Göttliche Stimme, irdische Schrift: Dante, Petrarca und Caterina da Siena 9783110428162, 9783110437713

Previous interpretations of the canonical texts of the Trecento adopted the perspectives of their male subjects. For the

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Göttliche Stimme, irdische Schrift: Dante, Petrarca und Caterina da Siena
 9783110428162, 9783110437713

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Bedingungen der Liebe zwischen Stimme und Schrift
2. „lieblicher Gesang entströmt ihrem Munde“: Figuration der Stimme
I. Dichtung und Theologie überkreuzt
1. sensus allegoricus
2. della futura gloria (Boccaccio)
3. Zerbrochene Rahmen (Auerbach)
4. officium poetae (Dante)
II. Beatrices Gesang
1. auctoritas: Wer spricht?
1.1 confusione
1.2 the text’s true cantor
1.3 Befehlsmacht: fa che tu scrive
2. Dantes Signatur
2.1 parola disïata
2.2 Sprachordnungen: verhüllt / enthüllt
2.3 Wiederholungen: sua vita nova
2.4 Apostrophe und Signatur
3. Ruhm des Dichters
3.1 Zwei Körper
3.2 Krönungen
3.3 Verzicht
III. Caterinas Stimme
1. autre scène: Wer spricht?
1.1 angelus terrestris
1.2 bocca virginea
2. Sagen und Sehen: tout dire, tout voir
2.1 Befragungen
2.2 Ekstase
2.3 Analphabetismus
3. Figuration der Stimme
3.1 Süße Worte
3.2 Gesichter: Veni, domine, ad sponsam tuam
3.3 figuram figurando
IV. Lauras Rede
1. Wessen Lorbeer?
1.1 in vita, in morte
1.2 L’aura
1.3 nennen/rufen (chiamar)
2. Stimme
2.1 angelica voce
2.2 Sirenen
3. Doppelter Ruhm
3.1 Gruß/Apostrophe
3.2 sua dolce favella
3.3 Mit ihren Worten
3.4 Spiegelungen: tua salute e mia
Literaturverzeichnis
1. Textausgaben
2. Forschung
Register
Danksagung

Citation preview

Cornelia Wild Göttliche Stimme, irdische Schrift

Trends in Medieval Philology

Edited by Ingrid Kasten, Niklaus Largier and Mireille Schnyder Editorial Board Ingrid Bennewitz, John Greenfield, Christian Kiening, Theo Kobusch, Peter von Moos, Uta Störmer-Caysa

Volume 29

Cornelia Wild

Göttliche Stimme, irdische Schrift Dante, Petrarca und Caterina da Siena

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein.

ISBN 978-3-11-043771-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-042816-2 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-042823-0 ISSN 1612-443X Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.dnb.de abrufbar © 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Dörlemann Satz GmbH & Co. KG, Lemförde Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Für Ella

Inhaltsverzeichnis Einleitung   1 1 Bedingungen der Liebe zwischen Stimme und Schrift   1 2 „lieblicher Gesang entströmt ihrem Munde“: Figuration der Stimme   8 I 1 2 3 4

 15 Dichtung und Theologie überkreuzt  sensus allegoricus   15 della futura gloria (Boccaccio)   20 Zerbrochene Rahmen (Auerbach)   29 officium poetae (Dante)   34

 41 II Beatrices Gesang  1 auctoritas: Wer spricht?   46 1.1 confusione   50 1.2 the text’s true cantor   52 1.3 Befehlsmacht: fa che tu scrive   56 2 Dantes Signatur   62 2.1 parola disïata   65 2.2 Sprachordnungen: verhüllt / enthüllt  2.3 Wiederholungen: sua vita nova   70 2.4 Apostrophe und Signatur   80 3 Ruhm des Dichters   83 3.1 Zwei Körper   85 3.2 Krönungen   87 3.3 Verzicht   89

 67

 95 III Caterinas Stimme  1 autre scène: Wer spricht?   101 1.1 angelus terrestris   108 1.2 bocca virginea   113 2 Sagen und Sehen: tout dire, tout voir   118 2.1 Befragungen   118 2.2 Ekstase   124 2.3 Analphabetismus   127 3 Figuration der Stimme   133 3.1 Süße Worte   138 3.2 Gesichter: Veni, domine, ad sponsam tuam  3.3 figuram figurando   144

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VIII 

 Inhaltsverzeichnis

IV Lauras Rede   149 1 Wessen Lorbeer?   152 1.1 in vita, in morte   155 1.2 L’aura   159 1.3 nennen/rufen (chiamar)   163 2 Stimme   168 2.1 angelica voce   169 2.2 Sirenen   178 3 Doppelter Ruhm   183 3.1 Gruß/Apostrophe   184 3.2 sua dolce favella   192 3.3 Mit ihren Worten   195 3.4 Spiegelungen: tua salute e mia   205 Literaturverzeichnis  1 Textausgaben   205 2 Forschung   207  221 Register  Danksagung   224

 198

Einleitung 1 Bedingungen der Liebe zwischen Stimme und Schrift Im Liebesdiskurs konstituiert sich die Sprechsituation des liebenden Subjekts durch einen grundlegenden Mangel: Das Objekt der Liebe stellt sich als unerreich­ bar und somit die Liebe als unerfüllbar heraus. Die höfische Liebe hat diese Unver­ fügbarkeit mit der Figur der donna, Herrin, Minnedame durchgespielt und damit diesen Liebesdiskurs ausdifferenziert. Dante Alighieris Vita nuova, die den fideli d’amore verpflichtet ist, lenkt die Liebe auf das unerreichbare Objekt, das dabei als Ort des Glücks des Liebenden benannt wird: „che nelle sue salute abitava la mia beatitudine“ [daß in ihrem Gruße meine Seligkeit innewohnte].1 Das Modell hierfür ist eine Dichtung, in der der Sprecher eine Dame adressiert, die ihm durch ihre prinzipielle Unverfügbarkeit immer schon die Möglichkeit zur Erfüllung der Liebe entzieht.2 Liebe im Mittelalter erzeugt somit nicht Erfüllung sondern Ent­ fremdung: einen Abstand von sich selbst und damit einen Platz für den anderen. Diese Entfernung zum Liebesobjekt ist der Anlass für ein Sprechen, das selbstbe­ züglich bleibt, insofern es sein Objekt immer nur in dessen Absenz anreden kann. Ob im Liebesdiskurs der höfischen Liebe oder in den Fragments d’un discours amoureux von Roland Barthes wurde die Anrede in einem Text als grundsätz­liches Paradox des Liebenden formuliert: als die Schrift einer Stimme in absentia.3 Allerdings tauchen im italienischen Trecento sowohl in poetischen als auch mystischen Texten weibliche Figuren auf, die das Subjekt durch ihre „sanfte Erscheinung“ und „süße Stimme“ – „Sí dolce in vista e sí soave in voce“4 – ent­

1 Dante Alighieri: Vita nova. Hrsg. von Guglielmo Gorni, in: Dante Alighieri: Opere. Hrsg. von Marco Santagata, Bd. I: Rime, Vita nova, De vulgari eloquentia, Mailand: Mondadori 2015, 5,7. Die deutsche Übersetzung folgt: Dante Alighieri: Vita Nova / Das neue Leben, übersetzt und kommentiert von Anna Coseriu und Ulrike Kunkel, Deutscher Taschenbuch Verlag: Mün­ chen 1988. 2 Vgl. C. W.: Die Liebe der trobadors. In: Handbuch Literatur und Emotionen. Hrsg. von Martin v. Koppenfels, Cornelia Zumbusch, Berlin: De Gruyter 2016 (Handbücher zur kulturwissenschaft­ lichen Philologie 4), S. 261–274. 3 Vgl. Roland Barthes: Fragments d’un discours amoureux, Paris 1977, S. 131: „La voix de l’être aimé, je ne la connais jamais que morte, remémorée, rappelée à l’intérieur de ma tête, bien audelà de l’oreille: voix ténue et cependant monumentale, puisqu’elle est de ces objets qui n’ont d’existence qu’une fois disparus.“ 4 Francesco Petrarca: Le Rime. Hrsg. von Giosuè Carducci/Severino Ferrari, nuova pre­ sentazione di Gianfranco Contini, Florenz 1972 (284, 8). Im Folgenden zitiere ich nach dieser Ausgabe.

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 Einleitung

zücken und verwandeln.5 Aus den Mündern dieser Figuren erklingt ein süßer Gesang, der von der Stimme des Textes überlagert wird, aber die Paradoxalität der Sprechsituation nicht aufhebt. Mit einem Gesang oder einer Rede, die nicht mit dem Subjekt identisch ist, konstituiert den Liebesdiskurs eine zweite Stimme im Text, die die Rückseite der erzählten Geschichte bildet: durch eine Stimme, die durch ihre Süßigkeit mit der Stimme des Poeten konkurriert. Im Liebesdiskurs des Trecento und seinen bedeutendsten Texten wird, ohne dabei eigens in ihrer Funktion für die Sprache der Liebe reflektiert zu werden, eine Stimme inszeniert, ein Gesang, eine Rede, die den Ort des Sprechens des Subjekts nicht nur spiegelt, sondern zu diesem immer schon different ist: eine andere, heteronome Stimme, die den Liebesdiskurs zurückwirft und reflektiert, aber in dieser Spiegelung nicht das Gleiche wiederholt, sondern in der Wiederholung zu etwas anderem, einem zweiten Liebesdiskurs wird.6 In der Schrift des Textes spiegelt die weib­ liche Stimme die Stimme des Sprechers auf einen leeren, unverfügbaren Platz, der nicht nur seinen, sondern auch ihren Mangel markiert.7 Wie für jeden Diskurs ist auch für die Sprache der Liebe entscheidend, wer spricht.8 Für die philosophische Rede hat Adriana Cavarero in Nonostante Platone aufgedeckt, was der platonische Text ganz nebenbei an diskursiven Momenten mitführt: „eine Art weibliches Sprechen, das der Text selbst zwar wiedergibt, aber nicht versteht, als eine kleine, einfach nur registrierte Begebenheit, deren Bedeutung nicht untersucht wird.“9 In der von Platon überlieferten Anekdote, dass Thales in den Brunnen gefallen ist, interessiert sie nicht die Handlung des

5 Vgl. Tatiana Crivelli: „La donna che non si trova“. Guida ad un itinerario di ricerca. In: Sel­ vagge e angeliche. Personaggi femminili della tradizione letteraria italiana. Hrsg. von Dies., in Zusammenarbeit mit Alessandro Bosco/Mara Santi, Leonfronte 2007 (Symposia 3), S. 7–14. 6 Luce Irigaray hat die Möglichkeit der Umstülpung des Spiegelbildes, spécologie, mit dem Spre­ chen des Objekts verbunden und gefragt: „Mais si l’objet se mettait à parler?“ Vgl. Luce Iriga­ ray: Speculum de l’autre femme, Paris 1974, S. 167. 7 Irigaray: Speculum de l’autre femme, S. 176. Vgl. Michel de Certeau: Art. Mystique. In: Ency­ clopaedia universalis. Hrsg. von Jacques Bersani, Bd. 12, Paris 1985, S. 873–878, S. 876. 8 Vgl. Émile Benveniste: Les relations de temps dans le verbe français. In: Ders.: Problèmes de linguistique générale, Bd. 1, Paris 1966 (Bibliothèque des sciences humaines), S. 237–250, S. 241  ff. Sowie Ders.: De la subjectivité dans le langage. In: Ders.: Problèmes de linguistique générale, Bd. 1, Paris 1966 (Bibliothèque des sciences humaines), S. 258–266. 9 Adriana Cavarero: Platons Töchter. Frauengestalten der antiken Philosophie. Penelope, Die thrakische Dienstmagd, Demeter, Diotima, Hamburg 1997, S. 80. [Nonostante Platone. Figure femminili nella filosofia antica, Verona 2009 (Testi 4), S. 58: „Come una sorta di parola femmi­ nile che il testo stesso riporta ma non comprende, come una piccola cronaca semplicemente registrata ma inindagata nel suo segno.“] Vgl. auch Adriana Cavarero: A più voci. Filosofia dell’espressione vocale, Mailand 2010.



Bedingungen der Liebe zwischen Stimme und Schrift 

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Philosophen, sondern die Dienstmagd, die den in den Brunnen gefallenen Thales verspottet.10 Mit der spottenden Rede in den Blick gerückt wird die Aufzeichnung der parola femminile, die für die histoire nicht weiter von Belang scheint: ein winziger diskursiver Moment, der Gefahr läuft, überlesen zu werden, von dem aus sich jedoch die Geschichte der Philosophie noch einmal anders, und zwar als Geschichte aus dem Blickwinkel der Dienerin, die Thales auslacht, schrei­ ben lässt und die deshalb zu einem Dispositiv der Töchter, „Platons Töchter“11, gehört. Wie die im Beispiel der Thrakerin fokussierte parola femminile, die einen impliziten Perspektivwechsel ermöglicht, lenkt die Stimme der Frauenfiguren unseren Blick von der Hauptfigur, dem Sprecher, auf die weiblichen Protago­ nistinnen Beatrice, Laura, Caterina da Siena. Diesen Blickwechsel hat auch die Forschung zur weiblichen Mystik vollzogen, indem sie auf Mystik als Ort des „coming to voice“12 aufmerksam gemacht hat. Aus dieser Perspektive können die kanonischen Texte neu befragt und die Genealogien zu Platons Töchtern heraus­ gearbeitet werden. Die vorliegende Studie wendet sich der dolce parola der weib­ lichen Figuren in der Divina Commedia von Dante Alighieri, der Legenda Maior von Raimondo da Capua und dem Canzoniere von Francesco Petrarca zu und verschiebt damit das Interesse von den Autoren und männlichen Protagonisten auf die weiblichen Protagonistinnen und ihre Stimmen, die vom Text erwähnt werden, aber zumindest für den auktorialen Diskurs nicht konstitutiv erschei­ nen. Denn die Sprechsituation lenkt stets auf diejenigen Wirkungen, die sich im Subjekt ereignen,13 nicht aber auf die Stimme seines begehrten Gegenübers, dabei konstituiert diese eine andere Szene: eine ‚Szene der Stimme‘14, die unter anderem Namen als dem eigenen geschrieben wird.15 Wie die philosophische Vorläuferin Diotima, deren Stimme sich Sokra­ tes einerseits aneignet, die aber andererseits für die Philosophie Platons keine grundlegende Rolle spielt,16 gehören die genannten Frauenfiguren zu einem 10 Cavarero bezieht sich auf Platon: Theaitetos, 174 a. Vgl. Cavarero: Platons Töchter, S. 55. [­ Nonostante Platone, S. 40] 11 So der deutsche Titel von Nonostante Platone. 12 Amy M. Hollywood: Beauvoir, Irigaray, and the Mystical. In: Hypatia 9/4 (1994), S. 158–185, S. 169. 13 Vgl. Paul Zumthor: Essai de poétique médiévale (1972). Avec une préface de Michel Zink et un texte inédit de Paul Zumthor, Paris 2000, S. 229  ff. 14 Im Vergleich zur „Szene der Stimme“ die „Schreibszene“ bei Rodolphe Gasché: Scene of Writing. A Deferred Outset. In: Glyph 1 (1977), S. 150–171. 15 Vgl. Barbara Hahn: Unter falschem Namen. Von der schwierigen Autorschaft der Frauen, Frankfurt a. M. 1991. 16 Vgl. Cavarero: Nonostante Platone, S. 97  ff. [Platons Töchter, S. 145  ff.]

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 Einleitung

kanonisch gewordenen Narrativ, dass die Autorität der Autoren über die Stimme stellt, obwohl im Trecento die „parole fondatrice“17 als Dispositiv der heiligen und profanen Texte gilt. Lenkt einerseits die Erzählstimme den Blick auf Dante und betrachtet man mit diesem die sublime, von Licht umstrahlte Beatrice, so können wir andererseits durch Beatrice umgekehrt den zitternden und ohnmächtigen Dante hören. Durch ein Lesen gegen die immanente Rezeptionsvorgabe, „reading against the grain“18, zeigt sich, dass sich die Figur und ihre Stimme gegenüber der Erzählstimme immer auch verselbstständigen und als Stimme eigenen Rechts bzw. eigener Autorität wahrgenommen werden kann. Zwar werden Bea­ trice, Laura und Caterina in den eingespielten Interpretationen als Figuren der Vermittlung rezipiert. Beatrice dient als Führerfigur für das Jenseitsreich, die Exemplarizität der Caterina da Siena als Orientierung und Nachahmung und die Gestalt Lauras stellt Figuren der Selbstübersteigerung zur Verfügung. Aber als Mittlerin für einen Heilsweg, der den Weg des Sprechers bahnt, sind die Figuren noch nicht vollständig erfasst. Durch die Methode des impliziten Blickwechsels werden die poetischen Figurationen und die Diskussion der Vita der Heiligen in Hinblick auf die Unterscheidung von Gesang, Stimme und Rede, die den weib­ lichen Figuren zugeordnet wird, interpretiert.19 Diese Lektüre öffnet damit auf eine doppelte Perspektive: die Texte haben einen Sprecher, der unseren Blick lenkt und Stimmen, die uns ansprechen. Durch die Registrierung der verschie­ denen Stimmen erschließt sich eine Literatur, die erfüllt ist von Frauenfiguren, die das Wort selbst dann ergreifen, wenn ihnen durch Geschichte und Diskurs die Funktion zukommt, passives Objekt des Begehrens zu sein. Denn dass sie eine Stimme haben, eine differente erzählte Stimme, bleibt als ein „chant encore à venir“20 zu analysieren wie der Gesang der Sirene.

17 Vgl. Paul Zumthor: La lettre et la voix. De la ‚littérature‘ médiévale, Paris 1987, S. 83–106. 18 Simon Gilson: Historicism, Philology and the Text. An Interview with Teodolinda Barolini. In: Italian Studies 63/1 (2008), S. 141–152, S. 141  f. 19 Der vom Verlag vorgeschlagene Titel dieser Studie restituiert zugunsten von Bibliographier­ barkeit die Autorität der Autoren gegenüber der vorgenommenen Bestimmung der Texte durch die Stimme der Frauenfiguren. 20 Wenn Blanchot von einem „chant encore à venir“ spricht, dann betont er für den Gesang der Sirenen, dass es nur so aussehen würde, als ob sie sängen. Man kann sich fragen, ob durch die Konstatierung der Figur des Mangels die Sirenen zu nostalgischen Figuren werden. Vgl. Maurice Blanchot: Le chant des sirènes. In: Ders.: Le livre à venir, Paris 1959, S. 9–18. Bei Franz Kafka ist der Gesang suspendiert. Die Sirenen können zwar singen („Der Sang der Sirenen durchdrang alles.“, S. 304), wenn jedoch Odysseus vorbeifährt, singen sie nicht („Und tatsächlich sangen, als Odysseus kam, die gewaltigen Sängerinnen nicht.“, S. 305) Franz Kafka: Das Schweigen der Sirenen. In: Ders.: Sämtliche Erzählungen. Hrsg. von Paul Raabe, Frankfurt a. M. 1994, S. 304–305.



Bedingungen der Liebe zwischen Stimme und Schrift 

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Die Studie dient der Identifizierung derjenigen Stellen in der Mikrostruk­ tur der Texte, an denen eine solche Umkehrung stattfindet. Erscheinen also die Figuren „through the filter of male poet’s desire“21, d.  h. sind sie Produkte des Autors oder führen sie ein Eigenleben? Mit der Frage danach, wer Herr über die Rede ist, stellt sich gleichzeitig die Frage nach der Autorität, auctoritas, als Beziehung zwischen der Figurenrede und demjenigen, der sie (be-)schreibt. Im Mittelalter konstituiert sich auctoritas zum einen durch die kanonische Rückver­ sicherung auf die antiken Autoren durch das Zitat oder die göttliche Wahrheit.22 Sie entsteht zum anderen durch die Art und Weise des Schreibens (compilator, scriptor oder auctor) und die Zuschreibung zu einem Text, die als Kategorie der Autorschaft, der écriture und der fonction auteur verhandelt wurde.23 Was aber geschieht, wenn wir die Commedia von der Stimme Beatrices aus lesen? Oder wenn wir aus der Heiligenlegende Caterinas Rede heraushören, die aus dem Mund ihres Beichtvaters spricht? Was ändert sich, wenn wir die Sonette und Kanzonen des Canzoniere nicht mehr aus der Sichtweise des Sprechers lesen, sondern aus Lauras? Eine solche veränderte Blickrichtung, Stimmlage, ist den Texten durch eine bestimmte Redeweise eingeschrieben, als ein Ort des Sprechens, „[l]ieu où ‚elle parle‘“24, der nicht von der Erzählstimme gesteuert wird, sondern sich als „parole efficace“25 in den Texten entfaltet. Der Liebesdiskurs wird im 14. Jahrhundert durch ein metaphysisches Modell abgesichert, durch eine Rede, die auf Gott oder das Diktat Amors zurückgeführt wird.26 Die Texte beinhalten also schon von daher ein anderes Sprechen: Ein Sprechen, das mimetisch Rede nachahmt und das damit riskiert, selbst jene mys-

21 Vgl. Joan DeJean: Fictions of Sappho, 1546–1937, Chicago, London 1989, S. 102 (über Ron­ sard). 22 Vgl. Walter Veit: Art. Autorität. In: Historisches Wörterbuch. Hrsg. von Joachim Ritter, Bd. 1, Darmstadt 1971, Sp. 724–727. 23 Vgl. Jan-Dirk Müller: Auctor – Actor – Author. Einige Anmerkungen zum Verständnis vom Autor in lateinischen Schriften des frühen und hohen Mittelalters. In: Der Autor im Dialog. Bei­ träge zu Autorität und Autorschaft. Hrsg. von Felix Philipp Ingold/Werner Wunderlich, St. Gallen 1996, S. 17–31. Vgl. Roland Barthes: La mort de l’auteur. In: Œuvres complètes. Bd. 2: 1966–1973. Hrsg. von Eric Marty, Paris 1994, S. 491–495. Auch Michel Foucault: Qu’est-ce qu’un auteur? In: Ders.: Dits et écrits 1954–1988. Bd. 1: 1954–1975, Hrsg. von Daniel Defert/ François Ewald, Paris 2001, S. 817–849, S. 820. 24 Luce Irigaray: La mystérique, In: dies.: Speculum de l’autre femme, Paris 1974, S. 238–252, S. 238. 25 Irène Rosier-Catach: La parole efficace. Signe, rituel, sacré, Paris 2004, S. 35  ff. 26 Vgl. Giorgio Agamben: Stanze. La parola e il fantasma nella cultura occidentale, Turin 2006, Kap. Spiriti d’amore, S. 121–129.

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 Einleitung

térie zu werden, die es nachbildet.27 „Der Diktierer und Anordner“, schreibt der russische Dichter Ossip Mandelstam über Dante, „ist weit wichtiger als der soge­ nannte Dichter“28. Fragt man, wer diktiert und wer schreibt, dann ist alles andere als gesichert, wer der auctor ist. Denn die Sprecherinstanz ist nicht dieser Gott selbst, wenn an die Stelle der göttlichen Stimme eine Frauenfigur platziert wird. Als Medium der göttlichen Stimme besetzt sie durch ihre Rede den Ort einer prob­ lematischen Überkreuzung. In Mystik und Dichtung stehen weibliche Figuren an der Schnittstelle von Immanenz und Transzendenz, von der aus sich die Unter­ scheidung zwischen profeta, poeta und auctor neu gewichten lässt. Die solchermaßen inszenierte Stimme ist Bestandteil eines Traditions­ zusammenhangs der frühesten Dichtung. Joan DeJean hat anhand der Rezeption der Dichterin Sappho gezeigt, dass seit Ovids Heroides die späteren Autoren die Rolle der „secretaries of ladies“29 einnehmen, wenn sie die griechische Dichterin Sappho zu Wort kommen lassen. Mit dem Brief Sapphos aus den Heroides eignet sich die Rezeption die Stimme der Dichterin an, überdeckt aber die „sig­ nature in the feminine“30. DeJean hat damit nicht nur die Doppeldeutigkeit des Autors gegenüber seiner weiblichen Figur markiert, sondern die problematische Begründung des Sprechens herausgestellt. Den Brief kennzeichnet die Ambi­ guität einer Rede, in der Ovid Sappho ihre Autorschaft aussagen lässt, „poetria Sappho“ [Dichterin Sappho]31. In welchem Namen aber sprechen die Texte mit den Mündern ihrer Figuren? Hören wir Sapphos Rede oder die Stimme Ovids? Das rewriting der Dichtung Sapphos stellt eine Art Urszene, „Ovid’s Ur-plot“32, dar, die Fragen nach weiblicher Autorschaft hervorruft.33 Ovid inszeniert die Macht des Poeten gegenüber seiner Figur, die jedoch, weil sie selbst Dichterin ist und als solche auftritt, über die Möglichkeit eigener Rede und damit über eine eigene autoritative Macht verfügt.

27 Irigaray: La mystérique, S. 239: „Tombant – dirait sans doute Platon – dans le piège de les mimer, de prétendre jouir comme ‚elle‘. Jusqu’à ne plus s’y retrouver comme ‚sujet‘, et se laisser mener là où il ne voulait surtout pas aller: à sa perte dans cette atypique, atopique, mystérie.“ 28 Ossip Mandelstam: Gespräch über Dante. Gesammelte Essays 1925–1935, Frankfurt a. M. 2004, S. 167. 29 Vgl. Joan DeJean: Fictions of Sappho, 1546–1937, Chicago, London 1989, S. 60  ff. 30 DeJean: Fictions of Sappho, S. 74. 31 Publius Ovidius Naso: Heroides. Briefe der Heroinen. Lateinisch / Deutsch. Übers. und hrsg. von Detlef Hoffmann/Christoph Schliebitz/Hermann Stocker, Stuttgart 2000, XV: Sappho an Phaon, 183. 32 DeJean: Fictions of Sappho, S. 97. Ein entscheidendes Beispiel ist Racines Phèdre, die DeJean zufolge ein „Echo“ Sapphos darstellt. 33 DeJean: Fictions of Sappho, S. 74  ff.



Bedingungen der Liebe zwischen Stimme und Schrift 

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Ovid hat Sappho nicht in passiver, weiblicher Liebe aufgehen lassen. Was sie auszeichnet, ist ihr Gesang, die poetische Stimme. Das Gründungsmoment umfasst damit nicht nur die histoire, sondern, als eine bestimmte Redeweise, den discours. Selbst dann, wenn sie von nichts als von verlorener Liebe singt, macht sie durch ihren Gesang die Liebe zu ihrem Gegenstand: „desertos cantat amores“ [Sappho singt von verlorener Liebe]34. Auch wenn also der Heroides-Brief zeigt, dass Sappho vom Subjekt der Liebe zum Objekt des Begehrens wird, kann sie sich durch Stimme und Rede über die Position der dargestellten Liebenden hinweg­ setzen. Sappho gewinnt ihre Bedeutung dadurch, als sprechende und singende Figur des Textes den Liebesdiskurs begründet zu haben. Der canto Beatrices, die dolce verità, die aus Caterinas Mund strömt und die dolce parola Lauras, in die das Ich sich verstrickt, reihen ihre Sprecherinnen in die Genealogie von singen­ der Sappho, lachender Thrakerin oder weiser Diotima ein.35 Die Inszenierung der poetischen Stimme lässt sich exemplarisch an einer der Szenen aus Dantes Vita nuova, der „scena del gabbo“, machen, in der sich die Äußerungen der donne gentili gegenüber dem Sprecher verselbstständigen.36 Die Behauptung ihrer Vollkommenheit bleibt an den Ort dieser Zuschreibung gebun­ den: an den Sprecher, von dem aus wir auf das Objekt seines Begehrens blicken. Das Gelächter der Frauen, gabbo, hingegen ist der Ausdruck einer Art Wider-Rede oder des Gegen-Blicks im Text. In der Szene des gabbo erfahren wir nicht nur von den affektiven Zuständen des Sprechers, sondern auch von jenem heiteren Amüse­ment der Frauen, die über den vor Liebe zitternden ‚Dante‘ lachen können: „molte di queste donne […] gabbavano di me con questa gentilissima.“ [Vn. 7, 7; viele dieser Frauen […] spotteten meiner im Gespräch mit jener Liebenswürdigs­ ten]. Der dargestellte Spott der Gruppe von Frauen, unter denen sich Beatrice befindet, steht in der Tradition des gaber altokzitanischer Dichtung und gehört für die fin’amors zum stilisierten Repertoire der Gesten der Herrin gegenüber dem Sänger.37 Die Topik erlaubt die Inszenierung der Affekte des Sprechers, aber die Trope lenkt auf das Objekt des Begehrens, das den Status von Subjekt und Objekt umkehrt: Wir sehen mit den Frauen und mit Beatrice auf den Sprecher. Diese Umkehrung der Perspektive lädt zu einer zweiten Lektüre unter anderen Vorzei­ chen ein, die einen nebensächlichen Äußerungsakt in den Blick nimmt, der nicht mit der Sichtweise des Sprechers zusammenfällt. Das semiotische System der 34 Ovid: Heroides, XV, 155. 35 Zur Beziehung von Diotima und Sappho vgl. Renate Schlesier: Presocratic Sappho. Her Use of Aphrodite for Arguments about Love and Immortality. In: Scientia Poetica 15 (2011), S. 1–28. 36 Michelangelo Picone: Modelli e struttura nella Vita nuova (L’episodo del ‚gabbo‘). In: Paci­ fic Coast Philology 13 (1978), S. 71–77, S. 74  f. 37 Vgl. Emil Lévy: Petit dictionnaire provençal-français, Heidelberg 1973, S. 199.

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 Einleitung

fin’amors konstituiert eine Gemeinschaft der Frauen, die durch ein Lachen eine andere Rezeption des Textes ermöglichen. Auch wenn dieser kurze Moment des Gelächters unbedeutsam erscheinen könnte, ein viel zu kurzer Augenblick im Narrativ des liebenden Ich, stellt er innerhalb der Struktur der Liebesdichtung eine Kehrtwendung dar, die durch das gemeinschaftliche Gelächter der Frauen entsteht und eine weitere Ebene des Liebesdiskurses ermöglicht. Die donne gentili erscheinen nicht nur als schöne Damen, sondern werden zu Herrinnen eines Lachens, das auf ein in sich selbst gefangenes Subjekt weist. Durch den Ebenenwechsel ermöglicht Dante eine zweite Perspektive der Leser und der Leserinnen, die mit den Herrinnen den Blick auf einen Sprecher teilen, der nicht Herr seiner selbst ist. Selbst wenn der Spre­ cher die Autorität über den zu schreibenden Text zurückgewinnt, ist die narrative Umkehrbewegung irreversibel, durch die uns schon die voce femminile der Thra­ kerin in den Ton „befreiender Heiterkeit “38 versetzt hatte.

2 „lieblicher Gesang entströmt ihrem Munde“: Figuration der Stimme Die Dichtung des Trecento hat unseren Blick nicht nur auf die schönen Augen des Liebesobjekts, sondern auch auf ihren Mund und damit auf die rhetorische Ver­ fasstheit dieser Figuren gelenkt. In der Figur des Mundes Beatrices –„operazioni della sua bocca“ [Vn. 10, 31] – dem engelhaften Mund Lauras voller Perlen und Rosen und süßen Worten – „[l]a bella bocca angelica, di perle / Piena e di rose e di dolci parole“ [Rvf 200, 10–12; Den engelhaften Mund, in dem beisammen / Mit Perl und Rosen süße Worte liegen [10–11]]39 – und dem Mund von Caterina da Siena, die die von Gott erfahrenen Wunder ihren Schreibern in verzückter Ekstase diktiert  – „con la sua bocca virginea“40  – ist die Sprechsituation figurativ aus­ gestaltet geworden. Die Frauenfiguren stehen in einem diskursiven Zusammen­ hang, der nicht nur die Erkenntnis betrifft, sondern auch das Hören, nicht nur die Blicke und Erscheinungen, sondern auch die Stimme und das Sprechen. Mit dem

38 Cavarero: Platons Töchter, S. 89 [Nonostante Platone, S. 64: „un tono di liberatoria allegria“]. 39 Francesco Petrarca: Le Rime. Hrsg. von Giosuè Carducci/Severino Ferrari, nuova pre­ sentazione di Gianfranco Contini, Florenz 1972. Im Folgenden zitiere ich nach dieser Ausgabe. Die deutsche Übersetzung folgt: Francesco Petrarca: Das lyrische Werk. Canzoniere, Trium­ phe, Verstreute Gedichte. Aus dem Italienischen von Karl Förster u. Hans Grote. Hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Hans Grote. Düsseldorf und Zürich 2002. 40 Il processo Castellano. Santa Caterina da Siena nelle testimonianze al processo di canoniz­ zazione di Venezia. Hrsg. von Tito S. Centi/Angelo Belloni, Florenz 2009, S. 235 (Herv. C. W.).



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Mund, der sowohl durch seine Attribute – engelhaft, jungfräulich, poetisch –, als auch durch die Art und Weise der Artikulation – Rede, Gesang, Worte – insze­ niert wird, wird die Frage nach der Rede und d.  h. auch der Figuration von (weib­ licher) Rede aufgeworfen. Damit werden die Texte in doppelter Weise begrün­ det und ihre diskursiven Bedingungen durch die Dichotomie von Stimme (als dem Mund und dem Ohr zugeordnet) und Schrift (als den Augen zugehörig) befragbar. In den untersuchten Texten befindet sich an zentraler Stelle die Figur des Mundes, die der poetischen Selbstbegründung dient und der eine präzise Funk­ tion innerhalb der Poetik des jeweiligen Textes zukommt. Inwiefern also wird ein Lesen als Hören auf den süßen Gesang, dolce canto der Herrinnen, den das Trecento ins Spiel gebracht hat, als Ursprung der Rede inszeniert? Durch ein Zusammenspiel von Stimme – Stimmen der Frauen von Beatrice bis Laura – und Schrift entspinnt sich eine Geschichte der fifilles.41 So, wie die in der Vita nuova dargestellte Liebe sich als „Weg vom Körper zur Schrift“42 erweist, so kann die­ selbe Liebe unter das Zeichen der Stimme gestellt werden, die mit der Stimme der Liebe zugleich die Liebe zur Stimme und damit noch einmal – von dieser Liebe aus – die Grenzen der Schrift befragt.43 Denn der Entzug des Körpers bringt als Ersatzleistungen nicht nur einen anderen Körper, den corpus der Texte ins Spiel, sondern substituiert auch die Leerstelle durch eine Stimme, durch einen Gesang ohne realen Körper, der zur Schrift gehört, weil er sich durch Schrift und in der Schrift vollzieht. Das Trecento befindet sich mit dieser Inszenierung der Rede weder am Anfang noch am Ende der Frage, wer spricht. Die bocca angelica steht in systematischem Zusammenhang mit Sirenen, Nymphen oder Musen, die mit honigsüßer Stimme ausgestattet sind und die nicht nur in ihrer zu überwältigenden Macht, sondern auch ihrer poetologischen Funktion befragt werden können. Durch die Süße und die Stimme verweisen engelhafter Mund und Sirenengesang aufeinander. Homers Sirenengesang stiftet eine bedeutende Urszene, die über das Trecento bis in die Canti Giacomo Leopardis nachklingt.44 Bei Homer hört Odysseus die betörenden Stimmen der Sirenen, die mit der gleichen Qualität ausgestattet sind wie später

41 Vgl. HÉlÈne Cixous: Anankè, Paris 1979, S. 55. 42 Barbara Kuhn: Körperzeichen, Zeichenschrift, Schriftkörper. Die Liebe der Schrift in Dantes Vita nuova. In: Schrift und Liebe in der Kultur des Mittelalters. Hrsg. von Mireille Schnyder, Berlin, New York 2008 (Trends in Medieval Philology 13), S. 165–189, S. 177 auch S. 182  ff. 43 Zum Begriff der „écriture“, Schreibakt, als Unterbrechung zwischen Stimme und Schrift vgl. Roland Barthes: Le grain de la voix. Entretiens 1962–1980, Paris 1981, S. 13. 44 Vgl. Giacomo Leopardi: Canti. Hrsg. von Niccolò Gallo/Cesare Gàrboli, Turin 1972 (Nuova universale Einaudi 1). (z.  B. „Alla sua donna“).

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der Gesang von Petrarcas Laura: „Eh er die honigtönende Stimme aus unseren Mündern / Hörte“45. Von Musen und Sirenen geht eine Kraft aus, die zur Dich­ tung verführt. Die Begründung der Dichtung liegt in solch süßen Mündern, die dem Text vorausgehen wie die Musen oder die als Instanzen des Textes textimma­ nent inszeniert werden wie die Sirenen. Auch bei Hesiod mischen sich die süßen Worte von Sprecher und Muse. Denn der liebliche Gesang aus dem Mund der Muse führt unmittelbar in die süße Rede des Ich, wenn es heißt: „Gesegnet ist, wen die Musen lieben; süß strömt ihm die Rede vom Munde.“46 Wem kann diese „süße Rede“ zugeschrieben werden, wenn der Mund, der spricht, nicht derjenige ist, von dem die Worte kommen? Es kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, wer hier spricht: der Musenmund oder ein Ich, dem durch die Musen die süße Rede in den Mund gelegt worden ist. Diese Ambiguität hat nicht aufgehört fortzuwirken, und in poetischen und mystischen Texten auf die Art und Weise ihres Zustande­ kommens zu verweisen. In der berühmten Grußszene hat Dante diesen Moment aufgenommen. Zunächst nicht anders als in der vorausgegangenen Liebesdichtung schreitet eine Dame an einem Herrn vorüber und inspiriert durch ihren Gruß zur Dichtung. Dabei wird nicht nur die Wendung des Blickes, sondern auch das Sprechen her­ vorgehoben: L’ora che lo suo dolcissimo salutare mi giunse, era fermamente nona di quel giorno. E però che quella fu la prima volta che le sue parole si mossero per venire alli miei orecchi, presi tanta dolcezza, che come inebriato mi partio dalle genti, e ricorso al solingo luogo d’una mia camera, puosimi a pensare di questa cortesissima. (Vn. 1, 13, Herv. C. W.) Die Stunde, zu der ihr süßer Gruß mich erreichte, war ganz genau die neunte jenes Tages; und weil dies das erste Mal war, daß ihre Worte sich bewegten, um an mein Ohr zu dringen, spürte ich solche Wonne, daß ich mich wie berauscht von der Menge entfernte, und ich flüchtete in die Einsamkeit eines meiner Zimmer und gab mich den Gedanken an jene Höf­ lichste hin.

Der Gruß – auf den ersten Blick eine Angelegenheit der Augen und der Blicke – lenkt auf „parole“ und „orecchi“. Offensichtlich erzählt Dante die Szene der cortesia Beatrices und ihres virtuosen Grußes auf dieses Sprechen hin: auf den

45 Homer: Odyssee. Griechisch / Deutsch. Übers. und hrsg. von Roland Hampe, Stuttgart 1979, XII, 187. 46 Hesiod: Theogonie. Griechisch / Deutsch. Übers. und hrsg. von Otto Schönberger, Stutt­ gart 1999, 65. Vgl. Eric A. Havelock: Als die Muse schreiben lernte. Eine Medientheorie. Mit einem Nachwort von Bernhard Dotzler, Berlin 2007, S. 9  f.: Hier heißt es in der Übersetzung: „Und ihnen strömt ohne Ermatten die Stimme / hervor aus dem Munde, süß“.



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Mund als Metonymie der Rede und damit prinzipiell auf die Möglichkeit, dass die Herrin selbst zu sprechen beginnt. In der Umformung ins Sonett hat Dante noch im ersten Vers die Augen als Sitz der Liebe bestimmt. Aber erst durch Bea­ trices Rede, ihr parlar, wird der Liebesdiskurs ermöglicht: „Ogne dolcezza, ogne pensero umile / nasce nel core a chi parlar la sente“ [Vn. 12, 3, 9–10; Jede Milde, jedweder demütige Gedanke / keimt im Herzen dessen, der sie sprechen hört]. Wie Dante in seinen anschließenden Auslegungen zeigt, sind die Augen „princi­ pio d’amore“, aber der Mund ist Ort der „fine d’amore“ und als solcher Ausgangs­ punkt poetischer Rede: Questa seconda parte si divide in due: che nell’una dico degli occhi, li quali sono principio d’amore; nella seconda dico della bocca, la quale è fine d’amore. E acciò che quinci si lievi ogni vizioso pensiero, ricordisi chi ci legge che di sopra è scritto che il saluto di questa donna, lo quale era delle operazioni della sua bocca, fue fine delli miei desiderii mentre che io lo potei ricevere. (Vn. 10, 31) Dieser zweite Teil teilt sich in zwei: denn im einen spreche ich von den Augen, die der Ursprung der Liebe sind, im zweiten spreche ich vom Mund, der das Ziel der Liebe ist. Und auf daß sich hier jeder lasterhafte Gedanke hinweghebe, erinnere ich, wer immer dies liest, an das, was oben geschrieben steht über den Gruß dieser Frau, der zu den Wirkungen ihres Mundes gehörte und der das Ziel meiner Wünsche war, solange ich ihn empfangen konnte.

Die Auslegung dieses Sprechens legt eine zweifache Bedeutung der „atti della sua bocca“ nahe: sie besteht sowohl in ihrem „mirabile riso“ als auch im „dolcissimo parlare“ (Vn. 12, 8). Mit dieser Fokussierung auf die süße Rede des Liebesobjekts redet die Vita nuova über sich selbst. Sie verweist auf ihr eigenes Sprechen, das durch eine Stimme begründet und mit einer weiblichen Figur ein Gesicht bekom­ men hat. Beatrices süße Rede wird damit zum Moment einer „jouissance“47 als einer Lust des Textes am eigenen Klang, von dem letztlich seine ganze Verfüh­ rungskraft ausgeht. Die Texte des Trecento markieren einen entscheidenden Moment innerhalb dieser Geschichte der Stimme, die mit dem Gesang der Sirenen begründet worden war. Die auf das Überirdische bezogene Stimme der Herrin wiederholt, was schon den Gesang der Sirenen ausgezeichnet hatte, wenn auch jetzt in symmetrischer Umkehrung: durch ihre engelhafte, himmlische Stimme partizipiert sie wie die Sirenen an den poetischen Figurationen des Abendlandes, ohne dabei eine Machtposition einzunehmen. Die Geschichte einer solchen Stimme ist deswe­

47 Vgl. zur jouissance in der Sprache der Liebe der Troubadoure Julia Kristeva: Histoires d’amour, Paris 1983, S. 349.

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gen immer auch eine Geschichte des Mangels, aber nicht des Subjekts, sondern eines Mangels der Stimme selbst. Die Stimme ist immer nur nichts als Stimme,48 die sich wiederum aus anderen, vorausgehenden Stimmen speist.49 Um in den Texten wieder zu entdecken, was durch den Traditionszusammenhang aus ihnen herausgestrichen wurde, zielt die vorgenommene Lektüre auf die weibliche Stimme und damit auf einen zweiten Liebesdiskurs: Das Mittelalter kennt nicht nur die ‚zwei Körper‘ des Königs50, sondern auch ‚zwei Stimmen‘ der Sprache der Liebe. Am Schnittpunkt zwischen dem Irdischen und Göttlichen hat die weib­ liche Figurenrede die Reversibilität von göttlicher Stimme und irdischer Schrift möglich gemacht, die der von den Texten behaupteten oder ihnen nachträglich zugeschriebenen Autorität bzw. der Geste der Selbstermächtigung zugrunde liegt. Das erste Kapitel (I) erarbeitet die problematische Verstellung dieses Ortes, der als solcher – auch theoretisch – erst wieder zugänglich gemacht werden muss. Der Schnittpunkt von Irdischem und Göttlichem wird poetologisch als Konflikt zwischen allegoria poetarum und theologischem Allegoriebegriff ausgehandelt. Er führt mit Giovanni Boccaccio zur problematischen Verdrängung der Differenz von poesia und teologia, die am Ort des Sprechens und in der Differenz der Rede stattfindet. Erich Auerbachs Dante-Kapitel in Mimesis gibt  – in gewisser Weise auch gegen seine eigene Figuraldeutung der Beatrice in seinem Figura-Aufsatz – Aufschluss über die Spannung zwischen den Allegoriebegriffen, die nicht in einer Säkularisierungsgeschichte aufgehen. Wie Dantes Monarchia zeigt, konstituiert der Konflikt zwischen den irdischen und den göttlichen Dingen eine poetische Allegorie, allegoria poetarum. Das zweite Kapitel (II) untersucht die allegoria poetarum der Divina Commedia am Ort erzählter Rede, um auf diese Weise die oben genannte Spannung an den narrativen Instanzen zu exemplifizieren. Es ist ein Gemeinplatz, dass Dante in seinem Text als erzählte und erzählende Instanz auftritt. Dass diese Unter­ scheidung auch für Beatrice gilt, ist hingegen bislang übersehen worden. Die Liebesgeschichte tritt durch die Perspektive Beatrices zu sich selbst in eine zei­ chenhafte Differenz, die aus einer veränderten Redehaltung resultiert: War Bea­ trice in der Vita nuova stummes Objekt der Liebe, so verfügt sie in der Commedia über die Macht, die Geschichte zu wiederholen, die in dieser Wiederholung nicht 48 Vgl. Mladen Dolar: A Voice and nothing more, Cambridge, London 2006, S. 3  ff. Mladen Dolar zitiert die Anekdote aus den Moralia von Plutarch, nach der die Nachtigall nichts zutage befördert als eine Stimme. 49 Vgl. Julia Kristeva: Semiotike. Recherches pour une sémanalyse, Paris 1969, S. 82  ff. 50 Ernst H. Kantorowicz: The King’s Two Bodies. A Study in Mediaeval Political Theology, Princeton, New Jersey 1957.



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mehr dieselbe – Dantes – Geschichte ist, sondern auch ihre Geschichte, in der sie diejenige ist, die ihre Liebesgeschichte erzählt. Das dritte Kapitel (III) rückt mit der Legenda Maior einen innerhalb der Lite­ raturwissenschaft marginalen, mystischen Text in den Kontext der großen Texte ein. Damit wird Caterina da Siena auf eine Ebene mit Dante und Petrarca gestellt,51 zum anderen der Blick auf die diffizile Redestruktur der Heiligen­legende gelenkt. Mit der geschriebenen und erzählten Stimme Caterinas beginnt eine Fiktionali­ sierung der Heiligen, die überhaupt erst zur Voraussetzung werden kann für das, was André Jolles die Imitabilität des Heiligen genannt hat.52 Durch die Überla­ gerung der Stimmen von Beichtvater und Beichtkind wird die eigene Rede über­ formt und somit das Sprechen in anderem Namen ein die Heiligen­legende kons­ tituierendes Textmoment. Gerade mit der mystischen Rede zeichnet sich ab, wie die Stimme der weiblichen Figur durch rhetorische, narrative und intertextuelle Verfahren sprechend gemacht wird. Das vierte Kapitel (IV) untersucht die Dichtung ausgehend von der Stimme des Liebesobjekts. Entgegen der üblichen und der Vorgabe des Canzoniere von Francesco Petrarca folgenden Fokussierung der lyrischen Subjektivität wird gefragt, inwiefern die Vertauschung der Positionen von Subjekt und Objekt Ein­ sicht in die Funktionsweise der Dichtung verschafft. Tatsächlich sieht man auch hier, dass die Stimme der Geliebten am Schnittpunkt von Immanenz und Tran­ szendenz situiert und damit zum Verhandlungsort einer Differenz wird, deren Verschwinden die Voraussetzung für ein Sprechen ist, das sich selbst behaupten kann. Jedem der Einzeluntersuchungen dieser Studie ist ein großer Text zugrunde gelegt worden, ohne dabei den Anspruch erheben zu wollen, diesen vollständig zu interpretieren. Drei verschiedene Gattungen (Epos, Heiligenvita und Lyrik) und unterschiedliche Diskursordnungen (literarisch, theologisch, politisch) werden jeweils unter dem gleichen Aspekt verhandelt. Jedes Kapitel steht für sich selbst und kann unabhängig gelesen werden. Gleichwohl ergibt sich erst durch die Zusammenstellung die Geschichte, die damit geschrieben werden soll: Eine Geschichte der Stimme, durch die die unerschütterliche Behauptung der

51 Zur Konstellation Petrarca, Dante und Caterina da Siena vgl. Robert Coogan: Babylon on the Rhone. A Translation of Letters by Dante, Petrarch, and Catherine of Siena on the Avignon ­Papacy, Madrid 1983. Auch: Giorgio Petrocchi: Metodi di lettura degli scritti ascetici trecen­ teschi. In: Dante, Petrarch, Boccaccio. Studies in the Italian Trecento in Honor of Charles S. Singleton. Hrsg. von Aldo S. Bernardo/Anthony L. Pellegrini, Binghamton, New York 1983, S. 353–366. 52 André Jolles: Einfache Formen. Legende, Sage, Mythe, Rätsel, Spruch, Kasus, Memorabile, Märchen, Witz (1930), Tübingen 2006, S. 36.

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tre corone Dante Alighieri, Francesco Petrarca, Giovanni Boccaccio durch eine selbstlose Stimme ‚anderer‘ tre corone befragt wird: Beatrice, Laura, Caterina. In dieser anderen Sprachordnung tritt die Sprache der „muliercule“53, die Stimme des Volkes, in der die Frauen kommunizieren, hervor: als nichtauktoriales, mediales Sprechen, das den Texten zugrunde liegt und durch eine vermittelnde Stimme auf ein Nicht-Eigenes hin öffnet.

53 Vgl. Dante Alighieri: Philosophische Werke. Bd. 1: Epistola XIII / Das Schrei­ben an Can­ grande della Scala. Lateinisch / Deutsch. Hrsg. von Ruedi Imbach, übers. von Thomas Ricklin, Hamburg 1993, 31: „quia locutio vulgaris in qua et muliercule comunicant.“ [Epist. XIII, 31; so ist diese lose und derb, weil es die Redeweise des gemeinen Volkes ist, in der sich auch die Weiber unterhalten.]

I Dichtung und Theologie überkreuzt 1 sensus allegoricus Friedrich Ohlys Einführung einer Methode mittelalterlicher Philologie behauptet den Übergang von der theologischen zur profanen Allegorie als Kontinuität. Sie setzt damit stillschweigend voraus, dass der sensus allegoricus prinzipiell ästheti­ sierbar ist und trägt die Möglichkeit zu dieser Ästhetisierung in den sensus allegoricus ein. Die philologische Aufgabe besteht somit – und dies gilt im Besonderen für die Mediävistik, im Allgemeinen jedoch für Philologie auch über das Mittel­ alter hinaus – in der Erweckung des Buchstabens zum Leben durch die Übertra­ gung einer patristischen Deutungsmethode auf Philologie. Die figurative Exegese wird damit in den philologischen Rahmen eingesetzt und als Deutungsmethode fruchtbar gemacht. Mittels des sensus anagogicus, der die Ausrichtung auf Gott garantiert, wird nicht-theologische Interpretation autorisiert und damit dessen Garantieleistung auf die profane Dichtung übertragen. Ausgegangen war Ohly von Hegels Vorlesungen über die Kunst des Erhabenen, um dessen Bestimmung des Kunstwerks als „im Weltlichen sich über alles Weltliche hinweghebende Bedeutung Gottes“1 vom Hegel’schen Begriff des Erhabenen abzukoppeln, sie für eine Ästhetik zu gewinnen und sie der „Bibel als dem geoffenbarten Wort“2 zuzuschreiben. Ohlys Anspruch bestand darin, die Exegese als das wichtigste Interpretationsverfahren des Mittelalters nicht allein den Theologen zu überlas­ sen. Sie sei für andere Kontexte wie die Kunst oder die Naturwissenschaft, oder auch die Philologie, fruchtbar zu machen.3 Wie in der politischen Theologie des Mittelalters übernimmt hierbei die mittelalterliche, philologische Deutungs­ methode als eine Art ästhetische Theologie die Aufgabe, durch Philologie die Exegese der Kirchenväter fortzusetzen und deren Methode auf profane Kontexte zu übertragen. Diese Übertragungsleistung scheint der Befund zu bestätigen, dass die allegorische Textinterpretation im Mittelalter und sogar schon seit der Antike auch für außerbiblische und heidnische Texte verwendet worden ist.4 Sie ist, könnte man sagen, Theologie in anderen Kontexten, die den Sinn der profa­ nen Literatur vom sensus spiritualis leiht.

1 Zitiert nach Friedrich Ohly: Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter. In: Ders.: Schrif­ ten zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung, Darmstadt 1977, S. 1–31, S. 1. 2 Ohly: Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter, S. 1. 3 Vgl. Ohly: Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter, S. 18 4 Vgl. Ohly: Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter, S. 25.

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Die Attraktion der Lehre vom sensus spiritualis des Bibelworts, die das Mittel­ alter beherrscht hat, liegt offensichtlich darin, dass im Unterschied zur profanen Literatur jeder religiöse Text immer auch einen höheren, geistigen Sinn, einen sensus spiritualis (insofern er aufgedeckt wird) oder sensus mysticus (insofern er verborgen ist) impliziert.5 Die Anerkennung einer solchen, an Vielfältigkeit und Spiritualität jeder herkömmlichen Deutungsmethode überlegenen Exegese, entspricht der Sicht der Kirchenväter nicht nur des zweiten Jahrhunderts. Aus Augustinus’ Perspektive verfügen die Heiden und Juden nur über den Literalsinn, sensus literalis bzw. sensus historicus,6 wohingegen die christliche Exegese überall zusätzlich den spirituellen Sinn einbringen kann. Die Unterscheidung zweier Auslegungsschichten – eines historischen und eines typologischen Sinns – über­ bietet damit eine Textkritik, die sich ausschließlich dem historischen Sinn zuge­ wendet hatte. Die Exegese der Kirchenväter und des Mittelalters, die immer auch diesen anderen, spirituellen Sinn im Blick hat, sieht ihre Aufgabe in der Enthül­ lung „des im Buchstaben verborgenen geistigen Sinns des Worts“7. Ohly hatte dies an Bernhard von Clairvaux’ Formulierung vom „Zerreißen des Vorhangs des tötenden Buchstabens“ herausgestellt.8 Gegen diese Idee der tödlichen Kraft des Buchstabens wurde im Schema des vierfachen Schriftsinns die Bedeutung des Textes als Haus imaginiert, dessen Fundament der Buchstabensinn darstellt. Das einschlägige Musterbeispiel für den vierfachen Schriftsinn ist Jerusalem, das historisch eine irdische Stadt, allegorisch die Kirche, tropologisch die Seele des Gläubigen und anagogisch die himmlische Gottesstadt ist.9 Die literarische Rezeption des sensus spiritualis musste auf die Schematisie­ rung des vierfachen Schriftsinns abheben,10 um die Übertragung des theologi­ schen Lehrgebäudes auf die Literatur möglich zu machen, um also den „geisti­

5 Zum Zeichenbegriff vgl. Aurelius Augustinus: Die christliche Bildung (De doctrina Chris­ tiana). Übers., Anm. und Nachwort von Karla Pollmann, Stuttgart 2002, II, I, 1, 1  ff. Vgl. hierzu Armand Strubel: „Allegoria in factis“ et „Allegoria in verbis“. In: Poétique 23 (1975), S. 342–357. Walter Haug: Die Voraussetzungen: Antike Rhetorik und christliche Ästhetik. In: Ders.: Li­ teraturtheorie im deutschen Mittelalter von den Anfängen bis zum Ende des 13. Jahrhunderts, Darmstadt 1992, S. 7–24, S. 19  ff. 6 Vgl. Elisabeth A. Clark: Reading Renunciation. Asceticism and Scripture in Early Christia­ nity, Princeton, New Jersey 1999, S. 70  ff. 7 Ohly: Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter, S. 4. 8 Vgl. Ohly: Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter, S. 4. 9 Vgl. Ohly: Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter, S. 14  f. 10 Zur Differenzierung des theologischen Feldes, über das Ohlys „handlicher Schematismus“ hinwegtäuscht vgl. Anselm Haverkamp: Typik und Politik im Annolied. Zum Konflikt der In­ terpretationen im Mittelalter, Stuttgart 1979, Kap. Allegorie, Typologie und Heilsgeschichte. Der Strukturwandel des hermeneutischen Rahmens in den Termini der Tradition, S. 27–45, S. 29.



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gen Sinn der im Wort Sprache werdenden Welt […] nicht der Theologie allein zu überlassen.“11 Der in den Dingen verborgene geistige Sinn führt zu einem litera­ rischen Allegoriebegriff, der letztlich eine theologische Metapher ist, wenn sein ästhetischer Gebrauch durch theologische Begründungen garantiert wird. Noch Hans Robert Jauß geht die Allegorie auf ein solchermaßen schematisiertes theolo­ gisches Fundament zurück, wenn er in der modernen Literatur die Profanierung der geistlichen Allegorie behauptet.12 Die nicht genauer befragte Feststellung von „Entsprechungen“, die Auffassung, dass die Tradition geistlicher Allego­ rie „mit einem neuen, weltlichen Sinn“13 erfüllt würde oder die Annahme einer „ursprünglich christlichen […] Gattung“14 setzen die Einheitlichkeit einer theolo­ gischen Substanz als immer schon gegeben voraus, selbst dann noch, wenn sie als überwunden zu gelten hat. Literatur erscheint hierbei als Ablösungsprozess und Akt der Verweltlichung überhaupt erst dadurch, dass ihr etwas Vorgängiges vorausgesetzt wird. Damit wird sie letztlich zu nichts anderem als zu einer Fort­ setzung von Theologie, insofern mit der Erneuerung durch den weltlichen Sinn der „alte“ mit der Geste der Zurückweisung unhinterfragt bleibt. Der solcherma­ ßen von der Allegorie aus gebildete Literaturbegriff basiert auf der Einheit der Struktur des hermeneutischen Rahmens als Voraussetzung einer blinden Über­ tragung in derselben Weise, in der von Carl Schmitt behauptet worden ist, dass die Begriffe der modernen Staatslehre säkularisierte theologische Begriffe seien. Auf der Grundlage dieser Legitimität kann bei Jauß der Dichter das „Amt des Exe­ geten übernehmen, das bisher dem Kleriker vorbehalten war.“15 Diese Übertragung lässt die Verlebendigungsmöglichkeit einer an sich toten Schrift zu, die im Erweckungsmotiv ausbuchstabiert wird: „Allegorisches Dichten heißt, durch Erwecken des Buchstabens zum Geist in sinnhaltiger Form eine neue Schönheit verwirklichen.“16 Die Legitimität einer solchen neuen Ästhetik

11 Ohly: Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter, S. 18. 12 Zur Profanierung der geistlichen Allegorie vgl. Hans Robert Jauss: Entstehung und Struktur­ wandel der allegorischen Dichtung. In: Grundriß der romanischen Literaturen des Mittel­alters. Bd. 4, 1: La littérature didactique, allégorique et satirique. Hrsg. von Ders./Erich Köhler/Hans Ulrich Gumbrecht, Heidelberg 1968, S. 146–244, S. 157. 13 Jauss: Entstehung und Strukturwandel der allegorischen Dichtung, S. 161. 14 Jauss: Entstehung und Strukturwandel der allegorischen Dichtung, S. 164. Anders verfährt Jauß, wenn es um die Liebesallegorie geht. Hier bezeichnet er das Verhältnis von Literatur und geistlicher Allegorie wiederholt als „Kontrafaktur“. Der Roman de la rose ist, insofern er auf Ent­ schlüsselung angelegt ist, eine „Kontrafaktur der geistlichen Allegorie und Schriftexegese.“ Vgl. Jauss: Entstehung und Strukturwandel der allegorischen Dichtung, Kap. 5: Die Minneallegorie als esoterische Form einer neuen ars amandi, S. 224–244, insb. S. 227 u. S. 233. 15 Jauss: Entstehung und Strukturwandel der allegorischen Dichtung, S. 157. 16 Ohly: Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter, S. 28.

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verankert Literatur in „typologische[r] Überlegenheit“, insofern sie letztlich „in Gottes Heilswillen“17 begründet wird. Durch „Verwandlung“ nimmt Dichtung so am Erlösungsversprechen teil.18 Mit dem auf diese Weise gewonnenen Literatur­ begriff wird der geistige Sinn, der gegen den Buchstabensinn den lebendigen, heiligen Geist eingebracht hatte, blindlings mitgeführt. Die Folgen dieser Über­ tragung sind noch an der Behauptung einer Poetik der Erlösung abzulesen, wie sie für Dante nahegelegt wurde. Von Anfang an ist die Beschäftigung mit der typologischen Exegese mit der Dante-Rezeption verbunden, die für das Trecento exemplarischen Charakter hat, wenn sie nicht durch die Wirkungsmächtigkeit der Rezeption sogar paradigmatisch ist und von der bei der folgenden Kritik aus­ gegangen wird.19 Das sieht man an Friedrich Ohly genauso wie an Erich Auer­ bach, auf den später zu kommen sein wird. Die Übertragung des Auslegungssche­ mas von der Exegese auf die Literatur rechtfertigt Ohly durch Dantes Convivio und dessen Brief an Cangrande della Scala, nach denen es so aussieht, als ob die typologische Methode bruchlose Anwendung fand.20 Dass Dante jedoch gerade mit der Parallelführung von literarischer und typologischer Auslegung im Convivio darauf bedacht war, eine eigenständige Methode zu gewinnen, darüber

17 Friedrich Ohly: Typologische Figuren aus Natur und Mythos. In: Formen und Funktionen der Allegorie. Symposion Wolfenbüttel 1978. Hrsg. von Walter Haug, Stuttgart 1979 (Germanis­ tische-Symposien-Berichtsbände 3), S. 126–16, S. 126. 18 Vgl. Ohly: Typologische Figuren aus Natur und Mythos, S. 143. 19 Zur Bestimmung des Verhältnisses von Theologie und Literatur in der Commedia und sei­ ner Detheologisierung vgl. Teodolinda Barolini: The Undivine Comedy. Detheologizing Dante, Princeton, New Jersey 1992, Kap. Detheologizing Dante, S. 3–20. 20 Vgl. Ohly: Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter, S. 25. Es geht um die bekannte Stelle im Brief an Cangrande della Scala, in der Dante die Auslegung für die Commedia vorgibt. Er betont, dass sein Text nicht eine einfache Bedeutung habe (simplex sensus), sondern in einen sensus literalis bzw. historicus und einen sensus allegoricus unterschieden werden müsse. (Vgl. Dante Alighieri: Philosophische Werke. Bd. 1: Epistola XIII / Das Schrei­ben an Cangrande della Scala. Lateinisch‒Deutsch. Hrsg. von Ruedi Imbach, übers. von Thomas Ricklin, Ham­ burg 1993, XIII, 20). Die offensichtliche Anpassung an die Typologie und die Auslegungsvorgabe kann nicht bestritten werden, sie lässt jedoch noch nicht darauf schließen, ob sie in der Commedia auch ausnahmslos vollzogen ist. Vgl. dazu auch Dante, Inf. IX, 62–63: „mirate la dottrina che s᾽asconde / sotto ᾽l velame de li versi strani“. [achtet auf die / Lehre, die sich unter dem Schleier der ungewöhnlichen Verse / verbirgt! [Inf. IX, 61–63]] Dante Alighieri: La Commedia. Secondo l’antica vulgata. 4 Bde. Hrsg. von Giorgio Petrocchi, Florenz 2003 (Le opere di Dante ­Alighieri 7). (Im Folgenden zitiere ich nach dieser Ausgabe.) Zum Konflikt von christlicher Alle­ gorese und Dichtung in Verschränkung mit der aristotelischen Poetik vgl. auch Reinhart Her­ zog: Exegese – Erbauung – Delectatio. Beiträge zu einer christlichen Poetik der Spätantike. In: Formen und Funktionen der Allegorie. Symposion Wolfenbüttel 1978. Hrsg. von Walter Haug, Stuttgart 1979 (Germanistische-Symposien-Berichtsbände 3), S. 52–69, S. 52  ff.



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täuscht Ohlys Argumentation hinweg. Sie ist Bestandteil desselben hermeneuti­ schen Aktes, der in der rückwärtigen Einlesung eines Sinns in Dantes im ersten Gesang eingeführter selva oscura als gefallene Welt besteht, „die ihr Wesen durch die Sünde verspielt und damit ihren sensus historicus eingebüßt hat“21: Demnach kann der sensus historicus, d.  h. der buchstäbliche Sinn, erst mit dem Paradies in sinnhafte Geschichte verwandelt werden. Durch eine solche Restituierung des Heilsgedankens wird die Commedia zu einer zweiten Erlösungsgeschichte, und zwar indem sie die Lesbarkeit des Heilswerks als eine zweite Theologie zurück­ gewinnt.22 Auch diese Auslegung beruht wie schon bei Ohly oder Jauß auf der Annahme der prinzipiellen Übertragungsmöglichkeit von Exegese auf poetische Verfahren, durch die die „stummen Zeichen dieser Welt“23 als lebendige lesbar gemacht werden können. Die Sinnhaftigkeit der göttlichen Welt, ihr anagogi­ scher Sinn, wird auf den profanen Text übertragen und garantiert – im Zusam­ menfallen von historischem und anagogischem Sinn – die Legitimität des über­ haupt erst neu zu konstituierenden literarischen Körpers (in der Volkssprache, als geschichtlichen) durch die Transzendenz des Sinns als Erbe jenes sensus spiritualis, der auctoritas als durch Gott gesichert ansah. In diesem Sinn wäre der forêt de symboles der Moderne, der die selva oscura Dantes noch einmal aufruft, ein Akt der Rückgängigmachung der hier behaupteten Sinnstiftung. Denn nicht nur gibt es aus diesem Wald der Zeichen, wie ihn Charles Baudelaire in den Fleurs du mal darstellt, kein Entrinnen, sondern es kann nicht einmal mit Sicherheit gesagt werden, ob das behauptete Subjekt den Wald (der Zeichen) je verlassen hat.24 Dementsprechend müsste sich die Moderne als Bruch mit der Kontinuität der mit­ telalterlichen ästhetischen Theologie lesen lassen. Doch schon bei Dante stellt sich die Frage, ob er nicht selbst der Übertragungsleistung, deren Rezeption er Vorschub leistet, widerstanden hat (was wiederum Baudelaires forêt de symboles in Kontinuität zu Dantes selva oscura bringt). Denn ist nicht die Verheißung des Heilsgewinns, der mit der Commedia in Aussicht gestellt scheint, die semantische Vorgabe, auf die hin der Text angelegt ist? Die starke Wirkung des Textes geht aber mit Sicherheit nicht darin auf. Zwar richtet Dante die Commedia theologisch aus, die Frage ist jedoch, ob sich der Einlösungsanspruch in dem literarischen

21 Andreas Kablitz: Poetik der Erlösung. Dantes Commedia als Verwandlung und Neubegrün­ dung mittelalterlicher Allegorese. In: Commentaries – Kommentare. Hrsg. von Glenn W. Most, Göttingen: 1999 (Aporemata 4), S. 353–379, S. 363. 22 Vgl. Kablitz: Poetik der Erlösung, S. 365. 23 Kablitz: Poetik der Erlösung, S. 379. 24 Vgl. Paul de Man: Anthropomorphism and Trope in the Lyric. In: Ders.: The Rhetoric of Romanticism, New York 1984, S. 239–262, S. 247  f.

