (2006), S. 185f.; vgl. HAHN/HEIN (Hg.), Werte (2005). 42 SCHMIDT-VOGES, Strategien (2010), S. 11.

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I. EINLEITUNG

vorschnell generalisierend thematisiert werden.43 Beate Harms-Ziegler verknüpft in ihrer Untersuchung die Wechselwirkung von Illegitimität in Preußen mit dem dort geführten Ehediskurs, so dass ein Vergleich mit den für Weimar generierten Ergebnissen möglich ist. Verschiedene weitere sozialgeschichtliche Studien gewannen ihre Ergebnisse ebenfalls aus diskursanalytischen Ansätzen und bieten einen sehr guten Überblick über die dazu geleistete Forschung, an der sich die nachfolgende Untersuchung orientiert.44 Da die bisherige landesgeschichtliche Forschung die Residenzstadt Weimar und die benachbarte Universitätsstadt Jena als Orte hervorhebt, in denen alternative Lebensformen und -vorstellungen um 1800 diskutiert und praktiziert wurden, bildet das ernestinische Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach den optimalen Untersuchungsraum für gelebte Familienformen, die darauf reagierenden Gesetze und die ihnen zugrunde liegenden Vorstellungen von Ordnung und Familie. In der durch den DFG-Sonderforschungsbereich „Ereignis Weimar-Jena: Kultur um 1800“ eingehend untersuchten „Doppelstadt“ traten unkonventionelle Gemeinschaftsformen offenbar gehäuft auf. Davon zeugen mehrere dutzend Scheidungen Adliger, die am Hofe tätig waren oder enge Kontakte zu dessen höfischer Gesellschaft pflegten. Davon zeugen ferner die wilde Ehe Goethes in Weimar oder der gemischtgeschlechtliche Haushalt der Brüder Friedrich und August Wilhelm Schlegel gemeinsam mit dessen Ehefrau Caroline und Dorothea Veit in Jena.45 Beide Städte beheimateten viele Dichter, Denker und Künstler, deren Lebensweise nicht den gesellschaftlichen Konventionen entsprach. Hier konnten Geschlechterrollen, Lebensentwürfe und Familienformen diskutiert und teilweise auch umgesetzt werden. Der Hofbuchbinder Schultze und seine von ihm geschiedene Frau, die im sozialen Umfeld bekannte Affäre Emilie von Wertherns mit August von Einsiedel oder auch Goethes jahrelang gelebte wilde Ehe waren keine Einzelfälle. Wilde Ehen oder Ehescheidungen in der Residenzstadt oder in SachsenWeimar-Eisenach wurden bislang auch von der älteren Lokalforschung nicht 43 Eine allzu rasche Verallgemeinerung zeitgenössischer Vorstellungen auf einen scheinbaren Konsens stellte auch Siegrid Westphal fest: WESTPHAL, Aufklärung (2010), S. 51f. 44 HARMS-ZIEGLER, Illegitimität (1991); FUHRMANN, Volksvermehrung (2002); SCHAUZ, Strafen (2008), S. 23–29. 45 Einen Einblick in die bisherige Forschung zu Goethes wilder Ehe mit Christiane Vulpius oder zur Wohngemeinschaft der Schlegel-Brüder mit ihren Lebensgefährtinnen und späteren Gattinnen Dorothea und Caroline Schlegel bieten die Einträge zu den jeweiligen Damen im bio-bibliographischen Lexikon: FREYER u.a. (Hg.), FrauenGestalten (2009). Die im Rahmen des Sonderforschungsbereiches entstandenen Publikationen sind in dessen Bibliographie zusammengefasst: Bibliographie des Sonderforschungsbereiches 482. Ereignis Weimar-Jena, Kultur um 1800, Jena 2010. Vgl. WILLKOMMEN, Ehescheidung (2009); DI BARTOLO, Leben (2008), S. 260.

2. FRAGESTELLUNG UND FORSCHUNGSKONTEXT

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systematisch untersucht. Durch den Sonderforschungsbereich sind jedoch die peripheren Themengebiete gelebter Familienformen im Herzogtum wie politische oder geschlechtergeschichtliche Aspekte ausführlich erörtert worden. Grundlegend war etwa Marcus Ventzkes Studie zu Sachsen-Weimar-Eisenach am Ende des 18. Jahrhunderts unter der Regierung Carl Augusts (1775–1828). Der Frage nachgehend, inwieweit Carl Augusts Politik in seinen ersten Herrschaftsjahren (1775–1783) den Grundzügen eines aufgeklärten Reformabsolutismus gerecht wurde, untersuchte Ventzke besonders finanz-, steuer- und wirtschaftspolitische Maßnahmen, aber auch Aspekte der Wohlfahrtspflege oder Justizreformen. Die Untersuchung der Familien- und Lebensformen sowie -vorstellungen knüpfte an seine Ergebnisse etwa zum Jenaer Accouchierhaus, zur rechtlichen Bekämpfung von Illegitimität, zum Prozesswesen oder auch zur obrigkeitlichen Reformbereitschaft an und ging durch den bis in das 19. Jahrhundert hineinreichenden Untersuchungsraum darüber hinaus. Julia Di Bartolo bietet mit ihrer Untersuchung des selbstbestimmten Lebens der beiden Geschiedenen Henriette von Egloffstein und Sophie Mereau sowie der verwitweten Johanna Schopenhauer in Weimar und Jena um 1800 eine einschlägige Studie zu alternativen weiblichen Lebensentwürfen im Untersuchungsraum. Die Rechte von Frauen vor dem Jenaer Hofgericht untersuchte Hendrikje Carius und lieferte dabei Erkenntnisse über das selbständige Agieren und die Handlungsmöglichkeiten von Gattinnen, Geschiedenen, Alleinstehenden und Verwitweten vor Gericht. Sie erörtert ferner wesentliche Aspekte der Rechtskultur in Sachsen-Weimar-Eisenach.46 Mit dem weniger geschlechtergeschichtlichen, sondern eher sozial- und kulturhistorischen Fokus auf gelebte Familienformen erschließt die vorliegende Untersuchung neue, von der lokalen Forschung bislang nur beiläufig berücksichtigte Themenfelder. Zahlreiche weitere Studien zum Untersuchungsraum bieten Ergebnisse etwa zu vitalstatistischen Entwicklungen, zu illegitimen Geburten, zu sozialen Verflechtungen einzelner gesellschaftlicher Gruppen wie etwa der Hofhandwerker oder der Beamten, zu Bürgern Jenas und Weimars oder zum fürstlichen Hof. 47 Ferner wurden politik- und ideengeschichtliche Themen anhand einschlägiger Archivalien und zeitgenössischer Publikationen von der Forschung eingehend beleuchtet. 48 Es existieren weitere Einzelstudien zu Weimarer und Jenaer Persönlichkeiten, wie etwa Christian Hains Dissertation zum Weimarer

46 CARIUS, Recht (2012). 47 RIEDERER, Größe (2010), S. 87–116; HUNSTOCK, Weimar (2011); DEINHARDT, Stapelstadt (2007); DEINHARDT/FRINDTE, Ehe (2005). Vgl. die Beiträge in RIES (Hg.), Hof (2007); PÖHNERT, Hof und Stadt (2012); KRAUSE, Verwaltungsdienst (2010). 48 Vgl. HAHN/HEIN (Hg.), Werte (2005); EHRLICH/G. SCHMIDT (Hg.), Ereignis (2008).

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I. EINLEITUNG

Pädagogen Johannes Daniel Falk.49 Mehrere Autoren beobachten eine Öffnung der Weimarer und Jenaer Gesellschaft gegenüber unkonventionellen Lebensentwürfen und weisen dadurch den Untersuchungsraum einmal mehr als prädestiniert für die Erforschung alternativer Familienformen und damit einhergehender Ordnungsvorstellungen aus. Für die Untersuchung sich wandelnder familialer Normen waren die von Reinhart Koselleck als „Sattelzeit“ bezeichneten Jahrzehnte um 1800 besonders reizvoll, in denen er einen Bedeutungs-, Erfahrungs- und Erwartungswandel auch klassischer Topoi und Begriffe wie etwa der Familie diagnostizierte.50 Die sich bereits zu Beginn der Studie abzeichnende, verhältnismäßig hohe Scheidungsrate deutet entsprechende Tendenzen der Scheidungspraxis Sachsen-WeimarEisenachs an und lässt Dynamiken innerhalb der familialen Normen vermuten. Der 60 Jahre umfassende Untersuchungszeitraum von 1770 bis 1830 ist außerdem nahezu deckungsgleich mit der Regierungszeit Carl Augusts. Er erlaubt die vergleichende Analyse erlassener Gesetze und angestrebter Reformen eines Landesherrn und dessen Rolle bei der Verbreitung bzw. dem dauerhaften Bestehen von wilden Ehen und Ehescheidungen.

3. Gegenstand und Konzept 3. GEGENSTAND UND KONZEPT

Der Untersuchungszeitraum zählt zu den historischen Epochen mit einer hohen Dichte international bedeutsamer Ereignisse. Sie prägten auch das ernestinische Herzogtum, das 1815 zum „Großherzogtum“ aufstieg. Der 1741 hinzugewonnene Eisenacher Landesteil wurde bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts separat als „Sachsen-Weimar und Eisenach“ im Titel geführt. Zur Erleichterung des Leseflusses wird nachfolgend für den Zeitraum 1741 bis 1830 die Bezeichnung „Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach“ verwendet und Carl August ausschließlich als Herzog bezeichnet. Innerhalb der ereignisreichen Jahrzehnte um 1800 gerieten bis dato bewährte Ordnungen ins Wanken. Das Ende des Alten Reiches führte zu neuen politischen, die Verbreitung romantischer Ideale wie das der Liebesehe zu neuen familialen Leitbildern. Was ist konkret mit „Ordnung“ gemeint, was verstanden die Zeitgenossen darunter? Inwiefern waren dem zuwiderlaufende Ereignisse „wild“ oder „unordentlich“? Der Antagonismus zwischen familialer Ordnung und Unordnung ist ein Leitmotiv der nachfolgenden Untersuchung, die nach Familienidealen und alternativen Familienformen, nach ehelichen und

49 Vgl. HAIN, Institut (2014); EMDE (Hg.), Selbstinszenierungen 1 (2004); v. HÄFEN, Froriep (2007). 50 KOSELLECK, Einleitung, in: GG 1 (1972), S. XV.

3. GEGENSTAND UND KONZEPT

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unehelichen Kindern, nach verheirateten, unverheirateten oder geschiedenen Paaren und nach gesellschaftlicher und staatlicher Ordnung bzw. Unordnung sowie nach konventionellen und neuen Vorstellungen von Familie fragt. Im Fokus steht dabei die Rolle der Obrigkeit bei der Entstehung neuer familialer Normen und Praktiken vor dem Hintergrund des zeitgenössischen Diskurses. „Ordnung“ und „Unordnung“ sind Quellenbegriffe und wurden etwa zur Beschreibung politischer Stabilität im Sinne eines ordentlich eingerichteten Staates oder der Ehe als ordentliche[r] Verbindung verwendet.51 Andrea Iseli beobachtet einen Wandel der Ordnungsleitbilder seit dem 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts: Bezogen sie sich zunächst auf die Wahrung von Frieden und Recht, die Subsistenzsicherung und die Stabilisierung christlicher Werte und ständischer Prinzipien, setzten sich seit dem 17. Jahrhundert zunehmend pragmatisch-ökonomisch ausgerichtete Leitbilder durch, unter denen auch individuelle Freiheiten als schützenswert galten. 52 „Ordnung“ bzw. auch „politische Ordnung“ ist in Orientierung an der genuinen, aus der Antike herrührenden Bedeutung von „Politik“ als „dem öffentlichen Interesse, dem Gemeinwohl gemäß“ zu verstehen. 53 Die Zeitgenossen legitimierten Normen auch theologisch, da Gott „kein Gott der Unordnung, sondern der Ordnung“ sei, demzufolge „alles ehrlich und ordentlich zugehen […] solle“.54 Verstöße widersprachen demnach göttlichem Willen. Die „gute Policey“ war in der Frühen Neuzeit für die Wahrung der Ordnung zuständig, die bis in die persönlichsten Bereiche der Untertanen wie etwa die Eheanbahnung hineinreichte und die Bestrafung von Zuwiderhandlungen vorsah. Bis in das 19. Jahrhundert existierten beispielsweise neben Feuer-, Tax-, Holz- oder Gesindeordnungen zur Regelung, Finanzierung oder Sicherung des gesellschaftlichen Lebens auch Trauer- und Eheordnungen, die etwa mit speziellen Kleider- oder Festtagsregelungen die ständische Differenzierung reglementierten und zementierten. Ordnungsmaßnahmen und -vorschriften waren quasi ein konstituierendes Element frühneuzeitlichen (Zusammen-)Lebens.55 Innerhalb des frühneuzeitlichen Staates galt die Familie als Ursprung und Stütze aller Ordnung, da in ihr die zukünftigen Untertanen erzogen und ihnen dabei elementare sozio-kulturelle Normen und Werte wie etwa der Gehorsam gegenüber den Eltern, dem Dienst- und Landesherrn und gegenüber Gott vermittelt wurden. Aufgrund dieser elementaren Bedeutung der Familie für das 51 52 53 54 55

N.N., Hurerei (1777), S. 4f. ISELI, Policey (2009), S. 18–29. SELLIN, Art. Politik, in: GG 4 (1993), S. 789. N.N., Hurerei (1777), S. 42. SIMON, Ordnungsleitbilder (2004), S. 120–128; ISELI, Policey (2009), S. 32–55.

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I. EINLEITUNG

Funktionieren von Staat und Gesellschaft ahndeten die frühneuzeitlichen Obrigkeiten widriges Verhalten wie uneheliche Schwangerschaften, das den familialen oder anderen Leitbildern widersprach. Die Störer der Ordnung verbreiteten in den Augen ihrer Zeitgenossen Unordnung und Verderben und gefährdeten dadurch die gesellschaftliche und staatliche Stabilität.56 Inwieweit sie sich selbst ebenfalls als „Unordentliche“ wahrnahmen oder ob sie andere Vorstellungen von gesellschaftlicher und familialer Ordnung besaßen, versuchen die nachfolgenden Kapitel anhand der wenigen, dazu potenziell aussagekräftigen Quellen zu ermitteln.57 So deutet etwa die sich abzeichnende, verhältnismäßig hohe Scheidungsbereitschaft seitens der zuständigen Instanzen auf veränderte Sittlichkeitsvorstellungen hin. Dieser Mentalitätswandel, etwa das Eingeständnis gescheiterter Ehen und damit familialer Unordnung, musste sich für ein erhöhtes Scheidungsaufkommen nicht nur bei den betroffenen Paaren, sondern auch bei der Obrigkeit vollziehen, da sie die Auflösung der Ehen erst ermöglichte. Unordnung schlug sich auch im Sprachgebrauch nieder und wurde sprachlich als solche gekennzeichnet: Kinder wurden „unehelich“ gezeugt und geboren, sie galten als „illegitim“, unverheiratete Paare lebten in „wilder“ Ehe zusammen. Dabei weist die Bezeichnung „unehelich“ auf den Missstand hin, dass Nachkommen zwei nicht miteinander verheiratete Eltern besaßen. Waren ein Teil oder beide verheiratet, galten deren Kinder als außerehelich, da sie außerhalb der geschlossenen Ehe(n) gezeugt worden waren. Die zuweilen zeitgenössisch wie auch von der Forschung synonym verwendeten Termini „unehelich“ und „außerehelich“ unterscheidet auch die nachfolgende Betrachtung nicht.58 Sowohl außerehelich als auch unehelich gezeugte Kinder werden als „unehelich“ bezeichnet und der Ehestand ihrer Eltern nicht näher differenziert, da er für den Illegitimitätsstatus des Kindes unerheblich ist und da „außerehelich“ das unehelich geborene Kind oder die Schwangerschaft nur näher spezifiziert. „Illegitimität“ wurde bis in das 20. Jahrhundert hinein synonym zu „Unehelichkeit“ verwendet und verwies auf deren rechtliche und moralische Dimension. Ein weiterer, für Unordnung verwendeter Begriff war und ist „wild“, der laut Duden noch heute unter anderem „unkontrolliert, nicht reglementiert [und oft ordnungswidrig oder gesetzeswidrig] sowie offiziell nicht gestattet“ bedeutet. Entsprechend betitelt die schon in der Frühen Neuzeit verwendete Bezeichnung „wilde Ehe“ jene Paare, die unverheiratet eine dauerhafte intime Beziehung unterhalten und gegebenenfalls auch zusammenwohnen. In den meisten zeitgenössischen Lexika ist der Begriff der „wilden Ehe“ nicht eigens verzeichnet. Stattdessen wird sie meist als Synonym zum Konkubinat, zum unehelichen Beischlaf, 56 N.N., Hurerei (1777), S. 34. 57 Ebd., S. 35. 58 BREIT, Leichtfertigkeit (1991), S. 78.

3. GEGENSTAND UND KONZEPT

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zur Kebsehe, zur Kryptogamie oder auch zur Win(c)kelehe aufgeführt. 59 Letzteres benennt laut dem 1749 erschienenen Allgemeinen Haushalts-Lexicon die zwischen jungen Menschen ohne Kenntnis der Eltern oder Vormünder heimlich vollzogene bzw. geführte Ehe.60 Unehelicher Beyschlaff, oder Concubinat liegt laut Johann Heinrich Zedlers seit den 1730er Jahren herausgegebenem, nach ihm als Zedler bezeichneten Universallexicon vor, wenn jemand mit einer Weibs-Person der Vertrauligkeit eines Ehemannes pfleget, ohne daß er sie ihm ehelich antrauen lassen.61 Der Zedler versteht demnach unter Concubinat vor allem den illegalen Geschlechtsverkehr an sich und bleibt damit nahe am lateinischen Ursprung „concubinus“, was „Beischläfer“ bedeutet und von „cubare“ („liegen“) abgeleitet ist. Andere zeitgenössische Nachschlagewerke erweitern die Bedeutungszuschreibung um die dauerhaft unterhaltene (heimliche) Paarbeziehung, die sich in die Eheähnlichkeit andeutenden Synonymen wie „wilde Ehe“ oder „Kebsehe“ ausdrückt. Hier treten die schon im Lateinischen vorkommenden, unterschiedlichen Bedeutungszuschreibungen zum „concubinatus“ hervor, das sowohl eine Geschlechtsgemeinschaft außerhalb der Ehe, neben einer Ehe oder in einer Ehe minderen Rechts bezeichnen konnte.62 Die Herkunft der Formulierung „wilde Ehe“ erläutert keines der konsultierten Lexika, da sie in allen Artikeln lediglich als Synonym genannt wird.63 In Sachsen-Weimar-Eisenach war eher der Ausdruck „wilde Ehe“ und weniger „Konkubinat“ gebräuchlich und stand den gesichteten Quellen zufolge für die dauerhafte Paarbeziehung unverheirateter Personen, meist mit gemeinsamen Kindern. Promiskuität bzw. „Hurerei“ lag hingegen beim Sexualverkehr mit mehr als einem Partner vor. Der spontane, einmalige Geschlechtsakt wurde meist als „Unzucht“, auf Latein als „stuprum“ oder „uneheliche Schwängerung“ bezeichnet. Im Folgenden wird in Anlehnung an die in SachsenWeimar-Eisenach übliche Verwendung eine dauerhafte (mehrmonatige) nichteheliche Paarbeziehung (auch ohne gemeinsame Wohnung) als „wilde Ehe“ ausgewiesen, wenngleich in der frühneuzeitlichen Forschung „Konkubinat“ 59 Art. Concubinat, in: SCHMITTHENNER, Wörterbuch (1837), S. 97; Art. Concubinat, in: MEYNIER, Zeitungslexicon (1821), S. 115; Art. Kryptogamie, in: KALTSCHMIDT, Kurzgefasstes (1834), S. 518. 60 Zit. nach: Art. Winkelehe, in: GRIMM u.a. (Hg.), Wörterbuch 30 (1860), Sp. 367. 61 Art. Unehelicher Beyschlaff, in: ZEDLER, Universallexicon 49 (1746), Sp. 1209. 62 BECKER, Lebensgemeinschaft (1978), S. 14. 63 Karin Gröwer definiert sie in ihrer Untersuchung „Wilde Ehen im 19. Jahrhundert zwar als die im allgemeinen Sprachgebrauch des 19. Jahrhunderts verbreitete Bezeichnung für ein ungetrautes, dauerhaftes Zusammenleben von Mann und Frau in einer gemeinsamen Wohnung“ (GRÖWER, Wilde Ehen (1999), S. 14). Allerdings fehlen die Belegstellen und die nächstfolgende Fußnote verweist auf Hans-Jürgen Beckers Aufsatz, der darin die „wilde Ehe“ nicht näher bestimmt (Ebd., Anm. 9 bzw. BECKER, Lebensgemeinschaft (1978)).

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I. EINLEITUNG

gebräuchlicher ist. 64 Aufgrund ihrer häufigen Nennung und ihrer zeitgenössischen Geläufigkeit werden die Quellenbegriffe Hurerei, Unzucht oder wilde Ehe außer in direkten Zitaten oder sprachlichen Referenzen nicht eigens als solche durch Anführungszeichen gekennzeichnet. Indem „wilde Ehe“ vorrangig die Paarbeziehung beschreibt, sind unverheiratete Paare mit Kindern nicht einbezogen und bedürfen einer eigenen Benennung. In Anlehnung an die eigenmächtig begründete, wilde Ehe werden unverheiratete Eltern und ihre Kinder nachfolgend auch als „wilde Familien“ bezeichnet – unter der Prämisse, dass erst mit Kindern aus einer monogamen Beziehung eine Familie entsteht. Zugleich gelten in einem weiteren Sinne auch jene Familien als „wild“, die den familialen Idealvorstellungen zuwiderliefen, wie etwa durch Ehescheidung getrennte und neu entstandene familiale Bindungen. Ähnlich den sich eigenmächtig zu wilden Ehen zusammenfindenden Paaren trennten sich auch rechtmäßig verheiratete Eheleute ohne die dafür notwenige obrigkeitliche Erlaubnis. Sie sollen nachfolgend wie die wilden Familien auch als „wilde Scheidungen“ bezeichnet werden. Sowohl bei „wilden Familien“ als auch bei „wilden Scheidungen“ handelt es sich um bisher nicht gebräuchliche, deutende Begriffspaare, die jedoch aufgrund ihrer Analogie zum Quellenbegriff der „wilden Ehe“ die Illegalität der durch sie betitelten Ereignisse und Konstellationen treffend ausdrücken und deswegen gebildet wurden. Neben den unehelichen Sexualkontakten und Schwängerungen hinterfragten Ehescheidungen die staatliche Ordnung, indem sie die Ehepartner von ihrer vermeintlich unauflöslichen Verpflichtung gegeneinander entbanden. Da die Ehe als Beziehungsgefüge die Stabilität und Dauerhaftigkeit institutionalisierter Bindungen wie etwa die der Ehefrau an ihren Ehemann oder die des Untertanen an seinen Landesherrn symbolisierte, stellte deren Auflösung auch jene analogen Rechts- und Pflichtverhältnisse grundlegend infrage. Die Ehescheidung suggerierte zumindest die Möglichkeit, auch andere Beziehungen etwa zum Dienstherrn, zum Landesherrn oder gar zu Gott legal lösen oder zumindest hinterfragen zu können. Entgegen dem illegitimen Geschlechtsverkehr wurden Scheidungen jedoch nicht durch die Untertanen, sondern durch die Obrigkeit vollzogen. Der Landesherr und seine Behörden entschieden demnach selbst, wie vielen und welchen Paaren sie die Auflösung ihrer Ehe erlaubten. Bereits zu Beginn zeichneten sich für Sachsen-Weimar-Eisenach gemessen an den quantitativen Ergebnissen anderer Studien verhältnismäßig hohe Scheidungszahlen ab: Die zuständigen Instanzen anderer europäischer Territorien wandten die Scheidung, soweit erforscht, meist sehr viel verhaltener an. Jedoch waren dort vermutlich ähnlich viele Ehen konfliktbehaftet und trennten sich 64 BUCHHOLZ, Art. Ehe, in: HRG 1 (2008), Sp. 1201f.; SCHUMANN, Art. Konkubinat, in: HRG 3 (2013), Sp. 95f.; SCHLUMBOHM, Wilde Ehen (1993), S. 63.

3. GEGENSTAND UND KONZEPT

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möglicherweise eigenmächtig, wenn sie nicht durch die Obrigkeit geschieden wurden. Die gerichtliche Auflösung einer Ehe durch den Staat samt Wiederverheiratungserlaubnis hinterfragte die postulierte Unerschütterlichkeit der Ehe stärker als eine wilde Scheidung. Die ebenso angeordnete Trennung von Tisch und Bett, die dem Paar für eine befristete Zeit ein getrenntes Leben erlaubte, barg entgegen der Scheidung die Möglichkeit der Aussöhnung der zerstrittenen Gatten. Die hohen Scheidungszahlen Sachsen-Weimar-Eisenachs deuten sich verändernde Vorstellungen von familialem Leben an, da die Obrigkeit hier anscheinend mehr als diejenigen anderer Territorien bereit war, zerstrittene Paare zu scheiden, statt an der Ehe festzuhalten und die Eheleute zu deren Fortführung zu zwingen. Inwieweit die ergriffenen Maßnahmen und verabschiedeten Verordnungen den zeitgenössisch nicht näher bestimmten liberalern Grundsätzen unseres Zeitalters entsprachen, wird nachfolgend zu klären sein. „Liberal“ wird hier ganz im Sinne der von Andrea Iseli beobachteten, im 18. Jahrhundert auftretenden Leitbilder gedeutet, nach denen individuelle Interessen und Freiheiten durch staatliches Handeln berücksichtigt und geschützt werden sollten. 65 Auch Dirk Blasius bezeichnete die preußische Scheidungspraxis als liberal bzw. die zahlreichen Ehescheidungen in Preußen im 19. Jahrhundert als Symptome einer eingeschlagenen „liberalen Wegrichtung“. 66 Der hier verwendete Liberalitätsbegriff ist gemäß seiner zeitgenössischen Verwendung zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu verstehen, nämlich laut Rudolf Vierhaus im Sinne eines „freigiebigen, großzügigen, freisinnigen Denkens und Verhaltens“, dass auf einer „durchaus noch nicht politischen Gesinnung und Einstellung“ beruht. Die sich um 1800 als liberal Empfindenden hätten sich selbst unter anderem als vernünftig, selbständig und fortschrittlich denkend sowie wohlmeinend und gebildet, als sich für die Interessen aller Menschen einsetzend wahrgenommen.67 Die Untersuchung geht daher auch der Frage nach, inwieweit die in Sachsen-Weimar-Eisenach ergriffenen obrigkeitlichen Maßnahmen zu unehelichen Geburten, wilden Ehen und Ehescheidungen die individuellen Bedürfnisse und Freiheiten berücksichtigten. Vorstellungen von familialem Leben und den ihm zugrunde liegenden Mustern werden neben bestehenden normativen Leitbildern vor allem von erlebten Familien- und Lebensformen beeinflusst. Nach einer Einführung in die soziokulturellen und ökonomischen Lebensumstände um 1800 vor allem in der Residenzstadt Weimar und der Erläuterung der institutionellen und gesetzlichen 65 Hebammen-Wesen Eisenach (1714–1815), LATh–HStAW, EA Polizeisachen 18, fol. 166r; ISELI, Policey (2009), S. 29f. 66 BLASIUS, Reform (1997), S. 663. 67 VIERHAUS, Art. Liberalismus, in: GG 3 (1982), S. 742.

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I. EINLEITUNG

Rahmenbedingungen sowie der kommunizierten Leitbilder zu Ehe, Familie und Geschlecht widmet sich die vorliegende Untersuchung zunächst den existierenden Familienformen im Herzogtum und dessen Residenzstadt. Neben der idealisierten Kernfamilie bestehend aus Eltern und Kindern geraten dabei vor allem die sie substituierenden Versorgungsgemeinschaften zwischen Verwandten und nicht verwandten Personen mit und ohne eigene oder angenommene Kinder (wie etwa Wohngemeinschaften Lediger oder Familien mit Pflegekindern) in den Blick. Quantitative Aussagen zu deren Verbreitung in allen gesellschaftlichen Schichten sind jedoch aufgrund der mitunter dürftigen Quellenlage bzw. angesichts fehlender Angaben in den zeitgenössischen Unterlagen nur bedingt möglich. Auch können durch Religion oder ethnische Zugehörigkeit von den familialen Leitbildern abweichende Familien und Lebensgemeinschaften wie etwa katholische Pfarrer und ihre Haushälterinnen, Juden oder auch Zugezogene mit afrikanischen Wurzeln infolge fehlender Belege allenfalls marginal thematisiert werden.68 Ferner wurde das Phänomen des Infantizids nicht näher untersucht, da es ein Verbrechen und keine alternative Familienform impliziert. Die darauf gerichteten ablehnenden Reaktionen sind auch eher dem vermeintlichen Tötungsdelikt und weniger der unehelichen Schwangerschaft zuzuschreiben. Die auftretende Illegitimität in der Residenzstadt Weimar geben die dortigen Kirchenbücher weitestgehend zuverlässig an.69 Sowohl die Anzahl der in den Jahren zwischen 1770 bis 1830 geborenen unehelichen Kinder, die dabei beobachteten Höchstwerte wie auch die Illegitimitätsrate konnten anhand dessen ermittelt und mit den bisherigen Forschungsergebnissen zu anderen Territorien verglichen werden. Weitaus diffiziler gestaltete sich die Berechnung der Scheidungsrate. Die ermittelten quantitativen Werte über die in Weimar sowie im gesamten Herzogtum geschiedenen Ehen speisten sich aus mehreren Quellen, da die dazu potenziell aussagekräftigen Unterlagen des Weimarer Oberkonsistoriums und der Regierung nicht mehr existieren. Die dadurch gewonnenen und für die Residenzstadt hochgerechneten Scheidungszahlen und -raten werden mit den Ergebnissen anderer Studien verglichen. Da ledige Mütter, unverheiratete Paare mit Kindern und geschiedene Eheleute dem postulierten Familienideal widersprachen, wurden sie durch das soziale Umfeld entschieden abgelehnt. Zahlreiche Quellen belegen jedoch auch 68 Afrikanische Wurzeln sind für Domain la Fortune und Francoise l’Eveille belegt, die beide als Mohr am Hof beschäftigt waren, vgl. Staatskalender 1795–1810; NIEMANN (1993/1994), Mohr. 69 Wenige, kurz vor oder nach der Hochzeit geborene Kinder wurden zuweilen als ehelich ausgewiesen. Auch war durch die übliche Identifizierung des Neugeboren über dessen Vater (und erst an zweiter Stelle über die Mutter, dessen Ehefrau) eine Falschangabe allenfalls bei außerehelich gezeugten Kindern möglich.

3. GEGENSTAND UND KONZEPT

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die familiäre oder gesellschaftliche Akzeptanz alternativer Familienformen. Den alltäglichen Möglichkeiten und Grenzen von alleinerziehenden ledigen Müttern, wilden Familien und Geschiedenen sowie den prominenten Ausnahmen Goethe und Caroline Jagemann (1777–1848) widmet sich das vorletzte Kapitel des ersten Hauptteils. Angesichts der gewonnenen Erkenntnisse zu den um 1800 existierenden Familien- und Lebensformen steht abschließend das zuvor erörterte Konzept des „ganzen Hauses“ als Kategorie zur Beschreibung jener am Ende des 18. Jahrhunderts gelebten Gemeinschaften auf dem Prüfstand. Die ledigen Mütter, unverheirateten Paare mit Kindern und geschiedenen Eheleute lebten in dem mehrere tausend Einwohner zählenden Weimar in enger Nachbarschaft zu den Mitgliedern lokaler und landesweiter Behörden wie den Stadt- oder den Oberkonsistorial- und Regierungsräten. Zwangsläufig wurden die Angehörigen Recht sprechender Instanzen in ihren Urteilen und in ihren Vorstellungen von familialem Leben durch die täglich wahrnehmbaren alternativen Gemeinschaftsformen beeinflusst. Die Veränderungen in den Leitbildern zu Ehe und Familie lassen sich demnach, auch aufgrund ihrer kontinuierlichen Schriftlichkeit, aus den überlieferten Rechts- und Verwaltungsakten der damaligen Behörden herausarbeiten. Carl August und sein Sohn Carl Friedrich sowie deren Landesbehörden diskutierten und erließen seit den 1770er Jahren bis 1830 fast 60 Verordnungen betreffend uneheliche Sexualkontakte und Schwängerungen. Die einzelnen Bestimmungen wie auch die Debatten in ihrem Umfeld erlauben Rückschlüsse auf Entwicklungslinien, Kontinuitäten und Umbrüche in den Vorstellungen von Ehe, Familie und Ordnung. Sie werden innerhalb der zeitgenössisch geführten Diskussionen verortet und mit der Gesetzgebung anderer deutscher und europäischer Territorien verglichen. Zu Ehescheidungen sind im gleichen Zeitraum hingegen nur zehn Erlasse überliefert.70 Etwaige Wandlungsprozesse der familialen Leitbilder werden daher neben den diskutierten und erlassenen Verordnungen auch anhand der durch die scheidenden Instanzen als triftig anerkannten Scheidungsgründe untersucht und die Ergebnisse den Argumenten aus den zeitgenössischen Debatten über Ehescheidungen gegenübergestellt. Die einführende Erörterung der soziokulturellen, wirtschaftlichen und der normativen Lebensumstände, die Erläuterung der gelebten Gemeinschaftsformen wie auch deren gesellschaftliche Möglichkeiten und Grenzen sowie die Untersuchung der diskutierten und erlassenen Verordnungen und des parallel geführten Diskurses ermöglichen schließlich Rückschlüsse auf die Ursachen der zahlreichen Scheidungen, auf den Anteil der sachsen-weimar-eisenachischen

70 Nicht berücksichtigt wurden Weisungen, die ausschließlich Verwaltungsvorgänge wie die Zuständigkeit bestimmter Instanzen betrafen.

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I. EINLEITUNG

Obrigkeit an der Entstehung familialer Unordnung und schließlich auf Kontinuität und Wandel der Vorstellungen von Familie. Erste Untersuchungen der Scheidungsakten deuteten bereits an, dass die rechtlich anerkannten, die durch die Eheleute vorgebrachten und die letztlich als triftig angesehen Scheidungsgründe keinesfalls deckungsgleich sind und voneinander abweichen. Die von den Ehepaaren angegebenen Trennungsursachen gehen in den meisten Fällen wohl nicht auf sie selbst zurück, denn ihre Aussagen wurden entweder durch Anwälte formuliert oder ihre Gesuche an den Herzog sind nicht überliefert, so dass nur die von der Regierung sinngemäß wiedergegebenen Argumente der Eheleute zur Verfügung stehen. Wie die meisten zeitgenössischen Publikationen, Gesetze und Verwaltungsunterlagen bieten die Scheidungsakten vorrangig die obrigkeitliche Perspektive auf die Ereignisse. Aufgrund der eingeschränkten Schriftlichkeit mittlerer und niederer Bevölkerungsschichten sind die transportierten Leitbilder den gebildeten Ständen zuzuschreiben und familiale Normen und Werte der bildungsfernen Schichten allenfalls aus in den Quellen geschilderten Situationen und Verhaltensweisen abzulesen. Die nachfolgende Betrachtung will daher basierend auf einer breiten Quellengrundlage bisherige Ergebnisse etwa zu den Handlungsspielräumen von privilegierten Frauen um eine gesamtgesellschaftliche Perspektive bereichern und die Agitationsmöglichkeiten von Angehörigen beider Geschlechter und aller Schichten erörtern. Die Ausführungen zu Möglichkeiten und Grenzen unehelich Gebärender und Geschiedener bieten hierzu keine generalisierbaren Aussagen, jedoch erste Eindrücke von gesellschaftlich gewandelten familialen Mustern.

4. Quellengrundlage und Untersuchungsmethodik 4. QUELLENGRUNDLAGE UND UNTERSUCHUNGSMETHODIK

Die Empirie und zeitgenössische Reflexion verbindende Studie untersucht einerseits sozialgeschichtlich die akteursbezogene Perspektive der gelebten Gemeinschaftsformen und andererseits ideengeschichtlich die Entwicklungen in Gesetzgebung, Rechtsprechung und zeitgenössischen Debatten. Der Schwerpunkt liegt auf der Analyse der erlassenen und diskutierten Gesetze hinsichtlich der Vorstellungen vom familialen Zusammenleben und des Umgangs mit gegenläufigen Sozialformen. Um uneheliche Geburten und Ehescheidungen als Störfaktoren familialer Ordnung ausmachen zu können, mussten zunächst die real vorhandenen Formen von Familie bzw. die sie substituierenden Gemeinschaften ermittelt und die Dimensionen von Illegitimität und Ehescheidung innerhalb der Gesellschaft empirisch bestimmt werden. Nur wenn beide Phänomene vermehrt auftraten, konnten sie als störend wahrgenommen werden. Wie in der Familiensoziologie dienen die empirischen Erhebungen zu Illegitimität und Ehescheidungen hier der Erschließung von Alltagsvorstellungen, indem sie

4. QUELLENGRUNDLAGE UND UNTERSUCHUNGSMETHODIK

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diese bestätigen, widerlegen und erklären helfen. 71 Statistiken erstellten die meisten deutschen Staaten jedoch erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts und selbst diese sind etwa durch die mehrfach veränderte Definition der zu erhebenden Merkmale schwer zu vergleichen.72 Für Sachsen-Weimar-Eisenach sind keine von den Zeitgenossen für den gesamten Untersuchungszeitraum zusammengetragenen Übersichten über uneheliche Geburten oder Ehescheidungen überliefert. Solche Auswertungen existieren nur vereinzelt und sporadisch für wenige Jahre oder Jahrzehnte. Die jeweiligen Geburten oder Scheidungen wurden daher einzeln tabellarisch erfasst und maschinell ausgezählt.73 Ausgangspunkt für die quantitative Untersuchung der um 1800 in Weimar unehelich geborenen Kinder ist die Auswertung der Weimarer und der Jenaer Kirchenbücher, die durch den Sonderforschungsbereich „Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800“ bis 2010 in einer Datenbank erfasst wurden.74 Sie umfasst die Tauf-, Sterbe- und Heiratsregister der drei Weimarer und zwei Jenaer evangelischen Pfarreien unter anderem der Jahre 1770 bis 1830. Katholiken führten erst seit 1807 eigene Kirchenbücher, die nicht berücksichtigt wurden, aber aufgrund des verschwindend geringen Anteils katholischer Untertanen an der Gesamtbevölkerung Weimars kaum ins Gewicht fallen dürften.75 Die Eingabemasken der Datenbank bieten zahlreiche Felder und Reiter für Daten wie Vor-, Nach- und Geburtsnamen oder für Wohn- und Geburtsortsangaben der beteiligten Personen, zu denen neben den Täuflingen, den Toten oder den Eheleuten auch deren Angehörige wie Eltern, (vorherige) Ehegatten oder Paten zählen. Bei der Erfassung wurde ferner der Familienstand der Akteure als ledig, verheiratet, geschieden oder verwitwet aufgenommen und die Braut als geschwächt, also schwanger, bzw. die Kinder als ehelich oder unehelich ausgewiesen. Zusatzfelder beinhalten sinngemäß wiedergegebene Anmerkungen der Pfarrer etwa zu Aussagen der Mutter über den Kindsvater oder vorherige Ehepartner der Brautleute. Eine erste Auswertung der Kirchenbücher zu vitalstatistischen Entwicklungen und zur Illegitimität in Weimar fand bereits 2007 für den Zeitraum von 1770 71 NAVE-HERZ, Forschungsmethoden (2008), S. 60. 72 KÖLLMANN (Hg.), Quellen (1980), S. 1f. 73 Ein herzlicher Dank gilt Peter Burgold für die geduldige Einführung in die notwendige Software. 74 Nachfolgend zitierte Anmerkungen der Pfarrer zu den Kirchenbucheinträgen wurden an den Originalen bzw. den Faksimiles überprüft, alle übrigen Angaben sind der Datenbank entnommen, wobei die hier gesetzten Fußnoten jeweils auf die Originale verweisen. Ein herzlicher Dank gilt den freundlichen Mitarbeiterinnen der Superintendentur Weimar für die unbürokratische Bereitstellung von Platz, Technik und Mikrofiches in ihren Büroräumen. Mit den „Möglichkeiten und Grenzen der Quelle Kirchenbuch“ hat sich Katja Deinhardt beschäftigt: DEINHARDT, Kirchenbücher (2004), S. 157–166. 75 HUSCHKE, Skizzen (1979), S. 224f.; Kap. II.1.

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I. EINLEITUNG

bis 1820 statt.76 Die geringfügigen Abweichungen zwischen den damals generierten und den für die vorliegende Untersuchung ermittelten quantitativen Angaben sind durch später erfolgte Datenbanküberarbeitungen und durch doppelt verzeichnete Taufen in zwei verschiedenen Taufregistern zu erklären. Während die Datensätze 2007 systematisch ausgezählt wurden, identifiziert die detaillierte tabellarische Auflistung jedes unehelich geborene Kind und dessen Eltern und vereinigt dabei doppelte Einträge etwa in den Taufregistern der Weimarer Stadt- und Garnisonskirche. Eine Auswertung der Sterberegister ergänzt die Angaben durch das Todes- oder Beerdigungsdatum des illegitimen Neugeborenen. Die so zusammengetragenen Daten bilden die Grundlage nicht nur für die quantitative Erhebung der Illegitimität, sondern gemeinsam mit den ähnlich ermittelten Angaben zu geschlossenen Ehen auch für die Familienverhältnisse der in behördlichen Unterlagen erwähnten Akteure. Weitaus häufiger doppeln sich die in den Kirchenbüchern verzeichneten Hochzeiten. Schätzungsweise wurden bis zu zehn Prozent aller Trauungen im Untersuchungszeitraum in den Kirchenbüchern mindestens zweier Pfarreien notiert. Für die Ermittlung der Scheidungsrate war demnach auch eine tabellarische Auflistung aller 4.990 Ehepaare beinhaltend alle Nachnamen (auch der früheren Partner) unerlässlich, da die Dopplungen aufgrund von Namensvariationen nicht maschinell, sondern nur manuell identifiziert werden konnten. Die so gewonnene Übersicht bildet zugleich Ausgangspunkt und Grundlage der quantitativen Erhebung der Ehescheidungen. Aufgrund der lückenhaften Überlieferung war die Erfassung Geschiedener weitaus schwieriger zu bewerkstelligen als die Auszählung der unehelichen Geburten und konnte letztlich nur einen Teil der tatsächlich getrennten Ehen erfassen. Nur wenige serielle Quellen sind überliefert, die Ehescheidungen im Untersuchungs(zeit)raum erwähnen: die Kirchenbücher unter anderem für die Jahre 1770 bis 1830, mehrere Aktenkonvolute beinhaltend Ehescheidungen durch landesherrlichen Dispens zwischen 1805 bis 1822 bzw. 1832, eine Akte über Abgaben der zwischen 1797 und 1810 überwiegend durch den Herzog geschiedenen Paare sowie die bis 1792 vorliegenden Registrande bzw. die bis in die 1840er Jahre geführten Repertorien über die Korrespondenzen der Geheimen Kanzlei.77 Für das Ende des 18. Jahrhunderts bis einschließlich 1804 sind bis auf wenige Ausnahmen keine Scheidungsakten überliefert. Für den Zeitraum danach sind heute lediglich die Unterlagen der durch den Landesherrn selbst geschiedenen Ehen (bis 1832 für den Weimarer bzw. nur bis 1822 für den Eisenacher Landesteil) erhalten. Die Akten zu den Ehescheidungen durch die Oberkonsistorien oder durch die Regierungen sind entweder kassiert worden oder gingen 76 Vgl. ROST/BACKHAUS, Weimar (2007); KÖNIG, Illegitimität (2007). 77 Vgl. Anhang, Grafik 3.

4. QUELLENGRUNDLAGE UND UNTERSUCHUNGSMETHODIK

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1945 wie zahlreiche weitere Bestände des Thüringer Hauptstaatsarchivs Weimar beim Brand des Außenlagers Bad Sulza verloren.78 Von den überlieferten Unterlagen decken die Kirchenbücher als einzige den gesamten Untersuchungszeitraum ab und führen Scheidungen sowohl durch die zuständigen Behörden, die sogenannten „förmlichen“ Ehescheidungen, als auch durch den Landesherrn auf. Nicht alle Geschiedenen werden darin jedoch als solche ausgewiesen. Besonders für die 1770er Jahre sind die Angaben zum Familienstand der Brautleute lückenhaft, auch in den späteren Jahrzehnten nie vollständig und vereinzelt sogar falsch, was unter anderem die Korrelation der Dispensscheidungsakten und der Kirchenbücher ergeben hat. Neben Flüchtigkeitsfehlern bei der Erstellung der Datenbank hatten die Pfarrer wohl die Scheidung bewusst oder unbewusst nicht angegeben, wobei die Verzeichnungsweise der einzelnen Geistlichen auch in anderen Punkten divergiert. Ähnliches beobachtet Silvia Möhle für die Göttinger Kirchenbücher und vermutet dahinter die Absicht der Schreiber, die Scheidung verschleiern zu wollen.79 Da jedoch in Weimar bei einer zweiten Heirat im Vergleich zur ersten die Kirchenbucheinträge generell weitaus weniger Informationen enthalten und der Familienstand des Bräutigams ohnehin nicht konsequent angegeben wurde, müssen Geschiedene nicht absichtlich vorenthalten worden sein. Allerdings forderte das Eisenacher Oberkonsistorium 1814 ausdrücklich dazu auf, uneheliche Geburten und Ehescheidungen in den Kirchenbüchern konsequent zu vermerken oder nachzutragen.80 Warum hatten offenbar gleich mehrere Pfarrer unkonventionelle Familienverhältnisse nicht dokumentiert? Wollten sie unliebsame Ereignisse wie Ehescheidungen und uneheliche Geburten gar nicht erst schriftlich fixieren? Versuchten sie dadurch, die betroffenen Familien vor Diskreditierung oder gar staatlichen Sanktionen zu schützen bzw. halfen Sie dabei, Unehelichkeit und Ehescheidung zu verheimlichen? Jene Diskrepanz zwischen Norm und Wirklichkeit wird nachfolgend hinterfragt. Von sämtlichen Ehescheidungsprozessen des Herzogtums Sachsen-WeimarEisenach zwischen 1770 und 1830 sind nur die finalen Schriftstücke der von 1804 bis 1832 erfolgten Trennungen durch landesherrlichen Dispens überliefert. Hierbei handelte es sich um außerordentliche Verfahren, bei denen die durch Luther legitimierten Scheidungsgründe Ehebruch und bösliche Verlassung meist 78 Verloren gingen dabei unter anderem die Akten der sachsen-weimar-eisenachischen Ministerialdepartments (des Inneren, der Justiz, des Kultus und des Großherzoglichen Hauses) sowie nachgeordneter Behörden (Land- und Amtsgerichte, Bezirksdirektionen etc.) vor allem des 18. und 19. Jahrhunderts. Die Verluste sind umso dramatischer, da sie nicht während der Kriegshandlungen, sondern nach offiziellem Kriegsende mutmaßlich durch Brandstiftung erfolgten: WAHL, Bad Sulza (1996), S. 28. 79 MÖHLE, Ehekonflikte (1997), S. 15. 80 V. GÖCKEL, Gesetze 2 (1829), S. 181.

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I. EINLEITUNG

nicht vorlagen, weshalb die Gatten den Herzog um eine Auflösung ihrer Ehe aus landesherrlicher Gnade baten und ihr Gesuch dazu ausführlich begründen mussten. Reguläre Scheidungen durch die Oberkonsistorien oder die Regierungen erfolgten hingegen aufgrund vorliegender, rechtskräftiger Scheidungsgründe. Die überlieferten Konvolute der Dispensationen wurden offenbar nachträglich zusammengestellt. Sie bündeln die Schriftstücke der Scheidungsverfahren einzelner oder mehrerer Jahre, wobei häufig nur der Bericht der Regierung und das Reskript des Herzogs, zuweilen die Gesuche der Eheleute und vereinzelt Beweisstücke wie Zeugenaussagen oder der von den Eheleuten angestellte Vergleich hinsichtlich des Vermögens und der Kinder enthalten sind. Die Auswertung der Dispensscheidungsakten schließt ein Desiderat der bisherigen Erforschung von Ehescheidungen, die sich nicht eingehend mit den Trennungen durch den Landesherrn beschäftigt hat. Zudem blieben die Weimarer Unterlagen auch durch den Sonderforschungsbereich „Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800“ unberücksichtigt. Anders als die Angaben in den Kirchenbüchern scheinen die Dispensscheidungsakten für die Jahre 1805 bis 1832 vollständig zu sein. Eine Akte über die Dispenszahlungen geschiedener Paare in den Schulfonds verzeichnet ausschließlich durch den Landesherrn von 1797 bzw. 1799 bis 1810 im Weimarer und Eisenacher Landesteil geschiedene Ehen und deckt sich für die Jahre 1805 bis 1810 fast vollständig mit den Scheidungsakten.81 Die chronologisch geordnete Übersicht über die knapp 240 Scheidungen umfasst den Familiennamen, den Wohnort und gegebenenfalls den Beruf des Mannes sowie den zu zahlenden Betrag.82 Die Ergebnisse zur Quantität der Ehescheidungen von 1770 bis 1830 ergänzt und verifiziert die Auswertung einer weiteren seriellen Quelle, der Registrande der Geheimen Kanzlei. Die Bände sind von 1765 bis 1792 nahezu lückenlos überliefert und verzeichnen jene Korrespondenzen, die bei der Geheimen Kanzlei bzw. dem Geheimen Rat eingegangen sind oder die im Auftrag des Herzogs entsendet wurden. Somit listen sie alle an den Herzog gerichteten Gesuche um Ehescheidung durch landesherrlichen Dispens für einen bislang hinsichtlich der Scheidungen nur durch die Kirchenbücher erschlossenen Zeitraum auf. Sie dokumentieren zudem potenzielle Scheidungen durch das Oberkonsistorium, nämlich Gesuche und Klagen infolge von Ehebruch oder böswilligen Verlassens, nachfolgend mit dem Quellenbegriff der „böslichen Verlassung“ bezeichnet. Die 81 Pro Jahr ist circa eine Scheidung nicht in der Schulfonds-Akte oder in den Konvoluten der Dispensscheidung zu finden. 82 Die Summe konnte bis zu 200 Reichstaler betragen. Beispielsweise musste Christian Friedrich Carl Wolffskeel von Reichenberg 50 Taler zahlen (Abgaben Schulfonds (1797), LATh–HStAW, Rechtspflege B2572, fol. 1r).

4. QUELLENGRUNDLAGE UND UNTERSUCHUNGSMETHODIK

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1792 endenden Registrande werden durch die Repertorien der Geheimen Kanzlei ergänzt, mit denen der überwiegende Teil der seit 1792 aufgenommenen Scheidungsanträge belegt ist. Sie verzeichnen Ehescheidungsklagen teilweise seit den 1750er Jahren, sind aber unvollständig. Die Einträge der Registrande und Repertorien enthalten allerdings nur selten Informationen darüber, ob die Paare tatsächlich geschieden wurden, weshalb für die meisten erwähnten Scheidungsklagen das Ergebnis unbekannt ist. Auch ist deren Auswertung insofern problematisch, da die Begriffe „Scheidung“, „Trennung“ und „Irrung“ teils synonym für Scheidungsverfahren verwendet werden. Eheirrungen, also Streitereien zwischen den Ehegatten, mussten jedoch nicht zwangsläufig in einer Scheidung münden. So sind Scheidungen von Paaren belegt, die in den Registranden und Repertorien lediglich als „Irrung“ aktenkundig wurden. Gleichsam kann der Beginn vieler Scheidungsverfahren auch aufgrund solcher terminologischen Ungenauigkeiten nicht zweifelsfrei bestimmt werden. Dennoch füllen die Registrande und Repertorien die bis 1797 bestehende Überlieferungslücke zumindest teilweise und ergänzen bzw. verifizieren die quantitativen Ergebnisse aus den Kirchenbüchern, aus der von 1797 bis 1810 geführten Schulfonds-Akte und aus den für 1806 bis 1830 vorhandenen Scheidungsakten.83 Sämtliche geschiedene oder die Scheidung beantragende Paare wurden zusammengetragen und maschinell ausgezählt. In die Scheidungsstatistik gingen nur jene in den Registranden erwähnten klagenden Paare ein, deren Scheidung durch die Kirchenbücher belegt ist. War das genaue Scheidungsjahr für diese Fälle nicht zu ermitteln, wurde die Scheidung anteilig zu den Jahren hinzugerechnet, die zwischen der Ersterwähnung der Klage und der Wiederverheiratung lagen. Die in den Registranden genannten Klagen werden hinsichtlich des Klageverhaltens und etwaiger Häufungen und Tendenzen eigens ausgewertet.84 Als unverzichtbare, weil äußerst aufschlussreiche Quelle auch für die zu Illegitimität bei Dienstmädchen ermittelten Werte erweist sich das Weibliche Dienstboten Journal. Das Verzeichnis ist bislang von der Erforschung Weimars auch durch den Sonderforschungsbereich unberücksichtigt geblieben, weil es in den Findbüchern falsch datiert war (1839–1878 statt 1823–1878) und dadurch für die Untersuchung etwa des klassischen Weimar uninteressant schien. In den ersten beiden Bänden wurden für 1823 bis 1830 circa 2.500 ledige städtische Dienstmägde chronologisch nach ihrem Einstellungsdatum aufgelistet und jeder weitere Dienstherr samt Dienstbeginn und gegebenenfalls -ende vermerkt. Für die Studie erwies sich das Journal als besonders wertvoll, weil es über die wirtschaftliche Situation der aus den Kirchenbüchern ermittelten ledigen Mütter informiert. Besonders die ersten 300 Einträge sind sehr detailliert, danach nehmen zusätz83 Vgl. Anhang, Grafik 8. 84 Vgl. Kap. III.2.2.

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I. EINLEITUNG

liche Informationen etwa über uneheliche Schwangerschaften ab. Bei ungefähr einem Viertel der ersten 500 Frauen wurden sogar nur die persönlichen Daten und die erste Anstellung notiert. Für einen Eindruck von den um 1800 in Sachsen-Weimar-Eisenach angestrebten und gewandelten Familienidealen und den entsprechenden Haltungen gegenüber alternativen Lebensformen ist die Analyse der im Untersuchungszeitraum erlassenen und revidierten Verordnungen sowie der besonders in Ehescheidungsgesuchen vorgebrachten Argumente gewinnbringend. Sie ermöglicht deren Einbettung in den reichsweiten Diskurs. Dafür waren serielle Gesetzessammlungen wie jene von Johannes Schmidt oder von Ferdinand von Göckel unerlässlich. 85 Auch die systematisch durchsuchten lokalen Zeitungen (die Weimarischen Wöchentlichen Anzeigen bzw. dessen Nachfolger, das Weimarische Wochenblatt) informieren sowohl über erlassene Verordnungen wie auch über deren Umsetzung – dass etwa unehelich geschwängerte Dienstmädchen aus der Stadt gewiesen wurden. Eine offizielle Sammlung aller jemals erlassenen Verordnungen existiert jedoch nicht. Die Publikationen von Schmidt oder von Göckel berücksichtigen lediglich die geltenden, aber nicht die abgelösten Bestimmungen. Die für die nachfolgende Analyse aus unterschiedlichsten publizierten und handschriftlichen Gesetzessammlungen, internen Behördenkorrespondenzen und unveröffentlichten Gesetzesentwürfen erstellten Übersichten können daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben.86 Es flossen überwiegend Normen zu vorehelichem Beischlaf, unehelicher Schwängerung und damit einhergehenden Alimentationen, zum Eheschließungsrecht, zu Ehebruch, eigenmächtigen Trennungen und Ehescheidungen ein. Zu den untersuchten Rechts- und Verwaltungsakten zählen neben den Scheidungsakten oder Unterhaltsklagen auch Erörterungen von Gesetzesänderungen wie etwa die Diskussion der Todesstrafe bei Kindesmord oder die Vorbereitung eines neuen Ehemandats. 87 Sie werden sowohl hinsichtlich der Lebenspraxis alternativer Familienformen als auch hinsichtlich der dabei befürworteten oder abgelehnten Familienbilder ausgewertet. Durch die verstärkte Konzentration auf die Familienverhältnisse in der Residenzstadt wurden schließlich auch Bestimmungen anderer Landesteile, beispielsweise Verordnungen der Eisenacher Regierung nur berücksichtigt, wenn sie etwa die Entstehung landesweiter Gesetze prägten oder die dortigen Obrigkeiten mit dem Entwurf eines neuen Gesetzes explizit beauftragten. Schließlich konzentrierte sich die Untersuchung

85 J. SCHMIDT, Aeltere 1–10 (1800–1805); v. GÖCKEL u.a., Gesetze 1–17 (1828–1868). 86 Anhang, Tabellen 5–7. 87 Untersuchung Höhn (1783), LATh–HStAW, Rechtspflege B2754; Wilde Ehen (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a.

4. QUELLENGRUNDLAGE UND UNTERSUCHUNGSMETHODIK

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vordergründig auf staatliche Bestimmungen und ließ Zunftordnungen oder etwa Satzungen gesellschaftlicher Vereine und Verbände weitestgehend aus. Eigene analytische Kategorien zeigen Veränderungen innerhalb der Leitbilder auf: Sie fragen nach der Bedeutung von Ehe, Kindern und Religion, nach dem Strafmaß, dem Verhältnis von öffentlichen und individuellen Verantwortlichkeiten sowie generell nach den Vorstellungen und Begriffen von Ordnung und Familie. Welche Rolle spielten Ehe und Kinder? Wie stark beeinflusste christliche Frömmigkeit das Handeln der Obrigkeit und der Untertanen? Erhöhte oder senkte sich das Strafmaß mit der neuen Verordnung und inwiefern sanktionierten oder tolerierten die zuständigen Instanzen die alternativen Lebensformen? Wurde die Verantwortung für das zu maßregelnde Fehlverhalten eher dem Mann oder eher der Frau bzw. eher dem Individuum oder eher sozialen oder staatlichen Organen zugeschrieben? Zementierte oder hinterfragte die neue Anordnung die bestehenden Vorstellungen von Ordnung und Familie? Was verstand man dabei unter Ordnung und was machte eine Familie überhaupt aus? Welche Rolle kommt der Obrigkeit bei sich verändernden familialen Werten zu? Anhand dieser Kriterien gelingt eine Bewertung der durch die Obrigkeit vertretenen und verursachten Ordnung oder Unordnung. Von Interesse sind hier die unterschiedlichen Vorstellungen und Handlungsstrategien sowohl der Obrigkeit als auch der Publizistik, die entweder tradierten Mustern oder neuen Leitideen folgten. Für die Kontextualisierung der Debatten unter den Behördenmitgliedern zu Ehescheidungen und unehelichen Geburten wertet die Studie zeitgenössische Zeitschriften oder eigenständig publizierte, einschlägige Beiträge aus. Dazu zählen Texte der sogenannten Volksaufklärung wie das Noth- und Hülfs-Büchlein für Bauersleute des Gothaer Lehrers Rudolf Zacharias Becker, das zwischen 1788 und 1838 in mehreren überarbeiteten Auflagen publiziert wurde, sowie der Hausväterliteratur, Lexikonartikel oder Aufsätze.88 Von der Hälfte der zeitgenössischen Abhandlungen insbesondere zu Ehescheidungen befand sich ein Exemplar nachweislich um 1800 in den Beständen der historischen Universitätsbibliothek Jena oder der Bibliothek der Herzogin Anna Amalia.89 Die Landesherren, ihre 88 Vgl. BECKER, Hülfs-Büchlein (1788–1838). 89 Ein Ausgabe von Montesquieus Lettres Persanes von 1748 befand sich nachweislich im Besitz von Herzog Ernst August II. Constantin und ging später wohl in den Bestand der Bibliothek seiner Schwiegertochter und damit in den Besitz der heutigen Herzogin Anna Amalia Bibliothek über. Zu deren Repertoire zählen außerdem ein Exemplar von Humes Essays and Treatises von 1764 sowie das Hamburgische Magazin von 1760 mit dem Aufsatz des unbekannten Autors A.B.M. Wann beide Werke in den Bestand der Weimarer Bibliothek gelangten, konnte bislang nicht geklärt werden. Exemplare der Abhandlungen von Johann Carl Fürchtegott Schlegel, von Jäger (Vorname unbekannt) und von Benedikt Maria von Werkmeister besaß Karl Ernst Schmid, Jurist an der Universität Jena, Oberappellations-

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I. EINLEITUNG

Behördenmitglieder und juristischen Berater konnten sie demnach zur Kenntnis nehmen. Um das Verhältnis von sozialer Praxis und deren Rezeption analysieren zu können, werden die reflektierenden Positionen mit den Ergebnissen der sozialhistorischen Untersuchung zur Weimarer Bevölkerung verglichen. Da sich der Fokus der Studie auf alle gesellschaftlichen Schichten richtet, fließen zur Erforschung der sozialen Praxis sowie der Rezeption der Familienformen vereinzelt auch Selbstzeugnisse in die Untersuchung ein. Sie nehmen innerhalb der relevanten Quellengattungen jedoch keine exponierte Stellung ein, denn auch sie zeigen nur, was denk- und vor allem was sagbar war. Eine Konzentration auf Briefe und Tagebücher zur Rekonstruktion hätte zudem die Verfasser solcher Dokumente, das Bürgertum und den Adel, einseitig hervorgehoben und den Blick dafür verstellt, dass sich auch in anderen Ständen ein Wandel der Familie und des Familienbildes vollzog.90

gerichtsrat und Ordinarius des Schöppenstuhls. Seine Privatbibliothek gelangte nach seinem Tod 1852 an die Universität. Ein besonderer Dank gilt den Mitarbeitern der heutigen Herzogin Anna Amalia Bibliothek und der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek für ihre fachkundigen Auskünfte. 90 CARSTENSEN, Sohn (2010), S. 211–237.

II. NORMATIVE LEITBILDER UND STRUKTURELLE RAHMENBEDINGUNGEN VON FAMILIE 1. Leben in Weimar um 1800 1. LEBEN IN WEIMAR UM 1800

Das Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach entwickelte sich im Laufe seiner Geschichte zum flächenmäßig größten und einwohnerstärksten unter den ernestinischen Fürstentümern.1 Der Weg dahin war keineswegs geradlinig und besonders im 17. Jahrhundert von mitunter erheblichen Gebietsverlusten gekennzeichnet. 1572 war Sachsen-Weimar als eine von zwei Hauptlinien aus der Teilung des ernestinischen Sachsen hervorgegangen. Es behielt Weimar als Residenzstadt bei, das sich die ernestinischen Wettiner bereits nach der Wittenberger Kapitulation 1547 als Residenz gewählt hatten. Im 17. Jahrhundert wurde Sachsen-Weimar dreimal geteilt und dadurch erheblich verkleinert. Allerdings gewann die seit 1638 älteste regierende wettinische Linie Sachsen-Weimar auch allmählich wieder Gebiete zurück. So beerbte es noch im gleichen Jahr die ältere und 1644 die mittlere Linie Sachsen-Eisenach, bis es schließlich 1741 das Fürstentum Eisenach (jüngere Linie) endgültig in sich aufnahm. Daneben erhielt Sachsen-Weimar bei der Teilung der Grafschaft Henneberg 1660 das forstwirtschaftlich bedeutsame Amt Ilmenau sowie 1691 bzw. 1741 mit dem Fürstentum Eisenach die „Jenaische Landesportion“.2 Zeitgenössischen Angaben zufolge erstreckte sich das Herzogtum über circa 93 Quadratkilometer. Laut dem damaligen Leipziger Ökonomen Friedrich Gottlob Leonhardi, der 1788 sein Studium in Jena abschloss und kurzzeitig dort lehrte, lebten einer Volkszählung zufolge 1787 93.000 Menschen im Herzogtum, davon 62.630 im Weimarer und circa 31.000 im Eisenacher Landesteil.3 Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts veränderte sich das Territorium kaum, lediglich das Amt Großrudestedt und einige kleinere Ortschaften kamen 1807 bzw. 1811 hinzu.4 Auf dem Wiener Kongress 1815 konnte das dort zum Großherzogtum erhobene Sachsen-Weimar-Eisenach einen erheblichen Gebietszuwachs aushandeln. Zu den bisherigen 93 Quadratkilometern kamen circa 50 Quadratkilometer hinzu.5 Seine Einwohnerzahl stieg dadurch laut Reinhard Jonscher von

1 2 3 4 5

HESS, Behördenorganisation (1993), S. 65; EBERHARDT, Umwelt (1951), S. 18. HESS, Behördenorganisation (1993), S. 14, 29; LEONHARDI, Erdbeschreibung 2 (1790), S. 595, 751. LEONHARDI, Erdbeschreibung 2 (1790), S. 756, 794. HESS, Behördenorganisation (1993), S. 32; BOCK, Handbuch Gesetze (1900), S. 5. BOCK, Handbuch Gesetze (1900), S. 5f.

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II. NORMATIVE LEITBILDER UND STRUKTURELLE RAHMENBEDINGUNGEN

112.000 auf 190.000 an. 6 Nach der endgültigen Eingliederung des Amtes Oldisleben 1821, aber vor allem durch ein stetiges Bevölkerungswachstum lebten 1830 über 230.500 Menschen in Sachsen-Weimar-Eisenach.7 Damit hatte sich dessen Population zwischen 1815 und 1830 nahezu verdoppelt. Bis zur Gründung des Freistaates Thüringen im Jahr 1920 blieb es das bevölkerungsreichste ernestinische Territorium. Der Untersuchungszeitraum ist nahezu deckungsgleich mit der Herrschaft von Herzog Carl August (1757–1828), der seit seiner Volljährigkeit 1775 bis zu seinem Tod regierte und auf dem Wiener Kongress 1815 zum Großherzog aufstieg. Nachdem sein Vater Ernst August II. Constantin (1737–1758) nach nur drei Jahren selbständiger Herrschaft 1758 plötzlich verstarb, wurde Carl August zum Herzog ernannt. Seine Mutter Anna Amalia (1737–1807), eine geborene Prinzessin von Braunschweig-Wolfenbüttel, übernahm schwanger mit Carl Augusts Bruder Friedrich Ferdinand Constantin (1758–1793) die vormundschaftliche Regentschaft. Sie blieb bis zu ihrem Tod verwitwet und wurde nach dem Regierungsantritt ihres Sohnes als „Herzoginmutter“ tituliert. Carl August heiratete 1775 Luise von Hessen-Darmstadt (1757–1830) und verschwägerte sich über deren Schwestern mit großen europäischen Herrschern wie dem russischen Zaren Paul I. oder dem preußischen König Friedrich Wilhelm II. Nach Carl Augusts Tod 1828 übernahm sein Sohn Carl Friedrich (1783–1853) die Regierung. Er hatte 1804 Maria Pawlowna geheiratet, die Schwester der Zaren Alexander I. und Nikolaus I. sowie Tochter Pauls I. aus dessen zweiter Ehe mit Sophie Dorothee von Württemberg. Carl Friedrichs Bruder Carl Bernhard (1792–1862) hatte sich 1816 mit Ida von Sachsen-Meiningen vermählt und dadurch mit der englischen Königin Adelaide verschwägert. Das kleine ernestinische Großherzogtum war demnach zu Beginn des 19. Jahrhunderts eng mit den großen europäischen Dynastien vernetzt.8 Die herzogliche Familie residierte im Weimarer Schloss, Anna Amalia seit dem Schlossbrand 1774 bis zu ihrem Tod im Wittumspalais.9 Sowohl Schloss als 6 7

8 9

JONSCHER, Verfassungsgeschichte (1993), S. 10. Die Weimarer Regierung gab 1824 für den Zeitraum von 1786 bis 1824 rund 113.000 Einwohner an: Uneheliche Kinder (1824–1830), LATh–HStAW, Polizeisachen B5480, fol. 7v. KÖLLMANN (Hg.), Quellen (1980), S. 289f.; Laut einer Akte über ausgesetzte Kinder und Kindsmordfälle sollen von 1817 bis 1828 in den Kreisen Weimar, Jena und Neustadt 153.735 Einwohner bzw. zwischen 1815 und 1823 im Eisenacher Kreis 74.936 Einwohner gelebt haben: Uneheliche Kinder (1824–1830), LATh–HStAW, Polizeisachen B5480, fol. 38r. Zu konkreten statistischen Angaben hinsichtlich Geborener, Gestorbener und verheirateter Paare: Bevölkerung im Großherzogthum (1858), LATh–HStAW, Polizeisachen B5637n1, fol. 8v–9r. Vgl. BERGER, Anna Amalia (2003); VENTZKE, Herzogtum (2004). BERGER, Art. Sachsen-Weimar-Eisenach, Anna Amalia, in: FrauenGestalten (2009), S. 273.

1. LEBEN IN WEIMAR UM 1800

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auch Palais lagen inmitten der Stadt, wodurch die herzogliche Familie mindestens räumlich integriert war. In Weimar stiegen die Einwohnerzahlen im Untersuchungszeitraum von ungefähr 6.000 auf etwa 10.000 an. Beide Angaben gelten nur unter Vorbehalt, da sie den Weimarer Seelenregistern entstammen und bislang nicht festgestellt werden konnte, inwieweit jene Zählungen die Hofdienerschaft, das Militär, dauerhaft ansässige Migranten oder kurzzeitig abwesende Einwohner, jeweils mit Familien, berücksichtigte oder lediglich Bürgerrechtsbesitzer erfasste.10 Da Weimars Bevölkerung personell den Hof und die ansässigen, zur Verwaltung des Herzogtums notwendigen Zentralbehörden ausstattete, herrschte in der Stadt eine hohe Fluktuation auch aus nichtdeutschen Ländern.11 Auswärtige kamen als Adlige oder Intellektuelle an den Hof oder arbeiteten als Bedienstete und Auszubildende bei den städtischen Handwerkern und in den bürgerlichen Haushalten. 12 Ähnlich starke Zuwanderungsbewegungen beobachtete das Amt Jena 1787 für die Universitätsstadt, in der das Dienstpersonal und die Studenten ständig wechselnde Bevölkerungsgruppen darstellten.13 In das protestantische Herzogtum und dessen Residenzstadt zogen vor allem im 18. Jahrhundert mehrere katholische Familien, darunter etwa die italienische Kaufmannsfamilie Ortelli. 14 Die bis dahin sehr kleine katholische Gemeinde wuchs bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts stark an und erhielt schließlich 1818 einen neuen Betsaal, der für 100 Personen ausgelegt war. Neben Katholiken lebten in Weimar auch Juden, 1818 sollen es 36 gewesen sein.15 Muslime oder Atheisten wurden in den Quellen nicht erwähnt, auch nicht als Paten oder Ehepartner in den Kirchenbüchern. Die Weimarer Gesellschaft war wie jene anderer Städte am Ende der frühen Neuzeit ständisch gegliedert, das Hausvater-Modell stellte die normative Grundlage für familiale Beziehungen dar. Dass die gelebte Praxis dem häufig nicht entsprach, ist Gegenstand der vorliegenden Studie. Dem Modell zufolge bildete der Vater in einer Familie bzw. einem Haushalt das Oberhaupt und stand zu den übrigen Bewohnern in einem hierarchischen Verhältnis. Er besaß das Recht zur Herrschaft und die Pflicht, seine Untergebenen zu schützen, wie diese wiederum seinen Schutz beanspruchen durften und zugleich zu Gehorsam verpflichtet waren. Dieses Modell galt auch für die Beziehung der Untertanen zu 10 RIEDERER, Größe (2010), S. 91, 99f.; HUNSTOCK, Weimar (2011), S. 114–118. 11 HUSCHKE, Skizzen (1979), S. 201; TAUTZ, Stadtgeschichten (2013), S. 506; FREYER, Weimarer Hof (2013), S. 156. 12 Vgl. Dienstboten Journal 2.1 (1823–1827), StAW, Amtsbücher 29/1. 13 Abschaffung Kirchenbuße (1786–1788), LATh–HStAW, Rechtspflege B2315a, fol. 72v; DEINHARDT, Stapelstadt (2007), S. 26. 14 HUSCHKE, Skizzen (1979), S. 224; vgl. Kap. III.1.2. 15 LEINWEBER, Pfarrei (2002), S. 248; HARTUNG, Großherzogtum (1923), S. 456f.; vgl. SCHRAMM-HÄDER, Emanzipation (2001).

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II. NORMATIVE LEITBILDER UND STRUKTURELLE RAHMENBEDINGUNGEN

ihrem Landesherrn und leitete sich aus dem Verhältnis der Gläubigen zu Gott ab.16 Entsprechend hatte wie in einer Familie auch jedes Mitglied der Gesellschaft eine ihm zugewiesene Rolle mit Rechten und Pflichten. Alter, Geschlecht und Familienstand differenzierten die ständischen Zuschreibungen zusätzlich. Hendrikje Carius spricht dementsprechend von „sozial und rechtlich verankerten Ungleichheiten“, die vom jeweiligen Stand oder auch vom Geschlecht einer Person abgeleitet wurden.17 Die ständische Ordnung der Gesellschaft war alltäglich präsent, etwa bei der Wahl der Kleidung oder der Ausrichtung von Festen, und wurde dadurch kommuniziert und bestätigt. Gesetzlich gestand die Obrigkeit jeder Klasse ein bestimmtes Zeremoniell zu: So sollten laut einer Verordnung von 1768 eine Verlobung in denen 3 obern Classen bei einem Glas Wein, Torten und Gebacknen; in denen zwo niedern Classen hingegen bei Bier, Kuchen, Bretzeln und Brod vorgenommen werden.18 Auch innerhalb des Strafrechts wurde ständisch differenziert und privilegiert, wie etwa die unterlassene Meldung einer unehelichen Schwangerschaft noch 1781 nach Gelegenheit ihres Standes und ihrer sonstigen Umstände bestraft werden sollte.19 Jene ständisch differenzierende Rechtsprechung kritisierten zu Beginn des 19. Jahrhunderts sogar Angehörige der Landesbehörden wie der Eisenacher Oberkonsistorialrat Franz Christoph Frenzel: Er sprach sich 1826 für die rechtliche Gleichbehandlung aus, da eine Bevorzugung etwa Adeliger nicht zu rechtfertigen sei. Die Gleichheit aller vor dem Gesetz sei jedoch vor allem für die Anerkennung der Rechtsprechung innerhalb der Bevölkerung elementar: Nur dadurch erhalten die Gesetze in den Augen des Volkes eine Heiligkeit, wenn es sieht daß alle Unterthanen der Höchste wie der Niedrigste ihm unterworfen sind […].20 Zu Beginn des 19. Jahrhunderts schienen in Sachsen-Weimar-Eisenach die Grenzen der ständischen Gesellschaft aufzubrechen – nachfolgende Stellungnahmen der Zeitgenossen werden diesen Verdacht erhärten. Weimar wies um 1800 kein wirtschaftlich starkes Bürgertum auf. Stattdessen dominierten dort Handwerker, Gewerbetreibende und Kleinhändler mit einem Anteil von knapp 40 Prozent an der Gesamtbevölkerung das Stadtbild. Davon waren allein 17 Prozent als Handwerksgesellen tätig. Weitere 35 Prozent der 16 FRÜHSORGE, Begründung (1978), S. 110–123; VAN DÜLMEN, Kultur 1 (2005), S. 7, 12f.; DERS., Kultur 3 (2005), S. 7; EBERHARDT, Umwelt (1951), S. 24–30; KÖNIG, Illegitimität (2007), S. 64f. 17 CARIUS, Recht (2010), S. 1f.; DILCHER, Ordnung (1997), S. 55f. 18 V. GÖCKEL, Gesetze 1 (1828), S. 203. 19 Verheimlichung (1781, 1802), LATh–HStAW, Rechtspflege B2302a, fol. 2r. Zur partialen und selektiven Anwendung von Gesetzen im frühneuzeitlichen Rechtssystem vgl. HOLENSTEIN, Umstände (2000), S. 8, 11, 44; SCHLUMBOHM, Gesetze (1997), S. 660. 20 Entwurf Ehegesetz I (1826), LATh–HStAW, Rechtspflege B2408a, fol. 65r.

1. LEBEN IN WEIMAR UM 1800

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Bevölkerung lebten als Bedienstete und Tagelöhner neben den Gesellen ebenfalls von niedrigen Löhnen. Nur etwa 26 Prozent der Einwohner waren staatliche oder städtische Beamte, bekleideten als Geistliche, Ärzte oder Lehrer akademische Berufe oder dienten am Hof und dessen Einrichtungen wie dem Hoftheater.21 Die geringen Verdienste hatten unmittelbare Auswirkungen auf die Heiratschancen eines Großteils der Weimarer Gesellschaft und, wie noch zu zeigen sein wird, auf die damit einhergehende Illegitimität.22 Der starke Bevölkerungszuwachs wirkte sich unmittelbar auf die Wohn- und Lebenssituation in Weimar aus. So hätte laut Birgit Tautz von 1770 bis 1830 die Zahl der in einem Haushalt durchschnittlich lebenden Personen von acht auf zwölf zugenommen. 23 Die zahlreichen auswärtigen Gesellen, Knechte und Mägde mieteten sich bei Weimarern ein. Als überwiegend Ledige, denen das Geld bzw. das Bürgerrecht und damit Voraussetzungen zur Eheschließung fehlten, waren sie mehr als andere soziale Gruppen in Sittlichkeitsdelikte involviert. Durch strengere Kontrollmechanismen wie eine Meldepflicht für fremde Untermieter versuchten die örtlichen Behörden, bereits straffällig gewordene Einwanderer auszuweisen, ferner erließen sie 1823 eine neue Gesindeordnung.24 Die obligatorischen Gesuche der in Weimar Ansässigen um die Aufnahme Verwandter wurden vom Stadtrat nicht immer bewilligt. So durfte die Dienstmagd Hiller ihr dreijähriges uneheliches Kind nicht zu sich nach Weimar holen.25 Aufgrund ihrer hohen Mobilität waren Bedienstete jedoch schwer für die städtischen und staatlichen Obrigkeiten greifbar. Laut dem Weibliches Dienstboten Journal wechselten Dienstmägde meist nach wenigen Monaten die Anstellung, zogen in ihren Heimatort oder zu Verwandten, um möglicherweise dort in fremde Dienste zu treten oder in der eigenen Familie auszuhelfen. Viele der im Journal verzeichneten Dienstmädchen waren nur für einige Monate bis hin zu drei Jahren angestellt. 26 Um das dauerhafte Aufenthaltsrecht zu erlangen, musste jedoch eine mehrjährige Anstellung in der Residenzstadt sowie tadelloses Benehmen nachgewiesen werden. 27 Arbeitslose wurden regelmäßig ausgewiesen, ihren Unterstützern drohte eine Bestrafung durch den Stadtrat – wie der Wei21 HENNING, Entwicklung (1976), S. 233, 237; EBERHARDT, Umwelt (1951), S. 24–30; HUNSTOCK, Weimar (2011), S. 114–118. 22 KÖNIG, Illegitimität (2007), S. 65. 23 TAUTZ, Stadtgeschichten (2013), S. 505. 24 WWB 71 (1825), Nr. 35 (03.05.1825), S. 176; WWB 73 (1827), Nr. 23 (20.03.1827), S. 101; WWB 76 (1830), Nr. 75 (21.09.1830), S. 429; Laster Hurerey (1731–1780), LATh–HStAW, Rechtspflege B2236b, fol. 49v–50r. Zur Gesindeordnung vgl. WWB 71 (1825), Nr. 89 (08.11.1825). 25 StAW, HA I-1-52, Stadtratsprotokoll 24.10.1817, Nr. 3. 26 Dienstboten Journal 2.1 (1823–1827), StAW, Amtsbücher 29/1. 27 StAW, HA I-1-52, Stadtratsprotokoll 17.03.1820, Nr. 4.

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II. NORMATIVE LEITBILDER UND STRUKTURELLE RAHMENBEDINGUNGEN

marer Witwe Metzold, die eine herrenlose Magd aufgenommen und nicht gemeldet hatte.28 Stärker als andere gesellschaftliche Gruppen waren Personen mit niedrigem Einkommen von äußeren Einflüssen wie klimatischen Bedingungen und Kriegen abhängig. Sie konnten dadurch steigende Lebensmittelpreise oder den Kriegsdienst bzw. Tod männlicher Familienmitglieder finanziell nicht kompensieren, etwa durch die Anstellung von zeitweise aushelfenden Bediensteten. Immer wieder kam es von 1770 bis 1830 in Weimar zu drastischen Preissteigerungen. Die Ernteausfälle 1771 bzw. 1772 sowie 1816 und 1817 verursachten in der Residenzstadt schwere Hungersnöte und hohe Mortalitätsraten.29 Versorgungsengpässe und die Teuerung der Lebenshaltungskosten setzten viele Menschen psychisch massiv unter Druck und führten zu persönlichen und zwischenmenschlichen Krisen. Ehepartner warfen sich während der Scheidungsverfahren die Unfähigkeit zur Versorgung oder den nachlässigen Umgang mit der Haushaltskasse vor oder begingen aus Angst vor finanziellen Nöten sogar Selbstmord. Weil der Vergolder Wahnis befürchtete, seine bald aus der Haft entlassene Frau nicht ernähren zu können, soll er sich 1830 das Leben genommen haben.30 Selbst wenn die Kriegsschauplätze weit entfernt lagen, waren die Familien der eingezogenen Väter und Söhne unmittelbar betroffen. Ihnen fehlten mit den Männern entweder die Hauptverdiener oder die physische Arbeitskraft.31 Als die Schlachten der napoleonischen Kriege in Weimars unmittelbarer Umgebung stattfanden, belagerten mehrfach Truppen die Stadt. Sie mussten verköstigt werden oder plünderten die Vorräte. Die städtischen Bäcker, Fleischer und andere Betriebe lieferten zur Bewirtung des 17. französischen Infanterieregiments im Februar 1808 sechs Fässer Branntwein, 18 Fässer Bier, 900 Kilogramm Fleisch und unzählige Mengen Weißbrot.32 Im April 1815 waren laut Wochenblatt fast 13.000 Militärs in der Residenzstadt einquartiert, im Juni sollen es sogar rund 20.000 gewesen sein, womit sich mehr Truppenangehörige als Einwohner in Weimar aufhielten. Sofern Ortsansässige nicht selbst Fremde aufnahmen, mussten sie bemessen an ihrer Miete eine Abgabe zur Unterstützung der beherbergenden Haushalte zahlen.33 28 29 30 31

Ebd., Stadtratsprotokoll 06.09.1821, Nr. 7. WWB 71 (1825), Nr. 1 (04.01.1825), S. 2. ROST/BACKHAUS, Weimar (2007), S. 33f., 57; WWB 52 (1806), Nr. 1 (01.01.1806), S. 1. GESKY, Bruchstück (1806–1835), LATh–HStAW, Schriften & Drucke F2140, fol. 286v. So geschehen in der Familie Lärz aus Mechelrode: Bedürftige Eltern (1813–1819), LATh– HStAW, Militär B38989, fol. 66v–67r; oder Familie Harz aus Söllnitz: Bedürftige Eltern (1813–1819), LATh–HStAW, Militär B38989, fol. 70r–v. 32 WWB 52 (1806), Nr. 1 (01.01.1806), S. 2; Gesky, Bruchstück (1806–1835), LATh–HStAW, Schriften & Drucke F2140, fol. 12r–v. 33 WWB 61 (1815), Nr. 35 (02.05.1815), S. 137; WWB 61 (1815), Nr. 46 (09.06.1815), S. 183; WWB 53 (1807), Nr. 98 (09.12.1807), S. 435.

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Die Einquartierungen verschlechterten die ohnehin teilweise mangelhaften hygienischen Bedingungen massiv, sodass sich eine mit den Soldaten 1813 eingeschleppte Epidemie rasant verbreitete und zahlreiche Todesfälle in allen Gesellschaftsschichten verursachte. 34 Solvente oder gebildete Bürger waren dennoch hinsichtlich der Hygiene und der medizinischen Versorgung gegenüber den ärmeren Schichten im Vorteil. Ihre körperliche Konstitution war widerstandsfähiger: Sie konnten sich abwechslungsreicher und damit gesünder ernähren, mit sauberen Getränken und im Krankheitsfall mit Arznei versorgen und sich anhand von Zeitschriften und Ratgeberliteratur über die neuesten Erkenntnisse hinsichtlich der Gesundheit und Hygiene informieren.35 Die frühneuzeitlichen Staaten konnten weder die alltägliche Armut etwa von Witwen oder Kranken durch staatliche Unterstützung nachhaltig eindämmen, noch Versorgungsengpässe in Krisenzeiten einigermaßen abfangen. Umso mehr waren die Obrigkeiten bemüht, Armut gar nicht erst entstehen zu lassen. Durch restriktive Sittlichkeits-, Ehe- und Einwanderungsgesetze sollten verarmte Bürger nicht gezeugt, Familien nicht gegründet und Arbeitslose nicht in die Stadt gelassen werden. Ein großer Teil der Bevölkerung lebte jedoch aufgrund der geringen Einkommen in ärmlichen Verhältnissen.36 Ernst Schubert spricht in seiner Untersuchung zu Bettler und Gauner im Franken des 18. Jahrhunderts sogar von einer Art Parallelgesellschaft, in der arme Leute in Familien und verwandtschaftlichen Beziehungen zusammenlebten.37 Die rudimentär vorhandenen staatlichen Fürsorgeinstitutionen konnten allenfalls nur in Einzelfällen aushelfen oder Bedürftige mit kleinen Beträgen geringfügig unterstützen. 38 Trotz steigender Pflichtabgaben der Bürger in die Almosenkasse nahm die Armut in Weimar weiter zu, was wohl auch der hohen Zuwanderungsrate Hilfsbedürftiger geschuldet war, unter der auch andere Residenzstädte litten.39 Die Landesdirektion regte aufgrund der gestiegenen Einwohnerzahlen schließlich 1829 beim Stadtrat ein neues Krankenhaus an, da das existierende Siechhaus die wachsende städtische Bevölkerung besonders während

34 ROST/BACKHAUS, Weimar (2007), S. 37, 50. 35 ROECK, Lebenswelt (1991), S. 29f. 36 Vgl. Kap. II.2.2.3; Leonhardi erwähnt dazu für die 1780er Jahre fast 450 Menschen, die im Weimarer Landesteil arm gewesen seien und von Almosen gelebt hätten, LEONHARDI, Erdbeschreibung 2 (1790), S. 756. 37 SCHUBERT, Arme Leute (1990), S. 374–380. 38 Der Herzog unterstützte die durch Krankheit in finanzielle Nöte geratenen Familie 49 mit einem Gnadengeschenk von zwölf Talern: Verpflegung Danz (1803), LATh–HStAW, Militär B38765, fol. 1r. 39 VENTZKE, Herzogtum (2004), S. 362–364; HUNSTOCK, Weimar (2011), S. 78–81.

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II. NORMATIVE LEITBILDER UND STRUKTURELLE RAHMENBEDINGUNGEN

vergangener Epidemien nicht mehr ausreichend versorgen konnte.40 Schon in den 1770er Jahren initiierte Anna Amalia nach Straßburger und Göttinger Vorbild eine an die Universität Jena personell angebundene Entbindungsanstalt.41 Seit seiner Eröffnung 1779 konnte das Accouchierhaus maximal acht Patientinnen unentgeltlich verpflegen und verköstigen. 42 Die Göttinger Einrichtung übernahm sogar die Tauf- und etwaige Begräbnisgebühren. Dennoch mangelte es besonders der Jenaer Anstalt angesichts der beschämenden Entbindung vor einer Gruppe junger Studenten an freiwilligen Patientinnen. Außerdem wurden die Leichen der unehelich Gebärenden der Jenaer Anatomie übergeben und demnach nicht sofort den christlichen Glaubensgrundsätzen entsprechend beerdigt, was viele Frauen zusätzlich abschreckte.43 Seit der Ausbreitung des Christentums beziehungsweise der biblischen Forderung nach Schutz für Waisen existierten verschiedene Einrichtungen für Findelund Waisenkinder, wie etwa Ablagebecken an Kirchentüren oder Pflegeanstalten für Arme, Alte und Kranke, die auch Kinder versorgten. Aus ihnen entwickelten sich die späteren Waisenhäuser. Neben Vollwaisen wurden dort auch Kinder aus verarmten Familien betreut: Aufgrund finanzieller Not baten Eltern, Verwitwete, ledige Mütter oder gar die Kinder selbst die Behörden um Aufnahme (einiger oder aller Kinder) ins Waisenhaus.44 Den Zöglingen ging es in den staatlichen Anstalten keineswegs besser als in ihren Familien. In vielen frühneuzeitlichen Waisenhäusern herrschten katastrophale hygienische Bedingungen: Die Räumlichkeiten waren oft viel zu klein und schmutzig, Kleidung reichte nicht aus und wurde selten gewechselt oder gewaschen und die Ernährung war mangelhaft und einseitig. Zudem handelte es sich bei den meisten Waisenhäusern um sogenannte Zentralanstalten, die Arbeits-, Irren-, Zucht- und Siechhäuser miteinander verbanden. In den nahegelegenen Manufakturen wurden Kinder wie Erwachsene zur Arbeit angehalten. Auch lebten sie räumlich oft nicht von den straffälligen, kranken oder sozial verwahrlosten Personen getrennt und waren dadurch den Erwachsenen schutzlos ausgeliefert.45 40 Plenarprotokolle (1824–1831), StAW, HA I-1-53, 27.04.1829, Nr. 9 bzw. ebd., 18.03.1830, Nr. 7. 41 Accouchierhaus (1768–1820), LATh–HStAW, Polizeisachen B6242, fol. 15r–25r. 42 Seit 1791 bekamen sie für Lebensmittel 18 Groschen zugeteilt und behielten ihren Verdienst aus der in der Anstalt verrichteten Arbeit: MARTIN, Gebäranstalt (1848), S. 6f. 43 SCHLUMBOHM, Phantome (2012), S. 317; MARTIN, Gebäranstalt (1848), S. 7. 44 VELTMANN, Waisenpflege (2009), S. 13f.; NEUMANN, Waisenhausstreit (2003), S. 156; Registrande (1771), LATh–HStAW, Behörden B854, Nr. 274; Registrande (1771), LATh– HStAW, Behörden B855, Nr. 482; Registrande (1772), LATh–HStAW, Behörden B857, Nr. 313. 45 NEUMANN, Waisenhausstreit (2003), S. 157–159.

1. LEBEN IN WEIMAR UM 1800

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Angesichts der teils desaströsen Zustände entbrannte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine in der Forschung als „Waisenhausstreit“ bezeichnete Diskussion. Während die Gegner der Waisenhäuser für deren Auflösung und für die Betreuung der Kinder durch Pflegefamilien votierten, sannen ihre Widersacher auf eine Reform der bestehenden Anstalten.46 In Weimar ließ Carl August in Orientierung an Gotha, Karlsruhe und Hamburg das Waisenhaus 1784 schließen. Fortan wurden die Kinder entweder von ihren eigenen Eltern oder Verwandten oder von Pflegeeltern betreut. Die Waisenverpflegungsanstalt organisierte die Unterbringung und zahlte den Aufsichtspersonen ein Entgelt aus der Waisenkasse.47 Die Versorgung der Kinder war in Privathaushalten häufig ebenfalls mangelhaft. Viele Pflegeeltern kassierten den zur Versorgung der Zöglinge gedachten Zuschuss und sparten an deren Verpflegung. Nicht alle Familien konnten eine angemessene Betreuung vor allem der Kleinkinder gewährleisten. Weil Verwandte zuweilen auswärts berufstätig waren, sperrten sie sie entweder ein bzw. aus oder nahmen sie zur Arbeit mit. So durften sich fremde Kinder seit 1829 nicht mehr im Schloss bzw. in den dortigen Arbeitsräumen der Angestellten aufhalten. 48 Immer wieder verunglückten sie unbeaufsichtigt im Haushalt oder verursachten Verkehrsunfälle. Maria Pawlowna hatte deshalb im Sommer 1828 in der Stadt Allstedt wie auch in mehreren benachbarten Gemeinden die Gründung von Kleinkinderschulen unterstützt. Carl Friedrich regte eine solche Einrichtung, wie sie auch schon in anderen Territorien existierte, für ärmere Familien im Jahr darauf beim Weimarer Stadtrat an.49 Die gerade in unteren Schichten mangelhafte schulische Bildung endete für die meisten Jungen nach der Konfirmation. Für Mädchen war in SachsenWeimar-Eisenach der Schulbesuch bis zum 14. Lebensjahr erst seit 1826 verpflichtend. Danach gingen sie in fremde Dienste, die Jungen begannen eine Handwerksausbildung. Nur Wohlhabende konnten sich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts eine angemessene Schulbildung für ihre Söhne und Töchter leisten und stellten dazu gegebenenfalls Privatlehrer an oder schickten die Kinder auf die elitären Gymnasien.50 Keineswegs war der Alltag in den niederen Schichten um 1800 nur von Existenzängsten und Werktätigkeit geprägt. Die Anzeigen und Wochenblätter wie 46 Ebd., S. 156–167. 47 VENTZKE, Herzogtum (2004), S. 359; GÜNTHER, Waisen (1825), S. 41; TEUSCHER, Kirchenrecht (1848), S. 518; WOLTER, Bedenket (2003), S. 312. 48 N.N., Kleinkinderschulen (1829), S. 153f.; Aufenthalt Kinder u.a. (1815–1902), LATh– HStAW, HMA 366, fol. 8r–v. 49 Kleinkinderschule (1829–1830), StAW, NA I-39c-2, fol. 1r, 33r–62v; N.N., Kleinkinderschulen (1829); SCHWABE, Verwahrschulen (1828). 50 ROECK, Lebenswelt (1991), S. 31; v. GÖCKEL, Gesetze 2 (1829), S. 371; DERS., Gesetze 3 (1830), S. 1496.

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II. NORMATIVE LEITBILDER UND STRUKTURELLE RAHMENBEDINGUNGEN

auch die Behördenakten dokumentieren ein mitunter sehr ausschweifendes Freizeitverhalten von Angehörigen aller gesellschaftlichen Gruppen. So waren die in Weimar veranstalteten Redouten laut Ankündigung im Wochenblatt zwar nicht den Dienstboten zugänglich. Dennoch hätten sich 1807 wider den zuvor ergangenen Verwarnungen bei den letzten Tanzveranstaltungen so viel Dienstmägde und Domestiken eingefunden, dass ein erneutes Verbot notwendig sei und zuwider Handelnde ohne Ansehen der Person, sogleich aus dem Tanzsale weggebracht werden.51 Der Weimarer Oberkonsistorialassessor Johann Gottfried Zunkel wollte 1817 den übermäßigen Luxus, besonders in der Kleidung gesetzlich einschränken, zumal dadurch die häusliche Wohlfahrt zerstört u. die Familien in Armuth u. Schulden gestürzt würden. Mitunter wären sogar Bauern hinsichtlich ihres Hausgeräthes und der Garderobe besser ausgestattet als sonst die Edlen des Landes und die Handwerkstöchter und -gattinnen könnten nicht von den Frauen der höheren Stände unterschieden werden.52 Weite Teile der Mittel- und Unterschichten lebten demnach über ihre Verhältnisse und investierten das für den Lebensunterhalt notwendige Einkommen auch in Statussymbole und damit in ihr gesellschaftliches Renommee. Die damaligen Bemühungen aller Bevölkerungsschichten um einen angemessenen sozialen Status sind darin begründet, dass der eigene Ruf ein genauso wertvolles Kapital auf dem Heirats- oder Arbeitsmarkt war wie der familiäre Hintergrund oder die Ausbildung. Die Lebens- und Familienverhältnisse waren der Nachbarschaft in den Dörfern und kleineren Städten wie Weimar bekannt, üble Nachrede konnte in einer derart verdichteten Kommunikation rasch verbreitet werden und die damalige soziale Kontrolle war angesichts der Kleinräumigkeit immens.53 Im Streit mahnte eine Bettmeisterin eine Frau Heu, daß es sich nicht schicke, dass sich ihr Verlobter nachts bei ihr im Waschhaus aufhielte. Sie beschuldigte Frau Heu außerdem, dass sie im herzoglichen Waschhaus die Wäsche für ihren Verlobten und für ihre Leute mitwasche. Die Beschuldigte beschimpfte daraufhin eine Frau Staff, die offensichtlich die Bettmeisterin informiert hatte, als Klatsche und Waschmaul Weimars.54 Die vor dem Hofmarschallamt geführte Auseinandersetzung darüber, wie lange sich die Verlobten nachts gemeinsam im Waschhaus aufhielten und wer die Bettmeisterin über die unsittliche Zweisamkeit informierte, veranschaulicht die starke soziale Kontrolle, der nicht nur Ledige unterstanden und die sowohl den Ruf als auch die berufliche Existenz gefährden konnte. Die zur Aufsicht verpflichteten Unterobrigkeiten wie Amtmänner, Pfarrer oder auch Dienstherren wie die Bettmeisterin waren Teil 51 WWB 53 (1807), Nr. 24 (25.03.1807), S. 117. 52 Oberkonsistorialakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 55r–v. 53 TAUTZ, Stadtgeschichten (2013), S. 498f.; HETTLING, Kleinstadt (2005), S. 275. 54 Waschmägde Disziplin (1797), LATh–HStAW, HMA 1031, fol. 1r–2r.

2. INSTITUTIONELLE UND GESETZLICHE RAHMENBEDINGUNGEN

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dieses gesellschaftlichen Netzwerkes und den Untertanen nicht nur vorgesetzt, sondern auch mit ihnen verwandt, befreundet oder auch verfeindet. Ihre starke soziale Einbindung wirkte sich, wie noch zu zeigen sein wird, teilweise unmittelbar auf die Durchsetzung obrigkeitlicher Bestimmungen etwa zu Sittlichkeitsdelikten aus.

2. Institutionelle und gesetzliche Rahmenbedingungen 2. INSTITUTIONELLE UND GESETZLICHE RAHMENBEDINGUNGEN

2.1. Die Obrigkeit in Sachsen-Weimar-Eisenach An der Spitze aller Landesbehörden Sachsen-Weimar-Eisenachs stand der Landesherr, der als absoluter Monarch jederzeit in die Gesetzgebung und Rechtsprechung eingreifen konnte. Trotz seiner Ambitionen zu Reformen in Justiz und Verwaltung konnte der von 1775 bis 1828 regierende Carl August laut Marcus Ventzke kaum als idealtypischer Herrscher der Aufklärung gelten, zumal er seine Landeskollegien personalpolitisch schwächte und damit seine eigene machtpolitische Position stärkte.55 Wie sich bei der Untersuchung unehelicher Sexualkontakte und Schwängerungen sowie Ehescheidungen herausstellen sollte, gebrauchte Carl August mehrfach seine absolutistische Macht, griff in laufende Verfahren ein und entschied auch entgegen den Empfehlungen seiner juristischen Berater. Der Herzog war bis 1806 die einzige verbindende Instanz zwischen dem Eisenacher Landesteil und den Kerngebieten des Herzogtums, da sich das bis 1741 unabhängige Sachsen-Eisenach trotz der vereinheitlichenden Landesverfassungen von 1809 bzw. 1816 bis 1849/50 überwiegend eigenständig verwaltete. Allein das Geheime Konsilium fungierte seit 1756 sinngemäß als Landeszentralbehörde. Das Beratungsgremium bestehend aus den Geheimen Räten war eng mit der Person des Landesherrn verbunden und leitete als oberste Behörde die gesamte Staatstätigkeit. Es bereitete überwiegend mündlich die Entscheidungen des Landesherrn nach dessen Interessen und denen des Landes vor, gab fürstliche Anweisungen weiter und überwachte deren Befolgung.56 Die übrigen Landesbehörden – die Regierungen, die Kammern und die Konsistorien beider Landesteile – führten als Fachbehörden die Entscheidungen des Herzogs aus. Ihnen war seit 1770 die Generalpolizeidirektion angegliedert, die allen Polizei- und Armenkommissionen vorstand und der etwa die Amtsärzte und Hebammen unterstellt waren.57 Daneben existierten weitere Kollegialbehörden 55 VENTZKE, Herzogtum (2004), S. 476f. 56 HESS, Behördenorganisation (1993), S. 15, 30; WAHL (Hg.), Kind (2004), S. 3f. 57 LEONHARDI, Erdbeschreibung 2 (1790), S. 760f.; GREILING, Goethe (1999), S. 122.

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II. NORMATIVE LEITBILDER UND STRUKTURELLE RAHMENBEDINGUNGEN

mit jeweils eigenen Ressorts. Carl August berief während seiner Amtszeit zudem mehrere ihm direkt unterstellte Immediatkommissionen zur Bewältigung anstehender Verwaltungsaufgaben ein.58 Zu den weltlichen Unterobrigkeiten zählten kommunale Behörden wie Justizämter, Amts- und Stadtgerichte bzw. Stadträte, aber auch die Dienstherren der Militär- und Hofangehörigen, die die gesetzestreue Lebensweise ihrer Untergebenen überwachten, Verstöße meldeten und mitunter auch unliebsame Eheschließungen unterbinden konnten. Da die Stadt Weimar mit den dort ansässigen Kollegien das administrative Zentrum des Herzogtums darstellte, fällten die Behördenmitglieder ihre Entscheidungen immer vor dem Hintergrund der von ihnen in der Residenzstadt wahrgenommenen Familien- und Lebensformen.59 Die obersten geistlichen Behörden bildeten die Weimarer und Eisenacher Oberkonsistorien, die wie in anderen protestantischen Staaten des Alten Reiches infolge von Luthers Entsakralisierung der Ehe entstanden waren. Erst 1837 wurde das bis dahin gleichrangige Eisenacher Oberkonsistorium der Weimarer Oberbehörde unterstellt. Das Weimarer Konsistorium wurde 1612 gegründet und hatte wie das Eisenacher Kollegium bis 1804 die Ehegerichtsbarkeit inne, verwaltete daneben aber auch die Kirchen und Schulen.60 Die genaue Anzahl und Zusammensetzung der Mitglieder schien angesichts unterschiedlicher Angaben in der Konsistorialordnung von 1561, in Leonhardis Erdbeschreibung aus den 1790er Jahren und in der Oberkonsistorialordnung von 1804 zu variieren, schloss jedoch immer weltliche und geistliche Räte ein. Seit 1804 veränderte sich die Zuständigkeit der Gremien grundlegend: Sie sollten die Paare fortan lediglich versöhnen. Gelang dies nicht, wurden die Eheleute an die Regierungen verwiesen, die nunmehr für die rechtliche Trennung gescheiterter Ehen zuständig waren.61 Andere deutsche und europäische Territorien wie Sachsen-Coburg und Saalfeld, Hessen-Darmstadt oder Norwegen übertrugen ebenfalls zur gleichen Zeit die Rechtsprechung vollständig den weltlichen Behörden.62 Die Kompetenzen sollten dadurch klarer zugeordnet und die Verwaltung verschlankt werden. Die damit einhergehende massive Beschneidung kirchlichen Einflusses war zwar nicht das primäre Ziel der Reformen, aber mindestens für Carl August 58 WAHL (Hg.), Kind (2004), S. 4. 59 HUNSTOCK, Weimar (2011), S. 74. 60 HESS, Behördenorganisation (1993), S. 22, 30f.; Scheidungen und Irrungen (1842–1844), LATh–HStAW, Rechtspflege B2422a, fol. 4v. Zum Eisenacher Konsistorium vgl. LEONHARDI, Erdbeschreibung 2 (1790), S. 798. 61 Ordnung consistorii (1561), in: SEHLING I/1, S. 230f.; LEONHARDI, Erdbeschreibung 2 (1790), S. 760; J. SCHMIDT, Aeltere 9 (1805), S. 334–336, 341; KESSLER, Herder (2007), S. 149f.; Anzugebende Processe (1804), LATh–HStAW, Behörden B1577a, fol. 6r. 62 Verfassung OberConsistorii (1804), LATh–HStAW, Behörden B1577, fol. 6r–11r, 16v–17r; JOHANSEN, Marriage Trouble (2005), S. 175.

2. INSTITUTIONELLE UND GESETZLICHE RAHMENBEDINGUNGEN

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ein erwünschtes Nebenprodukt. 63 Die Konsistorien beaufsichtigten die ihnen unterstellten Superintendenturen und Pfarrer. Die Geistlichen sollten als Unterobrigkeiten vor Ort über die sittliche Ordnung wachen, die Gemeindemitglieder zu einem tadellosen Lebenswandel anhalten, gegebenenfalls in Streitigkeiten vermittelnd eingreifen und Verstöße gegen Gesetze oder gesellschaftliche Normen der nächsthöheren Instanz melden.64 Bis 1817 existierte das 1566 gegründete Jenaer Hofgericht als höchstes Landesgericht, das unter anderem in Eherechtsstreitigkeiten als juristische Appellationsinstanz fungierte und darin von dessen Nachfolgeinstitution, dem neugegründeten Oberappellationsgericht, abgelöst wurde. 65 In strittigen Eherechtsfällen oder Sittlichkeitsdelikten wandten sich die Recht suchenden Parteien an die Appellationsgerichte. Die frühneuzeitlichen Recht sprechenden Instanzen versendeten entsprechende Fallakten zur Begutachtung an Spruchkollegien wie den ebenfalls 1566 gegründeten Jenaer Schöppenstuhl, der seine Urteilsempfehlungen auf historische Rechtskodifikationen sowie zeitgenössische juristische Abhandlungen stützte. Mit dem Schöppenstuhl als zweiter und dem Hofgericht als dritter juristischer Instanz verfügten die ernestinischen Herzogtümer über eine vollwertige juristische Infrastruktur, die die Untertanen und die ansässigen Behörden gegebenenfalls bei der Verhandlung von Sittlichkeitsdelikten und Ehescheidungen nutzten.66

2.2. Gesetzgebung und Rechtsprechung – Form, Inhalt und Verlauf 2.2.1. Geltendes Recht? Eine systematische Anwendung geltenden Rechts durch die Justizbehörden Sachsen-Weimar-Eisenachs scheint um 1800 angesichts der sich ergänzenden und teilweise sogar widersprechenden Verordnungen, Reskripte und Gesetze kaum möglich gewesen zu sein.67 Die Recht sprechenden Instanzen sehnten sich daher spätestens seit den 1770er Jahren nach klärenden Reformen oder zumindest nach einem vollständigen Kompendium der aktuell gültigen Gesetze. Noch weit gemeinnüziger und dringender als eine neue Prozessordnung war laut Landes63 HESS, Behördenorganisation (1993), S. 22; VENTZKE, Herzogtum (2004), S. 460–474. 64 Scheidungen Weimar (1825–1828), LATh–HStAW, Rechtspflege B2608, fol. 120v; GLEIXNER, Mensch (1994), S. 60. 65 CARIUS, Recht (2012), S. 42. 66 GROCHOWINA, Eigentum (2009), S. 47f.; Scheidungen Weimar (1821–1824, 1827), LATh– HStAW, Rechtspflege B2605, fol. 129v. 67 Vgl. zur Vielzahl gültiger, sich ergänzender Rechtsvorgaben die Übersichten in Anhang, Tabellen 5–7, ferner VENTZKE, Herzogtum (2004), S. 430.

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II. NORMATIVE LEITBILDER UND STRUKTURELLE RAHMENBEDINGUNGEN

regierung 1777 die Zusammentragung und Zusammenziehung aller ins Land ergangenen Mandate, Gesetze, Policey-Vorschrifften und Verordnungen, weil der gemeine Mann die meiste Zeit nach gänzlich unbekannten Gesezen beurtheilt, gerichtet und bestraft werde, woraus denn entweder vielfältige Elusionen des Gesezes oder aber würkliche Bedruckungen bey Bestrafungen unwissentlicher und daher nicht freventlicher Übertretungen entspringen.68 Bislang würden die Untertanen basierend auf veralteten Gesetzen fehlerhaft verurteilt, da innerhalb der Rechtsprechung und auch der Bevölkerung lückenhafte und falsche Kenntnisse des geltenden Rechts kursierten. Die zuständigen Instanzen an der Ilm modifizierten und spezifizierten die vorhandenen Bestimmungen durch Gerichts- und Prozessordnungen, landesherrliche Patente, Reskripte und Mandate, anstatt sie vollständig zu ersetzen und zu revidieren. Ihr Vollzug wurde zudem durch lokale Traditionen, Statuten und Rechtsgewohnheiten mitbestimmt. In Streitfragen sollte laut der Gerichts-Proceßund Executionsordnung von 1702 zuerst die jüngste Verordnung konsultiert werden. Konnte der Fall dadurch nicht entschieden werden, war die jeweils vorhergehende hinzuzuziehen. Dadurch war Sachsen-Weimar-Eisenach am Ende des 18. Jahrhunderts das einzige ernestinische Territorium, in dem noch immer die ernestinische Landesordnung von 1589 galt.69 Die Reformunfähigkeit der ernestinischen Gesetzgebung beweisen die seit Beginn des 18. Jahrhunderts immer wieder angestellten und letztlich im 19. Jahrhundert gescheiterten Bemühungen etwa um eine neue Prozessordnung oder ein erneuertes Ehegesetz.70 Das für 1823 geplante Strafgesetzbuch konnte während Carl Augusts Amtszeit nicht realisiert werden und erschien erst in den 1840er Jahren.71 Die Rechtsprechung orientierte sich bis zur Veröffentlichung umfassender Kodifikationen weitestgehend an Gesetzessammlungen wie derjenigen von Johannes Schmidt oder an dem seit 1817 erschienenen Regierungsblatt, das neue Gesetze und Verordnungen publizierte.72 Zuvor zirkulierten unter den zuständigen Behörden nach unterschiedlichen Kriterien zusammengestellte Volumina, 68 Neue Proceß Ordnung (1778), LATh–HStAW, Rechtspflege B2281, fol. 2r. 69 Gerichts-Proceß- und Executionsordnung (1702), Vorwort (unpag.); VENTZKE, Herzogtum (2004), S. 429. 70 Vgl. Project Process-Ordnung (o.D., circa 1750), LATh–HStAW, Rechtspflege B2197a; Prozess-Ordnung (1756–1816), LATh–HStAW, Rechtspflege B2256; Neue Proceß Ordnung (1778), LATh–HStAW, Rechtspflege B2281; Civilproceßordnung (1817–1827), LATh–HStAW, Rechtspflege B2389; Zum neuen Ehegesetz vgl. Kap. IV.2.4.3 und Kap. V.4.1. 71 Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 104r. 72 J. SCHMIDT, Aeltere (1800–1805). Weitere Sammlungen folgten etwa von Ferdinand von Göckel (erschienen 1828–1868) und Friedrich Zwetz (1874). So orientierte sich Wilhelm Göhring vom Justizamt Oldisleben in Rechtsfragen an Schmidts Kompendium: Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 91r.

2. INSTITUTIONELLE UND GESETZLICHE RAHMENBEDINGUNGEN

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die Abschriften oder Drucke der jeweils gültigen Patente und Mandate enthielten.73 Die juristischen Instanzen wie etwa das Weimarer Oberkonsistorium oder der Jenaer Schöppenstuhl wandten demnach in Ermangelung einer umfassenden neueren Kodifikation bis in das 19. Jahrhundert hinein auch ältere territorial- und reichsrechtliche Gesetzeswerke wie das römische oder das sächsische Recht oder die Peinliche Halsgerichtsordnung Karls V. an oder bezogen sie in die Entscheidungsfindung ein. Wie für kleinere Reichsterritorien und deren Gerichtspraxis üblich, orientierte sich die Rechtsprechung in Sachsen-Weimar-Eisenach zugleich an zeitgenössischen Gesetzeswerken größerer Staaten, wie dem 1794 publizierten Allgemeinen Landrecht, oder auch an Publikationen einzelner Juristen. Das Allgemeine Landrecht und der 1804 erschienene Code Civil bzw. Code Napoleon wurden im Weimarer Herzogtum nicht offiziell als geltendes Recht eingeführt.74 Wie die übrigen sachsen-weimar-eisenachischen Behörden stützten sich die Schöppen in Zweifelsfällen auf antike und zeitgenössische Gesetzestexte. Die nachfolgend ausführlich dargestellten, vom Jenaer Schöppenstuhl besprochenen homosexuellen Handlungen durch Johann Gottlieb Schuhmann sind exemplarisch für die damalige juristische Argumentation, wie sie etwa auch bei Ehescheidungen durch landesherrlichen Dispens geführt wurde. Gewaltsame Unzucht sei eine der schwersten Straftaten und müsse nach dem öffentlichen Strafrecht des römischen Kaisers Augustus geahndet werden. Sie verwiesen auf Juristen wie Georg Jacob Friedrich Meister (1755–1832), Johann August von Hellfeld (1717–1782) und Johann Samuel Friedrich von Böhmer (1704–1772). Das Delikt gemäß der Peinlichen Halsgerichtsordnung Karls V. mit einer Lebensstrafe zu richten, hielten die Schöppen hingegen für unangemessen.75 Die Instanzen Weimars wogen üblicherweise geltende Rechtsmassen und zeitgenössische Kodifikationen und Publikationen gegeneinander ab. Dabei verwendete die Rechtsprechung damals wie auch heute noch bei ihrer Urteilsfindung und -begründung in Einzelfällen die erfolgversprechendsten Argumente. Vor allem bei Ehescheidungen durch landesherrlichen Dispens, die aufgrund ihrer

73 Verzeichnisse (1777–1802), LATh–HStAW, Behörden B678, fol. 10r. 74 Zur Anwendung der älteren Gesetzeswerke vgl. Anzugebende Processe (1804), LATh – HStAW, Behörden B1577a, fol. 7r; Alimentationsbestimmungen (1817), LATh–HStAW, Rechtspflege B2383; ferner LÜCK, Art. Sachsenrecht, in: HRG 2 (2009), Sp. 78; JONSCHER, Verfassungsgeschichte (1993), S. 429. Auch das Allgemeine Landrecht wurde nachträglich durch neue Reskripte und Verordnungen ergänzt: v. KAMPTZ (Hg.), Gesetzgebung (1814–1845). Zu Allgemeinem Landrecht und Code Civil in Sachsen-Weimar-Eisenach vgl. Kap. V.3.4., Kap. V.4.2., Kap. V.5. und Kap. VI.4. 75 JÖRS u.a., Recht (1987), S. 8; Päderastrie Schuhmann (1802), LATh–HStAW, SchöppJ 2607, fol. 37v–38r; Kap. III.1.

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II. NORMATIVE LEITBILDER UND STRUKTURELLE RAHMENBEDINGUNGEN

Singularität eben oft nicht eindeutig nach geltenden Rechten begründet werden konnten, wurde nach dem Grundsatz der Billigkeit entschieden.76 Wenn schon die Recht sprechenden Instanzen Mühe hatten, die jeweils gültige Verordnung auszumachen, wie sollten dann die Untertanen die Gesetze bzw. geltendes Recht kennen und befolgen oder auch ihre eigenen Rechte angemessen beanspruchen können? Neue Erlasse und Gesetze wurden, sofern sie sich an die Bevölkerung und die Unterobrigkeiten und nicht ausschließlich an die Landesbehörden richteten, in den Anzeigen bzw. im Wochenblatt publiziert. Zusätzlich konnten sie einzelnen Behörden gezielt durch Zirkulare bekannt gemacht oder in der Glüsingischen Buchdruckerey nachgekauft werden. 77 Umfassendere Rechtstexte wie etwa die Weimarer Stadtordnung von 1811 wurden der Bürgerschaft verlesen.78 In seinem 1788 publizierten Noth- und Hülfs-Büchlein für Bauersleute riet der Gothaer Schriftsteller Rudolph Zacharias Becker, sich in Rechtsfragen von den dafür zuständigen örtlichen Sachverständigen beraten zu lassen. Nicht in jedem Fall sei eine Klage angebracht und mitunter ein Vergleich ausreichend, schließlich sei ein magerer Vergleich […] besser, denn ein fetter Proceß. Auch das großherzogliche Staatsministerium Weimar verlangte 1816, dass Eingaben an den Herzog von einem recipirten Sachverwalter mit unterzeichnet werden und sich die Untertanen mit ihren Gesuchen zuerst an Rechtskundige und erst danach an die Landesbehörden wandten.79 2.2.2. Eide, Strafen und Kosten um 1800 Gerichtliche Verhandlungen von illegitimen Sexualkontakten und Schwängerungen oder auch von Ehescheidungen ähnelten am Ende des 18. Jahrhunderts in ihren Grundzügen der heutigen Verfahrensweise im Straf- oder Zivilrecht. Entweder der Staat oder Einzelpersonen erhoben Klage gegen eine Person, woraufhin zur Beweisaufnahme neben dem Beklagten auch Zeugen gehört wurden. Schließlich fällte die Recht sprechende Instanz ein Urteil und ordnete etwaige Konsequenzen bzw. Strafen an. In Zivilrechtsprozessen bzw. in Verfahren ohne Straftatbestand konnten sich die Parteien auch in einem Vergleich einigen und bedurften somit keines externen Urteilsspruchs. Wesentlich üblicher als heute war in der Frühen Neuzeit jedoch der Einsatz von Eiden innerhalb der Beweisaufnahme oder auch bei rechtskräftigen Handlungen etwa zur Untermauerung der eigenen Aussage. Auswärtige Verlobte schwuren bei der Hochzeit den Eid der Ledigkeit und Mütter auf ihre Angaben zu 76 77 78 79

Zur Entwicklung des Billigkeitsbegriffs vgl. SENN, Rechtsgeschichte (2003), S. 274–281. WWB 57 (1811), Nr. 1 (02.01.1811), S. 2; WWA 14 (1768), Nr. 67 (27.08.1768), S. 268. Gesky, Bruchstück (1806–1835), LATh–HStAW, Schriften & Drucke F2140, fol. 28v. BECKER, Hülfs-Büchlein (1788), S. 404; v. GÖCKEL, Gesetze 2 (1829).

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einem bestimmten oder zu einem ihnen unbekannten Kindsvater, was die Geistlichen Weimars in den dortigen Kirchenbüchern mit einer gezeichneten Schwurhand vermerkten.80 Sowohl angebliche Schwängerer wie auch vermeintliche Ehebrecher versuchten, durch einen Reinigungseid die gegen sie vorgebrachten Anschuldigungen abzuwehren und ein Strafverfahren damit zu beenden.81 Je nach Beweislage wurden solche Schwüre zugelassen und meist nicht in Form eines Eineides, sondern durch Eideshelfer abgelegt, wobei sich deren erforderliche Anzahl an der Schwere des Deliktes orientierte. 82 Mit dem entsprechenden Eid auf die eigene Aussage konnten die Parteien (Gegen-)Klagen abwenden, das Verfahren beschleunigen oder sogar harte Strafen umgehen. Die höchste weltliche Strafe, die Todesstrafe, war bereits im 18. Jahrhundert umstritten, wurde jedoch erst in den 1860er Jahren von verschiedenen Staaten abgeschafft.83 Auch die Herzöge Sachsen-Weimar-Eisenachs ließen Mörder bis Ende der 1860er Jahre köpfen und erhängen. Die Goethe zur Gretchentragödie inspirierende Kindsmörderin Johanna Catharina Höhn starb 1783 durch Enthauptung, obwohl Carl August, angeregt durch die reichsweiten Debatten über die Zweckmäßigkeit der Todesstrafe, zuvor eine Begnadigung zu lebenslanger Haft erwogen hatte. Der Jenaer Schöppenstuhl hatte jedoch zur Hinrichtung geraten und auch die drei Geheimräte Jakob Friedrich von Fritsch, Christian Friedrich Schnauß und Johann Wolfgang von Goethe votierten einstimmig für die Beibehaltung der Todesstrafe auch im genannten Fall, sodass sich der Herzog letztlich seinen juristischen Beratern anschloss.84 In anderen deutschen Territorien des Reiches wie etwa in Württemberg wurde die Todesstrafe währenddessen zunehmend in lebenslange Freiheitsstrafen umgewandelt und die als grausam empfundenen Körperstrafen durch vermeintlich weniger qualvolle Sanktionen wie die Reduzierung der Kost während der Haft oder durch den Kriegseinsatz ersetzt.85 Noch in den 1770er Jahren war es in Sachsen-Weimar-Eisenach während des Strafprozesses üblich, die Verdächtigen mit der Schärfe anzugreifen, und dadurch das Eingeständniß […] heraus zu bringen. In den darauffolgenden Jahrzehnten distanzierte sich jedoch auch die dortige Rechtsprechung zunehmend von der peinlichen, also schmerzhaften Spezial-Inquisition

80 So legte Andreas Firmus Bauer vor dem Weimarer Oberkonsistorium den Eid der Ledigkeit ab: EKAW, HR SK 1803, fol. 191r. 81 Zum Reinigungseid vermeintlicher Ehebrecher vgl. unter anderem Ehebruch Franck (1781), LATh–HStAW, Militär B36975; Ehebruch Heuße (1774), LATh–HStAW, Militär B36958. 82 KORNBLUM, Art. Eid, in: HRG 1 (1971), Sp. 863. 83 SCHAUZ, Strafen (2008), S. 38; KUNTZE, Todesstrafe (1868), S. 16. 84 SCHOLZ, Höhn (2004), S. 22f. 85 BELTHLE, Blutgerichtsbarkeit (2003), S. 7.

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und der scharfen Frage sowie von harten körperlichen Sanktionen.86 So regte etwa das neu eingerichtete Oberappellationsgericht Jena 1817 beim Herzog die offizielle Abschaffung der Folter an, die bis dato ohnehin stillschweigend aufgehoben wurde.87 Das Strafmaß hatte sich während der Frühen Neuzeit weg von den körperlichen Verstümmelungsstrafen hin zu Ehrenstrafen entwickelt und ging nun um 1800 von den Ehrenstrafen zu den Geld- und Gefängnisstrafen über. Noch in den 1770er und 1780er Jahren drohte unehelich gebärenden Frauen das öffentliche Prangerstehen oder Auspeitschen. Auch die während des sonntäglichen Gottesdienstes abzuleistende Kirchenbuße demütigte nicht nur die Frauen und die Kindsväter, sondern auch deren Angehörige massiv. 88 Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden mehrfach gebärende ledige Mütter überwiegend mit Gefängnis und nicht mehr mit öffentlichen Bloßstellungen bestraft. Die Tendenz der Rechtsprechung Sachsen-Weimar-Eisenachs hin zur Freiheitsstrafe beobachtete Stefan Wolter in seiner Untersuchung des Eisenacher Armenwesens bereits für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts.89 Doch auch der zeitweise Arrest wirkte entehrend und gefährdete durch die teils desaströse Hygiene und Ernährung während der Haft die Gesundheit. So starben zeitgenössischen Angaben zufolge durchschnittlich sechs der 30 in Weimar inhaftierten Häftlinge aufgrund der verheerenden Zustände.90 Ganz ähnlich konnten die Geldstrafen und Prozesskosten wirken, wenn sie den ohnehin verarmten Verurteilten und ihren Familien die Existenzgrundlage entzogen und dadurch die Versorgung mit Nahrung erschwerten. Die Gesamtkosten beispielsweise für eine einfache Unterhaltsklage durch die ledige Mutter bestehend etwa aus zu zahlenden Alimenten, Oberkonsistorialgebühren sowie Extraprozesskosten beliefen sich für einen Kindsvater wie den Jagdlakaien Straßburg im Jahr 1800 auf insgesamt 14 Taler und sieben Groschen – bei einem durchschnittlichen Jahresgehalt eines niederen Hofdieners von etwa 100 bis 120 Talern eine herbe finanzielle Einbuße.91

86 Eheweib Taubert (1779–1787), LATh–HStAW, Militär B36970, fol. 5r, 17r. 87 Abschaffung Folter (1817–1824), LATh–HStAW, OAGJ 267, fol. 1r–v. 88 VAN DÜLMEN, Theater (1995), S. 63, 65, 68; Registrande (1776), LATh–HStAW, Behörden B862, fol. 70v. 89 Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 134v– 135r; WOLTER, Bedenket (2003), S. 343. 90 WAGNITZ, Nachrichten 2/1 (1792), S. 225; zu Strafen in Sachsen-Weimar-Eisenach vgl. ferner WAHL (Hg.), Kind (2004), S. 191; KLAUSS, Räuber (1997). 91 Straßburg Alimentengelder (1800), LATh–HStAW, HMA 3440, fol. 4v–5r; Abschätzungsrolle A (1820), LATh–HStAW, Steuern B18106; Abschätzungsrolle E (1820), LATh–HStAW, Steuern B18110.

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2.2.3. Ehe, Vormundschaft und die Rechte von Frauen Generell galten für Untertanen frühneuzeitlicher Staaten strenge eherechtliche Reglementierungen und die Ehe als Privileg, das nicht jedem zuteilwurde.92 Eine Eheerlaubnis hing in den meisten Territorien des Alten Reiches bis weit in das 19. Jahrhundert hinein vom Bürger- bzw. Nachbarschaftsrecht, von einem gewissen finanziellen Kapital, von der Standeszugehörigkeit und von der jeweiligen Obrigkeit ab. So benötigten etwa Beamte, Soldaten und Personen, die wie gutspflichtige Bauern feudalrechtlich abhängig waren, für die Verlobung und Verheiratung die Zustimmung ihrer Dienstherren bzw. ihres Kompaniechefs. Soldaten drohte bei Zuwiderhandlung neben der Nichtigkeitserklärung von Ehe oder Verlöbnis eine dreimonatige Festungsstrafe.93 Laut der Weimarer Stadtordnung von 1811 mussten für den Erwerb des Bürgerrechts circa 15 Taler oder, unter bestimmten Voraussetzungen, beispielsweise von Bürgerskindern oder Staatsdienern, ungefähr neun Taler gezahlt werden. 94 Ferner sollten die Antragsteller eine bestimmte Summe Landesgesetzlichen Vermögens sowie die polizeiliche Genehmigung ihres Aufenthalts nachweisen und sich tadellos betragen. Die Stadtordnung von 1811 gestand das Bürgerrecht auch explizit Frauen und ferner unehelich Geborenen zu, während die 1702 erlassene alte Stadtordnung noch die eheliche Geburt voraussetzte.95 Ähnliche Hürden bestanden auch in anderen Fürstentümern und Reichsstädten wie etwa Osnabrück oder Bremen. 96 Die Gesetzgeber intendierten mit der Rückbindung der Heiratserlaubnis an finanzielles Kapital ähnlich wie mit den restriktiven Soldatengesetzen, dass möglichst wenige von Armut betroffene Ehen und daraus resultierende Kinder entstanden, die die staatlichen Wohlfahrtskassen belastet hätten. Entsprechend musste mindestens der Mann ein bestimmtes Alter zwischen Anfang und Mitte 20 erreichen, damit er, beruflich etabliert, eine Familie versorgen konnte.97 Das „European mariage pattern“, das frühneuzeitliche europäische Heiratsverhalten, kennzeichnete generell ein großer zeitlicher Abstand zwischen der Geschlechtsreife und der Heirat sowie ein hohes 92 EIBACH, Haus (2008), S. 193; WESTPHAL u.a., Venus (2011), S. 10. 93 BLASIUS, Ehescheidung (1987), S. 25; Soldatengesetz, in: WWB 57 (1811), Nr. 51 (28.06.1811), S. 201. 94 Oberkonsistorialakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, 59r; Weimarische Stadt-Ordnung (1811), S. 9f. 95 Weimarische Stadt-Ordnung (1811), S. 9; Statuta Weimar (1702), S. 11. Dass vor 1811 auch zahlreiche Frauen das Bürgerrecht erhielten bzw. besaßen, geht aus den Weimarer Bürgerbüchern hervor: Bürgerbuch Weimar (1726‒1812), StAW, HA I-37-4. Ein besonderer Dank gilt hier Anja Stehfest (Goethe- und Schiller-Archiv Weimar). 96 SCHLUMBOHM, Wilde Ehen (1993), S. 63; GRÖWER, Wilde Ehen (1999), S. 102f. 97 Oberkonsistorialakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 3v, 53v. Vgl. Kap. IV.2.4.3.

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weibliches Heiratsalter. Schließlich war in Sachsen-Weimar-Eisenach das Einverständnis mindestens der Eltern beider künftiger Ehegatten erforderlich.98 Neben den Hürden für eine Heirat gab es umgekehrt auch eine Heiratspflicht: Schwängerte ein lediger Mann eine ledige Frau, sollte er laut der Landesordnung von 1589 und laut einem herzoglichen Reskript an die Regierung von 1786 durch die Eheschließung ihre Ehre wiederherstellen.99 Der Widerspruch zwischen der Privilegierung der Ehe einerseits und der Heiratsverpflichtung des Schwängerers andererseits führte häufig zu juristischen Auseinandersetzungen vor den Oberkonsistorien, da einige Paare durch eine uneheliche Schwängerung die Hürden zu umgehen suchten und etwa die Einwilligung der Eltern erzwingen wollten.100 Das Einverständnis der Eltern eines oder beider zukünftiger Gatten resultierte aus deren Vormundschaft über die ohnehin juristisch unmündige Tochter und gegebenenfalls auch über den noch nicht volljährigen Sohn. Das Prinzip der Vormundschaft wurzelte wiederum im hierarchischen Hausvater-Modell und wurde auch außerhalb der Familie auf ausgewählte hierarchische Strukturen ausgeweitet. So führte etwa der Landesherr auch den Titel Ober Vormund.101 Mit der Eheschließung übertrug der Brautvater seine Vormundschaft über seine Tochter auf deren Gatten. Als Oberhaupt der Familie und als deren rechtlicher Vertreter besaß der Ehemann bezüglich seiner Frau und seiner minderjährigen Kinder umfassende Leitungs- und Kontrollbefugnisse. Die Kinder gehörten rechtlich zum Vater, seine Ehefrau war ohne seine Zustimmung nicht vertragsfähig und unterstand seinem Willen, etwa bei der Wahl ihres Aufenthaltsortes. Gleichzeitig übernahm er in der Ehe Unterhaltspflichten und vertrat die Familienmitglieder vor Gericht. Seine Frau hatte Anspruch auf Schutz und materielle Versorgung, war jedoch zu Gehorsam und Unterordnung verpflichtet.102 Weil der Ehemann und Vater als rechtlicher Vertreter der Familie fungierte und Frauen vor Gericht grundsätzlich nicht rechtsfähig waren, benötigten Ledige, in Trennung Lebende oder Verwitwete einen Vormund, der sie und ihre unmündigen Kinder bei Gerichtsverhandlungen vertrat. 103 Nicht in allen Gebieten wurde die Geschlechtsvormundschaft konsequent angewandt und infolge der Naturrechtsdebatte zunehmend kritisiert. Heide Wunder beobachtete sich häufende Ausnahmen vor allem im Adel und in Herrschaftsangelegenheiten unter Rekurs auf das Naturrecht, die teilweise einen regelhaften Charakter annahmen. Seit 1824 war etwa bei Versöhnungsversuchen zerstrittener Ehepaare 98 MITTERAUER, Arbeitsteilung (1992), S. 140; J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 457f. 99 Landesordnung (1589), Kap. 4, S. 4; J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 175. 100 J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 172. Zur ehestiftenden Funktion unehelichen Geschlechtsverkehrs: Kap. II.3.2.1. 101 Ehe-Irrungen Boehme (1750–1754), LATh–HStAW, Rechtspflege B2567, fol. 1r. 102 VOGEL, Gleichheit (1997), S. 275; WILLKOMMEN, Ehescheidung (2009), S. 22. 103 DI BARTOLO, Leben (2008), S. 52, 54.

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durch die sachsen-weimar-eisenachischen Oberkonsistorien kein Geschlechtsvormund mehr notwendig.104 Laut Hendrikje Carius klagten zwischen 1770 und 1816 sogar 66 Prozent der vor dem Jenaer Hofgericht prozessierenden, aus allen Schichten stammenden Frauen häufig allein und agierten vor Gericht weitgehend selbständig. Verheiratete Frauen waren lediglich an einen gerichtlich bestätigten männlichen Beistand gebunden, der allenfalls als Berater fungierte und anstelle der Frau keine rechtskräftigen Handlungen übernehmen durfte.105 Weil Frauen zudem grundsätzlich als eigentumsfähig galten, eröffneten die im 18. Jahrhundert aufweichende Vormundschaftspraxis und ein eigener Besitz vor allem Geschiedenen und Verwitweten ein gewisses Maß an Selbständigkeit vor Gericht und im Alltag. Viele vermieden deshalb nach dem Tod des Partners oder der Scheidung eine zweite Ehe.106 Handwerkerwitwen durften auch in Weimar den Betrieb ohne Einschränkungen weiterführen. Bisherige Vorstellungen vom frühneuzeitlichen Rechtswesen, in dem Frauen benachteiligt gewesen sein sollen, konnten durch die neuere Forschung relativiert und die These von einer generellen Opferrolle der Frauen widerlegt werden.107 2.2.4. Uneheliche Sexualkontakte, Schwängerungen und Kinder Uneheliche Sexualkontakte ereigneten sich spontan zwischen zwei nicht näher miteinander verbundenen Personen oder zwischen unverheirateten Partnern. Bereits in der Antike als außereheliche Beziehung praktiziert, wurden nichteheliche monogame Verbindungen von der Kirche zunächst noch gelegentlich geduldet. Erst seit dem 13. Jahrhundert verbot sie endgültig derartige Allianzen. Auch die weltliche Obrigkeit erließ seit dem 14. Jahrhundert nach und nach Gesetze gegen die nichteheliche Partnerschaft, die spätestens seit den Landesordnungen bzw. den Reichspolizeiordnungen des 16. Jahrhunderts überall als strafbar galt.108 Ebenso verboten war Kuppelei, die Beihilfe zur wilden Ehe. In Sachsen-Weimar-Eisenach galt hierzu noch 1802 die Hennebergische Landesordnung von 1539. Demgemäß sollten Kuppler, welche zu heimlichen Eheverlöbnissen helfen […] scharf bestrafet werden.109 104 WUNDER, Einleitung (2002), S. 10; v. GÖCKEL, Gesetze 3 (1830), S. 1372. 105 CARIUS, Handlungsspielräume (2005), S. 196f.; WIESNER, Vormundschaftsrecht (1785), S. 190; WILLKOMMEN, Ehescheidung (2009), S. 22f. 106 CARIUS, Handlungsspielräume (2005), S. 210; VOGEL, Gleichheit (1997), S. 267; HEROLD-SCHMIDT, Lebensperspektiven (2005), S. 245f.; WILLKOMMEN, Ehescheidung (2009), S. 23. 107 WERKSTETTER, Frauen (2001), S. 236; MÖLLER, Handwerk (1951), S. 28; CARIUS, Recht (2012), S. 11–13. 108 BECKER, Lebensgemeinschaft (1978), S. 23f., 30; HARTWICH, Konkubinat (2007), S. 349. 109 J. SCHMIDT, Aeltere 5 (1802), S. 239.

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Erst im 19. Jahrhundert wandelten sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen für in wilder Ehe lebende Paare grundlegend: Mit dem Reichsgesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung von 1875 und mit dem daran anknüpfenden, 1900 in Kraft getretenen Bürgerlichen Gesetzbuch war eine Heirat allen Paaren erlaubt und lediglich an die Zustimmung beider Gatten gebunden. Nichteheliche Lebensgemeinschaften waren jedoch weiterhin unerwünscht. Bis in die 1960er Jahre hinein wurden sie von Seiten des Staates gezielt benachteiligt und nach Möglichkeit unterbunden. In der Bundesrepublik Deutschland war Ehebruch seit 1969 straffrei. Noch bis zum Nichtehelichengesetz von 1970 war das Jugendamt Amtsvormund eines nichtehelichen Kindes, die bis dato den ehelichen Nachkommen rechtlich nicht gleichgestellt waren. Verschiedene Urteile ergingen in den Jahren zuvor infolge außerehelichen Beischlafs, der als strafbare Kuppelei angesehen wurde. Der zugrunde liegende Kuppeleiparagraph wurde erst 1973 abgeschafft. Zeitgleich wandelte sich der Umgang mit unverheirateten Paaren. In der Rechtsprechung wurde der abwertende Begriff des Konkubinats durch „eheähnliche Verhältnisse“ ersetzt, die nun nicht mehr als bloßer Tatbestand genügten, um sittenwidriges Verhalten zu belegen und zu bestrafen. Die „sexuelle Revolution“ in den 1960er Jahren führte zu einer gesellschaftlichen Etablierung und Akzeptanz wilde Ehen.110 Im gesamten Untersuchungszeitraum waren uneheliche Sexualkontakte und wilde Ehen strafbar und wurden sanktioniert. Frühneuzeitliche Juristen unterschieden dabei zwischen dem Stuprum, dem unzulässigen Beischlaf, und dem antizipierten Konkubitus, dem von Verlobten vorweggenommenen Geschlechtsverkehr. 111 Zugleich besiegelte vorehelicher Verkehr bis weit in das 18. Jahrhundert hinein in einigen Gegenden die Verlobung und wurde deswegen von den Unterobrigkeiten zuweilen gar nicht geahndet oder angezeigt.112 Erst gegen Ende des Jahrhunderts scheinen die Gesetzgeber Sachsen-WeimarEisenachs die Unterscheidung zwischen unzulässigem und vorweggenommenem Beischlaf auch in der Rechtspraxis nachdrücklich eingefordert und vermehrt umgesetzt zu haben. Seit 1792 sollte antizipierter Beischlaf konsequent als solcher und nicht als bloßer unehelicher Verkehr geahndet werden.113 Angesichts des sich noch entwickelnden frühneuzeitlichen Gerichtswesens, dessen Definitionen von Delikten, Verbrechen und Vergehen sich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ausprägten und dabei wandelten, erklärt Richard van Dülmen plausibel die quantitative Zunahme einzelner Straftaten nicht nur mit deren vermehrtem Auftreten. Maßgeblich sei vielmehr die sich verschärfende und sich fokussierende 110 111 112 113

HARTWICH, Konkubinat (2007), S. 354–358. OBERLÄNDER, Juridicum (1753), S. 51, 167, 665. GESTRICH u.a., Geschichte (2003), S. 507; R. BECK, Illegitimität (1983), S. 144f. Vgl. Kap. IV.2.2.1.

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obrigkeitliche Ahndung bzw. Neubewertung bestimmter, zuvor vernachlässigter Delikte gewesen.114 Das gesamte soziale Umfeld – die Eltern, Verwandten, Freunde und Nachbarn wie auch die Dienstherren oder Angestellten – waren zur Anzeige von Straftaten generell und entsprechend auch zur Meldung von Sittlichkeitsdelikten wie vorehelichem Verkehr verpflichtet. Die Verantwortung für die öffentliche Ordnung innerhalb der Gemeinden trugen jedoch die Pfarrer, die Verstöße entweder der übergeordneten Superintendentur oder dem Amtmann bzw. dem Amtsgericht melden sollten und sich in Einzelfällen auch direkt an die Oberkonsistorien wandten. 115 Bei einer Schwängerung war die Schwangere selbst unter Strafe gesetzlich zur Anzeige verpflichtet, womit die Gesetzgeber einer verheimlichten Schwangerschaft und dem dann häufig verübten Kindsmord vorbeugen wollten. Sie musste dabei außerdem den Kindsvater identifizieren. Weigerten sie sich, erzwangen Hebammen in verschiedenen Regionen das Geständnis während der Geburt durch unterlassene Hilfe, um so das Sittlichkeitsvergehen an sich zu bestrafen oder die Armenkassen von der Unterstützung für die werdende Mutter zu entlasten.116 Die Verheimlichung des Schwängerers wurde ebenfalls sanktioniert, zumal die zuständigen Richter die Verschwiegenheit der Geschwängerten häufig als vom Kindsvater erkauft vermuteten. Tatsächlich schützten sich ehebrecherische Männer, etwa angesehene Bürger, durch Schweigegeld an die Geschwängerte vor etwaigen Straf- und Alimentationszahlungen und der damit verbundenen öffentlichen Schande. War die Vaterschaft etwa für ein innerhalb der Ehe geborenes Kind fragwürdig, ließ sich der Zeugungstermin des Neugeborenen vage errechnen.117 Die Beteiligten wurden je nach Geschlecht und Stand unterschiedlich für uneheliche Sexualkontakte und Schwängerungen bestraft, wobei sich das Strafmaß im Untersuchungszeitraum mehrfach änderte. Die Sanktionen bestanden für Frauen wie Männer in der Mitte des 18. Jahrhunderts noch vermehrt aus Ehrenund Körperstrafen wie Staupenschlägen und Prangerstehen und gegen dessen Ende bzw. zu Beginn des 19. Jahrhunderts zunehmend aus Gefängnis- und Geldstrafen. Die eingenommenen Strafgelder flossen an Organe staatlicher Fürsorge wie etwa die Besoldungskassen der örtlichen Hebammen oder in den evangelischen oder katholischen Schulfonds.118 Bei einer Schwängerung waren 114 VAN DÜLMEN, Kultur 2 (2005), S. 247f. 115 Scheidungen Weimar (1806–1807), LATh–HStAW, Rechtspflege B2577, fol. 55v; Scheidungen Weimar (1811), LATh–HStAW, Rechtspflege B2583, fol. 12r. 116 SCHLUMBOHM, Verwandtschaft (2016), S. 170f. 117 Vgl. Kap. IV.2.1. Art. unehelich, in: KRÜNITZ (Hg.), Encyklopädie 195 (1848), S. 440; ALR II, 1 § 1089, § 1090; ALR II, § 3, § 19; Entwurf Ehegesetz I (1826), LATh–HStAW, Rechtspflege B2408a, fol. 26v–27r. 118 WWB 71 (1825), Nr. 11 (08.02.1825), S. 47; v. GÖCKEL, Gesetze 3 (1830), S. 1318f.

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die Kindsväter zudem laut Landesordnung und nachfolgenden bekräftigenden Bestimmungen zur Eheschließung mit der ledigen Mutter oder nach kanonischem Recht zumindest zu Unterhaltszahlungen verpflichtet, sofern der Frau nicht Mutwilligkeit, Prostitution oder ähnliche strafbare Absichten nachgewiesen werden konnten.119 Uneheliche Kinder erhielten in der Regel den Nachnamen der Mutter, auch wenn diese verwitwet oder geschieden war, konnten jedoch auch nach ihrem leiblichen Vater benannt werden.120 2.2.5. Ehescheidungen und wilde Trennungen Eheliche Konflikte und Trennungswünsche, ob nun durch die Gegensätzlichkeit der Gatten oder durch unrealistische Erwartungen an eine Partnerschaft ausgelöst, sind kein Phänomen der Neuzeit: Bereits im Mittelalter suchten Paare einen Weg aus der gescheiterten Beziehung.121 Damals sah die Kirche unter Berufung auf den Sakramentcharakter der Ehe lediglich eine Trennung von Tisch und Bett vor – eine räumliche Separierung der Eheleute ohne Aussicht auf völlige Auflösung und Wiederverheiratung.122 Nur unter bestimmten Umständen, wenn etwa die katholische Ehe nicht vollzogen oder unzulässig geschlossen wurde, kann sie für nichtig erklärt und kirchenrechtlich annulliert werden. 123 Eigenmächtige und demnach wilde Trennungen ohne obrigkeitliche Zustimmung waren nach mittelalterlichem und frühneuzeitlichem Eherecht verboten und Verheiratete verpflichtet, einen gemeinsamen Haushalt zu führen – Militäreinsätze oder Dienst- und kurze Privatreisen ausgenommen. Widrigenfalls wies die Obrigkeit die Ehepartner unter Strafandrohung zur Versöhnung und zum gemeinsamen Zusammenleben an.124 In den katholischen deutschen Territorien wurde die weltliche Ehescheidung erst 1875 mit dem Personenstandsgesetz eingeführt und durch nachfolgende, 119 120 121 122

Zur Alimentation: Art. unehelich, in: KRÜNITZ (Hg.), Encyklopädie 195 (1848), S. 432. Vgl. Kap. III.3.3.1. Vgl. SAAR, Ehe (2002). CIC/1983, Can. 1151–1155; COCHLOVIUS, Art. Ehe, in: ELThG 1 (1992), S. 476; 1. Korinther 7, 15; BLASIUS, Ehescheidung (1987), S. 22; HERRMANN, Kirchengeschichte (1947), S. 105. Bei Ehebruch, Sodomie, beiderseitigem freiwilligen Ordensbeitritt oder einem Abfall vom wahren Glauben wurde das Paar lebenslang getrennt, bei Gefährdung des Seelenheils, des körperlichen Wohls oder bei böslicher Verlassung nur temporär: ERBE, Ehescheidungsrecht (1955), S. 97. 123 CIC/1983, Can. 1142; Art. Ehescheidung, in: KRÜNITZ (Hg.), Encyklopädie 10 (1777), S. 170. 124 Ehescheidung Hofmann (1807–1808), LATh–HStAW, Rechtspflege B2579, fol. 1v; Ehezerfall Kühn (1818–1833), LATh–HStAW, HMA 3446, fol. 30r–v; WILLKOMMEN, Ehescheidung (2009) S. 11f.

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reichsweit gültige Gesetze wie das Bürgerliche Gesetzbuch 1900 oder das Ehegesetz von 1938 modifiziert. Mit der grundlegenden Reform 1977 folgte das deutsche Scheidungsrecht nicht mehr dem Grundsatz der Verschuldung, sondern der Zerrüttung.125 Die katholische Kirche hält derweil unter Berufung unter anderem auf das Matthäus- und Markusevangelium an der Unauflösbarkeit einer Ehe fest. Darin lehnt Jesus den durch Moses zugelassenen Scheidebrief explizit ab. Eine rechtskräftig geschlossene Ehe selbst zwischen zwei evangelisch Getauften löst demnach noch heute nach römisch-katholischem Kirchenrecht nur der Tod eines Ehepartners endgültig auf und ermöglicht dem hinterbliebenen Ehegatten die Wiederverheiratung.126 Mittlerweile sind die zuständigen katholischen Instanzen jedoch bereit, Ehen mittels eines aufwendigen Verfahrens zu annullieren und die dazu notwendigen Bedingungen auszuweiten. Nach protestantischem Kirchenrecht nahm Luther der Ehe den Sakramentcharakter und machte sie damit prinzipiell auflösbar. Die Ehe wurde demnach zu einem welltlich geschefft, die Geistlichen waren nunmehr einzig für die Vermählung und Beratung zuständig. 127 Zunächst sollten die städtischen Gerichtsbarkeiten in Ehesachen richten, bevor die später neu geschaffenen Konsistorien die Ehescheidung institutionalisierten. Durch die Neuauslegung der die Ehescheidung thematisierenden Bibelpassagen legitimierte Luther die vollständige Auflösung einer vollzogenen Ehe und ermöglichte die Wiederverheiratung des unschuldigen Gatten.128 In seiner 1522 erschienenen Schrift Vom ehelichen Leben nennt Luther als in der Bibel dargelegte und daher als triftige geltende Scheidungsgründe die körperliche Unfähigkeit zum Vollzug der Ehe, den Ehebruch und die Verweigerung des Geschlechtsverkehrs bzw. der dem gleichkommende Weggang eines Gatten, in den frühneuzeitlichen Rechtstexten und -akten als „bösliche Verlassung“ bezeichnet. Wenn jedoch der betrogene Partner die Ehe nach dem Ehebruch fortführte, galt dieser als verziehen und der Ehebruch war kein hinreichender Grund mehr für eine Scheidungsklage. 129 Unabhängig von der Reaktion des unschuldigen Ehepartners waren Ehebruch und bösliche Verlassung oder auch eigenmächtige Trennungen strafbar und wurden von der geistlichen und weltlichen Obrigkeit sanktioniert. Im 125 SCHWAB, Familienrecht (2007), S. 142f.; BLASIUS, Ehescheidung (1987), S. 12. 126 Matthäus 5, 32; Markus 10, 2–12; 1. Korinther 7, 10–14; 1. Korinther 7, 39; CIC/1983, Can. 1055 § 1. 127 BLASIUS, Ehescheidung (1987), S. 22; Trau-Ordnung (um 1534), in: SEHLING I/1, S. 23. 128 HECKER, Art. Ehescheidungsprozess, in: HRG 1 (1971), Sp. 843; Trau-Ordnung (um 1534), in: SEHLING I/1, S. 23. Auch Universitäten konnten in Ehesachen Recht sprechen, sofern die Klagen von Universitätsbürgern erhoben wurden: MÖHLE, Ehekonflikte (1997), S. 21; WILLKOMMEN, Ehescheidung (2009), S. 12. 129 LUTHER, Leben (1522), S. 26–28; Matthäus 19, 3–12; Sprüche18, 22; Esther 1, 12–22; 1. Korinther 7, 4–5; CIC/1983, Can. 1152 § 2.

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II. NORMATIVE LEITBILDER UND STRUKTURELLE RAHMENBEDINGUNGEN

Untersuchungszeitraum wurden Ehebrecher für mindestens eine oder auch mehrere Wochen inhaftiert oder mussten ein Bußgeld entrichten, der Geistliche verlas das Vergehen im Gottesdienst von der Kanzel und Militärangehörigen drohten außerdem Spießrutenläufe.130 Protestantische Juristen und Recht sprechende Instanzen der Frühen Neuzeit weiteten die von Luther legitimierten Scheidungsgründe in den darauffolgenden Jahrhunderten auch auf andere, den Geschlechtsverkehr und die Zeugung legitimer Nachkommen verhindernde Umstände aus und erkannten beispielsweise lebensgefährliche Gewalt in Einzelfällen an. 131 Beantragten Paare jedoch eine Ehescheidung, ohne die einschlägigen rechtskräftigen Ursachen nachweisen zu können, stand ihnen ein langwieriger und teurer Prozess bevor, dessen Ausgang ungewiss war. 132 Zur Vermeidung aufwendiger Verfahren und wenn die als rechtskräftig geltenden Scheidungsgründe nicht nachgewiesen werden konnten, wandten sich einige Eheleute direkt an den Herzog. Als Landesherr war er zugleich oberster Richter und konnte daher Ehen aus landesherrlicher Gnade scheiden. 133 Ferner bildete der protestantische Fürst innerhalb seiner Landesgrenzen als „summus episcopus“, als höchster Bischof, das kirchenrechtliche Oberhaupt auch der Katholiken und war dadurch befugt, deren Ehen zu trennen und den Gatten danach die Wiederverheiratung zu gestatten.134 Laut dem Hannoveraner Juristen und Oberkonsistorialrat Johann Carl Fürchtegott Schlegel sollte solch ein landesherrlicher Dispens dann angewandt werden, wenn geltendes Recht einem spezifischen Einzelfall und seinen Umständen nicht gerecht würde und den Beteiligten deshalb Nachteile entstünden. 135 Eheauflösungen auf herzogliches Geheiß waren in Sachsen-WeimarEisenach unter Carl August keine Ausnahme, sondern ebenso wie die sogenannten „förmlichen“ Scheidungsverfahren ein probates Mittel zur Auflösung von Ehen.136 Laut der Allgemeinen deutschen Real-Encyclopädie für die gebildeten Stände von 1822 waren Dispensscheidungen auch in anderen protestantischen 130 EKAW, TR SK 1773, fol. 246v, Nr. 39; Ehescheidung Laue (1778), LATh–HStAW, Militär B36969, fol. 3r; Schwängerung Rothin (1813), LATh–HStAW, HStA 406, fol. 22r. Das Gesuch der Sabine Dorothee Vöhr aus Olbersleben wurde veranlasst durch das Verkünden ihres Ehebruchs von der Kanzel: Repertorium F (o.D., um 1850), LATh– HStAW, Behörden B892f, fol. 108a r. 131 Scheidungen Weimar (1807–1808), LATh–HStAW, Rechtspflege B2578, fol. 102r–v. 132 Ehescheidung Engelhardt (1805–1807), LATh–HStAW, Rechtspflege B2574, fol. 37v– 38r; Scheidungen Weimar (1807–1808), LATh–HStAW, Rechtspflege B2578, fol. 43v. 133 HESSE, Ehescheidungsrecht (1960), S. 103; HESS, Behördenorganisation (1993), S. 19; Scheidungen Weimar (1805–1806), LATh–HStAW, Rechtspflege B2576, fol. 152v; Scheidungen Weimar (1807–1808), LATh–HStAW, Rechtspflege B2578, fol. 18r. 134 Ehescheidung Voisin (1816), LATh–HStAW, Rechtspflege B2604, fol. 5v, 11r–v, 20v. 135 SCHLEGEL, Ehescheidung (1809), S. 79. 136 Registrande (1776), LATh–HStAW, Behörden B862, fol. 148r.