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Text erfüllt hat und, darüber hinaus, ob ein literarischer Text einen solchen über­ haupt erfüllen kann. Die Behauptung von Literatur als wiederholter Erlösungsgeschichte, die durch die Annahme der Möglichkeit eines Substanzwandels des geistigen Sinns abgesichert ist, setzt voraus, dass die theologischen Implikationen (der Exegese) durch den Akt der Übertragung keinesfalls getilgt, sondern prinzipiell fortsetz­ bar sind.25 Interpretation bleibt in dieser Perspektive ein exegetisches Verfahren, das von den Kirchenvätern übernommen werden kann und auf den nicht-theo­ logischen Gegenstand übertragbar ist. Eine solchermaßen gewonnene Deutung impliziert damit letztlich die Annahme einer Kontinuität von Theologie und Lite­ ratur. Wenn also die Commedia als Erlösungsgeschichte behauptet wird, wäre sie Theologie mit anderen Mitteln. Diese Behauptung der Möglichkeit einer Konti­ nuität von Theologie und Literatur, genauer von Poetik und Bibelexegese, liegt auch Erich Auerbachs Übertragung des exegetischen Verfahrens der Typologie auf Dante zugrunde. Bei Auerbach wird jedoch für die biblische Exegese in ihrer Übertragungsfähigkeit eine Grenze markiert, für die er die Metapher des zerbro­ chenen eschatologischen Rahmens in seinem Dante-Kapitel von Mimesis einge­ führt hat. Bevor ich auf diese Metapher und die Behauptung des Bruchs näher eingehen werde, soll jener Moment in den Blick genommen werden, der in histo­ rischer Perspektive zur Voraussetzung für diese bruchlosen Übertragungen in der Dante-Rezeption geworden ist.

2 della futura gloria (Boccaccio) Mit der Rezeption von Boccaccios Trattatello in laude di Dante, auf den man den Beginn der Dante-Philologie datieren kann, ist nicht nur Dante zum National­ dichter geworden (durch die Einheit des Werks, die Vita des Autors, die Einheit

25 In eine andere Richtung geht Teuber, wenn er in der geistigen Literatur einen poetischen Allegoriebegriff eingeschrieben findet, der diese als „Avatar einer theopoetischen Bewegung der Dekonstruktion“ lesbar macht. Vgl. Bernhard Teuber: Sacrificium litterae. Allegorische Rede und mystische Erfahrung in der Dichtung des heiligen Johannes vom Kreuz, München 2003, S. 57. Die Paradoxie ist hierbei in der Theologie selbst schon angelegt, insofern in die Referenz Gott die Paradoxien der Repräsentation eingeschrieben sind, die auch durch den Schriftsinn nicht aufge­ löst werden können. Sprechen erfolgt demnach aus der Position des Mangels heraus, wie Teuber in der Dichtung des Johannes vom Kreuz zeigt. Sie erweist sich als ein „sacrificium litterae“ – ein Opfer nicht nur des Buchstabens, sondern vielmehr eines Buchstabenopfers –, insofern der somit sprachlich nicht fassbare geistige Sinn nur noch als Leerstelle auffindbar ist. Vgl. Teuber: Sacrificium litterae, S. 55  ff. und 509  ff.



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von l’homme et l’œuvre, die Nation), der fortan neben Homer, Vergil, Shakespeare oder Goethe besteht,26 sondern zudem die Unterscheidung von Dichtung und Theologie aufgehoben worden. Dies geht zurück auf das diskursive Dilemma, vor dem Boccaccio stand, nämlich die sorgfältige Abgrenzung der Dichtung (poesia) von der Theologie (teologia). Thomas von Aquin hatte mit seiner Abwer­ tung der Poetik die Probleme, denen sich das literarische Feld des Trecento aus­ gesetzt sah, maßgeblich geprägt. Ihm zufolge ist nur die Theologie in der Lage, die Wahrheit zum Gegenstand zu haben: „haec doctrina videtur esse ordinata ad veritatis manifestationem“ [Das Ziel der hl. Lehre ist die Offenbarmachung der Wahrheit.]27 Gegenüber der Manifestation der Wahrheit ist alle Dichtung notwendig defizitär. Da Bilder und Gleichnisse die göttlichen Dinge verbergen, jedoch der Gebrauch von Bildern und Gleichnissen die Dichtung auszeichnet, ist sie in einem System der Wissenschaften auf der niedrigsten Stufe angesiedelt. Zwar kommt auch die Hl. Schrift nicht ohne metaphorische Rede aus, ja, die Ver­ hülltheit der Bilder ist nützlich, insofern sie die arcana Dei dem Ungläubigen entzieht, aber sie unterscheidet sich von der Poetik durch ihren Zweck: „poetica utitur metaphoris propter repraesentationem: repraesentatio enim naturaliter homini delectabilis est. Sed sacra doctrina utitur metaphoris propter necessitatem et utilitatem, sicut jam dictum est.“ [Der Dichter bedient sich der bildlichen Ausdrucksweise um der lebendigen Vorstellung willen, denn solche Anschau­ lichkeit ist dem Menschen von Natur aus eine Lust. Die Hl. Schrift aber bedient sich der Bilder und Gleichnisse, weil es notwendig und nützlich ist.]28 Diese Unterscheidung von Lust (delectabilis) auf der einen und Nutzen (utilitas) auf der anderen Seite übersetzt die Augustin’sche Differenz von uti und frui im Gebrauch der Zeichen in die Differenz der beiden Zeichensysteme:29 Während die Dichtung dem Genuss zugeordnet wird, begründet sich der Sinn und Zweck der Hl. Schrift durch seine Notwendigkeit. Auf diese Unterscheidung in der Zeichenstruktur hat Dante wie erwähnt in seinem Convivio Bezug genommen. Im Anschluss an Thomas unterscheidet er vier Stufen der Auslegung, mit deren Bestimmung er sich von der Schematisierung

26 Vgl. Hugo Friedrich: Dante, Wiesbaden 1956 (Institut für europäische Geschichte Mainz 10), S. 3. 27 Thomas von Aquin: STh I, I, q. 1, a. 9. Ich zitiere nach folgender Ausgabe: Thomas von Aquin: Die deutsche Thomas-Ausgabe. Vollständige, ungekürzte deutsch-lateinische Ausgabe der Summa theologica. Bd. 1: Gottes Dasein und Wesen. Hrsg. von Heinrich M. Christmann, übers. von Dominikanern und Benediktinern Deutschlands und Österreichs, Graz, Wien, Köln 1934. 28 STh I, I, q. 1, a. 9. 29 Vgl. Augustinus: De doctrina Christiana, I, XXII, 20, 39  ff.

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des Schriftsinns zunächst nicht absetzt.30 Die erste Auslegungsschicht nennt er buchstäblich (sposizione litterale), die zweite allegorisch (sposizione allegorica). Die dritte Ebene der Auslegung ist der moralische Sinn (senso morale). Die vierte Auslegungsschicht schließlich gründet im anagogischen Sinn (sovrasenso), durch den die bezeichneten Dinge auf die ewige Herrlichkeit Gottes bezogen werden können. Augustinisch ist hierbei, dass Dante den buchstäblichen Sinn zur Vor­ aussetzung jeder Interpretation macht: „E in dimostrar questo, sempre lo litterale dee andare innanzi, sì come quello ne la cui sentenza li altri sono ­inchiusi, e sanza lo quale sarebbe impossibile ed inrazionale intendere a li altri, e massi­ mamente a lo allegorico.“ [Conv. II, i, 8–9; Und beim Aufweisen dieses [Sinnes] muß der buchstäbliche [Sinn] immer vorangehen als jener, in dessen Aussage die anderen eingeschlossen sind, und ohne welchen es unmöglich und unvernünf­ tig wäre, die anderen, besonders die allegorischen, anzugehen.]31 Die Vorausset­ zung des buchstäblichen Sinns führt geradezu zu einem Imperativ der Literalität: „Onde, con ciò sia cosa che la litterale sentenza sempre sia subietto e materia de l’altre, massimamente de l’allegorica, impossibile è prima venire a la conoscenza de l’altre che a la sua.“ [Conv. II, i, 11–12; Da die buchstäbliche Aussage immer das Zugrundeliegende und die Materie der anderen, besonders der allegorischen [Aussage] ist, ist es unmöglich, zuerst zur Kenntnis des anderen zu gelangen [und erst danach] zu ihr.] Gegenüber diesem nicht weiter von der doktrinalen Bestimmung der Aus­ legungsschichten abweichenden hermeneutischen Musters situiert Dante im Schema des vierfachen Schriftsinns einen literarischen Sinn auf der Ebene der Allegorie, den er bekanntermaßen als einen Sinn „nasconde sotto ’l manto di queste favole“ [Conv. II, i, 3; versteckt sich unter dem Mantel dieser Erzählun­ gen] identifiziert hat. Ist sein Beispiel für die Funktionsweise der Allegorie im Cangrande-Brief theologisch, so ist das Beispiel im Convivio hingegen nicht der Hl. Schrift, sondern der profanen Literatur entnommen. Denn die Bedeutung der literarischen Allegorie belegt er mit Ovids Metamorphosen. Offensichtlich tritt hier ein Unterschied zutage, wenn der Abstand zwischen der Auslegung der Theologen und Dichter eigens betont wird: „Veramente li teologi questo senso prendono altrimenti che li poeti“ [Conv. II, i, 4; Tatsächlich fassen die Theolo­ gen diesen Sinn anders auf als die Dichter]. Dante zielt nicht auf Angleichung

30 Vgl. STh I, I, q. 1, a. 10. 31 Dante Alighieri: Il convivio. Kritische Ausgabe. Hrsg. von Maria Simonelli, Bologna 1966. Im Folgenden zitiere ich nach dieser Ausgabe. Die Übersetzung folgt: Dante Alighieri: Das Gastmahl. Übersetzt und kommentiert von Thomas Ricklin. Italienisch / Deutsch, Hamburg 1996. (Anm. im Orig.)



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der Auslegungen von teologi und poeti, sondern betont die Verschiedenheit der hermeneutischen Verfahren. Damit wird plausibel, warum er am typologischen Schema nicht gerüttelt hat. Auf dessen Infragestellung war es ihm nicht ange­ kommen. Vielmehr gilt sein Interesse dem „modo de li poeti“ [Conv. II, i, 4; Art der Dichter] und damit nicht dem biblischen Text, sondern dem profanen, wie an dem Beispiel der Metamorphosen deutlich wird. Anders also als die Rezep­ tion nahelegt, betont Dante den Unterschied zwischen der theologischen und der philologischen Auslegung bzw. ihren Gegenständen. Ob damit die Möglichkeit einer bruchlosen Übertragung des exegetischen Verfahrens in Frage gestellt wird, bleibt allerdings offen. Die Institutionalisierung Dantes, die mit Boccaccios Dante-Deutung einsetzt, musste sich gerade an dieser Frage abarbeiten. Das hat zu einer entscheidenden Umbesetzung geführt, die die Rezeption Dantes und damit nicht nur die For­ schung maßgeblich geprägt hat. Das Verhältnis von Dichtung und Theologie hatte Boccaccio mit Dante im Trattatello in laude di Dante dahingehend neu bestimmt, dass er Literatur nicht mehr über die Differenz von Dichtung und Schriftsinn gelesen, sondern zum Quasi-Erben der Hl. Schrift gemacht hat. Die Autorisierung der Dichtung erfolgt durch die Behauptung, dass es beide, Theologie und Dich­ tung, mit der gleichen verdeckten Rede, „sotto velame parlare“32, folglich also mit Allegorien zu tun haben: „il quale parlare noi con più usato vocabolo chiamiamo ‚allegoria‘.“ [welche Redeweise wir mit dem gebräuchlichen Ausdruck Allego­ rie benennen].33 Die Tatsache, dass beide historische Wirklichkeit in Allegorien übersetzen müssen, ist für Boccaccio Grund genug, ihre ‚Quasi‘-Gleichstellung zu behaupten: „Dico che la teologia e la poesia quasi una cosa si possono dire, dove uno medesimo sia il suggetto; anzi dico più: che la teologia niuna altra cosa è che una poesia di Dio.“ [Ich sage, daß die Theologie und die Poesie beinahe ein näm­ liches genannt werden dürfen, da ein und dasselbe ihr Gegenstand ist. Überdies sage ich sogar, daß die Theologie weiter nichts ist als eine Poesie Gottes.]34 Der Preis für die rückwirkende Poetisierung der Theologie ist der Verlust der noch bei Dante geltenden Differenzierung zwischen teologi und poeti, deren Unterschied Boccaccio schlichtweg kassiert. Wie Ernst H. Kantorowicz für die politische Theo­ logie mit der Theorie der zwei Körper die theologischen Hypotheken in der profa­ nen Sphäre der Macht analysiert, so müsste also auch hier nach den verdeckten 32 Giovanni Boccaccio: Trattatello in laude di Dante. In: Ders.: Opere in versi, Corbaccio, Trat­ tatello in laude di Dante, Prose latine, Epistole. Hrsg. von Pier Giorgio Ricci, Mailand, Neapel 1965, S. 565–650, S. 616. 33 Boccaccio: Trattatello in laude di Dante, S. 621. Die Übersetzung folgt: Giovanni Boccac­ cio: Das Leben Dantes, Leipzig 1965, S. 55. 34 Boccaccio: Trattatello in laude di Dante, S. 621. [Das Leben Dantes, S. 55]

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Hypotheken erst noch gefragt werden. Denn Boccaccios Argumentation rückt Dichtung und Theologie zueinander in eine solche Nähe, dass am Ende zwar ein neuer Nationaldichter (autore) dabei herauskommt – möglich ist diese Errungen­ schaft aber nur durch eine Übertragung theologischer Autorität auf den Körper des Dichters. Dichtung (poesia) ist für Boccaccio nicht nur theologisch, sondern Theologie ist selbst nie etwas anderes als Dichtung gewesen. Boccaccio geht offensichtlich von der prinzipiellen Umkehrbarkeit von Theologie in Dichtung aus: „Dunque bene appare, non solamente la poesì essere teologia, ma ancora la teologia essere poesia.“ [So zeigt es sich denn gut, nicht allein, daß die Poesie Theologie ist, sondern auch die Theologie Poesie.]35 Die säkularisierende Geste führt Boccaccio mit der rhetorischen Figur des Chiasmus ein, in der poesì(a) und teologia überkreuzt werden: poesì(a) – teologia teologia – poesìa Die rhetorische Figur wird hier jedoch zur Rechtfertigung einer neuen ontolo­ gischen Beziehung von Dichtung und Theologie, manifestiert Identität im Sein (essere) und nicht Differenz in Sprache. Denn die Operation vollzieht sich auf der Grundlage der Aufhebung des Körpers der Theologie, sodass beide Körper, der der Dichtung und der der Theologie, gegeneinander ausgetauscht werden können. Theologie und Dichtung fallen zusammen, Dichtung ist Theologie und umgekehrt ist Theologie Dichtung. Dichter, so Boccaccio, seien überhaupt die ersten Theologen gewesen. Das Geheimnis des Glaubens, das mysterium Christi, wird hier nicht mehr nur für den theologischen Rahmen beansprucht, sondern kann genauso auch poetischen Zwecken dienen. Die Operation, wie überhaupt die Notwendigkeit dieses Austauschs, zeigt, dass Boccaccio es nicht mehr mit den gleichen Selbstverständlichkeiten zu tun hatte wie Dante. Das behauptete Zusammenfallen der Allegorie der Theologen mit der Allegorie der Dichter setzt einen veränderten, jedoch offensichtlich zunehmend geläufigen usato voraus. ­Boccaccios Behauptungen gehen also nicht allein darin auf, die ersten Ausle­ gungen der Commedia zu sein, durch die B ­ occaccio zum Gründungsvater der ita­ lienischen Philologie avanciert. Sie heben auch die Differenz auf, die zwischen den beiden Sphären, der theologischen und der poetischen, bestanden hatte. Im Unterschied zu Dante, der im Convivio diese Differenz unterstrichen hatte, kas­ siert ­Boccaccio den göttlichen Ursprung zugunsten seines Literaturbegriffs ein. Über die von Dante getroffene Unterscheidung geht Boccaccio stillschweigend

35 Boccaccio: Trattatello in laude di Dante, S. 621. [Das Leben Dantes, S. 55]



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hinweg, gerade wenn es um die Einsetzung Dantes als einheitsstiftende, auto­ ritäre Instanz – il nostro poeta – geht. Der Trattatello offenbart eine epistemolo­ gische Blindheit gegenüber der Differenz zwischen Theologie und Dichtung, die daran erinnert, was Blumenberg über den historischen Schwellenwert am Bei­ spiel von Kusaner und Nolaner gesagt hatte.36 Als Philologe erster Stunde erweist sich Boccaccio darin, dass er die Commedia einer Auslegung unterzieht, die Exemplarizität beansprucht. Wie in einer Legende, in der die Narration vom Heiligen auf das Jenseits ausgerichtet ist, aber durch Imitabilität als Muster dem irdischen Leser zur Verfügung gestellt wird, so wird auch Dante zum Heiligen und zur poetischen Identifikationsfigur glei­ chermaßen gemacht. Sinn und Zweck ist dabei – und das macht seine oben dar­ gestellte chiastische Operation möglich – nicht die Bestätigung des jenseitigen Lebens, sondern die Geburt des Dichters, der durch die Attribute des Heiligen ebenso glanzvoll erstrahlt wie Christus und damit die Literatur in das Licht einer profanen Gloria stellt. Um sich als einheitliche Volkssprache zu etablieren, brauchte das volgare eine Volksdichtung. Boccaccio hat dies erkannt, als er Dante einen gloriosen Körper angedichtet und ihn damit zum exemplum des Dichter­ ruhms gemacht hat. Für die Plausibilisierung von Dantes futura gloria greift Boccaccio auf hagio­ graphische Erzählmuster zurück, die durch Heiligenlegenden geläufig waren. Die in Aussicht gestellte Gloria erzählt er durch einen allegorisch verschlüsselten Traum der Mutter, einem sogno presagio, in welchem Dantes Lorbeerkrönung vor­ ausgesehen wird. Durch den Traum der Mutter Dantes – über dessen Ursprung wir aus dem Trattatello nichts erfahren (Geht der Traktat aus Aufzeichnungen hervor? Aus Gesprächen? Ist er eine Erfindung Boccaccios?) – wird prophetisch der Ruhm des zukünftigen Dichters vorausgesagt. Der Struktur nach eine Meta­ morphose (und keine conversio), mit der Boccaccio den Ovid’schen Mythos von Apollon und Daphne und ihrer Verwandlung in den Lorbeer zitiert, beschreibt der Traum die Verwandlung eines Hirten in einen Pfauen. Dass sich der Hirte von

36 Vgl. Hans Blumenberg: Die Legitimität der Neuzeit, Frankfurt a. M. 1999, Kap. Der Cusaner: Die Welt als Selbstbeschränkung Gottes, S. 558  ff. Umgekehrt argumentiert Neumeister, aber mit ähnlichem Resultat: „Boccaccio hat sich, so scheint es, um die Dichtung zu rechtfertigen, wieder ganz in die Gewalt der Theologie begeben, also der zu seiner Zeit einflußreichsten Partei, die auf Eindeutigkeit und Wahrheitsprüfung aus ist.“ (Sebastian Neumeister: Boccaccios Litera­ turbegriff („Genealogia deorum gentilium“ XIV). In: Saeculum tamquam aureum. Internationa­ les Symposion zur italienischen Renaissance des 14.-16. Jahrhunderts am 17./18. September 1996 in Mainz. Hrsg. von Ute Ecker/Clemens Zintzen, Hildesheim 1997, S. 233–234, S. 238.) Wenn Boccaccio die Differenz zwischen den Sphären verwischt, kann allerdings nicht mehr eindeutig unterschieden werden, welcher Seite er sich zurechnet.

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den Blättern des Lorbeerbaums nährt, stellt eine Verbindung zu Ovids Mythos und der erzählten Dante-Legende her. Boccaccio zufolge allegorisiert der Pfau das Werk Dantes, die Commedia, die er in zweifacher Hinsicht interpretiert. Einmal buchstäblich, denn der „senso della […] Comedia“ sei vergleichbar mit dem Fleisch des Tieres.37 Die durch die metaphorische Beziehung möglich gewor­ dene Auslegung erlaubt es Boccaccio, der Commedia seinen Wahrheitsbegriff einzutragen. Dabei ist der Unterschied zwischen den Sinnebenen zugunsten der Eindeutigkeit einer Wahrheit nivelliert, die sich offenbar nicht gegenüber der theologischen Wahrheit behaupten muss: „perciò che esso, o morale o teologo che tu il dèi a quale parte più del libro ti piace, è semplice e immutabile verità“ [ob du ihn als moralisch oder theologisch nimmst, und wo es dir im Buche beliebt, einfache und unabänderliche Wahrheit ist].38 Das Attribut der Unveränderlichkeit, das einst der göttlichen Wahrheit vor­ behalten war, wird mit dieser Behauptung dem auszulegenden Text – auch hier wieder buchstäblich  – einverleibt. Gleichzeitig ermöglicht diese Inkorporation die Vertiefung des Sinns der Commedia: „e con mirabile soavità de’ profondissimi sensi sotto quella nascosi“ [doch mit dem wunderbaren Entzücken des tiefen darin verborgenen Sinnes]39. Die Süße, die bei den Kirchenvätern nur die Süße göttlicher Wahrheit sein konnte, ist hier ganz und gar an die Dichtung übergegan­ gen, ist durch den Akt der Auslegung der Commedia eingeschrieben worden. Der zweiten Bedeutungsschicht nach, die Boccaccio ins Spiel bringt, wird das schöne Gefieder des Pfauen zum Bild für die buchstäbliche Ebene des Textes, sensus literalis: „nella superficie della lettera della Comedia“ [die an der Oberfläche des Wortlautes der Komödie klingt]40. Auch diese Ebene wird mit theologischen Attri­ buten versehen, ohne dass dies eigens betont würde. Ganz selbstverständlich ist das Gefieder die penna angelica, die der Pfau von den himmlischen Engeln geerbt zu haben scheint. Beide Zuschreibungen, die sich unter dem Deckmantel der Metaphorik vollziehen, versehen den ‚Körper‘ der Dichtung mit einer neuen Strahlkraft und statten ihn mit göttlichem Verheißungscharakter aus. Der lite­ rarische Text selbst wird damit zu etwas, das Erlösung und Erfüllung verspricht und der Kompensation einer falschen Wirklichkeit oder der Unvollkommenheit der Zeichen dient. Boccaccio nimmt mit der Einschreibung der Verheißung zugleich eine Ontologisierung der Dichtung vor, die die Differenz zwischen Spiritualität und

37 Boccaccio: Trattatello in laude di Dante, S. 647. [Das Leben Dantes, S. 78] (Herv. im Orig.). 38 Boccaccio: Trattatello in laude di Dante, S. 647. [Das Leben Dantes, S. 78] 39 Boccaccio: Trattatello in laude di Dante, S. 646. [Das Leben Dantes, S. 77] 40 Boccaccio: Trattatello in laude di Dante, S. 648. [Das Leben Dantes, S. 79]



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Literalität nivelliert. Geschickt macht er sich hierfür das Muster der Heiligenle­ gende zunutze, um die Tätigkeit des Heiligen in die „erste Dichterbiographie der Neuzeit“41 umzuschreiben. Der Effekt ist ein doppelter, der Dantes Leben in den sensus spiritualis einliest und dessen Folgen auf das Heiligendispositiv abbil­ det.42 Die Aufhebung der Differenz zwischen Theologie und Literatur hat somit auch strategische Gründe, wenn sie auf die Funktionalisierung des hagiogra­ phischen Diskurses zielt.43 Der Rückgriff auf das Konzept der Providenz  – und demzufolge die Gleichsetzung von Dichtung und Heilsbotschaft – wird dement­ sprechend zur Legitimation des schöpferischen Dichtens.44 Die in Dante einge­ lesenen Zeichen „della futura gloria“ richten die Auslegung der Commedia nach dem hagiographischen Muster aus und führen damit in actu vor, wie unmerklich das Zusammenfallen von Theologie und Dichtung qua Umbesetzung der Gattung schon vollzogen und durch den Kurzschluss die Ewigkeit des Gottesreichs auf Dante übertragbar geworden ist. Die Behauptung der Macht des Dichters, die poetische Gloria, gründet folglich in der Übertragung der ihr zugrunde liegen­ den Doppelstruktur von geistigem und buchstäblichem Sinn. Jeder zukünftige Ruhm  – Boccaccio errichtet Dantes Gloria letztlich, um damit sich selbst und seinem „eccellente maestro, messer Francesco Petrarca“45 den Dichterruhm zu erschreiben  – wird fortan blindlings die ihn ­konstituierende Differenz überge­ hen, um den Dichter im Glanz dieser Welt erstrahlen zu lassen. Dabei wird Dantes Commedia überhaupt erst unter das Vorzeichen einer Sehnsucht nach ewigem Ruhm gestellt und die Bedingung für die Begründung des Nationaldichters, den poeta laureatus, geschaffen. Das dieser Umbesetzung zugrunde liegende Geschichtsbild ist die translatio, innerhalb derer dem Dichter Dante und seinem Werk ein Platz eingeräumt wird. „[D]i Grecia il romano imperio in Gallia traslatato“ [von Griechenland nach Gallien übertragen]46: hierin liegt

41 Anne Margret Rusam: Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit? Boccaccio und Bruni als Bio­ graphen Dantes. In: Historische Anthropologie und Literatur. Romanistische Beiträge zu einem neuen Paradigma der Literaturwissenschaft. Hrsg. von Rudolf Behrens/Roland Galle, Würz­ burg 1995, S. 11–22, S. 12. Rusam macht am Beispiel des Traums der Mutter, der Dantes Ruhm erträumt, diese Umbesetzung sichtbar. Denn Boccaccio erzählt nicht zufällig diesen Traum zweimal. Einmal erzählt er ihn, um Dantes Leben unter das göttliche Zeichen der Providenz zu stellen und in das hagiographische Schema einzurücken. Das zweite Mal erfolgt als Praxis der Auslegung durch den Traumdeuter Boccaccio. 42 Rusam: Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit?, S. 18. 43 Vgl. Rusam: Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit?, S. 12  ff. 44 Rusam: Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit?, S. 17. 45 Giovanni Boccaccio: Tutte le opere. Hrsg. von Vittore Branca. Bd. 6: Esposizioni sopra la Comedia di Dante. Hrsg. von Giorgio Padoan, Mailand 1965 (I classici Mondadori), S. 36. 46 Boccaccio: Trattatello in laude di Dante, S. 570. [Das Leben Dantes, S. 9]

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unverkennbar eine Anspielung auf die translatio imperii et studii, derzufolge von Griechenland über Rom nach Paris Wissen und Macht übertragen werden. Mit dem Bezug zu Solon und dem Rechtsgedanken will Boccaccio von Anfang an darauf hinaus, Dantes Dichtung den Status des Bürgerrechts zu verleihen, und zwar innerhalb der Übertragungsgeschichte, durch die die Römische Republik von der Florentinischen beerbt werden soll.47 Florenz nimmt darin einen Platz ein als Enkelin Trojas und Tochter Roms.48 Das Bürgerrecht (cittadinanza), die patria und der Dichterruhm, futura gloria, sind nicht voneinander ablösbar, wenn nicht nur die Theologie zur Dichtung, sondern auch die zwei Instanzen, poeti und imperadori,49 in Bezug gesetzt werden. Damit zitiert Boccaccio dasjenige Paar, das auch Dante für die Commedia im Blick hatte, als er die Macht doppelt aus­ gerichtet hatte: auf Kaiser und Dichter, o cesare o poeta (Par. I, 29). Das theo­ logisch-dichtungstheoretische Übertragungsschicksal ist damit auch in eine juristisch-theologische Geschichte eingelassen. Manfred Schneider hat darauf aufmerksam gemacht, dass Dante und Petrarca die Trias von Gott-Kaiser-Dichter zum „Zwillingspaar“ Kaiser-Dichter verkürzt und auf die geläufige Doublette von Herrscher und Dichter gebracht haben.50 Die göttliche Macht, die die irdische Gloria legitimiert hatte, wird in die Doppelfigur übertragen, aber der Akt des Übertragens ist nicht sichtbar.51 Stattdessen gibt Boccaccio mit dem Trattatello das Schema vor, nach dem Dante gelesen werden soll: neuzeitlich und weltlich. Dieser Lesart liegt eine unmerkliche Umbesetzung und Umwertung der noch bei Dante selbst eindeutig getrennten Sphären zugrunde. Mit großem rhetori­ schem Geschick gelingt es Boccaccio unseren Blick so zu lenken, dass fortan die bruchlose Übertragung von Theologie auf Literatur auch für jedes andere Werk, und damit auch für sein eigenes, möglich wird. Die Nivellierung der Differenz zwischen Poetik und Theologie, die Übertragung des theologischen Gehalts auf den Körper des Dichters, vollzieht sich also ausgerechnet an Dante, der die Diffe­ renz von Schriftsinn und modo de li poeti betont hatte und macht damit den Weg 47 Es ist interessant, dass die „romanistische Geschichte“ zunächst eine Rechtsgeschichte ist. Bei Boccaccio scheint diese Bedeutung noch auf. Vgl. Marie Theres Fögen: Römische Rechts­ geschichten. Über Ursprung und Evolution eines sozialen Systems, Göttingen 2002, S. 65  ff. 48 Boccaccio: Trattatello in laude di Dante, S. 605. 49 Boccaccio: Trattatello in laude di Dante, S. 623. 50 Manfred Schneider: Der König im Text. Autorität in Recht und Literatur. In: Zeitschrift für Ideengeschichte 3/1 (2009), S. 48–63, S. 54. 51 Damit hat zu tun, was Agamben für die politische Theologie behauptet. Die Gloria gewinnt ihr Potential mit der Überschneidung von theologischer und politischer Sphäre. Sie ist dasjeni­ ge Moment, das die politische und theologische Macht kreuzt und trennt, damit aber zugleich konstituiert. Vgl. Giorgio Agamben: Homo sacer. Bd. 2, 2: Il regno e la gloria. Per una genealogia teologica dell’economia e del governo, Vicenza 2007, Kap. Archeologia della gloria, S. 219  ff.



Zerbrochene Rahmen (Auerbach) 

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frei für eine Rezeption, die die manifeste Differenz zugunsten des nach außen gekehrten Ruhms des Dichters in die latenten poetologischen Zusammenhänge verschoben hat. Der Traum der Mutter aus dem Trattatello, in dem diese Dante mit Lorbeerkranz gekrönt gesehen hatte, ist in Erfüllung gegangen, insofern er den Ort markiert, an dem der Dichter seinen Platz hat und die Struktur begrün­ det, durch die die fortuna di Dante möglich war. Der Preis hierfür ist jedoch der Verlust eines Wissens, das Dante noch selbstverständlich war: dass die Gloria ein theologisches Dispositiv ist, dessen Befragung den Aufwand eines großen Werkes erfordert hatte.

3 Zerbrochene Rahmen (Auerbach) Auerbach hat nicht nur das Fortwirken der Typologie in der Literatur behaup­ tet, sondern auch die Spannung sichtbar gemacht, in die die Literatur des Mit­ telalters durch die Übertragung des hermeneutischen Modells auf die Literatur gebracht worden ist: Indem er die das Christentum kennzeichnende Paradoxie von niedrigem Stil und hohem Gegenstand für die Literatur geltend macht, hat er zur Bestimmung der nachplatonischen Mimesis das Verhältnis von Diesseits und Jenseits in den Blick gerückt. Dante dient ihm als Beispiel, um durch Typo­ logie eine Figur zu abstrahieren, mittels derer das „irdische Geschick“52 sichtbar gemacht werden kann. Das christliche Geschichtsmuster, durch das zwei zeitlich auseinander liegende Ereignisse – Figur (figura, typus, schema, forma) und Erfül­ lung (implementum) – aufeinander bezogen werden können, bezweckt somit das Herausstellen nicht des jenseitigen, sondern genau umgekehrt des irdischen Menschen. Durch die figurale Deutung wird Auerbach zufolge der sensus literalis bzw. historicus nicht aufgegeben.53 Die konsequente Verchristlichung der Lite­ ratur führt demnach gerade nicht dazu, von ihr die Darstellung des christlichen 52 Erich Auerbach: Dante als Dichter der irdischen Welt (1929). Mit einem Nachwort von Kurt Flasch, Berlin, New York 2001, S. 22. 53 Typologie am Beispiel von Beatrice zeigt Auerbach in seinem Figura-Aufsatz. Vgl. Erich Auer­bach: Figura (1938). In: Ders.: Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie. Hrsg. von Fritz Schalk, Bern, München 1967, S. 55–92, 90  ff. Robert Hollander betont, dass Auerbachs Interpretation eine neue Definition von Dantes Allegoriebegriff sei: nicht figurativ, sondern figu­ ral, nicht metaphorisch, sondern historisch. Robert Hollander: Dante and his Commentators. In: The Cambridge Companion to Dante. Hrsg. von Rachel Jacoff, Cambridge 2000, S. 226–236, S. 234. Vgl. auch: Martin Vialon: Die Stimme Dantes und ihre Resonanz. Zu einem bisher unbe­ kannten Vortrag Erich Auerbachs aus dem Jahr 1948. In: Erich Auerbach. Geschichte und Ak­tua­ li­tät eines europäischen Philologen. Hrsg. von Karlheinz Barck/Martin Treml, Berlin 2007, S. 46–56.

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Menschen abzuleiten, sondern umgekehrt, diesem Modell seine radikale Dies­ seitigkeit, d.  h. ihr die irdische Wirklichkeit in „ihrer endgültigen und wahren Gestalt“54 abzugewinnen.55 Nur so, mit der impliziten Aufnahme der christ­lichen Paradoxie in die Literatur, kann die Geschichte gegenüber dem göttlichen Heils­ plan triumphieren, als eine Geburt des historischen Menschen aus dem gött­ lichen Urteil heraus.56 Aus diesem Grund kommt dem Dante-Kapitel innerhalb von Mimesis eine Scharnierfunktion zu. Die Beobachtung Auerbachs, dass im Realismus des 19. Jahrhunderts zum ersten Mal in der Literaturgeschichte das Alltägliche, Wirkliche nicht mehr komisch, sondern im Gegenteil ernst und tra­ gisch dargestellt werden kann, führt zur Markierung eines Bruches mit einer auch bei Dante wirksamen Tradition, die das Alltägliche nur als Komisches darstellen konnte. Unbestreitbar nimmt aber auch schon der bei Dante angesetzte Wirklich­ keitsbegriff Züge dieses tragischen Realismus an. Dabei ist das Tragische nicht mehr die Tragik des antiken Menschen, sondern eines, das die passio Christi erfahren hat und dennoch der Literatur nicht als Jenseitsfigur, sondern als ein „Menschendrama im Diesseitigen“57 eingetragen wird. Die Paradoxie der Grundthese von Mimesis besteht hierbei darin, gegen das homerische Epos einen Begriff von Diesseitigkeit zu behaupten.58 Der Beweis der Wirksamkeit der Typologie ist dementsprechend dieser Paradoxie ausgesetzt, die darin sichtbar wird, dass sie gleichzeitig ihr Funktionieren behauptet und ihre Grenzen sichtbar macht. Auerbachs bekannte These besteht darin, Dantes Commedia als einen Text zu lesen, der auf die Erfüllung des göttlichen Heilsplans hin angelegt ist. Jedoch – und das wird innerhalb der Dante-Philologie und auch der Auerbach-Forschung weniger betont  – zeigt sich in seiner Übersteigerung auch die Begrenzung des Verfahrens. Auerbach liest Dantes Commedia in den „figuralen Rahmen“59 der Typologie ein, aber dieser Rahmen, der die Commedia einfasst und konstituiert, ist „zerbrochen“. Das heißt nichts anderes, als dass in

54 Auerbach: Dante als Dichter der irdischen Welt, S. 211. 55 Gumbrecht hat den Begriff des Alltäglichen in Bezug auf Auerbachs Biographie gedeutet. Vgl. Hans Ulrich Gumbrecht: Pathos of the Earthly Progress. Erich Auerbach’s Everydays. In: Literary History and the Challenge of Philologie. The Legacy of Erich Auerbach. Hrsg. von Seth Lerer, Stanford, California 1996, S. 13–35. 56 Vgl. Auerbach: Dante als Dichter der irdischen Welt, S. 213. 57 Auerbach: Dante als Dichter der irdischen Welt, S. 166. 58 Die Paradoxie deutet sich auch mit der Uneindeutigkeit der Funktion des ersten Kapitels von Mimesis an. Vgl. Gerhard Hess: Auerbachs ‚Mimesis’. In: ders.: Gesellschaft, Literatur, Wissen­ schaft. Gesammelte Schriften 1938–1966. Hrsg. v. Hans Robert Jauß, Claus Müller-Daehn. Mün­ chen 1967, S. 182–209, S. 185  f. 59 Erich Auerbach: Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur, Basel, Tübingen (1946) 2001, S. 193.



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dem Moment, in dem Literatur typologisch gelesen wird, das Schema an seine äußersten Grenzen kommt: „Dantes Werk verwirklichte das christlich-figurale Wesen des Menschen und zerstörte es in der Verwirklichung selbst; der gewal­ tige Rahmen zerbrach durch die Übermacht der Bilder, die er umspannte.“60 Die Übertragung des exegetischen Schemas auf die Literatur bedeutet folgerichtig nicht die Bestätigung der göttlichen Ordnung, sondern geradezu umgekehrt ihre Verdunklung: „Und in dieser unmittelbaren und bewundernden Teilnahme am Menschen wendet sich die in der göttlichen Ordnung begründete Unzerstörbar­ keit des ganzen, geschichtlichen und individuellen Menschen gegen die gött­liche Ordnung; sie macht sie sich dienstbar und verdunkelt sie; das Bild des Men­ schen tritt vor das Bild Gottes.“61 Anstatt in der perfekten Verwirklichung des christlich-figuralen Realismus den Heilsplan zu bestätigen, wird die Ordnung, die dem Verfahren zugrunde liegt und es voraussetzt, „verdunkelt“. Auerbach spannt demnach Literatur nicht einfach in den theologischen Rahmen, sondern benennt dort, wo sich der Rahmen spannt, die entstandenen Differenzen. Als einen solchen Denker der Differenz hat ihn Ulrich Schulz-Buschhaus  – in Abgrenzung zu Ernst Robert Curtius von Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter  – identifiziert: „Wie mir scheint, ist Auerbach in unserer Disziplin der erste gewesen, der unterhalb der Ebene seiner lediglich perspektivierenden poetologischen Normen eine Verfahrensweise der Textbeschreibung entwickelt hat, welche allein auf Differenzen setzt.“62 Die Metapher vom „Zerbrechen des Rahmens“ hat somit nicht nur eine inhaltliche Pointe, die in der Begründung des modernen Realismus liegt.63 Sie erweist sich auch als eine die historischen Gewissheiten und Selbstverständlichkeiten dekonstruierende Methode, indem

60 Auerbach: Mimesis, S. 193. 61 Auerbach: Mimesis, S. 193 (Herv. im Orig.). 62 Ulrich Schulz-Buschhaus: Erich Auerbach. Die Frühe Neuzeit im Schatten Dantes. In: Kul­ turwissenschaftler des 20. Jahrhunderts. Ihr Werk im Blick auf das Europa der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Klaus Garber, München 2002, S. 89–108, S. 101. Vgl. auch Ulrich Schulz-Busch­ haus: Auerbachs Methode. In: Lingua et traditio. Geschichte der Sprachwissenschaft und der neueren Philologien. Festschrift für Hans Helmut Christmann zum 65. Geburtstag. Hrsg. von ­Richard Baum u.  a., Tübingen 1994, S. 593–607, S. 601. 63 Vgl. Ulrich Schulz-Buschhaus: Curtius und Auerbach als Kanonbildner. In: Begründun­ gen und Funktionen des Kanons. Beiträge aus der Literaturwissenschaft, Kulturwissenschaft, Philologie und Theologie. Hrsg. von Gerhard R. Kaiser/Stefan Matuschek, Heidelberg 2001, S. 155–172, S. 168. Der Begriff kommt noch öfters in Mimesis vor, auch in Zusammenhang mit dem Stilbegriff. Vgl.: „Indem Stendhal und Balzac beliebige Personen des alltäglichen Lebens in ihrer Bedingtheit von den zeitgeschichtlichen Umständen zu Gegenständen ernster, problematischer, ja sogar tragischer Darstellung machten, zerbrachen sie die klassische Regel von der Unterschei­ dung der Höhenlagen […]“ (Auerbach: Mimesis, S. 515).

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hiermit – wiederum im Unterschied zu Curtius, der auf der Kontinuität der Latini­ tät besteht – die Unterscheidungen nicht nur auf diachroner Achse, sondern auch in der Synchronie betont werden. Interessant ist, dass die Auseinandersetzung mit der Frage nach Typologie nicht zur Affirmation des hermeneutischen Verfah­ rens, sondern zu einer Methode geführt hat, die man in Anschluss an SchulzBuschhaus als „insgeheim widerspenstige“64 Methode bezeichnen könnte, deren Interesse im Aufzeigen der Differenzen, nicht der Substanzen bestand.65 In der Tat ist das Differenzkriterium von Typologie als allegorischem Verfah­ ren seine konkrete historische Bindung, seine „Innergeschichtlichkeit“66, die das Verfahren auch von der Dichtungsallegorese als abstrakter und moralischer Aus­ legung unterscheidet: „denn beide Pole einer typologischen Figur bewahren ihre historisch reale Konkretheit; der typologische Sinn zerstört nicht den wörtlich historischen Sinn des prophetischen Ereignisses, und auch die auf diese Weise figurierte Erfüllung ist stets ein als wirklich geschehend erwartetes Ereignis, nicht eine Abstraktion.“67 Anders als Ohly behauptet Auerbach nicht nur das Fortbe­ stehen der Typologie in der Literatur, sondern erkennt die Grenzen der Übertra­ gungsfähigkeit an. Im Moment ihrer Verwirklichung stellt sich die Methode gegen sich selbst, sodass sie folglich schon bei Boccaccio nicht mehr aufgehen kann: „Die figurale Einheit der irdischen Welt ist in dem Augenblick zerbrochen, wo sie, bei Dante, volle Beherrschung der irdischen Wirklichkeit gewonnen hatte; die Beherrschung der Wirklichkeit in ihrer sinnlichen Vielfalt blieb errungen, aber die Ordnung, in die sie gefaßt war, ist nun verloren, und es trat zunächst nichts an ihre Stelle.“68 In der Darstellung des Jenseits wird die figura des Irdischen nicht nur überwunden oder überboten, sondern mit ihrer Erfüllung geht ihre Verselbst­ ständigung und d.  h. auch der Verlust der von ihr konstituierten Ordnung einher. Die schematische Engführung der Typologie auf die Figur der Steigerung wird

64 Vgl. Schulz-Buschhaus: Auerbachs Methode. S. 393 und S. 595. Auerbach selbst hat die Struktur seiner Methode als spezifisch deutsche Geistesgeschichte und Philologie verstanden. Sein Standpunkt ist geradezu genealogisch, wenn er von der Gegenwart aus fragt, „und zwar von dem Heute, welches durch seine, des Sehenden, persönliche Herkunft, Geschichte und Bildung bestimmt ist.“ Vgl. Erich Auerbach: Epilegomena zu Mimesis. In: Romanische Forschungen 65 (1954), S. 1–18, S. 15 und S. 17. 65 Interessant wäre es, die Frage nach der in Mimesis wirksamen unbewussten Semantik der Trennung und des Exils als Voraussetzung für den Realismus als Ergebnis von Säkularisierung, wie sie Martin v. Koppenfels betont hat, auf diese Frage nach den Brüchen zu beziehen. Vgl. Martin von Koppenfels: Auerbachs Ernst. In: Poetica 45/1–2 (2013), S. 183–201. 66 Auerbach: Figura, S. 77. 67 Erich Auerbach: Typologische Motive in der mittelalterlichen Literatur, Krefeld 1953 (Schrif­ ten und Vorträge des Petrarca-Instituts Köln 2), S. 8  f. 68 Auerbach: Mimesis, S. 218. Vgl. auch S. 195  ff.



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hier dahingehend erweitert oder konsequent ausgeführt, dass das Moment der Steigerung als übersteigendes und damit zwar nicht überwundenes, aber doch zumindest in Frage gestelltes ausgewiesen wird; eine Tendenz, die auch für die Patristik erschließbar wäre. Zumindest ließe sich hieraus eine Deutung für das Alte Testament ableiten, das durch das Neue Testament nicht nur überboten und in der Überbietung erfüllt, sondern auch an Autonomie gewinnen würde. Dieser Gedanke soll hier jedoch nicht weiter verfolgt werden, denn worauf es ankommt, sind die Konsequenzen für die philologische Methode und ihren Gegenstand, die sich aus Auerbachs Konzeption ableiten lassen. Insofern Auerbach die theolo­ gische Lehre nicht als ablösbar sieht von ihren Techniken der Darstellung, wird nicht Literatur zu Theologie mit anderen Mitteln, sondern Theologie zum Ort von „zeichentheoretischen Einsichten“69, die als „das Ausprägen von Redeordnun­ gen, von Ordnungen der Zeichen und Figuren“70 aufgefasst werden kann und auf dieser semiotischen Ebene mit Literatur vergleichbar ist. Die Formulierung von der „Zerstörung“ verweist bei Auerbach auf Thomas von Aquin, der Typologie als das Zerstören des Vorausgehenden bestimmt: „quando perfectior forma advenit, fit corruptio prioris“ (Herv. C. W.)71. Die zerstö­ rende Kraft der Typologie ist offensichtlich auch der Scholastik nicht unbekannt. Jedoch deutet Auerbach sie um, wenn er nicht die corruptio des Vorausgehenden feststellt, die durch die neue, nachfolgende Form vollzogen wird, sondern genau umgekehrt das Zerbrechen der zukünftigen forma perfectior behauptet. Das typo­ logische Modell wird so gegen sich selbst gewendet. Das Denken des Hervortre­ tens des Menschen, seines individuellen Geschicks als „notwendig tragisch und bedeutend“72, das das Christentum vertieft hat und auf dessen Behauptung es Auerbach angekommen ist, war nur möglich, weil sich der figurale oder auch „echatologische Rahmen“73 als zerbrochen erwiesen hatte. Das Mimesis-Buch dient demzufolge der Wiedergewinnung eines historischen Raums und eines immanenten Wirklichkeitsgehalts, wie ihn Auerbach im Dante-Buch verkündet hat, mit der Behauptung, dass Dante den eschatologischen Rahmen zerstörte: „Dieser historische Raum aber mußte erst wiedergefunden werden; und aus einer spiritualistischen Kultur, die das Geschehende entweder überhaupt nicht oder als gleichnishafte Vorbereitung des Endgeschicks betrachtete, konnte nur vom Endgeschick her, als von dem Ziel und Sinn des Erden­geschehens, der histori­ 69 Bettine Menke: Ratzinger-in-Displacement. In: Ratzinger-Funktion. Hrsg. von Thomas Mei­ necke u.  a., Frankfurt a. M. 2006, S. 56–92, S. 56–92, S. 57  f. Zu Typologie auch S. 59 und S. 75. 70 Menke: Ratzinger-in-Displacement, S. 57. 71 STh I, CXVIII, q. 2, a. 2, zitiert nach: Auerbach: Dante als Dichter der irdischen Welt, S. 113. 72 Auerbach: Dante als Dichter der irdischen Welt, S. 216. 73 Auerbach: Dante als Dichter der irdischen Welt, S. 217.

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sche Raum des Menschen zu finden sein.“74 Behauptet Auerbach Typologie als Signatur historischer Differenz gegen einen Allegoriebegriff, der die Lebendig­ keit des Geistes für die Wiedererweckung in der Schrift benutzt und damit die Unterschiede zwischen sensus spiritualis und Allegoriebegriff verdeckt hat, so gewinnt er dadurch gleichzeitig einen Literaturbegriff, der zwar am theolo­ gischen Dispositiv ausgerichtet ist, aber die Differenz zwischen Literatur und Exegese nicht aufhebt. In Auerbachs Methode tritt mit Dante die in Boccaccios Trattatello scheinbar überwundene Differenz zwischen Theologie und Literatur erneut hervor. Damit kommt wieder ins Spiel, was bei Dante angelegt war und durch die von ihm in der Monarchia ausgearbeitete politisch-theologische Frage nach den zwei Regierungen artikuliert wurde: eine methodische Problematik nämlich, die die Bestimmung des Verhältnisses von Irdischem und Göttlichem herausgefordert hat.

4 officium poetae (Dante) Dantes eigene Auseinandersetzung mit der Allegorie der Theologen, der Typo­ logie, findet in erster Linie in der Monarchia statt. Bevor in den folgenden Kapi­ teln dieser Studie der Schnittpunkt zwischen dem Irdischen und dem Göttlichen fokussiert wird, wie ihn die Texte selbst verarbeiten, soll die Monarchia auf dieses Verhältnis hin befragt und damit die Problemlagen, auf die die verschiedenen Rezeptionsstufen verweisen, diskutiert werden. Dante hat die politische Schrift seinem poetischen Werk gleichgestellt, zumindest dann, wenn er das in der Commedia Gesagte in der Monarchia wiederholt: „sicut in Paradiso Comedie iam dixi“ [wie ich im ‚Paradies‘ der Komödie bereits gesagt habe].75 Der Autor schreibt den Traktat explizit zu eigenem Ruhm. Von Anfang an gibt Dante diesen als Schrift aus, die ihrem Autor den Siegeskranz einbringen soll: „ut palmam tanti bravii primus in meam gloriam adipiscar“ [Mon. I, i, 5; damit ich zu meinem Ruhm als erster den Siegeskranz eines solchen Wettstreites erringe]. Das Versprechen der Gloria rechtfertigt zum einen der Gegenstand: die zeitliche Monarchie (temporalis Monarchia) soll hier in neuer Weise verhandelt werden. Zum anderen gründet die in Aussicht gestellte Gloria in der angewandten Methode. Sie besteht darin, eine verborgene Wahrheit zu enthüllen (ostendere veritates). Die Wahrheits­suche

74 Auerbach: Dante als Dichter der irdischen Welt, S. 217. 75 Dante Alighieri: Monarchia. Lateinisch / Deutsch. Einleitung, Übersetzung und Kommen­ tar von Ruedi Imbach/Christoph Flüeler, Stuttgart 1989, I, xii, 6. Im Folgenden zitiere ich nach dieser Ausgabe mit den Angaben im Text.



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richtet sich aber nicht auf das göttliche Geheimnis, sondern auf etwas, das Dante „latent“ nennt: „maxime latens“ [Mon. I, i, 5; am meisten ­verborgen]. Die Methode ist darauf hin angelegt, die bestehenden Ungereimtheiten des politischen Gefüges aufzudecken. Dante selbst hat also den theologischen Rahmen nicht fraglos hin­ genommen, sondern das auslegende Verfahren einer gründ­lichen Kritik unterzo­ gen. Dies tut er vor allem im dritten Buch, wo er die politisch-theologische Frage nach den zwei Regierungen aufgreift, die Augustinus im Gottesstaat verhandelt hatte und die im Mittelalter mit dem Streit um die Begründung von Papsttum und Weltherrschaft virulent geworden war. Es geht um die Widerlegung der Aussage, dass die beiden Lichter, Sonne und Mond, Allegorien der beiden Regierungen seien: „que allegorice dicta esse intelligebant ista duo regimina: scilicet spiritu­ ale et temporale.“ [Mon. III, iv, 2; Sie verstehen dies als allegorische Aussagen über die beiden Regierungen, d.  h. die geistliche und die zeitliche.] Wie die zwei Schwerter, die für die Geschichte der Zweiheit von Kaiser und Papst stehen, so alle­ gorisieren auch die beiden Lichter die beiden Regierungen. Gegenstand der Kritik Dantes ist weniger der Inhalt selbst als die Verwendung der Allegorie: „dicunt illa duo luminaria typice importare duo hec regimina“ [Mon. III, iv, 12; Herv. C.W; sie behaupten, die beiden Lichter bedeuteten bildlich die beiden Regierungen]. Die politisch-theologische Frage impliziert demnach auch die Art und Weise, wie gesprochen wird und somit die nach dem Allegoriebegriff: „allegorice dicta“ [Mon. III, iv, 2; als allegorische Aussagen].76 Dante kritisiert nicht nur die Sache selbst, sondern die allegorische Deutungsabsicht, Typologie. Der theologische Rahmen stellt sich als problematisch heraus, insofern er das Resultat einer bestimmten Auslegungspraxis ist, die nicht dagegen geschützt ist, selbst Ausle­ gungsirrtümer zu produzieren. Die von Dante aufgezeigten Fehldeutungen und Missverständnisse sind vielfältig, vor allem aber bestehen sie darin, entweder

76 Vgl. Anselm Haverkamp: Stranger than Paradise. Dantes irdisches Paradies als A ­ ntidote poli­tischer Theologie. In: Ders.: Diesseits der Oder. Frankfurter Vorlesungen, Berlin 2008, S. 42–52. Haverkamps These ist Dantes Widerlegung des päpstlichen Autoritätsanspruchs als Widerlegung der ihr zugrunde liegenden Typologie. Vgl. auch Ders.: Leo in nubibus. Dantes Al­ legorie der Dichter, Widerlegung politischer Theologie. In: Ders.: Diesseits der Oder. Frankfur­ ter Vorlesungen, Berlin 2008, S. 37–41. Zur Selbstständigkeit der politischen Ordnung vgl. auch Ruedi Imbach/Christoph Flüeler: Einleitung zu: Dante Alighieri: Monarchia. Lateinisch / Deutsch. Einleitung, Übersetzung und Kommentar von Ruedi Imbach/Christoph Flüeler, Stuttgart 1989, S. 11–57, S. 57. Zum Gebrauch der Termini für Allegorie vgl. Auerbach: Figura, S. 74: „Figura ist nicht das einzige Wort, welches im Lateinischen für Realprophetie gebraucht wird; sehr oft findet man die aus dem Griechischen übernommenen Ausdrücke allegoria und besonders typus“. Weitere lateinische Worte nach Auerbach sind ambages, effigies, exemplum, imago, similitudo, species und umbra.

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dort einen verborgenen Sinn zu suchen, wo es ihn gar nicht gibt, oder aber den sensus mysticus, der auf dem Spiel steht, nicht richtig zu deuten. Erklärtes Ziel dieser Deutungskritik ist die Widerlegung der mittelalterlichen politischen Theologie – „auctoritas Ecclesie non sit causa imperialis auctoritatis“ [Mon. III, xii, 3; die Autorität der Kirche [sei] nicht die Ursache der kaiserlichen Autorität]  –, derzufolge die weltliche Macht durch die päpstliche Macht legiti­ miert und autorisiert wird, wie es die päpstliche Bulle Unam sanctam fordert: „Porro subesse Romano Pontifici omni humanae creaturae declaramus, dicimus, diffinimus et pronunciamus omnino esse de necessitate salutis.“ [So erklären, sagen, definieren wir, daß jedes menschliche Geschöpf dem römischen Papst unterworfen sein muß und verkünden, dies sei ganz und gar heilsnotwendig.]77 Dante lehnt die Unterordnung des Imperiums unter die Kirche deswegen ab, weil sie auf einem Allegoriegebrauch gründet, den er in Frage stellt.78 Durch die Tren­ nung in irdische und göttliche Macht versetzt er das Irdische in sein eigenes Recht. Das hat zumindest Ernst Kantorowicz betont, und er unterscheidet sich darin von Auerbach nicht einmal sehr: „the secular sphere exists in its own right“79. Für Kantorowicz stimmen Monarchia und Divina Commedia darin überein, dass sie das Irdische hervortreten lassen und folglich auch darin, dass sie zwischen irdi­ scher und göttlicher Autorität trennen.80 Emphatisch stellen sowohl Kantorowicz als auch Auerbach  – je für politische Theologie und Typologie  – die Differenz zwischen der irdischen und der göttlichen Sphäre heraus, wie sie Dante vor allem im dritten Buch seiner Monarchia betont. Wie im Gottesstaat von Augustinus civitas Dei und civitas terrena unterschie­ den werden, so stehen sich auch in der Monarchia zwei Herrschaftsformen, die zeitliche (temporalis) und geistige Macht (spiritualis), gegenüber. Und wie das dem Gottesstaat zugrunde gelegte Geschichtsbild die Typologie ist81, so ist auch

77 Papst Bonifaz VIII.: Die Bulle Unam sanctam (18. November 1302), zitiert nach: Dante: Mo­ narchia, S. 347–355, S. 354, Übersetzung S. 355. 78 Vgl. hierzu die Deutung des „Greifen“ in Purg. XXXI von Florian Mehltretter als Symbol ge­ wordenes „Adynaton, das die Haltlosigkeit des päpstlichen Anspruchs auf die zweifache Auto­ rität der ‚due nature‘ in rätselhafter Form verkörpert.“ Florian Mehltretter: Gott als Dichter der irdischen Welt. Beatrice und die Allegorie in Dantes Purgatorio XXX–XXXIII. In: Deutsches Dante-Jahrbuch 79/80 (2005), S. 103–160, S. 129. 79 Ernst H. Kantorowicz: Dante’s „Two Suns“. In: Ders.: Selected Studies, Locust Valley, New York 1965, S. 325–338, S. 328. 80 Vgl. Ernst H. Kantorowicz: The King’s Two Bodies. A Study in Mediaeval Political Theolo­ gy, Princeton, New Jersey 1957, S. 465, vgl. insb. S. 464  ff. 81 Vgl. De civ. XV, 2 (Herv. C. W.): „Pars enim quaedam terrenae civitatis imago caelestis civitatis effecta est, non se significando, sed alteram, et ideo serviens. Non enim propter se ipsam, sed propter aliam significandam est instituta, et praecedente alia significatione et ipsa praefigurans



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Dantes Geschichtsdenken zeitgemäß typologisch, wenn er „den Römer“ mit Paulus auf eine Stufe stellt. Paulus und der römische Mensch, homo romanus und Apostolus, stehen nebeneinander, nicht weil sie von Dante in einen kausalen, sondern weil sie in einen typologischen Zusammenhang gebracht werden: Quis igitur adeo mentis obtuse nunc est, qui non videat sub iure duelli gloriosum populum coronam orbis totius esse lucratum? Vere dicere potuit homo romanus quod quidem Apos­ tolus ad Timotheum ‚Reposita est michi corona iustitie‘; ‚reposita’, scilicet in Dei providen­ tia ecterna. (Mon. II, ix, 19) Wer ist so stumpfsinnig, um nicht einzusehen, daß das glorreiche Volk die Krone des ganzen Erdkreises durch das Recht des Duells erworben hat? In Wahrheit kann der Römer sagen, was der Apostel im Timotheusbrief schreibt: ‚Für mich ist die Krone der Gerechtigkeit bestimmt‘; bestimmt nämlich in der ewigen Vorsehung Gottes.

Typologisch verweist die irdische Krone des Imperiums, „Imperii corona“ (Mon. II, ix, 4), auf die überirdische Krone der Gerechtigkeit. Die Metapher des Duells richtet hierbei das typologische Modell auf das Moment der Überbietung aus. Das Zeichen des Sieges, die „palma“ (Mon. II, ix, 15), ist ein Doppelzeichen, das gleichzeitig auf das irdische Schicksal (fortuna) und auf die göttliche Vor­ sehung (divina providentia) verweist, aber „besser und richtiger“ ist die gött­ liche Vorsehung: „Hic Pirrus ‚Heram‘ vocabat fortunam, quam causam melius et rectius nos ‚divinam providentiam‘ appellamus.“ [Mon. II, ix, 8; An dieser Stelle nennt Pyrrhus das Schicksal Hera. Wir nennen diese Ursache besser und rich­ tiger göttliche Vorsehung.] Dieser Behauptung geht die Annahme voraus, dass Imperium und Gottesreich jedes für sich eine eigene Rechtsgrundlage haben. Die Legitimität der Monarchie resultiert aus der Anerkennung ihres Rechtsstatus’: ­„Desinant igitur Imperium exprobrare romanum qui se filios Ecclesie fingunt, cum videant sponsum Cristum illud sic in utroque termino sue militie compro­

praefigurata est. […] Invenimus ergo in terrena civitate duas formas, unam suam praesentiam demonstrantem, alteram caelesti civitati significandae sua praesentia servientem. Parit autem cives terrenae civitatis peccato vitiata natura, caelestis vero civitatis cives parit a peccato natu­ ram liberans gratia“. [Ein gewisser Teil des irdischen Staates ist nämlich zum Bild des himm­ lischen Staates geworden, indem er nicht auf sich hinwies, sondern auf den andern und daher diente. Um dieses Hinweises willen, nicht um seinetwillen, wurde er nämlich eingesetzt und war selbst auch durch einen andern, vorausgehenden vorgebildet worden. […] Wir finden also im irdischen Staat zwei Formen: die eine stellt ihn in der Tat dar, die andre dient als Vorbild des himmlischen Staates. Die Bürger für den irdischen Staat gebiert die durch die Sünde verdorbe­ ne Natur; die Bürger für den himmlischen Staat gebiert die die Natur von der Sünde erlösende Gnade]. Ich zitiere nach folgender Ausgabe: Aurelius Augustinus: Der Gottesstaat. De civitate Dei. 2 Bde. Übers. und hrsg. von Carl Johann Perl, Paderborn, München u.  a. 1979 [Herv. C. W.].

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basse. Et iam sufficienter manifestum esse arbitror, romanum populum sibi de iure orbis Imperium ascivisse.“ [Mon. II, xi, 7; Es mögen jene, die sich einbilden, Söhne der Kirche zu sein, aufhören, das römische Imperium zu beschimpfen; sehen sie denn nicht, daß Christus, der Bräutigam, diese am Anfang und am Ende seiner Mühsal anerkannt hat? Es ist jetzt hinreichend offenkundig, wie ich glaube, daß das römische Volk das Imperium des Erdkreises von Rechts wegen in Anspruch genommen hat.] Die Legitimität durch Typologie steht jedoch selbst auf dem Prüfstand, wenn es im dritten Buch um die Frage der auctoritas Monarche romani geht. Das dritte Buch ist als Wettstreit angelegt und greift damit die schon in den vorausgehenden Büchern benutzte Metaphorik des rhetorischen Agons und die angewendete Praxis des Rechtsstreits (litigium) auf. Wie Salomon den Wald der Sprüche betritt der Sprecher die Bühne der Argumentation: „familiaria ­destruenda pro veritate“ [Mon. III, i, 3; im Namen der Wahrheit das Vertraute zu zerstören]. Dass rhetorischer und christlicher Wettstreit um die corona iustitia Redehaltun­ gen, schemata, sind, wird durch die gewählte Formel deutlich: „Ego autem dico“. Wie Jesus in der Bergpredigt spricht, so auch der Sprecher der Monarchia, der durch diese Formel die Widerlegungen rechtfertigt. Erst im dritten Buch wird die Differenz zwischen Papsttum und Kaisertum, zwischen corpus morale et politicum und corpus mysticum der Kirche, zutage gefördert als „Eigengesetzlichkeit der politischen Ordnung“82. Dabei verfolgt die Verhandlung von theologischer Autorität und römischer Macht letztlich keine politische Pointe und eine theolo­ gische schon gar nicht. Das wird erkennbar am Schluss des Traktats, wo Dante den zuvor geführten rhetorischen Wettstreit, der ihm den Siegeskranz einbrin­ gen soll, aufgibt und relativiert, was zuvor aufwendig erstritten wurde: Letztlich wäre die Wahrheit der Frage nach auctoritas genealogisch aufzufassen, da der Kaiser dem Papst jene Ehrfurcht erweisen müsse, die der erstgeborene Sohn dem Vater schuldet: „qua primogenitus filius debet uti ad patrem“ [Mon. III, xv, 18; die der erstgeborene Sohn dem Vater schuldet]. Es sieht ganz so aus, als würde die Behauptung der Gleichursprünglichkeit zurück auf das politisch-theologische Ausgangsargument gelenkt und die politische Macht der theologischen unter­ worfen werden. Doch das abfallende Ende zeigt, dass es auf die inhaltliche Pointe offenbar gar nicht ankommt. Die Bedeutung der Monarchia liegt vor allem in ihrem Verfahren, das darin besteht, das Verhältnis von Politik und Theologie durch eine Methode zu rechtfer­ tigen, die man ‚philologisch’ nennen könnte. Die Differenz zwischen den beiden Sphären wird lesbar gemacht durch eine Auslegung, die die sprach­lichen Muster,

82 Haverkamp: Stranger than Paradise, S. 50.



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die dem Machtgefüge zugrunde liegen, befragt. Aufgrund dieser Annahme kann für die Commedia vermutet werden, dass Dante auch dort nicht einfach typolo­ gische Beziehungen auf sein Figurenarsenal überträgt, sondern vielmehr deren Möglichkeiten und Grenzen befragt und überschreitet. Mit der Monarchia, die Dante nicht zufällig der Commedia an die Seite gestellt hat, hat Dante den hermeneutischen Rahmen gesetzt, mit dem nicht nur die Machtverhältnisse – der „arcano centrale del potere“83 ließe sich mit Giorgio Agamben sagen  – entziffert werden können, sondern auch die sprachlichen Muster, die diesen zugrunde liegen. Entscheidend ist hierbei, dass das arcanum der Macht bei Dante als ein „officium poetae“84 eingerichtet wird: Als Ort der Interpretation, bei dem es darauf ankommt, die je unterschiedlichen Funktionen anzuerkennen, d.  h. zwischen Amt und Person zu unterscheiden. Es ist also nicht das Gleiche, ob man Vikar oder Philologe ist: „Unde sciendum quod aliud est esse vicarium, aliud est esse nuntium sive ministrum: sicut aliud est esse doctorem, aliud est esse interpretem.“ [Mon. III, vi, 4; In diesem Zusammenhang muß man wissen, daß Stellvertreter sein etwas anderes ist als Bote oder Diener sein, so wie es etwas anderes ist, Lehrer zu sein oder Ausleger.] Was Dante mit dem Streit um die Superiorität entweder des Papstes oder des Kaisers einführt, ist eine Art und Weise des Interpretierens, die das dualistische Schema in ihrer sprachlichen Struktur bestimmt. Damit erschafft er den Ort, von dem aus das möglich ist, was wir Philologie nennen. Den eigentlichen Ruhm verspricht sich Dante durch ein Verfahren, das dem theologischen Rahmen gegenüber, in dem er sich bewegt, kritisch bleibt. Die Aufmerksamkeit, die er der Vermischung von Theologie und Politik entgegenbringt, resultiert aus einem Entziffern des in den Machtdispositi­ ven enthaltenen literarischen Unbewussten, das in den politischen und theologi­ schen Diskursen verhandelt worden ist. Dante setzt auf diese Weise nicht Exegese (mit anderen Mitteln) fort, sondern analysiert den theologischen Rahmen, in den die mittelalterliche Welt eingefasst war, um an dessen Bruchstellen auf ein poe­ tisches Potential zu schließen. Dort nämlich tauchen Frauenfiguren auf, die den komplexen Übertragungsprozess von Immanenz und Transzendenz konstituie­ ren und von denen aus sich die poetischen Figurationen neu befragen lassen.

83 Agamben: Il regno e la gloria, S. 268. 84 Ernst H. Kantorowicz: The Souvereignity of the Artist. A Note on legal Maxims and Re­ naissance Theories of Art. In: Ders.: Selected Studies, Locust Valley, New York 1965, S. 352–365, S. 358  ff.

II Beatrices Gesang Sì cominciò Beatrice questo canto (Par. V, 16)1

Wenn die poetische Rede als Repräsentation des Jenseits zu theologischen und mystischen Visionsdarstellungen in Konkurrenz tritt, geraten die beiden symbo­ lischen Ordnungen zueinander in Spannung. Der theologische Rahmen der Commedia, die als poema sacro auf diese Spannung hin entworfen ist, lässt sich in Hinblick auf seine Funktionsweise gerade mittels derjenigen Figur befragen, die am Kreuzungspunkt von irdischer und göttlicher Ordnung steht: der weiblichen Hauptfigur Beatrice. Nicht zufällig hatte Auerbach in seinem Figura-Aufsatz das typologische Schema auf sie projiziert und die Führerin des erzählten Dante zur visio Dei als „Inkarnation der göttlichen Offenbarung“2 und somit „figura oder idolo Christi“3 erklärt.4 Allerdings zeigen sich gerade auch bei dieser Figur – und abweichend von Auerbachs Beatrice-Deutung – die Brüche des auf sie projizierten theologischen Rahmens, und zwar besonders in dem Moment, in dem Beatrice sich als spre­ chende Figur eines Textes erweist, der nicht nur nach seinen eigenen poeti­ schen Gesetzen funktioniert, sondern auch seine eigenen Regeln überschreitet. In dem Moment, in dem Beatrice spricht, wird die Ordnung, die sie bestätigen soll, gleichzeitig in Frage gestellt. Brüchig wird der theologische Rahmen, den Auerbach in Mimesis und abweichend von seinem Figura-Aufsatz betont hatte,

1 Dante Alighieri: La Commedia. Secondo l’antica vulgata. 4 Bde. Hrsg. von Giorgio ­Petrocchi, Florenz 2003 (Le opere di Dante Aligheri 7). Im Folgenden zitiere ich nach dieser Ausgabe. 2 Erich Auerbach: Figura (1938). In: Ders.: Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philolo­ gie. Hrsg. von Fritz Schalk, Bern, München 1967, S. 55–92, S. 92. 3 Auerbach: Figura, S. 92. Vgl. auch Charles Singleton: „She (and she alone) is that lady by means of whom mankind, l’umana specie, ascends.“ (Charles S. Singleton: Dante Studies. Bd. 1: Commedia. Elements of Structure, Cambridge 1957, Kap. Allegory, S. 1–17, S. 3) Vgl. auch Curtius über Beatrice: „Die so erhöhte Geliebte zur Führerin in einer poetischen Jenseitsvision zu wählen, liegt noch im Bereich des christlichen Denkens und Glaubens. Aber Dante geht darüber weit hinaus. Er schaltet Beatrice in den objektiven Heilsprozeß ein. Ihre Funktion ist nicht nur für ihn selbst, sondern für alle Gläubigen gedacht. Er führt also in die Offenbarung aus eige­ ner Machtvollkommenheit ein Element ein, welches das kirchliche Lehrsystem sprengt.“ Ernst ­Robert Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Tübingen 1993, S. 377. 4 Für eine Zuordnung Beatrices zum Motiv der donna come iter ad deum vgl. Aldo Vallone: Art. Beatrice. In: Encyclopedia Dantesca. Hrsg. von Umberto Bosco, Bd. 1, Roma 1970, Sp. 542– 551.

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immer dann, wenn Beatrice spricht. Diejenige Figur, die am Kreuzungspunkt von Irdischem und Göttlichem situiert ist, bekommt nicht nur einen Namen, sondern auch eine Stimme, mit der Dante den poetischen Akt reflektiert. Die Frage, wer in der Commedia spricht, ist bei genauem Hinsehen alles andere als leicht zu beantworten. Die Verwendung des Namens ‚Dante‘ erfordert die Unterscheidung in mindestens drei Instanzen: in Dante als denjenigen, der die Commedia geschrieben hat, den Autor, und in die beiden textinternen DanteFiguren: Dante als persona und Dante als Erzähler.5 Mit der Verdoppelung der Figur Dantes in Dichter und Wanderer, in erlebendes und erzählendes Ich, rückt Dante den Text unter das Vorzeichen eines doppelten auktorialen Anspruchs. Als „double authorship“6 hat Gerhard Regn den Autorbegriff der Commedia bestimmt und mit der Fragestellung, wie sich in der Commedia das Göttliche zum Irdischen verhält und inwiefern sich dieser Text als „zweite Heilsgeschichte“ erweist, eine weitere Doppelfigur im Konzept von Autorschaft ausfindig gemacht. Hierfür ist die poetologische Aussage – „’l poema sacro / al quale ha posto mano e cielo e terra“ [Par. XXV, 1–2; das heilige Gedicht, an das / Himmel und Erde Hand ange­ legt haben] – emblematisch. Gott selbst „webt“ an dem Text und insofern bilden Dante und Gott eine Doppelfigur poetischer und prophetischer Autorschaft.7 Im Rahmen dieses doppelten Anspruchs kommt Beatrice eine stets nur vermittelnde Rolle zu. Ist sie aber nicht auch an der Begründung einer solchermaßen konzi­ pierten Autorschaft und damit am Konflikt von inspirierter und welt­licher Dich­ tung beteiligt? Beatrice als Figur des Textes, die selbst nicht schreibt, verfügt auch über kein ‚eigenes‘ Sprechen. Ihre Worte sind stets die, die der Autor Dante seiner literarischen Figur in den Mund legt. Sie ist als solche im Text eine pure Fiktion des Autors. Ob sie überhaupt je eine historische Person war, hat Ernst Robert Curtius in Frage gestellt.8 Aus diesen Gründen war es naheliegend, die Frage nach Autorschaft und auctoritas ausschließlich auf Dante’s Vergil, den Autor der 5 Ich habe diese Unterscheidung jeweils nur dort explizit gemacht, wo sie der Argumentation dient. 6 Gerhard Regn: Double Authorship. Prophetic and Poetic Inspiration in Dante’s Paradise. In: Modern Language Notes 122/1 (2007), S. 167–185, S. 173. 7 Vgl. Regn: Double Authorship, S. 173. Diese These findet sich erweitert in: ders.: Gott als Dichter. Die Wirklichkeit der Fiktion in Dantes Paradiso. In: Fiktion und Fiktionalität in den Lite­ raturen des Mittelalters. Hrsg. von Ursula Peters/Rainer Warning, München 2009, S. 365–385, insb. S. 376 und S. 384. Die Hand des Dichters und die Hand Gottes stehen für die Metaphorik eines unterschiedliches Tuns, d.  h. einmal für den poetischen Akt, das andere Mal für die All­ macht Gottes. Die von Dante aufgerufene Hand Gottes bezieht sich vermutlich auf die scholasti­ sche Metapher der manus gubernatoris. 8 Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, S. 378.



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Aeneis, zu beziehen. Die Dante-Kritik folgt damit Dantes eigener Vorgabe, wenn sie vom Satz aus dem Inferno ausgeht, in dem Dante die persona Vergil explizit als „lo mio maestro e ’l mio autore“ [Inf. I, 85; Du bist mein Meister und mein Urheber] bezeichnet und damit Vergil nicht nur in die entsprechende Position von Vorbild und Lehrer gebracht hat, sondern seine Autorschaft unterstreicht.9 Beatrice wird demgegenüber als Figur verstanden, deren semiotische Funktion auf das Erlösungsnarrativ bezogen ist. Zwar wird bemerkt, dass Vergil von Bea­ trice abgelöst wird. Inwiefern jedoch diese gegenseitige Ablösung die Autorschaft berührt, wird nicht gefragt. Die zweite Doppelfigur der Commedia Beatrice/Dante ist nicht Teil der Begründung von Autorschaft, obwohl die Figurenkonstellation dies nahelegt.10 Während Vergil als Maßstab für Autorschaft gilt, bleibt Beatrice selbst dann, wenn ihr göttliche Weisheit und Führerschaft zugesprochen wird, ein objet du désir, das als solches in Handbüchern zur Rezeptionsvorgabe wird.11 Zwar wird die Bedeutung Beatrices unterstrichen, die, wenn Philosophie und Theologie als Zuordnungsgrößen dienen, strukturell mit Vergil auf der gleichen Höhe verortet wird. Als Führerin für das Jenseits bleibt sie jedoch auf Dante als Referenzfigur bezogen. Während die Figur Vergils über den Text hinausweist, denn unzweifelhaft wird er als Künstler römischer Größe bestätigt, befindet sich Beatrice auf einem abgeleiteten Platz. Vergil ist Modell, Beatrice kann immer nur Liebes­objekt für den jungen oder Objekt der Tugendhaftigkeit für den späten Dante sein. Vergils Ruhm als römischer Autor spricht somit für sich selbst, wohin­ gegen die Figur Beatrice durch die Beziehung zu Dante legitimiert werden muss. Für die Konstituierung von Autorschaft hat Dante Möglichkeiten entwickelt, Autorität zu unterlaufen, bevor sich Autorschaft überhaupt gründet und damit die Zwischenräume von Autorität und Autorschaft ausgelotet. Die Commedia ist eine komplexe Inszenierung der Übertragung unterschiedlichster Machtansprüche auf die Instanzen der Rede, die mit einer Fokussierung auf die Autorität Vergils

9 Vgl. Albert Russell Ascoli: Dante and the Making of a Modern Author, Cambridge 2008, S. 302. 10 Mit Ausnahme von Michelangelo Picone: La Beatrice di Dante dalla Vita nova alla Commedia. In: Selvagge e angeliche. Personaggi femminili della tradizione letteraria italiana. Hrsg. von Tatiana Crivelli, mit Alessandro Bosco/Mara Santi, Leonfronte 2007, S. 33–48, S. 46. 11 Vgl. August Buck: Art. Dante Alighieri. In: Theologische Realenzyklopädie. Hrsg. von Ger­ hard Krause/Gerhard Müller, in Gemeinschaft mit Horst Robert Bolz, Bd. 8, Berlin, New York 1981, S. 349–353, S. 352: „Analog zu Kaiser und Papst, den beiden Führern der Menschheit, agieren die beiden Führer Dantes: Vergil und Beatrice. Vergil symbolisiert die philosophische Unterweisung, Beatrice die theologische Offenbarung. Zugleich fühlt sich Dante mit beiden menschlich aufs innigste verbunden: mit Vergil, dem Künstler der römischen Größe, dessen ­Aeneis sein dichterisches Vorbild ist, mit Beatrice, deren Liebe den jungen Dante beseligt und den reifen Mann aus der Verstrickung in die Sünde befreit.“

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verkürzt wird. Dante schreibt Beatrice in den Selbstbegründungszusammenhang des Textes ein und stellt damit eine andere, weibliche Autorität zwischen Vergil und seine persona. Marco Santagata hat den Blick von Beatrice als Erscheinung (apparire) auf ihr Wirken (operare) gelenkt und somit den Interpretationsspiel­ raum aufgemacht, der die Möglichkeit ihres Wirkens, „la sua operazione“12, als Werk/opera in Aussicht stellt.13 Beatrice symbolisiert die theologische Offenba­ rung, sie ist Liebesobjekt des jungen Dante in der Vita nuova. Aber sie wird Dante auch zu seinem neuen Stil führen, dem Stil der Commedia. Die Figur ist damit nicht nur Teil der Figurenkonstellation und ihrer histoire, sondern auf der Ebene des discours am Schreibprozess der Commedia beteiligt. Liest man die Poetik der Commedia als Selbstermächtigung Dantes, wird die Matrix des Textes, seine Textur, verdeckt, die in einer Schreibweise besteht, bei der Beatrice wie Homers Penelope in der Odyssee an der Webarbeit des Textes beteiligt ist.14 Der theologische Traditionszusammenhang gilt als Voraussetzung für Bea­ trices Aufgabe in der Commedia: Sie wird den Dichter zum Paradies führen. Darüber hinaus wird sie aber auch in das „secret de fabrication“15 des Textes eingeschrieben. Das zugrunde liegende Modell ist die bereits erwähnte mittel­ alterliche Vorstellung eines diktierenden Amors, die auf Ovid zurückgeht, der in den Amores vom Diktat durch Amor spricht: „quae mihi dictat Amor“ [die mir […] Amor einbläst]16. In Dantes Vita nuova war Amor als Allegorie aufgetreten und hatte den Schreibauftrag erteilt: „voglio che tu dichi certe parole per rima“ [Vn. 5, 14; will ich, daß du bestimmte Worte in Reime fassest].17 Mit Beatrice als Amor bedient sich Dante einer Technik der Übertragung, in der Beatrice souffliert, was Dante aufschreibt. Vor diesem Hintergrund hatte Hugo Friedrich die Übersetzer­ rolle der Herrin auf die Funktion beschränkt, dem Autor zu dienen: „Die Frau bildet das Medium Amors. Nicht in ihr, sondern nur mittels ihrer entfaltet er sein

12 Dante Alighieri, Vita nova, hg. Guglielmo Gorni, in: Dante Alighieri, Opere. Hg. Marco Santagata, Bd.  I: Rime, Vita nova, De vulgari eloquentia, Mailand 2015, 2,3. Im Folgenden ­zitiere ich nach dieser Ausgabe. Die Übersetzung folgt: Dante Alighieri: Vita Nova/ Das neue Leben. Übersetzt und kommentiert von Anna Coseriu und Ulrik Kunkel, München 1988. (Die angegebene Zählung folgt der Ausgabe von Gorni) 13 Vgl. Marco Santagata: Amate e amanti. Figure della lirica amorosa fra Dante et Petrarca, Bologna 1999 (Saggi 507), S. 24  ff. 14 Vgl. Cavarero: Nonostante Platone, S. 21  f. 15 Vgl. Jean Starobinski: Les mots sous les mots. Les anagrammes de Ferdinand de Saussure, Paris 1971, S. 59. 16 Vgl. Ovid: Amores. Liebesgedichte. Lateinisch / Deutsch. Übers. und hrsg. von Michael von Albrecht, Stuttgart 1997, II, 1, 37–38. 17 Vgl. die Replik „avendo già dette le parole che Amore m’avea imposte a dire“ (Vn. 6, 1; als ich bereits die Worte gereimt hatte, die Amor mir zu sagen befohlen).



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göttliches Geschehen, das dem Manne gilt.“18 Diese Einschränkung kehrt die in der höfischen Liebe des Mittelalters bestehende Auffassung um, derzufolge das Subjekt der Dichtung durch den Dienst an der Herrin bestimmt wird. Friedrich projiziert also eine Umkehrung in das Liebesverhältnis und schließt damit aus, dass die Herrin als Medium an der komplexen Fabrikation poetischer Rede betei­ ligt ist. Auch Albert Russell Ascoli bestimmt Beatrice als eine Figur, deren Aufgabe vor allem darin liegt, die Autorität des Autors, in diesem Fall des Vergil, heraus­ zustellen: „In short, Dante-personaggio’s experience with Beatrice in the earthly paradise renders explicit the authorizing effects of his investiture by Virgilio.“19 In dieser Perspektive dient Beatrice einer Ordnung der anxieties of influence, durch die sich Dante mit und gegen den maestro Vergil als neuer Autor konstituiert. In der Dante-Kritik kommt Beatrice also immer dann Bedeutung zu, wenn sie sich für das Argument der Selbstautorisierung Dantes durch Vergil eignet. Damit erscheint sie als das Medium einer zweifellosen Autorschaft, die den Wanderer Dante nicht nur ins Himmelreich, sondern auch zu seinem Ruhm, dem Ruhm des Autors führt.20 Die Poetik der Commedia wird damit auf eine Vorstellung redu­ ziert, in der die weiblichen Figuren immer nur abgeleitet sind von einem Spre­ chen, das für sich selbst und durch die weibliche Figur als Medium Autorität beansprucht. Beatrices Erscheinen dient der Bestätigung einer Ordnung, deren Selbstversicherung letztlich theologisch begründet und legitimiert wird. Am Beispiel der Rezeption der Dichterin Sappho hat Joan DeJean gezeigt, wie die weibliche Stimme in die Autorität des männlichen Namens eingeschrieben worden ist und diese Aneignung kennzeichnet auch die Schreibweise Dantes. Zwar schreibt der männliche Autor über ihren Namen hinweg, er kann allerdings mit dieser Geste die ihr zugrunde liegende Autorschaft nicht vollständig aus­ löschen. Autoren wie Ovid, Catull, Racine oder Baudelaire ermöglicht dieses Ver­ fahren die Identifikation mit der weiblichen Stimme. Als „re-voicing“ artikulieren sie, was sie gleichzeitig verdrängen.21 Denn in ihren Texten scheint immer noch die darunter liegende weibliche Unterschrift als eine Schrift durch, die durch die (männliche) Autorschaft nur unvollständig überschrieben wird. Ovids HeroidesBrief über die griechische Dichterin Sappho ist das Paradigma für die komplexe Überlagerung von Stimme der Heroine und männlicher Erzählstimme. Ovid

18 Hugo Friedrich: Epochen der italienischen Lyrik, Frankfurt a. M. 1964, S. 59. 19 Ascoli: Dante and the Making of a Modern Author, S. 367 (Herv. im Orig.). 20 Die als Selbstautorisierung begründete Autorschaft führt bruchlos zu Petrarca. Vgl. Ascoli: Dante and the Making of a Modern Author, S. 405. 21 Joan DeJean: Fictions of Sappho, 1546–1937, Chicago, London 1989, S. 86  ff. Beispiel einer solchen Rezeption ist neben Ovids Sappho Racines Phèdre, der durch eine komplexe Montage von Zitaten die Ambiguität der Autorität auf den Leib geschrieben wird.

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erkennt ihre Autorschaft an, denn er verleugnet nicht, dass sie Autorin ist, wenn er sie sagen lässt: „auctoris nomina Sapphus“ [den Namen der Autorin, Sappho]22. Dadurch entsteht ein Spielraum zwischen seiner und ihrer Autorschaft, der eine Überschreitung der Grenzen und die Vermischung der Stimmen ermöglicht, die durch die Interpretationsgeschichte mit einem eindeutigen „Sappho, c’est moi“ überschrieben worden ist.23 Es macht einen Unterschied, ob man die weibliche Figur in ihrem eigenen Namen oder im Namen des Autors sprechen lässt. Was folglich von der Rezeption der Commedia übergangen wird, ist eine Schreib­ weise der Öffnungen und Durchlässigkeiten für die jeweils andere Stimme.24 Mit anderen Worten eine Schreibweise, bei der durch Stimme und Schrift die gesetzte Autorität und Autorschaft unterlaufen wird.

1 auctoritas: Wer spricht? Was Beatrice vom Konzept der fin’amors der provenzalischen Troubadoure und der Herrin in der Dichtung des dolce stil novo, aber auch von der donna gentile der Vita nuova Dantes grundlegend unterscheidet, ist die Tatsache, dass sie selbst spricht. War die Herrin in der Vita nuova noch stumm, ihr Gruß mehr eine Geste als ein Sprechen, so verleiht ihr Dante in der Commedia eine eigene Stimme. Im zweiten Gesang des Inferno wird dieses Sprechen als eine Liebesrede ausgewie­ sen, deren Begründung metaphysischer Natur ist, wenn Amor Beatrice zum Spre­ chen bringt: amor mi mosse, che mi fa parlare. (Inf. II, 72) Liebe hat mich dazu bewogen und lässt mich sprechen. (Inf. II, 71–72)

22 Ovid: Heroides / Briefe der Heroiden. Lateinisch / Deutsch. Übers. u. hrsg. von Detlef ­Hoffmann/Christoph Schliebitz/Hermann Stocker, Stuttgart: Reclam 2000, XV, 1. 23 DeJean: Fictions of Sappho, S. 77. 24 Hélène Cixous hat eine solche Schreibweise écriture féminine genannt: die Schrift der un­ möglichen und nicht geschriebenen Geschichte der Weiblichkeit, die als Geschichte der fille (wie biografille und mère-fi) als fi – fille – fil mit neuen Fäden zusammenspinnt, was unzusammen­ hängend geworden war. Vgl. Hélène Cixous: Le rire de la Méduse. In: Dies.: Le rire de la méduse et autres ironies. Préface de Frédéric Regard, Paris 2010, S. 35–68. Auch Vgl. Dies: Anankè, Paris 1979, S. 86  ff.

auctoritas: Wer spricht? 



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Die Begründung des Sprechens erfolgt gemäß der Liebeslehre in Dantes Zeit, der­ zufolge die Inspiration des Dichters die Frucht der Eingebung Amors ist. Hugo Friedrich nennt sie „Amorlehre“ oder auch „Amortheologie“25, Erich Auerbach „Liebesmystizismus“26. Wie der Dichter, der durch Amor zum Dichter berufen wird, wird Beatrice durch den Liebesgott zum Sprechen gebracht. Die Tatsa­ che, dass Beatrice selbst spricht, dass also Amor auch die Dame zum Sprechen autorisiert, war in der Liebesdichtung bisher keinesfalls üblich. Denn es war der Dichter, nicht die Dame, der durch Amor ermächtigt worden ist. Schreibakt und Rede fallen auseinander, wenn Beatrice das Wort ergriffen hat (parlare), wo Dante zur Feder greift (notare): ‚[…] I’ mi son un che, quando Amor mi spira, noto, e a quel modo ch’e’ ditta dentro vo significando.‘ (Purg. XXIV, 52–54) […] ‚Ich bin einer, dem geht es so: Wenn Amor mir Atem gibt, dann stelle ich mich darauf ein, und wie er es mir innerlich vorsagt, so möchte ich es ausdrücken.‘

Dante bezieht sich mit seiner berühmt gewordenen Antwort auf die Frage, die der Dichter Bonagiunta da Lucca nach seiner Identität stellt. Mit der Anspielung auf die Amorlehre als dem poetologischen Konzept des dolce stil novo, bei dem Amor als Quelle der Inspiration und Legitimation der Dichtung angegeben wird, legitimiert sich Dante als poeta. Er stilisiert sich dabei als scriptor, als Schreiber, der wie die Mystiker im Auftrag Gottes schreibt. Das Geschehen ist die Grundlage, für die er die Funktion des Schreibers übernommen hat: „quella materia ond’ io son fatto scriba“ [Par. X, 26–27; von dem Stoff in Beschlag / genommen, den niederzuschreiben mir aufgetragen wurde.]. Dante verweist auf den Schreibakt („noto“), der auf den Atem bzw. ‚Hauch‘ Amors angewiesen ist und der inner­ lichen Rede folgt („a quel modo / ch’e’ ditta dentro“).27 Den auf diese Weise bestimmten dolce stil novo kennzeichnet die Anerkennung des dittator, desjeni­ gen, der über das Sagen herrscht: „Io veggio ben come le vostre penne / di retro al

25 Friedrich: Epochen der italienischen Lyrik, S. 58  ff. 26 Erich Auerbach: Dante als Dichter der irdischen Welt (1929). Mit einem Nachwort von Kurt Flasch, Berlin, New York 2001, S. 76. 27 Aus diesem Grund wird die Textstelle als Dantes „poetologische[s] Credo“ gelesen. Vgl. ­Andreas Kablitz: Die Selbstbestimmung des petrarkistischen Diskurses im Proöminalsonett ­(Giovanni Della Casa – Gaspara Stampa) im Spiegel der neueren Diskussion um den Petrakis­ mus. In: GRM 42 (1992), S. 381–414, S. 381.

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dittator sen vanno strette“ [Purg. XXIV, 58–59; Jetzt sehe ich es gut: Eure Federn halten sich eng an den / Vorsager]. Dante überträgt dieses Dichtungskonzept auf seine Beatrice-Figur, wenn Beatrice das Wort ergreift. Ihre Rede spiegelt den poe­ tologischen Begründungszusammenhang wider, der in dem Moment sichtbarer wird, als Beatrice verkündet, dass sie Vergil im Angesicht des Herrn loben wird. Beatrice verfügt demnach selbst über die Möglichkeiten des laudare, also über einen poetischen Stil, der als Mittel dem Dichter vorbehalten war: ‚[…] Quando sarò dinanzi al segnor mio, di te mi loderò sovente a lui.‘ (Inf. II, 73–74) ‚[…] Wenn ich wieder vor meinem Herrn stehe, will ich dich oftmals bei ihm rühmen.‘

An die Stelle der donna, die in der Vita nuova grüßend am Dichter vorüber­ schreitet, treten Beatrice und ihre Lobrede, die sie mit ironischem Lächeln auf den Lippen vorträgt und die mit dem poetologischen Denken des Dichters Dante ganz und gar übereinstimmt. Damit ist sie von der Rolle derjenigen, die Gegen­ stand des Lobes ist, in die Rolle derjenigen, die selbst lobt, übergewechselt. Ihr glückseliges Lächeln weist sie als Lehrmeisterin aus, die ihrem Schüler Dante sein Streben nach Wissen quittiert.28 Ihre ganze Meisterschaft zeigt sich aber erst darin, wenn sich ihre Funktion auch auf die Ebene des discours erstreckt. Das glückselige Lächeln Beatrices, ihr santo riso (Par. XXIII, 59), ist Ausdruck der Sou­ veränität, mit der Beatrice im Stile Dantes spricht. Diese Wiederholung des Stils erzeugt jedoch kein identisches Bild. Während Vergil und Dante in ihrer Funktion identisch, beide maestro und autore, sind, zeichnet sich die Beziehung von Dante und Beatrice durch Unterschiede aus. Diese liegen vor allem in den Haltungen der Figuren. Von einem bisher unbe­ kannten Begehren erfüllt, will Dante, nachdem er das Purgatorio verlassen hat, nach der Ursache des ihn umgebenden neuen Klangs und Lichts fragen. ­Beatrice kommt ihm mit ihrer Antwort zuvor, um ihn auf diese Weise nicht nur in die Ordnung des Paradieses einzuweihen, sondern des falso imaginar zu überführen:

28 Regn betont Beatrices Rolle als „Wahrheits-Lehrerin“. Vgl. Gerhard Regn: Dantes ­Beatrice und die Poetik des Heils. In: Mythen Europas. Schlüsselfiguren der Imagination. Bd. 3: Zwischen Mittelalter und Neuzeit. Hrsg. von Michael Neumann/Almut Schneider, Regensburg 2005, S. 129–143, S. 132. Vgl. auch Benedetto Croce: La Poesia di Dante, Bari 1921, S. 135. Croce be­ merkt, dass sich Beatrice wie die große Schwester verhält, die ihrem Bruder Nachhilfe erteilt.

auctoritas: Wer spricht? 



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Ond’ ella, che vedea me sì com’ io, a quïetarmi l’animo commosso, pria ch’io a dimandar, la bocca aprio e cominciò: ‚Tu stesso ti fai grosso col falso imaginar, sì che non vedi ciò che vedresti se l’avessi scosso. Tu non se’ in terra, sì come tu credi; ma folgore, fuggendo il proprio sito, non corse come tu ch’ad esso riedi.‘ (Par. I, 85–93) Weshalb denn sie, die mich so deutlich sah wie ich mich selbst, um mir die erregte Seele zu beruhigen, bevor ich noch den Mund zum Fragen auftun konnte, schon den ihren auftat und sagte: ‚Du machst dir mit einer falschen Vorstellung selber den Sinn stumpf und siehst gar nicht, was du doch sehen könntest, wenn du sie nur abgeschüttelt hättest. Du bist nicht mehr auf Erden, wie du glaubst; nie fuhr ein Blitz, der seinen angestammten Ort verlässt, so schnell herab, wie du jetzt zu dem Deinen zurückkehrst.‘

In der dialogischen Szene sind die Sprechhaltungen hierarchisch organisiert: Dante erweist sich als Schüler seiner Lehrmeisterin, die sich milde und weise gegenüber ihrem Schüler verhält und sich mit ihren „sorrise parolette brevi“ [Par. I, 95; die knappen, lächelnd gesprochenen Worte] wie eine Mutter ihrem im Fieber delirierenden Kind zuwendet („che madre fa sovra figlio deliro“, Par. I, 102).29 Der Dialog rückt den Blick auf Dante als Ort des Fragens, wohingegen Beatrice die Position der Antwortenden hat. Ihr Lächeln verweist auf die göttli­ che Entrückung, ihr sprechender Mund wird zum Ort des Wissens und der Rede: „la bocca aprio“ [Par I, 87; den Mund zum Fragen auftun konnte].30 Unauffällig hat Dante unseren Blick von ihren Augen auf ihren Mund gelenkt und ist damit von der Ordnung des Sehens (als Möglichkeit der Erkenntnis) auf die Redeord­ nung (als Begründung von Dichtung) übergegangen.31 Dieser Mund war bereits

29 Zu Beatrices Konstituierung als „donna gentilissima Filosofia“ vgl. Dante Alighieri: Il con­ vivio. Kritische Ausgabe. Hrsg. von Maria Simonelli, Bologna 1966, II, 15, 1. 30 Zum Lächeln Beatrices vgl. Jörn Steigerwald: Beatrices Lachen und Adams Zeichen. Dan­ tes Begründung einer literarischen „anthropologia christiana“ in der Divina Commedia (Para­ diso I–XXVII). In: Comparatio. Zeitschrift für Vergleichende Literaturwissenschaft 3/2 (2011), S. 209–239. Steigerwald liest das Lächeln als „Verkündigung der Liebe Gottes“ (S. 214). Zum Mund Beatrices als Ort der Rede vgl. Picone: La Beatrice di Dante dalla Vita nova alla Commedia, S. 43. 31 Die Augen Beatrices stellen die Gottesschau von Angesicht zu Angesicht in Aussicht und damit das Versprechen, die verlorene Integrität in der Welt angesichts der Spiegelung in Gott

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in einem der Sonette der Vita nuova inszeniert worden, in dem sich von Beatrices Lippen ein süßer Hauch zu lösen schien: „e par che della sua labbia si mova / un spirito soave“ [Vn. 17, 7, 12–13; und es scheint, daß sich von ihren Lippen hebt / ein zarter Geist].32 Mit der Inszenierung von Beatrice als sprechender Figur hat Dante eine zweite Ebene in den Text eingeführt, auf der, neben dem Sprecher, eine weitere Stimme inszeniert wird, die durch die Akte des Sprechens auf die eigene Poetik verweist. Die Reflexion des Textes auf seine Voraussetzungen findet also nicht nur auf der Ebene des Sprechers statt. Sie bezieht auch Beatrice ein, deren Rede mit dem Sprechen des Dichters konkurriert.

1.1 confusione Beatrice tritt im Paradiso als Figur auf, die ein spezifisches Wissen besitzt und es versteht, ihren ‚Schüler‘ Dante dazu anzuleiten, ins Paradies zu kommen. Sie verfügt über ein Wissen, das in die Höhe führt und in aufeinanderfolgenden Stufen des Aufstiegs den Blick der Augen von den irdischen Dingen ablenkt, die durch Sterblichkeit und Endlichkeit gezeichnet sind. Dante wählt eine Frau zur Lehrmeisterin der letzten und höchsten Wahrheit wie Platon, der Diotima als weibliche Lehrmeisterin ausgesucht hat, um durch sie über die Liebe reden zu können. Denn Platon entscheidet sich dafür, Sokrates mit dem Mund einer Frau sprechen zu lassen. Ein solches Verfahren uneigentlicher Rede hat Adriana Cavarero als einen „mimetischen Effekt der Verwirrung / Verschmelzung [confusione]“33 beschrieben, bei der die platonische Philosophie durch den Mund einer Frau souffliert wird.34 Platon gibt die Rede einer Frau wieder, deren Wissen er anerkennt und sich aneignet.35 Cavarero bezieht sich auf das Symposion, in dem die Rede über Eros mit einer Redehaltung einsetzt, in der sich Sokrates Dioti­ mas Lehrmeinung unterordnet: zurückzugewinnen. Vgl. Niklaus Largier: Spiegelungen. Fragmente einer Geschichte der Spekulation. In: Zeitschrift für Germanistik 9 (1999), S. 616–636, S. 616  f. Seit Augustinus meint speculatio die Möglichkeit, durch Spiegelung die verlorene Integrität in der Welt angesichts der Spiegelung in Gott zurückzugewinnen. Die speculatio ist dabei stets der Bildlichkeit verpflich­ tet, da in der „Rekapitulation der Schöpfung als ‚Bild‘“ und „Vorwegnahme der Gottesschau als ‚Schau von Angesicht zu Angesicht‘“ (S. 617) die Möglichkeit der Versöhnung des Menschen in Gott angelegt ist. 32 Gorni kommentiert, dass „labbia“ „volto“ heißen muss. Vgl. Dante: Vita nova, S. 978. 33 Adriana Cavarero: Platons Töchter, S. 148. [Nonostante Platone. Figure femminili nella fi­ losofia antica, Verona 2009 (Testi 4), S. 99] 34 Cavarero: Nonostante Platone, S. 98  f. 35 Cavarero: Nonostante Platone, S. 99.



auctoritas: Wer spricht? 

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Die Rede über den Eros aber, die ich einst von einer Frau aus Mantineia, Diotima, hörte, welche darin und auch in vielen anderen Dingen weise war und den Athenern einst bei einem Opfer vor Ausbruch der Pest einen zehnjährigen Aufschub der Krankheit ver­ schaffte, und die also auch mich die Dinge der Liebe lehrte […] die Rede [logos] also, welche jene gehalten hat, will ich euch darzulegen ver­suchen […]. […] Es scheint mir nun am ein­ fachsten zu sein, es so darzulegen, wie es die Fremde damals darlegte, indem sie mich befragte.36

Modell für die Liebeslehre – die „Lobrede auf Eros“37 – ist das erinnerte Gespräch zwischen Sokrates und Diotima, das Platon durch Sokrates wiedergeben lässt. Die wiederholte Exklamation „o Diotima“ drückt Bewunderung und Anerken­ nung ihrer Lehre aus. Diotima ist in ihrer Weisheit unübertrefflich, wird von ­Sokrates „weiseste [sophotáte] Diotima“38 genannt. Worin ihre Weisheit liegt, ist ihr Wissen über die Liebe, das sie darin der Dichterin Sappho gleichstellt, die Platon im Phaidros die Schöne nennt und sie u.  a. zu derjenigen erklärt, aus der sich Sokrates’ Rede speist. Wie ein Gefäß, das „aus irgend fremden Quellen gefüllt“39 werden muss, habe sich Sokrates durch Hören mit Wissen angereichert und dieses Wissen von weisen Männern und Frauen, darunter Sappho, über­ nommen.40 Entscheidend ist bei Platon nicht allein die Referenz auf Sappho oder Diotima als Figuren der Wissensvermittlung, sondern die Art und Weise der Aneignung ihrer Rede (logos). Diotimas Rede steht nicht nur für eine Theorie der Liebe, sondern ist das Modell für den sokratischen Dialog: Sokrates spricht mit ihren Worten. Dementsprechend liegen die Parallelen zwischen Dante und seiner weib­ lichen Figur nicht nur auf der Ebene der histoire (Sokrates / Diotima (Sappho), Dante / Beatrice); sie betreffen auch die Redeweise. Die zentrale These von Hugo

36 Platon: Symposion. Griechisch / Deutsch. Übersetzt und hrsg. von Barbara Zehnpfennig, Hamburg 2000 (Philosophische Bibliothek 520), 201d-201e. 37 Platon: Symposion, 212c. 38 Platon: Symposion, 208b. 39 Platon: Phaidros. Griechisch / Deutsch. Übersetzt und hrsg. von Kurt Hildebrandt, Stuttgart 1998, 234e-235c. 40 Zum Vergleich von Sappho und Diotima Johann Jakob Bachofen: Das Mutterrecht, Frank­ furt a. M. 1975, S. 382  ff: „Wie er aber hier [im Phaidros] in erster Linie der weisen Sappho gedenkt, so legt er im Gastmahl den höchsten, geheimnisreichen Teil seiner Liebeslehre der Mantineerin Diotima in den Mund. Zu ihr wandelt er, um das ihm selbst Verschlossene zu erkunden.” (S. 383) Bachofen zufolge tritt damit die Philosophie Sokrates’ in Analogie zur Dichtung Sapphos. Er macht dies am Liebeskonzept, aber auch am ironischen Stil fest. Vgl. dazu auch Renate Schle­ sier: Presocratic Sappho. Her Use of Aphrodite for Arguments about Love and Immortality. In: Scientia Poetica 15 (2011), S. 1–28.

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Friedrich, dass die Dichter des dolce stil novo wie überhaupt die gesamte italie­ nische Dichtung das Erbe des Platonismus in Bezug auf seine Lehre angetreten habe41, lässt sich vor diesem Hintergrund neu perspektivieren. Denn in einem ganz anderen Sinn ließe sich von „Platonismus“ sprechen: In der Fortsetzung eines Sprechens, das zwischen den männlichen und weiblichen Sprechern chan­ giert. Es handelt sich um einen zweideutigen Platonismus, wenn die platonische Philosophie zur Referenzfigur für die Fabrikation der Rede wird. Dante hat sich nicht damit begnügt, Beatrice als bloße Wahrheitslehrerin einzusetzen. Er hat ihr Worte in den Mund gelegt, die seinen eigenen Stil konstituieren und befragen. Wie bei Platon öffnet die weibliche Figur den Raum nicht nur für eine Weisheit oder Wahrheit, sondern für eine Rede, die zur Voraussetzung dafür geworden ist, dass ein Text von solcher Wirkung geschrieben werden konnte.

1.2 the text’s true cantor Die Aneignung der Stimme Beatrices hat eine Rede erzeugt, die Dantes Sprechen durch den Mund einer Frau erkennen lässt. Sie scheint dort durch, wo die Anord­ nung der Figuren die Perspektiven bestimmt. So entspricht die Haltung B ­ eatrices, als sie zur Sonne blickt, derjenigen Dantes, der in seinem Erkenntnisstreben ihren Blick übernehmen muss, ohne dabei mit diesem identisch werden. Auch ist der Wanderer Dante nicht unter oder über Beatrice gestellt, sondern teilt ihre Sicht. In der folgenden Szene, die die Blicke organisiert, handelt es sich zugleich um den ersten Auftritt Beatrices im Paradiso: E sì come secondo raggio suole uscir del primo e risalire in suso, pur come pelegrin che tornar vuole, così de l’atto suo, per li occhi infuso ne l’imagine mia, il mio si fece, e fissi li occhi al sole oltre nostr’ uso. (Par. I, 49–54) Und wie aus einem ersten Strahl zumeist ein zweiter wird, der dann nach oben strebt, oder auch wie bei einem Pilger, der heimkehren will, so wurde ihre Haltung, die über die Augen in meinen Bildsinn strömte, zu meiner eigenen: Ich schaute in die Sonne, weit länger als bei uns gewohnt.

41 Vgl. Friedrich: Epochen der italienischen Lyrik, S. 63  f. und S. 114.

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Während zunächst Dante den Blick seiner persona auf Beatrice lenkt, wechselt er danach die Blickrichtung, um anschließend beide, Beatrice und Dante, mit in den Himmel gewandtem Blick zu zeigen. Diese Parallelität in den Haltungen weicht von der üblichen Darstellung in der Liebesdichtung des Mittelalters ab, in der sich das liebende Subjekt in den Augen der Herrin erkennt. Die Liebeslehre hat Andreas Capellanus systematisiert,42 der Dichtung von Bernard de Ventadorn liegt sie zugrunde: Anc non agui de me poder ni no fui meus de l’or’ en sai que:m laisset en sos olhs vezer en un miralh que mout me plai. miralhs, pus me mirei en te, m’an mort li sospir de preon, c’aissi:m perdei com perdet se lo bels Narcisus en la fon. Nimmer hatte ich Gewalt über mich, noch gehörte ich mir an, seit der Stunde, da sie mich in ihren Augen in einen Spiegel sehen ließ, der mir gar sehr gefällt. Spiegel, seitdem ich in Dir mich spiegelte, haben mich die Seufzer aus der Tiefe getötet, so daß ich mich verlor wie sich der schöne Narziß in der Quelle verlor.43

Die Spiegelszene in dem berühmten Gedicht „Can vei la lauzeta mover“ führt den Verlust der Herrschaft des Sprechers über sich selbst vor und mündet konse­ quenterweise am Schluss in den Verzicht auf das Singen: „de chantar me gic e:m recre, / e de joi e d’amor m’escon.“ [Vom Singen lasse ich und stehe (sic!) ich ab, und vor Freude und Liebe verberge ich mich.]44 Der Sprecher erkennt durch den Blick in die Augen der Herrin in sich selbst einen Mangel, der so groß ist, dass er nunmehr nur diesen Mangel besingen kann.45 Im Unterschied zu einem solchen Gesang des Verlusts (des Selbst, des Gesangs), für den die narzisstische Spiegelung zur Voraussetzung wird, konsti­ tuiert sich die Figur Dantes nicht durch Selbstbespiegelung, sondern durch eine Mimesis der Herrin. Diese blickt dem Sprecher nicht ins Herz wie in der Trouba­

42 Andreas Cappelanus: De Amore / Über die Liebe. Lateinisch / Deutsch. Übers. Florian Neu­ mann, Mainz 2003, 1. Buch. 43 Bernard de Ventadorn: Seine Lieder. Mit Einleitung und Glossar. Hrsg. von Carl Appel, Halle 1915, Nr. 43, 17–24. 44 bernard de Ventadorn: Seine Lieder, Nr. 43, 59–60. 45 Vgl. C. W., „Die Liebe der trobadors“. In: Handbuch Literatur und Emotionen. Hrsg. von Mar­ tin v. Koppenfels, Cornelia Zumbusch, Berlin 2016 (Handbücher zur kulturwissenschaftlichen Philologie 4), S. 261–274.

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dourlyrik. Stattdessen nimmt er ihre Haltung in sich auf. Zwar sind auch hier die Augen der Zugang zu sich selbst: „per li occhi infuso / ne l’imagine mia, il mio si fece“ [Par I, 52–53; die über die Augen in meinen / Bildsinn strömte, zu meiner eigenen]. Die Nachahmung des Blicks erfolgt auf der Grundlage des zum Bild („imagine“) gewordenen Blickes Beatrices. Aber der Sprecher Dante erkennt in sich selbst nicht seinen eigenen Mangel, sondern das Bild Beatrices. Mit diesem Bild im Herzen kann Dante genauso wie Beatrice in Richtung des Paradieses schauen: „e fissi li occhi al sole oltre nostr’ uso“ [Par. I, 54; Und schaute in die Sonne, / weit länger als bei uns gewohnt.]. Dieser Perspektivwechsel ermöglicht dem Leser, entweder mit dem Pilger auf Beatrice zu blicken oder aber beide in ihrem himmelwärts gewandten Blick zu begleiten. Der gemeinsam himmelwärts gewandte Blick stellt allerdings keine dauer­ hafte Alternative zum Blick des Wanderers auf Beatrice dar, denn Dante muss ihn umgehend wieder abwenden. Diese Abwendung impliziert den Blick zurück ins Irdische und damit auf Beatrice: „di là sù rimote“ [Par. I, 66; sah fest auf sie]. Dass der Schreibakt in dieser Szene implizit mitgedacht wird, zeigt der Ausdruck „[t]rasumanar significar per verba“ [Par. I, 70, Herv. im Orig.; Das Übermenschlichen [sic] mit Worten kundzutun], der darauf anspielt, worum es die ganze Zeit geht: das Gesehene in Worte zu fassen. Der inszenierte Perspektivwechsel impliziert also noch einen weiteren Blick, durch den der Schreiber zwischen dem Geschriebenen und dem Sehen hin- und herwechselt. Wiederholt wurde über diese Szene gesagt, dass sie die Grenzen der Darstellbarkeit zeigt, insofern es um die Darstellung der Schwierigkeit geht, göttliche res und poetische verba zur Deckung zu bringen.46 Die poetologische Bedeutung der Szene wird umso mehr betont, als sie in den Horizont der apophatischen Rede, d.  h. der Unnennbarkeit des Göttlichen, gestellt wird. Das Paradox besteht zwischen dem menschlichen Akt des Sagens (per verba) und einer das Menschliche übersteigenden Sache (trasumanar). Die Szene verweist auf die Grenzen der Repräsentierbarkeit, aber die Haltungen der Körper verweisen auf Sprechhaltungen. Diese werden bisweilen ununterscheidbar, sodass die Präsenz der Stimme des einen immer auch auf die abwesende Stimme des anderen verweist: Sì cominciò Beatrice questo canto (Par. V, 16) So begann Beatrice diesen Gesang

46 Vgl. Singleton: Commedia, S. 11  f. Singleton betont die Buchstäblichkeit des Körpers, die in das Paradies eingeführt wird.



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Wer singt in dem Moment, in dem es heißt, dass Beatrice den Gesang begann? Mit ihrem Gesang hatte Beatrice den V. Gesang des Paradieses eröffnet, auf den nun zurückverwiesen wird. Die Rede der Herrin kann immer auch Gesang sein und sich damit gleichzeitig auf den Gesang als Ganzen, auf den „Canto“, beziehen. Die Formulierung lässt offen, ob Beatrice die Sprecherin des Canto ist oder ob es nicht vielmehr auch ihr Canto ist und sie insofern die Quasi-Autorschaft über den gesamten Gesang übernimmt. Beatrices Rede („suo parlar“, Par. V, 17) und auch der nachfolgende „pro­ cesso santo“ (Par. V, 18) lassen sich in zweifacher Hinsicht lesen: einerseits als Gerichtsrede, so wie sie Dante für seine Figur konzipiert hat, andererseits als Rede, die sich gegenüber demjenigen, der sie schreibt, verselbstständigt hat. Für Teodolinda Barolini liegt in der Unbeantwortbarkeit dieser Frage – „who is the text’s true cantor“47  – eines der Probleme, die das Paradies aufwirft. Die auto­ ritäre Intervention unterstreicht nicht nur die Autorität des Autors, sie stellt sie auch in Frage: „This fascinating authorical intervention serves simultaneously to heighten and deflect the author’s authority, his very presence: for indeed, who is the author, Dante or Beatrice.“48 Auch Harald Bloom hatte Beatrice in diese Rich­ tung gedeutet, als er sie von ihrer Funktionalisierung für die figura Christi abge­ löst und zur Projektionsfigur für Dantes Autorschaft erklärt hat: „The Comedy’s Beatrice matters not because she is an intimation of Christ, but because she is Dante’s idealized projection of his own singularity, the point of view of his work as an author.“49 In dem Moment, in dem Beatrice jedoch anfängt das zu machen, was die Dichtung tut, nämlich zu singen, verselbstständigt sich die Figur und stellt damit die Behauptung der Autorschaft in Frage. Dante legt Beatrice seinen Gesang in den Mund. Er lässt sie folglich nicht nur philosophisch-theologisch sprechen, sondern auch poetisch singen. Wie Sokrates mit den Worten Diotimas spricht, so Beatrice mit den Worten Dantes. Die confusione von Dante und Beatrice macht in der Commedia poten­tiell noch eine andere Art der Fiktion von Autorschaft möglich, die dem Text als eine

47 Vgl. Teodolinda Barolini: The Undivine Comedy. Detheologizing Dante, Princeton, New Jer­ sey 1992, S. 189. Die Ambiguisierung, die hiermit bezüglich der Autorschaft erzeugt wird, stellt sie einer zweiten gegenüber, dem darauffolgenden canto Justinians. Das widerspricht meiner These nicht, vielmehr wird auch damit die doppelte Autorschaft anhand zweier symbolischer Ordnun­ gen durchgespielt. Während Beatrice die Kirche symbolisiert, symbolisiert Justinian das Kaiser­ reich. 48 Barolini: The Undivine Comedy, S. 189. 49 Harald Bloom: The Western Canon. The Books and School of the Ages, New York, San Diego, London 1994, S. 82.

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weitere Ebene eingeschrieben wird.50 Dies ist die Ebene der énonciation oder besser gesagt des Kommentars51, die Dante auch in seiner Vita nuova, in De vulgari eloquentia und im Convivio interessiert hat. Die Ebene des Kommentars ist in dem epischen Text, der über keinen expliziten eigenen Kommentar mehr verfügt, nicht einfach weggefallen. Denn warum sollte Dante dieses Verfahren, an dem er syste­ matisch gearbeitet hat, plötzlich aufgeben? Der Kommentar, die Auslegung ist als eine zweite Ebene in die Commedia eingegangen, die immer wieder auf Beatrice als Ort der Konstituierung des Sprechens und der Poetik des Textes verweist.52

1.3 Befehlsmacht: fa che tu scrive Die Verschränkung von Poetik und Figur zeichnet sich dort besonders deutlich ab, wo Dante für Beatrice einen eigenen Stil entwickelt, so in Beatrices erster, eigener Rede: e cominciommi a dir soave e piana, con angelica voce, in sua favella: ‚O anima cortese mantoana, di cui la fama ancor nel mondo dura, e durerà quanto ’l mondo lontana, […]‘ (Inf. II, 56–60) und sie begann zu mir zu sprechen, sanft und leicht, mit engelhafter Stimme, auf ihre Weise: ‚Du liebenswürdige Mantuaner Seele, deren Ruhm noch immer in der Welt andauert und dauern wird so lange wie die Welt, […]‘ (Inf. II, 55–60)

Beatrice wird hier nicht als das Objekt des süßen neuen Stils inszeniert, sondern als diejenige, die selbst süß und leicht – „soave e piana“ – und mit der Stimme eines Engels  – „con angelica voce“  – und damit im Stil des dolce stil novo die „rime d’amor […] dolci e leggiadre“ [Purg. XXVI, 99; klangvoll-anmutige Liebes­ 50 Einer „Poetik der Potentialität“ müsste dieser Aspekt nachgetragen werden. Vgl. Katha­rina Münchberg: Dante. Die Möglichkeit der Kunst, Heidelberg 2005. 51 Vgl. Émile Benveniste: Problèmes de linguistique générale, Bd. 2, Paris 1974 (Bibliothèque des sciences humaines), S. 43–88. 52 Zum Vergleich zwischen Rechtstext und Literatur Markus Krajewski/Cornelia Vismann: Kommentar, Code und Kodifikation. In: Zeitschrift für Ideengeschichte 3/1 (2009), S. 5–16.



auctoritas: Wer spricht? 

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dichtung] spricht.53 Auf subtile Weise verschiebt Dante die literarischen Vorla­ gen durch eine Ambiguisierung der Rede, wenn er Beatrice das Lob des irdischen Ruhms Vergils singen lässt. Die Art, wie Dante dieses Lob einführt, wer dieses Lob sagt, führt auf der Ebene der énonciation zu einer zweiten, den énoncé kom­ mentierenden Ebene, bei der es um die Frage geht, wer dieses Lob spricht und wie es gesprochen wird. Beatrice wird in die Rolle einer Sprecherin gebracht, deren Rede Befehlsmacht hat. Vergil wünscht sich geradezu, von ihr Anordnungen zu bekommen: „tal che di comandare io la richiesi“ [Inf. II, 54; dass ich mir / nichts anderes wünschte, als ihre Befehle zu erhalten] und bereitwillig ihrem „comandamento“ (Inf. II, 79) zu folgen. Auch wenn Beatrice ihre Rede weinend vorbringt, sie demütig ihre mit tränenbenetzten Augen abwendet, so spricht Dante seiner Figur die gebietende Macht der Rede zu, die sofortige Wirkung zeigt, wenn sich Vergil auf ihre Anord­ nung hin auf den Weg zu Dante in die Hölle macht („ti faccio andare“, Inf. II, 70). Beatrice verfügt folglich nicht nur über eine theologische Rede, sie zitiert darüber hinaus den „süßen“ Stil der Dichtung, wenn sie mit engelhafter Stimme durch eine Apostrophe anhebt: „O anima“ (Inf. II, 58). Dante weist Beatrice, bevor er sie einen eigenen Canto singen lässt, auf diese Weise die Möglichkeit einer eigenen favella zu. Er macht also möglich, dass die Herrin Beatrice selbst poetische Worte spricht, die es jederzeit mit Dantes eigenem Stil aufnehmen können. In dieser Funktion kann man Beatrice mit Francesca aus dem fünften Gesang des Inferno vergleichen. Pier Paolo Pasolini hat dazu bemerkt, dass Dante in der berühmten Szene das sprachliche Register wechselt und in der Begegnung von Paolo und Francesca die populären Liebestopiken verwendet: vom höfischen Liebesdiskurs bis hin zu Romanzen der Epoche. Dantes poetisches Verfahren besteht darin, seinen Figuren Wendungen in den Mund zu legen, die nicht ihre eigenen sind, aber durch diese in das Innere seiner Figuren einzudringen. Für Pasolini ist dieses Verfahren das gleiche, das er für seine Filme beansprucht, ein „soggettivo libero indiretto“54. Zur Technik des indirekt-subjektiven Stils gehört, dass Dante Francesca einen Vers aus einem Gedicht von Guido Guinizelli, „Al cor gentil rempaira sempre amore“55, zitieren lässt. Dante hat Francesca, indem er ihr einen Namen und eine Stimme verliehen hat, nicht nur vor dem Vergessen der

53 Zu diesem Befund passt, dass Beatrice in der Commedia nicht mehr, wie noch in der Vita nuova, als „donna gentile“ bezeichnet wird. Vgl. Ignazio Baldelli: Realtà personale e corporale di Beatrice. In: Beatrice nell‘opera di Dante e nella memoria europea 1290–1990. Hrsg. von Maria Picchio Simonelli, Neapel 1994, S. 137–155, S. 152. 54 Pier Paolo Pasolini: Il cinema di Poesia. In: ders., Empirismo eretico, Mailand 2000, S. 167– 187, S. 176. 55 Guido Guinizelli: Rime. Hrsg. von Pietro Pelosi, Neapel 1998, IV.

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Geschichtsschreibung gerettet.56 Er hat mit ihr eine bestimmte Art und Weise des Sprechens ausgelotet, die sie zu einer poetologischen Figur macht. Nicht zufällig wird also der Blick des Lesers erneut auf den Mund der weib­ lichen Figur als Ort sowohl der Manifestation der Liebe als auch der Fabrikation von Rede gelenkt: einer zweideutigen, zitierenden Rede, die sich mit der Stimme des Textes vermischt (vgl. Inf. V, 136). Denn es kommt nicht nur auf die Bedeu­ tung des Zitats an und die Frage, ob es um eine Kritik des dolce stil novo geht oder nicht, sondern darauf, was passiert, wenn Dante Francesca das Zitat spre­ chen lässt. Durch das, was Barbara Vinken „dis-placement of style“57 genannt hat, wird die Amorlehre des dolce stil novo, die Amor als metaphysisches Prinzip der Dichtung behauptet und Seelenadel durch Reinigung des Herzens erzielt, zersetzt. Als Francescas Rede ist Amor nicht länger ein Prinzip der Vermittlung zwischen zwei Sphären. In ihrem Mund wird Amor zu einer ziellosen Metapher des Begehrens, „metaphor of a passionate, burning desire that perpetuates itself while never reaching its goal.“58 Dante lässt Francesca einen Stil kopieren, aber die Wiederholung macht aus ihrer Rede einen neuen ‚Text‘, der sich durch die Differenz zum Vorgängertext konstituiert. Ist also der dolce stil novo im Mund Beatrices noch der gleiche? Zu einer solch minimalen Verschiebung in der diskursiven Struktur des Textes kommt es auch, wenn Beatrice Dante zum Schrei­ben auffordert: ‚[…] a quel che vedi, ritornato di là, fa che tu scrive.‘ (Purg. XXXII, 104–105) und was du siehst, das sollst du nach der Rückkehr niederschreiben.

„[F]a che tu scrive“ – damit wird eine Beziehung zwischen Beatrice im Text und Dante als erzählendem bzw. schreibendem Ich hergestellt, was die Souveränität der Rede zu einem zweideutigen Spiel macht. Die Spannung, die zwischen dort (là) und dem Akt des Schreibens (scrivere) besteht, resultiert nicht nur aus der zeit­ lichen Differenz zwischen dem Geschauten und dem Moment der Niederschrift,

56 Vgl. Teodolinda Barolini: Dante and Francesca da Rimini. Realpolitik, Romance, Gender. In: Speculum 75/1 (2000), S. 1–28, S. 1: „in effect he saved Francesca from oblivion, giving her a voice and a name.“ 57 Barbara Vinken: Encore. Francesca da Rimini. Rhetoric of Seduction – Seduction of Rheto­ ric. In: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 62 (1988), S. 395–415, S. 408. 58 Vinken: Encore. Francesca da Rimini, S. 408.

auctoritas: Wer spricht? 



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sondern auch aus der Differenz zwischen dem Schreiber und seinem Diktierer. Wieder tritt Beatrice als dittator auf, um stellvertretend für Amor den Dichter zum Schrei­ben anzuleiten. Ihre Funktion beschränkt sich dabei auch hier nicht auf die Vermittlung, wenn sie es ist, die Dante beauftragt und autorisiert, Autor eines Gedichts über das Geschaute zu werden. Die „Führerin durchs Reich der himm­ lischen Glückseligkeit“59 führt Dante auch zum Schrei­ben. Die Zweistimmigkeit des Textes zeigt, dass Beatrice strukturell die gleiche Bedeutung zukommt wie Vergil, den Dante als maestro e autore apostrophiert hatte. Die humile Geste des vor ihr niederknienden Dante – „e io, che tutto ai piedi / d’i suoi comandamenti era divoto“ [Purg. XXXII, 106–7; und ich, der ich zu ihren Füßen gänzlich ihren Befehlen ergeben war] – zeigt nicht nur Dantes Demut gegenüber der göttlichen Theologie, die Beatrice verkörpert, sondern auch, dass die Figuration von Autor­ schaft in einer solchen demütigen Haltung gründet: in der Unterwerfung unter eine Stimme, die sich mit der eigenen überschneidet und vermischt, aber nicht mit ihr identisch ist. Dantes Ergebenheit gegenüber Beatrice ist dabei die gleiche wie diejenige, die er Vergil als seinem maestro e autore entgegengebracht hatte. In dem Moment, in dem er diesen als Sprecher identifiziert, lobt er Vergils „bello stilo“ (Inf. I, 87) über alle Maßen und preist ihn als „famoso saggio“ [Inf. I, 89; berühmter Weiser]. Während Dantes Respekt gegenüber Vergil „vergognosa“ [Inf. I, 81; schamhaft] bleibt, folgt die Haltung, mit der er sich gegenüber Beatrice inszeniert, einer Figur der Unterwerfung als divotio. Diese Geste ist am Konzept der fin’amors der Provenzalen geschult, in der die Herrin über den Liebenden gestellt wird.60 Doch auch hier besteht die entscheidende Abweichung von diesem Modell darin, dass die donna spricht und Aufträge erteilt. Sie ist eine Figur, deren Souveränität nicht nur aus der Entsprechung der in der Liebeslehre vorgezeichneten Rolle resultiert. Dante räumt ihr auf diskursiver Ebene einen Spielraum ein, der es ihr ermöglicht, auch den Gesang zu beherrschen. Insbesondere dann, wenn Beatrice als dieje­ nige dargestellt wird, die ihm seine Rede diktiert, manifestiert der schreibende Dante ihre Autorität: Così Beatrice a me com’ ïo scrivo (Par. V, 85) So Beatrice zu mir, wie ich es schreibe

59 Regn: Dantes Beatrice und die Poetik des Heils, S. 133. 60 Vgl. Hans Robert Jauss: Ästhetische Erfahrung als Zugang zu mittelalterlicher Literatur. In: ders.: Alterität und Modernität der mittelalterlichen Literatur. Gesammelte Aufsätze 1959– 1976, München 1977, 411–427, S. 389.

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Beatrice wird zu einem dittator, der dem schreibenden Dante seinen Text vorsagt. Liegt damit die Macht bei demjenigen, der schreibt, oder bei derjenigen Instanz, die den Zuspruch erteilt? Schreibt Dante nach Beatrices Diktat, dann ist nicht sie das Medium, sondern Dante ihr Medium. „So Beatrice zu mir, wie ich es schreibe“: Was Dante schreibt, sind Beatrices Worte. Folglich unterscheidet Dante nicht nur zwischen dem erinnernden und dem erinnerten Ich (Dante als Erzähler und als Figur seines Textes, die beide von der textexternen, schreibenden Instanz Dante unterschieden werden müssen), sondern auch zwischen zwei Beatrice-Figuren: einer erinnerten Beatrice und einer diktierenden, die beide von der historischen Beatrice unterschieden werden müssen. Diese Differenz führt zur Ambiguität der Rede, die im Ungewissen lässt, wer spricht. Gerade wenn Redewiedergabe und Diktataufnahme zusammenfallen, wird der Text der Commedia auch zum Text Beatrices, die den textinternen Dante in doppelter Weise anleitet: als erin­ nerte Beatrice auf dem Weg zum Heil und als Diktierende auf ‚dem Weg‘ zur Schrift. Beatrice ist wie Dante im Text zweistimmig: Ihre Rede ist auf der Ebene der histoire wie auf der des discours platziert. Als figura Christi, wie die Dantistik sie in Anschluss an Singleton oder Auerbach interpretiert hatte, wird sie stets nur als ‚einfache‘, bzw. typologisch ausgerichtete Textinstanz gesehen. Singleton hatte – wie Auerbach in seinem Figura-Aufsatz – die konstitutive christliche Lektüre der Typologie auf die Commedia und die Vita nuova angewandt und die innere Span­ nung von Wiederholung und Überbietung auf die beiden Texte übertragen: Die Vita nuova war hierin zur figura geworden, die durch die Commedia überboten wird, gerade so, wie das Neue Testament an das Alte zurückbindet, indem die Einlösung des Alten dessen Gültigkeit bestreitet.61 Die Bestimmung Beatrices erschöpft sich jedoch nicht darin. Denn was mit dem Namen Beatrice benannt wird, sind zwei Instanzen, die die Textstruktur möglich gemacht hat und die als solche auch einen doppelten Einfluss auf die beiden Dante-Figuren nehmen können.

61 Vgl. Singleton: Commedia, Kap. The Pattern at the Center, S. 45–60, S. 52. Regn schließt daran an, wenn er Beatrice als Figur interpretiert, die „die erzählerische Repräsentation einer Anagogie ermöglicht, der sie selbst angehört“, im Unterschied zur Beatrice der Vita nuova, die zwar die Liebesgeschichte als Heilsgeschehen perspektiviert, aber letztlich, durch die Abwen­ dung Dantes von Beatrice nach ihrem Tod, damit scheitert. Vgl. Gerhard Regn: Dantes Beatrice und die Poetik des Heils, S. 133 und 137  f. Auch Regn: „Allegorice pro laurea corona“. Dante, Petrarca und die Konstitution postmittelalterlicher Dichtungsallegorie. In: Romanistisches Jahr­ buch 51 (2000), S. 128–152, insb. S. 132–138 und Rachel Jacoff: The Tears of Beatrice. Inferno II. In: Dante Studies 100 (1982), S. 1–12, insb. S. 9. Jacoff zufolge hat Beatrice eine Mittlerfunktion (mediatrix) innerhalb der typologischen Struktur des Gedichts.



auctoritas: Wer spricht? 

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Die poetologische Referenz verweist auf den Moment, in dem der Text über sich selbst spricht und dient damit der Reflexion über die Bedingungen eines Schreibens, bei dem Dante göttliche Rede in Schrift überträgt. In der Commedia zeigt sich durch die Inszenierung ihrer Bedingungen als Vorsagen und Nachschrei­ ben, dass sie als Nachschrift ihren metaphysischen Begründungszusammenhang gleichzeitig aktualisiert und in Frage stellt. Dante bezieht Beatrices Rede, ihr parlar, in den Akt des Schreibens mit ein, konstitutiv geht es als Diktat immer schon voraus. Dante porträtiert sich als Dichter, der schreibt – „com’ ïo scrivo“ –, aber er überträgt seine narrative Autorität auf eine weitere Instanz, wenn er eine „Schreibszene“62 als Wiedergabe von Beatrices Gesagtem inszeniert. Man könnte die Szene als „flirtation with the role of divine nuntius or scriba Dei“63 lesen. Aber dabei bliebe Beatrices Auftritt die Metapher für eine von Gott autorisierte Szene des Schreibens. Auf metonymischer Ebene sieht man jedoch, dass sich der Flirt des Dichters mit den von ihm geschaffenen literarischen Figuren fortsetzt. Dante, der Schreiber, begibt sich in beide Rollen – in Dante und Beatrice –, wenn Beat­ rice Dante Worte vorgibt, die Dante als irdischer Dichter aufschreibt. Dabei verweist die humile Geste der Selbsterniedrigung auf stilistischer Ebene auf ein Gedicht Cavalcantis mit dem Titel „Se m’ha del tutto oblïato Merzede“. Darin hat sich gemäß der Topik der höfischen Liebe der Sprecher seiner Ange­ beteten gegenüber als vollkommen unterworfen erklärt: „‚Donna, tutto vostro sono‘“64. Anders dagegen die Redehaltung in der Commedia, denn Beatrice geht nicht darin auf, dem Dichter Liebe einzugeben, die sein Sprechen und Fühlen ver­ ursacht. Sie spricht ihm auch die Worte vor, die er schreiben wird. Damit ist ihre Rede auf verwirrende Vieldeutigkeit in der gleichen Weise angelegt, wie es die Rede von Sokrates und Diotima war. Wenn Beatrice Dante Worte vor-sagt, die sie wie einen eigenen, süßen Stil beherrscht, dann hat sich Dante die Stimme einer Frau geborgt, um diese nicht nur mit einer anderen zu überschreiben, sondern sie selbst sprechen zu lassen. Das Aufschreibesystem der Commedia wird durch ein Sprechen legitimiert, bei dem der Dichter wie ein fieberndes Kind der Mutter die Worte von den Lippen

62 Zum Begriff der Schreibszene vgl. Rodolphe Gasché: Scene of Writing. A Deferred Outset. In: Glyph 1 (1977), S. 150–171. Auch Campe im Anschluss an Barthes Begriff der écriture Rüdiger Campe: Die Schreibszene. Schrei­ben. In: Paradoxien, Dissonanzen, Zusammenbrüche. Situatio­ nen offener Epistemologie. Hrsg. von Hans Ulrich Gumbrecht und K. Ludwig Pfeiffer, Frankfurt a. M. 1991, S. 759–772. 63 Ascoli: Dante and the Making of a Modern Author, S. 366. Vgl. auch Friedrich: Epochen der italienischen Lyrik, S. 59. 64 Guido Cavalcanti: Rime. Hrsg. von Domenico de Roberts, Turin 1986 (Nuova raccolta di classici italiani annotati 10), XIV: „Se m’ha del tutto oblïato Merzede“, 13.

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 Beatrices Gesang

abliest und mit der gleichen Ergebenheit unter diese Mutterschaft gerade diese Worte schreibt.65 Die Inszenierung inspirierter Rede folgt also immer auch dem Diktat Beatrices: einer süßen, bisweilen strengen und mütterlichen Rede. Das lyrische Sprechen ist folglich wiedergegebene Rede, die in anderer Weise als Vergil als maestro und autore an der Redeordnung des Textes partizipiert. Auch wenn Vergil explizites Vorbild ist und mit Dante ein Figurenpaar bildet, wird er nicht als Figur inszeniert, die am poetischen Prozess der Verfertigung der Rede beteiligt ist. Vor dem Hintergrund der Amorlehre inszeniert Dante eine weibliche Figur als diejenige, die die Funktion hat, dem Wanderer die Worte vorzusprechen. „Così Beatrice a me com’ ïo scrivo“: Was sie ihn schreiben lässt, sind seine, aber auch ihre Worte. Zum einen ist also Beatrice die Herrin aus dem höfischen Lie­ besdiskurs, zum anderen aber wird gerade diese Figur mit der Poetik des Textes verbunden. Die Eindeutigkeit der Frage, in wessen Namen das Sprechen erfolgt, die Souveränität der Autorschaft und die auctoritas Dantes müssen in Zweifel gezogen werden, wenn Beatrice anfängt, selbst zu reden und Dante die Worte aus der Hand nimmt.

2 Dantes Signatur An zentraler Stelle in der Commedia wird die Rede Beatrices als Möglichkeit, von Liebe zu sprechen bzw. zu singen inszeniert. Mit der Inszenierung ihrer Ankunft in Canto XXX des Purgatorio, die Dante durch ein Zitat aus dem Cantico canticorum perspektiviert, werden nicht nur Beatrices Handlungen, sondern auch ihre Worte prominent in den Blick gerückt. Die als Braut inszenierte Beatrice ist zugleich diejenige, durch die die Liebesgeschichte wiederholt, in dieser Wieder­ holung aber in eine andere Redeordnung übersetzt wird. Die Commedia bildet an dieser Stelle eine Zeichenpraxis aus, in der sich durch Substitutionen, Benen­ nungen und Zitate ein Gesang zweiter Ordnung konstituiert. Die triumphale Erscheinung Beatrices in Canto XXX, jene zentrale Stelle der Commedia, die das Scharnier zwischen Fegefeuer und Paradies bildet, wird durch ein Zitat aus dem Cantico canticorum intertextuell markiert: e un di loro, quasi da ciel messo, ‚Veni, sponsa, de Libano‘ cantando gridò tre volte, et tutti li altri appresso. (Purg. XXX, 10–12; Herv. im Orig.)