2. INSTITUTIONELLE UND GESETZLICHE RAHMENBEDINGUNGEN

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Ländern üblich und Dispensationen in der Frühen Neuzeit aufgrund der eher selektiven Gesetzesanwendung ein gebräuchliches Rechtsmittel. Dennoch stellen sie in der Erforschung von Ehescheidungen bislang ein Desiderat dar.137 Auf welcher Gesetzesgrundlage die Ehescheidungspraxis in Sachsen-WeimarEisenach letztlich fußte, konnte diese Arbeit trotz intensiver Bemühungen nicht klären. Es ist durchaus denkbar, dass der Landesherr jene nachfolgend näher skizzierte Unberechenbarkeit seiner Gnade bewusst als Herrschaftsinstrument einsetzte.138 Die diese Zusammenhänge gegebenenfalls erhellenden Unterlagen sind vermutlich gemeinsam mit den Oberkonsistorialakten 1945 verbrannt oder wurden zuvor kassiert. Möglicherweise entstand im 17. oder 18. Jahrhundert gar kein die Konsistorialordnung von 1561 erneuerndes Gesetz über das Ehescheidungsverfahren. Zumindest wurde in keiner der gesichteten Gesetzessammlungen oder im Schriftverkehr der scheidenden Instanzen auf ein derartiges Scheidungsgesetz Bezug genommen. Vielleicht reichten den Gerichten die wenigen Bestimmungen in den Kirchenordnungen bzw. in einschlägigen lutherischen Schriften aus und die dadurch vorhandenen Entscheidungs- und Handlungsspielräume waren ein gewolltes Mittel frühneuzeitlicher Rechtspraxis, um Ehen wie andere Zivil- oder Strafrechtsklagen regulär zu verhandeln. Bestimmungen etwa zu Strafzahlungen konnten dann durch ergänzende Mandate getroffen werden. Noch vor der Konsistorialordnung von 1561 beschrieb die Visitationsordnung von 1527 detailliert, wie mit zerstrittenen Ehepaaren umzugehen war: Sie sollten sich an den Pfarrer ihres Wohnortes wenden.139 Für gewöhnlich wurde die Scheidung eines Paares gemäß dem Grundsatz des domicilii mariti am Wohnort des Mannes bzw. der Eheleute durch die dortigen Instanzen entschieden.140 Konnte der Geistliche die Eheleute nicht versöhnen, verwies er sie an den Superintendenten, der das Paar nach weiteren vergeblichen Versöhnungsbemühungen an den Amtmann weiterleitete. Ein Gremium bestehend aus dem Pfarrer des Paares, dem Superintendenten und, sofern gewünscht, weiteren Gelehrten sollte dann laut Visitationsordnung beide Ehegatten verhören. Auch andere Untergerichte wie der Jenaer Stadtrat konnten diesen Schlichtungsversuch übernehmen. Die Würdenträger verständigten sich anschließend über das weitere Vorgehen und

137 N.N., Art. Ehe, in: Real-Encyclopädie 3 (1822), S. 555. HOLENSTEIN, Umstände (2000), S. 11, 44; SCHLUMBOHM, Gesetze (1997), S. 660. Zu den Ergebnissen einschlägiger Studien vgl. Kap. III.2.2. 138 Vgl. Kap. V.4. 139 Instruction visitatores (1527), in: SEHLING I/1, S. 146f.; BECKER, Hülfs-Büchlein (1788), S. 433. 140 Ehescheidung Schultze (1806), LATh–HStAW, Rechtspflege B2575, fol. 15r, 19v; Scheidungen Weimar (1805–1806), LATh–HStAW, Rechtspflege B2576, fol. 40r.

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II. NORMATIVE LEITBILDER UND STRUKTURELLE RAHMENBEDINGUNGEN

wiesen das Paar entweder zur Versöhnung an oder leiteten den Fall an die nächsthöhere Instanz oder an den Landesherrn selbst weiter.141 Bei einer Scheidung durch landesherrlichen Dispens richtete das Paar sein Gesuch um Ehescheidung direkt an den Herzog, der daraufhin von der Regierung, und vermutlich vor 1804 auch vom zuständigen (Ober-)Konsistorium, einen Bericht über den Fall einforderte und anhand dessen urteilte. Einzelnen Scheidungsakten zufolge sonderte die Regierung zuvor mangelhaft begründete Scheidungsgesuche aus und leitete sie gar nicht an den Herzog weiter, sondern wies die Paare direkt ab. 142 Waren das Oberkonsistorium und seit 1804 die Regierung für das förmliche Trennungsverfahren zuständig, versuchten sie zunächst, das Paar zu versöhnen. 143 Gleichsam erfolgten Scheidungen durch landesherrlichen Dispens für gewöhnlich erst nach einem letzten Versöhnungsversuch durch einen Pfarrer oder durch das Oberkonsistorium.144 Ihnen könnten wie in einem förmlichen, zivilrechtlichen Scheidungsverfahren durch das Oberkonsistorium oder die Regierung auch Zeugenverhöre zur Beweisaufnahme vorausgegangen sein.145 Um Vorwürfe etwa über erlittene Verletzungen durch körperliche Gewalt zu prüfen, holten die Recht sprechenden Instanzen Fachgutachten ein.146 Der eigentliche Ehescheidungsprozess vor den Oberbehörden war nur der Höhe- und Endpunkt eines meist jahrelang geführten ehelichen Konflikts. Während des Verfahrens ließen sich die Paare juristisch beraten und ihre Schreiben durch Anwälte verfassen, wozu auch die Hausväterliteratur riet.147 Der damalige Gerichtssekretär der Regierung Johann Wilhelm Carl Ludecus berichtete jedoch, dass Betroffene aufgrund von Ehestreitigkeiten oder unehelichen Schwängerungen direkt zu ihm ins Gerichtskabinett kamen und ihre Anliegen

141 Instruction visitatores (1527), in: SEHLING I/1, S. 146f.; J. SCHMIDT, Aeltere 9 (1805), S. 336, 341; Ordnung consistorii (1561), in: SEHLING I/1, S. 233; Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 203v–204r. Zum Ablauf regulärer Scheidungsverfahren: ERBE, Ehescheidungsrecht (1955), S. 113. 142 Scheidungen Weimar (1821–1824, 1827), LATh–HStAW, Rechtspflege B2605, fol. 86r. 143 Ehescheidung Hesse (1805–1808), LATh–HStAW, Rechtspflege B2573, fol. 6v; Scheidungen Weimar (1805–1806), LATh–HStAW, Rechtspflege B2576, fol. 138v. 144 Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 11v. 145 Anzugebende Processe (1804), LATh–HStAW, Behörden B1577a, fol. 6r; Consistorial-Ordnung (1804), in: J. SCHMIDT, Aeltere 9 (1805), S. 336, 341; HECKER, Art. Ehescheidungsprozess, in: HRG 1 (1971), Sp. 843f. 146 Sachverständiger Ehe-Stuprations-Sachen (1826), LATh–HStAW, Dienersachen B27193, fol. 4r. 147 BECKER, Hülfs-Büchlein (1788), S. 404; Scheidungen Weimar (1811), LATh–HStAW, Rechtspflege B2583, fol. 18v.

2. INSTITUTIONELLE UND GESETZLICHE RAHMENBEDINGUNGEN

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mündlich vortrugen, da sie keinen Rechtsbeistand bezahlen konnten.148 Klagte ein Ehegatte auf bösliche Verlassung, sollte die Abwesenheit des Ehepartners mehrfach öffentlich etwa durch Aushang oder durch Publikation in den Zeitschriften auch anderer Territorien bekannt gemacht werden.149 Lag kein rechtskräftiger Scheidungsgrund vor und beantragte ein Ehepartner dennoch die Auflösung der Ehe aus landesherrlicher Gnade, musste auch der andere Gatte der Scheidung zustimmen. 150 Den landesherrlichen Dispens beantragende Paare hatten sich meist zuvor über ihr Vermögen und die künftige Versorgung der Kinder wie auch über Unterhaltszahlungen vertraglich geeinigt. Grundsätzlich besaß dabei der Vater als familialer Vormund die Entscheidungsbefugnis über die gemeinsamen Kinder, sofern er nicht infolge von schwerer Gewalt gegenüber seiner Familie oder dauerhafter Erwerbslosigkeit bzw. aufgrund von Alkoholismus als erziehungsuntauglich galt.151 Bei wem die Kinder letztlich aufwuchsen, handelten die Paare meist eigenständig aus. Das Oberkonsistorium und später die Regierung wie auch der Landesherr entschieden nach den jeweiligen Umständen des Ehekonfliktes, ob das Paar endgültig geschieden werden sollte, vorerst nur temporär auf ein Jahr von Tisch und Bett getrennt leben durfte und das Scheidungsverfahren danach fortsetzte oder ob sich die Eheleute wieder versöhnen und das gemeinsame Leben fortsetzen mussten. Bei einer Ablehnung sollte die nachgeordnete Behörde unter den Gatten Frieden stiften. Eine Trennung von Tisch und Bett konnte die Obrigkeit nach Ermessen auch verlängern und sollte nach Ende der Trennung die Versöhnung erleichtern. 152 In einigen Territorien des Reiches wie etwa im Kurfürstentum Hannover galt sie sogar als Voraussetzung für eine Scheidungsklage und konnte beliebig oft verlängert werden. Die Ehe war erst aufzulösen, wenn eine Aussöhnung der Gatten unmöglich erschien. Mit der Scheidung wurde einem der Ehepartner die Schuld am Scheitern der Ehe zugewiesen und beiden das Urteil zu einem festgesetzten Termin verlesen.153

148 Neue Consistorial-Ordnung (1805–1821), LATh–HStAW, Behörden B1577b, fol. 24v. Als Beispiel für einen juristischen Beistand eines armen Paares wie dem Mühlen-Zeugarbeiter Veit: Scheidungen Weimar (1806–1807), LATh–HStAW, Rechtspflege B2577, fol. 66v. 149 Anzugebende Processe (1804), LATh–HStAW, Behörden B1577a, fol. 101r–103r. 150 Scheidungen Weimar (1807–1810), LATh–HStAW, Rechtspflege B2581, fol. 41v; Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 213v–214r. 151 Ehescheidung Feuerhacke (1811–1812), LATh–HStAW, Rechtspflege B2597, fol. 5v. 152 Scheidungen Weimar (1821–1824, 1827), LATh–HStAW, Rechtspflege B2605, fol. 26v; Divortien- und Sävitiensache Kohlmann (1775), LATh–HStAW, SchöppJ 2276, fol. 19r. 153 MÖHLE, Ehekonflikte (1997), S. 23; BLASIUS, Ehescheidung (1987), S. 27; HESSE, Ehescheidungsrecht (1960), S. 66f.; COCHLOVIUS, Art. Ehe, in: ELThG 1 (1992), S. 476.

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II. NORMATIVE LEITBILDER UND STRUKTURELLE RAHMENBEDINGUNGEN

Dem Unschuldigen war grundsätzlich die Wiederverheiratung nach Ablauf einer mehrmonatigen Frist gestattet bzw. unterlag den üblichen Heiratsauflagen.154 Das Heiratsverbot für den an der Scheidung schuldigen Gatten wurde im 18. Jahrhundert zunehmend gelockert und immer häufiger ausgesetzt. Geschiedene Frauen behielten in der Regel den Namen ihres Mannes bei, wie etwa die Weimarerinnen Elchlepp, Ciofano oder Kladzig.155 Sofern die Gattin als Schuldige ermittelt wurde, hatte sie keine Ansprüche auf etwaige Unterhaltszahlungen durch ihren Ehemann. War der Familienvater für die Scheidung verantwortlich und zur Zahlung von Alimenten verpflichtet, wurde ihm der entsprechende Betrag zuweilen vom Lohn abgezogen.156 Für einen erhaltenen Dispens mussten dessen Empfänger generell und entsprechend auch geschiedene Paare bzw. der schuldige Teil ein ihren Vermögens-Umständen angemessenes Quantum zum Behuf eines wohltäthigen Instituts zahlen. Die Dispensquanti für Ehescheidungen gingen spätestens seit 1797 in den staatlichen Schulfonds ein.157 Durch die zu entrichtenden Gebühren für Anwälte bzw. Kanzleien und die nach einer Scheidung anfallenden Dispenszahlungen waren auch Ehescheidungen durch den Landesherrn mit einem erheblichen Kostenaufwand von mehreren Talern verbunden. So schuldete etwa das Ehepaar Kaiser aus Wolferstedt der Regierungskanzlei für den Bericht an den Herzog und den dafür nötigen materiellen und personellen Aufwand einen Taler und 14 Groschen – ungeachtet weiterer Anwaltskosten oder dem Dispensquanti sowie Gebühren für Verhör- und Versöhnungstermine.158

154 HAAB, Landesverordnungen 3, fol. 87r; Ehescheidung Rebling (1820–1822), LATh– HStAW, Rechtspflege B2606, fol. 22r–v; BLASIUS, Ehescheidung (1987), S. 26. 155 BLASIUS, Ehescheidung (1987), S. 26f.; HESSE, Ehescheidungsrecht (1960), S. 103; Plenarprotokolle (1824–1831), StAW, HA I-1-53, 29.03.1826, Nr. 10; ebd. 15.08.1827, Nr. 7; ebd. 16.02.1828, Nr. 2; ebd. 06.06.1828, Nr. 9. 156 Ehe-Irrung v. Reineck (1746–1751), LATh–HStAW, Rechtspflege B2565f, fol. 6r; Schwängerungssache Reim (1822–1823), LATh–HStAW, HStA 427, fol. 3r. 157 Scheidungen Weimar (1805–1806), LATh–HStAW, Rechtspflege B2576, fol. 153v; Scheidungen Weimar (1806–1807), LATh–HStAW, Rechtspflege B2577, fol. 43v; Scheidungen Weimar (1811), LATh–HStAW, Rechtspflege B2583, fol. 14r; Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 227r; J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 541; Abgaben Schulfonds (1797), LATh–HStAW, Rechtspflege B2572. 158 Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 7r.

3. VORSTELLUNGEN VON EHE UND FAMILIE IM AUSGEHENDEN 18. JAHRHUNDERT

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3. Vorstellungen von Ehe und Familie im ausgehenden 18. Jahrhundert 3. VORSTELLUNGEN VON EHE UND FAMILIE IM AUSGEHENDEN 18. JAHRHUNDERT

3.1. Die Kommunikation von Normen

Der 1764 in den Anzeigen erschienene Beitrag Wohlgemeinter Rath eines achtzigjährigen Greises an ein Frauenzimmer von 9 Jahren beschreibt das vorbildliche Verhalten einer Ehe- und Hausfrau, die etwa das Gesinde gut behandeln solle, da ihr gesellschaftliches Ansehen auch von deren Gerede abhänge.159 Der als fiktiver Brief verfasste Beitrag sollte den Leserinnen und Lesern Vorstellungen und Normen von Weiblichkeit bzw. das idealtypische Verhalten einer Gattin vermitteln. Ähnlich wurden frühneuzeitliche familiale und eheliche Leitbilder in fiktiven Dialogen wie Briefkorrespondenzen oder in kurzen Geschichten über die Publizistik verbreitet oder entsprechende Hausväter- oder gar „Hausmütter“-Literatur in Zeitungen beworben, wie etwa das Archiv weiblicher Hauptkenntnisse für diejenigen jedes Standes, welche angenehme Freundinnen, liebenswürdige Gattinnen, gute Mütter und wahre Hauswirthinnen seyn und werden wollen.160 Die Publizistik erreichte jedoch nicht alle Bevölkerungsschichten. So meldete beispielsweise kein Weimarer Einwohner seine Kinder für die neue, 1829 in der Zeitung und mit Aushängen beworbene Kleinkinderschule an, die während der Erntezeit besonders die Nachkommen ärmerer Paare kostenlos betreuen sollte. Auf gezielte Nachfrage beklagten die meisten Eltern, darunter vor allem Witwen, Handwerker und Gesellen, dass sie von der Betreuungsmöglichkeit nichts gewusst hätten, und nutzten das Angebot umgehend.161 Vor allem in den unteren Bevölkerungsschichten erfolgte die Kommunikation familialer Normen mündlich. Die damaligen Akteure informierten sich gegenseitig über Einzelschicksale wie etwa Ehescheidungen oder die Ahndung unehelicher Schwängerungen. Dadurch kommunizierten sie eigene und die in obrigkeitlichen Entscheidungen und festgeschriebenem Recht implizierten Vorstellungen von Ehe, Familie und Sittlichkeit, die während gerichtlicher Verfahren ständig neu ausgehandelt, bestätigt oder relativiert wurden.162 Die gesellschaftliche Verständigung über obrigkeitliches Handeln oder auch über Publikationen etwa von Theologen oder Juristen setzten den damaligen Debatten Grenzen. Den Vertretern progressiver Positionen wurde etwa vorgeworfen, Unsittlichkeit und Amoralität erst zu verbreiten, weil sie im ernsthaftesten Kreise Dinge benennen, die

159 160 161 162

WWA 10 (1764), Nr. 23 (05.05.1764), S. 95f. und Nr. 24 (09.05.1764), S. 99f. WWA 34 (1788), Nr. 23 (19.03.1788), S. 90. Kleinkinderschule (1829–1830), StAW, NA I-39c-2, 33r–v, fol. 46v. CARIUS, Recht (2012), S. 3.

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II. NORMATIVE LEITBILDER UND STRUKTURELLE RAHMENBEDINGUNGEN

weder dem Orte, der Zeit, noch den Personen angemessen sind.163 Schließlich flossen auch die eigenen Erfahrungen der Zeitgenossen mit gelebten Familienformen in den ständigen innergesellschaftlichen Aushandlungsprozess familialer Leitbilder ein.

3.2. Das „Ganze Haus“ und die „Familia“ 3.2.1. Bedeutung der Ehe und Eheanbahnung Für die katholische Kirche liegt der Wert der Ehe darin, dass das Ehepaar die Beziehung zwischen Gott und Kirche symbolisiert und gleichzeitig in ihr und durch sie die Fürsorge und die Treue Gottes erfahren kann. Deshalb ist die Dauerhaftigkeit der Ehe kein bloßes diskutables Attribut, sondern deren Wesensmerkmal. Seit der Reformation wurde der Ehe eine weitere Bedeutung beigemessen: Neben dem mehr oder minder intensiven Bemühen weltlicher und kirchlicher, katholischer wie protestantischer Obrigkeiten um die Etablierung einer neuen Moral und Sittlichkeit sollte die Ehe eine ihr zugedachte Ordnungsfunktion erfüllen. Dieses Ordnungsmodell beruhte auf der Hierarchie von Mann und Frau und wurde durch den Ehemann repräsentiert. Auf ihn stützten sich die frühmodernen Obrigkeiten und dehnten so ihre Macht auf die Familie und deren Glieder aus.164 Der Jenaer Jurist Heinrich Gottfried Scheidemantel betonte angesichts der Ehegesetzgebung die Rolle des Ehemannes als Teil staatlicher Kontrollgewalt: Für ihre Befolgung [sc. der Gesetze, A.W.] muß teils die Privatregierung, teils die Polizei sorgen. Jene ist wegen der Ordnung im Hauswesen nötig und man erteilt sie mehrenteils dem Ehemann, weil er die öffentlichen Geschäfte verwalten und für sein Haus stehen muß. Der Hausherr führte demnach als „Privatregierung“ die Aufsicht über das rechtmäßige Verhalten der Bewohner und war angehalten, Fehlverhalten zu rügen bzw. zu melden.165 Die in der einzelnen Familie gelebte hierarchische Ordnung zwischen Oberhaupt und Untergebenen durchzog sämtliche gesellschaftlichen und staatlichen Bereiche etwa in dem Verhältnis des Dienstherrn gegenüber seinem Knecht, des Pfarrers gegenüber seinen Gläubigen oder des Landesherrn gegenüber seinen Untertanen.166 Die frühneuzeitliche Ehe erfüllte demnach für den Staat und die Kirche mehrere elementare Aufgaben: In ihr sollten die Glieder der künftigen Gesellschaft gezeugt, zu nützlichen Untertanen und frommen Christen erzogen und ihnen von Beginn an jene göttliche bzw. hierarchische Ordnung 163 WEINHOLD, Gleichgewicht (1829), S. 2f. 164 WUNDER, Gesellschaftlicher Ort (1992), S. 54f.; DIES., Sonn (1992), S. 88; COCHLOVIUS, Art. Ehe, in: ELThG 1 (1992), S. 476; MÖHLE, Ehekonflikte (1997), S. 9. 165 SCHEIDEMANTEL, Staatsrecht (1775), S. 104; WILLKOMMEN, Ehescheidung (2009), S. 7. 166 STONE, Road (1990), S. 12.

3. VORSTELLUNGEN VON EHE UND FAMILIE IM AUSGEHENDEN 18. JAHRHUNDERT

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vermittelt werden. Neben dem Hauptzweck der Ehe, der Zeugung und Erziehung von für den Staat nützlichen Untertanen, sollten sich die Gatten gegenseitig versorgen und in einem sittlich-christlichen Lebenswandel unterstützen, sodass auch kinderlose Ehen für viele Zeitgenossen durchaus einen Zweck erfüllten.167 Unverheiratete Paare, die gemeinsam wohnten und Kinder zeugten, liefen dieser Ordnung zuwider und hinterfragten durch ihre bloße Existenz die staatliche und göttliche Autorität, da ihre Beziehung zueinander nicht obrigkeitlich genehmigt und zudem unverbindlich war und jederzeit von einem Partner wieder gelöst werden konnte. Diese Unverbindlichkeit, die sich staatlicher Kontrolle entzog, konnte den Mitgliedern dieser wilden Familien nicht jene hierarchische, verbindliche Ordnung vermitteln, die sämtlichen staatlichen, kirchlichen und gesellschaftlichen Beziehungen immanent war. Sie waren daher in einem wohl eingerichteten Staat, und noch vielmehr, in einem christlichen, nicht zu erlauben, und zu dulden.168 Innerhalb der ständischen Gesellschaft verorteten sich zwei Mitglieder durch ihre Heirat mitunter neu und konnten auf- oder absteigen. Sofern eine Familie über finanzielles oder materielles Vermögen verfügte, entsprach die Wahl der Ehepartner immer auch der Wahl künftiger Erben und der Weitergabe von Besitz. Gebildete, vermögende und adlige Gesellschaftsschichten bauten meist weitgehend abgeschlossene, elitäre Zirkel auf, in denen politische Verbindungen geknüpft und berufliche Positionen vermittelt wurden und die sich über soziale Beziehungen wie Ehen und Patenschaften immer stärker vernetzten.169 Heiratsfähige Männer und Frauen waren Teil einer gesellschaftlichen Gruppe und eine Eheschließung bedeutete deren Erweiterung um ein neues Mitglied, weshalb über eine frühneuzeitliche Heirat meist nur kollektiv und nicht individuell etwa durch die Eheleute entschieden werden durfte.170 Dass die eigenen Bedürfnisse bei der Partnerwahl unterzuordnen waren und die künftigen Gatten, besonders die jungen Frauen, kaum mitentscheiden sollten, vermittelte beispielsweise das 1765 in den Anzeigen erschienene Gedicht Die mannbare Tochter. Es endet mit der Schlussfolgerung: Wenn Mädgen, eh sie freien wollen, sich alle durch Verstand erst lange hervorthun sollten, so wär es, wie hieraus erhellt, gewiss ein Unglück für die Welt. 171 Das Gedicht beschreibt, wie eine junge Frau den ihr vorgeschlagenen Ehepartner ausschlägt, da sie bei der Wahl ihres künftigen Gatten mitentscheiden will. Besonders im Adel und im Bürgertum orientierte sich die soziale Praxis der Eheanbahnung noch lange an solchen traditionellen 167 168 169 170 171

Vgl. Kap. V.4.2.; SCHMIDT-VOGES, Strategien (2010), S. 19. N.N., Hurerei (1777), S. 8. WESTPHAL u.a., Venus (2011), S. 12. BOURDIEU, Kapital (1983), S. 192f. WWA 11 (1765), Nr. 93 (20.11.1765), S. 372.

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II. NORMATIVE LEITBILDER UND STRUKTURELLE RAHMENBEDINGUNGEN

Richtwerten. Erst nach und nach wurden arrangierte Ehen seltener und den zukünftigen Eheleuten ein Recht auf Mitbestimmung bei der Partnerwahl eingeräumt.172 Angesichts der Ausrichtung der Ehe auf die Zeugung und Erziehung von Kindern waren vorehelicher Geschlechtsverkehr und daraus resultierende Schwangerschaften bis in das 18. Jahrhundert hinein integraler Bestandteil der frühneuzeitlichen Eheanbahnung besonders in niederen Schichten. Für den Erben des väterlichen Bauernhofes oder Handwerksbetriebes und seine ganze Sippe konnte es verheerend sein, wenn er und seine künftige Gattin keine Kinder zeugten und der Besitz nicht innerhalb der eigenen Familie weitergegeben wurde. So trugen die Unauflösbarkeit der Ehe in katholischen oder eine zu rigide Ehescheidungspraxis in protestantischen Gegenden dazu bei, dass die ersehnten Erben schon vor der Hochzeit gezeugt wurden. Ein uneheliches Kind verpflichtete dessen Vater außerdem zur Heirat der Schwangeren. Da die künftigen Gatten aufgrund der normativen und rechtlichen Einschränkungen ihren Partner häufig nicht frei wählen durften, nutzten manche Paare die gesetzliche Heiratspflicht des Schwängerers aus und erwirkten durch eine uneheliche Schwangerschaft die Zustimmung ihres sozialen Umfeldes zu ihrer Ehe. Vorehelicher Geschlechtsverkehr wirkte demnach in zweifacher Hinsicht ehestiftend: zur Erprobung der Zeugungsfähigkeit und zur Erzwingung der familiären und obrigkeitlichen Erlaubnis.173 3.2.2. Wer und was ist „Familie“? Als der Eisenacher Oberkonsistorialrat Johann August Nebe 1817 ein neues Ehemandat beantragte, hob er zunächst die Bedeutung und den Zweck der Familie für Staat und Gesellschaft hervor. Für ihn wurden innerhalb der Familie vor allem die Religiosität, der Charakter bzw. die häuslichen Tugenden ihrer Mitglieder ausgebildet. Wirksamer als jeder Unterricht könnten Eltern durch ihr gutes Vorbild und die tägliche Praxis ihre Kinder und auch sich gegenseitig fördern, sodass von dem Wohl des einzelnen Familienmitglieds letztlich auch das Gemeinwohl bzw. der Staat profitiere. Diese Bedeutung der Familie für Staat und Gesellschaft war im gesamten Untersuchungszeitraum und weit darüber hinaus unbestritten. Bemerkenswert ist vielmehr, dass sich Nebe ausschließlich auf die Kernfamilie bezieht und deren enge Verbindung bzw. das Band, welches die Eltern mit

172 HEROLD-SCHMIDT, Lebensperspektiven (2005), S. 248; HABERMAS, Frauen und Männer (2000), S. 294. 173 R. BECK, Illegitimität (1983); BENKER, Ehre (1986).

3. VORSTELLUNGEN VON EHE UND FAMILIE IM AUSGEHENDEN 18. JAHRHUNDERT

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ihren Kindern, so wie unter sich vereinigt, gesondert benennt.174 Das Gesinde, das lange Zeit Teil der frühneuzeitlichen Versorgungsgemeinschaft, des sogenannten „ganzen Hauses“ war, hatte zu Beginn des 19. Jahrhunderts in der Familie anscheinend keinen Platz mehr. Nicht nur begrifflich hat die „Familie“ das „Haus“ ersetzt, auch die Beziehung der frühneuzeitlichen Hausbewohner zueinander hatte sich offenbar im 18. Jahrhundert verändert. Der Terminus „Familie“ wird ungefähr seit dem Anfang des 15. Jahrhunderts im deutschen Sprachraum verwendet und setzte sich seitdem allmählich und im 18. Jahrhundert befördert durch das französische Adjektiv „familier“ verstärkt durch, das so viel wie „vertraut“ bedeutet.175 Er ist vom lateinischen „famulus“, übersetzt „Diener“, abgeleitet und bedeutete ursprünglich „Gesinde, Sklavenschaft“ sowie „die ganze Hausgenossenschaft“.176 Vor diesem Hintergrund ist der Wandel hin zur ausschließlichen Bezeichnung verwandter oder verschwägerter Haushaltsmitglieder umso bemerkenswerter. Der Sprachforscher Joachim Heinrich Campe wies 1808 in seinem Wörterbuch der Deutschen Sprache daraufhin, dass mit „Hausgesinde“ einst auch „die ganze Familie oder häusliche Gesellschaft“ mit Ausnahme der Hauseltern gemeint war. 177 Hatten „Haus“ und „Familie“ ursprünglich dieselben Personengruppen einbezogen, erfuhr „Familie“ eine Bedeutungsverengung und bezeichnete zunehmend nur noch verwandtschaftliche Verhältnisse. Während die Kinder darin nach wie vor inbegriffen waren, wurde das Gesinde allmählich ausgenommen. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts hatte der Terminus „Familie“ das „ganze Haus“ im Sprachgebrauch wohl fast vollständig abgelöst. So diagnostizierte der Begründer der Volkskunde Wilhelm Heinrich Riehl, dass das ganze Haus nun der Vereinzelung der Familie gewichen sei.178 Ratgeberliteratur wie Rudolph Zacharias Beckers 1788 erschienenes und vielfach neuaufgelegtes Noth- und Hülfs-Büchlein veranschaulicht, wie sich die Bedeutungen von „Haus“ und „Familie“ bis in das 19. Jahrhundert überschnitten. Becker bezog in seine Darstellung der Hausgemeinschaft das Gesinde ein, sprach aber in den entsprechenden Passagen niemals von „Familie“.179 Untersucht wurden ferner verschiedene Nachschlagewerke, wie die einschlägigen Einträge Zedlers seit den 1730er Jahren herausgegebenem Universallexicon, Johann 174 Oberkonsistorialakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 1r–v. 175 Art. Familie, in: PFEIFER (Hg.), Wörterbuch 1 (²1993), S. 322; Krünitz bezog sich 1777 ebenfalls auf die französische Verwendung: Art. Familie, in: KRÜNITZ (Hg.), Encyklopädie 12 (1777), S. 170. 176 Art. Familie, in: PFEIFER (Hg.), Wörterbuch 1 (²1993), S. 322. 177 Art. Hausgesinde, in: CAMPE (Hg.), Wörterbuch 2 (1808), S. 577. 178 RIEHL, Naturgeschichte 3 (1856), S. 147. 179 BECKER, Hülfs-Büchlein (1788), S. 50f., 260, 420, 430.

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II. NORMATIVE LEITBILDER UND STRUKTURELLE RAHMENBEDINGUNGEN

Georg Krünitz’ seit den 1770er Jahren erschienene Oeconomische Encyclopädie oder Joachim Heinrich Campes Wörterbuch. Die Zuordnung des Gesindes zur Familie war für Zedler zu Beginn des 18. Jahrhunderts noch selbstverständlich, für Krünitz und Campe 1777 und 1808 jedoch optional. 180 Im weiteren Sinne bedeutet Familie zudem damals wie heute eine Sippe, also auch die weitere Verwandtschaft. Während für Zedler und Krünitz auch Ehepaare ohne Kinder und Gesinde als Familie galten, die zeugungsunfähig oder zu arm für eigenes Personal waren, bezog Campe kinderlose Paare nicht in seine Beschreibung der Familie ein und definierte sie sogar als „familienlos“. Um 1800 existierten nicht nur unterschiedliche Vorstellungen davon, wie sich Familien zusammensetzten, für die Zeitgenossen waren sogar Familien ohne Kinder denkbar.181 Elementare, konstituierende Mitglieder einer Familie waren nach einhelliger zeitgenössischer Vorstellung vom familialen Leben die verheirateten Eltern, von denen der Mann als Familienoberhaupt, als „Hausherr“ bzw. „Hausvater“, allen, die in der Familie sich befinden, mit väterlicher Treue vorstehen soll.182 Laut Becker könne ein guter Hausvater […] ein König in seinem Hause [sein], wenn er so darinne regiert, daß Weib und Kinder und Gesinde, ja auch das arme Vieh, vergnügt und zufrieden lebt […].183 Becker setzte die hierarchische Überordnung des Hausherrn über die Hausbewohner mit der Herrschaft eines Landesherrn gleich und kommunizierte dabei die allen zwischenmenschlichen Verhältnissen grundlegende hierarchische Ordnung. Die Hausfrau übernahm laut Becker kaum eine führende Position im Haus, sie sollte allenfalls durch ihre Freundlichkeit und Munterkeit dazu animieren, daß der Mann, die Kinder und das Gesinde immer vergnügter werden und lieber arbeiten. 184 Laut Campe leitete hingegen als erste, vornehmste Person einer Familie, der Vater, Hausherr, oder die Mutter, die Hausfrau die Hausgemeinschaft an, die zuweilen auch Hausherrrin genannt werde.185 Dennoch hielt er an der Unterordnung der Frau unter den Mann fest. Krünitz geht ebenfalls auf die eingeschränkten Leitungs- und Entscheidungsrechte der Gattin über die Hausgemeinschaft vor allem in Vertretung ihres 180 Art. Familia, in: ZEDLER, Universallexicon 9 (1735), Sp. 205; Art. Familie, in: KRÜNITZ (Hg.), Encyklopädie 12 (1777), S. 170, 172; Art. Haus, in: KRÜNITZ (Hg.), Encyklopädie 22 (1781), S. 288; Art. Familie, in: CAMPE (Hg.), Wörterbuch 2 (1808) S. 17; Art. Haus, in: Ebd., S. 574. 181 Art. Familie, in: KRÜNITZ (Hg.), Encyklopädie 12 (1777), S. 170–172; Art. Familia, in: ZEDLER, Universallexicon 9 (1735), Sp. 205; Art. Familie, in: CAMPE (Hg.), Wörterbuch 2 (1808), S. 17. 182 Art. Familia, in: ZEDLER, Universallexicon 9 (1735), Sp. 206; Art. Familie, in: KRÜNITZ (Hg.), Encyklopädie 12 (1777), S. 172. Die oben direkt zitierte Passage ist bei Krünitz und Zedler identisch und lässt auf die Orientierung Krünitz’ an Zedler schließen. 183 BECKER, Hülfs-Büchlein (1788), S. 50. 184 Ebd., S. 51. 185 Art. Familienhaupt, in: CAMPE (Hg.), Wörterbuch 2 (1808), S. 17; Art. Hausherr, in: CAMPE (Hg.), Wörterbuch 2 (1808), S. 578.

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Mannes oder als dessen Unterstützung ein, relativiert die zugeschriebene Dominanz jedoch zugleich: so kommt es doch hauptsächlich nur dem Hausvater zu, der Familie und dem Hauswesen vorzustehen.186 Wie bei der Inklusion des Gesindes in das familiäre Leben variierte um 1800 wohl auch die Rolle der Frau innerhalb der Hausgemeinschaft je nach den Erfahrungen und den Erwartungen an das Zusammenleben und den zugrunde liegenden familialen Leitbildern, die im Untersuchungszeitraum zunehmend hinterfragt wurden.

3.3. Konzepte von Ehe, Liebe und Geschlecht 3.3.1. Frauen und Männer um 1800 Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts änderte sich die geschlechterspezifische Arbeitsteilung in weiten Teilen der Gesellschaft, da sich herkömmliche Arbeitsbereiche wesentlich ausweiteten und neue eingeführt wurden. Vor allem innerhalb der handwerklichen und bäuerlichen Schichten brachen geschlechterspezifische Tätigkeitsfelder auf.187 Indem Arbeiten unter den Geschlechtern neu verteilt und bewertet wurden, kamen unter dem Einfluss der Aufklärung im 18. Jahrhundert die Geschlechtervorstellungen auf den Prüfstand. Der daraus entstehende Diskurs um die Bestimmung des weiblichen Geschlechts gestaltete sich vielstimmiger und widersprüchlicher, als es lange Zeit von der Forschung wahrgenommen wurde. Diese der Debatte immanente Vielseitigkeit lässt den Schluss zu, dass der für Frauen vorgesehene häusliche Wirkungskreis um 1800 bei Weitem nicht so eindeutig und fest definiert war, wie es nachfolgende Generationen aus der Zuschreibung einer „natürlichen Bestimmung“ ableiteten.188 Die idealisierte frühneuzeitliche Frau sollte fruchtbar, keusch, fromm, schamhaft, zurückhaltend in ihren Emotionen sowie physisch stark sein, um die ihr angetragenen Pflichten als Ehefrau, Mutter und Hausfrau zu erfüllen.189 Der Ehemann habe laut Campe die größern Beschwerden, Sorgen und Mühsehligkeiten zu tragen, weshalb ihn seine Gattin in jeder ihr möglich Art entlasten und unterstützen sollte. Er verdiente den Unterhalt für die Familie, während die Gattin vorrangig den Haushalt führte. Dabei musste der Ehemann seine Frau beaufsichtigen, weil ihr Rationalität fehle und sie daher schneller ihren Bedürfnissen nachgebe.190 Für die Kindererziehung waren im ausgehenden 18. und zu 186 187 188 189

Art. Familie, in: KRÜNITZ (Hg.), Encyklopädie 12 (1777), S. 172. MITTERAUER, Arbeitsteilung (1992), S. 107–113. HORN, Leben (2005), S. 121; WILLKOMMEN, Ehescheidung (2009), S. 13. BASTL, Tugend (2000), S. 374. Beatrix Bastl bemerkt dazu, dass es keinen Unterschied zwischen den Tugenden der adeligen und nicht-adeligen Frau gäbe. 190 CAMPE, Rath (1796), S. 16; LUTZ, Ehepaare (2006), S. 154.

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II. NORMATIVE LEITBILDER UND STRUKTURELLE RAHMENBEDINGUNGEN

Beginn des 19. Jahrhunderts beide Eltern verantwortlich. Der Mutter oblagen dabei vor allem die frühkindliche Betreuung und die Erziehung der Mädchen, während der Vater für die intellektuelle Bildung der älteren Kinder und vor allem der Jungen zuständig war. Krisen galten im frühneuzeitlichen Ehealltag als unumgänglich und waren von den Gatten zu ertragen bzw. durch ein ihrem Geschlecht angemessenes Verhalten vorzubeugen.191 Das Betragen der Ehefrau war für das Gelingen der Ehe und für die Ehre ihres Ehemannes ausschlaggebend, der seine Autorität als Familienoberhaupt dem sozialen Umfeld durch das gute Benehmen seiner Frau und seiner Kinder bewies. Deshalb war es im Verständnis vieler Zeitgenossen nicht denkbar, dass Frauen in der Öffentlichkeit selbständig und selbstbewusst agierten, da dies als männliches Verhalten und damit als frauenuntypisch galt.192 Auch sollten sich die Damen höherer Schichten zwar stetig bilden, aber lesewütige, schriftstellerisch tätige und dem Schöngeistigen frönende Frauen waren nicht erwünscht, da dies verhindere, dass sie den für sie vorgesehenen Aufgaben nachkamen.193 Jene Weiblichkeitsvorstellungen und Geschlechterrollen wurden in zahlreichen aufklärerischen Schriften kritisch hinterfragt und neu definiert. VertreterInnen neuer Weiblichkeits- und Eheideale diskutierten und praktizierten in standes- und geschlechtergemischten Zirkeln die Gleichheit der Geschlechter und die Rolle der Frau, die Freiheit von ständischen Zwängen und von intellektueller Bevormundung.194 Die Gegner geschlechtlicher Gleichstellung und weiblicher Emanzipation betonten die naturbestimmte, unveränderbare Differenz der Geschlechter. Sie stützten sich neben biblischen Passagen und philosophischen Texten wie Rousseau auch auf die von der vergleichenden Anatomie ermittelten biologischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen und die damit verbundene, medizinisch fundierte Anthropologie. 195 Ihre Opposition war vor allem der Angst geschuldet, dass mit der ehelichen Ordnung auch die gesellschaftliche und staatliche zerbrechen würde: Denn nicht bloß das häusliche Familienglück, sondern auch […] 191 DEINHARDT/FRINDTE, Ehe (2005), S. 262; N.N., Kleinkinderschulen (1829), S. 154; WESTPHAL u.a., Venus (2011), S. 163; WILLKOMMEN, Ehescheidung (2009), S. 14. 192 ALFING/SCHEDENSACK, Frauenalltag (1994), S. 38f.; WUNDER, Gesellschaftlicher Ort (1992), S. 52: Frauen bedurften wie Wertgegenstände eines besonderen Schutzes und sollten zu diesem Zweck sogar verborgen werden. HEROLD-SCHMIDT, Lebensperspektiven (2005), S. 236. 193 DI BARTOLO, Leben (2008), S. 68; LESEMANN, Bildung (2000), S. 257f.; WILLKOMMEN, Ehescheidung (2009), S. 14f. 194 SCHNEGG, Geschlechterkonstellationen (2002), S. 391; VOGEL, Gleichheit (1997), S. 266; OPITZ, Einleitung Tugend (2000), S. 1; v. FELDEN, Geschlechterkonstruktion (1999), S. 31. 195 HONEGGER, Ordnung (1992), S. 16, 42.

3. VORSTELLUNGEN VON EHE UND FAMILIE IM AUSGEHENDEN 18. JAHRHUNDERT

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das öffentliche Wohl des Staates […] hängt größtentheils […] von der Art und Weise ab, wie das Weibliche Geschlecht seine natürliche […] Bestimmung erfüllt.196 Die Zeitgenossen beobachten demnach eine direkte Wechselwirkung zwischen dem Funktionieren von Staat und Familie und nahmen vor diesem Hintergrund jeden, hier die Frauen, in die Pficht, ihrer Rolle gerecht zu werden. Mit der Etablierung der bürgerlichen Gesellschaft und der damit einhergehenden Dissoziation von Familien- und Erwerbsleben trug die letztlich beibehaltene geschlechtsspezifische Differenzierung dazu bei, dass Frauen in der neu entstehenden Öffentlichkeit langfristig kaum präsent zu sein schienen, da das Private als der „natürliche“ Bereich der Frau definiert wurde.197 Laut mehreren Studien zu den Wirkungskreisen der Geschlechter beschränkten sich die Rollen und Teilhabemöglichkeiten von Frauen innerhalb einer Gesellschaft jedoch keinesfalls allein auf die Trias der Gattin, Hausfrau und Mutter und müssen viel komplexer beurteilt werden.198 Frauen war es durchaus und besonders als Witwen und unschuldig Geschiedene möglich, in wirtschaftlichen, politischen und künstlerischen Bereichen der Gesellschaft aktiv zu werden. 199 Mit der Offenlegung dieser Handlungsspielräume wurden ältere Ansätze wie das Modell der polarisierenden Geschlechtscharaktere relativiert und der Fokus verstärkt auf die Wechselwirkungen von zeitgenössischen Diskursen und sozialer Praxis gerichtet.200 Inwieweit die diskutierte Gleichheit von Mann und Frau auf den Ehealltag übertragen wurde oder ein unerfülltes Ideal blieb, war vom jeweiligen Paar abhängig. Bereits Heide Wunder hatte hinsichtlich des Konfliktes zwischen Selbständigkeit und Unterordnung der frühneuzeitlichen Gattin festgestellt, dass dieser Widerspruch in der Alltagspraxis durch die gegenseitige Abhängigkeit der Eheleute aufgehoben wurde und oft eine Gleichheit unter den Gatten im Sinne von Gleichwertigkeit vorherrschte.201 196 CAMPE, Rath (1796), S. 17f. 197 OPITZ, Einleitung Tugend (2000), S. 1f.; v. FELDEN, Geschlechterkonstruktion (1999), S. 31; WILLKOMMEN, Ehescheidung (2009), S. 18f. 198 Vgl. TREPP, Männlichkeit (1996); SCHNEGG, Geschlechterkonstellationen (2002); HABERMAS, Frauen und Männer (2000). 199 DI BARTOLO, Leben (2008), S. 11, 34. Für den Raum Weimar sei an dieser Stelle vor allem das bio-bibliographische Lexikon FrauenGestalten Weimar-Jena um 1800 erwähnt: FREYER u.a. (Hg.), FrauenGestalten (2009). Vgl. ferner MERKEL/WUNDER (Hg.), Frauen (2000). Auch zeitgenössische Arbeiten setzten sich immer wieder mit bedeutenden Frauengestalten auseinander, wiesen auf deren Leistungen hin und standen damit in der Tradition der „Querelle de femmes“ (HABERMAS, Baldinger (1998), S. 243f.); WESTPHAL u.a., Venus (2011), S. 186. 200 OPITZ, Einleitung Tugend (2000), S. 13–16; WILLKOMMEN, Ehescheidung (2009), S. 19. 201 WUNDER, Sonn (1992), S. 265; WILLKOMMEN, Ehescheidung (2009), S. 19f.

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II. NORMATIVE LEITBILDER UND STRUKTURELLE RAHMENBEDINGUNGEN

3.3.2. Eheliche Zuneigung und romantische Liebe Zedler beschrieb in den 1730er Jahren die Ehe in seinem Universallexicon als eine Verbindung, in der zwei Personen ihre Liebe zu Vermehrung des menschlichen Geschlechts einander alleine wiedmen, damit sie die […] Kinder […] wohl erziehen können.202 Damit wirft er eine unter HistorikerInnen intensiv diskutierte Fragestellung auf: Was bedeutete „Liebe“ in der Frühen Neuzeit und welche Rolle spielten Emotionen generell?203 Zedler meinte wohl zunächst die körperliche Liebe bzw. den Geschlechtsverkehr, dem sich die Partner alleine wiedmen sollten, womit er eheliche Treue einforderte. Wenn jedoch Liebe zwischen den Eheleuten notwendig sei, um die Kinder auch zu erziehen, dann geht sein Liebesbegriff offenbar über den bloßen Geschlechtsakt hinaus.204 Die Forschung zur Geschichte der Familie der Vormoderne negierte lange Zeit intensive Gefühlsbeziehungen und unterstellte den damaligen Ehen eine eher zweckorientierte Ausrichtung. So unterschied Edward Shorter moderne, auf Zuneigung beruhende Ehe- und Familienbeziehungen deutlich von Verhältnissen in vormodernen Gesellschaften, in der die aus ökonomischen und zweckrationalen Erwägungen geschlossenen Ehen kühl, unpersönlich und distanziert blieben. 205 Neuere Ansätze weisen darauf hin, dass Auffassungen von Liebe zeitgebunden und individuell unterschiedlich sind, weshalb nicht von dem eigenen, kulturell in der westlichen Welt des 21. Jahrhunderts verankerten Liebesverständnis ausgegangen werden dürfe. So entsprach Liebe noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts einem christlichen Ideal, war eng an das Konzept der Nächstenliebe angelehnt und zeichnete sich in einer Partnerschaft etwa durch Treue, Freundschaft oder gegenseitigen Beistand aus. 206 Sie unterschied sich jedoch von der vorausgegangenen mittelalterlichen Minne, dem aufklärerischen Gedanken von einer vernünftigen Liebe und den gefühlsbetonten Beziehungskonzepten der Romantik, aus dem sich der heutige Liebesbegriff entwickelte.207 Die Erforschung dieser Prozesse erkannte, dass romantische Liebe und Gefühlstiefe für heranwachsende Generationen am Ende des 18. Jahrhunderts zunehmend zur Grundlage einer Heirat und (neben wirtschaftlichen Aspekten) zur Voraussetzung einer glücklichen Ehe wurden. Folglich prägte das Ideal der 202 203 204 205

Art. Ehestand, in: ZEDLER, Universallexicon 8 (1734), Sp. 360. Vgl. TREPP, Gefühl (2002); OPITZ, Pflicht-Gefühl (2002); FREVERT, Gefühle (2009). WILLKOMMEN, Ehescheidung (2009), S. 8. LESEMANN, Liebe (2000), S. 189; TREPP, Männlichkeit (1996), S. 44; LISCHKA, Liebe (2006), S. 9; SHORTER, Geburt (1977). 206 HENDRICK, Love (1992), S. 5–26; LESEMANN, Liebe (2000), S. 194f.; TREPP, Männlichkeit (1996), S. 44; LUTZ, Ehepaare (2006), S. 159. 207 HONEGGER, Ordnung (1992), S. 43; TREPP, Männlichkeit (1996), S. 40; WILLKOMMEN, Ehescheidung (2009), S. 8.

3. VORSTELLUNGEN VON EHE UND FAMILIE IM AUSGEHENDEN 18. JAHRHUNDERT

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Liebesehe, das unter anderem literarische und philosophische aufklärerische Werke wie etwa Goethes Wahlverwandtschaften oder Friedrich Schlegels Lucinde propagierten, vermehrt die Wünsche junger Frauen und Männer. 208 Die verstärkte Betonung der Liebe als notwendige Voraussetzung für eine gelingende Ehe schlug sich auch in einschlägigen Publikationen wie etwa Nachschlagewerken oder der Ratgeberliteratur nieder. 209 So käme es laut Becker bei der Partnerwahl nicht auf die Güter, sondern auf die Gemüther an, damit sich die Partner in der Ehe gegenseitig dabei unterstützen, immerfort klüger, redlicher und durch ihre beständige Liebe und Zärtlichkeit immer liebreicher und gütiger zu werden, bis der Tod sie wieder scheide.210 Die künftigen Eheleute sollten sich nach charakterlichen Gemeinsamkeiten und nicht nach materiellen und finanziellen Interessen zusammenfinden, um sich so am besten ein Leben lang unterstützen zu können.211 Es wurden jedoch auch weiterhin Ehen geschlossen, die die Besitzübertragung beziehungsweise die Stabilisierung der sozialen Position ermöglichten. Mehrfach rügte die Weimarer Regierung während der von ihnen geführten Scheidungsverfahren, dass die Ehen nicht aus Zuneigung, sondern etwa aufgrund finanzieller Vorteile geschlossen worden seien. Das Ideal der romantischen Ehe konnte sich erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts in breiten Teilen der Bevölkerung durchsetzen und zur Realität werden, zumal dessen Verwirklichung aufgrund der jeweiligen Lebensumstände nicht allen Paaren möglich war. 212 Alleinerziehenden und werktätigen Witwen oder Witwern war es nicht möglich, den künftigen Partner allein aufgrund gegenseitiger Zuneigung zu wählen, da nach dem Tod des ersten Gatten für die Versorgung und Ernährung der Hinterbliebenen bald ein Ersatz gefunden werden musste. In vielen gesellschaftlichen Schichten war die Ehe noch lange Zeit existenziell notwendig und wurde deshalb auch und manchmal nur aus praktischen Erwägungen geschlossen. Um 1800 existierten demnach mehrere Konzepte von Liebe und Ehe, die sich teilweise überlagerten und gegenseitig beeinflussten.213

208 TREPP, Männlichkeit (1996), S. 40; BASTL, Tugend (2000), S. 372; PILLER, Ehestand (2002), S. 450. Die junge bürgerliche Oberschicht versuchte sich damit auch vom Adel und von nach rein wirtschaftlichen Erwägungen arrangierten Ehen abzuheben (MÖHLE, Ehekonflikte (1997), S. 63). 209 N.N., Art. Ehe, in: Real-Encyclopädie 3 (1822), S. 554. 210 BECKER, Hülfs-Büchlein (1800), S. 168. 211 WILLKOMMEN, Ehescheidung (2009), S. 8f. 212 LESEMANN, Liebe (2000), S. 195, 204f.; Scheidungen Weimar (1807–1808), LATh– HStAW, Rechtspflege B2578, fol. 175v; Scheidungen Weimar (1805–1806), LATh– HStAW, Rechtspflege B2576, fol. 47r–v. 213 TREPP, Männlichkeit (1996), S. 43; WILLKOMMEN, Ehescheidung (2009), S. 8f.

III. Gelebte Familien – nicht nur in Weimar 1. Die Kernfamilie – ein klassisches Modell? 1. DIE KERNFAMILIE – EIN KLASSISCHES MODELL?

Der Weimarer Johann Gottlieb Schuhmann wurde 1802 beschuldigt, den Bäckergesellen Johann Heinrich Bauer gewaltsam zu sexuellen Handlungen gezwungen, ihn beim Oralverkehr verletzt und dadurch dessen Gesundheit erheblich geschadet zu haben. Gleichsam soll er in Frage stehende Unzucht an mehrern andern Manspersonen, angeblich mit deren Bewilligung und so gar als ein Gewerbe ums Lohn, getrieben haben, was die Männer bestätigten. Der Angeklagte war geständig, leugnete jedoch die Unfreiwilligkeit der Beteiligten. Die für die damalige Zeit üblichen Wohnverhältnisse hatten den Übergriff begünstigt: Der seit fast zehn Jahren verheiratete Leinenweber Schuhmann lebte wohl mit seiner Frau, seiner Mutter und dem Bäckergesellen als Untermieter in einem Haushalt. Da in besagter Nacht nur Schuhmanns Mutter im gleichen Raum übernachtete, hatte das kinderlose Ehepaar anscheinend getrennte Schlafräume oder die Gattin übernachtete auswärts. Überdies wurde während des Verfahrens die von der Ehefrau angegebene Impotenz durch ärztliches Attest bescheinigt. Durch die gemeinsamen Wohnräume lebten ledige und verheiratete Personen oft auf engstem Raum zusammen. Laut Überlieferung überredete Schuhmann seinen Untermieter durch unnachläßige Bitten […], daß er sich in sein Bett legen und bey ihm schlafen möge.1 Das finale Urteil des Weimarer Amtsgerichts und das weitere Schicksal der beteiligten Personen sind nicht überliefert. Lediglich der Spruch der Schöppen belegt diesen homoerotischen Vorfall. Sofern Bauer seine Aussagen durch Eid bestärkte und der Tatbestand dadurch bewiesen worden sei, sprach sich der Schöppenstuhl für folgendes Strafmaß aus: Aufgrund gewaltsam verübter Unzucht mit Bauer und weiteren Männern sollte der Angeklagte zu zwei Jahren Zuchthaus mit Willkomm oder aus Rücksicht auf seine Statur zu drei Jahren Zuchthaus ohne Verschärfung, also ohne Willkomm, verurteilt werden. 2 Auch musste der Angeklagte an den Geschädigten ein Schmerzensgeld von zehn Talern zahlen und die aus der Verletzung und dem Prozess entstandenen Kosten

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Päderastrie Schuhmann (1802), LATh–HStAW, SchöppJ 2607, fol. 37r–40r; EKAW, HR SK 1793, fol. 92r. Päderastrie Schuhmann (1802), LATh–HStAW, SchöppJ 2607, fol. 37r, 38v. Ein Willkomm oder Abschied war eine Körperstrafe und bestand aus 40 Hieben, die der Verurteilte öffentlich erhielt. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde sie laut damaligen Berichten nur noch selten angewandt, weil die Prozedur der Gesundheit des Verurteilten oft massiv schadete: WAGNITZ, Nachrichten 2/1 (1792), S. 97.

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III. GELEBTE FAMILIEN – NICHT NUR IN WEIMAR

übernehmen – angesichts des durchschnittlichen Jahreseinkommens eines Leinenwebers von 50 Talern eine immense Bürde.3 Das hohe Schmerzensgeld begründete der Schöppenstuhl mit der Verletzung eines so empfindlichen Theil des Körpers, wodurch die Gesundheit Bauers massiv Schaden genommen hätte.4 Erschwerend kommt hinzu, dass Schuhmann das Laster der Masturpation vorher an andern und oft begangen zu haben, nicht nur geständig, sondern auch deßen durch die übereinstimmenden Außagen […] überführt wurde und das Verbrechen gewerblich betrieb.5 Zudem könne Schuhmann die von ihm geleugneten Aspekte nicht mit überzeugenden Argumenten widerlegen. Obgleich es sich um eine abscheuliche, wider der Ordnung der Natur stehende Tat handele, hielten die Schöppen die in der Peinlichen Halsgerichtsordnung Karls V. vorgesehene Lebensstrafe in diesem Fall für ungeeignet. Außerdem sollten derartige Laster nicht durch eine öffentliche Bestrafung zusätzlich bekannt gemacht werden.6 Die Schöppen rieten hier zur Diskretion, denn Homosexualität sollte um 1800 gar nicht existieren. Die Bibel verurteilt homoerotische Handlungen als eine schwere Sünde, die mit dem Tod zu bestrafen sei.7 Deshalb wurde Homosexualität lange Zeit als Straftat geahndet, galt als widernatürlich und wurde deshalb bis in das 20. Jahrhundert hinein innergesellschaftlich geächtet. Dementsprechend empfahl der Schöppenstuhl auch eine harte Bestrafung: Mehrere Jahre Zuchthaus, gegebenenfalls mit der im 18. Jahrhundert üblichen öffentlichen Prügelstrafe Willkomm, und eine übermäßig hohe Strafzahlung bedeuteten meist den existenziellen Ruin. Viele Gefangene überlebten zudem die frühneuzeitlichen Haftanstalten infolge desaströser hygienischer Bedingungen nicht. Angesichts der noch immer in Sachsen-Weimar-Eisenach geltenden Peinlichen Halsgerichtsordnung Karls V., die für Homosexualität die Todesstrafe vorsah, und der Schwere der auch gewerblich verübten Tat erscheint die Empfehlung des Schöppenstuhls äußerst milde. Im Folgenden wird sich zeigen, dass die Obrigkeit im ernestinischen Weimar auch in anderen familienrechtlichen Fragen bemerkenswert wohlwollend entschied. Durch die Verheimlichung unliebsamer Delikte bestehen bis heute verzerrte Vorstellungen von familiärem Leben und Sexualität vergangener Epochen. Uneheliche Kinder, wilde Ehen und homosexuelle Begegnungen traten jedoch keinesfalls erst seit dem 20. Jahrhundert auf, wie sozial- und geschlechter-

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Päderastrie Schuhmann (1802), LATh–HStAW, SchöppJ 2607, fol. 37r; Abschätzungsrolle E (1820), LATh–HStAW, Steuern B18110. Päderastrie Schuhmann (1802), LATh–HStAW, SchöppJ 2607, fol. 40r–v. Ebd., fol. 40r. Ebd., fol. 39r–40v. 3. Mose 18, 22; ebd. 20, 13; Römer 1, 26–27; 1. Korinther 6, 9; 1. Timotheus 1, 10.

1. DIE KERNFAMILIE – EIN KLASSISCHES MODELL?

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geschichtliche Studien eindrücklich belegen.8 Dennoch hält sich trotz einschlägiger Studien in öffentlichen Debatten hartnäckig das Vorurteil, dass unverheiratete Paare mit Kindern, Ehescheidungen, sogenannte „Patchworkfamilien“ oder Alleinerziehende und werktätige Frauen Phänomene besonders der vergangenen Jahrzehnte seien. Dieses Bild gilt es einmal mehr zu widerlegen.9 1.1. Die Ehe als Ursprung der Familie 1.1.1. Erstehen und Wiederverheiratungen Von den insgesamt 63.360 Einwohnern Sachsen-Weimars (ohne den Eisenacher Landesteil) waren 1787 laut einer Volkszählung bzw. Friedrich Gottlob Leonhardi knapp 16.400 jünger als zwölf Jahre. Abzüglich der nicht Heiratsfähigen, also der jugendlichen Mädchen bis einschließlich 15 Jahren bzw. den jungen Männern unter 21 Jahren, befanden sich ungefähr 40.000 Einwohner im heiratsfähigen Alter. Tatsächlich waren aber nur 23.653 Personen verheiratet. Demnach lebten wohl nur knapp zwei Drittel aller heiratsfähigen Personen im Herzogtum in einer Ehe.10 Der Anteil gemischtkonfessioneller Ehen zwischen Protestanten und Katholiken oder rein katholischer Ehen war gemessen an den protestantischen Hochzeiten eher gering. Bei lediglich 38 in den protestantischen Kirchenbüchern von 1770 bis 1830 verzeichneten Paaren waren ein oder beide Eheleute katholisch. Für die Analyse familialer Lebensformen fällt die durch Migranten am Ende des 18. Jahrhunderts und durch Napoleons Stiftung der katholischen Weimarer Gemeinde wachsende Gruppe der Katholiken jedoch kaum ins Gewicht. 11 Interreligiöse Ehen zwischen Christen und Juden oder Muslimen erwähnen die Heiratsregister oder andere gesichtete Quellen gar nicht. 8

Vgl. THOMA/LIMBECK (Hg.), ,sünde‘ (2009); HERGEMÖLLER/CLARUS (Hg.), Mann für Mann (2010); Eine sehr streitbare, aber quellenfundierte Perspektive auf Homosexualität in Goethes Werken bietet W. Daniel Wilson: WILSON, Goethe (2012). 9 Vgl. GRÖWER, Wilde Ehen (1999), S. 11f.; Der Revision dieser Vorurteile hatte sich 2013 auch das 8. Detmolder Sommergespräch verschrieben: http://www.archive.nrw.de/ lav/abteilungen/ostwestfalen_lippe/BilderKartenLogosDateien/Dateien/Flyer_Sommer gespr__ch2103_finish.pdf (Zugriff: 1. Januar 2019) bzw. die Homepage: http:// www.archive.nrw.de/lav/abteilungen/ostwestfalen_lippe/service_familienforschung/ detmolder_sommergespraech/index.php (Zugriff: 9. Januar 2019). 10 LEONHARDI, Erdbeschreibung 2 (1790), S. 756. Der spätere Leipziger Professor für Ökonomie Leonhardi erlangte 1788 an der Universität Jena den Magister und lehrte dort bis 1790: Art. Leonhardi, Friedrich Gottlob, in: HAMBERGER u.a., Teutschland 18 (1821), S. 513–517. 11 BLEEKE, Familienrecht (2009), S. 163f.

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III. GELEBTE FAMILIEN – NICHT NUR IN WEIMAR

Viele Ehegatten heirateten nicht zum ersten Mal und gründeten Stieffamilien, heute als Patchwork-Familien bezeichnet. Auch sie entsprachen und entsprechen bs heute nur bedingt den Vorstellungen von familiärem Leben. Von den insgesamt 4.990 Weimarer Hochzeiten im Untersuchungszeitraum, also von knapp 10.000 Ehepartnern, weisen die Kirchenbücher nur knapp zwei Drittel (6.544 Personen) zum Zeitpunkt der Hochzeit als ledig aus.12 1.263 waren verwitwet und circa 120 geschieden. Zu 64 Eheleuten, deren Eheschließung in zwei verschiedenen Kirchenbüchern eingetragen wurde, existieren jeweils unterschiedliche Angaben. Bei insgesamt 2.131 Personen wurde der Familienstand nicht näher bestimmt. Insgesamt ein Siebtel aller Eheleute Weimars war laut den Heiratsregistern zum Zeitpunkt ihrer Hochzeit verwitwet oder geschieden. Die hinter den über 2.000 fehlenden Familienstandsangaben zu vermutende Dunkelziffer dürfte weit höher sein. In Trier sollen zwischen 1730 und 1860 zeitweilig sogar bis zu einem Drittel aller Ehepartner verwitwet gewesen sein. 13 Dies dürfte vor allem die Kriegs- und Hungerjahre betreffen. Durch erneute Heirat wurden die Kinder verwitweter Ehepartner Stiefgeschwister. Die Familienzusammenführung glückte nicht immer: Weil der Chausseegelder-Einnehmer Johann Gottlob Schlegel die Kinder seiner Frau misshandelt hätte, habe sie eine ihrer Töchter bereits bei Bekannten unterbringen müssen.14 Wie viele Eheleute nach dem Tod des Ehepartners oder der Ehescheidung ledig blieben und wie viele erneut heirateten, konnte bislang für Weimar nicht ermittelt werden. Die Scheidungsakten und Kirchenbücher vermitteln jedoch den Eindruck, dass in der Regel beiden die Wiederverheiratung erlaubt wurde. Die wenigen Verbote wurden nicht generell verhängt, sondern bezogen sich überwiegend auf die Ehe mit dem Ehebrecher.15 Auffällig viele Witwer baten nach dem Tod ihrer Gattin beim Herzog um die Ehe mit ihrer Schwägerin, der Schwester ihrer verstorbenen Frau.16 Der Profos Johann Heinrich Sinn beschrieb in seinem Gesuch 1778, wie seine Schwägerin Dorothea Magdalena Körbs nach dem Tod seiner Frau 1775 beygesprungen sei und 12 Für die 2007 durch den SFB 482 generierten Ergebnisse wurden alle in einer Datenbank erfassten Heiratsregistereinträge ausgezählt. Die in zwei oder drei Kirchenbüchern eingetragenen Hochzeiten gingen dadurch doppelt und dreifach in die Statistik ein. Die vorliegende Studie vermied diese Mehrfachnennung durch den Abgleich der drei Heiratsregister und wertete jedes Paar damit nur einmal. 13 KOHL, Familie (1985), S. 148. 14 Scheidungen Weimar (1825–1828), LATh–HStAW, Rechtspflege B2608, fol. 124v–125r. 15 EKAW, HR HK 1786, S. 307; Registrande (1784), LATh–HStAW, Behörden B882, fol. 39v. 16 Vgl. die zahlreichen Gesuche in den Registranden der Geheimen Kanzlei: LATh–HStAW, Behörden B849–B892, bspw. Registrande (1779), LATh–HStAW, Behörden B870, Nr. 1032, 1033.

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ihm im Haushalt ausgeholfen und durch eigenen Erwerb etwas beigesteuert habe. Schließlich wollten beide heiraten, da doch allezeit in meiner Abwesenheit Jemand bey mir zu Hause seyn, und vor mich und mein annoch lebendes Kind, etwas kochen und sonsten alles Nöthige im Haußwesen, zumalen da ich auch den StäckenKnecht bey mir im Quartier habe, besorgen muß […].17 Auch hier teilte sich das einen Monat nach dem Gesuch des Ehemannes vermählte Paar mit ledigen Personen einen Haushalt. Der verwitwete Schwager und seine künftige Ehefrau bildeten schon zuvor eine Versorgungsgemeinschaft. Die künftige Gattin war berufstätig, wenn auch in Heimarbeit, und trug dadurch zum gemeinsamen Unterhalt bei. Die neu gegründete Familie Sinn entsprach daher wie viele andere nur bedingt dem zeitgenössischen Familienideal. 1.1.2. Kinder in der Ehe – Ehen ohne Kinder: Stiefkinder, Adoptivkinder, Pflegekinder Die Halbwaisen und deren Versorgung waren ein Grund für die Eheschließung. Den Kindern kam damals wie heute im familiären Leben eine zentrale Bedeutung zu: Als eigene Nachkommen bilden sie ein Bindeglied zwischen den Ehepartnern, als angenommene Stief-, Pflege- oder Adoptivkinder bedürfen sie der familiären Fürsorge. In der Frühen Neuzeit legitimierten Kinder eine Ehe als Versorgungsgemeinschaft zusätzlich und erfüllten erst deren eigentlichen Zweck. Laut dem Zedler sollten die Eltern die aus solcher Verbindung zu hoffenden Kinder […] zum Nutzen der menschlichen Gesellschafft wohl erziehen […].18 Dem Ideal der Familie mit Kindern versuchten auch Paare zu entsprechen, die selbst keine gemeinsamen Nachkommen zeugen konnten. Uneheliche Kinder des Ehepartners kamen dann sogar gelegen, statt ein Manko zu sein. Der Weimarer Sprachenmeister Claude Dumanoir zum Beispiel zeugte außerhalb der Ehe zwei Kinder mit Anna Christina Preißler. Seine Frau hatte ihm den Ehebruch verziehen, da für sie laut ärztlichem Attest der Beischlaf gesundheitsschädigend gewesen wäre. Weil sich beide dennoch Kinder wünschten, übernahmen sie die Erziehung der beiden unehelichen Kinder des Mannes.19 Andere Paare ohne eigene Nachkommen nahmen fremde Kinder als ihre eigenen an. Der für den Mord an seiner Stiefmutter zum Tode verurteilte Johann Gottlieb Planer bat den Diener des Kriminalgerichts und dessen Ehefrau, dass seine dreijährige Tochter Wilhelmine, welche schon lange in der Pflege des Dieners sey, nun mehr nach seinem Tode ihm [sc. dem Diener, A.W.] nachgelassen werde, was er als sein eignes

17 Heiratsgesuch Sinn (1778), LATh–HStAW, Militär B38594, fol. 3r–v; EKAW, HR GK 1778, Nr. 593; ebd. SR GK 1775, Nr. 225. 18 Art. Ehestand, in: ZEDLER, Universallexicon 8 (1734), Sp. 360. 19 Dumanoir Abolition (1782–1808), LATh–HStAW, Rechtspflege B2750, fol. 24r.

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III. GELEBTE FAMILIEN – NICHT NUR IN WEIMAR

Kind anzusehen habe, damit es ja nicht in die Hände seiner Frau [sc. Johanna Sophia Planer, A.W.] komme, allwo eine schlechte Erziehung zu befürchten sei.20 Die Aussagen Planers sind durch dessen Gefängniswärter Franz David Gesky überliefert. Dieser zitierte in seiner Chronik Weimars unter anderem dessen vermeintlich letzte Worte vor der Hinrichtung sowie einen Brief Planers an seine Frau, der gemäß Gesky von Wort zu Wort so lautet: „Gott grüße Dich meine liebe Hanna! Jetzt geht es an das Scheiden, allein der liebe Gott, ruft mich zu Himmels-Freuden. Wo unser Heiland lebt, ist jetzt mein Vaterland. Es ist dir wohl bewust, daß unter Deiner Brust ein junger Zweig gelebt, der mich hat sehr betrübt, dieweil es war mein Kind, und Gott nahm so geschwind, die junge Pflanze hin. Ich folge ihm nun nach, in jene Freuden-Statt, die weil auch mich mein Gott zu sich gerufen hat, der Abschied jamert mich wenn ich gedenk an Dich. Wir werden nun getrent. Ach Gott! ach Gott! wie brent die Liebe gegen dich! Mein Herz will mir zerbrechen daß ich Dich nicht kan sprechen.“21

Ob der Zimmermannsgeselle Planer zu derart poetischen Formulierungen fähig war, bleibt fraglich. Auch setzt der Brief danach ungereimt fort und bildet stilistisch einen Bruch mit der übrigen Chronik. Gesky wollte wohl kaum sich selbst dadurch profilieren, sonst hätte er seine gesamte Darstellung und nicht nur einen Teil anspruchsvoller gestaltet. Aus welchen Gründen der Gefängniswärter Planers letzte Worte an dessen Ehefrau in dieser literarischen Form überlieferte, bleibt vorerst ungeklärt. Der gemeinsame Mädchenname Hering von Frau Planer wie auch von Geskys zweiter Gattin lassen eine Verwandtschaft vermuten, die durch die Kirchenbücher jedoch nicht belegt ist und angesichts des häufigen Nachnamens Hering nicht bestanden haben muss. 22 Wollte Gesky mit der Betonung der Frömmigkeit und der Liebe Planers dessen Ehre rehabilitieren? Welches persönliche Interesse hätte der Gefängniswärter an der positiven Darstellung des zum Tode verurteilten Planer haben können? Johanna Sophia Planer war während des Mordes und der anschließenden Haft schwanger, verlor jedoch das Kind infolge einer Frühgeburt.23 Als Vater und Ehemann sprach Planer seiner Frau in diesem Brief sein Mitgefühl aus und zeigte, dass auch ihn der Verlust des Neugeborenen schwer traf. Möglicherweise wollte Gesky mit der Wiedergabe des Schreibens die große Liebe Planers zu seiner Frau vergegenwärtigen, auf deren Wunsch er sogar seine Stiefmutter ermordete. Anderenfalls würde sie sich das Leben nehmen, soll die schwangere Johanna Sophia Planer ihrem Mann angedroht haben. Gleich mehrere Passagen zeugen 20 Gesky, Bruchstück (1806–1835), LATh–HStAW, Schriften & Drucke F2140, fol. 141r. Die Schreibweise des Familiennamens variiert zwischen Jeske, Geske, Gesske, Gesky, Geßky und Gessky. 21 Ebd., fol. 139v. 22 EKAW, HR SK 1795, fol. 108r. 23 EKAW, SR SK 1820, S. 256, Nr. 176.

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von einer liebevollen Ehe. So heißt es weiter unten: Meine liebe Hanna! Du siehest jetzt was für ein Unglük uns betrofen hat, wenn Du ein Christenherz hast so muß es Dir zerbrechen, wenn Du an meine grose Liebe denkest die ich gegen Dich gehabt, und noch bis in der letzten Todes-Stunde habe, und weil du weißt, daß ich mein junges Leben bloß aus Liebe gegen Dich dahin geben muß.24 Vielleicht hatte Planer die Tat aus Liebe zu seiner Frau, der tatsächlichen Täterin, sogar auf sich genommen. Dabei steht die Zuneigung des Ehemanns in keinem Widerspruch zu seiner Aussage, dass die dreijährige Wilhelmine bei Johanna Sophia Planer eine schlechte Erziehung erhalten würde. Laut Geskys Chronik liebte Planer seine Frau und wusste um ihre Fehlerhaftigkeit. Deswegen belehrte er sie im selben Brief, künftig nicht mehr zu sündigen, damit sie nach dem Tod in den Himmel käme. Der Gerichtsdiener und seine Frau versprachen, das Kind als das ihrige anzunehmen und sie später nach ihrem Familiennamen umzubenennen, zumal sie selbst keine Nachkommen zeugen konnten. Planer informierte seine Frau nachträglich über seine Entscheidung: Unsre Tochter Minchen habe ich an Gerichtsstelle dem Criminal-Diener als sein eigen Kind über lassen, welches er als daß seine zu achten hat, und Du dich deßhalb auch absagen mußt.25 Der Brief Planers an seine Frau stellt die familiäre Situation als hochgradig emotional dar. Der Zimmermannsgeselle Planer trauerte um seinen bei der Frühgeburt verstorbenen Sohn und übernahm Verantwortung für seine Tochter, wollte sie in die Obhut von Pflegeeltern geben. Zu seiner Frau schien er ein inniges Verhältnis zu haben und sich auch um ihre Zukunft zu sorgen. Als Familienoberhaupt und Vormund fällte er die Entscheidung über die Zukunft der Tochter jedoch allein – zumal sich die Ehepartner kaum gemeinsam verständigen konnten, da er in Weimar und sie in Eisenach inhaftiert waren. Die Auflösung der Familie bzw. die Hinrichtung des Vaters wurde zudem religiös verortet, wenn Planer auf eine Wiedervereinigung nach dem Tod mit seinem Sohn und später mit seiner Frau hoffte. Hierin wird die zentrale Stellung offenbar, die Glaube und Frömmigkeit auch für untere Schichten zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch immer einnahmen bzw. gemäß dem Chronisten Gesky einnehmen sollten. Der Gerichtsdiener und seine Frau scheinen die dreijährige Tochter Wilhelmine aus Zuneigung bei sich aufgenommen zu haben. Sie hätten das Kind auch dem Waiseninstitut übergeben können, dass sich um eine andere Pflegefamilie bemüht hätte. Vielleicht versuchten sie so, als Ehepaar dem Ideal einer Familie mit Kindern zu entsprechen. Das kinderlose Professorenehepaar Griesbach nahm einige Theologiestudenten bei sich auf und soll sie wie eigene Kinder erachtet und behandelt haben.26 Wenngleich hier die Pflegeeltern eine ganz andere Funktion für ihre schon erwachsenen Schützlinge einnahmen, 24 Gesky, Bruchstück (1806–1835), LATh–HStAW, Schriften & Drucke F2140, fol. 140r. 25 Ebd., fol. 140r–v. Die Identität des Gerichtsdieners konnte nicht geklärt werden. 26 ABEKEN, Griesbach (1829), S. 34.

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III. GELEBTE FAMILIEN – NICHT NUR IN WEIMAR

erfüllten sich die Griesbachs so den Wunsch, für Heranwachsende zu sorgen. Durch die Annahme von Pflegekindern konnten kinderlose Paare dem familialen Leitbild entsprechen. Nur wenigen Pflege- oder Waisenkindern wie Wilhelmine Planer waren fürsorgliche Eltern vergönnt, obwohl es an potenziellen Pflegeeltern in Weimar nicht mangelte. Erstaunlich viele Familien, es waren viermal mehr als die vorhandenen bedürftigen Zöglinge, stellten sich zur Verfügung. Von den sieben Vollwaisen des verstorbenen Unteroffiziers Lauth konnten dennoch nur die drei ältesten und arbeitsfähigen untergebracht werden. Hierin bewahrheitete sich eine Befürchtung der Waisenhaus-Befürworter in der zuvor geführten Debatte: Viele Waisen wurden von Pflegefamilien vor allem ob ihrer Arbeitskraft angenommen. Das Pflegegeld hatte die Aufnahme von Waisenkindern zudem besonders für arme Haushalte attraktiv gemacht. 27 Deshalb nahmen sich wohl auch alleinstehende Frauen wie die ledige Elisabeth Kirchner aus Eisenach der Waisen an.28 Während die Obrigkeit an anderer Stelle bemüht war, die Entstehung alleinerziehender Mütter durch uneheliche Geburten zu verhindern, schuf sie bei der Vermittlung von Pflegekindern selbst solche Familienkonstellationen. Offensichtlich war es den zuständigen Behörden in manchen Fällen nicht möglich, geeignete Paare zu finden und damit die Waisen in einem den familialen Normen entsprechenden Umfeld erziehen zu lassen. Frühneuzeitliche Waisenhäuser und -vermittlungsinstitute nahmen sich auch ehelichen Kindern an, die von ihren eigenen Familien abgelehnt wurden. Als das Ehepaar Taubert 1785 für mehrere Jahre inhaftiert wurde, weigerten sich die Großeltern, ihre Enkel aufzunehmen. Der Herzog ordnete schließlich deren Versorgung auf die Art, wie mit den Waysen-Kindern geschiehet – bey redlichen Leuten an.29 Dem idealisierten Familienmodell, der Versorgung der Kinder durch die eigenen Eltern oder wenigstens Großeltern, wollten oder konnten die Großeltern nicht entsprechen. Seit 1813 existierte in Weimar neben den staatlichen Einrichtungen eine weiterte, aus privater Initiative hervorgegangene Anstalt: Das Falksche Institut, das auf die (Aus-)Bildung verwahrloster Kinder abzielte. Im gleichen Jahr verlor der Begründer, der Schriftsteller und Pädagoge Johannes Daniel Falk, vier seiner sieben eigenen Kinder infolge verschiedener Krankheiten.30 Von den anfangs 30 Schützlingen wohnten die verhaltensauffälligen bei ihm, während er die übrigen an Pflegefamilien vermittelte. Alle aufgenommenen Kinder im schulpflichtigen 27 Kinder Lauth (1808), LATh–HStAW, Militär B38839, fol. 1r; WOLTER, Bedenket (2003), S. 313; NEUMANN, Waisenhausstreit (2003), S. 163. 28 Heiratsgesuch Wassermann (1790–1791), LATh–HStAW, Militär B38672, fol. 14r. 29 Eheweib Taubert (1779–1787), LATh–HStAW, Militär B36970, fol. 29r. 30 HAIN, Institut (2014), S. 59f.

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1. DIE KERNFAMILIE – EIN KLASSISCHES MODELL?

Alter erhielten Elementarunterricht und nahmen an abendlichen Bibelstunden teil. Jugendlichen vermittelte Falk eine Lehre bei Handwerksmeistern oder Arbeit bei Bauern. Sonntags wurden sie in elementaren Schulfächern unterrichtet. Mädchen und junge Frauen erlernten nach Abschluss der Elementarschule in der institutseigenen Spinnanstalt grundlegende Fertigkeiten in den verschiedensten Textilarbeiten. Finanziert wurde die Einrichtung durch die gemeinnützige Gesellschaft der Freunde in der Not, die Falk wenige Monate zuvor 1813 für Bedürftige gegründet hatte. Falls obrigkeitliche Behörden wie der Stadtrat um die Aufnahme eines Kindes baten, zahlten sie für dessen Versorgung eine Entschädigung. Unkosten und notwendige Kleidung für den aufgenommenen Schützling übernahm die Kämmereikasse.31 Mit sieben eigenen Kindern hatte das Ehepaar Falk die gesellschaftlichen Erwartungen an eine Familie erfüllt. Andere Weimarer Ehepaare konnten keine eigenen Kinder bekommen und blieben ungewollt kinderlos. Möglicherweise entschieden sich manche bewusst gegen eigene Kinder und verweigerten so die Erfüllung ehelicher Zwecke und familialer Normen. Ein derartiger Fall ist für Weimar jedoch nicht bekannt.

1.2. Häusliches Leben nach oder außerhalb der Ehe

Personenkonstellation der Familie Spindler

Eheliches Leben fand auch ohne Kinder statt und familiäres oder im weiteren Sinne häusliches Leben mit Kindern auch ohne eine Eheschließung. Die zeitgenössischen Umstände erforderten den Zusammenhalt verwandter oder verschwägerter Familienmitglieder. Dadurch entstanden vielfältige Personenkonstellationen und Versorgungsgemeinschaften, wie

beispielsweise die Familie Spindler. Innerhalb kürzester Zeit waren 1804 der Vater (der damalige Stadtbauer), der ältere Sohn und der Schwiegersohn verstorben. Danach führten die Mutter, der jüngere Sohn und die Tochter mit deren sechs kleinen Kindern einen gemeinsamen Haushalt. Für Familien bedeutete schon der Tod nur eines nahen männlichen Angehörigen den finanziellen Ruin, verdienten doch Frauen wesentlich 31 Plenarprotokolle (1817–1823), StAW, HA I-1-52, 19.02.1819, Nr. 9; ebd. 04.03.1819, Nr. 2; ebd. 05.11.1819, Nr. 7.

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III. GELEBTE FAMILIEN – NICHT NUR IN WEIMAR

weniger als Männer. In der Familie Spindler konnten die Mutter und die Tochter nur schwer einer Erwerbstätigkeit nachgehen, da Erstere krank und Letztere durch die Kinder, die zu pflegende Mutter und den Haushalt eingebunden war. Die Familie verarmte dadurch so sehr, dass sie ihr Wohnhaus für ihr künftiges Auskommen hätte verkaufen müssen. Deshalb bat die Mutter um einen Trauschein für ihren jüngeren Sohn. Die neue Schwiegertochter sollte die Familie bei der Haushaltsführung unterstützen und der Sohn dadurch entlastet werden, um dadurch mehr Geld verdienen zu können. Dem Gesuch wurde stattgegeben. Die verwitwete Mutter führte schließlich mit ihrer ebenfalls verwitweten Tochter, deren Kindern und ihrem verheirateten Sohn nebst Schwiegertochter einen gemeinsamen Haushalt, in dem anscheinend der Sohn als Einziger regelmäßig Lohn erhielt.32 Mehrere Generationen einer Familie lebten hier in einer Versorgungsgemeinschaft. Die Familie bildete in der frühneuzeitlichen Gesellschaft ohne Alters- und Krankenversicherungen bzw. angesichts mangelnder Pflegeeinrichtungen das elementare soziale Sicherungssystem und wurde daher in all ihren legalen Konstellationen von den örtlichen Behörden gefördert. Wie bei den Spindlers genehmigte der Stadtrat mehrere Heiratsdispensationsgesuche, weil es unter anderem wünschenswerth sey, daß […] eine sehr kränkliche Mutter, die wirklich an Verstandes-Schwäche leidet, unterstützt werde. Einem anderen Gesuch um das Meisterrecht wurde nur stattgegeben, wenn derjenige seine Mutter u. beide Stiefgeschwister vorzüglich unterstütze. 33 Auch Bürgerrechtsgesuche genehmigte das Plenum mitunter erst, wenn der Antragssteller eine Alleinstehende heiratete. Der Schlossergeselle Helke sollte beispielsweise die Witwe Spangenberg heiraten und deren Kinder väterlich versorgen.34 Der Stadtrat griff damit offensiv in Familien ein, entschied über Heiratsallianzen und verwehrte den Beteiligten die selbstbestimmte Partnerwahl. Die Obrigkeit entschied zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Weimar noch immer über vermeintlich private Belange. Auswärtige wurden noch strenger reglementiert. Sie mussten den Aufenthalt im Ort oder in der Stadt beantragen. Rosine Spiegler durfte ihre elfjährige Enkelin nur bis zu deren Konfirmation bei sich in Weimar aufnehmen und sollte sie ohne Unterstützung der Kommune und der Almosenkasse versorgen.35 Oftmals waren es alleinerziehende Frauen mit Kindern, die als geschiedene, verwitwete oder ledige Mütter sich und ihre Nachkommen mit oder ohne die Unterstützung ihres Umfeldes versorgen mussten. Die oben erwähnte ledige Elisabeth Kirchner aus Eisenach versorgte neben den zwei Waisen auch ein eigenes uneheliches Kind. 32 33 34 35

Heiratsgesuch Spindler (1804), LATh–HStAW, Militär B38781, fol. 1r–6r. Plenarprotokolle (1817–1823), StAW, HA I-1-52, 28.01.1823, Nr. 3, 7. Ebd., 16.01.1819, Nr. 3; Plenarprotokolle (1824–1831), StAW, HA I-1-53, 28.07.1825, Nr. 7. Plenarprotokolle (1817–1823), StAW, HA I-1-52, 16.01.1819, Nr. 4.

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Durch Handarbeiten und die Unterrichtung der Kinder rechtschaffene[r] Eltern finanzierte sie ihren Lebensunterhalt. Ihr Verlobter wollte sie auch ohne jeglichen Besitz heiraten, da sie durch das Nähen schön Geld verdienen kann.36 Ähnlich erging es alleinerziehenden Vätern wie dem Pensionär Christian Spindler, möglicherweise ein Verwandter der bereits vorgestellten Familie Spindler. Er hatte Glück und verbesserte 1822 seine Situation und die seiner sechs Kinder durch einen Lottogewinn von 1.250 Talern.37 Fast 5.000 der circa 63.360 Einwohner Sachsen-Weimars lebten 1787 verwitwet, darunter 3.640 Frauen und 1.232 Männer.38 Die quantitativen Unterschiede zwischen den Geschlechtern lassen sich hier nicht zwangsläufig aus der Häufigkeit von Todesursachen wie Kindsbetttod und Kriegsverlusten herleiten. Vielmehr könnten sich viele Frauen gegen eine neue Ehe entschieden haben, wenn sie als Witwen mit dem Handwerksbetrieb oder dem Unternehmen des verstorbenen Mannes ein eigenständiges Leben führen konnten. Die Witwe des Händlers Stephan Ortelli führte nach dem Tod ihres Mannes 1792 und dem frühen Tod ihrer beiden Söhne das Spezialitätengeschäft weiter und heiratete nicht erneut. Bis 1820, da war sie bereits über 70 Jahre alt, wurde sie in der lokalen Presse als Verkäuferin diverser Spezialitäten angegeben, selbst als ihre Söhne bereits erwachsen waren.39 Ihr Vermögen bestand im gleichen Jahr aus ihrem Haus am Markt und dessen Jahresertrag von 118 Talern, 250 Talern jährlichem Ertrag aus 5.000 Talern beweglichem Vermögen und dem Ertrag aus einer weiteren Immobilie von 43 Talern pro Jahr. Mit einem jährlichen Einkommen von insgesamt 411 Talern konnte sie ein nahezu sorgenfreies Leben führen. Wie die Witwe Ortelli führten auch andere Witwen die Geschäfte ihrer Männer fort, lebten von Mieteinnahmen oder finanzierten sich durch eigenes Gewerbe.40 So bewahrten sie sich ihre Unabhängigkeit, agierten selbständig, entschieden sich gegen eine neue Ehe, gegen (weitere) Kinder und handelten so den zeitgenössischen Weiblichkeits- und Familienvorstellungen zuwider. Zugleich drohte verwitweten Frauen ohne derartige Möglichkeiten unabhängig von ihrem Stand die Verarmung. Auch Adlige wie die Witwe und Kinder des Weimarer Leutnants Johann August Friedrich von Göchhausen waren betroffen.41 Häufig war der Ertrag aus eigener Erwerbstätigkeit zu gering und adlige 36 37 38 39

Heiratsgesuch Wassermann (1790–1791), LATh–HStAW, Militär B38672, fol. 6r–18v. Gesky, Bruchstück (1806–1835), LATh–HStAW, Schriften & Drucke F2140, fol. 161r. LEONHARDI, Erdbeschreibung 2 (1790), S. 756. EKAW, SR SK 1792, fol. 14v; ebd. 1809, fol. 117r; ebd. 1814, fol. 271r, Nr. 14; ebd. 1821, S. 298, Nr. 160; WWB 66 (1820), Nr. 23 (21.03.1820), S. 97 sowie die seit 1792 erschienenen Ausgaben der Anzeigen bzw. des Wochenblatts. 40 HEIN, Haushaltsführung (2012), S. 226; Abschätzungsrolle A (1820), LATh–HStAW, Steuern B18106, fol. 4v, 22v, 43v, 46v. 41 V. GÖCHHAUSEN (1783–1785), LATh–HStAW, Militär B38631, fol. 1r.

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III. GELEBTE FAMILIEN – NICHT NUR IN WEIMAR

Frauen riskierten mit eigener Arbeit außerdem den Verlust ihres Ansehens. Wie für Waisen bemühten sich erst die Kirchen und später der Staat um die Versorgung der Hinterbliebenen.42 Die dort eingegangenen Abgaben konnten jedoch den tatsächlichen Bedarf nicht annähernd decken, wie allein die Relation von fast 5.000 Verwitweten gegenüber über 63.000 Gesamteinwohnern Sachsen-Weimars 1787 erahnen lässt. Verwitwete und Waisen waren daher wie viele andere außer der Ehe lebende Personen neben der staatlichen auch auf die Unterstützung Verwandter und Freunde angewiesen. Gesa Ingendahl geht in ihrer 2006 veröffentlichten Studie detailliert und differenziert auf die Versorgungsmöglichkeiten von Witwen in der Frühen Neuzeit ein und fasst deren Komplexität simpel, aber treffend zusammen: „Vielfältig waren die gelebten Alltagspraxen und gewählten Existenzsicherungen von Witwen.“43 In einer ganz ähnlichen Situation wie die Verwitweten befanden sich Alleinstehende. Die heutigen „Singles“ existieren keinesfalls erst seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert: Laut der 1787 in Sachsen-Weimar durchgeführten Volkszählung war ein Viertel der heiratsfähigen Erwachsenen ledig.44 In Städten wie Jena mit Garnison und Universität dürfte der Anteil noch viel höher gewesen sein. Vor dem Hintergrund der Privilegierung der Ehe lebten damalige Alleinstehende häufig unfreiwillig ehelos und bildeten eine doppelt so große gesellschaftliche Gruppe wie Verwitwete. Die zahlreichen Alleinstehenden, Alleinerziehenden und Witwen bedingten eine weitere Erscheinung, die wie das Single-Dasein gemeinhin als charakteristisch für das Ende des 20. Jahrhunderts gehalten wird: das Leben in Wohngemeinschaften. Ledige zog es auf der Suche nach Arbeit oder einem geeigneten Ehepartner in die Städte, wo sie mit Verwandten, Bekannten, Freunden, Arbeitskollegen oder auch Fremden Versorgungsgemeinschaften gründeten. 45 Mutter und Sohn oder Witwen und ledige Frauen führten einen gemeinsamen Haushalt und Mägde wohnten bei Bekannten oder bei ihrer Dienstherrschaft.46 Ledige Militärs oder Handwerker wie der eingangs genannte Bäckergeselle Johann Heinrich Bauer mieteten sich bei Privatleuten ein. Die Jungfern Lauffer und Kleinknecht lebten anscheinend gemeinsam in einer kleinen Wohnung am 42 43 44 45

MEUMANN, Findelkinder (1995), S. 176; INGENDAHL, Witwen (2006), S. 250f. INGENDAHL, Witwen (2006), S. 323. LEONHARDI, Erdbeschreibung 2 (1790), S. 756. DÜRR, Mägde (1995), S. 157–160, 174–176; zu wilden Ehen aus Mietverhältnissen: GRÖWER, Wilde Ehen (1999), S. 368f. 46 Abschätzungsrolle A (1820), LATh–HStAW, Steuern B18106, fol. 13v; Plenarprotokolle (1817–1823), StAW, HA I-1-52, 22.02.1817, Nr. 2; Ehezerfall Kühn (1818–1833), LATh– HStAW, HMA 3446, fol. 1r. Wohngemeinschaften von Witwen und ledigen Frauen gehen aus den Einträgen in den Abschätzungsrollen hervor, vgl. Abschätzungsrolle E (1820), LATh–HStAW, Steuern B18110.

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Markt Ecke Obere Schlossgasse und erwirtschafteten zusammen 80 Taler.47 Bei der Geburt des unehelichen Kindes der Jungfer Lauffer 1817 stand ihre Mitbewohnerin Pate.48 Nahezu in jedem Weimarer Stadtbezirk unterhielten laut den Abschätzungsrollen von 1820 ehelose Frauen und Männer gemeinsame Haushalte.49 Im Bezirk E, dem heutigen Gebiet zwischen Post und Bahnhof, lebten auffallend viele Alleinstehende in derartigen Wohngemeinschaften. Dort wurde mit nur 57.868 Talern bei 361 Steuerpflichtigen das niedrigste Gesamtvermögen abgeschätzt, während sich im Bezirk A das Gesamtvermögen bei 323 Personen auf 106.711 Talern belief. Das Einkommen der Bewohner im Bezirk E, überwiegend Handwerker, bewegte sich mit durchschnittlich 50 bis 100 Talern Jahreserwerb im untersten Lohnsektor. So erwirtschafteten der sehr alt[e] Meister Hößel mit 25 Talern und der Meister Nehrkorn mit 70 Talern insgesamt nur 95 Taler für ihren gemeinsamen Haushalt, zu denen weitere 45 Taler als Jahresertrag aus Hößels Haus hinzukamen. 50 Versorgungsgemeinschaften waren demnach kein rein weibliches Phänomen, auch Männer lebten gemeinsam in einem Haushalt. Der Einblick in die unterschiedlichen Familien- und Lebensverhältnisse, in zeitgenössische Einwohnerstatistiken und Steuerverzeichnisse weist die klassische Kernfamilie bestehend aus Eltern und Kindern als eine Lebensform unter vielen aus. Die erst rudimentär vorhandenen medizinischen Behandlungsmöglichkeiten, unzureichende soziale Absicherungssysteme und die zeitspezifischen Lebensumstände machten Stieffamilien nach einem plötzlichen Tod im Kindbett, im Krieg bzw. infolge einer Erkrankung oder nach einer Scheidung notwendig. Deshalb und infolge niedriger Löhne und Pensionen mussten meist beide Eheleute arbeiten, um die Familie zu versorgen. Zur Familie zählten neben eigenen Kindern häufig auch unverheiratete oder ältere, teils pflegebedürftige Verwandte. Zudem mieteten sich Alleinstehende als Dienstmägde, Knechte oder Militärs bei Privathaushalten ein oder schlossen sich in Weimar zu Wohngemeinschaften 47 Abschätzungsrolle A (1820), LATh–HStAW, Steuern B18106, fol. 8v. Ein besonderer Dank gilt dem Leiter des Stadtarchivs Weimar Jens Riederer und Hubert Erzmann, der durch den Abgleich der in den Abschätzungsrollen angegebenen Bezirke und Haushaltsnummern mit zeitgenössischen Stadtplänen die Wohnorte der genannten Personen im historischen und heutigen Weimar ermittelte und so die Verortung der erwähnten Haushalte ermöglichte. 48 EKAW, TR SK 1817, S. 269, Nr. 39. 49 Die Abschätzungsrollen listeten seit 1820 sämtliches Vermögen der in Weimar Steuerpflichtigen zur Besteuerung ihres Einkommens auf: G. MÜLLER, Finanzwesen (2012), S. 214. 50 Abschätzungsrolle E (1820), LATh–HStAW, Steuern B18110, fol. 20v, 50r; Abschätzungsrolle A (1820), LATh–HStAW, Steuern B18106, fol. 67r.

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III. GELEBTE FAMILIEN – NICHT NUR IN WEIMAR

zusammen. So entstanden nach den jeweiligen Erfordernissen, den Familienverhältnissen und durch die kirchliche, obrigkeitliche und berufsständische Reglementierung der Ehe unterschiedliche Personenkonstellationen, die nicht den familialen Idealen entsprachen. Die beengte Wohnsituation verleitete zu außerehelichen Affären, zu Goethes mit chemischen Reaktionen gleichgesetzten zwischenmenschlichen Wahlverwandtschaften, und begünstigte schließlich uneheliche Schwangerschaften und Ehescheidungen.51

2. Illegitime Geburten und Ehescheidungen in Zahlen 2. ILLEGITIME GEBURTEN UND EHESCHEIDUNGEN IN ZAHLEN

2.1. Uneheliche Kinder und wilde Ehen in der Residenzstadt – und darüber hinaus Die Mitglieder der zuständigen Institutionen Sachsen-Weimar-Eisenachs nahmen von 1770 bis 1830 mehrfach eine Zunahme der unehelichen Geburten wahr. Tatsächlich ist für die Residenzstadt ein sprunghafter Anstieg der Illegitimitätsrate dokumentiert: Der Anteil an der Gesamtgeburtenzahl wuchs von durchschnittlich 6,7 Prozent (1770–1780) auf durchschnittlich 10,9 Prozent (1801– 1810) an. Die höchste Illegitimitätsrate in Weimar ist mit 16,2 Prozent für 1813 nachweisbar. Danach sank sie auf durchschnittlich 9,2 Prozent ab (1821–1830).52 Mit 38 Illegitimen werden 1815 die meisten unehelichen Kinder geboren, was bei insgesamt 293 Geburten nur etwa 13 Prozent ausmacht. In jenen Jahren der militärischen Belagerung, die den Anstieg der unehelichen Geburten verursacht haben könnte, ist jedoch fraglich, ob alle in der Ehe geborenen und als solche in den Kirchenbüchern verzeichneten Kinder tatsächlich von ihrem Vater gezeugt wurden. Auch in den Jahren 1791, 1794, 1807, 1810 und 1830 betrug der Anteil über 13 Prozent. Dass die durchschnittliche Illegitimitätsrate bei rund 9,1 Prozent liegt, geht auf zahlreiche Jahrgänge zurück, in denen der Anteil unehelicher Geburten nicht mehr als acht Prozent beträgt, in den 1770er Jahren waren es sogar überwiegend unter sechs Prozent. Demzufolge hatte sich der Anteil unehelicher Geburten im Untersuchungszeitraum fast verdoppelt, bezogen auf einzelne Jahre sogar mehr als verdreifacht. Insgesamt sind 1.188 uneheliche Geburten in den Weimarer Taufregistern verzeichnet, was bei 13.107 Lebend- und Totgeburten einer durchschnittlichen 51 Wahlverwandtschaften (1809), in: G WA 1/20, S. 51–54; GRÖWER, Wilde Ehen (1999), S. 368f. 52 Im Folgenden bezieht sich „Illegitimitätsrate“ im Sinne der „illegitimacy ratio“ auf den Anteil der unehelichen Geburten an der Gesamtgeburtenzahl: MITTERAUER, Mütter (1983), S. 18.

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Illegitimitätsrate von circa neun Prozent entspricht.53 Darunter sind nur neun uneheliche Kinder, deren Mütter sich nachweislich nicht dauerhaft in der Residenzstadt aufhielten und die demnach von den Weimarer Zahlen abzuziehen sind. Prozentual wie auch in der öffentlichen Wahrnehmung fallen sie gegenüber den nicht in den Taufbüchern verzeichneten unehelichen Kindern kaum ins Gewicht. Zusätzlich zu den nunmehr 1.181 illegitimen Geburten wurden 130 unehelich geschwängerte Mütter in Jena entbunden, die als in Weimar wohnend verzeichnet wurden. Die meisten von ihnen gingen mutmaßlich unfreiwillig zur Entbindung in die benachbarte Universitätsstadt, waren doch unehelich Geschwängerte in Sachsen-Weimar-Eisenach verpflichtet, im 1779 neu eröffneten Jenaer Accouchierhaus zu entbinden. 54 Die Rückkehr dieser Mütter nach Weimar belegen die Sterberegister der Weimarer Kirchenbücher, in denen circa die Hälfte der Kinder verzeichnet ist. Hinzu kommen ungefähr 90 weitere, als unehelich angegebene Kinder, die laut den Totenbüchern in Weimar starben. Da deren Geburt weder in Weimar noch in Jena registriert wurde, könnten sich deren Mütter zur Geburt zu auswärtigen Verwandten oder Bekannten zurückgezogen haben. 55 Weder die in Jena geborenen Weimarer Kinder noch die in der Residenzstadt verstorbenen wurden in den bisherigen quantitativen Studien zur Illegitimität in Weimar einbezogen. Dennoch dürften diese insgesamt 220 zusätzlichen unehelichen Geburten die Wahrnehmung des Illegitimitätsproblems wesentlich geprägt haben. Nicht minder wirkten sich die zahlreichen unehelich geschwängerten Weimarer Dienstmädchen aus, die durch ihren langen Ledigenstatus anfällig für Illegitimität waren. Laut dem seit 1823 geführten Weiblichen Dienstboten Journal beendeten 39 von 2.452 Frauen bis 1830 ihre Anstellung explizit infolge einer Schwangerschaft oder wurden deshalb entlassen.56 Nur ein Teil dieser Kinder ist in den Weimarer und Jenaer Tauf- und Sterberegistern verzeichnet. In den Jahren 1823 bis 1830 wurden durchschnittlich jährlich circa vier bis fünf weibliche 53 Anhang, Tabelle 1, Grafik 1. Denise König kommt in ihrer Untersuchung der Illegitimität Weimars zwischen 1770 und 1820 anhand der Kirchenbücher zu ähnlichen Ergebnissen. Aufgrund der identischen Quellenbasis stimmen die Geburtenzahlen für die Einzeljahrgänge bzw. der jeweilige Anteil unehelicher Geburten an allen Geburten weitestgehend überein. Geringfügige Abweichungen zwischen ihren und den hierfür generierten Werten resultieren aus den Bereinigungen der Datenbank seit der Entstehung ihres 2007 verfassten Beitrags. KÖNIG, Illegitimität (2007), S. 62f. 54 Mandate (1780–1784), LATh–HStAW, Justizamt Weimar 18, fol. 54r; WOLTER, Zwinget (2001), S. 80. 55 Nachweislich zogen sich einige zur Geburt aus der Stadt zurück, Dienstboten Journal 2.1 (1823–1827), StAW, Amtsbücher 29/1, fol. 49r, Nr. 289. 56 MITTERAUER, Mütter (1983), S. 68; Dienstboten Journal 2.1 (1823–1827), 2.2 (1827–1832), StAW, Amtsbücher 29/1.

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III. GELEBTE FAMILIEN – NICHT NUR IN WEIMAR

Angestellte illegitim geschwängert, die nicht in den Kirchenbüchern registriert sind. Insgesamt entbanden nur zwei Dienstmädchen ihr uneheliches Kind in Weimar. So kommen etwa 1824 zu den 24 unehelichen Geburten weitere sechs Schwangere hinzu, die sich mindestens bis zum Bekanntwerden ihrer Schwangerschaft in der Residenzstadt aufhielten.57 Insgesamt konnten demzufolge 1824 30 unehelich Geschwängerte wahrgenommen werden. Dass die schwangeren Dienstmädchen anscheinend nicht in Weimar oder Jena entbanden, könnte auch auf eine bislang unbekannte Verordnung zurückzuführen sein, nach der unehelich geschwängerte Dienstmädchen aus der Stadt gewiesen werden sollten. Im Wochenblatt wurde seit 1825 monatlich neben anderen bestraften Delikten die Summe der infolge von unehelicher Schwangerschaft ausgewiesenen Dienstmägde verzeichnet. Allein in jenem Jahr waren es 14 Dienstmädchen.58 Nicht nur die in den Taufbüchern verzeichneten unehelichen Geburten, auch die in Jena entbundenen, aber in der Residenzstadt lebenden sowie die in Weimar verstorbenen unehelichen Kinder und nicht zuletzt die nicht unerhebliche Zahl geschwängerter Dienstmädchen führte dazu, dass Illegitimität von der Obrigkeit als weitverbreitetes gesellschaftliches Phänomen problematisiert wurde. Die tatsächlich wahrgenommene Illegitimitätsrate muss demnach weit über der Zehn-Prozent-Marke gelegen haben. Auswärts geborene und in Weimar lebende legitime Kinder trugen ebenfalls zum tatsächlichen Verhältnis von legitimen und illegitimen Schwangerschaften bei, bildeten jedoch nur quantitativ ein Gegengewicht. Die Zeitgenossen nahmen sie weniger wahr als die unerwünschten unehelichen Kinder, weshalb sie im Rahmen dieser Arbeit nicht eigens recherchiert wurden. Auch die ehelichen Kinder katholischer und jüdischer Einwohner Weimars bilden in dieser Statistik nur einen verschwindend geringen Prozentsatz. Überdies entsprechen die prozentualen Werte katholischer unehelicher Kinder in etwa denen der aus den Kirchenbüchern erhobenen Werte zu protestantischen unehelichen Kindern. So wurden laut der katholischen Immediatkommission im Großherzogtum von 1815 bis 1823 insgesamt 2.800 katholische Kinder getauft, von denen 297 unehelich geboren wurden, also circa 10,6 Prozent. 59 Illegitimität war in Sachsen-Weimar-Eisenach demnach kein konfessionsspezifisches, sondern ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. 57 Dienstboten Journal 2.1 (1823–1827), StAW, Amtsbücher 29/1, fol. 19r, Nr. 111; ebd., fol. 26r–v, Nr. 152, 154; ebd., fol. 41r, Nr. 242; ebd., fol. 81v, Nr. 486; ebd., fol. 88r, Nr. 523; ebd., fol. 150r, Nr. 897; ebd., fol. 170v, Nr. 1019. 58 WWB 71 (1825), Nr. 1 (04.01.1825), S. 2; ebd. Nr. 35 (03.05.1825), S. 176; ebd. Nr. 44 (03.06.1825), S. 221; ebd. Nr. 52 (01.07.1825), S. 263; ebd. Nr. 61 (02.08.1825), S. 310; ebd. Nr. 71 (06.09.1825), S. 357. 59 Uneheliche Kinder (1824–1830), LATh–HStAW, Polizeisachen B5480, fol. 14r.

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Inwieweit die in den Kirchenbüchern als legitim bzw. ehelich ausgewiesenen Kinder tatsächlich innerhalb der Ehe gezeugt wurden, ist fraglich. So waren insgesamt 218 Verlobte laut den Heiratsregistern der drei Pfarreien Weimars während der Trauung schwanger. Von insgesamt 25 dazu stichprobenartig recherchierten Geburten jener als geschwächt ausgewiesenen Gattinnen wurden nachweislich 21 Kinder als ehelich eingetragen. Mit der Eheschließung wurde das Kind folglich legitimiert.60 Angesichts der geltenden Verpflichtung des Schwängerers, die von ihm Geschwängerte auch zu ehelichen, ist anzunehmen, dass in Sachsen-Weimar-Eisenach unverheiratete Paare Kinder zeugten, um so eine Heiratserlaubnis zu erhalten. Ob Zeitgenossen diese Kinder bzw. deren Mütter weiterhin als unehelich wahrnahmen und die Schwangerschaft das Sittlichkeitsempfinden der Gesellschaft beeinträchtigte, bleibt offen. Schließlich sind auch jene heimlich außerehelich gezeugten, jedoch nicht als solche entlarvten „Kuckuckskinder“ irrelevant, da sie nicht als unehelich wahrgenommen wurden. Uneheliche Kinder entstanden auch in wilden Ehen, deren Zahl trotz gesetzlicher Verbote und Bestrafungen nicht unerheblich gewesen sein soll. Mehrere Mitglieder des Eisenacher Oberkonsistoriums sprachen 1817 von über 30 nicht verheirateten Paaren in ihrer Stadt, in der damals etwa 7.700 Menschen lebten. Laut dem dortigen Archidiakon und Oberkonsistorialassessor Wilhelm August Voppel antworteten sie auf Ermahnungen trotzig mit: Andere leben auch so!61 Nicht nur die örtlichen Behörden, auch die Bevölkerung selbst nahm demzufolge die ohne Heirat gegründeten Familien als verbreitet wahr, wenn sie mit deren Existenz ihr eigenes Fehlverhalten rechtfertigte. Für Weimar sind solche zeitgenössischen Schätzungen nicht überliefert. Aus den Kirchenbüchern kann nur bedingt auf potenzielle wilde Ehen geschlossen werden. Laut den Taufregistern Weimars und Jenas gebaren 1.078 Frauen zwischen 1770 und 1830 insgesamt 1.431 uneheliche Kinder. Darunter zählen neben den in Weimar verzeichneten Geburten auch jene Kinder, die in der Residenzstadt verstarben und deren Mütter aus Weimar stammten und in Jena entbanden. Insgesamt 195 Frauen, ungefähr ein Fünftel, heirateten einen ihrer Kindsväter. In 44 Fällen hatte das Paar vor der Hochzeit zwei oder mehr Kinder

60 Bei zwei Witwen sind die Zeugungen in den vorherigen Ehen nicht auszuschließen, womit die Kinder als ehelich ausgewiesen worden wären. Zwei weitere Mütter hatten ihre Kinder bereits mehrere Monate vor der Trauung als unehelich entbunden und wurden dennoch als geschwächt angegeben, um die Eheschließung durch das gemeinsame, ehestiftende Kind zu rechtfertigen. 61 Oberkonsistorialakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 3r, 6r, 9v; EBERHARDT, Umwelt (1951), S. 14. Weitere quantitative Aussagen etwa über das Verhältnis zu geschlossenen Ehen wären rein spekulativ, da für Eisenach die Zahlen der jährlich getrauten Paare nicht vorliegen.

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gemeinsam gezeugt.62 Darunter waren auch Paare wie Goethe und Christiane Vulpius, die sich möglicherweise zunächst gegen eine Ehe entschieden hatten. Andere erhielten vorerst keine Erlaubnis und mussten ledig bleiben. Besonders bei unverheirateten Eltern mit zwei oder mehr Kindern liegt die Vermutung nahe, dass sie schon vor der Ehe eine dauerhafte Paarbeziehung unterhielten.63 Auch für die übrigen illegitimen Mütter ist ein dauerhaftes Verhältnis zu ihrem Schwängerer möglich, aber nicht belegt. Ein quantitativer Vergleich der wilden Ehen frühneuzeitlicher Territorien ist kaum möglich, zumal nicht alle Studien dezidiert auf das Ausmaß eingehen. Dass ein Paar in wilder Ehe gelebt hat, kann nur durch eine aufwändige Einzelrecherche nachgewiesen werden und wird aufgrund der lückenhaften Quellenlage für Weimar nicht gelingen. Die Werte zu wilden Ehen beruhen teilweise auf Mutmaßungen, die etwa aus dem Zeugungs- und Heiratsverhalten abgeleitet werden. Andere basieren auf zeitgenössischen Angaben zur Quantität wilder Ehen, die selten auf statistische Erhebungen, sondern vielmehr auf Wahrnehmungen zurückgehen und folglich wenig belastbar sind. Unter großen Vorbehalten nimmt Karin Gröwer für Hamburg in den 1830er Jahren an, dass 1833 etwa zehn Prozent aller Paare in wilden Ehen lebten.64 Da jedoch Gröwer in ihrer Rechnung zu viele Werte wie die Anzahl der Eheschließungen oder der wilden Ehen nur aus Drittwerten schlussfolgert, sind diese zehn Prozent kaum belastbar. Jürgen Schlumbohm vermeidet den Bezug auf quantitative Größenordnungen ganz. Konkubinate seien „im Osnabrücker Land während des 19. Jahrhunderts kein Massenphänomen“ gewesen, die dortige Obrigkeit nahm jedoch Mitte des 19. Jahrhunderts einen Anstieg wahr. Ähnliche quantitative Angaben machte er zu Göttingen.65 Auch Stefan Breit beurteilte die Zahl der von ihm untersuchten „leichtfertigen“ Paare nur äußerst vage, die „höher gewesen sein dürfte“ als die der für vorehelichen Verkehr bestraften Frauen.66 Die in Sachsen-Weimar-Eisenach ergriffenen obrigkeitlichen Maßnahmen und diskutierten Gesetze deuten jedoch eine nicht unerhebliche Anzahl in wilder Ehe lebender Paare an, die der Obrigkeit ein Eingreifen notwendig erscheinen ließen. Ähnlich der sprunghaften Zunahme unehelicher Geburten zwischen 1770 und 1830 in Weimar stiegen die Zahlen zwischen 1750 und 1850 in ganz Europa deutlich an.67 Die Ursachen diskutierte die Forschung seit den 1970er Jahren 62 Zwillingsgeburten zählen hierbei als eine Zeugung. 63 Auch für Jürgen Schlumbohm waren mehrere gemeinsame Kinder zweier Personen Indizien für eine Partnerschaft: SCHLUMBOHM, Wilde Ehen (1993), S. 67. 64 GRÖWER, Wilde Ehen (1999), S. 399f. 65 SCHLUMBOHM, Wilde Ehen (1993), S. 63, 80, Anm. 27; DERS., Phantome (2012), S. 328. 66 BREIT, Leichtfertigkeit (1991), S. 164. 67 Ebd., S. 317f.; MITTERAUER, Mütter (1983), S. 23–30.

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ausführlich, angestoßen durch Edward Shorters These von der „sexuellen Revolution“. Ungeachtet der einzelnen Argumente wies Andreas Gestrich darauf hin, dass derartige „Großüberblicke“ wie jene von Shorter, die auf nationalen Durchschnittswerten basieren, problematisch sind, da sie regionale Differenzen außer Acht lassen.68 Entsprechend unterscheiden sich die Ursachen für höhere oder niedrigere Illegitimitätszahlen nicht nur zwischen einzelnen Staaten, sondern auch zwischen ländlichen und städtischen Regionen. Dabei konnte die Forschung mittlerweile klarstellen, dass Illegitimität zumindest um 1800, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, ein flächendeckendes, weder rein ländliches noch rein städtisches Phänomen war. Diente vor allem im ländlichen Raum vorehelicher Verkehr noch lange der Eheanbahnung, häuften sich im Untersuchungszeitraum uneheliche Geburten in den Städten mit der Zunahme der Gesindeanstellungen.69 Ohnehin fand eine rege Fluktuation unehelich Geschwängerter zwischen Stadt und Land statt. Sofern unehelich Schwangere als Dienstmägde in der Stadt wohnten und arbeiteten, kamen sie für eine Weile bei Verwandten oder Bekannten im Umland unter.70 Geschwängerte aus den Dörfern haben derweil die Anonymität der Stadt gesucht. Johann Michael Hirschfeld bat die von ihm geschwängerte Magd Maria Elisabethe Bächert aus Elxleben, seine Vaterschaft zu verschweigen und in eine Stadt zu gehen, und da das Kind, was sie gebähren würde, erziehn zu lassen. 71 Da Studien oder Werte zur Illegitimität in ländlichen Regionen Sachsen-Weimar-Eisenachs fehlen bzw. nur für den gesamten Kreis inklusive der Städte vorhanden sind, können derartige Relationen nicht bestimmt werden. Angesichts der verschiedenen Ursachen illegitimer Geburten in Stadt und Land wie auch der unterschiedlichen Bewertung ehestiftender unehelicher Kinder durch die Ortsobrigkeiten scheint diese von der älteren Forschung getroffene Unterscheidung die damaligen Verhältnisse ohnehin nicht mehr angemessen widerzuspiegeln.72 Im Verhältnis zu den Illegitimitätsraten anderer Kreise des (Groß-)Herzogtums bildete Weimar jedenfalls keine Ausnahme: In der 68 GESTRICH u.a., Geschichte (2003), S. 505–507. 69 Ebd.; R. BECK, Illegitimität (1983), S. 144f. 70 Louise Mägdefessel, gebürtig aus Thalborn, ist 1825 nach anderthalb Jahren Anstellung wegen außerehel. Schwangerschaft nach Hause gezogen: Dienstboten Journal 2.1 (1823–1827), StAW, Amtsbücher 29/1, fol. 49r, fol. Nr. 289; BECKER, Hülfs-Büchlein (1789), S. 201. 71 Gesky, Bruchstück (1806–1835), LATh–HStAW, Schriften & Drucke F2140, fol. 123v. 72 Die Forschung zur Unehelichkeit ging zunächst von einer durchschnittlichen Unehelichenrate deutscher Städte von meist über zehn Prozent und ländlicher Gebiete von circa zwei Prozent bis zum Ende des 18. Jahrhunderts aus (RÖDEL, Entwicklung (1989), S. 31). Gestrich nimmt diese Unterscheidung nicht mehr vor: GESTRICH u.a., Geschichte (2003), S. 505–508.

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III. GELEBTE FAMILIEN – NICHT NUR IN WEIMAR

Residenzstadt lag die Illegitimitätsrate zwischen 1817 und 1828 bei nur 8,3 Prozent, in den Weimarer, Jenaer und Neustädter Kreisen im gleichen Zeitraum hingegen bei durchschnittlich 9,2 Prozent, im Eisenacher Kreis 1815 bis 1823 sogar bei 10,6 Prozent.73 Weil unehelich Schwangere seit 1779 verpflichtet waren, im Accouchierhaus Jena zu entbinden, stieg dort die Zahl unehelicher Geburten sprunghaft an und betrug zwischen 1770 bis 1830 tatsächlich bis zu 25 Prozent uneheliche Geburten pro Jahr. Wenngleich die Werte auch ohne die Entbindungsanstalt in der Garnisons- und Studentenstadt Jena noch immer höher als in Weimar gewesen sein dürften, so ist doch die übermäßig hohe Illegitimitätsrate Jenas zum Teil quasi staatlich verordnet bzw. der dortigen Entbindungsanstalt zuzurechnen. Ein beträchtlicher Anteil unehelicher Schwangerschaften wurde außerdem durch die in der Garnison stationierten Militärs und die an der Universität lernenden Studenten verursacht. Durch die gesetzliche Verpflichtung unehelich Geschwängerter zur Entbindung im Accouchierhaus hätte die Illegitimitätsrate in Jena sogar weit höher sein müssen.74 Trotzdem verzeichnen die Weimarer Kirchenbücher weiterhin zahlreiche illegitime Geburten. Zwar waren die Pfarrer zur Anzeige der Frauen verpflichtet, doch entgingen ihnen bei einer Geburt und Taufe in Jena die Taufgebühren. Deshalb und weil sie vielleicht der Geschwängerten und deren Familie die beschämende Entbindung vor mehreren Medizinstudenten im Jenaer Geburtshaus ersparen wollten, zeigten Geistliche die Frauen nicht immer an.75 Wie für Jena wurden auch für andere deutsche Staaten und Städte höhere Werte als für Weimar ermittelt: In der Residenzstadt Dresden betrug der Anteil der getauften, unehelichen Kinder an der Gesamtzahl der Taufen zwischen 1793 und 1812 um die 20 Prozent, die durchschnittliche Illegitimitätsrate lag zwischen 1768 bis 1832 bei etwa 16,8 Prozent.76 Für Mainz sind zwischen 1801 bis 1819 über 23 Prozent illegitime Geburten belegt, wobei der durchschnittliche Anteil unehelicher Kinder 1771 bis 1780 noch 2,7 Prozent betrug und erst in den 1780er bzw. 1790 mit acht Prozent und 10,6 Prozent rapide anstieg.77 Wie in Jena waren auch in anderen Städten des Reiches Geschwängerte gesetzlich zur Entbindung in

73 Anhang, Tabelle 1, 2; Uneheliche Kinder (1824–1830), LATh–HStAW, Polizeisachen B5480, fol. 38r. Zwar fließen in die 10,6 Prozent des Eisenacher Kreises die auch für Weimar illegitimitätsstarken Jahre 1815 und 1816 mit ein. Dennoch ist die Illegitimitätsrate in Weimar 1815–1823 mit neun Prozent wesentlich niedriger. 74 PÖHNERT, Illegitimität (2004), S. 79, 90f.; DEINHARDT, Stapelstadt (2007), S. 39; Mandate (1780–1784), LATh–HStAW, Justizamt Weimar 18, fol. 54r. 75 Vgl. unter anderem Kap. III.3.3.2. und Kap. VI.3. 76 Diese Werte wurden berechnet nach MEYER, Versuch (1840), S. 169. 77 RÖDEL, Mainz (1985), S. 169.

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den neugegründeten Accouchierhäusern verpflichtet. Walter Gerd Rödel sah in der Mainzer Entbindungsanstalt die Ursache für die erhöhten Werte.78 Wieland Sachse hat in seiner Studie zu Göttingen ebenfalls betont, dass die 1751 gegründete königliche Entbindungsanstalt stetig eine nicht exakt zu bestimmende Zahl unehelich Geschwängerter anzog, die dann in die Göttinger Kirchenbücher eingetragen wurden und demzufolge auch in die Sozialstatistik eingingen. Allerdings könnten sie der Göttinger Wohnbevölkerung nicht mit Sicherheit zugerechnet werden, da die meisten Frauen bald nach der Entbindung die Stadt wieder verließen.79 Angaben etwa zum Verhältnis ehelicher und unehelicher Geburten macht er allerdings nicht, ein Vergleich mit Jena ist daher nicht möglich. Der generelle Anstieg der Illegitimität in Europa am Ende des 18. Jahrhunderts ist unter Vorbehalt auch für Sachsen-Weimar-Eisenach nachzuweisen. So seien laut einer Volkszählung im Herzogtum Sachsen-Weimar (ohne den Eisenacher Landesteil) 1786 bei circa 63.360 Einwohnern 1.861 Kinder geboren worden, 79 davon unehelich, was einer Illegitimitätsrate von gerade einmal 4,3 Prozent entspricht.80 Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden im Weimarer, Jenaer und Neustädter Kreis bereits über neun Prozent der Nachkommen illegitim gezeugt. In der Residenzstadt Weimar wurden im Vergleich zu anderen deutschen Städten mit nur neun Prozent zwischen 1770 und 1830 verhältnismäßig wenige Kinder unehelich geboren. Das gesamte (Groß-)Herzogtum bzw. dessen Kreise weisen hingegen in den ersten drei Jahrzehnten mit knapp zehn Prozent Illegitimität im Verhältnis zu anderen protestantischen Territorien leicht überdurchschnittliche Werte auf.81 Die in der Residenzstadt im Vergleich zum übrigen Herzogtum eher niedrige Illegitimitätsrate könnte als Anzeichen für ein erfolgreiches staatliches Intervenieren gegen Unehelichkeit und Sittenverfall gewertet werden, das jedoch an den Stadtgrenzen endete. Nicht nur die verhältnismäßig wenigen illegitimen Geburten, sondern auch die im Folgenden skizzierten, übermäßig hohen Scheidungszahlen stehen zu den Werten anderer deutscher Städte in Kontrast und lassen einen ungewöhnlichen Umgang der Weimarer Obrigkeit mit unehelichen Sexualkontakten und Schwängerungen wie auch mit Ehescheidungen vermuten.

78 PAWLOWSKY, Mutter ledig (2001), S. 95–97. Zur Einrichtung von Hebammenschulen im 18. Jahrhundert: L. BECK, Gynäkologie (1986), S. 76; RÖDEL, Mainz (1985), S. 174. 79 SACHSE, Göttingen (1987), S. 98f. 80 LEONHARDI, Erdbeschreibung 2 (1790), S. 756. 81 KÖLLMANN (Hg.), Quellen (1980), S. 34, 51, 81, 88, 118.

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III. GELEBTE FAMILIEN – NICHT NUR IN WEIMAR

2.2. Scheidungshäufigkeit in der Residenz, dem (Groß-)Herzogtum und in anderen Städten und Territorien Sowohl uneheliche Geburten als auch Ehescheidungen standen in der Gesellschaft der Frühen Neuzeit dem Ideal der auf Ehe basierenden christlichen Familie entgegen und gefährdeten die auf stabilen familiären Strukturen beruhende Ordnung des Staates. Während die Zeugung eines illegitimen Kindes jedoch allein den daran Beteiligten obliegt und der Staat hierbei schwerlich einzugreifen vermag, wäre die Obrigkeit grundsätzlich fähig, eine unliebsame Ehescheidung einfach zu verwehren – noch dazu in einer Zeit, in der die gänzliche juristische Aufhebung einer Ehe in einigen europäischen Staaten gar nicht vorgesehen war. Dennoch wurden in Sachsen-Weimar-Eisenach zwischen 1770 und 1830 mindestens 791 Ehen geschieden. Für eines der kleineren Reichsterritorien mit 1830 gerade einmal 230.000 Einwohnern ist dies eine bemerkenswert hohe Anzahl, wie ein Vergleich mit anderen Studien zu Ehescheidungen zeigt. Diese Zahl setzt sich zusammen aus 457 Ehescheidungen des Weimarer Landesteils, 183 Ehescheidungen im Eisenacher Landesteil und zusätzlichen 151 anteilig hinzuzurechnenden Ehescheidungen aus beiden Landesteilen, deren Trennung zwar belegt, das exakte Jahr allerdings nicht bekannt ist. 82 Davon dürfte ein verschwindend geringer Teil in anderen Territorien geschieden worden sein, der über die Kirchenbücher in diese Statistik eingegangen sein könnte. Unter den 101 Ehemännern, deren Familienstand in den Heiratsregistern als geschieden angegeben wurde, war nur ein Auswärtiger. Bei zehn existieren gar keine Angaben zum Aufenthaltsort. Alle anderen geschiedenen Männer stammten aus Sachsen-Weimar-Eisenach bzw. hielten sich dort auf. Die meisten Ehen wurden zwischen 1801 und 1822 geschieden, wobei in den Jahren 1806, 1808 und 1815 Spitzenwerte von rund 32, 43 und 39 Scheidungen nachgewiesen werden konnten. Für den zwischen 1797 und 1830 durch Quellen am besten belegten Weimarer Landesteil können zwei Anstiege der Scheidungen beobachtet werden: 1800 bis 1815 und etwas schwächer 1823 bis 1827. Die beiden Landesteile Weimar und Eisenach weisen teils unterschiedliche 82 Die 151 undatierbaren Ehescheidungen kamen daher anteilig zu den Jahreswerten hinzu, in denen die Scheidung mutmaßlich stattfand. Gemäß den weiteren Einträgen zum geschiedenen Paar wurde ein Zeitraum angenommen, der maximal zehn Jahre bis zur Erwähnung umfasste. Handelt es sich um die nach der Scheidung erfolgte Wiederverheiratung eines Gatten, wurde die Scheidung gemäß den gemachten Beobachtungen zu geschiedenen und wiederverheirateten Paaren innerhalb der sechs Jahre zuvor datiert. Überwiegend sind hier die Angaben aus den Kirchenbüchern eingeflossen. Geschiedene Verstorbene, die zum Todeszeitpunkt älter als 50 Jahre waren, wurden außer Acht gelassen. Insgesamt blieben 38 Scheidungen unberücksichtigt, da sie mangels weiterer Informationen nicht zweifelsfrei dem Untersuchungszeitraum zugeordnet werden konnten.

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Hochphasen auf. 83 Zwar sind in beiden Verwaltungsgebieten die für 1808 erzielten Werte überdurchschnittlich, jedoch fallen die Weimarer Spitzenjahre 1806, 1812 und 1815 im Eisenacher Landesteil im Verhältnis zu den anderen Eisenacher Jahresbilanzen mittelmäßig bis leicht unterdurchschnittlich aus. Für insgesamt 143 zusätzlich beantragte Ehescheidungen ist deren Vollzug nicht belegt und es existieren keinerlei Anhaltspunkte, die auf eine etwaige Anzahl der davon tatsächlich Geschiedenen schließen lassen. Der Großteil dieser Scheidungsklagen, insgesamt 104 Verfahren, wurde in den Registranden erfasst und ereignete sich vor 1804.84 Die daraus erhobenen Einzeldaten zu Ehekonflikten und Ehescheidungen oder zur Summe der Scheidungsklagen sind infolge quellenspezifischer Eigenheiten äußerst vage, weshalb sich die Analyse auf grundlegende Trends beschränkt und auf die detaillierte Auswertung konkreter Daten verzichtet. So entstand der Eindruck, dass mit dem Regierungsantritt Carl Augusts 1775 die Klagen massiv zunahmen. Statt der durchschnittlich acht Anliegen wandten sich nach 1775 circa 17 Paare oder Einzelpersonen pro Jahr an den Landesherrn, überwiegend aufgrund von Ehebruch. Von wenigen Ausnahmen abgesehen wurden zwischen 1779 und 1796 durchschnittlich neun Verfahren pro Jahr angestrebt, bevor sich die Konflikte vor Gericht danach wieder häuften. Insgesamt verzeichnen die Registrande 393 Scheidungs-, Irrungsund andere Eherechtsklagen. 85 Mit 229 Trennungsgesuchen zielten über die Hälfte auf die Scheidung ab. Deren Vollzug konnte bislang in 125 Fällen nachgewiesen werden. Der Ausgang der übrigen 104 Verfahren muss vorerst offenbleiben, da die Registrande und Repertorien gar nicht oder nur beiläufig das Ergebnis der Scheidungsverfahren dokumentieren und nur wenige weitere Quellen für diesen Zeitraum vorliegen. Über 60 Prozent der expliziten Scheidungsklagen gingen bei der Geheimen Kanzlei zwischen 1788 und 1794 bzw. 1797 und 1804 ein.86 Die Klagen nahmen relativ kontinuierlich von durchschnittlich zwei zu Beginn der 1770er Jahre auf insgesamt 16 im Jahr 1803 zu. In der Stadt Weimar wurden zwischen 1770 und 1830 mindestens 207 Ehepaare geschieden.87 Ähnlich den für das gesamte Herzogtum ermittelten Werten sind darunter 129 Scheidungen, deren Trennungsjahr bekannt ist und weitere 78, die

83 Anhang, Grafik 4. 84 Vgl. die Registrande der Geheimen Kanzlei bzw. deren Repertorien, LATh–HStAW, Behörden B852–B892, B892f. Beide Verzeichnisse werden nachfolgend als Registrande oder Repertorien abgekürzt. 85 Anhang, Grafik 5 und 6. 86 Ebd., Grafik 6. 87 Ebd., Tabelle 6. Die Scheidung wurde der Stadt Weimar zugeordnet, wenn bei mindestens einem Partner die Residenzstadt als Wohnort angegeben wurde.

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III. GELEBTE FAMILIEN – NICHT NUR IN WEIMAR

anteilig zum jeweiligen Zeitraum hinzugerechnet wurden. 88 Für den Untersuchungszeitraum sind weitere 31 Anträge auf Ehescheidung mit unbekanntem Ergebnis belegt. Auch hielten sich Geschiedene zeitweilig in der Residenzstadt auf, wurden jedoch nicht durch die dortigen Behörden getrennt. Dazu zählen unter anderem Bedienstete und Nahestehende des Hofes, wie die 1820 geschiedene Hofdame Henriette von Pogwisch, Schillers Schwägerin Caroline von Wolzogen oder Henriette von Egloffstein, eine Freundin Anna Amalias. Insgesamt ergaben bisherige Recherchen für den Zeitraum 1764 bis 1821 weitere 22 Ehescheidungen überwiegend adliger Paare.89 Die Spitzenwerte in Weimar lagen 1808 bei circa neun und 1812 bzw. 1818 bei circa zehn Scheidungen jährlich. Das Verhältnis von Scheidungen zu Eheschließungen betrug im Untersuchungszeitraum 1:24, bei durchschnittlich 82 Eheschließungen und 3,4 Scheidungen im Jahr. Auf eine Scheidung kamen demnach 24 Hochzeiten. Während für die 1770er Jahre gegenüber einer Trennung ungefähr 80 Ehen geschlossen wurden, betrug das Verhältnis zwischen 1806 und 1825 durchschnittlich 1:16. Mit lediglich acht Hochzeiten gegenüber einer Scheidung war das Verhältnis 1818 am dichtesten.90 Bei durchschnittlich 82 Hochzeiten und drei bis vier Scheidungen pro Jahr lag die Scheidungsrate bei etwa drei Prozent. Von insgesamt 4.990 zwischen 1770 und 1830 in den drei Weimarer Pfarreien geschlossenen Ehen wurden 147 später wieder getrennt. Bei vier Prozent der Eheschließungen war mindestens einer der Partner geschieden. Insgesamt scheinen die Werte im Untersuchungszeitraum rapide angestiegen zu sein und gegen Ende wieder etwas abzuflachen. Die tatsächlichen Scheidungszahlen dürften im Herzogtum wie auch in der Stadt Weimar in Anbetracht der lückenhaften Überlieferung weit höher gewesen sein, da in die genannten Ergebnisse überwiegend Ehescheidungen durch landesherrlichen Dispens eingegangen sind. Durch ein förmliches Verfahren vollzogene Scheidungen sind lediglich anhand der Weimarer Kirchenbücher überliefert, alle anderen seriellen Quellen bilden fast ausschließlich Dispensscheidungen ab. Vorausgesetzt die Kirchenbücher, die nachweislich nicht alle Geschiedenen als solche identifizieren, bilden dispensierte wie auch förmliche Scheidungen in gleichem Umfang ab, kann für 1806 bis 1830 das Verhältnis beider Scheidungsarten zueinander bestimmt werden. Dazu wurden die Kirchenbücher Weimars und Jenas als alle Scheidungsarten abbildend den dispensierten Ehescheidungen gegenübergestellt und so der Anteil der Dispensscheidungen an der angegeben Gesamtheit der Trennungen ermittelt. Demnach sind 41 der 96 Ehescheidungen, 88 Anm. 82. 89 WILLKOMMEN, Ehescheidung (2009), S. 131–136. 90 Anhang, Tabelle 3.

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die sich gemäß den Kirchenbüchern zwischen 1806 bis 1830 ereigneten, durch den Landesherrn vollzogen worden. Folglich wurden 42,7 Prozent mittels Dispens geschieden, also knapp die Hälfte aller Paare. Hierbei muss es sich nicht ausschließlich um geschiedene Paare aus Weimar handeln, zumal bei circa 15 bis 20 Prozent der in den Kirchenbüchern als geschieden Verzeichneten explizit ein auswärtiger Aufenthaltsort angegeben wurde. Für das Verhältnis der beiden Scheidungsverfahren zueinander ist dies unerheblich. Ein systematisches Abwandern einzelner oder beider Ehepartner nach der Scheidung wurde durch die Forschung und auch für Sachsen-WeimarEisenach nicht beobachtet. Hinsichtlich der für die Stadt Weimar konstatierten Scheidungszahlen wird anhand der Zuwanderungszahlen deshalb angenommen, dass zugewanderte Geschiedene die abgewanderten Geschiedenen mindestens ausglichen bzw. dass mit steigenden Bevölkerungszahlen proportional die Zahl geschiedener Paare wuchs, in ihrem Verhältnis zu den vorhandenen Ehen der Anteil Geschiedener nicht oder nur leicht stieg.91 Bei einem Anteil der Dispensscheidungen an der Gesamtscheidungszahl von etwa 42,7 Prozent wären bei insgesamt 78 Dispensscheidungen zwischen 1806 und 1830 in Weimar tatsächlich 183 Paare geschieden worden. Gegenüber den für diesen Zeitraum nachgewiesenen 145 Scheidungen ergibt dies eine Differenz von fast 40 Paaren. Somit wurden bisher lediglich 79 Prozent der tatsächlich geschiedenen Ehen ermittelt. Damit beträgt die jährliche Scheidungsrate statt drei Prozent durchschnittlich fünf Prozent, womit etwa fünf Weimarer Ehen im Jahr geschieden wurden. Gemessen an dem Bevölkerungswachstum waren es in den ersten Jahrzehnten wohl verhältnismäßig weniger, dagegen zu Beginn des 19. Jahrhunderts etwas mehr. Bei einem Anteil von circa 40 Prozent der dispensierten Trennungen an der Gesamtscheidungszahl handelt es sich lediglich um einen Durchschnittswert. Auch schwankte das Verhältnis von förmlichen und Dispensscheidungsverfahren zwischen 1806 und 1830. Deshalb kann diese Relation schwerlich auf die Jahrzehnte zuvor übertragen werden, für die zudem zuverlässige Dispensscheidungszahlen fehlen. Schließlich erweisen sich die ermittelten Mindestwerte gemessen an den Scheidungszahlen anderer Territorien auch ohnedem als überdurchschnittlich hoch. Eine statistische Erhebung aller in Sachsen-Weimar-Eisenach zwischen 1816 und 1824 geschiedenen Ehen durch die Landesdirektion bestätigt die für die Residenzstadt erhobenen Ergebnisse über den Anteil der bislang ermittelten Scheidungen an den tatsächlichen Gesamtscheidungszahlen. Für das Großherzogtum beträgt der Anteil demnach fast 71 Prozent, während für die Residenzstadt knapp 79 Prozent errechnet wurden.92 Somit sind bislang etwa drei Viertel 91 Zur Zuwanderung: HUNSTOCK, Weimar (2011), S. 89. 92 Vgl. Anhang, Tabelle 4.

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aller Scheidungen bekannt. Die geringe Differenz erklärt sich aus den für Weimar bzw. für das (Groß-)Herzogtum hinzugezogenen Quellen. Während die Gesamtscheidungszahlen für die Stadt neben den Dispensscheidungsakten vor allem aus den Kirchenbüchern erhoben wurden, liegen diese für das gesamte Land nur noch für die Stadt Jena in transkribierter Form vor. Deshalb reichen die Werte für Weimar mit etwa 79 Prozent geringfügig näher an die tatsächliche Scheidungssumme heran als jene 71 Prozent für das Großherzogtum. Der Anteil von etwa 71 Prozent ergibt sich aus dem Verhältnis der aus verschiedenen Überlieferungen ermittelten jährlichen Ehescheidungen zu denen der Landesdirektion. Während der Landesbehörde zufolge zwischen 1816 und 1824 durchschnittlich 30 Ehen pro Jahr geschieden wurden, konnten für den gleichen Zeitraum nur etwa 19 Scheidungen aus anderen Quellen erhoben werden. Die Angaben der Landesdirektion sind nicht in die eigenen Berechnungen integrierbar, weil in die eigenen Werte auch die innerhalb eines Zeitraums erfolgten und deshalb pro Jahr anteilig zu berechnenden Scheidungen einkalkuliert wurden. Ausgehend davon, dass die bisher für das Großherzogtum ermittelten 791 Scheidungen nur etwa 71 Prozent der insgesamt geschiedenen Ehen darstellen, würde die tatsächliche Summe 1.117 betragen. Angesichts der quantitativen Entwicklung der Scheidungszahlen im gesamten Untersuchungszeitraum wurden zwischen 1770 und 1830 schätzungsweise rund 1.000 Ehen geschieden. Auf die Stadt Weimar kann der Anteil von 71 Prozent der für das (Groß-)Herzogtum ermittelten Scheidungen an den tatsächlichen Gesamtscheidungszahlen nicht ohne Weiteres übertragen werden, da die ländlichen und städtischen Scheidungsraten anscheinend voneinander abwichen. Ein Vergleich der jeweiligen Relationen von Eheschließungen zu -scheidungen identifiziert die Weimarer Werte gegenüber denen des Großherzogtums als wesentlich. In der Residenzstadt kamen zwischen 1816 und 1824 auf eine Scheidung durchschnittlich 15 Eheschließungen, im gesamten Land betrug das Verhältnis laut Landesdirektion jedoch nur 1:61.93 Vereinzelt sind statistische Schwankungen und Ausbrüche auf die vorhandenen oder fehlenden Quellen zurückzuführen. 94 So stiegen die ermittelten Scheidungszahlen Sachsen-Weimar-Eisenachs 1797 mit dem Aufzeichnungsbeginn der Schulfonds-Akte an und erfuhren mit den seit 1805 überlieferten Dispensscheidungsakten einen weiteren Anstieg. Weil für den Zeitraum von 1805 bis 1822 die Quellenbasis am dichtesten ist, sind in diesen Jahren gemessen am restlichen Untersuchungszeitraum die Zahlen höher. Da für die Jahrzehnte vor 1797 sämtliche Scheidungsakten fehlen und die frühen Jahrgänge der Weimarer 93 Anhang, Tabelle 4. 94 Anhang, Grafik 3.

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Kirchenbücher stetig weniger Ehescheidungen verzeichnen, darf der Anstieg sowohl der nachgewiesenen Trennungen als auch der Scheidungsanträge bis 1797 nicht fehlinterpretiert werden. Ähnlich den wilden Ehen, in denen Paare ohne obrigkeitliche Zustimmung zusammenlebten, trennten sich verheiratete Paare eigenmächtig und ohne gerichtliche Weisung. Auch wilde Scheidungen waren strafbar, da sie das staatlich und kirchlich propagierte Ideal familiären Zusammenlebens untergruben und das obrigkeitlich geschlossene und nur durch diese wieder zu trennende Ehebündnis autonom kündigten. Die Regierung in Weimar befürchtete etwa die Erregung öffentlichen Ärgernisses und vermutlich auch eine negative Vorbildwirkung auf andere Eheleute, wenn Verheiratete unerlaubt getrennt lebten. 95 Mehrere der später geschiedenen Weimarer Ehepaare hatten sich zuvor eigenmächtig getrennt und auch andere in den Akten genannte Eheleute lebten in verschiedenen Haushalten. Die tatsächlichen quantitativen Ausmaße gehen aus den Quellen jedoch nicht hervor. Silvia Möhle widmete sich ebenfalls den von ihr als „Selbstscheidungen“ bezeichneten eigenmächtigen Trennungen. Sie wies nach, dass mehrere Paare dabei sogar durch Notare unterstützt wurden, indem diese die für die Trennung getroffenen Vergleiche beurkundeten. Wilde Scheidungen wären in Göttingen häufig vorgekommen, wobei sie dazu leider keine Größenordnungen anführt.96 Im Gegensatz zu den protestantischen Territorien des Alten Reiches wurden in England Ehepaare von Tisch und Bett getrennt und nur in Ausnahmefällen durch das Parlament geschieden. Umso häufiger trennten sich Paare eigenmächtig, laut Lawrence Stone besonders in den ärmeren Bevölkerungsschichten. Auf diese Weise endeten im Dorf Colyton in Devon zwischen 1741 und 1769 ungefähr zehn Prozent der Ehen. Meist verließen Männer ihre Frauen, häufig gingen sie aus Armut zur Armee und wurden dadurch gesetzlich von ihren familiären Pflichten entbunden. Insgesamt schätzt Stone den Anteil der durch Scheidung gerichtlich oder eigenmächtig getrennten Gatten auf vier Prozent aller Ehepaare. 97 In Sachsen-Weimar-Eisenach wurden hingegen mindestens fünf Prozent aller Ehen geschieden. Die Zahl der getrennt lebenden Paare dürfte daher weit höher als jene in England gewesen sein. In der Residenzstadt lebten von 1770 bis 1830 etwa 6.000 bis 10.000 Einwohner, mindestens 207 Ehepaare wurden in dieser Zeit geschieden. Vergleiche mit anderen Studien zur Ehescheidungspraxis bestätigen den Eindruck, dass in Weimar außergewöhnlich viele Scheidungen vollzogen wurden. Ein unmittel95 Scheidungen Weimar (1825–1828), LATh–HStAW, Rechtspflege B2608, fol. 95r. 96 MÖHLE, Ehekonflikte (1997), S. 185–187. 97 STONE, Broken Lives (1993), S. 5f., 12.

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barer quantitativer Vergleich der für Sachsen-Weimar-Eisenach erhobenen Daten mit den Werten anderer Territorien birgt jedoch verschiedene Schwierigkeiten. Zunächst mangelt es an vergleichbaren Werten: Für den Europäischen Raum und den Untersuchungszeitraum 1770 bis 1830 existieren gerade einmal zehn Forschungsarbeiten zum Phänomen Ehekonflikt und Ehescheidung, die quantitative Angaben beinhalten und vergleichend einbezogen werden können. Außerdem wenden die einzelnen Studien unterschiedliche Analyseparameter an. Silvia Möhle zählt für Göttingen von 1740 bis 1840 bei zuletzt etwa 10.000 Einwohnern 190 Ehekonflikte vor dem Göttinger Konsistorium. Die untersuchten Fälle wurden von ihr aus Akten, Kirchenbüchern und anderen Quellen zusammengetragen und sind nicht als lückenloser Bestand überliefert.98 Innerhalb der 190 Konflikte klagten 156 Ehegatten auf die endgültige Trennung, wobei Möhle aufgrund der fehlenden Urteile keine quantitativen Angaben zu den tatsächlich vollzogenen Scheidungen machen kann.99 Damit liegen jene Scheidungszahlen weit unter den für Weimar ermittelten 207 Trennungen innerhalb von 60 Jahren. Selbst wenn durch Dispens geschiedene Göttinger Ehen, die nicht in Möhles Erhebungen eingingen, zu den höchstens 156 Scheidungen hinzukämen, würden sich die Werte vermutlich noch immer weit unter den Weimarer Scheidungszahlen bewegen.100 Für Preußen ermittelte Dirk Blasius insgesamt 631 Ehen, die 1810 durch preußische Gerichte geschieden wurden, darunter 264 vor dem Stadtgericht Berlin. Von 1817 bis 1822 waren es 17.944, davon 3.533 im Regierungsbezirk Potsdam (dazu gehörte Berlin). Im selben Zeitraum trennten die Gerichte in Sachsen-Weimar-Eisenach 185 Ehen. 101 Leider lässt er die Werte der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts hinsichtlich ihrer Relation zu Eheschließungen oder Einwohnerzahlen unkommentiert. Erst für die 1840er Jahre und die darauffolgenden Jahrzehnte wertet Blasius die von ihm erhobenen Daten hinsichtlich demografischer Entwicklungen aus: Demnach sind im Jahr 1840 insgesamt 3.000 Ehen der etwa 14,9 Millionen Einwohner geschieden worden, zeitgleich fanden 2.470.100 Eheschließungen statt. Resümierend fügt er hinzu: „Das Jahr 1840 verdeutlicht präzise die Größenordnung der preußischen Scheidungsbewegung, die über Jahrzehnte, vom Vormärz bis in die 50er Jahre, etwa 3000 Ehetrenungen pro Jahr auswies.“102 98 99

MÖHLE, Ehekonflikte (1997), S. 41, 84, 206. Davon klagten 156 Ehegatten auf Ehescheidung, 13 auf eine Trennung von Tisch und Bett und 19 baten um die Maßregelung des beklagten Partners. Bei zwei weiteren handelte es sich um ex-officio-Klagen. Ebd., S. 17, 84f. 100 Sylvia Möhle erwähnt die Anwendung des landesherrlichen Dispens bei Ehescheidungen für das Kurfürstentum Hannover, allerdings liegen ihr keine Zahlen vor: ebd., S. 24, 203. 101 RB 8 (1824), Nr. 17 (24.09.1824), S. 109. 102 BLASIUS, Reform (1997), S. 663; BLASIUS, Last (1992), S. 5.

2. ILLEGITIME GEBURTEN UND EHESCHEIDUNGEN IN ZAHLEN

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Damit bietet Blasius ein repräsentatives Verhältnis von Scheidungen und Einwohnerzahlen in Preußen an, das auf 1:4.967 berechenbar ist. In SachsenWeimar-Eisenach liegen die Werte in den scheidungsstarken Jahren von 1816 bis 1820 etwas niedriger: Mit durchschnittlich 35,4 Scheidungen bei 199.114 Einwohnern entspricht dies einem Verhältnis von 1:5.625. Zwar sind die Werte Preußens 1840 und Sachsen-Weimar-Eisenachs 1816 bis 1820 aufgrund der unterschiedlichen Kontexte nur bedingt vergleichbar. Auch lässt Blasius mit der Epochenbezeichnung „Vormärz“ offen, ob die genannten durchschnittlichen 3.000 Scheidungen erst seit den 1830er Jahren gelten oder schon auf die 1820er Jahre bezogen werden können. Die Gegenüberstellung der preußischen und weimarischen Werte verdeutlicht jedoch, dass die Scheidungsrate in Preußen, allerdings auch nur dort, tendenziell höher war als in Sachsen-Weimar-Eisenach. Blasius führt diese hohen Werte auf die Liberalisierungstendenzen Preußens im 19. Jahrhundert zurück. 103 Sie nahmen, wie noch zu zeigen sein wird, ihren Ausgang in der Bevölkerungspolitik Friedrichs II. und fanden in dem seit 1794 geltenden Allgemeinen Landrecht ihren vorläufigen Höhepunkt, dass eine wohlwollende Scheidunsgpraxis in Preußen wie auch in anderen Staaten anregte. Leider nicht vergleichend einbeziehen lässt sich der Untersuchungszeitraum von Günther Erbe, der zum Ehescheidungsrecht im Herzogtum Württemberg arbeitete und quantitative Angaben ausschließlich zum 16. Jahrhundert macht.104 In seinen familiengeschichtlichen Publikationen nennt Andreas Gestrich keine konkreten Scheidungszahlen, sondern unterstreicht stattdessen den Seltenheitswert der Ehescheidung gegenüber den zahlreichen außergerichtlich gelösten Ehestreitigkeiten: Trotz häufig auftretender innerehelicher Konflikte wurden demnach bis in das 19. Jahrhundert hinein unter fünf Prozent durch obrigkeitliches Einwirken geregelt und bei weitem nicht alle aktenkundig gewordenen zerstrittenen Ehepaare geschieden.105 Für die holsteinische protestantische Propstei Münsterdorf wies Alexandra Lutz zwischen 1650 und 1770 insgesamt 107 Ehescheidungen nach. Die Einwohnerzahl dürfte eigenen Hochrechnungen zufolge 1770 über 10.000 betragen haben.106 Folglich sind in Münsterdorf gerade einmal halb so viele Ehen wie in Sachsen-Weimar-Eisenach geschieden worden. Allerdings sind die jeweiligen Werte wie jene zu Preußen aufgrund der unterschiedlichen zeitlichen Kontexte nur bedingt vergleichbar. 103 104 105 106

Ebd. ERBE, Ehescheidungsrecht (1955), S. 95–144. GESTRICH u.a., Geschichte (2003), S. 536. Die Hochrechnung resultiert aus den von Lutz gemachten Angaben zu den vier Städten im Untersuchungsraum und darf angesichts der fehlenden Zahlen zum Amt Steinburg lediglich als grober Richtwert angesehen werden. LUTZ, Ehepaare (2006), S. 42–45.