65 In der Romantik wird dieses Aufschreibesystem aktualisiert. Vgl. Friedrich Kittler: Auf­ schreibesysteme 1800, 1900, München 1985.



Dantes Signatur 

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Und einem Himmelsboten gleich sang einer von ihnen mit lauter Stimme Veni, sponsa, de Libano – ‚Komm, Braut, vom Libanon‘ – dreimal, und alle anderen taten es ihm nach.

Mit lauter Stimme verkündet ein Engel dreimal das Zitat, bevor in einer Vision Dantes die verschleierte und bekränzte Beatrice auf einer Wolke, von Blumen umhüllt, herangeschwebt kommt und über der Brüstung des allegorischen Triumphwagens  – von der Forschung meist als ecclesia triumphans interpre­ tiert66  – Platz nimmt. Der Canto ist in den Horizont dieses Zitats gerückt, das intertextuell die Ankunft Beatrices als Ankunft einer Braut, als sponsa christi, perspektiviert.67 Nicht erst wenn ausdrücklich auf die mittelalterliche Vorstel­ lung von ecclesia und sponsa rekurriert wird68, sondern schon hier bedient sich Dante einem der geläufigsten religiösen Intertexte des Mittelalters. Die drei letzten Gesänge des Purgatorio sind auf dieser Folie zu lesen, durch die die im Cantico canticorum dargestellte Liebe je nach Stand der Auslegung typologisch bzw. allegorisch als Beziehung zwischen Christus als Bräutigam und der Kirche als Braut, tropologisch als Geschichte der Vereinigung zwischen der christlichen Seele und Christus als Gott (bzw. seit dem neunten Jahrhundert als Figur für die Beziehung zwischen Jungfrau und Christus) und anagogisch als das Leben der Seele im Himmel ausgelegt wird. Nicht zufällig wird Beatrice ja auch am Ende des Paradiso von Bernard de Clairvaux abgelöst, der die Kritik des Cantico canticorum im Spätmittelalter durch seine Exegese maßgeblich geprägt hat.69 Die Bedeutung des Zitats wird mehrfach herausgestellt: Die auctoritas des Zitats bleibt unangefochten, durch sein Latein setzt es sich vom volgare der

66 Vgl. Florian Mehltretter: Gott als Dichter der irdischen Welt. Beatrice und die Allegorie in Dantes Purgatorio XXX–XXXIII. In: Deutsches Dante-Jahrbuch 79/80 (2005), S. 103–160, ins­ bes. S. 156 und S. 158  ff. Beatrice als Synekdoche der idealen Ecclesia lässt sich nach dem vier­ fachen Schriftsinn deuten, ohne dass dabei das exegetische Verfahren der Typologie bemüht werden muss. 67 Vgl. Sara E. Díaz: ‚Dietro a lo sposo, si la sposa piace‘. Marriage in Dante’s „Commedia“. Diss. New York University 2011. http://gradworks.umi.com/3466874.pdf (31. Mai 2013), Einleitung, S. 1–24. Mit ihrer Untersuchung konzentriert sich Díaz jedoch in erster Linie auf die irdische Ehe. 68 Vgl. Paola Nasti: Caritas and Ecclesiology in Dante’s Heaven of the Sun. In: Dante’s Commedia. Theology as Poetry. Hrsg. von Vittorio Montemaggi/Matthew Treherne, Notre Dame 2010, S. 210–244. 69 Von daher liegt es nahe, vor allem die Auslegung von Bernard als Folie für die drei letzten Gesänge des Purgatorio heranzuziehen, wenn das Zitat des Cantico canticorum auf den Intertext referiert. Vgl. Olivia Holmes: Dante’s two Beloveds. Ethic and Erotics in the Divine Commedy, New Haven, London 2008, Kap. 5: Jerusalem and Babylon. Brides, Widows, and Whores, S. 119– 156.

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Commedia ab. Zudem wird es von einem Engel dreimal ausgerufen und dieser dreifache Ausruf vom Chor der Engel aufgenommen. Die imperiale Ankunft der sponsa ist damit von geradezu liturgischem Gesang umhüllt, der schließlich in zwei weitere Zitate übergeht, die nun ihrerseits die Braut zu Christus und zum Imperium in Bezug setzen, wenn es heißt: „‚Benedictus qui venis!‘“ (Purg. XXX, 19, Herv. im Orig.) und „‚Manibus […] date lilïa plenis!‘“ (Purg. XXX, 21, Herv. im Orig.) aus Vergils Aeneis.70 Derjenige, der mit diesem Zitat angekündigt wird, wird wie Christus bei seinem Einzug in Jerusalem beschrieben – „Hosanna filio David! Benedictus qui venit in nomine Domini“ (Mt. 21,4–9) – und wie Aeneas eingeführt, dessen Verheißung kommenden Ruhms in der Rede von Anchises hier aufgerufen wird.71 In politisch-theologischer Hinsicht wird mit dem Auftritt der sponsa gleichzeitig die Kirche und das Imperium zitiert, die Dante in seiner Monarchia mit der Metapher der zwei Schwerter bestimmt hatte, wo es heißt: „Hiis itaque prenotatis, ad id quod superius dicebatur dico per interemptionem illixus dicti quo dicunt illa due luminaria typice importare duo hec regimina: in quo quidem dicta tota vis argumenti consistit.“ [Mon. III, iv, 12; […] vernichte ich die oben erwähnte Aussage, in der sie behaupten, die beiden Lichter bedeuteten bildlich die beiden Regierungen]. Allerdings korrespondiert der doppelte Körper der Macht, der hiermit evo­ ziert wird, mit einem anderen Körper: einem geschlechtlichen Körper, der eben­ falls Züge dieser zweifachen Verfasstheit trägt. Singleton hatte aus dieser Stelle geschlussfolgert, dass Beatrice auch hier als figura Christi zu lesen sei: „It is Bea­ trice – Beatrice who comes as Christ.“72 Er ist mit dieser Identifikation allerdings über die Komplexität der Zitierung hinweggegangen. Schon die Verkürzung des biblischen Zitats um den Halbsatz „in nomine Domini“ lässt vermuten, dass Christus zwar aufgerufen wird, es hier aber darum gehen soll, an die Stelle des ausgelassenen Namens des Herrn einen neuen zu setzen. Hinsichtlich ihrer Kom­ munikationssituation ruft die Textstelle demnach Fragen der Adressierung, der Benennungen und Ersetzungen auf.

70 Vgl. Publius Vergilius Maro: Aeneis. Lateinisch / Deutsch. Hrsg. und übers. von Gerhard Fink, Düsseldorf, Zürich 2005, VI, 883: „manibus, date, lilia plenis“ [Spendet Lilien aus vollen Händen!]. Im Folgenden zitiert nach dieser Ausgabe. 71 Vgl. Vergil, Aen. VI, 883. 72 Vgl. Singleton: Commedia, Kap. The Pattern at the Center, S. 45–60, S. 52 (Herv. im Orig.). Auf die Redundanz der Christussymbole bei einer solchen Interpretation weist Mehltretter hin. Mehltretter: Gott als Dichter der irdischen Welt, S. 117  ff.



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2.1 parola disïata Zahlreiche Verweise auf das Canticum canticorum machen deutlich, wie sehr es als Folie in den Gesang eingegangen ist – von der Morgenröte (Cant. 6,10) ange­ fangen, der Verschleierung (Cant. 4,1) bis hin zur Verführung durch den Blick der Braut (Cant. 4,12).73 Auch die Spezifizierung des Zuges als Brautzug (vgl. Purg. XXIX, 60) zielt auf die Referenz des Zitats aus dem Cantico ab. In Bernards Auslegung ist das Cantico canticorum als Gegenstand der Exegese immer auch zugleich das „neue Lied“, das derjenige, der ihm folgt, singen wird. Es ist ein „canticum novum“74, das den Gläubigen durch einen neuen Gesang mit neuem Leben erfüllen soll. Überschreibt Dante das canticum novum mit einem anderen ‚neuen Lied‘? Wird die Ankunft Beatrices durch ein Zitat perspektiviert, so verbindet das Ende des Purgatorio die Szene mit dem Schreibakt. Die verwendete Metaphorik kennzeichnet dabei das Schrei­ben als Moment der Erneuerung. Die alten Blätter sind vollgeschrieben (le carte), der Gesang (questa cantica) ist beendet: ma perché piene son tutte le carte ordite a questa cantica seconda, non mi lascia più ir lo fren de l’arte. (Purg. XXXIII, 139–141) Doch da nun alle Blätter voll sind, die für diese zweite Cantica bereitet waren, zieht mir die Kunst den Zügel an. (Purg. XXXIII, 140–141, Herv. im Orig.)

Der Anspielung auf den Akt des Schreibens durch die carte und die cantia geht die Selbstbeschränkung auf seine Materialität voraus, wodurch der Text ebenfalls auf die poetologische Ebene springt: S’io avessi, lettor, più lungo spazio da scrivere, i’ pur cantere’ in parte lo dolce ber che mai non m’avria sazio; (Purg. XXXIII, 136–138)

73 Zu den Referenzen Paul Priest: Dante and „The Song of Songs“. In: Studi Danteschi 49 (1972), S. 79–113. 74 Bernhard von Clairvaux: Sämtliche Werke. Lateinisch / Deutsch. Bd. 5: Sermones super Cantica Canticorum. Predigten über das Hohe Lied. Hrsg. von Gerhard B. Winkler, Innsbruck 1994, I, V, 9.

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Selbst wenn ich, Leser, noch Raum zum Schrei­ben hätte, ich könnte nur ein klein wenig davon singen, wie freudevoll das Trinken war, von dem ich nicht genug bekommen konnte. (Purg. XXXIII, 136–139)

Die metatextuelle Markierung durch Schrei­ben (scrivere) und Singen (cantere) legt nahe, dass auch die cantica seconda zuvor über sich selbst als Text gespro­ chen hat, dass also die Thematik der Erneuerung mit der Frage des Schreibens verbunden ist. Der Auftakt durch das Zitat kennzeichnet bereits die selbstrefle­ xive Ebene. Die Referenz auf das Cantico canticorum dient dabei weniger der Übernahme eines Themas als der Übernahme seiner Sprechsituation. Bernard konnte sich das Cantico nicht anders als einen von Gott gesproche­ nen Text vorstellen, als „Spiritus arte“75. Als Beleg für die göttliche Autorisierung gilt der Anfang des Cantico, der die Frage aufwirft, wer spricht. Denn er beginnt, als würde er auf eine schon bestehende Frage antworten: „Osculetur me osculo oris sui“ [Cant. 1,1; Er küsse mich mit dem Kuß seines Mundes].76 Ausgangspunkt für Bernard ist also zunächst nicht die Frage der exegetischen Auslegung des Textes, sondern vielmehr seine Sprechsituation und Zeichenpraxis. Der Mund wird zum Zeichen des zu empfangenden Wortes und des Sprechens, die Bereit­ schaft des Empfangens des Kusses zur Bereitschaft des Empfangens der gött­ lichen Inspiration und der Rede. Der Mund erweist sich somit als Ort, an dem sich Worte und Liebe überschneiden, an dem also Worte süß wie Honig oder Zucker und als Süße der Rede (eloquii suavitas) inszeniert werden können.77 Auch bei Dante werden das von Beatrice herbeigesehnte Wort, ihre „parola disïata“ (Purg. XXXIII, 83), und ihr Mund aufeinander bezogen. Der Mund rückt in den Blick als Ort der Verkündung eines Geheimnisses, das gelüftet werden soll: ‚[…] Per grazia fa noi grazia che disvele a lui la bocca tua, sì che discerna la seconda bellezza che tu cele.‘ (Purg. XXXI, 136–138) ‚[…] Sei gnädig, schenk uns die Gabe, ihm nun auch deinen Mund zu entschleiern, damit er das zweite Schöne sehen kann, das du noch verbirgst.‘

75 Bernhard von Clairvaux: Sermones super Cantica Canticorum, I, III, 5. 76 Bernhard von Clairvaux: Sermones super Cantica Canticorum, I, III, 5. 77 Vgl. Bernhard von Clairvaux: Sermones super Cantica Canticorum, I, III, 5.



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Die Metapher des Schleiers besetzt den Mund jedoch auch rhetorisch: Der Schleier, der von Anfang an Beatrice wie eine Braut verhüllt hat, ist auch der Schleier der Rede. Dante inszeniert die Frage nach der Wahrheit, die das mittel­ alterliche Dispositiv aufgeworfen hatte, verbunden mit den Möglichkeiten ihrer Darstellung. Die verschleierte Braut ist die Figur, hinter der sich eine weitere Figur, nämlich eine Figur der Rede verbirgt. Denn auch das Cantico hatte eine Lie­ bessprache ausgebildet, die der Rede der Braut einen Ort und d.  h. eine Sprache verliehen hat: Nicht nur der Bräutigam adressiert seine Braut. Es ist die Braut, die sich ihrem Geliebten zuwendet und das Wort ergreift, als die weibliche Stimme darum bittet, geküsst zu werden. Das Zitat aus dem Cantico eröffnet also einen imaginären Raum, den Dante mit der zitierten Redeordnung besetzt.78 Bei Dante entfallen deshalb auch die moraltheologischen Implikationen, die Bernards Auslegung konstituiert hatten. War Bernard darauf aus, die Lektüre des Cantico canticorum als Abwehr der „animae passio“ [Leidenschaft des Herzens]79 und gegen die Seuche der Eigen­ liebe zu behaupten80, übernimmt Dante die Redeordnung, die das Cantico kons­ tituiert hatte, nämlich die Rede zwischen Braut und Bräutigam. Vor dieser Folie wird Dante Beatrice von der stummen Herrin in eine sprechende Figur verwan­ deln. Damit erfolgt eine grundlegende Verschiebung von der buchstäblichen Erfahrung der Liebe auf den Liebesdiskurs, d.  h. auf die Frage danach, wie über Liebe gesprochen werden kann. Was mit Beatrices triumphalem Erscheinen mitinszeniert wird, ist die Möglichkeit einer neuen Sprache der Liebe, die durch eine Vielzahl von Stimmen erzeugt wird.

2.2 Sprachordnungen: verhüllt / enthüllt Dante lenkt unseren Blick also nicht nur auf die Inszenierung von Beatrice als handelnder Figur, sondern vor allem auch auf die Art und Weise ihres Sprechens. Während sie selbst verschleiert bleibt – Beatrice erscheint „velata sotto l’angelica festa“ (Purg. XXX, 65) – ist ihre Rede, wie sich in den folgenden Gesängen zeigt, unverhüllt. Die Klarheit ihrer Rede („il lume del mio detto“) wird dem dunklen Verstand Dantes („l’intelletto tinto“) entgegengesetzt:

78 Zu einer Lektüre, die die ironische Haltung Dantes gegenüber den theologischen Diskursen berücksichtigt, vgl. Peter S. Hawkins: All Smiles. Poetry and Theology in Dante. In: Publica­ tions of the Modern Language Association of America, 121/2 (2006), S. 371–387. 79 Bernhard von Clairvaux: Sermones super Cantica Canticorum, I, V, 9. 80 Vgl. Bernhard von Clairvaux: Sermones super Cantica Canticorum, I, I, 1.

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Ma perch’ io veggio te ne lo ’ntelletto fatto di pietra e, impetrato, tinto, sì che t’abbaglia il lume del mio detto (Purg. XXXIII, 73–75) Aber da ich ja sehe, dass dein Kopf verkalkt, versteinert und verdunkelt ist, so dass mein helles Wort dich blendet (Purg. XXXIII, 74–75)

Die Opposition von hell und dunkel, Einsicht und Blindheit, Enthüllung und Verhüllung rekurriert auf die Hülle oder den Schleier der Sprache, und d.  h. auf die Frage nach uneigentlicher Rede, die seit dem 12. Jahrhundert als Markierung eines verborgenen Sinns in der biblischen Exegese und in der Auslegung antiker Texte wichtig geworden war. Die verhüllte Beatrice wird ins Bild gesetzt, um die Lehre des integumentum ins Spiel zu bringen.81 Dabei deutet die Inszenierung der Wechselrede als Wechselspiel zwischen entblößter Rede und stumpfer Wahr­ nehmung darauf hin, dass es sich um eine Problematisierung nicht nur des ver­ borgenes Sinns, sondern auch der Aussageweise handelt: ‚[…] Veramente oramai saranno nude le mie parole, quanto converrassi quelle scovrire a la tua vista rude.‘ (Purg. XXXIII, 100–102) ‚[…] Im übrigen werden meine Worte künftig so unverhüllt sein, wie es sein muss, um sie deinem rohen Verstand nahezubringen.‘

Der Kontrast zwischen der groben Wahrnehmung Dantes („rude“) und der nackten Rede („nude“) Beatrices bezieht sich zunächst auf das hermeneutische Problem der richtigen Auslegung, das mit dem Cantico canticorum in den Blick gerückt worden war. In der einschlägigen Passage des Convivio (II,1) hatte Dante die Unterscheidung zwischen der Allegorie der Theologie und der Allegorie der Dichtung nahegelegt und sich damit innerhalb der Diskurse zwischen Theologie und Dichtung positioniert. Er hatte sich damit in den theologisch-literarischen

81 Vgl. Henning Brinkmann: Verhüllung („Integumentum“) als literarische Darstellungsform. In: Der Begriff der repraesentatio im Mittelalter. Hrsg. von Albert Zimmermann, Berlin, New York 1971, S. 314–339. Christoph Huber: Art. Integumentum. In: Reallexikon der deutschen Li­ teraturwissenschaft (Neubearbeitung). Hrsg. von Harald Fricke u.  a., Bd. 2, Berlin, New York 2000, S. 156–160.



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Streit eingeschrieben, der die Konkurrenz zwischen den beiden Diskursen aus­ gemacht hatte.82 Beatrices Worte müssen, damit Dante sie verstehen kann, enthüllt werden, denn sie spricht in Rätseln wie die Sphinx oder Themis, die Göttin der Gerechtig­ keit: „E forse che la mia narrazion buia, / qual Temi e Sfinge, men ti persuade, / perch’ a lor modo lo ’ntelletto attuia“ [Purg. XXXIII, 46–48; Vielleicht, dass mein dunkler Spruch dich wenig überzeugt, / weil er wie Themis oder die Sphinx den Verstand umnebelt]. Beatrices „Text“ ist demnach verhüllte Rede, den sie aber, um den verborgenen Sinn für Dante lesbar zu machen, preisgeben muss. In der Gegenüberstellung der beiden Sprechweisen  – von heller Rede und fehlender Erkenntnis – werden die unterschiedlichen allegorischen Verfahren konfrontiert. Auf der Ebene der Argumente der Rede deutet alles darauf hin, dass Beatrice gekommen ist, um Dante in die theologische Allegorie einzuweisen. Beatrice tritt in der Rolle der Lehrmeisterin auf, die erschienen ist, ihren Schüler Dante anzu­ leiten, weil ihm das „ersehnte Wort“ Beatrices entwischt: ‚Perché conoschi‘, disse, ‚quella scuola c’hai seguitata, e veggi sua dottrina come può seguitar la mia parola; e veggi vostra via da la divina distar cotanto, quanto si discorda da terra il ciel che più alto festina.‘ (Purg. XXXIII, 85–90) ‚Damit du erkennst‘, antwortete sie, ‚welcher Denkart du gefolgt bist, und siehst, dass ihre Lehre außerstande ist, meinem Wort zu folgen; und damit du weiter siehst, dass euer Weg vom göttlichen Weg so weit entfernt ist wie die Erde von dem Himmel, der sich als oberster bewegt.‘

Wie in der Exegese der Kirchenväter und des Mittelalters, die stets einen anderen, spirituellen Sinn im Blick haben – Bernard de Clairvaux hat dies auf die Formu­ lierung vom „Zerreißen des Vorhangs des tötenden Buchstabens“ gebracht83 –, besteht Beatrices Aufgabe darin, den im Buchstaben verborgenen Sinn des

82 Vgl. Kap. I, 2. Die Frage, wie sich diese Bestimmung auf die literarischen Texte bezieht, wurde vielfach thematisiert. Vgl. Robert Hollander: Dante Theologus-Poeta. In: Dante Studies 94 (1976), S. 91–136. 83 Vgl. Friedrich Ohly: Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter. In: Ders.: Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung, Darmstadt 1977, S. 1–31, S. 4.

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Wortes zu offenbaren. Die Doktrin (dottrina) steht gegen das Wort Beatrices (parola). Beatrice übernimmt die Position der Auslegenden, sie selbst beherrscht die unterschiedlichen Ebenen des Schriftsinns. Kurz zuvor war sie es gewesen, die Dante den Wechsel der Rede befohlen hatte: Ed ella a me: ‚Da tema e da vergogna voglio che tu omai ti disviluppe, sì che non parli più com’ om che sogna. […]‘ (Purg. XXXIII, 31–33) Und sie zu mir: ‚Von Furcht und Scham sollst du dich nunmehr lösen und nicht mehr sprechen wie einer, der träumt. […]‘

Offensichtlich besteht die Aufgabe Beatrices darin, ein anderes Sprechen einzu­ fordern (parlare). Beatrice vermittelt nicht nur den Zugang zu einem verborgenen Wissen. Über die Ebene der Lehre (dottrina) hinaus wirft sie zudem Fragen nach der Art und Weise des Sprechens auf.

2.3 Wiederholungen: sua vita nova Die Inszenierung der Art und Weise des Sprechens steht im Hintergrund der Canti XXX–XXXIII, die durch Rückerinnerung an Texte und als raffinierte Montage von intertextuellen Bezügen entfaltet wird. Neben dem Cantico canticorum ist der zweite entscheidende Intertext für den Auftritt Beatrices Dantes eigene Vita nuova. Der gesamte Canto wird zu einer Allegorie des Lesens: zu einer Relektüre der Vita nuova, in der Beatrice zum Liebesobjekt für Dante geworden war. Beatrice hat auf den ersten Blick die Aufgabe, Dante für sein falsches Ver­ halten zu kritisieren. Ihre Kritik setzt mit Referenz auf die Sirenen bereits zwei Gesänge vorher ein: Tuttavia, perché mo vergogna porte del tuo errore, e perché altra volta, udendo le serene, sie più forte, pon giù il seme del piangere e ascolta (Purg. XXXI, 43–46) Damit du jedoch jetzt Scham über deine Verfehlung empfindest und ein andermal, wenn du wieder die Sirenen hörst, stärker bist, leg nun die Saat des Weinens ab und hör mir zu



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Lenkt diese Stelle eindeutig auf den moralischen Sinn, d.  h. auf die Scham über das Vergehen, so weisen gleichzeitig mehrere Stellen darauf hin, dass es auch um die Mittel des Sprechens geht. Im ‚Sirenenkapitel‘ hatte Dante von einer stot­ ternden Sirene geträumt und damit das Augenmerk auf das Sprechen (parlar) der dolce serena und ihren Wechsel in Gesang (cantar) gerichtet: „Poi ch’ell’ avea ’l parlar così disciolto, / cominciava a cantar“ [Purg. XIX, 16–17; Sie konnte eben wieder locker sprechen, da begann sie / auch schon zu singen]. Die Verwandlung von deformierter Rede (balba) in den süßen Gesang wurde von einer weiteren Frauen­gestalt allerdings als Trug entblößt, die Dante wie Beatrice als Erschei­ nung inszeniert hat: „una donna apparve“ (Purg. XIX, 26)84. Auch die Strenge, mit der die Frau Vergil adressiert, nimmt Beatrices Strenge gegenüber Dante vorweg, sodass mit dieser donna bereits auf Beatrices Rede in Canto XXXIII ver­ wiesen wird. Ist mit anderen Worten Beatrice in Dantes Traum aufgetreten, um die Differenz zwischen balba und cantar ins Spiel zu bringen? Die femmina balba wirft jedenfalls die Frage des Sprechens auf, parlar, das mit dem Stottern der Sirene thematisiert wird.85 Dass es um die Mittel der Rede geht, zeigen dann auch die Beschreibungen von Beatrices Rede zu Beginn von Canto XXXI. Ihr Sprechen (parlar) ist so scharf und spitz, wie es nur eine verletzende Rede sein kann: volgendo suo parlare a me per punta, che pur per taglio m’era paruto acro (Purg. XXXI, 2–3) so richtete sie nun die Rede an mich; und war mir vorher die Schneide schon scharf vorgekommen, so jetzt die Spitze erst recht.

Worte werden zu Waffen, mit denen der Richter den Gerichteten seiner schuld­ haften Handlung überführt. Wie der Rhetor den Gerichtssaal zu einem Fechtsaal macht,86 so das parlare Beatrices den Text. Die Stacheln der Rede gelten auch hier zum einen der moralischen Zurechtweisung, zum anderen zielen sie auf eine Befragung der Ordnung der Rede.87 In einer mise en abyme wird B ­ eatrice, die selbst literarische Figur des Textes ist, über den sie spricht, zugleich zu

84 Vgl. Purg. XXX, 31–32: „vel cinta d’uliva / donna m’apparve“. Auch in der Vita nuova war Beatrices Auftreten als „Erscheinung“ bezeichnet worden. (Vn. 1, 12) 85 Vgl. Robert Hollander: Allegory in Dante’s Commedia, Princeton 1969, S. 169  ff. 86 Marcus Fabius Quintilianus: Institutionis oratoriae / Die Ausbildung des Redners. Hrsg. und übers. von Helmut Rahn, Darmstadt 2006, IX, 1, 20. 87 Vgl. John Freccero: Dante. The Poetics of Conversion. Hrsg. von Rachel Jacoff, Cambridge, Mass. 1986, S. 130.

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dessen Leserin. Nicht mehr nur die Aeneis, auch die Vita nuova dient als Vorlage, die Commedia wird zu ihrer Nachschrift, wie sie auch schon für das Canticum „riscrittura“88 ist. Dabei zeigt sich die Schärfe ihrer Rede in den Folgen: ihre Rede ist nicht mehr süß, wie noch in der Anrede Vergils, wo sie soave e piana war. Und darum ist die Wirkung bitter (amaro): Così la madre al figlio par superba, com’ ella parve a me; perché d’amaro sente il sapor de la pietade acerba. (Purg. XXX, 79–81) So kann dem Sohn die Mutter streng erhaben scheinen, wie sie mir jetzt erschien; denn wenn Liebe schroff geäußert wird, dann schmeckt sie bitter.

Nicht zufällig wird die Haltung Dantes in diesem Canto wiederholt als die eines Kindes bezeichnet, für das Beatrice in der Tat zur „Instanz aktiver Fürsorge“89 wird, wenn sie als eine Mutter zu ihrem „Sohn“ spricht. Beatrice wird Dante einer strengen Kritik unterziehen, bei der sie die Funktion hat, über seine Vergehen zu urteilen. Durch ihren Tonfall kippt der Liebesdiskurs in etwas Bitteres, in „sapor amaro“. Die beiden Texte, Vita nuova und Commedia, werden dabei nicht nur in ein typologisches Verhältnis gebracht.90 Durch die Übersteigerung wird zugleich – um die Metapher Auerbachs aufzunehmen  – der figurale Rahmen zerbrochen. Wenn die Liebe zu Beatrice auf der Grundlage der alten Liebe neu geschrieben wird, geraten die beiden Texte nicht nur in eine typologische, sondern auch in eine dialogische, intertextuelle Beziehung zueinander. Als Dante in den Fluss des Vergessens, Lethe, blickt, erfüllt ihn einerseits die Erkenntnis seiner selbst derart mit Scham, dass er sich von sich und seiner Ver­ gangenheit abwenden muss. Die Selbstbespiegelung führt ihn somit zur Erkennt­ nis seines Selbst, aber diese Erkenntnis impliziert auch die Wiederaufnahme des eigenen Textes. Oder anders gesagt: Dantes schamhafte Erkenntnis liegt nicht

88 Paola Nasti: La memoria del Canticum e la Vita Nuova. Una nota preliminare. In: The Ita­ lianist 18 (1998), S. 14–27, S. 23. Nasti liest  – auf der Grundlage der Vermischung der Stile von amor de lonh und Hoheliedexegese – die Vita nuova als riscrittura des Cantico canticorum. Dante ist hierbei die sposa (als trauernde Witwe, die durch die Stadt irrt), Beatrica der sposo. Die Ver­ tauschung der Geschlechterrollen scheint auf der Grundlage mystischer Topoi naheliegend (S. 17  ff.). Vgl. auch Friedrich Ohly: Hohelied-Studien. Grundzüge einer Geschichte der Hohe­ liedauslegung des Abendlandes bis um 1200, Wiesbaden 1958, S. 135–140. 89 Regn: Dantes Beatrice und die Poetik des Heils, S. 130. 90 Vgl. Singleton: Commedia, S. 75. Auch Regn: Dantes Beatrice und die Poetik des Heils, S. 137  ff.



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nur auf der Ebene der Identifikation, sondern auch auf der Ebene der Poetik. Denn was im Vergessen wieder auftaucht, ist zum einen die Erinnerung an die Liebe zu Beatrice, zum anderen die Erinnerung an den geschriebenen Text, die Vita nuova. Erinnerung und Kritik spielen sich also auf zwei Ebenen ab: zum einen als Relation zwischen erzählten Figuren und Ereignissen, d.  h. zwischen den Aktanten, zum anderen als intertextuelle Beziehung zwischen zwei Texten, Vita nuova und Commedia. Auch wenn es zunächst so aussieht, als würde es sich um eine Rückerinnerung an die ‚alte‘ Liebe handeln, wird gleichzeitig der ‚alte‘ Text aufgerufen. Die Zeichen der „alten Liebe“ werden als „doppelte Zeichen“91 erinnert. Beatrices Erscheinung führt in die Szene ein, die zunächst auf den Effekt der Wiederholung setzt. Inmitten einer Blumenwolke erscheint sie in einen grünen Mantel gehüllt und mit Olivenzweigen bekränzt: così dentro una nuvola di fiori che da le mani angeliche saliva e ricadeva in giù dentro e di fori, sovra candido vel cinta d’uliva donna m’apparve, sotto verde manto vestita di color di fiamma viva. E lo spirito mio, che già cotanto tempo era stato ch’a la sua presenza non era di stupor, tremando, affranto, sanza de li occhi aver più conoscenza, per occulta virtù che da lei mosse, d’antico amor sentì la gran potenza. (Purg. XXX, 28–39, Herv. C. W.) Geradeso, in einer Wolke von Blumen, die aus Engelshänden aufstieg und niedersank auf den Wagen und um ihn her, auf reinem weißen Schleier und mit Ölzweigen bekränzt erschien mir die Frau, angetan mit grünem Mantel und einem Kleid von der Farbe der brennenden Flamme. Und da verspürte ich in mir, der ich doch seit so langer Zeit schon nicht mehr von ihrer Gegenwart betroffen erzitternd zu Boden gesunken war, noch ohne dass die Augen sie erkannt hätten, nur durch den verborgenen Reiz, der davon ausging, die ganze Macht der alten Liebe.

91 Julia Kristeva: Semiotike. Recherches pour une sémanalyse, Paris 1969, S. 89.

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Der machtvolle Auftritt Beatrices führt Dante zurück auf den antico amor, mit dem seine Liebe zu Beatrice in der Vita nuova zitiert wird. Was damit auch wieder­ kehrt, sind die alten Affekte, die indes in der Vita nuova selbst bereits erinnerte Affekte waren, „le passate passioni“ (Vn. 8, 2).92 Insofern die Vita nuova bereits selbst ein Text der Wiederholung, einer in der Schrift wiederholten Liebe ist, ist die Wiederaufnahme in der Commedia selbst nur das Wiederholen einer Wieder­ holung in Schrift. Denn schon dort war es die erinnerte Liebe nach Beatrices Tod, eine Liebe zweiten Grades, die jetzt wieder erinnert wird. Dante spielt auf jene Szene in der Vita nuova an, in der er, ohne zu wissen, dass sich Beatrice unter der von ihm aufgesuchten Gruppe von Frauen befindet, allein durch physische Zeichen wie ein „mirabile tremore“ [Vn. 7, 4; wunderbares Zittern] im Prosateil und als „gran tremore“ [Vn. 8, 5; großes Beben] im Sonett, der sich von seinem Herzen über den ganzen Körper verbreitet hatte, auf die Anwesenheit der Geliebten aufmerksam geworden war. Als er unter den Frauen wie einst auf der Straße tatsächlich Beatrice erkannt hatte, war er ohnmächtig zu Boden gesunken und damit zum Gespött der Frauen, dem gabbo, geworden.93 Die Szene, die vorgibt, dass es sich um eine Reaktualisierung der alten Liebe handelt, verdeckt mit der Handlung, dass sie eine réécriture ist. Die gleichen Worte, die Dante in der Vita nuova verwendet hat, tauchen in der Commedia auf: tremore, tremando, tremoto. Es geht also um Zeichen, Dante sagt es selbst zu Vergil: „conosco i segni dell’antica fiamma“ [Purg. XXX, 48, Herv. C. W.; ich erkenne sie wieder, die Zeichen der alten Flamme!]. Im Unterschied zur Szene der Wieder­ erkennung von Penelope und Odysseus hat Dante das Wiedererkennen auch auf den Intertext gerichtet.94 Dantes Liebe aus der Vita nuova, der antico amor und d.  h. folglich eben auch sein eigener Text, wird über die Textgrenzen hinweg als Liebesgeschichte in der Commedia weitererzählt und neu interpretiert. Die Szene ruft demnach nicht nur Ereignisse auf, sondern lässt durch die Selbstreferenzen auch die Möglichkeit der Relektüre und eine Befragung der semiotischen Praxis zu, die den beiden Texten jeweils zugrunde liegt. Die Referenz auf das Cantico canticorum bildet offensichtlich den Rahmen für Dantes eigenen Text und dessen wiederholte Inszenierung, um durch einen neuen Text den alten zu deuten.

92 Zur Vita nuova als Text des Wiederholens vgl. Barbara Kuhn: Körperzeichen, Zeichenschrift, Schriftkörper. Die Liebe der Schrift in Dantes Vita nuova. In: Schrift und Liebe in der Kultur des Mittelalters. Hrsg. von Mireille Schnyder, Berlin, New York 2008 (Trends in Medieval Philolo­ gy 13), S. 165–189. 93 Vgl. Einleitung, S. 7  f. 94 Zum Vergleich der beiden Szenen Pierro Boitani: The Tragic and the Sublime in Medieval Literature, Cambridge 1989, S. 163  ff. Boitani beachtet jedoch die Textualität der Szene nicht und liest dementsprechend die Szene als das Rekurrieren auf ein Ereignis.



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Die hermeneutische Praxis setzt allerdings eine Umbesetzung in Gang. Denn nicht Dante selbst ‚liest‘ und deutet seine Fehler wie noch in der Vita nuova, sondern nun ist es Beatrice. Sie übernimmt die Rolle, die Dante seinem Sprecher in der Vita nuova zugeschrieben hatte: neben dem Akt des Dichtens (dir parole), die Ereignisse zu kommentieren und seine Dichtung auszulegen  – „questo sonetto si divide in quattro parti […]“ usw. Aufgenommen wird also nicht nur der plot, sondern die Doppelstruktur der Vita nuova durch Prosa und Lyrik und damit ihre didaktische Struktur, jetzt allerdings mit veränderten Sprecherollen. Bei der Annahme einer typologischen Beziehung der beiden Texte müsste zumindest dieser Unterschied genannt werden: dass nämlich in der Vita nuova Dante selbst durchgängig den Text kommentiert, in der Commedia hingegen Beatrice diese Aufgabe bekommt.95 Lässt sich dann aber die typologische Relation zwischen den beiden Texten überhaupt noch aufrechterhalten? Die Relektüre der alten Liebe, die bruchlos in den neuen Text eingefügt wird, erzeugt also eine neue Sprechsituation: War in der Vita nuova Dante selbst der Sprecher des libro della mia memoria, so rückt nun Beatrice in diese Position, um in ihrer Rede über „sua vita nova“ (Purg. XXX, 115, Herv. C. W.) zu urteilen. Durch den Perspektivwechsel auf Sprecherebene verändert sich auch der Blick des Lesers auf den Text, der jetzt mit den Augen Beatrices zurück auf Dantes Vita nuova sieht. Hatte sich in der Vita nuova im Stil des Prosimetrum Erzählteil mit Dichtung abgewechselt, so wird jetzt die histoire aus der Vita nuova – die Begeg­ nung von Dante mit Beatrice als Beginn von Liebe und Dichtung – als Beatrices Rede wiedergegeben und damit sie selbst zum Gegenstand ihrer Rede: Ella, pur ferma in su la detta coscia del carro stando, a le sustanze pie volse le sue parole così poscia: ‚[…] Alcun tempo il sostenni col mio volto: mostrando li occhi giovanetti a lui, meco il menava in dritta parte vòlto. Sì tosto come in su la soglia fui di mia seconda etade e mutai vita, questi si tolse a me, e diessi altrui. Quando di carne a spirto era salita, e bellezza e virtù cresciuta m’era, fu’ io a lui men cara e men gradita; e volse i passi suoi per via non vera,

95 Vgl. Regina Psaki: Love for Beatrice. Transcending Contradiction in the Paradiso. In: Dante for the New Millenium. Hrsg von Teodolinda Barolini/H. Wayne Storey, New York 2003, S. 115–139.

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imagini di ben seguendo false, che nulla promession rendono intera. Né l’impetrare ispirazion mi valse, con le quali e in sogno e altrimenti lo rivocai: sì poco a lui ne calse! Tanto giù cadde, che tutti argomenti a la salute sua eran già corti, fuor che mostrarli le perdute genti. […]‘ (Purg. XXX, 100–102; 121–138) Sie jedoch stand unbewegt auf der besagten Seite des Wagens und richtete nun ihre Worte an die mitleidvollen Wesen: ‚[…] Eine Zeitlang konnte ich ihn halten durch meinen Anblick: Ich zeigte ihm meine jugendfrischen Augen, ich zog ihn mit in die rechte Richtung. Kaum jedoch war ich an der Schwelle zu meinem zweiten Alter angelangt und ins andere Leben hinübergetreten, da entzog er sich mir und gab sich anderen hin. Als ich von Körper zu Geist aufgestiegen war und Schönheit und Tugend in mir wuchsen, da wurde ich ihm weniger lieb und weniger willkommen; und er lenkte seine Schritte auf den unrichtigen Weg, folgte falschen Bildern vom Guten, die doch nichts Verheißenes je ganz erfüllen. Es half auch nicht, Erleuchtungen zu erflehen und ihn damit im Traum und auf andere Weise zurückzurufen: Er kümmerte sich keinen Deut darum! So tief fiel er hinab, dass alle Mittel zu seiner Rettung versagten und nichts anderes übrigblieb, als ihm die Verlorenen vor Augen zu führen. […]‘

Der Perspektivwechsel ermöglicht Beatrices Blick auf die in der Vita nuova erzählte Liebe, bei der Beatrice außer durch ihren Gruß nicht zu Wort kam.96 Wendet in der Vita nuova Dante seine Augen auf Beatrice („levai gli occhi“ [erblickte ich], Vn.  7,  4), so in der Commedia Beatrice die ihren auf Dante. Der spiegelbildliche Moment des salute, Beatrices Gruß, der Dante zu neuem Leben geführt hatte („che nelle sue salute abitava la mia beatitudine“ [Vn. 5,  7, Herv. C. W.; daß in ihrem Gruße meine Seligkeit innewohnte], wird umgekehrt und der Blick aus dem „Spiegel“ zurückgeworfen; eine „spéciologie“ im Sinne Luce ­Irigarays, die auf die Möglichkeit der Reproduktion des Blicks, der den Bezug auf

96 Vgl. Kap. IV, 3.1.



Dantes Signatur 

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sich selbst unterbricht, aufmerksam gemacht hatte: „que le même regard cesse de s’écarquiller sur les seuls signes de son autoreprésentation.“97 Aus der passiven Beatrice, die in der Vita nuova Objekt der Liebe wie auch des Verrats dieser Liebe ist, wird eine aktive Beatrice, die sich selbst dementspre­ chend anders darstellt. In Dantes Augen war sie auch in der Vita nuova schon ein geradezu himmlisches Wesen, in ihren Augen ist sie eine handelnde Person, die alles daran setzt, Dante von seinen Fehlern abzuhalten. Dante spricht in diesen Versen durch den Mund seiner weiblichen Figur über sich selbst. Damit ver­ schieben sich auch die Akzente. Aus der Perspektive des Sprechers ist in der Vita nuova Dantes Leben „deboletta vita“ [Vn. 14, 3; hinfälliges Leben]. In der Kanzone zeigt sich die „frale vita“ [Vn. 14,  21; gebrechliches Leben] und die physische Verfassung des Subjekts. Die differenzierte Beschreibung des eigenen Zustands tritt dabei in einen Gegensatz zu den immer gleichen Worten, mit denen Dante ­Beatrices Schönheit und Tugend preist („ineffabile cortesia“, „gentilissima“, „gentile“, „nobilissima“). Diese Zuschreibungen greifen auf das Repertoire der Topik der Stilnovisten zurück: Den Liebesdiskurs konstituieren die durch die Unerreichbarkeit des Liebesobjekts möglichen vielfältigen Ausdifferenzierungen des Herzens des trobadors, wohingegen dieses selbst unberührbar bleibt.98 In der Commedia konstatiert Beatrice jedoch ganz im Unterschied zu dieser Vorgabe an sich selbst Veränderungen in Geist und Fleisch und rückt damit ihre Sterblichkeit in den Blick (vgl. Purg. XXX, 124–126). Damit zeigt sich nun auch für Beatrice eine Fragilität, die als deboletta vita zunächst Dante vorbehalten schien. In ihrer eigenen Rede stellt sich Beatrice genauso irdisch wie Dante dar. Die Zerbrechlich­ keit des Ichs wird in Beatrices Rede gespiegelt, aber der Spiegel wirft kein identi­ sches Spiegelbild zurück, sondern das Bild einer irdischen Beatrice. Anders als in der Vita nuova, in der Dante als Subjekt der Handlung gleich­ zeitig auch Kommentator seiner eigenen Geschichte ist, wird Beatrice zur Kom­ mentatorin seiner und ihrer Geschichte, die damit zu einer anderen Geschichte wird. Dante schreibt ihr damit die hermeneutische Rolle zu, die ihm vorbehal­ ten war: die Dichtung nach den Maßstäben der Exegese zu kommentieren und in Bezug auf den Schriftsinn auszulegen. Beatrice führt also den Wanderer nicht nur vom falschen auf den rechten Weg zum Heil zurück, sondern übernimmt, wenn ihr die Auslegung in den Mund gelegt wird, selbst die Rolle der Interpre­ tin. Damit wird sie über ihre Funktion als Sprecherin hinaus sowohl zur Kom­ mentatorin ihrer eigenen als auch der Geschichte Dantes. Der auszulegende Text

97 Vgl. Irigaray: Speculum, S. 178. 98 Vgl. Jacques Lacan: Le séminaire. Livre XX: Encore. Hrsg. von Jacques-Alain Miller, Paris 1975, S. 65.

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 Beatrices Gesang

ist immer noch der gleiche, aber die Perspektive ist nun eine andere. Die Diver­ genz zwischen erzählendem und erzähltem Ich, die die Commedia konstituiert, wird durch nochmalige Aufspaltung des erzählenden Ichs in Beatrice und Dante ergänzt, was wiederum auch das erzählte Ich verändert.99 Durch Beatrices Per­ spektive tritt die Liebesgeschichte zu sich selbst in eine zeichenhafte Differenz: War Beatrice in der Vita nuova stummes Objekt der Liebe, so verfügt sie jetzt über die Macht, die Geschichte zu wiederholen, die in dieser Wiederholung nicht mehr dieselbe – Dantes – Geschichte, sondern auch ihre Geschichte ist. Die Wirkung der Rede Beatrices zeigt sich in Dantes Affekten: Die giftigen Pfeile der Rede, die Beatrice gegen Dante schleudert („ben conobbi il velen de l’argomento“ [Purg. XXXI, 75; dass ihre Worte nach Gift schmecken mussten]), führen zum Versagen seiner Sprache: sì scoppia’ io sottesso grave carco, fuori sgorgando lagrime e sospiri, e la voce allentò per lo suo varco. (Purg. XXXI, 19–21) so zerbarst ich unter diesem schweren Anspruch, es quollen Tränen und Seufzer hervor, und die Stimme erstarb mir auf ihrem Weg.

Tränen und Seufzer, Versagen der Stimme: In Beatrices Geschichte hat Dante die Position des Gerichteten, der schließlich entmächtigt zu Boden sinkt: „Tanta riconoscenza il cor mi morse,/ ch’io caddi vinto“ [Purg. XXXI, 88–89; Von so viel Schulderkenntnis und Gewissensbissen übermannt, sank ich zu Boden]. Die Ohnmacht Dantes, mit der die Szene der Rückerinnerung endet, nimmt eine Szene aus der Vita nuova auf. War dort allerdings die himmlische Erscheinung Beatrices zum Grund der Ohnmacht geworden, so ist diese jetzt eine Folge von Beatrices Rede, durch die sich Dante nicht nur selbst erkennt, sondern in der er vom handelnden Subjekt zum Objekt der Kritik geworden ist. Diese Macht über die Rede wird im Folgenden auch als Macht über die Schrift ausgewiesen, wenn Beatrice Dante den Auftrag erteilt, ihre Worte aufzu­ schreiben: Tu nota; e sì come da me son porte, così queste parole segna a’ vivi del viver ch’è un correre a la morte.

99 Nach Mehltretter ist Dante weder Zuschauer noch Gegenüber, sondern Teilnehmer dieser Szene. Vgl. Mehltretter: Gott als Dichter der irdischen Welt, S. 110.



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E aggi a mente, quando tu le scrivi, di non celar […]. (Purg. XXXIII, 52–56, Herv. C. W.) Du halte dies fest. Und wie sie von mir gesagt sind, so verkünde meine Worte den Lebenden, deren Leben ein Lauf zum Tode ist. Und achte darauf, wenn du sie niederschreibst, dass du nicht verschweigst […].

„Tu nota […] queste parole“: Dante wird aufgefordert, „diese“, d.  h. Beatrices Worte zu schreiben. Die Stelle zitiert den Schreibauftrag durch das Amordik­ tat, das Dante in der Vita nuova inszeniert hatte. Die poetologische Markierung verweist jetzt aber nicht mehr auf die metaphysische Begründung des Textes durch die göttliche Instanz Amor. Der Mund Beatrices, auf den Dante den Blick gerichtet hat, wird zum Ort der Fabrikation einer zweideutigen Rede, durch die auch die Autorschaft in einem zweideutigen Licht erscheint. Denn wenn es ihre Worte sind, die Dante aufschreiben soll, müssten dann nicht der Commedia auch ­Beatrices Worte zugrunde liegen? Das „Tu nota“ ist ein Befehl, der Dante dazu bringen soll, Beatrices Worte zu schreiben. Aus der Herrin, deren Macht sich über die Liebe erstreckt, wird eine Gebieterin, die die Macht über die Schrift hat. Ossip ­Mandelstam hat dieses Verhältnis in prägnanter Weise charakterisiert: „[…] Jetzt bemühe ich mich noch ein wenig, dann muß das tränengenetzte Heft des bär­ tigen Schülers der strengen Beatrice vorgelegt werden, die nicht nur in Ruhm, sondern auch in Gelehrsamkeit erstrahlt.“100 Die Anspielung auf den Bart legt nahe, dass Mandelstam auf die oben zitierte Stelle aus dem Purgatorio anspielt. Denn B ­ eatrice fordert Dante hier dazu auf, den Bart zu heben [„alza la barba“, Purg. XXXI, 68]. Was Dante dem strengen Blick Beatrices jedoch letztlich in seinen Heften vorlegt, was unter seinem Bart hervorkommt, sind queste parole, diese Worte, von denen nicht mit Bestimmtheit festgelegt werden könnte, wessen Worte es sind. Die Formulierung lässt letztlich keine Entscheidung zu, um wessen Worte es sich handelt, wessen Worte also tatsächlich der Commedia zugrunde gelegt sind.

100 Ossip Mandelstam: Gespräch über Dante. Gesammelte Essays 1925–1935, Frankfurt a. M. 2004, S. 167.

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2.4 Apostrophe und Signatur Beatrices poetische Macht erstreckt sich konsequenterweise auch auf die Ein­ schreibung des Namens des Autors. Denn der Name des Autors im Text hängt an Beatrices Lippen, durch den Dante die Commedia signiert. Die Szene der Ein­ schreibung setzt das plötzliche Verschwinden Vergils voraus, wodurch eine Leer­ stelle entsteht, die substituiert werden muss. Wie ein Kind, das sich fürchtet, sich seiner Mutter zuwendet („col quale il fantolin corre a la mamma / quando ha paura“, Purg. XXX, 44–45), so dreht sich Dante zu seinem Führer Vergil um, aber dieser ist verschwunden: Ma Virgilio n’avea lasciati scemi di sé (Purg. XXX, 49–50) Doch Vergil hatte uns verlassen, wir waren ohne ihn (Purg. XXX, 49)

Die Ablösungsszene ist äußerst präzise gestaltet, wenn die beiden Führer B ­ eatrice und Vergil nicht gleichzeitig erscheinen.101 Der Platzwechsel war allerdings von Anfang an in Aussicht gestellt worden, denn Vergil war ja nur deshalb Dante zur Hilfe gekommen, weil Beatrice ihn im Inferno dazu ermächtigt hatte: „E venni a te così com’ ella volse“ [Inf. II, 118, Herv. C. W.; Und so kam ich zu dir, wie sie es wollte]. Der Vergil der Commedia war also immer schon eine Figur, die nicht aus sich selbst heraus, sondern durch die Bestimmung eines anderen gehandelt hatte. Um dieser Tatsache Nachdruck zu verleihen, hatte Dante im Inferno zum ersten Mal die Identität Beatrices manifestiert, die mit dem Canto XXX des Purgatorio korrespondiert. An jeweils entscheidenden Scharnierstellen wird zweimal die Identität Beatrices betont und zwar ausgerechnet das erste Mal im Moment des Auftauchens und das zweite Mal im Augenblick des Verschwindens Vergils: I’ son Beatrice che ti faccio andare; (Inf. II, 70) Ich bin Beatrice, und ich heiße dich gehen; ‚Guardaci ben! Ben son, ben son Beatrice. […]‘ (Purg. XXX, 73)

101 Vgl. John Laskin: The Entrance of Beatrice in Dante’s Purgatorio. Revelation, Duality and Identity. In: Carte italiane 14/1 (1994), S. 118–128, S. 120.



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‚Schau nur gut her! Ich bin es wirklich, bin wirklich Beatrice. […]‘ (Purg. XXX, 73–74)

Die Manifestation der Identität, die durch den dreimaligen Ruf nach der „sponsa, de Libano“ (Purg. XXX, 11, Herv. im Orig.) eingeleitet worden war, korrespondiert mit einer weiteren Identitätsbekundung: dem Namen des Dichters „Dante“, der nur an einer einzigen Stelle der Commedia, aber nicht zufällig gerade in diesem Canto auftaucht. Dante schreibt damit natürlich den Namen seiner persona, jedoch auch den Namen des Autors in die Commedia ein, der als Signatur des Textes Fragen aufgibt.102 Entscheidend ist dabei, dass es Beatrice ist, die Dante bei seinem Namen nennt und die damit den Akt der Einschreibung ermöglicht. Dante inszeniert den Namen des Autors als Apostrophe Beatrices, die sich dem weinenden Dante zuwendet. Zunächst erfolgt die Namensnennung nicht unter poetologischen Gesichtspunkten. Durch einen Befehl – als ein comandamento, dem sich auch schon Vergil unterworfen hatte (vgl. Inf. II, 79) – fordert Beatrice Dante dazu auf, mit dem Weinen aufzuhören. Die dreifache Wiederholung des Verbs „piangere“ unterstreicht die poetische Art und Weise dieser Rede: ‚Dante, perché Virgilio se ne vada, non pianger anco, non piangere ancora; ché pianger ti conven per altra spada.‘ (Purg. XXX, 55–57) ‚Dante, weil Vergil gegangen ist, sollst du nicht schon weinen. Weine jetzt noch nicht; denn weinen wirst du wegen anderer Schläge müssen.‘

Die vergossenen Tränen verweisen auf Dantes Tränen in der Vita nuova, der über den Tod von Beatrice geweint hatte. Und auch im Inferno waren bereits Tränen geflossen, allerdings Beatrices („li occhi lucenti lagrimando volse“, Inf. II, 116).103 Der Sprechakt ruft Dante ins Leben, als Dichter und als persona, und unter­ wirft ihn dem Sprecher, dem er sich zuwendet: „mi volsi al suon del nome mio“ (Purg. XXX, 62).104 Die Szene zeigt, dass Dante seine Unterschrift nicht nur erst

102 Vgl. Barbara Hahn: Unter falschem Namen. Von der schwierigen Autorschaft der Frauen, Frankfurt a. M. 1991, S. 17. 103 Beatrices Tränen wiederum zitieren die Tränen, nach der Rachel um ihre Kinder weint. ­Jacoff: The Tears of Beatrice, S. 8. 104 Zur Trope, Wendung und Anrede vgl. Judith Butler: The Psychic Life of Power. Theories in Subjection, Stanford, California 1997, hier v.  a.: Introduction, S. 1–30.

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schreiben kann, wenn Vergil verschwunden ist,105 sondern dass es einer textim­ manenten Instanz bedarf, die seinen Namen ausspricht. Der Name des Autors ist eine Apostrophe, die laut Auerbach bei Dante immerhin „neu geboren“106 wird. Dante legt sie nicht nur seiner persona (diese Differenzierung in Bezug auf die Sprecher hat Auerbach allerdings nicht im Blick), sondern auch Beatrice in den Mund. Die Ambiguität der Geste manifestiert sich in dieser Sprachhandlung, in der Dante als jemand auftritt, der im Auftrag anderer schreibt: Beatrice muss seinen Namen sagen, damit er ihn schreiben kann. Die Szene der Anrufung nimmt damit das Grußmotiv aus der Vita nuova auf, in der das parlar der Herrin bereits poetologisch wirksam war.107 Die Einschreibung des Dichternamens verläuft dabei genau umgekehrt zur Szene der Benennung Beatrices. Denn die Identität Dantes hängt von der Benen­ nung eines anderen Sprechers ab, wohingegen Beatrice sich selbst nennen konnte. Dantes Name kommt also aus einem anderen Mund, wohingegen sich Beatrice selbst bezeichnet. Die Struktur der Verse nimmt dabei den Sprechakt auf, d.  h. die Umwendung Dantes beim Klang des Namens wird in die Trope als Wendung des Satzes übertragen (bzw. umgekehrt): vom Auftritt Beatrices als stolzer Admiral über die Umwendung Dantes bis zum Erscheinen des Objekts, „la donna“ (Purg. XXX, 64), und wiederum deren Blick auf Dante. Es entsteht wie schon im Inferno für einen kurzen Moment ein désir mimétique zwischen Vergil, Dante und Beatrice.108 Vergils Verschwinden als Vaterfigur ist dabei nicht nur eine Frage der auctoritas, sondern Teil einer symbolischen Familienszene unter umgekehrten geschlechtlichen Vorzeichen: Als sich Dante nach Vergil wie nach seiner „mamma“ umsieht, wird er zum Kind der Mutter Vergil, obwohl Vergil bisher stets als dolcissimo patre verhandelt wurde. Die symbolische Überschrei­ tung von Vaterschaft und Mutterschaft ermöglicht auch Beatrice die Rollen zu überschreiten: Beatrice ist Braut und Geliebte, sie ist fürsorglich wie eine Mutter, aber sie befiehlt auch wie ein Familienvater und gibt Dante seinen Namen.

105 Vgl. Erich Auerbach: Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur, Basel, Tübingen (1946) 2001, S. 172  ff. Die Tatsache, dass Vergil in dieser dramatischen Weise aus dem Text verabschiedet wird, bedeutet auch die Verabschiedung eines bestimmten, an Vergil geschulten Stils. Dante übersetzt den hohen Stil des antiken Epos’ in den „hohen Stil des Bibli­ schen“ (S. 173). 106 Auerbach: Dante als Dichter der irdischen Welt, S. 47. 107 Vgl. Kap. IV, 3.1. 108 Vgl. René Girard: Mensonge romantique et vérité romanesque (1961), Paris 2010, S. 15–67.



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3 Ruhm des Dichters Die zweifache Verfasstheit des Körpers als vergänglicher und unvergänglicher kennzeichnet nicht nur die persona Dantes, sondern auch Beatrice selbst. Als sie an sich als persona der Vita nuova erinnert hat, hat auch ihr Körper Züge der Ver­ gänglichkeit gezeigt, die sie jedoch erst in der Commedia benennen konnte. Was vom Liebesdiskurs der Zeit ausgeschlossen war, gerät auf einmal in den Blick. In den Blick gerät damit aber auch die Frage nach der Vollkommenheit des Subjekts, die Ernst Kantorowicz im Rahmen seiner politischen Theologie des Mittelalters aufgeworfen hat. Ihm zufolge unterscheidet sich die Commedia von der politi­ schen Theologie ihrer Zeit dadurch, anstelle des politisch-theologischen Körpers eine „humana civilitas“ gesetzt zu haben, die ihrerseits, als Körperschaft, Züge einer zweifachen Verfasstheit trägt.109 Zum einen ist sie kooperativer Körper, zum anderen natürlicher Körper des individuellen Menschen. Auffällig ist, dass Kantorowicz zwar Vergil als Führer Dantes versteht, jedoch Beatrice, trotz ihrer Funktion der Führerschaft, an keiner entscheidenden Stelle erwähnt. Nach Kan­ torowicz sieht es so aus, als ob Vergil Dante zur doppelten Körperschaft führt, die er letztlich aufgrund seiner intellektuellen Fähigkeiten erreicht.110 Das Prinzip höchster Vernunft und menschlicher Perfektion verkörpert ausschließlich Vergil, der als Instanz gesehen wird, die das Recht zur Krönung hat. Die Krönung Dantes durch Vergil im Purgatorio versetzt Dante in doppelter Weise in den Stand der Macht: „per ch’io te sovra te corono e mitrio“ [Purg. XXVII, 142; So kröne ich dich nun zum Herrscher über dich selbst]. Corono bezeichnet die weltliche, mitrio die göttliche Macht, die aber laut Kantorowicz bei Dante in Wirklichkeit ein- und dieselbe Macht der humanitas ist. Das Konzept der zwei Körper des Königs setzt die Übertragung der Doppelnatur Christi auf den Königs­ körper voraus, seit durch die elisabethanischen Juristen das corpus mysticum auf den Körper des Königs übertragbar geworden war.111 Der Körper des Königs über­

109 Ernst H. Kantorowicz: The King’s Two Bodies. A Study in Mediaeval Political Theology, Princeton, New Jersey 1957, S. 489: „[T]he curse of mankind was conquered, without the inter­ vention of the Church and its sacraments, by the forces of intellect and supreme reason alone, forces symbolized by the pagan Vergil who, with regard to the individual Dante, took the place and the functions entrusted to the emperor with regard to the whole human race, the humana ci­ vilitas. But whereas the terrestrial paradise into which Dante entered was lacking that multitude of inhabitants of which the writer of the Monarchy had dreamt, because empire and papacy were negligent in their duties, the individual Dante reached human perfection and his own actuation through Vergil, who finally will dismiss his pupil, now a true likeness of Adam before the fall.“ 110 Kantorowicz: The King’s Two Bodies, S. 489. 111 Vgl. Kantorowicz: The King’s Two Bodies, S. 16.

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nimmt damit zugleich die göttlichen Eigenschaften, den character angelicus, der ihn als „a likeness of the ‚holy spirit and angels‘“112 erscheinen lässt und auf eine Stufe mit den Engeln hebt. Verfügt der König über zwei Körper, über einen poli­ tischen, unsterblichen Körper sowie über einen natürlichen, sterblichen Körper, so stehen sich bei Dante zwei Korporalitäten in Form der Menschheit (humanitas) gegenüber. Gekrönt wird nach Kantorowicz Dante sowohl als Adam mortalis als auch als Adam subtilis, also im übertragenen Sinn als natürlicher Körper des Menschen (homo) und Körper der Menschheit (humanitas) schlechthin.113 Auch wenn Kantorowicz bei Dante eine eigene Umsetzung der Lehre von den zwei Körpern sieht und somit dessen dichterische Sonderstellung betont, wird doch der Status deutlich, den Dante in The King’s Two Bodies hat. Erst vom Dante-Kapitel aus lässt sich die juridische Definition verstehen, die Kantorowicz ins Zentrum seiner Überlegungen gestellt hat.114 Die politische Vorstellung von der Unsterblichkeit des Königs besteht in seiner Befreiung von den Schwächen der Kindheit, des Alters und der Möglichkeit, Unrecht zu tun, ohne zu sündi­ gen.115 Durch Dantes Apostrophe „per trïunfare o cesare o poeta“ (Par. I, 29) wird eine gemeinsame Ebene von Königsherrschaft und Dichtertum hergestellt und die Attribute von weltlicher und göttlicher Herrschaft werden auf dieselbe Ebene gerückt. Die Königskrone wird gleichwertig mit der Dichterkrone, beide referieren auf die theologische Konstitution der Macht: Auf das Doppel von sterblicher und unsterblicher Herrschaft, von Dornenkrone und ewiger goldener Krone.116 Das Dispositiv der Macht, in dem die Macht in zwei Instanzen gespalten ist, liegt als Modell der Doppelstruktur von weltlicher und poetischer Macht zugrunde, die auf diese Weise sich selbst autorisieren und dauerhaft machen soll.

112 Kantorowicz: The King’s Two Bodies, S. 8. 113 Vgl. Kantorowicz: The King’s Two Bodies, S. 493–495. 114 Kantorowicz: The King’s Two Bodies, S. 494: „Perhaps we will find it easier now, or perhaps more difficult, to understand the later definitions of English jurists, opining that ‚to the natural Body [of the king] there is conjointed his Body politic which contains his royal Estate and Dignity‘“. Vgl. Ulrich Raulff: Kreis ohne Meister. Stefan Georges Nachleben, München 2009, S. 333. 115 Kantorowicz geht davon aus, dass Dante die Lehre von den zwei Körpern geläufig war. Vgl. Kantorowicz, The King’s Two Bodies, S. 493. 116 Vgl. Manfred Schneider: Der König im Text. Autorität in Recht und Literatur. In: Zeit­ schrift für Ideengeschichte 3/1 (2009), S. 48–63, S. 55.



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3.1 Zwei Körper Die Übertragung der theologischen Metapher auf den Dichter spart dabei die Rolle Beatrices aus, obwohl sie der Anordnung nach den Ort der theologischen Macht einnimmt. Diese Auslassung kommt nicht von ungefähr, denn sie ist im Körperkonzept der Commedia selbst angelegt. Die topologische Opposition zwi­ schen Dantes irdischem und Beatrices jenseitigem Körper war allerdings in dem Moment aufgebrochen, in dem, wie erwähnt, Beatrice ihre eigene Sterblichkeit ins Spiel gebracht hatte.117 Um dem ‚Körper der Dichtung‘ Dauerhaftigkeit zu verschaffen, ihn als Körperschaft zu konstituieren, verteilt Dante ihn auf zwei Instanzen, zunächst auf Dante und Vergil, dann aber auch auf Dante und Bea­ trice. Zwar wird Beatrices Lächeln als Ausdruck von Glückseligkeit der frale vita Dantes entgegengestellt. Durch das Bündnis der zwei Körper von Beatrice und Dante wird jedoch der ewige zum sterblichen Körper in Bezug gesetzt und als seine zweite, unabdingbare Hälfte konstituiert.118 Der auf diese Weise hergestellte doppelte Körper der Dichtung wird mit dem Bild der zwei Sonnen aufgerufen. Wie in der Metapher der zwei Schwerter der Monarchia, in der die zwei Schwerter für die beiden Mächte, für Papsttum und Imperium stehen,119 allegorisieren die beiden Sonnen Roms den doppelten Anspruch der Macht. Kantorowicz hatte dies, allerdings für eine andere Stelle, schon für Dantes politische Theologie thematisiert120 und Ascoli hatte, daran anschließend, die Autorität der „due soli“ als Legitimation für Dantes Autorschaft bestimmt.121 Das Doppelbild der Sonne im Paradiso ruft die zwei Sonnen auf: e di sùbito parve giorno a giorno essere aggiunto, come quei che puote avesse il ciel d’un altro sole addorno. Beatrice tutta ne l’etterne rote fissa con li occhi stava; e io in lei le luci fissi, di là sù rimote. (Par. I, 61–66, Herv. C. W.)

117 Vgl. S. 74  ff. 118 Zu den späten Folgen als exakter Umkehrung dieses Dispositivs in unsterbliche Körperlich­ keit für die Konstruktion männlich konnotierter Autorschaft und Ausstellung des sterblichen weiblichen Körpers im 19. Jahrhundert vgl. Annette Keck: Buchstäbliche Anatomien. Vom Lesen und Schrei­ben des Menschen. Literaturgeschichten der Moderne, 2007, Kap. 2.4: Exkurs: Was ist eine Autorin? und S. 78  ff. 119 Vgl. Kap. I, 4. 120 Vgl. Ernst H. Kantorowicz: Dante’s „Two Suns“. In: Ders.: Selected Studies, Locust Val­ ley, New York 1965, S. 325–338. Kantorowicz bezieht sich auf Purg. XVI, 106  ff. 121 Vgl. Ascoli: Dante and the Making of a Modern Author, S. 364.

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und unversehens schien es, als sei dem Tageslicht noch ein weiteres hinzugefügt, als hätte ER, der alles vermag, den Himmel noch mit einer zweiten Sonne ausgestattet. Beatrice hatte nun die Augen ganz und gar auf die ewigen Sphären gerichtet; und ich, der ich die meinen nun doch wieder von dort oben zurücklenken musste, sah fest auf sie. (Par. I, 61–66, Herv. im Orig.)

Wie ein optischer Effekt bei demjenigen, der zu lange auf die Sonne blickt, dazu führt, dass die Sonne verdoppelt erscheint, so wird hier durch Dantes Blick das Doppelbild eingeführt. Während Beatrice ihren Blick fest auf diese Sonne richtet, wendet Dante, der das Doppelbild nicht dauerhaft erträgt, seinen Blick auf Bea­ trice. Die Blickrichtungen verlaufen zunächst parallel, dann auseinander: Den fest auf den Himmel gerichteten Blick Beatrices („le luci fissi“) durchkreuzt der Blick, mit dem Dante Beatrice fixiert („fissa con li occhi“). Durch die Blickrich­ tung in der Szene wird ersichtlich, dass Dante eine horizontale mit einer verti­ kalen Perspektive verbindet. Weder lässt Dante nur die eine noch nur die andere Blickrichtung gelten, sondern er zielt auf ihr Zusammenspiel. Die zwei Sonnen Roms werden durch Trugbild und Blick auf Beatrice fokussiert. Durch die Übertragung der Unsterblichkeit auf die Kunst wird allerdings die bestehende Differenz zwischen der fragilen, irdischen und der göttlichen, ewigen Ordnung in das Konzept einer Autorschaft, die von allen Zweideutigkeiten befreit ist, umgeschrieben. Vor dem Hintergrund einer solchen Lektüre kann Beatrice, der theologischen Vorstellung folgend, körperloses, ephemeres Ausnahmewesen sein: eine Gestalt ohne Körper, die nicht in die Körperschaft eingeht, auf die nach Kantorowicz die Commedia zielt. Sie wird auf eine typologische Geschichte festge­ legt, in der sie ausschließlich als Figur der Erlösung vorkommt. In der parallelen Konstellation von Dante und Beatrice bleiben hinfälliger, irdischer Körper (des Dantes der Ohnmachten und affektiven Körperzustände) und unsterblicher, gött­ licher Körper (der lächelnden Beatrice) aufeinander bezogen. Allerdings bleibt zum einen auch im Paradiso die Fragilität des Körpers Dantes bis zum Schluss erhalten. Zum anderen hatte ja auch Beatrice an Züge dieser frale vita erinnert. Die Konstruktion des Körpers gründet in dieser doppelten Struktur, deren zwei­ fache Verfasstheit als Differenz das Körperkonzept in der Commedia bestimmt. Damit konstituiert Dante eine Körperschaft, die den Anspruch auf Vollkommen­ heit zugleich manifestiert und unterläuft.



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3.2 Krönungen Die erhoffte Krönung stellt für den Text das Überdauern im Nachruhm einer Dich­ tung in Aussicht, die sich selbst als doppelt behauptet, nämlich als poema sacro, d.  h. als Text von poetischem und heiligem Anspruch: Se mai continga che ’l poema sacro al quale ha posto mano e cielo e terra, sì che m’ha fatto per molti anni macro, vinca la crudeltà […] con altra voce omai, con altro vello ritornerò poeta, e in sul fonte del mio battesmo prenderò ’l cappello; (Par. XXV, 1–4; 7–9)122 Sollte es je geschehen, dass das heilige Gedicht, an das Himmel und Erde Hand angelegt haben und das meine Kräfte in den vielen Jahren aufgebraucht hat, über die Grausamkeit siegte, […] dann werde ich als Dichter heimkehren, mit anderer Stimme nunmehr, in anderem Gewand, und über dem Becken meiner Taufe den Lorbeerkranz empfangen

Antikes Zeremoniell und christliche Taufe werden scheinbar bruchlos übertra­ gen und perspektivieren den Ruhm des Dichters auf das Erlösungsmotiv. Lorbeer­ kranz des Dichters (quelle foglie) und ewiger Kranz (cappello) sind im heiligen Gedicht (poema sacro) aufeinander bezogen, wie Paulus im Brief an die Märtyrer die Versöhnung von ewiger mit irdischer Krone in Aussicht stellt.123 Auch die Anrufung Apollons ruft mit der antiken Tradition der Dichterkrönung den Anspruch auf Unsterblichkeit auf: O divina virtù, se mi ti presti tanto che l’ombra del beato regno segnata nel mio capo io manifesti, vedra’mi al piè del tuo diletto legno venire, e coronarmi de le foglie che la materia e tu mi farai degno. (Par. I, 22–27)

122 Vgl. Par. XXIII, 61–62: „e così, figurando il paradiso /, convien saltar lo sacrato poema“. 123 Vgl. C. W.: Corona aeternitatis – Der Wettstreit des Märtyrers (Tertullian). In: Sigrid ­Weigel (Hg.): Märtyrer-Portraits. Von Opfertod, Blutzeugen und heiligen Kriegern, München 2007, S. 71– 73.

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O göttliche Kraft, wenn du dich so weit mir vergönnst, dass ich das Schattenbild des glückseligen Reiches kundtun kann, wie es sich meinem Kopf eingeprägt hat, dann wirst du sehen, wie ich zum Fuß deines geliebten Baumes komme und mich mit dem Laub bekränze, das ich dem Stoff und das ich dir verdanke.

Dante hat damit Boccaccio, der im Trattatello in laude di Dante Dantes Berufung zum gekrönten Dichter als Traum der Mutter interpretiert124, Vorschub geleistet. Wenn Dante Apollon anruft und ihn bittet, ihn zum Gefäß (vaso) zu machen und in ihn einzufahren („Entra nel petto mio, e spira tue“ [Par. I, 19; Tritt ein in meine Brust und gib mir Atem]), zitiert er damit die Inspirationslehre, nach der die gött­ liche Macht die Begründung aller Dichtung ist und auf die auch Platon im ­Phaidros rekurriert hatte, als er sich selbst als Gefäß für Sapphos Rede erklärt hatte.125 Antike Inspirationslehre wird von Dante in christliche Theologie übersetzt: Die Metapher des Gefäßes wird zur Reinterpretion einer theologischen Metapher, der „vas electionis“ des Paulus, wie auch die Metapher von der Eingebung durch den Atem auf die theologische Vorstellung vom Atem Gottes verweist.126 Durch solche Muster steuert Dante den Rezeptionsprozess, der durch die Verschränkung von irdischer und himmlischer gloria die Macht des Textes erzeugen soll. Die Perspektivierung auf das Krönungsmoment steht jedoch in Zusammen­ hang mit der Krönung Beatrices. Sie hat schließlich Bernard de Clairvaux Platz gemacht, aber ist damit nicht wie Vergil zugleich aus dem Text verschwunden, sondern thront wie eine Königin über Dante. Als Dante zu ihr aufschaut, wird sichtbar, dass sie ein Strahlenkranz umgibt: e vidi lei che si facea corona reflettendo da sé li etterni rai. (Par. XXXI, 71–72) und sah, wie die ewigen Strahlen von ihr zurückstrahlten, so dass es war, als machte sie sich einen Kranz daraus. (Par. XXXI, 70–72)

Dantes Krönung durch Vergil wird also durch Beatrices Strahlenkranz noch über­ boten. Die Krönung Beatrices ist durch den Blick von Dante perspektiviert, der

124 Vgl. Kap. I, 2. Auch Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, S. 232–234. 125 Vgl. Kap. II, 1.1. 126 Vgl. Regn: Double Authorship, S. 181  f.



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vom Irdischen her auf den Strahlenkranz blickt. Durch die vielen deiktischen Pronomen wie „qui“ und „là giù“ (Par. XXIV, 71; 72) oder „là giù“ und „là sù“ (Par. XXV 18; 24) wird dabei der Krönungsmoment zur Schnittstelle zwischen dem Irdi­ schen und dem Göttlichen, zwischen Beatrice und Dante.

3.3 Verzicht Die Repräsentation des Jenseits wie auch der Transzendenz Gottes und die Dar­ stellung eines zeitlosen Ortes führt, je weiter das Paradies durchschritten wird, zu weiteren Aporien seiner Darstellung.127 Auch das ist zunächst nicht überra­ schend, sondern konsequent in Bezug auf die Repräsentation des Göttlichen dar­ gestellt. Der mystische Topos der Unsagbarkeit,128 den Dante aufruft, betont die Differenz zwischen dem Sehen und dem Sagen: „e vidi cose che ridire / né sa né può chi di là sù discende“ [Par. I, 5–6, Herv. C. W.; und Dinge sah ich, die kann keiner wiedergeben, / der je von dort oben zurückgekehrt]. Die Ordnung ist dabei allerdings auch hier durch das „ridire“ [wiedergeben] als Sprechsituation ausge­ wiesen. Mit dem zunehmenden Aufstieg in das Paradiso ist Dantes dichterische Macht nicht souveräner, sondern ganz im Gegenteil: Sie ist hinfälliger geworden. Die Rückseite von Dantes Vollkommenheit bildet die Fragilität der irdischen Schreibakte. Jede Referenz auf das Schreibwerkzeug erfolgt in Zusammenhang mit der Singularität des Schreibens: „E quel che mi convien ritrar testeso, / non portò voce mai, né scrisse incostro“ [Par. XIX, 7–8; Was ich nun unverzüglich nie­ derschreiben muss, hat keine Stimme je gesagt, hat / keine Feder je geschrieben, hat / keine Vorstellung je erfasst.]. Im Paradiso operiert Dante an den Grenzen der Repräsentation, worauf das „[t]rasumanar significar per verba“ (Par. I, 70) bereits eingeleitet hatte. Die fragile Redeordnung des Paradiso unterscheidet sich dabei von der Rede­ ordnung im Inferno: Dort verschwindet das Ungesagte des Textes in den Lücken der Rede, wenn Dante beschließt, das Gesagte nicht wiederzugeben: „parlando più assai ch’i’ non ridico“ [Inf. VI, 113, Herv. C. W.; und / besprachen noch vieles, was nicht hierher gehört]. Die Commedia operiert in Inferno und Paradiso jeweils mit ganz unterschiedlichen Registern von arcanum: Das Betonen der Grenzen des Sagens in Bezug auf das göttliche Geschehen markiert die vertikale Diffe­ renz zwischen dem Irdischen und dem Göttlichen, wohingegen das Nichtgesagte

127 Zu den Darstellungsaporien des Paradiso vgl. Barolini: The Undivine Comedy, Kap. 8: Pro­ blems in Paradise, S. 166–193. 128 Vgl. insb. Kap. IV, 4.3.

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zwischen Vergil und Dante auf horizontaler Ebene unterstreicht, dass etwas des­ wegen nicht festgehalten wird, weil es anscheinend nicht weiter wichtig ist oder nicht an diese Stelle gehört. Immerhin wird jedoch behauptet, dass Vergil und Dante noch mehr reden, als der Text den Leser wissen lässt. Mit diesen Lücken des Textes korrespondiert die Thematisierung der Vergeblichkeit des Schreib­ aktes, die durch die Verirrung Dantes im Wald der Zeichen im Inferno bereits angesprochen worden war. Von Anfang an hat die Commedia immer auch die Möglichkeit des poetischen Scheiterns in den Text eingetragen, wenn sie mit den Versen beginnt, die die Vergeblichkeit zum Horizont des Sprechens wie auch des Gehens machen: Nel mezzo del cammin di nostra vita mi ritrovai per una selva oscura, ché la diritta via era smarrita. (Inf. I, 1–3) Auf der Hälfte des Weges unseres Lebens fand ich mich in einem finsteren Wald wieder, denn der gerade Weg war verloren.

Im Wald der Zeichen, dem Sündenwald, der selva oscura, ist alle Hoffnung sus­ pendiert. Es ist die Buchstäblichkeit, die Bitterkeit der Zeichen, die den Eindruck von Vergeblichkeit verursacht, weil deren letzte Steigerung der Tod ist: „Tant’ è amara che poco è più morte“ [Inf. I, 7; So bitter ist er, dass kaum bitterer der Tod ist.]. Diese Bitterkeit des Anfangs steht in Kontrast zur ruhmvollen Geste des Beginns der Aeneis: „Arma virumque cano, Troiae qui primus ab oris / Italiam fato profugus Laviniaque venit litora“. [Aen. I, 1–3; Waffentaten und den Helden besinge ich, der von Trojas Gestaden als erster landflüchtig durch göttliche Fügung nach Italien und an Laviniums Küste kam.] Dantes Auftrag der Nieder­ schrift, als welche er im Paradiso sein Schrei­ben nochmals ausweist  –„quella materia ond’ io son fatto scriba“ [Par. X, 27; von dem Stoff in Beschlag / genom­ men, den niederzuschreiben mir aufgetragen wurde] – besteht darin, die bitteren Zeichen der selva oscura in süße Schrift zu verwandeln: „e ancor mi distilla / nel core il dolce che nacque da essa“ [Par. XXXIII, 62–63; aber noch spüre ich im Herzen einen Tropfen des Entzückens, / das sie mir bereitete]. Aber selbst wenn diese Umwandlung erfolgt ist, versagt das Sprechen: Da quinci innanzi il mio veder fu maggio che ’l parlar mostra, ch’a tal vista cede, e cede la memoria a tanto oltraggio. (Par. XXXIII, 55–57)



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Von hier aus war mein Sehen mächtiger als unser Sprechen, das vor solchem Anblick versagt, und es versagt auch das Gedächtnis vor so viel Übermaß.

Das Paradiso stellt die Fragilität der Zeichenordnung aus: Der Gegenstand ent­ zieht sich im Moment seiner Niederschrift. Als Metapher für diese Aporie dient die Darstellung der Sibylle, die ihre Orakel aufschreibt, während der Wind die Blätter zerstreut. Dante hat sie von Vergil übernommen, wo man im dritten Gesang von ihr erfährt. Die Sibylle verfügt auch dort nicht nur über eine prophetische Gabe, sondern auch über das Medium der Schrift: Huc ubi delatus Cumaeam accesseris urbem […], insanam vatem adspicies, quae rupe sub ima fata canit foliisque notas et nomina mandat. quaecumque in foliis descripsit carmina virgo, digerit in numerum atque antro seclusa relinquit, illa manent inmota locis neque ab ordine cedunt; verum eadem, verso tenuis cum cardine ventus inpulit et teneras turbavit ianua frondes, numquam deinde cavo volitantia prendere saxo nec revocare situs aut iungere carmina curat: (Aen. III, 441; 443–451) Wenn du, dort angelangt, dich zur Stadt Cumae begibst […], wirst du die gottbegeisterte Seherin schauen, die in tiefer Grotte das Schicksal verkündet und Wahrzeichen und Namen auf Blättern niederschreibt. Alle Sprüche, die sie auf Blätter geschrieben hat, bringt sie in schöne Ordnung und läßt sie in der verschlossenen Grotte. Da bleiben sie unangetastet an ihrem Platz und geraten nicht durcheinander. Doch wenn sich die Tür in der Angel dreht und ein leichter Luftzug die dünnen Blätter erfaßt und zerstreut, dann kümmert die Seherin sich niemals darum, sie zu erhaschen, während sie durch die Felsenhöhle wirbeln, auch nicht, sie wieder an ihren alten Platz zu bringen und die Sprüche zusammenzusetzen.

Der Wind verweht die mit den Sprüchen der Sibylle von Cumae beschriebenen Blätter, die sie nicht wieder ordnen wird. Während ihre Orakel gehört werden, verflüchtigt sich ihre Schrift.129 Dieses Motiv übernimmt Dante, wenn er ausge­ rechnet diesen Moment, in dem alles vergeblich scheint, zitiert:

129 Vgl. auch den sechsten Gesang, auf den Dante mit dem Inferno rekurriert. Die Sibylle ver­ kündet hier Aeneas seine kommende Macht als Gründer Roms (Aen. VI, 790  ff.). Aeneas fordert von der Sibylle, dass sie ihr Orakel nicht in die Schrift überträgt: „‚[…] foliis tantum ne carmina manda, / ne turbata volent rapidis ludibria ventis, / ipsa canas oro.‘“ [Aen. VI, 74–76; Doch ver­

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Così la neve al sol si disigilla; così al vento ne le foglie levi si perdea la sentenza di Sibilla. (Par. XXXIII, 64–66) So löst der Schnee sein Siegel in der Sonne; so verlor sich im Wind der Spruch der Sibylle auf den Blättern. (Par. XXXIII, 65–66)

Die „foglie“ des Lorbeerkranzes sind jetzt die „foglie“ der Sibylle, die genau umge­ kehrt zu den Zeichen des Ruhms funktionieren. Dante nähert den Schreibakt der Sibylle, insana vates, an, deren vergebliches Tun in der poetischen Metapher von den vergeblich beschriebenen Blättern zum Ausdruck kommt. Die Metaphern der Vergänglichkeit – schmelzender Schnee und verwehende Blätter – bilden die Rückseite einer auf Vollkommenheit zielenden gloria. Zur Bedingung des ewigen Ruhms wird die fragile Ordnung der Materialität der foglie, die sich durch die Grenzen des Gedächtnisses, das Verlöschen der Vision in der Erinnerung und die Fragilität des Körpers manifestiert. Die mögliche Position der Autorschaft, die Dante mit der Commedia erschreibt, ist eine doppelte und damit zugleich eine unmögliche Autorschaft. Die Fiktion einer Sprache über das Paradies führt in das Lallen eines Säuglings, der seine Zunge an die Mutterbrust presst und keine göttliche Sprache, sondern schlicht „lingua a la mammella“ [Par. XXXIII, 108; lallen wie der Säugling] von sich gibt. In dem Wort lingua als Zunge und Sprache klingt die Möglichkeit einer Redeweise an, die Dante auch als diejenige Sprache bezeichnet hatte, in der die muliercule, die „kleinen Frauen“, kommuniziert haben: „ad modum loquendi, remissus est modus et humilis, quia locutio vulgaris in qua et muliercule comu­ nicant.“ [Epist. XIII, 31; was die Art des Sprechens betrifft, so ist diese lose und derb, weil es die Redeweise des gemeinen Volkes ist, in der sich auch die Weiber unterhalten.]130 Auerbach hatte diese Bemerkung Dantes nicht nur in Bezug auf das Schrei­ ben in volgare verstanden, sondern auch auf dessen Stil bezogen und diesen nicht

traue nicht Blättern deine Sprüche an, damit sie nicht durcheinandergewirbelt fortfliegen, ein Spiel für raffende Winde. Weissage, bitte, du selber!] Die Rettung der „geheimnisvollen Weis­ sagungen“ [arcana […] fata] (Aen. VI, 72) vor dem Spiel des Windes impliziert zugleich den Aus­ schluss der Sibylle aus dem Raum der Schrift. Ihre Rede muss im Raum des Sprechens bleiben, um die Macht des Helden zu sichern. 130 Dante Alighieri: Philosophische Werke. Bd. 1: Epistola XIII / Das Schrei­ben an Cangrande della Scala. Lateinisch / Deutsch. Hrsg. von Ruedi Imbach, übers. von Thomas Ricklin, Ham­ burg 1993. Im Folgenden zitiert nach dieser Ausgabe.



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mehr als Stil Vergils der „alta […] tragedìa“ (Inf. XX, 113), sondern als ­biblische, die Wirklichkeit nachahmende Ausdrucksweise, die durch Stilmischung gekenn­ zeichnet ist, behauptet. Im Unterschied zu Kantorowicz, der in Vergil Dantes alleinigen Führer sieht, hatte Auerbach betont, dass Dante, obwohl er die Commedia unter die Autorität Vergils gestellt hatte, diesem nicht gefolgt ist.131 Aber Auerbach war nicht so weit gegangen, den Stilwechsel auf den Wechsel in der Führerschaft zu beziehen. Aber er hat stattgefunden und er geht mit einer ent­ scheidenden Verschiebung auch in Bezug auf Dantes Interpretation von Vergil einher. Mit der Übernahme der Haltung der Sibylle aus Vergils Aeneis führt Dante ein anderes Sprechen, ein Sprechen im Namen der muliercule, ein. Den Gedan­ ken des Strebens nach Ruhm stellt er damit unter den Vorbehalt einer weitaus zerbrechlicheren Sprechweise. Vor diesem Hintergrund ist es nur allzu konsequent, wenn sich Dante als Dichter porträtiert, der sich durch eine Geste der Bescheidenheit auszeichnet, in der das Begehren (desiderio) zu Verzicht (desista) wird: Da questo passo vinto mi concedo più che già mai da punto di suo tema soprato fosse comico o tragedo: […] ma or convien che mio seguir desista più dietro a sua bellezza, poetando, come a l’ultimo suo ciascuno artista. (Par. XXX, 22–24; 31–33) Ich muss mich nun geschlagen geben, schlimmer als jemals in hoher oder niederer Kunst sich jemand an schwieriger Stelle seines Vorhabens geschlagen geben musste. […] doch jetzt muss ich verzichten, noch weiter ihrer Schönheit nachzudichten, wie jeder Künstler, der sein Äußerstes gegeben hat

Die poetologische Lesart dieser Stelle liegt schon von daher nahe, als Dante auf die Ebene des Erzählens springt, indem er die Frage nach der Gattung, die sich für die Commedia stellt, anspricht. Der Akt der Dichtung besteht also darin, an einem bestimmten Punkt mit dem Schrei­ben aufzuhören, im desista, und somit in der Einsicht in Selbstbeschränkung.

131 Auerbach: Mimesis, S. 179 und S. 190.

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Das Lächeln Beatrices, das den Zugang zum Göttlichen verspricht, indiziert zugleich die Herabsetzung Dantes durch sich selbst: „lo rimembrar del dolce riso / la mente mia da me medesmo scema.“ [Par. XXX, 26–27; wirkt auf mich die Erinnerung an ihr wunderbares Lächeln / und trennt mich von mir selbst] Die selbstermächtigende Geste Vergils, die Dante zum Herrscher über sich selbst krönt, wird vor dem Hintergrund dieser Geste der Selbsterniedrigung zweideu­ tig. Gerade diese Differenz hat Dante mit den in sich doppelten Figuren B ­ eatrice und Dante in den Blick gerückt: als die Ambiguität eines Sprechens, das den Tausch der Rollen möglich macht. Die unaufhörliche Bedrohung des Versagens des Schreibens tritt in Widerspruch zum Nicht-Schrei­ben Beatrices, die dennoch, auch wenn sie nicht schreibt, die Rede und die Schrift Dantes beherrscht. Die Möglichkeit der Überschreitung der starren Verhältnisse von männlicher Autor­ schaft und weib­licher ewiger Schönheit ist in der Commedia angelegt und ihre Umkehr als Fiktion potentiell in Aussicht gestellt: Beatrice als Autorin und Dante als ihr Gegenstand. Indem er seinem Dante eine zweite, reflektierende Figur an die Seite gestellt hat, gründet Dante seinen Text nicht auf Selbstermächtigung, sondern auktori­ aler Bescheidenheit: mittels einer Verteilung der Autorität auf mindestens zwei Instanzen, durch die die Ambiguität zwischen dem Ewigen, Unsterblichen, Dau­ erhaften und dem Irdischen, Zerbrechlichen und Vergänglichen nicht nur seman­ tisch, sondern diskursiv ausgeschöpft werden kann. Auch wenn in der Forschung mit Blick auf Vergil als maestro und autore in Dantes Commedia immer wieder die Selbstermächtigung betont wurde, bringt Dantes Commedia eine paradoxe Dop­ pelung der Autorschaft hervor, deren andere Seite nicht die Transzendenz Gottes, sondern die Schrift gewordene weibliche Stimme ist. Die Commedia initiiert damit nicht nur die große auctoritas, sondern unterläuft sie gleichzeitig. Die Mut­ tersprache, volgare, ist damit zur Möglichkeit eines neuen, beinahe komischen Stils geworden und zwar in dem Sinn, wie ihn Dante in seinem als Epigramm verfassten Widmungsschreiben an Cangrande verstanden hatte: als ein anderes Singen, Gesang des Volkes, „‚villanus cantus‘“ (Epist. XIII, 28).

III Caterinas Stimme Denn süß ist deine Stimme, lieblich dein Gesicht (Cant. 2,14)

Mit der Liebe der Mystikerin, pur amour, wird eine Liebe inszeniert, die über die Bedingungen der irdischen Liebe erhaben ist und die Liebende angesichts der Vollkommenheit Gottes erstrahlen lässt.1 Zur Allegorie dieser Liebe wird die Mystikerin als Figuration einer in Aussicht gestellten paradiesischen Erfüllung. Als solche besetzt sie den gleichen symbolischen Ort wie die idealisierte Herrin in der Dichtung des Trecento, wie Laura oder Beatrice. In den unterschiedlichen Diskursen finden Inszenierungen von sowohl Santa Caterina da Siena als auch Dantes Beatrice als „forma di conoscenza più perfetta del saluto“2 statt. In Literatur und Theologie tritt also die donna angelica auf, die durch eine „con­ tamination réciproque des deux discours“3 vergleichbar wird, weil beide eine jouissance produzieren, in der die Liebesbeziehung durch den „chant de joie“4 ausgedrückt wird. Um ihren Gegenstand zu konstituieren, müssen die Heiligenlegende und Hei­ ligenvita dabei immer wieder auf die Rede der Heiligen ‚hören‘, sie müssen sich ihren Äußerungen zuwenden: „se mettre à l’écoute de leurs folies“5. Die Legende lenkt damit unseren Blick nicht nur auf den Körper der Heiligen, an dem sich die Heiligkeit vollzieht, sie führt uns auch zu ihrer Stimme, die auf die göttli­ che Stimme zurückverweist: „La voix s’identifiant à l’Esprit vivant.“6 Die von Heiligen­legende und Heiligenvita behauptete Imitabilität liegt damit nicht nur, wie grundlegend behauptet worden ist, in den Taten der Heiligen7 – Hans Robert

1 Julia Kristeva: Histoires d’amour, Paris 1983, S. 191  f. 2 Michelangelo Picone: La Beatrice di Dante dalla Vita nova alla Commedia. In: Selvagge e angeliche. Personaggi femminili della tradizione letteraria italiana. Hrsg. von Tatiana Crivelli, in Zusammenarbeit mit Alessandro Bosco/Mara Santi, Leonfronte 2007, S. 33–48, S. 36 (Herv. im Orig.). 3 Kristeva: Histoires d’amour, S. 193  f. 4 Kristeva: Histoires d’amour, S. 192. 5 Luce Irigaray: Speculum de l’autre femme, Paris 1974, Kap.: La mystérique, S. 239. 6 Paul Zumthor: La lettre et la voix. De la ‚littérature‘ médiévale, Paris 1987, S. 83  ff., S. 88. 7 André Jolles: Einfache Formen. Legende, Sage, Mythe, Rätsel, Spruch, Kasus, Memorabile, Märchen, Witz, Tübingen (1930) 2006, S. 26–61. Ich unterscheide im folgenden nicht konsequent zwischen Heiligenlegende und Heiligenvita, da die Unterscheidung für meine Argumentation nicht von Bedeutung ist. Der Vitenschreiber spricht von tractatum legende (LM Prolog I, 13), nicht von Vita. Raimund von Capua: Die Legenda Maior (Vita Catharinae Senensis) des Raimund von Capua. Edition nach der Nürnberger Handschrift Cent. IV, 75. Übersetzung und Kommen­

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Jauß hat den Heiligen als ‚vollkommenen‘ Helden bestimmt8 –, sondern in einem in ihren Geschichten implizierten parler femme: in der Inszenierung der mysti­ schen Rede der Heiligen, durch das sich die Heiligenvita als ein Ort bestimmen lässt, an dem mimetisch ihre Rede nachgeahmt wird. Simone de Beauvoir hatte nicht nur den Status von Königinnen durch gött­ liches Recht begründet gesehen, sondern zudem den Status der Heiligen, auch der Caterina da Siena, durch ihre Tugenden: „Les reines, par droit divin, les saintes, par leurs éclatantes vertus, s’assurent dans la société un appui qui leur permet de s’égaler aux hommes.“9 Damit wird die soziale Bedeutung der Hei­ ligen unterstrichen, aber noch nicht ihre Rede. Erst Luce Irigaray hat mit der Mystikerin den Ort einer bestimmten, ansonsten unmöglichen Redeweise als das Hervortreten der weiblichen Stimme identifiziert und damit Mystik als Ort eines Sprechens bestimmt, den sie als „mystérique“ bzw. „mystérie“ bezeichnet und damit mystique (myein = verschließen, schweigen, stille sein10), hystérie und mystère zusammenführt.11 Diese Art des öffentlichen Sprechens entsteht durch eine hysterische Spiegelung, die eine andere Bühne des Sprechens öffnet und der Mystikerin selbst verborgen bleibt: „hors-scène, cette autre scène, pour elle cryptique“12.

tar. Hrsg. von Jörg Jungmayr, Bd. 1, Berlin 2004. Im Folgenden zitiere ich nach dieser Ausgabe und Übersetzung (ohne Zeilenangabe, da die Angaben von Originaltext und Übersetzung ab­ weichen). Unter Vita/Legende verstehe ich in Anschluss an Delehaye das Genre der légendes hagiographiques, „genre nouveau […] qui tient de la biographie, du panégyrique et de la leçon de morale.“ Hippolyte Delehaye: Les légendes hagiographiques, Brüssel 1906, S. 77. 8 Hans Robert Jauss: Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik, Frankfurt a. M. 1997, S. 252. 9 Simone de Beauvoir: Le deuxième sexe. Bd. 1: Les faits et les mythes, Paris 1990, S. 169. 10 Vgl. Peter Gerlitz: Art. Mystik. I. Religionsgeschichtlich. In: Theologische Realenzyklo­ pädie. Hrsg. von Gerhard Krause/Gerhard Müller, Bd. 23, Berlin, New York 1994, S. 534–547, S. 534. 11 Luce Irigaray: La mystérique. In: dies.: Speculum de l’autre femme, Paris 1974, S. 238–252, S. 239: „Tombant  – dirait sans doute Platon  – dans le piège de les mimer, de prétendre jouir comme ‚elle‘. Jusqu’à ne plus s’y retrouver comme ‚sujet‘, et se laisser mener là où il ne voulait surtout pas aller: à sa perte dans cette atypique, atopique, mystérie.“ Vgl. Amy M. Hollywood: Beauvoir, Irigaray, and the Mystical. In: Hypatia 9/4 (1994), S. 158–185, S. 169 (Herf. im Orig.): „[T]he place from which women have most openly and publicly spoken, the site of her coming to voice and jouissance“. 12 Irigaray: La mystérique, S. 238 (Herv. im Orig.). Vgl. Hollywood: Beauvoir, Irigaray, and the Mystical, S. 168. Im Folgenden werde ich mich mit der Terminologie Szene / Bühne darauf beziehen, dass Irigaray damit einen Schauplatz für die mystische Rede benennt, eine andere psychoanalytisch gedachte ‚Szene‘ oder ‚Bühne‘.



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Von der kryptischen Szene bzw. jenem Platz außerhalb der Bühne, auf dem Irigaray die Rede der Mystikerin positioniert, zeugen nicht nur die Schriften der Mystikerinnen bzw. die von ihr diktierten Texte. Auch in der Nacherzählung des Lebens der Mystikerin, in den Heiligenlegenden und Viten, wird die ‚mystische Szene‘ hergestellt. Dabei sucht sich nicht die Mystikerin selbst ihren Ort hors scène, sondern dieser ist ein ihr zugewiesener Platz und eine Sprachordnung, die man mit Michel de Certeau als eine Rede „à l’enfant, à la femme, aux illettrés, à la folie, aux anges ou aux corps“13 bezeichnen kann. Am Ort der Hervorbringung ihrer Heiligkeit produziert mit der kanonischen Fixierung der Heiligenvita die Darstellung des Heiligen ein Sprechen, das immer auch zugleich von sich abgetrennt wird. Damit rührt es an die grundlegende Bestimmung von sacré, die nach Émile Benveniste Ort der Trennung sein kann. Sacer ist ein „retranchement“: Ein Außerhalb-Stellen der menschlichen Sphäre.14 Wie die ästhetischen Formationen, die durch Lauras angelico canto und Beatrices angelica voce konstituiert werden, ist die Heiligenlegende ohne die Stimme der Heiligen nicht möglich. Ein Vergleich zwischen Dantes Commedia und Caterinas Heiligenvita, der Legenda Maior, muss also die Art und Weise des Sprechens in den Blick rücken: als Operation, die die Grenzen des Sagens mittels einer Rede inszeniert, die von einer weiblichen Figur als Vermittlerin zu diesem Grenzbereich artikuliert wird. Denn die Heiligenvita ist eine fable mystique, d.  h. eine Geschichte nicht nur der Taten der Heiligen und der Aussagen (énoncé), sondern der Aussageakte (énonciation).15 Mit welcher Stimme werden also die Visionen und Erscheinungen in der Heiligenvita erzählt? Wie verhält sich die Rede über die Heilige zur eigenen Figurenrede der Heiligen? Wie wird diese eingeschlossen, durch welche Mechanismen wird sie ausgeschlossen? Medien und Vermittlungen haben zur Folge, dass sich Stimmen vermischen, die bei der Produktion von Texten und Heiligem beteiligt sind. In der Forschung zu Caterina wurde auf die Gefahr einer einseitigen Aneignung der Heiligen als idealisierende Darstellung aus der Perspektive der Beichtväter, die in den weiblichen Heiligen die Verkörperung ihrer Vorstellungen von Kirche sehen, hingewiesen.16 Die Heiligkeit Caterinas ist das Resultat einer Sprachordnung, in der der Beichtvater bestimmten Konventionen und auch Interessen folgt, die sich von

13 Michel de Certeau: La fable mystique. XVIe–XVIIe siècle, Bd. 1, Paris 1982 (Bibliothèque des histoires), S. 24. 14 Émile Benveniste: Le vocabulaire des institutions indo-européenes, Bd. 2: Pouvoir, droit, religion, Paris 1969, Art. „Le sacré“, S. 197  f. 15 Certeau: La fable mystique, S. 23  ff. 16 Catherine M. Mooney: Voice, Gender and the Portrayal of Sanctity. In: Gendered Voices. Medieval Saints and their Interpreters. Hrsg. von dies., Philadelphia 1999, S. 1–15, S. 3.

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ihrer Selbstdarstellung in ihren eigenen Schriften abhebt.17 Betont der Beicht­ vater Caterinas überirdische Rolle, so steht demgegenüber das, was Jane Tylus die „materiality of writing“18 genannt hat: Caterinas Schreibpraxis, in der sie durch Blut und Tinte an der diskursiven Autorität teilhat. Diese diskursive Autori­ tät wird jedoch mit der Autorschaft des Beichtvaters überschrieben, wenn er mit ihr eine Theologie behauptet, in der „female weakness“ und „divine inspiration“ kurzgeschlossen werden.19 Die Unterscheidung in Heilige und ihre Interpreten hat die Bedeutung der unterschiedlichen Instanzen, die an der Fabrikation der Heiligenvita beteiligt sind, unterstrichen.20 Insbesondere die weibliche mystische Stimme soll einem sich im Trecento konstituierenden corps sacramental einverleibt werden. Die Mystikerin wird dabei nach Michel de Certeau auf zwei Arten und Weisen der Einverleibung unter­ zogen. Zum einen nämlich durch eine Ordnung des Sprechens (tout dire): Die mystische Rede antwortet auf den Wunsch der Beichtväter, das religiöse Leben sichtbar zu machen, es zu fixieren und zu dokumentieren. Zum anderen durch eine Ordnung des Sehens (tout voir), in der der Körper die Zeichen der göttlichen Allmacht demonstrieren, aufführen, zeigen soll: Der rêve franciscain besteht darin, dass ein Körper das göttliche Wirken manifestiert, ohne zu sprechen: „qu’un corps prêche sans parler“21. Sprechakte und Körperakte werden jedoch am Ort der Verschriftlichung  – in der Heiligenvita  – miteinander verschränkt. Schon weil die mystische Rede durch ihren Bezug auf die göttliche Stimme mit der Frage nach demjenigen, der spricht, assoziiert ist, steht eine Ambiguität am Anfang eines Textes, der diese Rede und ihre Darstellung zu seinem Gegenstand macht. Denn durch den Verweis auf die göttliche Stimme ist nie eindeutig, wer eigentlich spricht: Caterina als Medium mit der Stimme Gottes? Oder als Medium ihres Beichtvaters? Oder als Stimme im Text?

17 Vgl. Thomas Luongo: Catherine of Siena. Rewriting Female Holy Authority. In: Women, the Book and the Godly. Hrsg. von Lesley Smith/Jane H. M. Taylor, Cambridge 1995, S. 89–103. 18 Jane Tylus: Reclaiming Catherine of Siena. Literacy, Literature, and the Signs of Others, Chicago, London 2009, S. 225  ff. 19 Karen Scott: „Io Catarina“. Ecclesiastical Politics and Oral Culture in the Letters of Ca­ therine of Siena. In: Dear Sister. Medieval Women and the Epistolary Genre. Hrsg. von Karen Cherewatuk/Ulrike Wiethaus, Philadelphia 1993, S. 87–121, S. 95. Vgl. Karen Scott: Mystical Death, Bodily Death. Catherine of Siena and Raymond of Capua on the Mystic’s Encounter with God. In: Gendered Voices. Medieval Saints and their Interpreters. Hrsg. von Catherine M. Moo­ ney, Philadelphia 1999, S. 136–167. 20 Vgl. John W. Coakley: Women, Men, and Spiritual Power. Female Saints and Their Male Collaborators, New York 2006, Kap. 9: Managing Holiness. Raymond of Capua and Catherina of Siena, S. 170–192. 21 De Certeau: La fable mystique, S. 118  f.



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Der Heiligenvita wird ein weiblicher Mund als ihr Ursprung zugeschrieben: Die Worte Caterinas da Siena, die dem Beichtvater, Raimondo da Capua, ihre Visionen und Wunder berichtet, sind konstitutiv für die Vita, deren Verfasser der Beichtvater ist. Die Begründung der Heiligkeit ruft das alte Modell der Selbst­ begründung poetischer Texte auf, bei dem Musen, Sirenen, Marienerscheinun­ gen als Inspirationsquelle Texte autorisieren. Der Text schreibt sich von woanders her, er setzt eine andere Stimme als Grund und Legitimation des Textes voraus. Der jungfräuliche Mund dient dabei der Figuration der Stimme, die Heiligenvita als die Wiederholung eines rätselhaften Sprechens: „Comme le sphinx de jadis, la mystique reste le rendez-vous d’une énigme.“22 Implizites Modell hierfür ist die spätantike bzw. christliche Sirenendeutung und zwar in der Ambivalenz zwi­ schen prophetischer Rede und Verführung. In der Civitas Dei hat Augustinus die Sibyllen in den Dienst Gottes gestellt. Die erythräische Sibylle, schreibt er, sagt nichts, „quod ad deorum falsorum sive factorum cultum pertineat, quin immo ita etiam contra eos et contra cul­ tores eorum loquitur, ut in eorum numero deputanda videatur, qui pertinent ad civitatem Dei.“ [was sich auf die Verehrung der falschen oder gemachten Götter bezöge; sie spricht sich sogar im Gegenteil so sehr gegen sie und ihre Verehrer aus, daß man sie zu der Zahl jener wird rechnen müssen, die zum Gottesstaat gehören.]23 Liest man die Anfangsbuchstaben der Verse nacheinander, ergibt dies ihr Lied in Form eines Rebus „Iesus Christus Dei filius salvator“ (De civ. XVIII, 23). Die Christianisierung der Prophetin überschreibt die antiken Mysterienkulte im Namen Jesu Christi. Augustinus gibt als Lektüreerinnerung wieder, was Laktanz über die Sibylle berichtet; dieser Bericht lässt die Prophetin in Ekstase die christ­ liche Wahrheit verkünden. Dieselbe Aufgabe kommt Caterina zu, nämlich wie die Sibylle die christliche Wahrheit zu prophezeien.24 Anders als die mythische Sibylle ist jedoch die Mysti­ kerin am Aufbewahren ihrer Schriften interessiert. Dante hatte das Bild der vom Wind zerstreuten, beschriebenen Blätter der Sibylle aus der Aeneis übernom­ men. Die Sibylle war hier nicht nur durch ihre prophetische Gabe ausgezeich­ net worden, sondern auch als Schreibende, deren Blätter vom Wind zerstoben werden: „verum eadem, verso tenuis cum cardine ventus / inpulit et teneras tur­ bavit ianua frondes, / numquam deinde cavo volitantia prendere saxo“ [Aen. III, 22 Durch diese insistierende Rätselhaftigkeit bleibt die Mystik fremd gegenüber der Institution Religion. Michel de Certeau: Art. Mystique. In: Encyclopaedia universalis, Bd. 12, Paris 1985, S. 873–878, S. 878. 23 Aurelius Augustinus: Der Gottesstaat. De civitate Dei. 2 Bde. Übers. und hrsg. von Carl Johann Perl, Paderborn, München u.  a. 1979, XVIII, 23. 24 Vgl. Coakley: Women, Men, and Spiritual Power, S. 182.

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448–450; Doch wenn sich die Tür in der Angel dreht und ein leichter Luftzug die dünnen Blätter erfaßt und zerstreut, dann kümmert die Seherin sich niemals darum, sie zu erhaschen, während sie durch die Felsenhöhle wirbeln].25 Während die Orakel der Sibylle gehört werden, verflüchtigt sich ihre Schrift. Umgekehrt fordert Caterina das Sammeln ihrer Schriften, denn angesichts ihres nahe rücken­ den Todes betont sie in ihrem letzten Brief an ihren Beichtvater, dass er ihr ‚Buch’ wie alle ihre Schriften sorgfältig aufbewahren solle: „Anco vi prego che il libro e ogni scrittura la quale trovaste di me, voi e frate Bartolomeo e frate Tomaso e il Maestro, ve le rechiate per le mani“ [A Raimondo da Capua, Lett. 373; Auch bitte ich Sie das Buch und jedes Schriftsstück, das Sie von mir finden, Sie und Bruder Bartolomeo und Bruder Tomaso und der Vorsteher, ihnen mit den Händen zu überbringen].26 Caterina hat nicht nur zur Ehre Gottes gesungen, sondern ihrer Stimme einen Ort in der Schrift gegeben. Während Dante in der zitierten Schreib­ szene die Haltung der Sibylle übernommen hat und seine süße Vision wie die Sentenz der Sibylle sich auf den vom Wind verwehten Blättern verliert  – „così al vento ne le foglie levi / si perdea la sentenza di Sibilla“ [Par. XXXIII, 65–66; so verlor sich / im Wind der Spruch der Sibylle auf den Blättern] –, unterstreicht Caterina die Aufbewahrung ihrer Schriften. Caterina da Siena ist nicht nur als historische Gestalt Heilige und Kirchen­ lehrerin, sie ist auch eine textuelle Figur, deren sprachliche Akte eine diskursive Formation bilden.27 Zu klären ist daher, in welcher Weise die uerba dulcia in der Heiligenlegende eingebracht werden und welche Funktion der mystischen Rede in der Heiligenlegende zukommt. Wodurch wird in der Heiligenvita die Stimme Caterinas zur Voraussetzung nicht nur ihrer Heiligkeit, sondern eines Textes, der

25 Vgl. Kap. II, 3.3. 26 S. Caterina da Siena: Le lettere. Hrsg. von D. Umberto Meattini, Mailand 2010 (Letture cristiane del secondo millennio 4), S. 1194 [Übersetzung von mir, C. W.]. Zum Vergleich von Dante, der Sibylle und Caterina sowie zum Zirkulieren ihrer Briefe Tylus: Reclaiming Catherine of Siena, S. 215  ff. Auch C. W.: Aus zweiter Hand. Dialog und Providenz. In: Inszenierte Gespräche. Zum Dialog als Gattung und Argumentationsmodus in der Romania vom Mittelalter bis zur Aufklärung, hrsg. von Matthias Hausmann, Marita Liebermann, Berlin 2014 (Internationale Forschungen zur Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft), S. 19–36. 27 Um sich von einer Legendenforschung abzusetzen, die die Legende auf ihre Symbolik hin liest, erarbeitet Saussure in seinen Fragmenten eine anagrammtische Lektüre der Legende, die die Legende zeichenhaft versteht und in der wie im Cours de linguistique générale jedes Zeichen einen Wert dadurch bekommt, dass es sich von anderen unterscheidet. Béatrice Turpin hat die Parallele von Sprache und Legende herausgestellt. Vgl. Béatrice Turpin: Légendes et récits d’Europe du Nord. De Sigfrid à Tristan. In: Ferdinand de Saussure. Hrsg. von Simone Bouquet, Paris 2003, S. 351–429, S. 389. Vgl. auch Dies.: Légendes – Mythes – Histoire. La circulation des signes. In: Ferdinand de Saussure. Hrsg. von Simone Bouquet, Paris 2003, S. 307–315.



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sich durch die Stimmen der Anderen konstituiert? Die Rede der Mystikerin ist nicht nur eine Inszenierung von „Sprache als Medium der Erfahrung“28, insofern sie Antwort auf ein immer schon vorausliegendes Sprechen Gottes wäre. Denn es kommt nicht nur auf die Erfahrung der göttlichen Stimme in Sprache und die Aporien ihrer Darstellbarkeit als Differenz zwischen Sprechen und Sein an29, sondern auch auf die Art und Weise, wie etwas gesagt wird: durch die Stimme im Text und d.  h. als wiedergegebene, nicht als authentische Rede, die im Anschluss an Irigaray und Certeau untersucht werden kann. In diesem Sinn ist die Heiligen­ vita lesbar als Inszenierung einer „Rhetorik des Begehrens“30 und zwar genau genommen als Inszenierung der Stimmen im Text.

1 autre scène: Wer spricht? Hat der Körper der Heiligen in den letzten Jahren im Fokus der Aufmerksam­ keit der Mystik-Forschung gestanden, so deshalb, weil dieser im Spätmittel­ alter einen wichtigen Zugang zum Heiligen darstellt.31 Certeau hat aber gerade dessen ursprüngliche Entbehrung betont und den fehlenden Körper Christi als die Matrix des Christentums identifiziert.32 Der corps manquant hat dabei nicht zur Abschaffung des Körpers geführt, sondern zu einer Reihe von Substitutionen, die insbesondere im Spätmittelalter dazu dienen, den bestehenden Mangel zu kompensieren. Mystik ist Bestandteil dieser substitutiven Logik, indem sie damit beschäftigt ist, einen Körper der Liebe (corps d’amour) zu finden. Mystik und Kirche gründen in demselben Paradox eines fehlenden Körpers und der impli­ zierten, aber suspendierten Frage: „qu’est ce que le corps?“33 Die Frage nach dem

28 Walter Haug: Zur Grundlegung einer Theorie mystischen Sprechens. In: Abendländische Mystik im Mittelalter. Symposium Kloster Engelberg 1984. Hrsg. von Kurt Ruh, Stuttgart 1986, S. 494–508, S. 495. 29 Vgl. Haug: Zur Grundlegung einer Theorie mystischen Sprechens, S. 498. 30 Niklaus Largier: Rhetorik des Begehrens. Die ‚Unterscheidung der Geister‘ als Paradigma mittelalterlicher Subjektivität. In: Inszenierungen von Subjektivität in der Literatur des Mittel­ alters. Hrsg. von Martin Baisch, Königstein 2005, S. 249–270. 31 Vgl. Caroline Walker Bynum: The Female Body and Religious Practice in the Later Middle Ages. In: Dies.: Fragmentation and Redemption. Essays on Gender and the Human Body in Me­ dieval Religion. New York 1991, S. 181–238. 32 De Certeau: La fable mystique, S. 108  ff. Vgl. Bernhard Teuber: Die mystische Mär. Eine postmoderne Relecture der christlichen Tradition nach Michel de Certeau. In: Die Kirchenkritik der Mystiker. Prophetie aus Gotteserfahrung, Bd. 3: Von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Hrsg v. Mariano Delgado, Gotthard Fuchs, Fribourg, Stuttgart 2005, S. 225–240, S. 231  ff. 33 De Certeau: La fable mystique, S. 108.

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Körper – „dis moi, où tu l’as mis?“ –, die Maria Magdalena angesichts des feh­ lenden Körpers stellt und die Ersetzungen, die sein Fehlen erforderlich machen, organisieren sowohl den apostolischen als auch den mystischen Körper.34 Die Geschlechtlichkeit solcher substituierender Körper hat Walker Bynum betont und den Zusammenhang zur religiösen Sphäre herausgearbeitet. Die verzückten Ausbrüche – mystische Laktation, katatonische Trance, ekstatisches Nasenblu­ ten, heilige Anorexie, Verzehren von Eiter – als Aufführungen von Körperlichkeit lassen sich mit Blick auf die Thesen von Certeau als Ersatzhandlungen der disparition fondatrice verstehen: der zu ersetzende corpus Christi würde dementspre­ chend durch einen weiblichen Körper überzeichnet. In der Tat zielt Caterinas asketische Praxis auf die Umformung des Körpers, der in den Darstellungen seiner Überwindung im Text umso präsenter wird. Als empfangender Körper offenbart er die übernatürliche Macht: „Jnde siquidem pro­ cedebat supernaturalis ille uigor corporeus ex habundancia scilicet spiritualium graciarum.“ [LM II, 178; Gerade aus der Fülle der geistlichen Gaben bezog ja ihr Körper seine übernatürliche Stärke.] Auch die formale Zweiteilung der Legende in ‚zwei Leben‘ ist ein Resultat der Spiritualisierung ihres Körpers: in einen Teil über den Körper (vita corporalis) und einen über den Geist (vita spiritualis bzw. supernaturalis). Die Beobachtungen zu den Affektionen des Körpers verleiten allerdings dazu, die Mystikerin vor allem auf der Ebene der histoire bzw. auf der Ebene des historischen, buchstäblichen Sinns zu verorten.35 Demgegenüber hat Certeau auch die Stimme in der Mystik fokussiert und damit die Frage nach der Redeordnung, d.  h. danach, wie das Sprechen orga­ nisiert ist, aufgeworfen. Mystische Rede versteht er als „un cadre technique de ‚manières de parler‘“36. Mit der Analyse der Art und Weise des Sprechens rückt Certeau anstelle ihres Inhalts das wie der Rede in den Blick. Durch Suspension der theologischen Frage nach der göttlichen Wahrheit wird die Art und Weise ihrer Inszenierung und Diskursivierung hervorgehoben: „l’effectuation orale et 34 De Certeau: La fable mystique, S. 110. 35 Vor allem sind die Briefe Caterinas nicht nur konkret politisch, sondern teilweise extrem alle­gorisch und müssten dahingegend erst noch untersucht werden. Literaturwissenschaft­ liche Fragestellungen wie nach der Narrativität oder der Textualität stehen noch aus. Untersu­ chungen der Visionsdarstellungen bestimmen Caterinas Platz innerhalb einer „Geschichte des Visionären“: als Geschichte der Stigmata und insofern als Geschichte der Sichtbarkeit und der Unsichtbarkeit, die sich am Körper manifestiert. Vgl. David Ganz: Gemalte Geheimnisse. Die Stigmatisierung Katharinas von Siena und ihre (Rück-)Übertragung ins Bild. In: Medialität des Heils im späten Mittelalter. Hrsg. von Carla Dauven-van Knippenberg/Cornelia Herberichs/ Christian Kiening, Zürich 2009 (Medienwandel – Medienwechsel – Medienwissen 10), S. 83– 110, S. 83. 36 De Certeau: La fable mystique, S. 167.



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non la vérité logique d’une proposition.“37 Certeau übernimmt für seine Unter­ suchung mystischer Sprechakte Benvenistes Unterscheidung in énoncé und énonciation, um auf diese Weise anstatt nach dem Ausgesagten nach den Aus­ sageakten zu fragen.38 Mit dieser Verschiebung von der theologischen Wahrheit hin zu den Sprechakten hat er letztlich auch die Glaubensfrage zwar nicht auf­ gehoben, aber doch ausgespart und damit möglich gemacht, die mystische Rede als Redeordnung zu verstehen.39 Mystik erscheint damit als privilegierter Ort der Inszenierung von parole und voix: „La science mystique interroge donc […] la nature de la parole (venue d’une voix)“40. Die diskursive Verschiebung spielt sich zwischen Stimme und Körper ab: Ein emblematisch oder memorial geworde­ ner Körper tritt an den Ort des Sprechens und auch wenn die Rede geschrieben wird, bleibt sie unentzifferbar: „La parole est laissée hors de ce corps, écrit mais indéchiffrable“41. An der Mystikerin Teresa von Avila ist die epistemologische Tragweite dieser Rede ablesbar: Die parole als eine göttliche Rede verschwindet hinter dem inszenierten, erotischen Körper. Fable mystique – das ist die Trauer über den Verlust der Stimme und die Arbeit des Nachzeichnens dieses Verlusts Markierung der Orte ihres Verschwindens. Daran anschließend schreibt dieses Kapitel an einer weiteren fable mystique: indem sie in der Heiligenvita die Rede­ ordnung untersucht, in der die mystische Stimme einen Ort bekommt. Die Legitimität der Überzeugungskraft der Rede, die Caterina zugesprochen wird, gründet nicht in sich selbst, sondern in der Macht göttlichen Einflusses. Die Behauptung ihrer Redeweise basiert auf einem Modell spiritualisierter Rede. Jede Äußerung ist damit von radikaler Alterität bestimmt. Demzufolge hört der Beichtvater aus Caterinas Mund nicht ihre, sondern die Worte Christi: „Quis aliud querat experimentum eius, qui loquebatur in ea Christus?“ [LM Prolog I, 9; Wer suchte einen anderen Beweis, daß Christus durch sie sprach?] Caterina wird als Medium der Verkündung göttlicher Wahrheit inszeniert. Ihr Beichtvater folgt mit dieser Darstellung der Vorstellung, Mystikerinnen als Sprachrohr göttlicher Rede

37 De Certeau: La fable mystique, S. 222. 38 Mystische Rede wird bezeichnet als „un champ propre de l’allocution“. De Certeau: La fable mystique, S. 221. Zur Bestimmung der Kommunikationssituation mystischer Rede vgl. Christine Stridde: Verbalpräsenz und göttlicher Sprechakt. Zur Pragmatik spiritueller Kommunikation ‚zwischen‘ St. Trudperter Hohelied und Mechthilds von Magdeburg Das Fließende Licht der Gottheit, Stuttgart 2009, S. 39  ff. 39 Damit erübrigt sich die vielfach gestellte Frage, ob der Vita des Beichtvaters zu trauen sei. Vgl. Caroline Walker Bynum: Holy Feast and Holy Fast. The Religious Significance of Food to Medieval Women, Berkeley 1987, S. 166. 40 De Certeau: La fable mystique, S. 220. 41 Vgl. De Certeau: La fable mystique, S. 14.

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einzusetzen zu können. Wie Amor den Dichtern die irdische Liebe, so scheint Gott Caterina die göttliche Liebe, caritas, in den Mund zu legen. Aber erweist sich die Rede und ihre Darstellung nicht als weitaus komplexer und inszenierter? Wie ist dieses Sprechen im Text organisiert und welche sind die Verfahren der Rede? Wie ein antiker Rhetor wird Caterina in ihrer Heiligenvita eingeführt. Der Erzähler stellt die Eloquenz ihres Sprechens eigens heraus: Preter hec autem, quamuis scripture sue sint modis omnibus commendande nec ad com­ mendacionem ipsarum possim sufficere, modicum tamen sunt respectu sue actualis loquele, dum ageret in humanis. Dominus enim dederat ei linguam eruditissimam, ut sciret proferre sermonem ubique, uerbaque ipsius ardebant, ut facile nec erat quicumque audiens eam, qui se totaliter a calore uerborum ignitorum suorum posset abscondere. (LM Prolog I, 9) Obwohl ihre Schriften auf jede Weise zu rühmen sind und ich dazu nur sehr unzureichend tauge, sind sie gering, gemessen an ihrer mündlichen Rede zu Lebzeiten. Der Herr hatte ihr nämlich ein ungewöhnlich reiches Redetalent verliehen, das sie überall entfalten konnte. Ihre Worte brannten, so daß es für einen, der ihr zuhörte, nicht leicht war, sich der Glut ihrer feurigen Worte zu entziehen.

Das Modell für das Redetalent Caterinas ist die Hl. Katharina von Alexandrien, die als Märtyrerin für ihren Glauben gestorben sein soll und die nicht nur dem Namen nach in Genealogie zu Caterina da Siena steht, sondern auch explizit als Vorbild genannt wird: „Perpendis ne lector, si meministi alterius Katerine marti­ ris et regine“ [LM I, 116; Mein Leser, erinnere dich an die andere Caterina, an die Märtyrerin und Königin]. Die andere Caterina, Märtyrerin und Königin, stellt die Folie dar, auf der Caterinas rhetorisches Vermögen behauptet werden kann. Denn der Hl. Katharina sagt man nicht nur eine liebliche Erscheinung nach (gratiosa), sondern betont zudem ihr Redetalent (eloquentia). Aufgrund dieses Talents kann sie wortgewandt mit dem Kaiser diskutieren: „Stansque ante januam templi per varias conclusiones syllogismorum allegorice et metaphorice, diserte et mystice multa cum Caesare disputavit.“ [Und stund vor des Tempels Tür und hub an, durch unterschiedliche Schlüsse der Syllogismen allegorisch und metaphorisch, dialectisch und mystisch mit dem Kaiser mancherlei Ding zu disputieren.]42 Aus dem Wettstreit mit den Meistern der Rhetorik  – den besten des Landes  – geht Katharina als Siegerin hervor. Dieses Redetalent, das vor allem durch seine Über­

42 Jacobi a Voragine: Legenda Aurea. Vulgo historia lombardica dicta. Hrsg. v. Theodor ­Graesse, Reproductio phototypica editions tertiae 1890, Osnabrück 1965, S. 790. Die Überset­ zung zitiere ich nach der folgenden Ausgabe: Jacobus de Voragine: Legenda Aurea. Übers. von ­Richard Benz, Gütersloh 2007, S. 705.



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zeugungskraft besticht, wird dabei nicht als Wunder ausgewiesen, sondern als eine intellektuelle Fähigkeit, die ihrem Vermögen, Wunder zu bewirken, kei­ nesfalls widerspricht: „Habuit igitur beata Catherina sapientiam intellectualem in cognitione divinorum, qua maxime usa est in disputatione contra rhetores” [Sanct Katharina hatte intellectuale Weisheit in der Erkenntnis der göttlichen Dinge, die erwies sie sonderlich in der Disputation wider die Meister]43. Mit der vom Legendenschreiber vorgenommenen Deutung ihrer Heiligkeit wird die „elo­ quentia“ gleich mehrfach bestimmt. Überzeugungskraft schließt dabei die Süße der Rede keinesfalls aus: „suavissimam in attrahendo, sicut patet in Porphyrio et in regina, quos eloquii sui suavitate ad fidem attraxit; efficacissimam in con­ vincendo, sicut patet in rhetoribus, quos tam potenter convicit.“ [Ihre Rede war auch lieblich, Menschen an sich zu ziehen; als an Porphyrio und der Kaiserin offenbar ward, die sie durch die Süßigkeit ihrer Rede zu dem Glauben zog. Sie war auch kräftig in Überredung; als an den Meistern erwiesen ist, die sie mit großer Kraft überredete.]44 Um nichts steht also Katharina der Überzeugungskraft des antiken Rhetors nach, im Gegenteil, ihre Überlegenheit wird dadurch zum Ausdruck gebracht, dass sie über das rhetorische Vermögen hinaus auch noch über die Süße der Rede verfügt. Wie dieser tritt sie den Wettstreit mit den Mitteln der Rhetorik an und schlüpft mühelos in die Position des Fechters mit Worten. Nicht nur christliche Ethik, liebevolle Hingabe, sondern auch antike Rheto­ rik, Überzeugung mit Argumenten, zeichnen die Darstellung der Hl. Katharina aus.45 In der Gestalt der Heiligen vermischen sich antiker Rhetor und christliche Predigerin. Die antike Figur wird übernommen, um damit die Leuchtkraft der christlichen Heldin umso mehr herauszustellen. Alexandre Leupin spricht bei einem solchen Verfahren (am Beispiel von Tertullian) von einer rhétorique sacrée: Das gleiche Wort wird in einer anderen Bedeutung benutzt, ohne dass die neue Bedeutung eigens thematisiert würde.46 Das Redetalent Katharinas ist Thema ihrer Legende, aber die subtile Operation  – der Austausch von antiker Rheto­ rik und christlicher Ethik, den die Legende bewerkstelligen muss – wird auf der

43 Jacobi a Voragine: Legenda Aurea, S. 795. Übersetzung: Jacobus de Voragine: Legenda aurea, S. 710. 44 Jacobi a Voragine: Legenda Aurea, S. 796. Übersetzung: Jacobus de Voragine: Legenda aurea, S. 710  f. 45 Vgl. Walter Haug: Antike Rhetorik und christliche Ästhetik. In: Literaturtheorie im deut­ schen Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Ende des 13. Jahrhunderts. Eine Einführung, Darm­ stadt 1985, S. 7–24. 46 Vgl. Alexandre Leupin: Fiction et incarnation. Littérature et théologie au Moyen Âge, Paris 1993, Kap. 2: La coupure (Tertulien), S. 41–58, S. 48.

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Ebene der histoire nicht erzählt. Dass diese Umkodierung von Rhetor in Prediger mittels einer Frauenfigur vorgenommen wird, ist dabei mehr als ein Detail. Denn damit sind die Voraussetzungen für ein Sprechen geschaffen, das – anders als die eingeschlossene mystische Rede, die hors scène, d.  h. außerhalb der Bühne ist – die rhetorische, philosophische und poetische Macht ‚auf der Bühne‘ inszeniert. Die Legende der ‚alten Katharina‘ inszeniert ein Sprechen, das süß und macht­ voll zugleich ist. Diese Macht der Rede, die hier einer weiblichen Figur verlie­ hen worden ist,47 soll im Folgenden in der Legenda maior in der Wiederholung – „secundam felicissimam Katerinam“ (LM I, 116) – lesbar gemacht werden. Wozu der vorausgehende Text durch die Hervorhebung des Redetalents herausfordert, ist die Nachahmung dieser Rede als rhétorique sacrée, in der sich Immanenz und Transzendenz überkreuzen. Die Wirkungsmacht der Worte Caterinas (lingua eruditissima) steht dabei in Widerspruch zu ihrem Geschlecht. Zur Voraussetzung der medialen Befähigung wird das Sprechen einer muliercula: […] aliosque, qui sapientes erant in oculis suis et humana sciencia prediti, postquam ipsam audierant, superponere digitum ori suo et stupentes intra se musitare: ‚Quomodo hec litte­ ras scit, cum non didicerit? Vnde huic muliercule sapiencia tanta? Quis eam tam perfecte instruxit? Quis docuit eam tam alta?‘ (LM Prolog I, 9) wieder andere, die sich weltweise dünkten, legten, nachdem sie ihr zugehört hatten, den Finger auf den Mund und murmelten vor sich hin: ‚Wie kann sie so gelehrt reden, die niemals in eine Schule gegangen ist? Woher kommt die Weisheit in diesem schwachen Weib? Wer hat sie so vollkommen unterrichtet? Wer hat sie so erhabene Dinge gelehrt?‘

Weisheit und Vollkommenheit stehen in Frage, sie müssen unerklärlich sein, um die überirdische Macht behaupten zu können. Mit dem zitierten ‚Gerede‘ kommen dabei weitere Stimmen in den Text, die die Sonderstellung der Mystikerin unter­ streichen48 und garantieren, dass Caterina zum zerbrechlichen Gefäß göttlicher Rede werden kann: „in vase naturaliter infirmo et fragili“ [LM I, 91; anhand eines Gefäßes […], das von Natur aus wertlos und zerbrechlich ist].49 Dabei war die

47 Caterina bezieht sich auf die alte Heilige, vgl. dazu Luongo: Catherine of Siena. Rewriting Female Holy Authority, S. 102. 48 Vgl. André Vauchez: La spiritualité du Moyen Âge occidental. VIIIe–XIIIe siècle, Paris 1994, S. 157  ff. 49 Vgl. Scott: „Io Catarina“, S. 91  ff. Auch Judith Klinger: ‚Als sei Ich ein Anderer‘. Mysti­ sches Subjekt, Geschlecht und Autorisierung bei Caterina von Siena. In: Geschlechter­varia­tio­ nen. Gender-Konzepte im Übergang zur Neuzeit. Hrsg. von dies./Susanne Thiemann, Potsdam



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Geschlechterfrage von Anfang an Gegenstand der Heiligenvita: „Et quod amplius est mirandum et meo uidere notandum: hanc habundanciam graciarum in diebus istis in sexu fragiliori, femineo scilicet uidetur singularius operari, forsitan, ut uirorum confundat superbiam.“ [LM Prolog I, 4; Aber was noch verwunderlicher ist und was es meiner Ansicht nach festzuhalten gilt: diesen Überfluß der Gnaden scheint er in unseren Tagen vornehmlich im schwächeren Geschlecht, im weib­ lichen nämlich, hervorzurufen, vielleicht, um den Stolz der Männer zu brechen.] Damit wird der Ort eines Sprechens geschlechtlich kodiert als in sexu fragiliori und die Rede als spezifisch weibliche Rede ausgewiesen. Als weibliche Heilige inkarniert Caterina die göttliche Wahrheit [LM Prolog I, 5; sapiencia incarnata], die sie ihrem Beichtvater offenbart (reuelata) und durch die sie ihn erzogen hat (sum eductus). Die Legende, die das heilige Leben Caterinas erzählt, ist Rede über Rede, die das Schweigegebot der Beichte (silencio) bricht und Caterina zum „sancta exempla“ (LM I, 91) macht. Auch hier verweist die Rede der Heiligen auf Diotima, die Lehrmeisterin der Wahrheit und Führerin aus dem Irdischen zur Unsterblichkeit. Wie Caterina, so ist auch diese im Besitz eines Wissens, das dasjenige der anderen übersteigt.50 Sokrates hatte die Rede einer Frauenfigur, die er als seine Lehrmeisterin aner­ kannte, wiedergegeben.51 Wie zwischen Sokrates und Diotima werden auch in der Heiligenvita die Reden von Caterina und ihrem Beichtvater (als Textfigu­ ren) vermischt, basiert der Text auf einem mimetischen Effekt der Vermischung von männlicher und weiblicher Stimme.52 Der weiblichen Instanz kommt die Funktion der Wissenden zu, dem erzählenden und schreibenden Beichtvater die Wiedergabe. Sokrates’ philosophische Rede, die in einem „gioco simbolico sottile e ambiguo“53 gründet, wiederholt strukturell die Heiligenvita, wenn sie die Wunder Caterinas mit ihren Worten wiedergibt. Wissen und Weisheit werden durch die weibliche Instanz vermittelt, zu deren Aufzeichnungsmedium der Text wird.

2006 (Potsdamer Studien zur Frauen- und Geschlechterforschung. Neue Folge 1), S. 83–129, S. 100  f. 50 Adriana Cavarero: Nonostante Platone. Figure femminili nella filosofia antica, Verona 2009 (Testi 4), S. 97. 51 Vgl. Kap. II, 1.1. 52 Vgl. Cavarero: Nonostante Platone, S. 99. Vgl. John W. Coakley: Women, Men, and Spiritual Power. Female Saints and Their Male Collaborators, New York 2006, Kap. 9: Managing Holiness. Raymond of Capua and Catherine of Siena, S. 170–192. 53 Cavarero: Nonostante Platone, S. 99.

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1.1 angelus terrestris Ausgangspunkt für die Legenda Maior ist – dem Schema der légendes hagiographiques entsprechend – ein Erzählen post mortem: Die von Caterinas Beichtvater eingenommene Perspektive ermöglicht die Narration des Lebens der Heiligen von Anfang bis Ende: „ac felicissimum transitum“ (LM Prolog I, 5). Das Erzählmodell der Legenda Maior setzt den Tod der Heiligen als Überwindung des irdischen, his­ torischen und biographischen Lebens immer schon voraus: Erst die Rückschau auf das irdische Leben legitimiert und begründet ihre Heiligkeit.54 Die Heiligen­ vita schließt mit der Datierung ihres Todes: „Et tandem die, qua supra diximus, scilicet die xxviiij. mensis Aprilis, qua die celebratur festum beati Petri Martiris ordinis predicatorum, circa horam terciarum migrauit ad Christum.“ [LM III, 348; Und schließlich wanderte sie am besagten 29. April, am Fest des heiligen Petrus des Märtyrers, zur Zeit der Terz zu Christus; vgl. LM III, 367]. Der Tod ist struk­ turell Voraussetzung für die Narration in einem erzähltechnischen Sinn. Erst in dem Moment, in dem Caterina zu einer himmlischen Gestalt geworden ist, kann der Beichtvater frei sprechen und sich und sein Beichtkind als Instanzen eines Textes inszenieren. Der Tod erlaubt die parresia, d.  h. die freie Rede: „Et quia scio, quod licitum est michi, postquam euolauit ad celum, ea potissime, que in laudem eius cedunt, quamuis tunc secreta fuerant, reuelare, disputacionem, que circa hoc erat inter eam et me, jnterserere hic decreui.“ [LM I, 42; Jetzt, da sie in den Himmel eingegangen ist, darf ich alles, was ihr Ehre macht, frei bekennen, auch was zu ihren Lebzeiten unter das Beichtsiegel gefallen wäre.] Die confession mystique ist ein Akt der Nachträglichkeit eines Beichtvaters, den die Kirche zur Beaufsichtigung seinem Beichtkind an die Seite gestellt hatte. Erst nach ihrem Tod ist es möglich, dass der Beichtvater die Geständnisse öffentlich macht. Das Narrativ der Heiligenvita zielt von Anfang an darauf, die Exemplarizität seiner Heiligen zu be- und erzeugen. Bereits im Prolog unterstreicht Raimondo die immer schon wirksame überirdische Verfassung von Caterina. Wovon die Vita handeln soll, sind die „conuersacionis gesta“ einer „angelice uirginis celes­ tis pocius quam humane“ [LM Prolog I, 1; die Taten einer eher himmlischen als irdischen Jungfrau]. Exemplarizität resultiert aus der Überhöhung ihres irdischen Lebens. Die Legenda Maior etabliert eine Narration, die auf die Heilsökonomie 54 Vgl. Coakley: Women, Men, and Spiritual Power, S. 176. Auch Scott: Mystical Death, Bodily Death, S. 156, S. 162. Und Walker Bynum: The Female Body and Religious Practice in the Later Middle Ages, S. 197  f. Walker Bynum macht auf das Muster aufmerksam, durch das Geschlech­ terdualismen produziert werden: Frauenleben sind nur dann vollkommen, wenn der Tod ihre immerwährende Unberühbarkeit sichert, Männerleben hingegen, wenn die Tugend gesiegt hat oder Sühne geleistet wurde.