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III. GELEBTE FAMILIEN – NICHT NUR IN WEIMAR

Weitere statistische Erhebungen liegen für den deutschsprachigen Rechtsraum bislang nicht vor. Aufgrund ähnlicher rechtlicher Rahmenbedingungen war ein Vergleich mit Hanne Marie Johansens Studie zur Scheidungspraxis in Norwegen äußerst aufschlussreich. Dort beliefen sich die Zahlen gegen Ende des 18. Jahrhunderts auf nur fünf geschiedene Paare pro Jahr. Seit den 1790er Jahren stieg die Scheidungszahl sprunghaft an – verantwortlich für diese Trendwende war die neuerdings freigiebige Ehescheidung durch königliches Dekret, dem Pendant zur Scheidung durch landesherrlichen Dispens in Sachsen-WeimarEisenach. Insgesamt wurden von 1790 bis 1831 unter den rund 900.000 Einwohnern 538 Paare durch königliches Dekret geschieden. Bis 1825 waren es jährlich etwa 15 bis 20 Paare, danach wurden die Scheidungen reduziert, indem begründete Scheidungsgesuche fortan an die Recht sprechenden Behörden gerichtet werden sollten. Während laut Johansen diese fast 560 Ehescheidungen innerhalb von 40 Jahren für Norwegen eine erstaunliche Summe darstellen, sind es gegenüber den Einwohnern und verglichen mit den Weimarer Zahlen bzw. denen des Herzogtums verhältnismäßig wenig geschiedene Ehepaare.107 Der Vergleich mit sämtlichen anderen Studien zu Ehekonflikten im europäischen Raum im (ausgehenden) 18. Jahrhundert bestätigt dieses Ergebnis: Gemessen an deren Scheidungs- und Einwohnerzahlen wurden in Preußen und in Weimar bzw. Sachsen-Weimar-Eisenach die meisten Ehen geschieden. Zwar differieren die rechtlichen und damit verbundenen konfessionellen Rahmenbedingungen für die Trennung einer Ehe mitunter erheblich, was den direkten Vergleich zu erschweren scheint. Die Gegenüberstellung der Werte hinsichtlich der jeweiligen obrigkeitlichen Scheidungspraxis ist dennoch durchaus aussagekräftig und erlaubt Rückschlüsse auf die staatliche Legitimierung eines alternativen, weil durch Scheidung und Neuverheiratung geprägten Familienkonzepts und damit auf unterschiedliche Vorstellungen von Familie und Ehe. Gerade weil in den anderen Territorien die Ehescheidung durch den Landesherrn selbst eine untergeordnete oder gar keine Rolle zu spielen schien bzw. zumindest von der Geschichtswissenschaft bislang kaum beachtet wurde, stellt sich die Frage, warum Carl August so häufig sein Dispensrecht anwendete und inwiefern sich seine Maßstäbe von denen anderer Landesherren und Obrigkeiten unterschieden.

107 JOHANSEN, Marriage Trouble (2005), S. 176, 178; TUCHTENHAGEN, Geschichte Norwegens (2009), S. 83.

3. MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN ALTERNATIVER LEBENSFORMEN

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3. Möglichkeiten und Grenzen alternativer Lebensformen 3. MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN ALTERNATIVER LEBENSFORMEN

3.1 Schicksale: eine Kinderleiche und ein Selbstmord Die in den 1780er Jahren im deutschsprachigen Raum diskutierten Präventionsmöglichkeiten des Kindsmords hatten zu einem veränderten Umgang mit unehelich Geschwängerten auch in Sachsen-Weimar-Eisenach geführt. Der Kindsmord der Witwe Johanna Sophia Christiana Stecher geb. Hauff (1772– 1812) konnte dadurch nicht verhindert werden: Sie soll 1812 ihr zweites uneheliches Kind getötet haben und nahm sich sechs Wochen darauf in der Ilm das Leben.108 Was war geschehen? In den Jahren zuvor hatten die Familien Hauff und Stecher zahlreiche Todesfälle zu beklagen: Johanna Sophia Christiana Stechers jüngerer Bruder überlebte 1802 mit nur elf Jahren die Masern nicht, ihr Vater, der Hofkaminfeger Johann Gottfried Hauff, erlag 1804 einer Krankheit, ihre Schwiegereltern waren kurz darauf 1804 und 1806 an Altersschwäche verstorben. Im Dezember 1807 erlag ihr Ehemann, der Perückenmacher Gottlob August Martin Stecher, mit nur 50 Jahren der Auszehrung und ihre jüngere ledige Schwester starb 1808 nur 21-jährig an Scharlach. Nachdem mehrere ihrer Neffen und Nichten im Kleinkindalter verstarben, erlag deren Mutter bzw. ihre Schwägerin mit 39 Jahren der Lungensucht und hinterließ ihrem Mann fünf Kinder.109 Als Johanna Sophia Christiana Stecher im November 1809 ihr erstes uneheliches Kind bekam, waren ihre Söhne elf und sieben Jahre alt. Der Vater soll kein geringerer als der zweifach geschiedene Hofbuchbinder Johann Christian Schultze gewesen sein. Er stand wie auch die Großmutter des Kindes Pate und wurde dabei von der Hebamme vertreten. Im Sommer 1812 war sie mit einem weiteren unehelichen Kind schwanger. Aus ihrer näheren Familie lebten ihre Mutter und mindestens vier ihrer Geschwister. Als Schwängerer gab sie einen Gärtner namens Körner an. Der leugnete die Vaterschaft, weshalb ihn die Witwe Stecher verklagte. Der Ausgang des Verfahrens ist unbekannt, allerdings erhielt das Stadtgericht einen Reichstaler Strafzahlung angesichts des Körner-Stecherschen Stuprationsfalles. Am 30. September 1812 sei Johanna Sophia Christiana Stecher schließlich mit Vorsatz in die Ilm gesprungen. Tags darauf fand man durch Hinweise der verwaisten 108 Gesky, Bruchstück (1806–1835), LATh–HStAW, Schriften & Drucke F2140, fol. 38r–v; EKAW, TR HK 1772, S. 240; SR SK 1812, fol. 214v, Nr. 123. 109 EKAW, SR SK 1795, fol. 53v; ebd. 1802, fol. 194r, 197v; ebd. 1804, fol. 255r, 259r; ebd. 1806, fol. 33r, 37v; ebd. 1807, fol. 83v; ebd. 1808, fol. 86v, 92v; ebd. 1811, fol. 181v, Nr. 91; ebd. fol. 183r, Nr. 103.

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III. GELEBTE FAMILIEN – NICHT NUR IN WEIMAR

14-, zehn- und drei-jährigen Söhne die Leiche des Neugeborenen im Garten der Familie Stecher.110 Das uneheliche Kind sei laut dem städtischen Sterberegister verscharrt worden. Dessen Geschlecht oder ob es bei der Geburt lebte, konnten die damaligen Instanzen nicht mehr ermitteln. Mutter und Kind wurden schließlich nach erfolgter Obduktion mit Erlaubnis des Oberkonsistoriums gemeinsam beerdigt.111 Vielleicht kam das Kind, möglicherweise eine Frühgeburt, bereits tot zur Welt, vielleicht setzten bei der mehrfachen Mutter Wehen und Geburt auch sehr plötzlich ein und sie konnte deshalb keine Hebamme oder andere Personen um Hilfe bitten. Vielleicht waren es aber auch finanzielle Nöte, die sie im Affekt und aus Verzweiflung das Kind töten ließen. Möglicherweise litt sie unter einer (Wochenbett-)Depression oder nahm sich aus Angst vor einem Kindsmordprozess und dessen sozialen und wirtschaftlichen Folgen für sich und ihre Angehörigen das Leben. Die Hintergründe dieser Tragödie sind nicht ausreichend geklärt, um die Kinderleiche im Garten und den Selbstmord der Mutter plausibel erklären zu können. Dafür verdeutlicht das Schicksal dieser Familie und der Johanna Sophia Christiana Stecher eindrucksvoll die bedrückende Lage, in die Frauen, noch dazu wie hier aus einem angesehenen bürgerlichen Umfeld, mit einem illegitimen Kind geraten konnten. Ohnehin belasteten Krankheit und Tod im näheren Verwandtenkreis die Hinterbliebenen mindestens finanziell, da mit den verstorbenen Ehemännern, Eltern, Schwiegereltern und anderen Verwandten das Versorgungsnetz wegbrach. Ein uneheliches Kind bedeutete in dieser Situation zusätzliche Kosten, die bereits mit den gesetzlich vorgeschriebenen Strafzahlungen für die uneheliche Schwangerschaft begannen. Gleichzeitig büßten die Mütter massiv an Ansehen und mitunter auch an familiärem Rückhalt ein, wenn sich Verwandte abwandten.

3.2. Ausnahmen: Goethes wilde Ehe und die Mätresse des Herzogs Illegitimität und Ehescheidung kamen in Weimar keinesfalls ausschließlich in den unteren sozialen Schichten vor, sondern waren ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Den Akteuren eröffneten sich je nach ihrer Standeszugehörigkeit spezifische Handlungsspielräume. Dabei war nicht ausschließlich der Adel privilegiert und ebenso wenig die niederen Bevölkerungsgruppen durchweg 110 EKAW, TR SK 1809, fol. 204v; Heiratsdispensationsgelder (1811–1817), StAW, Amtsbücher 23/1, unpag. (1812/1813); Gesky, Bruchstück (1806–1835), LATh– HStAW, Schriften & Drucke F2140, fol. 38r–v: Sie war Witbe, und schwanger hatte aber die Geburt schon umgebracht, welches den andern Tag [sc. nach dem Selbstmord, A.W.] in ihren Garten gefunden worden, nach Aussage ihren eigenen Söhnen. 111 EKAW, SR SK 1812, fol. 214v, Nr. 124.

3. MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN ALTERNATIVER LEBENSFORMEN

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benachteiligt. Vielmehr sahen sich Geschiedene oder in wilder Ehe Lebende bzw. Mütter unehelicher Kinder unabhängig von ihrer sozialen Herkunft mit ähnlichen Auswirkungen konfrontiert, da grundlegende familiale Normen ständeübergreifend galten. Wenige prominente Personen scheinen allerdings über jegliche Konsequenzen erhaben gewesen zu sein. Die wohl bekannteste wilde Ehe führten in Weimar Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) und Johanna Christiane Sophia Vulpius (1765–1816). Sie bekam zwischen 1789 und 1802 fünf Kinder, von denen jedoch nur der älteste Sohn August von Goethe überlebte. Alle anderen starben wenige Tage oder Wochen nach der Geburt.112 Dass für das Paar Goethe-Vulpius in vielerlei Hinsicht eine Ausnahme von bestehenden Gesetzen gemacht wurde, bezeugt deren jahrelange unbehelligte gemeinsame Haushaltsführung. In den gesichteten Quellen wie den Registranden der Geheimen Kanzlei, aber auch in Rechnungsbüchern des Rentamts Weimar wurden an keiner Stelle Strafzahlungen für uneheliche Schwängerung oder widerrechtliches Zusammenleben vermerkt.113 Die zuständigen Institutionen ersparten dem Geheimrat und seiner Lebensgefährtin vermutlich bewusst die sonst üblichen Sanktionen. Schließlich wäre Goethes Einfluss ausreichend gewesen, um mit Hilfe des Herzogs etwaige Strafen abzuwenden. Ungewöhnlich sind auch die Taufbucheinträge der vier in der Hofkirche getauften Kinder. Weil die Pfarrei wohl die Verzeichnung illegitimer Geburten in ihren Geburtenregistern vermied, wies der Schreiber nur zwei Kinder von Goethes Kindern explizit als unehelich aus – im Untersuchungszeitraum waren es insgesamt drei.114 Statt wie üblich den Vater des Kindes und dann dessen Ehefrau anzugeben und das Kind als deren gemeinsames zu nennen, wird die Kindsmutter über ihren Vater identifiziert. So heißt es beispielsweise bei August Walther: Des weiland Fürstl. Sächsisch-Amts-Archivarii allhier Herrn Johann Friedrich Vulpius nachgelassenen eheleiblichen Tochter erster Ehe Johannen Christianen Sophien Söhnlein ist geboren am 112 EKAW, TR HK 1789, S. 116, Nr. 47; ebd. 1793, S. 327, Nr. 41; ebd. 1795, S. 438; ebd. 1802, S. 242; ebd. TR SK 1791, fol. 150v, Nr. 93; ebd. SR SK 1791, fol. 10r; ebd. 1793, fol. 38r; ebd. 1795, fol. 65v; ebd. 1802, fol. 213r. 113 In den Rechnungsbüchern des Rentamts sind die Strafzahlungen anderer Mütter und Paare für uneheliche Schwangerschaft oder vorehelichen Beischlaf eingetragen, vgl. Rentamt Weimar (1788–1807) LATh–HStAW, Rechnungen 10928/124–141. 114 Die 1787 und 1789 geborenen Kinder des Hoflakaien Wilhelm Holzhauer und Sophia Lesner, Tochter eines fürstlichen Bauknechts, sind die einzigen unehelichen, die zwischen 1770 und 1830 in den Taufbüchern der Hofkirche verzeichnet wurden. Das erste Kind wurde im Fließtext explizit als unehelich ausgewiesen, beim zweiten wurden beide Eltern als verlobt angegeben und das Kind als erzeugte Töchterlein bezeichnet. Die Eltern heirateten 1790, EKAW, TR HK 1787, S. 437, Nr. 11; ebd. 1789, S. 70, Nr. 10; ebd. HR HK 1790, S. 415.

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III. GELEBTE FAMILIEN – NICHT NUR IN WEIMAR

[…].115 Weder wurde die Mutter explizit als unverheiratet angegeben, noch ihr Kind als illegitim. Die zwei weiteren Einträge der Kinder von Christiane Vulpius in den Taufbüchern der Hofkirche lauten ähnlich.116 In den Taufregistern der Stadt- und Garnisonskirche findet sich entweder neben dem Eintrag die Schwurhand als Symbol, dass die Mutter die Angabe des Kindsvaters beschwor und demnach nicht mit ihm verheiratet war, oder das Kind wurde im Fließtext als unehelich bezeichnet. Beides weist die Geburt eindeutig als unehelich aus. So heißt es denn auch bei Goethes einzigem in dem Taufbuch der Stadtkirche eingetragenen Sohn: Christiana Sophie Vulbiußin, den 14. Octobr einen unehel. Sohn [sic] Todtzur Welt gebohren […].117 Es ist der einzige Eintrag, der ein Kind von Christiane Vulpius explizit als unehelich ausweist. Auch die Sterberegister erwähnen weder den Vater des Kindes noch dessen Illegitimität. Einzig bei August Walther von Goethe wurde 1801 nachträglich dessen Legitimation als August Goethe vermerkt. Die Kinder von Goethe und Christiane Vulpius wurden zwar in den Taufbüchern der Hofkirche nicht explizit als unehelich angegeben. Da jedoch der Kindsvater und Ehemann fehlte und stattdessen der Vater der Mutter als männliche Bezugsperson angegeben wurde, war die Illegitimität offensichtlich. Die Sonderbehandlung ist letztlich auf Goethes Popularität zurückzuführen. Goethe und Christiane Vulpius führten über Jahre hinweg anscheinend ungestraft, ja angesichts der zahlreichen gesellschaftlichen Vernetzungen und Kontakte sogar geduldet eine uneheliche Beziehung. Erst im Oktober 1806 legitimierten sie ihre bis dato geführte wilde Ehe.118 Zeitgenossen vermuteten als Ursache für die dauerhaft unbehelligt gebliebene Partnerschaft Goethes Freundschaft zu Carl August und die Verehrung des Dichters schon zu Lebzeiten: In ihrer Autobiografie schilderte die Sängerin Henriette Caroline Friederike Jagemann, später geadelte von Heygendorff, wie andere Theaterangestellte der Geliebten Goethes theils den Hof machte[n]; theils ihren Hof bildete[n], um so die Aufmerksamkeit und Gunst des Dichters und damaligen Intendanten zu gewinnen. Caroline Jagemann empfand retrospektiv die wilde Ehe als Affront gegenüber der gesellschaftlichen Ordnung und erregte doch wenig später als Geliebte des Herzogs selbst öffentliches Aufsehen.119 Im Gegensatz zu Christiane Vulpius erlangte die Hofsängerin schon unter Zeitgenossen nicht nur als Mutter illegitimer Kinder Berühmtheit. Vielmehr verhalf sie als eine der anerkanntesten deutschen Sopranistinnen dem Weimarer 115 116 117 118 119

EKAW, TR HK 1789, S. 116, Nr. 47. EKAW, TR HK 1793, S. 327, Nr. 41; ebd. 1795, S. 438. EKAW, TR SK 1791, fol. 150v, Nr. 93. EKAW, HR HK 1806, S. 67. EKAW, TR HK 1777, S. 4; ebd. 1807, Nr. 482; EMDE (Hg.), Selbstinszenierungen 1 (2004), S. 168f.

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Theater zu einem ausgezeichneten Ruf, was ebenso wie ihre künstlerische Leistung erst von der neueren Forschung angemessen gewürdigt wird. Ihre dem Bürgertum angehörenden Eltern, der Weimarer Bibliothekar Christian Joseph Jagemann und Marianne Barbara geb. Spörer, die Tochter des Schwabacher Stadt-Physikus, ließen sie als Zehnjährige erstmals Gesangsunterricht nehmen.120 Aus vermeintlich geordneten Verhältnissen kommend wurde Caroline Jagemann früh mit familiären Krisen und unkonventionellen Lebenskonzepten konfrontiert: 1788 ließen sich ihre Eltern scheiden. Gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester lebte sie bei ihrer Mutter zuweilen in ärmlichen Verhältnissen. Nach Abschluss der durch die Herzoginmutter Anna Amalia finanzierten Gesangsausbildung und mehreren auswärtigen Arrangements kehrte sie 1797 nach Weimar für eine Anstellung am dortigen Hoftheater zurück. In den darauffolgenden Jahren entwickelte sich zwischen ihr und dem Herzog eine romantische Beziehung. Erst 1801 gab Caroline Jagemann ihren Widerstand auf und Carl Augusts stetigem Werben nach und lebte fortan mit dem Einverständnis der Herzogin als seine Geliebte.121 1806 wurde das erste von drei gemeinsamen Kindern geboren, der spätere Generalmajor Carl Wolfgang von Heygendorff. Goethe übernahm dessen Patenschaft. Die Einträge in den Taufregistern der Hofkirche sind denen der Goethe-Kinder teilweise ähnlich: Es fehlen direkte Hinweise auf die Illegitimität oder Angaben zum Vater. Der Schreiber identifiziert bei der Geburt des ersten Kindes die Mutter, ähnlich dem Eintrag zu Christiane Vulpius und August Goethe, über ihren Vater und weist den Sohn nicht als unehelich aus. Nicht Henriette Caroline Friederike Jagemann, sondern deren jüngere Schwester Sophia Carolina Dorothea Jagemann wurde als Mutter des ersten und auch des zweiten Täuflings angegeben. Erst 1875 wurden beide Vornamen korrigiert. Was der Schreiber damit bezweckte, leuchtet nicht ein. Als Taufnamen gab er statt Carl Wolfgang in Schönschrift und ohne nachträgliche Korrekturspuren Carl von Wolfgang an. 122 Ob hier ein Schreibfehler vorliegt oder die eigentümliche Standeserhebung im Vornamen auf die besondere Herkunft des Kindes verweisen sollte, beantwortet der Eintrag nicht. Der zweite Eintrag weicht entscheidend ab: Statt die Mutter des Kindes über ihren Vater zu identifizieren, heißt es: Frau Sophia Carolina Dorothea von Heygendorf, geb. Jagemann ihr adliches Söhnchen wurde geboren am […]. Der Taufeintrag des dritten 120 EMDE (Hg.), Selbstinszenierungen 1 (2004), S. 267; B. SCHMIDT, Art. Jagemann, Caroline, in: FrauenGestalten (2009), S. 201, 203. 121 Registrande (1788), LATh–HStAW, Behörden B889, fol. 23v, 33v; EKAW, HR HK 1788, S. 352; EMDE (Hg.), Selbstinszenierungen 1 (2004), S. 103, 214–264; B. SCHMIDT, Art. Jagemann, Caroline, in: FrauenGestalten (2009), S. 201f. 122 EKAW, TR HK 1807, Nr. 482. Ein besonderer Dank gilt hier Sabine Schäfer (Goetheund Schiller-Archiv Weimar).

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Kindes lautet ähnlich. Durch die Angabe des Geburtsnamens erscheint die Mutter zunächst ehelich, doch weist das Fehlen des Ehemanns und Kindsvaters den Täufling nach wie vor als illegitim aus.123 Verglichen mit den übrigen Taufbucheinträgen waren Caroline Jagemann und ihre drei Kinder wie auch Christiane Vulpius durchaus privilegiert, jedoch letztlich durch den fehlenden Kindsvater auch für die nachfolgenden Generationen als unehelich Gebärende erkennbar. Viele unehelich Gebärende und geschiedene oder verwitwete Alleinerziehende sorgten sich um die eigene wirtschaftliche Situation und lebten häufig in ärmlichen Verhältnissen. Hier bildet die Geliebte des Herzogs mit ihren Kindern eine Ausnahme: Gemäß den Abschätzungsrollen von 1820 setzte sich ihr angebl. Vermögen aus einem Kapitalwert des Gartens von 500 Talern, dem Jahresertrag des Hauses von 200 Talern, 250 Talern Jahresertrag aus 5.000 Talern beweglichem Vermögen, ihrer Besoldung als Kammersängerin von 200 Talern, 300 Talern für ihre Domestiken sowie einem zusätzlichem Bezug von 2.000 Talern zusammen.124 Carl August traf Maßnahmen, wie sie für eine Ehefrau zur linken Hand üblich gewesen wären: Er erhob seine Geliebte und den gemeinsamen Sohn 1809 in den erblichen Adelsstand und regelte zu seinen Lebzeiten deren Versorgung auch nach seinem Tod.125 Hatte Caroline Jagemann selbst als Kind die ständigen finanziellen Sorgen ihrer eigenen alleinerziehenden Mutter erlebt, musste sie nicht wie andere alleinstehende Mütter Versorgungsengpässe und Armut fürchten. Weit weniger offensichtlich als Sonderfall zu erkennen sind privilegierte Ehescheidungen. Für fast alle untersuchten Ehepaare war das übliche juristische Verfahren mit mindestens einem Gesuch, einem Bericht der Regierung und einem Versöhnungsversuch verpflichtend. Hofangestellten oder Paaren mit Beziehungen zu Staatsdienern oder dem Herzog selbst wurde das persönliche Erscheinen beim Sühnetermin mitunter nachgelassen.126 Teilweise ordnete Carl August auch direkt auf das Gesuch hin die Scheidung an und verlangte den Bericht nur, sofern die Regierung Einwände gegen eine Trennung vorgebracht hätte. 127 Die beruflichen und ökonomischen Konsequenzen konnten je nach 123 EKAW, TR HK 1810, S. 93; ebd. 1812, S. 194. 124 Abschätzungsrolle B (1820), LATh–HStAW, Steuern B18107, fol. 28v. 125 B. SCHMIDT, Art. Jagemann, Caroline, in: FrauenGestalten (2009), S. 202; EMDE (Hg.), Selbstinszenierungen 1 (2004), S. 214–264, 327. 126 Scheidungen Weimar (1806–1807), LATh–HStAW, Rechtspflege B2577, fol. 28r; Scheidungen Weimar (1807–1810), LATh–HStAW, Rechtspflege B2581, fol. 27r–28r, 62v–63r; Ehescheidung v. Danckelmann (1815), LATh–HStAW, Rechtspflege B2601, fol. 1v, 6r–v. 127 Scheidungen Weimar (1805–1806), LATh–HStAW, Rechtspflege B2576, fol. 15r–18r; Scheidungen Weimar (1806–1807), LATh–HStAW, Rechtspflege B2577, fol. 24r–28r; Ehescheidung v. Danckelmann (1815), LATh–HStAW, Rechtspflege B2601, fol. 6r–v.

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Vermögenslage bzw. Standeszugehörigkeit stark variieren, wodurch hier keine Generalisierungen möglich und somit auch keine Ausnahmeregelungen festzustellen sind. Die gesellschaftlichen Auswirkungen einer Ehescheidung innerhalb des jeweiligen sozialen Milieus waren hingegen durchaus ähnlich. Ob und inwieweit bestimmte Personen davon verschont blieben, wird nachgfolgend noch einmal aufgegriffen.

3.3. Die Gesellschaft als mahnende Instanz und schützender Raum 3.3.1. Ehrverlust und Rufschädigung Caroline Jagemann und die wilde Ehe von Goethe und Christiane Vulpius bilden vor allem angesichts ihrer ökonomischen Verhältnisse Ausnahmen. Dank der Goethe widerfahrenen Wertschätzung auch über die Weimarer Gesellschaft hinaus verlor das Paar durch die offen gelebte wilde Ehe vielleicht an moralischer Integrität, jedoch nicht den sozialen Anschluss. Gesellschaftlich wurden sie heimlich und teils auch offen abgelehnt. In ihrer Autobiografie erinnert sich Caroline Jagemann: Für die kleine Stadt etwas Unerhörtes! Daß er der erste und einzige war, der es wagte, der gewohnten Sittlichkeit in dem bescheidenen Weimar so ohne Scheu entgegen zu treten, war ein so entschiedener Beweis seiner Verachtung der öffentlichen Meinung, daß man sich allgemein daran verletzt fühlte und die Sache um so unverzeihlicher fand, als man in ihr einen Mißbrauch des Vorrechts erkannte, das ihn die fürstliche Freundschaft in so mancher Hinsicht gab.128

Mit ihrem langjährigen Vorgesetzten Goethe ging Caroline Jagemann hart ins Gericht und warf ihm vor, dass er Christiane Vulpius in der Völlerey untergehen ließ. Die beiden Frauen waren während ihrer Kindheit Nachbarinnen. Goethes spätere Gattin sei ein sehr hübsches, freundliches, fleißiges Mädchen gewesen, die ihren alten geringpensionierten Vater und eine alte Tante durch die Herstellung künstlicher Blumen versorgte. Goethe habe sie zur Alkoholikerin und dadurch zum Gespött[es] jener jungen Herren gemacht, die ihr so lange Getränke reichten, bis ihre Zunge lallte und ihr Gesicht wie ein Widerschein des Feuers glühte. 129 In dieser Argumentation spiegelt sich eine Wahrnehmung der Frau als Opfer wider: Caroline Jagemann verurteilte zwar das sittenwidrige Verhalten von Christiane Vulpius, machte aber vor allem Goethe für den liederlichen Lebenswandel des einst anständigen Mädchens verantwortlich. Jene Erinnerungen entstanden nach Goethes Tod und wurden erst weit nach Caroline Jagemanns eigenem publiziert. Es bleibt fraglich, inwieweit sie schon zu 128 Zit. nach: EMDE (Hg.), Selbstinszenierungen 1 (2004), S. 168. 129 Ebd.

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Lebzeiten die wilde Ehe des Dichters offen anprangerte. Die Sängerin missbilligte nicht nur die wilde Ehe, sondern verurteilte von Beginn an ihr eigenes, vom Herzog erbetenes uneheliches Verhältnis und damit letztlich auch sich selbst. Auf einen Brief Carl Augusts antwortete sie ihm 1799, dass sie es nicht würde ertragen können vor den Augen der Welt so tief herabgesuncken zu stehen, daß ich mich selbst verachten würde und dass sie für eine Beziehung zu ihm ihren Ruf und ihre Ehre verlieren würde.130 Zunächst rieten Bekannte sogar zur Liaison, um die durch Trübsinnigkeit beeinträchtigte, besorgniserregende Gesundheit des Herzogs zu bessern. Andere bezeichneten jenen Schritt als verhängnisvoll für ihr weiteres Leben. Ein Vater von Caroline Jagemanns Freundinnen gab ihr zu verstehen, dass seine Tochter sie fortan meiden müsste und so werden mehrere dencken. Sie stehen dann allein. Er prophezeite ihr damit die gesellschaftliche Isolation, die für eine Sängerin des Hoftheaters auch ihrem beruflichen Erfolg geschadet hätte. Als sie die Beziehung schließlich einging, wandten sich sogar einstige Befürworter von ihr ab: Caroline von Wolzogen zeigte sich enttäuscht, dass Caroline Jagemann nicht standhaft geblieben war. Dabei kannte Erstere als eine Geschiedene von Beulwitz nur zu gut den Konflikt zwischen individuellen Bedürfnissen und öffentlichem Reputationsverlust durch unkonventionelle Entscheidungen. Auch der Hofmarschall von Luck sei entrüstet gewesen, obwohl er ihr mehrfach zur Affäre mit Carl August geraten haben soll.131 Ohne Frage bietet die Autobiografie Caroline Jagemanns nur eine, nämlich ihre Perspektive auf die Akzeptanz und Ablehnung unehelich gebärender Frauen bzw. in wilder Ehe lebender Paare. Sie verdeutlichen dennoch die Spaltung der Gesellschaft zwischen einer pauschalen Verurteilung illegitimer Beziehungen auf Grundlage vorherrschender Moralvorstellungen einerseits und einer an den individuellen Umständen orientierten Billigung von Affären andererseits. Für die Gesundheit des Landesherrn und damit für das Wohl des Staates waren einige Zeitgenossen bereit, geltende Sittlichkeitsvorstellungen außer Acht zu lassen. Andere verurteilten uneheliche Allianzen, selbst wenn es prominente Personen wie Goethe oder den Herzog bzw. dessen Geliebte betraf. Christiane Vulpius und Caroline Jagemann wurden von weiten Teilen der Gesellschaft missbilligt und bildeten keine Ausnahme – schließlich galten eine außer der Ehe eingegangene Beziehung und daraus hervorgegangene Kinder sowie illegitime Geburten generell für die meisten Zeitgenossen noch immer als anstößig. Sie stellten laut Weimarer Regierung in der Mitte des 18. Jahrhunderts ein Aergerniß des Publici dar.132 Vorstellungen von Moral und Sittlichkeit und die 130 Ebd., S. 215f. [Hervorhebung im Original]. 131 Ebd., S. 216f., 240; WILLKOMMEN, Schiller (2011), S. 100–108. 132 Laster Hurerey (1731–1780), LATh–HStAW, Rechtspflege B2236b, fol. 37v.

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Angst vor dem Verlust der eigenen Ehre setzten junge Frauen massiv unter Druck. Caroline Jagemann verfasste noch Jahrzehnte später ihre Autobiografie, um ihre Entscheidung für die Liaison zum Herzog auch gegenüber ihren Kindern zu rechtfertigen.133 Seit Pierre Bourdieu Ehre als symbolisches Kapital bezeichnete, das in sozialen Interaktionen in nicht-symbolisches Kapital wie Geld, Macht oder Privilegien umgewandelt werden konnte, wird dieser Ansatz immer wieder diskutiert und durch verschiedene Konzepte erweitert oder ersetzt.134 Unabhängig davon ist festzuhalten, dass Ehre immer mit Interaktion und Kommunikation verbunden ist und ihr Verlust die individuelle Teilhabe an Gemeinschaften massiv einschränkte oder gar verhinderte. Sie integrierte den Einzelnen nicht nur in soziale Gefüge wie Handwerksinnungen und den jeweiligen gesellschaftlichen Stand, sondern bildete als Voraussetzung für die gesellschaftliche Verortung einen signifikanten Teil der eigenen Identität. Dabei band das ehrenhafte, gleichartige Verhalten die Gemeinschaftsmitglieder noch fester aneinander und trug maßgeblich zu ihrer positiven Selbst- und Fremdwahrnehmung bei.135 Dementsprechend konnte ein entehrtes oder nicht den Regeln der Gruppe entsprechendes Mitglied von der Familie oder Gemeinde demonstrativ ausgeschlossen werden, da dessen Akzeptanz das Ansehen der gesamten Gruppe infrage stellte. Durch eine ruchbare Affäre gefährdeten Frauen den Ruf Angehöriger. Caroline von Wolzogen entgegnete auf die Sorgen des Ehepaars Schiller angesichts ihrer Kontakte zu Carl Theodor von Dahlberg: Ich habe nichts gethan, was mich compromittieren könnte, also noch weniger euch. 136 Offenbar befürchtete ihre Schwester Charlotte Schiller, dass eine außereheliche Liaison die gesamte Familie in Verruf bringt. Dienstherren entließen ihre Mägde wegen Schwangerschaft und wurden dafür in Preußen seit 1765 bestraft, sofern sie nicht Vorsorgemaßnahmen getroffen hatten, die eine heimliche Geburt verhinderten.137 Durch eine uneheliche Schwängerung verlor eine Ledige ihre Standeszugehörigkeit als Jungfrau, Ehefrau oder Witwe und damit ihre Ehre und blieb entehrt, sofern sie der Schwängerer nicht heiratete.138 Teils schon nach der ersten 133 EMDE (Hg.), Selbstinszenierungen 1 (2004), S. 253. 134 Eine knappe Zusammenfassung von Bourdieus Verständnis von Ehre als symbolisches Kapital und dessen Diskussion in der Forschung bietet Ralf-Peter Fuchs: FUCHS, Ehre (1999), S. 23f., 27f. 135 Ebd., S. 18f. 136 Caroline v. Beulwitz an Charlotte Schiller (1792), in: v. URLICHS, Charlotte 2 (1862), S. 44. 137 MICHALIK, Kindsmord (1997), S. 235. 138 BREIT, Leichtfertigkeit (1991), S. 106f. Verschiedene in diesem Hauptkapitel direkt zitierte Äußerungen sprechen explizit die entehrende Wirkung einer unehelichen Schwangerschaft an. Zur Verwendung des Begriffes sowie zur Bedeutung von Ehre in

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und spätestens mit der zweiten unehelichen Schwangerschaft wurden ledige Mütter als Dirnen angesehen und ihnen die neutrale Bezeichnung geschwächte Weibs Personen verwehrt.139 Deshalb wollte eine Frau Schmidt nicht zu ihren Eltern nach Kahla zurückkehren und eher das aeußerste Mittel ergreifen, als sich der Schande in ihrem Geburtsort aussetzen. Mit ihrer Rückkehr als unehelich Schwangere hätte sie auch ihre Eltern in Misskredit bei der Dorfgemeinschaft gebracht.140 Angehörigen der höheren Stände blieb eine Stigmatisierung und die damit verbundenen Konsequenzen ebenso wenig erspart: Die Kammersängerin Luise Rudorf (Tochter eines preußischen Rittmeisters und einer Geborenen von Britzcke) bekam von Carl August 1796 im preußischen Templin ein Kind und ließ es vorerst von Verwandten aufziehen. Die Schwangerschaft war dennoch bekannt und eine fortwährende Anstellung am Hof damit ausgeschlossen. Nur weil die Herzoginmutter Anna Amalia ihr sehr zugetan war, stellte sie die Sängerin gleich nach ihrer Entlassung aus dem Hofdienst auf Vertragsbasis wieder an, wozu sie weder ehe- noch kinderlos sein musste.141 Trotz der vermeintlichen Wiederherstellung ihrer Ehre durch die fortdauernde Anstellung bei der Herzoginmutter und der damit einhergehenden öffentlichen Würdigung verursachten Luise Rudorfs Auftritte dem Theaterpublikum Unbehagen. Erst die Ehe mit dem 33 Jahre älteren Prinzenerzieher Karl Ludwig von Knebel konnte sie einigermaßen rehabilitieren.142 Hinsichtlich der Heiratschancen war ihre Standeszugehörigkeit gegenüber Frauen aus niederen Schichten wohl vorteilhaft. Immer wieder zogen Schwängerer ihr gegebenes Eheversprechen zurück oder leugneten die Vaterschaft. Zwar waren sie zur Heirat der Geschwängerten gesetzlich verpflichtet, konnten dies aber zuweilen auch durch Alimentationszahlungen umgehen.143 Offizieren war die Ehe mit entehrten Frauen laut des 1818 durch den Herzog erneuerten und ergänzten Verordnung von 1778 sogar untersagt: Heiraten mit Frauenzimmern von schlechter Erziehung, oder gar von dergleichen

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der Frühen Neuzeit unter anderem: FUCHS, Ehre (1999), S. 2f., 12f. Vgl. zur Ehre bei Mädgen: DÜRR, Ehre (1998). Vgl. ferner MEUMANN, Findelkinder (1995), S. 83f. Vgl. unter anderem Schwängerungen Militär (1800–1811), LATh–HStAW, Rechtspflege B2341b, fol. 8v–9r; J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 178. Sie war als Kammerjungfer einer Frau von Breitenbauch mit dem Versprechen der Eheschließung durch einen am Schlossbau beteiligten Künstler geschwängert und dann von ihm verlassen worden: Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 35r. FREYER, Weimarer Hof (2013), S. 213f.; CARIUS, Art. v. Knebel, Luise, in: FrauenGestalten (2009), S. 216; zum Verhältnis Anna Amalias und Luise Rudorfs: EMDE (Hg.), Selbstinszenierungen 1 (2004), S. 161f. Ebd. Alimente Burschbach (1811), LATh–HStAW, HMA 3447, fol. 1r–v; Alimente Ehlinger (1801–1804), LATh–HStAW, HMA 3441, fol. 2r, 4v.

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Aufführung, wodurch ein Officier seine Würde verliert, und die Sitten junger Officiere verderbt werden, sollen schlechterdings nicht statt haben. 144 Frauen mit unehelichen Kindern wurden demnach nicht nur durch gesellschaftliche Normen, sondern auch durch juristische Verordnungen diskriminiert. Angesichts der geschehenen Rufschädigung klagte die Witwe Eva Catharina Döpel geb. Wohlfeld 1802 vor dem Hofgericht Jena gegen die dortigen Stadtgerichte, die sie, wie ein ärztliches Attest bestätigte, zu Unrecht der unehelichen Schwangerschaft beschuldigt hätten. Dadurch sei sie sehr an meiner Ehre und guten Namen gekränkt worden, was bei einer künftigen Wiederverheiratung nachteilig sei. Sie forderte von den Stadtgerichten eine öffentliche Abbitte und Ehren-Erklärung sowie die Übernahme sämtlicher Prozesskosten. In einem Bericht rechtfertigten die Stadtgerichte Jena das Vorgehen unter anderem mit dem hartnäckigen Gerücht der Schwangerschaft, welchem laut Gesetz zur Vermeidung etwaiger Kindsmorde nachgegangen werden musste. Letztlich entschied das Hofgericht, dem Gesuch Eva Catharina Döpels nicht stattzugeben.145 Den Vätern, leiblichen und angeheirateten, blieben gesellschaftliche Ressentiments nicht erspart. Karl Ludwig von Knebels Schwester Henriette von Knebel brach die bis dato tiefe Bindung zu ihrem Bruder für mehrere Jahre ab, nachdem er Luise Rudorf geheiratet und ihren unehelichen Sohn adoptiert hatte.146 [B]loß um aus der Sache zu kommen aus gutem Willen, um nicht beschimpft zu werden, schloss der ledige herzogliche Reisefourier Carl Ehlinger mit seiner von ihm geschwängerten Aufwärterin Johanna Rosina Wilhelmina Breitenherd 1801 einen gerichtlichen Vergleich. Darin hatte er in alle Forderungen der Mutter eingewilligt, damit sie das Kind nicht auf seinen Nachnamen taufen ließ und das soziale Umfeld so an seine illegitime Vaterschaft erinnerte.147 Für manche Väter scheint der Druck und die Angst vor der öffentlichen Demütigung zu groß gewesen zu sein, sodass sie sich selbst oder der Geschwängerten das Leben nahmen. Johann Michael Hirschfeld hatte die von ihm schwangere Magd Maria Elisabethe Bächert aus Elxleben ermordet. Entgegen all seiner Bitten wollte sie ihn als Vater angeben und er befürchtete, dass seine anderweite Verlobung dadurch gelöst würde. Franz David Gesky stellte außerdem bei Selbstmorden einen kausalen Zusammenhang zu unehelichen Schwängerungen her. So sei der Weimarer Knecht Friedrich Knabe tot in der Ilm aufgefunden worden und, so fügt Gesky hinzu, soll eine Magd geschwängert haben.148 Die Hintergründe für diesen Suizid können jedoch nicht mehr geklärt werden. 144 145 146 147 148

Heirat (1759–1864), LATh–HStAW, Militär B38342, fol. 34v. Klage Döpelin (1802), LATh–HStAW, HG Jena, Abt. Weimar 705, fol. 1v–3v, 11r. CARIUS, Art. v. Knebel, Henriette, in: FrauenGestalten (2009), S. 214. Alimente Ehlinger (1801–1804), LATh–HStAW, HMA 3441, fol. 2r, 4r. Gesky, Bruchstück (1806–1835), LATh–HStAW, Schriften & Drucke F2140, fol. 123r– v, 128v, 133r.

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Besonders verhängnisvoll konnte eine außereheliche Schwängerung für den untreuen Ehemann werden, da der ohnehin als Schand- und Straftat erachtete Ehebruch durch das Kind zementiert wurde. Oftmals versuchten dann beide Eheleute, die Schwangerschaft zu verheimlichen, um ihre häuslichen Verhältnisse nicht dem öffentlichen Gerede preiszugeben. Deshalb wollten die Wirtsleute Ehlig vermutlich den Ehebruch des Mannes verheimlichen und hatten die Schwangerschaft ihrer Magd nicht angezeigt bzw. nicht wahrgenommen.149 Einmal unehrenhaft geschwängert, haftete jener Makel Mutter und Kind das ganze Leben lang an und bezeugte ihre vermeintliche sittliche Verwahrlosung.150 Für die 1829 in Weimar zu errichtende Bildungsanstalt für vernachlässigte Kinder listete der Stadtrat potenzielle Schüler auf und charakterisierte sie. Der zwölfjährige Eduard Schwarz habe demnach zwar keine böse [...] Gesinnung, werde aber von der Mutter / er ist wahrscheinlich unehel. / immer zum Betteln gezwungen.151 Deshalb fehle er häufig in der Schule und sei unreinlich. Die uneheliche Geburt war demnach maßgeblich für das Verhalten von Mutter und Kind: Die Mutter, die sich bereits selbst mit der außerehelichen Schwangerschaft strafbar machte, verleitete ihren Sohn angeblich zum Schulschwänzen und zur Kriminalität, zum damals verbotenen Betteln. Die uneheliche Geburt führte demnach bei beiden zur sittlichen Verwahrlosung. Die neunjährige Charlotte Woche, heißt es weiter, ein unehel. Kind, hat bei dem Betteln viele Untugenden angenommen.152 Alle übrigen Kinder wurden hingegen über ihre Väter bzw. über beide Elternteile und deren Erwerbstätigkeit beschrieben. Noch als Erwachsene litten unehelich Geborene unter ihrer Herkunft. Als Carl Wilhelm von Knebel, der illegitime Sohn Carl Augusts und der Sängerin Luise Rudorf, als junger Mann seine Herkunft erfuhr, fraß ein Wurm in seiner Seele.153 Die eigene Unehelichkeit beschämte die Betroffenen und erschwerte ihnen immer wieder den Lebensweg, etwa einen Antrag auf Straferlass oder die Aufnahme in die Handwerksinnungen. Sie wurden gemeinhin von den Zünften ausgeschlossen und, wenn überhaupt, nur nach vorheriger Legitimation aufgenommen. 154 Bis 1811 versagte die Stadtordnung von 1702 ihnen sogar das Bürgerrecht und damit unter anderem die Eheschließung. Laut den Weimarer Heiratsregistern der drei Pfarreien wurden dennoch vor 1811 sechs Ehemänner als unehelich und nur einer von ihnen als Bürger 149 150 151 152 153 154

Kindsmord Kühndorf (1801), LATh–HStAW, SchöppJ 2591, fol. 75v, 81v. SCHUBERT, Arme Leute (1990), S. 131; BUSKE, Fräulein (2004), S. 10. Bildungsanstalt (1829), StAW, HA I-27-91, fol. 3r. Ebd., fol. 4r. Zit. nach: HUSCHKE, Skizzen (1979), S. 260. Straferlassgesuche (1829–1830), LATh–HStAW, Rechtspflege B2873, fol. 53r; HARMS-ZIEGLER, Illegitimität (1991), S. 39–41. Legitimationsanträge für die Aufnahme in Handwerksinnungen vgl. LATh–HStAW, Rechtspflege B2519–B2524.

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ausgewiesen. 155 Ob sie ausnahmsweise das Bürgerrecht erhielten oder ohne Bürgerrecht getraut wurden, geht aus den Einträgen nicht hervor. Trotz ihrer Abstammung und gesellschaftlicher Ressentiments fanden auch unehelich geborene Männer und Frauen einen Ehepartner. Die außer der Ehe gezeugte (Johanna) Maria Elisabetha Seidel (auch: Fargel) heiratete ihren Dienstherrn, den Handelsmann Stolze.156 Der soziale Status unehelicher Kinder wurde im Untersuchungszeitraum nicht mehr nur durch ihre Geburt, sondern vor allem durch den Stand der ledigen Mütter und den Lebenswandel des Kindes geprägt. Letztlich stellten in der Ehe gezeugte Kinder das propagierte Ideal dar und un- oder außerehelich geborenen Kindern und ihren Müttern haftete noch bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum ein Makel an.157 Den gesichteten Quellenkorpora zufolge scheinen die Reaktionen auf Ehescheidungen weitaus differenzierter gewesen zu sein. In Caroline Jagemanns Autobiografie deutet nichts darauf hin, dass sie oder ihre Eltern explizit aufgrund der Scheidung gesellschaftlich gemieden oder sogar angefeindet wurden. Sie selbst wurde als Bürgerliche sogar regelmäßig zu den geselligen Abenden der Familie von Löwenstern eingeladen, an denen neben anderen Adligen auch der Herzog und dessen Kinder teilnahmen. Ob auch andere Bürgerliche eingeladen wurden, geht aus ihrer Autobiografie nicht hervor. Allerdings ermöglichte ihr laut eigener Aussage die Prominenz als Sängerin den für ihren Stand ungewöhnlichen Zugang zu den obersten Kreisen Weimars.158 Somit war ihre außergewöhnliche Begabung für ihre gesellschaftliche Akzeptanz maßgeblich, die Scheidung ihrer Eltern schien dies nicht zu mindern. Einer Scheidung folgte keinesfalls zwangsläufig die berufliche Degradierung oder gar Entlassung. Wohl aber konnten sich Straftaten oder familiäre Krisen, die nicht zwangsweise in einer Scheidung enden mussten, auf die ausgeübte Tätigkeit auswirken. Obwohl dem Richter Haupt aus Riethnordhausen (bei Erfurt) für seinen Ehebruch die Abolition erteilt wurde, wandte sich die Gemeinde auf das laufende Ehebruchsverfahren hin angesichts des von Haupt bekleideten Richteramts an den Herzog.159 Allerdings sind in diesem Fall etwaige Konsequenzen für Haupts Anstellung nicht überliefert. Der sächsische Kurkanzler Carl 155 EKAW, HR GK 1810, S. 694; ebd., HR HK 1786, S. 304; ebd. 1787, S. 317; ebd, HR SK 1801, fol. 166r; ebd. 1808, fol. 248v (unehelich, Bürger, Stiefkind eines Bürgers); ebd. 1809, fol. 266v. 156 Dienstboten Journal 2.1 (1823–1827), StAW, Amtsbücher 29/1, fol. 72v, Nr. 431; EKAW, HR SK 1827, S. 84, Nr. 26; ebd. TR SK 1799, fol. 52v. 157 GLEIXNER, Mensch (1994), S. 50; HARMS-ZIEGLER, Illegitimität (1991), S. 53; BUSKE, Fräulein (2004), S. 10. 158 EMDE (Hg.), Selbstinszenierungen 1 (2004), S. 182f. 159 Registrande (1773), LATh–HStAW, Behörden B859, Nr. 431.

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Abraham von Fritsch wurde hingegen nach einem Familienskandal, woraufhin er sich scheiden ließ, von seinen Ämtern am Dresdner Hof enthoben. 160 Ein anstößiges Privatleben führte hier zur Entlassung. Dienstherren hochrangiger Personen befürchteten mitunter, dass vom Fehlverhalten der Angestellten negativ auf die geltende Moral und Sittlichkeit der jeweiligen Institution geschlossen wurde und sahen sich angesichts gesellschaftlicher Ressentiments in der Pflicht zu reagieren. Dadurch entstanden bei den Geschiedenen und ihren Angehörigen möglicherweise Befürchtungen um die eigene berufliche Position. Caroline von Dacheröden (verheiratete von Humboldt) war der Ansicht, dass sich Schillers Schwägerin Caroline von Beulwitz (verheiratete von Wolzogen) nicht eher von ihrem Gatten scheiden lassen könne, bis deren Mutter die Anstellung als Prinzessinnenerzieherin am Rudolstädter Hof beendet habe.161 Auch soll der Weimarer Kammerherr Georg von Werthern den Wunsch seiner ersten Frau um eine einvernehmliche Scheidung abgelehnt haben, weil er um seine dienstliche Reputation fürchtete. Seine Bedenken stellten sich als vollkommen unbegründet heraus: 1794 wurde der Geschiedene und Wiederverheiratete zum Oberkammerherrn erhoben.162 Letztlich wurde in keinem der bislang bekannten Fälle ein geschiedener Ehepartner einzig aufgrund der Scheidung entlassen oder degradiert. Für Nichtadlige sind Befürchtungen um die berufliche Zukunft innerhalb der gesichteten Quellen nicht belegt. Wie Georg von Werthern setzten auch andere Angestellte staatlicher Behörden bzw. des Hofes ihre Tätigkeit nach der Scheidung ungemindert fort, darunter beispielsweise der Geheime Kanzleibote Johann Heinrich Kayser oder der Geheime Registrator Johann Christian Berg.163 Sogar Hofbedienstete mit erzieherischen Aufgaben, die dazu doch eigentlich traditionelle familiale Werte vertreten sollten, übten als Geschiedene ihren Beruf weiterhin aus: Die 1812 geschiedene Christiane Färber geb. Scheidemantel, selbst Mutter, war von 1806 bis 1823 ununterbrochen Wartefrau der fürstlichen Kinder. Alles deutet in diesem Fall auf das Wohlwollen des Herzogs hin, der die Ehe gegen die Empfehlung der Regierung und trotz fehlender legitimer Gründe trennte.164 Hofhandwerker wie Buchbinder Schultze oder der Hofwagner Johann Christoph Langlotz arbeiteten ebenso weiter. Trotz der strengen Sittlichkeitsregeln in den Handwerksinnungen drohten geschiedenen Handwerkspaaren infolge 160 KREUTZMANN, Art. v. Fritsch, Constanze, in: FrauenGestalten (2009), S. 133. 161 Caroline v. Dacheröden an Wilhelm v. Humboldt (1790), in: SYDOW, Humboldt 1 (1906), S. 107, 143. 162 NOLL, Eröffnung (2005), S. 21; Staatskalender 1794, S. 84. 163 Staatskalender 1807, S. 19, ebd. 1810, S. 20. 164 Staatskalender 1806–1823, bspw. ebd. 1813, S. 189; Scheidungen Weimar (1811–1812), LATh–HStAW, Rechtspflege B2591, fol. 78r–80r.

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der Trennung keine weitreichenden Sanktionen. Wichtig sei lediglich gewesen, dass die Scheidung das Handwerk nicht schädigte.165 Für die meisten der untersuchten Ehescheidungen sind keine drastischen Konsequenzen belegt, was vermutlich der Überlieferung geschuldet ist: Der Großteil wurde durch den Landesherrn geschieden und ist in den Dispensakten dokumentiert. Wenn überhaupt Angaben zur Zeit nach der Trennung existieren, klingen keine nachteiligen Folgen für die Anstellung der Ehegatten an. Zudem wurden Dispensscheidungen meist nicht aufgrund strafbarer Delikte beantragt und häufig angesichts eines Konvoluts verschiedener ehelicher Konflikte ausgesprochen. Entweder erregten sie deshalb weniger Aufsehen oder deren Anstößigkeit schlug sich nicht in den Unterlagen nieder. Zu den förmlichen Scheidungsverfahren etwa infolge von Straftaten wie Ehebruch oder böslichem Verlassen existieren im Rahmen dieser Untersuchung neben den seriellen Quellen selten weitere Belege. Fälle wie der des Richters Haupt deuten jedoch bei förmlichen Scheidungen, die mit strafbarem Verhalten verbunden waren, nachteilige Auswirkungen an. Vielleicht wurden Geschiedene nicht entlassen, aber degradiert. Oder Ehepartner fürchteten die Scheidung, weil sie dann durch die Betreuung etwaiger Kinder oder zusätzliche häusliche Aufgaben ihren beruflichen Pflichten nicht mehr im gleichen Maße nachkommen konnten. Letztlich bleibt es eine Vermutung, dass Scheidungen den beruflichen Werdegang beeinträchtigten, weil durch das Scheidungsverfahren entweder Straftaten oder andere familiäre Skandale aufgedeckt wurden, auf die Vorgesetzte unter dem Eindruck der gesellschaftlichen Empörung reagieren mussten. So anstößig die Umstände einer Trennung für die Gesellschaft und die Dienstherren auch gewesen sein mögen, die Scheidung an sich wurde durch die Obrigkeit vollzogen und dadurch legitimiert. Sie selbst war rechtlich gesehen im Gegensatz zu unehelichen Geburten offiziell erlaubt. Die Trennung einer Ehe erregte dennoch gesellschaftliche Aufmerksamkeit, und das nicht nur aufgrund vorangegangener Straftaten, die überdies nicht immer vorlagen. Verschiedene Paare befürchteten öffentliches Aufsehen durch ein förmliches Verfahren, das sie mit einer Scheidung beim Landesherrn zu vermeiden suchten. Immerhin waren an den üblichen bürokratischen Vorgängen mehrere Personen beteiligt und eine Verbreitung privater Details schwer zu vermeiden. Möglicherweise auch zur Geheimhaltung wurden in den Kirchenbüchern nicht alle Geschiedenen als solche angegeben. Einige Eheleute, vorrangig Hofangestellte und Akademiker, unterließen in ihren Scheidungsgesuchen 165 Staatskalender 1803–1810; Annahme Langlotz (1783–1802), LATh–HStAW, HStA 358; WERKSTETTER, Frauen (2001), S. 131. Katrin Pöhnert geht in ihrer Dissertation zu den Weimarer Hofhandwerkern nicht eigens auf das Phänomen Ehescheidung ein, vgl. PÖHNERT, Hof und Stadt (2012).

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außerdem eine ausführliche Schilderung der Trennungsgründe, um so die Verbreitung kompromittierender Informationen zu vermeiden. 166 Weniger privilegiert waren dagegen wohl Angehörige niederer Berufsgruppen, die immer explizit auf die jeweiligen Trennungsgründe eingingen.167 Ganz verheimlichen ließ sich eine Scheidung ohnehin kaum und fiel günstigstenfalls nicht allzu sehr auf, wenn das Paar schon zuvor getrennt lebte. Eine gezielte Sichtung der Selbstzeugnisse aus dem Umfeld von vier geschiedenen adligen Paaren legte die Brisanz der Thematik Ehescheidungen innerhalb der gebildeteren Stände offen und bietet eine die Autobiografie Caroline Jagemanns ergänzende Perspektive. Geschiedene wurden seitens der Gesellschaft und der eigenen Familie und Freunde teils harsch kritisiert und gemieden. Die Ehemänner fürchteten daher neben beruflichen Nachteilen auch Einbußen ihres sozialen Renommees und sträubten sich mitunter massiv gegen die Scheidungsabsichten ihrer Frauen. Sie sahen ihre Ehre als Familienoberhaupt gefährdet: Wenn eine dem Mann unterstellte Frau die Scheidung beantragte, untergrub sie seine Autorität. Deshalb sei Schillers Schwager Friedrich Wilhelm Ludwig von Beulwitz 1793, und damit zwei Jahre vor der Scheidung von seiner Frau Caroline, später verheiratete von Wolzogen, fest entschlossen, sich nicht trennen zu lassen und lieber unglücklich zu sein, als sich Vorwürfe machen zu müssen, nicht als ein rechtschaffener Mann gehandelt zu haben. 168 Gleichsam befürchtete Georg von Werthern, dass die Gesellschaft ihm als Ehemann die Schuld an der Scheidung geben würde.169 Eine Ehescheidung betraf außerdem auch Eltern und Verwandte der Geschiedenen. Schillers Schwiegermutter Luise von Lengefeld war diese verdrießliche Geschichte ihrer Tochter Caroline, die bewusste Sache, so unangenehm, dass sie es nicht ertragen könne, wenn ihre Tochter sich scheiden lasse. Sie knüpfte ihre Ablehnung an gesellschaftliche Konventionen und unterschied zwischen einer Ehefrau, die mir ihrem Ehemann lebt, ihn liebt und glücklich macht und eine[r] solche[n]. Dabei müsse Caroline von Beulwitz doch einsehen, wie unrecht sie gegen B. [sc. von Beulwitz, A.W.] handelt, zumal es zunächst keinen augenscheinlichen Anlass für Unzufriedenheit oder gar eine Scheidung gab.170 Luise von Lengefeld litt als 166 Scheidungen Weimar (1805–1806), LATh–HStAW, Rechtspflege B2576, fol. 15r, 24r; Scheidungen Weimar (1813–1814), LATh–HStAW, Rechtspflege B2599, fol. 92v–93r; Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 79r. 167 Die Beispiele in den Dispensscheidungsakten sind so zahlreich, dass sie nicht einzeln aufgelistet werden. 168 Luise v. Lengefeld an Charlotte Schiller (1793), in: v. URLICHS, Charlotte 2 (1862), S. 8. 169 NOLL, Eröffnung (2005), S. 29. 170 Luise v. Lengefeld an Charlotte Schiller (1793), in: v. URLICHS, Charlotte 2 (1862), S. 7f.; Luise v. Lengefeld an Schiller (1794), in: ebd., S. 10. Caroline von Wolzogen bewertete selbst weder die finanzielle noch die zwischenmenschliche Situation in ihrer Ehe als

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Mutter unter der Scheidung. Sie empfand es gegenüber dem Ehemann Friedrich Wilhelm Ludwig von Beulwitz als ungerechtfertigt, dass sich ihre Tochter ohne dringende Veranlassung von ihm trennen wollte. Möglicherweise verstärkten hier fehlende, für das Umfeld und die Gesellschaft nachvollziehbare Gründe die Angst um den Verlust sozialen Ansehens. Da nach dem zeitgenössischen Verständnis adeliger Mädchenerziehung das Fehlverhalten der Tochter zwangsläufig auf eine mangelhafte Erziehung der Mutter zurückfiel, sorgte sich Luise von Lengefeld auch um ihr eigenes Renommee. Deshalb war sie auf alles Unangenehme eher als auf etwas Angenehmes vorbereitet.171 Geschiedenen war die Tragweite ihres Handelns für ihr soziales Umfeld durchaus bewusst. So beteuerte Caroline von Wolzogen retrospektiv: Ich wollte […] keinen meiner Freunde in die Unannehmlichkeiten verflechten, die bei der Auflösung eines solchen Verhältnisses nicht ausbleiben.172 Mit Unannehmlichkeiten sind hier wohl üble Nachrede und gesellschaftliche Ausgrenzung gemeint. Sie sind nichts weniger als ausgelöscht und isolirt wie Sie meinen!, versicherte das befreundete Ehepaar Herder der geschiedenen Emilie von Berlepsch. Tatsächlich wurde sie von einigen Mitgliedern der Weimarer Gesellschaft bewusst gemieden, darunter auch Friedrich Schiller. Emilie von Berlepsch fühlte sich in Weimar nach ihrer Scheidung einsam, dort erwarteten sie sehr viele und Mannigfaltige Quaalen und so mancher Verdruß, viele höchst unangenehme Geschäfte, und nicht eine Freude. Dabei hielt sie sich von Kindheit an häufig in der Residenzstadt auf und pflegte bestehende Kontakte nach ihrer Hochzeit weiter. 173 Ob sie die negativen Eindrücke infolge ihrer Scheidung oder unabhängig davon sammelte, darauf ging sie nicht explizit ein. Vor allem beim Verdacht des Ehebruchs wurden geschiedene Frauen als Verlassene und Verstoßene mitunter öffentlich angeprangert.174 Deshalb zogen sie sich zuweilen aus ihrem sozialen Umfeld zurück. Caroline von Wolzogen wollte zunächst während und nach ihrer Scheidung in Schwaben leben. Kurz nach Emilie von Berlepschs Scheidung sei Heinrich Geßner der einzige gewesen,

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prekär: […] da das Einkommen meines Mannes immer zunimmt, so bin ich außer Sorgen […]. (Caroline v. Beulwitz an Wilhelm v. Wolzogen (1787), in: v. WOLZOGEN, Nachlaß 2 (1849), S. 134.) Ihr Mann sei ein durchaus gutes Wesen, mit dem einem das Leben recht leicht wird. (Caroline v. Beulwitz an Wilhelm v. Wolzogen (1788), in: ebd., S. 156.) Luise v. Lengefeld an Charlotte Schiller (1794), in: v. URLICHS, Charlotte 2 (1862), S. 10. V. WOLZOGEN, Schriften 2/2 (1830), S. 102. Caroline und Johann Gottfried Herder an Emilie v. Berlepsch (1801), in: DOBBEK/ARNOLD, Herder Briefe 8 (1984), S. 202; Christian Gottfried Körner an Schiller (1797), in: GOEDEKE, Schiller mit Körner (1878), S. 247; Schiller an Christian Gottfried Körner (1798), in: ebd., S. 297; Emilie v. Berlepsch an Jean Paul (1797), in: BEREND, Jean Pauls Werke 4/2 (2004), S. 380, 385, 388; WILLKOMMEN, (Aus-)Wege (2018), S. 63. HEROLD-SCHMIDT, Lebensperspektiven (2005), S. 235.

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der sie in der Schweiz ausfindig machen und zu ihr Kontakt aufnehmen konnte. Selbst Jahre danach soll sie bei Besuchen in Weimar öffentliche Orte und jegliche Gesellschaft gemieden haben – möglicherweise als Reaktion auf die oben geschilderten, schlechten Erfahrungen.175 Die Ehescheidungen der Caroline von Wolzogen und der Emilie von Berlepsch verdeutlichen exemplarisch, dass Geschiedenen höherer Schichten gesellschaftliche Isolation und Anfeindungen sogar aus der eigenen Familie entgegenschlugen. Während der Staat die Trennung der Eheleute gestattete, beurteilte das soziale Umfeld ebenso und strafte einen oder beide Ehegatten schlimmstenfalls durch Ausgrenzung. Somit war eine Ehescheidung wie auch eine uneheliche Geburt mit dem Verlust von Ehre verbunden, da das Verhalten nicht den gängigen Vorstellungen von Familie und Ehe entsprach. Es ist den literarischen Gepflogenheiten und den Bildungsmöglichkeiten des späten 18. Jahrhunderts sowie dem Rahmen dieser Studie geschuldet, dass Dokumente der mittleren und unteren Bevölkerungsgruppen nicht existieren oder nicht ausgewertet wurden. Die meisten zeitgenössischen Aufzeichnungen entstanden in gebildeten Schichten des Adels und des gehobenen Bürgertums. Die hierfür gesichteten Klage- und Verfahrensschriften zu den unteren Ständen waren leider zum gesellschaftlichen Ansehen ihrer Akteure wenig aussagekräftig. Selbst die überlieferten obrigkeitlichen Quellen sind teilweise unvollständig und lassen viele Fragen unbeantwortet. Inwieweit eine Scheidung die Chancen auf eine weitere Ehe minderte (sofern die Wiederverheiratungserlaubnis erfolgte), ist aufgrund der Lücken in den Heiratsregistern nicht systematisch nachvollziehbar. Die geschiedenen Paare dahingehend zu recherchieren wäre äußerst aufwändig. Zudem musste nach erfolgter Ehescheidung ein Ehepartner aus dem gemeinsamen Wohnraum ausziehen und wechselte dabei möglicherweise den Wohnort. Den bisher bekannten geschiedenen Paaren zufolge behinderte eine Scheidung keinesfalls eine weitere Ehe. So waren es immer wieder eingetragene Zweitehen in den Heiratsregistern, die den Ausgang eines in den Akten offenen Scheidungsverfahrens bestätigten. Wirkte sich die Scheidung der Eltern auf die Heiratschancen der Kinder aus? Wurde ihnen als Nachkommen gescheiterter Ehen der Zugang zu bestimmten Berufen erschwert? Inwiefern haftete Geschiedenen ein Makel an? Bisherige Nachforschungen konnten darauf keine Antworten liefern. Dazu wären weitere gezielte und systematische Recherchen der geschiedenen Paare und ihrer Kinder beispielsweise in Selbstzeugnissen notwendig. 175 Caroline v. Beulwitz an Charlotte Schiller (1792), in: v. URLICHS, Charlotte 2 (1862), S. 59; Christoph Martin Wieland an Heinrich Geßner (1795, 1796), in: Wielands Briefwechsel 13/1 (1999), S. 154, 177; Christian Gottfried Körner an Schiller (1788), in: GOEDEKE, Schiller mit Körner (1878), S. 242.

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3.3.2. Der Schutz der Gemeinschaft Die schwangere Christiana Sophia Rosina Tonndorf rannte 1779 verängstigt und beschämt aus dem Behandlungszimmer des Jenaer Accouchierhauses, weil sie sich im Beyseyn, so vieler junger Studenten in der Maaße, die ich [sc. Christiana Tonndorf, A.W.] nicht beschreiben will, behandeln laßen sollte. Als unehelich Geschwängerte war sie verpflichtet, ihr Kind in der erst jüngst eröffneten Entbindungsanstalt zu gebären. Der Leiter des Accouchierhauses hatte ihrem Vater Johann Gottlieb Tonndorf, Braumeister des Brauhauses der Universität, zuvor versichert, dass seine ledige Tochter ausschließlich von Hebammen untersucht würde. Die Amtsdiener fahndeten nach der Flüchtigen und suchten dabei mehrfach ihr Elternhaus auf, was laut ihrem Vater vor der Dorfgemeinschaft Wenigenjenas zur Bekränkung und Prostitution der Eltern geführt habe und die ebenfalls hochschwangere Mutter deshalb ihr Kind verlor. Als die Tochter schließlich wieder zuhause eintraf, hätte sie am ganzen Körper gezittert und der Vater befürchtete auch bei ihr eine Fehlgeburt. Sie sei fest entschlossen gewesen, lieber zu sterben, als im Accouchierhaus der Ehrbarkeit entgegen zu entbinden. Ihr Vater bat daraufhin den Herzog, seine Tochter von einer Entbindung im Accouchierhaus zu begnadigen. Seinem Gesuch fügte er ein Attest des örtlichen Pfarrers über die Unbescholtenheit seiner Tochter bei. Mehrere Gemeindemitglieder Wenigenjenas bestätigten zudem schriftlich die Ehrenhaftigkeit der Tonndorfischen Familie und ihrer Tochter.176 Der unehelich schwangeren Christiana Sophia Rosina Tonndorf wurde hier die Unterstützung nicht nur ihrer Eltern, sondern des Pfarrers und weiterer Gemeindemitglieder zuteil. Dass das soziale Umfeld differenziert auf unehelich Geschwängerte reagierte, bezeugt dieses Beispiel eindrucksvoll. Keinesfalls wurden die Frauen von ihren Eltern und Verwandten oder Heimatgemeinden generell verstoßen. Verwandte und Freunde setzten sich über die gebotene Missbilligung hinweg und schützten unehelich Geschwängerte trotz des Makels vor öffentlicher Demütigung und sozialer Isolation. Sie leisteten damit einen gewagten Spagat zwischen geltenden Moralvorstellungen und individuellen Sympathien und gefährdeten dabei auch ihr eigenes Ansehen. Einige ledige Mütter fanden ein soziales Netzwerk vor, das sie und ihr Kind zeitweilig aufnahm und versorgte. Ein Großteil der im Göttinger Entbindungshospital geborenen unehelichen Kinder wuchs laut den Gebärenden bei Verwandten auf und nur circa sechs Prozent bei den Müttern selbst, die sich durch ihre Anstellung als Dienstmägde nicht um die Kinder kümmern konnten.177 Ohne diesen Rückhalt

176 Accouchierhaus (1768–1820), LATh–HStAW, Polizeisachen B6242, fol. 169v–174v; WOLTER, Zwinget (2001), S. 80. 177 SCHLUMBOHM, Verwandtschaft (2016), S. 180f.

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hätten sich unehelich Geschwängerte wie Luise Rudorf nicht zur Geburt zu Verwandten außerhalb ihres Wohnortes zurückziehen können. Anhand des Weiblichen Dienstboten Journals konnte ein ganz ähnliches Phänomen beobachtet werden. Sophie Schneider aus Ilmenau wurde 1825 mit 19 Jahren in Weimar als Hausmädchen eingestellt. In der Liste ihrer Dienstverhältnisse findet sich der Vermerk, sie sei nach mehreren Monaten bei Leinenwebermeister Kämpfer im Dezember 1826 infolge unehelicher Schwangerschaft nach Hause gegangen. Im August 1827 stellte sie der Sekretär Brehme ein, im Sommer 1828 trat sie ihren Dienst bei Kladzigs an.178 Obwohl sie sich außer der Ehe schwängern ließ, dies im Journal vermerkt wurde und unter anderem anhand dessen nachvollziehbar war, als der Schreiber spätere Dienstverhältnisse eintrug, minderte die uneheliche Schwangerschaft nicht ihre Chancen auf erneute Anstellung. Sophie Schneider war kein Einzelfall. Von 1823 bis 1830 wurden laut den circa 2.450 Einträgen insgesamt 39 schwangere Dienstmädchen explizit aufgrund einer Schwangerschaft entlassen und davon 16 später wieder angestellt. Unter den ersten 500 Einträgen verließen 15 Mägde schwanger die Anstellung, sieben traten später den Dienst wieder an. Der Verbleib der übrigen acht Angestellten ist unbekannt, doch auch sie könnten außerhalb Weimars eine erneute Anstellung gefunden haben. Dass Dienstherren eine unehelich geschwängerte Magd wieder anstellten, war anscheinend keine Ausnahme. Alleinstehenden Müttern war es demzufolge möglich, durch eigene und ehrenhafte Erwerbstätigkeit zur eigenen Versorgung und der des Kindes beizutragen. Die gezielte Analyse der Anstellungsverhältnisse verbunden mit der Recherche in den Tauf- und Sterberegistern vermittelte den Eindruck, dass diese und andere Frauen bewusst für eine Entbindung pausierten. 52 der ersten 500 Frauen setzten ihren Dienst in Weimar mindestens vier Monate bis hin zu vier Jahren aus. 179 Davon bekamen nachweislich 13 Frauen innerhalb der ersten sieben Monate nach Dienstende ein Kind, überwiegend unmittelbar ein bis drei Monate danach. Die Dienstmagd Johanna Maria Elisabetha Nusseck, 1786 in Weimar als Tochter eines fürstlichen Pensionärs geboren, bekam zwischen 1815 und 1825 insgesamt drei uneheliche Kinder von drei verschiedenen Männern.180 Für die Geburt des zweiten Kindes wurde sie Weihnachten 1823 aus dem Dienst entlassen und im November 1824 wieder angestellt, nach der Geburt einer Tochter im Juli und deren Tod im September. Im Juni 1825 verließ sie erneut das 178 Dienstboten Journal 2.1 (1823–1827), StAW, Amtsbücher 29/1, fol. 177v, Nr. 1061. 179 Von den ersten 500 Einträgen wurden nur bei 379 mehr als die persönlichen Daten und der erste Dienstherr angegeben. Davon sind 101 Mägde nach der ersten Anstellung wieder abgegangen. Somit konnten für die Untersuchung der Pausen de facto nur 278 Einträge hinzugezogen werden. 180 EKAW, TR GK 1786, Nr. 96; ebd. 1815, Nr. 41; ebd. 1824, fol. 35v–36r, Nr. 55; ebd. 1825, Nr. 88.

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Dienstverhältnis, gebar im Oktober das dritte Kind und trat ein Jahr später wieder den Dienst in Weimar an.181 Die tatsächliche Anzahl der unehelich geborenen Kinder von Dienstmädchen dürfte weit höher gewesen sein, da sich viele zur Geburt aus ihrem Wohnort zurückzogen. Sechs der 13 Mägde, die innerhalb der ersten sieben Monate nach Dienstende entbanden, pausierten nicht länger als elf Monate und werden circa eins bis sechs Monate nach der Geburt wieder in Weimar angestellt. Weitere 18 der 52 Frauen unterbrachen die Dienstzeit zwischen vier und elf Monaten. Ob auch sie derweil ein Kind bekamen, konnte angesichts der nur für Weimar und Jena vorliegenden Kirchenbücher nicht ermittelt werden. Verschiedene Einträge nennen zwar einen anderen Grund für den Weggang als eine Schwangerschaft oder den neuen Aufenthaltsort der Dienstmagd, tatsächlich bekam die Betreffende nach Dienstende jedoch ein Kind. Marie Sophie Wiedemann kündigte angeblich, um nach Farnroda zu gehen, und brachte circa zwei Monate nach ihrem Austritt, vielleicht in Farnroda, ein uneheliches Kind zur Welt. Der Säugling starb wenige Monate vor ihrer Wiedereinstellung in Weimar. Henriette Jungmeister bekam im Januar 1827 ein Kind und quittierte drei Monate zuvor ihren Dienst, weil sie krank ist. Die angegebenen Kündigungsgründe schließen demnach keine unehelichen Geburten aus.182 Auch wenn sie nicht explizit infolge von Schwangerschaft entlassen wurden, konnten sie deren Anzeichen schwer verbergen und vor allem eine Entbindung in Weimar kaum vor dem künftigen Arbeitgeber verheimlichen. Trotz unehelicher Schwängerung fand eine Dienstmagd nach der Entbindung mit hoher Wahrscheinlichkeit eine erneute Anstellung. Zwei Dienstherren stellten ihre explizit aufgrund von Schwangerschaft entlassene Magd später sogar wieder ein.183 Dass dafür eine persönliche Verwicklung in die Schwangerschaft und damit eine Verantwortung gegenüber Mutter und Kind ausschlaggebend war, ist nicht auszuschließen, konnte jedoch für diese Einzelfälle nicht nachgewiesen werden. Selbst aus Weimar stammende und in Weimar entbundene Frauen mit mehreren unehelichen Geburten wie Johanna Maria Elisabetha Nusseck wurden wieder beschäftigt. Als Arbeitgeber unterstützten Teile der Weimarer Gesellschaft die jungen Mütter, indem sie sie trotz unehrenhaftem Verhalten anstellten. Laut der zeitgenössischen Wahrnehmung sanken die Chancen einer entehrten Frau auf eine gesellschaftlich rehabilitierende Ehe mit einem unehelichen Kind

181 Dienstboten Journal 2.1 (1823–1827), StAW, Amtsbücher 29/1, fol. 24v, Nr. 144. 182 Ebd., fol. 29r, Nr. 169; ebd., fol. 33v, Nr. 197; EKAW, SR SK 1830, S. 265, Nr. 112; ebd., TR SK 1827, S. 181, Nr. 8. 183 Dienstboten Journal 2.1 (1823–1827), StAW, Amtsbücher 29/1, fol. 29r, Nr. 170; ebd., fol. 30v, Nr. 178.

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rapide.184 In Einzelfällen traf dies sicherlich zu. Keinesfalls dürfen derart negative Konsequenzen jedoch generalisiert werden. Stefan Breit konnte sogar nachweisen, dass die Chancen der Mütter mit einem unehelichen Kind auf eine Ehe nicht schlechter waren als die kinderloser Frauen. Nur heirateten sie häufiger standesungleich und erfuhren so einen sozialen Abstieg. Auch hätten sie meist an einer schwer zu realisierenden Partnerschaft festgehalten und deshalb später oder gar nicht geheiratet.185 Laut Breit hätten sich die Chancen auf eine Eheschließung nicht zwangsläufig verschlechtert. Die Beobachtungen für Weimar bestätigen Breits Erkenntnisse: Auch in der Thüringer Residenzstadt schien eine uneheliche Schwängerung nicht generell zum Ausschluss aus der Gesellschaft und dem Heiratsmarkt zu führen, wie zahlreiche Beispiele belegen. Ledige Frauen wohnten während der Dienstzeit bei Verwandten oder Bekannten oder bei ihrer Dienstherrschaft. Christiana Grobe aus Weimar quittierte 1823 krankheitshalber ihren Dienst als Haus- und Kindermädchen und zog zu ihrem Vater, einem Weimarer Zimmermann. Sie scheint demnach vor dem Umzug beim Briefträger Voigt, ihrem Dienstherrn, gewohnt zu haben. Als Magd konnten die alleinerziehenden Mütter meist nicht gemeinsam mit ihren Kindern bei ihrem Arbeitgeber wohnen. Auch wechselten ledige dienende Frauen in Weimar häufig ihre Wohn- und Arbeitsstätte: Meist waren sie nicht länger als einige Monate bis hin zu zwei Jahren angestellt, längerfristige Anstellungen waren eher die Ausnahme. 186 Derweil ließen sie die Kinder nach Möglichkeit von Verwandten oder Bekannten betreuen oder gaben sie gegen ein Kostgeld zu Fremden in Pflege. Alleinerziehende Mütter mussten sich und ihre Kinder jedoch zuweilen ohne Unterstützung oder die Alimente des Vaters versorgen und konnten sich die Betreuung durch Dritte nicht leisten, was die Überlebenschancen dieser Kinder beträchtlich minderte. Laut einem Bericht des Oberkonsistoriums Weimar von 1831 würden uneheliche Kinder mitunter von ihren leichtsinnigen Müttern vernachläßiget u. dergestalt verwahrlost […], daß sie theilweise entweder siech bleiben oder bald dahinsterben.187 Deshalb ließen manche Mütter ihre Neugeborenen beim Kindsvater, bei Verwandten oder Bekannten zurück oder setzten sie als Findelkinder aus.188

184 Landesdirektionsakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391c, fol. 39r; Klage Döpelin (1802), LATh–HStAW, HG Jena, Abt. Weimar 705, fol. 1v–2v. 185 BREIT, Leichtfertigkeit (1991), S. 168; GLEIXNER, Mensch (1994), S. 207f.; SCHLUMBOHM, Phantome (2012), S. 330–333. 186 Dienstboten Journal 2.1 (1823–1827), StAW, Amtsbücher 29/1, fol. 21v, Nr. 124; ebd., fol. 31r, Nr. 182, ebd., fol. 54v, Nr. 322; EKAW, TR SK 1805, fol. 39r. 187 SCHLUMBOHM, Phantome (2012), S. 326f., 334f.; Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 138r. 188 SCHLUMBOHM, Phantome (2012), S. 337–341.

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Die Kinder der Johanna Maria Elisabetha Nusseck starben alle innerhalb des ersten Lebensjahres, sodass ihre Mutter die Dienste jeweils kinderlos antrat.189 Mütter wie die Sängerin Luise Rudorf ließen ihren illegitimen Nachwuchs auswärts von Verwandten oder Bekannten betreuen oder wurden von Ihnen aufgenommen. 190 Die gebürtig aus dem Amt Gehren stammende Susanna Christiana Brehm sei 1825 nach Dornburg gezogen, weil man zu fällig in Erfahrung gebracht, daß sie früher ein unehelich Kind geboren, welches sie zu Dornburg in Erziehung gegeben habe. Wem die Mutter ihr Kind anvertraute, geht aus dem Journal nicht hervor. Auch Christine Caroline Schröter aus Sachsenhausen, 1827 31 Jahre alt, verließ Weimar, weil sie ein krankes Kind zu Hause zu pflegen hatte.191 Andere Mütter wollten ihre Kinder zu ihrem Dienstort mitnehmen. Das bedurfte allerdings einer Genehmigung der örtlichen Obrigkeit und wurde nicht immer gestattet. Der Weimarer Stadtrat lehnte 1817 den Antrag der Dienstmagd Hiller ab, ihr auswärts wohnendes, dreijähriges uneheliches Kind bei sich unterzubringen.192 Frauen mit unehelichen Kindern wohnten zuweilen auch bei bzw. mit dem Vater der Kinder. Der Jenaer Schuhmachergeselle Amandus Gottlob Friedrich Nebethal und die Weimarerin Johanna Sophia Kalitsch sollen sich einige Zeit mit dem 1812 geborenen gemeinsamen Kind eine Schlafkammer geteilt haben, bis sie erneut schwanger war. Daraufhin forderte Johanna Sophia Kalitsch die Einlösung des gegebenen Eheversprechens. Nebethal stritt die Vaterschaft für das zweite Kind ab und warf Johanna Sophia Kalitsch Untreue vor, womit sein Versprechen hinfällig wäre. Der Konflikt wurde schließlich gerichtlich ausgetragen.193 Den Kirchenbüchern zufolge entschieden die Gerichte zugunsten des Mannes, denn eine Hochzeit wurde dort nicht vermerkt. Dennoch wurde Nebethal bei der Geburt des zweiten Kindes 1815 als Vater eingetragen. Er heiratete schließlich 1820 in Jena eine hochschwangere Witwe. Ihr Kind kam einen Monat später als gemeinsame eheliche Tochter zur Welt. Johanna Sophia Kalitsch ehelichte 1821 den Altenburger Kupferdrucker Johann Christian Kalbe, den Vater ihres zwei Jahre zuvor geborenen Kindes.194 Nach ihrer gescheiterten wilden Ehe waren Nebethal und Kalitsch jeweils eine neue eingegangen. Ihr zeitweiliges Zusammenleben in einer Kammer war nur möglich, weil Vermieter bzw. Arbeitgeber die Räumlichkeiten zur Verfügung stellten und die wilde Ehe dadurch deckten. 189 EKAW, SR GK 1816, Nr. 273b; ebd. 1824, fol. 35v–36r, Nr. 55; ebd. TR GK 1825, Nr. 88. 190 Scheidungen Weimar (1807–1808), LATh–HStAW, Rechtspflege B2578, fol. 12v. 191 Dienstboten Journal 2.1 (1823–1827), StAW, Amtsbücher 29/1, fol. 120r, Nr. 716; ebd., fol. 262r, Nr. 1562. 192 Plenarprotokolle (1817–1823), StAW, HA I-1-52, 24.10.1817, Nr. 3. 193 Eheverspruch Nebethal (1815), LATh–HStAW, SchöppJ 2763, fol. 31r–42v; EKAW, TR SK 1812, fol. 311v, Nr. 123; ebd. 1815, S. 124, Nr. 129. 194 EKAJ, HR SK 1820, fol. 392v–393r, Nr. 26; ebd. TR SK 1820, S. 687, Nr. 78; EKAW, HR SK 1821, S. 165, Nr. 21; ebd. TR SK 1819, S. 440, Nr. 65.

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III. GELEBTE FAMILIEN – NICHT NUR IN WEIMAR

Auch der spätere Chronist Franz David Gesky und Margarethe Elisabeth Heyder wohnten schon 1791 einige Zeit zusammen und führten einen gemeinsamen Haushalt, bevor sie 1794 heirateten. Seiner Mutter Maria Catharina Gesky war das Verhältnis bekannt und sogar erwünscht. Sie bat den Herzog, dass ihr Sohn seine Verlobte bey sich im Hauße zur Führung seiner Wirtschaft behalten dürfe.195 Weil sich beide Paare die Ehe versprochen hatten, wurde das eigentlich strafbare Zusammenleben Unverheirateter anscheinend als Eheanbahnung vom sozialen Umfeld toleriert. Entgegen den geltenden Gesetzen wurden wilde Ehen auch innerhalb des Militärs zuweilen nicht bestraft.196 Hausbewohner, Familienmitglieder, Nachbarn und Kollegen störten sich mitunter kaum an deren unkonventionellem Verhalten. Sonst hätten sie das illegale Zusammenwohnen angezeigt, bevor die Paare infolge anderer Delikte in den gesichteten Unterlagen aktenkundig wurden. Zuweilen wurden wilde Ehen gesellschaftlich geduldet und dadurch vor staatlichen Sanktionen geschützt. Daniel Gleim hatte nach eigenen Angaben nicht nur nach seiner ersten geschiedenen Ehe die von ihm geschwängerte Albertine Roth bei sich aufgenommen. Anscheinend wohnte auch dieses Paar unbehelligt zusammen und Gleim scheute sich nicht, damit sogar vor Gericht zu argumentieren, um Albertine Roth keine weiteren Alimente zahlen zu müssen. Laut seiner zweiten Frau soll er während ihrer Ehe mit einer Ernestine Rothe in verbotenem Umgange gelebt haben.197 Er verheimlichte die zeitweilige unerlaubte Wohngemeinschaft nicht, gab sie sogar öffentlich zu Protokoll und befürchtete anscheinend keinerlei Sanktionen. Wilde Ehen wurden innerhalb der Gesellschaft geduldet und blieben durch die Obrigkeiten wie hier das Hofstallamt ungestraft. Durch diesen Rückhalt und auch durch die obrigkeitliche Nachlässigkeit war es überhaupt möglich, dass sich wie auch in Schlumbohms Untersuchungen einige wilde Ehepaare offen zu ihrer Beziehung bzw. die Väter zu den von ihnen gezeugten Kindern bekannten. Diese Verbindungen konnten so mehrere Jahre oder sogar Jahrzehnte andauern und Kinder hervorbringen, ohne durch Heirat legitimiert zu werden. Mit mehreren Beispielen machen er und Karin Gröwer aber auch deutlich, dass unkonventionelles Verhalten in Konflikten mit Familienmitgliedern oder Nachbarn genutzt und denunziert wurde, um der gegnerischen Partei zu schaden. In wilder Ehe lebende Paare machten sich angreifbar.198 195 Ehebruch Krause (1790), LATh–HStAW, Militär B37005, fol. 7v; EKAW, HR GK 1794, Nr. 173. 196 KROLL, Soldaten (2006), S. 243–245. 197 Schwängerung Rothin (1813), LATh–HStAW, HStA 406, fol. 11r–12v; Scheidungen Weimar (1829–1832), LATh–HStAW, Rechtspflege B2609, fol. 214r–216v, fol. 219r. Es ist möglich, aber nicht gewiss, dass Ernestine Rothe mit Albertine Roth identisch ist. 198 SCHLUMBOHM, Wilde Ehen (1993), S. 63f., 68; GRÖWER, Wilde Ehen (1999), S. 453.

3. MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN ALTERNATIVER LEBENSFORMEN

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Denunziationen aus dem sozialen Umfeld sind für Sachsen-Weimar-Eisenach nicht bekannt, aufgrund der lückenhaften Überlieferung aber auch nicht auszuschließen. Die Obrigkeit versuchte, solchen Lebensgemeinschaften entgegenzuwirken: Infolge der zunehmenden wilden Ehen wandte sich das Oberkonsistorium Eisenach schließlich an den Herzog sowie an andere Landesbehörden und regte ein neues Ehegesetz an.199 Leider geht aus den Unterlagen zu wilden Ehen in Sachsen-Weimar-Eisenach nicht hervor, welche Maßnahmen gegen das illegale Zusammenleben im Einzelfall ergriffen wurden – abgesehen von der Anweisung im Fall Bartholmä-Mueß, das Paar sei zu trennen.200 Auch sind keinerlei Sanktionen aufgrund strafbarer Kuppelei für Angehörige oder Vermieter in den gesichteten Unterlagen aktenkundig geworden. Bei bestimmten illegitimen Schwängerungsfällen, wenn nämlich der Kindsvater ein Student war, zeigten sich obrigkeitliche Instanzen äußerst nachsichtig. Laut ihrem Bürgermeister hätten die zuständigen Behörden Jenas 1788 bei der Verheimlichung des Kindsvaters nähere Nachforschungen unterlassen. Ohnehin sei der Schwängerer meist ein Student, dieser mehrmalen der Sohn, eines grosen und Weltberühmten Mannes, von welchem man, nach Akademischer Verfasung, und privilegiio Studiosorum Jenensium, nicht gern will, daß solcher vielleicht, wegen eines solchen iugendlichen Feltritts, unglücklich gemacht werde. Deshalb zahlte ein als Schwängerer angegebener Student lediglich zwölf Taler an die Universität und war damit von allen weiteren Untersuchungen befreit. Selbst wenn er die Vaterschaft eingestand, wurde sein Name nirgends vermerkt oder genannt. Angesichts seiner familialen Herkunft blieb einem Studenten das übliche aufsehenerregende Verfahren erspart, damit er durch eine Untersuchung nicht um sein Glück im Vaterland gebracht, und seiner und seiner Eltern und Verwandten Ehre geschonet werde.201 Wie bei den wilden Ehen war es auch hier neben dem sozialen Umfeld die Obrigkeit, die Eltern illegitimer Kinder trotz ihres Makels deckte. Für die Beaufsichtigung der öffentlichen Sittlichkeit war der Ortsgeistliche zuständig. Er war verpflichtet, jedes normwidrige Verhalten zu melden und maßregelnd zu intervenieren. Dazu zählten unverheiratet zusammenlebende Paare und auch verheiratete Paare, die getrennte Haushalte führten und eben nicht, wie für Eheleute vorgeschrieben, friedlich zusammenwohnten. Wie wilde Ehen wurden jedoch auch wilde Scheidungen mitunter jahrelang gebilligt. So lebte ein Ehepaar seit 18 Jahren unerlaubt getrennt und sogar in zwei verschiedenen Pfarreien 40 Kilometer entfernt voneinander. Keiner der beiden Pfarrer 199 Wilde Ehen (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a. 200 Plenarprotokolle (1817–1823), StAW, HA I-1-52, 24.05.1817, Nr. 1. 201 Jena Kirchenbuße (1788–1812), LATh–HStAW, Rechtspflege B2330b, fol. 21v–22r, 35v–36r.

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III. GELEBTE FAMILIEN – NICHT NUR IN WEIMAR

und anscheinend auch kein Nachbar hatte das Vergehen angezeigt. Erst als das Paar die Scheidung beantragte, wurde die Trennung aktenkundig. In dem geschilderten Fall wohnte die Frau mit den Kindern in Stadtsulza, der Mann unterstützte seine betagten Eltern in Schoppendorf. Rein rechtlich wäre die Gattin verpflichtet gewesen, ihrem Mann zu folgen. Darauf ging die Regierung in ihrem Bericht nicht ein und erwähnte nur, dass die Ehefrau sich nicht mit ihren Schwiegereltern verstünde. Trotz widerrechtlicher Trennung und trotz fehlender Gründe sprach Carl August die Scheidung aus.202 Warum die Geistlichen die wilde Scheidung nicht beim Superintendenten anzeigten, geht aus den Unterlagen nicht hervor. Möglicherweise waren den beiden Pfarrern die Hintergründe nicht bekannt oder die Eheleute hatten ob ihres Ehestandes falsche Angaben gemacht und sich als verwitwet oder gar ledig ausgegeben. Immerhin lebten zahlreiche Paare aus beruflichen Gründen getrennt, wenn der Mann als Militärangehöriger oder als Händler häufig abwesend war. Vielleicht ließen beide Pfarrer die wilde Scheidung auch schlichtweg ungestraft. Mehrere später per Dispens geschiedene Paare hatten sich zuvor eigenmächtig getrennt und nicht alle wurden bestraft oder durch die Obrigkeit angehalten, wieder zusammenzuwohnen. Auch in der Publizistik wird die wilde Scheidung als Option für Paare genannt, denen die Scheidung verwehrt wurde.203 Wie hoch die Zahl der Ehepaare war, die offen oder heimlich eigenmächtig getrennt lebten, war aus den Quellen nicht ersichtlich und kann auch schwer erfasst werden. Selbst zu gerichtlichen Trennungen von Tisch und Bett existieren auch zu anderen Städten und Territorien für den Untersuchungszeitraum nur wenige quantitative Ergebnisse. Dass gleich zwei Pfarrer eine 18 Jahre währende Trennung nicht anzeigten und dass in mehreren Berichten der Regierung oder in den Urteilen des Herzogs die eigenmächtige Trennung nicht gerügt wurde, deutet eine gewisse Alltäglichkeit dieses Phänomens an. Die nur beiläufig erwähnten wilden Scheidungen offenbaren, dass neben den geschiedenen Ehen bzw. neben den aktenkundig gewordenen Konflikten sehr viel mehr Paare unfriedlich lebten. Gemäß bisherigen Untersuchungen war dabei eine außergerichtliche Konfliktlösung eher die Regel und offizielle Trennungen dagegen selten.204 Auch das gesellschaftliche Umfeld reagierte auf Geschiedene nicht nur negativ. Emilie und August von Einsiedel wurden trotz des öffentlichen Aufsehens 202 Scheidungen Weimar (1811–1812), LATh–HStAW, Rechtspflege B2591, fol. 20r–26r. 203 Scheidungen Weimar (1806–1807), LATh–HStAW, Rechtspflege B2577, fol. 55r–v; Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 73v; Scheidungen Weimar (1821–1824, 1827), LATh–HStAW, Rechtspflege B2605, fol. 263v; Scheidungen Weimar (1825–1828), LATh–HStAW, Rechtspflege B2608, fol. 252r; N.N., Sühnsversuche (1808), S. 113. 204 GESTRICH u.a., Geschichte (2003), S. 536f., 546.

3. MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN ALTERNATIVER LEBENSFORMEN

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um die Gattin von Anna Amalia und vom Ehepaar Herder empfangen. 205 Henriette von Egloffstein pflegte seit ihrer Kindheit ein gutes Verhältnis zur Herzoginmutter und nahm an zahlreichen gesellschaftlichen Ereignissen Weimars teil. 206 Nach ihrer Scheidung und erneuten Heirat änderte sich dies nicht: Sie war weiterhin Gast am Weimarer Hof und trotz ihrer Trennung gesellschaftlich akzeptiert.207 Auch Emilie von Berlepsch speiste ein Jahr nach der offiziellen Trennung gemeinsam mit ihrer Tochter und der Herzoginmutter wieder an der fürstlichen Tafel.208 Trotz der Gerüchte um Affären wurden sie und ihr erster Mann Friedrich Ludwig von Berlepsch als Hofgäste empfangen. 209 Anna Amalia schätzte an Emilie von Berlepsch ihren leichten Witz und angenehmen ton, womit sie dazu beigetragen habe, daß in meinem kleinen Kreise Munterkeit und guter Muth herschet. 210 Die Freundlichkeit der Herzoginmutter vor allem gegenüber Emilie von Einsiedel wurde jedoch laut zeitgenössischen Zeugnissen von einigen Mitgliedern der Weimarer Gesellschaft missbilligt.211 Vorbildhaft für die bemerkenswerte Offenheit der fürstlichen Familie soll unter anderem August Hildebrand von Einsiedel gewesen sein, der seinen Sohn August von Einsiedel mit der alten treuen Freundschaft auf[nahm]. Dies Beispiel […] würkte auch auf den Hof. Auch die fortwährende gesellschaftliche Einbindung der geschiedenen Jagemanns verdeutlicht: Eine Ehescheidung bedeutete in SachsenWeimar-Eisenach nicht zwangsweise die soziale Isolation, während Geschiedene in anderen Territorien wie Anhalt-Bernburg zumindest laut geltender Landesordnung nicht geduldet wurden.212 Wie für unehelich geschwängerte Frauen bildeten Freunde und Verwandte auch für Geschiedene einen wichtigen Rückhalt. Vor allem geschiedene Frauen 205 Charlotte v. Stein an Charlotte Schiller (1795), in: v. URLICHS, Charlotte 2 (1862), S. 305; WILLKOMMEN, Ehescheidung (2009). 206 Julia Di Bartolo geb. Frindte geht in ihren Publikationen ausführlich auf die verschiedenen Geselligkeitszirkel ein, vgl. unter anderem DI BARTOLO, Leben (2008); FRINDTE, Handlungsspielräume (2005). 207 So speiste sie nach ihrer zweiten Vermählung als Frau von Beaulieu-Marconnay an der fürstlichen Tafel, Fourierbuch (1804), LATh–HStAW, HMA 4553, S. 186; DI BARTOLO, Leben (2008), S. 61. 208 Fourierbuch (1796), LATh–HStAW, HMA 4545, S. 273. 209 Dies belegt beispielsweise ein Besuch von Berlepschs mit seinem Sohn, den der Fourierbuch-Eintrag vom 30. September 1791 bezeugt. Vermutlich ist auch seine Frau am 9. Oktober Gast an der Tafel (Fourierbuch (1791), LATh–HStAW, HMA 4540, S. 208, 214). BERGER, Anna Amalia (2003), S. 493. 210 Zit. nach: BERGER, Anna Amalia (2003), S. 493. 211 Charlotte v. Stein an Charlotte Schiller (1795), in: v. URLICHS, Charlotte 2 (1862), S. 305; DÜNTZER, Zwei Bekehrte (1873), S. 371f. 212 Caroline Herder an Johann Georg Müller (1785), in: DOBBEK/ARNOLD, Herder Briefe 12 (2005), S. 423; DI BARTOLO, Leben (2008), S. 60; IFFERT, Trennung (2007), S. 99.

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III. GELEBTE FAMILIEN – NICHT NUR IN WEIMAR

waren auf Unterstützung nicht nur finanzieller Art angewiesen, da sie sich und etwaige Kinder schwer durch eigene Erwerbstätigkeit versorgen konnten. Ernestina Kühn geb. Saalfelder aus Weimar zog während der Scheidung mit ihrem Kind zu Freunden und bat ihren Bruder um Hilfe. Außerdem wollte sie das gemeinsame Kind vorübergehend von ihren Eltern in Ilmenau betreuen lassen, weil es von ihrem Ehemann nicht verpflegt wurde und weil es die körperlichen Auseinandersetzungen der Eltern miterlebte.213 In Augsburg durften unschuldig geschiedene Handwerkergattinnen den Meisterbetrieb ihres desertierten Ehemannes weiterführen und dadurch ihre Existenz absichern.214 Für Weimar sind solche Zugeständnisse seitens der Handwerksinnungen nicht belegt, allerdings fehlen hierzu auch die entsprechenden Scheidungsakten der förmlichen Verfahren infolge böslicher Verlassung. Manche Geschiedene bildeten gemeinsam mit Verwandten und Freunden Versorgungsgemeinschaften und erhielten Hilfe bei der Haushaltsführung oder bei der Erziehung der Kinder.215 Ob sie durch ihr soziales Umfeld unterstützt wurden, hing nicht ausschließlich von persönlichen Ressentiments etwa der Freunde oder der Verwandten ab. Oft waren es schlichtweg individuelle Zwangslagen, die Geschiedene und ihre Helfer aneinanderbanden. In dem eingangs geschilderten Fall des seit 18 Jahren getrennt lebenden Paares war es den hilfebedürftigen Eltern des Mannes gar nicht möglich, ihren geschiedenen Sohn etwa im Sinne eines gesellschaftlich gebotenen Anstands zu meiden.

4. Familien um 1800 – keine Spur vom „ganzen Haus“ 4. FAMILIEN UM 1800 – KEINE SPUR VOM „GANZEN HAUS“

Alleinerziehende Mütter und Väter sowie Geschiedene oder Verwitwete, Versorgungsgemeinschaften unter Verwandten, wilde Familien, also unverheiratete Paare mit Kindern – all diese alternativen Familienformen wurden um 1800 gelebt. Die klassische Kernfamilie bestehend aus (wieder-)verheirateten Eltern und deren Kindern war selbst als Stieffamilie um 1800 nur eine unter mehreren Lebensformen. Die propagierte Eltern-Kind-Familie mit dem Vater als Ernährer und der Mutter als Hausfrau erhoben Autoren bürgerlicher Schichten im 19. Jahrhundert zum Ideal. Nachfolgende Generationen griffen es mehrfach auf.216 Viele Alleinstehende, Paare und Familien konnten diesem Ideal jedoch bis in das 20. Jahrhundert hinein nicht gerecht werden: Frauen wurden ungewollt

213 Ehezerfall Kühn (1818–1833), LATh–HStAW, HMA 3446, fol. 2r, 7v. 214 WERKSTETTER, Frauen (2001), S. 143. 215 Scheidungen Weimar (1807–1808), LATh–HStAW, Rechtspflege B2578, fol. 73v, 132v; Scheidungen Weimar (1807–1810), LATh–HStAW, Rechtspflege B2581, fol. 184v. 216 BUSKE, Fräulein (2004), S. 195–203, 349–364; GRÖWER, Wilde Ehen (1999), S. 11f.

4. FAMILIEN UM 1800 – KEINE SPUR VOM „GANZEN HAUS“

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schwanger, Heiratswillige erfüllten die Voraussetzungen für eine Eheschließung nicht, Verwitwete fanden keinen geeigneten neuen Partner und Ehegatten ließen die übereilt geschlossene Zweckehe nach wenigen Jahren wieder scheiden. In den ärmeren Schichten mussten beide Eheleute durch Erwerbstätigkeit zum Familienunterhalt beitragen oder konnten als Alleinstehende die Eheschließung, einen eigenen Haushalt und eine Familie nicht finanzieren. Sie wohnten entweder bei Verwandten oder als Angestellte bei ihren Dienstherren. Unter anderem aufgrund solcher Abhängigkeitsverhältnisse, etwa der ledigen Mägde von ihrem Dienstherrn oder angesichts der hohen Hürden für eine Eheschließung, entstanden uneheliche Kinder. Diese und andere Ursachen unehelicher Geburten unterschieden sich in Sachsen-Weimar-Eisenach nicht von denen in anderen deutschen Staaten. So stellten ähnlich wie in Jena auch in anderen Universitätsstädten die Studenten einen Großteil der Väter. Verglichen mit anderen Territorien war die Illegitimitätsrate in Sachsen-Weimar-Eisenach und dessen Residenzstadt nicht ungewöhnlich hoch und stieg wie auch anderorts zwischen 1770 bis 1830 an. Die gegen Ende des 18. Jahrhunderts überall zunehmenden unehelichen Geburten scheinen durch eine Neubewertung eheanbahnenden bzw. vorehelichen Verkehrs als Straftat vermehrt angezeigt worden zu sein. Die schriftlich registrierten Illegitimitätsraten stiegen an, weil sich die Einstellungen und Verhaltensmuster gegenüber Eheanbahnung und vorehelicher Keuschheit gewandelt hatten. Gleichsam wirkten sich veränderte Vorstellungen von Ehe und Partnerschaft auf die Scheidungsraten aus. Nach bisherigem Forschungsstand wurden im Untersuchungszeitraum nur in Preußen noch mehr Paare geschieden. In der Residenzstadt Weimar lag die Scheidungsrate mit durchschnittlich 80 geschlossenen Ehen und drei bis vier Scheidungen pro Jahr bei ungefähr drei Prozent. Da jedoch ein Teil der Scheidungsakten infolge des Zweiten Weltkrieges verloren ging, betrug die Scheidungsrate tatsächlich wohl eher fünf Prozent. Die differenzierten Reaktionen auf uneheliche Geburten und Ehescheidungen deuten einen Wertewandel oder zumindest mehrere parallel gültige Werte innerhalb der Weimarer Gesellschaft an. Geschiedenen haftete zwar unabhängig von den jeweiligen Umständen ihres vorherigen Ehekonfliktes ein gewisser Makel an – etwa als Gatte oder Gattin gescheitert zu sein. War die Trennung für das soziale Umfeld angesichts des bekannten Fehlverhaltens eines Ehepartners jedoch nachvollziehbar und galt der unschuldige Teil wie etwa Henriette von Egloffstein als tugendhaft, wurde die Scheidung gesellschaftlich zuweilen als notwendiges Übel bewertet.217 Besonders Frauen bedurften nach ihrem Scheidungsantrag angesichts ihres als unweiblich geltenden, offensiven Auflehnens 217

V. EGLOFFSTEIN, Jugenderinnerungen (1919), S. 359f.; DI BARTOLO, Leben (2008), S. 6; LORENZEN, Art. Egloffstein, in: NDB 4 (1959), S. 340.

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III. GELEBTE FAMILIEN – NICHT NUR IN WEIMAR

gegen ihren Mann plausibler Trennungsgründe, um später als Geschiedene nicht gesellschaftlich ausgeschlossen zu werden. Erachtete das Umfeld die Scheidung aufgrund fehlender offensichtlicher Missstände als ungerechtfertigt, wie etwa bei Schillers Schwägerin Caroline von Wolzogen, war die gesellschaftliche Ablehnung des initiierenden Partners oder beider Eheleute umso stärker. Möglicherweise profitierten Geschiedene, die bei Zeitgenossen auf Verständnis und Nachsicht stießen, von deren eigenen, nicht realisierten Trennungswünschen. Schließlich verdeutlichen die verschiedenen Reaktionen auf eine Ehescheidung, dass Ehe und Partnerwahl immer auch soziale Ereignisse waren, die von der Umwelt bewusst wahrgenommen, bewertet und kommentiert wurden. Weit schwerwiegender beeinträchtigte eine uneheliche Schwangerschaft die persönliche Ehre vor allem der ledigen Mutter und ihres Kindes, denen ein lebenslanger Makel anhaftete und die wie auch geschiedene Ehefrauen in finanzielle Nöte geraten konnten. Aus Angst vor den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen nahmen einige Schwangere lebensgefährliche Abtreibungen vor, setzten das Kind nach der Geburt aus oder töteten es. Die untersuchten Quellen belegen jedoch auch, dass Frauen trotz eines unehelichen Kindes in Weimar eine Anstellung finden konnten oder zuweilen auch von ihren Familien und Bekannten unterstützt und nicht per se verstoßen wurden. Immer wieder berichteten die Zeitgenossen von wilden Familien und wilden Scheidungen, von jahrelang unbehelligt lebenden, unverheirateten Paaren mit Kindern oder von Ehepaaren mit getrennten Wohnorten. Die gesellschaftliche Missbilligung Geschiedener und unehelich Gebärender und Geborener und zugleich deren Akzeptanz vermitteln den Eindruck, dass die unterschiedlichen Reaktionen auch der Überlieferung geschuldet sind. Die überwiegend von den Obrigkeiten erzeugten Unterlagen lehnten uneheliche Sexualkontakte und Schwängerungen sowie Ehescheidungen den geltenden Sittlichkeitsvorstellungen entsprechend ab und malten deren Folgen negativ aus, ohne dabei der real existierenden Vielschichtigkeit gerecht zu werden. Die eher exemplarischen als systematischen Einblicke in gelebte Familienformen in Weimar um 1800 haben gezeigt, dass das „Ganze Haus“ bestehend aus Hausvater und -mutter und gegebenenfalls Gesinde bestenfalls als idealisiertes Familienmodell zu verstehen ist, dem die Mehrheit der Gesellschaft nicht entsprach. Dazu bedurfte es nicht unehelicher Geburten und Scheidungen, schon der Tod im Wochenbett oder im Krieg machten Versorgungsgemeinschaften Verwitweter mit Verwandten oder Freunden unumgänglich. Nicht alle Witwer und Witwen durften aufgrund der restriktiven Heiratsbestimmungen sofort wieder heiraten, wie verschiedene Heiratsgesuche belegen. Zudem war die Versorgung von Großeltern oder Großtanten und -onkel aufgrund fehlender sozialer Einrichtungen schlichtweg notwendig.

4. FAMILIEN UM 1800 – KEINE SPUR VOM „GANZEN HAUS“

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Die frühneuzeitliche Versorgungsgemeinschaft bestehend aus Verwandten oder durch ein Dienstverhältnis verbundene Personen war zweifellos bis weit in das 19. Jahrhundert hinein existent und macht sowohl Riehls als auch Brunners Thesen und Konzepte damit obsolet, wie die Forschung längst nachgewiesen hat. Wenn sich die Zeitzeugen in Sachsen-Weimar-Eisenach darauf bezogen, sprachen sie – abgesehen von dem von Eibach zitierten Jenaer Juristen Heinrich Gottfried Scheidemantel – innerhalb der hinzugezogenen Unterlagen jedoch niemals vom „Haus“ oder gar vom „ganzen Haus“, sondern immer von der Familie bzw. von den Eheleuten und den Kindern und allenfalls vom „Hausvater“, der „Hausmutter“ oder dem „häuslichen Frieden“.218 Auch bezogen sie bei der Benennung der Familienmitglieder nie das Gesinde ein, obwohl es nachweislich weiterhin mit im Haushalt wohnte und verköstigt wurde. In anderen Quellen wie etwa der 1812 erschienenen Kurzgeschichte über Die Familie[n] Süß und Sauer sprach der Autor durchaus noch vom Haus, bezog sich damit jedoch ausschließlich auf Familienangehörige.219 Zwischen Mägden und Knechten und deren Dienstherren wurde in den hinzugezogenen handschriftlichen und gedruckten Unterlagen nie ein familiäres Verhältnis beschrieben, bei dem die Angestellten über ihren Dienst hinaus in die Familie eingebunden waren. Die Beziehung zwischen Familie und Dienstpersonal schien eher einer nachbarschaftlichen gleichzukommen. Dass dennoch Hausherren und -frauen und ihre Angestellten zuweilen freundschaftliche oder familiäre Bindungen aufbauten, ist durchaus möglich, ging jedoch aus den gesichteten Unterlagen nicht hervor. Die von der Forschung nachgewiesenen und aus dem Journal hervorgehenden, tendenziell eher kurzweiligen Beschäftigungsverhältnisse scheinen derartige Beziehungen jedoch zu erschweren.220 Andreas Gestrich stellt dementsprechend einen europaweiten Anstieg der Dienstbotenhaltung in den Großstädten und eine zeitgleiche Abnahme der Verbindlichkeit des „ganzen Hauses“ fest, wodurch das Dienstpersonal weniger als zuvor in den herrschaftlichen Haushalt integriert war.221 Zumindest für Sachsen-Weimar-Eisenach wäre die Verwendung des Begriffes „ganzes Haus“ als Bezeichnung für die damaligen Familien- und Wohnverhältnisse anachronistisch, da er um 1800 von den dortigen Zeitgenossen bzw. den örtlichen Behörden schriftlich nicht mehr verwendet wurde. Auch scheint er für das Ende des 18. bzw. den Beginn des 19. Jahrhunderts irreführend und unspezifisch, weil der damit bezeichnete Personenkreis mehreren Lexikoneinträgen 218 EIBACH, Haus (2008), S. 191. 219 Becker meint mit den Seinigen des Vaters nur Frau und Kinder: BECKER, Hülfs-Büchlein (1788), S. 28; LINDNER, Süß und Sauer (1812), S. 189–194. 220 DÜRR, Mägde (1995), S. 162. 221 GESTRICH u.a., Geschichte (2003), S. 507.

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III. GELEBTE FAMILIEN – NICHT NUR IN WEIMAR

zufolge nicht eindeutig umrissen ist. Er war eng mit den Figuren des verheirateten Ehepaares verbunden, des Hausvaters und der Hausmutter, und wird damit nur einem Teil der tatsächlichen Familien- und Lebensformen gerecht. Alleinerziehende, unverheiratete Paare oder auch Wohngemeinschaften blieben außen vor. Sofern die in einem Haushalt lebenden Personen als Gruppe benannt werden sollten, scheint der schon damals verwendete Begriff der „Hausgemeinschaft“ oder auch „Versorgungsgemeinschaft“ geeigneter, da sie nicht wie das „Haus“ bereits um 1800 mehrdeutig waren. Der Begriff der Familie ist, wenn auch im Untersuchungszeitraum offenbar mehrdeutig verwendet, als heutige Zuschreibung dennoch geeignet, da seine aktuelle Bedeutung im Gegensatz zu der des Hauses fest umrissen ist. Weil für Sachsen-Weimar-Eisenach nicht belegt werden konnte, dass mit „Familie“ auch die Dienstmägde und -knechte bezeichnet wurden, scheint auch seine damalige Verwendung im Untersuchungsraum eindeutig gewesen zu sein.

IV. Unehelichkeit in Gesetzen und Debatten

1. Rahmenbedingungen – Illegitimität gelebt, bestraft und diskutiert 1. RAHMENBEDINGUNGEN VON ILLEGITIMITÄT

1.1. Ursachen unehelicher Geburten Verena Pawlowsky unterscheidet in ihrer Studie drei verschiedene Illegitimitätsformen, die für die Ursachenanalyse hilfreich sind: uneheliche Geburten aus flüchtigen Beziehungen, zur Eheanbahnung oder infolge wilder Ehen.1 Flüchtige Beziehungen sind in diesem Zusammenhang keinesfalls als romantische oder sexuelle Paarbeziehung zu verstehen. Vielmehr handelt es sich hierbei auch um sexuelle Kontakte zwischen Personen, die im alltäglichen Zusammenleben und in öffentlichen Räumen etwa zwischen Nachbarn oder auch Fremden zustande kamen. Es kam vor, dass Dienstherren oder deren Söhne Abhängigkeitsverhältnisse ausnutzten und ihre Angestellten schwängerten. 2 Vor allem Dienstmägde waren durch ihre Lebensumstände potenzielle ledige Mütter – sie waren meist ledig, im heiratsfähigen Alter, wechselten häufig die Anstellung, kamen meist aus ärmeren Schichten, verdienten sehr wenig und wohnten und arbeiteten gemeinsam mit männlichen Angestellten. Unter den Vätern der Kinder waren zuweilen auch Knechte und Gesellen bzw. ebenfalls ledige Männer, mit denen die Frauen bei einer Herrschaft arbeiteten und dadurch auf engstem Raum wohnten. Die eingangs erörterten damaligen Wohnverhältnisse unverheirateter Personen begünstigten die Zeugung unehelicher Kinder.3 Der Geschlechtsakt geschah nicht immer einvernehmlich und zuweilen unter Gewalteinwirkung. Als „stuprum violentum“ bzw. als „Notzucht“ war Vergewaltigung in der Frühen Neuzeit strafbar. Allerdings konnten nur wenige Frauen den Tatbestand bzw. ihre Unfreiwilligkeit beweisen und wurden häufig der Mitschuld bezichtigt. 4 Vergewaltigungen durch den verheirateten Dienstherrn 1 2 3 4

PAWLOWSKY, Mutter ledig (2001), S. 50. Beispielsweise schwängerte der herzogliche Reisefourier Carl Ehlinger seine Aufwärterin Johanna Rosina Wilhelmina Breitenherd, vgl. Alimente Ehlinger (1801–1804), LATh– HStAW, HMA 3441; GLEIXNER, Mensch (1994), S. 153–162. LABOUVIE, Kindsmord (2012), S. 13. Ebd., S. 16; MEUMANN, Findelkinder (1995), S. 87; SCHLUMBOHM, Verwandtschaft (2016), S. 172–175; EKAW, TR SK 1777, fol. 21v, Nr. 78: Dieses Eheweib giebt in der Geburtsnoth an, sie sey ehe dieselbe ihren Mann bekommen, auf dem Grunstedter Wege, von einer unbekannten Person überfallen und Schwanger worden […]. Ebd. 1786, fol. 258r, Nr. 27; ebd. fol. 284v, Nr. 100; ebd. 1787, fol. 309v, Nr. 68; ebd. 1789, fol. 70r, Nr. 51.

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IV. UNEHELICHKEIT IN GESETZEN UND DEBATTEN

wurden, wenn überhaupt, als Ehebruch geahndet, jedoch meist durch Opfer gar nicht angezeigt, da sie die Männer bedrohten und unter Druck setzten und sich die Dorfgemeinschaft mit dem sozial etablierten Vergewaltiger statt der einfachen Dienstmagd solidarisierte. Bisweilen kam es zur Eheschließung zwischen Dienstherrn und geschwängerter Magd, die dadurch ökonomisch abgesichert wurde – wie etwa im Fall von Maria Elisabetha Löscher, die dem Vernehmen nach […] anderwärts von mehreren Ehescheidungen die Ursache gewesen seyn soll. 5 Viele potenzielle Verlobte nutzten die wirtschaftliche Notlage lediger Frauen aus und forderten als Gegenleistung für ein Eheversprechen vorehelichen Beischlaf ein. Die Mädchen und jungen Frauen, die oft notgedrungen nach dem Tod der Eltern aus dem Umland zum Arbeiten in die Residenzstadt Weimar kamen, ließen sich angesichts vermeintlich guter Heiratsaussichten darauf ein.6 Zahlreiche Beispiele spiegeln sich in den Eheverspruchs- und Unterhaltsklagen wider, die bei der Geheimen Kanzlei, dem Oberkonsistorium bzw. beim jeweiligen Dienstherrn des Kindsvaters eingingen.7 Infolge finanzieller Notlagen ließen sich Frauen sogar für sexuelle Gefälligkeiten bezahlen, machten sich durch Prostitution erneut strafbar und rutschten so in die Armut und soziale Isolation ab. 8 Allerdings bestand ein Unterschied zwischen tatsächlichen Prostituierten, die hauptberuflich dem Gewerbe nachgingen und ledigen Frauen, die durch Gelegenheitsprostitution eine finanzielle Grundlage schufen, um später durch eine Heirat ihre Ehre zu rehabilitieren. Diese 5 6

7 8

GLEIXNER, Mensch (1994), S. 155; Ehezerfall Kühn (1818–1833), LATh–HStAW, HMA 3446, fol. 5v, 1r–20r; Dienstboten Journal 2.1 (1823–1827), StAW, Amtsbücher 29/1, fol. 35v, Nr. 209. R. BECK, Illegitimität (1983), S. 134–137; SABEAN, Unehelichkeit (1982), S. 62; Heiratsgesuch Meißner (1779), LATh–HStAW, Militär B36871, fol. 1r – hier hält der Kindsvater sein Versprechen ein. Für die zahlreichen auswärtigen Dienstmädchen vgl. Dienstboten Journal 2.1 (1823–1827), 2.2 (1827–1832), StAW, Amtsbücher 29/1; ferner PAWLOWSKY, Mutter ledig (2001), S. 78; DÜRR, Mägde (1995), S. 157–160. Vgl. die Registrande der Geheimen Kanzlei bzw. deren Repertorien, LATh–HStAW, Behörden B852–B892, B892f; Schwängerung Rothin (1813), LATh–HStAW, HStA 406, fol. 1r–24r. HAIN, Institut (2014), S. 14; Institut weibliche Jugend (1794–1803), LATh–HStAW, Konsistorialsachen B4757, fol. 2r. Prostitution wurde neben Geldstrafen auch mit Arrest und körperlicher Züchtigung geahndet. 1826 nahm sich ein namentlich nicht benanntes Frauenzimmer aus Wiehe während ihrer Haft in Weimar das Leben, nachdem ihr Fluchtversuch misslang und sie dafür noch härtere Strafen befürchtete. Der Gefängniswärter und Chronist Franz David Gesky merkte dazu an: ihr Verbrechen war dieses sie trieb Liebesgeschäfte. (Gesky, Bruchstück (1806–1835), LATh–HStAW, Schriften & Drucke F2140, fol. 202v); Landesdirektionsakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391c, fol. 38v; Oberkonsistorialakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 56r.

1. RAHMENBEDINGUNGEN VON ILLEGITIMITÄT

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Personen lebten bewusst unauffällig, gingen regulären Tätigkeiten nach und verbargen ihren Nebenerwerb: Die Prostitution sollte vorübergehend sein und nicht hauptberuflich betrieben werden. Ein uneheliches Kind konnte, musste aber nicht zwangsläufig die Heiratspläne durchkreuzen. Sabine Kienitz konnte für das württembergische Hall im frühen 19. Jahrhundert nachweisen, dass Frauen kurz nach Ableistung ihrer für gewerbliche Unzucht erhaltenen Strafe heirateten und deren Ehemänner nicht selten in die Prostitution verwickelt waren.9 In der Universitätsstadt Jena stellten Studenten neben Militärangehörigen die größte Gruppe unehelicher Väter. Das Amt Jena führte 1787 die häufige Angabe eines unbekannten Schwängerers auf die hohe Fluktuation Fremder, auch Studenten, in ihrer Stadt zurück.10 Laut dem Jenaer Bürgermeister hätten sich die illegitimen Schwängerungen bis 1788 gehäuft, weil Bordelle fehlten, in denen die exstinctio libidinis nachgesehen würde. Dadurch würden vor allem die Studenten zur fleischlichen Vermischung, mit den Aufwaerterin, Bürgerstöchtern, und sonst verleitet und uneheliche Schwangerschaften traten häufiger auf als in aeltere Zeiten, wo noch boesen Wirthschaften, auf den Mühlen, und benachtbarten Dorfschencken, mehr nachgesehen wurde.11 Der Bürgermeister beobachtete eine stärkere Ahndung von unehelichem Verkehr und Prostitution, die gestiegene Illegitimitätsraten bewirkt hätte. Die aus hierarchischen Machtstrukturen oder finanziellen Notlagen heraus gezeugten Kinder hätten kaum durch die Mütter selbst verhindert werden können. Selbst die damaligen Ärzte wussten nur sehr wenig über den Verlauf einer Schwangerschaft und vermuteten etwa die fruchtbaren Tage direkt nach der Menstruation. Damalige Verhütungsmethoden wie Kondome, essiggetränkte Schwämme, Pessare oder der coitus interruptus waren unzuverlässig und Abtreibungsmittel teilweise sogar lebensgefährlich und ohnehin strafbar. 12 So habe die Tochter des Schlossermeisters Weidener 1816 Scheidewasser eingenommen und sei daraufhin einen jämmerlichen Tod gestorben. Die ursprüngliche Behauptung um sich zu vergiften wurde in Geskys Chronik mit anderer Tinte gestrichen und stattdessen eine Abtreibung vermutet. Da sie angeblich schwanger war, hatte [sie] vielleicht die Absicht gehabt, es weg zu bringen. Das Wissen über Abtreibungsmittel gaben die Frauen untereinander weiter.13 9 KIENITZ, Sexualität (1995), S. 88f. 10 Jena Kirchenbuße (1788–1812), LATh–HStAW, Rechtspflege B2330b, fol. 15v; Abschaffung Kirchenbuße (1786–1788), LATh–HStAW, Rechtspflege B2315a, fol. 72v. 11 Jena Kirchenbuße (1788–1812), LATh–HStAW, Rechtspflege B2330b, fol. 15r. 12 LAQUEUR, Leib (1996), S. 241; IMHOF, Sexualität (1985), S. 188–191; NOONAN, Empfängnisverhütung (1969), S. 486; WUNDER, Sonn (1992), S. 162. Zu Verhütungs- und Abtreibungsmethoden vgl. DIETRICH/HELLMANN (Hg.), Nimbaum (2006). 13 Gesky, Bruchstück (1806–1835), LATh–HStAW, Schriften & Drucke F2140, fol. 75r; vielleicht wurde nachträglich eingefügt. Die als Scheidewasser bezeichnete Salpetersäure wurde bei Suizidabsichten eingenommen: Art. Gift, in: BUSCH u.a. (Hg.), Wörterbuch medicini-

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IV. UNEHELICHKEIT IN GESETZEN UND DEBATTEN

Auch Männer litten unter dem Machtmissbrauch und unter sexuellen Übergriffen ihrer Vorgesetzten, zu denen sie in Abhängigkeitsverhältnissen standen. So legt eine Kriminaluntersuchung gegen die Hofräte Schnetter und Pfau in den 1740er Jahren offen, wie beide ihren Boten, den Unteroffizier Götze, mehrfach misshandelten und zu sexuellen Handlungen mit verschiedenen Dienstmädchen und dem Kanzlisten Prätorius zwangen. Als Schnetter und Pfau jedoch seine Tochter belästigen wollten, lehnte Götze sich dagegen auf. Zwar könne er seine schlechte Behandlung ertragen, aber sein Kind ließe er nicht zur Huhre machen, und wenn er nur das geringste merckte, so wüste er schon was er thun wolte, denn er hätte seine Kinder honett und ehrlich erzogen. Er gestand ein, dass er sich dadurch versündigte, allein er müste es thun, dann er hätte sein Brodt von den Hofräthen, in specie vom Hofrath Schnetter. Ihre berufliche Stellung missbrauchten die Hofräte auch gegenüber Bittstellern und machten sich der Korruption schuldig, indem sie für das Löschen aus den Strafregistern sexuelle Gefälligkeiten von Ehefrauen und Töchtern eingefordert haben sollen.14 Dieser Fall belegt eindrucksvoll, wie machtlos Mitglieder der Unterschichten – Männer wie Frauen – in Zwangslagen waren. Für die Einleitung rechtlicher Schritte mussten die Betroffenen befürchten, der Falschaussage denunziert und dafür sogar bestraft oder nachteilig behandelt zu werden. Behördenmitglieder konnten sich gegenseitig schützen und derartige Beschwerden leugnen. Jedoch war besonders in solchen Fällen konsequentes und rigoroses staatliches Vorgehen elementar weil richtungsweisend für die Eindrücke der Leidtragenden von staatlicher Moral und Integrität. Eine Auswertung der Weimarer Heiratsregister ergab, dass von den verzeichneten Ehefrauen 218 zum Zeitpunkt der Hochzeit schwanger waren. Bei weit mehr Frauen war die Schwangerschaft vermutlich noch nicht sichtbar oder das vor der Hochzeit geborene Kind wurde als ehelich angegeben.15 Diese Paare heirateten auch, weil der Kindsvater dazu gesetzlich verpflichtet war. Der voreheliche sche Wissenschaften 14 (1836), S. 711. Zur Abtreibung wurden Mixturen etwa aus dem Sud des Sadebaums oder aus Safran verwendet: Straferlassgesuche (1829–1830), LATh– HStAW, Rechtspflege B2873, fol. 123v–126r; ZINNER, Pflanzen (2006), S. 42. 14 Denuciation Schnetter (1742), LATh–HStAW, Dienersachen B25127, fol. 5r–22r. Die Sittlichkeitsvergehen wurden erst während einer Untersuchung gegen beide Hofräte wegen Betrug, Veruntreuung und Amtsmissbrauch aufgedeckt. Herzog Ernst August ordnete an, den Fall ordentlich, aber doch piano zu verhandeln. Urteil und Strafmaß sind nicht bekannt, beide Hofräte und anfangs sogar ihre Ehefrauen wurden inhaftiert. Pfau starb 1747 während der Haft: ebd., fol. 59r; Pfau und Schnetter (1743–1748), LATh–HStAW, Dienersachen B25128, fol. 28r. 15 Das gemeinsame Kind der Eheleute Spieler wurde am 3. März 1800 als ehelich geboren und die Eltern als verheiratet eingetragen, das Paar heiratete aber erst drei Tage darauf: EKAW, HR GK 1800, Nr. 286; ebd. TR GK 1800, Nr. 353.

1. RAHMENBEDINGUNGEN VON ILLEGITIMITÄT

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Beischlaf wirkte ehestiftend und Paare konnten so eine Eheerlaubnis erwirken. In Sachsen-Weimar-Eisenach bildete der sogenannte „antizipierte Beischlaf“ eine der häufigsten Ursachen unehelicher Schwangerschaften. Im Kirchspiel Belm im Osnabrücker Land wurden laut Jürgen Schlumbohm etwa 25 bis 30 Prozent aller Erstgeborenen vor der Eheschließung gezeugt. Besonders die ländliche Bevölkerung besiegelte Eheversprechen durch Geschlechtsverkehr und entschuldigte uneheliche Schwangerschaften noch am Ende des 18. Jahrhunderts mit der beabsichtigten Eheschließung.16 Dem Kindsvater und der von ihm Geschwängerten wurde die Ehe nicht immer erlaubt, da der geltenden Heiratsverpflichtung das rigide Eheschließungsrecht gegenüberstand. Mindestens ein Fünftel der Weimar zuzuordnenden Eltern unehelicher Kinder heiratete nach der Geburt und lebte zuvor möglicherweise in wilder Ehe. Entsprechend der noch immer anerkannten Grundannahme des „European Marriage Pattern“, wonach frühneuzeitliche europäische Paare erst spät heiraten konnten und nur unter Auflagen heiraten durften, führte auch in Sachsen-Weimar-Eisenach die zunächst beruflich bzw. finanziell verwehrte oder erschwerte Eheschließung zu einem relativ hohen Heiratsalter und zu vermehrten unehelichen Geburten. Entsprechend war im Balkanraum und in Russland Illegitimität seltener, da dort das Heiratsalter bis in das 20. Jahrhundert hinein niedriger lag als in den Territorien des Reiches.17 Von den 44 Paaren, die vor der Hochzeit zwei oder mehr Kinder zeugten, gehörten während der Geburt des ersten Kindes 18 Ehemänner und damit über ein Drittel dem Militär an. Dementsprechend gingen beim Oberkonsistorium Weimar zahlreiche Anträge verabschiedeter Militärs ein, die den Ehekonsens für die während der Dienstzeit geschwängerten Frauen erbaten. 18 Weitere neun Ehegatten waren Gesellen und mindestens zwei davon nachweislich bei der Geburt des ersten Kindes zu jung zum Heiraten. Sieben Ehemänner übten ein Handwerk aus, sechs waren Hofangestellte, drei verdingten sich als Handarbeiter und zwei als Fuhrleute. 19 Die Ehemänner heirateten so spät, weil sie keine Erlaubnis von ihrem Vorgesetzten erhielten, weil sie das Mindestalter noch nicht 16 VENTZKE, Herzogtum (2004), S. 315; SCHLUMBOHM, Wilde Ehen (1993), S. 63; GESTRICH, Familie 19./20. Jh. (2010), S. 31; Straferlass Becker (1771), LATh–HStAW, Rechtspflege B2717. 17 MITTERAUER, Mütter (1983), S. 67. Allerdings besteht laut Mitterauer zwischen dem hohen Heiratsalter und den hohen Illegitimitätsraten kein unmittelbarer kausaler Zusammenhang: ebd., S. 55. Zur regionalen Differenzierung und Teilrevision der These vom „European Marriage Pattern“: EHMER, Heiratsverhalten (1991), S. 15–22; GESTRICH u.a., Geschichte (2003), S. 505. 18 Schwängerungen Militär (1800–1811), LATh–HStAW, Rechtspflege B2341b, fol. 8v. 19 Unter den sieben Handwerkern waren ein Buchdrucker, ein Kupferdrucker, ein Bergmann, ein Modelltischler, ein Metzgermeister und ein Schuhmachermeister.

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IV. UNEHELICHKEIT IN GESETZEN UND DEBATTEN

erreicht hatten oder weil sie kein Bürgerrecht besaßen oder bekamen. Die meisten der 44 Paare heirateten erst mehrere Monate bis ein oder zwei Jahre nach der Geburt des zweiten oder dritten Kindes.20 Der Schuhmacher und Steuerexekutor Carl Christian Wilhelm Bartholmä etwa zeugte mit Johanna Friederika (Catharina) Mueß 1810 die erste gemeinsame Tochter. Bei zwei weiteren Kindern 1813 und 1816 wurde kein Vater im Kirchenbuch verzeichnet. Nachdem Bartholmä seinen Abschied aus dem Militärdienst erhielt, beantragte er 1817 beim Stadtrat das für eine Heirat notwendige Schutzbürgerrecht. Das Plenum lehnte sein Gesuch jedoch ab und wies das Stadtgericht an, die wilde Ehe mit der Musin zu trennen.21 Erst 1819 wurden die beiden getraut, nachdem sie anscheinend fast zehn Jahre lang als unverheiratetes Paar gelebt hatten.22 Bartholmä hatte zwischenzeitlich das Bürgerrecht doch erhalten. Warum die örtlichen Behörden letztlich zugunsten des Paares entschieden und ob sie zuvor gegen die wilde Ehe vorgingen, muss offenbleiben. Das 1820 geborene eheliche Kind der Bartholmäs belegt die emotionale Bindung der Eltern und bezeugt den Wunsch nach einem rechtmäßigen Familienleben. Wie Goethe und Christiane Vulpius lebten auch andere bewusst unverheiratet, um unabhängig zu bleiben und vor allem als Mann etwaige hausväterliche Pflichten zu umgehen. Jürgen Schlumbohm erkannte retrospektiv in den durch die Eheschließung veränderten Vermögensverhältnissen eine Ursache wilder Ehen: Witwen hätten bei einer erneuten Heirat gegebenenfalls auf ihr bislang bezogenes Witwengeld verzichten müssen, eine zweite Ehe wäre finanziell nachteilig gewesen.23 Angehörige unterer Schichten konnten sich folglich die mit einer Ehe verbundenen Aufwendungen nicht leisten oder befürchteten finanzielle Nachteile. Unter den Weimarer Illegitimitätsfällen stellen sie daher die meisten Eltern. Statt einer legalen Heirat bildeten solche Paare Versorgungsgemeinschaften und führten wilde Ehen. Uneheliche Schwängerungen kamen keineswegs nur in den unteren Schichten vor. Neben prominenten Fällen wie den Mantelkindern Carl Augusts zeugten auch Töchter und Söhne der höheren Staatsdiener illegitime Nachkommen, wie die 1773 unehelich geschwängerte Tochter des Ilmenauer Bürgermeisters und nicht zuletzt die zahlreichen Studenten. Allerdings traten uneheliche Geburten in den oberen Kreisen wesentlich seltener offen zutage, da es ihnen häufig durch ihr finanzielles Kapital besser gelang, die Schwängerung durch eine finanzielle Abfindung an die ledige Mutter oder auch eine Ehe zu verheimlichen. Dazu bat 20 SCHLUMBOHM, Wilde Ehen (1993), S. 64. 21 Plenarprotokolle (1817–1823), StAW, HA I-1-52, 24.05.1817, Nr. 1; EKAW, TR SK 1810, fol. 229r, Nr. 88; ebd. 1813, fol. 29v, Nr. 116; EKAJ, TR SK 1816, S. 477, Nr. 103. 22 EKAW, HR SK 1819, S. 133, Nr. 38. 23 Oberkonsistorialakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 54v; SCHLUMBOHM, Wilde Ehen (1993), S. 66.

1. RAHMENBEDINGUNGEN VON ILLEGITIMITÄT

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der Kammerjunker Carl Wilhelm von Buchwald aus Jena 1777 erfolgreich um den landesherrlichen Dispens für die Eheschließung mit der von ihm geschwängerten Tochter eines Hofadvokaten, Ernestina Wilhelmina Dorothea Otto. Nach 14 Ehejahren richteten beide Eheleute 1791 erneut ein Gesuch an den Herzog – und Carl August ordnete die Scheidung an.24 Ob das Paar aus Zuneigung oder zur Rehabilitierung der Ehre der Frau heiratete und ob sie sich nach einigen versöhnlichen Jahren voneinander entfernten oder seit jeher eine unglückliche Vernunftehe führten, bleibt offen. Selbst wenn alle Voraussetzungen gegeben waren, konnte die ersehnte Eheschließung letztlich am verweigerten Ehekonsens der Eltern scheitern.25 Die schwangere Eva Susanna Meißner wandte sich 1779 an den Herzog und bat ihn um die Ehe mit dem Kindsvater, dem Husarenquartiermeister Gichau, dessen Vater seine Zustimmung zur Ehe bislang verweigerte. Die nachfolgenden Ereignisse sind nicht überliefert. Drei Monate später kam das Kind unehelich zur Welt, das Paar heiratete erst zwei Jahre später. Weil die Eheleute Hasse aus Leutenthal bei Buttstädt der Ehe ihres Sohnes mit ihrer von ihm schwangeren Magd nicht zustimmten, beging das Paar gemeinsam Selbstmord.26 Sie hatten vermutlich nicht den Mut oder die Möglichkeiten, wie andere Paare eine wilde Ehe zu führen und sich damit über die elterlichen Einwände und die geltenden Heiratsvorschriften hinwegzusetzen.

1.2. Von Huren und Buße: Die Landesordnung von 1589 und die Kirchenordnung von 1664 Inhaltlich wie verbal wirkten zentrale, jedoch meist überholte Gesetzeswerke wie Landes- und Kirchenordnungen des 16. und 17. Jahrhunderts auf die zeitgenössischen Debatten selbst am Ende des 18. Jahrhunderts, deren Teilnehmer etwa auch zur juristischen Legitimation Begriffe wie Hure und Buße gebrauchten. Für die Ahndung von Sittlichkeitsdelikten konnte in Sachsen-Weimar-Eisenach am Ende des 18. Jahrhunderts neben den zahlreichen später erlassenen Gesetzen, Verordnungen und Mandaten grundsätzlich noch immer die Landesordnung von 1589 hinzugezogen werden. Darin deklarierte Herzog Friedrich Wilhelm von 24 Registrande (1773), LATh–HStAW, Behörden B858, Nr. 1211; Registrande (1777), LATh– HStAW, Behörden B864a, fol. 29r; EKAJ, HR SK 1777, S. 496, Nr. 8; Registrande (1791/92), LATh–HStAW, Behörden B892, fol. 75v. 25 Die ernestinische Landesordnung von 1589 legte dies fest und wurde nachfolgend mehrfach bestätigt. 26 Heiratsgesuch Meißner (1779), LATh–HStAW, Militär B36871, fol. 1r–2r; EKAW, TR SK 1779, fol. 63v, Nr. 89; EKAW, HR GK 1781, Nr. 46; Gesky, Bruchstück (1806–1835), LATh–HStAW, Schriften & Drucke F2140, fol. 281r.

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IV. UNEHELICHKEIT IN GESETZEN UND DEBATTEN

Sachsen-Weimar Hurerey und Ehebruch als Gotteslästerung und wies seine Obrigkeiten an, das ihr […] die hurerey / ehebruch / und uneheliche beywonūge / itzlicher nach seiner gelegenheit / hertiglich und wie sichs gebürt / unnachlessig und mit ernst straffet. 27 Besonders von ledigen Frauen wurde ein ehrenhafter und keuscher Lebenswandel erwartet, widrigenfalls mussten sie mit verdecktem Haupt und ohne Spiel zur Kirche gehen. Für unehelichen Geschlechtsverkehr wurden Frauen wie auch Männer mit Gefängnis oder bei mehrmaligem Vergehen mit der Schandstrafe öffentlicher Staupenschläge bestraft. Ein lediger Mann war verpflichtet, die durch ihn Entehrte zu heiraten. Weigerte er sich, sollten beide eine Haftstrafe von acht Tagen bis zu einem Monat bei Wasser und Brot verbüßen.28 Hierin liegt eine Ursache für die sich widersprechende Ehegesetzgebung, die einerseits ehestiftend wirkte, indem sie die Männer zur Heirat der von ihnen Geschwängerten verpflichtete, andererseits die Eheschließung unter anderem durch ein dazu notwendiges Kapital privilegierte und Paaren zuweilen die Ehe versagte. Ähnlich mussten Verlobte für vorehelichen Beischlaf mit Ledigen mit Gefängnis- und Ehrenstrafen rechnen. Während dem verlobten Mann sexueller Kontakt mit einer Ledigen offensichtlich nachgesehen wurde – die Landesordnung erwähnt hierfür keinerlei Strafen –, drohten der verlobten Frau und ihrem ledigen Liebhaber Staupenschläge und Landesverweisung. Selbst wenn ihr zukünftiger Mann ihr die Untreue verzieh, musste sie eine Haftstrafe antreten.29 Für alle Ehebrecher, ledige und verheiratete, sah die Landesordnung von 1589 den Tod durch Enthaupten vor. Einzig ledige Frauen, die sich mit verheirateten Männern einließen, sowie Eheleute, die ihre Partner nach einem einfachen Ehebruch wieder aufnahmen, wurden (gemeinsam mit ihrem Ehegatten) des Landes verwiesen. Untersuchungen der tatsächlichen Rechtsprechung konnten jedoch nachweisen, dass nur sehr wenige Sittlichkeitsdelikte mit derart hohe Strafen oder gar Todesurteilen geahndet wurden.30 Die 1664 erlassene Kirchenordnung sah für Hurerey und Schwängerung eine öffentlich abzuleistende Ehrenstrafe, die Kirchenbuße vor. Sie wurde in Sachsen-Weimar-Eisenach bis 1786 zusätzlich zu den weltlichen Strafen verhängt. Im Gottesdienst verkündete der Pfarrer, daß in dieser Gemeinde eine Person verhanden / mit Namen N.N. die aus Verführung des bösen unsaubern Geists […] wider das sechste Gebot gröblich gesündiget / und damit Gott im Himmel und die Obrigkeit erzürnet / auch die ganze Christliche Gemein schwerlich betrübt und geärgert. Weil nun dieselbe / ihre

27 28 29 30

Landesordnung (1589), Kap. 4, S. 2. Ebd., S. 4f.; J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 172, 175. Landesordnung (1589), Kap. 4, S. 2f. Ebd., S. 3f.; FRASSEK, Konflikte (2016), S. 266.

1. RAHMENBEDINGUNGEN VON ILLEGITIMITÄT

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Sünde öffentlich bekennen / und umb die H[eilige] Absolution / und Vergebung bitten wird / so wollet ihr solche in euer Christlich Gebet mit einschliessen […].31

Während des darauffolgenden Liedes musste die Person vor dem Altar niederknien. Der Pfarrer predigte danach zur Gemeinde, dass sie sich durch die begangene Sünde der Hurerey und Unzucht / [Ehebruchs] […] der Gemeinschafft Gottes / und seiner lieben Kirchen / unwürdig gemacht hatte, aber nun durch öffentliche Buße mit der Christlichen Kirchen wieder ausgesöhnet werden wollte und die Taten bereute. Daraufhin musste der Delinquent unter anderem öffentlich zugeben, dass er gesündigt und damit Gott, die Obrigkeit und die Gemeinde verärgert hatte, dass er bereute und wieder versöhnt werden und sich bessern wollte. Schließlich wurde dem Straffälligen die Absolution erteilt und er wurde wieder zum Abendmahl zugelassen.32 Die Kirchenbuße stellte eine äußerst entehrende und demütigende Strafe dar, bei der die Delinquenten bloßgestellt und ihr Vergehen gemeinhin bekannt gemacht wurden. Zwar verwarnte der Pfarrer nach der Abolition die Gemeinde, diesem bekehrten Sünder / seine Kirchenbuß / zur Schmach / in Ungutem nicht aufzurücken / noch fürzuwerffen und dass Verstöße unchristlich seien und obrigkeitlich gestraft würden.33 Unzweifelhaft sollte die Kirchenbuße dennoch als soziale Strafe dem Täter auch durch gesellschaftliche Missbilligung zusetzen. Die unangenehme öffentliche Bloßstellung und Verurteilung der Tat sollte Sittlichkeitsnormen bekräftigen und die Zuhörer durch das schlechte Beispiel abschrecken und erziehen. Auch musste ein sündhaftes Gemeindemitglied zunächst durch Buße gereinigt werden, um nicht durch seine ungesühnten Taten die gesamte Abendmahlsgemeinschaft herabzuwürdigen. Eine gesellschaftliche Missachtung der straffälligen Person für ihr unchristliches und unzüchtiges Verhalten zeigte gewissermaßen auch den pädagogischen Erfolg der öffentlichen Warnung und Bestrafung an.34 Die im 16. und 17. Jahrhundert erlassenen Bestimmungen Sachsen-Weimars wurden in den nachfolgenden Jahrhunderten vielfach modifiziert. Für die Analyse der sich verändernden Vorstellungen von familialem Leben ist hier vor allem das 18. und der Beginn des 19. Jahrhunderts interessant. Allein bezüglich unehelichem Beischlaf und Schwängerung sowie Ehebruch wurden in diesem Zeitraum fast 60 Verordnungen erlassen, die die Landesordnung ergänzten oder ersetzten und die die Kirchenbuße letztlich abschafften. Derartigen Entscheidungen gingen meist jahrelange Debatten unter den Gesetzgebern voraus, die durch einen entsprechenden Diskurs in der Publizistik entscheidend geprägt wurden.

31 32 33 34

Kirchenordnung (1664), S. 513f. Ebd., S. 515f., 520. Ebd., S. 520f. WAHL (Hg.), Kind (2004), S. 124.

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IV. UNEHELICHKEIT IN GESETZEN UND DEBATTEN

1.3. Illegitimität und wilde Ehen in der zeitgenössischen Publizistik 1.3.1. Täter und Opfer, Folgen und Strafen Die erlassenen Gesetze des ausgehenden 18. Jahrhunderts stehen in einem Kontext zeitgenössischer Debatten, die durch ein vermehrtes Aufkommen an Zeitschriften mit unterschiedlicher thematischer Ausrichtung immer mehr Teilnehmer verzeichneten. 35 In mitunter anonym erschienenen Aufsätzen und Rezensionen partizipierten Pfarrer, Hochschuldozenten, Regierungsmitglieder, Ärzte und zahlreiche andere Berufsgruppen an Diskussionen, die nachfolgend nur ausschnitthaft dargestellt werden können. Weder auszuschließen noch nachzuweisen ist, dass sich über die Anonymität auch Frauen an den Debatten beteiligten. Die verschiedenen Beiträge zeigen mit einigen exemplarisch ausgewählten Argumentationsmustern auf, was um 1800 hinsichtlich traditioneller und alternativer Familienformen losgelöst von staatlichen Regulierungsbemühungen denk- und sagbar war. Sie bilden somit den Referenzrahmen der im Zusammenhang mit obrigkeitlicher Gesetzgebung geäußerten Überlegungen. Insgesamt kommen nachfolgend ungefähr 13 Autoren zu Wort, die sich zu den Ursachen und Folgen von Illegitimität, zur Prävention des Kindsmords, zur Abschaffung der Kirchenbuße wie zur Anpassung anderer Sanktionen sowie zu Strafmöglichkeiten für illegitime Kindsväter und zu weiteren Maßnahmen zur Eingrenzung und zum Umgang mit Illegitimität äußerten. Die einzelnen Positionen ähneln sich über die untersuchten Jahrzehnte hinweg sehr stark: Durchweg, sowohl 1777 als auch 1829, wurden illegitime Verbindungen und die daraus hervorgehenden Nachkommen als die gesellschaftliche und damit staatliche Ordnung gefährdend wahrgenommen. Die unehelich verkehrenden Frauen und Männer und deren Befürworter bzw. Verteidiger seien weichliche, weibische, und unordentliche, Glieder des Staats, durch sie werde der häusliche und äußere Frieden gestört und sie endeten meist in Unordnung und Verderben für ganze Familien.36 Der Autor stellte einen direkten Zusammenhang zwischen familialer und staatlicher Ordnung her, die Illegitimität einzelner Familienmitglieder falle auf deren Angehörige zurück. Mehr noch hinterfragte das offene gesetzeswidrige Verhalten die staatliche Autorität und gefährdete so ihr Funktionieren: Wer die nöthige und nützliche Verordnungen des gemeinen Wesens verachtet, […] der thut nicht nur Dinge, die zur Verachtung der Obrigkeit und des Staats gereichen, sondern reisset auch, soviel an ihm ist, die Grundsäulen desselben um.37 Illegitimität war dementsprechend nicht zu dulden, um das Funktionieren des Staates zu 35 Einen Einblick in die verschiedenen Publikationsorgane bietet das Quellenverzeichnis im Anhang. 36 N.N., Hurerei (1777), S. 34. 37 Ebd., S. 35.

1. RAHMENBEDINGUNGEN VON ILLEGITIMITÄT

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gewährleisten. Daher hätten einige Territorien angesichts der schädlichen Folgen […] in ganzen Städten und Familien bereits aufgehobene Gesetze und Bestrafungen gegen unehelichen Verkehr erneuert oder reaktiviert.38 Der Hallenser Mediziner Karl August Weinhold warnte 1829 ebenfalls davor, dass uneheliche Sexualkontakte und wilde Ehen eine Bedrohung für die gesellschaftliche Ordnung und die staatliche Autorität bedeuteten: Lassen sie nun dieses Unwesen immer mehr Überhand nehmen, so werden Sie mir doch zugeben, dass, da die Basis der Staaten das eigentliche gute altbürgerliche Familienleben ist, aus einer Menge solcher Familien, welche aus blossem Instinkt ohne alle Vernunft zusammen gelaufen sind, unmöglich viel Gutes hervorgehn könne.39 Weinhold bemängelte fehlende rationale Abwägungen bei der Gründung von Familien als ein Wesensmerkmal wilder Ehen und meint damit vermutlich, dass etwa die für die Versogung gemeinsamer Kinder notwendigen finanziellen Mittel nicht ausreichend bedacht wurden. Die so entstehenden Nachkommen fielen wie auch ihre Eltern dem Staat eher zur Last, als dass sie ihm nützten. Beide Positionen verdeutlichen, dass zwischen 1777 und 1829 die Familie für einige Zeitgenossen das elementare Bindeglied gesellschaftlichen und staatlichen Funktionierens darstellte und daher eine Öffnung gegenüber alternativen Lebensformen von Teilen der Gesellschaft abgelehnt wurde. Gemäß den zeitgenössischen Darstellungen waren besonders die Lebensläufe zweier Personengruppen nachhaltig von Illegitimität beeinträchtigt: der Mütter und der Kinder. Bis in das 19. Jahrhundert hinein hält sich etwa beim Breslauer Garnisonsprediger Gottlieb Ludwig Rahn die Argumentation von den leichtsinnigen und liederlichen Müttern und damit von deren maßgeblichem Anteil an der Entstehung unehelicher Kinder.40 Dass die Väter in den meisten Beiträgen nicht als benachteiligt wahrgenommen wurden, lässt nicht nur den Rückschluss zu, dass ein illegitimes Kind die Männer zumindest des 18. Jahrhunderts tatsächlich kaum in ihrem weiteren Lebensweg beeinträchtigte, sondern steht auch symptomatisch für die traditionelle Wahrnehmung von Unehelichkeit. Vertreter konservativer Geschlechtervorstellungen schrieben die maßgebliche Verantwortung für den unehelichen Verkehr den Frauen zu. Die Väter als Verursacher kommen in Rahns Aufsatz gar nicht vor, wenngleich doch gerade ihm als Militärgeistlichem zahlreiche Fälle bekannt sein mussten, in denen die Soldaten etwa im Rahmen von Belagerungen den unehelichen Verkehr forcierten. Allenfalls wurden die Männer im Zusammenhang mit der den unehelichen Kindern nachgesagten mangelhaften

38 Ebd., S. 36. Vgl. ferner zum Diskurs am Ende des 18. Jahrhundert über die Folgen von Illegitimität für den Staat und über deren Strafbarkeit BECKER, Lebensgemeinschaft (1978), S. 33–37. 39 WEINHOLD, Gleichgewicht (1829), S. 17. Siehe ferner N.N., Hurerei (1777), S. 36. 40 RAHN, Mund (1808), S. 134f., 139.