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abzielt: Das dargestellte Leben wird als Kontinuum aufgefasst, in dem jede Hand­ lung auf das kommende Heil beziehbar ist. Jedes Detail ihres Lebens muss daher auf ihre zukünftige Größe verweisen: „que omnia, sicut infra patebit, erant presa­ gia futurorum.“ [LM I, 31; In alledem kündigt sich Caterinas späteres Leben bereits an, wie wir weiter unten sehen werden.] Das ist auch der Grund dafür, schon die irdische Caterina entweder als himmlische Engelsfigur zu verhandeln, „ange­ lice uirginis celestis“ (LM Prolog I, 1) oder als himmlische Braut Christi, „sponsa celestis imperatoris“ (LM I, 25), die mit sapiencia ausgestattet wird.55 Mit solch göttlichen Attributen versehen, kann sie zu einer Figur des salute werden. Wie Dante in der Commedia Beatrice, so inszeniert die Heiligenvita ihre Heilige als Erscheinung, die gekommen ist, um der Menschheit Heil zu bringen: „saluatoris humanitate“ (LM Prolog I, 7).56 Ihre Attribute bilden die nachträglich ihrem Leben eingelesene Finalität ab: Sie tritt als ein Wesen auf, das vom Himmel herabgestie­ gen ist wie ein Engel: „‚Vidi angelum descendentem de celo […]‘“ [LM Prolog I, 1; ‚Und ich sah einen Engel vom Himmel fahren […]‘]. Bezeichnet wird sie antithetisch als „angelus terrestris“ und als „homo celes­ tis“: „Profecto angelum descendentem de celo. Hec enim femina, de qua sermo, non femina, sed pocius angelus terrestris uel, si malueris, homo celestis dicenda erat quam femina.“ [LM Prolog I, 6; Wahrlich einen Engel, der vom Himmel her­ abfuhr. Denn diese Frau, von der die Rede ist, sollte man nicht als Frau, sondern eher als irdischen Engel, oder, wenn Dir das besser gefällt, als himmlischen Men­ schen bezeichnen.] Die antithetische Benennung überkreuzt in Caterina das Irdi­ sche und das Himmlische: als irdischer Engel markiert sie den Weg von der Trans­ zendenz in die Immanenz, als himmlischer Mensch die umgekehrte Richtung von der Immanenz in die Transzendenz. Caterina stellt den Übertragungsort dar, an dem Immanenz und Transzendenz zueinander in Beziehung gebracht und über­ kreuzt werden.57 Ihre engelhafte Gestalt verbindet sie also mit dem Versprechen, zum himmlischen Leben anzuleiten. Wie in der Vita nuova und der Commedia, 55 Zur Tradition der weiblichen Figur der Weisheit vgl. Barbara Newman: The Pilgrimage of Christ-Sophia. In: Vox Benedictina 9/1 (1992), S. 9–37. 56 Vgl. Hugo Friedrich: Epochen der italienischen Lyrik, Frankfurt a. M. 1964, S. 58 und S. 62. Der character angelicus der Heiligen und der donna weist Parallelen zum character angelicus des Königs auf, wie ihn Kantorowicz herausgestellt hat: „The body politic of kingship appears as a likeness of the ‚holy spirits and angels‘, because it represents, like the angels, the Immutable within Time. It has been raised to angelic heigths.“ (Ernst H. Kantorowicz: The King’s Two Bodies. A Study in Mediaeval Political Theology, Princeton, New Jersey 1957, S. 8  f.) 57 Peter Strohschneider: Textheiligung. Geltungsstrategien legendarischen Erzählens im Mittelalter am Beispiel von Konrads von Würzburg „Alexius“. In: Geltungsgeschichten. Über die Stabilisierung und Legitimierung institutioneller Ordnungen. Hrsg. von Gert Melville/Hans Vor­ länder, Köln, Weimar, Wien 2002, S. 109–147, S. 113.

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wo der Auftritt Beatrices Dante auf das Heilsversprechen (salute) hin orientiert, wird mit Caterinas Heiligkeit das Versprechen und die Möglichkeit eines Weges zum jenseitigen Leben geknüpft. Das Versprechen der Heiligkeit erweist sich insbesondere im Fall der laizisti­ schen Heiligen als eine aufwendige Inszenierung. Aus der pinzochera, die den pre­ kären Anspruch des hagiographischen Textes buchstäblich in ihrer Lebensform verkörpert, musste die Effizienz des Heiligen durch einen erheblichen narrativen Aufwand erzeugt werden.58 Will man durch eine Narration die Transzendenz ihrer Figur etablieren, muss das Wirken in der Welt gegenüber der Beziehung zu Gott ins richtige Verhältnis gebracht werden. Der Form nach gehört der Gegenstand der Legende zwar einer „gottfernen Verfassung des Lebens der Menschen“ an, gleichzeitig aber soll durch sie: „weil alle schon außerhalb des Göttlichen sind – […] in den Bereich des Sakralen durch eine bestimmte fromme Technik gelangt werden.“59 Das Gelingen der dargestellten Tugendhaftigkeit hängt von der perma­ nenten Übersteigerung des Irdischen ins Überirdische ab, wobei das Versprechen ewigen Lebens als höchster Gewinn jeder Heiligenlegende implizit als Telos ein­ geschrieben ist. Eben dies macht aus der Legende keine Gattung, sondern einen „Faszinationstyp“60. Durch die Narration muss die irdische Aktivität in Propor­ tion zur tranzendenten Welt gesetzt werden: In dem Maße, in dem die Erzählung des Lebens der Caterina auf Steigerung zielt, wird ihre Verbindung zu Gott umso plausibler.61 Das dementsprechende narrative Verfahren ist die Überbietung des

58 Vgl. Maiju Lehmijoki-Gardner: Worldly Saints. Social Interaction of Dominican Penitent Women in Italy, 1200–1500, Helsinki 1999 (Bibliotheca historica 35), S. 39. Walker Bynum spricht in diesem Zusammenhang von einem „undecisive change“. Caroline Walker Bynum: Women’s Stories, Women’s Symbols. A Critique of Victor Turner’s Theory of Liminality. In: DIES.: Fragmen­ tation and Redemption. Essays on Gender and the Human Body in Medieval Religion, New York 1991, S. 27–52, S. 42. 59 Gerard Wildgruber: Legende. In: Arsen bis Zucker. Flaubert-Wörterbuch. Hrsg. von ­Barbara Vinken/Cornelia Wild, Berlin 2010, S. 180–184, S. 182 (Herv. im Orig.). Vgl. Stroh­ schneider: Textheiligung, S. 155  ff.: Die „Prekarität der Legende“ zeichnet ein Balanceakt aus: Sie besteht in der riskanten Balance zwischen vergangener Immanenz und ewiger Transzendenz. In diesem Anspruch allerdings bleibt die Legende „unauflöslich defizitär“: Sie scheitert am Ver­ such „einer repräsentationellen Verfügung über das sowohl normativ wie faktisch Unverfügba­ re“ (Strohschneider: Textheiligung, S. 140). 60 Vgl. Hans Ulrich Gumbrecht: Faszinationstyp Hagiographie. Ein historisches Experiment zur Gattungstheorie. In: Deutsche Literatur im Mittelalter. Kontakte und Perspektiven. Hugo Kuhn zum Gedenken. Hrsg. von Christoph Cormeau, Stuttgart 1979, S. 37–84. Vgl. auch Hans Robert Jauss, Theorie der Gattungen und Literatur des Mittelalters. In: Grundriß der romani­ schen Literaturen des Mittelalters. Bd. 1: Géneralités. Hrsg. von Maurice Delbouille, Heidel­ berg 1972, S. 107–138. 61 Vgl. Coakley: Women, Men, and Spiritual Power, S. 176.



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Irdischen: Erzählt wird eine Folge von Ereignissen, in denen der Einbruch des Göttlichen stattgefunden hat. Dabei übersteigt eines der erzählten Ereignisse das andere an Größe, sodass Caterina mit immer neuen Tugenden auf dem Weg ihrer Heiligkeit versehen werden kann.62 Die Unsagbarkeit der mystischen Begeg­ nungen mit Gott wird in das moralische Bild ihrer Tugendhaftigkeit übersetzt. Die prinzipiell unverfügbaren, sich der Narration entziehenden Gotteserfah­ rungen Caterinas werden als narratives Kapital der Heiligenvita ausgeschöpft: Die befremdlichen mystischen Exzesse dienen der Steigerung der Heiligkeit. Die narrative Strategie des Textes zielt darauf, den Leser in die Faszination der Wunder hineinzuziehen. Durch die zärtliche Adressierung  – „karissime lector“ (LM I, 91)  – aber auch durch den Zweifel  – „incredule“ (LM I, 91)  – wird eine Gemeinschaft zwischen dem Leser und dem Erzähler gestiftet. Der Leser wird in die Perspektive des Beichtvaters versetzt, es ist sein Blick, der die Wahrnehmung für die überirdische, engelhafte Erscheinung vorgibt: Vidi angelum descendentem de celo. Durch den Imperativ des Blickes wird Caterina zu einer Heiligen: sie ist „angelo“ und „beata“63 in Einem und damit eine Figur, die am Versprechen des Zugangs zur Transzendenz beteiligt ist. Im Moment der Verschriftlichung ihres Lebens, eingelesen in das Muster der Heiligenvita, das durch die Legenda aurea geprägt ist, wird sie zu einer Gestalt von überirdischer Macht, die in den Augen des Erzählers wie ein Engel erscheint. Dass erst die eingenommene Perspektive die Figur in dieser Weise bestimmt, zeigt sich daran, dass sich Caterina selbst nie als himmlischen Engel beschrie­ ben hat. Caterina legt auf die Inszenierung ihres überirdischen Wesens keinen Wert.64 Auch die spanische Mystikerin Teresa von Avila hat sich selbst nicht im Bild des strahlenden Engels, sondern der Melancholie gesehen, als Engel nämlich mit hängenden Flügeln: „para los demás, basta ser mujer para caérseme las alas, cuantimás“ [Im übrigen reicht es schon, Frau zu sein, daß mir die Flügel herunterfallen].65 Die eingenommene Blickrichtung teilt die Heiligenvita aber auch mit zwei anderen großen Texten des Trecento, der Commedia und dem Can-

62 Eine ganz andere, humile Erzählweise hat die bei Fawtier belegte Wundererzählung von Ca­ terina da Siena: Miracoli di Santa Caterina da Siena. In: Robert Fawtier: Sainte Catherine de Sienne. Essai de critique des sources. Bd. 1: Sources hagiographiques, Paris 1921, S. 218–233. 63 Tatiana Crivelli: „La donna che non si trova“. Guida ad un itinerario di ricerca. In: Selvagge e angeliche. Personaggi femminili della tradizione letteraria italiana. Hrsg. von Dies., in Zusam­ menarbeit mit Alessandro Bosco/Mara Santi, Leonfronte 2007, S. 7–14, S. 7. 64 Vgl. Coakley: Women, Men, and Spiritual Power, S. 177. 65 S. Teresa de Jesús: Libro de la Vida. Hrsg. von Dámaso Chicharro. Madrid 1990, X, 8 (S. 188) [Teresa von Avila: Das Buch meines Lebens. Hrsg. u. übers. Ulrich Dobhan, Elisabeth Peeters, Freiburg, Basel, Wien 2001, S. 179].

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zoniere, die sich in diesem Punkt von der Heiligenvita lediglich graduell durch ein mehr oder weniger an Irdischem bzw. Göttlichem der inszenierten Herrin unter­ scheiden. Denn was in der Legenda Maior über Caterina gesagt wird, gilt auch für Laura und Beatrice. Alle drei werden als Engelserscheinungen rezipiert. Innerhalb der Literaturgeschichte wird die Genealogie der drei weiblichen Sprecherinnen eher tentativ gesehen. Caterinas Briefe werden gelegentlich als „commedia dell’anima“66 bezeichnet. Ein Vergleich liegt in Bezug auf die ver­ gleichbare Figuration von Caterina und Beatrice vor.67 Auch Giorgio Petrocchis literaturgeschichtliche Einordnung zielt darauf, Caterina da Siena in der Marge zwischen Petrarca und Dante zu platzieren.68 Diese Einordnung verläuft über die Autornamen, sie lässt sich aber gerade durch die Inszenierung weiblicher Rede plausibilisieren. Wenn Petrocchi dafür plädiert, religiöse Autoren in den Kanon aufzunehmen, dann besteht dieser Versuch im Rückgängigmachen einer Rezep­ tion, die Caterina aus dem Kanon überhaupt erst ausgeschlossen hatte. Implizit schließt er an eine bestandene Kanonizität Caterinas an, in der bis ins 16. Jahr­ hundert Caterina die auctoritas antiker Autoren wie Cicero, Plinius, Ovid, Seneca oder Augustinus, aber auch neuerer Autoren wie Petrarca oder Ficino hatte, wenn ihr Name in Bibliothekslisten gleichberechtigt neben ihnen aufgeführt und damit diese nicht nur theologisch, sondern auch literarisch anerkannt worden war.69

66 de Sanctis: Storia della letteratura italiana, S. 114. 67 De Sanctis: Storia della letteratura italiana, S. 115. 68 Petrocchis Versuch, Caterina da Siena neben Dante und Petrarca als Autorin zu (re)habilitie­ ren, besteht darin, das Verhältnis von poesia und mistica neu zu bestimmen. Giorgio Petroc­ chi: Metodi di lettura degli scritti ascetici trecenteschi. In: Dante, Petrarch, Boccaccio. Studies in the Italian Trecento in Honor of Charles S. Singleton. Hrsg. von Aldo S. Bernardo/Anthony L. Pellegrini, Binghamton, New York 1983, S. 353–366, S. 354. Vgl. Francesco de Sanctis: Storia della letteratura italiana. Hrsg. von Benedetto Croce, Bd. 1, Bari 1939, S. 114. Auch: Edmund Garratt Gardner: Art. St. Catherine of Siena. In: The Catholic Encyclopedia. An International Work of Reference on the Constitution, Doctrine, Discipline, and History of the Catholic Church. Hrsg. von Charles George Herberman, Bd. 3, New York 1907, S. 447–448, S. 448: „The ‚Dia­ logue‘ especially, which treats of the whole spiritual life of man in the form of a series of collo­ quies between the Eternal Father and the human soul […], is the mystical counterpart of Dante’s ‚Divina Commedia‘.“ 69 Vgl. Antonio Francesco Doni: La libraria. Hrsg. von Vanni Bramanti, Mailand 1972. Cate­ rinas Dialogo erscheint unter der Rubrik „Tavola generale di tutti i libri volgari“ (S. 197  ff.) zusam­ men mit Dantes Commedia und den Discorsi von Machiavelli. Ihre Briefe werden zusammen mit Ovid, Seneca, Vergil, Augustinus aufgeführt (S. 173). Vgl. Scott: „Io Catarina“, S. 89: „By being associated with admired Latin authors from the ancient Roman, early Christian, and Renais­ sance periods, Catherine acquired the reputation of being a valid and solid literary figure.“ Erst im 19. Jahrhundert wurde – im gleichen Maße wie der literarische Kanon auf Dante und Petrarca fixiert wurde – Caterina marginalisiert.



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1.2 bocca virginea Die Organisation der Überirdischkeit erfolgt durch den jungfräulichen Mund (bocca virginea). Die Beichtsituation, in der der Beichtvater niederschreibt, was die weibliche Stimme spricht, wird als Situation imaginiert, in der der jung­ fräuliche Mund als Ort der Rede und das Sprechen als Diktat inszeniert wird. Entscheidend ist dabei nicht nur, dass Caterinas Rede von anderen in einem „scriptorium“70 aufgeschrieben wird (das ist auch der Fall bei Petrarca, der einen Sekretär hatte, auch wenn er den größten Teil seiner Gedichte selbst aufgeschrie­ ben hat71), sondern dass diesem Diktat „ein weiblicher Mund als sein Ursprung zugeschrieben“72 werden kann. Der Beichtvater und die Sekretäre sind die Aufund Nachschreiber des von Gott inspirierten Diktats der Heiligen und ihrer Offen­ barungen, was sie aufschreiben, übernehmen sie aus ihrem Mund. Wie die Rede der Herrin durch Amor so wird also auch hier die Rede vermittelt durch ein weib­ liches Medium. Das übersinnliche Ereignis diktiert Caterina an ihre Schreiber Stefano Maconi, Barduccio Canigiari, Neri di Landuccio Pagliaresi und Cristofano di Gano Guidini. Diese schreiben mit ihren Händen buchstäblich von ihrem Mund die göttlichen Worte ab, die wie ihre Briefe von Hand zu Hand weitergereicht werden: „che io stesso in parte scrissi mentre questa vergine, in modo mirabile, dettava con la sua bocca virginea.“ [die ich selbst teilweise geschrieben habe, während diese Jungfrau auf wundersame Art mit ihrem jungfräulichen Mund diktierte.]73 Die Schreibszene wird durch die bocca virginea initiiert, hinter der das Gesetz der Transzendenz steht. Als Stimme, die in Schrift übertragen wird, liefern die Beschreibungen dieses Verfahrens zugleich Schreibszenen, die am Übergang von Stimme und Schrift einen weiblichen Mund eingesetzt haben. Auch diese ‚Szene‘ wird auf die Gottesreferenz ausgerichtet, insofern sie nicht nach realistischen Maßstäben, sondern nach denen eines Wunders organisiert ist:

70 Vgl. Silvia Nocentini: Lo „scriptorium“ di Tommaso Caffarini a Venezia. In: Hagiographica 12 (2005), S. 79–144. Vgl. auch Tylus: Reclaiming Catherine of Siena, S. 217. 71 Vgl. Florian Mehltretter: Kanonisierung und Medialität. Petrarcas Rime in der Frühzeit des Buchdrucks (1470–1687). In Zusammenarbeit mit Florian Neumann, Berlin 2009, S. 17  ff. 72 Bettine Menke: „Mund“ und „Wunde“. Zur grundlosen Begründung von Texten. In: Stigma­ ta. Poetiken der Körperinschrift. Hrsg. von Dies./Barbara Vinken, München 2004, S. 269–294, S. 282. 73 An.: Il processo Castellano, S. 235 (Übersetzung von mir, C. W.). Der Sekretär Stefano Maconi tritt als Augenzeuge nicht nur darin auf, von Caterina bekehrt worden zu sein, sondern vor allem als ihr Schreiber, der ihre Briefe und Teile ihres Libro geschrieben hat. (Il processo Castellano, S. 233.) Vgl. Giuliana Cavallini: Catherine of Siena, London, New York 2005.

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Vidi ego ipsam semel dictantem duobus scriptoribus diuersas epistolas diuersis personis mictendas et de diuersis materiis nec aliquem ex eis expectare dictamen per quamcumque paruulam morulam nec audire abea, nisi quod pertinebat ad se. Quod dum nimium admira­ rer, responsum est michi per plures, qui eam nouerant ante me et frequencius uiderant eam dictantem, quod aliquando tribus, aliquando quatuor scriptoribus similiter dictauerat, ut est dictum, et cum eadem celeritate nec non et memorie firmitate. (LM Prolog I, 7) Ich habe sie oft zwei Sekretären gleichzeitig zwei verschiedene Briefe diktieren sehen, welche für verschiedene Empfängern [sic!] bestimmt und deren Inhalte völlig verschieden voneinander waren, ohne daß deswegen einer der beiden nur einen Augenblick auf ihr Diktat hätte warten oder etwas hören müssen, was nicht seinen Brief betraf. Das erstaunte mich begreiflicherweise sehr, doch versicherten mir viele Leute, die Caterina schon länger als ich kannten und denen ihre Diktate nichts Ungewöhnliches mehr waren, daß sie manch­ mal drei, ja vier Sekretären zugleich auf die gleiche Weise ebenso geläufig und mit ebenso sicherem Gedächtnis diktiert habe.74

Die Simultanität der Schreibsituation erschließt einen Raum der Rede, in dem das dargestellte Sprechen außerhalb der natürlichen Fähigkeiten situiert wird. Innerhalb dieses göttlichen Rahmens ist Caterinas Macht des Diktats möglich: als Medium, das die verba Dei höchster auctoritas empfängt und wiedergibt. In der Inszenierung wird dabei weder erwähnt, dass auch für andere Heilige Diktatsze­ nen dieser Art behauptet worden waren, noch dass die Heilige typisiert wird in Bezug auf ihre Vorbilder. Das Wunder göttlicher Transparenz beruht also immer auch auf der Nachahmung von Wundererzählungen und einer wiederholten Inszenierung des „commandment of divine love“75, das in der Nachschrift durch die Beichtväter festgehalten wird. Der Text ist funktionalisiert für die Schau des Göttlichen – „quem spiritu sancto manifeste dictante“ [LM Prolog I, 8; das ihr der Hl. Geist eingab] –, in der die transzendentale Welt ohne Zweideutigkeiten durch Caterina hindurch erscheinen kann. Schrift wird zum Wunder der Empfängnis der uirgo sacra, das die Verkündigungsszene nachstellt. Wie Maria „Hörerin der Worte des Herrn, die alles durch göttliche Vollmacht, nicht aus sich selber vermag“76, ist, so steht auch Caterina keine andere Rolle als die der Hörenden zu. Caterinas Text ist folglich nicht das Resultat ihrer Autorschaft, sondern des Hörens auf die göttliche Eingebung: „Et tamen domino sic operante uirgo sacra in 74 Vgl. LM III, 332 und An.: Il processo Castellano, S. 304. 75 Thomas of Siena: The Legend of Maria of Venice. Eingeleitet und übers. von Daniel E. Born­ stein. In: Maiju Lehmijoki-Gardner: Dominican Penitent Women, New York 2005, S. 105–176, S. 143. 76 Albrecht Koschorke: Die heilige Familie und ihre Folgen. Ein Versuch, Frankfurt a. M. 2000, S. 54.



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illa extasi posita totum illum librum dictauit, ut daretur nobis inteligi, quod liber ille non ex aliqua naturali uirtute, sed a sola sancti spiritus infusione processit.“ [LM III, 332; Und doch sorgte der Herr dafür, daß Caterina im Zustand der Ekstase das ganze Buch diktierte, was bedeutet, daß jenes Werk keiner natürlichen Fähig­ keit, sondern allein der Eingebung des Heiligen Geistes entsprang.] Dabei werden der natürliche Körper und die übernatürliche Tugend ‚der Frau‘ einander gegenübergestellt: „quod in corpore muliebri tam macerato uigi­ lijs et inedia pocius dat michi signum miraculi et infusionis supercelestis quam cuiuscumque naturalis uirtutis.“ [LM Prolog I, 7; Für eine Frau, welche obendrein noch ihre vielen wachend verbrachten Nächte und ihr Fasten geschwächt hatten, ist das nach meinem Dafürhalten eher das Zeichen eines Wunders, einer himmli­ schen Gabe als die Folge einer natürlichen Fähigkeit.] Die Schwäche des Körpers ist die Voraussetzung dafür, dass es sich bei der Übertragung der Rede in Schrift um ein Wunder handeln kann. Der geschwächte Körper verweist bereits auf die überirdische Ordnung. Dementsprechend muss die Rede als Ekstase inszeniert werden. Die Rede in Entrückung macht die mystische Szene lesbar als das Spre­ chen eines Subjekts, das nicht Herr seiner selbst ist: „Porro contenta in eo, ut relatum est michi per eius scriptores, ipsa numquam dictauit, dum utebatur corporeis sensibus, sed semper, dum actualiter in extasi posita loquebatur cum sponso suo“. [LM Prolog I, 8; Wie mir ihre Schreiber erzählten, diktierte sie ihr Buch niemals, wenn sie bei Sinnen war, sondern nur, wenn sie in der Ekstase mit ihrem Bräutigam sprach.] Das in dieser Szene dargestellte Diktat erfolgt jenseits realistisch operierender Systeme schon durch die simultane, divergente Adres­ sierung: Einerseits befindet sich Caterina im überirdischen Gespräch mit ihrem himmlischen Bräutigam, andererseits diktiert sie gleichzeitig dieses Gespräch ihren Schreibern. Die Darstellung wirkt unbeholfen, ist aber von der Komplexität simultaner, sich kreuzender Redehaltungen und Übertragungen geprägt, die in der doppelten Hinwendung  – zu einer abwesenden Instanz, zu den präsenten Schreibern  – zeigen, wie die göttlichen Zeichen in die irdische Schrift übertra­ gen werden können: in der Gleichzeitigkeit von absenten Sendern und präsenten Empfängern.77 Das Diktat imitiert hierbei das Lesen, ohne jedoch mit diesem zur Deckung zu kommen. Dies schon deshalb nicht, weil der Verstand nicht daran beteiligt ist: „Has autem epistolas ita dictabat uelociter absque cogitacionis eciam modico inte­ ruallo, ac si legeret inaliquo libro ante se posito, quitquid dicebat.“ [LM Prolog I, 7; Nun pflegte Caterina diese Briefe jeweils sehr rasch zu diktieren, ohne Pausen,

77 Vgl. Friedrich Balke, Bernhard Siegert, Joseph Vogl: Editorial zu Medien des Heiligen, Archiv für Mediengeschichte 15 (2015), S. 5–9.

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ohne nachzudenken und als läse sie in einem aufgeschlagenen Buch, was sie den Schreibern diktierte.] Im 19. Jahrhundert zeigt sich, dass die Diktatszene das Modell für eine weitere Caterina, die Mystikerin Katharina von Emmerick, ist. Bei dieser Katharina wird das Buch als etwas benutzt, das für sie je schon transparent ist und dessen Medium sie wiederum in der Nachschrift ihres Beichtvaters wird.78 Die Instanzen der Autorschaft fallen auseinander in empfangenes Wort, in gesprochene Rede und niedergeschriebenen Text. Durch eine solche hetero­ nome Autorisation werden die Zugehörigkeiten unklar und man kann fragen, zu wessen Stimme der diktierte Text überhaupt gehört. Durch die Jungfrau werden göttliche und irdische Stimme aufeinander bezogen, ohne dabei jedoch jemals zur Deckung zu gelangen. Die unsicheren Zuschreibungen verhindern damit auch die Autorisierung des Textes durch eine weibliche Autorschaft. In der Dif­ ferenz von Rede und Schrift lässt sich nicht fixieren, wer der eigentliche Urheber ist. Die Insistenz, mit der die Redeszene wiederholt berichtet wird, zeigt, wie sehr es auf dieses Moment der Uneindeutigkeit ankommt. So beschreibt der Beicht­ vater in der Vita seiner Heiligen die Szene der Verschriftlichung ihrer Rede als das immer wieder gleiche Schauspiel und mit den gleichen Topoi: als Diktat, als Offenbarung, als Ekstase: Vnde circa biennium ante transitum eius tanta claritas ueritatis sibi diuinitus est apperta, quod coacta est ipsam per scripturam effundere ac scriptores suos rogare […], quod, cum inextasi positam eam sentirent, ad scribendum essent parati, quitquid abore ipsius audi­ rent. Sicque in breui tempore compositus est quidam liber, qui continet quendam dyalogum inter unam animam, que quatuor peticiones petebat adomino, et ipsum dominum sibi res­ pondentem ac eam de multis vtilissimis ueritatibus informantem. (LM III, 349) Ungefähr zwei Jahre vor ihrem Tod wurde ihr die Wahrheit so deutlich offenbart, daß sie nicht anders konnte, als sie in einen Text zu fassen. Deswegen bat sie ihre Schreiber […], sich während ihrer Ekstasen bereitzuhalten und all das niederzuschreiben, was sie sagte. So entstand innerhalb kurzer Zeit ein gewisses Buch, das ein Gespräch zwischen einer Seele, die vier Bitten an den Herrn richtete, und dem Herrn, der darauf antwortete und sie über viele nützliche Wahrheiten belehrte, enthält.

Die Macht des Diktats, dessen Status als empfangene Rede und wortgetreue Nie­ derschrift immer wieder behauptet wird, zeigt sich eigentlich aber erst in seiner Verselbstständigung. Wie Caterinas Sprechen, so wird auch die Autorschaft des Beichtvaters durch den göttlichen Auftrag legitimiert. Das Gottesdiktat des Johannes ist das entsprechende Vorbild. In der biblischen Szene wird Johannes

78 Vgl. Menke: „Mund“ und „Wunde“, S. 286.



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der Schreibauftrag durch eine Stimme „laut wie eine Posaune“ erteilt: „Schreib das, was du siehst in ein Buch“ (Apk. 1,10). Die Legenda Maior nimmt dies auf, wenn es heißt: „‚Quod uides, scribe in libro.‘“ [LM Prolog II, 20; ‚Was Du siehst, das schreibe in ein Buch.‘] Die göttliche Stimme wird in der Heiligenvita durch die bocca virginea ersetzt, wenn der Beichtvater beschreibt, dass er Caterinas Stimme in seinem Inneren hört. Selbst noch in Abwesenheit der bocca virginea gibt Caterina die Worte vor, die der Beichtvater niederschreibt.79 Die äußere Stimme wird hierbei zu einer inneren Stimme, die nicht nur die Legitimität des Schreibens, sondern auch die Umkehrung der medialen Verhältnisse bedeutet: Wenn Caterina dem Beichtvater eingibt, was er schreiben soll, dann ist nicht sie das Medium, sondern er ihr Medium: „ita ut frequenter michi uisum fuerit ipsam quodammodo esse presentem et quasi michi dictantem, que scribo.“ [LM I, 123; Häufig habe ich das Gefühl, sie sei auf irgendeine Weise gegenwärtig und sage mir vor, was ich schreiben soll.] Der Beichtvater schreibt nicht nur das Gesehene und das Gehörte als Erinnertes nach, sondern Caterina diktiert ihm in diesem Seelengespräch, was er schreiben soll: quasi michi dictantem, que scribo. Die Heilige schreibt nicht nur an ihrem eigenen Buch, sie schreibt indirekt auch an ihrer eigenen Legende mit. Dabei ruft das verinnerlichte Diktat jene Szene aus dem Canzoniere auf, in dem Laura das Ich zum Sprechen bewegen wird: „che mi facea parlare“80. Durch die Zusicherung an die Rede der Jungfrau verdoppelt sich die Legi­ timität des Sprechens auch für den Beichtvater: Indem er Caterina einen Ort des Sprechens verschafft, wird seine Rede nicht mehr allein durch die göttliche Instanz, sondern jetzt auch durch Caterinas Rede legitimiert und die offensicht­ liche Inszenierung der Heiligen als „divine mouthpiece“81 strukturell umkehrbar. Die Einsetzung der Vita als Text von göttlicher auctoritas wird durch diese innere Stimme im Text permanent verschoben, insofern sie sich qua Text vom externen göttlichen Schreibauftrag qua Stimme unterscheidet. Durch das Zugeständnis an ihre auctoritas erschreibt sich damit der Beichtvater selbst auch einen anderen Ort des Sprechens. Die zwei unterschiedlichen Instanzen der Rede – die Stimme Caterinas und die Stimme des Beichtvaters –, die von der Kritik unterschieden

79 Zur Bestimmung des Seelengesprächs, bei dem „eine äußere Rede oder ein äußeres Ge­ spräch mit einem innerlichen, gleichsam ‚geistlichen‘ Sinn aufgenommen und weitergesponnen wird“ vgl. Bernhard Teuber: Selbstgespräch, Zwiegespräch, Seelengespräch. Zur Ökonomie spiritueller Kommunikation. In: Seelengespräche. Hrsg. Béatrice Jakobs, Volker Kapp. Berlin 2008, S. 57–79, S. 60  ff. 80 Francesco Petrarca: Le Rime. Hrsg. von Giosuè Carducci/Severino Ferrari, nuova pre­ sentazione di Gianfranco Contini, Florenz 1972 (293, 5). Vgl. Kap. IV, 1.3. 81 Scott: Mystical Death, Bodily Death, S. 139.

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werden, bilden nicht nur eine Opposition.82 Caterina kann als Medium göttlicher Worte eingesetzt und behauptet werden, indem in ihrer Vita ihrem Sprechen ein Ort gegeben wird. In dem Moment, wo dieses eine Figurenrede ist, kann sie zu etwas anderem werden. Die Rückführung ihrer Redemacht auf den einen Gott, die die einzige Möglichkeit für eine Frau darstellt, innerhalb des theologischen Rahmens zu sprechen,83 verschiebt sich im Text durch das Gesetz seiner Darstel­ lung. Gerade darin aber liegt die Möglichkeit, die auctoritas innerhalb des theo­ logischen Rahmens als Autorschaft, bei der der auctor nicht das Selbst [autòs] befestigt, sondern in Frage stellt, neu zu bestimmen.84

2 Sagen und Sehen: tout dire, tout voir 2.1 Befragungen Scheint das weibliche Medium die göttlichen Worte mühelos, simultan und wie von selbst wiederzugeben und aufzuführen, so erweist sich deren Nachschrift und Nacherzählung als widerständiger Prozess, bei dem die Jungfrau zuallerst zum Sprechen gebracht werden muss. Dieses Sprechen muss auf die ‚Bühne der Sichtbarkeit‘ gebracht und aus der mystischen krypta, von ihrem Ort außerhalb der Bühne herausgeholt werden. Wie der mystische Körper, der den corps manquant substituieren soll, so ersetzt auch die Rede die disparition fondatrice. Die wiedergegebene Rede der Mystikerin folgt spezifischen Bedingungen des Befra­ gens, die durch einen Willen zum Wissen gelenkt werden und auf die Effizienz der Darstellung des Wunders zielen. Die Macht der Rede wird in eine Macht über die Rede transformiert: „Porro factus ex hoc magis auidus inuestigandi modum mira­ culi plenius ipsam sacram virginem secrete interrogaui“. [LM II, 273; Das machte mich nun aber um so begieriger, den genauen Hergang des Wunders zu erfahren, und deswegen befragte ich Caterina in der Beichte]. Diese Befragung (inuestiga­ tione) Caterinas, in der es darum geht, die Logik des Wunders zu erforschen, folgt spezifischen Kriterien, die Caterinas Rede innerhalb eines bestimmten Sprechens als secretum organisiert. Das Geschehen muss in eine zeitliche Ordnung gebracht

82 Vgl. Scott: Mystical Death, Bodily Death, S. 144  ff. Zum selben Problem bei Hildegard von Bingen vgl. Barbara Newman: Hildegard and Her Hagiographers. The Remaking of Female Sainthood. In: Gendered Voices. Medieval Saints and their Interpreters. Hrsg. von Catherine M. Mooney, Philadelphia 1999, S. 16–34, S. 20  ff. 83 Vgl. zu dieser Debatte und ihrem Widerspruch Scott: „Io Catarina“, S. 91. 84 Vgl. Gianluca Solla: Auctor. In: Denkfiguren. Für Anselm Haverkamp/Figures of Thought. For Anselm Haverkamp. Hrsg. von Eva Horn/Michèle Lowrie, Berlin 2013, S. 39–41, S. 39.



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werden: „Quo audito perpoposci abea, ut michi per ordinem ystoriam enarraret. Et tunc, quitquid superius scripsi, michi ordinarie recitauit“. [LM II, 151; Danach forderte ich Caterina auf, mir die Geschichte der Reihe nach zu erzählen. Und dann berichtete sie mir Punkt für Punkt, was ich oben aufgeschrieben habe.] Die ystoria, die sich als lückenlose Geschichte von der Geburt Caterinas bis zu ihrem Tod liest, wird erst durch die Fragen des Beichtvaters in diese Ordnung gebracht. So wird durch gezieltes und wiederholtes Nachfragen das mystische Erlebnis ihrer Stigmatisierung narrativ erzeugt: Post quod mox me fecit uocari et secrete me alloquens ait: ‚Noueritis, pater, quod stigmata domini Ihesu sua misericordia iam ego in corpore meo porto.‘ Cumque respondissem, quod ad gestus corporeos eius, dum esset inextasi, de hoc perpendissem, petiui, qualiter hoc adomino factum fuisset, at illa respondit […]. […] Et ego: ‚Sentis ne nunc in locis illis dolorem sensibilem?‘ Jlla uero post grande suspirium ait: ‚Tantus et dolor […].‘ (LM II, 195) Bald darauf rief sie mich zu sich, um mir im Vertrauen etwas mitzuteilen. ‚Wisset, mein Vater‘, sagte sie, ‚der Herr Jesus hat sich über mich erbarmt, und ich trage jetzt seine Wund­ male an meinem Leibe.‘ Ich erwiderte, ich hätte es aus ihrem Verhalten während der Ent­ rückung erraten. Als ich sie fragte, wie der Herr das getan habe, antwortete sie […]. […] Auf meine Frage, ob sie denn nicht an jenen Stellen einen deutlichen Schmerz verspüre, ant­ wortete sie nach einem tiefen Seufzer: ‚Den Schmerz […] kann ich kaum mehr aushalten.‘

Das beharrliche Nachfragen des Beichtvaters lenkt die histoire der empfangenen Stigmata (cicatrices). Gleichzeitig folgt er dabei ihrem Begehren, von den cicatrices zu erzählen. Denn es ist Caterinas Wunsch, ihrem Beichtvater von den emp­ fangenen Stigmata zu berichten: me fecit uocari. Die Beichte wird jedoch nur zum Substitut ihres ohnehin lesbaren Körpers. Denn der Beichtvater hatte ja bereits alles gewusst: Er hatte die göttlichen Zeichen ihrem ekstatischen Körper abgele­ sen. Da Caterinas Stigmata letztlich unsichtbar bleiben, bedarf es jedoch eines Textes, um nachträglich die unsichtbaren Zeichen in die sichtbaren Zeichen der Schrift zu übersetzen. Mit großer Genauigkeit werden in ihrer Rede alle Zeichen verfolgt: „Hec ego notans et mecum non absque mesticia conferens attentus stabam, si uiderem aliqua signa tanti doloris.“ [LM II, 196; Während ich ihren Worten lauschte und nicht ohne Traurigkeit darüber nachdachte, achtete ich aufmerksam darauf, ob ich Anzeichen ihres großen Schmerzes wahrnehmen könne.] Die Heiligenvita ist nicht nur Nacherzählung des von Caterina in secretum Erzählten (que michi uoluit enarrare), récit im récit, sondern auch die Inszenierung der Methoden, nach denen Wunder befragt werden können. Dabei dienen die Ausforschungen gleichzeitig dazu, die Heilige zum exemplum zu stilisieren, wie dieses überhaupt erst hervorzubringen. Der Beichtvater dringt immer tiefer in die mystische krypta

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ein, um mehr und mehr über die Geheimnisse der göttlichen Wahrheit zu erfah­ ren. Wiederholt fordert der Beichtvater sein Beichtkind auf, ihm Erklärungen für ihr rätselhaftes Verhalten zu liefern und das in exstasis Gesehene zu erzählen. Die an Caterina exemplarisch vorgeführte Wahrheit (ueritate, misterium) erschließt sich durch die konkrete und kontinuierliche Befragung, die immer wieder über Momente der Unterbrechung hinaus  – Weinen, Schluchzen, Schweigen  – das Beichtkind zum Weiterreden veranlassen: Sed ego ad huc hesitans ad ipsam accessi diligenterque inuestigaui, quid de hoc ipsa senti­ ret, ac supplicaui, ut michi super hoc plenarie diceret ueritatem, que mox prorumpens sin­ gultuosos in fletus diucius responsionem distulit michi dare. Tandem post moram inquid: ‚Numquid non, o pater […]?‘ […] Hys auditis auidior factus sum ad indagandum rei tam mirabilis ueridicam seriem ipsa narrante, qua ex causa subintuli: ‚Numquid, mater […]?‘ (LM II, 213) Weil ich selber nicht wußte, was ich davon halten sollte, ging ich zu Caterina und forschte sie genau darüber aus. Als ich sie anflehte, mir nur die lautere Wahrheit zu sagen, brach sie in Weinen und Schluchzen aus und konnte mir lange keine Antwort geben. Endlich sagte sie mir: ‚Mein Vater […]?‘ […] Nun brannte ich darauf, mehr von ihr über diese wunderbare Angelegenheit und deren wahren Ablauf zu erfahren und fragte sie deshalb: ‚Mutter […]?‘

Eine solche „nouvelle procédure d’examen“85 wird hierbei aber nicht nur, wie Michel Foucault insistiert, darauf verwendet, verborgene Lüste, einen „corps de désir et de plaisir“86, hervorzubringen. Sie dient vor allem dazu, das Sprechen über diesen Körper in einen Raum des Sichtbaren zu übertragen. Die Prozedur des examen zwingt nicht nur der Heiligen ihre Geheimnisse ab und zerrt sie in den Raum der Schrift, um sie zum Gegenstand klerikaler Kontrolle zu machen, sondern sie ermöglicht allererst ein Sprechen der Mystikerin, das nach dem Modell von Abaelard und Heloisa ein hingebungsvolles Verhältnis stiftet.87 Das Interrogativ bestimmt die Art und Weise des Sagens und doch schafft es den Raum für die Inszenierung einer Stimme, misterium und exlamatio fallen hierbei zusammen: „‚Ha, domine, Deus meus, non appareant, obsecro, cicatrices incorpore meo exterius, sufficit michi habere interius!‘“ [LM II, 195; ‚Ach Herr, mein Gott, niemand soll diese Wunden an mir sehen, ich flehe dich an. Es reicht mir, daß ich sie in mir trage!‘] Durch die wiedergegebene direkte Rede wird das 85 Michel Foucault: Les anormaux. Cours au Collège de France. 1974–1975, Paris 1999, S. 188. 86 Foucault: Les anormaux, S. 187. Vgl. Michel Foucault: Les techniques de soi. In: Ders.: Dits et écrits 1954–1988. Bd. 2: 1976–1988. Hrsg. von Daniel Defert/François Ewald, Paris 2001, S. 1602–1632. 87 Vgl. Barbara Vinken: Die Autorität der Form in Abaelard und Heloise. In: DVJS 76,2 (2002), S. 181–193.



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Narrativ zum effizienten Mittel, auch dem verborgensten Sprechen und damit einer Sprache der Liebe einen Ort zu geben. Das Dispositiv der Beichte und die Ordnung des Geständnisses organisieren dabei eine paradoxe Redesituation, die den verborgenen Geheimnissen („secreta“, LM II, 214) die Einschreibung in die Geschichte weiblicher Rede ermöglicht. Zugleich aber folgt dieses Sichtbarma­ chen den Kriterien der Wahrheitsrede durch die Aufforderung zum vollständigen Bloßlegen des Verborgenen: „‚Obsecro, ne abscondas a me quitquam!‘“ [LM II, 215; ‚Ich beschwöre dich, verheimliche mir nichts!‘] Das Geständnis der Wunder wird durch das gleiche Gesetz der Vollständigkeit beherrscht wie das Geständnis der Sünden: „il ne s’agit plus simplement d’avouer les péchés graves, mais de tout avouer.“88 Die Bedingungen des Zustande-Kommens werden indes nicht verborgen, wenn darauf verwiesen wird, dass ein Teil des Textes diejenigen Geständnisse sind, die die Heilige durch Befragung in der Beichte ausgesagt hat: „sicut ipsa michi postmodum fuit in secreto confessa“ [LM II, 309; wie sie mir wenig später in der Beichte gestand]. Dabei oszilliert der Offenbarungswunsch des Beicht­ vaters zwischen dem Skrupel, die Geheimnisse preiszugeben und der Pflicht, sie zu entblößen: „Nec talia, fateor, me deceret proferre aut scribere, si non esset honor Dei et virginis huius sacre, que salua consciencia omitere nequeo.“ [LM II, 316; Diese Dinge dürfte ich eigentlich, ich gebe es zu, nicht veröffentlichen, aber weil es zur Ehre Gottes und Caterinas geschieht, treibt mich mein Gewissen dazu, darüber zu schreiben.] Die die Rede bestimmende Äußerungsregel – „mécanisme de l’énonciation“89  – besteht im Gebot zu schweigen. Zwar muss alles gesagt werden, aber diesem Sagen obliegt die Auflage seiner Exklusivität: „Hec autem omnia sub secreto confessori soli narrabat, ceteris uero, quantum poterat, occul­ tabat.“ [LM II, 182; Das erzählte sie aber nur ihrem Beichtvater unter dem Siegel der Verschwiegenheit, vor allen anderen versuchte sie das so weit wie möglich zu verbergen.] Das Gesagte bleibt auch dann, wenn es sich nicht um Sünde, sondern um Wunder handelt, ein „secreto confessionis“ (LM I, 28). Die gesamte Rede changiert zwischen diesen beiden Regeln: der Exklusivität, die der Wahrung des Geheimnisses dient und der Macht, die Befragte zum Sprechen zu bringen: „Tunc astrinxi eam, quod clare michi aperiret, quicquid inde sciebat.“ [LM II, 322; Nun drängte ich sie, mir alles offenzulegen, was sie wußte.] Die Sprechakte erfordern ein Drängen (astringere), um dadurch die Jungfrau zur Enthüllung zu bewegen.

88 Foucault: Les anormaux, S. 164. 89 Vgl. Foucault: Les anormaux, S. 188: „Il faut tout dire, mais il ne faut dire qu’ici et à lui. Il ne faut le dire que dans le confessionnal, à l’intérieur de l’acte de pénitence, ou à l’intérieur de la procédure de direction de conscience.“

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Jedoch werden die Bedingungen dieser Geständnispraxis immer auch in ihren Aporien vorgeführt. So zieht sich die Befragte in die Unmöglichkeit zurück über das, worüber sie zum Sprechen gebracht werden soll, Auskunft zu geben. Die Unaussprechlichkeit (ineffabilia) der Dinge, die zum Sprechen gebracht werden sollen, erweist sich als geeignetes Mittel, das Geständnis durch die Behauptung der Unzugänglichkeit zu blockieren: „quia ineffabilia sunt.“ (LM II, 185) Die Schwierigkeit der Mystikerin, das göttliche Sein in Sprache zu bringen, ist nicht nur ein Mangel, sondern stellt sich – zumindest auf der Ebene des discours – als Möglichkeit eines „sortir sans être vu“ heraus.90 Die diskursiven Bedingungen der Rede und ihrer Unterbrechungen zeigen sich insbesondere dort, wo es zu Auslassungen der Rede kommt. Immer dann, wenn der Beichtvater seine eigenen Unzulänglichkeiten betont, wird die effi­ ziente Redeordnung unterbrochen: Nunc igitur noueris, quod de quibusdam materijs ipsa mecum pluries et pluries est locuta, nec memorari possum formaliter de omnibus uerbis eius tum propter negligenciam et  – prochpudor – ignauiam meam (LM II, 123) Nun solltest du aber bedenken, daß sich Caterina mit mir über manche Dinge öfter und immer wieder unterhalten hat und daß ich nicht alle ihre Reden wörtlich im Gedächtnis behalten habe. Schuld daran ist meine Unaufmerksamkeit und – Gott sei’s geklagt – meine Trägheit.

Die durch das Geständnis erzeugte Rede ist keine lückenlose Rede, die Vita nicht ihr lückenloses Protokoll.91 Zwar ist das Geständnis vollständig zu erbrin­ gen gemäß dem Imperativ ‚Du darfst nichts verschweigen!‘, aber die Nieder­ schrift erfolgt nicht mit der gleichen Strenge. Gerade diejenigen Worte, die den Beichtvater erleuchtet haben, werden vom Text ausgelassen: „potissime circa materiam, dequa ipsa michi loquebatur, quam taceo, quod quasi sum expertus id, quod dominus promitens spiritum sanctum dixit discipulis […]“. [LM I, 91; Das gilt besonders für die Dinge, über die Caterina mit mir gesprochen hatte und die ich hier nicht mitteilen möchte. Es war, als ob mir das Wort des Herrn zuteil würde, als er seinen Jüngern den Heiligen Geist versprach und zu ihnen sagte […]] Die unvollständige Nachschrift dient dazu, die Vita zu einem Ort der Möglich­ keit auch seiner Erleuchtung, der Erleuchtungen des Beichtvaters und damit

90 Irigaray: La mystérique, S. 239. 91 Vgl. C. W.: Autorität der Schrift. Il Memoriale von Angela von Foligno. In: Das Buch in den Büchern. Wechselwirkungen von Bibel und Literatur. Hrsg. von Andrea Polaschegg/Daniel Weidner, München 2012, S. 151–165.



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des Lesers zu machen. Das Narrativ des Geständnisses verselbstständigt sich, um nun seinerseits den Erfahrungen des Beichtvaters mit dem Göttlichen einen Platz zu verschaffen. Die Ordnung der Beichte befördert auf diese Weise nicht nur Caterinas Visionen ans Tageslicht. Die Auslassungen, die als Nachlässigkeit und Trägheit behauptet werden (negligencia, ignauia) sind gleichzeitig narrative Leerstellen – als Inszenierungen von „Unlesbarkeit der Schrift“92 –, die möglich machen, dass die Legende nicht nur von der Heiligkeit Caterinas, sondern auch der des Beichtvaters handelt. Die Teilhabe am Göttlichen für den lector karissime wird durch die Appellfunk­ tion der Heiligenvita ermöglicht, durch ihre „kommunikative Präsenzstiftung“93, die einerseits durch die Adressierung des Lesers im Text angelegt ist, andererseits aber auch dadurch, dass die Teilnahme im Text bereits durch die Übernahme von Sprecherrollen vollzogen wird. Die Befragung erschließt sich nicht allein als repressive Maßnahme, denn das würde ihrer Appellfunktion auch widersprechen. Sie funktioniert als Dispositiv einer Rede, in der ein Nachsprechen und Wieder­ geben, Hören und Sprechen eingeübt und zu den Bedingungen der Darstellungen überhaupt werden kann. Die narrative Struktur ist somit offen auch dafür, dass Caterina die Beichtrede einfordern und sich freiwillig ihrem Beicht­vater anver­ trauen kann. Die Schilderung der Stigmatisierung geschieht unter den Bedingun­ gen der nouvelle procédure de l’examen, die Befragung hat jedoch zwei Seiten: Sie entreißt das Göttliche der Sphäre des Unsichtbaren, Geheimen und Verborgenen, aber dieser Vorgang ist nie vollständig. Dabei wird gerade durch diesen Vorgang die Heiligenlegende zum Schauplatz der Szene der Stigmatisierung und der Rede der Mystikerin, die als wörtliche Rede inszeniert wird: ‚Dominum vidi crucifixum super me magno cum lumine descendentem, propter quod ex impetu mentis volentis suo creatori occurrere corpusculum coactum est erigere se. Tunc ex sacratissimorum suorum cicatricibus uulnerum quinque inme radios sanguineos vidi descendere, qui admanus, pedes et cor mei tendebant corpusculi. Quapropter aduertens misterium continue exclamui: ‚Ha, domine, Deus meus, non appareant, obsecro, cicatrices incorpore meo exterius, sufficit michi habere interius!‘ […]‘ (LM II, 195) ‚Ich schaute über mir den Herrn am Kreuz in strahlendem Glanze. Er neigte sich zu mir herab, und ich wollte ihm, meinem Schöpfer, stürmisch entgegeneilen; deswegen mußte

92 Vgl. Peter Strohschneider: Unlesbarkeit von Schrift. Literaturhistorische Anmerkungen zu Schriftpraxen in der religiösen Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts. In: Regeln der Bedeu­ tung. Zur Theorie der Bedeutung literarischer Texte. Hrsg. Fotis Jannidis u.  a., Berlin, New York 2003, S. 591–627. 93 Stridde: Verbalpräsenz und göttlicher Sprechakt, S. 40.

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ich mich aufrichten. Nun brachen fünf blutrote Strahlen aus seinen fünf hochheiligen Wundmalen hervor, die auf meine Hände, meine Füße und mein Herz zielten. Im gleichen Augenblick durchfuhr es mich, was dies bedeute, und ich schrie ohne Unterlaß: ‚Ach Herr, mein Gott, niemand soll diese Wunden an mir sehen, ich flehe dich an. Es reicht mir, daß ich sie in mir trage!‘ […]‘

Die Forderung nach der Unsichtbarkeit der göttlichen Zeichen setzt noch einmal das Dispositiv der Rede ins Bild und damit die Bedingungen des Zur-Rede-Kom­ mens: Wie die Wundzeichen, die verborgen bleiben müssen, gehören auch die Worte Caterinas der Ordnung des secretum an. Es gibt keinen authentischen Ort mystischer Rede, ihre Exklamationen sind auch als wörtliche Rede wieder­ gegeben und zitiert und erst durch die Logik des Geständnisses nachträglich überhaupt erst möglich geworden.94 Die Sprache der Liebe ist bei Caterina also von einem Mangel gezeichnet: einem Mangel nicht nur des Selbst, sondern der Stimme, die nur als eine in die Worte des Beichtvaters eingeschlossene Stimme entfaltet werden kann.

2.2 Ekstase Die Möglichkeit des Sprechens der Heiligen wird also am Dispositiv der Beichte ausgerichtet und diesem eine Stimme zugrunde gelegt, durch die Caterina nicht Herrin ihrer selbst zu sein scheint. Um in die klerikale Ordnung und darüber hinaus auch in die anderen Diskurse aufgenommen zu werden, muss ihr Sprechen als etwas inszeniert werden, das sich ihrer Kontrolle entzieht, als Ekstase oder Raptus: Sed uidi ego semel eam raptam a sensibus humanis modo, quo supra est declaratum, audiuique musitantem uoce submissa. Cumque apropinquassem, discreui uerbum eius for­ maliter et in Latino, videlicet: ‚Uidi archana Dei, vidi archana Dei.‘ Et iterum atque iterum: ‚Vidi archana Dei.‘ Nec aliud quitquam subinferebat, sed illud tantum modo repetabat. (LM II, 185) Einmal habe ich sie leise flüstern hören, während sie ihrer äußeren Sinne in der bereits angedeuteten Weise beraubt war. Als ich näher trat, vernahm ich deutlich die lateinischen Worte: ‚Vidi arcana Dei, vidi arcana Dei‘, immer wieder dieselben Worte: ‚Vidi arcana Dei‘; nichts anderes kam über ihre Lippen.

94 Vgl. demgegenüber das leise Klagen in der Beschreibung der Stigmatisierung der Teresa von Avila: „Veíale en las manos un dardo de oro largo […]. Era grande el dolor que me hacía dar aquellos quejidos“ [Ich sah in seinen Händen einen langen goldenen Pfeil […]. Der Schmerz war so stark, daß er mich diese Klage ausstoßen ließ]. S. Teresa de Jesús: Libro de la Vida, XXIX, 13 (S. 353). [Teresa von Avila, Das Buch meines Lebns, S. 427]



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Ihre lateinischen Worte äußert sie in einem Zustand, der als Raub ihrer Sinne (rapta a sensibus) bezeichnet wird. Wie die Hysterikerin, die ihre Krankheit auf­ führen muss, wird Caterina ihre Heiligkeit spielen.95 In der Beichte kann sie zum Sprechen gebracht werden, in der Ekstase kommt das Reden wie von selbst: als Sprechen von einer Empfindung, von der sie nichts weiß und das Jacques Lacan „jaculations mystiques“96 nennt. Caterina kann daher ihr Buch immer nur als etwas ausgeben, dessen Voraussetzungen außerhalb ihrer Macht liegen: „dettato in astrazione“97. Die Zustände, in denen sie spricht und diktiert, in denen sie aber nicht weiß, was sie spricht und diktiert, werden folglich nicht nur von ihr selbst, sondern von ihren Sekretären und Beichtvätern sehr genau erfasst und beschrie­ ben: Propter quod ipsa frequenter excessum illum, qui dicitur extasis, paciebatur in corpore, sicut mille, ut ita dixerim, uicibus uidimus et experti sumus, ego et fratres mei, qui ab ipsa eramus spiritaliter in domino geniti uerbo uite. Mox namque ut sacri sponsi memoria paulisper recentificabatur in anima sancta illa, a sensibus se corporeis, quantum poterat, retrahebat, et extremitates corporis, scilicet manus et pedes contrahebantur et tabescebant. Primo quidem in digitis, sed tandem eciam in se ipsis locisque, ubi se applicabant, tam rigide adherebant, quod frangi seu comminui potius potuissent, quam inde quomodolibet commoueri. Occuli eciam claudebantur ex toto et collum rigiditate illa tabefiebat, ita ut non paruum esset corporis sui periculum collum sibi tangere illo in tempore. (LM II, 126) Deswegen geriet ihr Körper häufig in jenen entrückten Zustand, den man Ekstase nennt. Ich übertreibe nicht: sicher tausendmal haben meine Brüder und ich diese Verzückungen bei Caterina erlebt, wir, die sie uns durch das lebensspendende Wort geistlich im Herrn geboren hatte. Sie brauchte nur ein Weilchen an ihren heiligen Bräutigam zu denken, und schon zog sich die Seele mit Ungestüm aus dem Bereich der körperlichen Sinne zurück. Ihre Extremitäten, nämlich Hände und Füße, verkrampften sich und wurden kraftlos. Zuerst ver­ steiften sich die Finger, dann alle übrigen Glieder und Gelenke, und man hätte sie eher hätte [sic!] brechen als irgendwie bewegen können. Die Augen waren geschlossen, und der

95 Vgl. dazu Cristina Mazzoni: Saint Hysteria. Neurosis, Mysticism, and Gender in European Culture, Ithaca, London 1996, S. 17–53. Sowie: Elisabeth Bronfen: The Knotted Subject. Hyste­ ria and its Discontents, Princeton 1998, S. 178  ff. Auch: Jean-Martin Charcot: La foi qui guérit (1897), Paris 2008. 96 Vgl. Jacques Lacan: Le séminaire. Livre XX: Encore. Hrsg. von Jacques-Alain Miller, Paris 1975, S. 71: „Il est clair que le témoignage essentiel des mystiques, c’est justement de dire qu’ils l’éprouvent, mais qu’ils n’en savent rien.“ In die jaculations mystiques schließt Lacan seine eige­ nen Écrits ein, d.  h. dass auch Lacan in dieser Perspektive gelesen werden könnte. 97 S. Caterina da Siena: Il dialogo della divina provvidenza ovvero Libro della divina dottrina. Hrsg. von Giuliana Cavallini, Siena 1995, S. 588.

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Hals wurde in diesem Krampf so kraftlos, daß es einigermaßen lebensgefährlich für Cate­ rina gewesen wäre, hätte man ihn in diesem Zustand angefaßt.98

Die Darstellung der Ekstase, die Aufführung des Wunders, folgt der Ordnung des tout voir, die neben dem tout dire die zweite Ordnung bildet, durch die die mysti­ schen Erfahrungen in das Feld der sichtbaren Institution übertragen werden und ihre „représentation ecclésiale“99 ermöglicht wird. Die Inszenierung, auch des Sprechens als Diktat, erfolgt mittels der Ekstase (inextasi): „ac scriptores suos rogare […], quod, cum inextasi positam eam senti­ rent, ad scribendum essent parati, quitquid abore ipsius audirent.“ [LM III, 349; Deswegen bat sie ihre Schreiber […], sich während ihrer Ekstasen bereitzuhalten und all das niederzuschreiben, was sie sagte.] Für die Behauptung eines Spre­ chens aus dem Heiligen Geist heraus ist eine Trennung zwischen Körper und Geist notwendig: „et spiritus eius tam fixe suo inherebat et omnium conditori, quod partem inferiorem et sensitiuam pro maiori parte temporis relinquebat absque actibus sensitiuis.“ [LM II, 178; Und während sich ihr Geist in den Schöp­ fer der Welt versenkte, blieb ihr irdischer Leib zumeist ohne Bewußtsein zurück.] Einerseits sind solche Zustände der Bewusstlosigkeit überhaupt erst die Voraus­ setzung für das Diktat, andererseits blockieren sie immer auch die Rede: Cepit et enim dominus ex tunc non tantum in locis secretis, ut prius consueuerat, sed eciam in patentibus palam et familiariter se ostendere sponse sue tam eunti quam stanti tantumque ignem sui amoris in eius corde accendere, quod ipsa met, que diuina hec pacie­ batur, fatebatur suo confessori de plano ad exprimendum, quod senciebat, nulla uocabula inuenire. (LM II, 178) Denn der Herr begann sich Caterina nicht nur in der Abgeschiedenheit, wie bisher, sondern in aller Öffentlichkeit freundschaftlich zu nähern. Wo sie ging und stand, entzündete er in ihrem Herzen das Feuer, und sie selber sagte ihrem Beichtvater, daß es mit keinen Worten auszudrücken sei, was sie während dieser Offenbarungen erlebte.

Die betonte Differenz zwischen der ekstatischen Erfahrung und der uocabula verweist einerseits auf das grundlegende Darstellungsproblem mystischer Erfah­ rung, andererseits ist sie die Bedingung dafür, dass die göttlichen uocabula von dem Mund der Jungfrau überhaupt gesprochen werden können.

98 Vgl. An: Il processo Castellano, S. 262. 99 De Certeau: La fable mystique, S. 118.

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2.3 Analphabetismus Nicht nur Caterinas Sprechen wird als Ekstase inszeniert, auch ihr Schrei­ben gehört einer Ordnung an, in der das Subjekt nicht Herr seiner selbst ist. Denn die Tatsache, dass Caterina selbst schreibt, liegt im Bereich des idioto humile100. Darin fallen Schrei­ben und Analphabetismus zusammen: „Quamuis enim in proprio sermone uulgari loquatur in eis, quia non cognouit literaturam, quia tamen introiuit in potencias domini cum claui profunditatis profunde“. [LM  Prolog I, 7; Auch wenn Caterina ihre Briefe in ihrer Muttersprache diktierte, da sie nicht schreiben konnte, so erschloß ihr der Schlüssel zum Abgrund die göttliche Macht in all ihrer Tiefe.] Ihr Analphabetismus schließt dabei weder das Diktat noch das Erkenntnisvermögen aus. Es handelt sich um einen Analphabetismus, der sich auf die Wahl der Sprache bezieht. Das Diktat setzt nicht nur das Lesen-Können nicht voraus, es erfolgt eben auch in der Sprache des Volkes (uulgare), die offen­ sichtlich die Kenntnis der lateinischen Schrift nicht erfordert. Wird Caterinas Schrei­ben-Können an dieser Stelle ganz ausgeschlossen: non cognouit literaturam, so wird ihr zumindest zugestanden, lesen zu können. Auch hier wieder gehört das Lesen zur Kategorie des Wunders.101 Dieses Wunder betrifft das volgare, d.  h. dass das Wunder selbst offensichtlich als volkssprach­ liches konstruiert wird, das vom Raum des Wissens des Beichtvaters  – seinem Kirchenlatein – abgesetzt wird: Verum quia mencio facta est hic de psalmodia, scire te uolo, lector, quod uirgo hec sacra lit­ teras quidem sciebat, sed eas homine uiatore docente nequaquam didicerat. Et dico litteras, non quod sciret Latinum loqui, sed sciuit legere litteras et proferre. Narrabat et enim michi de se met ipsa, quod, cum prodiuinis laudibus horis canonicis depromendis decreuisset adiscere litteras, scripto sibi alphabeto per quandam suam sociam docebatur. (LM I, 113) Da ich das Psalmengebet bereits erwähnt habe, sollst du, mein Leser, auch wissen, daß die heilige Jungfrau lesen konnte, obschon sie es von keinem lebenden Menschen gelernt hatte. Wenn ich lesen sage, so handelt es sich um das Lesen auf italienisch [sic!]; Latein konnte sie nicht. Sie hat mir selber erzählt, wie sie eines Tages beschlossen hatte, lesen zu lernen, um das kirchliche Stundengebet zu beten und Gott auf diese Weise preisen zu können. Eine Mitschwester schrieb ihr das ABC auf und lehrte sie es.

100 Vgl. Tylus: Reclaiming Catherine of Siena, S. 234. 101 Anders berichten die Miracoli di Santa Caterina da Siena von Caterinas Lesekompetenz. Hier wird mit großer Selbstverständlichkeit (und ohne es als Wunder zu inszenieren) erwähnt, dass Caterina ihre Zeit damit verbringt, zu lesen. (Vgl. Miracoli di Santa Caterina da Siena, S. 223). Zur Frage der Autorschaft der Miracoli vgl. S. 267  f. Auch: Lehmijoki-Gardner: Domenican Penitent Women, Kap. The Miracoli of Catherine of Siena, S. 87–104, S. 94.

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Wiederum unterscheidet Raimondo zwischen zwei Stufen des Analphabetismus: Lesen heißt Lesen-Können in volgare, was offensichtlich nicht Bestandteil der Alphabetisierung ist. Das Wunder ist ein ganz und gar volkssprachliches Wunder. Diese Unterscheidung zwischen lateinischer Alphabetisierung und volkssprach­ lichem Analphabetismus zeigt, weshalb trotz des offensichtlichen Lesen-Kön­ nens die Behauptung des Analphabetismus der Caterina fortgewirkt hat. Das Beherrschen des Lesens wird letztlich als Manifestation des Göttlichen gedeutet: „Mira res et diuine uirtutis manifestum indicium: antequam de oracione surgeret, ita diuinitus est docta, quod, postquam ab ipsa surrexit oracione, omnem sciuit litteram legere tam velociter et expedite sicut quicumque doctissimus.“ [LM I, 113; Und einmal mehr offenbart sich uns Staunenden das Wirken der göttlichen Kraft: bevor Caterina nämlich noch vom Gebet aufgestanden war, hatte ihr Gott das beigebracht, was nötig war, um unmittelbar danach einen geschriebenen Text so rasch und behende zu lesen, wie nur irgendein hochgelehrter Mann.] Für das Lesen-Können wie ein doctissimus muss das Wirken Gottes beansprucht werden. Die Beherrschung des ABC reicht zur Legitimation nicht aus. Den Beweis hierfür findet der Beichtvater Caterinas in ihrer Unfähigkeit zu buchstabieren. Nur wer das Gelesene auch buchstabieren kann, beherrscht das Lesen, alles andere fällt unter die Ordnung des Wunders: Quod ego ipse, dum fui expertus, stupebam potissime propter id, quod inueni, quia, cum uelocissime legeret, si iubebatur silabicare, in nullo sciebat aliquid dicere, ymo uix litteras cognoscebat, quod extimo pro signo miraculi tunc adomino ordinatum fuisse. (LM I, 113) Aber mehr noch staunte ich, als ich entdeckte, daß sie zwar sehr geläufig lesen konnte, forderte man sie aber auf, die Worte zu buchstabieren, war sie dazu nicht in der Lage, ja sie kannte mit knapper Not die einzelnen Buchstaben. Ich persönlich halte das für ein Wunder­ zeichen, das der Herr hier gewirkt hat.