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IV. UNEHELICHKEIT IN GESETZEN UND DEBATTEN

Erziehung durch die Eltern mitgenannt, die ihre Nachkommen verleugneten, versteckten und vernachlässigten.41 In einer anonym 1777 in Leipzig und Frankfurt am Main erschienenen dialogischen Schrift zur Frage Sollten Hurerei und Concubinat auch in unsern Zeiten noch schädliche und schändliche Laster sein? erkennt der Autor die Kinder als zu Unrecht stigmatisiert, rechtfertigt die Geringschätzung jedoch mit den vermeintlich schlechten Erbanlagen: Sie müssen sich in ihrem Leben manchen Vorwurf und manche Verachtung gefallen lassen. Die Liederlichkeit, die ihnen angebohren, und mit der Muttermilch eingeflöset wird, verleitet sie gar oft zu gleichen Vergehungen, und stürzet sie in ein gleiches Verderben. Sie müssen überdas des Ansehens und des Vermögens der Eltern entbehren. Der Autor identifizierte damit Illegitimität als ein Problem vor allem mittelloser Schichten, wenngleich andere zeitgenössische Darstellungen von einem gesamtgesellschaftlichen Phänomen sprachen.42 Rahn sensibilisierte hingegen für die Notlage der Kinder und forderte die Leser zur Hilfestellung aus christlicher Nächstenliebe auf. Explizit gestand er Unterstützung jedoch nur den Kindern und nicht den Müttern zu, wenngleich manche von ihnen das größte Mitleiden verdient hätten. Bei einer zu starken Entlastung oder geminderten Bestrafung der Mütter befürchtete er, dass sie nicht aus ihrem Fehlverhalten lernten und erneut straffällig würden.43 Andere Autoren sprechen sich vehement gegen die pauschale Verurteilung unehelich Geschwängerter aus, da ein bloßer Stuprationsfall keine H[ure]rei, […] eine Geschwächte keine H[ur]e ist. […] Man hat Beispiele, daß arme Mädchen ohne ihre Schuld ins Bordel gekommen sind, und das sie sich nachher gebessert haben, wie sie daraus erlöst waren. Der unbekannte Autor lehnte 1787 den Begriff Hure explizit als Beschimpfung vor allem für erstmalig Geschwängerte und damit deren Herabwürdigung ab, da dies den Müttern ohne jeden weiteren Zweck schadete. Er forderte sogar ein Verbot der Betitelung unehelich geschwängerter Mädchen vor allem für Unterobrigkeiten wie Richter, Prediger oder Herrschaften. 44 Auch die gesellschaftliche Stigmatisierung unehelich Geborener sei ungerecht und daher abzulegen, zumal sie bei deren Müttern zu Mordgedanken gegenüber ihren Kindern beitrage. Johann August von Einsiedel behauptete sogar, dass aus Zuneigung entstandene Kinder vorzuziehen seien: den Vorzug der Kinder der Liebe hat man von jeher bemerkt.45 Ein unbekannter Autor warb in seinem 1787 erschienenen Aufsatz für mehr Empathie gegenüber unehelich geschwängerten jungen Frauen, indem er wie viele andere Zeitgenossen deren individuelle Lebensumstände in den Blick nahm 41 42 43 44 45

Ebd.; N.N., Hurerei (1777), S. 24f. N.N., Hurerei (1777), S. 25, 465. RAHN, Mund (1808), S. 139. N.N., Toleranz (1787), S. 466, 473. V. EINSIEDEL, Ideen (1957), S. 225; ebd., S. 463.

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und somit die Ursachen der Illegitimität erläuterte. Demnach bekamen die Mütter mit Säuglingen keine Arbeit und konnten weder sich noch ihr Kind ausreichend ernähren. Viele uneheliche Kinder litten an Mangelernährung und starben aufgrund der geschwächten Gesundheit im Kleinkindalter. Umso mehr hofften ihre Mütter auf eine Eheschließung, willigten gegen Versprechungen in unehelichen Verkehr ein und wurden erneut schwanger. Die Kindsväter lösten ihre Versprechen meist nicht ein und die zweite uneheliche Schwangerschaft wie auch die damit meist verbundenen hohen Strafzahlungen und Kosten verschlimmerten ihre Lebenssituation noch mehr. 46 Wenngleich der Autor dies nicht explizit benannte, so wird an seiner Darstellung doch deutlich, dass vor allem die prekäre wirtschaftliche Situation der Frauen erneute Zwangslagen wie Abhängigkeiten von vermeintlichen Verlobten, aber auch von anderen Geldgebern wie Dienstherren, die ersten wie auch weitere Schwangerschaften verursachten. Daneben beobachtete derselbe Autor auch einen verwerflichen gesellschaftlichen Umgang mit Illegitimität, der zu deren Verbreitung beitrüge: Durch abfällige oder frivole Bemerkungen zu Sexualität und Unehelichkeit in geselligen Runden würden Jugendlichen wie dem anwesenden Dienstpersonal falsche Vorbilder geboten und eine gewisse Selbstverständlichkeit illegitimer Sexualkontakte suggeriert: Schlüpfrige Reden in Gesellschaften, wo junge Leute gegenwärtig sind –, Spaßen und Lachen über Liebesintrigen, Erzälungen, wie dieser ein Mädchen geschwächt, wie jenes Mädchen ein Kind bekommen hat, mit einem Tone, der Gleichgiltigkeit verrät, schamloses Betragen des Gesindes, das ihrer Herrschaft nachamt, […] haben schon manches junge Geschöpf Vorreif gemacht, das ohne alle Anfechtung die männlichen Jare erreicht haben würde, wenn nicht […] die allen Menschen angeborne Schamhaftigkeit, wäre zerstört worden.47

Typisch in der Argumentation auch für andere zeitgenössische Autoren ist die Vorbildfunktion bzw. die legitimierende Wirkung des Verhaltens Vorgesetzter bzw. Angehöriger höherer Stände. Zugleich bemängelt der Autor die Verbreitung und Verharmlosung illegitimer Beziehungen in geselligen Runden, wodurch bei Heranwachsenden Vorbehalte gegenüber sittenwidrigem Verhalten abgebaut würden. Indem die Beeinflussung junger Männer im Vordergrund stand, schrieb er ihnen eine Hauptverantwortung für uneheliche Sexualkontakte zu: Schüler und Studenten pflegten durch Lesen und eigene schriftstellerische Werke eine Liebesbrief- und Romankultur und verführten so die Mädchen. Daß hieran [an illegitimen Beziehungen, A.W.] die Romane, der Luxus, das affectirte Schöngeistern, das Genieunwesen, und verkerte Erziehung, nicht Schuld seyn sollten; kann ich mich nicht überreden.48 46 N.N., Toleranz (1787), S. 467. 47 Ebd., S. 478. 48 Ebd., S. 479.

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Demnach verleitete die Lektüre wie auch das eigene Schreiben und eine damit verbundene literarische Intellektualität, die er als affectirte[s] Schöngeistern und Genieunwesen bezeichnete und der die jungen Männer nacheiferten, zu illegitimen Paarbeziehungen. Er machte damit Bildung, Wohlstand und eine möglicherweise wie oben definierte verkerte Erziehung für Unehelichkeit verantwortlich. Mehrere Autoren stellten eine Verbindung zum Bildungsbürgertum her, sprachen abfällig von der hochberühmte[n] Civilisation als Ursache sozialer Missstände in den unteren Bevölkerungsgruppen und machten Illegitimität als etwas Städtisches aus.49 So ist von Orten die Rede, wo es der Volkslehrer mehrere giebt, wo die Liebe kunstmäßig gelehrt und das Laster lachend bestraft wird, wo alles nach sinnlichen Vergnügungen rennt […], wo mehrere gereif’te oder wenigstens belesene Herren sind, wo Vater Voltaire nachgerade den Ton angiebt […].50 Der Verfasser sah in einer Atmosphäre der Bildung und progressiven Ideen eine Ursache für vermehrt auftretende Illegitimität, die er besonders in Städten beobachtete. Damit bestätigt er die These, dass eine erhöhte Anzahl alternativer Lebensformen in Weimar und Jena auch auf die hohe Dichte Intellektueller zurückzuführen ist. Die Autoren spielten mit ihrer Kritik am intellektuellen Austausch ihrer Zeitgenossen auch auf die Debatten um den Umgang mit alternativen Lebensformen an. Im 18. Jahrhundert wurden, beeinflusst durch die Aufklärung, bewährte Deutungsmuster wie etwa Geschlechterrollen, Vorstellungen von Sittlichkeit, Recht und Unrecht oder auch Standesunterschiede hinterfragt. Im Zuge dessen reformierten und lockerten zahlreiche deutsche Territorien das Strafrecht für die Tötung Neugeborener und für uneheliche Sexualkontakte. 51 Während der mehrfach angestoßenen Debatte über die Präventionsmöglichkeiten des Kindsmords wurde nicht nur die Abschaffung der Todesstrafe diskutiert. Die Teilnehmer stritten direkt oder unterschwellig auch über Liebes- und Konvenienzehe, innergesellschaftliche Hierarchien, Geschlechtervorstellungen, den sozialen Status lediger Mütter sowie unehelicher Kinder und letztlich über vor- und außereheliche Sexualität.52 Eindeutige Anzeichen für bereits gewandelte, schon zuvor ausgehandelte Deutungsmuster sind unter anderem an einem preußischen Edikt von 1765 abzulesen und schlagen sich ferner in zeitgenössischen Abhandlungen nieder.53 So brachte sich der italienische Jurist Cesare Beccaria 1764 mit einer der berühmtesten und wirkungsvollsten strafrechtlichen Reformschriften der 49 50 51 52 53

WEINHOLD, Gleichgewicht (1829), S. 24. N.N., Auflösung (1791), Sp. 631. MICHALIK, Kindsmord (1997), S. 287–352; ULBRICHT, Kindsmord (1990). LUSERKE, Deutungsmuster (1996), S. 198. MICHALIK, Kindsmord (1997), S. 235.

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Aufklärungszeit in die Debatte über die Effizienz der bis dato angewandten Strafen zur Verbrechensprävention ein. Er argumentierte gegen Folter und Todesstrafe und stattdessen für eine angemessene Verbrechensvorbeugung und konsequentere Strafverfolgung.54 Als richtungsweisend für die Kindsmord-Debatte gilt in der Forschung die Mannheimer Preisfrage von 1780: Welches sind die beste[n] ausführbare[n] Mittel dem Kindermorde Einhalt zu thun?55 In zeitgenössischen Zeitschriften wie hier in den Ephemeriden der Menschheit, oder Bibliothek der Sittenlehre, der Politik und der Gesetzgebung wurde in kurzen Artikeln auf die Ausschreibung hingewiesen, die mit einem Preisgeld von 100 Dukaten dotiert war. Als Preisrichter fungierten der damalige Statthalter Erfurts Carl Theodor von Dalberg, der Göttinger Hofrat und Universitätsprofessor Johann David Michaelis sowie der Mannheimer Hofkammerrat Rigal.56 Der Beitrag schildert die bislang erfolglosen Bemühungen mehrerer Regierungen, durch verschiedene Maßnahmen wie härtere Strafen oder Straferlasse ungewollt Schwangere von der Tötung ihrer Neugeborenen abzuhalten. Bis zum Einsendeschluss (Pfingsten 1781) gingen insgesamt 385 Beiträge bei den Juroren ein, die sich schließlich nicht auf einen Preisträger einigen konnten und drei Sieger bestimmten. 57 Die so angestoßene Kontroverse über die Verhinderung des Infantizids, an der sich auch der Weimarer Regierungsrat Christian Gottlob von Voigt mit einem Aufsatz beteiligte, dauerte mehrere Jahre an und bildete laut Otto Ulbricht den „Kristallisationskern der Spätaufklärung“.58 Die Debatte regte nachweislich in der Gesetzgebung etwa Sachsen-WeimarEisenachs wie auch in der Publizistik zu einem Umdenken im Umgang mit unehelich Geschwängerten an, die immer häufiger nicht mehr als Täterinnen, sondern selbst als Opfer individueller Lebensumstände, aber auch gesellschaftlicher und staatlicher Missstände betrachtet wurden, wie der 1782 erschienene Beitrag des Jenaer Professors für Theoretische Medizin Christian Gottfried Gruner veranschaulicht: Von ihrem Liebhaber verlassen und verachtet, von grausamen Aeltern verfolgt, vom Pöbel verhöhnet, vom weltlichen Richter über eine Handlung strenge vernommen, über welche sie schon beim Erinnern insgeheim erröthet, vom frommen Priester biblisch beschimpft, um Geld gestraft, zur Kirchenbuße verdammt […], an 54 BECCARIA, Verbrechen (1764), § XXXI. Zur Problematisierung des Kindsmords vor 1780 bspw. ISELIN, Gedanken (1778), S. 12–34; N.N., Dirnen und Kinder-Mord (1763); Renovirtes und geschärfftes Edict wegen des Kinder-Mordes, Berlin 1723; ULBRICHT, Kindsmord (1997), S. 219–223. Zur Debatte über die Verhinderung des Kindsmords im 19. Jahrhundert siehe bspw. JÖRG, Zurechnungsfähigkeit (1837), [Vorwort]. 55 N.N., Preisfrage (1780), S. 613; ULBRICHT, Kindsmord (1997), S. 217. 56 N.N., Preisfrage (1780), S. 613. Die Identität des Hofkammerrath Rigal der Aeltere zu Mannheim konnte nicht abschließend geklärt werden. 57 MICHAELIS, Beurtheilung (1782), Sp. 1458; GERIG, Jenseits (2008), S. 38. 58 ULBRICHT, Kindsmord (1997), S. 245; WAHL (Hg.), Kind (2004), S. 56–68.

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manchen Orten ins Entbindungshaus getrieben, und nach dem Tode, nebst ihrem unmündigen Kinde, zum Schlachtopfer der Zergliederer bestimmt – wie soll sie diesen grauenvollen Gedanken ertragen! […] Ehre verloren, alles verloren, und der erste Gedanke, Abtreiben und Kindsmord, gebieret auch bedürfenden Falls den zweiten, Selbstmord.59

Gruner forderte damit mehr Empathie für die Situation der unehelich geschwängerten Frauen, die durch die gesellschaftliche Tabuisierung und Verurteilung unehelicher Schwangerschaften in eine für sie ausweglos erscheinende Notlage gerieten.60 Ein anderer Autor beschrieb die häufige Befangenheit und Doppelmoral der Obrigkeit wie etwa der Richter oder Prediger, die sich selbst sittenwidrig verhielten, jedoch in ihrer Funktion die jungen Frauen demütigten und beschimpften oder sogar zu verführen versuchten bzw. sich von den Kindsvätern bestechen ließen.61 Auch der in Rudolph Zacharias Beckers Noth- und Hülfs-Büchlein von 1788 geschilderte Kindsmordfall der Liesel Wolf weist exemplarisch einige von der Debatte hervorgebrachte neue Deutungsmuster auf, indem die ledige Mutter die Verantwortung nicht mehr allein trug und ihrem sozialen Umfeld wie auch dem Schwängerer der Kindsmord zugeschrieben wurde. Liesel Wolf war Opfer ihrer individuellen Umstände: Als Halbwaise lebte sie nur mit ihren Brüdern und dem alkoholkranken Vater, der von ihrer Schwangerschaft wusste und sie trotz ihrer Bitte um Hilfe nicht unterstützte. Der Kindsvater, als Verführer maßgeblich für das Vergehen verantwortlich, hielt sein Eheversprechen nicht und verwehrte ihr trotz Schwangerschaft jegliche Unterstützung. Die Lebenssituation der Straffälligen berücksichtigend wird die Kindsmörderin von Becker nicht mit der höchsten Strafe belegt und hingerichtet, sondern lebenslang inhaftiert. Durch die weltlichen Gerichte blieb der Kindsvater zwar ungestraft, durch eine göttlich bewirkte tödliche Krankheit musste er sein Verbrechen jedoch letztlich büßen, öffentlich bekennen und bereuen.62 Ein von den Täterinnen selbst immer wieder angegebenes Motiv für den verübten Kindsmord war die Angst vor der durch das uneheliche Kind erzeugten Schande und vor Ehrverlust.63 Somit richteten sich reichsweit zahlreiche Streitschriften und Reformbemühungen gegen entehrende Strafen wie das Prangerstehen oder die Kirchenbuße und diskutierten die Angemessenheit und Zeitgemäßheit der für Sittlichkeitsdelikte gültigen Verordnungen. 64 Besonders in 59 N.N., Kindermorde (1782), S. 202f. Zur Debatte über die Prävention von Kindsmorden: Kap. IV.1.3. 60 Vgl. ferner N.N., Toleranz (1787), S. 465. 61 N.N., Toleranz (1787), S. 465f. 62 BECKER, Hülfs-Büchlein (1789), S. 199–210. 63 MICHALIK, Kindsmord (1997), S. 94–109. 64 N.N., Toleranz (1787), S. 463; WAHL (Hg.), Kind (2004), S. 20, 56. Vgl. MICHALIK, Kindsmord (1997); ULBRICHT, Kindsmord (1990).

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(Brandenburg-)Preußen regte sich gegen die von Friedrich Wilhelm I. erst 1716 eingeführte Kirchenbuße seitens der Bevölkerung und auch der Geistlichen starker Protest. Die Verordnungen blieben bis zu deren Aufhebung 1746 durch Friedrich II. offiziell rechtskräftig, wurden jedoch kaum angewandt.65 Die Befürworter der Kirchenbuße befürchteten durch deren Abschaffung den Verfall der öffentlichen Ordnung. In Orten, in denen die Kirchenbuße bei Sittlichkeitsdelikten häufig nicht mehr angewandt oder sogar ganz abgeschafft wurde, hätten die Sittlichkeit und Ehrbarkeit sehr gelitten.66 Solche Befürchtungen bestätigten sich offenbar im Amt Jena. Dort sei nach der Abschaffung der Kirchenbuße wie auch sämtlicher Strafen für Erstgebärende ein Mißbrauch durch liederliche Dirnen zu beobachten, indem eine ungleich höhere Zahl von Stuprations-Fällen, als sonst wahrgenommen und gezählt wurde.67 Die Verteidiger der Kirchenbuße erachteten sie demnach am Ende des 18. Jahrhunderts noch immer als probate Strafe, um die Gemeinschaft abzuschrecken und die gesellschaftliche Ordnung zu gewährleisten. Herder forderte deshalb deren konsequentere Anwendung.68 Ein weiteres Motiv könnte auch der wahrgenommene Bedeutungsverlust der Kirche gewesen sein, den Herder wie auch andere Befürworter abzuwenden suchten. Mit der Abschaffung religiöser Sanktionen wurden die Geistlichen auf ihre lediglich mahnende Rolle reduziert. Die Gegner der Kirchenbuße sahen in ihr eine unverhältnismäßige Strafe etwa für die jungen Mütter und vermuteten in der dabei drohenden öffentlichen Demütigung eine Ursache für Kindsmorde. Sie forderten von der Institution Kirche den karitativen Einsatz für die Schwangeren und Mütter und beriefen sich auf die christliche Nächstenliebe und die Nachfolge Jesu. Geistliche sollten die Frauen finanziell bzw. materiell durch Spenden unterstützen und seelisch aufbauen, stattdessen überließen sie sie der Armut und trügen so eine Mitschuld am Elend der Mütter und Kinder.69 Ferner war die Verweigerung des Abendmahls als Strafe für alleinstehende Mütter abzuschaffen, weil die Frauen infolge dessen entweder den Gottesdienst mieden (da sie die erforderliche schriftliche Erlaubnis unter erneuter Demütigung erst hätten einholen müssen), oder das verweigerte Abendmahl mit einer Strafe assoziierten. Abgelehnt wurden außerdem höhere Gebühren für uneheliche Geburten und für die Taufe, da der Aufwand derselbe wie bei ehelichen Geburten sei und Hebammen und Prediger 65 KLINGEBIEL, Pietismus (1999), S. 310f.; WENDLAND, Kirchenbuße (1917), S. 59. 66 N.N., Hurerei (1777), S. 40. 67 Abschaffung Kirchenbuße (1786–1788), LATh–HStAW, Rechtspflege B2315a, fol. 72v. Carl August verwies in seiner Antwort auf die nach wie vor geltende Bestrafung der Angabe eines unbekannten Schwängerers mit der Übernahme sämtlicher Kosten: ebd., fol. 76r. 68 KESSLER, Herder (2007), S. 257. Zu Herders Befürwortung der Kirchenbuße: ebd., S. 256–260. 69 N.N., Toleranz (1787), S. 468.

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nicht berechtigt wären, auf diese Weise Strafzahlungen für das Vergehen festzulegen und einzunehmen.70 Zudem würden weitere hohe Kosten die finanzielle Notlage junger Mütter nur noch mehr verschärfen. Die Autoren formulierten zahlreiche Überlegungen, wie Sanktionen für Illegitimität abgewandelt werden könnten, um künftige Kindsmorde zu verhindern, die Mütter aber dennoch für ihr Vergehen zu bestrafen. Vorgeschlagen wurde etwa die Verpflichtung zur Entbindung in Geburtshäusern oder die Option der Verheimlichung von Schwangerschaft und Geburt mit staatlicher Unterstützung wie auch eine abschreckende jährliche öffentliche Züchtigung der Täterin. Ferner sollten Absprachen zwischen den Kindseltern über die Versorgung des Kindes verboten werden, die im Falle eines Kindstods den Vater entlasten würden. Wenngleich die Verfasser Sanktionen für unehelich Gebärende vorsahen, zeigt sich ein gewandeltes Strafverständnis in den Strafbedingungen: Die Kinder sollten in Pflegefamilien unterkommen bzw. nicht bei der Mutter leben, um Gefängsnis-, Leibes- oder Geldstrafen umsetzen zu können. Auch durften die Haftbedingungen selbst nicht gesundheitsgefährdend sein, um eine körperliche Schädigung zu vermeiden.71 Die verpflichtende Entbindung im Accouchierhaus bis in das 19. Jahrhundert hinein wie auch viele der anderen Vorschläge innerhalb der Debatten veranschaulichen das fortdauernde Bedürfnis, unehelich Schwangere für ihr als unmoralisch bewertetes Verhalten zu bestrafen. Für Erstgebärende war die Accouchierhauspflicht in Sachsen-Weimar-Eisenach nicht aus humanitären Gründen, sondern unter Druck der reichsweiten Kindsmorddebatte aufgehoben worden, deren Teilnehmer die entwürdigenden universitären Entbindungshäuser als den Infantizid förderlich identifizierten. Ein Anhänger war der Jenaer Mediziner Gruner, demzufolge die Accouchierhaus-Pflicht den Kindsmord eher verursacht hatte, als dass sie ihn verhinderte.72 Die Zeitgenossen bewerteten es als ungerecht, dass die vermeintlichen Verlobten und die von ihnen zurückgelassenen Frauen für den illegitimen Sexualkontakt genauso bestraft wurden wie im Falle von Prostitution: Und wenn der Verfürer die Ehe versprochen, und nach Art solcher Leute das Abendmal darauf genommen hat, hintenher aber die Geschwächte nicht heiraten will; so – sitzt er seine Strafe ab, eben so als wenn er ein prostibulum [sc. eine Prostituierte, A.W.] geschwängert hätte. Gleichsam wären Soldaten weder zu Strafzahlungen noch zu Unterhaltszahlungen verpflichtet,

70 Ebd., S. 473, 475. 71 N.N., Toleranz (1787), S. 472f.; LIST, Hurerey (1784), S. 395. 72 N.N., Kindermorde (1782), S. 216–218. Vgl. dazu ferner: BAUER u.a., Fürsorge (2011), S. 31.

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wobei Alimente nicht als Strafe auferlegt werden dürften, da Unterhaltszahlungen eine Naturpflicht darstellten.73 Der Buttstädter Pfarrer Christoph Friedrich Hasert setzte sich ebenfalls für eine angemessene Bestrafung auch der Kindsväter ein: Die Gesetze begünstigen hier den Verführer zum Unglück zweyer Wesen [sc. Mutter und Kind, A.W.] aus bürgerlichen Rücksichten, weil eine ungünstige Heurath seinen künftigen vortheilhafteren Verhältnissen in den Weg treten könnte, ohne zu bedenken, daß das Lebensglück zweyer Wesen, und durch sie vielleicht vieler anderer, dadurch für immer gestört wird; wenn man auch davon absehen will, daß eben durch diese leichte Strafe die Freyheit kühner wird, und so viele eine Verführung nach der anderen sich zu Schulden kommen lassen.74

Er sah wie auch andere Autoren in den Müttern und Kindern die Leidtragenden. Die Väter wurden zu gering für ihre Vergehen gestraft, eine abschreckende Wirkung damit verfehlt und die Männer nicht von weiteren illegitimen Sexualkontakten abgehalten. Daher forderte er die Verpflichtung des Schwängerers zur Heirat, zumal Hasert die Hauptschuld beim Mann sah, der die Frau verführte, der den Gesetzen nach vom klügern Geschlecht ist und weil ihm unehelicher Verkehr ausschließlich Vergnügen bereitete, während die Frauen durch die Schwangerschaft, die schmerzhafte Geburt und das Kind dauerhaft gestraft seien.75 Hasert berücksichtigte die langfristigen Folgen für die Beteiligten, beurteilte die Tat nicht als singuläres Vergehen und schlussfolgerte entsprechend, dass als Konsequenz die Versorgung der Mutter gewährleistet sein sollte. Auch für die unterlassene Anzeige der Schwangerschaft sollten die Väter zeitgenössischen Beiträgen zufolge sanktioniert werden, da sie die heimlichen Geburten verhindern konnten, die auch aufgrund der mangelnden medizinischen Betreuung für die Kinder lebensgefährlich waren. Die Verantwortung für das Wohl des Babys bzw. für einen etwaigen Kindstod oder -mord lag damit auch bei den über die Schwangerschaft informierten Männern und nicht mehr nur allein bei den Frauen. Besonders harte Strafen wurden für den Hausherrn gefordert, der seine Magd schwängerte, da er als Oberhaupt die moralische Integrität seines Haushalts gewährleistete, entsprechend als Vorbild fungierte und andernfalls die staatlich kommunizierten sittlichen Werte untergrub.76 Sein illegitimer Verkehr stellte das hierarchische Ordnungsprinzip der Gleichsetzung von Staat und Haushalt, von Landesherr und Hausherr infrage. Anhänger übergeordneter gesellschaftlicher Schichten, die gegenüber ihren Unterstellten ihre Position ausnutzten, waren ebenfalls aufgrund ihrer Standes73 N.N., Toleranz (1787), S. 465, 467, 472. 74 Landesdirektionsakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391c, fol. 39r. 75 N.N., Toleranz (1787), S. 471. 76 Ebd., S. 472, 474.

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zugehörigkeit strenger zu strafen: Sie genossen meist eine bessere Bildung und Erziehung und waren dadurch zur Selbstdisziplinierung befähigt. Der unbekannte Autor schlussfolgerte aus der frühneuzeitlichen Standesgesellschaft, die ein unterschiedliches Bildungsniveau implizierte, eine zu differenzierende Verantwortlichkeit für die Tat und entsprechend ein sich daran orientierendes Strafmaß. Neben der standesgemäßen Bestrafung seien auch die Strafzahlungen am Einkommen zu bemessen, um bei Vermögenderen eine stärkere Wirkung zu erzielen und die Angehörigen ärmerer Schichten finanziell nicht vollständig zu ruinieren. Die so eingenommenen Mehrkosten sollten in eine Verpflegungskasse zur Versorgung unehelicher Kinder fließen, in die auch die Mütter der Kinder nach Möglichkeit ihres Einkommens einzahlten. 77 Der Autor schlug hier ein solidarisches Finanzierungssystem mit der Verpflichtung zur vermögensabhängigen Einzahlung aller Eltern unehelicher Kinder vor, das an die Grundzüge des späteren Sozialstaats erinnert. Die im Rahmen der Kontroversen um die Ursachen und Folgen von Illegitimität, über Präventionsmöglichkeiten des Kindsmords oder über die angemessene Bestrafung der Eltern geäußerten Positionen verdeutlichen die Bandbreite der Perspektiven auf die Rolle der Mütter aber auch der Väter und auf das Strafmaß. Neben konventionellen Vorstellungen von Sexualität, Keuschheit und Moral und stereotypen Zuschreibungen für unehelich Gebärende brachten sich auch Autoren mit dem widersprechenden Argumenten in die Debatte ein und forderten mehr Empathie bzw. einen respektvollen Umgang mit den Müttern, ein individuell angemessenes Strafmaß und eine nachhaltige Unterstützung von Mutter und Kind auch im Interesse des Staates. Die nachfolgend untersuchten, diskutierten und erlassenen Gesetze werden die hier exemplarisch beleuchteten Positionen größtenteils widerspiegeln und zudem Entwicklungslinien aufzeigen. 1.3.2. Neue Umgangsformen mit unehelichen Kindern und wilden Ehen Die zeitgenössischen Autoren wogen in ihren Beiträgen verschiedene Maßnahmen gegeneinander ab, wie staatliche und kirchliche Obrigkeien mit illegitimen Sexualkontakten, unehelichen Schwängerungen und Kindern verfahren sollten, um so entweder deren Zahl zu reduzieren oder mit ihnen entsprechend den von einigen idealisierten humanitären Werten umzugehen. Bemerkenswert ist dabei der Vorschlag einer sexuellen Aufklärung Jugendlicher durch die Geistlichen, um von vornherein ungewollte Schwängerungen zu verhindern: Vielleicht wäre eine sehr kluge, anständige, und vorsichtige priesterliche Belerung über das Zeugungsgeschäft selbst, möglich und nützlich; denn es ist oft ohnstreitig, daß junge Mädchen geschwängert worden sind, ohne daß 77 Ebd., S. 469f., 472, 479.

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sie wußten was sie taten […].78 Demgemäß war es vor allem die Unwissenheit über die Fortpflanzung an sich, durch die junge Mädchen unbeabsichtigt schwanger wurden. Inwieweit der örtliche Pfarrer zu solchen intimen Gesprächen mit jungen Frauen tatsächlich in der Lage bzw. geeignet war, hing sehr stark von dessen Einfühlungsvermögen ab. Weinhold bedauerte, dass keine gesellschaftliche Schicht vom Sexualtrieb verschont bliebe und für eine sinnvolle Bevölkerungsentwicklung die Zeugungsfähigkeit beeinflusst werden müsse. So sollten Familien nur so viele Kinder bekommen, wie sie ernähren und erziehen könnten – was darüber hinausginge, sei gegen die Vernunft und kommt vom Uebel, in welchem die Sünde wurzelt.79 Wenngleich er Sterilisation nicht explizit ansprach, deutete er mit seinem Argumentationsaufbau über mehrere Seiten massive Eingriffe in die Sexualität ärmerer Bevölkerungsschichten an. Der Breslauer Prediger Rahn äußerte angesichts der leidvollen Kindheit unehelicher Nachkommen sogar den Gedanken, nach der unmenschlichen Sitte der Chinesen die Kinder zu töten, und kritisierte die Diskrepanz zwischen strenger staatlicher Ahndung des Kindsmords und deren staatlicher Vernachlässigung in den ersten Lebensjahren, was nach einem langen Leidensweg voll Hunger und Krankheit ebenfalls häufig zum Tod führe. Vor diesem Hintergrund plädierte er umso mehr dafür, die Menschheit dürfe sich nicht blos darauf beschränken, die gewaltsame Ermordung solcher unglücklichen Kinder zu verhüten, und sie dabey eines weit langsamern und schrecklichern Todes sterben zu lassen.80 Andere Autoren teilten seine Position. Der staatliche Umgang mit alleinerziehenden Müttern widerspreche parallel geführten intellektuellen Debatten: wir schreiben Bücher über die Bevölkerung, kramen bei Hofe und in Statsklug seyn sollenden Memoires, die Worte population, industrie, tolerance, aus. und – lassen unehliche Kinder, geschwächte Mädchen, umkommen.81 Der Verfasser bemängelte die fehlende Umsetzung der propagierten humanistischen Werte und dabei die Diskrepanz zwischen theoretischem Diskurs einerseits und staatlicher Sozialpolitik, aber auch des gesellschaftlichen Umgangs mit unehelich Geborenen und deren Müttern andererseits. Vielmehr sollte der Staat die Erziehung der unehelichen Kinder übernehmen, indem sie fernab ihrer Heimatregion von der Obrigkeit aufs Land in die Kost gegeben werden. So würde deren positive Entwicklung sichergestellt, die die Eltern nicht leisten könnten, und Eltern wie Nachkommen bliebe durch die räumliche Distanz ein unverdiente[r] Mackel erspart. Durch die Fremdbetreuung hätten Frauen

78 79 80 81

Ebd., S. 474. WEINHOLD, Gleichgewicht (1829), S. 20–24. RAHN, Mund (1808), S. 136f. N.N., Toleranz (1787), S. 471.

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außerdem nach der Geburt die Möglichkeit, ihre Arbeit wieder aufzunehmen, wodurch sie der Gesellschaft mehr nutzten und sich selbst versorgen konnten.82 Auch Weinhold sprach sich für eine staatliche Erziehung der unteren Volksklassen aus: Die Kinder der unteren Bevölkerungsschichten seien durch schlechte Ernährung, einen unflätigen verbalen Umgang in Form von stete[m] Fluchen, Schimpfen und Zanken und durch jämmerlichste[n] Aberglaube[n] in ihrer frühen Jugend physisch, moralisch und geistig verdorben, sodass diese Familien keine intelligenten und integeren Menschen hervorbringen würden.83 Neben der Sorge um die staatliche und gesellschaftliche Ordnung veranlassten auch Bedenken hinsichtlich des sozialen Status unehelich Gebährender und ihrer Nachkommen die Zeitgenossen, den praktizierten Umgang mit Illegitimität zu hinterfragen, damit ärmere Schichten Gesellschaft und Staat eher nutzten, statt schadeten. Immerhin, so die Befürworter einer Erziehung der unteren Bevölkerungsschichten, bräuchte der Staat tüchtige Unterthanen, wohlerzogene, fleißige, und gesittete Bürger.84 Rahn zielte mit seinem Beitrag, wie er selbst betont, auf eine Sensibilisierung der Leserschaft für die bedauernswerte Situation unehelicher Kinder ab und hoffte so, den Umgang mit ihnen im Sinne christlicher Nächstenliebe verändern zu können. Er wies neben der Obrigkeit auch den Mitmenschen eine Verantwortung für das Schicksal unehelicher Kinder zu und rief zu individuellen Hilfeleistungen in Form freiwilliger Pflegemütter auf. Wie viele andere sah er vor dem Hintergrund des Waisenhausstreits in Pflegefamilien eine bessere Erziehung der Kinder gewährleistet. Bemerkenswert ist jedoch seine Forderung nach einer regelmäßigen Überprüfung, indem die Pflegeeltern unter beständiger Aufsicht bleiben und recht oft und zu unbestimmten Zeiten revidiert werden. Rahn trug damit als einer von wenigen Autoren der von Zeitgenossen immer wieder beobachteten Ausbeutung der Zöglinge Rechnung, deren Betreuer sie vor allem wegen des Geldes in Obhut nahmen und die Kinder vernachlässigten, unterversorgten oder übermäßig zur Arbeit heranzogen.85 Damit setzte er sich nicht nur für eine beliebige Unterbringung ein, sondern forderte eine nachhaltige Gewährleistung des Wohlergehens und des Schutzes der Kinder vor Ausbeutung und Gewalt. Seine Haltung impliziert die Wertschätzung und Gleichsetzung unehelicher Kinder mit ehelichen und transportiert so ein progressives Menschenbild, dass an die Forderungen der Französischen Revolution nach Gleichheit und Brüderlichkeit erinnert.

82 83 84 85

Ebd., S. 472, 479. WEINHOLD, Gleichgewicht (1829), S. 23f. N.N., Hurerei (1777), S. 36. RAHN, Mund (1808), S. 137f.

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Neben dem Umgang mit den unehelichen Müttern und ihren Kindern an sich und deren Entstehung aus flüchtigen Beziehungen diskutierten die Zeitgenossen über wilde Ehen als Ursache illegitimer Nachkommen. Sollte man sie unterbinden oder legalisieren und waren Eheschließungen aller Paare überhaupt erstrebenswert? Karls August Weinhold lehnte Paarbeziehungen in den ärmeren Schichten als für den Staat wenig gewinnbringend ab: Alle diese Leute sind sehr jung, als unnütze Knechte und Mägde zusammen gelaufen, nicht etwa um einen ordentlichen Hausstand zu bilden oder gesunde und gebildete Kinder zu erziehen, sondern blos um ihren thierischen Trieben zu leben. Die Kinder, welche sie erzeugt haben, können nur schlecht ernährt und schlecht erzogen werden, leiden daher schon sehr frühzeitig an fast unheilbaren Uebeln […]. Die bürgerliche Gesellschaft erhält also nicht einmal brauchbare Handarbeiter an ihnen; und so giebt es in verschiedenen Ländern Mitteleuropa’s nicht nur hunderte, sondern tausende solcher wilden Ehen.86

Er prangerte hier unter anderem die Motive für die Familiengründung an, die sich den sexuellen Impulsen folgend ereignete, ohne eine materielle Versorgung, aber auch eine adäquate Erziehung gewährleisten zu können. Dem Argument anderer Diskussionsteilnehmer, dass wilde Ehen oder auch völlige Ehelosigkeit an sich die Persönlichkeit eines Menschen negativ prägten, hielten die Widersacher entgegen, dass ein schlechter Charakter nicht durch die Lebensumstände bedingt sei, sondern auch von den individuellen Anlagen abhänge.87 In der Debatte ist folglich ein Argumentieren gegen Pauschalisierungen und für die Berücksichtigung individueller Lebensumstände zu beobachten. Zur Vorbeugung eines zu geringen Bevölkerungswachstums, aber auch hinsichtlich der Legitimierung wilder Ehen zur Verbesserung der gesellschaftlichen Ordnung und zur Aufwertung der Familie angesichts der wahrgenommenen Liebe zur Freyheit, dem Bedürfnis nach Ungebundenheit, wurden Ursachen der Ehelosigkeit und etwaige Maßnahmen zu deren Beseitigung erwogen. Christian Carl Friedrich von Ferber beschrieb die finanziellen Hürden für eine Heirat und zugleich den Hang zum Luxus, zur finanziellen Verschwendung, wie auch die geringen Moralvorstellungen, die zur Befriedigung sexueller Bedürfnisse außerhalb der Ehe verleiteten, als Ursachen illegitimer Beziehungen und Kinder.88 Seine vorgeschlagenen Maßnahmen, deren konkrete Realisierung er nicht erläuterte – die Besoldungen erhöhen, den Luxus einschränken sowie die Erziehung verbessern – kritisierten seine Rezensenten als schwer umsetzbar, zumal es dafür guter Vorbilder aus den oberen Schichten bedürfe.89 Wie schon für einen gewandelten Umgang mit Illegitimität betonten die Zeitgenossen auch

86 87 88 89

WEINHOLD, Gleichgewicht (1829), S. 16f. N.N., Rezension Ferber in Bibliothek (1797), S. 61. Ebd., S. 60f. Ebd., S. 62; N.N., Rezension Ferber in Beiträge (1797), S. 234f.

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hinsichtlich der Eheschließung und -führung die Bedeutung guter Vorbilder aus den oberen Schichten. Von Ferber forderte außerdem die Überwindung der Standesgrenzen und damit die Erleichterung unstandesgemäßer Ehen. Den darin implizierten Wertewandel hinsichtlich der als für ein gutes Zusammenleben notwendig erachteten Auswahlkriterien bei der Partnersuche beschrieb auch Rudolf Zacharias Becker: Nicht Reichtum oder Besitz sollten entscheidend für die Eheschließung sein, sondern die Übereinstimmung der Gemüther. Entsprechend war ein armes, aber fleißiges Mädchen einem wohlhabenden, aber streitsüchtigen vorzuziehen.90 Von Ferber und Becker hinterfragten tradierte Heiratsbedingungen wie ausreichendes finanzielles Kapital oder die Standeszugehörigkeit und öffneten sich alternativen Vorstellungen von Ehe, für die Zuneigung und, als Mehrwert für Staat und Gesellschaft, auch Fleiß statt ausschließlich Bonität vorausgesetzt werden sollten. In anderen Beiträgen wurde der elterliche Einfluss auf die Heiratsabsichten der Kinder infrage gestellt bzw. sei zu reduzieren, da so Ehen verhindert oder durch Zwang unglückliche Verbindungen gestiftet wurden. Beides begünstige uneheliche Kontakte.91 Der Autor kritisierte damit entgegen den gängigen Gepflogenheiten die auch rechtlich anerkannte Entscheidungsbefugnis der Eltern hinsichtlich der Partnerwahl ihrer Kinder und damit das hierarchische Prinzip des autoritären Familienoberhauptes. Gleichsam sprach er jungen Paaren eigenständige Entscheidungen hinsichtlich Familien- und Lebensgestaltung zu, um so stabile Ehen bzw. Partnerschaften zu fördern. Als eine weitere Bedingung der Eheschließung diskutierten die Zeitgenossen das Heiratsalter, zumal wie Weinhold auch andere das zu niedrige Alter der Partner als nachteilig für die Familiengründung erachteten. 1793 argumentierte der Kieler Theologe Jakob Christoph Rudolf Eckermann gegen eine Herabsetzung des Heiratsalters und gegen die Erleichterung der Eheschließung: Die Menschheit würde verliehren, wenn nach dem Wunsche einiger neuern Schriftsteller der kaum mannbare Jüngling […] Vater werden sollte, und noch mehr, wenn er es werden sollte, ungebunden durch die heiligen Gesetze einer ordentlichen Ehe. Um eine Familie zu gründen, sollte das Paar alt genug und verheiratet sein. Andernfalls sah er die wohlthätige Ordnung der Gesellschaft gefährdet.92 Wie Weinhold knüpfte auch Eckermann an das Heiratsalter die Fähigkeit, eine Paarbeziehung zu pflegen und vor allem die Kinder zu erziehen. Andernfalls würde das Paar durch eigene Streitereien oder sogar durch eine Trennung und mit schlechterzogenen Nachkommen familiale Werte und damit die öffentliche Ordnung hinterfragen. Eckermanns Kontra90 BECKER, Hülfs-Büchlein (1788), S. 191f.; N.N., Rezension Ferber in Bibliothek (1797), S. 61. 91 N.N., Toleranz (1787), S. 477. 92 ECKERMANN, Ehe (1793), S. 971, 974f.

1. RAHMENBEDINGUNGEN VON ILLEGITIMITÄT

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henten befürworteten offenbar nicht nur ein niedrigeres Heiratsalter, sondern auch die Duldung unverheirateter Paare. Die Autoren beteiligten sich an einer Debatte, die später auch die Behördenmitglieder in Sachsen-Weimar-Eisenach führten.93 Fast alle hier besprochenen Beiträge hielten trotz teilweise unkonventioneller Vorschläge an der Institution Ehe fest. Nur August von Einsiedel, der mit seiner Geliebten Emilie von Werthern nach Afrika floh und ihren Tod vortäuschte, hinterfragte das Konzept Ehe in seinem zwischen 1791 und 1797 entstandenen, unveröffentlichten Manuskript Ideen grundsätzlich.94 Die Ehe zähle demnach zu den schiefen Einrichtungen, die Menschen mit bornirten Sinnen entwickelt hatten und der Vervollkommnung des Menschengeschlechts nachtheiliger sei. Sie bewahre letztlich nur die Dummheit im Menschengeschlecht und verhindere die Fortschritte der Kultur. Die zum Geschlechtsakt notwendige starke Erregung trete bei verheirateten Paaren seltener auf, da Sexualität mehr eine Folge von conventionellen Begriffen sei und weniger durch gereizte Triebe hervorgerufen würde, was auch der Begriff eheliche Pflichten verdeutliche. Die Verurteilung von Eifersucht und Ehebruch basiere nicht auf moralischer Liebe, sondern sei kindisch und konventionell begründet und geschehe aus Angst vor dem Verlust des eigenen Besitzes. 95 Die Ehe und die mit ihr verbundene Treue stellten für Einsiedel demnach oberflächliche und fehlgeleitete Konstrukte dar, die allein auf Konventionen und Besitzdenken beruhten und den Menschen in seiner Weiterentwicklung ausbremsten. Für von Einsiedel sollte eine zwischenmenschliche Beziehung dagegen auf ehrlicher Zuneigung basieren, da die Partner sich nur so geistig und körperlich entfalteten. Die pauschale und konventionelle Verurteilung von Polygamie lehnte er auch für die Gattinnen ab. Da auch Frauen einen freien Willen besäßen, könnten sie gar nicht zum Eigentum eines Mannes werden. Sie dürften polygam leben, da ein Zwang zur weiblichen Monogamie nicht plausibel zu rechtfertigen sei: Es ist hoher legislativer Unsinn zu glauben, es [sc. die Monogamie, A.W.] sei eine wichtige Sache, um die sich alle Bürger zu bekümmern hätten.96 Der Autor plädierte offen für das Recht beider Geschlechter auf mehrere Partner ohne eheliche Bindung. Er löste die Frau aus der Herrschaft des Mannes und gestand ihr in der Partnerwahl absolute Gleichberechtigung zu. August von Einsiedel brach in seinen Ideen mit zwei tragenden, das Funktionieren der frühneuzeitlichen Gesellschaft garantierenden Maximen: mit der monogamen Ehe als zwischenmenschliches und staatliches Ordnungs- und Kontrollorgan und mit der Unterordnung der Frau unter 93 Kap. IV.2.4.3. 94 Die Ideen sind in Herders handschriftlichem Nachlass überliefert und wurden von Wilhelm Dobbek veröffentlicht: v. EINSIEDEL, Ideen (1957), S. 56. 95 Ebd., S. 225f. 96 Ebd., S. 222.

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die Herrschaft des Mannes. Umgesetzt hat der Autor die Ehelosigkeit jedoch nicht. Er und Emilie von Werthern heirateten 1788 unmittelbar nach deren Scheidung. 97 Da die Ideen anscheinend unveröffentlicht blieben, sind etwaige Reaktionen auf Einsiedels revolutionäre Familien- und Gesellschaftsvorstellungen unbekannt. Dennoch belegen seine Aufzeichnungen, die letztlich weder von Herder noch von dessen Nachfahren ob ihrer Skandalösität vernichtet wurden, dass eine Partnerschaft völlig ohne Ehe um 1800 denk- und sagbar war. Die vorgestellten Autoren verfassten ihre Beiträge, um die wahrgenommenen Verhältnisse – die Begünstigung oder Verhinderung der Zeugung illegitimer Nachkommen, die Behandlung illegitimer Kinder und ihrer Mütter sowie den Umgang mit unvereirateten oder heiratswilligen Paaren – zu beeinflussen. Gleichwohl waren sich einige der nur begrenzten Wirksamkeit ihrer Texte bewusst und Veränderungen nicht ohne Weiteres zu bewirken: Die Urtheile der Menschen lassen sich so leicht nicht ändern. Was in dem einen Land, der einen Gegend, hilft, das macht in dem andern keinen Eindruck: Diese Gewaltthätigkeiten hangen gar oft von andern Familienumständen, Ort, Zeit, und Personen, ab, die durch dergleichen Gesezze nicht verändert werden können.98 Die Versuche der Gesetzgeber Sachsen-Weimar-Eisenachs, eben jene Familienumstände zu beeinflussen, werden nachfolgend erörtert. Sie verdeutlichen zugleich, dass die zeitgenössischen Autoren mit ihren Debatten mindestens die Obrigkeiten in ihrer Haltung zu Illegitimität und in ihren Vorstellungen von Ehe und Familie beeinflussten.

2. Umstrittene Gesetze zu unehelichen Sexualkontakten und Schwängerungen 2. UMSTRITTENE GESETZE ZU UNEHELICHKEIT

2.1. Ledige Dirnen, die Männern in recht ärgerlicher Weise nachlauffen – Ordnungsversuche im 18. Jahrhundert Bis weit in die Mitte des 18. Jahrhunderts hinein setzten die verschiedenen Landesherrn auf schärfere Strafen, sahen die Hauptverantwortung für uneheliche Sexualkontakte vor allem bei den Frauen und versuchten, durch die erlassenen Gesetze bestehende Vorstellungen von Familie und gesellschaftlicher Ordnung zu untermauern. Angesichts der Verpflichtung des Schwängerers zur Heirat der von ihm Schwangeren wollten wohl viele Paare mit einer unehelichen Schwangerschaft die strengen Eheschließungsvorschriften umgehen und eine Heiratserlaubnis erwirken. Für diese Eheerschleichung sahen das Ehemandat von 1706 bzw. die 97 NOLL, Eröffnung (2005), S. 28. 98 N.N., Hurerei (1777), S. 27.

2. UMSTRITTENE GESETZE ZU UNEHELICHKEIT

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Ehe-Ordnung von 1707 für die Beteiligten eine Gefängnis- oder härtere Strafe sowie die Kirchenbuße vor, wobei das Oberkonsistorium letztlich über die Eheerlaubnis entscheiden sollte.99 Anna Amalia erhöhte 1771 die Haftstrafe für antizipierten Beischlaf von acht auf 14 Tage, auch weil Männer vor dem 24. Lebensjahr vermehrt versuchten, durch vorehelichen Geschlechtsverkehr eine Eheerlaubnis zu erwirken. Den zeitgenössischen Geschlechtervorstellungen entsprechend machte der Erlass von 1771 auch die Männer für das unsittliche Verhalten verantwortlich, die sich bei der Eheanbahnung eher aktiv und die künftigen Gattinnen eher passiv zu verhalten hatten.100 Als offensiv werbend wahrgenommene Frauen wurden bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein vehement verurteilt und streng bestraft, selbst wenn sie eine Ehe anstrebten. Noch 1757 richtete sich ein Patent gegen die ledige[n] Dirnen, welche denen Soldaten recht ärgerlicher Weise nachlauffen, sie durch üppige Reizungen an sich ziehen, und dadurch Männer zu bekommen trachten. Trotz mehrfachem Verbots hatten sie sich von denen in Unsern Diensten stehenden Soldaten schwängern lassen.101 Bereits 1731 wurde ein Patent gegen Hurerei und Schwängerung durch Hofbedienstete und Militärs verabschiedet, um der Begierde auf unzuläßige Art, einen Mann zuerlauffen entgegenzuwirken und unzüchtiges Verhalten einzudämmen. Die Frauen hatten den sexuellen Kontakt zu Hofbediensteten und Soldaten angeblich forciert und sich bloß in der Absicht schwängern lassen, die Väter durch die entstandenen Ehen lebenslang unglücklich und für den Hof- und Militärdienst unbrauchbar zu machen. Weil es nicht gelang, unehelichen Geschlechtsverkehr und die verbreitete[n] häuffige[n] Heyrathen [einzudämmen], wodurch mancher verarmet und unglücklich werde, wurde das Patent 1750 durch ein weiteres 1757 erneuert.102 Auffällig sind auch hier die obrigkeitlich vom Pfarrer durchgeführten Heiraten, denen eine Diskrepanz zwischen Staat und Kirche, zwischen der Privilegierung von Ehe und Ehescheidung einerseits und der letztlich doch vollzogenen Eheschließung andererseits zugrunde zu liegen scheint. Trotz staatlicher Bestrafung wurde durch die kirchliche Trauung ein Erfolg jener vermeintlichen Eheerschleichung suggeriert und zur Nachahmung angeregt. Als Sanktionen sahen die Patente von 1731 und 1750 für die mit Militärs verkehrenden Frauen eine vierteljährliche Gefängnisstrafe bei Wasser und Brot vor, die 1757 für Einheimische in eine Zuchthausstrafe und für Auswärtige in Prangerstehen und anschließender Landesverweisung verschärft wurde. Zudem hatten sie keinerlei Ansprüche auf finanzielle Unterstützung oder auf Ehrenrettung mittels Heirat. Geständige oder überführte Hofbedienstete erhielten 99 100 101 102

J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 172; Ehe-Ordnung (1707), § 8. WWA 17 (1771), Nr. 54 (06.07.1771), S. 213; LISCHKA, Liebe (2006), S. 258–261. Laster Hurerey (1731–1780), LATh–HStAW, Rechtspflege B2236b, fol. 41v. Ebd., fol. 1v–2r, 8r.

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IV. UNEHELICHKEIT IN GESETZEN UND DEBATTEN

während der Haft keine Besoldung, Militärangehörigen drohte das Auspeitschen mit dem Steigriemen oder mit Spießruten sowie eine Geldbuße.103 Zum dritten Mal der Unzucht überführte Frauen erhielten seit 1759 als Einheimische eine vierwöchige Zuchthausstrafe mit derbe[m] Willkommen und Abschiede mit vorherigem dreimaligem Anprangern und Auswärtige wurden an den Pranger gestellt, ausgepaukt und ausgewiesen. Laut dem Zirkular von 1759 sollten sich die Unterobrigkeiten unter Androhung von fünf Talern Strafe bei der Aufnahme Fremder unter anderem deren Wohlverhalten durch ein Attest bescheinigen lassen und kein Schutzgeld kassieren.104 Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts bemühten sich die Behörden SachsenWeimar-Eisenachs zunehmend um die Verringerung der Kindsmorde. Die Recht sprechenden Instanzen an der Ilm setzten dazu jedoch entgegen den späteren Bestimmungen in den 1780er Jahren zunächst auf die Verschärfung der Strafen für uneheliche Schwängerung und deren Verheimlichung. Gemäß einem 1741 in der Jenaer Landesportion erlassenen Patent sollte eine ledige Mutter, die den Vater des Kindes verschwieg, 20 Taler Strafe zahlen – fast das halbe Jahresgehalt eines ärmeren Handwerkers oder Tagelöhners. 105 Weil die Väter, um nicht genannt zu werden, meist die Geschwängerten für deren Verschwiegenheit bezahlten und die Behörden solche Abmachungen hinter dem beharrlichen Schweigen der Mütter vermuteten, richtete sich diese übermäßig hohe Geldstrafe wohl indirekt auch an die Schwängerer. 106 Von Unbekannten vergewaltigte Frauen waren oft finanziell und existenziell ruiniert, wenn ihnen aufgrund des gesetzlich propagierten Stereotyps der verführenden ledigen Dirne aber auch der in der Publizistik verbreiteten Darstellung als Hure nicht geglaubt wurde. Um diese ausweglose Situation für junge Frauen zu vermeiden, sollten sich die Opfer gemäß dem Mandat von 1756 sofort anvertrauen, damit Zeugen ihre Aussage bei einer späteren Schwangerschaft bestätigen konnten. Andernfalls würde ihnen nicht geglaubt und die Angabe eines unbekannten Täters mit Zuchthaus und öffentlicher Kirchenbuße gestraft. 107 In den versteckten Schwangerschaften vermuteten die damaligen Obrigkeiten eine der wesentlichen Ursachen für einen späteren Kindsmord. Deshalb sollten seit 1752 alle Frauen, die ihre Schwangerschaft verheimlichten, zu zehnjähriger Zuchthausstrafe und schwerer Arbeit verurteilt werden. Dazu war es unerheblich, ob ein Kindsmord vorlag.108 103 Ebd., fol. 1v–2r, 8v, 41v–42r. Zu Strafen im Militär: KROLL, Soldaten (2006), S. 308–310. 104 Laster Hurerey (1731–1780), LATh–HStAW, Rechtspflege B2236b, fol. 55r–57r. Zur Körperstrafe „Willkomm und Abschied“: Kap. III.1., Anm. 2. 105 J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 180. 106 WWA 32 (1786), Nr. 54 (08.07.1786), S. 215; WAHL (Hg.), Kind (2004), S. 140. 107 V. GÖCKEL, Gesetze 1 (1828), S. 131. 108 Laster Hurerey (1731–1780), LATh–HStAW, Rechtspflege B2236b, fol. 34r–v.

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Zehn Jahre darauf wurde dieses Edikt durch ein herzogliches Reskript dahingehend abgeändert, dass es bei einem angeblich unbekannten Täter oder bei Vergewaltigung dem Richter überlassen war, nach den Gegebenheiten und den vorhandenen Indizien die Wahrheit zu eruieren. 109 Die 1752 ausnahmslose Bestrafung der Mütter bei Verheimlichung des Schwängerers wurde nun modifiziert, indem die Rechtsprechenden die Behauptungen der Frau intensiver prüften und gegebenenfalls anerkannten und sie so vor dem Zuchthaus bewahren konnten. Zwei weitere Bestimmungen erlaubten in der Mitte des 18. Jahrhunderts die Aussetzung verordneter Strafen: Ein Reskript von Herzog Ernst August Constantin ermöglichte seit 1756 die Befreiung auch von der Kirchenbuße wie schon zuvor von weltlichen Strafen. Sanktionen für Sittlichkeitsdelikte konnten demnach auf ein Abolitionsgesuch und die Zahlung eines Abolitionsquantums hin erlassen werden.110 Die Bestimmungen zu unehelichen Sexualkontakten im Verlauf des 18. Jahrhunderts hatten die 1589 erlassene Landesverordnung näher modifiziert und kamen dabei ihrer Weisung nach, die Täter hart zu bestrafen. Die zuletzt beschriebenen Verordnungen ermöglichten nur in Ausnahmefällen Nachsicht, eine Befreiung von der Strafe oder deren Minderung. Sie schafften die Sanktionen weder ab noch verringerten sie diese.111 Der Umgang mit unehelich verkehrenden Frauen und Männern wandelte sich deshalb, wenn überhaupt, nur für wenige Angeklagte. Die Gesetzgebung dieser Jahrzehnte sollte die bestehenden Vorstellungen von familialer und gesellschaftlicher Ordnung zementieren. In fast allen erläuterten Bestimmungen setzten die zuständigen Institutionen SachsenWeimars (und Eisenachs) bei der Sanktion und Prävention von Sittlichkeitsdelikten auf harte Haft-, Körper-, Ehren- oder Geldstrafen – und zwar vor allem für die Frauen. Bis in die 1770er Jahre hinein – wie das nachfolgende Kapitel zeigen wird – wurden von den Behörden wie auch in der Publizistik vor allem Frauen maßgeblich für die strafbaren unehelichen Sexualkontakte verantwortlich gemacht und angeprangert, da eher weibliche als männliche Unkeuschheit den damaligen Moral- und Geschlechtervorstellungen widersprach. Die Vorschriften zu Unzucht von 1709 und 1759 wie auch einige noch folgende Erlasse erwähnten die sich ebenso sittenwidrig verhaltenden Männer nicht einmal. Auch einige der untersuchten Publikationen sparten sie noch Jahrzehnte später fast vollständig 109 J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 181. 110 Erlass Kirchenbuße (1756–1781), LATh–HStAW, Rechtspflege B2246, fol. 1r–v. Wann und wie die Abolition von weltlichen Strafen ermöglicht wurde, geht aus dem Reskript nicht hervor. Eine etwaige Verordnung wurde nicht gefunden. 111 Auf die notwendigen Bedingungen für den Erlass der Kirchenbuße, der weltlichen Strafe oder der zehnjährigen Zuchthausstrafe für die Angabe eines unbekannten Täters gehen die einzelnen Verordnungen nicht näher ein.

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aus. In den Patenten von 1731, 1750 und 1757 wird die Verantwortung wie auch die Bestrafung der illegitimen Väter weit weniger ausführlich erörtert, zumal sie die angedrohten Sanktionen nur zu fürchten hatten, wenn sie der Tat überführt wurden oder geständig waren. Immerhin sollten gemäß den Landes- und Eheordnungen sowie den ergänzenden Bestimmungen beide, Frauen und Männer, für unehelichen oder eheanbahnenden Geschlechtsverkehr bestraft werden.

2.2. Zwischen Accouchierhaus-Pflicht und gänzlichem Straferlass – Neue (Un-)Ordnungen am Ende des 18. Jahrhunderts 2.2.1. Reformen in Sachsen-Weimar-Eisenach Als Herzog Carl August 1775 volljährig die Amtsgeschäfte übernahm, waren die geltenden Verordnungen über uneheliche Sexualkontakte und Schwängerungen angesichts der Erlasse anderer Staaten wie etwa Preußen reformbedürftig. Seine für ihn vormundschaftlich regierende Mutter Anna Amalia hatte in ihrer insgesamt 17-jährigen Regentschaft nur drei Gesetze zu Sittlichkeitsdelikten und deren Bestrafung erlassen, genauso viele wie ihr Ehemann in seiner nur drei Jahre währenden Amtszeit.112 Carl August hingegen verabschiedete in den 53 Jahren zwischen 1775 und 1828 insgesamt 37 Verordnungen zu unehelichen Sexualkontakten und Schwängerungen, davon allein 17 in den ersten 17 Jahren bis 1792. Vor allem zu Beginn seiner Herrschaft wandte er sich der Illegitimität zu.113 Der junge Herzog eröffnete 1779 die von seiner Mutter initiierte Entbindungsanstalt und Hebammenschule in Jena, die auch der Universität als Lehrstätte diente. Ehrenhaft schwangere, verheiratete Frauen wollten jedoch nicht freiwillig unter den Augen mehrerer Medizinstudenten gebären, wodurch dem Unterricht schon bald die Patientinnen fehlten. Deshalb verpflichtete der Herzog alle unehelich Schwangeren zur Entbindung ihrer Kinder im Accouchierhaus. Während in reinen Hebammenschulen wie in Eisenach seitens der Patientinnen wenig Widerstand geleistet wurde, stellte die Geburt in universitären Entbindungshäusern wie in Jena, in denen Schülerinnen wie auch Studenten unterrichtet wurden, für viele Frauen eine entehrende Strafe dar. Angesichts der männlichen 112 Die quantitativen Angaben zu erlassenen Bestimmungen zwischen dem Regierungsantritt Ernst August II. Constantins 1748 und 1775 basieren vorrangig auf den durch Schmidt und durch von Göckel publizierten Verordnungen sowie auf Rückverweisen in späteren Gesetzentwürfen und -ausfertigungen. Sie erheben daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit. 113 Anhang, Tabelle 5; Unlauteren Quellen zufolge soll Carl August bis zu 38 uneheliche Kinder gezeugt haben. Wolfgang Huschke stellt in seinem Aufsatz mehrere vor, vgl. HUSCHKE, Sprossen (1957).

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Studenten verweigerten sie trotz des herzoglichen Befehls die Einlieferung.114 Mit einem weiteren Reskript versuchte Carl August 1780, die Geburt im Accouchierhaus attraktiv zu machen – offensichtlich kamen noch immer zu wenige Patientinnen – und bot den Freiwilligen den Erlass der Kirchenbuße an. Die weltlichen Strafen mussten hingegen verbüßt werden.115 Der die Kirchenbuße ersetzende freiwillige Gang ins Accouchierhaus wurden jedoch von den Frauen als entehrend empfunden und stellte daher keine Vergünstigung dar. Offensichtlich blieb auch dieses Reskript weitestgehend wirkungslos. Noch im gleichen Jahr beklagte eine weitere Verordnung der Generalpolizeidirektion die gesetzeswidrige Verweigerung der Entbindung in Jena durch unehelich schwangere Frauen. Sowohl Ledige als auch mit ihrem Schwängerer später Verheiratete sollten demnach im Accouchierhaus gebären und die Zuchthausstrafe verbüßen. Andernfalls mussten sie während der Haft öffentliche Arbeiten wie Holz tragen oder Wolle binden verrichten und wurden gemeinsam mit anderen Gefangenen ohne Sonderbehandlung und -kost gestraft. Sofern keine gesundheitlichen Schäden zu befürchten seien, sollten die Frauen auch zwangsweise ins Accouchierhaus eingeliefert werden.116 Die Obrigkeit hatte anscheinend Mühe, die Accouchierhaus-Pflicht gegenüber ihren Untertanen durchzusetzen und verschärfte das Strafmaß. Carl August bekräftigte wie schon seine Vorgänger bestehende Gesetze und milderte andere etwa durch den Erlass der Kirchenbuße wie auch deren gänzliche Abschaffung 1786 ab. Bis dato wurde sie in Sachsen-Weimar-Eisenach verhängt und vollzogen. Zwischen 1781 und 1786 waren es insgesamt 20 Personen, 19 Frauen und ein Mann. Einzig Sophie Elisabeth Leutholf blieb die Bestrafung erspart, weil sie gehorsam gewesen ist und nach Jena in das Accouch. Institut gegangen. Fünf haben die Kirchenbuße bezahlt oder anderweitige Gebühren entrichtet und drei wurden dispensiert. Zwölf Delinquenten und damit etwas mehr als die Hälfte haben die Kirchenbuße auch tatsächlich öffentlich angetreten.117 Zu Beginn der 1770er Jahre waren es ausschließlich Frauen, später wurde sie auch Männern etwa für frühzeitigen Beischlaf auferlegt.118 Wenngleich nur geringe Zahlen für wenige Jahre vorliegen, könnte daran ein sich wandelndes Verständnis von Verantwor114 Mandate (1780–1784), LATh–HStAW, Justizamt Weimar 18, fol. 54r; BAUER u.a., Fürsorge (2011), S. 29. 115 Dreimalige Schwängerung (1780–1781), LATh–HStAW, Rechtspflege B2289, fol. 1r–3r. 116 Mandate (1780–1784), LATh–HStAW, Justizamt Weimar 18, fol. 54r–56r. 117 Protokoll Handlungen (1699–1834), LATh–HStAW, Stadtpfarrei Weimar D7, fol. 86r; Bei den Einträgen der 1780er Jahre fehlt die Begründung der Strafe, vermutlich weil die Kirchenbuße für Diebstahl seit 1779 aufgehoben war. Deshalb geht aus den meisten Einträgen nicht hervor, ob die Kirchenbuße etwa für Hurerei oder für den frühzeitigen Beischlaf mit dem künftigen Ehepartner verhängt wurde. Ebd., fol. 85v–91v. 118 Ebd., fol. 78v.

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tung für Illegitimität abzulesen sein, indem zunehmend auch die Männer zur Rechenschaft gezogen wurden. Das Lavieren zwischen Bestrafung unehelich Verkehrender und Schwangerer einerseits bei gleichzeitiger Strafmilderung andererseits ist bezeichnend für Carl Augusts Umgang mit Sittlichkeitsdelikten besonders am Ende des 18. Jahrhunderts. So schaffte der Herzog 1783 in der Jenaer Landesportion die Schandstrafe des öffentlichen Prangerstehens für dreimalige uneheliche Schwängerung ab und verordnete stattdessen eine vierwöchige Zuchthausstrafe. 119 Verstärkt hinterfragten die gesetzgebenden Instanzen die Verhältnismäßigkeit bestehender Verordnungen und Sanktionen und passten sie an. Dass alle die Schwangerschaft verheimlichenden Frauen laut dem Edikt von 1752 zehn Jahre Zuchthaus samt schwerer Arbeit verbüßen sollten, wurde angesichts eines aktuellen Falls 1780 entschärft und die Haftstrafe nur noch bei Verdacht auf (versuchten) Kindsmord verhängt. Wegen unehelicher Sexualkontakte inhaftierte Personen sollten gleich nach der Vernehmung wieder entlassen werden, da deren dauerhafte Arrestierung die für das Verbrechen übliche Haftstrafe überstieg und damit unverhältnismäßig war.120 Statt wie bislang üblich auf Strafverschärfung zu setzen, machten die gesetzgebenden Instanzen Zugeständnisse gegenüber den sich sittenwidrig verhaltenden Frauen. 1786 erließ Carl August schließlich mehrere Verordnungen, in denen er die Kirchenbuße für unehelich Schwangere abschaffte und den erstmalig unehelich Geschwängerten, die ihre Schwangerschaft anzeigten, gänzliche Straffreiheit zugestand. Sie hatten weder geistliche noch weltliche Sanktionen, weder die Kirchenbuße noch Strafzahlungen zu befürchten. Ebenso blieb Ersttäterinnen die Entbindung im Jenaer Accouchierhaus erspart.121 Den noch jungen, erstmals unehelich geschwängerten Frauen sollten durch den vollständigen Straferlass jegliche Ängste vor Sanktionen, Demütigungen und künftigen Versorgungsproblemen genommen werden, die sie zu einer Tötung des Neugeborenen hätten verleiten können – eine Argumentation, die sich auch in der zeitgenössischen Publizistik wiederfindet. 122 Nur für die erste illegitime und auch angezeigte Schwangerschaft wurden alle Sanktionen erlassen. Der Erlass kirchlicher und weltlicher Strafen für Erstgebärende war zudem an die Bedingung geknüpft, dass sie ihre Schwangerschaft unverzüglich meldeten. Andernfalls drohten den Frauen harte Strafen. 1797 bekräftigte ein Zirkularbefehl die Meldepflicht für uneheliche Schwangerschaften und die damit verbundenen Sanktionen und setzte neben 119 J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 178. 120 Ebd., S. 179; WAHL (Hg.), Kind (2004), S. 69f.; Arrest wegen stupri (1784), LATh– HStAW, Rechtspflege B2312, fol. 1r. 121 WWA 32 (1786), Nr. 54 (08.07.1786), S. 213. Zur Diskussion um den Erlass der Kirchenbuße: Kap. IV.2.2.2. 122 WWA 32 (1786), Nr. 54 (08.07.1786), S. 214; WAHL (Hg.), Kind (2004), S. 139.

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Geldbuße und Prozesskosten eine vierwöchige Zuchthausstrafe fest, die der Schwangeren jedoch bei einer freiwilligen Entbindung im Accouchierhaus erspart bleiben sollten. Für die Angabe eines unbekannten Schwängerers zahlten sie die sonst dem Kindsvater obliegende Geldbuße von acht Talern sowie die Verfahrenskosten und eine weitere willkürliche Strafe.123 Theoretisch revidierte ein Reskript vom Januar 1787 die neuen Ordnungen, verfügte die Accouchierhaus-Pflicht für ausnahmslos alle unehelich Geschwängerten im Amt Jena und hob sie für alle übrigen aus den anderen Landesteilen vollständig auf.124 Dass diese Bestimmung nicht konsequent angewandt wurde oder gar die bisherigen ersetzte, belegen die Kirchenbücher. Zahlreiche aus Weimar stammende und im Jenaer Entbindungshaus versorgte Mütter sprechen für eine ungebrochene Gültigkeit der 1786 in den Anzeigen publizierten Verordnung. Letztlich bezogen sich weder spätere Erlasse noch deren Verfasser auf das 1787 erlassene Reskript. Laut den 1786 erlassenen Verordnungen sollten sich die Recht sprechenden Instanzen bei der Bestimmung jährlicher Unterhaltszahlungen für das Neugeborene am Stand, Alter und Vermögen der Kindseltern orientieren und dazu die Hintergründe der Delinquenten eingehend untersuchen. Eine willkürliche oder generell niedrige Abgabe sei zu vermeiden. Bereits 1777 hatten die Eisenacher Landstände höhere Unterhaltsbeiträge für uneheliche Kinder gefordert. Ähnlich hatte 1781 die Weimarer Regierung wie auch verschiedene zeitgenössische Autoren vorgeschlagen, dass das Alimentationsquantum je nach Besitz und Einkommen festgelegt werden sollte und nicht wahllos oder sogar generell niedrig zu bestimmen sei.125 Mit Militärpersonen verkehrende Frauen hatten zwar nach wie vor keinerlei Ansprüche auf Ehe oder Alimentation, auch nicht nach Ende der Dienstzeit des Mannes, wurden jedoch von allen Strafen befreit. Bestritt der Mann die Vaterschaft und widersprachen sich somit die Aussagen oder war er kein Einheimischer, konnte die Frau seit 1788 unter bestimmten Voraussetzungen und nach einer erfolgreich aufgrund von Beischlaf oder Alimentation gegen ihn angestellten Zivilklage von allen Strafen und Kosten losgelöst werden. 126 Gemäß einem Zirkular von 1792 durfte sie in solchen Fällen, entgegen dem sonst üblichen Prozedere, dem vermeintlichen Kindsvater keinen Eid abverlangen, um 123 J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 181; WWA 32 (1786), Nr. 54 (08.07.1786), S. 215 oder WAHL (Hg.), Kind (2004), S. 140. 124 Accouchierhaus (1768–1820), LATh–HStAW, Polizeisachen B6242, fol. 222v. Das schlussfolgerten Joachim Bauer, Steffen Kublik und Stefan Wallentin: BAUER u.a., Fürsorge (2011), S. 32. 125 J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 175; Verheimlichung (1781, 1802), LATh–HStAW, Rechtspflege B2302a, fol. 18r–20r; WAHL (Hg.), Kind (2004), S. 17, 124f. 126 J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 170, 176f., 184; Bestrafung stupri (1790–1812), LATh– HStAW, Rechtspflege B2333a, fol. 168r.

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so die Wahrheit ihrer Aussage auf den dann zu leistenden Eid des Schwängerers zu stützen.127 Antizipierter, also eheanbahnender Beischlaf wurde seit 1786 mit zwei Talern Geldbuße statt mit 14 Tagen Gefängnis geahndet und war laut einer Verordnung von 1791 ausdrücklich zwischen künftigen Eheleuten und auch künftigen Verlobten strafbar. Seit 1792 sollte jeglicher Geschlechtsverkehr vor der Eheschließung zwischen offiziell oder inoffiziell Verlobten als antizipierter Beischlaf und nicht als bloßer unehelicher Sexualkontakt gewertet werden.128 Dem Paar drohte somit nicht die entehrende, für Unzucht seit 1709 vorgesehene achttägige Gefängnisstrafe, sondern die neuerlich verordneten zwei Taler Geldbuße. Ob diese Neubewertung und damit auch Veränderung des Strafmaßes strafmildernd oder doch eher verschärfend wirkte, hing ganz von den Delinquenten ab. Waren sie ohnehin arm, ruinierte die Geldstrafe ihre Existenz zusätzlich. Andernfalls konnte durch deren diskrete Zahlung eine entehrende und angesichts damaliger Haftbedingungen gesundheitsgefährdende Gefängnisstrafe umgangen werden.129 Die Weimarer Behörden entschärften in dieser Phase auch andere seit der Landesordnung für schwere Sittlichkeitsdelikte vorgesehene, aber meist nicht mehr angewandte harte Körper- und Lebensstrafen. So wurden verheiratete, getrennt lebende Frauen bei begangenem Ehebruch mit einer Geld-, Gefängnisoder Zuchthausstrafe belegt und die Todesstrafe dafür abgeschafft. Das für schwängernde Soldaten bis dato verordnete Spießrutenlaufen sollte seit 1784 durch eine andere Körperstrafe geahndet werden. Auch mussten Hofbedienstete, wie durch das Patent von 1731 vorgeschrieben, seit 1780 für eine Schwängerung nicht mehr ein Vierteljahresgehalt zahlen.130 Zugleich wurde eine bislang gewohnheitsmäßig angewandte Sanktion offiziell bestätigt: Carl August legalisierte 1789 in einem Reskript die von Studenten für uneheliche Schwängerung an die Universität gezahlten zwölf Taler, wofür den jungen Männern die sonst übliche, gesetzlich vorgeschriebene Untersuchung und Bestrafung erspart blieb. Dem Landesherrn war die Privilegierung der Studenten

127 J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 177. Bei einer sogenannten „Eidesdelation“, der Eideszuschiebung, musste der Beschuldigte den Eid dann entweder ableisten oder zurückweisen, wenn er nicht als beweisfähig behandelt werden wollte: KORNBLUM, Art. Eid, in: HRG 1 (1971), Sp. 865. 128 J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 166f.; Bestrafung stupri (1790–1812), LATh–HStAW, Rechtspflege B2333a, fol. 39r. 129 Die damalige Öffentlichkeit maß um 1800 den verschiedenen Sanktionen unterschiedliche entehrende Wirkungen bei und erachtete etwa eine Zuchthausstrafe als wesentlich beschämender als eine Landesverweisung: Aussetzung Kind (1804–1805), LATh– HStAW, Rechtspflege B2797, fol. 24r. 130 J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 170, 182f.

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bis dato gar nicht bekannt.131 Aus einem Bericht der Universität darüber erfuhr Carl August jedoch, aus was für wahrscheinlichen und ganz erheblichen Ursachen dieses […] Privilegium nebst dieser Abgabe, den Studenten zum Besten geordnet und beschloss deshalb: So laßen wir es dabey bewenden. Die jungen Männer sollten nicht wegen eines solchen iugendlichen Feltritts, unglücklich werden.132 Jungen Frauen gestand man derartige jugendliche Unachtsamkeiten nicht zu. Allerdings konnten viele Schwangere das Privileg zu ihren Gunsten nutzen, indem sie Studenten als Schwängerer angaben und sich so weitere Untersuchungen und Befragungen ersparten. Abgesehen von Studenten und Militärangehörigen hafteten mit den Verordnungen von 1786 die Männer mehr als zuvor für uneheliche Sexualkontakte und Schwängerungen. Für eine Erstschwangerschaft mussten sie sämtliche Kosten einschließlich der Geldstrafe übernehmen, während die Schwangere, geständige Frau verschont wurde. Sofern beide ledig waren, betrug diese acht Taler, pro Person also vier Taler. Ein verheirateter Mann büßte für seinen einfachen Ehebruch mit zwölf Talern, da er und die Frau ohne deren Strafbefreiung je sechs Taler hätten zahlen müssen. Künftig wurde auch der Ehemann für den enttarnten Ehebruch seiner Frau verantwortlich gemacht und bestraft, wenn er das außerehelich gezeugte Kind wider besseren Wissens aufnahm. Gemäß einem 1797 erlassenen und 1802 ergänzten herzoglichen Reskript hatten nun die durch Hofbedienstete Geschwängerten ebenfalls Anspruch auf Unterhalt und die Väter mussten demnach für ihre illegitimen Kinder aufkommen.133 Hatte der Kindsvater das Land verlassen oder war er mittellos, sollten die anfallenden Kosten vorerst notiert werden. Trotz seiner Armut war der Mann jedoch nachdrücklich zur Heirat der Geschwängerten verpflichtet.134 Die in den 1780er und 1790er Jahren in Sachsen-Weimar-Eisenach erlassenen Bestimmungen bekräftigten mit der Ehepflicht frühere Verordnungen. Die Eheschließung solcher illegitimen Eltern sollte unabhängig von deren Vermögen erfolgen. Die Frauen trugen nun nicht mehr allein die Schuld am unehelichen Sexualkontakt. Die Kindsväter hatten die Schwangerschaft mit verursacht und sollten sich dafür nun stärker als zuvor rechtfertigen. Zwar sollte die Heiratspflicht nicht für wilde Ehen gelten oder die notwendige Eheerlaubnis aushebeln, doch bildete die Entbindung der Ehe vom Vermögen eine Öffnung auch für ärmere Paare. Ähnliche

131 Schwängerung Schoppe (1812), LATh–HStAW, Rechtspflege B2831, fol. 2r; Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 145v–146r; Jena Kirchenbuße (1788–1789, 1812), LATh–HStAW, Rechtspflege B2330b, fol. 33r–v. 132 Jena Kirchenbuße (1788–1789, 1812), LATh–HStAW, Rechtspflege B2330b, fol. 22r, 33v. 133 WWA 32 (1786), Nr. 54 (08.07.1786), S. 213; J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 170; Juristenbefugnisse (1817–1908), LATh–HStAW, HMA 457, fol. 12v. 134 J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 175; WWA 32 (1786), Nr. 54 (08.07.1786), S. 215.

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Positionen klangen in den zeitgenössischen Debatten an und könnten die Weimarer Entscheidungen beeinflusst haben. Mit der zweiten unehelichen Schwangerschaft wurden die Frauen stärker als die Männer zur Verantwortung gezogen. Während die Schwängerer in jedem Fall nur die übliche Strafe für unehelichen Geschlechtsverkehr verbüßten, sollten Frauen als Dirnen behandelt werden, im Accouchierhaus entbinden und gegen sie eine Untersuchung wegen Hurerei erfolgen.135 Im Gegensatz zu den erstmals unehelich Geschwängerten trugen die Frauen für wiederholte Illegitimität nach wie vor die Hauptverantwortung, während die konsumierenden Männer noch immer nur mit der üblichen Strafe für unehelichen Geschlechtsverkehr rechnen mussten. Hier hatten sich die Deutungsmuster noch nicht maßgeblich gewandelt. Die Bestimmungen von 1786 verpflichteten die Ortsgeistlichen wie auch Eltern, Nachbarn, Freunde und Verwandte, unehelich Schwangere sofort einem weltlichen Richter anzuzeigen. Widrigenfalls büßten sie für eine bewusste Verheimlichung mit Körper- oder Zuchthausstrafen. Verwandte und Nachbarn trugen zur Verheimlichung der Schwangerschaft bei und verantworteten demnach gemeinsam mit der Geschwängerten das Kindswohl oder dessen Tod.136 Deren Einbeziehung wirkte sich für die Angeklagte zwar nicht strafmildernd aus, sie wurde jedoch nicht mehr allein, sondern auch die Gemeinschaft – die Öffentlichkeit –, als verantwortlich für ihr Kind und dessen Gesundheit wahrgenommen. Vorstellungen von Illegitimität hatten sich gewandelt, indem das strafbare Verhalten nicht mehr nur den illegitimen Eltern, sondern auch den jeweiligen Umständen und dem sozialen Umfeld zugeschrieben wurde. Auch andere konnten die fortgeschrittene Schwangerschaft zumindest ahnen und hatten die Kindstötung vielleicht sogar initiiert. Parallelen zur zeitgenössischen Publizistik hinsichtlich einer verstärkten Empathie bzw. Berücksichtigung der individuellen Umstände sind auch hier auffällig. Die Gesetzgeber wollten mit den in den 1780er und 1790er Jahren erlassenen Bestimmung den Kindsmord an sich und dessen Planung oder Einforderung durch Dritte unterbinden. Statt wie bisher ein härteres Strafmaß anzuwenden, erließ die Obrigkeit geständigen Erstgebärenden sämtliche Sanktionen und milderte das Strafmaß für unehelichen Verkehr ab.137 Geld- und Gefängnisstrafen ersetzten zunehmend die konventionellen Körper- und öffentlichen Ehrenstrafen wie Kirchenbuße und Prangerstehen. Jene Besserstellung lediger Mütter interpretiert Beate Harms-Ziegler als Ergebnis einer Zivilisationsoffensive: Mit der Verringerung körperlicher Gewalt scheinen die neuen moralischen Maßstäbe

135 J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 175, 179. 136 WWA 32 (1786), Nr. 54 (08.07.1786), S. 214; J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 176. 137 Vgl. ferner WOLTER, Bedenket (2003), S. 345.

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der Aufklärung verinnerlicht. 138 Die hier angestellten Beobachtungen bleiben damit nicht auf den ernestinischen Raum beschränkt. Nur für Erstgebärende stellte die Obrigkeit den Bedarf an Patientinnen zu Unterrichtszwecken und damit die öffentlichen Interessen hinter die individuellen Befindlichkeiten der ledigen Mütter zurück, um das kollektive Bedürfnis nach einer Entlastung der gesellschaftlichen Moral durch die Reduzierung der Kindsmorde zu stillen. Aus dem gleichen Grund wurde die individuelle Lage der ledigen Schwangeren berücksichtigt, anstatt sie generell anzuprangern. Die neuen Gesetze unterschieden zwischen erstmals unehelich verkehrenden Frauen und wiederholt straffälligen. Neben dem Straferlass für erstmals unehelich Schwangere und der verstärkten Verpflichtung der Männer zählt die Einbeziehung des sozialen Umfeldes zu den bedeutendsten Neuerungen dieser Jahrzehnte auch innerhalb der deutschsprachigen Publizistik und markiert eine veränderte Wahrnehmung individueller und öffentlicher Verantwortlichkeiten. 2.2.2. Die Debatten um das Strafrecht bei Sittlichkeitsdelikten und Kindsmord in Sachsen-Weimar-Eisenach Nachdem die Stände Sachsen-Weimars bereits 1728 und damit verhältnismäßig früh die Abschaffung der Kirchenbuße gefordert hatten, schlug die dortige Regierung in den 1750ern deren Erlass erneut vor, weil dadurch das Hertz des Menschen mehr irritiret, als gebeßert werde und weil die unehelich Schwangeren durch die einhergehende öffentliche Demütigung eher zum Kindsmord verleitet würden. 139 Die Gremiumsmitglieder erkannten die nur begrenzt erziehende Wirkung auf die jungen Frauen, die aus Angst vor den gesellschaftlichen Konsequenzen eher das Kind umbrächten, als das Vergehen einzugestehen. Außerdem kritisierten sie wie später Herder, dass sich Bessergestellte gegen eine Dispensationszahlung freikaufen konnten. Diese Praktik laufe dem eigentlichen Zweck der Kirchenbuße zuwider – der Ermahnung des Einzelnen und der Abschreckung der Gemeinde – und benachteilige zugleich ärmere Schichten.140 Der für den minderjährigen Herzog Ernst August II. Constantin vormundschaftlich regierende Franz Josias von Sachsen-Coburg-Saalfeld lehnte jedoch deren Abschaffung ab, weil dies nur zu Konflikten mit der Kirche führe.

138 HARMS-ZIEGLER, Mutterschaft (1997), S. 340. 139 Laster Hurerey (1731–1780), LATh–HStAW, Rechtspflege B2236b, fol. 23v; HARTUNG, Großherzogtum (1923), S. 124. 140 KESSLER, Herder (2007), S. 257; Laster Hurerey (1731–1780), LATh–HStAW, Rechtspflege B2236b, fol. 23v.

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Tatsächlich hatte laut Regierungsrat Franz Paul Christoph von Seckendorff das Oberkonsistorium die Beibehaltung der Kirchenbuße erwirken können.141 Zu Beginn von Carl Augusts Herrschaft beantragten die deputierten Stände Eisenachs wiederholt den Erlass der Kirchenbuße.142 Zunächst riet die Regierung laut Ventzke dem Herzog davon ab. Entgegen dem üblichen Zusammenhalt der ernestinischen Länder in Kirchenfragen würde sie noch immer von den meisten Geistlichen, vom Pöbel aber durchgehends für ein wesentliches Stück der protestantischen Kirchen-Verfaßung angesehen werden. 143 Wenige Jahre darauf unterstützte die Regierung mit Verweis auf andere Territorien den Vorschlag der Stände. Der Regierungsrat von Seckendorff fragte dabei, warum eine vermeintliche Wohltat, die die Kirchenbuße laut deren Befürwortern sei, den Menschen aufgezwungen werde. Auch bezweifelte er, dass sich der Sünder dadurch tatsächlich mit Gott versöhnen könne.144 Letztlich waren die Gegner erfolgreich und Sittlichkeitsdelikte wurden seit 1786 nicht mehr vor der Gemeinde öffentlich angeprangert. Bereits 1777 war die Kirchenbuße für Diebstahl erlassen worden.145 1781 ordnete Carl August anlässlich eines aktuellen Kindsmordfalls an, ein neues Mandat gegen die Verheimlichung unehelicher Schwangerschaften zu entwerfen. Der Mandatsentwurf von 1781 unterscheidet sich jedoch erheblich von der 1786 verabschiedeten Verordnung. Die Verantwortung der Kindsväter für die Aufdeckung verheimlichter Schwangerschaften wurde zunächst ausführlich erörtert, letztlich aber nur noch unterschwellig erwähnt. Laut der Verordnung von 1786 sollte zwar jeder schwangere Frauen sofort anzeigen – neben den Eltern, Geschwistern und anderen Personenkreisen werden die Schwängerer jedoch nicht einmal erwähnt. In ihrem Entwurf von 1781 widmete die Regierung der Meldepflicht der Kindsväter hingegen einen ganzen Unterpunkt: Nachdem eine Schwangere den Kindsvater informiert hatte, musste er die Frau zur Selbstanzeige auffordern und bei deren Verweigerung die Schwangerschaft ihren Eltern, ihrem Dienstherrn oder der Obrigkeit melden. Mehrere Zusätze erörterten die Verantwortlichkeiten des Kindsvaters und dessen Vergünstigungen oder Bestrafungen für eine Anzeige bzw. deren Unterlassung. Sie bestand in maximal fünf Jahren Zuchthaus, wenn er eine ihm bekannte Vaterschaft nicht anzeigte, die Schwangerschaft dadurch mit verheimlichte und das Kind letztlich 141 Vgl. Laster Hurerey (1731–1780), LATh–HStAW, Rechtspflege B2236b, fol. 25r; Verheimlichung (1781, 1802), LATh–HStAW, Rechtspflege B2302a, fol. 16r. 142 Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 1r; WAHL (Hg.), Kind (2004), S. 124f. 143 Zit. nach: VENTZKE, Herzogtum (2004), S. 469. 144 Verheimlichung (1781, 1802), LATh–HStAW, Rechtspflege B2302a, fol. 16r. 145 Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 1r; Registrande (1777), LATh–HStAW, Behörden B865, Nr. 1320; WAHL (Hg.), Kind (2004), S. 15, 124f.

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tot war. Ganz ähnlich hatten die Stände des Eisenacher Landesteils bereits 1777 neben der Abschaffung der Kirchenbuße auch härtere Sanktionen für die verführenden Männer gefordert.146 Wenngleich der Mandatsentwurf von 1781 die Verantwortlichkeiten auch des übrigen Umfeldes wesentlich umfangreicher erörtert als die 1786 erlassene Verordnung, ist es dennoch bemerkenswert, dass der detaillierte Pflichten- und Strafen-Katalog für die Kindsväter gänzlich ausgelassen wurde. Der Regierungsrat Johann Ludwig (von) Eckardt bemängelte die Einbeziehung des Schwängerers und befürchtete dadurch trotz der Abschreckung vor unehelichem Verkehr mit ledigen Frauen vermehrt andere Sittlichkeitsdelikte wie Ehebruch.147 Der Geheime Rat Christian Friedrich Schnauß kritisierte in seinem abschließenden Votum die Detailliertheit des Entwurfs und schlug vor, ihn zugunsten der Anwendbarkeit allgemeiner zu fassen und die Angabe der Schwangerschaft generell mit Straffreiheit zu belohnen oder deren Verheimlichung zu sanktionieren. Dennoch listet das Gesetz von 1786 aus nicht näher bekannten Gründen die Personengruppen einzeln auf, lässt jedoch die Kindsväter aus. Nach Schnauß’ Votum kam die vom Herzog angestoßene Gesetzesinitiative aus unbekannter Ursache zum Erliegen. 148 Die Bemühungen der Regierung scheiterten, dem Schwängerer neben der Übernahme der Kosten auch eine der mütterlichen Verantwortung gleichwertige Melde- und Fürsorgepflicht für das Kind zuzusprechen. Im Gegensatz zu den ledigen Müttern blieben den Kindsvätern weitreichende Konsequenzen für die Verheimlichung der Schwangerschaft anscheinend noch immer erspart. Die Sonderbehandlung studierender Väter und deren Geschwängerten stand in der Kritik, da mit der Angabe eines unbekannten Täters wie etwa weggezogenen Studenten größere Sittlichkeitsdelikte wie Ehebruch oder Inzest verheimlicht würden und sich die Parteien dazu heimlich auf finanzielle Abfindungen einigten.149 Die vorgeschlagene Maßnahme der Regierung, nämlich die Nennung eines Studenten als Kindsvater mit den anfallenden Kosten und zusätzlich mit drei Talern für die Geistlichkeit zu sanktionieren, lehnte Carl August allerdings ab. Dadurch würden schwangere Frauen nicht, wie im Gesetz von 1786 vorgesehen, von sämtlichen Strafen zur Prävention des Kindsmords befreit, sondern

146 Verheimlichung (1781, 1802), LATh–HStAW, Rechtspflege B2302a, fol. 5v–7v; WAHL (Hg.), Kind (2004), S. 17. 147 Verheimlichung (1781, 1802), LATh–HStAW, Rechtspflege B2302a, fol. 16v–17r. 148 Öffentliche Niederkunft (1752, 1779–1781), LATh–HStAW, Rechtspflege B2286a, fol. 9r; WAHL (Hg.), Kind (2004), S. 81. 149 Abschaffung Kirchenbuße (1786–1788), LATh–HStAW, Rechtspflege B2315a, fol. 72r.

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mit neuen belegt.150 Hier hielt der Herzog an der einmal zugestandenen Strafmilderung für Geschwängerte fest. Wie auch von einigen Autoren gefordert, sollten die ledigen werdenden Mütter sich weniger um ihre künftige ökonomische Absicherung sorgen müssen, sondern von eigenem Einkommen oder Vermögen leben können. Dazu reduzierte Carl August die Geldstrafen, übertrug sie den Kindsvätern oder erließ sie ganz infolge der Debatte über die Angemessenheit der für Illegitimität und Kindsmord bestehenden Strafbestimmungen.151 Den weltlichen und geistlichen Unterobrigkeiten entgingen so jedoch bislang fest in ihre jeweiligen Haushaltspläne integrierte fiskalische Strafen. Der Jenaer Stadtrat fürchtete herbe Verluste für die Kämmerei und auch die Weimarer Gerichts- und Stadtratsdiener beschwerten sich schon 1786, dass ihnen nun ein von der Geschwängerten bislang gezahlter Taler fehle.152 Ebenso entgingen der Landeskirche und ihren Ortsgeistlichen mit dem Erlass der Kirchenbuße und der Straffreiheit für erstmals unehelich Geschwängerte die bisherigen Straf- und Dispenszahlungen. Mehr noch verlor die Kirche mit den Zuständigkeits- und Strafveränderungen für Sittlichkeitsdelikte an Einfluss und damit an Bedeutung. In der bloßen Verbreitung christlicher und moralischer Werte ohne jegliche Sanktionsmöglichkeiten wurde sie auf ihre mahnende Rolle reduziert und staatlich etwa in Form der Sühneversuche bei Ehestreitigkeiten instrumentalisiert. Carl August musste besonders in seinen ersten Herrschaftsjahren die Hofund Staatsfinanzen sanieren und war deshalb auch selbst auf Bußgelder oder die Reduzierung der Inhaftierungskosten angewiesen.153 Seit 1784 sollten angesichts der vorkommenden, kostspieligen Arrestierungen die infolge von Sittlichkeitsdelikten Vorgeladenen unmittelbar nach dem Verhör entlassen werden, um die als mittlerweile unnötige empfundenen Ausgaben einzusparen.154 Diese vordergründig zweckrationale, ökonomische Entscheidung bewirkte zugleich einen weniger repressiven Umgang mit Straffälligen und demnach ein milderes Strafmaß. Die vermeintlich wohltätige Entbindung unehelich Schwangerer im Jenaer Accouchierhaus stellte tatsächlich eher eine Strafe als eine Wohltat dar. Indem die 150 Jena Kirchenbuße (1788–1789, 1812), LATh–HStAW, Rechtspflege B2330b, fol. 29v, 33v–34r. 151 Abschaffung Kirchenbuße (1786–1788), LATh–HStAW, Rechtspflege B2315a, fol. 8v. 152 Jena Kirchenbuße (1788–1789, 1812), LATh–HStAW, Rechtspflege B2330b, fol. 15v; Abschaffung Kirchenbuße (1786–1788), LATh–HStAW, Rechtspflege B2315a, fol. 45r. Laut herzoglicher Anordnung sollten die Gerichtsdiener diesen Taler künftig vom Schwängerer erhalten: ebd., fol. 51r. 153 Jena Kirchenbuße (1788–1789, 1812), LATh–HStAW, Rechtspflege B2330b, fol. 25v; WAHL (Hg.), Kind (2004), S. 14. 154 Arrest wegen stupri (1784), LATh–HStAW, Rechtspflege B2312, fol. 1r.

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Rechtsprechung die dortige Zwangsentbindung zuweilen als Belohnung für rechtmäßiges Verhalten erließ, bestätigte die Obrigkeit deren Sanktionscharakter. Strafmildernd wollte der Herzog 1779 zunächst alle erstmals unehelich Schwangeren ausschließlich von Hebammen und nicht von Studenten untersuchen lassen.155 Zwei Jahre später sollte allen unehelich Schwangeren, die sich selbst anzeigten, die Entbindung in Jena freigestellt werden.156 Damit reagierte die Obrigkeit wohl auf die vehemente Ablehnung des Accouchierhauses und instrumentalisierte die Befreiung von der Accouchierhaus-Pflicht als Anreiz für rechtmäßiges Verhalten. Möglicherweise flossen in die Bestimmung auch die reichsweiten Kritiken an der Zwangseinweisung unehelich Schwangerer in Entbindungsanstalten innerhalb der Kindsmorddebatte ein. So habe laut dem Jenaer Professor für theoretische Medizin Christian Gottfried Gruner die Accouchierhaus-Pflicht zum Kindsmord eher verleitet, statt ihm vorzubeugen.157 Hartnäckig betonten Befürworter der Entbindungshäuser auch innerhalb der zeitgenössischen Publizistik deren karitativen und medizinischen Auftrag besonders gegenüber ärmeren Müttern, die sich vermeintlich undankbar wider die für sie eingerichtete Wohlfahrtsanstalt sträubten. Nachdem durch das 1786 erlassene Gesetz zumindest den geständigen Erstgebärenden die entwürdigende Entbindung vor einem Seminar junger Männer erspart bleiben sollte, protestierten die Befürworter der Zwangseinweisung lediger Mütter. Die Generalpolizeidirektion leugnete deren entehrende Wirkung, betonte die Bedeutung des dortigen Unterrichts und fürchtete angesichts der seit 1786 geltenden neuen Strafmilderungen zu geringe Patientinnenzahlen, da die meisten unehelich Schwangeren doch Erstgebärende seien. 158 In deren Augen waren einmal unehelich Geschwängerte wohl ohnehin entehrt und hatten damit jegliche Ansprüche auf eine Behandlung als anständige Frauen verwirkt. Kinder spielten während der Debatten in Sachsen-Weimar-Eisenach am Ende des 18. Jahrhunderts wenn überhaupt nur eine untergeordnete Rolle. Zweifellos sollten zu ihren Gunsten Kindsmorde verhindert oder Alimentationszahlungen erhöht werden. Die Gesetzgeber reflektierten jedoch angesichts der väterlichen Verpflichtung kaum über deren Rechte und Interessen. Allenfalls waren uneheliche Kinder das bemitleidenswerte Ergebnis eines Sittlichkeitsvergehens. In unglückliche Umstände hineingeboren, schienen sie von vornherein einem trostlosen Schicksal geweiht, überlasteten die öffentlichen Kassen, Gefängnisse und Armenhäuser und gefährdeten schließlich durch ihre mangelhafte Sozialisa155 Accouchierhaus (1768–1820), LATh–HStAW, Polizeisachen B6242, fol. 175r. Nach dem Bericht durch die Regierung nahm der Herzog davon jedoch Abstand und beließ es bei der bisherigen Gleichbehandlung aller unehelich Schwangeren: ebd., fol. 184r–v. 156 Verheimlichung (1781, 1802), LATh–HStAW, Rechtspflege B2302a, fol. 19r. 157 BAUER u.a., Fürsorge (2011), S. 31; N.N., Kindermorde (1782), S. 216–218. 158 Accouchierhaus (1768–1820), LATh–HStAW, Polizeisachen B6242, fol. 182r–v.

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tion die Ordnung in Staat und Gesellschaft. Die Debattierenden nahmen illegitime Nachkommen auch vor dem Hintergrund von Beiträgen wie Sollten Hurerei und Concubinat auch in unsern Zeiten noch schädliche und schändliche Laster sein? vor allem als eine Bedrohung wahr. Daher sollte durch die Unterstützung unehelicher Kinder die öffentliche Ordnung von den neuen Bestimmungen profitieren. Mehrere Behördenmitglieder forderten eine höhere bzw. angemessenere Alimentation, oder sogar Unterhaltszahlungen durch alle Väter. Dementsprechend sollten die Mütter nicht mehr durch geringe Unterhaltssätze gestraft werden, um die Versorgung der Kinder durch die Alimente zu gewährleisten. 2.2.3. Reformen in anderen deutschen und europäischen Staaten Die Befürworter liberaler Gesetze verwiesen immer wieder auf die Handhabung in anderen deutschen und europäischen Staaten. Preußen nahm dabei aus heutiger Sicht und auch für viele der damaligen Zeitgenossen eine Vorreiterrolle ein. Schon 1765 verordnete Friedrich II. die völlige Straffreiheit für uneheliche Sexualkontakte und Schwängerungen, sofern sich die Schwangeren zwei weiteren Frauen anvertrauten und unter deren Aufsicht gebaren. Andernfalls drohte der ledigen Mutter bei einer Lebend- oder Totgeburt wie auch in Sachsen-WeimarEisenach eine sechs- oder zehnjährige Zuchthausstrafe. 159 Vor allen anderen Staaten hatte es schon 1765 sämtliche Sanktionen für alle unehelich Geschwängerten erlassen (die ihre Schwangerschaft anzeigten) und wirkte damit als Vorbild bzw. legitimierend auf ähnliche, nachfolgende Reformbemühungen. Kerstin Michalik vermutet hinter dem zwei Jahre nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges erlassenen Edikt keine progressive Sozialpolitik, sondern den Versuch, die erlittenen Bevölkerungsverluste auszugleichen, auch wenn vordergründig der Kindsmord verhindert werden sollte.160 Um den Bedarf an künftigen Untertanen und damit Soldaten zu decken, stellte er individuelle und staatliche Interessen über die gesellschaftliche Moral: Für eine stabile Population und eine geringe Kindsmordrate nahm Friedrich II. einen etwaigen Verfall kollektiver Sittlichkeitsund Ordnungsvorstellungen in Kauf. Mit dem 1794 in Kraft getretenen Allgemeinen Landrecht hatten alle unbescholtenen ledigen Mütter einen Rechtsanspruch auf Unterhalt durch den Kindsvater und dessen Eltern oder, wenn sie zu arm waren, durch die staatlichen Armenanstalten. Um die Alimentation des Kindsvaters zu gewährleisten, pfändete das Gericht sogar dessen Besitz oder Erbteil. 161 Einzig wenn der Schwängerer unbekannt war, mussten die Geschwängerte oder deren Eltern das 159 MICHALIK, Kindsmord (1997), S. 229, 233f. 160 Ebd., S. 231f.; HARMS-ZIEGLER, Mutterschaft (1997), S. 340. 161 GLEIXNER, Mensch (1994), S. 49, 52f.; ALR II, 2 § 628.

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Kind versorgen und konnten selbst dann bei Bedarf auf öffentliche Unterstützung hoffen. Löste der gerichtlich bestätigte Vater sein Eheversprechen nicht ein, kamen der ledigen Mutter alle Rechte einer unschuldig geschiedenen Ehefrau zu. Sie durfte seinen Namen führen, erhielt seinen Stand und Rang sowie eine den Ehescheidungsstrafen entsprechende Abfindung. Selbst wenn ein unüberwindliches Ehehindernis bestand und die ledige Mutter davon wusste, wenn die Ehe nicht versprochen wurde oder das Kind vor, während oder kurz nach der Geburt verstarb, bekam sie immerhin eine Abfindung samt einer Ausstattung, die sie für die geminderten Heiratschancen entschädigen sollten.162 Un- bzw. voreheliche Kinder erlangten als „Brautkinder“ nach der Eheschließung den gleichen Status und hatten die gleichen Erbrechte wie in der Ehe geborene Nachkommen. Infolge von Ehebruch geschiedene Frauen, Prostituierte, Ehefrauen und Verführende hatten hingegen gar keinen Anspruch auf die Übernahme der anfallenden Kosten oder auf Unterhalt durch den Kindsvater.163 Das Allgemeine Landrecht gestand dadurch ledigen unbescholtenen Müttern den Status und die Rechte einer Ehefrau oder zumindest einer Hausfrau zu. Uneheliche Kinder wurden nach der Heirat ehelichen gleichgestellt. Die preußische Gesetzgebung entkriminalisierte unverheiratete Paare mit gemeinsamen Kindern – und erleichterte die Eheschließung, die nun nicht mehr an Besitz gebunden war.164 Friedrich II. und die Herausgeber des Allgemeinen Landrechts maßen ledigen Müttern und unehelichen Kindern einen ehrenhaften Status bei, um ihnen gesellschaftliche Hürden zu ersparen und eine bestmögliche Sozialisation zu gewährleisten. Um die Gefahr der Kindstötung zu reduzieren, wollten die Gesetzgeber die Ängste vor gesellschaftlicher Diffamierung und finanziellen Nöten minimieren. Wie schon im Edikt von 1765 erkennt Beate Harms-Ziegler darin eine absolutistische Peuplierungspolitik, die durch den Ausbau aller Ressourcen und damit auch der Bevölkerung die innere und äußere Staatsbildung konsolidieren wollte. Ledige, meist jugendliche Mütter wurden daher besonders geschützt, damit sie ihre unehelichen Kinder zu nützlichen Untertanen bzw. Soldaten und Arbeitern erzogen.165 Die Gesetzgeber Preußens erkannten neben den Gefahren der Illegitimität auch deren Chancen für die Gesellschaft und versuchten, uneheliche Kinder und ledige Mütter bestmöglich zu integrieren, statt zu verbieten, da deren Reduzierung offensichtlich nicht gelang. Unter Zeitgenossen waren die Preußischen Maßnahmen von 1765 und 1794 umstritten. Der Weimarer Regierungsrat Christian Gottlob von Voigt bemängelte 162 HARMS-ZIEGLER, Mutterschaft (1997), S. 335, 337; ALR II, 2 § 631f. 163 ALR II, 2 § 597–600; HARMS-ZIEGLER, Mutterschaft (1997), S. 334. 164 Die Eheschließung wurde in den entsprechenden Kapiteln nicht an Besitz geknüpft: ALR II, 1. 165 HARMS-ZIEGLER, Mutterschaft (1997), S. 339f.; MICHALIK, Kindsmord (1997), S. 231f.

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den zu nachlässigen Umgang mit Sittlichkeitsdelikten, der zu unehelichem Verkehr geradezu verleite. In Preußen selbst konnten die Verordnungen gegen vehemente Widerstände, unter anderem seitens der Kirche, nur mühsam durchgesetzt werden. Die liberalen Bestimmungen gefährdeten laut preußischen Widersachern die Institutionen Ehe und Familie. Auch empfanden sie den zugesicherten ehrenhaften Stand illegitimer Mütter als unangemessen und als negativen Anreiz und Vorbild für alleinstehende Frauen.166 Die meisten anderen Staaten wie auch Sachsen-Weimar-Eisenach beseitigten zu Beginn oder gar erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts jegliche Sanktionen für unehelichen Geschlechtsverkehr: beispielsweise Baden 1803, Bayern 1808, Sachsen-Weimar-Eisenach 1839 und Württemberg sowie Oldenburg 1847. Auch ließen die Gesetzgeber nur zögerlich und vorrangig zur Kindsmordprävention von den üblichen Strafen ab. Wie in Sachsen-Weimar-Eisenach blieben den erstmals unehelich Gebärenden auch in Hessen-Waldeck seit 1780 und in Anhalt-Bernburg seit 1799 jegliche Sanktionen erspart oder Ehrenstrafen wurden durch Geld- und Gefängnisstrafen ersetzt, so geschehen in Bayern 1780 und in Schleswig und Holstein 1798. Im kurhannoverschen Göttingen wurde freiwilligen, unehelich gebärenden Patientinnen des dortigen Entbindungshauses seit circa 1788 ein Teil ihrer Strafen erlassen und die etwas verstecktere Ableistung der Kirchenbuße im Accouchierhaus gestattet. 167 Gleichsam sollte unehelicher Geschlechtsverkehr in Österreich seit 1769 und in Schweden seit 1778 sowie in Italien so diskret wie möglich verhandelt werden. Zur Anzeige einer unehelichen Schwangerschaft war das soziale Umfeld auch in Preußen verpflichtet.168 Wie in Sachsen-Weimar-Eisenach gestanden auch die Obrigkeiten anderer Territorien erstmals unehelich Schwangeren seit der zweiten Jahrhunderthälfte zögerlich Straferlasse etwa für eine Selbstanzeige zu. Bereits um die Mitte des 18. Jahrhunderts war die Kirchenbuße in zahlreichen protestantischen Territorien außer Kraft gesetzt, so geschehen unter anderem schon 1739 im Herzogtum Magdeburg, zwischen 1743 und 1747 in Schlesien, Pommern, Preußen und Ulm, 1753 und 1756 in Mecklenburg und Kursachsen und 1767 in Oldenburg, Schleswig und Holstein. Verhältnismäßig spät wurde sie in Hildesheim erst 1785, im Jahr darauf in Sachsen-Weimar-Eisenach und in Kurhessen abgeschafft, in Württemberg sogar erst 1808. Hannover wandte die Kirchenbuße noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts an, wenn auch in abgeschwächter Form. In einigen Territorien wurde sie durch eine 166 WAHL (Hg.), Kind (2004), S. 64; MICHALIK, Kindsmord (1997), S. 289–291; HARMS-ZIEGLER, Mutterschaft (1997), S. 342. 167 SCHLUMBOHM, Phantome (2012), S. 317, 319, 516 Anm. 8; MEUMANN, Findelkinder (1995), S. 251. 168 MICHALIK, Kindsmord (1997), S. 288; WAHL (Hg.), Kind (2004), S. 64; BREIT, Leichtfertigkeit (1991), S. 276f.; HARMS-ZIEGLER, Mutterschaft (1997), S. 326.

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nicht-öffentliche Ermahnung durch den Pfarrer oder ähnliche, unauffälligere Prozeduren ersetzt.169 Angesichts der mitunter bereitwilligen Aufhebungen seit Anfang des 18. Jahrhunderts stand deren Beseitigung – anders als die völlige Straffreiheit für uneheliche Schwängerung – offenbar in keinem Widerspruch zu bestehenden gesellschaftlichen und religiösen Ordnungsvorstellungen und stieß außerhalb kirchlicher Kreise auf wenig Widerstand. Die Buße und damit die Verantwortung der Sünden vor der Gemeinschaft und vor Gott hatte wohl ihre Bedeutung für die gesellschaftliche und individuelle Moral verloren. Damit erlitt auch die Kirche selbst einen Bedeutungsverlust und diente dem Staat allenfalls zur sittlichen Ermahnung der Untertanen. Kontroversen etwa um die Abschaffung der Kirchenbuße entstanden laut Blasius aufgrund der Säkularisierungsbemühungen der bürgerlich-liberalen Bewegung angesichts der noch immer vorherrschenden kirchlichen Konventionen.170 Hinter Preußens Reformen blieben die sachsen-weimar-eisenachischen Maßnahmen wie auch die anderer Territorien weit zurück. Zwar schienen sich die Weimarer Gesetzgeber gelegentlich an den liberalen Bestimmungen zu orientieren. Die zehn Jahre Zuchthausstrafe für verheimlichte Schwangerschaft wurde 1780 ähnlich der preußischen Verordnung von 1765 teilweise revidiert und nur noch dann verhängt, wenn eine Totgeburt vorlag oder die Mutter der (versuchten) Kindstötung verdächtigt wurde. Auch ersetzten Geld- und Gefängnisstrafen zunehmend die konventionellen Körper- und öffentlichen Ehrenstrafen.171 Für eine gänzliche Straffreiheit unehelicher Schwängerung war das ernestinische Herzogtum jedoch auch angesichts der Kritik des Regierungsrats von Voigt am Edikt von 1765 noch lange nicht bereit. Demnach verleitete die liberale preußische Gesetzgebung zu ungestraftem unehelichem Verkehr. Bewährte Ordnungsbegriffe wurden im ernestinischen Herzogtum wie in den meisten Staaten nur zögerlich aufgebrochen, individuelle Bedürfnisse, wenn überhaupt, nur zum vorrangigen Nutzen kollektiver Interessen berücksichtigt. Markus Ventzke weist in seiner Untersuchung zu Sachsen-Weimar-Eisenach als „Modellfall aufgeklärter Herrschaft“ jedoch darauf hin, dass in Kleinstaaten wie dem ernestinischen Herzogtum derart große Reformen und Kodifikationen wie das Allgemeine Landrecht sehr viel schwerer anzubahnen und umzusetzen waren.172 Die meisten Staaten waren im 18. Jahrhundert noch nicht bereit, tradierte Ordnungsvorstellungen gänzlich zu verwerfen und die Strafen für Illegitimität vollständig abzuschaffen. Im Spannungsfeld zwischen öffentlicher Moral und konventionellen Ehevorstellungen sowie einer aufgeklärten liberalen Sozialpolitik 169 MUSTER, Kirchenbuße (1983), S. 68; SCHLUMBOHM, Phantome (2012), S. 317. 170 BLASIUS, Last (1992), S. 39f. 171 VAN DÜLMEN, Theater (1995), S. 68. 172 VENTZKE, Herzogtum (2004), S. 486f.

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zur Stabilisierung der Bevölkerungszahlen nach preußischem Vorbild entschied sich Sachsen-Weimar-Eisenach am Ende des 18. Jahrhunderts für die Bestätigung der bewährten öffentlichen Ordnung und damit einhergehender Deutungsmuster und gegen die Neubestimmung familialer und gesellschaftlicher Werte.

2.3. Anwendung, Spezifizierung und Korrektur der neuen Ordnung zu Beginn des 19. Jahrhunderts In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts modifizierten die Recht sprechenden Instanzen das geltende Recht zu unehelichen Sexualkontakten und Schwängerungen nicht grundlegend. Die jüngst erlassenen Verordnungen wurden angewandt, spezifiziert und gegebenenfalls leicht korrigiert. Die dabei neuerdings dem sozialen Umfeld zugewiesene Verantwortung zeigt eindrücklich ein Kindsmordfall aus Tröbsdorf. Die der klaren Disposition des Circulars vom 19. Junÿ 1786. §.5. zuwider, zu Schulden gebrachte Nachläßigkeit ihrer Dienstherrschaft und Eltern ingleichen der Hebammen und des Schultheißen Eckardt sollte der Jenaer Schöppenstuhl 1801 evaluieren. Laut dem Verteidiger der Magd Maria Magdalena Kühndorf lag ein Verschulden der Pfarrerin von Hottelstädt, nebst den Nachläßigkeiten anderer, die ihre Schwangerschaft anzuzeigen unterlaßen haben vor, weshalb seine Mandantin zu entlasten sei. Ihre Dienstherrin, die Wirtin Ehlig, schwor meineidlich, dass ihr trotz dem Gerede unter den Leuten von gedachten Schwangerschaft nichts an Maria Magdalena Kühndorf aufgefallen sei.173 Frau Ehlig beauftragte dennoch die Hebamme mit einer Untersuchung ihrer Magd, verließ sich auf deren Meldepflicht bei einer etwaigen Schwangerschaft und nahm an, ihre eigene Anzeigepflicht erfüllt zu haben. Die Geburtshelferin vermutete nach der Untersuchung eine Schwangerschaft und forderte die Wirtsleute zweimal unter Androhung einer amtlichen Anzeige auf, die vermeintlich Schwangere erneut zu ihr zu schicken.174 Gegen den Einwand des Verteidigers der Maria Magdalena Kühndorf argumentierte der Schöppenstuhl, dass die unterlassenen Anzeigen anderer die Strafbarkeit der Tat nicht schmälern würden. Ferner schlug er vor, den Fall für eine Verurteilung der Magd wegen Kindsmord gründlicher zu untersuchen. Dazu gehöre ein medizinisches Gutachten über die Lebendigkeit des Kindes bei der Geburt, das bislang nicht vorläge. Sofern der Mord der Angeklagten nicht nachgewiesen werden könne bzw. sie nicht geständig war, sei keine Todesstrafe zu verhängen. Die Hebamme trug laut Schöppenstuhl eine Mitschuld am Kindsmord, da sie entgegen geltender Verordnungen ihre Vermutungen nicht bei 173 Kindsmord Kühndorf (1801), LATh–HStAW, SchöppJ 2591, fol. 70v, 75r–v, 81v. 174 Ebd., fol. 75v, 80r–81v.

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einer Obrigkeit angezeigte, sondern lediglich die Dienstherrschaft ermahnte. Für den nicht gemeldeten Schwangerschaftsverdacht müsse sie daher eine vierwöchige Zuchthausstrafe verbüßen.175 Die Wirtin Ehlig, der Schultheiß Johann Nicol Eckardt, der Pfarrer von Hottelstedt und seine Frau – die Mutter und der Stiefvater der Angeklagten – hatten die Schwangerschaft angeblich nicht bemerkt und sollten ihre Aussagen nach strenger Verwarnung meineidlich bezeugen. Der Wirt als Dienstherr blieb von der Untersuchung völlig unbehelligt, da dem Schöppenstuhl zufolge nicht ihm, sondern seiner Frau die Verantwortung und Aufsicht für die weiblichen Angestellten oblag. Für die Beobachtung und Anzeige unehelicher Schwangerschaften schienen neben weltlichen und geistlichen Unterobrigkeiten gemäß damaligen Geschlechtervorstellungen vor allem Frauen aus dem näheren Umfeld verantwortlich. Durch eigene Erfahrungen waren sie vertrauter mit Begleiterscheinungen wie morgendlicher Übelkeit oder häufiger körperlicher Erschöpfung. Doch selbst wenn der Hausherrin die Verantwortung vor allem für die weiblichen Dienstboten oblag, hätte auch ihr Ehemann die Schwangerschaft seiner Angestellten sehen können, zumal die Hebamme den Wirt im erläuterten Fall angeblich darauf ansprach.176 Wenn der Pfarrer oder Schultheiß die Schwangerschaft eines Gemeindemitglieds bemerken sollten, war das auch dem Arbeitgeber möglich, der seine Angestellte häufiger sah. Dass der Wirt Ehlig vom Schöppenstuhl derart geschont wurde, ist daher nicht nachvollziehbar. Neben der Magd hätten auch ihre Eltern und besonders die Eheleute Ehlig durch eine verheimlichte Schwangerschaft und Kindstötung ihr Ansehen gewahrt, zumal dem Wirt möglicherweise die Vaterschaft nachgesagt worden wäre. Der geschilderte Fall belegt die konsequente Umsetzung der 1786 erlassenen Verordnung. Die stärkere Verpflichtung des sozialen Umfeldes blieb kein theoretisches Ideal. Die Recht sprechenden Instanzen wandten sie an und bestellten in Zweifelsfällen sogar aufwändige Gutachten. Darüber hinaus zeigt er auch, dass den Untertanen die Gesetzeslage und damit einhergehende Verpflichtungen durchaus bekannt waren. Die meisten der zwischen 1800 und 1825 erlassenen Normen konkretisierten die Umsetzung vorheriger Verordnungen. 1809 erinnerte im Wochenblatt eine Bekanntmachung an die 1797 beschlossene Bestrafung der Schwangeren, die einen Unbekannten als Vater angaben. Viele Frauen wussten angeblich nicht, dass sie statt der vier Wochen Zuchthaus samt Übernahme aller Strafen und Kosten auch freiwillig im Accouchierhaus entbinden konnten. Fünf Jahre darauf beklagte die Entbindungsanstalt, dass bislang nur wenige Schwangere nach Jena geschickt worden seien. Die Regierung erinnerte deshalb im Wochenblatt erneut an das 175 Ebd., fol. 76r–81r. 176 Ebd., fol. 75v, 80v–81v.

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Zirkular von 1797 und merkte an, dass die darin offerierte Option wohl nicht überall beachtet wurde. 177 Auch ein 1821 an das Stadtgericht Jena erlassenes herzogliches Reskript soll zwei Bestimmungen von 1814 erneuert und ergänzt haben. Demnach durfte die Schwangere ihre Angaben zum ortsfremden Schwängerer durch dessen authentisches Eingeständnis, durch eine beantragte Untersuchung bei der betreffenden auswärtigen Behörde oder durch eine Zivilklage bestätigen lassen.178 So konnte sie die Bestrafung für die Nennung eines als unbekannt geltenden, weil ortsfremden Täters abwenden. Ergänzt wurden die hinsichtlich unehelicher Sexualkontakte und Schwängerungen erlassenen Verordnungen unter anderem bezüglich der Kostenregulierung. Laut einem herzoglichen Reskript von 1805 mussten die der Schwängerung bezichtigten Männer nur die Hälfte der eigentlich vom Kindsvater zu tragenden Kosten übernehmen, wenn sie auf die Zivilklage der Frau einen Reinigungseid geleistet hatten. Die andere, von der Frau zu begleichende Hälfte wurde angesichts deren Befreiung von jeglichen Kosten erlassen. Einer Bestimmung von 1810 zufolge sollte der Kindsvater die Geburt und Taufe sogleich bei Gelegenheit der Untersuchung nach vorgängigem, auch nur mündlichem Ansuchen der Geschwächten erstatten.179 Zahlungsunfähige Schwängerer mussten laut einer Bestimmung von 1815 ihre Geldstrafe durch Wegebauarbeit oder Gefängnis verbüßen.180 Mittellosigkeit begründete folglich keinen Straferlass, die illegitime Schwängerung sollte auch bei den Männern rigoros sanktioniert werden. Die Finanzierung von Geburt und Taufe wurde darin jedoch nicht geregelt. Zu den wenigen Neuerungen zwischen 1800 und 1825 zählte der seit 1801 gesetzlich festgeschriebene Anspruch der durch Militärs Geschwängerten auf Alimentation. Die in den 1780er Jahren getroffenen Regelungen hatten die Frauen wie alle anderen von jeglichen Kosten und Strafen befreit, sofern sie ihre uneheliche Schwangerschaft jemandem anvertrauten. Dennoch blieben ihnen jegliche Unterhaltsansprüche verwehrt. Eine Order Carl Augusts von 1801 legte nunmehr zwei Taler und zwölf Groschen für die unehelichen Kinder der Militärangehörigen fest. Dabei sollten die zuständigen Militärgerichte das Vermögen der Kindsväter berücksichtigen und die zahlungsfähigen bis zum 14. Lebensjahr des Kindes verpflichten. Im Armutsfall bescheinigte das Gericht der Mutter ihre Ansprüche, sodass sie sie später, wenn der Schwängerer vermögender war, 177 WWB 55 (1809), Nr. 18 (04.03.1809), S. 77; WWB 60 (1814), Nr. 51 (28.06.1814), S. 271. 178 Darunter sind die bereits erörterte, im Wochenblatt abgedruckte Bekanntmachung (WWB 60 (1814), Nr. 51 (28.06.1814), S. 271) und eine weitere, bislang unbekannte vom Dezember 1814: Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 149r–v. 179 V. GÖCKEL, Gesetze 1 (1828), S. 425, 472; Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 117v. 180 V. GÖCKEL, Gesetze 2 (1829), S. 202f.

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geltend machen konnte. Um ihr Recht einfordern zu können, musste sie die uneheliche Schwängerung allerdings bei den Militärgerichten anzeigen. Andernfalls hatte die Mutter ihre Ansprüche vor jedem Gericht verwirkt.181 Die Obrigkeit setzte die Revision tradierter Sittlichkeits- und Geschlechtervorstellungen fort, indem sie die Rechte der Mütter etwa auf Unterhalt oder Geburshilfe stärkte, statt sie zu bestrafen, und die Väter durch Sanktionen und Alimentationspflichten zur Verantwortung zog. 182 Entsprechend bewerteten einzelne Regierungsmitglieder Gesetze zur Abmilderung der Strafen angesichts der zurückgegangenen Kindsmordfälle als Erfolg, obwohl die Sitten neuerer Zeit […] verdorbner sind als in den Jahren zuvor. Immerhin verringerte laut Regierungsrat Lauhn die Zunahme von unehelichem Geschlechtsverkehr schlimmere Verbrechen wie die Selbstbefleckung. Der illegitim ausgelebte Sexualtrieb sei der Menschheit am Unschädlichsten und ohnehin nicht zu verhindern. Wenn heimliche, schlimmere Vergehen dafür unterblieben, so haben die mildern Verordnungen viel viel! geleistet. Illegitime Intimität solle eher durch moralische Mittel – durch Erziehung in Schulen und Kirchen, in Familien und Hausgenossenschaften und durch gute Vorbilder – und weniger durch Strafen bekämpft werden.183 Lauhn hätte für die Verhinderung der damals als weit größeres Verbrechen eingestuften Selbstbefriedigung den Anstieg unehelicher Sexualkontakte zwar geduldet, lehnte Illegitimität aber dennoch ab.184 Die vormals angewandten härteren Strafen für Frauen konnten die Illegitimität nicht verringern, weil das weibliche Geschlecht […] in der Maase keuscher werden [wird], in dem es das männliche wird.185 Männer wie Frauen trugen demnach gleichsam zur Unsittlichkeit bei – eine Position, die sich auch in der zeitgenössischen Publizistik wiederfindet. Programmatisch für den Beginn des 19. Jahrhunderts betont er damit, dass für eine bessere gesellschaftliche Moral (vor allem) auch die Männer diszipliniert und für Sittlichkeitsvergehen strenger gestraft werden müssten. Daher stand den durch Militärangehörige oder durch Hofbedienstete Geschwängerten vermutlich nun ebenfalls Unterhalt zu, der ihnen zuvor verwehrt worden war. Die jahrelange Alimentationspflicht diente als fiskalische Strafe der Abschreckung und Frauen sollten zusätzlich zu Straf- und Kostenerlass zur Anzeige ihrer Schwangerschaft motiviert werden. 181 Schwängerungen Militär (1800–1811), LATh–HStAW, Rechtspflege B2341b, fol. 32r–v; v. GÖCKEL, Gesetze 1 (1828), S. 410. 182 Zu den Ansprüchen auf Geburtshilfe: Kap. VI.3. 183 Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 17r– 19r. 184 Zur weit verbreiteten Ablehnung der Selbstbefriedigung auch aufgrund möglicher gesundheitlicher Schäden: N.N., Ehelosigkeit (1793), S. 251f. 185 Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 17v– 18r.

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Die Alimentationsregelung von 1797 ergänzend sollten die Zivilansprüche der von Hofbediensteten Geschwängerten seit 1802 binnen zwei Monaten reguliert werden. Der Kindsvater durfte dabei jedoch nicht in augenblickliche finanzielle Verlegenheit geraten. Die Verordnung diente demnach auch dem Schutz der Männer. Außerdem seien Heirathen mit schlechten Dirnen soviel als möglich nicht zuzulassen.186 Das Hofmarschallamt bekräftigte 1818 diese Anordnung gegenüber dem Herzog und hatte damit unerwünschte Eheschließungen weiterhin unterbunden. Wie Studenten, Gesellen oder Soldaten waren sie nicht ökonomisch unabhängig und liefen Gefahr, durch eine eigene Familie die staatlichen Armenkassen zu belasten. Deshalb war ihnen zuweilen die Eheschließung grundsätzlich untersagt oder bedurfte der Genehmigung durch den Vorgesetzten.187 Auch die Soldatengesetze von 1811 bzw. die sie umsetzenden Kompaniechefs unterbanden unerwünschte Eheschließungen. Ohne die Genehmigung des Vorgesetzten zu heiraten oder sich auch nur zu verloben, war Militärangehörigen fortan untersagt. Schon die Bestimmungen von 1731 und 1750 hatten Soldaten die Eheschließung aufgrund einer Schwängerung verboten. Widrigenfalls wurden mit dem Soldatengesetz Ehe oder Verlöbnis für nichtig erklärt und eine dreimonatige Festungsstrafe verhängt. Dazu war es unerheblich, ob die Frau schwanger war oder das Eheversprechen eidlich erfolgte.188 Durch die Veröffentlichung im Wochenblatt informierten die Obrigkeiten die Untertanen über ausgewählte Bestimmungen der Soldatengesetze. Möglicherweise versuchten besonders in den Kriegsjahren viele in wilder Ehe lebende Soldaten zu heiraten, damit die Partnerin und die Kinder im Todesfall erben konnten oder sogar, wie in Preußen seit 1745 möglich, Versorgungsgelder über den Tod des Mannes hinaus beziehen durften. Leider ist für Sachsen-Weimar-Eisenach keine vergleichbare Fürsorgeeinrichtung bekannt. Illegitime Nachkommen wurden weiterhin gemäß der Order von 1801 alimentiert. Für unehelichen Beischlaf drohten anscheinend wie schon zuvor zwei Tage Arrest und täglich zwei Stunden Krummschließen.189 Die nach wie vor restriktiven Heiratsbestimmungen für Militärangehörige waren durch die napoleonischen Kriege und ihre Begleiterscheinungen motiviert. 186 Juristenbefugnisse (1817–1908), LATh–HStAW, HMA 457, fol. 12v–13r. Für die Ansprüche Geschwängerter gegenüber Hofbediensteten war seit 1817 das Hofmarschallamt zuständig, ebd. 187 Ebd., fol. 13r; Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 13r; BREIT, Leichtfertigkeit (1991), S. 55; WESTPHAL u.a., Venus (2011), S. 43f. 188 WWB 57 (1811), Nr. 51 (28.06.1811), S. 201. 189 ENGELEN, Soldatenfrauen (2005), S. 102f., 466. In den Soldatengesetzen ist dazu keine Regelung erlassen worden und trotz gezielter Nachfrage ging Carl August nicht darauf ein: Schwängerungen Militär (1800–1811), LATh–HStAW, Rechtspflege B2341b, fol. 32r–33r.

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Wie die deputierten Stände beschwerten sich Regierungsmitglieder über die iezt immer mehr zu nehmende Sitten-Verderbniß im Zuge der napoleonischen Kriege. Durch Soldaten und Emigrierte sei französische[r] Leichtsinn, Sittenlosigkeit und Frechheit nach Teutschland verpflanzt und aller Scheu und Scham, Zucht u Ehrbarkeit ausgerottet, dargegen aber Irreligiosität ud alle Arten von Ausschweifungen ud Lastern eingeführt worden pp. Angesichts solcher Belastungen für die Moral forderten Regierungsvertreter die Reaktivierung schärferer Strafen für Fleischesverbrechen.190 Mit der Einführung, der Verpflanzung könnte aber auch die vorübergehende Gültigkeit des Code Civil in einigen deutschen Territorien gemeint sein, der durch die Aufhebung jeglicher Ehebeschränkungen die ständische Privilegierung der Ehe und damit ein Grundprinzip des frühneuzeitlichen Staates und seiner Gesellschaft infrage stellte. Die durch die Weimarer Regierungsmitglieder geäußerte Fassungslosigkeit gegenüber den eingeführten französischen Gesetzen und damit einhergehenden Werten ist symptomatisch für die damalige Zeit und weist über die thüringische Kleinstadt hinaus. Auch Sylvia Möhle beobachete einen durch das napoleonische Scheidungsrecht ausgelösten Bewusstseinswandel, der sich im Widerstand gegen die Wiederherstellung der strengen vornapoleonischen Ordnung äußerte.191 Entsprechend wurden uneheliche Schwängerungen und unerwünschte Ehen zu Beginn des 19. Jahrhunderts wieder nachdrücklicher geahndet. Die Stadtpolizeikommission erteilte seit Dezember 1824 unehelich geschwängerten Dienstmädchen Aufenthaltsverbot und publizierte die Anzahl der monatlich Ausgewiesenen nebst anderen Delikten im Wochenblatt. So mussten 1825 ganze 14 Mägde Weimar verlassen, 1831 waren es hingegen nur drei.192 Die zugrunde liegende Verordnung ist leider nicht überliefert. Die frühneuzeitliche Vertreibung aus der Stadt, bei der die Ausgewiesenen von Amts- oder Gerichtsdienern bis hinter die Stadtgrenze gebracht wurden, war jedoch nur bedingt wirksam, da die Bestraften oftmals zeitnah in ihren alten Wohnort zurückkehrten.193 Neben unehelich Schwangeren wurde auch unerwünschten Ehen und Verlobungen stärker entgegengewirkt: Während in den 1780er Jahren der Kindsvater unabhängig von seinem Vermögen die Schwangere heiraten musste, 190 Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 2r–v, 10r. 191 MÖHLE, Ehekonflikte (1997), S. 204, Anm. 36. 192 WWB 71 (1825), Nr. 35 (03.05.1825), S. 176; ebd. Nr. 44 (03.06.1825), S. 221; ebd. Nr. 52 (01.07.1825), S. 263; ebd. Nr. 61 (02.08.1825), S. 310; ebd. Nr. 71 (06.09.1825), S. 357; WWB 77 (1831), Nr. 35 (03.05.1831), S. 193; ebd. Nr. 44 (03.06.1831), S. 251; ebd. Nr. 54 (08.07.1831), S. 307. 193 Siehe unter anderem WWB 71 (1825), Nr. 1 (04.01.1825), S. 2; ebd. Nr. 35 (03.05.1825), S. 176; ebd. Nr. 44 (03.06.1825), S. 221; ebd. Nr. 52 (01.07.1825), S. 263; ebd. Nr. 61 (02.08.1825), S. 310; ebd. Nr. 71 (06.09.1825), S. 357; ebd. Nr. 94 (25.11.1825), S. 483; SCHWERHOFF, Vertreibung (2006), S. 48f.

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war seit 1807 der Ehedispens angesichts einer Schwängerung zu verweigern. Das Gesetz von 1821 über das zum Heiraten erforderliche Alter betonte erneut, dass eine Schwängerung oder eine richterliche Bestätigung der Heiratsabsichten einen Ehedispens nicht überzeugend begründeten.194 Damit wurde den in wilder Ehe lebenden Paaren die eigenständige Familiengründung bzw. die Erzwingung des Heiratsdispenses wie schon vor 1800 untersagt. In den darauffolgenden Jahrzehnten sollte sich die Rechtslage vor allem für unverheiratete Paare jedoch grundlegend ändern.

2.4. Neue Ordnung seit 1825 – Carl Augusts letzte Regierungsjahre und Carl Friedrichs erste Akzente 2.4.1. Gesetze zur Erleichterung der Ehe und zur Verpflichtung der Väter Bis in die 1820er Jahre hinein sanktionierten die Obrigkeiten Sachsen-WeimarEisenachs uneheliche Geburten und wilde Ehen eher, als dass sie beide Phänomene tolerierten. Dann publizierte die Landesdirektion 1826 im Wochenblatt eine Bekanntmachung über die sogenannten wilden Ehen und ordnete an, wegen etwa daselbst anzutreffender Fälle […] geeignete Erkundigung anzustellen, die Heimaths- und Vermögensverhältnisse […] gehörig zu erörtern, sodann […] entweder die Trennung derselben sofort zu verfügen, oder da, wo wegen etwa aus ihrer bisherigen Verbindung erzeugter Kinder und wegen sonstiger erheblichen Umstände, die Verehelichung nunmehr für wünschenswerth anzusehen ist, zu solchen Behuf mit angemessener Vermittelung und Anordnung einzuschreiten.195

Die Polizeibehörden sollten wilde Ehen zur Beförderung der guten Sache und zu Entfernung eines sittlichen Aergernisses nach Möglichkeit durch Heirat legalisieren, statt unterdrücken. Dass hierbei die Eheschließung des Paares eher erwünscht war als deren staatlich verordnete Trennung, hob die Landesdirektion durch weitere Zusätze explizit hervor. So waren unverheiratete, verarmte Paare als Armutsfälle einzustufen und demnach als Offizial-Angelegenheit unentgeltlich zu verehelichen. Die Herren Geistlichen sollten hierbei wenigstens durch billige Stundung der Kopulationsgebühren sich geneigt und behülflich erweisen.196 Nach wie vor wurden wilde Ehen offiziell nicht geduldet. Durch die neue Erleichterung der Ehe liefen viele Paare allerdings gar nicht erst Gefahr, sich strafbar zu machen. Die Zahl der unverheirateten Paare sollte somit durch die nun vermehrt vollzogenen und zuvor verhinderten Eheschließungen sinken und 194 Ehedispens (1807), in: HAAB, Landesverordnungen 1, fol. 135r; RB 5 (1821), Nr. 30 (17.07.1821), S. 615. 195 WWB 72 (1826), Nr. 1 (03.01.1826), S. 2. 196 Ebd., Nr. 1 (03.01.1826), S. 2.

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wilde Ehen dadurch nicht mehr in dem Maße öffentlich wahrgenommen werden können. Durch die Publikation im Wochenblatt waren die Betroffenen über ihre neuen Heiratschancen informiert und konnten ihre Rechte einfordern. Die bisher bestandene finanzielle Hürde wurde ihnen genommen und die Eheschließung erheblich erleichtert.197 Mit seinem letzten Erlass zu unehelichen Sexualkontakten und Schwängerungen milderte Carl August 1828 die Strafe für die Verheimlichung des Kindsvaters bei illegitimen Schwangerschaften ab. Er stellte es dem Ermessen der Regierung anheim, statt einer Zuchthaus- eine Gefängnisstrafe zu verhängen. Dadurch sollte das Weimarer Arbeitshaus entlastet werden und nicht durch kurzzeitig Inhaftierte ständig überfüllt sein. 198 Schon 1823 hatte die Landesdirektion bei der Regierung eine Umverteilung der einsitzenden Mütter etwa ins Eisenacher Arbeitshaus angeregt, weil das Weimarer Zuchthaus durch die vielen Frauen mit ihren Neugeborenen an Platzmangel litt. Die anschließende Debatte über alternative Strafen für die Angabe eines unbekannten Schwängerers stießen demnach auch ganz praktische Erwägungen an.199 Selbst wenn das Leitmotiv angeblich ein anderes war, wirkte sich die Verordnung doch strafmildernd für die ledigen Mütter aus. Carl August nahm die Verringerung des Strafmaßes billigend in Kauf, anstatt die im Zuchthaus anstehende harte Arbeit, die im Gefängnis ausblieb, durch einen längeren Aufenthalt auszugleichen. Nach dem Tod des Großherzogs übernahm sein Sohn Carl Friedrich die Herrschaft und stärkte 1829 mit einem Gesetz über die Verbindlichkeit aller Väter zur Ernährung ihrer unehelichen Kinder erneut die Rechte lediger Mütter. Die Privilegien beispielsweise der Studenten wurden damit theoretisch aufgehoben und den Schwangeren die Zivilklage zur Feststellung der Paternität gestattet. Fortan durften alle Mütter Unterhalt für das gemeinsame Kind einfordern und waren rechtlich nicht mehr völlig auf sich gestellt – wenn auch einige Väter letztlich den zahlreichen Alimentationsklagen bei den Behörden zufolge nicht oder nicht genügend zahlten. Auch erließ Carl Friedrich 1830 den illegitimen Eltern die bislang zu zahlenden Strafgelder für die Hebammenbesoldung.200 Die ersten Verordnungen Carl Friedrichs sollten richtungsweisend sein für seinen künftigen Umgang mit unehelichem Geschlechtsverkehr: Nur neun Jahre später erließ er sämtliche Sanktionen für uneheliche Sexualkontakte zwischen ledigen Personen und setzte so eine Forderung progressiv ausgerichteter Autoren

197 198 199 200

Zu den Auswirkungen der Verordnung auf das Heiratsverhalten: Kap. IV.3. Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 104r–v. Juristenbefugnisse (1823–1832), LATh–HStAW, Rechtspflege B2401a, fol. 7r–v. Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 128r–v, 153r.

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um. 201 Damit erlosch 1839 auch die Entbindungspflicht unehelich geschwängerter Mütter im Jenaer Accouchierhaus, das 1830 in einen moderneren Neubau umgezogen war und dessen Patientenzahlen zeitgleich sprunghaft anstiegen.202 Schon länger entbanden neben den zwangseingewiesenen ledigen Müttern wohl auch Ehefrauen freiwillig unter ärztlicher Aufsicht. So musste die Landesdirektion 1830 die Behandlung ehelich Geschwängerter an eine Legitimationsbescheinigung knüpfen, ohne die die Frauen nicht aufgenommen und behandelt wurden. Möglicherweise schätzten die Schwangeren mittlerweile die medizinische Versorgung, wodurch die Überlebensrate von Mutter und Kind erheblich höher war als bei einer Hausgeburt. Ledige Mütter waren bis 1839 verpflichtet und brauchten ein derartiges Attest nicht. Die lange vorherrschende Abscheu gegen das Accouchierhaus, zu der wohl auch die berüchtigten Behandlungsmethoden des langjährigen Direktors Justus Christian Loder mit lebendigen und toten Patientinnen beitrugen, hatte anscheinend nach dessen Weggang aus Jena in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts kontinuierlich abgenommen.203 2.4.2. Umstrittene Vater-Pflichten In den 1820er Jahren diskutierten die Behörden neben der Eheerleichterung und der Ahndung wilder Ehen auch die Pflichten und Bestrafungen der Väter. Frauen waren nun nicht mehr die verführenden Täterinnen: Den in 10 Fällen ist gewis 9mal der Mann der Verführer […].204 Sie galten als Opfer männlicher sexueller Begierde und Verantwortungslosigkeit und hatten ein unumstößliches Recht auf Heirat, mindestens jedoch auf finanzielle Versorgung unabhängig vom Stand des Schwängerers. Die Diskutierenden bestätigten und festigten die am Ende des 18. Jahrhunderts gewandelten Vorstellungen von Geschlecht und Sittlichkeit und veränderten so familiale und gesellschaftliche Ordnungsbegriffe. Die Männer sollten sich nicht mehr ohne Weiteres ihrer Verantwortung entziehen können, mahnte der Weimarer Oberkonsistorialassessor Johann Gottfried Zunkel 1817: Es ist freilich bequemer, seine sinnlichen Triebe außer der Ehe zu befriedigen u. sich dadurch die Sorge für die Kinder zu ersparen, die in solchen Fällen immer mehr auf die unglückliche Mutter als auf den Vater fällt, der wenn er die im Gesetz bestimmte Summe erlegt u. sich damit losgekauft hat, sich nun mit Mutter u. Kind 201 Ehebruch wurde gemäß dem Strafgesetzbuch von 1840 nach wie vor geahndet: v. GÖCKEL, Gesetze 7 (1840), S. 533. 202 MARTIN, Gebäranstalt (1848), S. 4, 6, 19, 32; Der damalige Neubau in der Bachstraße ist noch heute Teil der Universitäts-Frauenklinik. Zur Geschichte der Entbindungsanstalten Jenas vgl. unter anderem SCHLEUßNER (Hg.), Accouchierhaus (2011). 203 V. GÖCKEL, Gesetze 4 (1832), S. 280; BAUER u.a., Fürsorge (2011), S. 33. 204 Wilde Ehen (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 56r.

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auf immer abgefunden zu haben glaubt, ohne sich nun um die Versorgung jener u. um die Erziehung u. moralische Bildung des Letztern weiter zu bekümmern.205

Demnach würden Männer die Geschwängerten häufig sich selbst überlassen und abgesehen von der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestzahlung weder finanziell noch bei der Erziehung der Kinder unterstützen. Allenfalls trafen die Väter laut Pfarrer Hasert inoffizielle Absprachen und entschädigten die Mütter unzulänglich: Der gewissenlose Man hofft die geringen Alimente unter der Hand und leichter zu bezahlen, als Mutter und Kind zu ernähren, und lässt sie sitzen.206 Zunkel forderte deshalb höhere Strafzahlungen, die die Männer abschrecken oder von einer Heirat der Betrogenen, die sie um Ehre u. guten Namen gebracht haben, überzeugen sollten.207 Seine Kollegen votierten Anfang der 1830er Jahre ganz ähnlich für eine Abgabe zur Ernährung und Erziehung unehelicher Kinder. Sofern die Männer zu arm seien, müssten sie die (gegebenenfalls staatlich vorgestreckten) Kosten abarbeiten. Jener Vorschlag findet sich auch in der zeitgenössischen Publizistik wieder. Die Verordnung von 1786 revidierend sollte deren Zahlungspflicht demnach nicht auf spätere, solventere Zeiten verschoben werden. Heiratsunwillige Junggesellen wollte das Oberkonsistorium zu einer gesonderten Abgabe verpflichten, zumal sie der Vaterschaft mehrerer unehelicher Kinder verdächtigt wurden. Die Zahlung hätte Männer zur Heirat animiert, die unehelichen Kinder potenziell reduziert und deren Ernährung und Erziehung unterstützt.208 Generell sollten laut Oberkonsistorialassessor Zunkel Männer härter bestraft werden, die ein armes Mädchen mehr als einmal betrügen, ohne sich gesetzlich mit ihr verbinden zu wollen. 209 Dass viele Männer die Ehe mit den von ihnen Geschwängerten verweigerten und sich durch Unterhaltszahlungen freikauften, kritisierte auch Pfarrer Hasert. Nur durch die Ehe könnten die verlorene Ehre der Frau und ihre Chancen auf ein abgesichertes Leben wiederhergestellt werden. Die bestehende Heiratsverpflichtung des Schwängerers sollte daher nachdrücklicher als bislang durchgesetzt werden. Sofern die Männer eine Frau verführten, sie aber nicht heiraten wollten oder aus triftigen Gründen nicht heiraten konnten, müsse derartige Böswilligkeit mit einer abschreckenderen Strafe als den verordneten vier Talern sanktioniert werden. Ebenso sei eine erneute Schwangerschaft nicht allein

205 Wilde Ehen (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 56r–v. 206 Landesdirektionsakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391c, fol. 38v. 207 Wilde Ehen (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 56v. 208 Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 139v– 140r. 209 Wilde Ehen (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 56r.

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der Frau, sondern auch dem Schwängerer anzulasten.210 Nach wie vor wurden Frauen für wiederholten unehelichen Geschlechtsverkehr gesellschaftlich und juristisch verurteilt. Im Gegensatz zu vergangenen Jahrzehnten sollten laut Hasert nun auch die Männer für unehelichen Verkehr mit einer entehrten Frau härter bestraft werden. Männer wie Frauen hätten demnach gleichsam die Verantwortung beispielsweise für Prostitution tragen müssen. Vorstellungen von männlicher Sexualmoral hatten sich gewandelt, nicht nur bei Hasert und Oberkonsistorialassessor Zunkel. Die deutschsprachige Publizistik belegt, dass die verstärkte Einbindung der Väter als Neuerung dieser Jahrzehnte gelten kann. War eine ständisch differenzierte Bestrafung seit jeher in Sittlichkeitsdelikten üblich, forderte der Eisenacher Oberkonsistorialrat Franz Christoph Frenzel 1826 für ausnahmslos alle Männer gleichsam geltende Sanktionen.211 Mitunter soll es mehrfach vorgekommen sein, dass junge Adlige den achtbaren Bürgertöchtern die Ehe versprachen und nach vollzogenem Geschlechtsverkehr das Versprechen brachen. Die Privilegierung dieser Stände vom allgemein[en] Gesetze und somit von harten Strafen würde laut Frenzel deren loses Spiel, deren unsittliches Verhalten eher begünstigen, statt verhindern. Deshalb forderte er, dass auch Räte und Adlige künftig nicht vom Aufgebot befreit werden sollten und demnach die Strafe für illegitime Schwängerung antreten und die Geschwängerte heiraten müssten.212 Drei Jahre später verpflichtete Großherzog Carl Friedrich ausnahmslos alle Väter zur Ernährung ihrer unehelichen Kinder und hob widersprüchliche Verordnungen auf. Dennoch wurden 1833 laut Weimarer Regierung Studenten noch immer gegen eine Zahlung an die Universität von sämtlichen Strafen befreit.213 Schon 1831 hatte das dortige Oberkonsistorium wiederholt hinsichtlich der Bestrafung und Verpflichtung der Schwängerer eine Gesetzesänderung angeregt, um angesichts der fortgeschrittene[n] Humanität und […] [der] höheren Sittlichkeitsbedürfnisse der jetzigen Zeit eine größere Gleichmäßigkeit, Bestimmtheit, Angemessenheit und Folgerichtigkeit herzustellen.214 Die Regierung wollte zwei Jahre darauf die bisherige studentische Schonung aufheben und solche Schwängerungsfälle künftig regulär ahnden, um verheimlichte Ehebruchs- und Inzestfälle zu enttarnen. Durch die Privilegierung der Studenten blieben ihnen wie auch der Geschwängerten gegen die Zahlung von zwölf Talern jegliche Nachforschungen 210 Landesdirektionsakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391c, fol. 39r–v. 211 Frauen galten wohl, unabhängig vom jeweiligen Stand, durch das Kind als ausreichend gestraft. 212 Entwurf Ehegesetz I (1826), LATh–HStAW, Rechtspflege B2408a, fol. 65r. 213 Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 145r– 150r. 214 Ebd., fol. 137v–138r.

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erspart. Des Öfteren wurde laut dem Amt und dem Stadtgericht Jena diese Regelung missbraucht, um die Untersuchung zu meiden und Inzest- und Ehebruchsfälle zu tarnen. Solche Falschaussagen der Schwangeren sollten durch die von Zunkel befürworteten härteren Strafen verhindert werden.215 Die beabsichtigte härtere Bestrafung der Studenten stieß bei der Universität auf Widerstand. Seit undencklichen Jahren, schon lange vor 1707, war deren Privilegierung bey der Academie hergebrachte Gewohnheit.216 Die Bibliothek könne nicht auf die bislang von den studentischen Schwängerern eingezogenen zwölf Taler verzichten und müsse andernfalls entschädigt werden. Auf die Forderung nach einer Gleichbehandlung aller Väter entgegnete der Prorektor: Die wahre Gleichheit vor dem Gesetz liegt nicht in der Anwendung eines und dasselben Prinzips auf verschiedene Verhältnisse, sondern darin, daß das, was seiner Natur nach verschieden ist, auch mit Berücksichtigung seiner Eigenthümlichkeit behandelt werde.217 Im Sinne der klassischen Ständegesellschaft konservativ argumentierend sprach sich der Prorektor für die Beibehaltung des ständisch differenzierenden Strafsystems und für die Privilegierung der Studenten aus. Der Debatte über die Bevorzugung studentischer Väter lagen unterschiedliche Vorstellungen von gesellschaftlicher Ordnung zugrunde: Während die Regierung eine aufgeklärte Ordnung im Sinne einer für ausnahmslos alle Gesellschaftsmitglieder gleichsam geltenden Rechtsprechung vertrat und Carl Friedrich diese Ordnung mit dem 1829 erlassenen Gesetz etablieren wollte, hielt die Universität auch aus fiskalischen Gründen am konventionellen ständischen Ordnungsmodell fest.

215 Ebd., fol. 145v–146r; Wilde Ehen (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 56r. 216 Jena Kirchenbuße (1788–1789, 1812), LATh–HStAW, Rechtspflege B2330b, fol. 35v. 217 Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 156v, 157r.