Die Vita erzeugt damit eine Ambivalenz hinsichtlich des Status’ der Caterina: Sie wird als „magistra uirtutum“ (LM Prolog I, 14), als Tugendlehrerin, behandelt, aber diese Lehrtätigkeit gründet nicht auf ihrem Wissen, sondern vor allem in den Wundern, die sich durch sie manifestieren.102 Die Begründung für ihre Wun­

102 Diese Ambivalenz beherrscht auch die früheste Rezeption der Vida von Teresa von Avila. Die Behauptung der spontan eingegebenen göttlichen Schrift geht über die Sorgfalt und Sorge des Schreibens hinweg, die Teresa an den Tag legt. So wird bspw. berichtet, dass sie nachts auf­ steht, um ihre Briefe zu korrigieren, wie auch, dass sie die Korrekturen der Beichtväter und Ko­ pisten in ihren Schriften rückgängig macht, vgl. Gillian T. W. Ahlgren: Teresa of Avila and the Politics of Sanctity, Ithaca, New York 1996, Kap. 3: The Right to Write. Authority and Rhetorical



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dertätigkeit, die der Text liefert, geht damit einher, ihr Wissen und Können zu dissoziieren. Würde es jedoch ihre Bedeutung als himmlische Gestalt schmä­ lern, wenn sie zudem auch noch das Alphabet und das Lateinische beherrschen würde? Bei Thomas von Aquin jedenfalls geht Heiligkeit mit Wissen und Alpha­ betisierung Hand in Hand. Die Legende ist die Geschichte eines volkssprachlichen Analphabetismus. Sie verfährt jedoch in der Darstellung dieses Analphabetismus keineswegs kon­ sequent. Denn trotz aller Bemühungen Caterinas Analphabetismus zu betonen, wird immer wieder auch von ihrer Lektüre berichtet, die dem behaupteten Status des Analphabetismus widerspricht: „Hoc facto cepit libros querere diuinum officium contintentes et in ipsis legere psalmos, ymnos et reliqua, que pro cano­ nicis horis sunt ordinata.“ [LM I, 113; Nach diesem Ereignis verschaffte sich Cate­ rina die für die kirchlichen Tageszeiten erforderlichen Bücher und las aus ihnen die Psalmen, Hymnen und alles, was zum Stundengebet gehört.] Wann immer ihr Lesen-Können thematisiert wird, fällt es mit der Unterscheidung in Latein und „suo proprio uulgari“ (LM I, 113) zusammen. Demnach handelt es sich um einen spezifischen Analphabetismus, der ein bestimmtes semiotisches Vermögen keinesfalls ausschließt. Die Widersprüche manifestieren den Anspruch, die Behauptung des Analphabetismus trotz der offensichtlichen Fähigkeiten Caterinas aufrecht zu halten. Die Möglichkeit, sie als Wunder zu zeigen, rettet über diese Paradoxie hinweg, so dass schließlich auch das Schrei­ben-Können das eine Mal ausgeschlossen, das andere Mal möglich ist. Wie das Wunder ihres Lesens vollzieht sich auch das Wunder ihres Schreibens in der Volkssprache: „Verum quia non solum apparuit in supradicta uirgine sin­ gulare de litteratura seu supradicta lectura miraculum, sed eciam descriptura“. [LM I, 113; Aber diese Jungfrau erlernte nicht nur auf wundersame Art das Lesen, sondern ebenso das Schrei­ben.] Zur Paradoxie des Analphabetismus gehört, dass Caterina auch als Ausle­ gende dargestellt wird. Wiederum wird ihr Vermögen nicht einfach anerkannt, sondern als Ausnahme dargestellt. Tatsächlich geht die Legenda Maior immerhin so weit, Caterinas Dialogo mit der Civitas Dei von Augustinus zu vergleichen: Tibi autem, lector carissime, dico, quod, si recolis duas illas ciuitates, quas in libro de ciui­ tate Dei nominat Augustinus, quarum alteram constituit amor proprius veniens usque ad

Strategy in Teresa’s Works, S. 67–84, S. 79. Vgl. auch S. 78: „For many of Teresa’s male contem­ poraries, the theory of divine inspiration was the only way to account for the fact that a woman could explain such exalted doctrine.“

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 Caterinas Stimme

contemptum Dei, alteram uero Dei amor veniens usque ad contemptum sui, mox perpen­ des, qualis est hec doctrina. (LM I, 102) Dir aber, liebster Leser, will ich folgendes sagen: Wenn du dich an die beiden Städte erin­ nerst, die Augustin in seiner ‚Gottesstadt‘ erwähnt – in der einen regiert die Eigenliebe, die zur Verachtung Gottes führt, in der anderen die Gottesliebe, die zur Verachtung des eigenen Selbst führt –, dann begreifst du bald die Lehre Caterinas.

Auch wenn Raimondo Caterinas Lehre an die Civitas Dei des Augustinus an­ schließt, steht Caterina doch nicht die gleiche Auslegungshoheit zu. Und auch wenn der Beichtvater dafür Bewunderung ausdrückt, so positioniert er sie durch das zum Ausdruck gebrachte Befremden und die Exzeptionalität ihrer Auslegung außerhalb der Tradition: „Et adducebat ad hoc uerba, que saluator dixit orando, secundum vnam exposicionem, quam nusquam recolo me legisse nec audiuisse nisi ab ea.“ [LM II, 208; Und sie führte zum Beleg dafür die Bitte des Heilands an, die sie in einer Art und Weise auslegte, wie ich sie meines Wissens nach bei nie­ mandem sonst gelesen oder gehört habe.] Caterinas Auslegungen werden streng von der Exegese durch die doctores unterschieden (LM II, 209) und damit wird der Unterschied zwischen der volkssprachlichen expositio der Mystikerin und der lateinischen expositio der Kirchenväter überhaupt erst konstituiert. In einem längeren Einschub (adjunta)  – vermutet als ein Textstück, das nicht aus der Hand des Beichtvaters stammt – berichtet die Vita vom Wunder des Schreibens Caterinas: […] sumpto calamo siue penna et carta modica de papiro, cum numquam alias scripsisset uel ad scribendum aliquatenus didicisset, consedit et scribere cepit ac sequencia uerba de competenti satis lictera scripsit licet insuo proprio uulgari sermone incartula prelibata […], que fuerunt ista videlicet: ‚Spiritus sancte, veni in cor meum […].‘ (LM I, 113) Sie nahm eine Feder und ein Stück Papier und sie, die sonst niemals etwas geschrieben hatte oder im Schrei­ben unterrichtet worden war, setzte sich nieder und fing an, die fol­ genden Worte auf besagtes Papier zu schreiben. Der gut zu lesende Text war auf italienisch [sic!] geschrieben […]: ‚Heiliger Geist, komme in mein Herz. […]‘

Von dem erwähnten Schriftstück wird behauptet, dass es das einzige sei, das jemals von Caterina mit eigener Hand, insuo proprio uulgari, verfasst wurde. Die Begründung seiner Überirdischkeit liegt im Paradox einer vollkommenen Schrift in volgare aus der Hand einer Analphabetin: „Jn signum autem euidentis miraculi talis fuit qualitatis et forme eius supradicta scriptura, quod non posset similis fieri per aliquem, nisi eciam per bonum temporis spacium tam silabicare quam



Sagen und Sehen: tout dire, tout voir 

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eciam licteras componere et scribere didicisset.“ [LM I, 113; Was nun ganz offen­ kundig für ein Wunder spricht, ist, daß ihre Schrift von solcher Güte war, daß sie nicht von jemandem stammen konnte, der erst vor kurzer Zeit Lesen und Schrei­ ben gelernt hatte.] Caterinas zitierte Liebesrede – denn der Gegenstand des von ihr geschriebenen Textes ist die dulcissimo amore des dulcis dominator  – wird durch die Bedingungen, unter denen sie entstanden ist, außerhalb der alphabeti­ schen Ordnung situiert. Die wunderbare Überhöhung widerspricht der Tatsache ihrer Analphabetisierung nicht und somit kann sowohl Caterinas Schrift als auch ihre Liebesrede der transzendenten Ordnung zugewiesen werden. Die Schreibakte der Heiligen finden innerhalb der alphabetisierten Ordnung der Kirchenmänner nur einen marginalen Platz, selbst dann, wenn diese genau wie sie selbst schreibt. Damit bleibt dieses Schriftstück auch ihr einziges aus eigener Hand: „Quibus uerbis conscriptis nusquam reperitur, quod ex tunc aliquid aliud per seipsam scripserit“ [LM I, 113; Etwas anderes schrieb sie dann nicht mehr mit eigener Hand, obwohl sie mit der Unterstützung von anderen noch viel Bemerkenswertes veröffentlichte]. Ehrerbietung kommt der hand­ schriftlichen Aufzeichnung ihrer Liebesrede nicht durch Lesbarkeit, sondern als Gegenstand der Anbetung zugute: Die Handschrift wird als Reliquie, „virginis reliquiis“ (LM I, 113), behandelt.103 Die Partizipation am Wissen verweist somit auf die transzendente Ordnung, was auch ihre Äußerungen unterstreichen, mit denen sich die Heilige immer wieder demütig in ihrem Unvermögen und ihren Unzulänglichkeiten ausstellt: „Tuncilla, ‚tantam‘, inquit, ‚conscienciam haberem uobis illud, quod uidi, defec­ tiuis istis uocabulis explanare […], et id, quod uerbis exprimi potest, quod quasi contraria esse uidentur.‘“ [LM II, 185; ‚Ich hätte Gewissensbisse‘, erwiderte sie, ‚wollte ich Euch mit meinen unzulänglichen Worten erklären, was ich gesehen habe. […] Ich habe fast den Eindruck, als ob es sich dabei um zwei unvereinbare Dinge handele!‘] Der Topos der Unsagbarkeit fügt sich in den Analphabetismus der von Gott auserwählten Jungfrau. Er zeugt nicht nur vom qualitativen Sprung zwischen Rede und Erfahrung, zwischen Gott und Schrift, sondern ist Bestandteil des theologischen Dispositivs, das die Voraussetzung für die Heiligenvita ist. Dieser Ordnung widersprechen Beweise von Caterinas Gelehrtheit nicht. Mehrfach bezeichnet ihr Beichtvater sie als „matrem et magistram“ (LM II, 197). Offenbar war sie sogar fähig, die Kirchenväter zu studieren. Auffällig ist auch hier, dass das Zugeständnis an ihr Studium zugleich zurückgenommen und als voraussetzungsloses Können, als Wunder, dargestellt wird:

103 Vgl. Nocentini: Lo „scriptorium“ di Tommaso Caffarini a Venezia, S. 108.

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 Caterinas Stimme

Prout enim michi nimis indigno ipsa humiliter confessa est in secreto, illo tempore uitam et mores sanctorum patrum Egiptiorum nec non et gesta quorundam sanctorum et potissime beati Dominici nullo tradente hominum nullaque leccione precedente sola spiritus infu­ sione didicit et cognouit. (LM I, 31) Wie sie mir allzu Unwürdigen während der Beichte, ohne viel Aufhebens darum zu machen, anvertraute, studierte sie in dieser Zeit die Lebensumstände der heiligen Väter von Ägypten ebenso wie die Taten einiger Heiligen [sic!], vor allem des hl. Dominikus – und das ohne menschliche Unterweisung oder Lektüre, sondern nur, indem sie den Eingebungen des Hei­ ligen Geistes folgte.

Verfügt also Caterina über ein Mehr an Wissen, eines, das durch die Eingebungen des Heiligen Geistes gespeist wird, sola spiritus infusione, oder über ein Weniger an Wissen, weil ihr der Zugang zum Raum der Schrift und der Erkenntnis ver­ sperrt wird? Die Paradoxie ist nicht aufzulösen. Solange aber ihr spezifischer Analphabetismus – „different kind of literacy“104 – nicht an die Wissensdiskurse angeschlossen wird, bleibt dieser außerhalb der Bühne, ein mystérique, unzu­ gänglich wie die Aufführungen der Hysterikerinnen im 19. Jahrhundert, die von ihren Ärzten auf die ‚Bühne‘ gebracht worden sind.105 Der Widerspruch zwischen dem Können und der Aufrechterhaltung des Analphabetismus war von Anfang an als Diskrepanz zwischen gelehrtem theo­ logischen Wissen und der Stimme der muliercula in der Vita Caterinas dem Leser nahegelegt worden. Dass die Frage, wie es sein kann, dass eine Frau im Stil des Augustinus schreibt, gestellt werden musste, dient der Rechtfertigung, dass eine weibliche Heilige Gegenstand der Heiligenlegende ist. Als Spannung der Stilhöhe ist sie Thema der Legende: Jnsuper siquis respiciat librum, quem spiritu sancto manifeste dictante composuit in ydio­ mate proprio, quis possit ymaginari aut credere illum factum per feminam? Est quidem stilus altissimus, ita ut uix inueniatur sermo latinus comprehendens altitudinem stili sui, prout in presenciarum experior ego ipse, qui transferre ipsum satago in Latinum. Sentencie tam alte pariter et profunde, quod si eas in Latino translatas perceperis, Aurelij Augustini putes pocius fuisse quam cuiuscumque alterius. (LM Prolog I, 8) Wenn sich darüber hinaus jemand ihr Buch vor Augen hält, das ihr der Hl. Geist eingab und das sie in ihrem eigenen Dialekt verfaßte: wer könnte sich vorstellen oder glauben, daß es das Werk einer Frau ist? Es ist nämlich im hohen Stil verfaßt, so daß man kaum eine

104 Tylus: Reclaiming Catherine of Siena, S. 233  f. 105 Vgl. Georges Didi-Huberman: L’invention de l’hystérie. Charcot et l’iconographie photo­ graphique de la Salpêtrière, Paris 1982.



Figuration der Stimme 

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lateinische Abhandlung finden könnte, die in der Höhe ihres Stils gehalten ist. Das erfahre ich gerade jetzt, wo ich mich bemühe, ihr Buch ins Lateinische zu übertragen. Wenn du ihre ebenso erhabenen wie tiefsinnigen Sentenzen in Latein vernehmen würdest, würdest Du eher glauben, sie stammten von Aurelius Augustinus als von irgendwem sonst.

Der Vorgang der Übersetzung („transferre“) von der Volkssprache ins Lateini­ sche, die der Beichtvater anfertigt, bringt also die Doppelung erst eigens zu Tage und zwar als Differenz zwischen weiblichem Analphabetismus und männlichem Stil: „stilus eius, siquis diligenter aduertit, pocius uidetur Pauli quam Katherine, melius alicuius apostoli quam cuiuscumque puelle.“ [LM Prolog I, 7; Ein aufmerk­ samer Leser würde eine solche Sprache eher bei Paulus als bei Caterina, eher bei einem Apostel als bei einem jungen Mädchen vermuten!] Der Prolog stellt Cate­ rinas Stil auf Augenhöhe mit Paulus und Augustinus. Wie in der Commedia ist er ein stilus altissimus in volgare und entspricht damit dem sermo humilis, wie ihn Auerbach bestimmt.106 Die Autorin dieses Stils bleibt demgegenüber jedoch die einfache puella, die Unwissende, die Analphabetin, die, auch dann, wenn sie selbst schreibt, auf das göttliche Wunder und die Darstellung ihres Lebens durch den Beichtvater angewiesen ist. Diese Diskrepanz zwischen magistra und mystérique wird in der Legenda Maior nicht zum Thema, aber ist ihr eingeschrieben als Widerstreit zwischen der Affirmation des Könnens einerseits und der Beschrän­ kung auf den Raum des Inintelligiblen andererseits, zwischen Latein und Volks­ sprache, zwischen Stimme und Schrift.

3 Figuration der Stimme Die Redeordnung der Heiligenvita etabliert Zeichen und Figuren, die durch die Stimme auf die Rhetorizität der weiblichen mystischen Liebesrede hinweisen. Wird das göttliche Wort zur Figur eines Textes, verdoppelt sich die Differenz zwi­ schen zwei unterschiedlichen Ebenen der Erfahrung in Hinblick auf weitere Diffe­ renzierungen in der Sprache.107 Durch Figuration wird der göttlichen Stimme ein 106 Vgl. Erich Auerbach: Sermo humilis. In: ders.: Literatursprache und Publikum in der latei­ nischen Spätantike und im Mittelalter, Bern 1958, S. 25–64. Auch. Giovanni Pozzi: Il linguag­ gio della scrittura mistica. Santa Caterina. In: Dire l’ineffabile. Caterina da Siena e il linguaggio della mistica. Atti del Convegno (Siena, 13–14 novembre 2003). Hrsg. von Lino Leonardi/Pietro ­Trionfe, Florenz 2006, S. 3–18. 107 Haug: Zur Grundlegung einer Theorie mystischen Sprechens, S. 496. Das mystische Schwei­ gen bringt nicht den Widerspruch zwischen Erfahrung und Sprache zum Ausdruck, sondern die Nicht-Rede erweist sich als die notwendige Konsequenz eines Sprechens, das auf seine eigene Differenz zutreibt. Als solches ist es eine „transsprachliche Position“, die dem Gotteswort korre­

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 Caterinas Stimme

Gesicht verliehen, die sich selbst schon als Gesicht gezeigt hatte: „Venit dominus et faciem suam manifestans exterioribus sensibus sensibiliter indicauit experi­ mentumque dedit notorium eius, qui loquebatur in illa.“ [LM I, 91; Der Herr kam, er zeigte sein Gesicht und bewies auch den äußeren Sinnen ummißverständlich, daß er es war, der durch Caterina sprach.] Die Aussage, dass der Herr gekommen ist, um sein Gesicht (faciem suam) zu zeigen, fasst die Stimme Gottes als sprach­ liche Figur und sie geht auf Caterina über, wenn sie nun ihrerseits mit der Stimme Gottes spricht. Die mystische Rede wird nicht durch radikale Unähnlichkeit, sondern als figurativer Akt konstituiert und es bleibt offen – ein Geheimnis des Glaubens –, ob sie je anders als in Sprache existiert hat. Das mystische Sprechen wird in Sprache durch Sprache eingesetzt. Wie das profane Amordiktat, bei dem Amor dem Sprecher die Worte eingibt, die von ihm niedergeschrieben werden, wird eine Redefigur für die Einsetzung der Rede behauptet, die in Differenz zum einen Sprechen steht, aber dabei selbst schon ein sprachlicher Akt ist. Die solchermaßen autorisierte Rede stellt sich ihrerseits als Textrede heraus. Caterinas Antwort folgt nach dem Referenztext par excellence, durch den das Muster der Rede – die Rede zwischen Braut und Bräutigam im Canticum canticorum – vorgegeben ist.108 Den zweiten Teil der Legenda Maior leitet ein Zitat aus dem Canticum canticorum ein, nachdem der erste Teil mit der mystischen Hoch­ zeit Caterinas geendet hatte, das die ystoria der Jungfrau mit auctoritas durch den zitierten Text absichert.109 Das Zitat garantiert aber nicht nur durch den zitierten Text die Autorität der Vita, sondern bestimmt auch das folgende Muster der Rede, das die Wechselrede zwischen der Stimme des Bräutigams und der Stimme der Braut konstituiert. Caterina werden dabei die Worte des Canticum canticorum in den Mund gelegt, wenn sie mit diesem antwortet: „Ad hec uirgo ista sacra respondit ad licteram“. [LM II, 119; Und die heilige Jungfrau antwortete genauso wie im Text des Hohenlieds] Caterina ist in der Sprecherrolle der Braut, die ihrem Bräutigam antwortet. Das Canticum liefert somit die Vorlage für die Narration des Verhältnisses zwischen Beichtvater und Beichtkind, die wie Braut und Bräutigam (oder wie die Seele mit Gott, Christus mit der Kirche) miteinander sprechen. Caterina wird also durch den Intertext eine bestimmte Redehaltung wie auch der Inhalt ihrer Rede zugewiesen. Die Art und Weise ihres Sprechens wird spondiert. Die mystische Rede und die durch sie produzierte Differenz wird hierbei ontologisch bestimmt, insofern die entscheidende Referenzgröße das göttliche Wort ist. 108 Vgl. Kurt Ruh: Geschichte der abendländischen Mystik, Bd. 2: Frauenmystik und Franzis­ kanische Mystik der Frühzeit, München 1993, S. 47  ff. 109 Vgl. Walter Veit: Art. Autorität. I. In: Historisches Wörterbuch. Hrsg. von Joachim Ritter, Bd. 1, Darmstadt 1971, Sp. 724–727, Sp. 724.



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bestimmt als respondit ad licteram, d.  h. sie bezieht sich auf die Auslegungsart nach dem Schriftsinn. Ihre Rede spielt sich folglich nicht auf der Ebene des spi­ rituellen, sondern des literalen bzw. historischen Sinns ab. Kann sie aber gleich­ zeitig Medium der Auslegung sein und durch sie die göttliche Stimme, die sie eingesetzt hat, sprechen? Das Problem ihrer Rede gründet  – zumindest hier  – nicht im Zutreiben auf die Differenz zwischen Sein und Sprache,110 sondern in der Beziehung zu einem vorausgehenden Text, in dem die Stimme der Braut schon von jeher inszeniert war und der jetzt, durch das Zitat, ausgelegt wird. Die Relation zwischen diesen Texten wird mit Verweis auf den Schriftsinn selbst exegetisch: Die durch den Intertext vergebene Rolle der Braut manifestiert den buchstäblichen Sinn. Im Unterschied zu den virgins of God, mit denen ein „new social concept“111 bereitgestellt worden war, geht es nicht nur um ihren Lebens­ stil als Jungfrau, eine Lebensform für Frauen, die ihr Leben Gott widmen und in selbstbestimmter Jungfräulichkeit leben, ohne den Rollen von Mutterschaft und Ehefrau unterworfen zu sein.112 Entscheidend ist die Art und Weise des Sprechens und wie ihre Sonderstellung in die Diskurse eingespeist wird. Caterinas Brautrede ist zugleich eine Figur der Exegese, somit ihr Sprechen auslegendes Sprechen. Diese Rolle hatte Raimondo Caterina bereits im Prolog zugeschrieben, als der Erzähler seinen Gegenstand als Ergänzung der Auslegung (expositio) der „sanctos doctores“ eingeführt hatte. Das Leben der Heiligen dient der Auslegung der Offenbarung: „‚Vidi angelum descendentem de celo, haben­ tem clauem abissi et cathenam in manu sua magnam.‘“ [LM Prolog I, 1; ‚Und ich sah einen Engel vom Himmel fahren, der hatte den Schlüssel zum Abgrund und eine große Kette in seiner Hand.‘; vgl. 1 Apk. 20,1]. Das Zitat des Canticum canticorum setzt also in komplexer Weise mit einer auslegenden, zitierenden Rede ein. Als Berufung durch den Bräutigam zitiert der Beichtvater gleich zweimal dieselbe Stelle aus dem Canticum. Diese beginnt mit der Rede des Bräutigams (alloquentis), der seine Braut adressiert: Uox Sponsi super celestis sponsam sibi dilectam et placitam alloquentis in canticis hec est, que dicit: ‚Apperi michi, soror mea, amica mea, columba mea, inmaculata mea, quia caput meum plenum est rore et cincinni mei guctis noctium.‘ Cui sponsa respondet: ‚Expoliaui me tunica mea, quomodo induar illa? Laui pedes meos, quomodo inquinabo illos?‘ (LM I, 118; Vgl. Cant. 5, 2–3)

110 Vgl. Haug: Zur Grundlegung einer Theorie mystischen Sprechens, S. 498. 111 Susanna Elm: ‚Virgins of God‘. The Making of Asceticism in Late Antiquity, New York 1994, S. 47. 112 Vgl. Elm: ‚Virgins of God‘, S. 55 und S. 269.

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Das Hohelied läßt uns die Stimme des himmlischen Bräutigams vernehmen, der seine liebe Herzensbraut anfleht: ‚Tue mir auf, meine Schwester, meine Freundin, meine Taube, meine Fromme. Denn mein Haupt ist voll Taues und meine Locken voll Nachttropfen.‘ Die Braut aber erwidert ihm: ‚Ich habe meinen Rock ausgezogen, wie soll ich ihn wieder anziehen? Ich habe meine Füße gewaschen, wie soll ich sie wieder beschmutzen?‘

Die Adressierung der Braut mit der Stimme des himmlischen Bräutigams (uox sponsi super celestis) wird aus dem Canticum zitiert. Die Auslegung durch den Beichtvater zielt auf die Funktionalisierung der Stimme des Bräutigams durch die Inszenierung eigenen Sprechens. Denn nicht nur das Zu-Wort-Kommen in der Sprecherrolle, auch die Stimme (uox) dieser Rede ist eigens und in Abweichung vom Text des Canticum canticorum Thema: „Propter quod uox sponsi superius est adducta, qua sponsam inlecto contemplacionis temporalibus denudatam“. [LM I, 118; Deswegen haben wir den Bräutigam zu Wort kommen lassen, weil sich die Braut niedergelegt und zur Betrachtung zurückgezogen hat] Der Beichtvater hat ausgerechnet diejenige Stelle aus dem Canticum canticorum ausgewählt, in der der Stimme des Bräutigams eine wichtige Funktion zukommt. In der weiteren Auslegung dieser Stelle wird über die Stimme reflektiert: „Jlla uero ex noticia uocis sui pastoris et sponsi ab ipso“ [LM II, 118; Sie erkennt natürlich die Stimme ihres Hirten und Bräutigams]. Diese Stimme bestimmt die Vita als etwas, das Caterina aus ihrer verborgenen Kammer (de cubiculi secreto) herausführen soll. Wie die Stimme gehen die eingeführten Bilder über das Zitat des Canticum hinaus. Sie bestimmen die mystische Rede als Sprechen im Verbor­ genen, das mittels der Stimme des Bräutigams in die Öffentlichkeit (ad publicum) gestellt werden soll. Die Auslegung legitimiert also die Rede des Sprechers: Es geht um die Behauptung der Stimme des Beichtvaters, dem die Aufgabe zufällt, Caterina aus der cubiculi secreto hervorzuholen und sie in „uerba […] et exemplo“ (LM Prolog I, 1) zu zeigen. Das Zitat ermöglicht damit nicht nur die ystoria der Heiligen, sondern auch das Sprechen des Beichtvaters. Zwar lässt dieser im Fol­ genden ein drittes Mal Gott sprechen: „vocat eam et dicit: ‚Apperi michi (sicut supra). […]‘“ [LM II, 119; rief er sie und sagte: ‚Tue mir auf (und so weiter). […]‘]. Der von Gott gesprochene Text ist jedoch auch hier zitierte Rede. Das Einlesen der Vita von Caterina in das Canticum canticorum oder anders gesagt die Abbil­ dung der ystoria auf das Zitat aus dem Canticum ermöglicht es, durch das Muster der Rede weitere Seelengespräche zu inszenieren. Caterina ist in ihnen „sponsam suam“ (LM II, 119) oder „dilectissima filia“ (LM II, 121), Gott wird adressiert als „superdulcissime domine“ (LM II, 120). In dieses dialogische Modell wird Cateri­ nas Selbstbeschreibung als gebrechliche Frau und die Unmöglichkeit, als Lehre­ rin aufzutreten, integriert:



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‚[…] quomodo fiet istud, quod modo dixisti, scilicet quod possim ego misella et omni ex parte fragilis esse utilis animabus? Sexus enim contradicit, ut nosti ex pluribus causis, tum quia docere alios ad eum non pertinet, tum quia contemptibilis est coram hominibus, tum eciam, quia honestate cogente non decet talem sexum cum sexu alio conuersari.‘ (LM II, 121) ‚wie soll das zugehen, was du eben gesagt hast, daß ich den Seelen nützlich sein könnte? Ich bin doch nur eine armselige und in jeder Hinsicht gebrechliche Frau. Mein Geschlecht steht deinen Plänen aus vielerlei Gründen im Weg, wie du weißt, zum einen, weil es ihm nicht zusteht, andere zu belehren, zum anderen, weil die Männer geringschätzig von ihm denken, zum dritten, weil es gegen jeden Anstand verstößt, wenn die Frauen von sich aus mit den Männern Umgang pflegen.‘

Der Beichtvater legt Caterina Worte in den Mund, mit denen sie sich selbst als sexus fragilior beschreibt. Sie nimmt damit die demütige Sprechhaltung ein, die der sermo humilis als an dem Stil der Bibel ausgerichtete Sprache vorgegeben hat. Demgegenüber hatte Caterina in ihren Briefen stets die Virilität der Kirchenmän­ ner gefordert, so etwa in ihren Briefen an die Päpste.113 Die Sprecherrollen werden nochmals präzisiert, wenn Caterina auch für Maria spricht und die Stimme Gottes als Stimme des Erzengels Gabriel erklingt. Auf diese Weise wird der mystische Dialog zwischen einer Seele und Gott, wie ihn das Zitat aus dem Canticum canticorum in Aussicht gestellt hatte, als Verkündigungsszene inszeniert, bei der der Engel Gabriel Maria die Geburt von Christus verheißt (Luk. 1,28). Die Bedingung dafür, dass eine weibliche Figur von Gott gesandt werden kann, ist das Gefäß für die Lehre Gottes. Die Einsetzung der Rede und das Verleihen einer Stimme, die nach dem Muster des Canticum canticorum erfolgt, wird auf Ebene des énoncé zurückgenommen in die Figur der uasa fragilia (LM I, 122). Die zitierte Stimme als Figuration des doppelten Gesichts erweist sich letzt­ lich als eine krypta, die mit dem sexus fragilior korrespondiert. Die exegetische Funktion ist in den Inhalten der Rede nicht mehr zu erkennen. Auf der Ebene der Inhalte wird die Sprecherrolle vereindeutigt  – Caterina als Gefäß für die Lehre Gottes und der Beichtvater als derjenige, der davon schreibt –, wohingegen

113 Vgl. S. Caterina da Siena: Le lettere, Lett. 185, A Gregorio XI. Für Caterina ist es bspw. durchaus möglich, sponsa christi und cavaliere in einer Person zu denken, vgl. Lett. 215 und Giulio Ferroni: L’io e gli altri nelle lettere di Caterina da Siena. In: Les femmes écrivains en Ita­ lie au Moyen Âge et à la Renaissance. Actes du colloque international Aix-en-Provence, 12, 13, 14 novembre 1992, Aix-en-Provence 1994, S. 139–156, S. 148  ff. Es ist anzunehmen, dass hinter dem häufigen Gebrauch von „virile“, „virilmente“ oder auch „cavaliere“ bei Caterina die paulinische Auffassung von christus militans steht, auf die sie wesentlich häufiger zurückgreift als auf die sponsa christi.

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 Caterinas Stimme

ihr durch das Zitat aus dem Canticum canticorum die Sprecherrollen von Braut, Tochter, Schwester, Taube oder Immaculata zugekommen waren.

3.1 Süße Worte Nicht nur die Stimme des himmlischen Bräutigams, auch die Süßigkeit der Stimme der Braut hat das Canticum canticorum durch einen Chiasmus von Gesicht und Stimme aufgerufen: „Dein Gesicht lass mich sehen, deine Stimme hören! Denn süß ist deine Stimme, lieblich dein Gesicht. [Cant. 2, 14; ostende mihi faciem tuam sonet vox tua in auribus meis / vox enim tua dolcis et facies tua decora] Die Süßig­ keit der Stimme (vox dolcis) wird in der Vita zitiert, wenn von Caterina gesagt wird, dass sie mit süßer Stimme spricht. Weinend vernehmen die Mitschwestern Caterinas süße Rede (uerba dulcia). Ihre Rede ist von derartiger Süße, dass sie zu Tränen rührt: „et cepit loqui silenter uerba uite super mel et fauum dulcia pariter et profunda, que omnes socias audientes comouebant ad fletum.“ [LM II, 192; und Caterina begann mit leiser Stimme Worte des Lebens zu sprechen, die süßer als Honig und Honigseim sind und einen tiefen Sinn haben. Alle ihre Mitschwes­ tern, die das hörten, wurden dadurch zu Tränen gerührt.] Es bleibt jedoch hier bei dieser bloßen Beschreibung der Wirkung der Worte, die honigsüßen Worte selbst werden nicht zitiert. Gerade dann also, wenn es um die süße Rede, Cate­ rinas mystische Liebessprache, geht, deren Wirkung unbezweifelbar konstatiert wird, kennzeichnen die Vita Auslassungen und Leerstellen. Was hingegen wiedergegeben wird ist die Beschreibung der Visionen, an denen der Beichtvater interessiert ist und die aus der Beichte hervorgehen sollen: „Quamobrem idem confessor ad eam accessit petiuitque seriem uisionis sibi narari.“ [LM II, 193; Der Beichtvater begab sich daraufhin zu Caterina und bat sie, ihm den Verlauf der Erscheinung zu schildern.] Fällt die Ausführung ihrer süßen Worte hier schlicht weg, so geht der Beichtvater an anderen Stellen mit ihren Auslassungen expliziter um. Die Niederschrift von Caterinas Stimme betrifft immer nur einen Teil des von ihr Gesagten. Die Vita erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sie hat kein Problem damit, ihre eigenen Lücken zu benennen: „Jnsuperque mirabilia Dei cernens in ipso raptu loquebatur quandoque submisse miranda notabilia et nimis altas sentencias, de quibus quedam fuerunt scripte“. [LM II, 184; Während ihrer Entrückungen schaute sie die Wunder Gottes und machte zuweilen mit leiser Stimme wundersame und tiefsinnige Bemerkungen. Einige davon wurden niedergeschrieben]. Die Vita wird zur unvollständigen, löch­ rigen Nachschrift der von der Heiligen in Ekstase gesprochenen Worte. Während hier noch darauf verwiesen wird, dass die der Vita zugrunde liegenden Äuße­ rungen nur lückenhaft aufgeschrieben worden sind, wird an anderer Stelle deut­



Figuration der Stimme 

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lich, dass der Beichtvater auch Gespräche mit Caterina schlicht vergessen hat: „Nunc igitur noueris, quod de quibusdam materijs ipsa mecum pluries et pluries est locuta, nec memorari possum formaliter de omnibus uerbis eius“. [LM II, 123; Nun solltest du aber bedenken, daß sich Caterina mit mir über manche Dinge öfter und immer wieder unterhalten hat und daß ich nicht alle ihre Reden wört­ lich im Gedächtnis behalten habe.] Die süße Rede Caterinas als Gegenstand der Niederschrift ist immer auch von Unzulänglichkeiten und Auslassungen bedroht. So wie sie nicht bei Sinnen ist, wenn sie spricht, so wird das Gesagte größtenteils schlicht vergessen. Der Text, der dieses Vergessen erwähnt, konstituiert durch Caterinas Worte einen Raum hermeneutischer Unzugänglichkeit. Was nicht ausgelassen wird, wird ins Innere verlagert und damit unsichtbar, verschlossen. Im Inneren ist ihre Stimme laut, außen ist sie kaum zu hören: „dum sic a remotis venerabilis sacramenti altaris sumpcionem summe siciens mente fortissime, voce uero corporea plane diceret, ‚ego vellem corpus domini Ihesu Christi‘“. [LM II, 187; Während sie nun ganz hinten saß, dürstete es sie sehr nach dem heiligen Altarsakrament. In ihrem Inneren schrie es laut, aber mit ihrer körperlichen Stimme sagte sie nur halb­ laut: ‚Ich will den Leib Jesu Christi.‘] Durch die Unterscheidung von Innen und Außen wird ihre Rede nach Innen verschoben und damit schließlich unhörbar gemacht. Dazu gehören auch Caterinas eigene Aussagen, die ihr der Beicht­vater in den Mund legt: „Ac illa, ‚nequaquam‘, inquid, ‚est possibile me aliter aut aliud dicere.‘“ [LM II, 185; ‚Ausgeschlossen, ich kann nichts anderes sagen‘, rief sie aus.] Solche Lücken der Rede werden durch Strategien der Verweigerung konterka­ riert. Der Beichtvater vergisst, was sie gesagt hat, das Beichtkind verweigert sich dem Sprechen. Die Inszenierung einer jouissance qui soit au-delà, die Öffnung auf einen corps de désir et de plaisir, wie ihn Foucault und Lacan für Teresa von Avila angenommen haben,114 versperrt den hermeneutischen Zugriff, wenn die Mystikerin das Reden über ihre Empfindungen verweigert: „Cum autem confessor ab ea peteret, quid haberet aut quid sentiret, respondebat se non posse narrare uel dicere illa, que senciebat.“ [LM II, 187; Als aber ihr Beichtvater von ihr wissen wollte, was sie davon habe und was sie dabei empfinde, antwortete sie, es sei ihr nicht möglich, das wiederzugeben, was sie empfinde.] Wie soll eine Analphabe­ tin auch dazu in der Lage sein, so komplizierte Empfindungen differenziert zu artikulieren? Der Text stellt das non posse narrare und die ungeschriebenen altas sentencias als seine eigene Unmöglichkeit und Nicht-Erzählbarkeit aus. Die Vita dient also nicht nur dem Nachzeichnen der geschehenen Wunder einer Heiligen,

114 Vgl. Lacan: Le séminaire, XX, S. 70 und Foucault: Les anormaux, S. 187.

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die er chronologisch anordnet, sondern auch dazu, die eigenen Voraussetzungen und die Bedingungen der Rede mitzusprechen, die der Narration dieser Wunder zugrunde liegen. Das Problem der Darstellung betrifft demnach weniger die Differenz zwi­ schen dem Sein und der Sprache als die Differenz zwischen der Stimme und der Schrift: Gegenüber der Stimme ist die Schrift defizitär, aber sie ist ihren Defiziten nicht ausgeliefert, sondern kann sie zur Sprache bringen. Als Widerstreit zwi­ schen Negation und Affirmation ist dieses Problem als Darstellungsverfahren in der Legende allgegenwärtig. So stehen die fehlende süße Rede und die Macht der Rede einander gegenüber, die Auslassungen kontrastieren mit der Befehlsgewalt. Caterinas Worte können immer auch Sprechakte sein, was sie sagt, kann gesche­ hen: „Dixit, et sicut dixerat, facta sunt.“ [LM II, 198; Wie sie es gesagt hatte, so geschah es auch.] Ihre Rede ist eine parole efficace115, insofern sich darin – wie im Sakrament – das göttliche arcanum manifestieren kann: „Sed feruor cordis eius, assiduitas oracionis, efficacia sue admonicionis appertissime testabantur ipsam archana Dei uidisse“ [LM II, 201; Aber die Glut ihres Herzens, die Beharrlichkeit ihrer Rede und die Wirksamkeit ihrer Belehrung bezeugten mehr als deutlich, daß sie die Geheimnisse Gottes gesehen hatte]. Wie ihre Vorgängerin, die Hl. Katha­ rina von Alexandrien, verfügt diese neue Caterina über das rhetorische Talent, die Herzen zu berühren und wie ein Rhetor assiduitas oracionis zu sprechen.

3.2 Gesichter: Veni, domine, ad sponsam tuam Formuliert das Canticum canticorum die Aufforderung an die Braut, zu ihrem Bräutigam zu kommen, so werden in der Vita die Adressierungen umgekehrt, wenn der Beichtvater von seiner Braut aufgefordert wird, herbeizukommen. In der Vision des Beichtvaters erscheint Caterina von Strahlen umgeben wie ein Engel. In dieser Vision korrespondieren Gesicht und Stimme, Hören und Sehen. Caterinas Antlitz verwandelt sich in das Gesicht eines von einem Heiligenschein umgebenen Engels: […] uidi faciem eius sicut faciem angeli emittentem radios et splendorem habentemque figuram quodammodo aliam, ita ut in mente dicerem: ‚lsta non est facies Katherine.‘ Propter quod in mente tantum concepi hanc verborum sentenciam: ‚Vere, domine, hec est sponsa tua fidelis et grata.‘ Et hec cogitans uerti me ad altare et eadem locucione mentali tantummodo dixi: ‚Veni, domine, ad sponsam tuam.‘ (LM II, 316)

115 Irène Rosier-Catach: La parole efficace. Signe, rituel, sacré, Paris 2004, S. 79  ff.



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Da blickte ich in ihr Gesicht, das wie das Antlitz eines Engels Strahlen aussandte und in seinem Glanz irgendwie eine andere Gestalt angenommen hatte. Ich sagte zu mir: ‚Das ist nicht das Gesicht Caterinas‘, und dabei kam mir der folgende Satz in den Sinn: ‚Wahrlich, Herr, das ist deine treue und geliebte Braut.‘ Nun wandte ich mich zum Altar und sprach wiederum nur in meinem Inneren: ‚Komm, Herr, zu deiner Braut.‘

Das Gesicht Caterinas zeigt sich als andere Figur: figuram quodammodo aliam. Die Formulierung aus dem Canticum canticorum „Veni, sponsa, de Libano“, durch die die Commedia die Ankunft Beatrices am Übergang vom Purgatorio zum Paradiso perspektiviert hatte,116 ist hier umgekehrt als Aufforderung an den Herrn formuliert, den seine Braut zu kommen bittet: „‚Veni, domine, ad sponsam tuam‘“ (LM II, 316). In Bezug auf den Sprecher bleibt uneindeutig, wer die Bitte vorbringt. Ist es Caterina selbst, die aus ihrem umstrahlten Gesicht spricht oder der Beichtvater, der ihre Sprecherrolle übernimmt? Die Vision des Beichtvaters von Caterina als seine himmlische Braut verweist zurück auf eine weitere Vision. Dort war sie ihm mit einem männlichen, bärti­ gen Gesicht erschienen. Walker Bynum hat in dieser Visionsdarstellung einen Beleg dafür gefunden, dass die Darstellungen von Heiligkeit nach geschlechts­ spezifischen Aspekten ausgerichtet werden. Während die männlichen Biogra­ phen Umkehrungen des Geschlechts vornehmen würden, wie hier, wenn der Beicht­vater der weiblichen Heiligen ein männliches Gesicht verleiht, würden sich Frauen selbst entweder als androgyn oder als weiblich (als Braut, Mutter, Geliebte) entwerfen. Sie wären, schreibt Walker Bynum, „more fully herself with Christ“117. Bei diesen Zuschreibungen darf jedoch nicht übersehen werden, dass es sich um figürliche Rede handelt und sich die Vita deshalb nicht auf die Frage der Identität beschränken lässt: Das bärtige Gesicht ist die Figur einer Stimme, die auf Christus und Gott als ihren Ursprung verweist. Denn es ist das Gesicht der Sprechenden, das sich plötzlich in ein anderes Gesicht verwandelt. Caterina hat ihren Beichtvater gerufen, um über Mystisches zu reden: „cupiens quedam sibi adomino reuelata mecum conferre secrete“ [LM I, 90; um sich mit mir über Dinge auszusprechen, die ihr der Herr offenbart hatte]. Aber im Folgenden wird nicht ausbuchstabiert, worin die Offenbarungen bestanden haben, die Caterina so dringend beichten möchte. Stattdessen tritt an die Stelle der Darstellung der Offenbarung nun die Vision, die der Stimme Caterinas ein Gesicht gibt. Erneut kommt es hier also zu einer Substitution: In der Vision wird nicht nur eine

116 Vgl. Kap. II, 2.1. 117 Vgl. Walker bynum: Women’s Stories, Women’s Symbols, S. 41.

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Umkehr in Bezug auf das Geschlecht inszeniert, sondern vor allem eine Umkehr der Rede durch eine rhetorische Figur, der Prosopopoiia: Dumque sic cogitans infaciem loquentis intenderem, subito facies eius transformata est infaciem uiri barbati, qui me fixis oculis intuendo nimium terruit. Eratque facies oblonga etatis medie non prolixam habens barbam coloris triticei magestatemque perferens in aspectu, ex qua se manifeste dominum ostendebat nec aliam protunc ibi faciem discernere poteram preter illam. (LM I, 90) Und während ich darüber noch nachdachte, fiel mein Blick auf das Gesicht der Sprechen­ den, das mir plötzlich verändert schien: es war das Angesicht eines bärtigen Mannes, dessen Augen mich durchdringend anschauten. Ich erschrak. Ja, das war das Antlitz eines Mannes, länglich und von einem knappen Bart umrahmt, der die Farbe reifen Korns besaß. Der Mann mochte in mittlerem Alter stehen, und seine Erscheinung war von solcher Majes­ tät, daß es sich ganz offensichtlich nur um den Herrn handeln konnte! Das Gesicht Cateri­ nas sah ich nicht mehr.

Hinter der Vision, die der Stimme Caterinas das Gesicht von Christus leiht, ver­ schwindet das Gesicht Caterinas. In der Vision von der engelhaften Braut hinge­ gen wird der sprachliche Akt bezeichnet und zurückgeholt in die Figuration von Weiblichkeit. Mit der sponsa und dem bärtigen Gesicht hat also Caterinas Rede zwei Gesichter bekommen. Was sie sagt, wird in der Vision von ihrem Gesicht als Christus nicht zitiert, in der Vision jedoch, in der ihr Gesicht das Gesicht einer Braut ist, verselbstständigt es sich zu einer Stimme, die über die Macht verfügt, die Verhältnisse umzudrehen, wenn die Redehaltungen vertauscht werden. Mit der Verschiebung von männlichem Gesicht zum Gesicht der sponsa wird folglich sowohl eine Umkehr der Geschlechter als auch eine Verschiebung innerhalb der Ordnung des Sprechens erreicht: Ist in der Christus-Vision Caterinas Sprechen männlich figuriert, so in der zweiten Visionsschilderung der Braut weiblich. In den Redeordnungen zeigt sich, dass die Differenz der Geschlechter figurativ inszeniert und überschritten werden kann. Die verschiedenen Sprecherrollen ermöglichen also auch die Ausgestal­ tung der unterschiedlichen Geschlechterrollen. Als Figur im Text kann Caterina jeweils mit dem Geschlecht ausgestattet werden, das die Vita ihr durch rheto­ rische Operationen ermöglicht. Die Inversion der Adressierungen geht einher mit Rede­figuren, die den Geschlechtern Gesichter geben: Caterina mit Bart, der Beichtvater als Braut, die sie jeweils als das eine oder andere Geschlecht ‚erschei­ nen‘ lassen, ohne dass sie jedoch mit dem einen oder mit dem anderen Gesicht/ Geschlecht zur Deckung kommen würden. Eine solche Redefigur wird auch da bemüht, wo Caterina sich selbst benennt. In der Inszenierung des Namens von Caterina kommen Stimme und Schrift



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zusammen, wenn der Name ausgerechnet in Caterinas Gesicht erscheint: „‚[…] Ego sum Katerina de Senis, sicut apparet in facie mea.‘“ [LM II, 372; ‚[…] Ich bin Caterina von Siena – auf meinem Gesicht steht es geschrieben.‘] Das Gesicht als Figur der Stimme ist der Name und letztlich die Vita selbst. Der Name ist eine Schrift, der die Stimme verdeckt. Die Einschreibung des Namens in den Text ist zugleich Schrift auf dem Gesicht als die Figuration dieser Stimme. Damit erweist sich die Lebensbeschreibung der Heiligen als Selbstthematisierung des komple­ xen Zusammenhangs von Schrift und Stimme wie auch von Körper und Schrift. Der im Gesicht der Heiligen erschienene Name verweist nicht nur auf die Identität der Benannten, sondern markiert das Gesicht als Ort von Schrift. Sprechen und Körper, Stimme und Schrift kommen an diesen Punkt zusammen und überlagen sich. War in den bisher dargestellten Visionen jeweils die Identität Caterinas durch die Vision verdeckt worden (Caterina wird figuram aliam bzw. ihr Gesicht lässt sich nicht mehr erkennen: nec aliam protunc ibi faciem discernere poteram preter illam), bringt hier die Vision gerade ihr Gesicht als Ort der Identifizierung und Einschreibung des Namens hervor. Entscheidend ist, dass während in den anderen Visionen die Gesichter nicht gesprochen haben, dieses Gesicht sich selbst spricht: „Ego sum“. Die Sprecherrolle hat also ein Gesicht bekommen, das der Ort einer Signatur, der kryptischen Einschreibung des Namens einer Autorin ist. Die Figürlichkeit wird also an solchen Stellen sichtbar. Verborgen wird sie hingegen durch etymologische Begründungszusammenhänge, wie sie der Erzäh­ ler für den Namen der Heiligen anführt und damit das Gattungsschema bedient: Postremo subiungebatur in uerbo Johannis pro fundamento huius prologi assumpto: ‚Et cathenam magnam in manu sua.‘ Quod ut prius ad nostrum propositum per quid nominis declaremus: quid mirum, si habebat Catherina cathenam? Numquid non illa duo nomina in uoce concordant? Katerina et enim si cum sincopa dixeris, cathenam habebis, et si cathene unicam superinserueris sillabam, Katerine nomen recipies. (LM Prolog I, 10) Zum Schluß wird dem Vers des Johannes, den wir als Grundlage für unseren Prolog genom­ men haben, hinzugefügt: ‚Und hatte eine große Kette in seiner Hand.‘ Um das erklären zu können, erst einmal etwas zu unserem Thema: was bedeutet der Name ‚catena‘ (= Kette)? Was Wunder, wenn Caterina eine Kette hatte? Stimmen denn diese beiden Worte nicht im Klang überein? Wenn du nämlich Caterina mit einer Synkope aussprichst, erhältst du das Wort ‚catena‘, und wenn du dem Wort ‚catena‘ eine einzige Silbe hinzufügst, wird daraus Caterina.

In dieser für die légendes hagiographiques des Mittelalters üblichen Art und Weise, den Namen des Heiligen etymologisch herzuleiten, war auch Jacobus de Voragine vorgegangen, als er die Hl. Katharina einführte: „Vel Catherina quasi

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catenula; ipsa enim sibi per bona opera quandam catenam fecit, per quam usque ad coelum adscendit.“ [Oder Katharina ist gesprochen catenula, das ist eine Kette, darum daß sie aus ihren guten Werken gleichsam eine Kette hat gestricket, daran sie bis zum Himmel mochte emporsteigen.]118 Die Homophonie, die zwei Wörter durch ihren Klang miteinander verbindet (catena / Catarina / Catherina), zielt auf die Übereinstimmung von Signifikat und Signifikant: duo nomina in uoce concordant. Über diese Reflexion der Zeichen hinaus beinhaltet die figürliche Ebene des Textes jedoch die Möglichkeit, von noch etwas ganz anderem zu handeln. Von der Frage nämlich, wie es möglich ist, überhaupt eine Stimme in einen Text zu übersetzen.

3.3 figuram figurando Insbesondere dann, wenn in die Vita ein Ausschnitt aus Caterinas Dialogo, somit in ihre Lebensgeschichte ein weiteres Schriftstück eingefügt wird, lässt sich die Frage nach der Stimme im Text nochmals stellen. Die Vita zitiert demnach nicht nur das Leben, sondern einen Text, der nun wiederum, als récit im récit, die Frage nach dem Status der Vita als Text über die Heilige noch einmal aufwirft. Stellt sich an dieser Stelle heraus, dass die Vita nie etwas anderes war als der Rahmen und nicht die Verschriftlichung des Lebens einer Heiligen? Ist die Vita die Rahmung einer Schrift, die selbst nicht die Schrift Caterinas ist, aber ein durch ihren Mund gesprochener Text, der wie die Textreliquie von der Vita umrahmt wird? Das Kapitel, in das der Text eingefügt wurde, beginnt mit der Erinnerung an die Schreibsituation. Es wird das oben schon genannte Diktat erwähnt, mittels dessen Caterina im Zustand der Ekstase ihre Offenbarungen ihren Schreibern dik­ tiert: Vnde circa biennium ante transitum eius tanta claritas ueritatis sibi diuinitus est apperta, quod coacta est ipsam per scripturam effundere ac scriptores suos rogare […], quod, cum inextasi positam eam sentirent, ad scribendum essent parati, quitquid abore ipsius audi­ rent. (LM III, 349) Ungefähr zwei Jahre vor ihrem Tod wurde ihr die Wahrheit so deutlich offenbart, daß sie nicht anders konnte, als sie in einen Text zu fassen. Deswegen bat sie ihre Schreiber […], sich während ihrer Ekstasen bereitzuhalten und all das niederzuschreiben, was sie sagte.

118 Jacobi a Voragine: Legenda aurea, S. 789. Übersetzung: Jacobus de Voragine: Legenda aurea, S. 704.



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Das Zitat wird damit begründet, dass am Ende der Vita ihre Voraussetzungen genannt werden sollen. Der Beichtvater bemüht den Begründungszusammen­ hang, der nicht, wie der Behauptung der Gattung nach, in den Taten der Heili­ gen, sondern in ihrem Text liegt: „Jn cuius quidem libri [Il dialogo, C. W.] ultimo duo ponuntur, que judicaui fore perutile hic inserere […]. Nec ab re forsitan hic hec duo ponuntur, quia motus est naturalis condicio infine intendi.“ [LM III, 349; Das Buch endet mit zwei Kapiteln, von denen ich glaube, daß es sich sehr lohnt, sie hier einzufügen […]. Es ist vielleicht nicht unpassend, wenn ich diese beiden Kapitel hier einflechte, denn es entspricht dem natürlichen Trieb, die Vorausset­ zung am Ende zu bedenken.] Das Hin und Her zwischen den beiden Textebenen erfolgt als Übertragung (transferam), zu der eine zweite Übertragung, nämlich das Übersetzen aus dem volgare ins Lateinische, hinzukommt (de uulgari transtuli in Latinum). Die Beteuerung der Worttreue im Vorgang des Übersetzens macht deut­ lich, dass dafür Übertragungsprozesse vollzogen werden: „transferre de uerbo ad verbum“ [LM III, 350; wortwörtlich […] übersetzen]. Die doppelte Übertragung, also eine zweifache Metapher, erzeugt eine Differenz der Schriften, durch die jedoch nicht ihre Übereinstimmung zutage tritt, sondern sich im Gegenteil zeigt, wie groß der Abstand zwischen ihnen ist. Der mystische Text aus dem Mund der Heiligen hebt sich von der histori­ sierenden Darstellung der Heiligkeit deutlich durch seine Figürlichkeit ab. Die Referenz der Vita führt nun nicht mehr auf eine historische Person aus Fleisch und Blut, sondern auf eine Stimme im Text zurück, die als Stimme der Seele im Dialog mit Gott inszeniert wird. In diesem Dialog – „‚commedia dell’anima“119 – inszeniert Caterina das Gespräch zwischen einer göttlichen und einer irdischen Stimme bzw. ihrer Seele. Durch Gottes Stimme wird diese Seele adressiert als „dilectissima et karissima filia“ [LM III, 351; geliebte und teure Tochter]. Und von derselben Sprecherinstanz wird das Ich mit der Wahrheit (doctrina ueritatis) ausgestattet: „‚Jsta ergo in ueritate induaris, dilectissima et dulcissima filia.‘“ [LM III, 354; ‚Damit bekleide dich, geliebte und teure Tochter, in Wahrheit.‘] Als Figur der sprechenden Seele antwortet die liebste Tochter. Dabei wird der mysti­ sche Topos der Spiegelung im Anderen als Möglichkeit für die unio mystica, der Einheit der Seele mit Gott, aufgerufen: „cum ineffabili desiderio speculando se in diuina maiestate“ [LM III, 354; spiegelte sie sich mit unaussprechlichem Verlan­ gen in der göttlichen Majestät].120

119 de Sanctis: Storia della letteratura italiana, S. 114. 120 Die unio mystica gilt als ‚einheitliches‘ Kriterium für die Bestimmung der Mystik. Vgl. Su­ sanne Köbele: Bilder der unbegriffenen Wahrheit. Zur Struktur mystischer Rede im Spannungs­ feld von Latein und Volkssprache, Tübingen, Basel 1993, S. 30.

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Die darauf folgende Rede leitet eine Reihe von Apostrophen ein, durch die zunächst Gott als Vater, später als „trinitas eterna“ adressiert wird: „O trinitas eterna! O deitas“ [LM III, 356; O ewige Dreifaltigkeit! O Gottheit!] Die Figur der Invokation, „generative force of lyric“121, generiert hierbei die mystische Rede, die der Dichtung immer ähnlicher wird. Denn der in der deutschen Überset­ zung des Dialogo von Urs von Balthasar mit „Schlußgebet“ überschriebene Textteil verdichtet eine Reihe von Metaphern: Licht des Glaubens (lumen fidei), Hand der Liebe (manus amoris), tiefes Meer (mare profundum), finsterer Körper (corpor tenebroso), Trunkenheit der Seele (modo inebries animam meam), Spiegel (speculum).122 Durch Apostrophen, Wiederholungen und Bilder wird der einge­ fügte Text zu „chants mystiques“123. Der Text im Text führt den auf das Dogma gerichteten Inhalt der Legende auf eine sinnliche Ebene, wenn die Rhetorizität der mystischen Rede auf ästhetische Erfahrung und Sinnlichkeit, nicht auf Wahr­ heit zielt.124 Im Versuch der Verführung rückt die mystische Rede in die Nähe des Fabelhaften, des Fabulierens und damit der poetischen Rede. Als fable mystique solidarisiert diese sich mit einem analphabetischen Sprechen, das nicht zum Bestandteil der Archive gehört und das Certeau, wie bereits eingangs erwähnt, als die abseitige Rede „à la femme, aux illettrés“125 bestimmt hatte. Explizit wird in der zitierten Passage die Figuration der Rede auch als solche kenntlich gemacht und als das dem Text zugrunde liegende Verfahren genannt: „figuram figurando“ (LM III, 352). Die mystische Rede figuriert die mystische krypta, in die die Mystikerin eingeschlossen bleibt. So in der Rede von Gott, der die Seele, die er adressiert, mit folgendem Vorsatz versieht: „ne egrediaris de cella cognicionis tui ipsius“ [LM III, 354; daß du nicht aus der Zelle der Selbst­ erkenntnis heraustrittst]. Die Figuration des Einschlusses, die mit dem Bild der Zelle der Selbsterkenntnis bezeichnet wird, kennzeichnet den Ort der Mystikerin als Ort ihres Selbst und ihrer Rede. Denn alle Rede vollzieht sich als Rhetorik: im Kleid der Wahrheit (in ueritate induaris). Die Spiegelung in der göttlichen Majes­ tät, die aufgerufene Ebenbildlichkeit (ad ymaginem tuam), ist damit auch Spie­ gelung ihrer Rede, das auf Gott gerichtete Begehren (ineffabili desiderio) somit zugleich Begehren nach derselben figürlichen Kraft. Auch die Seelenrede wird

121 Jonathan Culler: The Pursuit of Signs. Semiotics, Literature, Deconstruction, London u.  a. 1981, S. 149. 122 Vgl. Caterina von Siena: Gespräch von Gottes Vorsehung. Eingeleitet von Ellen Sommervon Seckendorf und Hans Urs von Balthasar, Einsiedeln 1994 (Lectio spiritualis, 4). Zur mysti­ schen Metaphorik vgl. Köbele: Bilder der unbegriffenen Wahrheit, S. 64  ff. 123 De Certeau: La fable mystique, S. 10. 124 Vgl. Largier: Die Kunst des Begehrens, S. 15  f. 125 De Certeau: La fable mystique, S. 24. Vgl. Kap. III, 1.



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folglich zu figürlicher Rede und in dieser Figuralität als solche markiert ebenfalls zum umhüllenden Kleid der Wahrheit: „uestimentum cooperiens meam nudita­ tem“ [LM III, 357; Du Kleid, bedeckst meine Nacktheit]. Die Süße (dulcedine) der Wahrheit ist ein Effekt der Schrift, der durch die figurative Macht verhüllt, was sie begründet. Die Apostrophe zeigt dabei, wie Erkenntnis figurativ vollzogen werden kann. Christliche Wahrheit und antike Rhetorik stehen sich in der mystischen Rede Caterinas nicht als Gegensätze gegenüber,126 sondern Erkenntnis (illuminatio, cognoscere) wird zum figurativen Prozess. Die Deutung des Textes durch den Beichtvater verdeckt diesen Vorgang, wenn er die Inszenierung auf die doctrina ueritatis reduziert: darauf nämlich, dass Caterina hierin von nichts anderem spre­ chen würde als von ihrer Sehnsucht, endlich von ihrem Körper befreit zu werden, um bei Christus zu sein. Die Rede der Mystikerin, ausdrücklich nochmal als Rede des sexu femineo benannt, wird in das Schema der Legende eingepasst, sodass von der Rhetorizität der Verführung nichts bleibt als von Anfang an ein Wunsch nach ihrem eigenen Ende: „ad nupcialem spiritus vnionem relicto corpore tran­ seundo“ [LM III, 359; und sie ihren Körper hinter sich ließ, um sich zu ihrer geisti­ gen Hochzeit aufzumachen]. Das Spiel mit den rhetorischen Figuren, den Zitaten und Sprecherrollen, die die Legenda Maior auszeichnet, wird durch die erzählte Geschichte von Anfang bis Ende überlagert: der Geschichte eines einfachen Mäd­ chens, das zur Heiligen auserwählt wird. Das hermeneutische Narrativ ist das Resultat einer komplexen Inszenierung sprachlicher Akte, bei denen sich die Textrede durch Intertexte, d.  h. durch die Beziehung zu vorausgehenden Texten speist. Die Stimme der Heiligen ist damit immer auch schon eine andere Stimme, die der Vita eingeschrieben wird und als Prozess des figuram figurando entschlüs­ selbar wird.127 In der Legenda Maior erweisen sich die Bedingungen des Heiligen als Bedingungen der Rede, die die Geschichte einer irdischen Jungfrau, die auf­ grund ihres fragilen Geschlechts zu Wundertaten von Gott auserwählt worden ist, erzählbar machen. Der hermeneutische Rahmen der Heiligenvita ist die Voraus­ setzung für die Darstellung der Rede der Mystikerin und dafür, diesem anderen Liebesdiskurs eine Bühne (scène) zu erschaffen. Die Heiligenvita dient somit nicht nur der Darstellung des Weges der Heiligen zu Gott, der zur Imitation einlädt, sondern auch der Inszenierung einer Stimme, einer Rede, die jedoch immer schon Sprache der Anderen ist. Das Paradox einer

126 Vgl. Haug: Antike Rhetorik und christliche Ästhetik, S. 24. 127 Vgl. C. W.: Die Stimme des Heiligen. Konversion bis Hysterie. In: Medien des Heiligen, Friedrich Balke, Bernhard Siegert, Joseph Vogl (Hrsg.): Archiv für Mediengeschichte 15 (2015), S. 155–163.

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analphabetischen Wissenden hat den Raum für die Aporien und Überkreuzun­ gen einer Rede geöffnet, die am Anfang der Verschriftlichung des Italienischen den Widerstreit zwischen Stimme und Schrift sichtbar macht. Caterina als „prima vera scrittrice italiana in volgare“128 ist Autorin und Figur, an der sich durch die Inszenierung ihrer Rede Wissen und Nichtwissen, Stimme und Schrift überkreu­ zen. Im Diskursgeflecht des Trecento sind auf diese Weise die Voraussetzungen des theologischen Rahmens markiert worden, die nicht zufällig auch hier eine Stimme ins Spiel gebracht haben, die einer weiblichen Figur zugeschrieben worden ist. Die Legenda Maior hat damit an einem anderen Liebesdiskurs mitge­ schrieben: am Liebesdiskurs eines selbstlosen Sprechens, der den theologischen Rahmen, von dem er umspannt wird, gleichzeitig überschreitet.

128 Ferroni: L’io e gli altri nelle Lettere di Caterina da Siena, S. 139.

IV Lauras Rede E ’n mezzo ’l cor mi sona una parola Di lei (Rvf 361, 11–12)1

Petrarca wurde als Begründer eines neuen Liebesdiskurses bezeichnet, weil er nicht die Dame, wie noch in der Liebesdichtung vor ihm, sondern sich selbst ins Zentrum rückt.2 Folgt man dieser Beobachtung, nimmt Petrarca sogar die Rolle eines „fondateur de discursivité“3 an: als Wegbereiter eines „neuzeitlichen Selbstverständnisses“4 oder als derjenige, der den „erkenntnistheoretische[n] Subjektivismus eines Descartes oder Kant […] auf den Weg gebracht“5 hat. Die Bilanz der Forschung in Bezug auf die diskurs­begründende Funktion Petrarcas resultiert aus der Beobachtung einer neuen, für das Mittelalter undenkbaren Ichbezogenheit. Damit spricht viel dafür, dass ­Petrarca ein Subjekt geschaffen hat, dessen Darstellung affektiver Gefühls­zustände zum Modell für die kom­ mende Dichtung geworden ist. Mit dieser Inauguration einher geht der Verlust der Transzendenz, der von Petrarca als Trauer, gleichwohl aber auch als Genuss stilisiert wird. Zum Zentrum hat Petrarca ein Ich gemacht, das sich selbst an den Ort des Verlusts um den Tod Christi projiziert.6 Die Tränen des Ich, die im Canzoniere vergossen werden, können als Ausdruck eines neuen Verhältnisses zum

1 Francesco Petrarca: Le Rime. Hrsg. von Giosuè Carducci/Severino Ferrari, nuova pre­ sentazione di Gianfranco Contini, Florenz 1972. Im Folgenden zitiere ich nach dieser Ausgabe. 2 Vgl. Gerhard Regn: „Allegorice pro laurea corona“. Dante, Petrarca und die Konstitution postmittelalterlicher Dichtungsallegorie. In: Romanistisches Jahrbuch 51 (2000), S. 128–152, S. 143: „Nicht die Dame steht im Zentrum dichterischer Rede wie noch bei Dante, sondern der Dichter selbst.“ 3 Regn: „Allegorice pro laurea corona“, S. 129. Vgl. Michel Foucault: Qu’est-ce qu’un auteur? In: Ders.: Dits et écrits 1954–1988. Bd. 1: 1954–1975. Hrsg. von Daniel Defert/François Ewald, Paris 2001, S. 817–849, S. 832. Vgl. Michel Foucault: Les mots et les choses, Paris 1966. 4 Andreas Kablitz: Petrarcas Lyrik des Selbstverlusts. Zur Kanzone Rvf Nr. 360  – mit einem Exkurs zur Geschichte christlicher Semantik des Eros. In: Geschichte und Vorgeschichte moder­ ner Subjektivität. Hrsg. von Reto Fetz/Roland Hagenbüchle/Peter Schulz, Berlin, New York 1998, S. 567–611, S. 567. 5 Michael Bernsen: Die Problematisierung lyrischen Sprechens im Mittelalter. Eine Untersu­ chung zum Diskurswandel der Liebesdichtung von den Provenzalen bis zu Petrarca, Tübingen 2001 (Beihefte zur Zeitschrift für Romanische Philologie 313), S. 319. 6 Vgl. das Proömialsonett des Canzoniere „Voi ch’ascoltate in rime sparse il suono“ und die darin formulierte Programmatik.

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eigenen Selbst und zur Welt gelten.7 Dieser Moment der Entdeckung des Sub­ jekts wurde einerseits als gesteigerte Selbsterfahrung eines neuen Menschentyps identifiziert,8 andererseits als „theologia crucis“ gelesen, bei der das Leiden des Subjekts „in der Nachfolge der passio Christi“ steht.9 Die Epochensignatur fällt mit der Ambivalenz eines Sprechers zusammen, der sich als von Gott abgefallen erkennt und aus dieser Situation einen Ausgang suchen muss. Vor diesem Hin­ tergrund bezieht man die Verfassung des Ich, die mit paradoxen Bildern wie der Süßigkeit des Schmerzes, der glücklichen Qual oder dem wohltätigen Gift zum Ausdruck gebracht wird, auf diese paradoxe Struktur, die vom ersten bis zum letzten Gedicht des Canzoniere, den Rerum vulgarium fragmenta, durchbuchsta­ biert worden ist. Damit sieht es so aus, als habe Petrarca durch die Zentrierung auf den Sprecher eine Dichtung und mit ihr einen modernen neuen Menschentyp erfunden, in der das antike dulce malum Ovids als ästhetischen Dauerzustand in jedem Sonett neu und vor dem Horizont christlicher Vorstellungen anders kon­ stituiert wird.10 Selbst dann wenn seine Lyrik im Horizont des Selbstverlustes gelesen wird,11 wird sie der Episteme der Renaissance implizit zugeordnet, inso­ fern als auch noch in der Negation des Sprechers die Möglichkeit zur diskursiven Selbstbegründung liegt. Die für diese epistemologische Situierung gezogenen Schlüsse gehen auf ­Petrarcas Canzoniere zurück, in dem sich der Sprecher als Zentrum stilisiert hat. Auch wenn sich dieses Ich erst nach und nach und vor allem im Rezeptionsver­ lauf als das konstituiert, als das wir es heute sehen, benötigte der Liebesdiskurs allerdings von Anfang an ein Gegenüber, eine zweite Instanz, die Figur der Laura.