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2.4.3. Ehe für Alle? – Debatten um wilde Ehen und ein nie verabschiedetes Gesetz Wilde Ehen – das neue alte Thema Den seit 1825 erlassenen Verordnungen gingen mehrere Debatten über uneheliche Sexualkontakte und unverheiratete Paare voraus, die bis in das 18. Jahrhundert zurückreichten und sich teilweise an den erlassenen Gesetzen entfachten. Mit mehreren detaillierten Voten über die Häufigkeit zusammenlebender unverheirateter Paare in Eisenach regten die dortige Regierung und das Oberkonsistorium 1817 schließlich bei ihren Weimarer Kollegen die Lockerung des bestehenden rigiden Eheschließungsrechts an, um die sich ausbreitenden wilden Ehen zu reduzieren. Laut dem Weimarer Oberkonsistorialdirektor Heinrich Carl Friedrich Peucer waren jedoch derartige Winkelehen im Weimarer Verwaltungsgebiet fast gar nicht vorhanden.218 Peucers Einschätzung zu Beginn des 19. Jahrhunderts irritiert angesichts zahlreicher Berichte über wilde Ehen und dagegen ergriffene Maßnahmen und ließ die damalige Kontroverse erneut aufflammen. Die Problematisierung illegitimer Paarbeziehungen ist viel älter und wurde je nach Epoche mit unterschiedlichen Vorzeichen geführt und wilde Ehen mitunter auch positiv bewertet.219 Bereits Naturrechtler wie Samuel von Pufendorf oder Hugo Grotius erachteten unverheiratet zusammenlebende Paare als legitime Verbindungen, als naturrechtliche Ehen, da die Ehe dem Naturrecht nach allein durch das Zusammenleben von Mann und Frau zustande käme.220 Das Weimarer Patent von 1757 beklagte, dass von Soldaten geschwängerte, ledige Frauen auch hernach ihre strafbare Gemeinschafft mit demselben […] fortzusetzen keine Scheu tragen.221 Inwieweit mit der weitergeführten strafbare[n] Gemeinschafft eine feste Paarbeziehung oder eine lockere sexuelle Liaison gemeint war, geht aus der Verordnung nicht hervor und hing vom jeweiligen Einzelfall ab. Zwar wurde zwischen Konkubinaten, also förmlichere[n] gesellschaftliche[n] Verbindung[en], und als Hurerei bezeichneten, flüchtigen Bekanntschaften unterschieden, dies bei der juristischen Ahnung von Sittlichkeitsdelikten jedoch nicht beachtet und unehelicher Geschlechtsverkehr bestraft – ganz gleich, ob eine lockere Bekanntschaft vorlag oder ein unverheiratetes, die Ehe anstrebendes Paar miteinander verkehrte.222 Durch ein Reskript von 1786 sollte jedweder voreheliche Geschlechtsverkehr zwischen offiziell und auch inoffiziell Verlobten bzw. heiratswilligen Paaren als vorgezogener Beischlaf und nicht als bloßer illegitimer Verkehr bestraft werden. Das Oberkonsistorium Weimar vermutete dahinter die wohlwollende Absicht des 218 219 220 221 222

Wilde Ehen (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 51v, 53r. Kap. II.2.2.4. BECKER, Lebensgemeinschaft (1978), S. 31f. Laster Hurerey (1731–1780), LATh–HStAW, Rechtspflege B2236b, fol. 41v. N.N., Hurerei (1777), S. 2.

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Herzogs, die Eheschließungen zu begünstigen. 223 Es protestierte gegen die verhältnismäßig milde Bestrafung nicht verlobter Paare und berief sich auf die geltende Eheordnung. Demnach waren heimliche Verlobungen ungültig. Ehestiftender Beischlaf, mit dem das Paar etwa einen Dispens erzwingen oder die Zustimmung der Eltern umgehen wollte, konnte mit Enterbung, Gefängnis oder Ähnlichem bestraft werden. Laut dem Oberkonsistorium privilegierte die Verordnung solchen zweifach strafbaren Geschlechtsverkehr, hinterging die Entscheidungshoheit der Eltern, strafte das unverheiratete Paar nicht genügend und billigte beinah deren rechtwidriges Verhalten. Letztlich würde dies nur dem armseligen Gesindel nützen, dessen Ehe und Fortpflanzung besonders unserm Staat aufs neue zur Last ist.224 Das Gremium befürchtete somit eine Diskreditierung der Ehe, eine Missachtung und Abschwächung der geltenden Gesetze und ferner die Entstehung verarmter Familien, die die staatlichen Kassen belasteten und der öffentlichen Sittlichkeit schadeten. Tatsächlich seien laut Oberkonsistorium in Weimar vermehrt verarmte Familien gegründet worden, weil die neuen Verordnungen Eheschließungen infolge von Schwängerungen begünstigten. Im Zirkular von 1792 revidierte Carl August die Anordnung von 1786 und berücksichtigte die Einwände des Gremiums. Die Bestrafung hing nun davon ab, ob der Schwängerer glaubhaft versichern konnte, dass er die Schwangere innerhalb eines viertel Jahres bzw. vor der Geburt des Kindes heiratet. Nach rechtzeitig erfolgter Trauung drohte wie allen anderen Verlobten die Strafe für vorgezogenen Geschlechtsverkehr. Alle übrigen Vergehen wurden als einfache Schwängerungsfälle geahndet.225 Angesichts der Mannheimer Preisfrage in den 1780er Jahren befürworteten einige Diskutanten die Erleichterung der Eheschließung. Der sonst gegen die liberale preußische Gesetzgebung argumentierende Regierungsrat von Voigt forderte hier eine Lockerung der Heiratsbedingungen und hoffte so, dem Kindsmord vorzubeugen: Man […] schaffe geistliche und weltliche Beschazung des Ehestandes ab, suche die Vorurtheile der Standsmäßigkeit auszurotten, breche die übertriebene Familiengewalt und unbilligen Eigensinn der Eltern. 226 Die größten Hindernisse für heiratswillige Paare sah von Voigt demnach in dem für die Ehe erforderlichen Besitz sowie in den für die Trauung anfallenden Kosten, in dem partiellen Eheverbot für bestimmte Stände und in der Entscheidungshoheit der Eltern und Schwiegereltern, die ihr Vetorecht anscheinend übermäßig gebrauchten. Das für Männer vorgeschriebene Mindestheiratsalter erschwerte jungen Paaren die Familiengründung zusätzlich. Da sich die mit dem Heiratsalter 223 224 225 226

Bestrafung stupri (1790–1812), LATh–HStAW, Rechtspflege B2333a, fol. 39r, 60r. Ebd., fol. 60v–62r, 69v. Ebd., fol. 69r–v, 77b v – 77c r, 101r–v. WAHL (Hg.), Kind (2004), S. 67.

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verbundenen Vorteile entweder für das Militär oder für die gesellschaftliche Ordnung fast gegenseitig ausschlossen, wurde es immer wieder korrigiert. Heirateten die Männer erst ab dem 24. Lebensjahr, konnten sie zuvor eher eine gesicherte Existenz aufbauen und dadurch später die Familie ernähren. Sie standen bis dahin außerdem als Soldaten der staatlichen Streitmacht uneingeschränkt zur Verfügung. Die gesellschaftliche Ordnung litt jedoch unter einem hohen Heiratsalter, da die Untertanen illegal wilde Familien gründeten oder die Männer unversorgte Mütter mit unehelichen Kindern hinterließen. Durch eine Eheerlaubnis schon ab dem 21. Lebensjahr legalisierten junge Paare ihre Beziehung oder die Männer konnten zur Ehe verpflichtet werden. Dadurch stieg zwar die wahrnehmbare Sittlichkeit, zugleich hinderten die Familien die Ernährer jedoch am Kriegsdienst. Als Hinterbliebene belasteten Soldatenwitwen und -waisen die staatlichen Pensionskassen. Auch hatten junge Eltern vor Familiengründung keine ausreichende Existenzgrundlage schaffen können, wodurch sie verarmten und die öffentliche Armenfürsorge beanspruchten. Insgesamt wurde das Heiratsalter im 18. Jahrhundert in Sachsen-WeimarEisenach fünf Mal korrigiert. Aus militärischen Erwägungen verbat Ernst August von Sachsen-Weimar-Eisenach 1743 den männlichen Untertanen die Eheschließung vor dem 24. Lebensjahr. Er begründete das höhere Heiratsalter mit den sonst zahlreichen unnützen und heillosen armen Leuten, die dem Staat zur Last fielen.227 Der vormundschaftlich regierende Franz Josias von Sachsen-CoburgSaalfeld hob diese Beschränkung 1751 wieder auf, auch weil die Stände die allzu häufig erkaufte Dispensation bemängelten. Während des Siebenjährigen Krieges klagte Generalmajor von Burgsdorf Ende 1762, dass sich einige unter deren LandTroupen befindliche wohlansehnliche junge Leute, so zum hiesigen Garnison-Dienst sonst tüchtig wären in 19. 20 und 21 schon verehelichet haben. Seine Bitte um ein Heiratsverbot vor dem 24. Lebensjahr setzte Anna Amalia 1763 um. 228 Die Jenaer Stände beantragten 1783 die Herabsetzung des Heiratsalters, um starcke Hinderniße der Population auszuräumen und der Unsittlichkeit junger Menschen vorzugreifen. Ohnehin würde das Gesetz vorrangig zur Stabilisierung des Heeres bestehen, um das vorzeitige Ausscheiden junger Soldaten infolge einer Eheschließung zu verhindern. 229 Das Oberkonsistorium unterstützte den Antrag angesichts des zahlreichen illegalen Geschlechtsverkehrs, der vermehrt unversorgte alleinerziehende Mütter hinterließe, was wiederum durch die Eheschließung ab dem 21. Lebensjahr verhindert werden könne. Wie das Oberkonsistorium erachtete auch die Kriegskommission die Heiratsbeschränkung als gegenwärtig nicht mehr nöthig.230 227 228 229 230

Frühzeitige Heyrathen (1762–1821), LATh–HStAW, Konsistorien B3670, fol. 3v. Ebd., fol. 1r, 1v, 4r, 6r–v; HUSCHKE, Geschichte (1982), S. 370. Frühzeitige Heyrathen (1762–1821), LATh–HStAW, Konsistorien B3670, fol. 44r. Ebd., fol. 4v, 47v.

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Schließlich revidierte Carl August 1784 das Patent seiner Mutter. Angesichts der Koalitionskriege erhöhte der Herzog 1797 das Heiratsalter auf 23 Jahre und erneuerte Anna Amalias 1763 erlassene Verordnung wegen der aus dessen Aufhebung entstandenen, für einzelne Familien sowohl als das ganze Land, nachtheiligen Folgen, immasen durch das Heyrathen junger, leichtsinniger und unverständiger Mannspersonen der Haus-Stand zu Grunde gerichtet und die Zahl der dürftigen und hülflosen Familien im Lande vermehret worden, die sich nicht erhalten und ernähren können, folglich dem Staat zur Last fallen.231 Der Versuch, die Eheschließung durch die Senkung des Heiratsalters zu erleichtern, war endgültig gescheitert und wurde im Untersuchungszeitraum auch nicht erneut unternommen. Die Obrigkeit musste bei der Festlegung des Heiratsalters mehrere staatliche Interessen gegeneinander abwägen. Ein starkes Militär und ein hohes Maß an gesellschaftlicher Ordnung schlossen sich für die damaligen Zeitgenossen gegenseitig aus. Dass sich Carl August 1797 für seine Truppenstärken und gegen geordnete familiale Verhältnisse entschied, war angesichts der Koalitionskriege eine außenpolitische Notwendigkeit, zeigt jedoch auch seine Prioritäten auf. Damit trug er, wenn auch nicht willentlich, maßgeblich zur Entstehung alternativer Familienformen bei. Im Rahmen der Verordnungen zum Heiratsalter und zur Bestrafung vorehelichen Geschlechtsverkehrs flammte die Diskussion um mögliche Begünstigungen der Eheschließungen in den 1780ern und 1790ern in Weimar kurz auf, ohne dort jedoch eine umfassende Debatte loszutreten, die anderorts und in der Publizistik ausgetragen wurde. Aufklärerische Ideen von standesübergreifend gleichen Rechten bei der Eheschließung hatte die sachsen-weimar-eisenachische Obrigkeit am Ende des 18. Jahrhunderts noch nicht verinnerlicht. Die diskutierten und real existierenden Familienformen hatten die Norm überholt. Die Ressentiments gegenüber Paaren aus niederen Schichten bestanden nach wie vor, hielten die rigiden Ehegesetze aufrecht und grenzten den Kreis heiratsfähiger Personen ein. Das Eisenacher Oberkonsistorium zeichnete den obersten Landesbehörden in Weimar zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein äußerst dramatisches Bild von den zahlreichen wilden Ehen in der Wartburgstadt. Dessen Mitglieder sprachen von so viele[n] in unserm Lande lebenden, unverheirateten Paaren, weit über 30 sollen es gewesen sein. Auch wurden mehrere, fast wöchentl. vorkommende Fälle von jenem Uebel beobachtet. Zwar kämen die niederschlagenden Erscheinungen in hiesiger Stadt besonders häufig vor, sie seien allerdings ueberall, auch auf mehreren Dörfern zu finden. Deswegen sei ein konsequentes Vorgehen von oberster Stelle sehr dringend, da 231 WWA 44 (1798), Nr. 8 (27.01.1798), S. 29; Frühzeitige Heyrathen (1762–1821), LATh– HStAW, Konsistorien B3670, fol. 50r; Mandate (1780–1784), LATh–HStAW, Justizamt Weimar 18, fol. 104r; WWA 44 (1798), Nr. 8 (27.01.1798), S. 29f.

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IV. UNEHELICHKEIT IN GESETZEN UND DEBATTEN

doch die bisherigen Bemühungen der Pfarrer nahezu wirkungslos waren: Bey den Personen, die in wilden Ehen leben, kann der Prediger gar nichts wirken; sie entziehen sich ihm ganz, und sucht man Gelegenheit, ihnen etwas zu sagen, so antworten sie: Andere leben auch so!232 Obrigkeit wie Bevölkerung nahmen zahlreiche unverheiratete Paare wahr, die weder ein rein städtisches noch ein eher ländliches Phänomen darstellten. Die Obrigkeiten der Residenzstadt teilten die Sorgen der Eisenacher nicht. Wie der bereits zitierte Oberkonsistorialdirektor Peucer dementierte auch die Landesdirektion, dass es in und um Weimar zahlreiche wilde Ehen gäbe.233 Dem pflichtete sein Kollege Carl Friedrich Horn bei: Zwar ist mir nicht bekannt, dass in unsrer Stadt [Weimar] viele wilde Ehen gezählt werden. Er fügte dennoch hinzu: […] doch kann ich daraus noch nicht schließen, daß sie wirklich nicht oder nicht zahlreich vorhanden wären.234 Der Oberkonsistorialassessor Horn bestätigte die Beobachtungen des Eisenacher Gremiums nicht, stritt sie jedoch auch nicht ab. Vermutlich wollte er die Einschätzung seines Vorgesetzten Peucer nicht offen anzweifeln. Falls wilde Ehen auch in Weimar ein Problem darstellten, so nahmen die dortigen Behörden dies nicht wahr oder leugneten es. Mehrere in der Residenzstadt dauerhaft unverheiratet lebende Paare hätten die Autorität und Kompetenz der für Sittlichkeit zuständigen Obrigkeit dadurch infrage stellen können und von einer mangelhaften gesellschaftlichen und familialen Ordnung gezeugt. Nur bedingt können die vorhandenen quantitativen Werte zu wilden Ehen in der Residenzstadt und in Eisenach verglichen werden. Bei den angegebenen 30 Eisenacher Fällen handelte es sich vermutlich um subjektive Schätzungen. Dass die aus den Kirchenbüchern ermittelten unverheirateten Paare mit zwei oder mehr gemeinsamen Kindern wilde Ehen führten, ist nur gemutmaßt und daher nicht quantitativ belastbar. Angesichts der ständischen Struktur Weimars mit einem hohen Anteil an Geringverdienern, der sich aus Handwerksgesellen, Bediensteten und Tagelöhnern zusammensetzte, können jedoch auch innerhalb dieser Schicht wilde Ehen vermutet werden. Auf den Bericht des Eisenacher Oberkonsistoriums hin wies Carl August schließlich die dortige Behörde an, gemeinsam mit der Weimarer Oberbehörde und der Landesdirektion ein neues Ehegesetz auszuarbeiten. Tatsächlich kam dies auch den Bemühungen der Weimarer Oberkonsistorialmitglieder entgegen: Obwohl sie in ihrem Landesteil kaum wilde Ehen beobachteten, hatten sie dennoch der Regierung eine Erleichterung der Eheschließung vorgeschlagen, jedoch keine Antwort erhalten.235 Warum nun auch die Weimarer Kollegen die 232 Wilde Ehen (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 2v, 6r, 8v, 9v [Hervorhebung im Original]. 233 Landesdirektionsakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391c, fol. 29r. 234 Wilde Ehen (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 58r. 235 Ebd., fol. 52v.

2. UMSTRITTENE GESETZE ZU UNEHELICHKEIT

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Heiratsbestimmungen reformieren wollten, geht aus der Akte zu den sehr eingerißenen wilden Ehen und dem Entwurf zu einem Ehe-Mandat nicht hervor. Letztendlich hatte das Eisenacher Oberkonsistorium eine jahrelange Debatte über die im Herzogtum lebenden unverheirateten Paare (mit Kindern) losgetreten. Die Diskutierenden erörterten dabei potenzielle Ursachen vor allem für wilde Ehen mit Kindern. Im Einklang mit dem Weimarer Oberkonsistorialdirektor Peucer verursachten 1822 laut der Landesdirektion die noch immer parallel gültigen Ehegesetze beider Landesteile die zahlreichen unverheirateten Paare in Eisenach: [...] das Überhandnehmen wilder Ehen, ist unserm Verwaltungs-Bereiche ziemlich fremd; ebenso fremd ist, wenn Wir nicht irren, […] die allzu hohe Taxe der Bürger- und Nachbarrechtsgebühren, […] die [damit] […] in Verbindung stehenden hohen Sporteln, u.s.w. lauter Übel, die im Eisenachischen local seyn mögen, im Weimarischen aber weniger zutreffen.236 Gemäß der Landesdirektion verleiteten vor allem die zur Eheschließung notwendigen Bedingungen wie das Bürgerrecht bzw. die mit der Eheschließung verbundenen Kosten zu wilden Ehen. Sie waren angeblich im Eisenacher Landesteil häufiger verbreitet, da die dortigen finanziellen und bürokratischen Hürden für eine Heirat wesentlich höher gewesen seien als im Weimarer Gebiet. Hinsichtlich der Heiratsbestimmungen hatte sich die Landesdirektion geirrt. Selbst wenn die in Eisenach zu erfüllenden Bedingungen für eine Trauung umfassender waren, so mussten für das Bürgerrecht laut Stadtordnung von 1811 auch in Weimar 15 Taler bzw. neun Taler entrichtet werden.237 Hinzu kamen weitere Kosten für das Gesuch um Eheerlaubnis oder Wiederverheiratung, für die Trauung an sich oder das Baumgeld und, wie auch in Eisenach, Nachweise etwa über vorhandenes Vermögen und den jeweils damit verbundenen bürokratischen Aufwand. 238 Die engagierten Diskussionsbeiträge verschiedener Weimarer Behördenmitglieder belegen deren Problembewusstsein für wilde Ehen auch in ihrem Landesteil. Weil sich viele Alleinstehende unabhängig vom Bürgerrecht die Eheschließung und das Eheleben nicht leisten konnten, würden laut dem Weimarer Oberkonsistorialassessor Johann Gottfried Zunkel ledige

236 Landesdirektionsakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391c, fol. 29r, 51v. 237 Im Rahmen der Debatte um ein neues Eherecht zählen der Eisenacher Oberkonsistorialdirektor Johann Carl Salomo Thon und sein Rat Johann August Nebe für Eisenach ähnliche Voraussetzungen wie in Weimar für den Erwerb des Bürger- oder Nachbarschaftsrechts und eine Eheschließung auf: Wilde Ehen (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 3v, 6r–v. 238 Der Weimarer Kammerkanzleisekretär Franz Wilhelm Schellhorn zahlte 1793 an die Geheime Kanzlei 19 Groschen für die Wiederverheiratungserlaubnis nach seiner Scheidung: Sportulgelder (1792–1793), LATh–HStAW, Behörden B684, fol. 10r.

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IV. UNEHELICHKEIT IN GESETZEN UND DEBATTEN

Männer ihre sexuellen Bedürfnisse illegal befriedigen, dafür Geldbußen zahlen müssen und sich so noch weiter von einer ehelichen Verbindung entfernen.239 Ähnliches beobachtete Pfarrer Hasert 1823: Viele suchen aus Scheu vor den Lasten der Ehe hier [sc. in wilder Ehe, A.W.] ihre Leidenschaft zu befriedigen – Kinder kommen – und die zu zahlende Strafe erschöpft die letzten Mittel, wodurch man dürftig sich einrichten könnte. […] Einmal mit einander vertraut geworden, gehen beyde später ebenso zusammen, wie früher – und mit den neu eintretenden Strafen, wo vielleicht die vorigen noch zu bezahlen sind, vermehren sich die Hindernisse.240

Hasert und Zunkel erkannten wie auch die zeitgenössische Publizistik in den hohen Kosten für eine Eheschließung eine Ursache unehelicher Geburten bzw. mehr oder weniger fester Paarbeziehungen mit Kindern. Statt die Entstehung bedürftiger Eltern und Kinder zu vermeiden, häuften sich durch die strenge Ehegesetzgebung derartige Fälle. Durch die zu zahlenden Bußgelder für sittenwidrigen vorehelichen Geschlechtsverkehr und mangelnde Sparsamkeit konnten diese Paare eine Heirat nicht finanzieren. Ohnehin über wenig Einkommen verfügend, verarmten einige infolge der für die illegitime Schwängerung ausstehenden Strafzahlungen zusätzlich, bedurften der staatlichen Fürsorge und störten letztlich bettelnd oder verwahrlost die gesellschaftliche Ordnung. Um derartige Konsequenzen zu vermeiden, wirkten die Behörden zunehmend auf die Verheiratung auch ärmerer Paare hin. In einem aktuellen Fall befürwortete das Weimarer Oberkonsistorium 1820 die Vermählung einbürtige[r] junge[r] Leute aus Rohrbach. Die Ortsobrigkeit hatte dem dort geborenen Maurergesellen Johann David Gottlob Becker und seiner von ihm geschwängerten Verlobten das Nachbarrecht und somit die Trauung verweigert, weil er kein eigenes Haus im Ort besaß und das gesetzlich vorgeschriebene Vermögen nicht nachweisen konnte. Das Oberkonsistorium unterstützte den Heiratswunsch des Paares und verwies auf deren gegebenes, bindendes Eheversprechen und die Eheverpflichtung des Schwängerers laut der Verordnung von 1786.241 Der Ausgang der Verhandlungen zwischen den Oberbehörden und der Gemeinde ist unbekannt. Möglicherweise scheiterten die Heiratsabsichten des Maurergesellen wie die anderer Paare an den strengen Ehegesetzen. Mehr noch verdeutlicht der Fall aus Rohrbach den Widerspruch zwischen den einzelnen Vorschriften: Der Schwängerer war zwar zur Ehe verpflichtet, konnte dem jedoch angesichts zahlreicher Einschränkungen hinsichtlich Alter, Stand oder Vermögen nicht nachkommen. Immer wieder mussten deshalb Einzelfälle

239 Wilde Ehen (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 55v. 240 Landesdirektionsakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391c, fol. 38v. 241 Wilde Ehen (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 62r–63r.

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entschieden werden, was nicht nur eine egalitäre Rechtsprechung verhinderte, sondern den bürokratischen Aufwand vermehrte. Die Diskussionsbeiträge und Bemühungen der Behördenmitglieder sowie die angeführten Beispiele belegen die Problematik der wilden Ehen auch für den Weimarer Landesteil. Dass der Weimarer Oberkonsistorialdirektor Peucer und die Landesdirektion die Verbreitung unverheirateter Paare in ihrem Amt bestritten, ist entweder deren Wahrnehmung geschuldet oder wurde berechnend behauptet. Möglicherweise störten sich die Weimarer zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch immer an den eigenständigen Eisenacher Behörden, die mit den Weimarern konkurrierten oder zumindest durch eigene Eingaben wie jene von 1817 deren Arbeit vermehrten, wenn nicht sogar hinterfragten. Indem Peucer und die Landesdirektion wilde Ehen in ihrem Verwaltungsgebiet dementierten und deren Ursachen in den unterschiedlichen Rechtsgrundlagen wähnten, kritisierten sie unterschwellig ihre Eisenacher Kollegen und deren unzureichende Gesetzgebung. Möglicherweise sannen sie auf eine administrative Fusion beider Landesteile, wodurch die Weimarer Behörden noch autonomer und unabhängiger entschieden hätten. Infolge der Eingabe zu wilden Ehen durch die Eisenacher Kollegen mussten Weimarer Oberkonsistorium und Landesdirektion in den 1820er Jahren nunmehr gemeinsam mit den dortigen Behörden einen Ehegesetzentwurf ausarbeiten. Neben den rigiden Ehegesetzen sowie deren Widersprüchlichkeit verleiteten laut den Weimarer Regierungsmitgliedern die zeitspezifischen Umstände zu Sittlichkeitsvergehen wie wilden Ehen. Regierungsrat Friedrich von Müller sah 1804 die Ursachen für den beobachteten Anstieg unehelicher Schwängerungen seit 1786 nicht in der menschlichern Gesezgebung, sondern vielmehr als Resultat des größern Luxus der Hyper-Aufklärung unserer Zeiten, des schwierigern Erwerbs, und des Nothstandes der untern und mittlern Volks-Claßen, durch welchen ehliche Verbindungen drückender und schwieriger werden.242 Abgesehen von finanziellen Hürden für eine Eheschließung behinderten sich verändernde gesellschaftliche und moralische Werte legale Partnerschaften, sofern der größer[e] Luxus der Hyper-Aufklärung derart gedeutet werden kann. Zugleich negierte von Müller ein Argument gegen die seit 1786 mildere Bestrafung unehelich Schwangerer und verteidigte die liberalere menschlicher[e] Gesezgebung. Auch sein Kollege Carl Wilhelm von Fritsch beobachtete die Erschlaffung aller sittlichen u. religiösen Gefühle und eine verbreitete Immoralität. Er konstatierte damit einen Wandel der gesellschaftlichen Ordnung sowie kollektiver Sittlichkeitsvorstellungen, wenn nicht sogar deren Niedergang, und sprach von Entartung der Sitten, Mangel an Zucht, Ordnung u. Erbarkeit. Diesen auch von anderen zeitgenös242 Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 12r [Hervorhebung im Original].

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sischen Autoren beobachteten Werteverfall verursachten demnach unter anderem die Kriege und deren Auswirkungen. Auch laut Regierungsrat Johann Carl Christian Lauhn waren 1804 neben den KriegsUmständen die schweren Zeiten, die die Ehe hindern und erschweren für die gestiegene Zahl unehelicher Geburten und somit für unverheiratete Paare verantwortlich.243 Lauhn ging dabei nicht konkret auf die Zeitumstände ein. Vielleicht meinte er die generell ökonomisch unsichere Lage, wodurch sich noch mehr Paare als sonst die Ehe nicht leisten konnten sowie die Einziehung von Zivilisten in den Militärdienst, der ihnen als Soldaten die Eheschließung verbot. Nach Kriegsende diagnostizierten die Landstände 1817, vertreten durch Georg Friedrich Riedesel zu Eisenbach, erneut das Überhandnehmen der sogenannten wilden Ehen als eine schmerzl. Erfahrung der neuren Zeit. Noch immer nahm die Obrigkeit ein vermehrt sittenwidriges Verhalten in der Bevölkerung wahr. Demgemäß seien die unverheirateten Paare den zeitspezifischen Einflüssen zuzuschreiben, die Riedesel jedoch nicht weiter konkretisierte. Carl Wilhelm von Fritsch zufolge trugen 1804 die verderblichen Beyspiele höherer Stände nicht minder zum Verfall der gesellschaftlichen und familialen Ordnung bei.244 Angehörige der staatlichen und lokalen Obrigkeiten setzten geltendes Recht nicht nur um, sie repräsentierten die darin vermittelte Ordnung und sollten sich demnach vorbildhaft verhalten. Auf wen sich von Fritsch mit den verderblichen Beyspielen bezog, erwähnte er nicht. Mindestens zwei prominente Weimarer lebten zu dieser Zeit offen in wilder Ehe und zeugten uneheliche Kinder: Goethe und Carl August. Vielleicht hatte von Fritsch lediglich einen kausalen Zusammenhang zwischen den wilden Ehen und den prominenten Vorbildern vermutet und seine Beobachtungen in der Publizistik wiedergefunden. Oder unverheiratete Paare hatten sich ihm gegenüber, der auch Mitglied der Armendeputation sowie der Stadtpolizeikommission war, ähnlich wie die Eisenacher mit Andere leben auch so! gerechtfertigt und explizit Goethe oder sogar den Herzog genannt. Bekannte unverheiratete Paare wie Carl August und Caroline Jagemann seien gemäß zeitgenössischer Wahrnehmung letztlich für die bestehenden wilden Ehen und auch für uneheliche Schwangerschaften mitverantwortlich gewesen. Das Aufweichen familialer Werte in Sachsen-Weimar-Eisenach war demnach selbstverschuldet. Laut der jahrelang geführten Debatte wurden die zahlreichen wilden Ehen vor allem durch die hohen Kosten für eine Heirat und für das nötige Bürger- und Nachbarschaftsrecht, aber auch durch zeitspezifische Umstände und durch einen damit einhergehenden Wertewandel sowie durch negative Vorbilder und schließlich durch bewusst unverheiratet lebende Paare verursacht. Der Oberkonsistorialassessor Zunkel berichtete 1817 von Alleinstehenden und Paaren, die 243 Ebd., fol. 16v, 21r. 244 Ebd., fol. 17r, 21r.

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heirathen können, aber nicht wollen u. blos aus Gemächlichkeit, aus Liebe zu einer ungebundenen Freiheit u. weil sie die Anstrengungen und Sorgen scheuen, […] sich der Ehe entziehen.245 Unverheiratete entschieden sich demnach bewusst gegen eine Heirat, weil sie ihrer Ungebundenheit mehr Wert beimaßen als der konventionellen Institution Ehe. Für ein ungebundenes Leben blieben sie allein oder verhielten sich regelwidrig und nahmen gesellschaftliche Missachtung in Kauf. Vielleicht bezog sich Regierungsrat Friedrich von Müller mit Hyper-Aufklärung auf selbstgewählte wilde Ehen, für die sich Paare angeregt durch aufklärerische Ideale autonom entschieden und sich so den Luxus eines selbstbestimmten Daseins erlaubten. Befürworter und Gegner der Eheerleichterung Seit dem Schreiben der Eisenacher Regierung an ihre Weimarer Kollegen im Januar 1817 bis zum abgeschlossenen Gesetzentwurf 1826 diskutierten die Behörden fast zehn Jahre lang die Erleichterung der Eheschließung. Die Eisenacher Regierung hatte die Debatte mit der Frage ausgelöst, ob nicht dem Staate mehr Nachtheil durch die Verhinderung des Heyrathens armer Leuthe, in Ansehung der auf diesem Wege einreißenden Sittenverderbniß, drohe, als im entgegen gesetzten Fall, und ob nicht, wenn sich nur Arbeits- und Erwerbsfähigkeit darstellte, deren Fortdauern ebenso wenigstens anzunehmen sey, als die Unversiegbarkeit der in dem angezogenen allgemeinen Gesetze angenommenen Vermögensquelle.246

Das Gremium befürwortete damit die Eheschließung auch in ärmeren sozialen Gruppen, da deren Werktätigkeit genauso dauerhaft und zuverlässig sei wie das obligatorisch nachzuweisende Vermögen. Eine Anstellung könne daher ebenso als Absicherung und Heiratsbedingung gelten. Die Eisenacher Regierung ließ eher mittellose, aber legale Familien zu, als unverheiratete Paare mit Kindern weiterhin ungestraft leben zu lassen. Die anschließende Wertediskussion, die auch vor dem Hintergrund progressiver Ehevorstellungen innerhalb deutschsprachiger Publikationen geführt wurde, veranschaulicht den Wandel traditioneller Familienbilder: Mitglieder unterschiedlicher Behörden stimmten einer Lockerung der bislang vorherrschenden Heiratsbeschränkungen zu, die einst die Gründung verarmter und damit der staatlichen Fürsorge bedürftiger Familien verhindern sollten. Besonders die zur Heirat erforderlichen finanziellen Aufwendungen erschwerten die Eheschließung und sollten entweder reduziert oder ganz abgeschafft werden. Beide Oberkonsistorien beobachteten in ihren Landesteilen, dass Unterbehörden bewusst und mitunter sogar gesetzeswidrig die Eheschließung erschwerten. Der Eisenacher Oberkonsistorialdirektor Johann Carl Salomo Thon 245 Wilde Ehen (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 54v. 246 Alimentationsbestimmungen (1817), LATh–HStAW, Rechtspflege B2383, fol. 2r.

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beklagte mehrfach, dass in ihrem Geburtsort lebenden, heiratswilligen Bürgerkindern zusätzlich zu den anfallenden Gebühren noch eine besondere Abgabe zum BürgerRechte auferlegt wurde.247 Ähnliches beobachtete das Weimarer Oberkonsistorium. Gemeinden hätten widerrechtlich einbürtige[n] junge[n] Leute[n] das Nachbarrecht und damit die Heiratserlaubnis verweigert, weil die Paare keine eigenen Häuser besaßen. Durch solche Auflagen könnten in Diensten Stehende nur sehr schwer oder gar nicht heiraten, obwohl Armut an sich doch kein gesetzliches Ehehindernis sei, so das Gremium.248 Die Weimarer Regierung stritt in einem anderen Zusammenhang ebenfalls ab, dass ein geringes Vermögen eine Heirat erschweren oder der Eheverpflichtung des Schwängerers entgegenstehen würde. Ein Vermögen mussten demzufolge im Weimarer Landesteil nur Auswärtige vorweisen.249 Einzelne Mitglieder von Weimarer Oberkonsistorium und Regierung scheinen die geltenden Ehegesetze zu verklären, setzte doch eine Eheschließung Vermögen und Besitz bzw. das daran gebundene Bürger- und Nachbarschaftsrecht voraus und schloss damit, wenn auch nicht explizit, Mittellose aus. Indem Armut angeblich kein gesetzliches Ehehindernis sei, wollten beide Gremien wohl für die Abschaffung der mit Heirat verbundenen Gebühren und Auflagen zur Beförderung des guten Zwecks plädieren.250 Neben einer Senkung des Heiratsalters auf 21 Jahre aufgrund von dessen Mündigkeit und Eigentumsfähigkeit argumentierte der Weimarer Oberkonsistorialassessor Zunkel für den Erlass der Dispensationsgebühren wie auch der übrigen mit Eheschließung verbundenen Kosten. Bislang zahlten alle verlobten Männer unter 23 Jahren für den Ehedispens, wenn sie etwa infolge vorehelicher Schwängerung die Heirat erwirkt hatten. Gleiches forderte Hasert, da doch die geltenden Vermögensauflagen die zunehmenden wilden Ehen mit verursachten.251 Die Oberkonsistorialmitglieder formulierten zugleich alternative Voraussetzungen, die künftig für eine Eheschließung zu erfüllen waren und sich auch in den vorgestellten Publikationen wiederfinden: […] hat es nur sonst das Lob des Fleißes, der Treue u. Redlichkeit u. Lust u. Liebe zur Arbeit, so muß man bei seiner Ernährung auch etwas auf die Vorsehung u. den Seegen des Gottes rechnen, […].252 Auch wenn die finanziellen Hürden abgebaut wurden, sollte das heiratswillige Paar arbeitswillig und fleißig 247 Wilde Ehen (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 4v, 6v [Hervorhebung im Original]; Anordnung Anlegung Registrande (1819–1825), LATh–HStAW, Behörden B726, fol. 8r. 248 Wilde Ehen (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 62v–63r, 67r. 249 Alimentationsbestimmungen (1817), LATh–HStAW, Rechtspflege B2383, fol. 6r. 250 Wilde Ehen (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 52v, 54v. 251 Ebd., fol. 54v; Landesdirektionsakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391c, fol. 38v. 252 Wilde Ehen (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 54r.

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sein, also bürgerlich-protestantische Werte aufweisen. Laut dem Vertreter der Landstände Georg Friedrich Riedesel zu Eisenbach genügte allein ein fester Wohnsitz zur Eheschließung. Die Heiratspflicht des Kindsvaters würde laut Hasert der tiefsten Verworfenheit von Mutter und Kind vorbeugen. Sie sollten nicht vollständig verwahrlosen und der Staat vor verarmten alleinerziehenden Frauen, jener Pest für die Erde, bewahrt werden.253 Hasert bedachte die Versorgung der Individuen zur Beförderung die innerstaatliche Ordnung. Humanitäre oder liberale Denkansätze prägten die Voten der Befürworter. Die Mitglieder des Weimarer Oberkonsistoriums befürchteten, dass die Rückbindung der Eheschließung an Besitz die Freyheit der Ehen sehr erschweren würde. Da die Eheschließung seit jeher in Sachsen-Weimar-Eisenach an finanzielles oder materielles Vermögen geknüpft war, erschließt sich die Bedeutung der Freyheit der Ehen hier nicht. Möglicherweise wollte das Weimarer Oberkonsistorium jene Freiheit mit seinem Einwand erst erstreiten. Zunkel setzte sich für die heiratswilligen 21-jährigen Männer ein, die frei u. selbstständig über […] [ihre] Persönlichkeit gebieten dürfen sollten. 254 Rechtlich mündige Männer sollten ohne staatliche Bevormundung Familien gründen. Zunkel votierte hier für den Rückzug des Staates aus den persönlichen Entscheidungen seiner Untertanen. Vielleicht beabsichtigte er auch eine Legalisierung wilder Ehen und damit die Reduzierung alternativer Lebensformen.255 Der Präsident der Landesdirektion Philipp Wilhelm von Motz hinterfragte grundsätzlich das Recht des Staates, über Eheschließungen zu entscheiden, da die Verheirathung nicht erschwert, vielweniger versagt werden könne, weil der Staat gewiß nicht berechtigt ist, in dieser, auf bürgerliche Gewerbs- und Familien-Verhältnisse den bedeutendsten Einfluß habenden und in dieselbe tief eingreifenden Befugniß natürlicher und bürgerlicher Freiheit, eine ganze zahlreiche Classe von Staatsbürgern, denen er, ohne zu ihrer Subsistenz im Staate im geringsten etwas beizutragen, ohnehin schon ganz besondere und nicht geringe Verbindlichkeiten auflegt, noch auf andere Weise als es sonstige allgemeine positive Gesetze vorschreiben, zu beschränken.256

An von Motz’ Position ist ein Wandel im Verständnis von staatlicher Befugnis hinsichtlich weitreichender Eingriffe in die private Lebensführung zu beobachten. Er versteht unter der Eheschließung eine persönliche Entscheidung, die nicht fremdbestimmt werden sollte, zumal der Staat als Alternative zur Ehe seine

253 Landesdirektionsakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391c, fol. 38v; Wilde Ehen (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 17v. 254 Wilde Ehen (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 54v, 65v. 255 Ebd., fol. 53v–54r. 256 Eheerlaubnis (1818–1821), LATh–HStAW, Militär B40151, fol. 6r.

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Bürger nur ungenügend sozial absichere. Von Motz plädierte daher dafür, dass die Einholung der Eheerlaubnis mit wenigen Ausnahme ganz wegfalle.257 Freiwillig unverheiratete Alleinstehende, Verwitwete und Paare sollten laut Zunkel eine Abgabe leisten: Man lege denen, die heirathen können, aber nicht wollen […], eine Steuer auf, damit sie wenigstens etwas zum allgemeinen Besten beitragen u. die Wohlthaten, die das Vaterland ihnen, wie allen seinen Kindern erzeigt, nicht umsonst genießen. Für Zunkel waren Untertanen nicht nur zur Ehe berechtigt, sondern auch verpflichtet. In dieser Forderung nach einer Ehelosen-Steuer postulierte er die Ehe als bewährtes Lebensmodell und unterstrich die tradierte familiale Ordnung, der Unverheiratete nicht entsprachen. Mit der Abgabe wollte Zunkel zur Eheschließung animieren und so dem wilden Beisammenleben einigermaßen entgegenwirken. Die eingenommenen Gelder sollten arme[n] aber tugendhafte[n] Ehepaare[n] zukommen und ihnen den Eintritt ins eheliche u. bürgerliche Leben erleichtern.258 Angesichts der Rückbindung der Heiratserlaubnis an Fleiß, die Herabsetzung des Heiratsalters und einer Ledigen-Abgabe hatte sich das Familienbild der Befürworter erleichterter Eheschließungen gewandelt: Nicht mehr das Vermögen bzw. der gesellschaftliche Stand, sondern vor allem die individuelle Leistungsbereitschaft und Integrationsfähigkeit in die Gesellschaft standen im Vordergrund. Um die unehelichen Geburten und die zahlreichen wilden Ehen nachhaltig zu reduzieren, mussten sich laut dem Weimarer Regierungsrat Friedrich von Müller Staat und Gesellschaft grundlegend wandeln: Durch Beförderung des häuslichen, ehelichen Glücks, […] des Wohlstandes im allgemeinen, durch Verbreitung oeconomischer und morali. Kenntniße, durch Sicherheit und Erleichterung des Erwerbs, wahre Morali. Kultur, dieß allein scheint mir das untrügl. Mittel zur Verminderung der Unsittlichkeit zu seyn, in Verbindung mit wachsamer, Policeylicher Aufsicht auf verdächtige […] Personen.259

Illegitimitätsraten sowie die Zahl wilder Ehen seien demnach kausal verbunden mit innerehelicher Zufriedenheit, gesellschaftlichem Wohlstand, intelligenter Hauswirtschaft, stabilen Moralvorstellungen und vor allem einer gesicherten Erwerbstätigkeit. Wären diese Faktoren gegeben und die öffentliche Ordnung zusätzlich intensiv überwacht, würden sich die unehelichen Geburten und die unverheirateten Paare deutlich verringern und so die gesellschaftliche Ordnung stabilisieren. Von Müller plädierte damit 1804 schon für Maßnahmen, die während der kommenden Jahrhunderte tatsächlich ergriffen wurden und heutige Sozialstaaten prägen: ein gesamtgesellschaftlicher Wohlstand, das allgemeine 257 Ebd., fol. 6v. Ein besonderer Dank gilt hier Dr. Katja Deinhardt (Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar) für zahlreiche weiterführende Hinweise und Anregungen, nicht nur zu Philipp Wilhelm von Motz. 258 Wilde Ehen (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 54v–55r. 259 Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 12v– 13r [Hervorhebung im Original].

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Recht auf Bildung und eine regelmäßige Unterstützung Arbeitsloser. Angesichts unterschiedlicher Lebensumstände konnte er, bezogen auf Illegitimität und unverheiratete Paare, nicht Recht behalten. Umso mehr erkannte von Müller jedoch, dass uneheliche Geburten und wilde Ehen multikausal entstehen und punktuelle Maßnahmen wie Gesetze kaum einen Umschwung bewirken. Nur wenn mehrere Faktoren dieses komplexen Beziehungsgefüges verändert werden, könne das Handeln lediger Mütter und unverheirateter Paare beeinflusst werden. In den Entwurf des neuen Ehegesetzes von 1826 floss aus den Vorschlägen zur Erleichterung der Eheschließung schließlich die Arbeitsamkeit als Kriterium für eine Eheschließung ein. So sollte etwa ausgedienten, ehrenvoll verabschiedeten Soldaten wie auch fleißigen und über mehrere Jahre bei einer Herrschaft angestellten Dienstboten die Heirat erleichtert werden.260 Sofern unverheiratete Paare die gesetzlich genannten Bedingungen erfüllten und wenn allein der Mangel baaren Vermögens die Aufnahme in eine Gemeinde verhindert; wenn dabei Fleiß und Ordnungsliebe die Aussicht gewährt, daß sie einen geordneten Hausstand fortsetzen können; dann ist nach Erwägung aller Umstände die Erlaubniß zur Trauung derselben von der betreffenden Civilobrigkeit nicht zu verweigern, vielmehr die ordentliche Schließung der Ehe zu befördern, lautete das Zugeständnis im Entwurf. 261 Eigenes finanzielles Kapital blieb eine hinreichende Voraussetzung zur Heirat, die nun zusätzlich auch arbeitsamen Paaren zugebilligt wurde. Die Familiengesetzgebung sollte demnach liberalisiert werden und die Ehe künftig kein ständisches Privileg der Vermögenden sein, sondern im Sinne der neuen aufgeklärten, humanen und bürgerlichen Werte allen dauerhaft Beschäftigten zustehen. Laut Gesetzentwurf wollte der Staat die Gründung geordnete[r] Familie[n] aus rechtlichen und fleissigen Bewerbern unterstützen und gleichsam voreilig oder widerrechtlich geschlossene Ehen oder unverheiratete Paare unterbinden. 262 Die während des Gesetzentwurfs getätigten obrigkeitlichen Bemühungen um die Erleichterung der Ehe für ärmere Paare waren in der Praxis nur begrenzt erfolgreich. Zwar nahmen einige Behörden verstärkt Rücksicht auf die individuelle Situation des heiratswilligen Paares und erteilten beispielsweise einem Maurergesellen das für eine Eheschließung beantragte Bürgerrecht aus Rücksicht auf seine Kinder und deren Mutter.263 Dennoch musste das Oberkonsistorium 1831 feststellen, daß die bestehenden, ja sogar hie und da von der Gemeinde noch ungebührlich ausgedehnten Heirathserschwerungen ganz vorzüglich mit an der überhand nehmenden Ueberzahl unehelicher Geburten schuld sind. 264 Besonders auf den Dörfern wurden 260 261 262 263 264

Entwurf Ehegesetz II (1826), LATh–HStAW, Rechtspflege B2408b, fol. 11v. Ebd., fol. 12r. Ebd., fol. 8v. Plenarprotokolle (1824–1831), StAW, HA I-1-53, 17.07.1830, Nr. 11. Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 139v.

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IV. UNEHELICHKEIT IN GESETZEN UND DEBATTEN

demzufolge nach wie vor nicht alle heiratswilligen und rechtlich auch -fähigen Paare getraut, weil die Behörden dazu nicht gesetzlich verpflichtet waren und die Eheleute keine Ansprüche erheben konnten. Immerhin stellten Dispensgebühren etwa für Heiratsgenehmigungen eine lohnende und möglicherweise unverzichtbare Einnahmequelle für die zuständigen Instanzen dar. Um den heiratswilligen Untertanen zu ihrem Recht zu verhelfen, fragte das Oberkonsistorium 1831 nach dem schon seit einigen Jahren bearbeiteten neuen Ehegesetz, das letztlich nie verabschiedet wurde, weshalb sich die Rechtslage für unverheiratete Paare vorerst nicht besserte.265 Warum der Gesetzentwurf von 1826 nie Rechtskraft erlangte, geht aus den vorhandenen Unterlagen nicht hervor. In den letzten überlieferten Korrespondenzstücken vom Frühjahr 1826 wies der Herzog an, den Gegenstand durch eine besondere Kommission weiter bearbeiten und zur Reife bringen zu lassen. 266 Laut der beiläufigen Bemerkung des Oberkonsistoriums von 1831 wurde das Gesetz seit einigen Jahren bearbeitet und demnach nicht offiziell verworfen. Möglicherweise verzögerten sich die Beratungen der Kommission bestehend aus dem Vorsitzenden, dem Geheimrat Schweitzer, aus Mitgliedern der Regierung, der Landes-Direktion und des Oberkonsistoriums, besonders nach dem Regierungswechsel 1828. Dass der Entwurf aufgrund der liberalen Passagen zur Eheschließung verworfen wurde, ist auch angesichts der nachdrücklich gegen wilde Ehen gerichteten Abschnitte eher unwahrscheinlich. Demnach sollten diejenigen Personen, welche vorher in wilder Ehe gelebt haben, auf dieses […] Verhältniß niemals einen Anspruch zur Trauungserlaubniß stützen. Vielmehr ist nach policeylicher Vorschrift gegen dieselben zu verfahren.267 Auch wenn unverheiratete, aber sonst tüchtige Paare in ihrem Heiratsgesuch unterstützt werden sollten, betonte der Gesetzentwurf formelhaft die Strafbarkeit wilder Ehen. Die Gegner der Eheerleichterung befürchteten mehrheitlich die Zunahme verarmter Familien, die dann die öffentliche Ordnung störten und die staatliche Fürsorge beanspruchten. Weil vor allem (ehemalige) Militärangehörige und ihre (hinterbliebenen) Familien die Witwen- und Armenkassen belasteten, blieben die Eheschließungsvorschriften für diese Gruppen besonders streng. Laut den Soldatengesetzen von 1811 musste jeder heiratswillige Soldat für einen Trauschein eine längere Dienstzeit bzw. ein ausgezeichnetes Dienstzeugnis sowie ein Vermögen der Braut über mindestens 150 Taler nachweisen und auf künftige

265 Ebd.; HARTUNG, Großherzogtum (1923), S. 376f. Vgl. bspw. die Dispenseinnahmen des Weimarer Stadtrates: StAW, HA I-1-53, Stadtratsprotokoll 26.06.1828, Nr. 9. 266 Regierungsakte Ehegesetz (1822–1826), LATh–HStAW, Rechtspflege B2400a, fol. 14r. 267 Entwurf Ehegesetz II (1826), LATh–HStAW, Rechtspflege B2408b, fol. 11v–12r.

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Pensionsansprüche verzichten.268 Neben dem auch für andere Paare obligatorisch nachzuweisenden Vermögen sollten Militärangehörige längere Zeit tadellos gedient haben. Das von den Befürwortern der Eheerleichterung vorgeschlagene Argument der Arbeitsamkeit als Bedingung für eine Heirat ist demnach weder für Sachsen-Weimar-Eisenach noch für die Autoren neu. In der zivilen Bevölkerung sollte vor allem das mit Unkosten verbundene Bürger- oder Nachbarrecht und ein gewisses Eigenkapital der allzu häufigen Ansiedelung eines lüderlichen, heimathlosen Gesindes entgegen arbeite[n], deßen Kinder hinterher gemeiniglich Candidaten des Bettelstabs oder der Almosen-Caßen werden u. ihren Mitbürgern nur zur Last fallen.269 Die Obrigkeit fürchtete, dass mit dem Verzicht auf Eigentum und Wohnsitz als Heiratsbedingungen vermehrt verarmte, ortsfremde Personen Familien gründeten und deren Kinder durch strafbares Betteln die gesellschaftliche Ordnung gefährdeten. Statt zahlreicher Hilfsbedürftiger bräuchte der Staat viel[e] brave, arbeitsame, wohlhabende Bürger […], die sich und ihre Familien anständig u. ausreichend nähren können. Ohne eigenes finanzielles Kapital könnten sie sich nicht selbst versorgen, weshalb Horn weiterhin an den ökonomischen Ehebedingungen festhielt. Auswärtige sollten eine genügende Versicherung vorweisen, dass sie nach ihrem Dienstverhältnis mit Frau und Kindern wieder in ihrem Geburtsort Aufnahme fänden.270 Oberkonsistorialassessor Horn wollte minderbemittelten Paaren die Heirat allenfalls dann erlauben, wenn sie nachweislich einen Haushalt zu gründen und zu führen fähig waren. Ihr Lebenswandel sollte dazu tadellos sein, die Paare müssten die zur Versorgung einer Familie nöthige Geschicklichkeit besitzen, fleißig und fromm sein bzw. die Kirche und ihre Anstalten heilig halten und schließlich gesund sein, um nicht vorzeitig einen frühen Tod zu sterben oder dauerhaft krank zu sein.271 Solche Kriterien ließen sich jedoch laut Horn kaum oder nur unter hohem Aufwand überprüfen, da Personen aus dem Umfeld des Brautpaares vernommen werden müssten, darunter Nachbarn und Vorgesetzte. Auch sei die Frömmigkeit des Einzelnen schwer zu beurteilen. Eine Umsetzung und Anwendung dieser Kriterien könne die moralische Wohlfahrt u. Ordnung verbessern und erziehe die Menschen zu einer fleißigen, ordentlichen und ehrbaren Lebensweise.272 Unter moralischer Ordnung verstand Horn demnach ein den familialen und gesellschaftlichen Normen entsprechendes sittliches Leben. Wie bei den Befürwortern der Eheerleichterung hatte sich auch sein Ordnungsbegriff bereits gewandelt, da sich auch für ihn ein Familienleben nicht mehr nur durch Wohlstand, sondern 268 269 270 271 272

Eheerlaubnis (1818–1821), LATh–HStAW, Militär B40151, fol. 2r–4v. Wilde Ehen (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 53v. Ebd., fol. 54r, 58v, 65r. Ebd., fol. 59v. Ebd., fol. 58v, 60r.

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IV. UNEHELICHKEIT IN GESETZEN UND DEBATTEN

auch durch Fleiß auszeichnete. Ganz verzichtete Horn auf den Nachweis von Wohnrecht und Besitz jedoch nicht. Die Gegner der Eheerleichterung und Befürworter des Eigentumsnachweises wollten außerdem verhindern, dass Ehen voreilig und unüberlegt geschlossen wurden. Sie befürchteten zudem finanzielle Einbußen für den Staat. Laut Horn müsse die Landesdirektion eine etwaige Erleichterung der Ehen durch eine Verringerung der Bürgerrechtsgebühren abwägen, da sie deren Auswirkungen auf das Kammervermögen am ehesten einschätzen könne.273 Sowohl dem Staat als auch den einzelnen Gemeinden entgingen durch eine Senkung oder gar den Verzicht auf die Bürger- und Nachbarrechtsgebühren Einnahmen, die bis dato fest in den jeweiligen Haushalten verplant waren. 2.4.4. Ehegesetze in anderen Staaten – Nacheiferer oder Vorbilder? Während der Erarbeitung des neuen Ehegesetzes orientierten sich die Weimarer Behörden wie üblich an den Normen anderer, vornehmlich protestantischer Länder und Städte. So hatte laut dem Weimarer Oberkonsistorium 1822 der Stadtrat des reformierten Bayreuth erst kurz zuvor verordnet, dass alle bestehenden Winkel-Ehen sofort aufgelöst werden und Hausbesitzern das Untervermieten an unverheiratete Paare verboten sein sollte.274 Während dort unverheiratete Paare sofort zu trennen waren und die Obrigkeit das Umfeld zur Verantwortung zog, fehlten derartige Anweisungen in der Weimarer Bekanntmachung von 1826. Wilde Ehen sollten zwar angezeigt, zugleich jedoch deren Ehepotenzial geprüft und sie gegebenenfalls zur Heirat motiviert werden. Allerdings hatte das Oberkonsistorium die seit 1808 im katholischen Königreich Bayern, zu dem Bayreuth seit 1810 gehörte, geltenden liberalen Bestimmungen zur Eheschließung unterschlagen. Demnach sollte eine Heirat nur verweigert werden, wenn die künftigen Eheleute sich nicht selbst ernähren könnten, wenn also körperliche Unfähigkeit zur Ehe oder zur Arbeit vorlagen oder ihr früherer Lebenswandel die entstehende Familie oder die Gemeinde gefährdete.275 Anscheinend war die Eheerlaubnis in Bayern erst seit 1825 wieder an eine Niederlassungsberechtigung und damit an Besitz geknüpft. Waren diese Bedingungen jedoch erfüllt, durfte den Ansässigen, abgesehen von Personen des öffentlichen Dienstes, die Ehe nicht verweigert werden. 276 Die einzigen notwendigen Bedingungen für eine Heirat scheinen in Bayern zu Beginn des 19. Jahrhunderts Tugend- und Arbeitsamkeit gewesen zu sein. 273 274 275 276

Ebd., fol. 59r; HARTUNG, Großherzogtum (1923), S. 95. Wilde Ehen (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 52r–v. Zit. nach: KÖLLMANN, Bevölkerung (1974), S. 97. Ebd.

2. UMSTRITTENE GESETZE ZU UNEHELICHKEIT

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Ähnlich habe es gemäß Antje Kraus auch im Königreich Württemberg von 1807 bis 1833 keine Beschränkungen für Heiratswillige gegeben. Laut Karin Gröwer hatten mehrere süddeutsche Länder nach der Gründung des deutschen Bundes 1815 seitens des Staates und entgegen dem Interesse der Gemeinden die Freizügigkeit und Rechtsgleichheit der Untertanen aktiv angestrebt und deshalb bis 1830 zahlreiche Niederlassungs- und Verehelichungshindernisse aufgehoben. Gröwers Einschätzung scheint Bayern und Württemberg allerdings nur teilweise gerecht zu werden, da dort bereits 1807 und 1808 die Heiratsbeschränkungen gelockert worden waren. Für beide Staaten und ferner für Kurhessen und Baden war jedoch seit Anfang der 1830er Jahre die Eheerlaubnis an ein Niederlassungsrecht oder an Besitz gebunden.277 Die dortigen Behörden hatten die einst liberalen Bestimmungen revidiert. Möglicherweise erkannten sie in den dadurch entstandenen verarmten Familien ein selbstverschuldetes Problem und versuchten durch Aufhebung der gelockerten Bestimmungen gegenzusteuern. In den reichsfreien Städten Bremen, Lübeck und Hamburg waren laut Gröwer wilde Ehen erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts verstärkt problematisiert und schärfer geahndet worden. Zuvor hätten unverheiratete Paare nahezu unbehelligt gelebt. Der anscheinend nachlässige Umgang mit wilden Ehen ging zumindest in Lübeck und Hamburg nicht mit freizügigen Ehegesetzen einher. In Lübeck galt noch bis ins 19. Jahrhundert hinein das Bürgerrecht als Bedingung für die Eheschließung, das an ein Vermögen von mindestens 200 Mark gebunden war. Laut Kraus war das in anderen Staaten ebenfalls üblich. Nur Bremer Bürgerskinder konnten es unentgeltlich erben, durften jedoch erst mit 25 Jahren heiraten und waren häufig zünftisch und kooperativ stark eingebunden.278 Mit der napoleonischen Annexion wurde 1811 in allen drei Hansestädten die französische Gesetzgebung eingeführt, alle Stadtbewohner gleichgestellt und die persönlichen Freiheitsrechte garantiert. Durch die Abschaffung des Zunftsystems durfte nun jeder heiraten, ohne das Bürgerrecht zu erwerben. Nach dem Ende der französischen Herrschaft versuchte jedes Stadtregiment, seine vorherige Ordnung wiederherzustellen. In Lübeck galten bis 1845 die vor 1811 rechtskräftigen Bestimmungen. Auch Hamburg führte mit den zuvor erforderlichen hohen Kosten die einstigen Ehebeschränkungen wieder ein. Die dortige Obrigkeit problematisierte besonders die zahlreichen unverheirateten Paare unter Dienstboten und ließ sie rigoros verfolgen, statt sie wie während der französischen Besatzung durch eine Heirat zu legalisieren.279 277 Ebd., S. 96f; GRÖWER, Wilde Ehen (1999), S. 171. Die Übersicht über das Heimat- und Niederlassungsrecht in Köllmanns Publikation wurde von Antje Kraus bearbeitet. 278 KÖLLMANN, Bevölkerung (1974), S. 96f.; GRÖWER, Wilde Ehen (1999), S. 108f., 111, 170, 282. 279 GRÖWER, Wilde Ehen (1999), S. 116–124, 151.

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IV. UNEHELICHKEIT IN GESETZEN UND DEBATTEN

Einzig Bremen kehrte nicht sofort zur alten Ordnung zurück. Die Stadt hatte durch die Kriege einen erheblichen Teil ihrer Bevölkerung eingebüßt und war auf neue, Steuern zahlende Bürger angewiesen. Die Behörden senkten zunächst die Kosten für das Bürgerrecht erheblich und behielten die Zivilehe aus der Franzosenzeit bei. Da jedoch vorwiegend arme und fürsorgebedürftige Familien gegründet wurden, stieg auch in Bremen 1820 der Preis für das Bürgerrecht deutlich an, ohne jedoch die sonst übliche Mindestaltersgrenze für Ehepartner einzuführen. 280 Für ärmere Paare entwickelte sich das Eherecht in den drei Hansestädten eher rückschrittlich, da die während der französischen Annexion allen mögliche Eheschließung entweder sofort oder nach wenigen Jahren größtenteils revidiert wurde. Zugleich gingen die Behörden nun, anders als im 18. Jahrhundert, vermehrt gegen unverheiratete Paare vor. Wie bei illegitimen Schwängerungen erwies sich Preußen auch hinsichtlich wilder Ehen und Eheschließungsbestimmungen als bemerkenswert liberal. Mit Einführung des Allgemeinen Landrechts war der besondere Schutz der Ehe im ausgehenden 18. Jahrhundert für preußische Juristen nicht mehr handlungsleitend, was sich im Ehescheidungs- wie -schließungsrecht niederschlug. Das Kapitel Von der Ehe untersagte die Heirat oder schränkte sie ein, wenn unter anderem die künftigen Gatten zu nah verwandt waren, der Standesunterschied zu groß war, der Mann dem Militär angehörte oder einer der Ehepartner unfreiwillig die Ehe einging.281 Nirgends findet sich in dem Kapitel jedoch ein Hinweis, dass ohne Besitz, Vermögen oder Arbeitsamkeit eine Ehe nicht geschlossen werden durfte. Wie bereits alleinerziehende Mütter in Preußen straffrei blieben, durften anscheinend auch arme Paare zur Stabilisierung der Bevölkerungszahlen heiraten und mussten dazu weder ihre Leistungsbereitschaft noch ihre Tugendhaftigkeit nachweisen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts stand Sachsen-Weimar-Eisenach bezüglich der Heiratsbedingungen hinter allen hier vorgestellten Städten und Staaten weit zurück. Seit jeher war im ernestinischen Herzogtum die Ehe an das Bürger- oder Nachbarschaftsrecht gebunden. Ein Teil der Obrigkeit wehrte sich vehement dagegen, mittellosen Paaren die Heirat zu gestatten. Auch das mehrfach diskutierte Mindestalter war mit 23 Jahren verhältnismäßig hoch angesetzt, musste der Bräutigam in Hamburg 22 Jahre, in Preußen nur 18 Jahre alt sein und in Bremen gar kein Mindestalter erreichen.282 Die Jenaischen Stände hatten 1784 zwar eine temporäre Senkung des Heiratsalters bewirkt und dies unter anderem und 280 Ebd., S. 135, 137, 150. 281 HARMS-ZIEGLER, Mutterschaft (1997), S. 338; ALR II, 1 § 3–74. 282 GRÖWER, Wilde Ehen (1999), S. 119; ALR II, 1 § 37. Frauen mussten in Preußen mindestens 14 Jahre alt sein.

3. NEUE FAMILIEN DURCH NEUE GESETZE?

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vermutlich nach preußischem Vorbild mit den Vorteilen für die Bevölkerungsentwicklung begründet. Für ein starkes Heer, dem durch jung verheiratete Männer die Soldaten fehlten, hatte Carl August das Heiratsalter 1797 jedoch wieder auf 23 Jahre heraufgesetzt. Während andernorts auch laut einigen Autoren der zeitgenössischen Publizistik die Eheschließung schon längst weiten Teilen der Bevölkerung zustand, finanzielle Hürden abgebaut wurden und Verlobte immaterielle Maßstäbe wie Fleiß und Tugendhaftigkeit erfüllen sollten, versandeten in Sachsen-WeimarEisenach die Bemühungen um ein entsprechend reformiertes Ehegesetz. Die 1826 publizierten neuen Bestimmungen zu wilden Ehen gestatteten zwar die Verheiratung auch ärmerer Paare, wurden jedoch in den Handlungsanweisungen wenig konkret und überließen die Entscheidung über die Trennung oder Legalisierung einer wilden Ehe letztlich den zuständigen Behörden. Im ernestinischen Großherzogtum begann man erst über eine Erleichterung der Ehe nachzudenken, als andere ihre liberalen Gesetze beinahe wieder revidierten. Die geltenden Normen entsprachen nicht mehr der gedachten und gelebten Familie. Bayern, Württemberg, Bremen, Lübeck und Hamburg hatten in der ersten Dekade, entweder eigenständig oder unter Napoleonischer Besatzung, die Eheschließung liberalisiert und deren Voraussetzungen reduziert. Allerdings revidierten sie die Ehegesetze nach dem Abzug der Besatzer, während der 1820er Jahre oder spätestens nach 1830. In der Restaurationszeit wurde der Erwerb eines Bürger-, Heimat- oder Niederlassungsrechts wieder als Heiratsbedingung eingeführt. In Preußen wurden die liberalen Eheverordnungen des Allgemeinen Landrechts Mitte der 1830er Jahre gegen restriktivere ausgetauscht. Martin Fuhrmann spricht dabei von einem Dilemma, dem sich der deutsche Liberalismus anfang des 19. Jahrhunderts ausgesetzt sah und mit dessen Abnahme eine restriktivere Ehepolitik einherging.283

3. Neue Familien durch neue Gesetze? 3. NEUE FAMILIEN DURCH NEUE GESETZE?

Carl Augusts Amtszeit und die ersten Herrschaftsjahre seines Sohnes Carl Friedrich stehen für sich zaghaft progressiven Ideen öffnende obrigkeitliche Strategien im Umgang mit illegitimen Sexualkontakten und Schwängerungen. Mit der vollständigen Legalisierung des unehelichen Geschlechtsverkehrs 1839 erreichte der Wandel familialer und gesellschaftlicher Ordnung in SachsenWeimar-Eisenach einen vorläufigen Höhepunkt. Die zugrunde liegenden Motive waren eher pragmatisch als ethisch. Die Zuchthausstrafe wurde in eine Gefängnisstrafe umgewandelt, um die jeweiligen

283 KÖLLMANN, Bevölkerung (1974), S. 96f.; FUHRMANN, Volksvermehrung (2002), S. 207f.

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IV. UNEHELICHKEIT IN GESETZEN UND DEBATTEN

Häuser nicht zu überfüllen. Ehren- und Körperstrafen wurden weitestgehend durch Geld- und Haftstrafen ersetzt und dem Staat dadurch zusätzliche Einnahmen ermöglicht. Arme Paare sollten bevorzugt als Verheiratete gängigen Moralvorstellungen entsprechen und notfalls die staatliche Fürsorge belasten, anstatt unverheiratet die sittliche Ordnung zu gefährden. Wilde Ehen wurden durch die staatlich unterstützte Eheschließung legalisiert und die bis dato wahrnehmbare Unordnung vermeintlich ausgeräumt. Auch die Abschaffung der jahrhundertelang angewandten Kirchenbuße oder des Prangerstehens für Illegitimität bedeutete nicht nur eine erhebliche Strafmilderung: Mit ihr verringerte sich auch die öffentliche Zurschaustellung und damit die Wahrnehmung vermeintlicher Laster, wenngleich sich sittenwidrige Vergehen innerhalb der Gesellschaft herumsprachen und durch eine Schwangerschaft oder Haftstrafe noch immer offensichtlich waren. Carl August milderte die Sanktionen ab und beförderte letztendlich die Eheschließung unverheirateter Paare, bevor sein Sohn jegliche Sanktionen für unehelichen Verkehr zwischen Ledigen abschaffte. Weil alleinerziehende Mütter die Armenkassen strapazierten, bekräftigten Carl August und Carl Friedrich erneut den Rechtsanspruch der Mütter auf Unterhaltszahlung und verpflichteten ausnahmslos alle Väter. Die bereits seit den 1780er Jahren durch die Regierung angestellten Bemühungen um eine humanere Bestrafung der Geschwängerten und eine nachdrücklichere Einbindung der Väter beispielsweise durch eine Heiratspflicht und mindestens durch angemessene Unterhaltszahlungen waren letztlich erfolgreich. Bei der Frage nach der Schuld am unehelichen Geschlechtsverkehr verschob sich in der Publizistik und in Sachsen-Weimar-Eisenach der Fokus seit den 1780er Jahren von der anrüchigen, verführenden Frau hin zum triebgesteuerten Mann, der das unschuldige junge Mädchen zur Straftat drängte und sie anschließend trotz Eheversprechen skrupellos sich selbst überließ. Die Geschlechtervorstellungen hatten sich diesbezüglich nicht nur im ernestinischen Herzogtum fundamental gewandelt. Die erlassenen Gesetze bestätigten zu Beginn des 19. Jahrhunderts die neuen Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit, nach denen den Frauen nun die passive und den Männern eher die aktive Rolle bei unehelichem Verkehr zukam. Es waren nicht mehr die weibliche, sondern die männliche Begierde und Unkeuschheit Auslöser des illegalen Sexualkontakts. Mit der Verordnung über wilde Ehen brach Carl August erstmals mit der bis dato gesetzlich propagierten Vorgehensweise, unverheiratete Paare konsequent zu bestrafen. Bislang billigten die Obrigkeiten unehelichen Kindern entweder keine, oder nur notgedrungen – durch die Verpflichtung des Schwängerers zur Heirat – eine ehestiftende Funktion zu. Die immer wieder problematisierten unverheirateten Paare mit und ohne Kinder, die sich eine Heirat nicht leisten konnten, sollten nun per Gesetz bei der Eheschließung unterstützt bzw. finanziell entlastet werden. Gemeinsame Nachkommen veranlassten eine Eheschließung

3. NEUE FAMILIEN DURCH NEUE GESETZE?

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umso mehr, anstatt deren Verbot zu begründen. Damit korrigierte der Herzog das Ideal der finanziell potenten und so für den Staat gewinnbringenden, statt belastenden Familie und stellte die sittliche Ordnung der Gesellschaft und die eigenständige Familienplanung über staatliche Haushaltsinteressen. Dem durch restriktive Ehegesetze selbstverschuldeten Problem der zahlreichen illegitimen Verbindungen, denen er durch die Beziehung zu Caroline Jagemann ein Vorbild war, versuchte er schließlich durch eine wohlwollende Gesetzgebung entgegenzuwirken. Allerdings berücksichtigten die Gesetzgeber dabei die finanziellen Möglichkeiten des Mannes, der nicht seiner Existenz beraubt werden sollte und Geldbußen auch durch Strafarbeiten ableisten konnte. Wie die betroffenen Mütter die unehelichen Kinder dieser Väter währenddessen ohne Alimente versorgen sollten, wurde nicht geregelt. Sie konnten sich den ihnen zustehenden Unterhalt lediglich bescheinigen lassen und später geltend machen. Selbst wenn die Gesetzeslage den Müttern theoretisch Ansprüche garantierte, mussten sie im Armutsfall des Vaters, der sie zudem nicht ehelichen durfte oder wollte, selbst für die Versorgung des Kindes aufkommen. Staatliche Unterstützung war dazu in keinem Erlass vorgesehen. Wie alle anderen Bedürftigen konnten die Mütter lediglich auf die viel zu überlasteten Armenkassen hoffen. Letztlich büßten im 19. Jahrhundert noch immer die alleinerziehenden Mütter dauerhaft für den unehelichen Geschlechtsverkehr, wenn der Vater nicht zahlungsfähig war und außerdem die Ehe nicht eingehen konnte oder wollte. Entsprechend resümierte der Weimarer Konsistorialassessor Zunkel 1817, dass sich die Männer die Sorge für die Kinder […] ersparen, die in solchen Fällen immer mehr auf die unglückliche Mutter als auf den Vater fällt, der wenn er die im Gesetz bestimmte Summe erlegt u. sich damit losgekauft hat, sich nun mit Mutter u. Kind auf immer abgefunden zu haben glaubt, ohne sich nun um die Versorgung jener u. um die Erziehung u. moralische Bildung des Letztern weiter zu bekümmern.284

Ganz anders entwickelte sich die Gesetzeslage für Frauen, die mit ihrem Schwängerer eine feste Partnerschaft unterhielten. Grundsätzlich war zwar der Kindsvater zur Heirat der unehelich Schwangeren verpflichtet, was die Verordnungen der 1780er Jahre wiederholt hervorhoben. Vor allem in der Mitte des 18. und noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts sollten jedoch einzelne Bestimmungen die durch ein Kind gestifteten Ehen unverheirateter Paare unterbinden und die Verlobten trennen. Erst seit 1825 billigte der Staat zwar keine provokativ gelebte wilde Ehe, jedoch die eigenständige Familiengründung auch ärmerer Paare und unterstützte deren Eheschließung. Die Ehe verlor dadurch allmählich ihren Charakter als Privileg. Seit Inkrafttreten des neuen Strafgesetzbuchs lebten unverheiratete Eltern offiziell straffrei zusammen. Die gänzliche Aufhebung auch 284 Wilde Ehen (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 56r–v.

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IV. UNEHELICHKEIT IN GESETZEN UND DEBATTEN

der Heiratsbeschränkungen in Sachsen-Weimar-Eisenach konnte jedoch bislang noch nicht ermittelt werden. Obgleich alle Untertanen und auch der Fürst unstrefflich nach den geltenden Gesetzen leben sollten, wurde bei der Ahndung der Delikte weiterhin nach gesellschaftlichen Ständen unterschieden. 285 Zudem konnten sich finanziell potente Delinquenten mitunter gegen eine Gebühr von bloßstellenden Strafen wie der Kirchenbuße dispensieren lassen. Wie für die landesherrliche Urteilsfindung in Ehescheidungsprozessen kann auch das unterschiedliche, für die Zeitgenossen mitunter willkürlich anmutende Strafmaß für Illegitimität als obrigkeitliches Herrschaftsinstrument zur Demonstration staatlicher Macht gedeutet werden. Herder lehnte die Dispensation aufgrund der Standeszugehörigkeit entschieden ab und verwies darauf, dass die Angehörigen aller Stände letztlich Christen seien.286 Angesichts der pädagogischen Absichten, durch die Verordnungen die Sittlichkeit zu festigen, bedeutete die ständische Unterscheidung eine Doppelmoral. Da mit den Gesetzen jedoch ein Anstieg verarmter Kinder verhindert werden sollte, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch nicht hinreichend sozialstaatlich aufgefangen werden konnten, stellte der uneheliche Nachwuchs niederer Stände tatsächlich eine immense Belastung für die öffentlichen Absicherungssysteme dar.287 Auch weil der Großteil der Gesellschaft den unteren Schichten angehörte, wurde deren Illegitimität verstärkt öffentlich wahrgenommen und die harten Sanktionen richteten sich vor allem gegen sie. Während der Debatte um die Legalisierung oder Bekämpfung wilder Ehen wandten sich die Befürworter der Eheerleichterung von der bislang üblichen ständischen Privilegierung ab und vertraten mit der Rückbindung der Heiratserlaubnis an Fleiß und Arbeitsamkeit statt an Besitz zunehmend bürgerliche Werte. Ähnlich entspannte sich der Umgang mit unehelichen Kindern, die laut der neuen Stadtordnung seit 1811 das Bürgerrecht erlangen durften.288 Die Eisenacher Regierung legte 1817 die Höhe der Alimente fest und betonte, dass sie für die Erhaltung des Kindes bestimmt seien und deshalb nicht von den Tugenden der Mutter abhängen sollten. Sie machte damit nicht nur die Kinder zum Maßstab für die Festlegung des Unterhalts, sondern differenzierte zwischen dem Verschulden der Mutter und der Unschuld des Kindes an seiner Herkunft, wofür es nicht gestraft werden dürfe. Zudem hätten durch die bis dato üblichen, geringen Alimentationsquanten die Kinder das Vergehen der Eltern gebüßt. 289 Die 285 So etwa in der Verordnung zur Bestrafung von Fleischesverbrechen: WWA 32 (1786), Nr. 54 (08.07.1786), S. 214; Landesordnung (1589), Kap. 4, S. 2. 286 KESSLER, Herder (2007), S. 259; zum käuflichen Dispens in Göttingen: SCHLUMBOHM, Phantome (2012), S. 317. 287 NEUMANN, Waisenhausstreit (2003), S. 155f. 288 Weimarische Stadt-Ordnung (1811), S. 9. 289 Alimentationsbestimmungen (1817), LATh–HStAW, Rechtspflege B2383, fol. 2v.

3. NEUE FAMILIEN DURCH NEUE GESETZE?

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Eisenacher Regierung lehnte es demnach ab, das Kind für seine uneheliche Geburt zu strafen. Sie hinterfragte entsprechend ähnlichen Positionen zeitgenössischer Autoren die gesellschaftlich und juristisch verbreitete Praxis, unehelich Geborene aufgrund ihrer Herkunft zu benachteiligen und zu verurteilen. Das eigentümliche Geflecht aus vielen sich beständig ergänzenden und ersetzenden Bestimmungen erschwerte oftmals deren korrekte Anwendung. Unspezifische Formulierungen bzw. die Ignoranz der Gesetzgeber gegenüber geltenden Normen irritierten bei der Interpretation. Nachfolgende Verordnungen wie das Reskript vom Januar 1787, das einem Patientenmangel im Jenaer Accouchierhaus entgegenwirken sollte, bezogen sich nicht explizit auf bestehende oder wurden nicht einmal publiziert, sondern intern den betroffenen Behörden bekannt gemacht.290 Somit überließ Carl August deren Auslegung den Unterobrigkeiten. Erneut könnte dem landesherrlichen Agieren neben praktischen Versäumnissen auch eine gewisse Unberechenbarkeit als Mittel neuzeitlicher Herrschaft zugrunde gelegen haben, mit der er verdeutlichen wollte, dass das Schicksal der Untertanen nicht von berechenbaren Normen, sondern vom Wohlwollen der Obrigkeit abhing. Die dem vermeintlichen Patientenmangel vorbeugende Verordnung wäre überdies gar nicht nötig gewesen: Alle wiederholt unehelich Schwangeren und solche, die das ungeborene Kind oder den Vater verheimlichten, sollten laut den Erlassen von 1786 hart bestraft werden. Über das Strafmaß entschieden die jeweiligen Instanzen, die auch die Entbindung in Jena anordnen konnten. Eine Verpflichtung dieser Frauen zur Entbindung im Accouchierhaus hätte demnach stabile Patientenzahlen gewährleistet. Die 1786 neu geschaffene Regelung wäre lediglich spezifiziert worden, ohne sie zu verwerfen, für Irritation zu sorgen oder gar die erstmals unehelich Schwangeren im Amt Jena derart massiv zu benachteiligen. Das obrigkeitliche Handeln ist hier kaum nachzuvollziehen. Durch die zahlreichen, sich gegenseitig ergänzenden, ersetzenden und teils auch widersprechenden Erlasse übersahen die zuständigen Instanzen gültige Verordnungen und änderten durch neue Bestimmungen unbewusst bestehende Normen. Dass die Unterobrigkeiten geltendes Recht nicht immer umsetzten und dafür mehrfach durch eigens erlassene Bestimmungen gerügt wurden, könnte unter anderem jener Undurchsichtigkeit geschuldet sein. Ein Vergleich mit anderen Staaten und vor allem mit Preußen weist die Maßnahmen Sachsen-Weimar-Eisenachs jedoch nur bedingt als fortschrittlich aus. In anderen Staaten wie etwa in Preußen war es spätestens seit dem Beginn des 290 Symptomatisch hierfür sind die bereits erläuterten, einander widersprechenden Verordnungen von 1786 und vom Januar 1787 zur Entbindungspflicht aller oder nur einiger unehelich Schwangerer im Jenaer Accouchierhaus.

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IV. UNEHELICHKEIT IN GESETZEN UND DEBATTEN

18. Jahrhunderts üblich, dass neben den Frauen auch die Obrigkeiten, Hausbesitzer und Dienstherrschaften für etwaige Kindsmorde mitverantwortlich gemacht wurden und unter Strafandrohung zur Anzeige unehelicher Schwangerschaften verpflichtet waren. Friedrich II. schaffte schon 1765 sämtliche Strafen für illegitime Schwängerungen ab.291 Gemäß gängiger Normen und Werte sollte Geschlechtsverkehr jedoch ausschließlich in der Ehe stattfinden, weshalb das Edikt von 1765 als die Unehelichkeit fördernd kritisiert wurde. Friedrich II. setzte seinen liberalen Kurs dennoch fort. Das seit 1794 gültige Allgemeine Landrecht bestätigte das zuvor erlassene Edikt, indem es künftig allen unbescholtenen ledigen Müttern einen Rechtsanspruch auf Unterhalt durch den Kindsvater garantierte und den Status sowie die Rechte einer Ehefrau oder zumindest einer Hausfrau zubilligte. Es erleichterte die von Besitz losgelöste Eheschließung und entkriminalisierte unverheiratete Paare mit gemeinsamen Kindern.292 Mit dem Allgemeinen Landrecht war Preußen der sachsen-weimareisenachischen Gesetzgebung wie auch allen anderen Territorien des Alten Reiches spätestens seit 1794 um Längen voraus, hatte jedoch bei der Realisiserung umfassender Reformen gegenüber kleineren Staaten durch seine Größe einen strukturellen Vorteil.293 Generell setzte der ernestinische Staat etwa die Einbeziehung des sozialen Umfeldes zur Prävention des Kindsmords, die Straffreiheit unehelich Geschwängerter oder die Verehelichung auch ärmerer Paare erst Jahrzehnte später bzw. 1786 nur teilweise um. Vollständig straffrei blieben unehelich Geschwängerte erst seit 1839, als in Preußen bereits seit fast 75 Jahren ledige Mütter laut Gesetz ungestraft leben durften. Das Allgemeine Landrecht regelte die Versorgung der Alleinerziehenden nachhaltiger und garantierte im Zweifelsfall deren staatliche Unterstützung. Es sicherte ihren gesellschaftlichen Stand und gewährte ihnen umfassende Ansprüche auf die Unterstützung durch den Kindsvater. Frauen in Sachsen-Weimar-Eisenach bekamen solche weitreichenden Rechte bspw. einer geschiedenen Ehefrau nicht zugeschrieben, auch hatten sie keinen Rechtsanspruch auf staatliche Unterstützung und eine uneheliche Schwängerung bedeutete nach wie vor die gesellschaftliche Degradierung. Die Gesetzgeber Preußens revidierten jedoch im 19. Jahrhundert teilweise die 1765 und im Allgemeinen Landrecht 1794 erlassenen liberalen Bestimmungen. Laut den Gegnern widersprachen die weitreichenden Rechte alleinerziehender Mütter und die Straffreiheit des unehelichen Verkehrs dem propagierten bürgerlichen Familienideal und gefährdeten die Institutionen Ehe und Familie. Zudem befürchteten sie, dass der zugesicherte eheliche Status für ledige Mütter, der ein 291 GLEIXNER, Mensch (1994), S. 47f. 292 Die Eheschließung wurde in den entsprechenden Kapiteln nicht an Besitz geknüpft: ALR II, 1. 293 VENTZKE, Herzogtum (2004), S. 486f.

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Leben als Alleinerziehende ermöglichte und diesen alternativen Lebensweg damit billigte, Alleinstehenden falsche Anreize biete. Der außerdem zeitweilig in Preußen angewandte Code Civil bestärkte die Gegner der liberalen Verordnungen, indem er die Position der ledigen Mütter gegenüber den Kindsvätern schwächte. Seit 1825 und 1854 revidierten die Gesetzgeber Preußens schließlich schrittweise die sozialrechtlichen Kapitel des Allgemeinen Landrechts. Dadurch stockte der Gleichstellungsprozess unehelich Schwangerer und wurde erst im 20. Jahrhundert fortgesetzt. Die preußischen Gesetze brachen laut Beate Harms-Ziegler folglich weder die konventionellen familialen Ordnungsbegriffe auf, noch wandelten sie die Gesellschaft grundlegend.294 Für die gesetzgebenden Instanzen mag dies zutreffen, jedoch kann ein Wandel der innergesellschaftlichen Bilder von Ehe und Familie allein aufgrund der revidierten Gesetze nicht völlig ausgeschlossen werden. Durch die schrittweise Revision des Allgemeinen Landrechts war die Gesetzgebung Preußens und Sachsen-Weimar-Eisenachs in der Mitte des 19. Jahrhunderts letztendlich ähnlich: Während Preußen vor allem mit dem Allgemeinen Landrecht zunächst ungewöhnlich progressiv agierte und es später teilweise revidierte, entwickelte sich das ernestinische Großherzogtum langsamer, aber stetiger. In beiden Territorien wurde schließlich unehelicher Geschlechtsverkehr rechtlich nicht mehr geahndet. Die Gegenüberstellung der erlassenen Verordnungen und der vorliegenden Illegitimitätswerte zeigt die wechselseitige Beziehung zwischen Gesetzgebung und alternativen Familienformen auf. Die 44 für 1770 bis 1830 aus den Taufregistern erschlossenen, potenziell wilden Familien könnten die Konzeption der 1826 publizierten Bekanntmachung mit bedingt haben, die wiederum die Heiratszahlen sprunghaft ansteigen ließ.295 Zuvor wurden von 1818 bis 1826 jährlich konstant zwischen 78 und 87 Paare vermählt, einzig 1822 waren es 99 und 1823 insgesamt 112 Brautleute. Seit 1827 bis 1830 heirateten jährlich über hundert Paare. Hatten sich 1826 lediglich 81 Eheleute vermählt, waren es im Jahr darauf 112.296 Dass die Differenz von maximal 30 Ehepaaren aus der 1826 veröffentlichten Bekanntmachung resultierte, konnte zwar nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden (beispielsweise anhand der Berufe der Ehemänner), ist aber dennoch möglich. Die Gründung wilder Familien, die rein hypothetisch an die Geburt des jeweils ersten Kindes geknüpft wurden, scheint ein Phänomen vor allem der 294 HARMS-ZIEGLER, Mutterschaft (1997), S. 339, 342f.; BLASIUS, Ehescheidung (1992), S. 39. 295 Für einzelne Werte und weiterführende Erläuterungen zur Auszählung vgl. Anhang, Grafik 2. 296 Anhang, Tabelle 3.

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IV. UNEHELICHKEIT IN GESETZEN UND DEBATTEN

ersten Dekaden des 19. Jahrhunderts zu sein. Mit insgesamt 33 Erstgeborenen zwischen 1800 und 1830 konnten dreimal mehr potenziell wilde Ehen gezählt werden als zwischen 1770 und 1799. Diese Paare mit Kindern haben wohl zu einer verstärkten Wahrnehmung des Phänomens beigetragen und die Debatten um wilde Ehen und ein neues Ehegesetz seit 1817 mit angestoßen. Weitere 25 Paare zeugten ebenfalls mindestens zwei gemeinsame Kinder und bestätigen den Trend der gehäuften wilden Ehen in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Spätere Eheschließungen sind für sie jedoch nicht nachzuweisen und eine wilde Ehe muss daher noch mehr als bei den später verheirateten Paaren gemutmaßt werden. Die niedrigen Werte sind jedoch für Schlussfolgerungen über Auswirkungen einzelner Verordnungen etwa auf die Zeugungsbereitschaft der 44 unverheirateten Paare oder sogar über die bewusste Nachahmung Goethes wilder Ehe durch andere Paare nicht aussagekräftig genug. Inwieweit die seit 1801 offen gelebte Liebesbeziehung des Herzogs mit Caroline Jagemann die Bereitschaft zur unverheirateten Paarbeziehung mit Kindern steigerte oder ob 1803 die Erstgeburten unverheirateter Paare nur zufällig sprunghaft anstiegen, ist mit den vorliegenden Werten ebenfalls kaum nachzuweisen. Die seit 1826 rückläufige Zahl der infolge unehelicher Schwangerschaft ausgewiesenen Dienstmädchen kann ein weiteres Indiz für die steigende Zahl der Eheschließungen ärmerer Paare sein, denen zuvor die Heirat verwehrt war. Während 1825 insgesamt 14 Mägde die Stadt verlassen mussten, waren es 1826 nur noch elf.297 1827 und 1828 sanken die Zahlen auf acht und sechs ab, betrugen danach sieben, 1830 schließlich zehn und 1831 nur noch drei.298 Die Zahlen ausgewiesener Mägde korrelieren nicht mit dem etwaigen Anstieg oder Abfall der Illegitimitätsrate und können folglich nicht daraus erklärt werden. Möglicherweise legalisierten nach der Bekanntmachung über wilde Ehen einige Dienstmädchen ihre Beziehung und die daraus entstandene Schwangerschaft durch eine Eheschließung, die sich das Paar zuvor nicht leisten konnte. Die Mägde verließen 297 WWB 71 (1825), Nr. 35 (03.05.1825), S. 176; ebd. Nr. 44 (03.06.1825), S. 221; ebd. Nr. 52 (01.07.1825), S. 263; ebd. Nr. 61 (02.08.1825), S. 310; ebd. Nr. 71 (06.09.1825), S. 357; WWB 72 (1826), Nr. 10 (03.02.1826), S. 41; ebd. Nr. 53 (04.07.1826), S. 258f.; ebd. Nr. 62 (04.08.1826), S. 302; ebd. Nr. 71 (05.09.1826), S. 347; ebd. Nr. 79 (03.10.1826), S. 399; ebd. Nr. 97 (05.12.1826), S. 487; WWB 73 (1827), Nr. 1 (02.01.1827), S. 2. 298 WWB 73 (1827), Nr. 19 (06.03.1827), S. 84; ebd. Nr. 35 (01.05.1827), S. 159; ebd. Nr. 79 (02.10.1827), S. 399; ebd. Nr. 97 (04.12.1827), S. 499; WWB 74 (1828), Nr. 1 (04.01.1828), S. 2; ebd. Nr. 10 (05.02.1828), S. 51; ebd. Nr. 29 (11.04.1828), S. 177; ebd. Nr. 61 (01.08.1828), S. 341; Nr. 70 (02.09.1828), S. 391; ebd. Nr. 79 (03.10.1828), S. 441; WWB 75 (1829), Nr. 19 (06.03.1829), S. 97; ebd. Nr. 20 (10.03.1829), S. 109; ebd. Nr. 79 (02.10.1820), S. 465; ebd. Nr. 96 (01.12.1829), S. 553; WWB 76 (1830), Nr. 1 (01.05.1830), S. 2; ebd. Nr. 26 (02.04.1830), S. 139; ebd. Nr. 44 (04.06.1830), S. 255; ebd. Nr. 79 (05.10.1830), S. 451; WWB 77 (1831), Nr. 1 (04.01.1831), S. 2; ebd. Nr. 35 (03.05.1831), S. 193; ebd. Nr. 44 (03.06.1831), S. 251; ebd. Nr. 54 (08.07.1831), S. 307.

3. NEUE FAMILIEN DURCH NEUE GESETZE?

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dann das Dienstverhältnis für die Heirat und nicht aufgrund der Schwangerschaft, die nach der Hochzeit ohnehin als ehelich galt.299 Ihre Kündigung infolge der Eheschließung wurde entsprechend im Journal begründet, demzufolge anders wahrgenommen und bewertet als eine Entlassung aufgrund einer unehelichen Schwangerschaft. Dass laut dem Journal ledige Mütter wieder angestellt wurden, geht vermutlich auf eine partielle Duldung von Illegitimität unter Weimarer Arbeitgebern bzw. Bürgern zurück. Das konsequentere Vorgehen der Obrigkeit gegen geschwängerte Dienstmädchen könnte eine Gegenreaktion auf verbreitete liberale Einstellungen innerhalb der Bevölkerung gewesen sein. Die Ausweisung unehelich schwangerer Mägde und deren demonstrative Publikation im Wochenblatt sollten tradierte Sittlichkeitsvorstellungen kommunizieren und verfestigen. Indem neben unehelich geschwängerten Dienstmädchen auch Diebstähle oder Obdachlose für jedermann nachvollziehbar geahndet wurden, antwortete die Obrigkeit auf das gesetzeswidrige Verhalten und dessen unliebsame Duldung. Nach dem Beispiel der Behörden sollten entsprechend die Untertanen Sittenwidrigkeiten unnachgiebig anzeigen und straffällige Personen missachten. Weitere direkte Zusammenhänge zwischen einzelnen Verordnungen und dem Zeugungsverhalten Alleinstehender konnten jedoch, etwa am Rückgang oder der Zunahme unehelicher Geburten oder wilder Ehen, nicht diagnostiziert werden. Während nachsichtige Gesetze eine sichtbare Wirkung erzielten, scheinen restriktive Verordnungen etwa gegen uneheliche Schwängerungen die jungen Frauen und Männer kaum diszipliniert zu haben – zumindest lösten sie keinen deutlichen Rückgang der Illegitimitätsrate aus. Sie stieg im Untersuchungszeitraum – abgesehen von jährlichen Schwankungen – bis 1816 relativ kontinuierlich an, brach danach leicht ein, um dann wieder zuzunehmen.300 Der Einbruch der Werte ist eher mit dem Abzug der stationierten Truppen und mit der damaligen Mangelversorgung, den Missernten und damit einhergehenden Hungerjahren, als mit einer zeitgleich erlassenen Verordnung zu erklären, zumal 1816 oder 1817 keine Bestimmungen zur Illegitimität verfügt wurden. Ebenso wenig korrelierten die Verordnungen in den Jahrzehnten zuvor mit der Illegitimitätsrate und lösten weder einen unmittelbaren Anstieg noch Rückgang der unehelichen Geburten aus. Den Gesetzgebern gelang es demnach nicht, die sexuelle Enthaltsamkeit lediger Frauen und Männer zu fördern und so die Sittlichkeit nachhaltig zu verbessern. Die geltenden Normen entsprachen nicht der Wirklichkeit und waren angesichts gelebter und diskutierter Familienformen überholt.

299 Eine Analyse der bis 1830 circa 2.500 Einträge des Weiblichen Dienstboten Journals, die die Motive für den Dienstaustritt beleuchtet (Heirat oder uneheliches Kind), steht noch aus. 300 Anhang, Tabelle 1, Grafik 1.

V. Ehescheidungen in Sachsen-Weimar-Eisenach: fadenscheinige Begründungen, halbherzige Gesetze und endlose Debatten

1. Die Debatten um die Ehescheidung in der Publizistik 1. DEBATTEN UM DIE EHESCHEIDUNG IN DER PUBLIZISTIK

1.1. Der Einfluss der Publizistik auf politische Entscheidungen – ein Beispiel In einem herzoglichen Reskript zur Erschwerung der Ehescheidungen von 1816 widersprach Carl August den Thesen des Göttinger Juristen Gustav Hugo. Dieser hatte 1809 in seinem Lehrbuch eines civilistischen Cursus unter anderem dafür plädiert, dass eine Ehe auch allein aufgrund bloßer Willensäußerung geschieden werden sollte. Dies sei um so natürlicher, da der Wille doch auch für die Heirat entscheidend sei. Zudem sei es gefährlich, dem unglücklich Verheirateten keinen weiteren Ausweg aus der Ehe aufzuzeigen als den Tod des Partners.1 Laut Carl August würde Hugo damit die gemüthliche Seite des Menschen zu leicht berühren und seine Perfectibilität ganz aus den Augen lassen. Dadurch müsse der kalt absprechende Verstand auf solche Paradoxien über die Ehe gerathen, wie sie dieser Hugo mit großem Aufwand von Scharfsinn vorbringt.2 In den Augen des Herzogs berücksichtigte Hugo übermäßig die Emotionen und Bedürfnisse der Eheleute und erleichterte dadurch die Ehescheidung zu stark, obwohl doch der Mensch aufgrund seiner Perfectibilität – gemeint ist damit vielleicht eine Leistungs- und Leidensfähigkeit – auch eine unglückliche Ehe zu ertragen fähig sei. Zugleich betonte Carl August die begrenzte Wirkung juristischer Abhandlungen und seine eigene landesherrliche Überlegenheit und resümierte: es ist wohl ein Glück für die Staaten, daß es mehr Menschen und Christen als Göttinger Philosophen giebt.3 Hugos Scheidungsrecht sei demnach unchristlich und würde dem menschlichen Naturell nicht gerecht werden. Es berücksichtigte in den Augen des Landesherrn zu sehr die Interessen des Ehepaares und vernachlässigte hingegen staatliche Belange. Carl August erachtete damit Hugos naturrechtliche Auffassungen, mit denen dieser das Recht an der natürlichen Wesensart des Menschen zu orientieren versuchte, als paradox, als weltfremd. Der Herzog hielt in seinem Reskript vehement am Erhalt der Ehe und entsprechend an der Ehescheidung als Ausnahme fest. 1 2 3

HUGO, Lehrbuch (1809), S. 268. Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 10r. Ebd.

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V. EHESCHEIDUNGEN IN GESETZEN UND DEBATTEN

Juristen, Philosophen und Geistliche diskutierten in ihren Publikationen über Eheschließung, Ehelosigkeit, Ehehindernisse und über Ehescheidung. Sie verarbeiteten in ihren Schriften eigene Erfahrungen und Erlebnisse aus ihrem Umfeld, die ihren Vorstellungen von Ehe und Familie ent- oder widersprachen. Dass für die wahrgenommenen und diskutierten Lebensumstände die landesherrliche Gesetzgebung und deren Umsetzung durch die (Unter-)Obrigkeiten maßgeblich waren, reflektierten sie unter anderem in ihrer Kritik an bestehenden Normen und Entscheidungsträgern. Landesherrn und Behördenmitglieder griffen wie Carl August die Argumente auf und ließen sie in ihre Entscheidungen einfließen. Dieses Wechselspiel zwischen alternativen Lebensformen, staatlicher Gesetzgebung und obrigkeitlichem Handeln einerseits und deren Bewertung durch die Publizistik andererseits gilt es nachfolgend kursorisch zu beleuchten. Mit diskursanalytischen Arbeiten wie jene von Martin Fuhrmann wurden die unterschiedlichen Positionen eingehend herausgearbeitet und erörtert. So beobachtet er etwa eine „Sakralisierung, Versittlichung“ und „Institutionalisierung“ von Ehe und Familie als den Versuch, staatliche Eingriffe abzuwehren.4 Eine vergleichbare Diskursanalyse in angemessener Ausführlichkeit ist hier nicht zu leisten. Vielmehr soll es darum gehen, schlaglichtartig einzelne Positionen aufzuzeigen, die den intellektuellen Kontext der nachfolgend erörterten obrigkeitlichen Entscheidungen bildeten. Anhand exemplarisch ausgewählter Texte werden die verschiedenen Lager dieser Diskussionen herausgearbeitet. Die Analyse der circa 15 Beiträge ergab, dass sich die Argumentationsmuster der Befürworter und Gegner der Scheidung über die Jahrzehnte hinweg stark ähneln bzw. aneinander anknüpfen. Konkret debattierten die Beteiligten unter anderem die Vor- und Nachteile geschiedener und untrennbarer Ehen, inwiefern die Ehescheidung erleichtert oder erschwert werden sollte, welche Maßnahmen dazu ergriffen werden müssten und welche Gründe als zulässig anzusehen waren. Dabei wurden auch die Auswirkungen auf gemeinsame Kinder, die Bevölkerung bzw. die Gesellschaft und den Staat erwogen und letztlich sogar die Frage aufgeworfen, ob der Obrigkeit überhaupt Eingriffe in Ehestreitigkeiten zustünden.

1.2. Vor- und Nachteile untrennbarer und geschiedener Ehen Unbestritten zählt der französische Philosoph und Jurist Charles-Louis de Secondat, Baron de la Bréde et de Montesquieu zu den Schlüsselfiguren der französischen Aufklärung. Er gilt unter anderem als „Vater der Gewaltenteilungslehre“, als Begründer moderner Sozialwissenschaften sowie als Kultur- und Geschichtsphilosoph. Berühmt wurde er mit seinem 1721 anonym veröffent4

FUHRMANN, Volksvermehrung (2002), S. 243.

1. DEBATTEN UM DIE EHESCHEIDUNG IN DER PUBLIZISTIK

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lichten Briefroman Lettres Persanes, den Persischen Briefen. Ähnlich einem Reisebericht schildern zwei Perser, Usbek und Rica, ihre Wahrnehmung europäischer und vor allem französischer und damit katholischer Kultur und werfen so einen kritischen Blick auf die Traditionen und Werte der damaligen Westeuropäer.5 Montesquieus vermutlich bewusste Auswahl zweier muslimischer Hauptfiguren war für seine Zeitgenossen besonders provokant, da die Türken seit dem 16. Jahrhundert mit ihrer praktizierten Mehrehelichkeit die Perversion der christlichen Ordnung symbolisierten.6 Noch bis in das 19. Jahrhundert hinein wurden die Persischen Briefe auch in den protestantischen Debatten über die Erleichterung der Ehescheidung rezipiert. Im 116. Brief berichtete Usbek über die Ehescheidung, die zwar unter den Römern erlaubt war, bei den Christen, und hier bezog er sich offenbar auf die katholischen Franzosen, jedoch verboten sei, was zu schrecklichen Konsequenzen führe. Dadurch verliere die Ehe ihren Reiz und werde zweckentfremdet, indem sich die Ehepartner nicht enger aneinander banden, sondern voneinander entfernten. 7 Der heute ebenso bedeutende, aber damals noch unbeachtete Philosoph der Aufklärung David Hume argumentierte in seinem 1741/1742 erstmals erschienenen Essay Of Polygamy and Divorce ähnlich. Angesichts des Freiheitsbedürfnisses der Menschen verändere jegliche Form von Zwang und gewaltsamer Einschränkung die Grundhaltung der Partner gegenüber der Ehe ins Negative und eheliche Neigung und Verlangen verwandelten sich in Aversion.8 Dem entgegnete der unbekannte Autor, welcher 1760 den Aufsatz […] ob das Verboth der Ehescheidung der Vermehrung der Menschen nachtheilig sey? in der Zeitschrift Hamburgisches Magazin publizierte und dort mit „A.B.M.“ abgekürzt wurde: Nichts ist so ungegründet, als der Satz, daß durch die Dauerhaftigkeit den Ehen alle Anmuth genommen werde. Wenn überhaupt, würden nur die sinnlichen Empfindungen abnehmen und die ließen ohnehin im Alter nach. Hingegen könnten andere eheliche Vorzüge erst nach mehreren Jahren genossen werden, wie der gegenseitige Beistand beispielweise bei der Haushaltsführung oder der Kindererziehung.9 Unter Verweis auf unvorhersehbare Schicksalsschläge wie schwere und bleibende Erkrankungen argumentierte Hume mit der Leidensfähigkeit der Menschen. So könnten sie sich, sofern es unvermeidlich und zwingend notwendig sei, an widrige Umstände gewöhnen und anpassen. Werde den Menschen jedoch wie mit einer Ehescheidung die Möglichkeit geboten, aus der leidvollen Situation bzw. Ehe zu e

5 6 7 8 9

LOTTES, Art. Montesquieu, in: Philosophenlexikon (2009), S. 377–379. KAUFMANN, Türckenbüchlein (2008), S. 36, 59. MONTESQUIEU, Briefe (1721), S. 214. HUME, Polygamy (1777), S. 202. N.N., Untersuchung (1760), S. 365f.

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V. EHESCHEIDUNGEN IN GESETZEN UND DEBATTEN

ntkommen, würden zerstrittene Paare ihre Bemühungen um das Zusammenleben einstellen und die Auflösung der Ehe vorziehen.10 Der französische Autor Jacques Le Scène-Desmaisons ließ 1781 die Fürsorge als Argument gegen die Scheidung nicht gelten: Nur bei unvermeidlichen Schicksalsschlägen seien Menschen derart leidensfähig und strebten andernfalls die Flucht aus der bedrückenden Situation an. Der unglückliche Partner mache dann seinen Gatten für sein Unglück verantwortlich und verstärke so die schon bestehende Abneigung. 11 Ohnehin erachtete Le Scène-Desmaisons das Eheversprechen der unveränderlichen Treue als sinnlos, richtete es sich doch gegen die Natur, gegen die Erfahrung. Die Unauflösbarkeit der Ehe sei unnatürlich, da sie auf Empfindungen basiere, die wandelbar seien und demnach nicht deren Kontinuität versprochen werden könne. 12 Eheleute würden ohne Scheidungsoption bequem und bemühten sich nicht mehr um den Partner oder einen respektvollen Umgang. Auch laut dem Hannoveraner Juristen und Oberkonsistorialrat Johann Carl Fürchtegott Schlegel beherrschten sich launische Eheleute kaum, da ihr Verhalten meist keine Konsequenzen habe.13 Ohne Aussicht auf eine Scheidungsmöglichkeit entfernten sich die Gatten laut den Befürwortern voneinander, den Gegnern zufolge bemühten sie sich dann aber umso mehr und näherten sich schrittweise an. Während laut Hume eine unzertrennbare Ehe die Partner zu mehr Bemühungen um einander ansporne, verursache sie laut Le Scène-Desmaisons erst den Drang, daraus auszubrechen. Im protestantischen Sachsen-Weimar-Eisenach spielten Überlegungen hinsichtlich der Vor-und Nachteile unauflösbarer Ehen nur insofern eine Rolle, als dass ein zu leichtfertiger Umgang mit der Ehescheidung den Ehepartnern keinen Anreiz biete, sich um die Paarbeziehung weiter zu bemühen und zu leichtfertigen, übereilten Scheidungsklagen verleiten würde.14 In einer fiktiven Korrespondenz, erschienen 1789 in der Zeitschrift Beiträge zur Beruhigung und Aufklärung, riet eine Ehefrau ihrer Freundin von deren Scheidungsplänen ab und erörterte die Vorteile der Ehe und die Nachteile der Scheidung. Unterschiedliche Charaktereigenschaften seien demnach durchaus gewinnbringend, weil sich die Partner dann aneinander weiterentwickeln, sich gegenseitig vervollständigen und ergänzen würden.15 Der unbekannte A.B.M. sah in der dauerhaften Bindung ebenfalls einen größeren Anreiz für die Gatten, sich um das Gelingen ihrer Ehe zu bemühen – wenn schon nicht aus Liebe, dann doch zumindest aus Eigennutz. Ohnehin seien die meisten Ehen anfangs wenig 10 11 12 13 14 15

HUME, Polygamy (1777), S. 203. LE SCÈNE-DESMAISONS, Vertrag (1784), S. 209f. Ebd., S. 67, 195. Ebd., S. 220; SCHLEGEL, Ehescheidung (1809), S. 37. Kap. V.4.2 und V.4.3. N.N., Klagen (1789), S. 636.

1. DEBATTEN UM DIE EHESCHEIDUNG IN DER PUBLIZISTIK

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harmonisch und erst die Fortdauer der Ehe und der beständige Umgang schaffe Gemeinsamkeiten und gewöhne die Partner aneinander. Beide eigneten sich eine vortheilhafte Gleichförmigkeit an und lernten anhand von Streitereien nachzugeben, sich dem andern anzupassen und immer gefälliger zu machen.16 Dem klassischen konservativen Eheverständnis entgegnete Montesquieu, dass schon bei der Partnerwahl ähnliche Charaktereigenschaften und Gefühle ausschlaggebend sein sollten. Die Ehe zweier unterschiedlicher und zudem zerstrittener Persönlichkeiten sei hingegen wie die Fesselung eines Lebenden an eine Leiche – ein Argument, dass sich in den Weimarer Scheidungsakten in der Verschiedenheit der Gemüter und der mangelnder Liebe oder Zuneigung, aber auch in einer zu hohen Altersdifferenz wiederfindet, die eigentlich die Charakterunterschiede als Trennungsgrund benennt.17 Fast denselben Wortlaut, ein lebendiger Körper, an eine Leiche gebunden, verwandte auch Le Scène-Desmaisons in Hinblick auf die Fortpflanzung der Eheleute und bezog sich damit wie auch mit anderen Passagen auf Montesquieu. Unglückliche Ehepaare trugen kaum zum Bevölkerungswachstum bei, da eine vollständige Hemmung in dem [sic] Kräislaufe des menschlichen Geschlechts eintrete. 18 Das in den ernestinischen Scheidungsakten genannte Argument des verfehlten Zwecks der Ehe klingt hier an. Bei den Ehepaaren verstärke sich die Abneigung gegeneinander und bei den Ledigen der Widerwille zur Heirat. Durch unglückliche Ehepartner und zahlreiche Ledige nähmen Ehebruch, Sittenlosigkeit und Prostitution zu und die Gesellschaft würde in ihrem Wachstum und ihrer Moral doppelt geschädigt. Heirateten die Männer in höherem Alter letztlich doch, zeugten sie schwächere Kinder. Verzweifelte Ehepartner würden sogar zum Mord verleitet, um der aussichtslosen Situation zu entfliehen.19 Die Befürworter der Scheidung sahen durch unauflösbare und nicht durch getrennte Ehen die Sittlichkeit gefährdet, weil die ausweglose Situation Aversionen gegen, und nicht etwa Bemühungen um ein Zusammenleben hervorriefen und zum Ehebruch verleiteten. Sie argumentierten wie auch die sachsen-weimarer Behördenmitglieder mit der starken Abneigung als triftigem Trennungsgrund und mit der negativen Vorbildwirkung zerstrittener Paare auf die Heiratsabsichten Lediger.

16 17 18 19

N.N., Untersuchung (1760), S. 367, 369. MONTESQUIEU, Briefe (1721), S. 214. Vgl. Kap. V.2.3. LE SCÈNE-DESMAISONS, Vertrag (1784), S. 72, 74. Ebd., S. 141f., 201–203; MONTESQUIEU, Briefe (1721), S. 215; N.N., Sühnsversuche (1808), S. 112.

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V. EHESCHEIDUNGEN IN GESETZEN UND DEBATTEN

Hume votierte in seinem Essay trotz der von ihm ausführlich erörterten Gegenargumente für die Scheidung. Nichts sei grausamer, als eine de facto schon durch Hass aufgelöste Verbindung gewaltsam zu erhalten. Dagegen sei die Freiheit der Scheidung ein effektives Mittel gegen innereheliche Konflikte und das einzige Geheimnis (only secret), die Liebe in der Ehe dauerhaft zu bewahren.20 Le Scène-Desmaisons stimmte mit Hume hinsichtlich der Konflikte überein: Angesichts der Möglichkeit der Scheidung würden die Eheleute die Auseinandersetzungen schneller beenden und nicht mehr Verbrechen gegen ihren Partner erwägen. Sie wären weniger zu unsittlichen Vergehen verleitet, womit durch die Scheidung letztlich die Sitten und die häusliche Eintracht profitierten.21 Ohne die potenzielle Auflösbarkeit der Ehen würde die allgemeine Sittlichkeit auch laut Schlegel nicht verbessert, sondern gemindert.22 Die Autoren waren sich darin einig, dass Staat und Gesellschaft von der Scheidung eher profitierten, da sie unglücklichen Ehegatten einen Ausweg bot, während die Unauflösbarkeit der Ehe zu Straftaten verleite. Gegen das häufig vorgebrachte Argument, von der Ehescheidung würde die gesellschaftliche Moral profitieren, protestierte 1805 ein nicht näher zu identifizierender Kaplan namens Jäger. Der katholische Kirchenreformer der Aufklärungszeit Benedikt Maria von Werkmeister hatte in seiner Streitschrift 1805 betreffend Jägers zuvor veröffentlichtem Plädoyer gegen katholische Ehescheidungen ebenfalls die Auflösung unglücklicher Ehen als die Sittlichkeit fördernd befürwortet. 23 Jäger antwortete, dass aus der Scheidung niemals Sittlichkeit hervorgehen könne, da allein die Trennungsmöglichkeit bei vielen unzufriedenen Eheleuten den Wunsch danach und nach unerlaubte[r] Liebe erst initiiere und Feindschaft in sonst friedlichen Ehen säte. Ähnlich hatten auch die weimarer Behördenmitglieder bei der Konzeption des neuen Ehegesetzes argumentiert, indem sie sich gegen die allzu ausführliche Beschreibung der Scheidungsmodalitäten aussprachen. Daraus gingen viele Trennungen und unglückliche Menschen hervor, so Jäger weiter, was wiederum dem Wohl des Staates entgegenstehe.24 Folglich wurde darüber debattiert, ob die Ehescheidung die gesellschaftliche Sittlichkeit eher verbessere oder verschlechtere. Die Diskussionsteilnehmer prophezeiten auch für den Ehealltag Vor- und Nachteile. Mit der Freiheit der Ehescheidung ertrügen sich die Ehegatten leichter und durch gegenseitige Schonung ein ganzes Leben lang. 25 Indem die Ehegatten angesichts einer möglichen, aber mit Schwierigkeiten verbundenen Ehescheidung 20 21 22 23 24 25

HUME, Polygamy (1777), S. 202. LE SCÈNE-DESMAISONS, Vertrag (1784), S. 141, 197, 199; HUME, Polygamy (1777), S. 202. SCHLEGEL, Ehescheidung (1809), S. 10f. JÄGER, Unzertrennbarkeit (1805), S. 10f.; v. WERKMEISTER, Bemerkungen (1805), S. 56. JÄGER, Unzertrennbarkeit (1805), S. 11f. SCHLEGEL, Ehescheidung (1809), S. 37; MONTESQUIEU, Briefe (1721), S. 215.

1. DEBATTEN UM DIE EHESCHEIDUNG IN DER PUBLIZISTIK

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überlegter heirateten, verhindere die Scheidung sich selbst und die Ehe wäre durch die Scheu vor einem langwierigen und kostspieligen Verfahren stabiler. Wie eine leichte Eifersucht sei die potenzielle Scheidung ein neuer Reiz, der die Liebe unterhalten und dauerhaft machen würde.26 Der unbekannte Verfasser des 1802 in der Zeitschrift Der Genius des neunzehnten Jahrhunderts erschienenen Aufsatzes Ehescheidung sah diese unter Befürwortern der Ehescheidung landläufige Position sogar durch die preußische Scheidungspraxis bestätigt, weil die dortigen Paare dadurch wohlüberlegter heirateten.27 Der unbekannte Autor A.B.M. bezweifelte, dass die Partner mehr Geduld aufbrächten, wenn sie die Ehe beliebig auflösen dürften. Wenn der Gatte kurzfristig die Beziehung ohne triftige Gründe beenden könne, investierten die Eheleute wohl weder Energie noch Geld in die Ehe. Angesichts einer Scheidung verfolgten Ehepartner statt einem gemeinsamen Ziel laut Hume unterschiedliche Interessen und stritten häufiger. 28 Dagegen wandte Le Scène-Desmaisons ein, dass allein die Möglichkeit noch lange nicht zur Ehescheidung verpflichte oder die Ehe unweigerlich darauf hinauslaufe. Wie sonst auch würden die Gatten grundsätzlich eine lebenslange, auf emotionaler Zuneigung basierende Gemeinschaft anstreben und sich nur notfalls noch vor der Entstehung starken Hasses trennen. Schließlich sei laut Hume die Scheidung auch eine Chance auf eine neue, harmonischere Beziehung und gemäß Le Scène-Desmaisons auf zusätzliche, die Bevölkerung vermehrende Geburten. 29 Während unter anderem laut Montesquieu und Schlegel die Scheidung die Bindung unter den Eheleuten stabilisiere und auch für die Gesellschaft bereichernd wirke, würden sich die Gatten – so Hume und A.B.M. – vermehrt streiten und die Ehe vernachlässigen. Die verschiedenen Positionen in der Debatte um die Ehescheidung können überwiegend zwei kontrahierenden Lagern zugeordnet werden. Während die Gegner der Scheidung am konventionellen Ehe- und Familienbild festhielten, öffneten sich die Befürworter gegenüber neuen Leitideen. Wie die Gegner berücksichtigten auch die Befürworter staatliche Interessen wie die Wahrung der öffentlichen Ordnung oder gesunde, erzogene Kinder für ein stetiges Bevölkerungswachstum. Sie verstanden es jedoch, öffentliche Belange mit den individuellen Bedürfnissen argumentativ gewinnbringend zu verknüpfen. Sowohl Staat und Gesellschaft als auch das Paar profitierten demnach von einer Scheidung, während die Fortführung unglücklicher Ehen beiden schadete.

26 27 28 29

LE SCÈNE-DESMAISONS, Vertrag (1784), S. 219, 221. N.N., Ehescheidung (1802), S. 194. N.N., Untersuchung (1760), S. 368f.; HUME, Polygamy (1777), S. 204. HUME, Polygamy (1777), S. 201f.; LE SCÈNE-DESMAISONS, Vertrag (1784), S. 197f., 214.

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V. EHESCHEIDUNGEN IN GESETZEN UND DEBATTEN

Einen neuralgischen Punkt der Ehescheidungsdebatte bildete deren Deutung als bürgerlicher Vertrag. Im Zuge der frühen Aufklärung interpretierten Naturrechtsphilosophen die Ehe nicht mehr als kirchliche, sondern als durch den mündigen Menschen geschlossene Verbindung, die etwa laut Montesquieu gleich allen anderen Verträgen aufgelöst werden könne, wenn dessen Zwecke nicht erfüllt würden.30 Mit der zunehmenden Adaption des Vertragsrechts etwa durch Jean-Jacques Rousseaus Gesellschaftsvertrag zur Einordnung sozialer Interaktion fand auch eine naturrechtliche Interpretation der Ehe als Übereinkunft mündiger Vertragspartner und damit deren Lösung aus der traditionellen Deutung als symbolischer Bund des Menschen zu Gott statt.31 Als repräsentativ für die Position der Vertragsbefürworter gilt Karl Ludwig Pörschkes 1795 erschienenes Werk Vorbereitungen zu einem populären Naturrechte. Darin schreibt er über die Ehe: Die Ehe ist ein Vertrag zwischen Personen beyderley Geschlechtes, um zusammen in der engsten Verbindung zu leben. […] Der Zweck bey der Ehe muß jedes Willkühr überlassen werden, jeder darf bey seiner Heirath Bedingungen eingehen, welche er will, er darf die Ehe auf so lange als er will, schließen, und sie mit Einwilligung des andern Theiles auch vor der Zeit aufheben.32 Pörschke spricht sich in seinem Buch für die Mündigkeit beider Ehepartner aus und schreibt ihnen die Entscheidungsbefugnis zu, die Ehe eigenständig einzugehen und auch aufzulösen. Der Vertragscharakter fand schließlich Eingang in Gesetzeskodifikationen wie das Allgemeine Landrecht oder den Code Civil und wurde auch in den Debatten Sachsen-Weimar Eisenachs rezipiert. Autoren des 19. Jahrhunderts wie von Werkmeister erachteten eine Scheidung als legitim, wenn ihre wechselseitige Verbindlichkeit durch Vertragsbruch aufgehoben wäre.33 Die Gegner wie etwa Jäger erwiderten, dass Eheverträge nicht mit bürgerlichen Verträgen gleichzusetzen seien. Sie unterlägen laut von Werkmeister höheren göttlichen Gesetzen und könnten daher als von Gott gestiftete Verbindungen nicht durch Menschen getrennt werden. 34 A.B.M. sah die Unauflösbarkeit der Ehe als eine ihrer Bedingungen an, unter denen sie geschlossen wurde und worauf sich beide Parteien zu Vertragsbeginn geeinigt hatten. Zudem widerspreche die Ehescheidung den Zwecken, die die Ehe als Vertrag erfüllen müsse und worin beide Gatten einwilligten, etwa der Zeugung und Erziehung der Kinder.35 Folglich wäre die Ehe ein gemäß ihren eigenen Bedingungen nicht auflösbarer Vertrag. Demnach sahen auch die Autoren der 30 MONTESQUIEU, Briefe (1721), S. 216. 31 SCHWAB, Familie (1972), S. 357–375; DERS., Art. Familie, in: GG 2 (1975), S. 281; SCHILD, Anmerkungen (2010), S. 143–157. 32 PÖRSCHKE, Vorbereitungen (1795), S. 230f. 33 V. WERKMEISTER, Bemerkungen (1805), S. 59; MONTESQUIEU, Briefe (1721), S. 216. 34 V. WERKMEISTER, Bemerkungen (1805), S. 69; JÄGER, Unzertrennbarkeit (1805), S. 16f. 35 N.N., Untersuchung (1760), S. 370f.

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protestantischen Publizistik in der Ehe eine christliche, vor und durch Gott geschlossene Verbindung, die nicht gemäß den neuen bürgerlichen Ehevorstellungen gleich einem Vertrag aufgelöst werden könne. Als ein Argument gegen die Unauflösbarkeit der Ehe führten Autoren die Notwendigkeit einer stetig wachsenden Bevölkerung an. Die Persischen Briefe erklärten die wenigen Nachkommen christlicher Familien damit, dass nicht zusammenpassende und nicht zu versöhnende Eheleute lebenslang aneinandergebunden seien. Weil Scheidungen unter katholischen Christen unzulässig seien, können die unglücklichen Partner nicht gewechselt werden. Dadurch würden trotz vieler Ehen weniger Kinder gezeugt. Laut Montesquieu wirkte sich die Unterbindung der Scheidung und Wiederverheiratung auf die christlichen Staaten nachteilig aus, weil sie sich selbst damit eine starke Population versagten. Seine Forderungen entsprachen ganz den Staats- und Gesellschaftslehren des merkantilistischen Zeitalters, nach denen große Bevölkerungen den Reichtum und die Macht eines Staates verkörperten, weil entsprechend mehr produziert und gehandelt werden konnte.36 Dadurch ordnete er die von anderen Autoren auch innerhalb der Debatten um Illegitimität befürchtete Abwertung familialer und christlicher Werte der wirtschaftlichen und militärischen Potenz unter. Le Scène-Desmaisons wertete die durch Scheidung und Wiederverheiratung gezeugten Kinder ebenfalls als Bevölkerungszuwachs und damit als Vorteil für den Staat. Die von Hume thematisierte Scheu auch der geschiedenen Eltern, den Nachwuchs vom neuen, für die Kinder fremden Partner des anderen mit erziehen zu lassen, wodurch die Kinder unter mangelnder Zuneigung der Stiefeltern leiden könnten, sei laut Le Scène-Desmaisons ein Privatgefühl, wovon der Gesetzgeber befreyt seyn soll. So seien doch auch von Fremden Aufgezogene trotz der fehlenden natürlichen elterlichen Liebe und Sorgfalt nicht übel berathen. Vielmehr würden Stiefeltern eher als die leiblichen Eltern Charakterfehler erkennen und die Kinder wären weniger launisch, weniger dickköpfig und dafür umso gesellschaftsfähiger. Vor allem müssten Scheidungskinder nicht, wie auch Montesquieu betonte, die für die Erziehung nachteiligen Streitereien der Eltern miterleben – ein, wie sich zeigen wird, in den Weimarer Scheidungsakten wirkungsvolles Argument.37 Sowohl Gegner als auch Befürworter sorgten sich um das Wohl der Scheidungskinder. Der von Carl August so vehement kritisierte Hugo wies auf das Leid der Kinder bei der Trennung der Eltern hin. Hume und der unbekannte A.B.M. wollten die Verantwortung über die Ehescheidung angesichts der potenziell schlechten Erziehung durch Stiefväter und -mütter den leiblichen Eltern gar nicht

36 MONTESQUIEU, Briefe (1721), S. 215; FUHRMANN, Volksvermehrung (2002), S. 413. 37 LE SCÈNE-DESMAISONS, Vertrag (1784), S. 212f.; HUME, Polygamy (1777), S. 202; MONTESQUIEU, Briefe (1721), S. 215.

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erst zugestehen. 38 Die fiktive Briefautorin des 1789 anonym veröffentlichten Beitrags Klagen einer unglücklichen Ehefrau und Beruhigungen derselben durch ihre Freundin würde einer Mutter niemals zu einem Verfahren gegen den Gatten oder gar zu einer Scheidung raten. Kinder geschiedener Eltern seien verwahrlost, unglücklicher als Halbwaisen und litten dauerhaft unter der Scheidung.39 Auch wirkten sich die zu befürchtenden Vereinnahmungsversuche durch den nichterziehenden Ehegatten nachteilig auf die Kinder aus und könnten durch Vormünder nicht verhindert werden. A.B.M. warnte zudem vor der prekären Versorgung der Scheidungskinder. Durch die Trennung könnten die Eltern weder für ihre Nachkommen noch füreinander die gleiche Versorgung wie in der Ehe aufrechterhalten, zumal sich vor allem bei älteren Kindern die Ausgaben verdoppelten und der eheliche Beistand am dringendsten benötigt würde.40 Alle Diskutierenden waren sich letztlich einig, dass sich die Scheidung mehr oder weniger nachteilig auf die Kinder auswirke. Sie stritten jedoch darüber, ob die Folgeschäden durch die Fortführung der unglücklichen Ehe größer seien.

1.3. Zahlreiche Ehescheidungen – Deutungsansätze und Maßnahmen Innerhalb der Debatten um die Ehescheidungen sind mehrere Deutungsmuster erkennbar, warum vermeintlich viele Ehen geschieden wurden und wie dem vorzubeugen sei. Ein unbekannter Autor identifizierte 1808 in der Zeitschrift Schlesische Provinzialblätter übereilt geschlossene Ehen als Ursache zahlreicher Trennungen und die höheren Stände als schlechtes Vorbild für die niederen – ein Argument, das auch in den Debatten um die Ursachen unehelicher Geburten anklang.41 Der Entstehungskontext des Beitrages ist nicht bekannt und es kann daher lediglich vermutet werden, dass zwischen den hohen preußischen Scheidungszahlen und der Wahrnehmung des Autors, dessen Beitrag im damals preußischen Breslau publiziert wurde, ein Zusammenhang besteht. Neben der legitimierenden Wirkung übereilter Eheschließungen und -scheidungen der höheren Gesellschaftsschichten für die unteren Schichten identifizierte der Autor Scheidungen als gesamtgesellschaftliches Phänomen. Dass sie sich bei den niedrigeren Ständen angeblich häuften, führt er darauf zurück, dass die Oberschicht ehelichen Dissenz eher versteckte und eine öffentliche Trennung aufgrund damit verbundener Ressentiments vermied. Hierin identifizierte er zugleich eine Ursache für vermehrten Ehebruch. 38 39 40 41

HUME, Polygamy (1777), S. 202, 268; N.N., Untersuchung (1760), S. 370. N.N., Klagen (1789), S. 632–634. N.N., Untersuchung (1760), S. 367, 370f. N.N., Sühnsversuche (1808), S. 111.

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Angesichts mangelnder Moral auch in den höheren Schichten erachteten mehrere Autoren die Förderung der Sittlichkeit und der Tugenden durch Arbeitsamkeit und Tätigkeit als Maßnahme gegen Ehescheidungen. Indem berufliche Verdienste honoriert wurden, seien die Eheleute glücklicher und Ehescheidungen letztlich überflüssig.42 Die Zufriedenheit im Arbeitsalltag sollte auf die Ehe ausstrahlen. Schlegel und der evangelische Theologe Carl Wilhelm Wiedenfeld verpflichteten Staat und Kirche zur Prävention unnötiger Trennungen, indem unter anderem die Prediger die Gläubigen an die Heiligkeit und Unauflösbarkeit der Ehe sowie an die Folgen der Scheidung für das Leben auch nach dem Tod erinnern, die eheliche Eintracht gezielt fördern sowie erzwungene Heiraten unterbinden sollten. Gleichsam sollten Eltern und Verwandte das Gelingen einer Ehe unterstützen und etwa die Heiratswünsche ihrer Kinder berücksichtigen.43 Nicht Zwang und Strafen, sondern etwa Hilfestellungen durch das soziale Umfeld erhielten und stabilisierten demnach die Ehen. Jäger und Schlegel problematisierten die vielen ungewollt Ehelosen wie Soldaten und Staatsdiener als Ursachen zahlreicher Trennungen, die durch die unerlaubte Befriedigung ihres Geschlechtstriebs mit Ledigen oder Verheirateten der Sittlichkeit schadeten und Ehebrüche provozierten. Deren Heirat würde die Moral erheblich steigern.44 Der unbekannte Verfasser von Ehescheidung und auch Hugo betonten zudem, dass Hochzeiten und auch Scheidungen in einem angemessenen Rahmen vollzogen werden sollten und bei der Auflösung der Ehe Förmlichkeiten sehr rathsam seien.45 Ein aufwändiger Prozess sollte demnach den Paaren die Ehescheidung verleiden. Von Werkmeister befürwortete angesichts zahlreicher allzu leichtfertig geschiedener Ehen, dass die Fürsten auf das Ehescheidungswesen ihrer Staaten aufmerksam gemacht und vor den Gefahren des öffentlichen Wohls und der öffentlichen Sicherheit gewarnt werden, die nicht ausblieben, wenn die Ehescheidungsgesetze zu leichtfertig angewandt würden.46 Er sah die Regenten und Gesetzgeber in der Verantwortung, die Sittlichkeit durch angemessene Gesetze zu schützen, da sich durch nachlässig behandelte Ehen die Unmoral über den gesamten Staat verbreite. Nicht die Ehepartner oder die Behörden, sondern die Landesherrn und Gesetzgeber machte von Werkmeister für die zahlreichen Scheidungen verant42 N.N., Ehescheidung (1802), S. 195; WIEDENFELD, Ehescheidung (1837), S. 35; SCHLEGEL, Ehescheidung (1809), S. 19. 43 WIEDENFELD, Ehescheidung (1837), S. 35; SCHLEGEL, Ehescheidung (1809), S. 15–17, 19. 44 JÄGER, Unzertrennbarkeit (1805), S. 13; SCHLEGEL, Ehescheidung (1809), S. 20. 45 N.N., Ehescheidung (1802), S. 191; HUGO, Lehrbuch (1809), S. 270. 46 V. WERKMEISTER, Bemerkungen (1805), S. 68f. Von Werkmeister bezog sich vermutlich auf den Reformpädagogen Martin Ehlers, der neben Beiträgen zum Schulwesen auch die Monografien Winke für gute Fürsten, Prinzenerzieher und Volksfreunde (1786) und Betrachtungen über die Sittlichkeit der Vergnügungen (1779) publizierte.

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wortlich und traute vor allem ihnen deren Eindämmung zu. Wenngleich sich von Werkmeister für die Interessen der Scheidungswilligen und ein liberaleres Recht einsetzte, bewertete er allzu viele Scheidungen dennoch als staatsschädigend.47 Zeitgenossen stimmten ihm hinsichtlich der hohen Erfolgsquote von Scheidungsanträgen zu. Von einer gezwungene[n] Fortsetzung der Ehe […] darf sich niemand irre machen lassen. Man weiß schon, daß es damit nicht so böse gemeint ist, und daß bei wiederholter Klage die Scheidung doch endlich erfolgt […]. Der Autor nahm 1808 einen zu nachsichtigen Umgang der Obrigkeit mit scheidungswilligen Paaren wahr, der wiederum anderen zerstrittenen Eheleuten die mitunter niedrigen Hürden eines Scheidungsverfahrens vor Augen führte und damit zu Ehescheidungsanträgen motivierte. Er sah in nachlässigen Entscheidungsträgern die Verursacher zahlreicher geschiedener Ehen und bestätigt damit die für Sachsen-Weimar-Eisenach aufgestellte These. Ehescheidungen den Untergerichten zu überlassen, hätte einer Ehescheidungsklage die vormals abschreckende Wirkung eines notwendigen [sic] Urtels von der hohen Landesregierung genommen. 48 Entsprechend waren die Rahmenbedingungen in Weimar bereits erschwert, da dort die Ehescheidung nach wie vor bei den oberen Landesbehörden lag. Die hohen Scheidungszahlen sind vor diesem Hintergrund umso bemerkenswerter. In anderen Territorien schieden die Unterobrigkeiten mitunter so zügig, dass die Trennung der Eheleute kaum öffentlich wahrnehmbar gewesen sein soll: Wirklich geht es dabei oft so schnell und geräuschlos her, daß andre Leute von der geschehenen Trennung kaum eher etwas erfahren, […]. Dadurch war eine weitere Hemmschwelle genommen: die Nachteile für das Ansehen der Ehepartner durch einen langwierigen Scheidungsprozess, der die innerehelichen Konflikte aufdeckte. Um eine abschreckende Wirkung zu erzielen, forderte der Autor, dass eine Scheidung wie auch die Eheschließung eben so in der Kirche geschehen [sollte], als vorher die Trauung.49 Er wollte ähnlich den zu Beginn des 19. Jahrhunderts weitestgehend abgeschafften öffentlichen Strafen für Unehelichkeit wie das Prangerstehen auch Ehescheidungen durch deren Bekanntmachung sanktionieren. Offenbar sah er noch immer genügend Rückhalt in der Gesellschaft für seine Ablehnung getrennter Ehen. Gleichsam kann der Vorschlag einer Trennung in der Kirche durch deren zunehmenden Bedeutungsverlust in der Ahndung von Sittlichkeitsdelikten zu werten sein, dem der Autor möglicherweise entgegensteuern wollte. Le Scène-Desmaisons plädierte für eine reife Ueberlegung, tiefe Prüfung, entscheidende Empfindung und damit für eine offizielle Bedenkzeit zwischen dem Scheidungsantrag und dem endgültigen Beschluss. So sollten mehrere scheidungswillige Paare erst nach einem halben Jahr geschieden werden, in dem jeweils nach 47 Ebd. 48 N.N., Sühnsversuche (1808), S. 112f. 49 Ebd., S. 113f.

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drei Monaten ein Verhör stattfand und dabei mehrfach der Scheidungswunsch vom Paar zu wiederholen war.50 Zusätzliche Sühneversuche schlug unter anderem auch Hugo vor. Durch versöhnende Verhörtermine und Bedenkzeit wollte Le Scène-Desmaisons die Wichtigkeit des Ehestandes unterhalten und übereilten Entscheidungen vorbeugen. Nach einem halben Jahr seien die von starker gegenseitiger Abneigung gezeichneten Ehen jedoch endgültig zu trennen, da sie dann erfahrungsgemäß nicht mehr versöhnt werden können.51 Zwar empfahl Le Scène-Desmaisons ein die Ehe würdigendes und vorgeblich strenges Verfahren. De facto ist eine Ehescheidung nach nur einem Jahr angesichts der damaligen, mitunter jahrelang geführten Scheidungsprozesse, die auch wiederholte einjährige Trennungen von Tisch und Bett beinhalteten, als äußerst wohlwollende Entscheidung zu bewerten. Derartige Gesetze für reguläre Scheidungsverfahren hätten scheidungswilligen Paaren die Auflösung ihrer Ehen immens erleichtert. Den bislang gesichteten Scheidungsakten und Studien zufolge konnten wohl abgesehen von Ausnahmen nur Scheidungen durch landesherrlichen Dispens zügiger erfolgen – nur wenige Monate nach Eingang des Gesuchs. In den Augen Schlegels war ein Hinauszögern der Ehescheidung durch eine Trennung von Tisch und Bett nicht zielführend, da sie die Gatten nur noch mehr voneinander entfernte und auch staatliche Interessen im Sinne geordneter familialer Verhältnissse unter zahlreichen nur noch zum Schein bestehenden Ehen litten.52 Andere Autoren kritisierten die gängige Praxis der Sühneversuche durch Geistliche, da sie als Strafmaßnahme der ohnehin mangelnden Frömmigkeit der Eheleute zusätzlich schadeten. Stattdessen sollten die Versöhnungstermine durch nahestehende Verwandte oder Bekannte vorgenommen werden, die in die individuellen Lebensumstände des Ehepaares eingeweiht waren.53 Um voreiligen Scheidungen entgegenzuwirken, waren sie laut einem 1760 veröffentlichten anonymen Beitrag generell zu erschweren, da die meisten Trennungen im Affekt geschähen und die Anträge oft nicht durchdacht seien. Derart unüberlegte Scheidungen zu bewilligen benachteilige die betroffenen Paare, die später ihre übereilte Entscheidung bereuten, andernfalls jedoch die Möglichkeit zur Versöhnung erhielten, ohne vor der vernünftigen Welt zum Spotte zu werden, und ohne Furcht ihr Elend zu verdoppeln. Sollten tatsächlich triftige Gründe vorliegen und die Scheidung zu unserer Wohlfahrt unvermeidlich sein, würde eine gewissenhafte Obrigkeit ohnehin scheiden.54 Wiedenfeld votierte noch 1837 für einen 50 51 52 53 54

LE SCÈNE-DESMAISONS, Vertrag (1784), S. 222. Ebd., S. 223; N.N., Ehescheidung (1802), S. 191; HUGO, Lehrbuch (1809), S. 270. SCHLEGEL, Ehescheidung (1809), S. 39f. N.N., Sühnsversuche (1808), S. 114f., 117–119; GUBALKE, Sühn-Versuch (1810), S. 414. N.N., Untersuchung (1760), S. 367f.

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strengeren Gebrauch des Ehescheidungsrechts, da die zu vermeidende Ehescheidung nur angewandt würde, um noch größere Vergehen zu verhindern. Sogar der von Carl August massiv kritisierte Hugo räumte ein, dass eine leicht aufzulösende Ehe fast gar keine sei und die ungehinderte Scheidung die Ehe folglich entwerte.55 Zugleich sollte laut Hugo jedoch das in einem Staat geltende Recht nicht der Maßstab für dessen Sittlichkeit sein, da die Gesetzgeber mitunter falsche Vorstellungen von der Bewältigung innerehelicher Konflikte hätten und die Scheidung deshalb erschwerten.56 Hugo argumentierte damit für und gegen die Scheidung, die nicht durch realitätsferne Juristen beschlossen werden dürfe und dennoch nicht durch zu häufige Anwendung entwertet werden solle. Eine angemessene Scheidungspraxis verantworteten demnach nicht die scheidungswilligen Paare, sondern der Staat. Angesichts des damaligen Ehe- und Scheidungsrechts schlussfolgerte er, daß die ganze Ehe eine mangelhafte Einrichtung ist.57 Die hohen Scheidungszahlen Preußens und Sachsen-Weimar-Eisenachs waren demnach durch die Obrigkeiten verschuldet und Hugo scheint sogar, ähnlich August von Einsiedel, die Ehe an sich zu hinterfragen. Der unbekannte Autor des 1802 erschienenen Aufsatzes Ehescheidung plädierte hingegen ganz klar für ein reibungsloseres Verfahren, denn Scheidungen sind nicht das sittenlose Uebel, schlechtgeführte Ehen sind es. Daher komme die Abweisung zerstrittener scheidungswilliger Paare der Duldung häuslicher Streitereien gleich und blockiere eine Verbesserung und Weiterentwicklung.58 Auch er hob die Vorteile getrennter gegenüber streitenden Paaren im Sinne einer Vorbildwirkung und zur Vermeidung öffentlichen Aufsehens hervor.

1.4. Alte und neue rechtskräftige Scheidungsgründe Über triftige Scheidungsgründe führten Protestanten und Katholiken unterschiedliche Debatten, da Erstere die anerkannten Ursachen ausweiten oder begrenzen wollten, während Letztere generell um die Zulässigkeit der Ehescheidung stritten. Der aufklärerische Kirchenreformer von Werkmeister setzte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts für eine Scheidung katholischer Ehen ein. Da sich die Gatten mit der Heirat zu gegenseitiger Treue verpflichteten, sei Ehebruch ein triftiger Scheidungsgrund. Jäger erkannte in seiner Antwort Untreue nicht als hinreichende Ursache an, weil die Verbindlichkeit der Ehegatten dadurch nicht 55 56 57 58

HUGO, Lehrbuch (1809), S. 268; WIEDENFELD, Ehescheidung (1837), S. 34. HUGO, Lehrbuch (1809), S. 268. Ebd., S. 266. N.N., Ehescheidung (1802), S. 192f.

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aufgehoben sei. 59 Katholische Kirchenrechtler diskutierten demnach, ob und, wenn ja, welche Ereignisse die Trennung einer vor Gott geschlossenen Ehe rechtfertigten. Sie argumentierten dazu auch mit den einschlägigen Passagen der Bibel, die jedoch für die im protestantischen Sachsen-Weimar-Eisenach angewandten Scheidungsgründe und geführten Debatten, soweit aus den Quellen ersichtlich, kaum relevant waren.60 Autoren aus einem protestantischen Umfeld bemängelten die wohlwollende Anpassung bestehender Gesetze an den Zeitgeist, wodurch die Entscheidungsträger aus einer Vielzahl an Begründungen auswählen könnten. Daneben existierten noch eine ganze Menge kleinere Pförtchen, die einen Ausweg aus der Ehe böten.61 Laut dem evangelischen Theologen Wiedenfeld seien die Scheidungsursachen grundsätzlich diskutabel, da aufgrund der verschiedenen lutherischen Schriften keine einheitliche Maßgabe zu triftigen Gründen existiere. Zwar würden die Kirchenordnungen Ehebruch und bösliche Verlassung vorgeben, die Scheidungspraxis der protestantischen Staaten habe jedoch seit der Reformation stark variiert, da die Konsistorien allmählich auch andere, die eheliche Treue verletzende Ursachen zuließen. Wiedenfeld erachtete die Ehescheidung hingegen nur bei Unzucht oder bei Verlassung bzw. aufgrund der Ablehnung der christlichen Religion als zulässig.62 Demnach wollte er die bislang angewandten Scheidungsgründe massiv beschränken und sogar bösliche Verlassung nur bedingt als Argument gelten lassen. Am Beispiel der böslichen Verlassung zeigte Hugo die Diskrepanz zwischen geltendem und praktiziertem Recht auf: Unsere Praxis, jede Ehe wegen einer notorisch blos verabredeten Reise der Frau zu trennen, war abscheulich, und wenn hierin unsre Sitten nicht besser wären, als unser Recht, so würde die Ehe, auf welche doch unser ganzer gesellschaftlicher Zustand gebaut seyn soll, ein sehr morscher Pfeiler seyn. 63 Die Anmerkung ist etwas widersprüchlich, sprach der Autor doch von der Praxis, die Ehen aufgrund von nur scheinbarem, weil verabredetem Verlassen leichtfertig zu trennen. Er zeigte sich angesichts der tatsächlich geltenden Sitten erleichtert, weil demzufolge und entgegen geltendem Recht nicht übereilt geschieden werde. Mit Praxis meinte Hugo wohl eher das praktisch gültige Recht und damit nach heutigem Verständnis die Theorie oder das einst angewandte Recht, also eine vergangene Praxis. Das Recht sah demnach unbürokratische Trennungen infolge von nur flüchtig abgesprochenen Reisen vor, die scheidenden Richter legten jedoch angesichts geltender Sitten einen strengeren Maßstab an und ließen nur schwer59 60 61 62 63

V. WERKMEISTER,

Bemerkungen (1805), S. 60; JÄGER, Unzertrennbarkeit (1805), S. 18. Vgl. die Kapitel zwei bis fünf in: JÄGER, Unzertrennbarkeit (1805). N.N., Sühnsversuche (1808), S. 112. WIEDENFELD, Ehescheidung (1837), S. 7, 15, 31f. HUGO, Lehrbuch (1809), S. 269.

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V. EHESCHEIDUNGEN IN GESETZEN UND DEBATTEN

wiegende Formen der böslichen Verlassung gelten. Wäre geltendes Recht konsequent angewandt worden, hätten die Gerichte wesentlich mehr Paare aufgrund böslicher Verlassung geschieden. Selbst die konsensfähigen, triftigen Scheidungsursachen wurden offenbar unterschiedlich angewandt und ausgelegt. Andere Gründe außer Ehebruch und bösliche Verlassung wurden zuweilen, beispielsweise im Allgemeinen Landrecht, als triftig anerkannt, blieben in der Publizistik hingegen umstritten. 64 Inwieweit Impotenz oder damit einhergehende Kinderlosigkeit Rechtskraft besaßen, hing von der jeweiligen Definition der ehelichen Zwecke und deren Wertigkeit für die Fortführung der Ehe ab. Aufgrund fehlender eindeutiger Regelungen etwa durch Luther schufen die Diskussionsteilnehmer eigene Richtlinien, an denen sie die Scheidungsgründe maßen. Laut Schlegel sollten das Wohl des Staates und das bürgerliche Wohl der einzelnen Individuen also, in möglichster Uebereinstimmung mit den Forderungen des Sittengesetzes als Orientierung dienen. 65 Staatliche und individuelle Interessen waren für ihn gleichermaßen beim Ehescheidungsrecht zu berücksichtigen. Andere Autoren orientierten sich eher an idealisierten Ehe- und Familienvorstellungen. Laut von Werkmeister sei bei einem Verbot der Ehescheidung auch die Trennung von Tisch und Bett unzulässig, da sie die Zwecke der Ehe ebenso behindere – nämlich sich gegenseitig sexuell zu befriedigen, Kinder zu zeugen und zu erziehen und zusammenzuleben. Seine Kontrahenten bestritten, dass die Fortpflanzung der Hauptzweck der Ehe sei, da für Jäger von Krankheit geprägte Ehen andernfalls ebenso wenig bestehen würden.66 Laut Schlegel müsse auch eine kinderlose Ehe fortgeführt werden, da andernfalls die Fortdauer der Ehe allein von ihrem Erfolg oder von Unglücksfällen abhinge. Zudem trügen kinderlose, glückliche Paare ebenso oder noch mehr als eine kinderreiche, aber zerrüttete Ehe zum Wohl des Staates bei. Das Adoptionsrecht sollte gleich dem Code Civil kinderlose Paare begünstigen, wodurch Ehen bereichert und hilflose Kinder zu nützlichen Bürgern erzogen würden. Schließlich könnten weder der Staat noch geschiedene kinderlose Ehen den ehelichen Zweck der Erziehung erfüllen. 67 Schlegels Ehe- und Familienideal bestimmten weniger die gemeinsamen Kindern als vielmehr die Dauerhaftigkeit der ehelichen Beziehung, die noch mehr als die Fortpflanzung eine Ehe aufwertete. Montesquieu erachtete hingegen zeugungsunfähige Partner und deren Ehen als nutzlos für die Fortpflanzung der Art und verwies dabei wiederholt auf das bereits zitierte Bild von der Fesselung eines Lebenden an eine Leiche. Sein unbekannter Widersacher A.B.M. stufte eine Scheidung infolge von Impotenz 64 SCHLEGEL, Ehescheidung (1809), S. 41. 65 Ebd., S. 25. 66 V. WERKMEISTER, Bemerkungen (1805), S. 61; JÄGER, Unzertrennbarkeit (1805), S. 19. 67 SCHLEGEL, Ehescheidung (1809), S. 26f., 59.

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oder anderer Krankheiten als grausam ein. Der gesunde Partner genoss die Vorzüge der Ehe, stünde dem Kranken aber nicht in dessen schweren Zeiten bei. Sei die Unfruchtbarkeit von der natürlichen Leibesbeschaffenheit verursacht, würde keine christliche Obrigkeit die Ehescheidung versagen. Die Heilbarkeit von Krankheiten sei jedoch oft kaum zu beurteilen, weshalb die Ehescheidung dann im Ermessen eines klugen Richters liege. Sollten Scheidungen infolge von Impotenz generell gestattet werden, würden wohl viele Menschen gar nicht heiraten wollen.68 Schlegel gestand dem Scheidungsrecht auch Ausnahmen von den genannten Ursachen für solche Ehen zu, die sowohl den Eheleuten als auch dem Staat massiv schadeten. Deshalb sei auch die Ehescheidung durch landesherrlichen Dispens nicht auf spezifische Ursachen und Umstände einzuschränken und grundsätzlich in allen Fällen statthaft. Dennoch sollten Dispensationen nur ausnahmsweise, und zwar dann erteilt werden, wenn nützliche Mitglieder des Staates dadurch vor einem vernichtenden Schicksal bewahrt würden, wenn sittsame Eheleute unverschuldet in eine ganz unglückliche Lage gerieten, wenn zwar triftige Gründe vorlägen, die Eheleute aber öffentliches Ärgernis vermeiden wollten oder ehrwürdige Verhältnisse geschont werden müssten.69 Schlegel unterstellte die Scheidung vor allem staatlichen Interessen. Carl August konnte mit dem juristischen Gutachten Schlegels sämtliche Dispensscheidungen etwa Adliger oder Hofangestellter rechtfertigen. Tatsächlich besaßen die Jenaer Juristen ein Exemplar von Schlegels Publikation, sodass dessen Ansichten die juristischen Ratschläge an den Landesherrn beeinflusst haben könnten.70 Die oben vorgestellten, offenbar privilegierten Scheidungen galten demnach auch einigen Juristen nicht nur aufgrund landesherrlicher Macht, sondern auch im Sinne innerer staatlicher Stabilität als völlig legitim.71 Das in Sachsen-Weimar-Eisenach häufig angeführte Argument der starken (wechselseitigen) Abneigung und die damit einhergehende Unversöhnlichkeit der Ehepartner erkannte auch Gustav Hugo als triftig an und berief sich auf den Code Civil.72 Ähnlich positionierten sich die Oberkonsistorialmitglieder des schleswigholsteinischen Glückstadt. Die Ehe sollte die Quelle alles Vergnügens und aller der Annehmlichkeiten sein, weshalb sie geschieden werden könne, wenn ihre Zwecke nicht erfüllt wurden und sie stattdessen eine Quelle des Unglücks, des Elends und des Missvergnügens darstelle und wenn Feindschaft und Erbitterung der Gemüther den höchsten 68 MONTESQUIEU, Briefe (1721), S. 214f.; N.N., Untersuchung (1760), S. 369. 69 SCHLEGEL, Ehescheidung (1809), S. 44f., 67f., 74. 70 Es gehörte Karl Ernst Schmid, Jurist an der Universität Jena, Oberappellationsgerichtsrat und Ordinarius des Schöppenstuhls: ebd., [Innenseite des Einbands]; Staatskalender 1810–1827. 71 Zu einer Scheidungspolitik im Sinne staatlicher Interessen: R. BECK, Frauen in Krise (1992), S. 142; HABERMAS, Kampf um Leib (1992), S. 120. 72 HUGO, Lehrbuch (1809), S. 269.

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V. EHESCHEIDUNGEN IN GESETZEN UND DEBATTEN

Grad erreichten.73 Laut den Münsterdorfer Konsistorialmitgliedern waren Ehen aufgrund von irreversibler Antipathie zu scheiden, weil dann der Zweck der Ehe gänzlich verfehlt sei. Das Argument der gegenseitigen Abneigung und Unversöhnlichkeit lehnten die Gegner des liberalen Scheidungsrechts vehement ab. Laut Schlegel würde beides eine Scheidung nicht ausreichend begründen, sofern nicht noch weitere rechtskräftige Argumente vorlägen. Scheidungen aufgrund einer gegenseitigen Abneigung seien ohnehin nur vollzogen worden, wenn die erhebliche Verletzung der ehelichen Pflicht die unüberwindliche Antipathie veranlasste und der Widerwille auch nach einer Trennung von Tisch und Bett noch immer bestand.74 Der Vorschlag Hugos, Ehen im Sinne der naturrechtlichen Argumentation wie Verträge auf Wunsch eines oder beider Gatten hin nicht nur zu schließen, sondern auch zu scheiden, wurde durch Carl August und auch in Teilen der Publizistik entschieden abgelehnt. Laut Schlegel würden dann wohl Kleinigkeiten die Scheidungen verursachen und die Ehe ihre heilige Würde und […] wahre Bestimmung als Stand der höhern Bildung und Schule aller häuslichen […] [und] bürgerlichen Tugenden verlieren, zumal Patriotismus auf der ehelichen Partnerschaft aufbaue.75 Schlegel betonte nachdrücklich, dass Scheidungen, die lediglich auf dem Willen eines oder beider Partner basierten, die Gesellschaft und den Staat nachhaltig schädigten. Ohnehin sei die Willenserklärung kein rechtmäßiger Scheidungsgrund, da ihn die protestantischen Landesherrn und ihre Konsistorien nicht vom römischen Recht übernahmen und er vom kanonischen Recht zudem abgeschafft wurde. Überdies könne der eheliche Vertrag nicht wie andere Vereinbarungen durch Übereinkunft wieder aufgehoben werden. 76 Schlegel erachtete den Willen der Ehepartner als Scheidungsgrund folglich als rechtswidrig und staatsgefährdend und positionierte sich klar gegen die Deutung der Ehe als bürgerlichen Vertrag. Er vertrat damit eine konservative Position, die zugleich eine (ständische) Privilegierung bestimmter Paare durch den Landesherrn vorsah. Sogar Hugo, der den Scheidungswunsch selbst in die Debatte einbrachte, wollte nicht einen Theil von der Laune des andern abhängig […] machen. Dadurch seien die Gatten der gegenseitigen Willkür ausgesetzt, die Ehe äußerst fragil und entsprechend abgewertet. Laut Hugo und A.B.M. litten außerdem die Kinder unter willensabhängigen und dadurch potenziell unüberlegten Scheidungen. 77 Einmal mehr wogen die Debattierenden das individuelle Wohl der Ehegatten gegenüber dem Wohl der Kinder und staatlichen Interessen ab. 73 74 75 76 77

Zit. nach: LUTZ, Ehepaare (2006), S. 143. SCHLEGEL, Ehescheidung (1809), S. 60, 76. Ebd., S. 44. Ebd., S. 56f. HUGO, Lehrbuch (1809), S. 268; N.N., Untersuchung (1760), S. 370.

2. SCHEIDUNGSGRÜNDE IN DEN OBRIGKEITLICHEN GUTACHTEN

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2. Scheidungsgründe in den obrigkeitlichen Gutachten 2. SCHEIDUNGSGRÜNDE IN DEN OBRIGKEITLICHEN GUTACHTEN

2.1. Die Ehescheidungen des Hofbuchbinders Schultze – ein Fallbeispiel Uneheliche Kinder können ganz unabhängig von äußeren, staatlichen Einflüssen und von fast allen geschlechtsreifen Frauen und Männern gezeugt werden. Für eine Ehescheidung bedarf es hingegen staatlicher Einwilligung. Anders als heutige Ehepaare mussten die damaligen Frauen und Männer ihren Scheidungswunsch mit von der Rechtsprechung anerkannten Gründen rechtfertigen. Konnten sie die Mitglieder des jeweiligen Ehegerichts nicht von der Notwendigkeit einer Trennung überzeugen bzw. nannten sie keine oder nicht genügend triftige Argumente, wurde die Scheidung abgelehnt und die Eheleute teilweise sogar unter Strafandrohung zur Fortführung der Ehe verpflichtet. Die Ehegerichte der protestantischen Staaten ließen neben den als triftig anerkannten Scheidungsgründen wie Ehebruch und bösliche Verlassung ganz unterschiedliche Argumente als eine Scheidung legitimierend gelten – weil die zugrunde liegenden Vorstellungen von Ehe und Familie möglicherweise regional variierten. Anhand der in den Dispensscheidungsakten angeführten Gründe werden die Prioritäten der Weimarer Regierung und deren Landesherrn bei der Entscheidung über die Auflösung oder Fortsetzung einer Ehe und damit deren Familien- und Ordnungsvorstellungen deutlich. Als Hofbuchbinder Schultze den Herzog um die erneute Heirat mit seiner von ihm geschiedenen ersten Frau Christiane Sophie Friederike geb. Riegländer bat, beschrieb er detailliert, warum er sich zuvor von ihr wie auch von seiner zweiten Frau scheiden ließ und warum er sie nun erneut ehelichen wollte. Die früheren Konflikte, so Schultze, beruhten auf leicht zu hebende[n] Mißverständniße[n], weshalb er die Scheidung längst schon bereue. Die gemeinsamen Kinder hätten beide täglich, mit Wehmuth daran erinnert, wie thöricht die Trennung gewesen sei. Dem Vater sei der Gedanke unerträglich gewesen, die bei ihm verbliebenen Kinder aus erster Ehe der zärtlichen Pflege ihrer leiblichen Mutter vorzuenthalten und sie von einer Stiefmutter erziehen zu lassen. So hätten letztlich die vier Kinder, von denen nach der Scheidung die Eltern je zwei betreuten, den Wunsch nach einer erneuten Vermählung ausgelöst. Daneben waren oeconomische Rücksichten für die Wiederverheiratung ausschlaggebend. Mit beiden Gehältern hätten sie ein künftiges besseres Wohlsein und Schultze könnte eine Erbschaft antreten und dadurch seine Schulden tilgen. Ohne eine zweite Ehe würde sein Hauswesen jedoch gänzlich verkommen.78 Ganz anders beschrieb die Regierung die erste Ehe: 1797 hatte die Hebamme Christiane Sophie Friederike geb. Riegländer infolge der Grausamkeit ihres 78 Ehescheidung Schultze (1806), LATh–HStAW, Rechtspflege B2575, fol. 1v–4r, 14r–v.

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V. EHESCHEIDUNGEN IN GESETZEN UND DEBATTEN

Mannes auf Trennung von Tisch und Bett geklagt. Weil der Ehemann seine Frau aller Ermahnungen und Versprechungen ohngeachtet weiterhin misshandelte, beantragte sie die Scheidung. [N]achdem alle Bemühungen, den Frieden zwischen beyden Eheleuten herzustellen, vergeblich gewesen waren, wurden sie 1802 geschieden und beiden die Wiederverheiratung gestattet.79 Schultze ehelichte noch im selben Jahr die Erfurterin Friederika Johanna Louisa Ockardt.80 Auch diese Ehe scheiterte, weil die Frau liederlich, verschwenderisch, bösartig gewesen sei. Sie hätte durch ihre Haushaltung Schultzes Vermögen vergeudet und ihn sicherlich bei einer Fortführung der Ehe finanziell ruiniert. Mit ihrem pflichtwidrigen Benehmen hätte sie die Differenzen ausgelöst und eine unversöhnliche gegenseitige Abneigung erzeugt. Die Ehefrau zog schließlich aus und weigerte sich, zu Schultze zurückzukehren. Weil er sich einen regulären Scheidungsprozess durch die Weimarer Behörden nicht leisten konnte, klagte er entgegen den geltenden Weimarer Gesetzen beim Wohnort seiner Ehefrau, in Erfurt, auf Ehescheidung. Das dortige königlich preußische Stadtgericht trennte die Ehe ohne erhebliche Schwierigkeiten.81 Die Behörde entschied basierend auf den Argumenten der Eheleute: So hätte die Frau eine sehr übele Wirthschaft geführet, dem der Ehemann keine Schranken setzen konnte. Seine dringendsten Vorstellungen waren nutzlos und hätten bei ihrem Geiste des Widerspruchs den heftigsten Wortwechsel und Thätlichkeiten ausgelöst. Durch die häufige Zwietracht hätte sich endlich seine Liebe und Zuneigung in die bitterste Kälte und Gleichgültigkeit verwandelt, welche zuletzt in dem unüberwindlichsten Haß und Abneigung übergegangen [sei], täglich habe er Kränkungen von ihr erduldet. Nachdem sie ihn verlassen hatte, beantragte er die gänzliche Trennung der Ehe, welche kinderlos ist. Dem Erfurter Stadtgericht gelang es nicht, das Paar zu versöhnen.82 Die Ehefrau bestritt sämtliche Vorwürfe. Stattdessen betonte sie die unerträgliche Hitze des Mannes, die die Handgreiflichkeiten verursacht habe. Schultze habe ihr Teller an den Kopf geworfen und sie mit einem Messer bedroht, was sie auch unter Eid ausgesagt hätte. Ihre Liebe und Zuneigung habe sich in unüberwindliche Abneigung verwandelt, die ihrerseits so groß war, dass ihr keine Wiedervereinigung der Gemüther möglich schien. Auch sei nicht sie, sondern Schultze selbst verantwortlich für seinen finanziellen Ruin gewesen, da er seine Profession vernachlässigt hätte und das verdiente Geld beim Glücksspiel verloren habe. Ihr 79 Ebd., fol. 18v. 80 EKAW, HR SK 1802, fol. 181r. 81 Ehescheidung Schultze (1806), LATh–HStAW, Rechtspflege B2575, fol. 1v–3v. Die Scheidung durch die Erfurter Behörde wollte die Weimarer Regierung zunächst nicht anerkennen, da die örtliche Gerichtsbarkeit des Mannes (und nicht die der Frau) in Eherechtsfragen zuständig wäre und die Ehe zudem ohne rechtskräftige Gründe geschieden worden sei (ebd., fol. 19r–21r). 82 Ebd., fol. 5v–7r.

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Ehemann habe außerdem seine erste Frau wieder ins Haus gebracht. Beide hätten den ehebrecherischen Umgang ungeachtet der Beschwerden durch die Ehefrau fortgeführt und die erste Frau habe Schultze noch mehr verhetzt. Schließlich sah ihr Ehemann den Hausfrieden gänzlich zerstört und habe seine Gattin beschimpft: du bist meine Frau nicht mehr und ich will dich als Magd behandeln, und wenn du ganz abgeschunden bist, will ich dich auf [einen] […] Wagen setzen und nach Erfurt fahren laßen. Aufgrund derartiger Drohungen, die sie eidlich beschwören würde, habe Friederika Johanna Louisa geb. Ockardt ihn verlassen.83 Sie wollte nicht mehr mit Schultze leben und weigerte sich außerdem, ihm nach Warschau zu folgen, da sie von diesen Absichten erst nach der Hochzeit erfahren habe. Weil ihr Mann in ihren Augen das Scheitern der Ehe verschuldet hatte, lehnte sie die alleinige Bezahlung der Prozesskosten ab. Schultze leugnete entweder die Vorwürfe oder machte seine Frau für sein Fehlverhalten verantwortlich: Angesichts ihres Betragens hätte er Zerstreuung in Gesellschafften gesucht und den Kontakt zu seiner ersten Frau wieder aufgenommen, der allerdings keinen strafbaren Zweck gehabt habe. Nur ein Mal habe er mit Tellern geworfen und mit einem Messer gedroht, weil ihr zänkisches und unwirthschaftliches Betragen sein hitzige[s] und cholerische[s] Temperament herausgefordert hätte. Jedoch habe er sie nicht verletzen, sondern nur verängstigen wollen.84 Dass er die Erfurterin derart beschimpft haben solle, daran konnte sich Schultze nicht mehr erinnern. Allenfalls hätte er es in der Hitze gesagt. Für Schultze rechtfertigte diese Drohung keinesfalls ihre eigenmächtige Trennung, vielmehr hätte die Ehefrau erst abwarten sollen, ob er seine Drohungen in Erfüllung setzen würde. Indem sie die Rückkehr zu ihrem Mann und die Begleitung nach Warschau verweigert habe, sei die Ehescheidungsklage in Schultzes Augen ausreichend begründet und sie damit der schuldige Teil. Laut dem Erfurter Stadtgericht war die wilde Scheidung der Frau gemäß dem Allgemeinen Landrecht als Scheidungsgrund nicht ausreichend, doch genügten schon die Mißhandlungen und Thätlichkeiten durch den Ehemann, um die Trennung der Ehe auf das Gesuch der Frau hin zu bewirken. Zudem sei die von beiden zugegebene, ganz unüberwindliche Abneigung schon hinlänglich die Ehe zu trennen, zumal da ihre Ehe kinderlos ist, beide Theile darauf antragen und folglich der Grund der Trennung bei einer ganz unüberwindlichen Abneigung auf beiderseitige Einwilligung beruht.85 Die beiden Ehescheidungen des Hofbuchbinders Schultze verdeutlichen exemplarisch, dass die Anwälte der Eheleute im Herzogtum Sachsen-WeimarEisenach ihre Gesuche bzw. die Regierung ihre Empfehlungen meist mit mehreren, ineinander kausal verwobenen Argumenten begründeten und der 83 Ebd., fol. 7v–8v. 84 Ebd., fol. 9r–10v. 85 Ebd., fol. 10v–12r.

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Herzog selbst seine Entscheidung äußerst selten rechtfertigte. Stellungnahmen wurden fast ausschließlich durch einen Anwalt verfasst oder sollten mindestens von einem recipirten Sachverwalter mit unterzeichnet werden, da es in Justiz- und Proceß-Angelegenheiten […] auf actenmäßige Darstellung und Rechtskenntniß so sehr ankommt, so das Weimarer Staatsministerium 1816 zu den Bitt- und Beschwerdeschriften an den Herzog.86 Die Darstellung der Vorfälle büßt dadurch erheblich an Authentizität ein. Hatte die Gattin tatsächlich wider die geltenden normativen Geschlechtervorstellungen den Haushalt derart vernachlässigt, dass sie sich und ihren Gatten finanziell ruinierte und so eine existenzbedrohende Situation für den Ehemann entstand? Warum übernahm der Anwalt des scheinbar verarmten Mannes dann die Prozesskosten der Gattin, etwa um das Verfahren zu beschleunigen?87 Die Argumente wurden außergerichtlich abgesprochen, durch den Advokaten ob ihrer Erfolgschancen ausgewählt und formuliert. Manche Paare hätten sogar laut dem damaligen Regierungskanzler und Oberkonsistorialdirektor Christian Friedrich Carl Wolfskeel von Reichenberg die angegebenen Trennungsgründe schlichtweg erfunden, um den Scheidungsprozess zu beschleunigen. 88 Die etwaigen tatsächlichen Ursachen können somit nur anhand der geschilderten Umstände erahnt werden und sind schwer rekonstruierbar. Daher zielt die nachfolgende Erörterung auch weniger darauf ab, nach den vermeintlich realen innerehelichen Konfliktherden zu fragen, sondern vielmehr die im Rahmen der Anträge um Ehescheidung durch landesherrlichen Dispens angeführten gängigen Argumentationsmuster offenzulegen.

2.2. Die „Quantifizierende Methode“ Eine quantitative Analyse der genannten Scheidungsgründe für Sachsen-WeimarEisenach kann lediglich auf den Akten zu Ehescheidungen durch landesherrlichen Dispens und den darin enthaltenen Berichten der Regierung oder den Empfehlungen des Herzogs basieren, da die förmlichen Scheidungsklagen vollständig fehlen und in den Registranden selten der Klagegrund angegeben wurde. Entsprechend untersuchen die nachfolgenden Kapitel jene Gründe, die die Regierung in ihren Berichten an den Herzog angab oder die Carl August bzw. Carl Friedrich in ihren Urteilen wiederholten. Um obrigkeitliche Entscheidungen über die Zukunft zerstrittener Ehepaare zu untersuchen, sind die Dispensscheidungsakten sehr gut geeignet, da in den meisten Streitfällen – hier war es die 86 V. GÖCKEL, Gesetze 2 (1829), S. 286. 87 Ehescheidung Schultze (1806), LATh–HStAW, Rechtspflege B2575, fol. 11r. 88 Scheidungen Weimar (1807–1810), LATh–HStAW, Rechtspflege B2581, fol. 205r.

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Hälfte – nicht mit den klassischen Scheidungsgründen Ehebruch und bösliche Verlassung argumentiert wurde. Die untersuchte Auswahl bilden insgesamt 79 Paare, deren Scheidung zwischen 1805 und 1830 verhandelt und schließlich vollzogen wurde und die entweder in Weimar wohnten oder von denen mindestens ein Ehepartner in der Residenzstadt geboren wurde bzw. dort ansässig war. Die jeweils übergeordnete Instanz berichtete dem Herzog von den ehelichen Konflikten des scheidungswilligen Paares. In nur fünf Scheidungsverfahren stammte das hierfür analysierte Dokument nicht von der Regierung, sondern beispielsweise vom Herzog selbst oder in einem Fall vom militärischen Vorgesetzten des Ehemannes, dem Kompaniechef. Anders als bei der quantitativen Auswertung exakter Daten wie etwa jährlicher Geburten handelt es sich bei den durch die Regierung angegebenen Scheidungsgründen um unpräzise Sachverhalte. Um sie zu analysieren, wurde die „Quantifizierende Methode“ angewandt. Mit dem Verfahren der „Quantifizierung“ werden aus den Quellen qualitativ erhobene Untersuchungsmaterialien wissenschaftlich mittels spezifischer Rechenoperationen ausgewertet. Demgemäß müssen Daten wie etwa genannte Trennungsursachen zunächst stark vereinfacht werden, um sie vergleichend auswerten zu können.89 Die meisten in Sachsen-Weimar-Eisenach angegebenen Scheidungsgründe wurden ohnehin toposartig verwendet und waren dadurch relativ leicht zu kategorisieren, wie etwa die Kinderlosigkeit der Ehe oder dass eine starke gegenseitige Abneigung bzw. ein unüberwindlicher Hass herrsche. Die starke Gleichförmigkeit geht darauf zurück, dass die Gesuche der Eheleute um landesherrlichen Dispens gemäß einem obrigkeitlichen Publicandum des Großherzoglichen Staatsministeriums von Juristen oder mindestens von rechtskundigen Personen verfasst werden mussten: Was die Abfassung der Schreiben […] und Denkschriften selbst betrifft, so kann in Justiz- und Prozeß-Angelegenheiten, wo es auf actenmäßige Darstellung und Rechtskenntniß so sehr ankömmt, keine Eingabe beachtet werden, wenn solche nicht von einem recipirten Sachwalter mit unterzeichnet, oder doch die ihre Sache selbst führende Parthei der Rechte kundig ist.90 Dadurch ähnelte sich die Argumentation auch der Gesuche sehr stark. Folgende Scheidungsgründe wurden so oder so ähnlich genannt und ausgewertet: die bösliche Verlassung durch den Mann bzw. die Frau, der Ehebruch durch den Mann bzw. die Frau, gegenseitige(r) Abneigung/Hass, keine Liebe, keine Kinder, Nachteile für die Kinder durch die Fortsetzung der Ehe, die Fortsetzung der Ehe verspricht nichts „Gedeihliches“, Sühneversuche waren erfolglos und Versöhnung hoffnungslos, die Eheleute (und deren Angehörige) wollen die Scheidung (einvernehmlich), die Zwecke der Ehe wurden nicht erfüllt, 89 Für eine einführende Erläuterung sowie weiterführende Literatur: BAUMANN, Methode (2001), S. 55–67, hier: S. 57f. 90 V. GÖCKEL, Gesetze 2 (1829), S. 286.

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die Verschiedenheit der Gemüter, der Altersunterschied, es kam zu oder es droht öffentliches Ärgernis, falsche Heiratsmotive, es ist eine Scheinehe und sie existiert nur dem Namen nach, die Gewalt des Mannes und damit verbundene Gesundheitsrisiken, die Gewalt der Frau und damit verbundene Gesundheitsrisiken, Ekel vor dem Partner oder dessen Krankheit bzw. war Intimität nicht möglich, die Frau war verschwenderisch und wirtschaftete schlecht, der Mann vernachlässigte die Familie oder konnte sie nicht versorgen oder zahlte keinen Unterhalt, einem Partner entstünden berufliche Nachteile durch die Ehe, Alkoholismus des Mannes bzw. der Frau, häufige und seit Jahren auftretende Streitereien, das Ehepaar lebte bereits länger getrennt, Beleidigungen durch den Mann bzw. die Frau, das schlechte Betragen des Mannes bzw. der Frau oder deren Widerspenstigkeit und schließlich wurden keine Gründe genannt bzw. galten die Umstände als gemeinhin bekannt.91 Verschiedene Formulierungen innerhalb eines Berichts drücken meist ein und denselben Missstand aus. So konnte die Regierung sowohl von einer starken gegenseitigen Abneigung sprechen und zugleich bekräftigend anmerken, dass der Sühneversuch erfolglos gewesen sei bzw. keine Aussicht auf Versöhnung bestehe oder dass keine Liebe mehr zwischen den Eheleuten vorhanden sei. Alle drei Argumente wurden getrennt erfasst und gezählt. Dass der Mann die Frau oder das Hauswesen vernachlässige oder nicht fähig oder Willens sei, sie und die Kinder zu versorgen oder keinen Unterhalt zahle, sind drei unterschiedliche Argumente, wurden hingegen als ein Sachverhalt kategorisiert und gezählt, weil sie alle die materielle Vernachlässigung durch den Mann ausdrücken. Dass die Regierung Scheidungsgründe teilweise nur andeutete, anstatt sie explizit zu benennen, oder dass die Vorwürfe der Ehepartner zwar zitiert wurden, aber nicht als erwiesen galten oder infrage gestellt wurden, erschwerte die Datenerfassung zusätzlich. So wurde der Tatbestand der böslichen Verlassung meist nicht direkt benannt, sondern wie beim Weimarer Schlosser Schröter nur durch den unerlaubten Auszug eines Ehepartners und dessen beharrliche Verweigerung der Rückkehr angedeutet. 92 Im Scheidungsfall des Geheimen Registrators Berg aus Weimar bemängelte die Regierung dessen Angabe der Verschiedenheit der Temperamente, da er schon zweimal verheiratet gewesen sei und bei einer sorgfältigeren Wahl seiner Gattin allzu große charakterliche Unterschiede hätte vermeiden können. In ihrer Empfehlung für eine Scheidung berücksichtigte die Behörde dennoch, dass die Streitigkeiten gleich nach der Eheschließung begannen.93

91 Anhang, Tabelle 8, 9, 10. 92 Scheidungen Weimar (1807–1808), LATh–HStAW, Rechtspflege B2578, fol. 174v–175v. 93 Scheidungen Weimar (1807–1810), LATh–HStAW, Rechtspflege B2581, fol. 48v–49r.

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Solche angedeuteten oder angezweifelten und dennoch von der Regierung benannten Trennungsgründe gingen halb, statt voll, in die Zählung ein. Dementsprechend wurden die für Registrator Berg angeführten charakterlichen Unterschiede wie auch die unüberlegte Eheschließung jeweils nur mit 0,5 Punkten gezählt. Die Verschiedenheit der Temperamente wurde zwar genannt, jedoch als tatsächliches Scheidungsmotiv angezweifelt und die unrechtmäßigen Heiratsumstände nur angedeutet. Auch der wiederholte Rückzug der Schlosserfrau Schröter zählte nur halb. Explizit benannte Scheidungsgründe wurden mit einem vollen Punkt gewertet. Nach Addition aller Punkte beträgt die Gesamtpunktzahl für alle zwischen 1805 und 1830 geschiedenen Weimarer Paare 396,5. Insgesamt wurden 418 direkte oder indirekte Argumente gezählt. Die 43 vergebenen halben Punkte machen gegenüber den 375 ganzen Punkten einem Anteil von etwa 11,5 Prozent aus. Die vor allem auf persönlichem Ermessen beruhenden halben Punkte beeinträchtigen das Ergebnis mit einem Anteil von etwa zehn Prozent nur bedingt und sind darüber hinaus anhand der angegebenen Anzahl der eingegangenen halben Punkte nachvollziehbar.94 Die derart erwähnten Gründe sollten letztlich nicht aus der Erhebung ausgelassen werden, da auch sie ein Teil der Argumentation der Obrigkeit bildeten. Für einen quantitativen Vergleich der in den Berichten der Regierung oder den Urteilen des Herzogs angeführten Ursachen waren schließlich die für einen Scheidungsgrund insgesamt gegebenen Punkte zusammenzuzählen. Da nur knapp 80 Fälle ausgewertet wurden und die einzelnen Werte zur Häufigkeit der einzelnen Ursachen mitunter entsprechend niedrig sind, dürfen die dabei gewonnenen Ergebnisse lediglich als ungefähre Trends angesehen werden. Durch den Aufbau der Berichte ist zwischen den Motiven einerseits zu unterscheiden, die die Regierung während der Schilderung der ehelichen Unstimmigkeiten nannte und den entscheidenden Trennungsgründen andererseits, die sie abschließend noch einmal hervorhob und mit denen sie resümierend ihre Empfehlung an den Herzog untermauerte. Dazu wiederholten die Behördenmitglieder meist die bereits zuvor erläuterten Motive. Die am Ende jedes Berichts von der Regierung als ausschlaggebende Scheidungsursachen genannten Gründe wurden für die quantitative Analyse zusätzlich markiert und gesondert ausgezählt. Dadurch konnte die schlussendliche Überzeugungskraft der genannten Argumente überprüft werden. Nur weil die Regierung die Vorwürfe und Rechtfertigungen der Eheleute im Bericht wiedergab, maß sie nicht jedem Trennungsgrund eine gewichtige Rolle bei. Die Gewalttätigkeit des Mannes gegen seine Ehefrau war mit 32,5 Punkten das zweithäufigste Argument in den obrigkeitlichen Berichten. Dennoch begründete die Regierung nur in neun Fällen (die 94 Anhang, Tabelle 8.

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neun Punkte errechnen sich aus neun ganzen Punkten) ihre Empfehlung mit den Übergriffen gegen die Gattin. Damit war das Argument in gerade einmal knapp einem Drittel der hier untersuchten Scheidungen auch tatsächlich wirksam und konnte die Auflösung der Ehe mit herbeiführen.

2.3. Die Unversöhnlichkeit der Ehegatten Mit insgesamt 49,5 Punkten wurde die Unversöhnlichkeit der Ehepartner in über der Hälfte aller verglichenen 79 Berichte als häufigstes Argument genannt. Die unternommenen Versöhnungsversuche durch Pfarrer, Verwandte oder Freunde oder durch das Oberkonsistorium und die Regierung waren erfolglos oder eine Aussöhnung nicht zu erwarten oder (mehrfach) gescheitert. 95 Während der Versöhnungsversuche sei die gegenseitige Ablehnung und die Unversöhnlichkeit der Parteien deutlich geworden.96 Längere, teils beruflich bedingte Trennungsphasen hätten nicht zu einer Annäherung der Gatten geführt (14,5 Punkte). Die Regierung wollte mit dem Argument vom zeitweiligen Getrenntleben des Paares verdeutlichen, dass eine offizielle Trennung von Tisch und Bett, die im Alltag bereits gelebt wurde, zu keiner Aussöhnung geführt hätte und eine unmittelbare Scheidung ohne vorherige Trennungen nun erfolgen könne. Starke, über Jahre gewachsene Abneigung bzw. Hass, die beide Ehepartner für einander empfänden, gingen damit einher und wurden mit 28 Punkten insgesamt am dritthäufigsten genannt. Die Unversöhnlichkeit der Eheleute war meist gekennzeichnet von häufigen oder mehrere Jahre andauernden, gegebenenfalls auch bekannten Streitereien (15 Punkte), sodass die Regierung schließlich von der Fortführung der Ehe nichts Gedeihliches (8,5 Punkte) erwartete.97 Mehr noch stellten feindselige Ehepaare ein öffentliches Ärgernis dar (13,5 Punkte). 98 Lautstark ausgetragene Streitereien, gegebenenfalls außerhalb des Hauses oder für die Nachbarn gut hörbar, gaben anderen Paaren ein schlechtes Beispiel und waren daher zu vermeiden. Zu den Unstimmigkeiten hatte in einigen Fällen die Verschiedenheit der Gemüther (6,5 Punkte) oder ein zu großer Altersunterschied (fünf

95 Die nachfolgende Analyse stützt sich auf: Anhang, Tabelle 9. 96 Scheidungen Weimar (1807–1808), LATh–HStAW, Rechtspflege B2578, fol. 62r, 158v, 175v; Scheidungen Weimar (1807–1810), LATh–HStAW, Rechtspflege B2581, fol. 49r. 97 Auf den Antrag des Weimarer Chirurgen Kladzig merkte die Regierung an, dass die Streitigkeiten nicht bekannt waren, also nicht dauerhaft sein können: Scheidungen Weimar (1813–1814), LATh–HStAW, Rechtspflege B2599, fol. 93r. 98 Ehe-Irrung v. Reineck (1746–1751), LATh–HStAW, Rechtspflege B2565f, fol. 4v; Scheidungen Weimar (1805–1806), LATh–HStAW, Rechtspflege B2576, fol. 57r; Scheidungen Weimar (1807–1810), LATh–HStAW, Rechtspflege B2581, fol. 4v–5v.

2. SCHEIDUNGSGRÜNDE IN DEN OBRIGKEITLICHEN GUTACHTEN

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Punkte) beigetragen.99 Dadurch empfanden die Ehegatten keine Liebe mehr für einander (drei Punkte). Einigen Beziehungen habe es an Zuneigung gemangelt, ein glückliches Leben sei nicht möglich gewesen und die Fortführung der seit mehreren Jahren gestörten ehelichen Verhältniße, [ließe] durchaus nichts Ersprießliches erwarten. 100 Andere Paare hätten die Scheidung einvernehmlich verlangt, bei einigen befürworteten sogar nahestehende Verwandte wie die Eltern die Trennung (4,5 Punkte). Auch Beleidigungen gleichsam durch den Mann oder die Frau (jeweils fünf Punkte) verhärteten laut Regierung die Fronten. Die Ehepartner warfen sich schlechtes Benehmen vor, worunter für die Analyse etwa unordentliche[r] Lebenswandel oder auch unfreundliches Betragen zusammengefasst wurden. Laut den Berichten der Regierung beklagten sich mehr Männer (14 Punkte) über das mangelhafte Verhalten und insbesondere über die Widerspenstigkeit ihrer Frauen, als sich Gattinnen über ihre Männer beschwerten (zehn Punkte). Versorgungsmängel oder Gewalt zählten hier jedoch nicht mit hinein und wurden als eigene Kategorien gesondert ausgewertet. Der effektivste Scheidungsgrund war das durch eheliche Konflikte hervorgerufene öffentliche Ärgernis: In über 81 Prozent der Aufsehen erregenden Fälle (13,5 Punkte) zählte die Störung der gesellschaftlichen Ordnung zu den ausschlaggebenden Scheidungsgründen. Ehestreitigkeiten gefährdeten nicht nur das Wohl der Kinder, sondern auch die gesellschaftliche und familiale Ordnung. Indem die Gatten ihre Zwistigkeiten öffentlich austrugen, werteten sie mit ihrem schlechten Beispiel konventionelle familiale und eheliche Leitbilder ab und stellten die Institution Ehe für alle wahrnehmbar infrage. Weil die Obrigkeit das harmonische Familienideal bewahren wollte, trennte sie zerstrittene Ehepaare und rechtfertigte die Scheidungen mit dem vermiedenen öffentlichen Ärgernis. Auch wilde Ehen bzw. illegitime Paarbeziehungen wie jene von Goethe oder von Carl August und Caroline Jagemann erregten öffentliches Aufsehen und trugen damit zur Diskreditierung familialer Werte bei. Die Unversöhnlichkeit der Ehepartner war zwar der am häufigsten genannte Grund für die Trennung des Paares, jedoch zählte sie mit rund 66 Prozent nur in etwa zwei Drittel aller Fälle zu den ausschlaggebenden Argumenten. Etwas gewichtiger waren mit über 72 Prozent bereits erfolgte, längere Trennungen und 99

Scheidungen Weimar (1805–1806), LATh–HStAW, Rechtspflege B2576, fol. 46v; Scheidungen Weimar (1807–1808), LATh–HStAW, Rechtspflege B2578, fol. 17v; Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 123r; Scheidungen Weimar (1811–1812), LATh–HStAW, Rechtspflege B2591, fol. 40v, 76r; Ehescheidung Feuerhacke (1811–1812), LATh–HStAW, Rechtspflege B2597, fol. 1r. 100 Scheidungen Weimar (1807–1810), LATh–HStAW, Rechtspflege B2581, fol. 49r, 62r, 230v; Scheidungen Weimar (1807–1808), LATh–HStAW, Rechtspflege B2578, fol. 72r.

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V. EHESCHEIDUNGEN IN GESETZEN UND DEBATTEN

mit knapp 68 Prozent die gegenseitige Abneigung der Gatten. Dass die Eheleute in 15 Fällen bereits seit Jahren wiederholt stritten, war in sieben und damit in nicht einmal der Hälfte aller resümierenden Empfehlungen relevant. Auch das Fehlverhalten des Ehemannes und noch weniger der Ehefrau floss nur gelegentlich in die zusammenfassenden Scheidungsbegründungen mit ein. Die genannten Argumente machen mit 131 Punkten von insgesamt 396,5 vergebenen Punkten ein Drittel der angeführten Trennungsursachen aus. Jedoch sind nur 40 Prozent der insgesamt 186 ausschlaggebenden Argumente als Unversöhnlichkeit, Streitereien, längere Trennungen oder Fehlverhalten einzuordnen und weisen sie damit als nur bedingt rechtskräftige Scheidungsmotive aus. Anhand der in den Scheidungsakten angegebenen Ursachen können nur sehr wenige und schwache Tendenzen diagnostiziert werden, wann etwa ein Argument häufiger oder geballter auftrat oder wann es auffällig wenig oder gar nicht mehr angeführt wurde. Am ehesten fällt jedoch die zwischen 1812 und 1826 in fast jedem Bericht der Regierung genannte Unversöhnlichkeit der Ehepartner auf. Innerhalb der in diesem Zeitraum verhandelten 44 Trennungsgesuche wurde in 34 Schreiben mit der Unversöhnlichkeit argumentiert. 15-mal sprach die Regierung währenddessen und teilweise zusätzlich von der großen Abneigung der Ehepartner gegeneinander sowie vier- und dreimal explizit von der Verschiedenheit der Gemüter und dem allzu großen Altersunterschied. In zwölf Scheidungsverfahren wurde Unversöhnlichkeit zwischen 1827 bis 1830 nur noch fünfmal genannt und damit nicht einmal mehr in der Hälfte der Fälle, während zuvor noch in über 75 Prozent der Scheidungsverfahren damit argumentiert wurde. Offenbar galt das in Preußen mit dem Allgemeinen Landrecht eingeführte und von einigen Autoren befürwortete Zerrüttungsprinzip zwar als ein triftiges Argument, aber nicht als legitimer Grund. Der vor einer Ehescheidung vorgesehene, letzte obligatorische Versöhnungsversuch konnte die mitunter jahrelang gewachsenen Streitereien nur bedingt beilegen. Auch schien er mehr eine Formalie gewesen zu sein. Immer wieder durften sich beide Parteien beim anberaumten Termin durch ihre Anwälte vertreten lassen. Die Regierung hatte laut eigener Aussage dem Metzger Franke aus Hottelstedt und seiner Frau 1807 die Abwesenheit genehmigt, da eine erneute Konfrontation beider Eheleute ergebnislos verlaufen wäre und das Paar nicht versöhnt hätte.101 Solche Nachlässigkeiten wurden in den nachfolgenden Jahren mehrfach gerügt und die Paare nachdrücklich zu Sühneterminen verpflichtet. Erst Mitte der 1820er Jahre verzichtete die Regierung wieder gelegentlich auf einen letzten Versöhnungsversuch, weil dieser erfolglos gewesen wäre.102 101 Scheidungen Weimar (1806–1807), LATh–HStAW, Rechtspflege B2577, fol. 47v–49r. 102 Vgl. unter anderem v. GÖCKEL, Gesetze 3 (1830), S. 706; Scheidungen Weimar (1825– 1828), LATh–HStAW, Rechtspflege B2608, fol. 43r, 49r.

2. SCHEIDUNGSGRÜNDE IN DEN OBRIGKEITLICHEN GUTACHTEN

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Zeitgleich wurden angestellte Bemühungen ungewöhnlich nachdrücklich betont: Trotz der Ermahnungen der kirchlichen und weltlichen Behörden hätten sich der Lohgerbermeister Rückoldt aus Weimar und seine Frau 1825 nicht wieder vertragen.103 Dass weder geistliche noch profane Obrigkeiten eine Aussöhnung erreichten, sollte wohl die umfassenden Bemühungen der zuständigen Instanzen unterstreichen. Wiederholt hatte die Regierung verschiedene scheidungswillige Paare an ihre ehelichen Pflichten erinnert und davon dem Herzog berichtet. Immerhin hätten sich der herzogliche Hausknecht Johann Caspar Papst und seine Frau schon einmal wieder versöhnt, weshalb deren Ehe allein von der Ernstlichkeit ihres guten Willens abhängen würde.104 Das Scheidungsgesuch der Eheleute Müller aus Jena lehnte Carl August sogar ab und erinnerte das Paar an ihre Pflicht, sich gegenseitig ertragen und gehörig begegnen zu lernen.105 Das Argument der Unversöhnlichkeit war, wie schon die Auszählungen ergaben, nicht in jedem Fall triftig genug, um eine Scheidung zu erwirken. Die Behörden bemühten sich demzufolge, die Scheidung nur in dringenden, gänzlich zerstrittenen Ehen anzuwenden, waren damit aber nicht immer erfolgreich, wie der Fall des Hofbuchbinders Schultze zeigt. Das Ehepaar Müller aus Weimar versöhnte sich während ihres laufenden förmlichen Scheidungsverfahrens wieder. Weil die Regierung die Ehe zeitgleich auflöste, war dem Paar unter Gefängnisstrafe das gemeinsame Wohnen verboten. Auch konnte der laufende Scheidungsprozess nicht mehr abgebrochen werden, woraufhin sich die Eheleute an Carl August wandten, der die erneute Vermählung der Müllers anordnete.106 Wie es zu dieser kuriosen Scheidung und Wiederverheiratung kam, geht aus der Akte nicht hervor. Bei Scheidungsverfahren aufgrund von Unversöhnlichkeit trafen unterschiedliche Vorstellungen von familialer Ordnung aufeinander. Mehrfach gab Carl August den Wünschen der Eheleute nach und akzeptierte, dass sie sich nicht mehr versöhnen ließen. Damit arrangierte sich die Weimarer Obrigkeit ähnlich den Befürwortern der Ehescheidung in der Publizistik eher mit geschiedenen, aber dadurch friedlichen Paaren als mit verheirateten, zerstrittenen Eheleuten. Im individuellen Interesse der Gatten und zur Vermeidung öffentlichen Aufsehens wurde die unliebsame Ehescheidung vollzogen. Andere Paare zwang der Herzog jedoch gegen ihren Willen, die Ehe fortzuführen. Um eine konventionelle Institution wie die Ehe zu bewahren und ihren Wert nicht zu vermindern, überging Carl August die individuellen Bedürfnisse der Eheleute und nahm im

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Scheidungen Weimar (1825–1828), LATh–HStAW, Rechtspflege B2608, fol. 36r. Scheidungen Weimar (1807–1808), LATh–HStAW, Rechtspflege B2578, fol. 39v. Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 12r. Scheidungen Weimar (1807–1810), LATh–HStAW, Rechtspflege B2581, fol. 188r–190r.

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V. EHESCHEIDUNGEN IN GESETZEN UND DEBATTEN

Zweifelsfall auch die Störung der gesellschaftlichen Ordnung durch öffentlich ausgetragene eheliche Konflikte in Kauf. Die von der Regierung wiedergegebenen Beschwerden der Ehegatten über das mangelhafte Benehmen des Ehepartners wie etwa über den Ungehorsam der Frau reflektieren ferner enttäuschte Ehe- und vor allem Geschlechtervorstellungen. So wie der Ehemann seine Gattin respektvoll behandeln sollte, durfte sie sich ihrem Gatten nicht übermäßig widersetzen, sondern musste sich unterordnen. Verstöße gegen die Normen führten mitunter zu ehelichen Streitigkeiten und waren offenbar in Scheidungsverfahren angesichts der insgesamt 14 klagenden Männer und elf klagenden Frauen eine beliebte Referenzgröße. Klagen infolge normwidrigen Verhaltens der Geschlechter traten vermutlich vermehrt um 1800 aufgrund der sich durch die Aufklärung wandelnden Männlichkeits- und Weiblichkeitsvorstellungen auf. Die gegenseitige Sympathie der zukünftigen Ehepartner identifizierten aufklärerische Autoren wie Montesquieu bereits 1721 als elementar für das Gelingen und die Fortführung einer Ehe und wurde schließlich auch für die Weimarer Obrigkeiten zu Beginn des 19. Jahrhunderts zunehmend bedeutender. So begründete die Regierung die Scheidung des Hofdieners Sänger mit der großen Verschiedenheit ihrer physischen und moralischen Individualität, die die Zwecke der Ehe behindere. 107 Die Argumentation mit den Wesenszügen und Werten beider Ehegatten veranschaulicht die zugenommene Rücksichtnahme auf die jeweiligen Interessen der Ehegatten und ihre unterschiedlichen Persönlichkeiten nicht nur innerhalb der Publizistik, sondern auch in der Rechtsprechung. Mit der Ehescheidung aufgrund der Unversöhnlichkeit der Eheleute wendete SachsenWeimar-Eisenach das schon seit den 1750er Jahren in Preußen legitimierte und durch das Allgemeine Landrecht publik gemachte Zerrüttungsprinzip an. Laut einem preußischen Zirkular von 1751 sollten Ehepaare, unter denen tödliche oder zumindest allgemein bekannte und erwiesene Feindschaft herrschte und aus deren Ehen nichts wie Unheil, und eines oder des andern Theiles Verderben zu besorgen ist, die Scheidungen […] nicht schwer gemacht, sondern […] das Band der Ehe sofort unter ihnen, ohne […] Scheidung von Tisch und Bette […], gänzlich aufgehoben werden.108 Fast zeitgleich hatte 1746 der damalige Herzog Ernst August von Sachsen-Weimar-Eisenach die Scheidung des Oberstleutnant Bernhard Heinrich von Reineck und seiner Gattin auch aufgrund von Unversöhnlichkeit angeordnet.109 Demnach argumentierten die Weimarer Obrigkeiten schon innerhalb der nur vereinzelt überlieferten, älteren Dispensscheidungsakten, dass eine Versöhnung des Ehepaares aussichtslos sei. Die Recherche der zu Ehescheidungen in Sachsen-Weimar107 Ehescheidung Sänger (1822–1823), LATh–HStAW, Rechtspflege B2607, fol. 5v. 108 Art. Ehescheidung, in: KRÜNITZ (Hg.), Encyklopädie 10 (1777), S. 172f. 109 Ehe-Irrung v. Reineck (1746–1751), LATh–HStAW, Rechtspflege B2565f, fol. 10r–v.

2. SCHEIDUNGSGRÜNDE IN DEN OBRIGKEITLICHEN GUTACHTEN

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Eisenach erlassenen Gesetze ergab jedoch keine Bestimmung, die die Zerrüttung der Ehe als legitimen Scheidungsgrund offiziell legitimierte. Auch bezogen sich spätere Verordnungen oder Abhandlungen wie der Gesetzentwurf von 1826 nicht auf eine derartige Regelung. Preußen scheint einmal mehr Vorreiter und Vorbild hinsichtlich liberaler Ehe- und Ehescheidungsgesetze gewesen zu sein.

2.4. Unerfüllte eheliche Zwecke: die gegenseitige Versorgung Mit 19,5 Punkten steht die mangelhafte gegenseitige Unterstützung an vierter Stelle der Scheidungsargumente. Demnach beschwerten sich die Frauen relativ häufig, dass die Ehemänner sie nicht versorgen konnten oder wollten, keinen Unterhalt zahlten oder ähnliche Pflichten als Hausväter vernachlässigten. Einige Männer bestätigten die Anschuldigungen oder gestanden sie von selbst ein.110 Gleichsam beklagten fast genauso viele Männer (17 Punkte), dass ihre Gattinnen den Haushalt vernachlässigten, verschwenderisch seien, mangelhaft wirtschafteten und dadurch ebenfalls die Versorgung und Gesundheit der Familie gefährdeten.111 Alkoholismus, sowohl des Mannes (4,5 Punkte) als auch der Frau (drei Punkte), erschwerte eine überlebensnotwendige stabile Hauswirtschaft zusätzlich. Dorothea Magdalena Gareis geb. Lippold aus Weimar wurde 1828 beschuldigt, für ihre Alkoholsucht sämtliches Vermögen ausgegeben und betrunken ihren Mann und ihre Kinder misshandelt zu haben. 112 Zuweilen entstanden einem oder beiden Gatten durch die Fortführung der Ehe berufliche Nachteile, die wiederum den Unterhalt der Familie beeinträchtigt hätten.113 Die Gesundheit aller Familienmitglieder zu erhalten, war zentrale Aufgabe beider Eheleute und körperliche Übergriffe, die sogar Verletzungen nach sich zogen, ein entsprechend häufig angeführtes Scheidungsargument. Lebensbedrohliche Gewalt galt zumindest als Grund zur Trennung von Tisch und Bett, 110 Vgl. beispielsweise Scheidungen Weimar (1807–1808), LATh–HStAW, Rechtspflege B2578, fol. 73v, 133v, 158v; Scheidungen Weimar (1807–1810), LATh–HStAW, Rechtspflege B2581, fol. 78r; Scheidungen Weimar (1811–1812), LATh–HStAW, Rechtspflege B2591, fol. 4r, 76r. 111 Vgl. beispielsweise Ehescheidung Schultze (1806), LATh–HStAW, Rechtspflege B2575, fol. 6r–v; Scheidungen Weimar (1807–1808), LATh–HStAW, Rechtspflege B2578, fol. 145r; Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 160v; Scheidungen Weimar (1821–1824, 1827), LATh–HStAW, Rechtspflege B2605, fol. 135r. 112 Scheidungen Weimar (1825–1828), LATh–HStAW, Rechtspflege B2608, fol. 167v, 377r. 113 Eheirrung Kirchhof (1826–1831), LATh–HStAW, HMA 3456, fol. 3r; Scheidungen Weimar (1806–1807), LATh–HStAW, Rechtspflege B2577, fol. 20v–21r; Scheidungen Weimar (1813–1814), LATh–HStAW, Rechtspflege B2599, fol. 90r;

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V. EHESCHEIDUNGEN IN GESETZEN UND DEBATTEN

zumal schwere Körperverletzung ohnehin strafrechtlich geahndet wurde. Zudem trugen körperliche Gewalt und seelische Misshandlungen in Form von Beleidigungen zur Entfremdung der Ehepartner bei. Fast die Hälfte aller Frauen (32,5 Punkte) bezichtigte die Ehemänner der körperlichen Gewalt, die teilweise sogar die Gesundheit elementar gefährdet habe und nach dem erfolglosen Versöhnungsversuch das zweithäufigste Motiv für den Scheidungsantrag darstellte. Vereinzelt (4,5 Punkte) beklagten auch Männer gewaltsame Übergriffe ihrer Frauen.114 Letztlich lag es im Ermessen der Obrigkeiten, inwieweit sie eine Trennung wegen gewaltsamer Übergriffe aussprach.115 Lediglich in neun Fällen empfahl das Weimarer Gremium eine Scheidung, etwa weil die Fortführung der Ehe die unglücklichsten Folgen hätte und sogar lebensgefährliche Auftritte nach sich ziehe.116 Die Beschwerden der fünf Männer über körperliche Misshandlungen durch ihre Frauen gingen gar nicht in die abschließenden Empfehlungen an den Herzog ein. Wenn die Tätlichkeiten nicht als erwiesen galten bzw. durch Zeugenaussagen oder ein ärztliches Attest belegt wurden oder wenn der Mann seine ihm prinzipiell zustehenden Züchtigungen nachvollziehbar rechtfertigte, konnten geflohene Ehefrauen zur Rückkehr zu ihrem Gatten gezwungen werden.117 Dass einer der Eheleute die Familie vernachlässigte – etwa nicht genügend erwirtschaftete oder das Geld verschwendete – und dadurch die gemeinsame Existenz massiv gefährdete, erachtete die Regierung ebenfalls nur in wenigen Fällen als triftigen Scheidungsgrund. Mangelhafte Versorgung oder gesundheitsgefährdende Übergriffe widersprachen wohl nicht genügend den obrigkeitlichen Vorstellungen von familialer Ordnung. Gegebenenfalls ließen sich Carl August und die Regierung auch von Autoren wie etwa Hume leiten, der die Leidensfähigkeit als unabdingbar für eine dauerhafte Beziehung erachtete, da sich die Partner andernfalls nicht mehr um die Ehe bemühten und voreilig trennten. Die Weimarer Obrigkeit

114 Aufgrund von Misshandlung klagten zahlreiche Frauen, siehe unter anderem: Ehescheidung Schultze (1806), LATh–HStAW, Rechtspflege B2575, fol. 12r; Scheidungen Weimar (1818–1824, 1827), LATh–HStAW, Rechtspflege B2605, fol. 104v, 134v, 259r– v. In einem Fall wird dem Mann sogar die verbale Gewalt an seiner Frau explizit verboten: Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 219r. Zu über Gewalt klagenden Männern: Scheidungen Weimar (1807–1808), LATh–HStAW, Rechtspflege B2578, fol. 60v; Scheidungen Weimar (1821–1824, 1827), LATh–HStAW, Rechtspflege B2605, fol. 176v. 115 LUTZ, Ehepaare (2006), S. 314–316; Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 6r; Kap. V.2.4.; Anhang, Tabelle 9. 116 Scheidungen Weimar (1813–1814), LATh–HStAW, Rechtspflege B2599, fol. 7r. 117 Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 192v– 194v; LUTZ, Ehepaare (2006), S. 90f.

2. SCHEIDUNGSGRÜNDE IN DEN OBRIGKEITLICHEN GUTACHTEN

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überzeugten eher andere Argumente als die mangelnde gegenseitige Versorgung und sie ordnete sogar die Fortführung der schlechten Ehe an. Dass die Regierung kaum von der Gewalt gegen die Frauen berichtete, geht wohl auf das noch immer bestehende Züchtigungsrecht des Mannes zurück. Für die scheidenden Instanzen war mitunter nur mittels eines ärztlichen Attests zweifelsfrei festzustellen, ob der Ehemann seine Befugnisse überschritt und der Gesundheit seiner Frau und damit auch seiner Ehe massiv schadete. Bescheinigte die Gattin die erlittenen Repressalien oder bestätigten Zeugen ihre Aussage, dann sprach sich die Regierung für eine Scheidung aus. Die gegenseitige Versorgung und der darin implizierte Erhalt der körperlichen Unversehrtheit konnte eine Scheidung auch verhindern, sofern eine Trennung Familienmitglieder benachteiligte. Das Ehepaar Hartung aus Söllnitz wurde von mehreren Instanzen abgewiesen und erst durch Carl August geschieden. Zunächst hatte der örtliche Richter Schorcht deren Trennung abgelehnt. Er befürchtete, dass die beim Ehepaar wohnende und von der Frau gepflegte Schwiegermutter obdachlos werden würde.118 Der Richter wollte die Scheidung und damit das Zerbrechen der Versorgungsgemeinschaft verhindern. Die Regierung wies daraufhin das Paar an, zunächst die Versorgung der Mutter sicherzustellen und erst dann weitere Schritte einzuleiten. Ob die Eheleute vor dem darauf erfolgten gemeinschaftlichen Gesuch um Scheidung durch landesherrlichen Dispens entsprechende Vorkehrungen trafen, erwähnten weder die Regierung in ihrer Scheidungsempfehlung, noch der Herzog in seinem Urteil.119 Obwohl ein gemeinsamer Haushalt die Lebensqualität der Ehepartner und Kinder eher verbesserte, konnte Marie Sophie Christiane Leonhardt geb. Herrmann die Regierung überzeugen, dass sich ihre Lage dadurch verschlimmert hatte. Während ihr Ehemann in Weimar wohnte, war sie mit dem gemeinsamen Kind in ihren Heimatort nach Heiligenthal (heute Sachsen-Anhalt) zurückgekehrt und hatte einen vortheilhaften Dienst angetreten. Gegen die eigentlich erforderliche Rückkehr zu ihrem Ehemann sträubte sie sich, weil sie weitere Schwangerschaften und Kinder befürchtete. Durch ihre Anstellung in Heiligenthal konnte sie sich und das Kind selbst versorgen, wozu ihr Ehemann nicht fähig gewesen wäre.120 Die Zusammenführung der Familie hätte demnach zwar das durch die eigenwillige Trennung beeinträchtigte Familienideal wieder hergestellt, aber vor allem der Frau und dem Kind durch eine schlechtere Versorgung geschadet und sie durch weitere Nachkommen verarmt. In ihrem Bericht über die Leonhardsche Ehe kam die Regierung 1826 zu folgendem Schluss: Unter diesen Umständen kann es dem Staate kaum daran gelegen sein, 118 Ehescheidungsgesuch Hartung (1811), LATh–HStAW, Rechtspflege B2584, fol. 5r–v. 119 Ebd., fol. 5v–8r. 120 Scheidungen Weimar (1825–1828), LATh–HStAW, Rechtspflege B2608, fol. 94v–95r.

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V. EHESCHEIDUNGEN IN GESETZEN UND DEBATTEN

diese schon längst factisch getrennte Ehe, bei der doch alle Zwecke des ehelichen Lebens verloren gehen, länger noch der äußern Form nach bestehen zu sehen; im Gegentheil giebt das längere Getrenntleben beider Eheleute öffentliches Aergerniß. Bevor demnach die unerlaubte eigenmächtige Trennung des Ehepaares weiter andauerte, negativ öffentliche Aufmerksamkeit erregte und dadurch bestehende familiale Normen infrage stellte, sollte der Herzog das Paar trennen. Die Regierung bevorzugte demnach auch zum Wohl des Staates eine Scheidung und damit eine selbständige, alleinerziehende Mutter gegenüber einer unfriedlichen und möglicherweise verarmenden Familie, die bis dato ohnehin nur noch der äußern Form nach bestand. Carl August ordnete die Scheidung an.121 Dass die Regierung eine Scheidung empfahl, um der bis dato selbständigen Ehefrau die Abhängigkeit von ihrem Ehemann, zusätzliche Kinder und die damit wachsende Armut zu ersparen, kam mehrmals vor – ein weiterer Beleg dafür, dass die Obrigkeit die von ihnen an anderer Stelle bemängelten alternativen Familienformen selbst schuf.122 Ebenfalls 1826 berichtete das Gremium von dem Scheidungsgesuch des Ehepaares Apel. Nachdem sich die Eheleute anscheinend widerrechtlich getrennt hatten, lebte der Ehemann Christian Friedrich Apel in Jenalöbnitz und arbeitete als Hutmacher, seine Frau Marie Catharine geb. Pfahlbusch war in Flurstedt berufstätig. Während des Scheidungsverfahrens hatten sie ihre vier Kinder teilweise bei andern Leuten untergebracht, nach der Scheidung sollte der Vater die zwei älteren und die Mutter die jüngeren versorgen. Die Familie war angeblich sehr arm und der Ehemann zur Versorgung nicht fähig. Daher stimmte die Regierung der in Diensten stehenden Mutter zu, die nicht mit Unrecht [die] Vermehrung der Kinder und des Mangels befürchtet habe.123 Der Familienvater konnte seine Frau und Kinder nicht versorgen und keine Verantwortung übernehmen, hätte er doch noch weitere Kinder gezeugt. Die Familie scheiterte mehrfach an der Unfähigkeit des Mannes, dem Haushalt angemessen vorzustehen. Die Weimarer Obrigkeit zog hier wiederholt alternative ehelose Lebensmodelle der Kernfamilie als Versorgungsgemeinschaft vor. Staatliche Interessen etwa am Ordnungsmodell Familie als Garant staatlicher Stabilität scheinen dahinter zurückzutreten.

121 Ebd., fol. 95r, 97r. 122 Zu einem weiteren, ganz ähnlichen Fall: ebd., fol. 61r–66r. 123 Ebd., fol. 104r–108r.

2. SCHEIDUNGSGRÜNDE IN DEN OBRIGKEITLICHEN GUTACHTEN

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2.5. Unerfüllte eheliche Zwecke: die (fehlenden) Kinder Durch Nachlässigkeit im Haushalt, Gewalt oder auch schlechten Verdienst konnten die Ehepartner wesentliche Zwecke der Ehe als Versorgungsgemeinschaft nicht erfüllen, was als eigenes Argument in den Berichten angeführt wurde (neun Punkte).124 Die Behörden verwiesen in den Scheidungsunterlagen auf die Kinderlosigkeit des Paares (19 Punkte), um damit das Scheitern der jeweiligen Ehe zu betonen.125 Innerhalb der Korrespondenzen zwischen Eheleuten, Regierung und Herzog übernimmt die Kinderlosigkeit verschiedene Funktionen: Sie verweist auf den nicht erfüllten Zweck der Ehe an sich und sie deutet an, dass einer Scheidung nicht das Wohl etwaiger Kinder entgegensteht und entkräftet so ein potenzielles Gegenargument.126 Ferner benennt die Kinderlosigkeit einen Trennungsgrund, wie wohl die fünf Kinder des Gartenbauschreibers Gentzsch auf tragische Weise die Scheidung der Eltern veranlassten: Bei der Geburt der Zwillinge 1799 kam das Mädchen tot zur Welt. Der Junge verstarb am darauffolgenden Tag nach der erhaltenen Nottaufe.127 Zwei der drei 1801, 1802 und 1804 geborenen Kinder starben im Kleinkindalter und schließlich im März 1808 die fast sieben Jahre alte Tochter. Ein halbes Jahr später beantragten die Eltern gemeinsam die Scheidung, weil an die Stelle der Liebe und Freundschaft, wechselseitiger Haß, Verdruß und Aerger getreten sei, woraufhin der Herzog dem Antrag aus bewegenden Ursachen stattgab.128 Hielten die Eltern die Ehe im Sinne des zeitgenössischen Familienideals für gescheitert, weil sie beide nicht zur Zeugung gesunder Kinder geeignet schienen oder hatte der Tod aller Kinder die Beziehung derart belastet, dass sie die Gegenwart des anderen nicht mehr ertrugen, ein weiteres sterbendes Kind befürchteten und einen Neuanfang wünschten? Anhand der Scheidungsakte konnten diese Fragen nicht beantwortet werden. Auch muss offenbleiben, ob Carl August mit den bewegenden Ursachen auf den Tod der Kinder anspielte. Dass für die jeweilige Ehe auch künftig gemeinsame Kinder ausgeschlossen werden konnten, belegten die Regierungsmitglieder mit von den Eheleuten 124 Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 123r; Anhang, Tabelle 9. 125 Vgl. beispielsweise Scheidungen Weimar (1807–1808), LATh–HStAW, Rechtspflege B2578, fol. 38r, 40r, 62v, 158v, 175v; Scheidungen Weimar (1811–1812), LATh– HStAW, Rechtspflege B2591, fol. 4v, 46r, 74r. 126 Scheidungen Weimar (1811–1812), LATh–HStAW, Rechtspflege B2591, fol. 10v, 17r. 127 REVERMANN/HÜSING, Fortpflanzungsmedizin (2011), S. 132; EKAW, TR HK 1799, S. 68; ebd. SR SK 1799, fol. 134v. 128 EKAW, TR HK 1801, S. 161; ebd. 1802, S. 221; ebd. 1804, S. 341; ebd. SR SK 1804, fol. 258r; ebd. 1806, fol. 29r; ebd. 1808, fol. 89r; Scheidungen Weimar (1807–1808), LATh–HStAW, Rechtspflege B2578, fol. 131v, 156r.

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V. EHESCHEIDUNGEN IN GESETZEN UND DEBATTEN

geschilderten, den Geschlechtsverkehr verhindernden Umständen (11,5 Punkte). Sie nannten etwa ärztlich attestierte, abstoßende Krankheiten oder körperliche Beeinträchtigungen, die zur Zeugungsunfähigkeit führten oder bei einigen Gatten einen unüberwindlichen Ekel vor dem Partner auslösten. Ähnliche Positionen vertraten auch zeitgenössische Autoren. Wenn Gebrechen oder Fehlverhalten die Gesundheit des anderen und sogar der Kinder lebensgefährlich bedrohten oder die Zeugung verhinderten, konnte die Ehe nicht fortgeführt werden oder galt de facto als nie vollzogen.129 Das Wohlergehen der Kinder konnte gegen, aber auch für die Scheidung sprechen, sofern die Fortführung der Ehe wie in der Familie Leonhardt erhebliche Nachteile für sie bedeutet hätte (16,5 Punkte).130 Außerdem waren zerstrittene oder alkoholsüchtige Eltern mit vernachlässigter Haushaltsführung schlechte Vorbilder und meist unzureichende Ernährer. Mit durchschnittlich 66,81 Prozent gingen zwei Drittel aller Argumente bezüglich gemeinsamer Kinder in die abschließende Empfehlung ein. Bei insgesamt 19 explizit kinderlosen Paaren spielten in nur vier Resümees der Regierung die fehlenden Nachkommen keine Rolle und andere Argumente waren gewichtiger. Eine ähnlich hohe Erfolgsquote wie jene fast 80 Prozent verzeichnete mit fast 70 Prozent der Einwand, dass eine fortgeführte Ehe für die vorhandenen Kinder äußerst nachteilig wäre. Gegebenenfalls haben zu der Akzeptanz dieses Arguments auch die Schriften gleich mehrerer bekannter Autoren wie Montesquieu und Hume beigetragen, die sich für eine Trennung zerstrittener Eltern im Sinne der Kinder aussprachen. Den Geschlechtsverkehr verhindernde oder erschwerende Umstände gingen hingegen nur mit knapp 44 Prozent in die abschließende Empfehlung der Regierung ein. Insgesamt machen diese Argumente zwar nur knapp 17 Prozent aller als triftig in die Resümees der Regierung aufgenommenen Scheidungsgründe aus. Dennoch zählen Kinderlosigkeit, den Geschlechtsverkehr verhindernde oder erschwerende Umstände bzw. etwaige Nachteile für die gemeinsamen Kinder angesichts ihrer Erfolgsaussichten in den Scheidungsverfahren durch landesherrlichen Dispens zu den wirkungsvollen Trennungsargumenten. Wie schon bei unversöhnbaren Paaren orientierte sich die sachsen-weimareisenachische Obrigkeit auch bei kinderlosen Eheleuten am Allgemeinen Landrecht. Mit dem Ehegesetzentwurf von 1826 sollte in Anlehnung an das preußische Recht auch Impotenz als Scheidungsgrund legitimiert werden, sofern einer der 129 Scheidung Kästner (1774), LATh–HStAW, SchöppJ 2268, fol. 201r–202v; Scheidungen Weimar (1806–1807), LATh–HStAW, Rechtspflege B2577, fol. 60v; Scheidungen Weimar (1807–1810), LATh–HStAW, Rechtspflege B2581, fol. 17r; Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 219v; N.N., Sühnsversuche (1808), S. 113. 130 Scheidungen Weimar (1807–1810), LATh–HStAW, Rechtspflege B2581, fol. 49v, 230v; Scheidungen Weimar (1807–1808), LATh–HStAW, Rechtspflege B2578, fol. 161v.

2. SCHEIDUNGSGRÜNDE IN DEN OBRIGKEITLICHEN GUTACHTEN

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Partner ohne Verschulden des anderen zeugungsunfähig war.131 Nachdem Carl August bereits jahrzehntelang Ehen aufgrund von Kinderlosigkeit geschieden hatte, berief sich die Regierung 1832 in ihrer Empfehlung an dessen Sohn Carl Friedrich auf das Allgemeine Landrecht und zitierte: Ganz kinderlose Ehen können auf den Grund gegenseitiger Einwilligung getrennt werden, sobald weder Leichtsinn oder Uebereilung, noch heimlicher Zwang an einer oder der andern Seite zu besorgen ist. Der Großherzog wies schließlich die Scheidung des kinderlosen Paares mit Rücksicht auf die Bestimmung des König. Preuß. Landrechtes an.132 Warum die Regierung ihre Empfehlung so ungewöhnlich ausführlich mit dem Allgemeinen Landrecht rechtfertigte, geht angesichts der auch durch Carl Friedrich schon früher mit Kinderlosigkeit begründeten Ehescheidungen nicht aus den Akten hervor.133 Wiederholt handelten Weimarer Gesetzgebung und Rechtsprechung unter Einfluss des preußischen Rechts, das entscheidend zur Liberalisierung der Rechtspraxis beitrug.

2.6. Kodifizierte und unbekannte Ehescheidungs- und Annullierungsgründe Nicht zuletzt orientierten sich die Anwälte und die Regierungsmitglieder an erfolgversprechenden Argumentationen eines förmlichen Scheidungs- oder Annulierungsverfahrens und führten etwa die offiziellen Scheidungsgründe Ehebruch und bösliche Verlassung an.134 Wurde die Ehe etwa unter Vorspiegelung falscher Tatsachen geschlossen oder hatte das Paar bei der Eheanbahnung gegen geltende Gesetze verstoßen, sei die Ehe ohnehin ungültig (acht Punkte). Mehrere Paare gaben an, dass ihre Ehen voreilig oder aus den falschen Motiven (ob des Geldes oder als Konvenienzehe) heraus geschlossen worden waren.135 Gleichsam hätten laut Regierung Ehen bloß dem Namen nach bestanden und seien damit de facto nie vollzogen worden (vier Punkte).136 Eine Scheidung, so die unterschwellige Botschaft, setze demzufolge 131 Entwurf Ehegesetz I (1826), LATh–HStAW, Rechtspflege B2408a, fol. 31v; ALR II, 1 § 696. 132 Scheidungen Weimar (1829–1832), LATh–HStAW, Rechtspflege B2609, fol. 294r, 296r, 297r; ALR II, 1 § 716. 133 Vgl. unter anderem Scheidungen Weimar (1825–1828), LATh–HStAW, Rechtspflege B2608, fol. 406v, 457r. 134 Neue Consistorial-Ordnung (1805–1821), LATh–HStAW, Behörden B1577b, fol. 179r. 135 Scheidungen Weimar (1813–1814), LATh–HStAW, Rechtspflege B2599, fol. 89r; Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 78v, 194v; Oberkonsistorialakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 10r; Scheidungen Weimar (1806–1807), LATh–HStAW, Rechtspflege B2577, fol. 21r; Scheidungen Weimar (1807–1810), LATh–HStAW, Rechtspflege B2581, fol. 38r, 78r. 136 Scheidungen Weimar (1807–1808), LATh–HStAW, Rechtspflege B2578, fol. 39v.

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V. EHESCHEIDUNGEN IN GESETZEN UND DEBATTEN

lediglich geltendes Recht um. Deshalb warfen sich laut den Berichten der Regierung die Ehepartner Ehebruch vor, wobei fast genauso viele Frauen (14,5 Punkte) wie Männer (14 Punkte) untreu gewesen sein sollen. Anne Catharina Haselbach geb. Krahmer habe mit dem Untermieter verkehrt und der Tüncher Johann Carl August Hartung soll mit der Haushälterin in einem Bett geschlafen und eine Bauerstochter geschwängert haben.137 Damalige Wohn- und Arbeitsbedingungen bzw. Versorgungsgemeinschaften und damit einhergehende Abhängigkeitsverhältnisse begünstigten un- und außerehelichen Verkehr. Der Unteroffizier Johannes Müller verzieh seiner Frau den Ehebruch mit dem Feldwebel Christian Gottlieb Heuße. Mit mehreren Kindern in ärmlichen Verhältnissen lebend, hatte sich das Paar seit Jahren bei Heuße Geld geliehen, wofür er sexuelle Gefälligkeiten von der Frau verlangte. Der Ehemann wusste anscheinend nichts von dem Tauschgeschäft, da er Heuße sehr gemißhandelt habe, nachdem er beide beim Ehebruch ertappte.138 Häufiger als die Ehemänner (6,5 Punkte) hätten sich die Gattinnen (zehn Punkte) unerlaubt getrennt und seien aus dem gemeinsamen Haushalt ausgezogen, was dem klassischen Scheidungsgrund der böslichen Verlassung gleichkam. Christiana Constantia Bauer geb. Bohn sei von ihrem Mann samt den von ihm verursachten Schulden zurückgelassen worden. Sie hatte ihn bereits dreimal in verschiedenen Tageszeitungen ausrufen lassen. Ihr Scheidungsgesuch stützte sie somit auf die bei dem Verdacht der böslichen Verlassung vorgeschriebenen, von ihr bereits unternommenen Ediktal-Ladungen.139 Die eigenmächtige Trennung lief der staatlichen und kirchlichen Entscheidungsgewalt in Ehesachen zuwider und wurde deshalb gesetzlich geahndet. Eine intakte christliche Gesellschaft funktionierte nach zeitgenössischem Verständnis nur über die Achtung der Ehe: Verheiratete Paare mussten miteinander leben und unverheiratete Paare durften nicht gemeinsam wohnen. Ein unerlaubt getrennt lebendes Paar oder ein Partner, der den anderen ohne obrigkeitliches Einverständnis verließ, missachtete gesellschaftliche Werte und hinterfragte die durch die Gleichsetzung von Familie und Staat kommunizierten autoritären und rechtlichen Grundprinzipien. Besonders in den unteren gesellschaftlichen Schichten konnte eine Trennung den Verlassenen existenziell gefährden. Ohne den Lohn des Mannes konnte die Frau sich und die Kinder schwer versorgen und ohne die Haushaltung der Frau fehlten dem Mann etwa gewaschene Kleider oder geerntete, zubereitete und eingekochte Nahrung für den Winter. Die Versorgungsgemeinschaft Ehe funktionierte nur mit beiden

137 Scheidungen Weimar (1806–1807), LATh–HStAW, Rechtspflege B2577, fol. 36r–v; Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 122r–v. 138 Ehebruch Heuße (1774), LATh–HStAW, Militär B36958, fol. 1r–3v. 139 Scheidungen Weimar (1807–1810), LATh–HStAW, Rechtspflege B2581, fol. 184r.

2. SCHEIDUNGSGRÜNDE IN DEN OBRIGKEITLICHEN GUTACHTEN

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Partnern und staatliche Hierarchien gleichsam nur dann, wenn sich diese in stabilen Familien widerspiegelten. Das erstaunlichste Ergebnis der quantitativen Auswertung angegebener Scheidungsgründe sind jedoch die insgesamt zwölf Punkte, die sich für die Angabe keiner konkreten Gründe oder für die Befürwortung der Scheidung trotz fehlender triftiger Gründe addierten. Tatsächlich bildeten davon bei sieben Ehescheidungen die angeblich bekannten, besonderen oder bewegenden Umstände das ausschlaggebende Argument für die Auflösung der Ehe. Die von den Ehepartnern angeführten rechtskräftigen Scheidungsgründe Ehebruch und bösliche Verlassung konnten hingegen mit nur 13 Prozent eher selten eine Scheidung erwirken – offenbar zweifelte die Regierung in den hier per Dispens zu scheidenden Ehen die Vorwürfe an, die möglicherweise in einem förmlichen Verfahren nicht erfolgreich gewesen wären. Bei Scheidungen trotz mangelhafter Begründung waren die beteiligten Personen mit den Hintergründen vertraut, weshalb die Ursachen nicht weiter ausgeführt wurden. Beim Hofschauspieler Becker etwa seien die Umstände gemeinhin bekannt gewesen, sodass ohne bedencken geschieden werden konnte.140 Die Scheidung des Hofschauspielers La Roche empfahl die Regierung, da es mit den Ehetrennungsgesuchen der Schauspieler von jeher nicht ganz streng genommen zu werden pflegte. 141 Aufgrund berufsspezifischer Zuschreibungen wie etwa flexibler Moralvorstellungen waren Schauspieler beim Ehescheidungsverfahren privilegiert. Ein verstärktes Scheidungsaufkommen wurde auch innerhalb anderer Künstlergruppen beobachtet. Von ihren insgesamt 103 vorgestellten Autorinnen sollen laut Helga Gallas und Anita Runge etwa ein Drittel mindestens einmal geschieden worden sein.142 In drei weiteren Fällen, beim Regierungsrat von Voigt, beim Theaterfriseur Lohmann und beim Eisenacher Legationsrat von Danckelmann, erläuterten weder die Regierung noch der Herzog konkrete Auslöser oder Ereignisse der Ehekonflikte. Carl August schied die Ehen unter Verweis auf bekannte oder besondere Umstände.143 Christian Gottlob von Voigt, als Regierungsrat Mitglied der für die Ehescheidung zuständigen Behörde, merkte in seinem ungewöhnlich kurzen Gesuch an: In gewißenhafter Ueberzeugung rechtmäßiger Bewegursachen, dürfen wir uns wohl überheben in das Detail unserer dissonannten ehelichen Verhältnisse einzugehen.144 Weil er als hochrangiges, adeliges Mitglied der Regierung seine Scheidungsgründe als triftig 140 141 142 143

Scheidungen Weimar (1805–1806), LATh–HStAW, Rechtspflege B2576, fol. 17r. Scheidungen Weimar (1821–1824, 1827), LATh–HStAW, Rechtspflege B2605, fol. 264r. GALLAS/RUNGE, Romane (1993), S. 12. Ehescheidung Lohmann (1811–1813), LATh–HStAW, Rechtspflege B2590, fol. 5r; Ehescheidung v. Danckelmann (1815), LATh–HStAW, Rechtspflege B2601, fol. 6r–v, 15r. 144 Scheidungen Weimar (1807–1810), LATh–HStAW, Rechtspflege B2581, fol. 62r.

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V. EHESCHEIDUNGEN IN GESETZEN UND DEBATTEN

beurteilte und weil ihm der Landesherr anscheinend wohlgesonnen war, blieb ihm die ausführliche Darlegung seiner ehelichen Konflikte erspart. Dennoch hielten er und auch Carl August die Formalitäten ein: Ein Antrag wurde gestellt, dieser durch Dispens stattgegeben und der Vorgang den übrigen Dispensscheidungsakten angeschlossen. Der ordentliche Rechtsweg wurde unabhängig von Stand und Funktion eingehalten, wodurch die Scheidung Rechtskraft erhielt. Demgemäß reduzierte auch der Eisenacher Legationsrat von Danckelmann seine Ausführungen darauf, dass keine Hoffnung mehr auf Versöhnung bestand, woraufhin der Herzog bey der besondern Bewandniß der Sache die Scheidung anordnete. 145 Ähnlich abstrakt wurden die Ehescheidungen des Hofschauspielers Durand, des Kammerherrn von Boyneburg und des Hofrats Völkel begründet. Den genannten Paaren wurde sogar gestattet, sich beim obligatorischen Versöhnungsversuch vertreten zu lassen.146 Beim Ehepaar Färber, die Ehefrau war als Wartefrau bei den Erbprinzessinnen angestellt, konnte die Regierung die Scheidung angesichts fehlender rechtlicher Gründe nicht empfehlen – der Herzog ordnete sie dennoch an.147 In den übrigen sechs Fällen gaben Regierung oder Carl August zwar Gründe an, die jedoch laut Gremium oder laut Landesherr als nicht rechtskräftig galten. Dennoch wurden die Ehen geschieden, mitunter infolge eines weiteren Gesuchs. 148 Carl August löste Ehen sogar auf, obwohl die Regierung keine Empfehlung aussprach oder die Trennung ablehnte.149 Das Privileg, auf die Erörterung innerehelicher Konfliktursachen gänzlich verzichten zu dürfen oder trotz mangelnder, unzureichender oder nicht genannter Ursachen geschieden zu werden, genossen vor allem Adlige, Hofangestellte und in den hier genannten Fällen insbesondere Schauspieler oder Behördenmitglieder: die Hofschauspieler Becker und La Roche, der herzogliche Gartenbauschreiber Gentzsch, der Regierungsrat von Voigt, der Theaterfriseur Lohmann, die Wartefrau der Erbprinzessinnen Färber, der Legationsrat von Danckelmann und der Kammerherr von Boyneburg. Beim Chirurgen Kladzig, 145 Ehescheidung v. Danckelmann (1815), LATh–HStAW, Rechtspflege B2601, fol. 1r, 6r. 146 Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 81r, 88v, 90r–v, 170v, 175r, 213v, 215r. 147 Scheidungen Weimar (1811–1812), LATh–HStAW, Rechtspflege B2591, fol. 78v–80r. 148 Scheidungen Weimar (1807–1808), LATh–HStAW, Rechtspflege B2578, fol. 145r, 156r; Scheidungen Weimar (1813–1814), LATh–HStAW, Rechtspflege B2599, fol. 92v–95r; Scheidungen Weimar (1814–1815), LATh–HStAW, Rechtspflege B2600, fol. 59v–61r; Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 62v–64r, 96r, 213v–215r; Scheidungen Weimar (1821–1824, 1827), LATh–HStAW, Rechtspflege B2605, fol. 243v–244r. 149 Scheidungen Weimar (1807–1810), LATh–HStAW, Rechtspflege B2581, fol. 49r–52r; Scheidungen Weimar (1811–1812), LATh–HStAW, Rechtspflege B2591, fol. 78v–80r.

2. SCHEIDUNGSGRÜNDE IN DEN OBRIGKEITLICHEN GUTACHTEN

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dem Unteroffizier Petri und dem Stuttgarter Bildhauer Streim konnte kein direkter Bezug zum Herzog oder zum Hof nachgewiesen werden. Dennoch wurden alle drei Ehen trotz unzureichender Begründungen per Dispens geschieden. Inwieweit also ausschließlich Paare mit Kontakten zum Herzog und zum Hof privilegiert waren oder ob und warum auch andere Eheleute auf die detaillierte Erörterung ihrer innerehelichen Streitigkeiten verzichten durften, kann nicht abschließend beantwortet werden. Nicht auszuschließen ist hier eine bewusst unberechenbar erteilte Gnade des Herzogs, der damit wider geltende staatliche und gesellschaftliche Normen entschied. Bestärkt wurde Carl August durch Autoren wie Schlegel, die Dispensscheidungen auch unabhängig von rechtskräftigen Gründen als legitim propagierten. Dass doppelt so vielen Frauen wie Ehemännern das eigenmächtige und damit bösliche Verlassen des gemeinsamen Haushalts vorgeworfen wurde, ist dem Aufenthaltsbestimmungsrecht geschuldet. Verblieb die Gattin am bisherigen Wohnort etwa für eine bestehende Anstellung, zog sie aus dem gemeinsamen Haushalt aus oder verweigerte schlichtweg das Zusammenleben, durfte sie ihr Gatte der böslichen Verlassung oder zumindest der Verweigerung der ehelichen Pflichten anklagen. Außerdem konnten die meisten Frauen sich selbst und ihre Kinder aufgrund ihrer physischen Unterlegenheit gegen die Gewalt der Männer nur bedingt schützen. Entsprechend handelte es sich bei der Hälfte der in den Weimarer Dispensakten zwischen 1805 und 1830 vorgeworfenen böslichen Verlassungen um die Flucht der Gattinnen aus ihrer gewalttätigen Ehe. 150 Zugleich dokumentieren die Dispensscheidungsakten neben dem Vorwurf der böswilligen Verlassung jedoch die nicht geringe Zahl jahrelang unbehelligt getrennt lebender Ehepaare und damit eine gewisse Ambivalenz in der Durchsetzung geltenden Eherechts. Die Obrigkeiten hatten diese wilden Scheidungen offenbar geduldet und dadurch alternative Lebensformen erst ermöglicht. Durch ihre Flucht wurde den Frauen wohl häufiger als den Männern die (Mit-)Schuld am Scheitern der Ehe zugeschrieben. Aufgrund der fehlenden Akten förmlicher Scheidungsverfahren können Schuldzuweisungen oder deren Wahrnehmung jedoch lediglich spekuliert werden. Einseitige Verantwortungszuschreibungen für das Scheitern der Ehe sind anhand der komplexen Urteilsbegründungen in den Dispensscheidungsakten nicht zu beobachten. Laut Siegrid Westphal beantragten überwiegend die Frauen die Scheidung. Die Scheidungs-

150 Von insgesamt 14 Frauen, die ihre Männer widerrechtlich verließen, sind sieben infolge körperlicher oder verbaler Tätlichkeiten ausgezogen, vgl. bspw. Ehescheidung Schultze (1806), LATh–HStAW, Rechtspflege B2575, fol. 7v–8v; Scheidungen Weimar (1814– 1815), LATh–HStAW, Rechtspflege B2600, fol. 6r–7v; Scheidungen Weimar (1816– 1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 192v.

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akten Sachsen-Weimar-Eisenachs ließen aufgrund fehlender Angaben keine entsprechende Einschätzung zu.151 Selbst wenn rechtskräftige Gründe erwiesenermaßen vorlagen, konnte der Herzog als oberster Richter die Scheidung verweigern. Generell befinden sich in den Dispensscheidungsakten nur sehr wenige Fälle, in denen die Auflösung der Ehe abgelehnt wurde, und zumeist waren dann die angegebenen Gründe nicht hinreichend. Besonders ungewöhnlich verliefen die Verhandlungen über das Ehepaar Hößling aus Kaltensundheim im Eisenacher Landesteil. Die dortige Regierung unterstützte das Gesuch der Eheleute, da angesichts des erwiesenermaßen vertrauten Umgange[s] des Mannes mit der Pfarrwitwe Voigt keine Versöhnung mehr zu erwarten sei. Carl August verweigerte jedoch die Scheidung, da der eheliche Konflikt durch die Frivolität des Ehemannes ausgelöst wurde und entsprechend durch eine Umsiedlung der Pfarrwitwe auszuräumen sei.152 Die herzogliche Anordnung setzte die Witwe Voigt jedoch nicht ohne Weiteres um und wandte ein, dass sie in Kaltennordheim ihren Besitz zu versorgen habe. Die Regierung ließ das Argument nicht zu, da dessen Verwaltung auch vom Nachbarort aus möglich sei.153 Daraufhin bemängelte die Witwe Voigt in einer Supplik an den Herzog das gegen sie laufende Verfahren: dass sie sich nicht verteidigen dürfe und ihr kein Verteidiger gestellt werde und sie außerdem die gegen sie gerichteten Vorwürfe gar nicht kenne. Sie beklagte, dass die gewaltsame Vertreibung aus einem Ort eine harte Strafe vor allem für ihre unschuldigen Kinder sei und fügte ungewöhnlich brüsk hinzu: […], das werde ich doch nicht erst anzuführen brauchen?154 Dass hier vor allem ihr Rechtsbeistand sprach, lässt der nachfolgende Absatz vermuten, nach dem der Regierungsbefehl zur Räumung des Ortes unmöglich rechtskräftig sein könne, weil es keine Entscheidung ist, welche auf vorgängige Verhandlung und vorgebrachte Rechtsnotdurft in einer Partheysache erlaßen wäre. Daher bat die Pfarrwitwe Voigt den Herzog um ein ordentliches Verfahren mit einer förmlichen Anklage und der Möglichkeit zur Verteidigung. Ohnehin wollte sie innerhalb eines Jahres aus Kaltensundheim wegziehen. Ein sofortiger Umzug würde ihren Kindern dagegen erheblich zusetzen, die Familie würde ihre Heimat verlieren. Carl August bestand weiterhin auf ihre Räumung, gewährte ihr jedoch eine dreimonatige Frist.155 151 Die Examensarbeit zu fünf adligen Paaren identifiziert alle Frauen als Initiatoren der Ehescheidungen, vgl. WILLKOMMEN, Ehescheidung (2009); ferner DIES., Schiller (2011), S. 109; WESTPHAL u.a., Venus (2011), S. 174. 152 Scheidungen Eisenach (1811–1812), LATh–HStAW, EA Rechtspflege 138, fol. 14r–15r. 153 Ebd., fol. 19v. 154 Ebd., fol. 22r–23r. 155 Ebd., fol. 23r–24r.

2. SCHEIDUNGSGRÜNDE IN DEN OBRIGKEITLICHEN GUTACHTEN

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Die Hintergründe zu dem, verglichen mit den übrigen untersuchten Scheidungen, doch sehr ungewöhnlichen Fall konnten nicht geklärt werden. Dem kompromisslosen ersten Urteil des Herzogs und auch der schroffen Reaktion der Witwe in ihrem Schreiben zufolge könnten dem Verfahren ganz andere Konflikte zugrunde gelegen haben. Aber auch das bleibt letztlich eine Vermutung. Sofern die Angaben über den begangenen Ehebruch des Mannes zutrafen, belegt der Fall die Grenzen der Wirksamkeit selbst erwiesener, klassischer Scheidungsgründe. Durch die erzwungene Fortführung der nachweislich gebrochenen Ehe verursachte oder duldete die Obrigkeit zudem selbst eine rechtliche wie familiale Unordnung. Obwohl beide Eheleute die Auflösung ihrer Ehe aufgrund des Seitensprunges verlangten, wurden sie nicht geschieden. Angesichts der nachgewiesenen Straftat und der Klage auch der Frau widersprach Carl Augusts Verweigerung damit eigentlich geltendem positiven und auch biblischem Recht. Letztlich ist bislang kein weiteres Scheidungsverfahren belegt, in dem der Herzog trotz triftiger Gründe und der Empfehlung der Regierung die Scheidung verweigerte. Sowohl jene Absage wie auch die Ehescheidungen trotz mangelnder Gründe weisen die Unberechenbarkeit herzoglicher Entscheidungen als ein herrschaftliches Machtinstrument aus.

2.7. Häufigkeit und Wirksamkeit der angegebenen Scheidungsgründe Die von der Regierung am häufigsten genannte Trennungsursache war die Unversöhnlichkeit der Ehegatten, mit der auch das dritthäufigste Argument der unüberwindbaren Abneigung bzw. des gegenseitigen Hasses einherging. Zahlreiche Frauen klagten über die Tätlichkeiten ihrer Männer oder deren mangelhafte Versorgung, weshalb beide Anschuldigungen in der Häufigkeit die Plätze zwei und vier belegen. Ähnlich oft, in der Rangliste an sechster Stelle, kritisierten die Männer die schlechte Bewirtschaftung durch die Frau und deren Verschwendung. Zu den sieben häufigsten Argumenten zählten schließlich sowohl die Kinderlosigkeit als auch eventuelle Nachteile, die eine Fortführung der Ehe für gemeinsame Kinder gehabt hätte. Wenn auch nur 13-mal genannt, war die wirksamste Begründung einer Scheidung das öffentliche Ärgernis, das die Ehe verursachen könnte und als schlechtes Vorbild familiale Werte hinterfragte. Herzog und Regierung in Sachsen-Weimar-Eisenach wollten wohl durch die Scheidung das Ansehen der Institution Ehe schützen und trennten deshalb zerstrittene Paare. Fast genauso wirksam begründeten fehlende Nachkommen oder etwaige Nachteile für die vorhandenen Kinder eine Scheidung, ferner aber auch eine bereits zurückliegende längere Trennung des Paares und eine starke gegenseitige Abneigung.

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V. EHESCHEIDUNGEN IN GESETZEN UND DEBATTEN

Zu den unwirksamsten Argumenten für eine Ehescheidung zählten Ehebruch und bösliche Verlassung. Sie wurden nur in etwa der Hälfte der Scheidungsverfahren überhaupt angeführt und konnten bis auf wenige Ausnahmen nicht überzeugen. Allerdings handelt es sich bei hier untersuchten Fällen überwiegend um Ehen, in denen Ehebruch und bösliche Verlassung nicht zweifelsfrei vorlagen und die auch deshalb nicht in einem förmlichen Verfahren verhandelt wurden. Unterschiedliche Konfessionen oder religiöse Standpunkte spielten während der Scheidungsbegründung in den Dispensscheidungsakten keine Rolle. Viele der nur gelegentlich oder selten angegebenen Begründungen waren Teil der detaillierten Konflikterörterung und wurden in den Empfehlungen indirekt durch andere, gewichtigere Motive ausgedrückt. So trug die Trunksucht der Ehegatten zur starken Abneigung bei oder verhinderte eine ausreichende Versorgung. Im Verhältnis zur häufigen Erwähnung war die nicht erfüllte gegenseitige Versorgung, übrigens ebenfalls ein ehelicher Zweck, kaum für die Empfehlung der Regierung oder die Entscheidung des Herzogs relevant. Die insgesamt elf Paare, bei denen die Scheidungsakten weder die Konfliktursachen noch triftige Trennungsgründe beinhalteten und die dennoch geschieden wurden, waren aufgrund ihres Standes oder ihrer Nähe zum Hof privilegiert. Die Regierung unterschied zwischen Personen höhern Ranges und anderen, was sich auf das Verfahren auswirkte. Sie erachtete etwa deren persönliches Erscheinen bei einer Scheidung als nicht nothwendig erforderlich und so wurde zuweilen ohne allen vorherigen Termin die Scheidung ausgesprochen.156 Unter den bekannten, durch den Herzog abgelehnten Anträgen gehörte nur ein Ehepaar dem Hof an oder war adelig: Der Dreitzscher Rittergutsbesitzer von Wilke und seine Frau, eine Geborene von Rabenau, hatten kurz nach der Veröffentlichung der herzoglichen Reskripte im Jahr 1816 die Scheidung beantragt und waren zunächst angesichts fehlender triftiger Gründe abgewiesen worden. Sie wurden jedoch drei Jahre darauf per landesherrlichem Dispens geschieden, um ihnen einen langwierigen und aufsehenerregenden Prozess und vor allem der Gattin den Eid angesichts des ihr unterstellten Ehebruchs zu ersparen.157 Wie viele andere Paare von der Regierung oder vom Oberkonsistorium abgelehnt wurden und ihr Gesuch gar nicht erst dem Herzog vorgetragen wurde, ist nicht mehr nachvollziehbar. Auch wenn temporäre Häufungen schon anhand der geringen Untersuchungswerte schwer auszumachen sind, zeichnet sich seit Carl Augusts Reskript von 1816 über die nachlässige Argumentation der Dispensgesuche ein quantitativer Anstieg der Begründungen ab. In den Berichten über die zwischen 1810 und 156 Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 88v. 157 Scheidungen Weimar (1821–1824, 1827), LATh–HStAW, Rechtspflege B2605, fol. 26v– 31r.

2. SCHEIDUNGSGRÜNDE IN DEN OBRIGKEITLICHEN GUTACHTEN

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1815 beantragten 21 Ehescheidungen nannte die Regierung explizit oder indirekt 91 Trennungsgründe, während sie in den 21 Berichten seit 1816 bis 1824 insgesamt 126 Argumente vorbrachte. Damit nahmen die angegebenen Scheidungsursachen um über ein Drittel zu. Herzog und Regierung rechtfertigten ihre Entscheidungen nachdrücklicher und ausführlicher als zuvor. Das herzogliche Votum gegen leichtfertige Trennungen und für eine gründlichere Argumentation hatte nachhaltig gewirkt.158 Weitere Trends wie eine phasenbedingte Häufigkeit bestimmter Scheidungsgründe sind aufgrund des schmalen zeitlichen Rahmens von 1805 und 1830, hervorgerufen durch die spärliche Quellenlage, kaum auszumachen. Allenfalls sind leichte Häufungen erkennbar. So wurde zwischen 1812 und 1826 fast lückenlos mit der Unversöhnlichkeit der Eheleute argumentiert. Auch der Einwand etwaiger Nachteile für die Kinder häufte sich seit 1818. Gingen Regierung oder Herzog in den 46 Trennungsverfahren von 1805 bis 1817 lediglich in fünf Fällen auf die Folgen für die Nachkommen ein, argumentierten sie damit in zwölf der zwischen 1818 bis 1830 verhandelten 33 Scheidungen. Nachteile für die Kinder spielten demnach zunächst nur in knapp zehn Prozent und später aber in über einem Drittel aller Berichte und Urteile eine Rolle. Wie schon die Gesetzgebung zu unehelichen Geburten und wilden Ehen belegen auch die Scheidungsakten, dass das Wohl und die Belange der Nachkommen zunehmend beachtet wurden und die obrigkeitlichen Entscheidungen beeinflussten. Die Kinder sollten in stabilen Verhältnissen aufwachsen – wenn etwa das illegale Zusammenleben ihrer Eltern legitimiert oder die unfriedliche Ehe geschieden wurde. Regierung und Herzog wichen von der auf das streitende Paar oder die ledige Mutter gerichteten Perspektive und von einem starren Festhalten an bewährten gesetzlichen Vorgaben und gesellschaftlichen Normen ab. Zum Wohle des Staates, dem weder durch Strafgelder verarmte wilde Ehen noch zerstrittene Eheleute nutzten, liberalisierte sich in Sachsen-WeimarEisenach der Umgang mit alternativen Lebens- und Familienformen. Die schlechten Vorbilder auch für andere Paare galt es weitestgehend zu minimieren. Bestärkt wurden die Entscheidungsträger in ihren Positionen durch die Beiträge zeitgenössischer Autoren, die die Verbreitung der in den ernestinischen Scheidungsakten genannten Argumente auch andernorts belegen und die Argumentationsmuster Sachsen-Weimar-Eisenachs als stellvertretend für verschiedene zeitgenössische Haltungen gegenüber Scheidungen ausweisen. Von dem nachsichtigeren Vorgehen und der dadurch wiederhergestellten gesellschaftlichen Ordnung profitierte gemäß obrigkeitlicher Absichten zu allererst der Staat, doch zugleich auch die betroffenen Paare bzw. Familien. 158 Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 11r, 75r, 81r.

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V. EHESCHEIDUNGEN IN GESETZEN UND DEBATTEN

Anhand der wirksamsten Argumente in den Dispensscheidungsverfahren wird deutlich, welche Prioritäten die Weimarer Regierungsmitglieder und Herzöge bei der Bewahrung oder Trennung von Ehen setzten. Gefährdeten Ehepaare mit ihrem Verhalten die Ordnung des Staates und die Autorität seiner Instanzen, zeugten sie keine künftig nützlichen Bürger oder schien eine gelingende Erziehung der Kinder verhindert, wurden sie von der Obrigkeit getrennt. Dass das individuelle Wohlergehen der Ehepartner und ihr Wunsch nach einer Scheidung hier nicht ausschlaggebend waren, belegt die nur geringe Überzeugungskraft der Argumente männlicher Gewalt sowie mangelnder Versorgung oder Verschwendung und schlechter Wirtschaft der Frau, deren Nachteile für den Staat überschaubar waren. Die Häufigkeit der vollzogenen Ehescheidungen in Sachsen-Weimar-Eisenach wie auch der Vergleich mit den Scheidungszahlen anderer Staaten belegen, dass sich deren Landesherren wohl häufiger für die Bestätigung und Bewahrung der Institution Ehe entschieden, entsprechend weniger Paare trennten und dafür zerstrittene Ehen in Kauf nahmen. Entgegen den quantitativen Erhebungen kann die Argumentation in den Dispensscheidungsakten Sachsen-Weimar-Eisenachs hinsichtlich Häufigkeit und Wirksamkeit schwer mit einschlägigen Ergebnissen anderer Studien verglichen werden, zumal bislang ausschließlich die Unterlagen förmlicher Trennungsverfahren untersucht wurden. Zudem unterscheiden sich die Analyseparameter sehr stark. Alexandra Lutz gruppiert die jeweiligen Gründe auf andere Weise und analysiert sie vornehmlich qualitativ. Ehebruch, Impotenz und sexuelle Gewalt untersucht sie etwa unter dem gemeinsamen Aspekt der Sexualität. Dabei thematisiert sie die Wirksamkeit der von den Eheleuten der Propstei Münsterdorf in ihren Klagschriften angeführten Argumente eher sporadisch als systematisch. Durch den Fokus auf die Qualität der Argumentation formuliert sie die quantitativen Ergebnisse zu den Scheidungsgründen äußerst vage. Auch liegen ihr nicht für alle Scheidungsverfahren die Urteile der Obrigkeit vor. Sylvia Möhle konzentriert sich bei ihrer überwiegend qualitativen Ursachenanalyse fast ausschließlich auf die zwei klassischen Scheidungsgründe, weshalb auch hier ein Vergleich unmöglich ist. Nur vereinzelt geht sie auf die Wirksamkeit der in den Klageschriften der Eheleute vorgebrachten übrigen Argumente ein, was für einen quantitativen Vergleich nicht ausreicht.159 Ähnliche Schwierigkeiten ergeben sich bei der Konfrontation anderer einschlägiger Studien. Hinsichtlich der vorgebrachten Argumente gleichen sich die Ergebnisse sehr stark und mehrere Untersuchungen beobachten ein zunehmendes Auftreten der gegenseitigen Abneigung in protestantischen Staaten im Zuge des Allgemeinen Landrechts von 1794. Andere Gerichtsinstanzen hielten an den eher klassischen Begründungen bösliche Verlassung, Ehebruch, Impotenz und Insidien fest und 159 LUTZ, Ehepaare (2006), S. 191f., 206f.; MÖHLE, Ehekonflikte (1997), S. 158f., 160–183.

2. SCHEIDUNGSGRÜNDE IN DEN OBRIGKEITLICHEN GUTACHTEN

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weiteten sie nicht aus. 160 Die Gesetzgebung in Preußen strahlte auch auf die Argumentation in Ehescheidungsverfahren anderer Staaten aus und nahm hinsichtlich der Verbreitung des Zerrüttungsprinzips eine Vorreiterrolle ein. Wie in Preußen überwog im ernestinischen Herzogtum die Erkenntnis, dass Ehen dem Staat mehr schaden als nützen konnten: 1818 berichtete die Regierung über das Scheidungsgesuch von Johann Friedrich Köchel, Wirt des Weimarer Gasthofs Zum goldenen Löwen, und kommt zu dem Schluss: Da die Ehefrau durch Mangel aller wirtschaftlichen und häußlichen Tugenden, durch Unordnung, Unreinlichkeit und Naschhaftigkeit und durch ihr beim Mangel eines richtigen Gefühls und Verstandes unter allen Verhältnißen unangemessenes Betragen die Achtung und Liebe ihres Ehemannes verloren; der Ehemann, getäuscht in der Hoffnung, in jener eine thätige Gehülfin bey seinem Gewerbe, der Führung von Gastwirthschaften zu finden und unfähig, durch Geistesübergewicht auf selbige zu wirken und sie zu ihren Pflichten zurückzuführen, durch die Rohheit seines Gemüths zu täglich sich erneuernden, zum Aergerniß der Nachbarschaft gereichenden Mißhandlungen hingerißen wird, und die nicht zu verkennende gegenseitige Abneigung durch die ausgesprochene halbjährige Scheidung von Tisch und Bett nicht gehoben worden ist, so scheint die Wiederherstellung eines guten Verhältnißes unter diesen Eheleuten unmöglich und das Fortbestehen der Köchelschen Ehe für den Staat eher schädlich, als nützlich zu seyn.161

Hier wird einmal mehr deutlich, dass das Konzept von Ehe zur Sicherung staatlicher Stabilität nicht immer aufgeht. Der Familienvater wird seiner Rolle als Oberhaupt nicht gerecht und seine Autorität steht infrage. Die Parallelsetzung von Familienvater und „Vater Staat“ ist in diesem und in anderen Fällen nicht zielführend und die Obrigkeit dazu angehalten, sich auf neue stabilisierende Faktoren wie ein ausdifferenziertes Rechtssystem zu stützen – was sie im 19. Jahrhundert auch verstärkt tat.

160 R. BECK, Frauen in Krise (1992), S. 147–204; ALR II, 1 § 716–718b; IFFERT, Trennung (2007), S. 94; MÖHLE, Ehekonflikte (1997), S. 91; LUTZ, Ehepaare (2006), S. 141f. 161 Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 160v– 161v. Vermutlich zur Versorgung seiner Kinder heiratete Köchel 1815 in zweiter Ehe die Buttstädterin Eva Friederike Regine Koch: EKAW, HR SK 1815, fol. 44r, Nr. 23; ebd., SR SK 1814, fol. 280r, Nr 224.

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V. EHESCHEIDUNGEN IN GESETZEN UND DEBATTEN

3. Wider die zahlreichen Ehescheidungen –

Ordnungsversuche angesichts eigener Nachlässigkeiten

3. WIDER DIE ZAHLREICHEN EHESCHEIDUNGEN

3.1. Die Strafzahlung geschiedener Paare in den Schulfonds Ferdinand von Göckel druckte im ersten Band seiner Gesetzessammlung ein Zirkular des Eisenacher Oberkonsistoriums vom November 1799 ab, das sich an die dortigen Unterbehörden richtete und mit dem Titel wegen Ehescheidungen überschrieben war. Es bezog sich auf das Reskript Carl Augusts vom September 1797, mit dem der Herzog die Zahlungen in den Schulfonds für alle per Dispens geschiedenen Paare anordnete und das Schmidt in seiner Gesetzessammlung sinngemäß wiedergab. 162 Demgemäß sollten die Eheleute, deren Ehe ausser dem ordentlichen Wege Rechtens aus Landesherrlicher Macht brevi manu getrennt wird, […] ein, ihren Vermögens-Umständen angemessenes Quantum zum Behuf eines wohlthätigen Instituts erlegen.163 Alle per Dispens geschiedenen Paare mussten demnach eine zusätzliche Abgabe entrichten. Das Eisenacher Oberkonsistorium erläuterte die Bestimmung näher – möglicherweise in Anlehnung an das bei Schmidt nicht wortwörtlich abgedruckte Reskript von 1797 – und wies seine Unterbehörden zur Einnahme entsprechender Abgaben an, wenn die Scheidung wegen angeblichen unauslöschlichen Hasses, geringen Thathandlungen, Leibesgebrechen, die den Zweck der ehelichen Verbindung nicht gänzlich aufheben, wegen verschwenderischen Lebenswandels und ähnlichen Ursachen gesucht und eintretender Umstände halber zur Vermeidung unglücklicher Folgen, dem Gesuche derselben nachgegeben wird.164 Entsprechend zahlten in beiden Landesteilen seit 1797 bzw. 1799 per Dispens geschiedene Ehepaare mit Rücksicht auf deren Solvenz mindestens fünf Taler in den Schulfonds ein.165 Die Akte über jene Zahlungen belegt allerdings auch Ausnahmen wie den Hofdiener L’Eveille oder Louise Marie verheiratete Landerer, die Tochter des Hofbediensteten Härtel. Die Abgabe wurde ihnen vermutlich nicht nur aufgrund ihrer Armut, sondern anscheinend auch infolge ihrer Anbindung an höfische Kreise erlassen.166 Gemäß dem Eisenacher Zirkular und auch Schmidts Interpretation hoffte der Landesherr, dass dadurch womöglich die Verminderung der Ehescheidungen dieser Art bewirket werden könne.167 Die Abgabe war demnach vielmehr eine Strafzahlung 162 J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 541; V. GÖCKEL, Gesetze 1 (1828), S. 399. 163 Ebd. 164 V. GÖCKEL, Gesetze 1 (1828), S. 399. 165 Vgl. bspw. Scheidungen Weimar (1807–1808), LATh–HStAW, Rechtspflege B2578, fol. 107v. 166 Vgl. Abgaben Schulfonds (1797), LATh–HStAW, Rechtspflege B2572. 167 V. GÖCKEL, Gesetze 1 (1828), S. 399. Ferner J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 541.

3. WIDER DIE ZAHLREICHEN EHESCHEIDUNGEN

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und diente der Abschreckung. Sie sollte die ohnehin anfallenden Kosten für eine Ehescheidung erhöhen, die Ehepartner für ihr Fehlverhalten innerhalb der Ehe bestrafen und zerstrittene Paare von einer Trennung abhalten.168 Während in den ersten Jahren nach Erscheinen des Reskripts zwischen 1797 und 1806 durchschnittlich knapp 50 Taler zu entrichten waren, gaben die Geschiedenen zwischen 1807 und 1810 durchschnittlich nur noch die Hälfte, rund 23 Taler, in den Schulfonds ab. 169 Die von der Regierung in ihren Berichten an den Herzog empfohlenen Zahlungen bestätigen den Trend sinkender Abgaben. Seit 1812 beliefen sich die Empfehlungen auf etwa fünf bis 25 Taler. Die Strafzahlungen in den Schulfonds schreckten scheidungswillige Paare anscheinend kaum ab, zumal auch die nachweislich geschiedenen Ehen seit 1797, abgesehen von leichten Schwankungen 1799, nicht auffällig abnahmen. Ebenso wurde die schon vor dem Reskript von 1816 geltende Richtlinie, nämlich nur ganz unversöhnbare Ehen zu scheiden, mindestens beim Hofbuchbinder Schultze nicht konsequent befolgt.170 Mit fiskalischen Strafen machte der Herzog seine Untertanen für die zahlreichen Scheidungen verantwortlich – obwohl diese doch letztlich von den obrigkeitlichen Instanzen selbst geschieden wurden. Er strafte die geschiedenen Paare dafür, dass sie ihre Rechte in Anspruch nahmen und dass seine Behörden geltende Gesetze anwendeten. Dabei verantwortete er die zahlreichen Scheidungen letztlich selbst, wenn er die hier zur Strafzahlung verpflichteten Paare schied, zumal fast alle in der Akte verzeichneten Paare durch landesherrlichen Dispens getrennt wurden. Hätte er tatsächlich die Ehescheidungen reduzieren wollen, musste er den Dispens lediglich verweigern oder seine Oberkonsistorien entsprechend anweisen und etwa die Auflösung der Ehe aufgrund anderer als den gesetzlich definierten, triftigen Scheidungsgründen verbieten. Die Anordnung über die Abgaben an den Schulfonds veranschaulicht die Widersprüchlichkeit der Sanktionen im Scheidungsrecht, da die Untertanen lediglich von ihrem Recht Gebrauch machten, und entlarvt sie als fiskalische Maßnahmen zugunsten der Staatskassen.

168 Zur Bestrafung: Scheidungen Weimar (1807–1808), LATh–HStAW, Rechtspflege B2578, fol. 102r. 169 Vgl. Abgaben Schulfonds (1797), LATh–HStAW, Rechtspflege B2572. Von den insgesamt 148 Paaren wurde nur für 86 Scheidungen die zu entrichtende Summe vermerkt, und zwar 39 Trennungen bis 1806 und 47 bis 1810. Bei den übrigen war die Höhe der Abgabe dem Konsistorium überlassen und deshalb nicht eingetragen. Sechs Scheidungsgesuche wurden abgewiesen. 170 Abgaben Schulfonds (1797), LATh–HStAW, Rechtspflege B2572, fol. 4r.

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V. EHESCHEIDUNGEN IN GESETZEN UND DEBATTEN

3.2. Ein Reskript zur Erschwerung der Ehescheidungen und ein Publicandum171 von 1816 Seit der Regierung ab Frühjahr 1805 die Ehescheidung oblag und sie dadurch dem Herzog über beantragte Trennungen per landesherrlichen Dispens berichtete, verliefen solche Scheidungen der Überlieferung zufolge relativ zügig und reibungslos. Von den bis 1830 dokumentierten 167 Gesuchen aus dem Weimarer Landesteil um Scheidung per Dispens waren 158 erfolgreich, nur vier wurden abgelehnt, drei von Tisch und Bett geschieden, ein Paar konnten die Behörden wieder versöhnen und ein weiteres Verfahren wurde eingestellt. Im quantitativ zweitstärksten Jahr 1808 mit insgesamt 21 Gesuchen aus dem Weimarer Landesteil hatte die dortige Regierung die Trennungsverfahren anscheinend beschleunigt. Das Gremium berichtete kürzer und weniger differenziert von den durch die Ehepaare angegebenen Ursachen, als wollte sie die Verfahren bis zum Jahresende abschließen. Auch im für den Weimarer Landesteil quantitativ stärksten Jahr 1815 wurde wie schon 1808 keiner der insgesamt 26 Dispensanträge abgelehnt und lediglich in einem Fall von Tisch und Bett geschieden.172 Auf diese großzügige Scheidungspraxis folgte im Frühjahr 1816 ein scharfer und, wie die kommenden Jahre zeigen sollten, folgenreicher Protest des Landesherrn. Anlass war im Weimarer Landesteil der auch für zuvor genehmigte Gesuche recht typische Scheidungsantrag des Friseurs Müller aus Jena. Der 51-jährige Witwer hatte in zweiter Ehe die Witwe des Tischlers Körner geheiratet, um die insgesamt vier Kinder aus beiden ersten Ehen beßer erziehen und unterstützen zu können; die wechselseitige Zuneigung scheint weniger dabei ins Spiel gekommen zu seyn, urteilte die Regierung. Durch fehlende gegenseitige Liebe und Achtung stand die Müllersche Ehe auf sehr unsichern Stützen und wurde bald zu einem Reiche des Unfriedens. Aufgrund der zahlreichen Mishelligkeiten trennte sich die Frau schließlich von ihrem Mann. 173 Demzufolge bemängelte die Regierung die fehlende Zuneigung als Voraussetzung einer guten Ehe und verdeutlichte so den Wandel familialer Werte durch die zunehmende Verbreitung der Liebesheirat.

171 Der Begriff „Publicandum“ ist Teil des offiziellen Titels des Publicandum Großherzogl. Staatsministerii: v. GÖCKEL, Gesetze 2 (1829), S. 286. Er bezeichnet zeitgenössisch etwas, das bekannt gemacht werden soll, eine öffentliche Anzeige (Art. „Publicandum“, in: CAMPE, Erläuterung (1801), S. 557) und wird nachfolgend zur Unterscheidung dieser spezifischen Verordnung von anderen Veröffentlichungen verwendet. 172 Scheidungen Weimar (1807–1808), LATh–HStAW, Rechtspflege B2578; Ehescheidung Hofmann (1807–1808), LATh–HStAW, Rechtspflege B2579; Scheidungen Weimar (1814–1815), LATh–HStAW, Rechtspflege B2600; Ehescheidung v. Danckelmann (1815), LATh–HStAW, Rechtspflege B2601. 173 Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 1v.

3. WIDER DIE ZAHLREICHEN EHESCHEIDUNGEN

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Da die Eheleute ihren Scheidungswunsch ziemlich allgemein begründeten, wähnte die Regierung als Hauptursachen die verschiedene Gemüthsart und das um 17. Jahre ungleiche Alter der Eheleute. Zudem würde wohl das physische Vermögen des Mannes der noch sehr lebhaften Frau nicht genügen.174 Eine Versöhnung sei angesichts der charakterlichen Verschiedenheit unwahrscheinlich und stattdessen würden Haß und die Eifersucht allmählich ansteigen. Daher empfahl die Regierung die Scheidung, weil bei dieser Ehe der Hauptzweck des Staats, Kinderzeugung, dem nur untergeordneten der ehelichen Beihilfe nachsteht, eine gänzliche Abneigung der Ehegatten aber, wenn selbige nach versuchten gerichtlichen Zwangsmitteln nicht wieder vereinigt werden können, auch gesetzlich einen endlichen Grund der Auflösung des Ehebandes abgiebt. 175 Die für Ehescheidung zuständige Landesbehörde sprach sich für die Auflösung der Ehe aus, weil die starke wechselseitige Abneigung die Zeugung gemeinsamer Nachkommen und damit den Hauptzweck der Ehe verhinderte. Für die Aktenführung der Dispensscheidungsverfahren ungewöhnlich heftet zwischen dem Bericht der Regierung und dem üblicherweise anschließenden landesherrlichen Urteilsspruch ein Folio mit der Überschrift Ganz ohnmaßgebliche Bemerkungen zu N. 469 u 470.D.1. Das Dokument bezieht sich auf die Verfahren der Ehepaare Müller aus Jena und Kaiser aus Wolferstedt. Carl August griff mit diesem Reskript an die Regierung aktiv in die bisherige Scheidungspraxis ein. So erinnerte das damalige Mitglied des Eisenacher Oberkonsistoriums Julius David Schwanitz im Januar 1817 daran, dass Serenissimus […] neuerlich ein gnädigstes Rescript(?) an Großherzogl. Regierung, allhier, zu erlassen und darinne zu befehlen geruhet haben, daß künftighin nicht so leicht auf die Ehescheidungsgesuche eingegangen sondern dieselben mehr erschwert werden sollten.176 Carl Augusts Schreiben ist jedoch ausschließlich in der Akte zu den 1816 bis 1818 entschiedenen Verfahren überliefert, wurde nur durch Schwanitz während der Konzeption des neuen Ehegesetzes erwähnt und ist auch nur dadurch als herzogliches Reskript identifiziert. Weder publizierten es die einschlägigen Gesetzessammlungen, noch existiert ein vergleichbarer Erlass, auf den sich Schwanitz hätte beziehen können. Wenn man darauf achtet, wie bey dem von äußern Eindrücken so abhängigen Haufen Sitten, und die sich durch gleichförmige Anwendung der Gesetze bildende Opinion und Ansicht der Verhältniße, als ein Hauptbindemittel des Bürger-Vereins wirken; so kann es uns gewiß nicht gleichgültig seyn, wie das wichtigste Institut, die Ehe, behandelt wird. Mit diesem Eingangsplädoyer legte Carl August seine Prämissen und Motive für das Reskript dar. Weil die Sittlichkeit und die Werte der Bevölkerung von der erlebbaren Alltagswelt geprägt werden und die regeltreue Rechtsprechung ebenfalls die Wahrnehmung der Bevölkerung beeinflusst und identitäts- und gemeinschaftsstiftend 174 Ebd., fol. 2r. 175 Ebd., fol. 2r–v. 176 Wilde Ehen (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 7v.

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wirkt, so sei eine angemessene Verfahrensweise in Ehesachen, dem wichtigste[n] Institut, elementar. Ein beständiger Erfolg der Ehescheidungsgesuche würde entsprechend kollektive Wertvorstellungen über Ehe nachhaltig prägen. Daher waren für Carl August Ehescheidungen aus bloßer Gnade bedenklich.177 Das protestantische Kirchenrecht erlaubte eine Ausdehnung der Scheidungsgründe, fuhr der Herzog fort, sodass etwa lebensgefährliche Gewalt als Ehebruch interpretiert werden durfte und eine Auflösung der Ehe legitimieren konnte. Demnach gäbe es keinen Grund, weitere Scheidungsursachen zuzulassen und das Schwerseynsollende [sc. die Scheidung, A.W.] auf alle Art [zu] erleichtern. Ohnehin verleite die Scheidungsoption und mit ihr die Chance auf Veränderung u. Abschüttelung des Joches die Ehepartner dazu, Kleinigkeiten als unerträglich zu empfinden. Würde jedoch die Ehe fast unauflösbar, sei das Unvermeidliche eher zu ertragen. Carl August sah demnach einen Grund für die häufigen Trennungsgesuche in der bestehenden Möglichkeit der Ehescheidung.178 Der Herzog forderte für alle künftigen Scheidungsverfahren, dass die Unversöhnlichkeit der Ehepartner nicht länger als triftiger Scheidungsgrund gelten solle, sofern nicht das Leben oder die Gesundheit eines Ehegatten massiv gefährdet waren. Die angeführten Gründe müssten aufs genaueste bewiesen und eigenmächtige Trennungen geahndet werden. Bereits vor Prozessbeginn abgeschlossene Vergleiche seien ungültig. Dem schuldigen Ehepartner dürfe die erneute Eheschließung nicht ohne Weiteres gestattet werden, da er ja durch seine Unarten noch eine schlimme Ehe verursachen kann. 179 Das Reskript richtete sich demnach gegen allzu häufige Scheidungen, die mit der Unversöhnlichkeit der Ehegatten begründet wurden (obwohl die Gesundheit der Eheleute nicht gefährdet war) oder die generell nur aus Gnade stattfanden (obwohl rechtskräftige Gründe fehlten). Das auf ein Scheidungsgesuch folgende bisherige Vorgehen der Regierung wurde als oberflächlich und nachsichtig interpretiert, duldete illegale eigenmächtige Trennungen oder voreilig geschlossene Vergleiche und begünstigte durch die freizügige Wiederverheiratung weitere unglückliche Ehen. Wie in dem Konvolut zu Weimarer Dispensscheidungen des Jahres 1816 ist in der entsprechenden Eisenacher Akte ein Reskript abgeheftet, das weder publiziert noch in den übrigen Unterlagen erwähnt wurde. Es ist weniger ausführlich, kommentiert ebenfalls zwei Scheidungsgesuche und richtet sich gegen die vermehrt auftretenden leichtfertigen Trennungsabsichten. So resümierte Carl August: […] denn es scheint wichtiger, dem übeln Eindruck der leichten Trennungen beym rohen Haufen vorzubeugen, als das Ungemach in Betracht zu ziehen, das dem einzelnen Ehepaar

177 Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 10v. 178 Ebd., fol. 10v–11r. 179 Ebd., fol. 11r–v.

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durch versagte Trennung erwächst […].180 Der Landesherr betont deutlich den Vorrang der gesellschaftlichen Ordnung und das dafür notwendige Ideal der nahezu untrennbaren Ehe vor den persönlichen Interessen der Eheleute. Neben den beiden Reskripten erschien 1816 ein Publicandum des großherzoglichen Staatsministeriums, demzufolge Suppliken nicht an den Herzog weitergereicht werden durften, ohne von der zuständigen Behörde zuvor geprüft worden zu sein. Gesuche, die als ungültig oder nichtig erachtet wurden, sollten dabei abgewiesen oder an die zuständige Behörde abgegeben werden und gar nicht erst an den Landesherrn gelangen. Zugleich waren die Behörden angehalten, die Untertanen und ihre Belange beratend zu unterstützen, beispielsweise hinsichtlich der unterschiedlichen Instanzen, und überall mitzuwirken, daß das Wohl der Rechts- und Hülfe-Bedürftigen mit der Vereinfachung des Geschäftsganges zugleich erreicht werde.181 Das Publicandum sollte demnach die Menge der fälschlicherweise zum Landesherrn durchgestellten Gesuche reduzieren, die Eingänge gründlicher vorsortieren und gegebenenfalls an die eigentlich zuständige Behörde weiterleiten. Die Untertanen sollten auch weiterhin, nur effizienter als zuvor, ihre Rechte wahrnehmen können und dazu von den jeweiligen Institutionen beraten werden. Ungewöhnlich ausführlich und gegen die begründete Empfehlung der Regierung lehnte Carl August vor dem Hintergrund der beiden Reskripte die Scheidung des Ehepaares Müller aus Jena ab, da Wir nicht gemeinet sind, bey dem das ehrwürdige Institut der Ehe gefährdenden Hange zur Veränderlichkeit und Pflichtscheue, Scheidungen aus Gnade ohne erhebliche Ursachen eintreten zu lassen.182 Angesichts fehlender triftiger Gründe verweigerte der Herzog den Dispens, damit die Institution Ehe nicht durch die Launenhaftigkeit einzelner Gatten an Wert einbüßte. Der zuvor allein für die Weimarer Scheidungsfälle von insgesamt 13 Nennungen zehnmal als triftig anerkannte Scheidungsgrund fehlender Nachkommen und auch die mehrfach überzeugende Unversöhnlichkeit der Ehegatten waren in dem Fall Müller für Carl August nicht ausschlaggebend. Häufiger als zuvor ordnete er nun die Trennung von Tisch und Bett an, dem wiederum ein erneuter Versöhnungsversuch und ein Bericht der Regierung folgen sollten. 183 Nach mehreren abgewiesenen Ehepaaren bzw. deren vorübergehender Trennung ließ die anfängliche Strenge spätestens ein Jahr nach dem Reskript wieder nach. Einige zunächst abgewiesene Paare wurden letztlich doch geschieden. Dem Hofrat Völkel blieb vermutlich aufgrund seiner privilegierenden Anstellung die Angabe konkreter Scheidungsursachen und die 180 Scheidungen Eisenach (1816–1822), LATh–HStAW, EA Rechtspflege 142, fol. 15r–v. 181 V. GÖCKEL, Gesetze 2 (1829), S. 286f. 182 Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 12v. 183 Ebd., fol. 16v, 126r–128r.

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persönliche Teilnahme am obligatorischen Versöhnungstermin erspart. 184 Die Zahlungen in den Schulfonds stiegen ebenfalls nur für mehrere Monate an und beliefen sich danach wieder auf durchschnittlich fünf oder zehn Taler. Besonders die späten 1820er Jahre vermitteln den Eindruck, als seien nahezu alle, auch halbherzig begründete Gesuche, genehmigt worden, wenn nur die formalen Auflagen erfüllt waren. Carl August schied die Eheleute Rockstuhl aus Weimar 1827 und erließ ihnen sogar die für landesherrlichen Dispens zu zahlende Abgabe, obwohl die Regierung sich einer Empfehlung zu dieser allerdings sehr feindselig gestalteten, 13 Jahre währenden, kinderlosen Ehe enthielt. Der Schuhmacher und seine Frau hatten sich gegenseitig Alkoholismus vorgeworfen. Außerdem soll der Mann gewalttätig gewesen sein und habe einen höchst unordentlichen Lebenswandel geführt, die Frau habe ihn wiederum verlassen und Ehebruch betrieben.185 Obwohl sich die Regierung enthielt und keinen der Gründe als triftig auswies, schied der Herzog die Ehe und scheiterte damit an seinen eigenen 1816 gefassten Vorsätzen. Nach einer anfänglich strengeren Handhabung sind Herzog und Regierung anscheinend wieder in alte Mechanismen zurückgefallen und bewilligten wie zuvor fast alle Anträge. Tatsächlich wirkten sich die Reskripte von 1816 im Weimarer und Eisenacher Landesteil jedoch nachhaltig auf die Scheidungspraxis der kommenden Jahrzehnte aus. Trotz der territorialen Erweiterung des Großherzogtums seit 1815 und dem damit einhergehenden immensen Bevölkerungsanstieg von 112.000 auf 190.000 Einwohner blieben die Scheidungszahlen in etwa gleich hoch. 186 Möglicherweise trafen weniger Gesuche als vor dem ebenfalls 1816 veröffentlichten Publicandum zur Prüfung beim Herzog ein. Verschiedene Scheidungsanträge wies die Regierung ab und leitete sie gar nicht an Carl August weiter. Die Eheleute Rultzsch (auch: Roltsch) aus Weimar hatten beim Landesherrn um die Auflösung ihrer Ehe bitten wollen und waren zunächst von der Regierung angesichts fehlender triftiger Gründe zurückgewiesen worden. Erst in einem zweiten Versuch leitete die Behörde 1820 den Fall an den Herzog weiter, obwohl sie noch immer keine triftigen Gründe nennen konnten. Carl August ordnete dennoch die Scheidung aufgrund der fortwährenden Mißverhältniße und dem darin begründeten Zwiespalt an. Ferner schienen später auch die unteren Instanzen wie etwa Justizämter verstärkt involviert gewesen zu sein, indem sie etwa der Regierung von der unfriedlichen Ehe berichteten. 187 184 Ebd., fol. 36r, 46r, 81r, 91r, 96r, 145r, 151r. 185 Scheidungen Weimar (1825–1828), LATh–HStAW, Rechtspflege B2608, fol. 263r–267r. 186 Anhang, Grafik 4, 8. Die Scheidungszahlen sind immer in Relation zu den vorhandenen Quellen zu bewerten. 187 Vgl. bspw. Scheidungen Weimar (1825–1828), LATh–HStAW, Rechtspflege B2608, fol. 1r; Scheidungen Weimar (1821–1824, 1827), LATh–HStAW, Rechtspflege B2605, fol. 86r, 89r, 210v, 221v.

3. WIDER DIE ZAHLREICHEN EHESCHEIDUNGEN

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Wenngleich die überlieferten, bewilligten Scheidungsanträge einen nachgiebigen Umgang suggerieren, sprechen die im Verhältnis zum Bevölkerungszuwachs rückläufigen Scheidungszahlen für eine nachhaltige restriktive Wirkung des Reskripts und des Publicandums. Zugleich stieg seit 1816 die Zahl der Begründungen innerhalb der Regierungsberichte um über ein Drittel an. Das herzogliche Reskript befolgend bemühten sich das Gremium und gegebenenfalls auch die Anwälte der Eheleute mehr als zuvor, die Auflösung der Ehe mit möglichst triftigen Scheidungsursachen ausführlich zu rechtfertigen. Die Berichte betonen dementsprechend die mehrfachen und letztendlich doch erfolglosen Sühneversuche. Die Paare nahmen wiederum das strengere Vorgehen ihrer Obrigkeit bei Dispensgesuchen wahr und fürchteten wohl mehr denn je eine Ablehnung. Deswegen hoffte Sophie Dorothea Müller geb. Schmidt aus Schorba in ihrer Klage wenigstens auf Scheidung von Tisch und Bett.188 In keinem der bekannten Fälle vor 1816 hatte ein Gatte wie hier wenigstens um eine temporäre Trennung gebeten. Warum Carl August gerade seit 1816 derart streng in die Scheidungspraxis eingriff, geht aus den Unterlagen nicht hervor. Möglicherweise traten derartige sozialpolitische Fragen während der Kriegsjahre in den Hintergrund und erlangten erst danach wieder an Bedeutung. Vielleicht waren es auch einzelne Beiträge der innerhalb der Publizistik stark divergierenden ablehnenden und befürwortenden Positionen zur Ehescheidung, die Carl August zum kritischen Hinterfragen des bisherigen Vorgehens anregten.

3.3. Eine Gesetzgebung für und wider scheidungswillige Paare Bereits um 1800 und vielleicht auch schon früher soll das Weimarer Oberkonsistorium mehrere Verfügungen, das Verfahren in Eheirrungen und die Verpflichtungen der Ortsgeistlichen in Ansehung derselben betr., an die dortigen geistlichen Untergerichte und an die Prediger erlaßen haben.189 Die Obrigkeit reagierte damit vermutlich ähnlich wie Carl August 1816 auf zugenommene Scheidungen und Scheidungsklagen seit den späten 1780er Jahren. In den einschlägigen Gesetzessammlungen sind derartige Verfügungen nicht abgedruckt. Nur eine Bekanntmachung über die Frohnenabgaben der von Tisch und Bett getrennten Ehefrauen von 1783 ist in einer handschriftlichen Sammlung der Mandate und Verordnungen von 1780 bis 1784 überliefert.190 Demnach sollten Gattinnen, die unter der schlechten Behandlung ihrer 188 Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 31r. 189 Oberkonsistorialakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 12r. 190 Anhang, Grafik 4, 5, 6, 7. Die Sammelakte ist heute Teil des Bestandes Justizamt Weimar: Mandate (1780–1784), LATh–HStAW, Justizamt Weimar 18, fol. 247r–v.

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V. EHESCHEIDUNGEN IN GESETZEN UND DEBATTEN

Ehemänner litten und deshalb von Tisch und Bett getrennt wurden, fortan nicht mehr mit Frohnen belegt werden. Weil die Ehefrauen aus dem gemeinsamen Haushalt ausziehen mussten und nur geringe Alimente erhielten, seien sie ohnehin sehr bedrängte Personen gewesen. 191 Die zusätzlichen Abgaben und Leistungen wollte ihnen die Obrigkeit ersparen. Über 30 Jahre später erließen Carl August, die Weimarer Regierung und das dortige Oberkonsistorium im Zuge des Reskripts von 1816 bis 1830 mehrere Verordnungen, die den Ehescheidungsprozess modifizierten. Darunter befanden sich auch Anweisungen zum Verfahren, wie etwa die Bestimmung des zuständigen Forums bei begangenem Ehebruch oder die Zuteilung der Straf- und Dispensationsgelder aus gemischtkonfessionellen Verlobungen und Ehen. 192 Mehrere Verordnungen wandten sich direkt gegen die sich häufenden Scheidungen oder Scheidungsgesuche oder dienten der Beschleunigung des Verfahrens oder der Kostenersparnis. Die scheidungswilligen Paare zogen aus den Maßnahmen zu Beginn des 19. Jahrhunderts sowohl persönliche Vor- als auch Nachteile. Im April 1820 ordnete Carl August an, dass jeder Ehescheidung und auch den an den Herzog weitervermittelten Gesuchen um landesherrlichen Dispens immer ein Versöhnungsversuch durch den Ortsgeistlichen und den Superintendenten vorausgehen musste. Der Herzog wollte damit den protestantischen Ansichten von Ehe und deren Heiligkeit gerecht werden und dem Leichtsinn, womit jetzt die Trennung wie die Eingehung vieler Ehen beschlossen wird, soviel als möglich Grenzen […] setzen […].193 Das Reskript sollte die vermehrt aufgetretenen übereilten Scheidungsgesuche reduzieren und griff damit ein auch in der Publizistik angeklungenes Argument gegen die Ehescheidung auf. Es war aus den Verhandlungen über die Trennung der Ehe des Eisenacher Landesdirektionsregistrators Thon im Dezember 1819 und Januar 1820 hervorgegangen. Wie schon andere Behördenmitglieder vor ihm begründete er sein Scheidungsgesuch nur sehr oberflächlich. In dem ungewöhnlich kurzen, nur eineinhalb Seiten bzw. drei Absätze umfassenden Bericht über die Thonsche Ehe bezieht sich der erste Abschnitt auf den bereits getroffenen Vergleich über das gemeinsame Kind und das Vermögen und der dritte Absatz auf die Zahlung in den Schulfonds. Innerhalb des zweiten Abschnittes begründete die Eisenacher Regierung das Scheidungsgesuch: Wenn anzunehmen ist, daß Personen, welche unter die gebildete Claße zu rechnen seyn dürften, einen solchen Schritt nur dann thun, nachdem sie selbst alle Mittel fruchtlos versucht haben, eine dauernde Aussöhnung und ein erträgliches Verhältniß herzustellen: so darf man wohl schwerlich von einem Verhörstermin beßern

191 Mandate (1780–1784), LATh–HStAW, Justizamt Weimar 18, fol. 247r. 192 WWB 68 (1822), Nr. 104 (31.12.1822), S. 509; v. GÖCKEL, Gesetze 4 (1832), S. 57f. 193 V. GÖCKEL, Gesetze 3 (1830), S. 705f.

3. WIDER DIE ZAHLREICHEN EHESCHEIDUNGEN

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Erfolg erwarten, und dieß hat uns veranlaßt, das Thonsche Gesuch, ohne vorgängige Pflegung der Güte, Eu. Königl. Hoheit unterthänigst zur gnädigsten Entschließung, vorzulegen.194

Aufgrund ihrer Standeszugehörigkeit und dem damit verbundenen Grad an Bildung, der das Ehepaar angeblich zu einem qualifizierten Urteil über ihre ehelichen Differenzen befähigte, mussten sie nicht näher auf die Scheidungsgründe eingehen oder zu einem Versöhnungstermin erscheinen. Carl August untersagte die unverzügliche Scheidung ohne vorausgegangenen Sühneversuch. Die öftern Scheidungsgesuche dieser Art […] und die Wichtigkeit des Instituts der Ehe für die Gesellschaft sowohl in bürgerlicher als in moralischer Hinsicht hätten ihn veranlasst, bis zu Herstellung eines neuen Ehegesetzes, für alle schwerern Eheirrungen eine Concurrenz des OberConsistoriums zum Versuch der Sühne, in einem Rescripte an unsere hiesige LandesRegierung anzuordnen […]. Der Herzog fügte außerdem hinzu, dass die zeitherige Observanz […] aus bloßen StandesRücksichten keine Ausnahme von denjenigen Verfügungen und Terminen anerkennen kann.195 Künftig sollte also ein zusätzlicher Versöhnungsversuch durch das Oberkonsistorium stattfinden. Der Landesherr hatte eine ständische Differenzierung mindestens bei künftigen Scheidungsverfahren abgelehnt, hielt sich aber schon bei Thons zweitem Gesuch nur wenige Wochen darauf nicht mehr daran. Noch immer gab das Ehepaar keine konkreten Scheidungsgründe an, die neu verordnete Versöhnung sei aber auch dem Eisenacher Oberkonsistorium nicht gelungen. Carl August trennte die Ehe, obwohl sich die Eheleute schon vor Prozessbeginn verglichen hatten, triftige Gründe nicht genannt wurden, die Eisenacher Regierung sich einer Empfehlung enthielt und obwohl der Ehemann beim Sühnetermin sogar bereit gewesen sein soll, die Ehe fortzuführen und erst wenige Tage danach in die Scheidung einwilligte. Sein Urteil begründete der Herzog mit der Unversöhnlichkeit der Eheleute auch angesichts des erfolglosen Versöhnungsversuchs durch das Eisenacher Oberkonsistorium.196 Mindestens in diesem Fall konnte – oder wollte – Carl August die übereilte Ehescheidung eines Paares nicht verhindern. Der Versuch, die eheliche bzw. familiale Ordnung durch das Reskript wieder herzustellen, war zumindest in diesem Fall gescheitert. Dennoch konnte der Herzog einmal mehr mit der Unberechenbarkeit seiner Entscheidungen seine landesherrliche Macht unterstreichen. Das hohe Scheidungsaufkommen regte das Weimarer Oberkonsistorium 1824 zu Bemühungen um eine Klausel zum Mindestheiratsalter im neuen Ehegesetz an. Anlass war die Scheidung der Dennstedtischen Eheleute aus Buttstädt, da die Ehefrau in einem zu zarten Alter, nämlich kaum 15. Jahre alt geheiratet hatte. 194 Scheidungen Eisenach (1816–1822), LATh–HStAW, EA Rechtspflege 142, fol. 105r– 105v. 195 Ebd., fol. 107r–v. 196 Ebd., fol. 113r–115r.

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V. EHESCHEIDUNGEN IN GESETZEN UND DEBATTEN

Dadurch befand sie sich in einem intellectuellen Zustande, wo sie ihrer vollkommenen Ueberlegung noch nicht mächtig und ihre Pflichten als Ehefrau und Mutter zu erkennen und aus Grundsatz zu üben, noch nicht fähig gewesen sei.197 Demnach hätte ein Mindestheiratsalter die Eheschließung des noch unreifen Mädchens unterbunden und die nun vollzogene Scheidung verhindert. Entsprechend legte der Gesetzentwurf von 1826 eindeutige Altersgrenzen fest – Frauen sollten das 18., Männer das 24. Lebensjahr vollendet haben –, um so Ehescheidungen infolge der Unreife der Ehepartner oder eines allzu hohen Altersunterschiedes vorzubeugen. 198 Die Autoren des Entwurfs griffen mit dem Mindestheiratsalter eine in der Publizistik ebenfalls diskutierte Maßnahme gegen gestiegene Ehescheidungen auf. Gleichsam sollte laut dem Gesetzentwurf von 1826 künftig die zwischenmenschliche Harmonie der Verlobten vor der Heirat gründlicher geprüft werden, damit derjenige sittliche Grund, worauf eine gute Ehe allein erbaut werden kann, späterhin nicht vermisst werde und damit bei grosser Abweichung des Charakters und der Neigungen nicht in dem künftigen Verhältniß ein unheilbarer Riss entstehe und das Glück der Ehe auf immer untergraben werde.199 Die Obrigkeit reagierte offensiv auf die in den Jahrzehnten zuvor vollzogenen Scheidungen, unter denen zahlreiche mit der Unversöhnlichkeit der Partner begründet wurden. Tatsächlich nahm seit 1826 und dem intern zirkulierenden Ehegesetzentwurf das Argument in den Regierungsberichten deutlich ab. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Gesetzentwurf und der sich wandelnden Argumentation in den Berichten kann jedoch nicht nachgewiesen werden, zumal die Beachtung von Sympathie und Charaktereigenschaften auch verschiedene zeitgenössische Autoren propagierten. Anlässlich der Scheidung der Eheleute Eckardt aus Eichelborn erging im März 1828 ein herzogliches Reskript über die Bestimmung der Dispenszahlungen an die Weimarer Regierung. Carl August ordnete darin an, glaubhafte Nachricht über die Vermögensverhältnisse der beyden Ehegatten zu den Akten zu bringen, damit ein jenen Verhältnissen angemessenes jedoch auch möglichst beträchtliches Dispensationsgeld stets auferlegt werden könne. 200 Die zu entrichtende Abgabe sollte die Paare nicht finanziell ruinieren, aber dennoch eine beträchtliche Einbuße bedeuten und dadurch angemessen strafen und andere scheidungswillige Paare abschrecken. Nebenbei füllten die höheren Abgaben dann auch, und das scheint in dem Postskript als Motiv ebenfalls mitzuschwingen, die staatlichen Kassen. Erneut versuchte der Herzog, hier durch fiskalische Maßnahmen die scheidungswilligen Paare von einem Verfahren zur Trennung der Ehe abzuhalten.

197 198 199 200

Regierungsakte Ehegesetz (1822–1826), LATh–HStAW, Rechtspflege B2400a, fol. 6r–v. Entwurf Ehegesetz II (1826), LATh–HStAW, Rechtspflege B2408b, fol. 2v–3v. Ebd., fol. 5r [Hervorhebung im Original]. Scheidungen Weimar (1825–1828), LATh–HStAW, Rechtspflege B2608, fol. 341r.

3. WIDER DIE ZAHLREICHEN EHESCHEIDUNGEN

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Andere Verordnungen vereinfachten einzelne Verfahrensschritte und ersparten den Behörden und den Ehepaaren Zeit und Geld. Laut einer im Mai 1816 publizierten Bekanntmachung der Regierung sollte der Ehedesertionsproceß theils in Einklang mit dem gewöhnlichen Proceße gebracht werden und dabei weniger kostspielig sein. Der desertierte Beklagte war nicht mehr auf drei, sondern nur noch auf einen Termin zur Beantwortung der Klage vorzuladen und ihm sein Fernbleiben sogleich und nicht erst nach weiteren Aufforderungen zu bescheinigen. Der verlassene Ehegatte musste die Vorladung nicht an drei Gerichtsstellen aushängen lassen, sondern lediglich einmalig in drei verschiedenen öffentlichen Zeitungen publizieren. Die Desertionsklagen zahlungsunfähiger Kläger sollten bis Ende des Jahres gesammelt und die Beklagten gemeinsam in einer und derselben Edictalcitation vorgeladen werden. Schließlich rechtfertigte schon die einjährige, nicht oder nicht triftig begründete Abwesenheit eines Gatten bei Mangel an ausreichenden Nachrichten die Klage auf bösliche Verlassung.201 Der verlassene Ehegatte konnte sich dank der neuen Bestimmungen zügiger und unbürokratischer als zuvor trennen, die Klage auf bösliche Verlassung war für ihn nun weniger kostspielig. Finanziell aufwendig waren für die Eheleute während des Scheidungsverfahrens ferner Anwälte oder Geschlechtsvormünder. Weil die Vorladungen vor die Oberkonsistorien lediglich aussöhnen sollten und keine Rechtssachen verhandelt wurden, benötigten die Ehefrauen laut dem Weimarer Oberkonsistorium seit 1824 keinen rechtlichen Beistand mehr. Generell wurde Anwälten und Geschlechtsvormündern die Anwesenheit beim oberkonsistorialen Sühneversuch untersagt, um möglichster Kostenersparniß willen. 202 Ausführlicher ging das Gremium nicht auf die Motive für die Bekanntmachung ein, doch schien vor allem das jeweilige Ehepaar bzw. die Frau davon zu profitieren und weniger für den Scheidungsprozess bezahlen zu müssen. Einige Neuerungen vereinfachten für die Behörden wie die Ehepaare das Verfahren. Scheidungswillige wurden nicht, wie bislang mitunter praktiziert, durch künstliche bürokratische Hürden gestraft, sondern Ehepaaren die Wahrnehmung ihrer Rechte erleichtert. Carl Friedrich setzte die Bemühungen seines Vaters für eine Verringerung der Scheidungsanträge fort. Aufgrund angeblich gestiegener Scheidungszahlen sollten die Konsistorien seit Oktober 1838 verstärkt den Rat der Bezirksvorsteher einholen, bevor das Gremium für die Auflösung der Ehe votierte.203 Wenige Jahre darauf ordnete der Landesherr an, dass ein Sühneversuch bereits vor dem eigentlichen Scheidungsantrag stattzufinden habe. Auch diese Maßnahme scheint

201 V. GÖCKEL, Gesetze 2 (1829), S. 271f. 202 DERS., Gesetze 3 (1830), S. 1372. 203 Plenarprotokolle (1837–1840), StAW, HA I-1-55, 04.10.1838, Nr. 9.

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V. EHESCHEIDUNGEN IN GESETZEN UND DEBATTEN

angesichts der Klagen des Oberkonsistoriums über zu wenige, letztlich versöhnte Paare nicht erfolgreich gewesen zu sein.204

3.4. Ehescheidungsgesetze in anderen Staaten Ähnlich den Argumenten innerhalb der Scheidungsverfahren können auch die zur Ehescheidung erlassenen Verordnungen aufgrund der unterschiedlichen Interessenschwerpunkte nicht mit anderen einschlägigen Studien verglichen werden. Eine Gegenüberstellung mit einem im gothaischen Nachbarterritorium verabschiedeten Gesetz wäre besonders reizvoll gewesen, da Carl August 1821 die zuständigen Behörden bei der Erarbeitung eines neuen Ehe(scheidungs)gesetzes zur Orientierung am dortigen Ehegesetzentwurf anwies.205 Leider erschien das daraus entwickelte Gothaer Ehegesetz erst 1834, sodass es für einen Vergleich mit den Weimarer Gesetzen und dem Ehegesetzentwurf von 1826 zu jung ist. 206 Einer Analyse gothaischer Mandate und Reskripte fehlten für den Untersuchungszeitraum 1770–1830 publizierte und damit leicht zugängliche Gesetzessammlungen wie die von Schmidt oder von Göckel. Die für einen adäquaten Vergleich notwendige Untersuchung der Archivalien zu den Gothaer Ehe(scheidungs)gesetzen, die möglicherweise den von Carl August 1821 erwähnten Ehegesetzentwurf enthalten, war im Rahmen dieser Arbeit nicht zu leisten.207 Die von Alexandra Lutz untersuchte holsteinische Propstei Münsterdorf zählte am Ende des 18. Jahrhunderts politisch und rechtlich zu Dänemark, da der von 1766 bis 1808 regierende dänische König Christian VII. zugleich auch als Herzog über Schleswig und Holstein herrschte.208 Lutz erläutert in ihrer Studie mehrere Verordnungen der 1770er Jahre und geht in den einführenden Kapiteln überwiegend auf das 17. und beginnende 18. Jahrhundert ein. Für das beginnende 19. Jahrhundert existierten anscheinend keine einschlägigen Gesetze, weshalb sie hier mehrere Einzelfallentscheidungen untersuchte.209 Ein direkter Vergleich mit den in Sachsen-Weimar-Eisenach erlassenen Verordnungen ist daher nur bedingt möglich. 204 Scheidungen und Irrungen (1842–1844), LATh–HStAW, Rechtspflege B2422a, fol. 8r– 13r. 205 Oberkonsistorialakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 48r. 206 Gesetzsammlung Gotha (1831–1834), S. 593–675. 207 Die seit 1827 veröffentlichte Gesetzsammlung für das Herzogthum Gotha beinhaltet erst die seitdem erlassenen Verordnungen. Vgl. Gesetzsammlung Gotha (1827–1830). 208 LUTZ, Ehepaare (2006), S. 33. 209 Ebd., S. 76–106, 140–147.

3. WIDER DIE ZAHLREICHEN EHESCHEIDUNGEN

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Ein Gesetz Christians VII. erlaubte 1771 und damit weit vor den einschlägigen ernestinischen Bestimmungen die Heirat mit dem Ehebrecher und die Wiedervermählung für den schuldigen Gatten, um so die Fortpflanzung zu erleichtern und das Bevölkerungswachstum zu fördern. Alle Hindernisse, die zu illegalem Geschlechtsverkehr führten, waren auszuräumen. Indem dem Schuldigen die Wiederverheiratung erlaubt wurde, erleichterte der König den sonst über die Schuldfrage streitenden Ehepartnern die Scheidung und minderte deren Nachteile. Schon im Jahr darauf revidierte Christian VII. jedoch seinen liberalen Vorstoß und untersagte Ehebrechern die gegenseitige Heirat, da er Nachteile für die allgemeine Frömmigkeit, die Sittlichkeit und den Staat fürchtete. Weitere Verordnungen Dänemarks erlaubten offiziell seit 1771 die Scheidung aufgrund lebenslänglicher Freiheitsstrafen, seit 1775 infolge lebensgefährlicher Gewalt und erneuerten 1779 das Verbot der Scheidung wegen Unversöhnlichkeit.210 Derartige Gesetze hinsichtlich rechtskräftiger Scheidungsgründe sind für Sachsen-Weimar-Eisenach nicht bekannt. Die rechtskräftigen Scheidungsgründe beschränkten sich daneben laut Lutz auf Ehebruch, bösliche Verlassung und Impotenz. Erst in den 1820er Jahren weiteten die Konsistorien der Propstei Münsterdorf die Scheidungsgründe aus, wozu jedoch keine Verordnungen überliefert sind. Gleichsam diskutierten die holsteinischen Instanzen das Problem eigenmächtig getrennt lebender Paare, publizierten letztendlich aber kein Gesetz.211 Nach einem kurzen liberalen Vorstoß durch die Erleichterung einer zweiten Ehe für Geschiedene hielt Christian VII. letztlich doch an den konventionellen familialen Werten fest: Er kehrte zur bewährten Bestrafung durch das Heiratsverbot für den schuldigen Gatten zurück. Silvia Möhle verzichtet in ihrer Untersuchung zu Göttingen auf eine detaillierte Analyse der Gesetzgebung. Geltendes praktiziertes Scheidungsrecht erläutert sie anhand einer 1809 für das Kurfürstentum Hannover veröffentlichten rechtstheoretischen Publikation Friedrich Wilhelm Basilius von Ramdohrs, ein langjähriges Mitglied des Oberappellationsgerichts in Celle. Das protestantische Scheidungsrecht sei nicht auf allgemeine Regeln zu bringen und jedes Konsistorium habe seine eigene Ansicht, die jährlich variieren könne, zitiert sie.212 Auch interpretierte von Ramdohr in seinem Werk Juristische Erfahrungen oder Repertorium der wichtigsten Rechtsmaterien geltendes Recht und gab nicht etwa einzelne Verordnungen wieder. Möhle schlussfolgert angesichts ihrer Ergebnisse zu Ehescheidungsverfahren und angesichts von Ramdohrs Ausführungen, dass die „in Hannover herrschenden Rechtsauffassungen“ nicht an das „liberale Preußische

210 Ebd., S. 140–142. 211 Ebd., S. 144, 146. 212 Zit. nach: MÖHLE, Ehekonflikte (1997), S. 27.

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V. EHESCHEIDUNGEN IN GESETZEN UND DEBATTEN

Scheidungsrecht“ heranreichten, zumal der durch die französische Vorherrschaft kurz geltende Code Civil während der Restaurationszeit revidiert wurde.213 In Sachsen-Weimar-Eisenach wurde die französische Gesetzeskodifikation weder eingeführt, noch orientierten sich die Behörden nachweislich daran oder bezogen sich darauf. Sie nahmen jedoch den Einfluss des Code Civil auf die Gesetzgebung und die familialen Werte in anderen Staaten wahr. Die Behördenmitglieder Weimars ließen sich bei der Verhandlung von Einzelfällen eher vom Allgemeinen Landrecht leiten. Laut Blasius blieb das am Ende des 18. Jahrhunderts weitestgehend neu konzipierte preußische Scheidungsrecht im 19. Jahrhundert erhalten.214 Das Edict gegen die Mißbräuche der überhand genommenen Ehescheidungen (auch „Ehescheidungsedikt“ genannt) von 1782 sowie dessen Revision, eine Kabinettsorder im Jahr darauf, hatten das Allgemeine Landrecht von 1794 und damit das Scheidungsrecht in Preußen erheblich liberalisiert und laut einem der Initiatoren des Allgemeinen Landrechts, Carl Gottlieb Svarez, die bislang großzügige Praxis nur legitimiert. Die später im Allgemeinen Landrecht festgelegten Scheidungsgründe waren hier im Wesentlichen bereits enthalten.215 Die 1782 und 1783 in Preußen erlassenen Verordnungen deutet die Forschung bislang unterschiedlich. Während Dirk Blasius und Stefan Buchholz das Ehescheidungsedikt von 1782 ganz im Sinne seiner Intentionen als restriktive Beschneidung der liberalen Scheidungspraxis begreifen, förderte laut Arne Duncker kaum ein anderes Gesetz dieser Zeit Ehescheidungen stärker bzw. unterdrückte sie weniger stark.216 Immerhin erlaubte die Verordnung von 1782 die Auflösung von Ehen infolge von Kinderlosigkeit und bei gegenseitiger Zustimmung. Für Blasius’ und Buchholz’ Interpretation spricht letztlich der Inhalt der Kabinettsorder und damit Friedrichs II. eigene Deutung seines 1782 erlassenen Ediktes: 1783 ordnete er diesbezüglich an, mit der Ehescheidung nicht gar zu difficil umzugehen, da sonst das Bevölkerungswachstum gehemmt werde.217 Auch wenn sich die sachsen-weimar-eisenachischen Behördenmitglieder bei der Verhandlung von Ehescheidungen nachweislich immer wieder an der preußischen Gesetzgebung orientierten, initiierten das Allgemeine Landrecht oder vorangegangene Verordnungen keine grundlegende gesetzliche Liberalisierung des Scheidungsrechts im ernestinischen Herzogtum. Zumindest scheint zwischen den neu entstandenen ernestinischen Erlassen und den preußischen Verord213 Ebd., S. 27–31. 214 BLASIUS, Ehescheidung (1987), S. 39. Die Bemühungen um die Revision des Allgemeinen Landrechts richteten sich vornehmlich gegen die Bestimmungen zu Illegitimität. 215 Ebd., S. 31; DUNCKER, Gleichheit (2003), S. 149. 216 V. COCCEJUS (Hg.), Novum corpus constitionum 7 (1786), Sp. 1614–1640; BUCHHOLZ, Eheliteratur (1984), S. 174f.; BLASIUS, Ehescheidung (1987), S. 31; DUNCKER, Gleichheit (2003), S. 149. 217 Zit. nach: BUCHHOLZ, Eherecht (1981), S. 12; DERS., Eheliteratur (1984), S. 175.

3. WIDER DIE ZAHLREICHEN EHESCHEIDUNGEN

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nungen kein unmittelbarer Zusammenhang zu bestehen. Mit den 1816 in Kraft getretenen Reskripten versuchte Carl August, die Scheidung zu erschweren, noch bevor in Preußen seit 1817 eine Revision des Scheidungsrechts im Allgemeinen Landrecht angestrebt wurde.218

3.5. Möglichkeiten und Grenzen einer staatlichen Regulierung der Ehescheidungen Ein wesentlicher Unterschied zwischen unehelichen Geburten und Ehescheidungen hinsichtlich ihrer Ursachen, dass nämlich den illegitimen Verkehr die Untertanen initiierten, während die Auflösung einer Ehe die Behörden verantworteten, wirkte sich auf die jeweiligen Verordnungen aus. Die zur Reduzierung der Ehescheidungen erlassenen Gesetze mussten meist nicht der Bevölkerung in Zeitungen eröffnet werden, sondern richteten sich direkt an die jeweils zuständige Instanz. Die Untersuchung der entsprechenden Verordnungen hat demnach wahrscheinlich nur einen Teil der relevanten Bestimmungen berücksichtigt. Möglicherweise waren weitere in den Unterlagen des bis 1804 für die Ehescheidung zuständigen Oberkonsistoriums enthalten und gingen ebenfalls beim Brand des Archivdepots 1945 verloren. Die Registrande der bei der Geheimen Kanzlei ein- und ausgegangenen Korrespondenzen verzeichnen keine derart betitelten Schreiben an das Oberkonsistorium. Allerdings wurden sie auch nur bis 1792 geführt und dokumentieren daher nicht die scheidungsstarken 1790er Jahre. Die Systematiken, nach denen Verordnungen in den Zeitungen publiziert und von Schmidt oder von Göckel aufgenommen wurden, scheinen überdies nicht konsequent verfolgt worden zu sein. Zwar sind mehrere, auch scheidungswillige Eheleute betreffende Verordnungen in den Anzeigen oder im Wochenblatt publiziert worden, nicht aber die Zahlungen in den Schulfonds. Dabei hätte eine Veröffentlichung dieser herzoglichen Anweisung einige Paare angesichts der zusätzlichen Kosten gegebenenfalls abgeschreckt. Schmidt gab in seiner um die Jahrhundertwende entstandenen Gesetzessammlung zwar das für den Weimarer Landesteil bestimmte Reskript über die Zahlungen in den Schulfonds wieder, nicht aber die Eisenacher Verordnung. Sie erschien dann bei von Göckel, der aber nicht das Weimarer Reskript abdruckte. Dass nur wenige gegen die Ehescheidung gerichtete Gesetze erlassen wurden, um etwa die Aufmerksamkeit der Bevölkerung nicht unnötig auf die Thematik zu lenken und den Ehepaaren die

218 So geschehen laut DUNCKER, Gleichheit (2003), S. 150. Zur weitestgehenden Stabilität des preußischen Scheidungsrechts im 19. Jahrhundert: BLASIUS, Ehescheidung (1987), S. 39.

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V. EHESCHEIDUNGEN IN GESETZEN UND DEBATTEN

Trennung dadurch zu offerieren, widerlegen die vereinzelt in den Anzeigen und im Wochenblatt publizierten Erlasse etwa von 1816, 1822 oder 1824.219 Konnte die Obrigkeit die Scheidungshäufigkeit fast nur über ihre eigenen Behörden regulieren, war bei eigenmächtigen Trennungen durchaus ein Gegensteuern auch über restriktive, an die Bevölkerung gerichtete Verordnungen möglich. Anders als bei immer wieder ergriffenen Initiativen gegen wilde Ehen richtete sich kein einziger der überlieferten Erlasse gegen wilde Scheidungen. Hätte die Weimarer Obrigkeit derartige Gesetze erlassen, wären sie sicherlich wie die Mahnungen gegen unerlaubte illegitime Schwängerungen in den Weimarischen Zeitungen erschienen oder in Schmidts oder von Göckels Gesetzessammlung dokumentiert worden. Der Befund bestätigt die an verschiedenen Beispielfällen jahrelang getrennt lebender Ehepaare entwickelte These, dass eigenmächtige Trennungen in Sachsen-Weimar-Eisenach sowohl auf kommunaler wie auf Landesebene nicht weiter geahndet wurden. Die Motive dafür gehen aus den Quellen nicht hervor. Es ist möglich, dass getrennt lebende Ehepaare von Gesellschaft wie Obrigkeit nicht immer als störend wahrgenommen wurden und die Realität hier die Norm überholt hatte. Vielleicht war es für viele Zeitgenossen akzeptabel, dass unglückliche Ehepaare sich eher trennten, was wiederum einen Bedeutungsverlust christlicher familialer Werte impliziert. Die bis 1816 ergriffenen Maßnahmen wie die Zahlungen in den Schulfonds hatten angesichts des Reskripts zur Erschwerung der Scheidung wohl nur bedingt gewirkt. Indem sich Carl August 1816 an seine Behörden und nicht wie 1797 gegen die Untertanen wandte, verortete er die Ursache für häufige Scheidungen bei den Instanzen selbst und nicht mehr allein bei den Ehepaaren. Zuweilen wirken Carl Augusts Bemühungen um die Reduzierung der Ehescheidungen etwas halbherzig. Seinen eigenen Forderungen, dass etwa Ehen seit 1816 nicht allein aufgrund von Unversöhnlichkeit zu trennen seien oder keine Standesunterschiede gemacht werden sollten, kam er selbst wie im Fall des Eisenacher Landesdirektionsregistrators Thon nicht nach. Der abschließende Satz des 1816 publizierten Reskripts drückt aus, dass der Herzog mehr mahnen, als tatsächlich eingreifen wollte, zumal seine Möglichkeiten dazu laut eigener Einschätzung nicht ausreichten: Doch habe ich mit Allem diesen mehr den Willen, das heilige Institut in Ehren zu erhalten, andeuten, als ein Zutrauen zu meinen angegebenen Mitteln äußern wollen.220 Carl August demonstrierte eher seine guten Absichten, für die gemeinhin als heilig erachtete Ehe einzutreten – als ob er Kritiken vorbeugen wollte, dass er sich nicht genügend um den Erhalt der Ehe bemühte.

219 So begründete das Eisenacher Oberkonsistorium die Streichung der Passagen zur Ehescheidung aus dem Ehegesetzentwurf: Kap. V.4.1. 220 Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 11v.

4. DIE EHESCHEIDUNG – NÜTZLICH ODER SCHÄDLICH?

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Dennoch scheinen die für Weimar und Eisenach 1816 erlassenen Reskripte wirkungsvoll gewesen zu sein, weil die Regierungen daraufhin im Verhältnis zu den gestiegenen Bevölkerungszahlen weniger Ehen trennten als zuvor. Die an den Herzog gerichteten Gesuche wurden fortan gründlicher geprüft und nicht alle dem Landesherrn vorgelegt, sondern mitunter auch abgewiesen oder an andere Behörden weitervermittelt. Carl August selbst nahm trotz der sinkenden Scheidungsrate weiterhin die getrennten Ehen als zu zahlreich wahr, wenn er 1820 nachdrücklich einen Versöhnungsversuch für jedes scheidungswillige Paar anordnete. Seine Prophezeiung ob seiner begrenzten Möglichkeiten, wirkungsvoll in die Ehescheidungspraxis eingreifen zu können, hatte sich anscheinend selbst erfüllt und aus seiner Sicht bestätigt. Auch gelang es den zuständigen Instanzen und auch dem Herzog letztlich nicht, ein das Ehescheidungsverfahren umfassend regelndes Gesetz zu verabschieden und dadurch bis dahin vage und immer wieder neu interpretierte Ehescheidungsgründe eindeutig zu definieren.

4. Die Ehescheidung – nützlich oder schädlich für die staatliche und familiale Ordnung? 4. DIE EHESCHEIDUNG – NÜTZLICH ODER SCHÄDLICH?

4.1. Ein neues Ehegesetz als neues Ehescheidungsgesetz? Fünf Tage nach dem Reskript zur Erschwerung der Ehescheidungen forderte Carl August von seiner Regierung Verbesserungsvorschläge zu den bestehenden Ehegesetzen ein.221 Ein Zusammenhang zwischen dieser herzoglichen Anweisung und der zehn Monate später durch die Eisenacher Regierung angestoßenen jahrelangen Debatte über ein neues Ehegesetz geht aus der Überlieferung ebenso wenig hervor wie eine etwaige zwischenzeitliche Korrespondenz zwischen dem Landesherrn und den Regierungen, Oberkonsistorien oder anderen Instanzen. Beide Initiativen belegen jedoch, dass die Zeitgenossen Ehescheidungen als übermäßig häufig wahrnahmen. So diskutierten die Behördenmitglieder neben Möglichkeiten zur Prävention unehelicher Geburten und der Erleichterung der Eheschließung im Rahmen des neuen Ehegesetzes auch Strategien zur Reduzierung der Scheidungszahlen. Bis zum vorläufigen Entwurf des neuen Ehegesetzes sollten aber noch fast neun Jahre vergehen. Er wurde vermutlich erst Ende des Jahres 1825 fertiggestellt und ist nicht überliefert. Im Januar 1826 kommentierte die Eisenacher Regierung ausführlich auf fast 60 Folios eine Auswahl der mindestens 266 ursprünglichen

221 Oberkonsistorialakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 72r.

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V. EHESCHEIDUNGEN IN GESETZEN UND DEBATTEN

Paragraphen. 222 Von dem ersten Gesetzentwurf sind heute nur noch diese besprochenen Passagen erhalten. Dem Kommentar zufolge befassten sich über die Hälfte der ursprünglichen Paragraphen mit dem Scheidungsrecht (etwa ab § 120), wovon wiederum § 122 bis mindestens § 174 den potenziellen Scheidungsursachen gewidmet waren. Das Eisenacher Oberkonsistorium berichtete dem Herzog im Februar 1826 über die Fortschritte des Ehegesetzentwurfs und gab zu bedenken, ob es rathsam sey, […] jede denkbare Einzelheit, worauf der Ehescheidungs-Prozeß gebaut werden kann, vor die Augen des […] Publikums zu bringen, da es nicht das erstemal wäre, daß aus den darin bemerkten Proceduren von Eheleuten […] Gift zu ihrer Trennung gesogen werden könnte.223 Laut Oberkonsistorium würde ein detailliert publiziertes Ehescheidungsgesetz den streitenden Paaren, die andernfalls vielleicht versöhnt worden wären, weitere Argumente für ihre Scheidung liefern. Gleichsam befürchteten sie, dass eine allzu konkrete Erörterung der physischen Zwecke der Ehe bei jungen Erwachsenen einen Schleier heben [würde], der noch niedergezogen bleiben sollte, weshalb sie darauf nicht so grell eingehen wollten. Das neue Ehegesetz sollte nicht zu vorehelichem Geschlechtsverkehr und auch nicht zu Ehescheidungen ermutigen, sondern beides unterbinden. Daher hatte das Eisenacher Oberkonsistorium die ausführlichen Passagen über Ehescheidung ausgelassen, weil ein sehr widerwärtiger Eindruck entsteht, welcher dem Zwecke des Ganzen bey […] [den] Unterthanen Eintrag thun könnte, wenn bey einem Gesetz über die Ehe eben dieser Abschnitt von deren Trennung, nicht nur als integrierender, sondern als der größte Theil […] hervortritt.224 Die Befürchtung, dass die ausführliche Erläuterung des Ehescheidungsrechts bei einigen Paaren erst den Wunsch nach einer Scheidung weckte, findet sich auch in den zeitgenössischen Debatten und konkret in Jägers ablehnendem Beitrag wieder. Möglicherweise hatten die Oberkonsistorialmitglieder während der Erstellung des Ehegesetzes dessen Publikation Unzertrennbarkeit des ehelichen Bandes rezipiert und sich davon überzeugen lassen. Im endgültigen Ehegesetzentwurf fehlen tatsächlich sämtliche durch die Eisenacher Regierung diskutierte Paragraphen. Stattdessen erinnern unter Rechtsund Pflichtenverhältnis der Eheleute die Gesetzgeber an die Voraussetzungen für eine gelingende Ehe. Verlobte sollten sich eingehend prüfen, mit gleicher und unveränderter Aufrichtigkeit die Ehe eingehen, sich treu sein, einander beistehen sowie freundlich, respektvoll und aufmerksam begegnen und schließlich das Wohlbefinden aller Glieder des Hauses vermehren. Dadurch würden Religiösität, Gehorsam und Vertrauen

222 Entwurf Ehegesetz I (1826), LATh–HStAW, Rechtspflege B2408a, fol. 3r–59r, besonders 46v. 223 Regierungsakte Ehegesetz (1822–1826), LATh–HStAW, Rechtspflege B2400a, fol. 12v. 224 Ebd., fol. 12r–13r.

4. DIE EHESCHEIDUNG – NÜTZLICH ODER SCHÄDLICH?

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gegen Gott, wechselseitig gehoben und genährt; ein solches Verhalten und Streben wird den ehelichen Bund in unverletzter und beglückender Dauer erhalten.225 Sollten dennoch Konflikte entstehen, woran es in keinem menschlichen Verhältniß fehlen kann, werden sie von den Eheleuten ertragen, weil sie gegen dieselben sich vernünftig waffnen lernen, und weil bei Eintracht, bei verständiger Ueberlegung, bei Geduld und Frömmigkeit auch das drückendste Leiden sich für sie mindert. Ohnehin verpflichteten Kinder beide Gatten zu noch festern Halten […] an einander und zu vorbildhaftem Handeln. Der Gesetzentwurf postulierte schließlich: Bei einem solchen Verhältniße sollten billig Mishelligkeiten der Eheleute, […] wodurch die Eintracht gestört […] wird, gar nicht gedacht werden. Die Gesetzgeber räumten jedoch ein, dass erfahrungsgemäß Untugenden wie Untreue, Alkoholismus, Unordnung, leidenschaftliche zur Mishandlung hinreißende Hitze, mangelndes Vertrauen, Sturheit, Rechthaberei und fortdauernde Klagesucht zu Trennungen führten und die Gatten nicht mehr zu versöhnen seien. Neben mehreren Hinweisen zu einem angemessenen Verhalten in Konfliktsituationen riet das Eisenacher Oberkonsistorium dem Paar außerdem, Freunde und Verwandte sowie den Ortsgeistlichen für eine Aussöhnung einzubeziehen.226 Wenn dann die Eheleute, so resümiert der Gesetzentwurf, jene Ratschläge beherzigten, müssten sie sich letztlich gar nicht trennen. Der klagende Teil sollte zunächst nach eigenen Fehlern suchen und sich rechtzeitig Hilfe holen, anstatt gleich die Scheidung zu verlangen. Nur in Ausnahmefällen käme überhaupt eine Scheidung infrage: Liegt der Grund des Unfriedens zwischen Eheleuten in ganz unverbeßerlichen Unsittlichkeiten, in groben Lastern und Vergehungen des einen Theils oder in Ursachen, wodurch der Zweck der Ehe völlig unmöglich gemacht würde; nur in dem Falle, wenn hierüber die traurige Gewißheit vorhanden wäre an gesetzliche Trennung der Ehe zu denken.227 Nachdrücklich wurde die Scheidung als letzte Notlösung deklariert und etwaige Gründe aus dem Zweck der Ehe abgeleitet. Allerdings ließen die Verfasser auch die Scheidung infolge des schweren Fehlverhaltens eines Gatten zu und ermöglichten somit weitere, bereits in den Dispensscheidungsakten angeklungene Argumente wie etwa die Scheidung aufgrund lebensbedrohlicher Gewalt. Nachdem die Autoren die Möglichkeit der Scheidung einräumten, fügten sie in Klammern hinzu: Das besondere über Ehetrennung zu erlaßende Gesetz enthält deshalb die erforderlichen Vorschriften.228 Schon das Eisenacher Oberkonsistorium plante, ein eigenes Scheidungsgesetz getrennt vom Ehegesetz zu publizieren. Auch in der Regierungsakte zum neuen Ehegesetz findet sich ein entsprechender Vermerk.229 225 Entwurf Ehegesetz II (1826), LATh–HStAW, Rechtspflege B2408b, fol. 33r–v [Hervorhebung im Original]. 226 Ebd., fol. 34r–36r [Hervorhebung im Original]. 227 Ebd., fol. 36r–37v [Hervorhebung im Original]. 228 Ebd., fol. 36v–37r. 229 Entwurf Ehegesetz I (1826), LATh–HStAW, Rechtspflege B2408a, fol. 60r; vgl. ferner Regierungsakte Ehegesetz (1822–1826), LATh–HStAW, Rechtspflege B2400a, fol. 12v.

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V. EHESCHEIDUNGEN IN GESETZEN UND DEBATTEN

Durch die Vermeidung des Themas Scheidung im Ehegesetz wollten dessen Verfasser wohl das propagierte Familienideal bewahren und laut den Aussagen der Konsistorialmitglieder nicht zu alternativen Lebensentwürfen ermuntern. Das 1834 erschienene Ehegesetz des Nachbarterritoriums Sachsen-Gotha, an dessen Entwurf sich die Weimarer Behördenmitglieder auf Weisung von Carl August 1821 orientieren sollten, enthielt schließlich ausführliche Paragraphen zum Ehescheidungsrecht. 230 Die dortigen Behörden erachteten die offene Thematisierung der Ehescheidung anscheinend als unbedenklich. Abgesehen von mehreren Absichtsbekundungen der Behörden fehlen in den überlieferten Beständen oder den publizierten Gesetzessammlungen weitere Hinweise auf die Ausarbeitung eines Scheidungsgesetzes. Es ist anzunehmen, dass das neue Ehescheidungsgesetz wie das neue Ehegesetz nicht verabschiedet wurde.231 Vermutlich verwarf Carl Friedrich die Publikation eines eigenen Eheoder Scheidungsgesetzes angesichts des geplanten Strafgesetzbuches, dass schließlich 1840 erschien und unter anderem Bestimmungen zu Ehebruch enthielt.232 Schließlich entsprach laut dem Eisenacher Oberkonsistorialmitglied Julius David Schwanitz der ursprüngliche (nicht überlieferte) Entwurf nicht den juristischen Standards etwa einer Eheordnung, die nur gesetzliche Bestimmungen enthalten sollte.233 Ähnlich waren vielleicht auch die oben zitierten Paragraphen des vorläufigen Entwurfs den Entscheidungsträgern zu ausschweifend und eher appellierend, als instruktiv formuliert, weshalb auch sie zur Anwendung vor Gericht letztlich als nicht geeignet eingestuft und verworfen wurden. Beide Ehegesetzentwürfe verdeutlichen die Brisanz der Thematik Ehescheidung. Der zweite und vorläufig endgültige Entwurf sparte konkrete Bestimmungen zum Scheidungsverfahren sogar fast vollständig aus. Die zuständigen Instanzen entschieden sich zunächst gegen deren ausführliche Erörterung bzw. für ein eigenständiges Scheidungsgesetz. Laut endgültigem Entwurf sollte die Option der Scheidung konsequent ignoriert und nur in äußersten Notlagen erwogen werden, wenn etwa die Zwecke der Ehe unmöglich erfüllt werden könnten oder nicht zu behebende sittliche Mängel sowie Vergehen bestünden. Die neue Eheverordnung scheiterte nach mehreren Jahren und wurde offensichtlich verworfen. Der endgültige Entwurf hielt am konventionellen Familienbild fest und beschwor die Unauflösbarkeit der Ehe und die dazu notwendigen stetigen Bemühungen vor allem der Eheleute. 230 Gesetzsammlung Gotha (1831–1834), S. 634–675. 231 Durchgesehen wurden unter anderem die Gesetzessammlungen von Ferdinand von Göckel, Friedrich Zwetz und Wilhelm Bock, vgl. v. GÖCKEL, Gesetze 1–7 (1828–1840); ZWETZ (Hg.), Repertorium (1874); BOCK, Handbuch Gesetze (1900). 232 V. GÖCKEL, Gesetze 7 (1840), S. 533. 233 Entwurf Ehegesetz I (1826), LATh–HStAW, Rechtspflege B2408a, fol. 62v.

4. DIE EHESCHEIDUNG – NÜTZLICH ODER SCHÄDLICH?

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4.2. Alte und neue Scheidungsgründe im Ehegesetzentwurf Zwar liegt der ursprüngliche Gesetzentwurf nicht mehr vor, doch offenbart der Kommentar zu den geplanten Paragraphen, wie umstritten einzelne Modalitäten des Scheidungsrechts zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren. In Gesetzgebung und Publizistik der protestantischen Staaten wurde besonders über die Trennungsgründe gestritten.234 Dass Ehebruch und bösliche Verlassung eine Auflösung der Ehe rechtfertigten, zweifelte auch der vorläufige Gesetzentwurf aus Sachsen-Weimar-Eisenach nicht an. Wurden die Verlobten vor der Hochzeit getäuscht bzw. nicht informiert, etwa über anzutretende Haftstrafen oder geistige Behinderungen des zukünftigen Gatten, oder wurde ein Partner unter Androhung lebensgefährlicher Gewalt zur Ehe gezwungen, war eine Scheidung grundsätzlich möglich.235 In ihrem Kommentar sprach sich die Eisenacher Regierung jedoch entgegen den ursprünglichen Bestimmungen des Gesetzentwurfs für die Auflösung der Ehe aufgrund von hartnäckig verweigertem Beischlaf aus. Zwar stimmte die Behörde mit den zugrunde liegenden Paragraphen überein, dass eine derart begründete Ehescheidung durchaus bedenklich sei. Die Scheidung empfand die Eisenacher Regierung allerdings bei hartnäckiger Verweigerung des Geschlechtsverkehrs als unumgänglich und war ratlos, wie man sonst dabey verfahren solle. Unter Verweis auf das Allgemeine Landrecht konnte der Gatte seine mindestens sechs Monate andauernde Renitenz unter anderem mit der Sorge um die eigene Gesundheit begründen.236 Leider ist keine Reaktion auf die wohlwollende Position der Eisenacher Regierung und auf ihre Kritik an den ursprünglichen strengen Paragraphen überliefert. Gleichsam sollten längere Haftstrafen die Auflösung der Ehe legitimieren und Geschlechtskrankheiten wie auch andere Ekel erregende Erkrankungen in den Augen der Eisenacher Regierung die Scheidung nach dreijähriger Krankheitsdauer sowie bei bescheinigter Unheilbarkeit rechtfertigen. Die Eisenacher Regierung regte hierbei auch die Ehescheidung infolge nachgewiesener Impotenz an. Unter Verweis auf das Allgemeine Landrecht sollte die Ehe geschieden werden, wenn einer der beiden Partner ohne Verschulden des anderen zur Fortpflanzung 234 Daneben kommentierte die Eisenacher Regierung auch Paragraphen zu Unterhaltszahlungen oder zum Verfahrensablauf. Beides wurde in Sachsen-Weimar-Eisenach und in anderen Staaten oder in der einschlägigen Publizistik, wenn überhaupt, nur marginal debattiert und daher hier ausgespart. Die erörterten Scheidungsgründe wurden entweder im Ehegesetzentwurf oder in anderen Akten konträr diskutiert und deshalb hierfür ausgewählt. 235 Entwurf Ehegesetz I (1826), LATh–HStAW, Rechtspflege B2408a, fol. 34v–36r. 236 ALR II, 1 § 179f.; Entwurf Ehegesetz I (1826), LATh–HStAW, Rechtspflege B2408a, fol. 32r–v.

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V. EHESCHEIDUNGEN IN GESETZEN UND DEBATTEN

unfähig wurde. Dadurch hofften die Initiatoren, mancher Ausschweifung vorzubeugen, die potenten Gatten von Ehebrüchen abzuhalten und somit die öffentliche Ordnung zu wahren.237 Der Eisenacher Oberkonsistorialdirektor Johann Carl Salomo Thon plädierte hingegen für die Duldung der gegenseitigen menschlichen Fehler und Schwachheiten, […] [die] schuldige Theilnahme bey vorkommenden Krankheiten, auch andern Widerwärtigkeiten und Unglücksfällen und deshalb für eine Scheidung nur in außerordentlich wichtigen Fällen. Dann würden sich die Eheleute mehr um eheliche Eintracht bemühen.238 Während die geistliche Behörde an der Ehe auch im Krankheitsfall festhielt, sprach sich die weltliche Regierung pragmatisch für die Scheidung und damit auch potenzielle Wiederverheiratung aus, um dem Staat mehr ehelich geborene Untertanen zu ermöglichen. Konventionelle und alternative Ehevorstellungen prallten hier aufeinander. Die Paragraphen 194 bis 200 bedurften laut Eisenacher Regierung einer gänzlichen Umarbeitung, die das Gremium offenbar mit den nachfolgenden Ausführungen vorschlug. Vermutlich ging es in den überholten Abschnitten um die Scheidung aufgrund einseitiger Abneigung und um die Dispensscheidung auf beiderseitigen Antrag hin. Laut Kommentar musste die starke Antipathie nachweislich begründet werden. Die vorgebliche Strenge der Eisenacher Regierung enttarnen deren als triftig angegebene Begründungen wie etwa Tätlichkeiten, grobe Beschimpfungen, absichtliche Verursachung von Ärger, Schrecken, Kränkungen, Völlerei, Liederlichkeit, Unsittlichkeit oder auch Zanksucht. Den Scheidungsakten zufolge wiesen die meisten ehelichen Krisen eines dieser Symptome auf, wodurch wohl der Großteil der in Weimar durch Dispens geschiedenen Ehepartner ein Gesuch um Scheidung aufgrund von Unversöhnlichkeit gemäß den Eisenacher Vorgaben hätte triftig begründen können. 239 Immerhin waren die Paare bei bewiesenen Anschuldigungen zunächst ein Jahr von Tisch und Bett zu trennen und erst nach einem erfolglosen weiteren Sühneversuch zu scheiden. Lagen keine Gründe vor oder konnten die Vorwürfe nicht glaubhaft belegt werden und beharrte ein Gatte weiterhin auf der Scheidung, wurde die Ehe erst nach mehreren Sühneversuchen, Haftstrafen und zwei Trennungen von Tisch und Bett aufgelöst und der Klagende als schuldig verurteilt. Beantragten beide Eheleute die Scheidung, musste ihr Gesuch mit einigen nicht unwahrscheinlichen Gründen der gegenseitigen Abneigung unterstützt seyn und ein Vergleich hinsichtlich Scheidungskosten, Vermögen, Unterhalt und Kinder bestehen.240 237 Entwurf Ehegesetz I (1826), LATh–HStAW, Rechtspflege B2408a, fol. 33r–31v; ALR II, 1 § 696. 238 Oberkonsistorialakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 7v. 239 Entwurf Ehegesetz I (1826), LATh–HStAW, Rechtspflege B2408a, fol. 36v. 240 Ebd., fol. 37r–38r.

4. DIE EHESCHEIDUNG – NÜTZLICH ODER SCHÄDLICH?

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Die Paragraphen 201 bis 210 des ursprünglichen Gesetzentwurfs beinhalteten vermutlich zu ergreifende Maßnahmen gegen Scheidungsgesuche aus Abneigung oder gemeinschaftliche Scheidungsanträge. Laut Kommentar handelte es sich um gesetzliche Bestimmungen, die nicht durchzuführen seien, zumal der Klagende mit dem andern einmal nicht zusammenleben will und dazu kaum gedrängt werden könne. Auch sei ein erzwungenes gemeinsames Leben für den Scheidungswilligen mitunter gefährlich und dessen Schaden könne kaum durch die Unterbehörden verhindert werden, weshalb dem Kläger die räumliche Trennung erlaubt sein sollte. 241 Die Eisenacher Regierung polemisierte damit 1826 gegen die schon während der Initiierung des Ehegesetzes geäußerten Ressentiments gegenüber einer Scheidung wegen Unversöhnlichkeit oder auf beiderseitigen Antrag und positionierte sich damit innerhalb der zeitgenössischen Debatten als Befürworter des Vertragscharakters einer Ehe. Die durch Georg Friedrich Riedesel zu Eisenbach vertretenen Landstände lehnten damals die blose Übereinkunft der Eheleute […] als entscheidende[n] Grund der Ehescheidung ab. 242 Die durch das Allgemeine Landrecht in Preußen legalisierte Scheidung auf beiderseitigen Antrag war demnach unter den Gesetzgebern Sachsen-Weimar-Eisenachs umstritten. Dennoch wurden vor und nach 1816 mehrere Paare per Dispens geschieden, auch weil beide Gatten die Scheidung wünschten.243 In dem 1816 nach Eisenach gesandten Reskript zur Erschwerung der Ehescheidung wies der Herzog ausdrücklich ein ähnlich begründetes, aktuelles Scheidungsgesuch zurück. Demzufolge würde die Gattin zwar immer wieder weglaufen, was jedoch wenigstens auf das erstemal nicht geeignet sei, eine Auflösung der Ehe zu begründen. Dabei sei laut Carl August eher die Exklusivität der Ehescheidung gegenüber der Bevölkerung zu bewahren, als die dem jeweiligen Ehepaar durch die verweigerte Trennung entstehenden Nachteile zu berücksichtigen.244 Er betonte damit die Privilegierung bestimmter Paare und stellte die öffentliche Ordnung und staatliche Interessen über die nachrangigen individuellen Belange der Ehegatten. Der Landesherr sprach sich ausdrücklich gegen eine Scheidung aufgrund von Unversöhnlichkeit aus. Die zerstrittenen Gatten mussten die Ehe fortsetzen, aus der die Frau anscheinend bereits mehrfach geflohen war. Der Herzog lehnte zwar entgegen dem später erschienenen Kommentar der Eisenacher Regierung generell die Scheidung wegen Unversöhnlichkeit ab, zog jedoch die Auflösung der Ehe zumindest in Ausnahmefällen in Betracht. 241 Ebd., fol. 39r–39v. 242 Oberkonsistorialakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 17r–v. 243 Scheidungen Weimar (1807–1810), LATh–HStAW, Rechtspflege B2581, fol. 61r, 201v; Scheidungen Weimar (1821–1824, 1827), LATh–HStAW, Rechtspflege B2605, fol. 264r. 244 Scheidungen Eisenach (1816–1822), LATh–HStAW, EA Rechtspflege 142, fol. 15v.

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V. EHESCHEIDUNGEN IN GESETZEN UND DEBATTEN

Die wiederholt zu beobachtende Unberechenbarkeit der herzoglichen Scheidungspraxis drückt dennoch jene Exklusivität aus, die Carl August der Ehescheidung zuschrieb: Vielleicht war in seinen Augen nur privilegierten Paaren die Scheidung zuzugestehen, die sich etwa durch Standeszugehörigkeit oder Intelligenz bzw. einen gewissen Intellekt von der breiten Masse abhoben. Einen generellen Anspruch auf eine Scheidung, eine Gleichberechtigung, existierte demnach nicht und die Dispensation der scheidungswilligen Paare bot Carl August die Möglichkeit, seine landesherrliche Macht durch Unberechenbarkeit zu demonstrieren. Den ursprünglichen Gesetzentwurf unabhängig von der endgültigen Fassung kommentierend sprach sich die Eisenacher Regierung für eine Ausweitung der Scheidungsgründe und für mehr Entscheidungsautonomie der Ehegatten aus. Deren Vorwürfe mussten zwar erwiesen sein, letztlich sollten die Gatten aber nicht gegen ihren Willen zur Fortsetzung und zum Vollzug der Ehe gezwungen werden. Die zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Sachsen-Weimar-Eisenach und in anderen deutschen Staaten wie auch innerhalb der Publizistik diskutierten Scheidungsgründe markieren einen Wandel der Ehevorstellungen. Noch immer versuchte die Obrigkeit, an der Unauflösbarkeit der Ehe festzuhalten. Allerdings gestanden sie der Gesetzgebung in den Verhandlungen um ein neues Ehegesetz vage Formulierungen zu, die eine Scheidung bei absoluter Dringlichkeit auch losgelöst von den anerkannten Beweggründen erlaubten. Die schon zuvor in der Praxis und speziell bei den Trennungen durch landesherrlichen Dispens gebilligten Ausnahmen wären damit auch rechtlich manifestiert worden. Ohnehin wurden während der Debatten mehrere Ehen aufrund eben jener umstrittenen Scheidungsgründe getrennt.

4.3. Befürworter und Gegner einer liberalen Ehescheidungspraxis Carl August verweigerte 1816 die Scheidung der Eheleute Müller aus Jena, weil Veränderlichkeit und Pflichtscheue das ehrwürdige Institut der Ehe gefährdeten.245 Der sonst eher großzügig trennende Landesherr schlug sich damit auf die Seite der Scheidungsgegner, die sich um den Wert der Institution Ehe innerhalb der Bevölkerung sorgten. Der Weimarer Oberkonsistorialassessor Zunkel nahm ebenfalls einen Werteverfall wahr und fragte 1817: Daß die Ehe nicht mehr in der Achtung steht, nicht mehr so heilig gehalten wird als jehedem, wer mag das läugnen? Sein Eisenacher Kollege Nebe stimmte ihm zu und sprach von zahlreichen bald nach der Verbindung wieder getrennten Ehen, die Zunkels Befürchtungen bestätigten.246 Sein 245 Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 12r. 246 Entwurf Ehegesetz I (1826), LATh–HStAW, Rechtspflege B2408a, fol. 53r.

4. DIE EHESCHEIDUNG – NÜTZLICH ODER SCHÄDLICH?

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Vorgesetzter Thon warnte, dass die Leichtigkeit der Ehescheidung zu übereilten und unüberlegten Hochzeiten verleiten würde. Angesichts geschiedener Ehen heirateten die Verlobten dann unter der Prämisse: gefällt dir deine Frau {dein Mann} nicht mehr, so läßt du dich wieder von ihr {ihm} scheiden. Einen kausalen Zusammenhang zwischen leichtfertigen Eheschließungen und -scheidungen stellte auch deren Kollege Wilhelm August Voppel her.247 Demnach würden sich Paare in SachsenWeimar-Eisenach übereilt zur Heirat und auch zur Scheidung entschließen und so die hohen Scheidungszahlen verursachen. Sobald die Partner Unstimmigkeiten entdeckten und erste Konflikte entstanden, ließen sie sich wieder scheiden. Die unglücklichen Gatten würden ferner durch die Möglichkeit der Scheidung zum Ehebruch verleitet. In der Hoffnung auf eine zweite, zumindest zeitweise glücklichere Ehe fände häufig ein verbothener Umgang statt und der Ehebrecher ergreife absichtlich alle Mittel […], die zur beständigen Uneinigkeit, zu deren öffentlichen Ausbruch, und zur leichten Scheidung führen. 248 Für die Gegner großzügiger Ehescheidungsgesetze minderte deren allzu leichte Auflösung den Wert der ordnungsstiftenden Institution Ehe, indem sie übereilt und unbedacht geschlossen und wieder beendet werden könne – ein Argument, das aus zeitgenössischen Publikationen entlehnt sein könnte. Die Befürworter eines liberaleren Scheidungsrechts wollten durch die Auflösung unglücklicher Ehen deren Ansehen wahren, indem die geschiedenen Partner nach erneuter Heirat eine funktionierende und so dem zeitgenössischen Idealen entsprechende Paarbeziehung führten. Anlässlich des 1817 verhandelten Scheidungsverfahrens des Weimarer Tünchergesellen Hartung sprach die Weimarer Regierung von zahlreichen, ihren Zweck ganz verfehlenden Ehen unserer Zeit. Die Behörde empfahl daher auch die Scheidung der seit Jahren getrennt lebenden Eheleute, da die Zwecke der nur dem Nahmen nach noch bestehende[n] Ehe auch bei einem erzwungenen Zusammenleben unerfüllt bleiben würden und das mittellose Ehepaar durch einen längeren Prozess noch mehr verarmte.249 Die gemeinsame Tochter der Hartungs war zu diesem Zeitpunkt bereits 17 Jahre alt und spielte als Gegenargument bei der Trennung ihrer Eltern keine Rolle mehr. 250 Das Schicksal Minderjähriger nach der elterlichen Scheidung wurde hingegen eingehend diskutiert. Laut den Gegnern war die Trennung der Eltern fast immer mit Nachteilen für die Kinder verbunden. Entsprechend argumentierte Johann Carl Salomo Thon 1817: Nur auf die wichtigsten Veranlaßungen sollte eine Trennung gestalten werden und dann noch schwerer, wenn Kinder vorhanden sind. Deren 247 Oberkonsistorialakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 7r, 9v–10r. 248 Ebd., fol. 7r–v. 249 Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 120r, 123v. 250 Ebd., fol. 121v.

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V. EHESCHEIDUNGEN IN GESETZEN UND DEBATTEN

Unglück wird gewöhnlich mit ausgesprochen, denn sie haben Eltern und auch keine; sie sind überhaupt in der traurigsten Lage, die unendlich weil nachtheilige Folgen hat.251 Thon räumte eine Scheidung nur in Notfällen ein, da den Kindern durch die Trennung das für ihre Erziehung elementare Elternpaar genommen würde. Völlig gegensätzlich positionierte sich die Eisenacher Regierung in ihrem Kommentar des Ehegesetzentwurfs von 1826. Der Schaden, den häufig streitende oder sogar gegeneinander gewalttätige Eltern ihren Nachkommen verursachten, überwiege gegenüber den Nachteilen einer Scheidung: Und was die Kinder betrifft, so ist es für sie offenbar der geringere Schaden, wenn die Aeltern getrennt aber in Frieden leben, als wenn sie tagtäglich das Beyspiel von Zank und Streit vor Augen haben, wodurch der Respect vor den Aeltern nothwendig ganz verloren gehen muss.252 Die Kinder würden eher davon profitieren, wenn sich die Eltern trennten und dadurch die Konflikte beendeten, als wenn streitende Väter und Mütter schlechte Vorbilder wären und dadurch die Achtung ihrer Kinder verlören. Die Eisenacher Regierung erwog gleichsam die Auswirkungen auf das soziale Umfeld bzw. die Gesellschaft: Man führt zwar, das öffentliche Aergerniß und den Nachtheil für die Kinder an. Allein, wie können vernünftige Menschen daran ein Aergerniß nehmen, daß Eheleute, die sich nun einmal nicht mehr leiden können, die nähere Berührung vermeiden? Giebt es etwa kein Aergerniß, wenn sie zwar zusammen wohnen, aber sich tagtäglich zanken und wohl gar schlagen? 253 Die Behörde spekulierte auf Verständnis und Mitgefühl durch das soziale Umfeld anstelle von Empörung. Auch würden sowohl eine unfriedliche Ehe als auch eine Scheidung gleichsam Aufsehen erregen und Diskussionen über eheliche Werte anregen. Hingegen wäre eine Auflösung der Ehe im individuellen wie gesellschaftlichen Interesse und würde eine Fortführung beides dauerhaft beeinträchtigen. Anlässlich seiner eigenen Scheidung wies der Weimarer Hofrat Julius Adolph Völkel darauf hin, dass nur diejenige Ehe dem Staate Giltigkeit und Werth haben kann, deren Zweck, vollständig erreicht, im Glück, Zufriedenheit und Wohl der Unterthanen, des Staates eigene Wohlfahrt begründet und befördert. 254 Entsprechend diesem auch von zeitgenössischen Autoren vorgebrachten Argument waren unglückliche und kinderlose Ehepaare für den Staat und für die Gesellschaft wertlos und konnten aufgelöst werden, damit beide Gatten in neuen Ehen deren Zweck erfüllten und so dem Staat mehr nutzten. Ehe bzw. Scheidung hatten demnach für die Zeitgenossen eine doppelte soziale Dimension, indem jedes Paar vorbildhaft auf andere wirkte und zur Gesellschaft durch arbeitsame und wohlerzogene 251 Oberkonsistorialakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 7r. 252 Entwurf Ehegesetz I (1826), LATh–HStAW, Rechtspflege B2408a, fol. 49v. 253 Ebd., fol. 49r–v. 254 Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 79v.

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Mitbürger beitrug. Die Ehe sollte nicht nur in Sachsen-Weimar-Eisenach den frühneuzeitlichen Staat stabilisieren, da sie ebenfalls auf Hierarchien und der festen Zuweisung von Aufgaben basierte, und durch die Kommunikation von Normen die Wertegemeinschaft stützen. Danach richteten die Obrigkeiten die Ehegesetzgebung aus.255 Die Scheidungsgegner argumentierten entsprechend mit den negativen Folgen häufiger Trennungen für Staat und Gesellschaft. Die von den scheidungswilligen Paaren vorläufig getroffenen Vergleiche würden laut herzoglichem Reskript von 1816 schon auf die schädliche Meinung des Publikums hin[deuten], daß Scheidungen nicht schwer hielten.256 Weil sich die Paare im Vorfeld ob ihres Vermögens und der Kinder verglichen, waren sie laut Obrigkeit angesichts anderer Geschiedener vom Erfolg ihres Scheidungsantrags überzeugt. Nachteile für die Gesellschaft befürchtete auch der Eisenacher Oberkonsistorialassessor Zunkel und erinnerte seine Kollegen an den sehr wichtigen u. auf Sittlichkeit u. Tugend […] nicht berechenbaren Einfluß der Ehescheidungen. 257 Gerichtliche Eheauflösungen bedeuteten für den Landesherrn letztlich ein Dilemma: Schied er unbürokratisch und häufig, sank der Wert der Ehe und die Paare trennten sich zu leichtfertig. War die Obrigkeit beim Vollzug von Ehescheidungen zu zögerlich und konnten die Gatten ihre Abneigung gegeneinander tatsächlich nicht überwinden, wurden weniger Nachkommen gezeugt.258 Diesem Zwiespalt sahen sich auch die zeitgenössischen Autoren in ihren Debatten ausgesetzt. Um den vermehrt auftretenden Ehescheidungen entgegenzuwirken, erwogen und ergriffen die obrigkeitlichen Scheidungsgegner verschiedene Maßnahmen. Schon römisches Recht verbat explizit die Ehe zwischen Ehebrechern.259 Anlässlich des Heiratsgesuchs der geschiedenen Johanne Susanne Dorothee Jung geb. Zogbaum mit ihrem Ehebrecher, dem ledigen Scharfschützen Gottlieb Holle, erläuterte das Weimarer Oberkonsistorium dem Herzog, warum es die Verweigerung des Eheschließungsdispens empfahl: […] da bey der Aussicht den Ehebrecher, oder die Ehebrecherin heirathen zu dürfen, jeder freche Ehegatte ein leichtes Mittel hätte, des Ehegatten, dessen er überdrüßig wäre, los zu werden.260 Das Verbot sollte verhindern, dass untreue Ehegatten absichtlich Ehebruch begingen und sich deshalb scheiden ließen, um anschließend den Ehebrecher heiraten zu können. Ganz autonom hätten so Ehen beendet und neue Familien begründet werden können. In den protestantischen 255 BLASIUS, Ehescheidung (1987), S. 25. 256 Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 11r. 257 Oberkonsistorialakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 53r. 258 MÖHLE, Ehekonflikte (1997), S. 23; BLASIUS, Ehescheidung (1987), S. 27. 259 V. CZYHLARZ, Lehrbuch (1933), S. 228. 260 Heiratsgesuch Jung (1798), LATh–HStAW, Militär B38731, fol. 4v.

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V. EHESCHEIDUNGEN IN GESETZEN UND DEBATTEN

Staaten waren Scheidungen infolge von mutwilligem Ehebruch verboten, um laut dem Weimarer Oberkonsistorium noch einigermaaßen ein Damm gegen diese Ausschweifung [aufzubauen], dessen Wegnahme den übelsten Folgen Platz machen müßte.261 Die Obrigkeit befürchtete entsprechend eine Zunahme der Ehebrüche und der damit begründeten Scheidungsanträge und Heiratsgesuche, die die Familiengründung und -auflösung der staatlichen Kontrolle entziehen würden. Das Oberkonsistorium orientierte sich bei seiner Entscheidung unter anderem an geltenden Ehegesetzen anderer protestantischer Staaten. Mit dem Reskript zur Verminderung der Ehescheidungen von 1816 sensibilisierte Carl August erneut seine Behörden für eine strengere Verhandlung der Scheidungsanträge. Nach preußischem Vorbild ordnete er darin an, vor der endgültigen Scheidung einen Geistlichen mit einem letzten Versöhnungsversuch zu beauftragen und so die Zahl geschiedener Ehen zu reduzieren. Das Eisenacher Oberkonsistorium brachte diesen Vorschlag schließlich 1817 in die Debatte um das neue Ehegesetz ein.262 Sie betonten während der kommenden Verhandlungen die zentrale Absicht der geplanten Verordnung, nämlich jede Trennung der Ehe, als das Grab der häusl[ichen] u. Familien-Ordnung möglichst zu verhindern. Demnach entstand das neue Ehegesetz auch als Maßnahme gegen häufige Scheidungen. Während sich die Modalitäten des Ehescheidungsverfahrens im Gothaer Ehegesetzentwurf angeblich fast über die Hälfte erstreckten, ließ das Eisenacher Oberkonsistorium den Themenkomplex bewusst aus.263 Mit den ergriffenen und vorgeschlagenen Maßnahmen wollten die Scheidungsgegner das Ansehen und die Stabilität der Institution Ehe und das einhergehende Familienideal wahren. Der Eisenacher Oberkonsistorialdirektor Thon zitierte seinen Oberkonsistorialrat Nebe und stimmte mit ihm überein, dass künftig überall die Ehe heilig und ehrwürdig geachtet werden möge […] und daß in allen zu mehr und mehr Gott, Frömmigkeit, Zucht und gute Sitte wohne. Beide wollten Ehe und Familie wieder religiös aufladen und die Frömmigkeit und Sittlichkeit der Untertanen heben. Dazu mussten die Ehescheidungen reduziert werden, da eine allzu leichte Trennung […] ein Gespötte darstellte, die Ehe demnach herabwürdigte. Thon war davon überzeugt, dass durch ein strengeres Scheidungsverfahren Behörden wie Ehepaare verantwortungsvoller handelten und gleich mit mehr Ernst, mit stärkerer [sic] Uberlegung vorgingen. Die Eheleute würden ihre leichtfertigen Trennungsabsichten erkennen und sich um gegenseitige Unterstützung und

261 Ebd. 262 Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 11v; Oberkonsistorialakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 8v. 263 Regierungsakte Ehegesetz (1822–1826), LATh–HStAW, Rechtspflege B2400a, fol. 12r.

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Akzeptanz sowie ein harmonisches Zusammenleben bemühen. 264 Demnach machte er die Paare wie auch die Behörden für die Scheidungen verantwortlich. Ähnlich sollten laut den Landständen bzw. deren Vertreter Riedesel zu Eisenbach durch die Erschwerung der Scheidung die Würde und das Ansehen der Ehe steigen, wenngleich dies die Eheschließungen nicht unmittelbar begünstigte. Dass die Ehe ein blos bürgerl. Vertrag sei, galt es als unsittl. u. verderbl. zu widerlegen.265 Riedesel kritisierte damit subtil die starke Orientierung am Allgemeinen Landrecht und die damit verbundene naturrechtliche Deutung der Ehe als bürgerlichem Vertrag und erinnerte ferner an die religiöse Bedeutung der Ehe. Sogar Carl August argumentierte gegen die im Allgemeinen Landrecht festgeschriebene Gleichsetzung mit einem beliebigen weltlichen Rechtsvertrag und wollte das heilige Institut in Ehren halten. Das zweite Scheidungsgesuch des Ehepaares Ziege aus Neuengönna lehnte er 1816 erneut ab und verlängerte die Trennung von Tisch und Bett um ein weiteres Jahr, weil er nicht durch alsbaldige Willfährigkeit in solche Gesuche das Leichtsinnige Eingehen von Ehebündnißen begünstigen oder aber das religiösbürgerliche Institut der Ehe blos nach der Natur rein bürgerlicher Contracte behandeln lassen wollte.266 Der Herzog erachtete eine freigiebige Ehescheidungspraxis als eine Ursache voreilig geschlossener Ehen und wollte durch das Reskript gleichsam übereilten Heiraten vorbeugen. Voreilige Scheidungen gefährdeten demnach die christlich-bürgerliche Ehe und Familie. Ähnlich begründete Carl August die Zurückweisung der Stöhrerschen Eheleute aus dem meiningischen Sülzfeld bzw. dem eisenachischen Helmershausen und fügte hinzu: […] so begehren wir […], Ihr wollet die […] Stöhrerschen Eheleute zur Wiedervereinigung und Befleißigung eines christlich ehelichen Lebenswandels ernstlich anweisen, und resp. anhalten lassen.267 Das Ehepaar sollte demnach gegen ihren Willen die Ehe orientiert an religiösen Werten fortsetzen. Als ein Vertrag wäre die Ehe hingegen wie andere Verträge auch durch die Parteien kündbar gewesen. Allein die Vorstellung widersprach zu Beginn des 19. Jahrhunderts dem christlichen Eheverständnis und führte auch in der Publizistik zu regen Debatten. Carl August sprach mit seinem Urteil den Stöhrerschen Eheleuten jegliche Entscheidungskompetenz ab und ordnete deren Trennungswunsch dem vermeintlichen öffentlichen Interesse nach niedrigen Scheidungszahlen und regelkonformen Ehen zur Bestätigung der Wertegemeinschaft und damit zur Wahrung der staatlichen Ordnung unter Verweis auf christliche Werte unter. 264 Oberkonsistorialakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 6v–7v. 265 Ebd., fol. 17r. 266 Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 11v, 16r. 267 LEONHARDI, Erdbeschreibung 2 (1790), S. 806, 919; Scheidungen Eisenach (1816– 1822), LATh–HStAW, EA Rechtspflege 142, fol. 8r–v.

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V. EHESCHEIDUNGEN IN GESETZEN UND DEBATTEN

Ganz andere Maßnahmen und Ziele formulierte die Eisenacher Regierung 1826 angesichts des neuen Ehegesetzentwurfs. Eigenmächtige Trennungen sollten toleriert und nicht verboten werden: Selbst, wenn die Eheleute mit beyderseitiger Einwilligung getrennt von einander leben, sollte man darum sich nicht bekümmern. Die Behörde überließ dem Ehepaar völlige Entscheidungsautonomie, die Partner durften sich eigenmächtig trennen. Die Eisenacher Regierung erachtete die Ehegatten dabei als voll urteilsfähig: Man darf wohl annehmen, daß sie nicht in einem Anfall von vorübergehender Laune zu einem so auffallenden Schritte sich entschloßen haben, daß sie wenigstens nicht dabei beharren werden, wenn nicht sehr wichtige Gründe sie dazu bestimmen. 268 Eigenmächtige Trennungen seien meist durchdacht und die Eheleute würden sich aus für sie triftigen Gründen trennen. Die Eisenacher Regierung nahm dem Staat und, bei einer tatsächlichen Umsetzung ihrer Vorschläge auch Carl August, die Entscheidungshoheit über innereheliche Konflikte und übertrug sie den ihrer Ansicht nach verantwortungsbewussten Paaren. Ihre Position war demnach völlig gegensätzlich zu der des Landesherrn und wurde möglicherweise durch ähnliche Argumente zeitgenössischer Autoren angeregt. Ohnehin sei die Obrigkeit gegenüber eigenmächtigen Trennungen machtlos. Das getrennt lebende Paar zu einer Scheidung zu drängen, ließe sich auf keine Weise rechtfertigen und nicht gegen den Willen der Eheleute durchsetzen. Sie unter Strafandrohung zu einem gemeinsamen Leben zu zwingen, würde die eheliche Gemeinschaft temporär, nicht dauerhaft wiederherstellen. Daher sollten solche, mittelfristig doch wirkungslosen Maßnahmen gar nicht erst ergriffen werden.269 Die Eisenacher Regierung übte demnach wie auch andere Zeitgenossen direkte Kritik an der bisher angewandten Zwangsvereinigung zerstrittener Paare. Anlässlich des Gesetzentwurfs hinterfragte das Gremium außerdem das optionale Wiederverheiratungsverbot für einen oder beide Ehepartner. Für diese Strafe und deren Anwendung existierten keine konkreten Bestimmungen und sie könne ohnehin nicht plausibel begründet werden. Auch dürfe die Heiratserlaubnis für Geschiedene nicht allein vom Ermessen des jeweiligen Richters abhängig sein. Ohnehin würde das Verbot letztlich doch nicht konsequent eingehalten. Laut Eisenacher Regierung würde es deshalb dem Betroffenen nur bürokratischen Aufwand und unnötige Kosten verursachen.270 Das Gremium kritisierte somit unnötige Bevormundungen der Eheleute durch die Obrigkeit und lehnte Strafen konsequent ab, die etwa zur Zwangswiedervereinigung zerstrittener Eheleute angewandt wurden. Vor allem Mitglieder der Eisenacher und zuweilen auch der Weimarer Regierung vertraten die Ehescheidung befürwortende Positionen. Sie berück268 Entwurf Ehegesetz I (1826), LATh–HStAW, Rechtspflege B2408a, fol. 49r. 269 Ebd., fol. 49v. 270 Ebd., fol. 34r, 42r.

5. EHESCHEIDUNGEN ZUM WOHLE DER FAMILIEN UND DES STAATES

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sichtigten wie Autoren der zeitgenössischen Publizistik neben ethischen Belangen übergeordnete staatliche Interessen etwa an einer starken Population und damit einhergehendem militärischen Nachwuchs und potenziellen Steuerzahlern. Zugleich sprachen sie sich für mehr Entscheidungsautonomie der Ehepaare und eine Reduzierung staatlicher Eingriffe in die private Lebensführung aus. Als Vertreter der für Ehescheidungen zuständigen Oberbehörden befürworteten sie ausdrücklich eine freigiebigere Anwendung der Ehescheidung und stellten die bisherige Eheschließungs- und -scheidungspraxis zur Disposition. Die Oberkonsistorien hielten dem die konventionellen Leitbilder von Ehe und Familie entgegen – sicherlich im Bewusstsein, als Repräsentanten von Moral und religiösen Werten aufzutreten.

5. Ehescheidungen zum Wohle der Familien und des Staates 5. EHESCHEIDUNGEN ZUM WOHLE DER FAMILIEN UND DES STAATES

Fadenscheinige Begründungen, halbherzige Gesetze, endlose Debatten – die Untersuchungen zu Ehescheidungen in Sachsen-Weimar-Eisenach haben alle drei, zugegebenermaßen überspitzt formulierten Thesen bestätigt. Tatsächlich waren die Scheidungen gleich mehrerer Paare zumindest in den dazugehörigen Akten gar nicht oder nur halbherzig gerechtfertigt, obgleich etwaige triftige Gründe existiert haben mögen, die in den Schriftstücken jedoch verschwiegen wurden. Obwohl Carl August mehrmals ein strengeres Abwägen der angegebenen Scheidungsursachen auch unabhängig jeglicher Privilegierung anordnete, wurden mehrere Paare etwa aufgrund ihrer sozialen Nähe zum Hof trotz fehlender triftiger Gründe geschieden. Die an den Einwohnerzahlen gemessene Scheidungsrate verringerte sich dennoch. Demnach fanden die einschlägigen Verordnungen in den meisten, aber wohl nicht in allen Verfahren und somit nur halbherzig Anwendung. Die Untersuchung der Scheidungszahlen und der erlassenen Gesetze im ernestinischen Herzogtum bestätigen Beobachtungen der deutschsprachigen, teils preußischen Publizistik, die eine großzügige Anwendung und Anpassung bestehender Ehegesetze und damit verbunden eine moderate Scheidungspraxis attestierte und die Obrigkeiten als Verursacher hoher Scheidunsgraten identifizierte.271 Illegitime Sexualkontakte und Schwängerungen waren Straftaten und wurden entsprechend geahndet. Sofern Ehen nicht infolge strafbarer Ehebrüche, böslicher Verlassungen oder Gewalthandlungen geschieden wurden, lag bei Ehescheidungen und vor allem bei jenen durch landesherrlichen Dispens eine Straftat meist nicht vor. Die geschiedenen Ehepaare wurden dennoch für die Trennung durch fiskalische Maßnahmen oder einen langwierigen Prozess mit mehreren

271 N.N., Sühnsversuche (1808), S. 112–114.

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V. EHESCHEIDUNGEN IN GESETZEN UND DEBATTEN

Zurückweisungen bestraft. Eine Strafentwicklung wie für die zahlreichen Gesetze zu unehelichen Sexualkontakten und Schwängerungen kann für Ehescheidungen kaum nachgezeichnet werden. Allenfalls anhand der Abgaben in den Schulfonds ist eine geringfügige Tendenz zu erkennen, nämlich eine Verminderung der Zahlungen seit deren Einführung. Jener aus den Schulfonds-Akten ablesbare Trend bestätigt den Eindruck der wenigen zu Ehescheidungen erlassenen Verordnungen: Die Modalitäten des Scheidungsverfahrens wurden gelockert oder ausgeweitet, den Paaren die Wahrnehmung bereits zugestandener Rechte erleichtert und etwaige Sanktionen reduziert. Allerdings verschärften Herzog und Regierung zugleich die Rahmenbedingungen und wiesen anscheinend mehr Anträge als zuvor ab, sodass die Scheidungsrate insgesamt abnahm. Möglicherweise wurde ein eindeutiges Scheidungsrecht sogar bewusst vermieden, um die Untertanen durch eine unsichere Rechtslage und ein dadurch mitunter langwieriges und teures Verfahren abzuschrecken. Durch diese vermeintliche Willkür und Unberechenbarkeit konnte Carl August in Form von Dispensationen seine landesherrliche Macht unterstreichen. Die konsultierten Quellen belegen dies jedoch nicht explizit. Sofern die Ablehnung eines Scheidungsgesuchs oder die strengere Bewertung der angegebenen Gründe als Sanktionsmittel zur Reduzierung der Ehescheidungen gelten können, verschärfte Carl August das Strafmaß seit 1816 nach einigen Jahren der Nachsicht. Allerdings beruht dies lediglich auf den Scheidungsakten seit 1797 bzw. seit 1805. Auch die Schuld am Scheitern der Ehe und damit an der Ehescheidung wurde anders als innerhalb der Verfahren zu illegitimen Sexualkontakten und Schwängerungen anscheinend weder den Frauen noch den Männern einseitig zugeschrieben, was auf die fehlenden Akten zu förmlichen Scheidungsverfahren zurückgeführt werden könnte. Sie wären hinsichtlich einseitiger Schuldzuweisungen möglicherweise aussagekräftiger gewesen. Die Gesetze und Scheidungsakten beinhalten hierzu kaum belastbare Aussagen in ausreichender Menge. Während die wenigen erlassenen Verordnungen andere inhaltliche Schwerpunkte setzen, sind die Empfehlungen und Urteile der Dispensscheidungsakten aufgrund ihres Ausnahmecharakters meist sehr differenziert. Vor dem Hintergrund der fehlenden förmlichen Scheidungsakten bildet die Vernachlässigung der Schuldfrage einen wesentlichen Unterschied zu Scheidungsverfahren in anderen Territorien. Laut Alexandra Lutz hatte deren strikte Aushandlung scheidungswillige Paare am meisten abgeschreckt.272 Die Weimarer und Eisenacher Obrigkeiten gaben in vielen Dispensscheidungsfällen entweder beiden Ehegatten eine Mitschuld oder thematisierten die Schuld am Scheitern der Ehe gar nicht. So richteten sich die ergriffenen 272 LUTZ, Ehepaare (2006), S. 141.

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Sanktionen in Form von finanziellen Abgaben oder der Ablehnung von Gesuchen gegen beide Partner. Weil die Obrigkeit die Ehescheidungen anders als die unehelichen Geburten selbst verursachte und so alleinerziehende Mütter, wiederverheiratete Geschiedene und damit letztlich alternative Lebensentwürfe initiierte, irritieren die mit den Sanktionen zum Ausdruck gebrachten Verantwortungszuweisungen. Immerhin lösten letztlich der Herzog oder die Regierung die Ehe auf und verursachten die hohe Scheidungsrate selbst. Indem Hugo vor einer Entwertung der Ehe durch zu häufige Scheidungen warnte und zugleich deren Verhinderung durch weltfremde Juristen ablehnte, waren auch für ihn die Obrigkeiten selbst und nicht die (geschiedenen) Paare für ein angemessen angewandtes Scheidungsrecht und die Zahl getrennter Ehen verantwortlich. Die erlassenen Verordnungen sahen wie schon die Bestimmungen zu unehelichen Sexualkontakten, Schwängerungen und mehrere Autoren zeitgenössischer Beiträge im sozialen Umfeld einen Einflussfaktor für ein Gelingen oder Scheitern der Ehen. Mehr noch hinterfragte die Eisenacher Regierung die weitreichenden staatlichen Interventionen in familiäre Streitigkeiten, wenn etwa die Gatten bei mangelhaften Trennungsgründen zur Fortführung der Ehe gezwungen wurden, und plädierte wie auch einzelne Publikationen für mehr individuelle Handlungsund Entscheidungsfreiheit.273 Ehe und Familie sollten zunehmend zur Privatsache und damit vor staatlichen Eingriffen geschützt werden. Erst wenn das Paar die staatliche Unterstützung einfordere oder der Ehekonflikt massiv die öffentliche Ordnung störe, seien obrigkeitliche Interventionen legitim, denn: In der Regel macht alles unberufene Einmischen der öffentlichen Gewalt in Privatverhältniße, besonders in solche delicate, wie die Ehe ist, das Uebel nicht besser, sondern schlimmer.274 Ob bzw. welche Literatur hier von den Behördenmitgliedern rezipiert wurde, geht nur in wenigen, oben genannten Fällen aus den Quellen hervor. Laut Eisenacher Regierung habe der Staat bislang Gesellschaft und Familie sowie damit verbundene Vorstellungen nicht stabilisiert, sondern weitere Unordnung gestiftet. Paare sollten deshalb vermehrt von staatlicher Kontrolle befreit werden und die Verantwortung für das Gelingen ihrer Ehe mit dem Umfeld teilen. Carl August und die Mehrheit seiner Behördenmitglieder betonten hingegen die für die gesellschaftliche Ordnung notwendige Unauflösbarkeit der Ehe und stellten die individuellen Bedürfnisse der Eheleute zurück. Sowohl in der Verwaltung und Gesetzgebung als auch in der Publizistik diskutierten Protestanten und auch Katholiken um 1800 über die Ehescheidung generell und speziell über potenzielle rechtsgültige Trennungsursachen. Während Letztere zunächst über das ob und, sofern dies bejaht wurde, über triftige 273 PÖRSCHKE, Vorbereitungen (1795), S. 234f. 274 Entwurf Ehegesetz I (1826), LATh–HStAW, Rechtspflege B2408a, fol. 49r.

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Scheidungsgründe stritten, erwogen Erstere die Erleichterung bzw. die Erschwerung der Scheidung und diskutierten dazu ebenfalls angewandte und vorgeschlagene Trennungsursachen. Katholiken begründeten ihre Argumentation für oder gegen die Scheidung unter anderem mit Passagen aus der Bibel oder mit tradierten familialen Werten.275 Die protestantischen Autoren konnten sich innerhalb der Debatten nur bedingt auf die teilweise unpräzisen und mitunter widersprüchlichen Weisungen Luthers stützen. Umso mehr setzten sie eigene Maßstäbe, wie etwa die (verfehlten) Zwecke der Ehe, nach denen Gründe als triftig oder nichtig eingeordnet werden konnten. So stritten die Beteiligten, inwieweit mangelnder Nachwuchs und Impotenz eine Scheidung rechtfertigten, da nicht alle eine kinderlose Ehe als für den Staat unnütz erachteten. Als triftig vorgeschlagene Scheidungsgründe wurden unterstützt, indem sie deren Vorzüge für Staat und Gesellschaft oder die Familien und für die künftigen Scheidungskinder hervorhoben. Auf vehemente Ablehnung stieß bei einigen Autoren die auch in Sachsen-Weimar-Eisenach praktizierte Scheidung aufgrund wechselseitiger Abneigung sowie Hugos vorgeschlagene Scheidung allein auf Wunsch eines oder beider Ehegatten. Die Diskutierenden sorgten sich ferner um die Wertschätzung der Ehe in der Bevölkerung. Laut den Gegnern der Ehescheidung gefährdete eine zu liberale oder überhaupt gestattete Scheidungspraxis die Wertigkeit der Ehe, während nach den Befürwortern vor allem zahlreiche zerstrittene Paare ihr Ansehen minderten. Entweder die Unauflösbarkeit oder die Möglichkeit der Scheidung bzw. entweder deren Erschwerung oder Erleichterung würden das eheliche Leben bereichern oder von vornherein stören und entsprechend der allgemeinen Sittlichkeit entweder nützen oder schaden. Carl August und Gustav Hugo vertraten demnach nur allzu typische Positionen in der öffentlichen Debatte. Trotz erheblicher Differenzen orientierten sich alle Parteien vorgeblich am Wohl des Staates und der Kinder aus krisenhaften Ehen, die zu nützlichen Bürgern erzogen werden sollten. Laut den Debattierenden würden Gesellschaft und Nachkommen entweder von der fortgeführten Ehe oder von der Scheidung der zerstrittenen Paare profitieren. Während der Debatten wurden die Kinder scheidungswilliger Paare als Argument unterschiedlich instrumentalisiert. Lange Zeit sprach die Existenz gemeinsamer und besonders minderjähriger Nachkommen gegen die Trennung ihrer Eltern. Innerhalb der untersuchten Scheidungsakten und auch in der Publizistik bildete deren Wohl jedoch zunehmend ein Argument für eine Scheidung. Einer gelingenden Erziehung und persönlichen Entwicklung schadeten streitende Eltern eher als geschiedene. Die Befürworter der Ehescheidung hielten damit nicht wie ihre Widersacher stoisch am konventionellen 275 JÄGER, Unzertrennbarkeit (1805), S. ix–xx.

5. EHESCHEIDUNGEN ZUM WOHLE DER FAMILIEN UND DES STAATES

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Ideal der Kernfamilie fest. Eine für den Staat vorteilhafte Entwicklung der Kinder sahen sie eher durch geschiedene und gegebenenfalls sogar alleinerziehende oder wiederverheiratete Elternteile gewährleistet als durch streitende Paare, die ihren Nachkommen schlechte Vorbilder waren oder sie angesichts der dauernden Konflikte vernachlässigten. Die Gegner der alternativen Lebensentwürfe und der Scheidung wähnten durch das getrennte Elternpaar mehr Folgeschäden für die Kinder als durch ein zerstrittenes. Nur die leiblichen Mütter und Väter ließen ihren Kindern die bestmögliche Erziehung zukommen und vermittelten ihnen elementare moralische Werte. Die Gegner der Ehescheidung hielten demnach zum Wohle der Nachkommen an der konventionellen familialen Ordnung fest. Letztlich waren alle Debattierenden überzeugt, sich für eine Aufwertung der Ehe und damit für die Stabiliserung staatlicher Autorität einzusetzen – nur konnte das entweder die unbedingte Bewahrung der Ehe oder deren Auflösung zur Vermeidung öffentlicher Streitereien und zur Förderung der Population bedeuten. Die innerhalb der Publizistik und der Behörden geführten Debatten wirkten auf die Rechtsprechung, indem die Dispensscheidungsakten Sachsen-WeimarEisenachs den Einzug neuer alternativer Argumentationsmuster in die dortige Scheidungspraxis belegen, die sich überwiegend dem Allgemeinwohl verpflichteten. Ehen wurden zunehmend geschieden, weil sie zerrüttet waren oder weil die Streitigkeiten die Erziehung der Kinder beeinträchtigten und beides dem Staat eher schadete als nutzte. Von den sachsen-weimar-eisenachischen Behörden setzte sich besonders die Eisenacher Regierung für die Belange des Ehepaares ein. Ihnen und den Befürwortern der Scheidung in der Publizistik gelang dabei mit ihrem Plädoyer für deren Erleichterung eine konstruktive Verknüpfung staatlicher und individueller Interessen. Dafür waren sie bereit, konventionelle Eheund Familienvorstellungen zugunsten alternativer Lebensmodelle zu erneuern und beispielsweise die Eheschließung nicht an Besitz zu knüpfen oder die einvernehmliche Ehescheidung zu gestatten. Das Gesetz wider die wilden Ehen legalisierte schließlich die Vermählung unabhängig von Einkommen und Besitz. Die Gesetzgebung zu Ehescheidungen konnte hingegen im Untersuchungszeitraum trotz intensiver Bemühungen durch die Obrigkeit nicht maßgeblich der Lebenswirklichkeit oder den diskutierten Scheidungsgründen angeglichen werden und bildete existierende Familienverhältnisse und -vorstellungen nicht ab. Selten erinnerten Herzog und Regierung, die Ehepaare selbst oder die zeitgenössischen Publikationen an die christliche Bedeutung der Ehe beispielsweise als Symbol für die Verbindung Gottes zu den Gläubigen. Einzig der Vertragscharakter der Ehe wurde bestritten und ihr religiöser Wert angemahnt. Weil die eheliche Gemeinschaft vor und durch Gott geschlossen bzw. gestiftet wurde, sei sie mehr als eine bloße rechtliche Übereinkunft und könne nicht durch den Menschen getrennt werden. Die Deutung von Ehen als rein weltliche Verträge wurde vor allem in der katholischen wie etwa durch von Werkmeister, aber

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V. EHESCHEIDUNGEN IN GESETZEN UND DEBATTEN

zuweilen auch in der protestantischen Publizistik sowie in den Rechts- und Verwaltungsakten abgelehnt. Die Diskussionsteilnehmer der Behörden und der Publizistik argumentierten ebenfalls kaum mit der religiösen Dimension der Ehe und erwähnten die in den Jahrhunderten zuvor vorbildhaft wirkende Pfarrfamilie gar nicht. Auch andere Diskussionsteilnehmer hielten die christliche Institution als Wert an sich hoch, zogen daraus jedoch kaum für einzelne Diskussionspunkte Schlüsse. Allenfalls leiteten die Autoren aus der beobachteten, mangelnden Religiosität der Gesellschaft eine grundlegende Kritik am Sühneversuch ab, der viel zu spät stattfände oder nicht von Geistlichen vorgenommen werden sollte, da Pfarrer die Paare zu wenig kannten.276 Wie schon angesichts der Abschaffung der Kirchenbuße kollidierten auch beim Scheidungsrecht die Säkularisierungsbemühungen der bürgerlich-liberalen Bewegung mit kirchlichen Konventionen.277 Häufiger plädierten die Zeitgenossen gegen die Ehescheidung mit den befürchteten Folgen für die allgemeine Moral oder für die Wertigkeit der Ehe, als mit dem alttestamentarischen Bündnischarakter oder der vor Gott geschlossenen, ehelichen Verbindung. Insgesamt stellten die meisten der untersuchten Quellen die Ehe angesichts ihrer Scheidungsmöglichkeit losgelöst von ihrer religiösen Dimension dar. Die christliche Ehe fungierte demnach entweder als ausgehöhlte Phrase oder als Topoi, der den Debattierenden zufolge aufgrund eines allgemeinen Konsens’ keiner näheren Erläuterung bedurfte. Sie war wohl nicht mehr nur nach lutherischem Kirchenrecht, sondern auch in der Vorstellung vieler Zeitgenossen zu einem weltlich geschefft geworden. Auch die Institution Kirche verlor damit an Bedeutung. Die in den 1780er Jahren in Sachsen-Weimar-Eisenach aufkeimende Debatte über die Erleichterung der Eheschließung für mittellose, aber arbeitsame Paare wurde durch umfassende Gesetzeskodifikationen wie das Allgemeine Landrecht oder den Code Civil und durch verschiedene publizierte Beiträge angeregt. Sie prägten die Bestimmungen zu Sittlichkeitsdelikten und das Scheidungsrecht maßgeblich, fanden Eingang in die Konzeption eines neuen Ehe(scheidungs)gesetzes und regten Diskussionen innerhalb der Behördenmitglieder über die Erleichterung der Ehescheidung an. Der laut Blasius „zweckrationalistische Geist“ preußischer Gesetzgebung und naturrechtsphilosophische Debatten hatten die Frage angeregt, ob die Ehe gleich anderen bürgerlichen Verträgen geschlossen und aufgelöst werden könne.278 Weil die Heirat auf der Entscheidung der künftigen Eheleute fußte, so lautete das Argument für den Vertragscharakter der Ehe, sollten die Gatten auch über deren Auflösung frei entscheiden dürfen. Während die Befürworter in Sachsen-Weimar-Eisenach ihre Vorschläge mit dem 276 N.N., Sühnsversuche (1808), S. 117–119; GUBALKE, Sühn-Versuch (1810), S. 414. 277 BLASIUS, Ehescheidung (1992), S. 39f. 278 DERS., Ehescheidung (1987), S. 27.

5. EHESCHEIDUNGEN ZUM WOHLE DER FAMILIEN UND DES STAATES

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Allgemeinen Landrecht zu legitimieren suchten, sprachen sich ihre Kontrahenten – wenn auch meist implizit – gegen die Einführung preußischer Ehescheidungsmaßstäbe wie etwa jener Scheidung durch beiderseitigen Antrag aus und verwiesen auf die über den reinen Vertragscharakter hinausreichenden, religiösen und gesellschaftlichen Dimensionen der Ehe. Nach fast zehn Jahren bricht die Überlieferung zu dem scheinbar endlos diskutierten neuen Ehegesetz ab, ein Inkrafttreten des entwickelten Entwurfs ist nicht belegt. Auf die Reformen des Allgemeinen Landrechts und des Code Civil folgte eine Gegenbewegung. Neue Leitbilder unter anderem von Ehe, Familie und Sittlichkeit würden laut Vertretern konventioneller Werte die gesamte gesellschaftliche Ordnung destabilisieren: Von dem mächtigen Einflusse des schrecklichen Zeitgeistes, der in der Mitte des vorigen Jahrhunderts erwachte, und Kirche und Staat, göttliche und menschliche Rechte aus ihren Angeln zu heben suchte, blieb auch die Ehe nicht unberührt. Wiedenfeld nahm ein Hinterfragen weltlicher und kirchlicher Strukturen und damit einhergehend gewandelte Vorstellungen von Ehe und Familie wahr. Forderungen nach der Rückkehr zu traditionellen (religiösen) Werten und Familienbildern wurden laut. Er beobachtete während der bereits begonnenen Revision des Allgemeinen Landrechts, dass sich mehrere seiner Zeitgenossen für eine Regeneration des protestantischen Eherechts aussprachen. 279 Der um 1800 gewagte und zuweilen sogar umgesetzte Vorstoß hin zu einem liberaleren Scheidungsrecht wurde vorerst ausgebremst und erst Jahrzehnte später wieder aufgegriffen. Die Rückbesinnung gleich mehrerer deutscher Staaten auf konventionelle familiale Werte in der Restaurationszeit ist unter anderem dem Ende der napoleonischen Kriege und dem Rheinbund sowie der Abschaffung des zeitweilig eingeführten Code Civil zuzuschreiben. Auch Preußen als der Vorreiter einer liberalen Sozialgesetzgebung revidierte zur gleichen Zeit die Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts. 280 In der holsteinischen Propstei Münsterdorf bzw. im Königreich Dänemark waren die Obrigkeiten nach kurzen reformwilligen Vorstößen in den 1770er Jahren schon bald darauf wieder zu bewährten Ordnungsvorstellungen zurückgekehrt. In Sachsen-Weimar-Eisenach widmete sich Carl August 1816 nach einigen scheidungsstarken Jahren eingehend den zahlreichen Trennungen und bemühte sich um die Stabilisierung familialer Werte. Er revidierte wohlwollende Zugeständnisse innerhalb der Scheidungspraxis, reduzierte die Scheidungen und wollte so die alte Ordnung wiederherstellen. Zugleich gestand er damit indirekt ein, dass zwar auch die Paare, aber vor allem die Obrigkeit die hohen Scheidungszahlen verantworteten. Die innerehelichen Konflikte und die gescheiterte Paarbeziehung hatten zweifelsohne die Gatten 279 WIEDENFELD, Ehescheidung (1837), S. 16. 280 DUNCKER, Gleichheit (2003), S. 150; HARMS-ZIEGLER, Mutterschaft (1997), S. 342; BLASIUS, Ehescheidung (1992), S. 39.

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V. EHESCHEIDUNGEN IN GESETZEN UND DEBATTEN

selbst verursacht. Dass ihre Ehen jedoch per landesherrlichen Dispens geschieden wurden, ohne dass die Paare rechtskräftige Gründe vorzuweisen hatten und daher ebenso abgewiesen werden konnten, ist der Kulanz der Regierung und besonders des Herzogs zuzuschreiben. Carl August legitimierte dadurch alternative Lebensentwürfe und prägte eheliche und familiale Ordnungsvorstellungen. Ehescheidungen wurden als probates Mittel individueller Lebens- und Familienplanung anerkannt, zumal dadurch der familiäre und schließlich auch der gesellschaftliche Frieden wiederhergestellt werden konnte. Die Familienvorstellungen der Akteure hatten sich gewandelt. Die Weimarer Obrigkeit schied kinderlose oder zerstrittene und demnach gescheiterte Ehepaare, auch um die Erregung öffentlichen Ärgernisses zu vermeiden. Damit wurde sie den von einigen Autoren propagierten liberalen Familienvorstellungen gerecht, wonach eine unglückliche Ehe eher getrennt und nicht per Zwang fortgeführt werden sollte, um die Kinder oder die Öffentlichkeit vor negativen Eindrücken zu schützen. Die fehlenden Gesetze und fehlende Akten zu eigenmächtigen Trennungen könnten darauf hindeuten, dass Unterobrigkeiten und Nachbarn die getrennt lebenden Paare nicht anzeigten (folglich keine Akten angelegt wurden) und so die nach konventionellen Leitbildern abzulehnenden Lebensformen duldeten. Auch in ihrem eigenen Bedürfnis nach einem friedlichen Gemeindeleben hatten sie wohl eine Zwangszusammenführung und das möglicherweise streitende Ehepaar vermeiden wollen und die so entstandenen alternativen Lebensformen toleriert. Der Landesherr und seine Behörden verteidigten zugleich das konventionelle kinderreiche und harmonische Familienideal und wollten die Institution Ehe und damit auch den Staat vor einer Destabilisierung und Abwertung bewahren.

VI. Wilde Familien im geordneten Staat?

1. Die Häufigkeit von Illegitimität und Ehescheidung – Deutungsansätze 1. HÄUFIGKEIT VON ILLEGITIMITÄT UND EHESCHEIDUNG

Die demographische Entwicklung wurde um 1800 in der Residenzstadt, im gesamten Herzogtum und in anderen deutschen Städten von ähnlichen Umständen beeinflusst: zahlreiche zuwandernde Dienstmägde und damit potenzielle unehelich gebärende Mütter, durchziehende Truppen der napoleonischen Kriege, Hungerjahre und zugleich restriktive Ehegesetze.1 Angesichts dessen war der Anteil illegitimer Geburten in Weimar verhältnismäßig niedrig. Dennoch nahmen die Zeitgenossen und allen voran die Landesbehörden in Sachsen-Weimar-Eisenach uneheliche Geburten und Sexualkontakte als zu häufig wahr und versuchten, sie durch Verordnungen einzuschränken. Gleichsam wurden nach zeitgenössischem Empfinden zu viele Ehepaare geschieden. Der Weimarer Oberhofprediger Johann Heinrich Röhr mahnte 1822 in einer Predigt, dass die zahlreichen zerstrittenen Ehen und Scheidungen der jetzigen Zeit […] ihrer Sittlichkeit ein trauriges Zeugniß ausstellen würden.2 Laut dem Kammerherrn Carl Wilhelm von Fritsch, unter anderem auch Mitglied der Weimarer Stadtpolizeikommission, belegte 1804 die Liste der EhestandsProceße den Sittenverfall. 3 Im Gegensatz zu der ebenfalls als übermäßig häufig wahrgenommenen Illegitimität ist die Scheidungsrate in Sachsen-Weimar-Eisenach gemessen an den Werten anderer Territorien tatsächlich relativ hoch. Was verursachte die zahlreichen Scheidungen in Sachsen-Weimar-Eisenach besonders zu Beginn des 19. Jahrhunderts? Die errechneten Werte sind nicht durch viele vermisste Soldaten zu erklären, indem etwa deren Ehefrauen von ihren als verschollen geltenden Männern gerichtlich getrennt wurden. Eine gezielte Auswertung der Weimarer Dispensscheidungsakten und der entsprechenden Unterlagen aus der Garnisonsstadt Eisenach ergab, dass meist beide Ehepartner in die Scheidung einwilligten, also

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SEIDEL, Kultur des Gebärens (1998), S. 70–72. RÖHR, Predigt (1823), S. 227. Johann Heinrich Röhr bekleidete in der Residenzstadt seit den frühen 1820er Jahren verschiedene zentrale, geistliche Ämter. Er war Generalinspektor des Kreises, Oberhofprediger, Oberpfarrer, Mitglied der Immediatkommission für Erziehungs- und Unterrichtswesen, Ephorus des Gymnasiums und Direktor der Landschullehrerseminare, vgl. Staatskalender 1823–1835. Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 21r.

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VI. WILDE FAMILIEN IM GEORDNETEN STAAT?

anwesend waren. Mutmaßliche Militärwitwen könnten aufgrund der Ähnlichkeit ihrer Situation mit böslich Verlassenen eher in förmlichen Verfahren geschieden worden sein und wären dann nicht in den Dispensscheidungsakten wiederzufinden. Selbst dann kann die hohe Scheidungsrate jedoch angesichts der ohnehin fehlenden förmlichen Scheidungsakten nicht mit zahlreichen Gefallenen begründet werden. Auch die Eingliederung des Amtes Großrudestedt 1808 hat nicht entscheidend zur Scheidungsrate desselben Jahres beigetragen, da der Großteil der geschiedenen Paare anhand der angegebenen Aufenthaltsorte den alten Landesteilen zuzuordnen ist. Ohne Frage wirkten sich Missernten und Begleiterscheinungen von Kriegen wie etwa Truppendurchmärsche bzw. Versorgungsengpässe auf das familiäre Zusammenleben aus. Durch die einhergehenden wirtschaftlichen Sorgen und Existenzängste der Partner waren Ehen wesentlich konfliktanfälliger, etwa angesichts der Rationierung der Lebensmittel oder des Einkommens. Auch die Zeitgenossen stellten einen Zusammenhang zwischen den Kriegen und einer Entartung der Sitten sowie einem Mangel an Zucht, Ordnung u. Erbarkeit her.4 Jene schweren Zeiten würden 1804 die Ehe hindern und erschweren.5 Politische Krisen lösten demnach familiäre Krisen aus und verursachten dadurch indirekt einen Anstieg der Scheidungsanträge. Gleichsam erhöhten Unterernährung wie etwa infolge der Kälte- und Schlechtwetterperiode von 1816 bis 1817 und damit einhergehende Missernten das Konfliktpotenzial unter den Eheleuten. Dennoch stiegen die Scheidungszahlen in diesen Jahren bzw. unmittelbar darauf nicht eklatant an. Die Napoleonischen Kriege und ihre Begleiterscheinungen waren nicht nur eine zusätzliche Belastung für ohnehin konfliktreiche Ehen, sondern vielmehr das Symptom einer übergreifenden, durch die Aufklärung ausgelösten Umbruchsphase. Schriftsteller, Juristen und Philosophen hinterfragten zunehmend die bewährte, auch die familiale Ordnung. Neue, aber auch konventionelle Begriffe etwa von Liebe, Geschlecht und Partnerschaft weckten bei den Gatten Bedürfnisse und erzeugten auch in der Gesellschaft Vorstellungen vom ehelichen Leben, denen manche Ehen nicht gerecht wurden.6 Weil sich die Männlichkeits- und Weiblichkeitsvorstellungen wandelten, klagten Ehepartner um 1800 vermehrt auch aufgrund normwidrigen Verhaltens. Die Zeitgenossen beobachteten Wandlungsprozesse etwa in der Rechtsprechung und der Gesellschaft und sprachen wie die Eisenacher Polizeidirektion 1815 von den liberalern Grundsätzen

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Ebd. Ebd., fol. 16v. R. BECK, Frauen in Krise (1992), S. 190.

2. KONVENTIONELLE VERSUS ALTERNATIVE FAMILIENFORMEN

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unseres Zeitalters oder wie der spätere Weimarer Staatsminister Carl Wilhelm von Fritsch 1808 vom Geist der Zeit.7 Die Forschung zu Ehekonflikten und -scheidungen führt deren Auftreten auf enttäuschte Erwartungen der Gatten an das eheliche und familiäre Zusammenleben zurück. Weil die eigene Partnerschaft nicht dem etwa durch die Obrigkeit, die Kirche oder die Publizistik öffentlich propagierten Eheideal entsprach, waren Eheleute unzufrieden und suchten die Schuld an den unerfüllten Erwartungen bei ihren Gatten.8 Anforderungen an eine Ehe wie etwa das um 1800 verbreitete Ideal der Liebesheirat oder Ideen von emanzipierter Weiblichkeit verursachten bei den damaligen Paaren Unzufriedenheit, führten jedoch nachweislich nicht überall zu einer hohen Scheidungsrate. Im Vergleich zu den bisher veröffentlichten Studien über Ehescheidungen im 18. und 19. Jahrhundert sticht Sachsen-Weimar-Eisenach neben Preußen mit verhältnismäßig hohen Scheidungszahlen heraus. Demzufolge sind die vermehrt geschiedenen Paare neben zeitspezifischen Umständen wie etwa gewandelten Vorstellungen von Ehe, Geschlecht und Liebe sowie eine erhöhte Mobilität auf die scheidenden Instanzen selbst zurückzuführen. Sie entschieden darüber, ob ein zerstrittenes und die Scheidung verlangendes Paar letztlich getrennt wurde oder trotz rechtsgültiger Scheidungsgründe verheiratet bleiben musste.9 Zu fragen ist also vielmehr nach den spezifischen Umständen und Beweggründen, die Carl August und seine Behörden zu den Ehescheidungen bewogen, und was angesichts der liberalen Scheidungspraxis die verhältnismäßig niedrige Illegitimitätsrate verursachte.

2. Konventionelle versus alternative Familienformen – Ordnung und Unordnung zur Konsolidierung des Staates 2. KONVENTIONELLE VERSUS ALTERNATIVE FAMILIENFORMEN

Der Weimarer Regierungsrat Friedrich von Müller konstatierte 1803 die begrenzte Wirkung staatlicher Maßnahmen auf gesellschaftliche Normen und Werte: Überhaupt kann und wird niemals eine Gesetzgebung […] die sittl. Begriffe eines Volkes […] umschaffen können; Der Public Spirit wird immer seine Rechte behaupten und jener Geist eines Volkes könne nur durch Erziehung, Unterricht, wahre Aufklärung, Industrie-Ausbreitung, und vor allem durch Sicherung der Lebensbedürfnisse für jeden Stand neu ausgerichtet werden. Somit wird die Gesezgebung mehr durch den schon bestehenden Kultur-Zustand modificirt und auf solchen berechnet werden müßen, als daß wir uns schmeicheln

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Zit. nach: HAHN, Umbruch (2008), S. 10f.; Hebammen-Wesen Eisenach (1714–1815), LATh–HStAW, EA Polizeisachen 18, fol. 166r; BAUER u.a., Fürsorge (2011), S. 40. WESTPHAL u.a., Venus (2011), S. 238. Als Beispiel dient das Ehepaar Hößling aus Kaltensundheim: Scheidungen Eisenach (1811–1812), LATh–HStAW, EA Rechtspflege 138, fol. 14r–24r.

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VI. WILDE FAMILIEN IM GEORDNETEN STAAT?

dürften, blos durch Gesetze einen beßern Sitten-Geist zu erschaffen. 10 Laut von Müller könnten gesellschaftliche Vorstellungen von Sittlichkeit und Moral nur durch allgemeine Bildung und Wohlstand und nicht unmittelbar durch Gesetze verändert werden. Deshalb sollte sich die Gesetzgebung auch an existierenden Normen und Werten orientieren, anstatt Idealbilder durch Verordnungen durchsetzen zu wollen. Die Untersuchung unehelicher Sexualkontakte und Schwängerungen sowie Scheidungen und die dazu erlassenen Verordnungen scheinen von Müllers Einschätzungen zu bestätigen. Die zuvor geänderten Vorstellungen etwa von Weiblichkeit oder Ehe hatten die neuen Bestimmungen erst verursacht und wurden zugleich durch sie manifestiert. Verschiedene Ordnungsbegriffe – rechtliche, religiöse, geschlechtliche, gesellschaftliche und staatliche sowie familiale – wurden um 1800 innergesellschaftlich neu justiert und schlugen sich in der obrigkeitlichen Gesetzgebung und Rechtsprechung nieder. Vor allem die Gesetzgebung und Rechtsprechung bezüglich Ehescheidungen verdeutlicht, dass die Norm hinter den sich verändernden Lebenswirklichkeiten und Leitbildern teilweise zurückblieb und sie nicht (mehr) abbildete. Innerhalb des Staates stabilisierte die Religion im Mittelalter und zu Beginn der Frühen Neuzeit die soziale Ordnung. Die europäische Christenheit war jedoch seit Luther in verschiedene Konfessionen zergliedert und auch in der anglikanischen Kirche hatten sich mehrere Splittergruppen gebildet. Die bislang ordnungsstiftende Institution Kirche zeichnete sich nun selbst nicht mehr durch Einheitlichkeit aus und verursachte dadurch ungewollt gesellschaftliche und politische Spaltungen und Konflikte. Thomas Hobbes plädierte daher für eine einheitliche Staatskirche. Die religiöse Praxis diente dabei der Sicherung von Frieden und durfte keinen eigenen Machtanspruch stellen. Ähnlich drang laut Volker Press der frühneuzeitliche Staat mehr und mehr in die vormals durch die Kirche dominierten Machtbereiche ein.11 Solche Säkularisierungstendenzen bei gleichzeitiger Funktionalisierung der Religion zur Stabilisierung gesellschaftlicher und damit staatlicher Ordnung wies auch die Gesetzgebung Sachsen-Weimars auf. Die Befürworter einer neuen, milderen Sanktionierung unehelicher Sexualkontakte hatten sich schon 1728 für die Abschaffung der Kirchenbuße ausgesprochen. Die dazu gesichteten Verordnungen und geführten Debatten wiesen in ihrer Argumentation kaum religiöse Bezüge auf, indem sie etwa die Notwendigkeit der Bußhandlung für die Beziehung des Gläubigen zu Gott und zur Gemeinschaft betonten. Allerdings stammten die überlieferten Unterlagen vorrangig von weltlichen Behörden. 10 Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 12r [Hervorhebung im Original]. 11 SELLMANN, Religion (2007), S. 107f., 159; PRESS, Art. Kirche und Staat III, in: TRE 18 (1988), S. 381.

2. KONVENTIONELLE VERSUS ALTERNATIVE FAMILIENFORMEN

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Selbst die Befürworter der Kirchenbuße argumentierten nicht mit der Verantwortung der Sünder gegenüber Gott oder äußerten Ängste etwa über den Verfall der Spiritualität. Bußhandlungen hatten offenbar in den Augen einiger Zeitgenossen ihre spirituell rehabilitierende Wirkung verloren. Obwohl die Kirchenbuße den Täter wieder mit Gott und mit der christlichen Gemeinschaft versöhnen sollte, widersprach deren Beseitigung anscheinend nicht den Glaubensgrundsätzen der Verantwortlichen. Eine eigenständige, wie auch immer geartete Buße galt nunmehr als ausreichend. Von einer in Sachsen-WeimarEisenach praktizierten und die rehabilitierende Funktion der Kirchenbuße ersetzenden Praktik ist nichts bekannt. Damit hatte sich auch der religiöse Ordnungsbegriff gewandelt. Die öffentliche Buße bzw. die Verantwortung der Sünden vor der Gemeinschaft und vor Gott hatten ihre Bedeutung für die gesellschaftliche und die individuelle Moral verloren. Den Bedeutungsverlust der Religion für den Alltag der Menschen nahmen auch die Zeitgenossen wahr: Zu einer Zeit, wo der Stand dieser letztern [sc. der Geistlichen, A.W.] in einer allgemeinen Achtung stand, wo man auf die priesterliche Einsegung noch einen Werth legte, wo man die Ehe überhaupt als etwas heiliges betrachtete, und von einem „heiligen Stand der Ehe“ sprach – da mochte so etwas [sc. Sühneversuche, A.W.] recht zweckmäßig seyn; aber – mein Gott! – wir wissen ja, wie wir in diesem Stücke mit unseren Grundsätzen daran sind!12

Die Geistlichkeit war nicht mehr für die rechtliche Ahndung von Sittlichkeitsdelikten zuständig, die örtlichen Pfarrer durften fortan lediglich mündlich ermahnen. Die Kompetenz, Ehen zu scheiden, gaben die Oberkonsistorien in SachsenWeimar-Eisenach 1804 an die Regierungen ab und wurden nur noch als geistlicher Beistand und versöhnende Instanz ohne Recht sprechende Befugnisse einbezogen. Die wenigen religiösen Einwände der scheidenden Instanzen wirken allenfalls wie der halbherzige Versuch, dem traditionellen Begriff von der christlichen Ehe gerecht zu werden. Die Kirche verlor entscheidend an Macht und Einfluss und zahlte einen hohen Preis dafür, dass verheimlichte Schwangerschaften und Kindsmorde eventuell verhindert wurden. Gemäß dem neuen religiösen Ordnungsbegriff, der den oben zitierten Forderungen von Hobbes ähnelte, war die Kirche lediglich Botschafter von christlicher Sittlichkeit, durfte Vergehen jedoch nicht mehr aktiv ahnden und etwa Ehebrechern das Abendmahl verweigern. Sie wurde für staatliche Zwecke instrumentalisiert. Die Religion prägte, wie schon Ventzke diagnostizierte, nicht mehr grundlegend die Lebensgestaltung in Sachsen-Weimar-Eisenach, sondern wurde zu einem von mehreren Elementen individueller und staatlicher Selbstdarstellung und Agitation.13 Die Abschaffung der Kirchenbuße zur Schonung der ledigen Mütter und damit zur Verhinderung des Kindsmords wäre ohne zuvor gewandelte 12 N.N., Sühnsversuche (1808), S. 115. 13 VENTZKE, Herzogtum (2004), S. 469.

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VI. WILDE FAMILIEN IM GEORDNETEN STAAT?

Geschlechtervorstellungen kaum möglich gewesen. Die juristische und in der Publizistik getroffene Unterscheidung zwischen geschwächte[n] Weibspersonen und Dirnen oder zwischen sogenannten Jungfernkinder[n], den Nachkommen sonst unbescholtener Frauen, und Hurkinder[n] für die Kinder mehrfach unehelich Gebärender war nicht neu, doch wurden bislang die meisten unehelich Geschwängerten unabhängig von den jeweiligen Umständen vor Gericht als liderlich verachtet.14 In den Verordnungen von 1731 und 1750 hatten die verführenden und sittenlosen Frauen als Dirnen ihre Schwangerschaft noch maßgeblich verursacht. Mit der 1779 erlassenen Bestimmung erklärte Carl August ausnahmslos alle geständigen, erstmalig Schwangeren für unschuldig und gestand ihnen juristisch einen Opferstatus zu. Durch das Kriterium der Ersttäterschaft waren ihre rechtliche Einordnung und das zu verhängende Strafmaß eindeutig und nicht mehr den Richtern überlassen. Damit legitimierte er als Landesherr eine neue Deutung aller erstmals unehelich Geschwängerten (auch) als Opfer männlicher Zügellosigkeit oder schlicht ihrer eigenen jugendlichen Naivität, durch die sie sich etwa unter falschen Verlobungsversprechen auf den illegitimen Geschlechtsverkehr einließen. Carl August trug so der individuellen Situation der Mütter Rechnung – und erfüllte damit (bewusst oder unbewusst) eine Forderung zeitgenössischer Autoren. In der Gesetzgebung wandelten sich demnach auch vor dem Hintergrund der Publizistik die tradierten Vorstellungen von weiblicher Ehre durch zunehmende Differenzierung. Erstmals unehelich Schwangere galten eher als verführte Opfer, deren Ehrenhaftigkeit unter dem naiv begangenen oder fremdverschuldeten Geschlechtsverkehr litt und die neben einer Strafe auch das Verständnis der Gesellschaft verdienten. Gleichsam veränderte sich auch das Männer- und Vaterbild: Sie waren nun nicht mehr vorrangig die Verführten, sondern hatten das Vergehen mindestens mit verursacht. Aus den oft zu geringen Alimentationszahlungen entwickelte sich eine Fürsorgepflicht auch lediger Väter, die die Männer immer stärker in die Versorgung der Kinder und der Mütter einband und die von den Gesetzgebern immer öfter nachdrücklich hervorhoben wurde. Beide Eltern sollten nun für die Schwängerung und das Wohl des unehelichen Kindes verantwortlich sein. Bis in das 19. Jahrhundert hinein verfestigten sich die neu entstandenen Deutungsmuster zur Beurteilung der Schuldfrage bei unehelicher Schwängerung. Gegenüber Zweitschwangerschaften blieben die Geschlechter- und Ordnungsvorstellungen fast unverändert. Die nach wie vor gebräuchliche Bezeichnung als liederliche Dirnen bestätigte die konventionellen Leitbilder von tugendhafter, keuscher Weiblichkeit. Inwieweit die rechtliche Differenzierung 14 Art. unehelich, in: KRÜNITZ (Hg.), Encyklopädie 195 (1848), S. 430–432; BRÜDERMANN, Studenten (1990), S. 381.

2. KONVENTIONELLE VERSUS ALTERNATIVE FAMILIENFORMEN

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auch die gesellschaftliche Akzeptanz zumindest erstmals unehelich Geschwängerter beförderte, ist nicht abschließend zu beantworten. Laut dem Weimarer Geheimrat Christian Friedrich Schnauß war es 1783 nicht möglich, das Publicum von dem […] eingewurzelten Vorurtheil […] gegen den Verlust der Ehre und Schamhaftigkeit einer Weibes-Person zu heilen […]; es bleibt vielmehr eine Geschwächte allezeit eine geschändete und verachtete Weibs-Person.15 Dennoch zeugen zahlreiche Einzelbeispiele wie die in Weimar wieder angestellten weiblichen Dienstboten von einer gesellschaftlichen Toleranz gegenüber ledigen Müttern. Die empathischen Positionen zeitgenössischer Autoren zeigen ferner, dass sich diese Offenheit nicht nur auf die Residenzstadt beschränkte und jene Beobachtungen über den Untersuchungsraum hinausweisen. Noch immer wurden neben ständischen Unterscheidungen ungleiche Maßstäbe bei der Bewertung männlicher und weiblicher Sittlichkeitsdelikte angelegt. Während den meist bürgerlichen oder adligen Studenten das Fehlverhalten als jugendlicher Leichtsinn verziehen wurde, ihr illegitimer Verkehr anscheinend keiner näheren Rechtfertigung bedurfte und ihrem Ruf nicht schadete, haftete unkeuschen jungen Frauen vor allem durch ein uneheliches Kind ein lebenslanger Makel an. Frauen hatten nicht das Recht, ihre Sexualität vor der Ehe oder mit mehreren Partnern auszuleben. Jene geschlechtsspezifischen Ordnungsvorstellungen blieben, teilweise bis heute, unverändert. Während eine ausgelebte Sexualität mit häufigem Partnerwechsel bei Männern in den Medien und der dadurch beeinflussten öffentlichen Meinung überwiegend positiv als sexuelle Aktivität und Virilität gedeutet wird, nimmt die gesellschaftliche Anerkennung einer Frau durch Promiskuität eher ab.16 Allerdings beweisen von Einsiedels Ideen, dass auch schon um 1800 weibliche Polygamie für einzelne Zeitgenossen vorstellbar war. Auch innerhalb der Ehescheidungsprozesse wurden Paare aufgrund ihres gesellschaftlichen oder beruflichen Standes oder ihrer Kontakte zum Hof und den obersten Landesbehörden weiterhin bevorzugt behandelt, obwohl sich Carl August offiziell gegen jedwede Privilegierung aussprach. Hinsichtlich etwaiger gewandelter Geschlechtervorstellungen lassen die untersuchten Scheidungsakten kaum Aussagen zu. Sylvia Möhle beobachtete in Göttinger Ehescheidungsverfahren, dass die Frauen rechtlich benachteiligt wurden, indem die jeweiligen Instanzen aufgrund traditioneller Geschlechterrollen ihre Vorwürfe häufiger als die der Männer anzweifelten und bagatellisierten.17 Derartige geschlechterspezifische Benachteiligungen der Frauen gingen aus den Dispensscheidungsakten Sachsen-Weimar-Eisenachs und den darin enthaltenen Berichten der Regierung 15 Zit. nach: WAHL (Hg.), Kind (2004), S. 105. 16 RIESLING-SCHÄRFE, Aids (1998), S. 215. 17 MÖHLE, Ehe (1996), S. 142–148; DIES., Ehekonflikte (1997), S. 159.

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VI. WILDE FAMILIEN IM GEORDNETEN STAAT?

und den Gesuchen der Ehepaare oder -partner nicht hervor. Sie können jedoch aufgrund der fehlenden Unterlagen zu förmlichen Scheidungsverfahren auch nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden. Möglicherweise ist die mit den Dispensakten nicht nachzuweisende Diskriminierung der Frauen ein Anzeichen für einen gewandelten rechtlichen Ordnungsbegriff zugunsten einer annähernden rechtlichen Gleichstellung. Die zunehmende Vernachlässigung der Geschlechtsvormundschaft gegen Ende des 18. Jahrhunderts könnte ein weiteres Indiz für eine Stärkung der weiblichen Rechtsposition sein. Der englische Historiker Lawrence Stone beobachtet einen für diese Zeit umfassenden Wandel der Ordnungsvorstellungen und der Geschlechterverhältnisse. Demnach verschwand die aus dem alten patriarchalischen System stammende Übermacht des Mannes über seine von ihm abhängige Gattin im 19. Jahrhundert fast völlig aus den Gesetzen und den Geschlechtervorstellungen, was Stone als eine Mentalitäts- und Verhaltensrevolution begreift.18 Auch in Sachsen-Weimar-Eisenach könnten geschlechterspezifische Benachteiligungen in der Rechtspraxis weitestgehend unüblich geworden sein. Nachweislich hatte sich im ernestinischen Herzogtum der rechtliche Ordnungsbegriff bezüglich des Strafrechts gewandelt. Die Instanzen prüften die Verhältnismäßigkeit der Sanktionen für uneheliche Sexualkontakte und Schwängerungen in den 1780er Jahren und schafften als unangemessen oder willkürlich wahrgenommene Strafen ab. Übermäßig langer Arrest war künftig zu vermeiden und die zehnjährige Zuchthausstrafe wurde fortan nur noch bei schwerem Kindsmordverdacht verhängt. Die zu zahlenden Alimente sollten sich am Vermögen der Kindseltern orientieren und nicht mehr wie bisher willkürlich bestimmt oder gar generell niedrig veranschlagt werden. Auch die Männer profitierten von der neuen Ordnung in der Rechtsprechung, indem beispielsweise Militärangehörige keine Staupenschläge mehr erhielten, die allein der Gesundheit des Mannes schadeten, aber weder Mutter und Kind noch dem Staat nützten. Der Wandel des rechtlichen Ordnungsbegriffs hin zu einer Ausrichtung des Rechts auch am individuellen Wohl und nicht nur am staatlichen und gesellschaftlichen war auch innerhalb des Scheidungsrechts bzw. der Scheidungspraxis und der zugehörigen Debatten zu beobachten. Sanktionsmöglichkeiten wie etwa die Abgaben in den Schulfonds oder Wiederverheiratungsverbote wurden kaum ausgereizt oder gar nicht angewandt. Obwohl die Obrigkeit über Normen die Ehescheidungen einzuschränken suchte, entschied sie in den Einzelfällen häufig im Interesse des jeweiligen Paares. Dem lag ein neues, auch von zeitgenössischen Autoren propagiertes Eheverständnis zugrunde, demzufolge die Obrigkeit bereit war, nicht weiter auf die unbedingte Fortführung der Ehe zu bestehen. Die öffentliche Ordnung sollte vielmehr durch ein geschiedenes und deshalb fried18 STONE, Road (1990), S. 12f.

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liches Ehepaar geschont, anstatt durch ein zerstrittenes belastet werden. Das neue Ideal von einer adäquaten Rechtsprechung verband demnach sowohl gesellschaftliche als auch individuelle Interessen. Der rechtliche Ordnungsbegriff änderte sich jedoch nur partiell. Ein genereller Straferlass für ein begangenes Vergehen war in Sachsen-WeimarEisenach am Ende des 18. Jahrhunderts nur dann vorstellbar, wenn die erhoffte Stabilisierung der gesellschaftlichen Ordnung deren etwaige moralische Schädigung übertraf. Weil sich Carl August weniger Kindsmorde und verheimlichte Schwangerschaften versprach, erließ er die Sanktionen für erstmals unehelich geschwängerte, geständige Frauen. Indem die Straffreiheit unehelicher Erstschwangerschaften unter bestimmten Voraussetzungen und zum Nutzen der Gesellschaft und des Staates toleriert wurde, brachen die Obrigkeiten konventionelle Ordnungsmuster auf. Vergehen sollten jedoch nach wie vor nicht ungestraft bleiben, weil laut von Voigts Kritik an der preußischen Gesetzgebung Sanktionen abschreckten und die Straffreiheit erst Vergehen motivierte. Hier hielt die Obrigkeit am bewährten Handlungsmuster fest. Die Gegner eines generellen Straferlasses nach preußischem Vorbild fürchteten um die gesellschaftliche Ordnung sowie um kollektive Vorstellungen von Sittlichkeit und Moral. Die Gesetzgebung und Rechtsprechung um 1800 in Sachsen-WeimarEisenach – und gemäß den Gesetzen anderer Territorien und deutschsprachiger Autoren auch darüber hinaus – strafte weniger und gestand den unehelichen Eltern oder den scheidungswilligen Paaren grundsätzlich mehr Rechte hinsichtlich der Eheschließung oder der Begründung ihrer Scheidung zu. Durch die damit einhergehende Überprüfung geltender und angewandter Normen wurden frühere Nachlässigkeiten in der Ahndung von Verstößen aufgedeckt. Nicht nur in Sachsen-Weimar-Eisenach wurden Verlobungen bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts besonders im ländlichen Raum durch vorehelichen Verkehr besiegelt und dieser von den Behörden trotz gegensätzlicher Gesetze nicht konsequent geahndet. Nun versuchten die Obrigkeiten, solche Gewohnheiten vielerorts zugunsten der gesetzlich postulierten Sittlichkeits- und Ehevorschriften zu beseitigen und damit einen einheitlichen Ordnungsbegriff unter dem Primat der Ehe zu schaffen. Der zuvor offenere familiale Ordnungsbegriff, der ein Nebeneinander von praktizierten Formen alternativer Eheanbahnung und geltendem Recht zuließ, sollte durch eine strengere Handhabung und Neuordnung ersetzt werden. Inwieweit die Obrigkeit Sachsen-Weimar-Eisenachs dabei erfolgreich war, geht aus den untersuchten Quellen nicht hervor. Die Ehe wurde durch die Gesetzgebung und Rechtsprechung zu unehelichen Sexualkontakten und Schwängerungen bzw. Ehescheidungen aufgewertet, auch wenn die gerichtlichen Trennungen laut den damaligen Zeitgenossen ihrem Ansehen eher schadeten. Zwar minderte die Scheidung ihren Wert, indem die nach konventionellen Maßstäben dauerhaft geschlossene Verbindung letztlich

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doch nur begrenzt existierte und damit gescheitert zu sein schien. Der neue familiale Ordnungsbegriff verstand den anerkannten Scheidungsgründen zufolge unter der Ehe jedoch eine Gemeinschaft, deren Gelingen oder Scheitern auch von der gegenseitigen Zuneigung und dem individuellen Wohlbefinden und Glück abhing. Fehlte die Zuneigung und damit das bindende Element und herrschte stattdessen eine starke Ablehnung, schadete die Fortführung der Ehe sowohl den Gatten oder den Kindern als auch der Gesellschaft und dem Staat. Indem seit 1825 auch ärmere Paare heiraten durften und sich dadurch der Anteil der Ehen tendenziell erhöhen konnte, verstärkte die erhöhte Verbreitung der Lebensform Ehe ihren Status als gesellschaftliche Norm. Dadurch konnte sich die Institution Ehe mehr als zuvor gegenüber alternativen Lebensformen wie Alleinerziehenden etablieren. Die Verordnungen Sachsen-Weimar-Eisenachs bestätigten den konventionellen familialen Ordnungsbegriff: Nur Ehepaare mit ehelichen Kindern bildeten eine Familie, Unverheiratete Partnerschaften wurden rigoros abgelehnt und ihnen die Ehe bis 1825 infolge ihres illegalen Zusammenlebens prinzipiell verwehrt. Die Familie war eine Versorgungsgemeinschaft und sollte bei einer unehelichen Schwängerung vorrangig zu diesem Zweck entstehen. Eigenmächtige, gesetzeswidrige Familiengründungen galt es hingegen zu bestrafen. Ferner war der Vater als Familienoberhaupt für das gesetzestreue Verhalten seiner Angehörigen verantwortlich und durfte Straftaten nicht dulden. Vor diesem Hintergrund sollten laut einzelnen zeitgenössischen Positionen in der Publizistik die Hausherren, die ihre Mägde schwängerten, strenger als andere bestraft werden, da sie als Garant der häuslichen Sittlichkeit mit ihrem Fehlverhalten auch die staatliche Ordnung infrage stellten. Mit den neuen Verordnungen musste der Ehemann die Untreue seiner Frau unter Strafe anzeigen und durfte das aus dem Ehebruch entstandene Kind nicht heimlich als das seine annehmen. Paare sollten nur nach eingehender intensiver Prüfung der Verhältnisse aufgrund gewichtiger Ursachen und erst nach intensiven Versöhnungsversuchen geschieden werden. Zugleich hatte sich der familiale Ordnungsbegriff dahingehend gewandelt, dass Ehen seit 1825 trotz geringem Einkommen geschlossen und somit Familien gegründet werden durften. Die liberale Kehrtwende könnte eine Reaktion auf den gescheiterten Versuch gewesen sein, praktizierte Formen alternativer Eheanbahnung zu verhindern. Auch ein mittelloser Ehemann war fähig, so hofften die Gesetzgeber, die Geschwängerte und das Kind besser zu versorgen als eine Alleinerziehende, die infolge der rigiden Ehebestimmungen unverheiratet blieb und der staatlichen Fürsorge bedurfte. Inwiefern diese Versorgungsgemeinschaften funktionierten oder ob nicht durch die steigende Zahl ärmerer Ehepaare den Ängsten der Gegner dieser neuen Verordnungen entsprechend nur noch mehr arme Kinder gezeugt wurden, die wiederum die staatlichen Kassen

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belasteten und aufgrund mangelnder Zeit und Erziehung der Eltern die gesellschaftliche Ordnung gefährdeten, geht aus den Quellen nicht hervor. Die verstärkte Problematisierung wilder Ehen zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht nur in Sachsen-Weimar-Eisenach bestätigt die veränderten Vorstellungen von Familie.19 Die vormals als Schwängerer und die von ihm Geschwängerte wahrgenommenen unverheirateten Eltern wurden nun von der Obrigkeit als Paar und nicht mehr als zwei Alleinstehende gedacht. Die Zeitgenossen erkannten damit quasi die eigenständige Zusammenfindung an, störten sich jedoch an der fehlenden, legitimierenden Eheschließung. Dass in Sachsen-Weimar-Eisenach um 1800 tradierte Leitbilder von Ehe und Familie hinterfragt wurden und neue entstanden, war laut Siegrid Westphal typisch für jene von fundamentalen gesellschaftlichen Veränderungen geprägten Jahrzehnte. Sie beobachtete, dass die Phasen gewandelter Vorstellungen von Ehe mit den Epochengrenzen der Frühen Neuzeit zusammenfielen.20 Die Ehe sollte seit der Verordnung von 1825 laut einzelnen Stimmen aus der Eisenacher Regierung und der Publizistik weitestgehend vor staatlichen Eingriffen geschützt werden. Generell wurden Joachim Eibach zufolge die Zugriffsmöglichkeiten der Obrigkeiten in innerfamiliäre Belange im 19. Jahrhundert radikal reduziert.21 Für die meisten, auch für die Befürworter liberaler Ehe- und Ehescheidungsgesetze, blieb die Ehe unangefochten das einzige moralisch vertretbare Lebensmodell für Paare mit Kindern. Von den hier untersuchten Autoren wagte nur August von Einsiedel, die Institution Ehe grundlegend zu hinterfragen und ehelose, ja sogar polygame Partnerschaften vorzuschlagen. Er erachtete die Ehe mitunter als schädlich für die menschliche Weiterentwicklung und präferierte daher ehelose Partnerschaften. Mindestens ein Zeitgenosse scheute folglich nicht davor zurück, die Ehe fundamental zu kritisieren und sich deren Abschaffung vorzustellen. Auch wenn seine Ideen erst im 20. Jahrhundert publiziert wurden, belegen seine Notizen eindrucksvoll, dass schon um 1800 eine Partnerschaft ganz ohne Ehe denk- und sagbar war. Für die übrigen, hier vorgestellten Debattierenden sollten Paarbeziehungen und auch jahrelang geführte wilde Ehen mittelfristig durch eine Hochzeit legalisiert werden. Nicht nur innerhalb der Bevölkerung oder gemäß den Publikationen einzelner Visionäre waren kurzzeitig unverheiratete Paare mit Kindern oder auch geschiedene und wiederverheiratete Stieffamilien denkbar und praktikabel. Mit einzelnen Gesetzen sowie dem im Scheidungsverfahren zunehmend anerkannten Zerrüttungsprinzip gestand die Obrigkeit den Akteuren zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein gewisses Maß an Eigenständigkeit in der Gestaltung famili19 GRÖWER, Wilde Ehen (1999); SCHLUMBOHM, Wilde Ehen (1993). 20 WESTPHAL u.a., Venus (2011), S. 11. 21 EIBACH, Haus (2008), S. 189.

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aler Konstellationen zu. Die Eisenacher Regierung weitete die Zugeständnisse sogar noch erheblich aus. Die als triftig erachteten, neuen Scheidungsgründe wie etwa die unumkehrbare gegenseitige Abneigung der Partner oder die beiderseitige Einwilligung in die Scheidung verweisen auf einen gewandelten familialen Ordnungsbegriff. Angesichts der Trennungsgesuche war die Obrigkeit Sachsen-Weimar-Eisenachs zudem bereit, entgegen dem gängigen Familienideal Alleinerziehende mit Kindern zuzulassen. Eine schon länger getrennt lebende Frau wurde von ihrem mittellosen Mann geschieden und durfte sich und ihre Kinder weiterhin selbst versorgen.22 Herzog und Regierung zogen in diesem Fall mit der Scheidung das alternative Familienmodell der alleinerziehenden Mutter dem Ideal der Kernfamilie vor. Häufiger als in den meisten anderen Territorien ermöglichte die Obrigkeit Sachsen-Weimar-Eisenachs ihren Untertanen die Befreiung aus einer gescheiterten Ehe und Familie und gegebenenfalls die Gründung einer neuen. Die Ehescheidung an sich nimmt als Endpunkt einer unglücklichen Verbindung und als Entstehungsmoment neuer Ehen eine Sonderstellung ein. Sie symbolisierte laut konventionellen Familienvorstellungen die gescheiterte Familie und schadete daher in ihrer Vielzahl der Wertigkeit der Ehe innerhalb der Gesellschaft. Die Obrigkeiten Sachsen-Weimar-Eisenachs wandten sie dennoch häufig an, da auch zerstrittene und öffentlich als gescheitert wahrnehmbare Ehepaare die Ehe als Ordnungsmodell infrage stellten. Im Sinne der Staates sprachen Regierung und Herzog daher häufig die Scheidung aus, um das Ansehen der Ehe nicht weiter zu schädigen und durch die Wiederverheiratung geschiedener Ehepartner neue, den Konventionen eher entsprechende Familien zu ermöglichen und dadurch auch eine gelingende Kindererziehung zu gewährleisten. Solche und andere in den Akten vorgetragenen Argumente finden sich auch in den zeitgenössischen Debatten wieder. Deren Rezeption ist zwar wahrscheinlich, konnte aber nur in wenigen Fällen belegt werden. Durch die Gleichsetzung der Familie mit dem Staat, in der die für eine funktionierende Gesellschaft notwendigen Werte wie etwa die Anerkennung von Regeln und Autoritäten gelebt wurden, hinterfragte das Wanken familialer Strukturen etwa durch eine Ehescheidung zugleich die staatliche Machtfülle. Daher lag es im Interesse der Obrigkeit, hierarchische Strukturen in Familie und Gesellschaft zu erhalten und zu stabilisieren, um darüber die Menschen durch Normen zu beeinflussen. Brachen diese Strukturen weg, wurden wilde Ehen nicht legitimiert oder bestehende Ehen aufgelöst, verlor der Staat an Einfluss auf die Beteiligten. Entsprechend sind auch die anhand der Scheidungsakten Sachsen-Weimar-Eisenachs beobachteten seltenen Wiederverheiratungsverbote

22 Scheidungen Weimar (1825–1828), LATh–HStAW, Rechtspflege B2608, fol. 94v, 105v.

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als Versuch zu deuten, jene für die staatliche Ordnung elementaren ehelichen Verhältnisse wiederherzustellen. Familien und äquivalente Gemeinschaftsformen beeinflussten die Gesellschaft und deren einzelne Mitglieder. Diese nahmen zahlreiche unverheiratete oder geschiedene Paare wahr und schlussfolgerten daraus auf die allgemeine gesellschaftliche bzw. öffentliche Ordnung und auf die Autorität der jeweiligen Obrigkeit, die diese Ordnung erhielt und Verstöße dagegen sanktionierte. Auch bildeten kollektive Vorstellungen von Sittlichkeit sowie die gelebte Familie die Grundlage einer stabilen Gesellschaft, in der sich die Einzelnen aneinander bzw. an den verbal und nonverbal kommunizierten Normen und Werten orientierten. Die frühneuzeitlichen Obrigkeiten korrigierten und regulierten daher beständig die familiale und gesellschaftliche Ordnung, damit die Untertanen ihre alternativen Familienformen nicht wie in Eisenach geschehen mit Andere leben auch so! zu legitimieren suchten. Die teils eklatanten Unterschiede zwischen propagiertem Ideal einhergehend mit geltenden Normen einerseits und real existierenden wie diskutierten Familienformen andererseits zeigen deutlich, dass die Gleichsetzung von Staat und Familie nicht mehr als ordnungsstiftendes Instrument funktionierte und dem Staat sogar eher schadete als nützte. Daher plädierte der Weimarer Regierungsrat von Müller 1803 auch für eine konsequentere Bestrafung von Ehebrechern, die wie unverheiratete und eigenmächtig getrennt lebende Paare den Staat destabilisierten: Denn! wer das häusliche Glück und die sanctionirten Verhältniße des bürgerl. Lebens untergräbt, der greift den Staat selbst in seinen sichersten Stützen an, und verdient als Stöhrer der öffentlichen Ruhe, auch öffentl. bestraft zu werden.23 Dass von Müller damit nicht nur die Untertanen, sondern auch die Obrigkeit selbst mahnte, ging aus den untersuchten Quellen hervor – und entlarvt die Nachlässigkeit staatlicher und kirchlicher Würdenträger als eine Ursache familialer Unordnung. Mehrfach wurde das Heiratsalter korrigiert, um entweder wilden Ehen zuvorzukommen und nützliche Bürger für den Staat zeugen zu lassen oder um die Soldaten uneingeschränkt im Militär einsetzen zu können und teure Witwenrenten zu umgehen. Studenten wurden als uneheliche Schwängerer ganz offiziell und über lange Zeit, abgesehen von der Geldbuße an die Universität, von jeglicher weiterer Untersuchung und Strafe verschont. Die Zeitgenossen berichteten zudem immer wieder von unverheirateten Paaren, die dauerhaft unbehelligt in Versorgungsgemeinschaften zusammenwohnten oder von Eheleuten, die schon jahrelang getrennt lebten. Das Konzept des „ganzen Hauses“ greift für jene Konstellationen nicht. Die zahlreichen, sich revidierenden und teilweise widersprechenden Verordnungen erschwerten den Unterobrigkeiten deren korrekte Anwendung, weshalb Recht sprechende Instanzen zuweilen entgegen geltender Normen 23 Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 13r.

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entschieden. Andere Dienstherren oder Behördenmitarbeiter mussten sogar mit einer Geldstrafe zur Befolgung der Gesetze angehalten werden. Die staatliche Ordnung Sachsen-Weimar-Eisenachs wurde demnach nicht nur durch das gesetzeswidrige Verhalten der Untertanen, sondern auch der Unterobrigkeiten gefährdet. Die Unordnung in den unteren Verwaltungsschichten, aber auch in Teilen der Bevölkerung, ermöglichte erst die Existenz familialer Unordnung. Inwieweit Nachlässigkeiten und zahlreichen Scheidungen wohlwollende oder idealistische Absichten zugrunde lagen, geht aus den Quellen nicht hervor. Möglicherweise waren die zuständigen Instanzen angesichts der liberalern Grundsätze jener Zeit selbst verunsichert, was unter „Ordnung“ in Familie, Gesellschaft und Staat zu verstehen war.

3. Strenge und nachlässige Obrigkeiten 3. STRENGE UND NACHLÄSSIGE OBRIGKEITEN

Die in Weimar existierenden Familien- und Lebensformen widersprachen mitunter grundlegend den zeitgenössischen Idealen von Familie, Moral und Sittlichkeit. Sie spiegeln sich in den diskutierten und erlassenen Gesetzen wider, die von den Untertanen umgesetzt werden sollten und mit denen die Obrigkeit auf die bestehenden Verhältnisse einzuwirken suchte. Dessen waren sich auch die Staatsbediensteten Sachsen-Weimar-Eisenachs bewusst: Wenn unsere Ansichten vielleicht bei einem für Jahrhunderte gültigen Gesetze zu Grunde gelegt werden, und dieses vielleicht bei der Nachwelt zum Maßstabe unserer Einsicht und geistigen Cultur genommen wird, so glaube ich den Vorwurf der Rechthaberei nicht befirchten zu dürfen, wenn ich meine Ansichten […] noch einmal gültig mache […].24 Dem unbekannten Verfasser des Votums, dem Quellenkontext nach ein Mitglied des Eisenacher Oberkonsistoriums, war die Historizität seines Beitrags zum neuen Ehegesetz durchaus bewusst, weshalb er seinen Standpunkt unter anderem zur Käuflichkeit von Dispensationen nachdrücklich erläuterte. Die gesetzgebenden und Recht sprechenden Instanzen entschieden offensichtlich nicht nur hinsichtlich ihrer zeitgenössischen Prägekraft auf die eigenen Untertanen und auf andere Territorien, sondern auch mit Blick auf ihre spätere historische Wirkung. Umgekehrt standen auch sie unter dem Eindruck erlassener Gesetze benachbarter Staaten und zeitgenössischer Debatten und positionierten sich dazu durch eigene Entscheidungen. Die anhand der Gesetzgebung und Rechtsprechung ablesbaren Vorstellungen von familialem Leben wurden unter Berücksichtigung ihrer potenziellen zeitgenössischen und künftigen Resonanz formuliert und orientierten sich nicht allein am persönlichen oder kollektiven Empfinden. Häufig wich die Rechtsprechung von geltenden Bestimmungen ab oder wandte sie mitunter gar nicht an. Zudem

24 Entwurf Ehegesetz I (1826), LATh–HStAW, Rechtspflege B2408a, fol. 64r.

3. STRENGE UND NACHLÄSSIGE OBRIGKEITEN

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wurden die geltenden Normen in mehreren Fällen nicht der familialen Lebenswirklichkeit gerecht. Daher spiegeln die frühneuzeitlichen Gesetze und Normen keinesfalls die damals existierenden Verhältnisse wider. Dennoch wurde in Zweifelsfällen etwa von Spruchgerichten wie dem Jenaer Schöppenstuhl bei der Rechtfertigung eines Urteilsspruchs auf geltendes Recht verwiesen. Diese Diskrepanz zwischen existierenden Normen und gelebtem Alltag scheint symptomatisch für die damalige Lebenswirklichkeit.25 Der für den noch minderjährigen Herzog Ernst August II. Constantin vormundschaftlich regierende Franz Josias von Sachsen-Coburg-Saalfeld bemängelte 1751 gegenüber der Weimarer Regierung die überhand nehmende[n] Unzuchts-Excesse in hiesiger Residenz. Maßnahmen des Stadtrates seien angesichts dessen bisherige[n] allzu gelinde[n] Verfahren[s] erfolglos gewesen.26 Daher ordnete er an, dass vermeintlich unsittliche Frauen für zwei bis drei Wochen im Zuchthaus inhaftiert und währenddessen sowie nach verbüßter Strafe zur Straßenreinigung herangezogen werden. Die Regierung schlug daraufhin vor, den Stadtrat unter Strafandrohung zu einer monatlichen Visitation des Herrenlosen und liederlichen Gesindels zu verpflichten.27 Das acht Jahre darauf erschienene Zirkular von 1759 belegte die Zuwiderhandlung der inkonsequenten Dienstherren und Behörden sogar mit einer Geldstrafe. Der obervormundschaftlich regierende Landesherr machte die Behörden für die sich häufenden Sittlichkeitsvergehen verantwortlich. Der Stadtrat ging anscheinend zu milde mit unehelich Verkehrenden um und strafte zu nachlässig, sodass Franz Josias nicht nur die straffälligen Untertanen, sondern auch die Behörden rügen musste. Mehrere Bestimmungen auch der nachfolgenden Jahrzehnte wiesen die örtlichen Unterobrigkeiten explizit zur Vollstreckung bestehender Verordnungen an, die bis dato missachtet und deshalb erneut publiziert wurden. Trotz des 1731 ausgesprochenen Verbots der Verheiratung des Schwängerers und besonders der Militär- und Hofangehörigen mit Geschwängerten wurden sie dennoch von Pfarrern verehelicht, sodass sie der Herzog 1750 ermahnte und das Patent von 1731 erneuerte. Die Unterbehörden trugen demnach eine Mitverantwortung an unrechtmäßigen Verlobungen und Trauungen. Die unehelich gezeugten Kinder gingen dadurch nicht in die Illegitimitätsstatistik ein. Laut dem Weimarer Oberkonsistorialassessor Zunkel bewerteten schließlich 1817 viele Zeitgenossen Sittlichkeitsvergehen wie unehelichen Geschlechtsver25 Auch für die gelebten Familienformen ist sie zu beobachten. Zuweilen verfügten einige Ehefrauen oder eigenmächtig getrennt lebende Ehepaare im Alltag über gewisse Handlungsspielräume. Offiziell war der Ehemann als Hausvater jedoch gegenüber seiner Ehefrau weisungsbefugt und die getrennt lebenden Gatten zum Zusammenleben verpflichtet und konnten dazu auch unter Strafe gezwungen werden. 26 Laster Hurerey (1731–1780), LATh–HStAW, Rechtspflege B2236b, fol. 7r, 17r. 27 Ebd., fol. 15v.

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kehr nicht mehr als gravierend, weil die Delikte nicht streng genug geahndet wurden. 28 Obrigkeitliche Reaktionen auf Vergehen dienten der Bevölkerung demnach als Maßstab bei der Beurteilung von Recht und Moral. Auch der Buttstädter Pfarrer Hasert machte 1823 die Gesetzgebung für die vermehrt auftretenden wilden Ehen mitverantwortlich. Er beobachtete die Abnahme moralischer und religiöser Werte selbst bei den Behördenmitgliedern, die den Verfall der Sittlichkeit begünstigte.29 1826 forderte die Landesdirektion von den Polizeibehörden ein strengeres Vorgehen gegen unverheiratete Paare. So würden ungeachtet der früher deshalb ergangenen mehrfachen Verfügungen, hin und wieder […] Manns- und Weibspersonen in sogenannten wilden Ehen auf eine für Sittlichkeit und Gemeinwohl höchst nachtheilige Weise ordnungswidrig zusammenwohnen. Nicht alle Unterbehörden widmeten diesem wichtigen Gegenstande die erforderliche Achtsamkeit und Thätigkeit. Hiernach gingen die Ortsvorsteher und Pfarrer nachlässig mit unverheirateten Paaren um. Deshalb sollten die Gemeindevorstände bei eigener Verantwortung, gegen das Entstehen künftiger Ordnungswidrigkeiten der bezeichneten Art aufmerksam sein und sie gegebenenfalls bei der Obrigkeit anzeigen.30 Entsprechend forderte das Weimarer Oberkonsistorium 1831, dass auf die Verbüßung verhängter Strafen mehr geachtet werde: Die Behörden sollten wilde Ehen konsequenter ahnden. 31 Offensichtlich hatten einige Unterobrigkeiten unverheiratete Paare nicht gemeldet und unbehelligt zusammenwohnen lassen. Während der Entstehung des neuen Ehegesetzes gestand der Eisenacher Oberkonsistorialassessor Voppel die Machtlosigkeit seiner Amtskollegen ein. Er klagte über die nur mäßigen Erfolge der Pfarrer, in wilder Ehe Lebende zu ermahnen, und berichtete von deren trotzigen Antworten. Silvia Möhle las in Briefen von Geistlichen ebenfalls über die Ignoranz und sogar Ablehnung durch Gemeindemitglieder angesichts religiöser Mahnungen. 32 Anscheinend waren die Unterobrigkeiten nicht immer nachlässig, sondern fühlten sich zuweilen angesichts eigenwilliger Lebens- und Familienformen sogar hilflos und gingen deshalb nicht konsequent gegen sittenwidriges Verhalten vor. Die Landesregierung beklagte 1829, dass bei den jährlich von den Untergerichten einzureichenden Untersuchungstabellen vor allem die Verfahren zu Fleischesverbrechen fehlten und forderte sie unter Androhung einer 28 Oberkonsistorialakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 56r. 29 Landesdirektionsakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391c, fol. 38v–39r: Die bey dem Verfall des religiösen Sinnes bey vielen Behörden fast allgemein schlechte Sittenpolizey […] lockt zu unerlaubten Vertraulichkeiten. 30 WWB 72 (1826), Nr. 1 (03.01.1826), S. 1f. 31 Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 139v. 32 Oberkonsistorialakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 9v; MÖHLE, Ehekonflikte (1997), S. 204, Anm. 36.

3. STRENGE UND NACHLÄSSIGE OBRIGKEITEN

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Disziplinarstrafe ein. 33 Die Unterlagen waren nicht infolge einer generellen Nachlässigkeit der Unterbehörden unvollständig, sondern die fehlenden Tabellen zu Unzuchtsverfahren wurden bewusst zurückgehalten. Entsprechend wollte Hasert die Ortsobrigkeiten stärker in die Pflicht nehmen und bemängelte 1823: Die weltlichen Behörden nehmen im Durchschnitt die wiederholten Schwängerungen leicht auf; und das Zuchthauß, wo es wirklich zuerkannt wird, macht gewöhnlich die Gefallene nun zum Auswurf.34 Demnach gingen die örtlichen Instanzen nachsichtig auch mit mehrfach illegitim Geschwängerten um und ordneten Zuchthausstrafen laut Hasert viel zu zögerlich an. Studien wie jene von Silvia Möhle und Beiträge zeitgenössischer Autoren etwa zur negativen Vorbildfunktion der Lebensweise höherer Stände oder einer Liebschaftskultur unter jungen Akademikern belegen, dass die nachlässige Ahndung von Sittlichkeitsdelikten nicht nur ein Problem des ernestinischen Herzogtums ist und die dazu gewonnenen Erkenntnisse auch auf andere Territorien übertragen werden können. Mehrfach mussten die Obrigkeiten die Hebammen an bestehende Verordnungen erinnern. Ein Zirkularbefehl von 1807 betonte explizit ihre Verpflichtung zur Meldung illegitimer Schwängerungen – wie bei Maria Magdalena Kühndorf zeigten anscheinend mehrere Geburtshelferinnen uneheliche Schwangerschaften nicht konsequent an.35 Aus ähnlichen Gründen mahnte die Regierung 1814 die Unterobrigkeiten, in den geeigneten Fällen das Interesse des Entbindungshauses sorgfältig wahrzunehmen. 36 Die lokalen Instanzen sollten illegitim Geschwängerte melden und die Frauen dann an das Jenaer Accouchierhaus verweisen. Die Missachtung geltenden Rechts durch die Unterobrigkeiten war teilweise fiskalisch motiviert. Die Geheime Kanzlei erinnerte 1809 an ein Zirkular von 1792, demzufolge die Geschwängerte bei einer Zivilklage auch von der Kautionsbestellung befreit bleiben sollte. Die daran zweifelnden Behörden mussten sich ausdrücklich danach richten.37 Entweder hatten die zuständigen Instanzen die Kostenfreiheit der Geschwängerten angesichts der zahlreichen Bestimmungen übersehen oder sie widersetzten sich, wollten auf die ihnen bisher zugestandenen Strafzahlungen nicht verzichten und zogen die Gelder dennoch ein. Entsprechend beklagte das Weimarer Oberkonsistorium angesichts der Abschaffung der Kirchenbuße 1786, dass ihnen damit die bisherigen Strafzahlungen entgingen. Sie beantragten deshalb, dass die Geistlichkeit ihre Gebühren künftig weiterhin

33 RB 13 (1829), Nr. 2 (30.01.1829), S. 10f. 34 Landesdirektionsakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391c, fol. 38v–39r. 35 Gesetz Fleischesvergehen (1823–1832), LATh–HStAW, Rechtspflege B2401a, fol. 4v. 36 WWB 60 (1814), Nr. 51 (28.06.1814), S. 271. 37 Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 48r.

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bekam.38 Ähnlich missachteten laut Ulrike Gleixner die lokalen Herrschaften der preußischen Altmark landesherrliche Anordnungen und nahmen weiterhin Strafgelder für Unzucht ein, obwohl dafür seit 1743 ausschließlich Gefängnisstrafen vorgesehen waren.39 Obwohl 1809 eine bessere Besoldung der Hebammen beschlossen wurde, beklagten die Weimarer Geburtshelferinnen 1810 ihr geringes Einkommen, mit dem sie sich kaum finanzieren könnten. Einige Jahre später ermahnte die Medizinalordnung von 1814 die Geburtshelferinnen, auch die illegitim Geschwängerten zu behandeln und zu entbinden.40 Vermutlich hatten die schlechtbezahlten Hebammen die unehelich schwangeren Frauen vernachlässigt, weil sie von Ehepaaren zuverlässiger entlohnt wurden als von ledigen Müttern oder deren Schwängerern. Der Lohn für eine uneheliche Geburt blieb wohl häufiger aus oder musste zeitaufwendig eingefordert werden. Ähnlich beklagten Geistliche und Schullehrer 1826 gegenüber dem Weimarer Oberkonsistorium, dass weltliche Behörden die Schwängerungsstrafgelder nicht korrekt ablieferten und dass die Zahlungen sogar teilweise jahrelang ausgeblieben waren.41 Entweder hatten die Unterobrigkeiten die Strafgelder einbehalten oder gar nicht erst eingenommen. Nachlässig waren die Unterobrigkeiten laut einer Bekanntmachung der Weimarer Regierung von 1822 auch bei der Untersuchung von Ehebruchsfällen, indem sie den dabei verübten Inzest auch nicht-blutsverwandter Familienmitglieder zuweilen nicht aufdeckten und deshalb zu gründlicheren Recherchen ermahnt wurden. 42 Schon 1788 musste Carl August den Jenaer Stadtrat für mehrere Nachlässigkeiten rügen. Das Gremium hatte das Zirkular von 1786 noch nicht publiziert und bei unehelichen Schwängerungen lediglich die Frauen vernommen und häufig den Schwängerer nicht zu ermitteln versucht. Dadurch würden Verbrechen wie Ehebruch und Blutschande unentdeckt bleiben. Der Jenaer Bürgermeister entschuldigte die Versäumnisse mit der generellen Überlastung der zuständigen Instanzen bzw. mit anderen unaufschiebbaren Amtsgeschäften.43 Die akribische Ermittlung der Väter unehelicher Kinder sei unterlassen worden, um den Studenten und ihren Familien die Bloßstellung zu ersparen. Zu dem Zirkular von 1786 bemerkte der Bürgermeister, dass es ein herber Verlust für die Stadtkämmerei wäre, wenn künftig nur der Schwängerer die Strafe zahle. 38 Bestrafung stupri (1790–1812), LATh–HStAW, Rechtspflege B2333a, fol. 67r, 68r–v, 69v– 70r. 39 GLEIXNER, Mensch (1994), S. 67. 40 Accouchierhaus (1768–1820), LATh–HStAW, Polizeisachen B6242, fol. 325r, 349v; Medicinal-Ordnung (1814), in: HAAB, Landesverordnungen 7, Nr. 12, § 85. 41 Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 98r. 42 WWB 68 (1822), Nr. 76 (20.09.1822), S. 375. 43 Jena Kirchenbuße (1788–1789, 1812), LATh–HStAW, Rechtspflege B2330b, fol. 2r, 5v– 8r.

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In Jena seien die meisten Väter Studenten und entrichteten ihre Geldbuße an die Universität. Mit einer Strafbefreiung der erstmals unehelich Schwangeren entgingen dem Fiskus demnach beträchtliche Einnahmen.44 Aufgrund etwaiger Kosteneinbußen missachteten die Obrigkeiten Jenas geltendes Recht und zogen weiterhin die Strafgelder von den Geschwängerten ein. Jürgen Schlumbohm beobachtete in Kurhannover, dass die dortigen Ortsgeistlichen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts vehement an der Kirchenbuße festhielten, um die geleisteten Strafzahlungen weiterhin kassieren zu können.45 Gleichsam könnten auch ernestinische Pfarrer die Anzeige der unehelich geschwängerten Frauen ihres Sprengels unterlassen haben, da ihnen mit einer Zwangsentbindung in Jena die Sporteln für die Taufe entgangen wären. Sicherlich schützten manche Pfarrer die jungen Frauen und ihre Familien auch aus persönlichen Sympathien vor der entehrenden Entbindung im Accouchierhaus. Laut den Kollegen der anderen Landesbehörden gingen die zuständigen Instanzen auch bei der Scheidung von Ehen nachlässig vor. Der Jenaer Schöppenstuhl bemängelte bereits 1774 anlässlich der Scheidung der Eheleute Kästner aus Apolda die häufigen Trennungen trotz fehlender triftiger Gründe, was denen göttlich und weltlichen Gesetzen gänzlich zuwider laufet. 46 Ihre Kritik richteten die Schöppen demnach gegen das damalige Oberkonsistorium und die noch vormundschaftlich regierende Herzogin Anna Amalia, die Ehepaare vermehrt und trotz mangelnder rechtskräftiger Argumente geschieden haben sollen. Leider konnte die subjektive Wahrnehmung des Schöppenstuhls bislang nicht quantitativ mit Trennungen der 1760er und 1770er Jahre belegt werden. Jedoch stiegen die Scheidungszahlen in den Jahren nach 1774 tendenziell an. Die Schöppen wandten sich gegen jene Scheidungspraxis, die in ihren Augen sämtlichen profanen und religiösen Rechtsnormen widersprach. Sie betonten damit die religiöse Dimension der Ehe und erinnerten die Scheidungsinstanzen an ihre Pflicht als Christen zur Repräsentation und Umsetzung christlicher Werte. Wurde das Weimarer Oberkonsistorium in den 1770er Jahren noch für seine Scheidungspraxis gerügt, kritisierten sie und ihre Eisenacher Kollegen zu Beginn des 19. Jahrhunderts selbst die seit 1805 zuständigen Regierungen für deren liberales Vorgehen. Die Ehescheidungen auf das äußerste zu erschweren, erachtete der Eisenacher Oberkonsistorialrat Nebe 1817 seinem Direktor Thon zustimmend als dringend notwendig. Die damit kritisierte Nachlässigkeit lastete er den blos […] rechtlichen Grundsätzen an, nach denen Ehen nun getrennt würden. Stattdessen seien Scheidungen wie einst geistlich zu verhandeln. Die Ehen könnten dabei auch religiös wiederhergestellt werden und Scheidungen würden so erschwert und 44 Ebd., fol. 15v, 22r–v. 45 SCHLUMBOHM, Phantome (2012), S. 317. 46 Scheidung Kästner (1774), LATh–HStAW, SchöppJ 2268, fol. 202v.

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verringert. Der Eisenacher Oberkonsistorialrat Frenzel beobachtete übereinstimmend, dass die Heiligkeit der Ehe verloren gehe, seitdem die Ehescheidungen civiliter sind behandelt worden. Nicht die Regierungen, sondern die Oberkonsistorien sollten demzufolge wieder über Ehescheidungen urteilen. Als Kompromiss schlägt er vor, nach preußischem Vorbild vor der endgültigen Trennung des Paares noch einmal deren Versöhnung durch einen Geistlichen zu versuchen.47 Ausnahmsweise orientierte sich ein Oberkonsistorialmitglied am Allgemeinen Landrecht, dessen Scheidungsrecht von den geistlichen Behörden überwiegend abgelehnt wurde. Die Oberkonsistorialmitglieder des frühen 19. Jahrhunderts plädierten dafür, dass wieder vermehrt nach christlichen Maßstäben geschieden wurde, welche ihre Amtsvorgänger am Ende des 18. Jahrhunderts laut Jenaer Schöppenstuhl vernachlässigt hatten. Vor dem Hintergrund zeitgenössischer Debatten bemängelten der Eisenacher Direktor Thon und seine Kollegen vor allem das preußische zivilrechtliche Ehescheidungsverfahren: Wie kann es aber auch mitunter anders kommen, da die Ehescheidungen civiliter behandelt, und von manchen Richtern dafür gehalten wird, daß sie so gut, wie ein anderer contractus bilateralis, mit beyderseitiger Einwilligung, ohne viele Umstände wieder aufgehoben werden können! 48 Weil zerstrittene Ehen gleich anderen weltlichen Verträgen verhandelt und gegebenenfalls bei beidseitiger Einwilligung auch wieder aufgelöst wurden, häuften sich laut Thon die Scheidungen. Er stimmte damit der Kritik seiner Kollegen am fehlenden geistlichen Einfluss innerhalb der Scheidungspraxis zu und griff zugleich die auch in der Publizistik geführten Diskussionen über die seit dem Allgemeinen Landrecht mögliche Auflösung der Ehe gleich anderer bürgerlicher Verträge auf. Auch hier erwiesen sich die Erkenntnisse zu diskutierten Familienvorstellungen in Weimar als exemplarisch für auch in anderen Territorien beobachteten Phänomene. Der Rheinländer Carl Wilhelm Wiedenfeld bemängelte noch 1837, dass den Scheidungsverfahren die große Besonnenheit und der durchgreifende christlich religiöse Ernst der Konsistorien fehlen würde, seit rein bürgerliche Instanzen Ehekonflikte verhandelten. Die Einbeziehung Geistlicher wurde dabei zur leeren Formalität oder fand gar nicht statt.49 Sowohl Wiedenfeld als auch den ernestinischen Oberkonsistorialmitgliedern fehlten beim Scheidungsverfahren kirchliche Vertreter, die die Ehe als christlichen Bund würdigten und entsprechend deren Auflösung weniger großzügig und nur in triftig begründeten Fällen durchführten. Die amtierenden Mitglieder der weltlichen Behörden kamen demnach ihrer Verantwortung als Gläubige zu Beginn des 19. Jahrhunderts schon nicht mehr ausreichend nach. Die Ehe büßte so in der 47 Oberkonsistorialakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 8r–v, 10v [Hervorhebung im Original]. 48 Ebd., fol. 7r. 49 WIEDENFELD, Ehescheidung (1837), S. 16.

3. STRENGE UND NACHLÄSSIGE OBRIGKEITEN

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Wahrnehmung der Zeitgenossen ihren christlichen Charakter ein. Die Kirche verlor an Bedeutung und wurde für staatliche Zwecke instrumentalisiert. Neben allzu großen Nachlässigkeiten warfen sich die für Sittlichkeit und Ordnung zuständigen Instanzen vereinzelt übermäßige Strenge vor. 1831 hätten einige Gemeinden heiratswilligen Paaren noch immer die Eheschließung erschwert und dadurch zahlreiche uneheliche Geburten verursacht.50 In der Mitte des 19. Jahrhunderts hatte der Landesherr noch Gesetze gegen widerrechtliche Verehelichungen erlassen müssen. Aus den Quellen geht nicht hervor, inwiefern die unrechtmäßigen Trauungen und verweigerten Ehen regionale Phänomene darstellten und beides gleichzeitig an unterschiedlichen Orten auftrat oder ob sich der Umgang der Unterobrigkeiten mit Illegitimität wandelte. Waren die örtlichen Obrigkeiten laut dem Weimarer Oberkonsistorium bei heiratswilligen Paaren zu streng vorgegangen, hinterfragte die Eisenacher Regierung 1826 grundsätzlich die Befugnis der Behörden, in familiäre Belange wie eheliche Konflikte und Trennungen einzugreifen: Man sieht auch nicht recht ab, aus welchem Grunde sich die Obrigkeit einmischen soll.51 Derartige liberale Positionen zur staatlichen Regulierung von Ehe und Familie wurden auch in anderen Territorien vertreten. Silvia Möhle beobachtet etwa anhand der Scheidungsverfahren in Göttingen, dass die Ehe und deren Anbahnung vermehrt „als etwas Individuelles“ verstanden wurden und entsprechend „den obrigkeitlichen Zugriffen“ entzogen werden sollten.52 Zeitgenossen auch über Weimar hinaus erachteten Ehe und Familie zunehmend als Privatsache, die durch die Eheleute und nicht den Staat zu gestalten bzw. zu stiften und aufzulösen war. Die Begrenzung der staatlichen Kontrolle des ehelichen und familiären Zusammenlebens forderten Juristen und Philosophen in ihren Publikationen. Laut dem hannoverischen Konsistorialrat Johann Carl Fürchtegott Schlegel sollte die Obrigkeit so wenig wie möglich in häusliche Verhältnisse eingreifen, die Hausgenossen aber dennoch nicht sich selbst überlassen, da sonst eine den Staat untergrabende Familien-Tyrannei entstünde. Schlegel votierte für ein eigenverantwortliches Familienleben, in das die Behörden nur notfalls und zum Schutz einzelner Familienmitglieder intervenieren durften, um ein öffentliche[s], und dadurch dem Staate verderbliche[s] Aergerniss zu verhindern und so das Wohl der einzelnen Individuen, und eben dadurch auch des Staates zu gewährleisten.53 Mit dem erlaubten Eingreifen in Fällen öffentlichen Ärgernisses relativierte Schlegel letztendlich seine liberalen Forderungen, indem obrigkeitliche Interventionen mit den sehr

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Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 139v. Entwurf Ehegesetz I (1826), LATh–HStAW, Rechtspflege B2408a, fol. 49r. MÖHLE, Ehekonflikte (1997), S. 204, Anm. 36. SCHLEGEL, Ehescheidung (1809), S. 20, 22.

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VI. WILDE FAMILIEN IM GEORDNETEN STAAT?

dehnbaren Argumenten des öffentlichen Ärgernisses oder des staatlichen Wohls gerechtfertigt werden konnten. Die damaligen Behörden wurden von übergeordneten Instanzen und anderen Zeitgenossen für ihre Nachlässigkeit oder ihre Strenge kritisiert. Die Motive für ihr mitunter widerrechtliches Handeln können retrospektiv nicht immer nachvollzogen werden. Möglicherweise waren sie überlastet, fanden für eine stetige und rechtmäßige Ahndung etwa wilder Ehen und unehelicher Schwangerschaften oder auch eigenmächtiger Trennungen keine Zeit und wurden dadurch nachlässig. Inwieweit die örtlichen Pfarrer oder Amtmänner durch die zahlreichen Bestimmungen irritiert waren und diese schlichtweg nicht überblickten oder ob sie sich besonders bei Strafzahlungen für uneheliche Schwängerungen mutwillig und eigennützig über obrigkeitliche Normen hinwegsetzten, geht aus den Quellen nicht hervor. Die Landesbehörden schützten die Rechte der Untertanen und rügten die ihnen unterstellten Instanzen etwa für widerrechtlich eingenommene Strafgelder. Sie sorgten sich dabei vermutlich vor allem um ihre eigene gesetzgebende Autorität und die ihrer künftigen Verordnungen. Augenscheinlich herrschte im vermeintlich geordneten Staat eine Unordnung und gleichzeitig eine partielle Gelassenheit gegenüber alternativen Lebens- und Familienformen, die das Fehlverhalten der Unterobrigkeiten, aber auch der Untertanen und die Trennung zahlreicher Ehen erst ermöglichte. Scheidungen hatte Herzog Carl August häufig selbst vorgenommen. Deutlich wurde jedoch, dass erst die Nachlässigkeit oder sogar Duldung der Behörden sittenwidrige, wilde Familien und unbehelligt getrennt lebende oder zahlreiche geschiedene Ehepaare gewähren ließ. Inwiefern die relativ niedrige Illegitimitätsrate Weimars jener Nachsicht der Unterobrigkeiten geschuldet war, konnte nicht abschließend beantwortet werden. Denkbar ist schließlich auch eine allgemeine Nachsicht in der strafrechtlichen Verfolgung von unehelichen Kontakten und von eherechtlichen Verstößen wie wilden Trennungen: Laut Ulrike Gleixner mussten wie die ernestinischen Landesbehörden auch die preußischen Obrigkeiten die ihnen unterstellten Instanzen immer wieder ermahnen und zu einer konsequenten Strafverfolgung anhalten.54 Die Erkenntnisse zu Sachsen-Weimar-Eisenach sind damit exemplarisch für Phänomene jener Jahrzehnte.

54 GLEIXNER, Mensch (1994), S. 67.

4. CARL AUGUST UND DIE SCHEIDUNGSPRAXIS

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4. Carl August und die Scheidungspraxis in Sachsen-Weimar-Eisenach 4. CARL AUGUST UND DIE SCHEIDUNGSPRAXIS

Während Unterobrigkeiten uneheliche Kontakte nicht immer anzeigten, vollzogen Carl August und seine für das Ehescheidungsrecht zu dieser Zeit zuständigen Regierungen zahlreiche Ehescheidungen. Ihre Motive können aus den Quellen nicht rekonstruiert werden. Neue Werte, die von den Zeitgenossen als liberaler[e] Grundsätze unseres Zeitalters und als Geist der Zeit wahrgenommen wurden, könnten die nachsichtige Scheidungspraxis in Sachsen-Weimar-Eisenach begünstigt haben. Sie spiegelten sich sehr stark in Gesetzeskodifikationen wie dem Allgemeinen Landrecht oder dem Code Civil wider. Unter anderem gestand das Allgemeine Landrecht ledigen Müttern umfassende Rechte gegenüber dem Kindsvater zu und führte die einvernehmliche Scheidung kinderloser Paare bzw. das Zerrüttungsprinzip im Scheidungsrecht ein.55 Die mit wechselseitiger Abneigung bzw. mit Einwilligung beider Gatten in die Auflösung der Ehe begründeten Scheidungsempfehlungen der Regierung an den Herzog sind wohl auf das Allgemeine Landrecht und die in der Publizistik diskutierte naturrechtliche Deutung der Ehe als bürgerlichem Vertrag zurückzuführen. 56 Auch der in Sachsen-WeimarEisenach zunehmend wohlwollende Umgang mit unehelichen Schwängerungen und wilden Ehen könnte auf die preußischen Verordnungen und reichsweiten Debatten zurückgehen. Die Forschung konstatiert ebenfalls einen direkten Zusammenhang zwischen den liberalen Vorstellungen von Ehe und Familie, den um 1800 erlassenen Gesetzeskodifikationen und den gestiegenen Scheidungsraten. Im Zuge des Allgemeinen Landrechts und der damit laut Dirk Blasius eingeschlagenen „liberalen Wegrichtung“ wurden in Preußen im 19. Jahrhundert zahlreiche Ehen geschieden. Siegrid Westphal stellt dementsprechend einen Zusammenhang zwischen dem Anstieg der Ehescheidungen, der zunehmenden Kodifizierung des Eherechts am Ende des 18. Jahrhunderts und den zeitgleich gewandelten Vorstellungen von Ehe her. 57 Die Prägung von Gesetzgebung und Rechtsprechung Sachsen-Weimar-Eisenachs durch das Allgemeine Landrecht steht folglich exemplarisch auch für andere Staaten. Auch das 1792 in Kraft getretene französische Scheidungsrecht sah wie der zur gleichen Zeit fertiggestellte Entwurf der preußischen Kodifikation eine einvernehmliche gerichtliche Trennung der Ehe auch aufgrund der Unversöhnlichkeit der Ehegatten vor. 58 Napoleon führte im Code Civil die tendenzielle

55 Ein oben erwähntes, in den 1750er Jahren in Preußen erlassenes Reskript mit ähnlichen Bestimmungen hatte dafür den Weg geebnet. 56 BLASIUS, Ehescheidung (1987), S. 30–32. 57 DERS., Reform (1997), S. 663; WESTPHAL u.a., Venus (2011), S. 163. 58 BLASIUS, Ehescheidung (1987), S. 33; GERIG, Jenseits (2008), S. 129.

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VI. WILDE FAMILIEN IM GEORDNETEN STAAT?

Säkularisierung des französischen Ehe- und Familienrechts fort und behielt die Scheidung bei. Er berücksichtigte jedoch die tragende Rolle von Ehe und Familie für die Gesellschaft und erschwerte die Trennungen, die nun nicht mehr auf Wunsch nur eines Gatten wegen Unversöhnlichkeit erwirkt werden konnten. Besonders während der Rheinbundzeit beherrschte der Code Civil gezwungenermaßen die Rechtsprechung in zahlreichen Territorien, von denen einige die liberalen Bestimmungen zur Ehescheidung nach dem Ende der französischen Besatzung beibehielten.59 Im Rheinbundstaat Sachsen-Weimar-Eisenach wurde der Code Civil laut den bislang einbezogenen Unterlagen nicht eingeführt. Dennoch könnten die Mitglieder der Landesbehörden, obgleich sie sich darauf nicht explizit bezogen, wie vom Allgemeinen Landrecht auch von den französischen Bestimmungen in ihren Urteilen beeinflusst worden sein. Wie das ernestinische Herzogtum schieden auch andere protestantische Territorien unter dem Eindruck des Allgemeine Landrechts oder auch des Code Civil. Dennoch reichten deren Scheidungsraten, sofern sie durch die Forschung ermittelt wurden, nicht an die preußischen und sachsen-weimar-eisenachischen heran. Warum wirkten sich die beschriebenen äußeren Einflüsse nicht gleichsam auf andere Staaten und deren Scheidungspraxis aus? Weimar und seine Nachbarstadt Jena unterschieden sich als geistig-kulturelle Zentren von vielen anderen Städten durch die dort lebenden zahlreichen Schriftsteller, Künstler, Philosophen und Juristen, die die Obrigkeit und die Bevölkerung mit progressiven Ideen konfrontierten oder wie Goethe alternative Familienformen vorlebten. Entsprechend wurden in der Publizistik Forderungen nach einem geschärften Bewusstsein der Angehörigen gehobener Stände für ihre Vorbildfunktion und nach einer Verbesserung ihres sittlichen Verhaltens laut. Die zeitgenössischen Autoren nahmen uneheliche Geburten als ein städtisches Phänomen intellektueller Ballungszentren wahr, wo mehrere gereif’te oder wenigstens belesene Herren sind, und sprachen von kunstmäßig gelehr[er] Liebe und einem Genieunwesen. Dass ein unkonventioneller Lebenswandel nicht mit einer generellen Aufgeschlosssenheit gegenüber alternativen Lebensentwürfen einhergehen musste, verdeutlicht eine Äußerung Goethes in einem Brief von 1816 an den Dillenburger Hofgerichtsrat Christoph Ludwig Wilhelm Cramer: Übrigens hoff ich daß Sie bey Ihren hochwürdigen Consistorialgeschäften die Ehescheidung am wenigsten begünstigen werden.60 Der Anlass für Goethes irritierende Ablehnung (angesichts seiner eigenen, jahrelang geführten wilden Ehe) einer großzügigen Scheidungspraxis ist nicht bekannt. Möglicherweise waren es die gleichen Beweggründe, die Carl August im Frühjahr 1816 zum Verfassen des herzoglichen Reskripts bewegten. Vielleicht war es aber auch schlichtweg ein altersbedingter Bewusstseinswandel, durch den sich der 59 BLASIUS, Ehescheidung (1987), S. 33. 60 Goethe an Ludwig Wilhelm Cramer (1816), in: G WA 4/27, S. 218.

4. CARL AUGUST UND DIE SCHEIDUNGSPRAXIS

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67 Jahre alte Goethe auf traditionelle Werte besann. Schließlich hatte er seine Beziehung zu Christiane Vulpius zehn Jahre zuvor legalisiert. Herzog Carl August und seine Behörden trugen nicht nur technisch als scheidende Instanzen, sondern auch ideell als Befürworter eher geschiedener als unglücklicher Ehen zu den zahlreichen Scheidungen bei, wenngleich er in einigen abgelehnten Scheidungsanträgen seine landesherrliche Macht demonstrierte. In anderen Staaten ging das starre obrigkeitliche Festhalten an der Ehe mit langwierigen und teuren Scheidungsverfahren einher, sodass sich die betroffenen Paare eher eigenmächtig trennten, neue Partnerschaften eingingen, sich damit der Bigamie schuldig machten und gegebenenfalls angeklagt wurden, als ein offizielles Scheidungsverfahren anzustreben.61 Ähnliche Strategien zur Vermeidung eines Scheidungsverfahrens oder gehäufte Bigamieverfahren wurden in den überlieferten Unterlagen nicht erwähnt. Carl August war ferner dem preußischen König Friedrich II. zugetan, wurde er doch 1786 zum Ritter des schwarzen Adlerordens geschlagen und trat im Jahr darauf in dessen Dienste als Generalmajor der Kavallerie. Entsprechend könnte seine Offenheit etwa gegenüber der preußischen Gesetzgebung auch durch persönliche oder taktische Motive erklärt werden. Zudem weist die 1816 gegebene Verfassung Sachsen-Weimar-Eisenachs mit der darin deklarierten Pressefreiheit den ernestinischen Großherzog als reformbereiten Landesherrn aus und bescherte dem thüringischen Großherzogtum mit seiner bald darauf aufblühenden liberalen Presse eine nachhaltige Resonanz in den übrigen deutschen Staaten. 62 Die Aufgeschlossenheit gegenüber progressiven politischen Maßnahmen blieb folglich nicht nur auf den Themenkomplex Familie beschränkt. Die Gesetzgeber Sachsen-Weimar-Eisenachs öffneten sich im Umgang mit den Müttern unehelicher Kinder und mit wilden Ehen sowie mit Ehescheidungen den aufklärerischen und humanen Ideen ihrer Zeit. Dabei waren sie besonders mit der Anerkennung alternativer Scheidungsgründe zumindest in der Scheidungspraxis anderen Territorien wie Schleswig-Holstein voraus. Die Diskussionen etwa über die Erleichterung der Eheschließung oder Scheidung belegen, dass neben der Publizistik selbst Mitglieder der obersten Landesbehörden für eine zunehmende Berücksichtigung auch der individuellen Bedürfnisse der Untertanen plädierten und dabei die Vorteile für den Staat betonten. Mehrfach war es die Eisenacher Regierung, die sich allen voran hinsichtlich unehelicher Sexualkontakte, Schwängerungen und wilder Ehen oder Ehescheidungen für eine liberalere Sozialpolitik einsetzte. Sie plädierte etwa für die auch offizielle, weil gesetzlich festgesetzte Anerkennung unkonventioneller 61 WESTPHAL u.a., Venus (2011), S. 164. 62 G. MÜLLER, von Gersdorff (1992), S. 42f.; EHRLE, Volksvertretung 1 (1979), S. 113–115; RIES, Universität Jena (2001), S. 183–185; JONSCHER, Verfassungsgeschichte (1993), S. 14f.

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Scheidungsgründe wie dem Zerrüttungsprinzip oder für die Lockerung der rigiden Ehegesetze im Sinne ärmerer unverheirateter Paare. Die zahlreichen Trennungen im Herzogtum und die möglicherweise als erfolgreiche Lösung ehelicher Konflikte wahrgenommene Scheidung könnten diesen Wandel familialer Vorstellungen bei der Eisenacher Regierung bewirkt haben. Zudem debattierten die Zeitgenossen vor dem Hintergrund der gegen kirchliche Konventionen gerichteten Säkularisierungsbemühungen einer bürgerlich-liberalen Bewegung.63 Carl Augusts Behördenmitglieder nahmen die liberalern Grundsätze ihres Herzogs und der obersten Gremien ebenfalls wahr, die laut Nebe alle gesetzlichen Institutionen unsers Landes so herrlich auszeichne[n]. Wie Marcus Ventzke zutreffend beobachtet, war jener Reformpolitik Weimars eine Subjektorientierung immanent, die den Lebensstandard der Untertanen verbessern sollte.64 Dennoch behielt der Landesherr bei bestimmten Themen einen eher konservativen Kurs bei und trug nicht alle liberalen Vorschläge aus den eigenen Behörden, der Publizistik oder den Gesetzeswerken anderer Territorien mit: Während sich Sachsen-Weimar-Eisenach bei der Ehescheidung den preußischen Grundsätzen und Scheidungszahlen zeitweise annäherte, hielten der Herzog und seine Landesbehörden bei der Bestrafung unehelicher Sexualkontakte und Schwängerungen lange an konservativen Maßstäben fest. Ähnlich beobachtete Ventzke gleichbleibend strenge Militärrekrutierungen und Steuerexekutionen.65 Somit sind die hohen Scheidungszahlen nicht mit einer ununterbrochenen Orientierung des Landesherrn an Preußen oder dessen liberalen politischen Kurs zu erklären, sondern gehen auf dessen nachsichtigen Umgang speziell mit Ehescheidungen zurück. Die zahlreichen getrennten Ehen Sachsen-Weimar-Eisenachs unterscheiden sich, soweit die Studien zu anderen deutschen Territorien darauf eingehen, durch die ungewöhnlich vielen, vom Landesherrn selbst geschiedenen Ehen. Mehrfach schied Carl August trotz fehlender rechtskräftiger Gründe und sogar entgegen dem Votum der Regierung und strapazierte damit die gesellschaftliche Moral und Sittlichkeit zugunsten der individuellen Interessen der Paare. Die Unberechenbarkeit seiner Gnade bzw. die erteilte oder verweigerte Dispensation setzte er möglicherweise bewusst als Herrschaftsmittel zur Demonstration seiner landesherrlichen Macht ein. Auch sind mehrere Scheidungen auf die Beziehungen der Ehegatten zu Mitgliedern der Landesbehörden oder zum Herzog zurückzuführen. Im kleinen Weimar kursierten schnell Gerüchte über gescheiterte Ehen. Carl August oder seine Regierung wussten dadurch wie beim Hofschauspieler Becker 63 BLASIUS, Ehescheidung (1987), S. 39f. 64 Oberkonsistorialakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391a, fol. 4v; VENTZKE, Herzogtum (2004), S. 488. 65 VENTZKE, Herzogtum (2004), S. 489.

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mitunter schon vor dem offiziellen Scheidungsgesuch über die jeweiligen Umstände Bescheid.66 In diesen Fällen entschied der Herzog wohl persönlich. Andere Korrespondenzen belegen eigenständige Entscheidungen der Regierung, die etwa den geschiedenen Gatten bei der Urteilsverkündung die Wiederverheiratung erlaubte, obwohl der herzogliche Beschluss darüber nichts enthielt.67 Dass die Regierung entgegen Carl Augusts Anordnung ein Paar schied, ist nicht belegt. Die hohen Dispensscheidungszahlen wurden demnach weder durch persönliche Beziehungen zum Hof oder zu den Landesbehörden, noch durch deren eigenmächtiges Handeln ohne das Einverständnis des Herzogs verursacht. Dass sich Carl August bei der Scheidung zahlreicher Paare von fiskalischen Interessen leiten ließ und etwa über den Schulfonds die staatlichen Kassen auffüllen wollte, scheint angesichts der mitunter niedrig veranschlagten Dispenszahlungen ausgeschlossen. Gerade in den scheidungsstarken Jahren 1807 bis 1815, in denen durch die Kriege zusätzliche Einnahmen benötigt wurden, waren die verordneten Abgaben in den Schulfonds besonders gering. Wenn Carl Augusts Entscheidungen, wie Marcus Ventzke für die Wohlfahrtspflege in den 1770er und 1780er Jahre beobachtete, vermehrt fiskalisch motiviert waren, hat er seine Möglichkeiten bei der Einnahme von Dispensquanten zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht ausgeschöpft.68 Wie schon das Wohlwollen gegenüber Ehepaaren mit Beziehungen zum Hof oder zu den Landesbehörden andeutet, ließ sich der Landesherr bei der Scheidung eher von persönlichen und weniger von politischen Motiven leiten. Verschiedene Zeitgenossen berichteten von seinem eher unkonventionellen Verhalten. Die Oberhofmeisterin der Herzogin Luise, Gräfin Gianini, störte sich an dessen Handeln entgegen der höfischen Etikette und den Standesgrenzen.69 Ein langjähriger enger Freund und Vertrauter Carl Augusts war der bis 1782 bürgerliche Goethe. Zahlreiche Anekdoten zeugen von deren gemeinsamen Unternehmungen und dem dabei ungebührlichen Verhalten des Herzogs. Laut den Erinnerungen seiner Mätresse Caroline Jagemann soll der Landesherr an außerhöfischen Treffen gemeinsam mit Bürgerlichen wie der Sängerin etwa im Haus der von Löwensterns oder an einem von Goethe veranstalteten Kinderfest teilgenommen haben. Den Gottesdienst besuchte er hingegen nur an ausgewählten Feiertagen und schränkte die Entscheidungs- und Handlungsspielräume der geistlichen Behörden zunehmend ein.70 66 Scheidungen Weimar (1805–1806), LATh–HStAW, Rechtspflege B2576, fol. 17r; TAUTZ, Stadtgeschichten (2013). 67 Scheidungen Weimar (1821–1824, 1827), LATh–HStAW, Rechtspflege B2605, fol. 195r. 68 VENTZKE, Herzogtum (2004), S. 356, 360, 362–364. 69 VENTZKE, Art. von Giannini, Wilhelmine, in: FrauenGestalten (2009), S. 147f. 70 EMDE (Hg.), Selbstinszenierungen 1 (2004), S. 125, 182; VENTZKE, Herzogtum (2004), S. 460.

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VI. WILDE FAMILIEN IM GEORDNETEN STAAT?

Auf die Heiligkeit der Ehe bezog er sich äußerst selten, wenn er etwa wie 1820 in Reskripten den Leichtsinn bemängelte, womit jetzt die Trennung wie die Eingehung vieler Ehen beschlossen wird. Auch zeigte er sich 1816 angesichts Hugos Vorschlag, die Ehe gleich einem Vertrag aufzulösen, erleichtert, daß es mehr Menschen und Christen als Göttinger Philosophen giebt. Die von ihm selbst angemahnten christlichen Werte setzte er jedoch nicht konsequent und nachhaltig durch – die Scheidungszahlen stiegen spätestens seit 1824 wieder kontinuierlich an. Auch seine eigene Ehe entsprach angesichts der bekannten Beziehung zu Caroline Jagemann nicht dem christlichen Familienideal. Inwiefern er seine Vorbildfunktion reflektierte oder private Privilegien zu seinem Selbstverständnis als Landesherr zählten, geht aus den gesichteten Unterlagen nicht hervor. Herder missbilligte als Oberhofprediger Carl Augusts Vernachlässigung christlicher Werte.71 Dafür hatte er den Herzog sogar während des Dankgottesdienstes zur Geburt des Erbprinzen Carl Friedrich öffentlich gerügt und die Religion [als] das heilige Siegel aller unsrer Wünsche hervorgehoben. 72 Carl Augusts distanzierte Haltung zu Religion und Kirche belegt die bereits geäußerte Vermutung, dass er sich mit dem Reskript von 1816 weniger um das heilige Institut der Ehe sorgte, sondern vielmehr seinen guten Willen […] andeuten wollte, um durch eine zu nachsichtige Scheidungspraxis nicht in Verruf zu geraten und an Ansehen bzw. Macht einzubüßen. Ganz pragmatisch reduzierte er die Scheidungen, um sein eigenes Renommee zu schützen. Nicht er, sondern sein Umfeld störte sich vermutlich an häufig vollzogenen Trennungen. Die Motive Carl Augusts und auch seiner Behördenmitglieder für die liberale Scheidungspraxis und den nachlässigen Umgang mit unehelichen Sexualkontakten und Schwängerungen können anhand der gesichteten Unterlagen letztlich nicht geklärt werden. Möglicherweise waren die Obrigkeiten angesichts der neuen Gesetzeskodifikationen mit ihren großzügigen Bestimmungen für unehelich Gebärende und der zeitgenössischen Debatten etwa über die Wiederherstellung oder die Gefährdung familialer Ordnung durch Ehescheidungen verunsichert. Entsprechend entschied sich Carl August erst für die Scheidung konfliktreicher Ehen und revidierte seinen Vorstoß seit 1816 zeitweilig mit den beiden Reskripten an seine Regierungen. Wie Familie sein sollte und wer letztlich von ihr profitierte – der Staat, die Gesellschaft, die Kirche oder doch das Paar und die Kinder – wurde neu ausgehandelt und den Recht sprechenden Instanzen schien es dabei zuweilen an Orientierung zu fehlen.

71 G. SCHMIDT, 1783 (2002), S. 147. 72 HERDER, Predigt Erbprinz (1783), in: Herders Sämtliche Werke 31, S. 532; G. SCHMIDT, 1783 (2002), S. 153.

VII. Schlussbetrachtung

Der in den 1790er Jahren aus Warschau zugezogene Hofbuchbinder Schultze hatte während der geschätzt 15 Jahre Aufenthalt in Weimar und Erfurt mehrfach die Partnerinnen gewechselt: Er ließ sich zunächst von seiner ersten Frau Christiane Sophie Friederike geb. Riegländer scheiden und heiratete eine Erfurterin, trennte sich auch von dieser, kehrte zu seiner ersten Frau zurück und war ihr schließlich mehrfach untreu. Nachdem Schultze die von ihm geschiedene Hebamme, geborene Riegländer, im Oktober 1806 erneut geheiratet hatte, zeugte er im Sommer darauf mit der 22-jährigen Caroline Schoppe eine uneheliche Tochter, die im April 1808 in Jena geboren wurde und wenige Wochen darauf in Weimar starb. Als die Witwe Johanna Sophia Christiana Stecher im November 1809 ihr erstes uneheliches Kind bekommt, soll Schultze der Vater gewesen sein. Er ist auch als Pate des Jungen angegeben, war bei der Taufe jedoch nicht persönlich anwesend.1 Tatsächlich hatte er schon im Februar desselben Jahres, also kurz nach dem Verkehr mit der Witwe Stecher, heimlich die Stadt verlassen, war mit Caroline Schoppe nach Warschau zurückgekehrt und ließ sich nicht wieder in Weimar sehen.2 Weder seine erste und dritte Frau noch seine zweite wollten mit Schultze in dessen Heimatstadt ziehen, wozu sich Caroline Schoppe offenbar bereit erklärte.3 In Weimar hinterließ er seine mit Zwillingen schwangere Ehefrau Riegländer und seine vier minderjährigen Kinder sowie eine geschwängerte alleinerziehende Frau Stecher, Mutter von zwei Halbwaisen, die sich Jahre darauf nach einem weiteren unehelichen Kind das Leben nahm. Obgleich dem Hofbuchbinder Schultze die Schwangerschaft der Witwe Stecher nicht bekannt gewesen sein kann und sie zudem vermutlich nicht beabsichtigt war, trug er mit mehreren Ehescheidungen und unehelichen Kindern zur wahrnehmbaren Heterogenität der in Weimar vertretenen Familienformen bei. Die Residenzstadt an der Ilm bildete bezüglich alternativer Lebensformen keine Ausnahme, wenn auch, abgesehen von der fast niedrigen Illegitimitätsrate, wohl mehr Ehen geschieden wurden, als von anderen Territorien bislang bekannt ist. Einzig in Preußen waren die Scheidungszahlen verhältnismäßig höher. Künftige quantitative Untersuchungen zu Ehescheidungen werden den Eindruck 1 2 3

EKAW, HR SK 1806, fol. 232r; EKAJ, TR SK 1808, S. 34, Nr. 78; EKAW, SR SK 1808, fol. 94r; ebd., TR SK 1809, fol. 204v. Gesky: Bruchstück (1806–1835), ThHSTAW, Schriften & Drucke F2140, fol. 22r–v. Im Taufregister-Eintrag seines Sohnes mit der Witwe Stecher ist Warschau als Aufenthaltsort angegeben: EKAW, TR SK 1809, fol. 204v. Ehescheidung Schultze (1806), ThHStAW, Rechtspflege B2575, fol. 7r.

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VII. SCHLUSSBETRACHTUNG

von einer vergleichsweise großzügigen Scheidungspraxis in Sachsen-WeimarEisenach entweder bestätigen oder die generierten Werte relativieren. Angesichts der großzügigen Ehescheidung von Paaren aller gesellschaftlichen Schichten wird deutlich, dass nicht nur die individuellen Trennungswünsche der Geschiedenen die zahlreichen Scheidungen bewirkt haben können. Schließlich bedurfte jede Auflösung einer Ehe anders als eine uneheliche Geburt immer der obrigkeitlichen Genehmigung. Demnach hatte der Landesherr selbst einen maßgeblichen Anteil an den zahlreichen geschiedenen Ehen in seinem Herzogtum: Er konnte den Dispens gewähren oder verweigern. Dass die Scheidungszahlen seit 1816 im Verhältnis zu den wachsenden Einwohnerzahlen sanken, ist vermutlich auf die herzoglichen Reskripte zur Erschwerung der Ehescheidung zurückzuführen, die seine Handlungsmöglichkeiten bei der Reduzierung geschiedener Ehen verdeutlichen. Mit der Quantität illegitimer Geburten hat sich die Forschung bislang hingegen intensiv befasst, weshalb die Weimarer Illegitimitätsrate als durchschnittlich bis niedrig eingeordnet werden kann. Das muss nicht zwangsläufig in der Zeugungsaktivität der dortigen Bevölkerung begründet sein, sondern scheint auch von einem nachsichtigen Umgang der Unterobrigkeiten mit unehelich Schwangeren sowie heiratswilligen und unverheirateten Paaren herzurühren. Pfarrer könnten trotz bestehendem Verbot werdende Eltern widerrechtlich getraut und die danach geborenen Kinder dadurch als ehelich legitimiert haben, obwohl die Paare die Bedingungen für eine Eheschließung nicht erfüllten. Trotz der restriktiven Gesetze scheinen die niedrige Illegitimitätsrate und die mehrfachen Interventionen der Landesbehörden gegen widerrechtliche Trauungen ein Indiz für eine liberale Heiratspraxis zu sein. Aufgrund nachlässiger Eheschließungen gingen demnach weniger uneheliche Kinder aus der dadurch sinkenden Zahl wilder Ehen hervor und vor der Trauung gezeugte Nachkommen wurden als ehelich registriert. Ebenso könnten sich die Schwangeren zur Geburt des Kindes aus Weimar zurückgezogen haben, wenn Illegitimität im ernestinischen Herzogtum bzw. auf dem Land eher geduldet wurde. Die Klagen der Landesbehörden und des Buttstädter Pfarrers Hasert über eine allzu große Nachsicht der Ortsgeistlichen scheinen jene Vermutung zu bestätigen. Die jungen Frauen wurden auf den Dörfern gegebenenfalls von ihren Familien oder Freunden aufgenommen, mussten nicht in der Stadt entbinden und gingen demnach auch nicht in die städtische Illegitimitätsstatistik ein. Diese und andere potenzielle Ursachen der Illegitimitätswerte Sachsen-Weimar-Eisenachs konnten jedoch anhand der gesichteten Quellen nicht zweifelsfrei als bedingende Faktoren identifiziert werden und sind zudem auch für andere Territorien vorstellbar. Die klassische Kernfamilie bestehend aus Eltern und Kindern war gemäß den quantitativen Ergebnissen zu unehelichen Geburten und Ehescheidungen, aber

4. CARL AUGUST UND DIE SCHEIDUNGSPRAXIS

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auch gemäß den zeitgenössischen Erhebungen zu Witwen und Alleinstehenden damals wie heute nur eine Lebensform von vielen und Goethes wilde Ehe keine Ausnahme: Neben Stief-Familien aus verwitweten oder geschiedenen Elternteilen erzogen Väter und vor allem Mütter ihre ehelichen und unehelichen Kinder allein und Paare lebten mit ihren gemeinsamen Nachkommen unverheiratet zusammen. Zudem bildeten Alleinstehende und -erziehende mit Bekannten oder Verwandten Versorgungsgemeinschaften und wohnten gemeinsam in einem Haushalt. Angesichts der Scheidungs- und Illegitimitätsraten von unter zehn Prozent wurden die daraus resultierenden und als unkonventionell wahrgenommenen Familienformen jedoch nur von einem kleinen Teil der Gesellschaft gelebt. An der weitaus größeren Gruppe der durch Tod entstandenen Alleinstehenden, Stief-Familien und Alleinerziehenden störten sich die Zeitgenossen kaum, waren sie doch im Gegensatz zu ledigen Müttern, unverheirateten Paaren und Geschiedenen fremdverschuldet. Das propagierte Ideal der Eltern-Kind-Familie war demnach wohl die dominierende Familien- und Lebensform, letztlich aber nur eine von vielen. Ein Großteil der Gesellschaft konnte den normativ vorgegebenen familialen Leitbildern nicht entsprechen. Der Begriff vom „ganzen Haus“ ist deshalb und angesichts seiner zeitgenössisch mehrdeutigen Verwendung – entweder für die Familie oder für die Hausgemeinschaft mit Gesinde – als analytische Kategorie zumindest für Sachsen-Weimar-Eisenach für die Jahrzehnte um 1800 nicht geeignet und wurde zudem dort nicht verwendet. Hingegen wird der retrospektive Begriff der „Versorgungsgemeinschaft“ sämtlichen Konstellationen gerecht. Die Zeitgenossen nahmen die Heterogenität gelebter Familienformen und Ereignisse wie illegitime Geburten und Ehescheidungen wahr und reagierten sehr unterschiedlich auf unehelich Schwangere, unverheiratete Paare mit Kindern oder Geschiedene: entweder mit völliger Ablehnung, Ausgrenzung der Betroffenen oder deren Denunziation bei der Obrigkeit, aber auch mit deren Duldung oder sogar Toleranz etwa von Seiten der Dienstherren bis hin zur aktiven Unterstützung durch Freunde oder Verwandte. Eine Scheidung oder uneheliche Geburt bedeutete unzweifelhaft um 1800 den Verlust sozialen Renommees und den Ausschluss aus bestimmten Gruppen wie Handwerksinnungen oder gesellschaftlichen Zirkeln wie der Weimarer Heiratsgesellschaft. Zahlreiche Beispiele belegen jedoch, dass die Betroffenen nicht zwangsläufig auf sich allein gestellt waren und sich mittelfristig beruflich wie auch sozial annähernd rehabilitieren konnten. Zeitgenössische Autoren setzten sich dabei mit der Ablehnung des Begriffs Hure für ledige Erstgebärende aktiv für einen veränderten Sprachgebrauch und damit für eine sich wandelnde Wahrnehmung unehelich Schwangerer ein. Sie forderten zudem mehr Empathie für die individuelle Situation der Frauen und waren hinsichtlich der Gesetzgebung zu Illegitimität sogar erfolgreich.

350

VII. SCHLUSSBETRACHTUNG

Die Obrigkeit Sachsen-Weimar-Eisenachs modifizierte im Vergleich zu anderen Staaten die bestehenden Bestimmungen zu unehelichen Sexualkontakten und Schwängerungen eher zögerlich: Während mehrere Fürstentümer die Kirchenbuße um die Mitte des 18. Jahrhunderts abschafften und den ledigen Müttern auch andere demütigende Sanktionen erließen oder ihnen gar die vollkommene Straffreiheit gewährten, traten in Sachsen-Weimar-Eisenach erst 1786 grundlegende Neuerungen in Kraft. Auch blieben bestimmte Vätergruppen wie etwa Studenten bei der Bestrafung bis in das 19. Jahrhundert hinein privilegiert und konnten sich quasi von der Ahndung ihres Vergehens freikaufen. Erst in den 1820er Jahren, während einige Staaten bereits ihre zuvor gelockerten Heiratsbestimmungen wieder revidierten, liberalisierte Sachsen-Weimar-Eisenach sein Eherecht und gestattete die Vermählung auch ärmeren, aber tüchtigen Paaren. Weitaus weniger zögerlich agierten der Herzog und seine Regierung bei der Auflösung von Ehen und stimmten den meisten Anträgen auf Ehescheidungen durch landesherrlichen Dispens zu. Dabei war für die Regierung vor allem entscheidend, inwieweit sich die ehelichen Streitigkeiten nachteilig auf die Gesellschaft auswirkten, ob Kinder aus der Ehe hervorgingen und inwiefern deren Entwicklung durch den Konflikt ihrer Eltern negativ beeinträchtigt war. Dass das Paar schon länger getrennt lebte und die gegenseitige Abneigung so stark war, dass es nicht mehr zu versöhnen sei, erkannte die Regierung fast genauso oft als triftig an. Die in den Akten genannten Argumente waren zugleich Gegenstand der Debatten innerhalb der zeitgenössischen Publizistik und vereinzelt ist belegt, dass die Entscheidungsträger die Beiträge rezipierten. Als eher wenig wirksam erwiesen sich in den Dispensscheidungsverfahren die nach protestantischem Scheidungsrecht anerkannten Scheidungsgründe Ehebruch und bösliche Verlassung. Sie konnten vermutlich von den Paaren nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden, sonst hätten sie in einem förmlichen Verfahren eine Scheidung gerechtfertigt und die Eheleute hätten keinen landesherrlichen Dispens beantragt. Gleichsam ließ die Regierung das mangelhafte Betragen eines Ehepartners oder dessen Widerspenstigkeit, dessen Gewalttätigkeit und die damit einhergehenden Gesundheitsrisiken sowie die mangelnde Fähigkeit zur Versorgung der Familie nur gelegentlich als triftige Scheidungsgründe gelten. Die Gegenüberstellung der normativ vorgegebenen Scheidungsursachen, die auch der Funktion der Ehe zuwiderliefen, der von den Paaren im Dispensscheidungsverfahren genannten und der letztlich von Regierung und Landesherr anerkannten Gründe weist das Fehlen von Kindern oder Nachteile für dieselben, die Beeinträchtigung der Gesellschaft durch die fortgeführte Ehe und die Unversöhnbarkeit der Partner als Schnittmenge aus. Letztere wurde 1794 durch das Allgemeine Landrecht offiziell als rechtskräftiger Scheidungsgrund anerkannt. Die fehlenden Kinder oder deren gestörte Entwicklung sowie die Nachteile für das soziale Umfeld liefen den normativ vorgegebenen Zwecken der Ehe zuwider,

4. CARL AUGUST UND DIE SCHEIDUNGSPRAXIS

351

der Zeugung und Erziehung von Nachkommen sowie der für Staat und Gesellschaft dienlichen gegenseitigen Fürsorge. Während die ständische Differenzierung maßgeblich die Eheschließung bis in das 19. Jahrhundert hinein prägte und ganzen gesellschaftlichen Gruppen die Ehe verwehrte, ging die Privilegierung einzelner Schichten während des Scheidungsverfahrens nicht mit einer daraus resultierenden, konsequenten Ablehnung anderer Stände einher. Durchaus war die Obrigkeit gegenüber Adligen oder einzelnen gesellschaftlichen Gruppen wie Schauspielern nachsichtiger, etwa hinsichtlich der Begründung der Scheidung. Unter den geschiedenen Paaren waren jedoch ebenso viele Tagelöhner oder Handwerker. Die Debatten über Ehescheidungen thematisierten je nach Konfession der Argumentierenden die Möglichkeit der Scheidung katholischer Ehen an sich oder die Erleichterung bzw. Erschwerung der Trennung protestantischer Ehen und die dazu legitimen Scheidungsgründe. Die Befürworter einer großzügigeren Scheidungspraxis betonten den Charakter der Ehe als individuelle Verbindung bzw. als Vertrag, der durch die bloße Willensäußerung geschlossen werde und ebenso auch wieder aufzulösen sei. Der Afrika-Reisende und spätere Ehemann der geschiedenen Emilie von Werthern, August von Einsiedel, hinterfragte die Institution Ehe sogar gänzlich (allerdings in einem unveröffentlichten Manuskript) und konnte sich eine dauerhafte Partnerschaft auch ohne Heirat vorstellen. Auch Hugo übte mit seiner Beurteilung der Ehe als mangelhafte Einrichtung fundamentale Kritik, zog daraus jedoch keine expliziten Schlüsse auf deren Abschaffung. Während von Einsiedel und Hugo Ehe und Familie zur Disposition stellten, waren die öffentlich Debattierenden zurückhaltender. Vielmehr scheinen die publizierenden Autoren wie auch die Behördenmitglieder Sachsen-WeimarEisenachs angesichts der immer wieder mit den traditionellen familialen Leitbildern und den staatlichen Interessen kollidierenden neuen Vorstellungen von Liebe, von Ehe und von persönlichen Rechten und Freiheiten verunsichert gewesen zu sein. War es für den Staat und die Gesellschaft eher schädlich oder eher nützlich, ein zerstrittenes Paar zu scheiden? Angeregt unter anderem durch Aufklärung und Romantik wandelten sich fundamentale Werte. Einige Zeitgenossen nahmen sie als die liberalern Grundsätze unseres Zeitalters wahr und scheinen bei ihrer Beurteilung von Illegitimität und Ehescheidung zuweilen unschlüssig gewesen zu sein, ob sie die neuen Leitbilder übernehmen bzw. ihnen gerecht werden oder an traditionellen Mustern festhalten sollten. Entsprechend rügte der Herzog nach einigen scheidungsstarken Jahren die bis dato großzügige Praxis und forderte eine strengere Prüfung der angeblich gescheiterten Ehen. Vermutlich war er selbst, der als letzte Instanz die Paare durch herzoglichen Dispens endgültig trennte, ob des quantitativen Ausmaßes der Ehescheidungen in seinem Herzogtum überrascht und wollte dem entgegenwirken.

352

VII. SCHLUSSBETRACHTUNG

Wie die Obrigkeit handelten auch die Eheleute vor dem Hintergrund gewandelter Vorstellungen vom familialen Leben. Die zahlreichen Scheidungsgesuche können ein Indiz dafür sein, dass die eigene Ehe in den Augen der Gatten nicht den neuen Erwartungen an Liebe und Partnerschaft gerecht wurde. Zusätzlich sahen sie sich mit einer Belletristik konfrontiert, die vermehrt alternative Familien- und Lebensformen thematisierte. Wie in Goethes Wahlverwandtschaften setzten sich Autoren mit neuen Ehe- und Liebesidealen und entsprechend auch mit Ehescheidungen auseinander. Karl Leydecker stellte fest, dass die Trennung thematisierende Autorinnen des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts meist selbst damit Erfahrungen gemacht hatten.4 Anhand der vermehrt aufgetretenen unverheirateten Paare etwa in Eisenach wird deutlich, dass die Debatten beispielsweise über wilde Ehen von den durch die Obrigkeit wahrgenommenen Familienformen ausgelöst wurden. Dass hingegen die Bevölkerung mit unkonventionellen Lebensformen auf die geführten Diskussionen über Ehelosigkeit reagierte, wie Beate Harms-Ziegler für die Illegitimität in Preußen beobachtete, konnte für Sachsen-Weimar-Eisenach nicht festgestellt werden. Vielmehr beeinflussten sich wohl gelebte und diskutierte Familienformen wechselseitig. Der Eingang bürgerlicher Werte in die Gesetzgebung und die Zurückstellung ständischer Prinzipien werden dadurch gekennzeichnet, dass eine Heirat in Sachsen-Weimar-Eisenach seit den 1820er Jahren vorrangig an Fleiß statt an Besitz gebunden sein sollte und so auch ärmere Paare die Ehe eingehen durften. Die Familie fungierte nach wie vor als Ordnungsstütze, jedoch trat ihre Bedeutung für den Staat als Basis wirtschaftlicher und militärischer Stärke im 18. Jahrhundert auch durch das Vorbild Preußens vermehrt in den Vordergrund. Zu diesem Zweck wurden die einst vehement abgelehnten unehelichen Schwängerungen zuweilen geduldet und nicht mehr sanktioniert. Einige Publizisten werteten sie sogar positiv als populationssteigernd und damit als staatlichen Interessen nützlich auf. So wurden sie schrittweise in bestehende Ordnungsvorstellungen integriert. Die Öffnung gegenüber alternativen Lebensformen bedeutete zugleich, dass die Gleichsetzung von Staat und Familie zur Stabilisierung hoheitlicher Macht und zur Kommunikation autoritärer und gesellschaftlicher Grundprinzipien nicht mehr funktionierte. Vorstellungen von familialen und gesellschaftlichen Normen wandelten sich auch unter dem Eindruck neuer Gesetzeskodifikationen wie dem Code Civil und dem Allgemeinen Landrecht. Die gelebten alternativen Familienformen waren vielmehr ein Symptom als eine Ursache jenes Umbruchs. Wilde Ehen einerseits und die Trennung suchende Paare andererseits existieren schon vorher, traten jedoch um 1800 gehäuft auf. Die praktizierten alternativen Familienformen, die 4

LEYDECKER, Divorcing Women (2007), S. 12f.

4. CARL AUGUST UND DIE SCHEIDUNGSPRAXIS

353

laufenden politischen und philosophischen Debatten etwa über persönliche Freiheit und die erlassenen Gesetze sowie die Rechtsprechung standen in Wechselwirkung und trugen so zur Entstehung neuer familialer Leitbilder bei. Jener Prozess war keineswegs geradlinig und von Rückkopplungen und Widersprüchen begleitet. Dass sich das Familienbild jedoch in weiten Teilen der Gesellschaft gewandelt hatte, belegen die liberalen Tendenzen in der Gesetzgebung zu Eheschließungen, zu unehelichen Sexualkontakten und Schwängerungen und die nachsichtige Scheidungspraxis, die etwa neue Scheidungsgründe wie das Zerrüttungsprinzip als triftig anerkannte. 5 Durch die Verordnungen wurden die praktizierten und diskutierten Vorstellungen von familialem Leben obrigkeitlich angenommen und legitimiert. Nicht allein die landesherrliche Macht und Legitimation bewirkte diesen Wandel familialer Normen und Werte, sondern die Wechselwirkung von innergesellschaftlichen Prozessen und herrschaftlichem Agieren. Es bedurfte einer Gesellschaft, die beispielsweise die zahlreichen getrennten Ehepaare mittrug bzw. hervorbrachte und trotz der vollzogenen, als unkonventionell geltenden Ehescheidungen die landesherrliche Autorität weiterhin anerkannte. Die Verordnungen bestätigten eher bereits geänderte Leitbilder, als dass sie sie erzeugten und konnten mit sich wandelnden Formen und Vorstellungen familialen Lebens nicht immer Schritt halten. Das Allgemeine Landrecht vermochte mit seinen liberalen Bestimmungen für ledige Mütter deren Ansehen zumindest bei Gesetzgebern, den Angehörigen der höheren Schichten, nicht zu ändern, sodass die entsprechenden Passagen im 19. Jahrhundert revidiert wurden. Sowohl die obrigkeitliche als auch die gesellschaftliche Duldung legitimierten schließlich unkonventionelles Verhalten wie wilde Ehen und Ehescheidungen. Die Arbeit konnte aufgrund der untersuchten Akten vor allem die staatliche und anhand der Publikationen auch die gesellschaftliche Perspektive auf die Familie und ihre Spielarten beleuchten. Da es sich jedoch um Schriftstücke aus dem gehobenen Bürgertum und dem Adel handelt, blieben die Ordnungsvorstellungen mittlerer und unterer Schichten nahezu unbeleuchtet und sind allenfalls anhand überlieferter Handlungen wie der Wiedereinstellung unehelich gebärender Dienstmägde durch Weimarer Dienstherren oder vereinzelt überlieferter Äußerungen wie Andere leben auch so! zu erahnen. Inwieweit sich etwa unverheiratete Paare mit Kindern selbst als Störer einer Wertegemeinschaft wahrnahmen oder ihnen dies durch ihr Umfeld gespiegelt wurde, ging aus den Quellen nicht explizit hervor. Angesichts der nachgewiesenen Verheiratung wilder Ehen scheinen einige unverheiratete Paare mit Kindern jedoch eine vorschriftsmäßige, eheliche Beziehung angestrebt zu haben. Wie viele sich trotz der ihnen möglichen Heirat bewusst für eine wilde Familie entschieden und 5

WESTPHAL u.a., Venus (2011), S. 11.

354

VII. SCHLUSSBETRACHTUNG

welche Vorstellungen von familialer Ordnung dem zugrunde lagen, kann hier nicht abschließend beantwortet werden. Als Carl August die Ehescheidungen 1816 zu verringern suchte, wurden die deutschen Staaten bereits als besonders großzügig hinsichtlich der Ehescheidungen wahrgenommen. Die französische Schriftstellerin Germaine de Staël-Holstein hielt sich von 1803 bis 1804 mehrere Monate in Weimar und Jena auf und begann unmittelbar nach einem weiteren Besuch 1808 die Arbeit an ihrem Buch De l’Allemagne.6 Darin resümiert sie, dass Ehen in Deutschland mit Leichtigkeit geschieden werden: […] der Heiligkeit der Ehe geschieht […] durch die Leichtigkeit, mit der sie getrennt werden kann, großer Abbruch. Die Frau nimmt sich einen andern Gatten, wie der Dichter eine Nebenscene in seinem Drama abändert. Die Gutmüthigkeit beider Geschlechter macht, daß die Scheidungen leicht und ohne Bitterkeit vor sich gehen; und da es unter den Deutschen mehr Einbildungskraft als wahre Leidenschaft giebt, so ereignen sich bei ihnen die seltsamsten Begebenheiten mit einer seltenen Kaltblütigkeit.7

De Staël nimmt die zahlreichen Ehescheidungen offenbar als etwas spezifisch Deutsches wahr. Inwieweit das auf die für Sachsen-Weimar-Eisenach beobachtete nachlässige Ahndung unehelicher Geburten und die großzügige Scheidungspraxis zutrifft und eine liberale Haltung gegenüber alternativen Lebensmodellen für die Frühe Neuzeit als typisch deutsch gelten kann, wird noch zu klären sein.

6 7

O. MÜLLER, de Staël (2008), S. 279–297. Deutschland 1 (1815), S. 43.

V. STAËL HOLSTEIN,

ANHANG

ANHANG

356 TABELLEN

Tabelle 1: Illegitime Geburten in Weimar 1770–1830

1770 1771 1772 1773 1774 1775 1776 1777 1778 1779 1780 1770–1780

Geburten insgesamt 233 186 170 171 214 192 201 240 224 196 222 2.249

1781 1782 1783 1784 1785 1786 1787 1788 1789 1790 1781–1790

197 179 196 181 185 169 174 167 175 177 1.800

189 167 181 170 174 155 155 154 160 158 1.663

8 12 15 11 11 14 19 13 15 19 137

4,06 % 6,70 % 7,65 % 6,08 % 5,95 % 8,28 % 10,92 % 7,78 % 8,57 % 10,73 % 7,61 %

1791 1792 1793 1794 1795 1796 1797 1798 1799 1800 1791–1800

189 170 190 173 182 205 167 199 200 191 1.866

165 151 176 150 170 191 153 185 187 167 1.695

25 19 17 23 12 14 14 14 13 24 175

13,23 % 11,18 % 8,95 % 13,29 % 6,59 % 6,83 % 8,38 % 7,04 % 6,50 % 12,57 % 9,38 %

Jahr

legitim

illegitim

216 175 161 163 203 178 192 216 209 185 201 2.099

17 11 9 8 11 14 9 24 15 11 21 150

Anteil illegitime 7,30 % 5,91 % 5,29 % 4,68 % 5,14 % 7,29 % 4,48 % 10,00 % 6,70 % 5,61 % 9,46 % 6,67 %

357

TABELLEN

1801 1802 1803 1804 1805 1806 1807 1808 1809 1810 1801–1810

Geburten insgesamt 210 207 220 228 225 205 218 246 228 235 2.222

1811 1812 1813 1814 1815 1816 1817 1818 1819 1820 1811–1820

238 240 204 192 293 258 279 259 262 263 2.488

212 220 171 169 254 225 261 243 232 244 2.231

26 20 33 23 38 33 18 16 30 17 254

10,92 % 8,33 % 16,18 % 11,98 % 12,97 % 12,79 % 6,45 % 6,18 % 11,45 % 6,46 % 10,21 %

1821 1822 1823 1824 1825 1826 1827 1828 1829 1830 1821–1830

241 259 248 256 237 244 235 250 244 268 2.482

221 238 236 232 214 225 212 230 221 233 2.262

20 21 21 24 23 19 23 20 23 35 229

8,30 % 8,11 % 8,47 % 9,38 % 9,70 % 7,79 % 9,79 % 8,00 % 9,43 % 13,06 % 9,23 %

Gesamt

13.107

11.926

1.188

9,06 %

Jahr

legitim

illegitim

187 190 202 202 198 185 189 222 198 203 1.976

23 18 18 26 26 19 29 24 28 32 243

Anteil illegitime 10,95 % 8,70 % 8,18 % 11,40 % 11,56 % 9,27 % 13,30 % 9,76 % 12,28 % 13,62 % 10,94 %

ANHANG

358

Tabelle 2: Illegitime Geburten in den Kreisen Weimar, Jena und Neustadt 1817–1828

1817 1818 1819 1820 1821 1822 1823 1824 1825 1826 1827 1828

Geburten insgesamt 4.311 4.352 4.958 4.956 5.087 4.928 5.004 4.909 4.997 5.061 5.041 4.873

Gesamt

58.477

Jahr

legitim

illegitim

Anteil illegitime

4.007 4.038 4.511 4.477 4.603 4.455 4.547 4.435 4.542 4.549 4.516 4.421

304 314 447 479 484 473 457 474 455 512 525 452

7,05 % 7,22 % 9,02 % 9,67 % 9,51 % 9,60 % 9,13 % 9,66 % 9,11 % 10,12 % 10,41 % 9,28 %

53.101

5.376

9,19 %

359

TABELLEN

Tabelle 3: Verhältnis Eheschließungen und Ehescheidungen in Weimar

Jahr

Ehen

1770 1771 1772 1773 1774 1775 1776 1777 1778 1779 1780 1781 1782 1783 1784 1785 1786 1787 1788 1789 1790 1791 1792 1793 1794 1795 1796 1797

63 56 52 69 77 61 71 58 70 72 82 61 52 63 54 53 52 76 79 77 64 74 75 67 63 74 96 83

davon später geschieden 2 2

2 2 2 2 1 1 1 1

3 2 3 1 5 2 2 5 4 2

in Weimar ansässige, geschiedene Paare

Verhältnis Ehen – Scheidungen (gerundet)

0,67 0,17 0,17 0,17 0,17 0,17 1,17 2,17 2,67 0,67 1,17 0,17 1 0 1,19 1,19 0,67 0,83 2,83 0,67 0,83 3 2 4,52 3,86 1,98 1,59 4,46

1:94 1:336 1:312 1:414 1:462 1:366 1:61 1:27 1:26 1:108 1:70 1:366 1:52 0 1:45 1:45 1:78 1:91 1:28 1:115 1:77 1:25 1:38 1:15 1:16 1:37 1:60 1:19

ANHANG

360

Jahr

Ehen

1798 1799 1800 1801 1802 1803 1804 1805 1806 1807 1808 1809 1810 1811 1812 1813 1814 1815 1816 1817 1818 1819 1820 1821 1822 1823 1824 1825 1826 1827

100 73 78 98 72 93 92 73 101 92 101 102 91 69 101 55 136 128 123 96 85 87 82 82 99 112 78 87 81 112

davon später geschieden 1 2 4 4 4 5 6 4 4 5 4 4 4 5 3 5 4 5 6 4 2 1 1 1 1 6 1 1 3

in Weimar ansässige, geschiedene Paare

Verhältnis Ehen – Scheidungen (gerundet)

4,79 1,29 3,29 2,13 3,76 2,67 2,26 2,41 6,63 5,63 9,38 5,71 4,38 3,55 9,87 3,87 6,21 7,66 6,26 4,73 10,13 7,13 7,01 4,34 5,65 4,25 5,75 4,76 4,31 8,22

1:21 1:56 1:24 1:46 1:19 1:35 1:41 1:30 1:15 1:16 1:11 1:18 1:21 1:19 1:10 1:14 1:22 1:17 1:20 1:20 1:8 1:12 1:12 1:19 1:18 1:26 1:14 1:18 1:19 1:14

361

TABELLEN

davon später geschieden

in Weimar ansässige, geschiedene Paare

Verhältnis Ehen – Scheidungen (gerundet)

4,22 2,75 2,23 3,40

1:24 1:40 1:47 1:24

Jahr

Ehen

1828 1829 1830 Mittelwert

102 110 105 81,80

1 1

Summe

4.990

147 (2,95 %) 207,37

2,88

-

ANHANG

362

Verhältnis Ehen– Scheidungen (gerundet)

54,47 %

1:5.240

1:9.620

1:59

1:109

1817

195.254

1.782

41

20,02

48,83 %

1:4.762

1:9.753

1:43

1:89

1818

199.279

1.837

48

24,21

50,44 %

1:4.152

1:8.230

1:38

1:76

1819

201.430

1.841

20

23,21

116,07 % 1:10.072 1:8.677

1:92

1:79

1820

205.736

1.921

31

27,92

90,07 %

1:6.637

1:62

1:69

1821

208.968

1.706

20

13,16

65,78 %

1:10.448 1:15.885 1:85

1:130

1822

211.137

1.858

25

22,47

89,86 %

1:8.445

1:9.399

1:83

1823

214.033

1.836

26

10,68

41,09 %

1:8.232

1:20.036 1:71

1:172

1824

216.602

1.733

25

12,18

48,73 %

1:8.664

1:17.780 1:69

1:142

193,34 70,82 %

1:6.763

1:9.549

1:86

Gesamt 1.846.308 16.713 273

1

RB 8 (1824), Nr. 17 (24.09.1824), S. 109.

1:74

1:61

ermittelte Scheidungen

20,15

ermittelte Scheidungen

37

1:7.368

Regierungsblatt

Verhältnis Einwohner– Scheidungen (gerundet) Regierungsblatt

2.199

Ehen

193.869

Einwohner

1816

Jahr

Anteil „B“ an „A“

ermittelte Scheidungen („B“)

Regierungsblatt („A“)

Scheidungen

Tabelle 4: Einwohner, Ehen und Scheidungen 1816–18241 im Verhältnis zu ermittelten Scheidungen

363

TABELLEN

Tabelle 5: Verordnungen zu unehelichen Sexualkontakten und Schwängerungen bis 1830 (Auswahl) Jahr 1589 1702 1706 1707 1709 1731 1741 1743 1750 1751 1752 1756

2 3 4 5 6 7

8 9 10

11 12

13 14

Verordnung Landesordnung2 Stadtordnung Weimar3 Ehemandat Sachsen-Weimar4 Eheordnung Sachsen-Weimar5 Patent, Bestrafung des Lasters der Unzucht6 Patent gegen Hurerei und Schwängerungen durch Hofbedienstete und Militärs7 Patent für die Jenaer Landesportion, Verheimlichung des Schwängerers8 Verbot der Eheschließung der Männer vor dem 24. Lebensjahr9 Bekräftigung des Patents von 173110 Aufhebung des Verbots der Eheschließung der Männer vor dem 24. Lebensjahr11 Edikt gegen die Verheimlichung der Schwangerschaft und zur Verhinderung des Kindsmords12 Herzogliches Reskript, der Erlass der Kirchenbuße bei sexuellen Vergehen13 Mandat, die von Unbekannten geschwängerten Frauen14

Landesordnung (1589), Kap. 4; J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 172. Statuta Weimar (1702). J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 172. Ehe-Ordnung (1707), § 1–8. J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 172, 178. Laster Hurerey (1731–1780), LATh–HStAW, Rechtspflege B2236b, fol. 1v–2r, 63r; Huren-Wesen (1731), LATh–HStAW, Rechtspflege B2191a, fol. 75v–76r; Mandate (1780– 1784), LATh–HStAW, Justizamt Weimar 18, fol. 47r; J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 182. J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 180. Frühzeitige Heyrathen (1762–1821), LATh–HStAW, Konsistorialsachen B3670, fol. 3r. Laster Hurerey (1731–1780), LATh–HStAW, Rechtspflege B2236b, fol. 8r–9r; Bestrafung stupri (1790–1812), LATh–HStAW, Rechtspflege B2333a, fol. 168r; J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 182. Frühzeitige Heyrathen (1762–1821), LATh–HStAW, Konsistorialsachen B3670, fol. 4r; HUSCHKE, Geschichte (1982), S. 370. Laster Hurerey (1731–1780), LATh–HStAW, Rechtspflege B2236b, fol. 34r–v; Öffentliche Niederkunft (1752, 1779–1781), LATh–HStAW, Rechtspflege B2286a; J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 179. Erlass Kirchenbuße (1756–1781), LATh–HStAW, Rechtspflege B2246, fol. 1r–2r. V. GÖCKEL, Gesetze 1 (1828), S. 131; J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 181.

364 Jahr 1757 1759 1762 1763 1769 1771 1779

1780

1783 1784

ANHANG

Verordnung Patent gegen ledige Frauen, die um Soldaten werben15 Zirkular, die Maßnahmen gegen auswärtige und einheimische sexuell freizügige Frauen16 Herzogliches Reskript, die Maßnahmen zur Ermittlung des Schwängerers17 Verbot der Eheschließung der Männer vor dem 24. Lebensjahr18 Erneuerung des Verbots der Eheschließung vor dem 24. Lebensjahr19 Verordnung, die erhöhte Strafe bei antizipiertem Beischlaf20 Zirkular, die Entbindungspflicht unehelich Schwangerer im Jenaer Accouchierhaus21 Reskript, die Aufhebung der Kirchenbuße für im Accouchierhaus unehelich Gebärende22 Verordnung über unehelich Schwangere, die das Accouchierhaus meiden23 Teilrevision des Edikts gegen die Verheimlichung der Schwangerschaft (1752)24 Reskript, das Prangerstehen in der Jenaer Landesportion25 Kanzleizirkular, die unnötig lange Arrestierung wegen unzulässigem Geschlechtsverkehr26

15 Laster Hurerey (1731–1780), LATh–HStAW, Rechtspflege B2236b, fol. 41r–42r; Bestrafung stupri (1790–1812), LATh–HStAW, Rechtspflege B2333a, fol. 168r; J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 183. 16 Laster Hurerey (1731–1780), LATh–HStAW, Rechtspflege B2236b, fol. 55r–57r; Verabschiedung des Entwurfs belegt durch: Dreimalige Schwangerschaft (1783), LATh–HStAW, Rechtspflege B2752, fol. 1r. 17 J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 181. 18 Frühzeitige Heyrathen (1762–1821), LATh–HStAW, Konsistorialsachen B3670, fol. 1v, 6r–v. 19 WWA 15 (1769), Nr. 44 (03.06.1769), S. 173f. 20 Ebd. 17 (1771), Nr. 54 (06.07.1771), S. 213. 21 Mandate (1780–1784), LATh–HStAW, Justizamt Weimar 18, fol. 54r; Accouchierhaus (1768–1820), LATh–HStAW, Polizeisachen B6242, fol. 35v; J. SCHMIDT, Aeltere 4 (1802), S. 440. 22 Dreimalige Schwängerung (1780–1781), LATh–HStAW, Rechtspflege B2289, fol. 1r–3r. 23 Mandate (1780–1784), LATh–HStAW, Justizamt Weimar 18, fol. 54r–56v; J. SCHMIDT, Aeltere 4 (1802), S. 441. 24 J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 179. 25 Ebd., S. 178. 26 Arrest wegen stupri (1784), LATh–HStAW, Rechtspflege B2312, fol. 1r; Mandate (1780– 1784), LATh–HStAW, Justizamt Weimar 18, fol. 336r.

TABELLEN

Jahr

1786

1787 1788 1789 1791 1792

365 Verordnung Order, die Umwandlung der Spießruten für Militärs in andere Körperstrafen27 Aufhebung des Verbots der Eheschließung der Männer vor dem 24. Lebensjahr28 Verordnung, die Bestrafung von sexuellen Vergehen29 Zirkular des Weimarer Oberkonsistoriums, die Anzeigepflicht von unehelichen Schwangerschaften30 Herzogliches Reskript, unzulässiger Geschlechtsverkehr Militärangehöriger31 Herzogliches Reskript, die Verpflichtung der im Amt Jena unehelich Schwangeren zur Entbindung im Accouchierhaus32 Zirkular der Weimarer Regierung, wenn der angebliche Kindsvater die Vaterschaft leugnet33 Herzogliches Reskript, die von Studenten zu zahlenden Strafgelder für uneheliche Schwängerung34 Erläuterungen zum Gesetz von 1786 über die Bestrafung sexueller Vergehen35 Erläuterungen zum Zirkular von 178836 Zirkular der Weimarer Regierung, die Bestrafung antizipierter Beischlaf37

27 J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 183. 28 Frühzeitige Heyrathen (1762–1821), LATh–HStAW, Konsistorialsachen B3670, fol. 50r; Mandate (1780–1784), LATh–HStAW, Justizamt Weimar 18, fol. 104r; WWA 44 (1798), Nr. 8 (27.01.1798), S. 29f. 29 WWA 32 (1786), Nr. 54 (08.07.1786), S. 213–215; J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 166, 170, 175, 178f, 181. Die dazugehörigen Reskripte und Zirkulare finden sich bei V. GÖCKEL, Gesetze 1 (1828), S. 277, 279; Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 1r. Vgl. ferner WAHL (Hg.), Kind (2004), S. 139. 30 J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 176. 31 Bestrafung stupri (1790–1812), LATh–HStAW, Rechtspflege B2333a, fol. 168r–v; J. SCHMIDT (1801), Aeltere 2, S. 183f. 32 Accouchierhaus (1768–1820), LATh–HStAW, Polizeisachen B6242, fol. 222r–v. 33 J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 170, 176f; Bestrafung stupri (1790–1812), LATh–HStAW, Rechtspflege B2333a, fol. 9r–10r. 34 Schwängerung Schoppe (1812), LATh–HStAW, Rechtspflege B2831, fol. 2r; Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 146r. 35 Bestrafung stupri (1790–1812), LATh–HStAW, Rechtspflege B2333a, fol. 42r; J. SCHMIDT (1801), Aeltere 2, S. 166f. 36 J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 177.

366 Jahr

1797

1801 1802 1805

1807

1809 1810 1811

ANHANG

Verordnung Herzogliches Reskript, die Ansprüche der durch die Hofdienerschaft Geschwängerten38 Zirkular der Regierung Weimar, die Meldepflicht unehelicher Schwangerschaften und die Bestrafung der Angabe eines unbekannten Täters39 Das Verbot der Eheschließung der Männer vor dem 24. Lebensjahr40 Order, die Alimentierung unehelicher Kinder durch Militärangehörige41 Herzogliches Reskript, die Erläuterung des Reskripts von 179742 Reskript an die Regierung Eisenach, die Kosten in Schwängerungsfällen43 Zirkular, die Verpflichtung der Hebamme zur Anzeige unehelicher Schwangerschaften44 Umlauf, keine Ehedispens nach erfolgter unehelicher Schwängerung45 Erinnerung an das Zirkular von 179746 Zirkular, Kautionsstellung bei Zivilklagen durch unehelich Schwangere47 Reskript an die Regierung Eisenach, die Taufkosten für uneheliche Kinder48 Soldatengesetze49

37 Ebd., S. 167; Gesetz Fleischesvergehen (1823–1832), LATh–HStAW, Rechtspflege B2401a, fol. 4v; Bestrafung stupri (1790–1812), LATh–HStAW, Rechtspflege B2333a, fol. 101r–v. 38 Juristenbefugnisse (1817–1908), LATh–HStAW, HMA 457, fol. 12v. 39 WWB 55 (1809), 18 (04.03.1809), S. 77; Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh– HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 148r; J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 181; wiederholt am 24.02.1809, vgl. WWB 60 (1814), Nr. 51 (28.06.1814), S. 271. 40 WWA 44 (1798), Nr. 8 (27.01.1798), S. 29. 41 Schwängerungen Militär (1800–1811), LATh–HStAW, Rechtspflege B2341b, fol. 32r–v; V. GÖCKEL, Gesetze 1 (1828), S. 410. 42 Juristenbefugnisse (1817–1908), LATh–HStAW, HMA 457, fol. 12v–13r. 43 V. GÖCKEL, Gesetze 1 (1828), S. 425; Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh– HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 117v. 44 Gesetz Fleischesvergehen (1823–1832), LATh–HStAW, Rechtspflege B2401a, fol. 4v. 45 Ehedispens (1807), in: Landesverordnungen 1, fol. 135r. 46 WWB 55 (1809), 18 (04.03.1809), S. 77. 47 Gesetz Fleischesvergehen (1823–1832), LATh–HStAW, Rechtspflege B2401a, fol. 4v. 48 V. GÖCKEL, Gesetze 1 (1828), S. 472.

TABELLEN

Jahr 1814 1815 1821 1822 1825 1828 1829 1830

367 Verordnung Bekanntmachung der Regierung Weimar, die Einlieferung Geschwängerter ins Jenaer Accouchierhaus50 Medizinalverordnung51 Umlauf der Regierung Eisenach, die Zivilklage Geschwängerter52 Reskript an das Stadtgericht Jena, die Bestrafung unehelich Schwangerer53 Gesetz, das zum Heiraten erforderliche Alter54 Bekanntmachung der Regierung Weimar, Prüfung von Inzest bei unehelichem Beischlaf55 Bekanntmachung der Landesdirektion Weimar, die sogenannten wilden Ehen56 Herzogliches Reskript, die Umwandlung der Zuchthausstrafe in eine Gefängnisstrafe für die Verheimlichung des Schwängerers57 Gesetz, die Verbindlichkeit zur Versorgung unehelicher Kinder58 Bekanntmachung, die Abschaffung der für die Hebammenbesoldung erhobenen Strafgelder 59 Bekanntmachung der Landesdirektion Weimar, die in die Jenaer Entbindungsanstalt sich begebenden Schwangeren60

49 Soldatengesetze (1811), in: Landesverordnungen 7; Schwängerungen Militär (1800–1811), LATh–HStAW, Rechtspflege B2341b, fol. 32v; WWB 57 (1811), Nr. 51 (28.06.1811), S. 201. 50 V. GÖCKEL, Gesetze 2 (1829), S. 182; WWB 60 (1814), Nr. 51 (28.06.1814), S. 271; Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 148v–149r. 51 Medicinal-Ordnung (1814), in: Landesverordnungen 7, Nr. 12, § 85. 52 V. GÖCKEL, Gesetze 2 (1829), S. 202f. 53 Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 149r–v. 54 RB 5 (1821), Nr. 30 (17.07.1821), S. 614–616. 55 WWB 68 (1822), Nr. 76 (20.09.1822), S. 375. 56 Ebd. 72 (1826), Nr. 1 (03.01.1826), S. 1f. 57 Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 104r–v; Gesetz Fleischesvergehen (1823–1832), LATh–HStAW, Rechtspflege B2401a, fol. 30r. 58 RB 13 (1829), Nr. 8 (19.05.1829), S. 48–50. 59 Bestrafung delictis carnis (1803–1834), LATh–HStAW, Rechtspflege B2344, fol. 128r–v. 60 V. GÖCKEL, Gesetze 4 (1832), S. 280; RB 14 (1830), Nr. 22 (28.12.1830), S. 120.

ANHANG

368 Tabelle 6: Verordnungen zu Ehescheidungen bis 1830 Jahr 1783 1797/1799

1816

1820 1822 1824 1827 1828

Verordnung Bekanntmachung, die Befreiung der wegen übler Behandlung von Tischbett getrennten Ehefrauen von den Frohnen61 Herzogliches Reskript / Zirkular des Eisenacher Oberkonsistoriums, die Zahlungen in den Schulfonds62 Herzogliche Reskripte, die Erschwerung der Ehescheidungen63 Bekanntmachung der Regierung Weimar, der Ehedesertionsprozess64 Publikandum des Staatsministeriums, die Prüfung der Dispensgesuche65 Herzogliches Reskript an die Regierung Eisenach, die Versöhnungsversuche bei Ehekonflikten66 Verordnung, die für Ehebruchsverfahren zuständigen Gerichte67 Bekanntmachung des Oberkonsistoriums Weimar, die Versöhnungsversuche bei Ehekonflikten68 Bekanntmachung der Landesregierung Weimar, die Verwendung der Straf- und Dispensationsgeldern bei Verlobungen und Scheidungen69 Herzogliches Postskript an die Regierung Weimar, die Festlegung der Dispensationsgelder orientiert an den individuellen Vermögensverhältnissen70

61 Mandate (1780–1784), LATh–HStAW, Justizamt Weimar 18, fol. 247r–v. 62 J. SCHMIDT, Aeltere 2 (1801), S. 541; V. GÖCKEL, Gesetze 1 (1828), S. 398f. 63 Scheidungen Weimar (1816–1819), LATh–HStAW, Rechtspflege B2602, fol. 10r–11v; Scheidungen Eisenach (1816–1822), LATh–HStAW, EA Rechtspflege 142, fol. 15r–v. 64 V. GÖCKEL, Gesetze 2 (1829), S. 271; WWB 62 (1816), Nr. 43 (28.05.1816), S. 193f. 65 V. GÖCKEL, Gesetze 2 (1829), S. 286. 66 DERS, Gesetze 3 (1830), S. 705f. 67 WWB 68 (1822), Nr. 104 (31.12.1822), S. 509. 68 V. GÖCKEL, Gesetze 3 (1820), S. 1372; WWB 70 (1824), Nr. 81 (08.10.1824), S. 405. 69 V. GÖCKEL, Gesetze 4 (1832), S. 57. 70 Scheidungen Weimar (1825–1828), LATh–HStAW, Rechtspflege B2608, fol. 341r.

369

TABELLEN

Tabelle 7: Entwürfe und nicht überlieferte Vorgänge zu Ehescheidungen Jahr 1808 1819 1819 1826

Verordnung Oberkonsistorialakte, die Abkürzung des Ehescheidungsprozesses71 Oberkonsistorialakte, die Fristen für die Wiederverheiratung Geschiedener72 Oberkonsistorialakte, die Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit der Heirat des Ehebrechers mit der Ehebrecherin73 Ehegesetzentwurf74

71 Landesdirektionsakte Ehegesetz (1817–1825), LATh–HStAW, Rechtspflege B2391c, fol. 31v. 72 Ebd., fol. 32r. 73 Ebd. 74 Entwurf Ehegesetz I (1826), LATh–HStAW, Rechtspflege B2408a.



Ehepaar (Name Mann / Name Frau)

Scheidungsjahr

Herzog

1

1

1

1

1

16,5 11,5

13,79 % 14,29 % 67,86 % 69,70 %

19

Anteil „B“ an „A“

2

28

1

1

2

1

1

14,5

14

1

1

Summe („A“)

1

1

1

1

1

7

9

3

6,5

öffentliches Ärgernis 11

13,5

1

häufiger, jahrelanger Streit 7

15

1

1

9

32,5

1

0,5

1

1

1

1

1

0

4,5

1

1

1

10,5

14,5

Gewalt Mann / Gesundheitsrisiken Gewalt Frau / Gesundheitsrisiken 1

7

12

keine Gründe / Umstände bekannt 186

396,5 65,66 % 77,78 % 46,15 % 81,48 % 46,67 % 27,69 % 0,00 % 72,41 % 58,33 % 46,91 %

32,5

49,5

1

1

1

1

1

1

1

1

1

1

Ehebruch Frau

1

1

1

Ehebruch Mann

0,5

1

1

1

Abneigung / Hass

1



1 1

Sühne erfolglos, Versöhnung hoffnungslos Zwecke der Ehe nicht erfüllt Verschiedenheit der Gemüter

1

Nachteil für Kinder

davon ausschlaggebend („B“)

1830 Hesselbarth/ Dobenecker

1830 Mäder/Hauf

1830 Harras/Schnabel

1829 Kirchhof/Vent

1828 Gareis/Lippold

1828 Ciofano/Heidloff

1827 Rockstuhl/Wolf



1808 Halle/Schönewald

1808 Golla/Dietrich

1807 Kalkofe/Hugo

1807 Haselbach/Krahmer

Regierung Weimar

1806 König/Hecker

1807 Kleinsteuber/Biber

obrigkeitlicher Bericht

Regierung Weimar

Regierung Weimar

1806 Reichert/Kopitzsch

1806 Ebhard/Lug

1806 Cavemann/Buddeus

längeres Getrenntleben

Tabelle 8: Häufigkeit und Wirksamkeit der Scheidungsgründe – Tabellarische Auswertung (Auswahl)

370 ANHANG

371

TABELLEN

Tabelle 9: Häufigkeit und Wirksamkeit der Scheidungsgründe – Gesamtübersicht Argument

Häufigkeit (Punkte)

Wirksamkeit (Punkte)

(in Klammern dahinter: Anzahl halber Punkte)

Wirksamkeit (Prozent)

Unversöhnlichkeit

49,5 (1)

32,5 (1)

65,66 %

Gewalt Mann/Gesundheitsrisiken

32,5 (3)

9

27,69 %

Abneigung/Hass

28

19

67,86 %

Vernachlässigung durch Mann, nicht fähig zur Versorgung/kein Unterhalt

19,5 (5)

3,5 (1)

17,95 %

keine Kinder

19

15

78,95 %

Verschwendung/schlechte Wirtschaft Frau

17 (2)

3

17,65 %

Nachteil für Kinder

16,5 (1)

11,5 (1)

69,70 %

häufiger, jahrelanger Streit

15

7

46,67 %

längeres Getrenntleben

14,5 (3)

10,5 (1)

72,41 %

Ehebruch Frau

14,5 (1)

2

13,79 %

Ehebruch Mann

14

2

14,29 %

schlechtes Benehmen/ Widerspenstigkeit Frau

14

3

21,43 %

öffentliches Ärgernis

13,5 (1)

11

81,48 %

keine Gründe/Umstände bekannt

12

7

63,64 %

Ekel, Krankheit, kein Sex möglich

11,5 (1)

5

43,48 %

schlechtes Benehmen Mann

10 (2)

3

30,00 %

bösliche Verlassung Frau

10 (8)

1,5 (1)

13,64 %

Zwecke der Ehe nicht erfüllt

9

7

77,78 %

berufliche Nachteile durch Ehe

8,5 (1)

6

70,59 %

nichts Gedeihliches

8,5 (1)

7,5 (1)

88,24 %

ANHANG

372 Argument

Häufigkeit (Punkte)

Wirksamkeit (Punkte)

(in Klammern dahinter: Anzahl halber Punkte)

Wirksamkeit (Prozent)

falsche Heiratsmotive

8 (2)

3,5 (1)

43,75 %

bösliche Verlassung Mann

6,5 (3)

0,5 (1)

7,69 %

Verschiedenheit der Gemüter

6,5 (1)

3

46,15 %

Altersunterschied

5

2

40,00 %

Beleidigung durch Mann

5 (2)

0

0%

Beleidigung durch Frau

5

0

0%

Gewalt Frau/Gesundheitsrisiken

4,5 (1)

0

0%

Trunksucht Mann

4,5 (1)

3

66,67 %

Eheleute (und Verwandte) wollen Scheidung

4,5 (1)

3

66,67 %

Scheinehe, bloß dem Namen nach

4

3

75,00 %

keine Liebe

3 (2)

1

33,33 %

Trunksucht Frau

3

1

33,33 %

Gesamt

396,5

186

46,91 %

373

TABELLEN

Tabelle 10: Wirksamkeit der Scheidungsgründe in Prozent Argument

Häufigkeit (Punkte)

Wirksamkeit (Punkte)

Wirksamkeit (Prozent)

öffentliches Ärgernis

13,5

11

81,48 %

keine Kinder

19

15

78,95 %

längeres Getrenntleben

14,5

10,5

72,41 %

Nachteil für Kinder

16,5

11,5

69,70 %

Abneigung/Hass

28

19

67,86 %

Unversöhnlichkeit

49,5

32,5

65,66 %

keine Gründe/Umstände bekannt

12

7

58,33 %

häufiger, jahrelanger Streit

15

7

46,67 %

Ekel, Krankheit, kein Verkehr möglich

11,5

5

43,48 %

schlechtes Benehmen Mann

10

3

30,00 %

Gewalt Mann/Gesundheitsrisiken

32,5

9

27,69 %

schlechtes Benehmen/ Widerspenstigkeit Frau

14

3

21,43 %

Vernachlässigung durch Mann, nicht fähig zur Versorgung/kein Unterhalt

19,5

3,5

17,95 %

Verschwendung/schlechte Wirtschaft Frau

17

3

17,65 %

bösliche Verlassung Frau

10

1,5

15,00 %

Ehebruch Mann

14

2

14,29 %

Ehebruch Frau

14,5

2

13,79 %

nichts Gedeihliches

8,5

7,5

88,24 %

Zwecke der Ehe nicht erfüllt

9

7

77,78 %

(Ursachen, deren Werte für die Auswertung mit unter 10 Punkte zu gering waren:)

ANHANG

374 Argument

Häufigkeit (Punkte)

Wirksamkeit (Punkte)

Wirksamkeit (Prozent)

Scheinehe, bloß dem Namen nach

4

3

75,00 %

berufliche Nachteile durch Ehe

8,5

6

70,59 %

Trunksucht Mann

4,5

3

66,67 %

Eheleute (und Verwandte) wollen Scheidung

4,5

3

66,67 %

Verschiedenheit der Gemüter

6,5

3

46,15 %

falsche Heiratsmotive

8

3,5

43,75 %

Altersunterschied

5

2

40,00 %

keine Liebe

3

1

33,33 %

Trunksucht Frau

3

1

33,33 %

bösliche Verlassung Mann

6,5

0,5

7,69 %

Beleidigung durch Mann

5

0

0%

Beleidigung durch Frau

5

0

0%

Gewalt Frau/Gesundheitsrisiken

4,5

0

0%

GRAFIKEN

375

1770 1773 1776 1779 1782 1785 1788 1791 1794 1797 1800 1803 1806 1809 1812 1815 1818 1821 1824 1827 1830

18% 16% 14% 12% 10% 8% 6% 4% 2% 0%

Grafik 1: GRAFIKEN

Anteil illegitimer Geburten in Weimar an der Gesamtgeburtenzahl 1770–1830

ANHANG

376

4

Paare mit 2 und mehr Kindern mit Heirat horizontale Achse: Geburtsjahr des ersten gemeinsamen Kindes vertikale Achse: Anzahl der pro Jahr mit einem ersten gemeinsamen Kind potentiell begründeten wilden Familien

3 2 1 1770 1773 1776 1779 1782 1785 1788 1791 1794 1797 1800 1803 1806 1809 1812 1815 1818 1821 1824 1827 1830

0

Grafik 2:

Durch das erste Kind potentiell begründete wilde Familien

Die hier ausgezählten, pro Jahr entstandenen potentiellen wilden Familien entsprechen den nachträglich verheirateten 44 Paaren mit mindestens zwei gemeinsamen Kindern (Kap. III.2.1.). Die Konstellationen wurden unter der Prämisse ausgezählt, dass die Geburt des ersten Kindes die wilde Ehe besiegelte. Das Geburtsjahr des ersten gemeinsamen Kindes diente als Zeitpunkt der Familiengründung, wobei die Paarbeziehung schon viel länger bestanden haben könnte.

377

Quelle 1769 1771 1773 1775 1779 1781 1783 1785 1787 1789 1791 1793 1795 1797 1799 1801 1803 1805 1807 1809 1811 1813 1815 1817 1819 1821 1823 1825 1827 1829

GRAFIKEN

A B C D E F G H Grafik 3:

Quellengrundlage der Scheidungsstatistiken

Quellen: A) Kirchenbücher Weimar und Jena (EKAW/EKAJ, HR/SR/TR, GK/HK/SK, nur 1770-1830 ausgewertet, darüber hinaus vorhanden) B) Dispensakten Weimar (LATh–HStAW, B2576-B2609, 1805-1832) C) Dispensakten Eisenach (LATh–HStAW, EA 134-142, 1805-1822) D) Schulfondsabgaben Weimar (LATh–HStAW, B2572, 1797-1810) E) Schulfondsabgaben Eisenach (LATh–HStAW, B2572, 1799-1810, ohne 1800, 1804) F) Registrande Geheime Kanzlei (LATh–HStAW, B849-B892, nur 1769-1791/92 ausgewertet, auch für die Jahre zuvor vorhanden) G) Repertorium Geheime Kanzlei (Konsistorium) (LATh–HStAW, B892f, nur 1769-1804 ausgewertet, auch für die Jahre zuvor vorhanden) H) Repertorium Geheime Kanzlei (Regierung) (LATh–HStAW, B892d, nur 1811-1830 ausgewertet, auch für die Jahre danach vorhanden)

Grafik 4:

Ehescheidungen in Sachsen-Weimar-Eisenach 1769–1830

378 ANHANG

Grafik 5:

Scheidungs-, Irrungs- und andere Eherechtsklagen in Sachsen-Weimar-Eisenach 1770–1830

GRAFIKEN

379

Grafik 6:

Scheidungsklagen in Sachsen-Weimar-Eisenach 1770–1830

380 ANHANG

Grafik 7:

Ehescheidungen in Weimar 1770–1830

GRAFIKEN

381

ANHANG

382

potentielle Scheidungen (anteilig) Scheidungen Eisenacher Landesteil (Jahr) belegte Scheidungen (anteilig) Scheidungen Weimarer Landesteil (Jahr) 50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 1769 1772 1775 1778 1781 1784 1787 1790 1793 1796 1799 1802 1805 1808 1811 1814 1817 1820 1823 1826 1829

0

Grafik 8:

Quellengrundlage der Scheidungsstatistik in Sachsen-Weimar-Eisenach

383

GRAFIKEN EHEPAARE SOLLTEN LAUT REGIERUNG PER DISPENS GESCHIEDEN WERDEN, WEIL…

Zweck: Kinder zeugen und erziehen

Keine Kinder Ekel, Krankheit, keine Zeugung möglich

erschwert/nicht möglich Nachteile für Kinder Öffentliches Ärgernis (Nachteile für Kinder und Gesellschaft)

Berufliche Nachteile

Zweck: Gegenseitige Versorgung (Ernährung, Gesundheit) erschwert/nicht möglich …DIE ZWECKE DER EHE NICHT ERFÜLLT WERDEN (KÖNNEN)

Vernachlässigung/keine Versorgung durch Mann, kein Unterhalt Verschwendung/schlechte Wirtschaft (Frau) Trunksucht Gewalt

Abneigung/Hass Häufiger, jahrelanger Streit

…DIE EHE RECHTLICH NIE BESTAND (UND

schlechtes Benehmen/ Widerspenstigkeit, Beleidigung

ANNULIERUNGSWÜRDIG IST)

Fehlerhafte Eheanbahnung oder Heirat

Scheinehe

Verschiedenheit der Gemüter Argument: Unversöhnlichkeit

Nichts Gedeihliches Keine Liebe Altersunterschied Eheleute wollen Scheidung

Ehebruch …RECHTSKRÄFTIGE SCHEIDUNGSGRÜNDE VORLIEGEN

Grafik 9:

Längeres Getrenntleben Bösliche Verlassung

Schematische Darstellung der standardisierten Scheidungsursachen

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS A.B.M. Abt. ALR Anm. Anzeigen/WWA Bd. Bearb. bspw. bzw. Can. CIC ders. dies. EA EKAJ EKAW ELThG ebd. f./ff. fol. G WA GG GHdA GK H. HA HAAB Hg./hrsg. HG Jena HK HMA HR HRG HStA Journal Kap. LATh–HStAW

Initialen eines unbekannten Autors Abteilung Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten Anmerkung Weimarische Wöchentliche Anzeigen Band Bearbeiter beispielsweise beziehungsweise Canon Codex Iuris Canonici (Codex des kanonischen Rechts) derselbe dieselbe Eisenacher Archiv Evangelisches Kirchenarchiv Jena Evangelisches Kirchenarchiv Weimar Evangelisches Lexikon für Theologie und Gemeinde ebenda folgende Folio Goethes Werke. Weimarer Ausgabe Geschichtliche Grundbegriffe Genealogisches Handbuch des Adels Garnisonskirche Heft Historisches Archiv Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar Herausgeber/herausgegeben Hofgericht Jena Hofkirche Hofmarschallamt Heiratsregister Handwörterbuch der deutschen Rechtsgeschichte Hofstallamt Weibliches Dienstboten Journal Kapitel Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar

386 Landesverordnungen

NA ND NDB N.N. nob. Nr. o.D. o.O. OAGJ RB r/v Registrande Repertorien S./Sp. SchöppJ SFB 482 SGB SK SR Staatskalender StAW Taler TR TRE u.a. Univ. Diss. verh. Wochenblatt/WWB Zit. nach 1

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

als „Landesverordnungen“ unveröffentlichte und undatierte Gesetzessammlung, die handschriftliche und gedruckte Verordnungen bündelt (ungedruckte Quellen, Herzogin Anna Amalia Bibliothek) Neues Archiv Nachdruck Neue Deutsche Biographie Name der Person ist nicht bekannt nobilitiert Nummer ohne Datum ohne Ort Oberappellationsgericht Jena Regierungsblatt Rectoseite, Versoseite Registrande der Geheimen Kanzlei (LATh–HStAW, Behörden, B849-B892) Repertorien der Geheimen Kanzlei (LATh–HStAW, Behörden, B892f) Seite/Spalte Schöppenstuhl Jena Sonderforschungsbereich 482 „Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft Sozialgesetzbuch Stadtkirche Sterberegister im Untersuchungszeitraum mehrfach umbenannten Adresskalender und Staatshandbücher SachsenWeimar-Eisenachs der jeweils angegebenen Jahrgänge Stadtarchiv Weimar Reichstaler1 Taufregister Theologische Realenzyklopädie und andere Dissertation verheiratet Weimarisches Wochenblatt Zitiert nach

Vgl. HIERHOLZER/RICHTER, Geld (2012).

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

1. Ungedruckte Quellen 1. UNGEDRUCKTE QUELLEN

Evangelisches Kirchenarchiv Jena Heirats-, Tauf-, Sterberegister 1770–1830 der Garnisons- und Stadtkirche Evangelisches Kirchenarchiv Weimar Heirats-, Tauf-, Sterberegister 1770–1830 der Garnisons-, Hof- und Stadtkirche Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar 19c 11278, 19c 11279, 19c 11280, 19c 11281, 19c 11282, 19c 11283 (Landesverordnungen 1–7) Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar Behörden: B678, B726, B849, B850, B851, B852, B853, B854, B855, B856, B857, B858, B859, B860, B861, B862, B863, B864, B864a, B865, B866, B867, B868, B869, B870, B871, B872, B873, B874, B875, B876, B877, B878, B879, B880, B881, B882, B883, B884, B885, B886, B887, B888, B889, B890, B891, B892, B892f, B1577, B1577a, B1577b B849–B892, B892f Dienersachen: B25127, B25128, B27193 Eisenacher Archiv, Polizeisachen: 18 Eisenacher Archiv, Rechtspflege: 134, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 141, 142 Historische Schriften und Drucke (früher Sammlung F): F2140 Hofgericht Jena, Abteilung Weimar: 705 Hofmarschallamt: 366, 457, 1031, 3440, 3441, 3446, 3447, 3456, 4540 Hofstallamt: 358, 406, 427 Justizamt Weimar: 18 Konsistorialsachen: B3670, B4757 Militärsachen: B36871, B36958, B36969, B36970, B36975, B37005, B38731, B38342, B38594, B38631, B38672, B38765, B38781, B38839, B38989, B40151 Oberappellationsgericht Jena: 267 Polizeisachen: B5480, B5637n1, B6242 Rechnungen: 10928/124, 10928/125, 10928/126, 10928/127, 10928/128, 10928/129, 10928/130, 10928/131, 10928/132, 10928/133, 10928/134, 10928/135, 10928/136, 10928/137, 10928/138, 10928/139, 10928/140, 10928/141 Rechtspflege: B2191a, B2197a, B2236b, B2246, B2256, B2281, B2286a, B2286a B2289, B2302a, B2312, B2315a, B2330b, B2333a, B2341b, B2344, B2383,

388

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

B2389, B2391a, B2391c, B2400a, B2401a, B2408a, B2408b, B2422a, B2520, B2521, B2522, B2523, B2524, B2565f, B2567, B2572, B2573, B2575, B2576, B2577, B2578, B2579, B2581, B2583, B2584, B2590, B2597, B2599, B2600, B2601, B2602, B2604, B2605, B2606, B2607, B2609, B2717, B2750, B2752, B2754, B2797, B2831, B2873 Schöppenstuhl Jena: 2268, 2276, 2591, 2607, 2763 Stadtpfarrei Weimar: D7 Steuern: B18106, B18107, B18110

B2519, B2574, B2591, B2608,

Stadtarchiv Weimar Amtsbücher: 23/1, 29/1 Historisches Archiv: HA I-1-52, HA I-1-53, HA I-1-55, HA I-27-91, HA I-37-4. Neues Archiv: NA I-39c-2.

2. GEDRUCKTE QUELLEN

389

2. Gedruckte Quellen 2. GEDRUCKTE QUELLEN

Aufsätze und Monografien

ABEKEN, Griesbach (1829) = ABEKEN, Bernhard Rudolf, Johann Jakob Griesbach, Doctor der Theologie und erster Professor derselben in Jena, Leipzig 1829. BECCARIA, Verbrechen (1764) = BECCARIA, Cesare, Von den Verbrechen und von den Strafen, übers. von Thomas VORMBAUM, Berlin 2004 (Strafwissenschaft und Rechtspolitik, 6). BECKER, Hülfs-Büchlein ([Jahr]) = BECKER, Rudolph Zacharias, Noth- und Hülfs-Büchlein für Bauersleute oder lehrreiche Freuden- und Trauer-Geschichte des Dorfs Mildheim. Für Junge und Alte beschrieben, Gotha 1788–1838. BÖTTIGER, Zustände (1998) = BÖTTIGER, Karl August, Literarische Zustände und Zeitgenossen. Begegnungen und Gespräche im klassischen Weimar, hrsg. von Klaus GERLACH/René STERNKE, Berlin 21998. CAMPE, Rath (1796) = CAMPE, Joachim Heinrich, Väterlicher Rath für meine Tochter. Ein Gegenstück zum Theophron, hrsg. von Ruth BLECKWENN, Braunschweig 31796, ND Lage 1997. DÜNTZER, Zwei Bekehrte (1873) = Düntzer, Heinrich, Zwei Bekehrte. Zacharias Werner und Sophie von Schardt, Leipzig 1873. ECKERMANN, Ehe (1793) = ECKERMANN, Jakob Christoph Rudolf, Ueber die Ehe, in Rücksicht auf Sittlichkeit und Glückseligkeit der Menschen, in: Deutsches Magazin 6 (1793), S. 927–1007. V. EGLOFFSTEIN, Jugenderinnerungen (1919) = VON EGLOFFSTEIN, Herrmann, Ein Kind des achtzehnten Jahrhunderts. Jugenderinnerungen der Gräfin Henriette Egloffstein, in: Deutsche Rundschau 46/47 (1919/1920), Nr. 181/182, S. 337–361, 81–96, 281–290. V. EINSIEDEL, Ideen (1957) = VON EINSIEDEL, August: Ideen, hrsg. von Wilhelm Dobbek, Berlin 1957. GUBALKE, Sühn-Versuch (1810) = GUBALKE, Benjamin, Ueber den sogenannten Sühn-Versuch bei Ehescheidungsprozessen, in: Schlesische Provinzialblätter 52 (1810), S. 408–417.

390

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

GÜNTHER, Waisen (1825) = GÜNTHER, Wilhelm Christoph, Die Waisen im Großherzogthum SachsenWeimar. Geschichte der Versorgungsanstalt der Waisen durch Privaterziehung in Familien, nebst ihrem Erfolg binnen vierzig Jahren. Zur Feier des Regierungs-Jubelfest’s Sr. Königl. Hoheit des Großherzogs. Actenmäßig beschrieben und mit Thatsachen belegt von D. W. Ch. Günther, Weimar 1825. HUGO, Lehrbuch (1809) = HUGO, Gustav, Lehrbuch eines civilistischen Cursus, Bd. 2: Lehrbuch des Naturrechts als einer Philosophie des positiven Rechts, Berlin 1809, ND Goldbach 1997 (100 Jahre Bürgerliches Gesetzbuch/Pandektenrecht, 6). HUME, Polygamy (1777) = HUME, David, Essay XIX. Of Polygamy and Divorce, in: Ders., Essays and Treatises on Several Subjects, Bd. 1: Essays, Moral, Political, and Literary, Bristol 2002, S. 195–205. ISELIN, Gedanken (1778) = ISELIN, Isaak, Gedanken über den Kindermord, und Vorschläge Demselben, besonders durch Anstalten für Unterhaltung ohnehelicher Kinder zuvorzukommen, in: Ephemeriden der Menschheit (1778), H. 4, S. 12–34. JÄGER, Unzertrennbarkeit (1805) = JÄGER, [Vorname unbekannt], Unzertrennbarkeit des ehelichen Bandes. Meine Antwort auf Herrn Werkmeisters Bemerkungen gegen meine Abhandlung von der Ehescheidung, Arnstadt/Rudolstadt 1805. JÖRG, Zurechnungsfähigkeit (1837) = JÖRG, Johann Christian Gottfried, Die Zurechnungsfähigkeit der Schwangern und Gebärenden, Leipzig 1837. KUNTZE, Todesstrafe (1868) = KUNTZE, Johannes Emil, Über die Todesstrafe. Beibehaltung oder Abschaffung derselben? Ein Beitrag zur Beleuchtung dieser Frage, Leipzig 1868. LE SCÈNE-DESMAISONS, Vertrag (1784) = LE SCÈNE-DESMAISONS, Jacques, Ehelicher Vertrag, oder Gesetze des Ehestands, der Verstossung und Ehescheidung. Nebst einer Abhandlung über den Ursprung und das Recht der Dispensationen, Zürich 1784. LEONHARDI, Erdbeschreibung 2 (1790) = LEONHARDI, Friedrich Gottlob (Hg.), Erdbeschreibung der Churfürstlichund Herzoglich-Sächsischen Lande, Bd. 2, Leipzig 21790.

2. GEDRUCKTE QUELLEN

391

LINDNER, Süß und Sauer (1812) = LINDNER, [Vorname unbekannt], Die Familie Süß und Sauer, in: SCHÜTZE, Johann Stephan (Hg.), Taschenbuch für das Jahr 1812. Der Liebe und Freundschaft gewidmet, Frankfurt am Main 1812, S. 189–194. LIST, Hurerey (1784) = LIST, George Dietrich Carl, Ueber Hurerey und Kindermord, Mannheim 1784, rez. von Unbekannt, in: Allgemeine deutsche Bibliothek 59 (1784), H. 2, S. 395. LUTHER, Leben (1522) = LUTHER, Martin, Vom ehelichen Leben und andere Schriften über die Ehe, hrsg. von Dagmar C.G. LORENZ, o.O. 1522, ND Stuttgart 1994. MARTIN, Gebäranstalt (1848) = MARTIN, Eduard, Die Gebäranstalt und die geburtshülflichen Kliniken der Universitätsstadt Jena, Jena 1848. MEYER, Versuch (1840) = MEYER, Ernst Julius Jacob, Versuch einer medicinischen Topographie und Statistik der Haupt- und Residenz-Stadt Dresden, Stolberg am Harz/Leipzig 1840. MICHAELIS, Beurtheilung (1782) = MICHAELIS, Johann David, Nachricht, die Beurtheilung der Schriften: von den besten Mitteln zur Vermeidung des Kindermords, betreffend, in: Hannoverisches Magazin 92 (1782), Sp. 1457–1460. MONTESQUIEU, Briefe (1721) = Baron de la Bréde et la MONTESQUIEU, Charles-Louis de Secondat, Persische Briefe, hrsg. von Peter SCHUNCK, o.O. 1721, ND Stuttgart 1991. N.N., Untersuchung (1760) = N.N., Untersuchung der Frage: ob das Verboth der Ehescheidung der Vermehrung der Menschen nachtheilig sey? Wider des Hrn. von Montesquieu persianische Briefe, in: Hamburgisches Magazin 24 (1760), S. 362–374. N.N., Hurerei (1777) = N.N., Sollten Hurerei und Concubinat auch in unsern Zeiten noch schädliche und schändliche Laster sein?, Frankfurt am Main/Leipzig 1777. N.N., Preisfrage (1780) = N.N., Preisfrage über den Kindermord, in: Ephemeriden der Menschheit, oder Bibliothek der Sittenlehre, der Politik und der Gesetzgebung 2 (1780), S. 610–614.

392

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

N.N., Kindermorde (1782) = N.N., Welches sind die besten ausführbaren Mittel dem Kindermorde zu steuren? Eine Preißfrage, allen Menschenfreunden und Gesetzgebern gewidmet, in: Almanach für Aerzte und Nichtaerzte (1782), S. 200–231. N.N., Toleranz (1787) = N.N., Ueber Toleranz, Bevölkerung, Hurerei, Kindermord, und Quacksalber. Aus der Brieftasche eines Dänen, in: Staats-Anzeigen 11 (1787), H. 44, S. 455– 489. N.N., Klagen (1789) = N.N., Klagen einer unglücklichen Ehefrau und Beruhigungen derselben durch ihre Freundin, in: Beiträge zur Beruhigung und Aufklärung 1 (1789), S. 624– 638. N.N., Auflösung (1791) = N.N., Auflösung eines von Herrn P. B[…] zu W[…] aufgegebenen Problems, in: Monatsschrift von und für Mecklenburg 4 (1791), Sp. 627–632. N.N., Ehelosigkeit (1793) = N.N., Ehelosigkeit der Geistlichen, in: Almanach für Aerzte und Nichtaerzte (1793), S. 242–254. N.N., Rezension Ferber in Beiträge (1797) = N.N., Rezension zu: von Ferber, Christian Carl Friedrich, Ueber die Ehe und Ehelosigkeit in moralisch-politischer Hinsicht. Ein Versuch, die ehelichen Verbindungen zu befördern, Berlin 1796, in: Beiträge zur Beruhigung und Aufklärung 5 (1797), H. 4, S. 231–235. N.N., Rezension Ferber in Bibliothek (1797) = N.N., Rezension zu: von Ferber, Christian Carl Friedrich, Ueber die Ehe und Ehelosigkeit in moralisch-politischer Hinsicht. Ein Versuch, die ehelichen Verbindungen zu befördern, Berlin 1796, in: Neue allgemeine deutsche Bibliothek 30/1 (1997), H. 2, S. 60–62. N.N., Ehescheidung (1802) = N.N., Ehescheidung, in: Der Genius des neunzehnten Jahrhunderts 4 (1802), S. 190–196. N.N., Sühnsversuche (1808) = N.N., Ueber Ehescheidungen und Sühnsversuche, in: Schlesische Provinzialblätter 47 (1808), S. 110–121. N.N., Art. Ehe, in: Real-Encyclopädie 3 (1822) = N.N., Art. Ehe, in: Allgemeine deutsche Real-Encyclopädie für die gebildeten Stände, Bd. 3, Leipzig 51822, S. 554f.

2. GEDRUCKTE QUELLEN

393

N.N., Kleinkinderschulen (1829) = N.N., Ueber Kleinkinderschulen, auch Kinderhäuser, Kinderstuben genannt, in: Der Thüringer Volksfreund 1 (1829), Nr. 19 (9.5.1829), Nr. 20 (16.5.1829), S. 153–156, 161–163. PÖRSCHKE, Vorbereitungen (1795) = PÖRSCHKE, Karl Ludwig, Vorbereitungen zu einem populären Naturrechte, Königsberg 1795. RAHN, Mund (1808) = RAHN, Gottlieb Ludwig, Thue deinen Mund auf für die Stummen, und für die Sache derer, die verlassen, in: Schlesische Provinzialblätter 47 (1808), S. 134– 140. RIEHL, Naturgeschichte 3 (1856) = RIEHL, Wilhelm Heinrich, Die Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Social-Politik, Bd. 3: Die Familie, Stuttgart/Augsburg 41856. RÖHR, Predigt (1823) = RÖHR, Johann Friedrich, Predigt am Bußtage 1822, in: TZSCHIRNER, Heinrich Gottlieb (Hg.), Magazin für christliche Prediger, Hannover/Leipzig 1823. SCHEIDEMANTEL, Staatsrecht (1775) = SCHEIDEMANTEL, Heinrich Gottfried, Das allgemeine Staatsrecht überhaupt und nach der Regierungsreform, Jena 1775. SCHLEGEL, Ehescheidung (1809) = SCHLEGEL, Johann Karl Fürchtegott, Ueber Ehescheidung, besonders die Ehescheidung durch landesherrliche Dispensation, Hannover 1809. SCHWABE, Verwahrschulen (1828) = SCHWABE, Johann Friedrich Heinrich, Einige Gedanken über Verwahr- oder sogenannte Kleinkinder-Schulen, Neustadt an der Orla 1828. V. STAËL HOLSTEIN, Deutschland 1 (1815) = VON STAËL HOLSTEIN, Anne Germaine, Deutschland. Aus dem Französischen Übersetzt, Bd. 1, Reutlingen 1815. TEUSCHER, Kirchenrecht (1848) = TEUSCHER, Friedrich, Handbuch des evangelischen Kirchenrechts im Großherzogthume Sachsen-Weimar-Eisenach, mit steter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorschriften über das evangelische Volksschulwesen, Neustadt an der Orla 1848. WAGNITZ, Nachrichten 2/1 (1792) = WAGNITZ, Heinrich Balthasar, Historische Nachrichten und Bemerkungen über die merkwürdigsten Zuchthäuser in Deutschland. Nebst einem Anhange über die zweckmässigste Einrichtung der Gefängnisse und Irrenanstalten, Halle an der Saale 1791–1794.

394

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

WEINHOLD, Gleichgewicht (1829) = WEINHOLD, Karl August, Das Gleichgewicht der Bevölkerung, als Grundlage der Wohlfahrt der Gesellschaft und der Familien, Leipzig 1829. V. WERKMEISTER, Bemerkungen (1805) = VON WERKMEISTER, Benedikt Maria, Bemerkungen über Herrn Jäger’s Untersuchung: Ob die Ehescheidung nach Lehre der Schrift und der Kirche ältesten Geschichte erlaubt sey oder nicht? Von dem Verfasser des Beweises, daß bey den Protestanten übliche Ehescheidungen vom Bande, auch nach katholischen Grundsätzen gültig sind, Würzburg/Bamberg 1805. WIEDENFELD, Ehescheidung (1837) = WIEDENFELD, Carl Wilhelm, Ueber die Ehescheidung unter den Evangelischen. Ein Beitrag zur Reformation des protestantischen Eherechts, Leipzig 1837. WIESNER, Vormundschaftsrecht (1785) = WIESNER, Johann Christoph, Das Vormundschaftsrecht sowol nach den gemeinen deutschen, kanonischen und römischen als auch nach den heutigen statuarischen vorzüglich nach Sächsischen, Schlesischen und übrigen Preussischen Rechten theoretisch und praktisch in systematischer Ordnung abgehandelt, Halle an der Saale 1785. V. WOLZOGEN, Nachlaß 2 (1849) = VON WOLZOGEN, Caroline, Literarischer Nachlaß, hrsg. von Karl VON HASE, Bd. 2, Leipzig 1849. V. WOLZOGEN, Schriften 2/2 (1830) = DIES., Gesammelte Schriften, hrsg. von Peter BOERNER, Bd. 2, Teil 2, Berlin 1830, ND Hildesheim 2005.

Nachschlagewerke und Periodika BUSCH u.a. (Hg.), Wörterbuch medicinische Wissenschaften 14 (1836) = BUSCH, Dietrich Wilhelm Heinrich u.a. (Hg.), Encyclopädisches Wörterbuch der medicinischen Wissenschaften, Berlin 1828–1849. CAMPE, Erläuterung (1801) = CAMPE, Joachim Heinrich, Wörterbuch für Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke, ein Ergänzungsband zu Adelungs Wörterbuche, Braunschweig 1801. CAMPE (Hg.), Wörterbuch 2 (1808) = DERS. (Hg.), Wörterbuch der Deutschen Sprache, Bd. 2, Braunschweig 1808.

2. GEDRUCKTE QUELLEN

395

Gesetzsammlung Gotha (1827–1830) = Gesetzsammlung für das Herzogthum Gotha. Erster Theil, enthaltend die unter der Regierung des Durchlauchtigsten Herzogs Ernst zu Sachsen-Coburg-Gotha etc. vom März 1827 bis zum Ende des Jahres 1830 unter No. I. bis LX. erlassenen Gesetze und Verordnungen, [Gotha] 1827– 1830. Gesetzsammlung Gotha (1831–1834) = Gesetzsammlung für das Herzogthum Gotha. Zweiter Theil, enthaltend die unter der Regierung des Durchlauchtigsten Herzogs Ernst zu SachsenCoburg-Gotha etc. vom Anfang des Jahres 1831 bis zu Ende des Jahres 1834 unter No. LXI. bis CXIII. erlassenen Gesetze und Verordnungen, [Gotha] 1831–1834. V. GÖCKEL, Gesetze [Bd.] ([Jahr]) = VON GÖCKEL, Ferdinand u.a. (Hg.), Sammlung Großherzogl. S. WeimarEisenachischer Gesetze, Verordnungen und Circularbefehle in chronologischer Ordnung, Eisenach/Jena 1828–1868. GRIMM u.a. (Hg.), Wörterbuch 30 (1860) = GRIMM, Jacob/GRIMM, Wilhelm u.a. (Hg.), Deutsches Wörterbuch, Leipzig 1854–1961. HAMBERGER u.a., Teutschland 18 (1821) = HAMBERGER, Georg Christoph/Meusel, Johann Georg (Hg.), Das gelehrte Teutschland, oder Lexicon der jetztlebenden teutschen Schriftsteller, Lemgo 1767–1834. KALTSCHMIDT, Kurzgefasstes (1834) = KALTSCHMIDT, Jakob Heinrich, Kurzgefasstes vollständiges stamm- und sinnverwandschaftliches Gesammt-Wörterbuch der Deutsche Sprache, Leipzig 1834. V. KAMPTZ (Hg.), Gesetzgebung (1814–1845) = VON KAMPTZ, Karl Albert (Hg.), Jahrbücher für die Preußische Gesetzgebung, Rechtswissenschaft und Rechtsverwaltung, Berlin 1814–1845. KRÜNITZ (Hg.), Encyklopädie [Bd.] ([Jahr]) = KRÜNITZ, Johann Georg (Hg.), Oeconomische Encyklopädie oder allgemeines System der Staats-Stadt-Haus- u. Landwirtschaft, Berlin 1773– 1858. MEYNIER, Zeitungslexicon (1821) = MEYNIER, Johann Heinrich, Neues Conversations- und Zeitungslexicon für alle Stände, Nürnberg 1821. OBERLÄNDER, Juridicum (1753) = OBERLÄNDER, Samuel, , Lexicon Juridicum Romano-Teutonicum, hrsg. von Rainer POLLEY, Nürnberg 1753, ND Köln u.a. 42000.

396

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

RB [Bd.] ([Jahr]) = Großherzoglich Sachsen-Weimar-Eisenach’sches Regierungs-Blatt auf das Jahr […], Weimar 1817–1836. J. SCHMIDT, Aeltere [Bd.] ([Jahr]) = SCHMIDT, Johannes (Hg.), Aeltere und neuere Gesetze, Ordnungen und Circular-Befehle für das Fürstenthum Weimar und die Jenaische Landes-Portion bis zum Ende des Jahres 1804 in alphabetischen wörtlichen Auszug gebracht, Jena 1800–1805. SCHMITTHENNER, Wörterbuch (1837) = SCHMITTHENNER, Friedrich, Kurzes Deutsches Wörterbuch für Etymologie, Synonymik und Orthographie, Darmstadt 21837. Staatskalender [Jahr] = Hochfürstlicher SachsenWeimar- und Eisenachischer Hof- und AddreßCalender, auf das Jahr 1770–1806. Mit Hochfürstlich gnädigster Erlaubniß, Weimar 1770–1806. Herzoglich SachsenWeimar- und Eisenachischer Hof- und Addreß-Calender, auf das Jahr 1807–1815. Mit Herzoglich gnädigster Erlaubniß, Jena 1807– 1815. Großherzoglich Sachsen-Weimar-Eisenachisches Hof- und Staats-Handbuch, auf das Jahr 1816 und 1819, Weimar 1816 und 1819. WWA [Jahrgang] ([Jahr]) = Weimarische Wöchentliche Anzeigen, Weimar 1764–1800. WWB [Jahrgang] ([Jahr]) = Weimarisches Wochenblatt, Weimar 1801–1831. ZEDLER, Universallexicon [Bd.] ([Jahr]) = ZEDLER, Johann Heinrich (Hg.), Grosses vollständiges Universallexicon aller Wissenschafften und Künste, Halle an der Saale/Leipzig 1732–1754. ZWETZ (Hg.), Repertorium (1874) = ZWETZ, Friedrich (Hg.), Repertorium über die von 1811 bis einschließlich 1873 in dem Regierungsblatte des Großherzogthums Sachsen WeimarEisenach sowie in dessen officiellen Wochen- und Zeitungsblättern erlassenen ingleichen über die von 1867 bis einschließlich 1873 in dem Gesetzblatte des norddeutschen Bundes bezüglich des Deutschen Reichs publicirten Gesetze, Verordnungen und Bekanntmachungen mit Berücksichtigung der v. Göckelschen Gesetzsammlung, Jena 1874.

2. GEDRUCKTE QUELLEN

397

Gesetzeswerke ALR [Teil], [Titel] = Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten, 2 Teile, Berlin 1794. CIC/1983, Can. [Nr. des Canon] = Codex des kanonischen Rechtes. Lateinisch-deutsche Ausgabe, hrsg. im Auftrag der Deutschen und der Berliner Bischofskonferenz, Kevelaer 1983. V. COCCEJUS (Hg.), Novum corpus constitionum 7 (1786) = Novum Corpus Constitutionum Prussico-Brandenburgensium Praecipue Marchicarum, Oder Neue Sammlung Königl. Preußl. und Churfürstl. Brandenburgischer, sonderlich in der Chur- und Marck-Brandenburg, Wie auch andern Provintzien, publicirten und ergangenen Ordnungen, Edicten, Mandaten, Rescripten […], hrsg. von Samuel VON COCCEJUS, Berlin 1753– 1822. Ehe-Ordnung (1707) = Fürstlich Sächsische Ehe-Ordnung Wie dieselbe hinfüro in den gesamten Weimarischen Fürstenthum und Landen gehalten werden soll, Weimar 1707. Gerichts-Proceß- und Executionsordnung (1702) = Gerichts-Proceß- und Executionsordnung Des Durchleuchtigsten Fürsten und Herrn Hzn. Johann Wilhelms Herzogen zu Sachsen / Jülich / Cleve und Berg / auch Engern und Westphalen / Landgrafen in Thüringen / Marggrafen zu Meißen / GefürstetenGrafen zu Henneberg / Grafen zu der Marck / Ravensberg / Sayn und Witgenstein / Herrn zu Ravenstein. Nach welcher in Ihrer Fürstl. Durchl. Fürstenthum und Landen sowol die Ordinar als summarische Proceße geführet / und die Executiones vollstrecket werden sollen / Nebst einer Anweisung wie in peinlichen Fällen zu verfahren / Imgleichen der revidirten Tax-Ordnung, Eisenach/Jena 1702. Kirchenordnung (1664) = Derer Durchleuchtigsten / Hochgebornen Fürsten und Herren / Herrn Johann Ernsts / Herrn Adolph Wilhelms / Herrn Johann Georgens und Herrn Bernhards Gebrüderer / Hertzogen zu Sachsen / Jülich / Cleve und Bergen / Marck-Grafen zu Meissen, Thüringen, Henneberg, Ravensberg und Ravenstein / Verbesserte Kirchen-Ordnung / Uff Ihrer Fürstl. Durchleuchtigkeiten gesambte Fürstenthume und Lande gerichtet, Weimar 1664. Landesordnung (1589) = Der Durchlauchtigen Hochgebornen Fürsten und Herren, Herren Friederich Wilhelms, und Herren Johansen Gebrüdern, Hertzogen zu Sachsen, Landgraven in Düringen, und Marggraven zu Meissen, etc. Policey und Landesordnunge, zu wolfart, nutz und besten derselben Underthanen und Fürtenthumb bedacht und augangen, Jena 1589.

398

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

N.N., Dirnen und Kinder-Mord (1763) = Erneuertes Mandat und Verordnung wider die Dirnen, so ihre Kinder exponieren und aussetzen. Und den Kinder-Mord, Bern 1763. SEHLING I/1 = Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, 1. Abt.: Sachsen und Thüringen, nebst angrenzenden Gebieten, 1. Hälfte: Die Ordnungen Luthers. Die ernestinischen und albertinischen Gebiete, hrsg. von Emil SEHLING, Leipzig 1902. Statuta Weimar (1702) = Statuta der Fürstl. Sächß. Residentz-Stadt Weimar, Weimar 1702. Weimarische Stadt-Ordnung (1811) = Weimarische Stadt-Ordnung, Weimar 1811.

Brief- und Werkseditionen BEREND, Jean Pauls Werke 4/2 (2004) = Jean Pauls Werke. Historisch-kritische Ausgabe, hrsg. von Eduard BEREND, Abt. 4: Briefe an Jean Paul, Bd. 2: 1794–1797, Leipzig 2004. DOBBEK/ARNOLD, Herder Briefe 8 (1984) = Herder, Johann Gottfried, Briefe. Gesamtausgabe 1763–1803, hrsg. von Wilhelm DOBBEK und Günter ARNOLD, Bd. 8: Januar 1799 bis November 1803, Weimar u.a. 1984. DOBBEK/Arnold, HERDER Briefe 12 (2005) = Herder, Johann Gottfried, Briefe. Gesamtausgabe 1763–1803, hrsg. von Wilhelm DOBBEK und Günter ARNOLD, Bd. 12: Kommentar zu den Bänden 4 bis 5, Weimar u.a. 2005. G WA [Abteilung]/[Bd] = Goethes Werke. Weimarer Ausgabe, hrsg. im Auftrag der Großherzogin Sophie von Sachsen, 146 Bde., Weimar 1887–1919, ND München 1987– 1990. 1/20 = Abteilung 1, Bd. 20, Weimar 1892. 4/7 = Abteilung 4, Bd. 7, Weimar 1891. 4/27 = Abteilung 4, Bd. 27, Weimar 1903. HERDER, Predigt Erbprinz (1783), in: Herders Sämtliche Werke 31 = HERDER, Johann Gottfried, Herders Sämtliche Werke, hrsg. von Bernhard SUPHAN, Bd. 31: Predigten, Schriften aus dem geistlichen Amt, Amtliche Schriftstücke, Berlin 1889. GOEDEKE, Schiller mit Körner (1878) = Schillers Briefwechsel mit Körner, hrsg. von Karl GOEDEKE, Leipzig 1878.

2. GEDRUCKTE QUELLEN

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Wielands Briefwechsel 13/1 (1999) = Wielands Briefwechsel, hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Siegfried SCHEIBE, Bd. 13, Teil 1, Berlin 1999. SYDOW, Humboldt 1 (1906) = Wilhelm und Caroline von Humboldt in ihren Briefen, hrsg. von Anna VON SYDOW, Bd. 1, Berlin 1906. V. URLICHS, Charlotte 2 (1862) = Charlotte von Schiller und ihre Freunde, hrsg. von Ludwig VON URLICHS, Bd. 2, Stuttgart 1862.

400

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

3. Literatur 3. LITERATUR

ALBER u.a., Verwandtschaft (2010) = ALBER, Erdmute u.a., Verwandtschaft heute. Positionen, Ergebnisse und Forschungsperspektiven, in: DIES. (Hg.), Verwandtschaft heute. Positionen, Ergebnisse und Perspektiven, Berlin 2010, S. 7–44. ALFING/SCHEDENSACK, Frauenalltag (1994) = ALFING, Sabine/SCHEDENSACK, Christine (Hg.), Frauenalltag im frühneuzeitlichen Münster, Bielefeld 1994 (Münsterische Studien zur Frauenund Geschlechtergeschichte, 1). ASSFALG, Strafen (2001) = ASSFALG, Winfried, Strafen und Heilen. Scharfrichter, Bader und Hebammen, Bad Buchau 2001 (Geschichte und Kultur. Landkreis Biberach, 5). BASTL, Tugend (2000) = BASTL, Beatrix, Tugend, Liebe, Ehre. Die adelige Frau in der Frühen Neuzeit, Wien 2000. BATEN/MURRAY, Bastardy (1997) = BATEN, Jorg/MURRAY, John E., Bastardy in South Germany Revisited. An Anthropometric Synthesis, in: The Journal of Interdisciplinary History 28 (1997), S. 47–56. BAUER u.a., Fürsorge (2011) = BAUER, Joachim u.a., Zwischen Fürsorge und Zwang. Das Hebammenwesen im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert, in: SCHLEUßNER, Ekkehard (Hg.), Vom Accouchierhaus zur Universitäts-Frauenklinik. Symposium 230 Jahre Frauenklinik Jena, Kranichfeld 2011, S. 13–45. BAUMANN, Methode (2001) = BAUMANN, Anette, Die quantifizierende Methode und die Reichskammergerichtsakten, in: DIES. u.a. (Hg.), Prozeßakten als Quelle. Neue Ansätze zur Erforschung der höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, Köln u.a. 2001 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, 37), S. 55–67. L. BECK, Gynäkologie (1986) = BECK, Lutwin (Hg.), Zur Geschichte der Gynäkologie und Geburtshilfe. Aus Anlaß des 100jährigen Bestehens der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, Berlin 1986. R. BECK, Frauen in Krise (1992) = BECK, Rainer, Frauen in Krise. Eheleben und Ehescheidung in der ländlichen Gesellschaft Bayerns während des Ancien Régime, in: VAN DÜLMEN, Richard (Hg.), Dynamik der Tradition, Frankfurt am Main 1992 (Studien zur historischen Kulturforschung, 4), S. 137–212.

3. LITERATUR

401

R. BECK, Illegitimität (1983) = DERS., Illegitimität und voreheliche Sexualität auf dem Land. Unterfinning 1671–1770, in: VAN DÜLMEN, Richard (Hg.), Kultur der einfachen Leute, München 1983, S. 112–150. BECKER, Lebensgemeinschaft (1978) = BECKER, Hans-Jürgen, Die nichteheliche Lebensgemeinschaft (Konkubinat) in der Rechtsgeschichte, in: LANDWEHR, Götz (Hg.), Die nichteheliche Lebensgemeinschaft, Hamburg 1978, S. 13–38. BELTHLE, Blutgerichtsbarkeit (2003) = BELTHLE, Helmut, ,Jetzo er noch viel zu jung und untüchtig sei dem hiesigen Dienst vorzustehen‘. Die Blutgerichtsbarkeit und das Amt des Scharfrichters in Tübingen, in: Genealogisches Jahrbuch 43 (2003), S. 5–54. BENKER, Ehre (1986) = BENKER, Gitta, ,Ehre und Schande‘. Voreheliche Sexualität auf dem Lande im ausgehenden 18. Jahrhundert, in: GEYER-KORDESCH, Johanna M./KUHN, Annette (Hg.), Frauerkörper – Medizin – Sexualität. Auf dem Wege zu einer neuen Sexualmoral, Düsseldorf 1986, S. 10–27. BERGER, Anna Amalia (2003) = BERGER, Joachim, Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach (1739–1807). Denk- und Handlungsräume einer ,aufgeklärten‘ Herzogin, Heidelberg 2003 (Ereignis Weimar-Jena, 4). BERGER, Art. Sachsen-Weimar-Eisenach, Anna Amalia, in: FrauenGestalten (2009) = DERS., Art. Sachsen-Weimar-Eisenach, Anna Amalia, in: FrauenGestalten (2009), S. 273. BLASIUS, Ehescheidung (1987) = BLASIUS, Dirk, Ehescheidung in Deutschland 1794–1945. Scheidung und Scheidungsrecht in historischer Perspektive, Göttingen 1987 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 74). BLASIUS, Ehescheidung (1992) = DERS., Ehescheidung in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1992. BLASIUS, Last (1992) = DERS., Die Last der Ehe. Zur Sozialgeschichte der Frau im Vormärz, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 21 (1992), S. 1–20. BLASIUS, Reform (1997) = DERS., Reform gegen die Frau. Das preußische Scheidungsrecht im frühen 19. Jahrhundert, in: GERHARD, Ute (Hg.), Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, München 1997, S. 659–669.

402

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

BLEEKE, Familienrecht (2009) = BLEEKE, Markus, Ehe- und Familienrecht zwischen protestantischen Territorialstaat und universellem katholischen Kirchenrecht. Ein Beitrag zur Etablierung des Katholizismus in Sachsen-Weimar-Eisenach, in: Falk-Jahrbuch 3 (2009), S. 163–186. BOCK, Handbuch Gesetze (1900) = BOCK, Wilhelm, Wilhelm Bocks Handbuch zum Nachschlagen der im Grossherzogthum Sachsen-Weimar-Eisenach geltenden Landes- und wichtigeren Reichsgesetze sowie der Verordnungen und Bekanntmachungen der Reichs- und Landesbehörden, hrsg. von Hermann ORTLOFF, Weimar 1900. BOURDIEU, Kapital (1983) = BOURDIEU, Pierre, Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital, in: KRECKEL, Reinhard (Hg.), Soziale Ungleichheiten, Göttingen 1983 (Soziale Welt. Sonderband), S. 183–198. BREIT, Leichtfertigkeit (1991) = BREIT, Stefan, ‚Leichtfertigkeit‘ und ländliche Gesellschaft. Voreheliche Sexualität in der Frühen Neuzeit, München 1991 (Ancien Regime – Aufklärung und Revolution, 23). BRÜDERMANN, Studenten (1990) = BRÜDERMANN, Stefan, Göttinger Studenten und akademische Gerichtsbarkeit im 18. Jahrhundert, Göttingen 1990 (Göttinger Universitätsschriften. Serie A, Schriften, 15). BRUNNER, Ganze Haus (1968) = BRUNNER, Otto, Das ,ganze Haus‘ und die alteuropäische ,Ökonomik‘, in: DERS., Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, Göttingen 1968, S. 103–127. BUCHHOLZ, Art. Ehe, in: HRG 1 (2008) = BUCHHOLZ, Stefan, Art. Ehe, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 1, Berlin 2008, Sp. 1192–1213. BUCHHOLZ, Eheliteratur (1984) = DERS., Populäre Eheliteratur und partikuläre Rechtsreform: Nürnberg anno 1803, in: Ius Commune 12 (1984), S. 165–205. BUCHHOLZ, Eherecht (1981) = DERS., Eherecht zwischen Staat und Kirche. Preußische Reformversuche in den Jahren 1854 bis 1861, Frankfurt am Main 1981 (Ius Commune. Sonderheft, 13).

3. LITERATUR

403

BUCHHOLZ, Ehescheidungsrecht (1997) = DERS., Ehescheidungsrecht im späten 17. Jahrhundert. Marie Elisabeth Stoffelin und der Husar, in: GERHARD, Ute (Hg.), Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, München 1997, S. 105–114. BURGHARTZ, Zeiten (1999) = BURGHARTZ, Susanna, Zeiten der Reinheit – Orte der Unzucht. Ehe und Sexualität in Basel während der frühen Neuzeit, Paderborn 1999. BUSKE, Fräulein (2004) = BUSKE, Sybille, Fräulein Mutter und ihr Bastard. Eine Geschichte der Unehelichkeit in Deutschland 1900 bis 1970, Göttingen 2004 (Moderne Zeit, 5). CARIUS, Art. v. Einsiedel, Emilie, in: FrauenGestalten (2009) = CARIUS, Hendrikje, Art. v. Einsiedel, Emilie, in: FrauenGestalten (2009), S. 119–121. CARIUS, Art. v. Knebel, Henriette, in: FrauenGestalten (2009) = DIES., Art. v. Knebel, Henriette, in: FrauenGestalten (2009), S. 213–215. CARIUS, Art. v. Knebel, Luise, in: FrauenGestalten (2009) = DIES., Art. v. Knebel, Luise, in: FrauenGestalten (2009), S. 216–218. CARIUS, Handlungsspielräume (2005) = DIES., Rechtliche Handlungsspielräume. Frauen vor dem Jenaer Hofgericht um 1800, in: FRINDTE, Julia/WESTPHAL, Siegrid (Hg.), Handlungsspielräume von Frauen um 1800, Heidelberg 2005 (Ereignis Weimar-Jena, 10), S. 193– 210. CARIUS, Recht (2010) = DIES., Recht durch Eigentum. Eigentums- und Besitzrechtskonflikte vor dem Jenaer Hofgericht (1648–1806), Jena 2010 (Univ. Diss.). CARIUS, Recht (2012) = DIES., Recht durch Eigentum. Frauen vor dem Jenaer Hofgericht (1648– 1806), München 2012 (Bibliothek Altes Reich, 12). CARSTENSEN, Sohn (2010) = CARSTENSEN, Iris, Dem Sohn den Weg weisen. Zur Selbstthematisierung eines holsteinischen Landadeligen als Haus- und Familienvater in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: SCHMIDT-VOGES, Inken (Hg.), Ehe – Haus – Familie. Soziale Institutionen im Wandel 1750–1850, Köln u.a. 2010, S. 211– 237. COCHLOVIUS, Art. Ehe, in: ELThG 1 (1992) = COCHLOVIUS, Joachim u.a., Art. Ehe, Ehebruch, Ehescheidung, in: Evangelisches Lexikon für Theologie und Gemeinde 1 (1992), S. 471–477.

404 V. CZYHLARZ, Lehrbuch (1933) = VON CZYHLARZ, Karl, Lehrbuch

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

der Institutionen des Römischen Rechtes, Wien 191933. DAUMAS, Familles (2003) = DAUMAS, Philippe, Familles en Révolution. Vie et relations familiales en Île-de-France, changements et continuités (1775–1825), Rennes 2003 (Collection ,Histoire‘). DEINHARDT, Kirchenbücher (2004) = DEINHARDT, Katja, Kirchenbücher als Quelle für eine stadtgeschichtliche Studie am Beispiel Jenas um 1800, in: RIES, Klaus (Hg.), Zwischen Universität und Stadt. Aspekte demographischer Entwicklung in Jena um 1800, Weimar/Jena 2004, S. 155–178. DEINHARDT, Stapelstadt (2007) = DIES., Katja, Stapelstadt des Wissens. Jena als Universitätsstadt zwischen 1770 und 1830, Köln u.a. 2007 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen. Kleine Reihe, 20). DEINHARDT/FRINDTE, Ehe (2005) = DEINHARDT, Katja/FRINDTE, Julia [verh. DI BARTOLO], Ehe, Familie und Geschlecht, in: HAHN, Hans-Werner/HEIN, Dieter (Hg.), Bürgerliche Werte um 1800. Entwurf – Vermittlung – Rezeption, Köln u.a. 2005, S. 253–272. DI BARTOLO, Leben (2008) = DI BARTOLO, Julia, Selbstbestimmtes Leben um 1800. Sophie Mereau, Johanna Schopenhauer und Henriette von Egloffstein in Weimar-Jena, Heidelberg 2008. DIETRICH/HELLMANN (Hg.), Nimbaum (2006) = DIETRICH, Helga/HELLMANN, Birgitt (Hg.), Vom Nimbaum bis zur Pille. Zur kulturgeschichtlichen Vielfalt der Verhütungsmethoden, Weimar/Jena 2006. DILCHER, Ordnung (1997) = DILCHER, Gerhard, Die Ordnung der Ungleichheit. Haus, Stand und Geschlecht, in: GERHARD, Ute (Hg.), Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, München 1997, S. 55–72. DUDEN, Haut (2007) = DUDEN, Barbara u.a. (Hg.), Geschichte unter der Haut. Ein Eisenacher Arzt und seine Patientinnen um 1730, in: HARK, Sabine (Hg.), Dis/Kontinuitäten: feministische Theorie, Wiesbaden 2007 (Lehrbuch zur sozialwissenschaftlichen Frauen- und Geschlechterforschung, 3), S. 39–54.

3. LITERATUR

405

DUDEN, Ungeborenen (2002) = DIES., Geschichte des Ungeborenen. Zur Erfahrungs- und Wissenschaftsgeschichte der Schwangerschaft, 17.–20. Jahrhundert, Göttingen 2002 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 170). VAN DÜLMEN, Kindsmord (1991) = VAN DÜLMEN, Richard, Frauen vor Gericht. Kindsmord in der frühen Neuzeit, Frankfurt am Main 1991. VAN DÜLMEN, Kultur 1 (2005) = DERS., Kultur und Alltag in der frühen Neuzeit, 3 Bde., München 32005. VAN DÜLMEN, Theater (1995) = DERS., Theater des Schreckens. Gerichtspraxis und Strafrituale in der frühen Neuzeit, München 41995 (Beck’sche Reihe, 349). DUNCKER, Gleichheit (2003) = DUNCKER, Arne, Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe. Persönliche Stellung von Frau und Mann im Recht der ehelichen Lebensgemeinschaft 1700–1914, Köln u.a. 2003 (Rechtsgeschichte und Geschlechterforschung, 1). DÜRR, Dienstbote (1997) = DÜRR, Renate, ,Der Dienstbote ist kein Tagelöhner‘. Zum Gesinderecht (16. bis 19. Jahrhundert), in: GERHARD, Ute (Hg.), Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, München 1997, S. 115–139. DÜRR, Ehre (1998) = DIES., Die Ehre der Mägde zwischen Selbstdefinition und Fremdbestimmung, in: BACKMANN, Sibylle/ECKER-OFFENHÄUßER, Ute (Hg.), Ehrkonzepte in der frühen Neuzeit. Identitäten und Abgrenzungen, Berlin 1998 (Colloquia Augustana. Institut für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg, 8), S. 170–184. DÜRR, Mägde (1995) = DIES., Mägde in der Stadt. Das Beispiel Schwäbisch Hall in der Frühen Neuzeit, Frankfurt am Main 1995 (Geschichte und Geschlechter, 13). EBERHARDT, Umwelt (1951) = EBERHARDT, Hans, Goethes Umwelt. Forschungen zur gesellschaftlichen Struktur Thüringens, Weimar 1951 (Thüringische Archivstudien, 1). EDER, Kultur (2002) = EDER, Franz X., Kultur der Begierde. Eine Geschichte der Sexualität, München 2002. EHMER, Heiratsverhalten (1991) = EHMER, Josef, Heiratsverhalten, Sozialstruktur, ökonomischer Wandel. England und Mitteleuropa in der Formationsperiode des Kapitalismus, Göttingen 1991 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 92).

406

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

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QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

WAHL, Bad Sulza (1996) = WAHL, Volker, Die Zweigstelle Bad Sulza des Thüringischen Staatsarchives Weimar und ihr Schicksal zum Kriegsende 1945, in: Die amerikanische Besatzungszeit, hrsg. vom Apoldaer Kulturverein e.V., Apolda 1996, S. 28–40. WAHL (Hg.), Kind (2004) = DERS. (Hg.), ,Das Kind in meinem Leib‘. Sittlichkeitsdelikte und Kindsmord in Sachsen-Weimar-Eisenach unter Carl August. Eine Quellenedition 1777– 1786, Weimar 2004 (Veröffentlichungen aus thüringischen Staatsarchiven, 10). WATT, Divorce (1989) = WATT, Jeffrey R., Divorce in early modern Neuchâtel, 1547–1806, in: Journal of family history 14 (1989), Nr. 2, S. 137–155. WEBER, Wirtschaft (2009) = WEBER, Max, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, hrsg. von Johannes WINCKELMANN, Tübingen 52009. WEISS, Brunner (2001) = WEISS, Stefan, Otto Brunner und das Ganze Haus oder Die zwei Arten der Wirtschaftsgeschichte, in: Historische Zeitschrift 273 (2001), S. 335–369. WENDLAND, Kirchenbuße (1917) = WENDLAND, Walter, Zur Geschichte der öffentlichen Kirchenbuße in Brandenburg im 18. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Brandenburgische Kirchengeschichte 15 (1917), S. 45–65. WERKSTETTER, Frauen (2001) = WERKSTETTER, Christine, Frauen im Augsburger Zunfthandwerk. Arbeit, Arbeitsbeziehungen und Geschlechterverhältnisse im 18. Jahrhundert, Berlin 2001 (Colloquia Augustana, 14). WESTPHAL, Aufklärung (2010) = WESTPHAL, Siegrid, Aufklärung als geschlechtsspezifischer Bildungsprozess?, in: SCHMIDT-VOGES, Inken (Hg.), Ehe – Haus – Familie. Soziale Institutionen im Wandel 1750–1850, Köln u.a. 2010, S. 49–70. WESTPHAL u.a., Venus (2011) = DIES. u.a., Venus und Vulcanus. Ehen und ihre Konflikte in der Frühen Neuzeit, München 2011 (Bibliothek Altes Reich, 6). WIENFORT, Verliebt (2014) = WIENFORT, Monika, Verliebt, Verlobt, Verheiratet: Eine Geschichte der Ehe seit der Romantik, München 2014. WILLKOMMEN, (Aus-)Wege (2018) = WILLKOMMEN, Alexandra, (Aus-)Wege aus der Ehe – Die Scheidungen der Ehepaare von Berlepsch und von Werthern, in: HAIN, Christian (Hg.), Neue Falkiana. Forschungen zu Johannes Daniel Falk, seinem Werk und seiner Zeit, Eutin 2018, S. 41–75.

3. LITERATUR

429

WILLKOMMEN, Ehescheidung (2009) = DIES., Ehescheidung im Umkreis des Weimarer Hofes um 1800. Wissenschaftliche Hausarbeit zur Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien, Jena 2009. WILLKOMMEN, Schiller (2011) = DIES., Friedrich Schiller als Trennungsgrund? Ehekonflikt und Ehescheidung bei Caroline von Wolzogen und Charlotte von Kalb, in: Weimar-Jena: Die große Stadt – Das kulturhistorische Archiv 4 (2011), Nr. 2, S. 95–114. WILSON, Goethe (2012) = WILSON, W. Daniel, Goethe Männer Knaben, Berlin 2012. WOLTER, Bedenket (2003) = WOLTER, Stefan, ,Bedenket das Armuth‘. Das Armenwesen der Stadt Eisenach im ausgehenden 17. und im 18. Jahrhundert. Almosenkasse, Waisenhaus, Zuchthaus, Göttingen 2003. WOLTER, Zwinget (2001) = DERS., ,,…zwinget mich nicht dahin zu gehen, wo ich aller Schamhaftigkeit vergeßen sein soll‘. Aus den Anfängen der Jenaer Entbindungsanstalt, in: LOYTVED, Christine (Hg.), Von der Wehemutter zur Hebamme. Die Gründung von Hebammenschulen mit Blick auf ihren politischen Stellenwert und praktischen Nutzen, Osnabrück 2001 (Frauengesundheit, 1), S. 79–96. WUNDER, Einleitung (2002) = WUNDER, Heide, Einleitung: Dynastie und Herrschaftssicherung. Geschlechter und Geschlecht, in: DIES. (Hg.), Dynastie und Herrschaftssicherung in der Frühen Neuzeit. Geschlechter und Geschlecht, Berlin 2002 (Zeitschrift für historische Forschung. Beiheft, 28), S. 9–28. WUNDER, Gesellschaftlicher Ort (1992) = DIES., Der gesellschaftliche Ort von Frauen der gehobenen Stände im 17. Jahrhundert, in: HAUSEN, Karin/WUNDER, Heide (Hg.), Frauengeschichte – Geschlechtergeschichte, Frankfurt a.Main 1992 (Geschichte und Geschlechter, 1), S. 50–66. WUNDER, Sonn (1992) = DIES., ,Er ist die Sonn’, sie ist der Mond‘. Frauen in der Frühen Neuzeit, München 1992. WUNDER/VANJA (Hg.), Wandel (1991) = WUNDER, Heide/VANJA, Christina (Hg.), Wandel der Geschlechterbeziehungen zu Beginn der Neuzeit, Frankfurt a.Main 1991. ZINNER, Pflanzen (2006) = ZINNER, Angelika, Empfängnisverhütende Pflanzen – Eine Auswahl!, in: DIETRICH, Helga/HELLMANN, Birgitt (Hg.), Vom Nimbaum bis zur Pille. Zur kulturgeschichtlichen Vielfalt der Verhütungsmethoden, Weimar/Jena 2006 (Städtische Museen Jena, 17), S. 27–58.

PERSONENREGISTER PERSONENREGISTER

Das Register verzeichnet die Namen aller im Textteil erwähnten Personen. Alle im Fußnotenteil erwähnten historischen Persönlichkeiten wurden ebenfalls erfasst. Jedoch ist darauf verzichtet worden, die Namen der Personen aufzunehmen, auf die im Fußnotenteil nur im Kontext der Forschungsdiskussion rekurriert wird. Ebenso wurden alle Personennamen, die lediglich in bibliographischen Angaben erscheinen, nicht verzeichnet.

Adelheid Königin von Großbritannien und Irland geb. von SachsenMeiningen 44 Anna Amalia Herzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach geb. von Braunschweig-Wolfenbüttel 44, 50, 108, 119, 124, 141, 173, 176, 206f, 337 Alexander I. Zar von Russland 44 Apel, Christian Friedrich 266 Apel geb. Pfahlbusch, Marie Catharine 266 Augustus, römischer Kaiser 57 Bächert, Maria Elisabethe 103, 125 Bartholmä, Carl Christian Wilhelm 139, 152 Bauer, Andreas Firmus 59 Bauer, Johann Heinrich 85f, 96 Bauer geb. Bohn, Christiana Constantia 270 Beccaria, Cesare 160 Becker, Heinrich 271f, 344 Becker, Johann David Gottlob 210 Becker, Rudolf Zacharias 41, 58, 77f, 83, 162, 170 Berg, Johann Christian 128, 256f Berlepsch geb. von Oppel verh. Harms, Emilie von 131f, 141 Berlepsch, Friedrich Ludwig von 141 Bertuch, Friedrich Johann Justin 15

Beulwitz, Friedrich Wilhelm Ludwig von 130f Böhmer, Johann Samuel Friedrich von 57 Böttiger, Carl August 13 Boyneburg, Friedrich August Gottfried von 272 Brehm, Susanna Christiana 137 Brehme, Wilhelm Heinrich Ludwig 134 Breitenbauch, [Frau] von 124 Breitenherd, Johanna Rosina Wilhelmina 125, 147 Buchholz, Wilhelm Heinrich Sebastian 15 Buchwald, Carl Wilhelm von 153 Burgsdorf, Georg Heinrich von 206 Campe, Joachim Heinrich 77–79 Carl August Herzog von SachsenWeimar-Eisenach 13, 15, 25f, 33, 44, 51, 53f, 56, 59, 68, 107, 114, 118–120, 122, 124, 126, 140, 152f, 163, 176–178, 180f, 184–186, 194, 196, 198f, 205, 207f, 212, 223f, 227, 233f, 241, 246, 249f, 254, 259, 261, 264–267, 269–276, 280, 283–290, 292, 295–297, 300, 303f, 308–314, 317f, 321, 324f, 327, 336, 340–346, 354

432 Carl Friedrich Herzog von SachsenWeimar-Eisenach 33, 44, 51, 169, 198f, 202–204, 208, 223f, 254, 269, 291, 300, 346 Cavemann, Daniel Conrad Christian 370 Cavemann geb. Buddeus, Clara Sophie Henriette 370 Christian VII. König von Dänemark und Norwegen 292f Ciofano, Karl Salvator 370 Ciofano geb. Heidloff, Christiane 72, 370 Cramer, Christoph Ludwig Wilhelm 342 Dacheröden verh. von Humboldt, Caroline von 128 Dahlberg, Carl Theodor von 123 Danckelmann, [Legationsrat] von 271f Danz, [Familie] 49 Döpel geb. Wohlfeld, Eva Catharina 125 Dumanoir, Claude 89 Durand, August 272 Ebhard, Johann Valentin 370 Ebhard verw. Friedel geb. Lug, Christina Elisabetha 370 Eckardt, [Ehepaar] 290 Eckardt, Johann Ludwig (von) 185 Eckardt, Johann Nicol 192f Eckermann, Jakob Christoph Rudolf 170 Egloffstein gesch. von und zu Egloffstein, verh. von BeaulieuMarconnay, Henriette von und zu 25, 108, 141, 143 Ehlig, [Wirtsleute] 126, 192f Ehlinger, Carl 125, 147

PERSONENREGISTER

Einsiedel, August Hildebrand von 141 Einsiedel, Johann August von 13–15, 24, 140f, 158, 171f, 246, 325, 329, 351 Elchlepp, [Frau] 72 Ernst August I. Herzog von SachsenWeimar 150, 206, 262 Ernst August II. Constantin Herzog von Sachsen-Weimar 41, 44, 175f, 183, 333 Färber, Johann Gottlieb 272 Färber geb. Scheidemantel, Christiane 128, 272 Falk, Johannes Daniel 26, 92f Ferber, Christian Carl Friedrich von 169f Franke, Johann Adam 260 Franz Josias Herzog von SachsenCoburg-Saalfeld 183, 206, 333 Frenzel, Franz Christoph 46, 202, 338 Friedrich II. König von Preußen 163, 188f, 228, 343 Friedrich Ferdinand Constantin Prinz von Sachsen-Weimar-Eisenach 44 Friedrich Wilhelm I. König in Preußen 163 Friedrich Wilhelm Herzog von Sachsen-Weimar 153 Friedrich Wilhelm II. König von Preußen 44 Fritsch, Carl Abraham von 128 Fritsch, Carl Wilhelm von 211f, 319, 321 Fritsch, Jakob Friedrich von 59 Gareis, Carl Wilhelm 263, 370 Gareis geb. Lippold, Dorothea Magdalena 370

PERSONENREGISTER

Gentzsch, Johann Christoph Carl 267, 272 Gesky, Franz David 90f, 125, 138, 148f Gesky geb. Hering (Häring), Dorothea Elisabetha 90 Geßner, Heinrich 131 Gianini, Wilhelmine von 345 Gichau, Johannes 153 Gleim, Daniel 138 Glüsing, Conrad Jacob Leonhard 15, 58 Göchhausen, Johann August Friedrich von 95 Göckel, Ferdinand von 40, 56, 176, 280, 292, 295f, 300 Göhring, Wilhelm 56 Goethe, August Walther von 117– 119 Goethe, Johann Wolfgang von 13–17, 24, 33, 59, 83, 87, 98, 102, 117–199, 121f, 152, 212, 230, 259, 342f, 345, 349, 352 Götze, [Unteroffizier] 150 Golla, Carl 370 Golla geb. Dietrich, Friederike Ernestine Wilhelmine 370 Griesbach, Johann Jakob 91f Grobe, Christiana 136 Grotius, Hugo 204 Gruner, Christian Gottfried 161f, 164, 187 Härtel, Johann Friedrich 280 Halle, Johann Ferdinand Nikolaus 370 Halle geb. Schönewald, Marie Dorothee 370 Harras, Johann Ferdinand 370 Harras geb. Schnabel, Friederike 370 Hartung, [Ehepaar] 265

433 Hartung, Johann Carl August 270, 305 Harz, [Familie] 48 Haselbach, Johann Christian 370 Haselbach geb. Krahmer verh. Fritsche, Anne Catharina 270, 370 Hasert, Christoph Friedrich 165, 201f, 210, 214f, 334f, 348 Hasse, [Ehepaar] 153 Hauff, Johann Gottfried 115 Haupt, [Richter] 127, 129 Helke, [Schlossergeselle] 94 Hellfeld, Johann August von 57 Herder, [Ehepaar] 131, 141 Herder, Johann Gottfried von 163, 171f, 183, 226, 346 Hesselbarth, Carl Ferdinand Constantin 370 Hesselbarth geb. Dobenecker Christiane Friedericke Dorothee 370 Heu, [Frau] 52 Heuße, Christian Gottlieb 270 Heyder verh. Gesky, Margarethe Elisabeth 138 Heygendorff, Carl Wolfgang von 119 Hiller, [Dienstmagd] 47, 137 Hirschfeld, Johann Michael 103, 125 Hobbes, Thomas 322f Höhn, Johanna Catharina 59 Hößel, Johann Peter 97 Hößling, [Ehepaar] 274 Hofmann, Siegmund Heinrich 15 Holle, Gottlieb 307 Holzhauer, Wilhelm 117 Horn, Carl Friedrich 208, 219f Hugo, Gustav 233, 241, 243, 245– 247, 249f, 313f, 346, 351 Hume, David 41, 235f, 238f, 241, 264, 268

434 Ida Prinzessin von Sachsen-Meiningen verh. von Sachsen-WeimarEisenach 44 Jäger, [Herr] von 41 Jäger, [Kaplan] 238, 240, 243, 246, 248, 298 Jagemann, Christian Joseph 119, 141 Jagemann, Sophia Carolina Dorothea 119 Jagemann geb. Spörer, Marianne Barbara 119, 141 Jagemann nob. von Heygendorff, Caroline 33, 118–123, 127, 130, 212, 225, 230, 259, 345f Julius, Gustav 15 Jung geb. Zogbaum, Johanne Susanne Dorothee 307 Jungmeister, Henriette 135 Kämpfer, Johann Christian Andreas 134 Kästner, [Ehepaar] 337 Kaiser, [Ehepaar] 72, 283 Kalbe, Johann Christian 137 Kalitsch verh. Kalbe, Johanna Sophia 137 Kalkofe, Daniel 370 Kalkofe geb. Hugo, Anne Marie 370 Kayser, Johann Heinrich 128 Kirchhof, Christoph Gottlob 370 Kirchhof geb. Vent, Louise Friederika Christiana Elisabetha 370 Kirchner, Elisabeth 92, 94 Kladzig, [Ehepaar] 134 Kladzig, [Ehefrau] 72 Kladzig, Johann Wilhelm 272, 258 Kleinknecht, [Frau] 96 Kleinsteuber, Ernst Wilhelm Gottfried 370

PERSONENREGISTER

Kleinsteuber geb. Biber, Sara Magdalena 370 Knabe, Friedrich 125 Knebel, Carl Wilhelm von 126 Knebel, Henriette von 125 Knebel, Karl Ludwig von 124f Koch verh. Köchel, Eva Friederike Regine 279 Köchel, Johann Friedrich 279 König, Johann Heinrich Nikolaus 370 König geb. Hecker, Johanne Charlotte 370 Körbs verh. Sinn, Dorothea Magdalena 88 Körner, [Gärtner] 115 Körner, [Tischler] 282 Krause, Georg Melchior 15 Krünitz, Johann Georg 78 Kühn geb. Saalfelder, Ernestina 142 Kühndorf, Maria Magdalena 192, 335 L’Eveille, Francois 32, 280 La Roche, Carl 271f Lärz, [Familie] 48 Landerer geb. Härtel, Louise Marie 280 Langlotz, Johann Christoph 128 Lauffer, [Frau] 96f Lauhn, Johann Carl Christian 195, 212 Lauth, [Unteroffizier] 92 Le Scène-Desmaisons, Jacques 236– 239, 241, 244f Lengefeld geb. von Wurmb, Luise von 130f Leonhardi, Friedrich Gottlob 43, 49, 54, 87 Leonhardt, [ Familie] 265, 268 Leonhardt geb. Herrmann, Marie Sophie Christiane 265 Lesner, Sophia 117

PERSONENREGISTER

Leutholf, Sophie Elisabeth 177 Loder, Justus Christian 200 Löscher, Maria Elisabetha 148 Löwenstern, [Familie] von 127, 345 Lohmann, Otto Heinrich 271f Luise Prinzessin von HessenDarmstadt verh. von SachsenWeimar-Eisenach 44, 345 Luck, Lebrecht von 122 Ludecus, Johann Wilhelm Carl 70 Luther, Martin 16, 37, 54, 67f, 248, 314, 322 Mäder, Johann Heinrich 370 Mäder geb. Hauf, Wilhelmine Henriette Dorothee 370 Mägdefessel, Louise 103 Maria Pawlowna Großfürstin von Russland, verh. von SachsenWeimar-Eisenach 44, 51 Meißner verh. Gichau, Eva Susanna 153 Meister, Georg Jacob Friedrich 57 Mereau, Sophie 25 Metzold, [Witwe] 48 Michaelis, Johann David 161 Montesquieu, Charles-Louis de Secondat, Baron de la Bréde et de 41, 234f, 237, 239–241, 248, 262, 268 Motz, Philipp Wilhelm von 215f Müller, [Ehepaar aus Jena] 261, 282f, 285, 304 Müller, [Ehepaar aus Weimar] 261 Müller, Johann Friedrich Andreas Müller verw. Körner geb. Stengel, Johanna Sophie Dorothea Müller, Friedrich von 211, 213, 216f, 321f, 331 Müller, Johannes 270

435 Müller geb. Schmidt, Sophie Dorothea 287 Münchhausen-Steinburg, Philipp Adolph von 13 Münchhausen, Georg von 14 Mueß verh. Bartholmä, Johanna Friederika (Catharina) 139, 152 Nebe, Johann August 76, 209, 304, 308, 337, 344 Nebethal, Amandus Gottlob Friedrich 137 Nehrkorn, [Meister] 97 Nikolaus I. Zar von Russland 44 Nusseck, Johanna Maria Elisabetha 134f, 137 Ockardt verh. Schultze, Friederika Johanna Louisa 252f Ortelli geb. Haase, Josepha Barbara 95 Ortelli, Stephan 45, 95 Otto gesch. von Buchwald, Ernestina Wilhelmina Dorothea 153 Papst, Johann Caspar 261 Paul I. 44 Petri, Samuel 273 Peucer, Heinrich Carl Friedrich 204, 208f, 211 Pfau, Carl Christian Wilhelm 150 Planer, Johann Gottlieb 89f Planer geb. Hering, Johanna Sophia 90f Planer, Wilhelmine „Minchen“ 91f Pörschkes, Karl Ludwig 240 Pogwisch geb. Henckel von Donnersmarck, Henriette von 108 Prätorius, Emanuel Christmann 150 Preißler, Anna Christina 89

436 Pufendorf, Samuel von 204 Rahn, Gottlieb Ludwig 157f, 167f Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von 293 Reichert, Johann Friedrich 370 Reichert geb. Kopitzsch, Friedericke Rosine 370 Reineck, Bernhard Heinrich von 262 Riedesel zu Eisenbach, Georg Friedrich 212, 215, 303, 309 Riehl, Wilhelm Heinrich 20, 77, 145 Rigal, [Hofkammerrat] 161 Rockstuhl, Michael Theodor Gottfried 286, 370 Rockstuhl geb. Wolf, Friederike Elisabeth Ernestine 286, 370 Röhr, Johann Heinrich 319 Roth, Albertine 138 Rothe, Ernestine 138 Rudorf, Luise 124–126, 134, 137 Rudorff, Friedrich Wilhelm 124 Rudorff geb. von Britzcke, Catharina Charlotte 124 Rückoldt, Wilhelm Friedrich August 261 Rultzsch (Roltsch), [Ehepaar] 286 Sänger, Carl Ferdinand 262 Scheidemantel, Heinrich Gottfried 74, 145 Schellhorn, Franz Wilhelm 209 Schiller, Johann Christoph Friedrich von 108, 123, 128, 130f Schiller geb. von Lengefeld, Charlotte von 123 Schlegel, August Wilhelm 24 Schlegel geb. Michaelis verw. Böhmer verh. Schelling, Caroline 24 Schlegel, Friedrich 83

PERSONENREGISTER

Schlegel, Johann Carl Fürchtegott 41, 68, 236, 238f, 243, 245, 248–250, 273, 339 Schlegel, Johann Gottlob 88 Schmid, Karl Ernst 41, 249 Schmidt, [Frau] 124 Schmidt, Johannes 40, 56, 176, 280, 292, 295f Schnauß, Christian Friedrich 59, 185, 325 Schneider, Sophie 134 Schnetter, Johann Sebastian 150 Schorcht, Samuel 265 Schopenhauer, Johanna 25 Schoppe, Caroline 347 Schröter, Johann Friedrich Wilhelm 256 Schröter geb. Vollrath, Friederike Dorothea Franziska 257 Schröter, Christine Caroline 137 Schuhmann, Johann Gottlieb 57, 85f Schultze, Johann Christian 15f, 24, 115, 128, 251–253, 261, 281, 347 Schultze geb. Riegländer, Christiane Sophie Friederike 15f, 251, 347 Schwanitz, Julius David 283, 300 Schwarz, Eduard 126 Schweitzer, Christian Wilhelm 218 Seckendorff, Franz Paul Christoph von 184 Seidel (auch: Fargel) verh. Stolze, Johanna Maria Elisabetha 127 Sinn, Johann Heinrich 88f Sophie Dorothee Prinzessin von Württemberg verh. Maria Fjodorowna von Russland 44 Spangenberg, [Witwe] 94 Spiegler, Rosine 94 Spieler, [Ehepaar] 150 Spindler, [Familie] 93–95 Spindler, Christian 95

PERSONENREGISTER

Staël-Holstein, Germaine de 354 Staff, [Frau] 52 Stecher, Gottlob August Martin 115 Stecher geb. Hauff, Johanna Sophia Christiana 115f, 347 Stein geb.von Schardt, Charlotte von 14f Stöhrer, [Ehepaar] 309 Stolze, Johann Georg Ehrenfried 127 Straßburg, [Jagdlakai] 60 Streim, Julius Wilhelm 273 Svarez, Carl Gottlieb 294 Taubert, [Ehepaar] 92 Thon, Johann Carl Salomo 209, 213, 288f, 296, 302, 305f, 308, 337f Tonndorf, Christiana Sophia Rosina 133 Tonndorf, Johann Gottlieb 133 Veit geb. Mendelssohn verh. (von) Schlegel, Dorothea (geb. als: Brendel) 24 Völkel, Julius Adolph 272 Voigt, [Briefträger] 136 Voigt, [Pfarrwitwe] 274 Voigt, Christian Gottlob von 161, 189, 191, 205, 271f, 327 Voppel, Wilhelm August 101, 305, 334 Vulpius verh. von Goethe, Christiane 15f, 24, 102, 117–122, 152, 343 Vulpius, Johann Friedrich 117 Wahnis, Johann Wilhelm Christian 48 Weidener, [Schlossermeister] 149 Weinhold, Karl August 157, 167–170 Werkmeister, Benedikt Maria von 41, 238, 240, 243f, 246, 248, 315 Werthern, Christian Ferdinand Georg von 13, 128, 130

437 Werthern geb. von Münchhausen verh. von Einsiedel, Emilie von 13–15, 24, 171f, 351 Wiedemann, Marie Sophie 135 Wiedenfeld, Carl Wilhelm 243, 245, 247, 317, 338 Wilke, Ernst Friedrich von 276 Wilke geb. von Rabenau, Jeannette Charlotte von 276 Woche, Charlotte 126 Wolffskeel von Reichenberg, Christian Friedrich Carl 254 Wolzogen gesch. von Beulwitz geb. von Lengefeld, Caroline von 108, 122f, 128, 130, 131f, 144 Zäncker, Christoph Ludolph 15 Zedler, Johann Heinrich 29, 77f, 78, 82, 89 Ziege, [Ehepaar] 309 Zunkel, Johann Gottfried 52, 200– 203, 209f, 212, 214–216, 225, 304, 307, 333