7 Vgl. Barbara Vinken: Tränen zum Leben, Tränen zum Tode. Katharina von Siena, Petrarca, Boccaccio, Theresa von Avila, Zola. In: Tränen. Hrsg. von Beate Söntgen/Geraldine Spieker­ mann, München 2008, S. 17–25, S. 20  f. 8 Karlheinz Stierle: Francesco Petrarca. Ein Intellektueller im Europa des 14. Jahrhunderts, München, Wien 2003. Vgl. Raymond Klibansky/Erwin Panofsky/Fritz Saxl: Saturn and Me­ lancholy. Studies in the History of Natural Philosophy, Religion and Art, London 1964, S. 248  ff. Auch: Karlheinz Stierle: Petrarca-Studien. Heidelberg 2012. (Schriften der Philosophisch-his­ torischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Bd. 48), S. 26 und S. 355. Das Moment der Selbsterfahrung wird in eine ganze Reihe von Selbstbezügen gestellt: „Selbstver­ lust“, „Selbstzerrissenheit“, „Selbstentfremdung“, „Selbstgenügsamkeit“. 9 Andreas Kablitz: Laura und die alten Mythen. Zum Verhältnis von antikem Mythos und christlicher Heilsgeschichte in Petrarcas Canzoniere. In: Petrarca-Lektüren. Gedenkschrift für Alfred Noyer-Weidner. Hrsg. von Klaus W. Hempfer/Gerhard Regn, Stuttgart 2003, S. 69–96, S. 78. 10 Vgl. Hugo Friedrich: Epochen der italienischen Lyrik, Frankfurt a. M. 1964, S. 164 sowie auch S. 183  ff. 11 Vgl. Kablitz: Petrarcas Lyrik des Selbstverlusts, S. 572  ff.



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Seine Begegnung mit der historischen Laura datiert Petrarca auf den Karfreitag, um sie damit – für seine Lieder – als eine Figur zu markieren, die durch ihre Ent­ zogenheit gekennzeichnet ist: Imaginiert sich der Sprecher an den Ort christlicher Trauer, so wird die Geliebte an den Ort des entschwundenen corpus Christi pro­ jiziert. Sie wird zum Idol stilisiert, zum engelhaften Wesen, das für den Sprecher unerreichbar ist, auf das es jedoch sein ganzes Sehnen und seine nicht endende Trauer richten kann. Laura wurde daher als Spiegelfigur dieses Ich interpretiert, durch die dieses zu sich selbst und die Dichtung zu einer neuen poetischen Kraft finden kann. Was geschieht jedoch in dem Moment, in dem das Idol beginnt, sich zu verselbstständigen und zwar ausgerechnet durch das, was die Dichtung begründet, nämlich Gesang? Müsste dann nicht die diskursive Begründungskraft Petrarcas neu befragt werden? Die Datierung eines Bruchs innerhalb der Subjektgeschichte, die die PetrarcaKritik wiederholt vorgenommen hat, kann diskutiert werden, wenn der Blick vom Ich auf sein Gegenüber gerichtet wird, um von dort aus den Canzoniere noch einmal zu lesen. Anstatt also den Text vom lyrischen Subjekt aus zu untersuchen und demzufolge von dessen Liebe zu Laura, soll umgekehrt der Blick von Laura aus auf den Sprecher geworfen und damit nach der Funktion ihrer Liebe zum Ich sowie nach dem dadurch veränderten Liebesdiskurs gefragt werden. Die Lektürerichtung zielt wie in den vorangegangenen Kapiteln darauf, den Text von der weiblichen, an zentraler Stelle zwischen dem Irdischen und dem Göttlichen situierten Figur und ihrer Stimme zu perspektivieren. Das ist auch in Bezug auf die Gattung Lyrik ungewöhnlich, insofern als dass sich zwar der Sprecher als „problematisches Subjekt“12 erwiesen hatte, an diesem als Instanz aber beharrlich festgehalten wird. Die Fokussierung der Stimme könnte also auch Fragen zur Gattung neu ins Spiel bringen. Worum es in diesem Kapitel jedoch in erster Linie geht, ist auch für Petrarca die Bestimmung einer Stimme, die an der Sprechsituation beteiligt ist, deren konstitutive Funktion durch das lyrische Subjekt verdeckt wird. Denn nicht nur das Ich erfindet sich als Gegenstand des Sprechens, auch das von diesem erfundene Gegenüber, Laura, beginnt zu spre­ chen und zu singen. Durch ihre Rede kann in der Schrift des Textes eine zweite Stimme vergegenwärtigt werden. Mit einem solchen der Dichtung eingelagerten Sprechen setzt sie eine Rede fort, die sich bei Dante hatte identifizieren lassen. Das aber heißt, dass der Canzoniere eine zweite, verborgenere Geschichte (mit-) schreibt, die nicht die his-story der Brüche und Überbietungen ist, sondern her story: das Fortschreiben einer unerhörten Stimme. Diese Stimme läuft jedoch

12 Karlheinz Stierle: Die Identität des Gedichts. Hölderlin als Paradigma. In: Poetik und Her­ meneutik. Bd. 8: Identität. Hrsg. von Ders., München 1979, S. 504–552, S. 520.

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Gefahr, durch die Fokussierung auf den Sprecher zum Verschwinden gebracht zu werden und ist (deshalb) von der Forschung bisher kaum ‚gehört‘ worden. Ohne sie jedoch wäre der Canzoniere nicht zu dem geworden, was er ist: zum Text eines Autors, den man zum Begründer eines neuen Diskurses erklärt hat.

1 Wessen Lorbeer? In einem Brief an Giacomo da Colonna beschreibt Petrarca seine Laura als eine „mulier clarissima“13, die durch seine Verse zu Ruhm gekommen ist. Schon durch Petrarcas eigene Interpretation werden Lorbeer und Laura nicht nur zugunsten des Dichterruhms, sondern auch für Lauras Ruhm aufeinander bezogen. Dass wir von Laura wissen, verdanken wir dem Canzoniere, durch den Laura als lauro zur Chiffre des Ruhms und als persona von unerreichbarer, vollkommener Schön­ heit zum Gegenstand für eine große Liebesgeschichte der Dichtung geworden ist. In Laura überkreuzen sich Lorbeer und Verse; durch diese Überkreuzung ist sie in der Welt zu Ruhm gekommen. Die Aussage des Briefes korrespondiert mit einer Behauptung des Sprechers Francesco im Secretum: „me, quantulumcun­ que conspicis, per illam esse“ [Sec. III, 16; So klein du mich hier auch vor Augen hast – was ich bin, bin ich nur durch sie.]14. Es ist nicht nur so, dass Laura durch Petrarca berühmt geworden ist, auch Laura hat ihren Dichter zu Ruhm geführt. Die gegenseitige Spiegelung scheint vollkommen und eine Verwandlung des Ich in Laura stets möglich: „Quidni enim in amatos mores transformarer?“ [Sec. III, 16; Denn wie hätte ich nicht die Sitten meiner Geliebten annehmen sollen?] John Freccero hat in diesem Zusammenhang von einer „mirror relationship LauraLauro“15 gesprochen: „the poetic lady created by the poet, who in turn creates him as poet laureate.“16 In dieser Interpretation ist Laura eine Spiegelung des Ich, das sich selbst in seiner Dame als gekrönter Dichter reflektiert. Die Interpretation 13 „Est michi post animi mulier clarissima tergum / Et virtute suis et sanguine nota vetusto, / Carminibusque ornata meis auditaque longe.“  [Meinen Geist verfolgt eine herrliche Frau, da­ heim durch Tugend und alten Adel bekannt, durch meine Lieder aber verherrlicht und weithin berühmt.] (Francesco Petrarca: Epistulae Metricae. Briefe in Versen. Hrsg., übers. und erläu­ tert von Otto Schönberger/Eva Schönberger, Würzburg 2004, I, 6, 37–39) 14 Francesco Petrarca: Secretum meum. Mein Geheimnis. Lateinisch  – Deutsch. Hrsg., übers. und mit einem Nachwort von Gerhard Regn, Mainz 2004 (Excerpta classica XXI). Ich zitiere im Folgenden nach dieser Ausgabe und Übersetzung. 15 John Freccero: The Fig Tree and the Laurel. Petrach’s Poetics. In: Diacritics 5 (1975), S. 34– 40, S. 37. 16 Freccero: The Fig Tree and the Laurel, S. 37. Auch John Freccero: Dante. The Poetics of Conversion. Hrsg. von Rachel Jacoff, Cambridge, Mass. 1986, S. 132.



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von Freccero hat damit die epistemologische Relevanz Petrarcas auf eine Verän­ derung der Zeichenstruktur zurückgeführt und dabei auf ein Problem der dieser Struktur aufmerksam gemacht: Die Beziehung zu Laura bedeutet nach Freccero eine Veränderung des Zeichenbegriffs des sensus spiritualis: Anstatt dass die Zeichen allegorisch über sich hinaus und damit letztlich auf Gott verweisen, zeigen sie jetzt auf sich selbst.17 Die gegenseitige Verwiesenheit von Laura und Petrarca konstituiert eine Semiotik, bei der selbstreferentielle Zeichen die alle­ gorischen Zeichen, als Zeichen, die auf Gott verweisen, ablösen. Anders als der Feigenbaum – the fig tree –, unter dem die Bekehrung des Augustinus in Mailand stattfand, verweist der Lorbeerbaum – the laurel – auf Laura und somit wie­derum auf den von Lorbeer gekrönten Dichter zurück.18 Diese Beobachtung eines sol­ chermaßen veränderten Zeichengebrauchs, durch den sich die Zeichen nicht mehr auf Gott, sondern auf Laura richten, ist von epistemologischer Tragweite, insofern ein alter Zeichengebrauch durch einen neuen ersetzt wird, um auf diese Weise einen Autor und Laura als seinen Gegenstand hervorzubringen. Passiert aber nicht noch weit mehr, wenn der Lorbeer, der durch den ver­ wandten Klang Laura / lauro mit Laura zusammenfällt, mit einer Stimme ausge­ stattet wird, wenn also mit anderen Worten Laura nicht nur auf den Ruhm des Ich verweist, sondern zu sprechen und singen beginnt? Nimmt man all diejeni­ gen Stellen in den Blick, in denen Laura als singend und sprechend dargestellt wird, wird sichtbar, dass die Stimme des Canzoniere durch eine zweite Rede die Verselbstständigung der Laura-Figur impliziert. Nicht alle Zeichen verweisen also auf den Sprecher, sondern sie referieren auch auf diese Stimme, wenn der Lorbeer mit einer Stimme ausgestattet wird. Diese Stimme vernimmt der Sprecher in seinem Herzen und kennzeichnet sie als die Stimme Lauras: E ’n mezzo ’l cor mi sona una parola Di lei […] (Rvf 361, 11–12) Und hör ein Wort im Herzen mir erschallen Von ihr […]

17 Vinken hat für den politischen Petrarca den Blick auf das Problem der Zeichenstruktur ge­ lenkt. Barbara Vinken: Petrarcas Rom. Tropen und Topoi. In: Poststrukturalismus. Heraus­ forderung an die Literaturwissenschaft (DFG-Symposion 1995). Hrsg. von Gerhard Neumann, Stuttgart, Weimar 1997 (Germanistische-Symposien-Berichtbände 18), S. 540–556, S. 541  ff. 18 Freccero: The Fig Tree and the Laurel, S. 39.

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 Lauras Rede

Dem Sprecher, der den Ton der Gedichte angibt, wird eine zweite Stimme an die Seite gestellt und auf diese Weise, durch das im Herzen des Ich erklingende Wort, in den Text eine zweite Redeweise eingeführt. Diese parola wird durch den gesam­ ten Canzoniere hindurch immer wieder hörbar gemacht. Den Dichter trifft also nicht allein der Blick der Dame, wie in der Tradition der Liebesdichtung des dolce stil novo, sondern es erklingt in seinem Inneren eine Stimme, die weder seine eigene noch eine göttliche Stimme ist. Nicht nur die begli occhi, sondern auch eine angelica voce Lauras hat der Canzoniere hervorgebracht und durch diese Stimme eine zweite Ebene in die Gedichte eingeführt: Laura ist nicht nur eine Figur, die gesehen und durch den Blick zum Gegenstand idolatrischer Selbstbezüglichkeit wird, idolum oder eídolon (griech. ‚Gestalt‘, ‚Bild‘), sondern sie ist darüber hinaus immer zugleich eine Figur der Stimme, wenn sie selbst singt und spricht.19 Wenn im Folgenden nach dieser Stimme gefragt wird, geht dies mit einer zent­ ralen, methodischen Verschiebung einher: mit einem Perspektivwechsel, der den Blick vom Ich und seiner Rede auf einen Nebenschauplatz lenkt, der sich indes als alles andere als nebensächlich erweist. Damit ist nicht die spezifische Sprech­ situation des Ich gemeint.20 Mit der hier untersuchten zweiten Stimme geht es um eine Position, die in den Text als ein Moment eingeschrieben wird, der nicht zu diesem Ich gehört. Eine solche Rede konstituiert einen zweiten Text im Text, dem sie zugehört und von dem wir wissen, dass er entweder nicht mitgesprochen wird oder wir ihn nur aus der Perspektive des Ich wahrnehmen können. Die Rollen zwischen Ich und Laura werden vertauscht, bemerkt Marco Santagata mit Blick auf den zweiten Teil des Canzoniere, Laura in morte. Laura habe in dem Moment, in dem sie aus dem Jenseits dem Ich erschienen sei, an Autonomie gewonnen.21 Diese Autonomie aber gewinnt Laura dadurch, dass sie zu singen beginnt. Wie der Gesang der Sirenen, der allem Dichten vorausgegangen ist und der das Lie­ beskonzept, das Petrarca an die europäische Dichtung vererbt, in entscheidender Weise prägt, hat dieser Gesang die Dichtung konsti­tuiert und kann in Hinblick auf seine poetologische Funktion befragt werden.

19 Auch die Forschung, die die körperliche Sinnlichkeit Lauras betont, hebt letztlich auf die Vi­ sualität ab. Vgl. dazu Bernhard König: Dolci rime leggiadre. Zur Verwendung und Verwandlung stilnovistischer Elemente in Petrarcas Canzoniere (Am Beispiel des Sonnets In qual parte del ciel). In: Petrarca 1304–1374. Beiträge zu Werk und Wirkung. Hrsg. von Fritz Schalk, Frankfurt a. M. 1974, S. 113–138 und Stephan Leopold: Die Erotik der Petrarkisten. Poetik, Körperlichkeit und Subjektivität in romanischer Lyrik Früher Neuzeit, München 2009, Kap. Lauras Körper, S. 61–88. 20 Vgl. Eva Horn: Subjektivität in der Lyrik. ‚Erlebnis und Dichtung‘, ‚lyrisches Ich‘. In: Einfüh­ rung in die Literaturwissenschaft. Hrsg. von Miltos Pechlivanos, Stuttgart 1995, S. 299–310. 21 Marco Santagata: Il frammenti dell’anima. Storia e racconto nel canzoniere di Petrarca, Bologna 1992, S. 248.



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Nicht immer wissen wir, was Lauras süße Rede ist, auch kennen wir ihre „opre sante“ [Rvf 287, 14; fromm Betragen] nicht. Die Spuren dieser anderen Rede und dieses anderen Wirkens haben sich jedoch in den Canzoniere einge­ schrieben. Gerade dasjenige Moment des Textes, das keinen Ort innerhalb der symbolischen Ordnung hat, scheint in Lauras Stimme hervor. Die nicht zitierte Rede Lauras ist der Moment, in dem das Nichtgesagte den Text als eine zweite Liebesgeschichte begründet, die die unglückliche Liebesgeschichte des Subjekts aufnimmt, spiegelt und umkehrt. Als Gesang im Gesang kündet die engelhafte Stimme Lauras von einem anderen Text, von einem anderen Canzoniere, durch den hindurch wir den bekannten Canzoniere noch einmal anders lesen können: als eine Liedersammlung, die die Einheit eines Ich zwar beansprucht, der jedoch gleichzeitig Momente eingeschrieben sind, die diese Einheit in Frage stellen und damit die behauptete Subjektivität noch einmal neu perspektiviert werden kann.

1.1 in vita, in morte Was Petrarcas Lyrikbuch eine Sonderstellung in der Liebeslyrik des 14. Jahrhun­ derts einbrachte, waren erstens die Behauptung einer Liebe aus Fleisch und Blut und zweitens ein zeitliches Narrativ, das diese Liebe vom Moment der Begegnung bis hin zum Tod schildert: als Liebe zum Tod einerseits, aber andererseits über diesen hinaus als ewige Liebe, um diese Liebe dauerhaft zu machen. In seinem Brief an Giacomo da Colonna hat Petrarca mit Vehemenz bestritten, Laura letzt­ lich nur seines Ruhms wegen erfunden zu haben und demgegenüber seine wirk­ liche Liebe beteuert: finxisse me michi speciosum Lauree nomen, ut esset et de qua ego loquerer et propter quam de me multi loquerentur; re autem vera in animo meo Lauream nichil esse, nisi illam forte poeticam, ad quam aspirare me longum et indefessum studium testatur; de hac autem spi­ rante Laurea, cuius forma captus videor, manufacta esse omnia, ficta carmina, simulata suspiria. Erdichtet hätte ich für mich den wohlklingenden Namen Laura, um etwas zu haben, worüber ich selber zu reden hätte und dessentwegen die Menge von mir reden würde; in Wahrheit jedoch sei diese Laura meines Herzens ein Nichts, ausser sie meine vielleicht jenen Dich­ terlorbeer, nach dem ich lechzte, wie eine andauernde, unermüdliche Gier es bezeuge. Und nur dieses fächelnden Lorbeers wegen, durch dessen Schönheit ich wie gebannt dastünde, sei all das andere zurechtgemacht, seien die Lieder erdichtet, die Seufzer erheuchelt.22

22 Francesco Petrarca: Le Familiari. Edizione critica. 4 Bde. Hrsg. von Vittorio Rossi, Flo­ renz 2008 (Edizione Nazionale delle Opere di Francesco Petrarca X–XIII), II, 9, 18. Im Folgenden

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Offensichtlich musste die Neuheit des Canzoniere erst behauptet werden, wenn Petrarca gegen den Vorwurf, nur des Ruhms willen zu dichten, Einspruch erhebt. Er musste den Text gegenüber dem Einwand, Lüge zu sein, als Wahrheit darstel­ len. Die Verflechtung dieses Anspruchs zeigt auch die Notiz über Lauras Tod, den Petrarca auf dem Vorsatzblatt seines Vergil-Kodex’, codice di Virgilio, hinterlas­ sen hat.23 Die hier vorgenommene Datierung der Begegnung mit Laura und ihres Todes erfolgt im Canzoniere in vergleichbar profaner Weise, nämlich ebenfalls als Datum (vgl. Rvf 211 und 336). Diese Daten bilden die Klammer der Liebes­ geschichte in vita und in morte di Madonna Laura, die auf diese Weise in den zeitlichen Verlauf einer love story eingepasst wird. Dass die Lebensdaten ausge­ rechnet auf dem codice di Virgilio vermerkt werden, ist aufschlussreich, bringt sie doch zwei Texte miteinander in eine enge, materielle Beziehung. Man könnte davon ausgehend behaupten, dass Petrarca dem Codex das Leben Lauras zu dem Zweck ‚einschreibt‘, sich durch seine Dichtung als neuer Vergil, poeta laureatus, zu behaupten.24 Das Notieren der Laura-Daten auf dem Codex funktioniert wie eine Inschrift: Der alte Text wird durch eine zweite Schrift ergänzt, die diesen durch die neue Geschichte von Laura und dem Ich des Canzoniere kommentieren oder auch widerlegen könnte.25 Eine solche Inschrift lässt sich funktional auch als Selbstschutz bestimmen. In diesem Sinn könnte Petrarca seine Notiz gegen den endgültigen Verlust der Geliebten durch den Tod verfasst haben. Die Erfahrung wird durch Lektüre in eine zu dulce malum gewordene Erinnerung transformiert. Der Eintrag des Todes­ datums auf der Frontseite ist verbunden mit dem Eintrag, dass er dies alles „amara quadam dulcedine“26 schreibe, also wiederum im Ton des Bitter­süßen, der den Canzoniere kennzeichnet. Petrarca aktiviert hierfür eine Reihe von Topoi der Stoa,

zitiere ich nach dieser Ausgabe. Die Übersetzung ist nach folgender Ausgabe zitiert: Francesco Petrarca: Familiaria. Bücher der Vertraulichkeiten. 2 Bde. Hrsg. von Berthe Widmer, Berlin, New York 2005, 2009. 23 Ernest Hatch Wilkins: Vita del Petrarca e la formazione del „Canzoniere“. Hrsg. von Remo Ceserani, Mailand 1964, S. 107. Übersetzung: Ernest Hatch Wilkins: Life of Petrarch, Chicago 1961, S. 77. 24 Vgl. Ernest Hatch Wilkins: The coronation of Petrarch. In: Speculum 18/2 (1943), S. 155–197; Hélène Vonner: Dall’Africa alla gloria poetica. Mise en abyme della confessione del deside­ rio terreno. In: Francesco Petrarca. L’opera latina. Tradizione e fortuna. Atti del XVI convegno internazionale. Chianciano  – Pienza, 19–22 luglio 2005. Hrsg. von Luisa Secchi Tarugi, Flo­ renz 2006, S. 171–182, S. 180. Die Studien stellen jedoch keinen Bezug zwischen Vergilkodex und Laura­geschichte her. 25 Damit werden die Gründung Roms und der Körper Lauras aufeinander beziehbar. Vgl. dazu Leopold: Die Erotik der Petrarkisten, S. 81  ff. 26 Wilkins: Vita del Petrarca, S. 107.



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die in sogenannten hypomnêmata, Notizbüchern, aufgeschrieben wurden, um sich vor negativen Affekten zu schützen.27 In gleicher Schutzfunktion richtet sich der Gebrauch der Notiz Petrarcas gegen die ‚Wirren‘ der eigenen Zeit: „tempus esse de Babilone fugiendi crebra horum inspectione ac fugacissime etatis esti­ matione commonear, quod, preuia Dei gratia, facile erit preteriti temporis curas ­superuacuas spes inanes et inexpectatos exitus acriter ac uiriliter cogitanti.“ [and that it is time, now that the strongest tie is broken, to flee from Babylon; and this, by the prevenient grace of God, should be easy for me, if I meditate deeply and manfully on the futile cares, the empty hopes, and the unforeseen events of my past years.]28 Die Praxis der hypomnêmata wird aufgerufen und in die eigene Gegenwart übertragen. Damit wird deutlich: Petrarca schreibt nicht mehr in einer tropologischen Zeit der Erfüllung, sondern in der irdischen Zeit, die als unzuverläs­ sig wahrgenommen wird und der durch Notiz und Lektüre beizukommen ist. Der Laura-Dichtung wird damit eine Funktion zugewiesen, die stellvertretend durch die Notiz und durch ihre Überschreibung Vergils behauptet wird: Sie besteht in der Möglichkeit, gegen die Flüchtigkeit der eigenen Zeit einen Text buchstäblich vor Augen zu stellen – „sub oculis meis“29 – und durch die Erfahrung der Lektüre die erlittene Geschichte in den bittersüßen Genuss des Lesens zu überführen. Die Datierung der Liebesgeschichte und ihre Unterteilung in zwei Teile, in vita und in morte di Madonna Laura, verkürzt allerdings die komplexe, doppelte Einschreibung auf ihre bloße histoire. Einer solch linearen Logik gegenüber hat Teodolinda Barolini den Canzoniere als „opra d’aragna“30 identifiziert: Nicht in gelungener conversio, sondern in einer „transition manquée“31 besteht das Nar­ rativ, das uns Petrarca mit dem Verweis auf das Netz der Spinne überlassen hat.

27 Vgl. Pierre Hadot: Exercices spirituels. In: Ders.: Exercices spirituels et philosophie an­ tique, Paris 1987 (Bibliothèque de l’évolution de l’humanité), S. 13–58. Daran anschließend: ­Michel Foucault: Les techniques de soi. In: Ders.: Dits et écrits 1954–1988. Bd. 2: 1976–1988. Hrsg. von Daniel Defert/François Ewald, S. 1602–1632, bes. S. 1605  ff. 28 Wilkins: Vita del Petrarca, S. 107. Übersetzung: Ders.: Life of Petrarch, S. 77. 29 Wilkins: Vita del Petrarca, S. 107. 30 Teodolinda Barolini: Petrarch at the Crossroads of Hermeneutics and Philology. E ­ ditorial Lapses, Narrative Impositions, and Wilkins’ Doctrine of the Nine Forms of the Rerum Vulga­rium fragmenta. In: Petrarch and the Textual Origins of Interpretation. Hrsg. von Dies./H. Wayne Storey, Leiden, Boston 2007 (Columbia studies in the classical tradition 31), S. 21–44, S. 30. Run­ dung und Geschlossenheit des Canzoniere betont demgegenüber Bernhard König: Das letzte Sonett des Canzoniere. Zur ‚architektonischen‘ Funktion und Gestaltung der ultime rime Petrar­ cas. In: Interpretation. Das Paradigma der europäischen Renaissance-Literatur. Festschrift für Alfred Noyer-Weidner zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Klaus W. Hempfer/Gerhard Regn, Wies­ baden 1983, S. 239–257. 31 Barolini: Petrarch at the Crossroads of Hermeneutics and Philology, S. 27.

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 Lauras Rede

Das Sonett 173 liefert die entsprechende poetologische Referenz auf das Werk der Spinne, in dem die süßen und bitteren Fäden wie zu einem Netz verflochten sind: Poi, trovandol di dolce e d’amar pieno, Quant’ al mondo si tesse, opra d’aragna Vede […] (Rvf 173, 5–7) Wenn sie da Süß und Herbes viel, umsponnen Ringsum die Welt von Spinnenweben siehet (Rvf 173, 5–6)

Dieselbe Metapher benutzt Petrarca auch in seinen Briefen, den Familiari. Dort vergleicht er sich bei der Durchsicht seiner von der Zeit zersetzten Schriften mit einem Diener der Göttin Minerva, der zum Opfer von Arachne wird: multa michi scriptorum diversi generis supellex domi est, sparsa quidem et neglecta. Per­ quisivi situ iam squalentes arculas, et scripturas carie semesas pulverulentus explicui. Importunus michi mus nocuit atque edacissimum tinee vulgus; et palladias res agentem inimica Palladis turbavit aranea. (Fam. I, 1, 3) Ein riesiger Vorrat an Schriften mancher Gattung liegt hier im Haus, ungeordnet und unge­ nützt. Durchstöbert habe ich von Schmutz starrende Kästchen, deren Inhalt durch langes Lagern verrottet ist, und habe – selber von Staub bedeckt – halb vermoderte Papiere aus­ einandergefaltet. Die widerliche Maus hat mich geschädigt, so auch der unersättliche Schwarm von Motten, und während ich Minerva diente, hat die Feindin Minervas, die Spinne, mir ein Wirrwarr gestiftet.

Die opra d’aragna ist ein Werk der Zeit, das von der gefräßigen musaranea bedroht wird.32 Derjenige Text, der gegen die Vergänglichkeit geschrieben ist, läuft selbst Gefahr, von der Zeit konsumiert zu werden. Die Wiederbegegnung des Briefschreibers Petrarca mit seiner eigenen Dichtung besteht nicht nur in ihrer Lektüre, sondern auch in der Entdeckung der Vergänglichkeit der Materialität der Texte, die von der Zeit zerstört werden.33 Nicht mit, sondern gegen die Zeit wird er seinen Canzoniere stellen, der alles auf einen Eigennamen – den Namen Laura – setzt und damit zugleich eine Umschrift des Ruhms vornehmen wird.

32 Ich danke Edi Zollinger für diesen Hinweis. 33 Zu den verschiedenen Kommentierungen dieser „opra d’aragna“ und den biblischen Refe­ renzen vgl. Paolo Cherchi: „Opra d’aragna“ (Rvf, CLXXIII). In: Studi sul canone letterario del Trecento. Per Michelangelo Picone. Hrsg. von Johannes Bartuschat/Luciano Rossi, Ravenna 2003, S. 135–145, S. 136  f.



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1.2 L’aura Im Canzoniere inszeniert Petrarca den Namen der Geliebten Laura im Wechsel­ spiel zu lauro, sodass der Name der Dame, Laura, und der Lorbeer des Dichters zusammenfallen.34 Die Wortspiele ergeben sich durch weitere Homophone wie l’aura, l’oro usw. Damit wird die Lebens- als Liebesgeschichte immer noch von einer anderen, nämlich semiotischen bzw. phonetischen Struktur ergänzt. Während die eine Ebene auf den plot zielt, richtet die andere Ebene den Text auf den Klang, auf das Ohr, aus. Wie Saussure, der in der lateinischen Dichtung bis zum 16. Jahrhundert verborgene, den Text wie eine zweite Ebene konstituierende Anagramme bzw. Hypogramme entdeckt hat,35 hatte Petrarca den laut­lichen Prozess der Gedichte auch über die Versifikation hinaus ausgearbeitet. Man könnte sagen, dass Petrarca, der sich mit seiner Liedersammlung in Volksspra­ che im medientechnischen Umbruch zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit positioniert,36 mit dem Namen Lauras die Differenz zwischen Stimme und Schrift markiert. Oder aber er hat, indem er die „seconde façon d’être d’un nom“37 aktua­ lisiert, seine Liedersammlung an die Latinität zurückgebunden. Für Saussure stand außer Frage, dass das dichterische Verfahren, das er für konstitutiv hielt und für das er annahm, dass es parallel zu den Dichtungsprozessen der Metri­ sierung und Versifikation verläuft, auf die lateinische Dichtung zurückgeht. Indem also Petrarca durch das beharrliche phonetische Spiel mit den lautlichen Ähnlichkeiten des Namens Laura arbeitet, hat er auf ein lateinisches Verfahren zurückgegriffen. Dies kann nur eine Vermutung bleiben, aber die Tatsache, dass die Canzoniere-Ausgaben vor der Entscheidung stehen, das Laura-Anagramm sichtbar zu machen oder nicht, zeigt die Relevanz der Anagrammatik zumindest für die Rezeption des Canzoniere. Und vielleicht steht dahinter die gleiche Per­ manenz eines „secret de fabrication“38 wie das, das Saussure leidenschaftlich verfolgt hat. Petrarcas berühmtestes Beispiel für die Homophonie und ihre Sichtbarma­ chung ist das fünfte Gedicht des Zyklus, insofern hier der Name quer durch den

34 Vgl. Cesare Segre: I sonetti dell’aura. In: Lectura Petrarca 3 (1983), S. 57–78. 35 Jean Starobinski: Les mots sous les mots. Les anagrammes de Ferdinand de Saussure, Paris 1971. 36 Vgl. Florian Mehltretter: Kanonisierung und Medialität. Petrarcas Rime in der Frühzeit des Buchdrucks (1470–1687). In Zusammenarbeit mit Florian Neumann, Berlin 2009, S. 173. 37 Starobinski: Les mots sous les mots, S. 31. 38 Starobinski: Les mots sous les mots, S. 59.

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 Lauras Rede

Text verläuft: LAU-RE-TA.39 Der im Sonett sichtbar gemachte Name „Laureta“ als Name für die Herrin setzt im Text noch ein zweites Mal ein, ohne jedoch aus­ geführt zu werden.40 Das seit dem 16. Jahrhundert in den Drucken markierte Anagramm des Namens der Geliebten steuert frühzeitig den Rezeptionsprozess: Laura ist Gegenstand der Dichtung wie zugleich der damit verdiente Ruhm: Laura  – lauro, Name der Dame und Lorbeer des Dichters, werden durch Paro­ nomasie zueinander in Bezug gesetzt. Durch dieses Wortspiel kann Laura also immer auch in etwas anderes als die Dame übersetzt werden.41 Es ist die Präsenz des Namens, nicht die Präsenz der Dame, die hier evoziert wird. Wie der Name von Göttern ist Laura den Gedichten eingeschrieben. Führt dies zur Einheit eines „Laura-System[s]“42 oder unterläuft nicht gerade das Anagramm die Einheit des poetischen Textes, die es garantieren soll? Die Funktion des Namens hat Petrarca im Secretum aufs Genaueste reflektiert und sie als geheimen Konflikt – „secretum meum“ – zwischen den Gesprächspart­ nern ‚Francesco‘ und ‚Augustinus‘ inszeniert. Die bekannte und viel diskutierte Offenheit des Textes – Francesco wendet sich, obwohl er von den Argumenten seines Gegenübers überzeugt scheint, abrupt seinen irdischen Angelegenheiten zu: den „sparsa anime fragmenta“ [Sec. III, 103; die verstreuten Bruchstücke meiner Seele]43 – scheint topisch die „rime sparse“ der „Rerum vulgarum frag­ menta“ vorzubereiten.44 Aber auch thematisch wird im Secretum die Dichtung Petrarcas diskutiert:

39 Vgl. C. W.: „Anagramm (Ferdinand de Saussure)“, in: Rom rückwärts. Europäische Übertra­ gungsschicksale. Hrsg. von Judith Kasper/ Cornelia Wild, München 2015, S. 130–135. 40 Vgl. Andreas Kablitz: Die Herrin des Canzoniere und ihre Homonyme. Zu Petrarcas Um­ gang mit der Laura-Symbolik. In: Romanische Forschungen 101 (1989), S. 14–41, S. 18. Vgl. auch ­Stierle: Francesco Petrarca, S. 654  ff. 41 Vgl. Alfred Noyer-Weidner: Il nome di Laura nel Canzoniere petrarchesco. Intorno all’enigma onomastico del sonetto V ed alle sue funzioni poetiche. In: Literarhistorische Be­ gegnungen. Festschrift zum 60. Geburtstag von Bernhard König. Hrsg. von Andreas Kablitz/ Ulrich Schulz-Buschhaus, Tübingen 1993, S. 293–309, S. 307  f. 42 Friedrich: Epochen der italienischen Lyrik, S. 196. Vgl. Roberto Antonelli: Einleitung zu: Francesco Petrarca: Canzoniere. Kritische Ausgabe. Hrsg. von Gianfranco Contini, Turin 2007, S. V–XXV, S. XVIII. 43 Vgl. Joachim Küpper: Das Schweigen der Veritas. Zur Kontingenz von Pluralisierungsprozes­ sen in der Frührenaissance (Überlegungen zum Secretum). In: Ders.: Petrarca. Das Schweigen der Veritas und die Worte des Dichters, Berlin, New York 2002, S. 1–53. 44 Vgl. Bernsen: Die Problematisierung lyrischen Sprechens im Mittelalter, S. 306  ff., bes. S. 308. Wie Bernsen zeigt, nimmt das Eröffnungssonett „Voi ch’ascoltate in rime sparse il suono“ die Ar­ gumente des Secretum auf.



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[…] quis digne satis execretur aut stupeat hanc alienate mentis insaniam cum, non minus nominis quam ipsius corporis splendore captus, quicquid illi consonum fuit incredibili vanitate coluisti? Quam ob causam tanto opere sive cesaream sive poeticam lauream, quod illa hoc nomine vocaretur, adamasti, ex eoque tempore sine lauri mentione vix ullum tibi carmen effluxit, non aliter quam si vel Penei gurgitis accola vel Cirrei verticis sacerdos exis­ teres. (Sec. III, 32) Wer könnte den Wahnwitz deines verrückten Sinns genug verfluchen oder genügend bestau­ nen, da du vom Glanz ihres Namens nicht weniger eingenommen warst als vom Glanz ihres Körpers selbst und in unglaublicher Verblasenheit alles verehrt hast, was ihm gleichklang? Deswegen hast du so intensiv den Kaiserlorbeer und den Dichterlorbeer geliebt – weil sie so hieß! Und seitdem ist dir kaum ein Gedicht entronnen, in dem der Lorbeer nicht vorgekom­ men wäre, ganz als würdest du an den tiefen Wassern des Peneios wohnen oder wärst ein Priester auf dem Kirrha-Gipfel.

Glanz und Gleichklang sind die falschen Genüsse, denen sich Francesco hinzu­ geben scheint. Aus der moraltheologischen Perspektive von Augustinus ist die Liebe von Francesco eine Verkehrung der Liebe zu Gott in die Bindungen der irdischen Liebe und damit Umschrift göttlicher Zeichen ins Weltliche: „pudebit animum immortalem caduco applicuisse corpusculo“ [Sec. III, 10; dann wirst du dich schämen, deine unsterbliche Seele an ein hinfälliges Körperlein geheftet zu haben]. Frecceros Behauptung idolatrischer Zeichen ist also auch Thema des Secretum.45 Francesco sei der irdischen Liebe verfallen, indem er süße Gottesliebe in irdische Liebe verkehrt habe und jetzt blindlings versuche, in den irdischen Dingen die ewige Süße zu finden: „O cece, necdum intelligis quanta dementia est sic animum rebus subiecisse mortalibus“. [Sec. III, 13; Du Blinder! Du ver­ stehst noch immer nicht, wie groß die Dummheit ist, seinen Geist den sterblichen Dingen derart unterworfen zu haben]. Aber es sind nicht nur die moraltheolo­ gischen Ansichten, die Petrarca hier seiner Augustinus-Figur in den Mund legt, sondern es ist umgekehrt auch die Behauptung, dass alles an der Benennung und am Namen hängt: „quod illa hoc nomine vocaretur“ [Sec. III, 32; weil sie so hieß!]. Für dieses Argument schließt Petrarca an die Namensetymologie des Mittelalters an, an der auch Dante in der Vita nuova die Verwendung des Namens festgemacht hatte: „lo nome d’Amore è sì dolce a udire, che impossibile mi pare che la sua propria operazione sia nelle più cose altro che dolce, con ciò sia cosa che li nomi seguitino le nominate cose, sì come è scritto: ‚Nomina sunt consequentia rerum‘ [Der Name Amors ist so süß zu hören, daß mir unmöglich scheint, daß sein ihm eigentümliches Wirken in den meisten Dingen anders als süß sein sollte, wo sich doch die Namen nach den benannten Dingen richten, so wie geschrieben steht:

45 Vgl. Freccero: The Fig Tree and the Laurel, S. 34  ff.

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‚Nomina sunt consequentia rerum […]‘].“46 In der Versicherung der Deckung von Namen („lo nome d’Amore“) und Sache („cose altro che dolce“) ist, semiotisch gesprochen, die Einheit von Zeichen und Referent garantiert. Als semiotischer Konflikt wird dies von Petrarca aufgenommen, wenn seine Augustinus-Figur die Verzückung an der Sprache zur falschen Süßigkeit erklärt und die Namen nicht mehr als vestigia Dei behandelt werden. Die Bemerkung im Secretum, dass Francesco in fast jedem seiner Gedichte den lauro, den Lorbeer, erwähnen würde, weil er ihren Namen enthält, gibt vor, wie der Canzoniere gelesen werden kann. Auch im Secretum ermöglicht ein subtiles Verfahren der confusione47 die Ver­ mischung der Redehaltungen. Dass unklar ist, mit welcher Stimme Augustinus spricht, ermöglicht Petrarca, seiner Augustinus-Figur seine eigenen Auffassun­ gen unter der Hand zu unterstellen.48 Augustinus spricht also nicht nur in seiner Rolle als Augustinus, sondern auch als Petrarca, ohne dass diese Verschiebung eigens markiert würde. Dieses Verfahren lenkt die Perspektive des Lesers, der die Ambiguität der Rede unbewusst übernimmt. Die Tatsache, dass sich die Wahrheit nicht mehr an den Positionen festmachen lässt, wird durch die Zersetzung der Eindeutigkeit der Rede auf subtile Weise vorbereitet. Denn dieses doppelte Spiel der Rede ist der Grund dafür, dass der Dialog nicht abgeschlossen werden kann. Die Unabschließbarkeit ist ein Effekt der Zweideutigkeit der Rede der Sprecher und damit einer sprachlichen Ordnung, die auf Pluralität angelegt ist.49 Die Bedeutung des Namens der Laura korrespondiert nur noch mit einem anderen Namen, der Unsterblichkeit für sich reklamiert: mit dem Namen des Autors Petrarca. Hierfür legt Petrarca seiner Augustinus-Figur die entsprechen­ den Worte in den Mund: „Gloriam hominum et immortalitatem nominis plus

46 Dante Alighieri: Vita nova. Hrsg. von Guglielmo Gorni, in: Dante Alighieri: Opere. Hrsg. von Marco Santagata, Bd. I: Rime, Vita nova, De vulgari eloquentia, Mailand: Mondadori 2015, 6,4. Im Folgenden zitiere ich nach dieser Ausgabe. Die Übersetzung folgt Dante Alighieri: Vita Nova/ Das neue Leben. Übersetzt und kommentiert von Anna Coseriu und Ulrik Kunkel, München 1988. 47 Vgl. Adriana Cavarero: Nonostante Platone. Figure femminili nella filosofia antica, Verona 2009 (Testi 4), S. 99. 48 Freccero hat dieses Verfahren als Dramatisierung Petrarcas eigener Ansichten erkannt. Vgl. Freccero: The Fig Tree and the Laurel, S. 34: „both voices are Petrarch’s, the inconclusi­ ve conversation about moral paralysis constitutes an elegant dramatization of its own subject ­matter.“ 49 Von dieser Unmöglichkeit wurde auf die Pluralität der Diskurse als Signum der Neuzeit ge­ schlossen. Vgl. Bernhard Huss/Gerhard Regn: Nachwort zu: Francesco Petrarca: Africa. Lateinisch / Deutsch. Hrsg., übers. und mit einem Nachwort von Dies., Mainz 2007 (Excerpta classica XXIV), S. 516  f.



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debito cupis.“ [Sec. III, 72; Ruhm unter den Menschen und die Unsterblichkeit deines Namens begehrst du mehr, als sich gebührt.]50 Als moraltheologische Kritik getarnt, entfaltet Petrarca ex negativo, was die Augustinus-Figur kritisiert: seine eigene Unsterblichkeit. Petrarca dreht also Augustinus fast schon parodis­ tisch die Worte im Munde herum, die sich folglich immer auch umgekehrt lesen lassen. Was sich im Secretum andeutet, wird im Canzoniere manifest: Mit dem Rufen des Namens wird die Macht der Dichtung begründet.

1.3 nennen / rufen (chiamar) Das fünfte Gedicht des Zyklus macht sein eigenes Tun als Akt der Adressierung kenntlich, indem es durch Rufen (chiamar), Stimme (voce), Schrift (scrivere) und Sprache (lingua mortal) seine eigenen medialen Bedingungen zum Gegen­ stand erklärt und als Sprachhandlung inszeniert.51 Metapoetisch reflektiert das Gedicht über das Loben, was zugleich eine Reflexion über den Namen ist. Das nachträglich hervorgehobene Anagramm bringt zum Vorschein, was dem Gedicht als seine eigene Praxis von jeher eingeschrieben war: die Zweideutigkeit des poetischen Gegenstandes, der selbst bereits „das Produkt einer historischen Metamorphose des Mythos“52, in diesem Fall der Metamorphose von Daphne in den Lorbeer, ist. Schon in der ersten und zweiten Strophe wird der poetische Akt als Adressierung bestimmt, der im Rufen / Nennen / Benennen der Dame und ihres Namens besteht: […] a chiamar voi E ’l nome che nel cor mi scrisse Amore, (Rvf 5, 1–2) […] euch zu nennen […] Beim Namen, den mir Amor eingeschrieben.

50 Vgl. zur Hybridisierung der Augustinus-Rede Marc Föcking: „Dyalogum quendam“. Petrar­ cas Secretum und die Arbeit am Dialog im Trecento. In: Möglichkeiten des Dialogs. Hrsg. von Klaus W. Hempfer, Stuttgart 2002, S. 75–114, S. 96  ff. 51 Für zahlreiche Anregungen bei der Lektüre dieses Gedichts danke ich Laura Perfetti Braun. 52 Anselm Haverkamp: Lauras Metamorphosen (Eichs Lauren). Dekonstruktion einer lyrischen Figur in der Prosa der Maulwürfe. In: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 58 (1984), S. 317–346, S. 321.

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Zwischen dem Rufen („chiamar voi“) und der Inschrift des Namens („nel cor mi scrisse Amore“) besteht ein Gegensatz, der durch die Schrift einerseits und den Klang andererseits verstärkt wird: Quando io movo i sospiri a chiamar voi E ’l nome che nel cor mi scrisse Amore, LAUdando s’ incomincia udir di fore Il suon de’ primi dolci accenti suoi. (Rvf 5, 1–4; Herv. im Orig.) Wann meine Seufzer, euch zu nennen, steigen, Beim Namen, den mir Amor eingeschrieben Ins Herz, ‚LAUdate!‘ ruft der Klang der lieben Drei ersten Laut und bricht alsbald das Schweigen.

Was Amor dem Sprecher ins Herz geschrieben hat, muss durch den poetischen Akt erneuert werden.53 Dieser kann demzufolge nichts anderes als Wiederho­ lung sein: das Wiederholen einer Schrift, die bereits (durch Amor) geschrieben worden ist. Petrarcas Canzoniere ist damit auch das Lesen einer schon bestehen­ den Herzensschrift. Das Sonett erweist sich nicht nur durch seine Anagramme als Aufschreibesystem, sondern  – auf der Ebene der histoire  – durch die Ver­ handlung von Schrift und Lektüre. Lesen und Schrei­ben sind die ausgewiesenen und eingeschriebenen Bedingungen des Sonetts, die bereits in den ersten Versen reflektiert werden. Diese Reflexion wird fortgesetzt durch eine Theoretisierung des Nennens. Immer dann wenn der Name genannt oder gerufen wird, zeigt sich die Differenz zwischen der Schrift Amors und der neuen Schrift, die die Dichtung Petrarcas ist. Durch seine Stellung in der ersten Strophe und seine Wiederaufnahme im ersten Terzett: „pur ch’ altri vi chiami“ [Rvf 5, 10; sowie euch einer nennet] ist das „chiamar voi“ das eigentliche Thema des Gedichts: Cosí LAUdare e REverire insegna La voce stessa, pur ch’ altri vi chiami, O d’ ogni reverenza e d’ onor degna: (Rvf 5, 9–11, Herv. im Orig.)

53 Vgl. auch Rvf 331, 40–41: „Di sua man propria avea descritto Amore/ Con lettre di pietà“ [Hatt Amor selber vormals eigenhändig / Das mit des Jammers Zeichen eingeschrieben], sowie die Inschrift auf Lauras Stirn: „Ne la fronte a madonna avrei ben letto: / – Al fin se’ giunto d’ ogni tua dolcezza / Et al principio del tuo amaro molto. –“ [Rvf 331, 52–54; Hätt ich wohl auf der Herrin Stirn gelesen: / ‚Du bist gelangt zu deiner Freuden Ende, / Zu deines langen Jammers dunkler Pforte.‘]



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So muß zu loben und zu huldgen lehren Das bloße Wort, sowie euch einer nennet, O aller Huldgung Wert und aller Ehren!

Dass Petrarca hier medientheoretisch einen Kommentar zu den Gedichten in volgare verbirgt  – als Differenz zwischen gesprochenem und geschriebenem Namen –, ist vielleicht nur die Randerscheinung eines umfassenderen Konzepts von Lyrik als Appellation, d.  h. der Adressierung des Subjekts und des Namens.54 Lieben und Nennen erweisen sich als dieselbe rhetorische Tätigkeit, insofern „chiamar“ und „amore“ durch die Strophenführung ineinander gespiegelt werden und „chiAMAR“ zum Anagramm von „AMAR(e)“ wird. Diese Beziehung ist jedoch nicht – wie die Inschrift – von Dauer, sondern als lingua mortal den Bedingungen des Irdischen ausgesetzt. Die Zunge, die den Namen spricht, ist, anders als die immergrünen Lorbeerzweige, vergänglich und maßt sich dennoch an, über unsterbliche Dinge zu sprechen: Se non che forse Apollo si disdegna Ch’ a parlar de’ suoi sempre verdi rami Lingua mortal presuntuosa vegna. (Rvf 5, 12–14) Wenn nicht vielleicht Apollo zürnt, zu hören, Wie Menschenwort zu reden kühn entbrennet Von seinem Blätterschmuck, dem ewig hehren.

Der Gegensatz zwischen dem Ewigen und dem Sterblichen, den Petrarca im zweiten Terzett herstellt, ruft den doppelten Körper einer Dichtung auf, dessen Aporien verhindern, dass poetische Zeichen dauerhaft gemacht werden können. Als lingua mortal bleibt die Dichtung den irdischen und damit vergänglichen Zeichen verpflichtet. Der Akt des Nennens verspricht jedoch die Möglichkeit der Verdoppelung („Vostro stato REal […] / Raddoppia […] il mio valore“; Rvf 5, 5–6 [  […] als REgentin euch sich neigen / […] fühl ich mich zum Werk getrieben!]), d.  h. gleichzeitig irdisch und göttlich, sterblich und unsterblich zu werden. Adam benennt Eva, wie Petrarca Laura benennt. Was aber angerufen wird, ist, was das Gedicht selbst tut, das Loben, das mit dem Namen zusammenfällt und im Rezep­ tionsprozess als Anagramm im Gedicht sichtbar gemacht worden ist („LAU-RETA“). Bei Petrarca geht es nicht wie bei Dante um das Unaussprechliche, sondern um das Ausgesprochene, das als solches auf sich – den Akt des Sprechens selbst –

54 Vgl. Jonathan Culler: The Pursuit of Signs. Semiotics, Literature, Deconstruction. London u.  a. 1981, Kap. 7: Apostrophe, S. 135–154.

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zurückverweist: „ché sol del suo nome / Vo empiendo l’aere che sí dolce sona.“ [Rvf 97, 10–11; und nur ihres Namens Süße, / Des lieblich tönenden, ruf’ ich den Lüften] Der Akzent liegt vor allem auf dem süßen Klang des Namens. Das Sonett gründet im Anruf der Dame, aber dieser Anruf kann nie etwas anderes sein als dieses Rühmen selbst. Mit der Verschiebung auf den Akt des Nennens kann das Liebespaar Teil einer diskursiven Ordnung werden, die neben der Anrede einer Person auch den Namen selbst zum Gegenstand hat. Auf diese Weise konstituiert sich ein Spre­ chen über Laura, und es wird gleichzeitig plausibel, warum ihr eigentlicher Name nur so selten erscheint. Denn der Akt des Nennens ist die Chiffre für die Dame, sodass sich konsequenterweise das Loben anstatt auf die donna, auf die Worte richtet, mit denen der Name der Geliebten ausgesprochen wird: Benedette le voci tante ch’ io Chiamando il nome di mia donna ho sparte, E i sospiri e le lagrime e ’l desio; (Rvf 61, 9–11, Herv. C.W.) Gesegnet euch die vielen Wort’, in denen Ich meiner Herrin Namen rings geehret! Und alle Seufzer, alle Wünsch’ und Tränen!

Der Widerklang des Namens im Herzen ist süßer als die Begegnung mit der Dame selbst: […] ’l suo chiaro nome Che sona nel mio cor sí dolcemente. (Rvf 268, 49–50) Ihr Nam […] Des Laute süß im Herzen widerhallen.

Petrarca inszeniert die Herrin und mit dieser die Möglichkeit der Anrufung ihres Namens. Die Liebesbeziehung wird durch einen sprachlichen Akt substituiert, das Nennen des Namens zum eigentlichen Liebesakt. Laura wird also gleich zweimal aufgerufen: einmal durch ihren Namen, das andere Mal durch den Akt des Nennens selbst. Das „chiamar“ als Sprechakt inszeniert den Sprecher als ein Subjekt, das spricht und benennt. Es bedarf einer komplexen Sprachhand­ lung, um eine Figur wie Laura zu erzeugen. Petrarca erschafft nicht nur die Figur, sondern inszeniert auch das Verfahren, das sie erzeugt. In Dantes Vita nuova war es die demutsvolle Erinnerung an den Namen, durch den dieser eingeführt worden war: „ricordare lo nome di quella gentilissima“ [Vn. 2, 10; des Namens



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jener Holdseligen gedenken].55 Bei Petrarca hingegen wird ein Subjekt eingesetzt, das über die rhetorische Macht verfügt, den Dingen selbst Namen zu geben, sie ‚in die Welt‘ zu rufen und diese Macht als Verfahren, als chiamar, auszu­stellen. Die Nennung des Namens ist die Grundlage dieser Dichtung, und zwar umso mehr nach der Behauptung von Lauras Tod. Denn was bleibt, ist der Name, der auch ohne die Möglichkeit der Rückschreibung auf eine lebendige Person gegen­ über dem hinfälligen Körper ein Eigenrecht beansprucht: „Né di sé m’ ha lasciato altro che ’l nome.“ [Rvf 291, 14; Und mir von sich den Namen nur gelassen.] Lauras Verschwinden ist aus diesem Grund für die Benennung kein Hindernis, im Gegenteil, dieses wird umso mehr zur Voraussetzung für das Rufen: Cercando co ’l penser l’ alto diletto Che Morte ha tolto, ond’ io la chiamo spesso! (Rvf 281, 7–8, Herv. C. W.) Im Geist mein Höchstes suchend, mein Verlangen, Das tot nun; drum mein Mund so oft es nennet!

Umgekehrt heißt das, dass nur der Name überdauern wird. Durch die fortdau­ ernde gloria des Namens besiegelt Petrarca die „memoria eterna“ der Dichtung. Dieser Akt erfolgt in Lauras Namen: E, se mie rime alcuna cosa ponno, Consecrata fra i nobili intelletti, Fia del tuo nome qui memoria eterna. (Rvf 327, 12–14) Und wenn es meinen Reimen ward beschieden, Sei hoch gefeiert unter edeln Geistern Hier ewig deines Namens Angedenken.

Sind die Verse (rime) mit dem Namen (nome) verschränkt, sichern sie ihren Ewigkeitswert als sprachliche Zeichen. Allerdings bleibt fraglich, ob mit diesen Benennungsszenen die Dame oder der Dichter im Zentrum dichterischer Rede stehen, ob es also tatsächlich zu einer Ablösung der Dame als Zentrum poetischer Rede durch den Dichter gekommen ist, der sich fortan selbst zum neuen Zentrum seiner Dichtung macht.

55 Vgl. Michelangelo Picone: La Beatrice di Dante dalla Vita nova alla Commedia. In: Selvagge e angeliche. Personaggi femminili della tradizione letteraria italiana. Hrsg. von Tatiana Crivel­ li, mit Alessandro Bosco/Mara Santi, Leonfronte 2007, S. 33–48, S. 37.

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2 Stimme An nur wenigen Stellen der rime sparse wird, wie bereits erwähnt, der Name der Herrin unmittelbar in den Text eingeschrieben. Umso mehr unterstreichen die Momente, in denen er explizit genannt wird, den Namen. So im Sonett „Dodici donne onestamente lasse“: Poi le vidi in un carro trïumfale, Laurëa mia con suoi santi atti schifi Sedersi in parte e cantar dolcemente. (Rvf 225, 9–11, Herv. C. W.) Dann sah ich sie im Siegeswagen thronen, Und meine Laura mit dem frommen Wesen, Zur Seite sitzend, holde Weisen singen;

In diesem Sonett taucht der Name „Laura“ im Text auf, und zwar als der Name einer weiblichen Figur, die königlich und – was entscheidend ist – süß singend auf einem Triumphwagen sitzt. Mit diesem Bild ruft Petrarca eine literarische Figur auf, denn anstelle eines Menschen aus Fleisch und Blut zitiert er Beatrice aus Dantes Divina Commedia. Diese hatte Dante an zentraler Stelle der Commedia, in Canto XXX des Purgatorio, auf dem Triumphwagen thronend gezeigt, auf dem sie erschienen war, um anschließend den Wanderer Dante ins Paradies zu begleiten. Die rare Erwähnung des Namens Laura fällt mit dem Verweis auf ihr poeti­ sches Vermögen zusammen. Gleichzeitig verbindet die Inszenierung ihres Gesangs Laura mit ihrer literarischen Vorgängerin. Denn diesen stattet Petrarca nicht zufäl­ lig ausgerechnet mit dem Attribut des ‚Süßen‘ aus: „le vidi […] cantar dolcemente“ [Rvf 225, 9–11; sah ich sie […] holde Weisen singen]. Mit diesem ‚Süßen‘ wird die Dichtung im dolce stil novo zitiert, die die Tonart des „dolce“ privilegiert hatte.56 Singt also Laura ebenso süß, wie die Stilnovisten oder Beatrice singen konnten? Was passiert, wenn das Liebesobjekt einen ebenso süßen Gesang anstimmt wie der Sprecher? Kommt hiermit eine zweite Stimme ins Spiel, die, auch wenn der Inhalt dieses Gesangs ausgespart, dennoch vom Text behauptet und als funk­ tions­tragendes Element affirmiert wird? Ein solcher Gesang erweist sich als eine metatextuelle Figur: eine allegorische Thematisierung und Ausführung eines Selbstbezugs der Sprache in der poetischen Sprache, der an der weiblichen Figur durchgespielt wird. Denn offensichtlich ist, dass zum Gesang des Ich noch eine

56 Vgl. Dante: Purg. XXIV, 55–57; Purg. XXVI, 97–99, sowie Kap. II, S. 63.

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zweite Stimme hinzukommt. Gianfranco Contini bestimmt sie als eine überirdi­ sche Stimme: „Laura cantasse cose soprannaturali e immaginazioni celesti“57. Anders als die Allegorie der Veritas, die im Secretum vor dem Gespräch von Augustinus und Francesco auftritt, aber schweigt, ist Laura nicht stumm. Sie spricht, grüßt und singt. Eine Forschung, die ihren Blick allein auf den Sprecher des lyrischen Textes richtet, übersieht, dass hier eine zweite Stimme, die Stimme der Herrin – „Sí dolce in vista e sí soave in voce“ [Rvf 284, 8; Mit süßem Blick, mit holder Stimm] – inszeniert wird. Denn die Tatsache, dass Petrarca seiner Laura sowohl einen Namen als auch eine Stimme verliehen hat, einen eigenen Gesang von so süßer Erhabenheit, dass er ans Göttliche grenzt, zeigt, dass hier eine andere, differente Stimme hörbar wird, die einerseits Bestandteil des Liebesdis­ kurses ist, aber dabei andererseits zugleich die Bedingungen lyrischen Sprechens ausstellt. Mit dem Zitat aus der Commedia hat Petrarca auch die Sprechsituation aufgenommen und sie für den Canzoniere genutzt. Wie der Gesang Beatrices süß und engelhaft (Inf. II, 56–57) ist, so erweist sich auch Lauras Gesang als ein süßer Gesang. Wie Beatrice ist Laura eine Dame, die singt und spricht: „Qui cantò dolcemente“ [Rvf 112, 9; Hier sang sie süß] / „Qui disse una parola“ [Rvf 112, 12; Sprach da ein Wörtchen].

2.1 angelica voce Laura wird zum Ausnahmewesen erklärt, das wie ein Engel auftritt.58 Dieser Topik entsprechend wird auch ihre Stimme der Sphäre des Göttlichen zugeord­ net. Ihre Worte folgen nicht dem Gesetz irdischer voce humana, sondern überirdi­ scher angelica voce. Wie ihr Gehen, so ist auch das Sprechen der Laura über alle irdischen Bedingungen erhaben: Non era l’andar suo cosa mortale, Ma d’angelica forma; e le parole Sonavan altro che pur voce umana. (Rvf 90, 9–11, Herv. C. W.)

57 Contini: Petrarca: Le Rime, S. 819. 58 Petrarca bezieht sich auf den Topos der engelhaften Gestalt, der die Dichtung der Provenza­ len kennzeichnet. Vgl. Guinizellis Canzone IV: „Al cor gentil rempaira sempre amore“, 58–59: „Tenne d’angel sembianza / che fosse del Tuo regno“. In: Guido Guinizelli: Rime. Hrsg. von Pietro Pelosi, Neapel 1998. Vgl. auch Marco Santagata: Amate e amanti. Figure delle lirica amorosa fra Dante et Petrarca, Bologna 1999 (Saggi 507), Kap. La donna del miracolo, S. 13–61.

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Ihr Gang war nicht ein irdisch sterblich Wesen, Vielmehr von Engelart; aus ihrem Munde Ertönten Worte, nicht wie Menschenlaute;

Lauras Gangart und Gestalt und auch ihre Worte werden als überirdisch darge­ stellt. Mit dieser sublimen Bestimmung der Laura-Figur treten die irdischen und die göttlichen Dinge in einen Gegensatz, denn die über das Menschliche erha­ benen Worte sind doch zugleich die Worte der Dichtung. In diesem typischen Laura-Sonett – typisiert durch die „begli occhi“ und das Motiv der „pietà“ – wird Laura im ersten Vers nur durch das Wortspiel mir l’aura eingeführt und durch ihr goldenes Haar, das im Windhauch zu Locken zerzaust wird, aufgerufen: „i capei d’oro […] / Che ’n mille dolci nodi gli avolgea“ [Rvf 90, 1–2; die goldnen Locken […] / Und kreisten sich in tausend süßen Ringen]. Durch die Assoziation von „rime sparse“ [Rvf 1, 1, Herv C. W.; meine Reime] und „i capei d’oro a l’aura sparsi“ [Rvf 90, 1; zerstreut im Wind; vgl. auch „le chiome a l’ aura sparse“, Rvf 143, 9, Herv. C. W.; Ihr Haar seh ich im Wind zerstreut] werden Haare und Reime aufeinander bezogen und die Assoziation durch die poetologische Markierung der verknoteten goldenen Löckchen zusätzlich unterstrichen. Das Goldhaar ruft die goldenen Buchstaben auf – „lettre d’oro“ [Rvf 93, 2; goldnen Zeichen] –, mit denen der Canzoniere geschrieben sein will.59 Bereits durch diese Umschrift von Lauras Körper in die Reime wird allerdings der Gegensatz zwischen Göttlichem und Irdischem, den das Gedicht semantisch herausstellt, aufgehoben: denn als Körper der Reime muss Laura zwangsläufig auch dessen irdische Qualitäten übernehmen. Petrarca inszeniert sie sowohl als engelhaftes Ausnahmewesen als auch, durch den poetischen Sprechakt, ihre irdische Verfassung. Zu demselben poetischen Akt gehört, dass Laura mit einer ebenso süßen Stimme wie die Dichtung singt und sich damit ihre Stimme als Teil des Liebes­ diskurses erweist. Ein signifikantes Beispiel stellt das Sonett 159 dar, das zu den „Kerngedichten“60 des Canzoniere zählt. Nach provenzalischer Tradition über­ trägt Petrarca die antike Liebeslehre, nach welcher Amor den Liebenden mit seinem Pfeil trifft,61 auf die Herrin, ihr Äußeres  – „divina bellezza“ [Rvf 159,  9;

59 Vgl. Judith Frömmer: Killing Blondes. Zum Zuschnitt der blonden Kriegerin im Epos der ita­ lienischen Renaissance. In: Haare zwischen Fiktion und Realität. Interdisziplinäre Untersuchun­ gen zur Wahrnehmung der Haare. Hrsg. von Birgit Haas, Münster, Berlin u.  a. 2008. S. 54–69, S. 55  f. 60 König: Dolci rime leggiadre, S. 116. 61 Vgl. Publius Ovidius Naso: Amores. Liebesgedichte. Lateinisch / Deutsch. Übers. und hrsg. von Michael von Albrecht, Stuttgart 1997, I, 1, 21–26: „questus eram, pharetra cum protinus ille solute / legit in exitium spicula facta meum/ lunavitque genu sinuosum fortiter arcum / ‚quod‘

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Himmelsschönheit]  –, ordnet er dem Göttlichen zu. Aber nicht nur die süße Wendung des Blicks, auch die süße Rede der donna wird hervorgehoben durch die Dreiheit der Äußerungsformen: sospira / parla / ride: Non sa come Amor sana e come ancide, Chi non sa come dolce ella sospira E come dolce parla e dolce ride. (Rvf 159, 12–14) Nicht weiß, wie Amor schlägt und heilt, zu sagen, Wer es nicht weiß, wie süß vom Mund ihr gehet Das Wort, wie süß ihr Lächeln und ihr Klagen.

Mit ihren süßen Seufzern, ihrer süßen Rede und ihrem süßen Lächeln schließt Petrarca an die mittelalterliche Liebeslehre an. Der letzte Vers des Sonetts „E  come dolce parla e dolce ride“ verweist darüber hinaus intertextuell auf eine Ode von Horaz, in der es über die Geliebte heißt: „dulce ridentem Lalagen amabo, / dulce loquentem.“ [das süße Lachen Lalages werde ich lieben, ihr süßes Geplauder.]62 Petrarca zitiert also mit Lauras Stimme Horaz, was auch schon dadurch motiviert ist, als dieser in der Ars poetica den süßen Stil für die Dich­ tung eingefordert hatte.63 Durch die Wiederaufnahme der Verse aus der antiken Ode legt Petrarca damit nicht nur seinem Sprecher, sondern auch Laura die süße Rede einer anderen weiblichen Figur in den Mund. Schon bevor Laura so süß sang, hatte Lalage den süßen Gesang angestimmt. Die süßen Worte spiegeln in doppelter Weise den Intertext, denn auch das Gedicht selbst reflektiert sich in dem zitierten Gesang, wenn es die Süßigkeit des Klanges ist, den das Gedicht beschreibt. Die Wiederaufnahme durch das Zitat geschieht sowohl auf der Ebene der Objekte als auch auf der Ebene des Diskurses: Lauras Lachen und Sprechen

que ‚canas, vates, accipe‘ dixit ‚opus.‘/ me miserum! certas habuit puer ille sagittas: / uror, et in vacuo pectore regnat Amor.“ [Ich war mit meiner Klage zu Ende; da öffnete er schon den Köcher und wählte einen Pfeil, geschaffen, mich zu verderben. Kräftig spannte er mit dem Knie den Bogen, rundete ihn zum Halbmond und sprach: Da hast du Stoff zum Singen, Musensohn! Ich Ärmster! Der Pfeil jenes Knaben ist unfehlbar ins Ziel gegangen: Ich stehe in Flammen, und Amor herrscht über mein eben noch freies Herz.] 62 Horaz: Oden und Epoden. Carmina. Lateinisch / Deutsch. Übers. und hrsg. von Bernhard Kytzler, Stuttgart 1988, I, 22, 23–24. Vgl. König: Dolci rimunde leggiadre, S. 136  f. 63 Horaz: Ars poetica / Die Dichtkunst, Lateinisch / Deutsch. Übers. und hrsg. von Eckart Schäfer, Stuttgart 1972, 99–100: „non satis est pulchra esse poema: dulcia sunto“ [Es genügt nicht, daß Dichtungen schön sind; sie seien gewinnend].

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spiegelt sich in den süßen Reden der Liebesobjekte, wie Petrarcas Sonett im Klang von Ode und Hymne. Aber auch bei Horaz war der Liebesdiskurs bereits zitierte Rede. Denn das Zitat nimmt seinerseits Verse von Catull auf: „te / spectat et audit/ dulce riden­ tem“ [dich / ansieht und hört / dein süßes Lachen]64. Und dieser wiederum hatte seine Verse von der griechischen Dichterin Sappho aus dem Fragment 31 über­ nommen, in dem Sappho bereits mit der Liebesrede den Blick zur süßen Rede des Liebesobjekts hingeführt hatte: Es scheint mir Göttern gleich jener Mann zu sein, der dir gegenüber sitzt und nahe dir, wenn du süß redest [âdu phoneísas], zuhört, und wenn du liebreizend zulächelst – das wahrlich hat mein Herz in der Brust erschüttert: Sobald ich auf dich blicke, kurz, vermag ich keinen Laut mehr zu sprechen, aber meine Zunge zerbricht […].65

Durch den Umweg über Horaz und Catull führt die süße Rede Lauras auf Sappho zurück. Die intertextuelle Montage der Rede Lauras zeigt, das Petrarca nicht nur die süße Rede Beatrices zitiert, sondern an Sappho erinnert, wenn das Gedicht die süße Sprache und das liebreizende Lächeln der Frau betont. Petrarca selbst hatte in den Trionfi Sappho Seite an Seite mit den nobili poeti dargestellt und ihr auch den süßen Stil keinesfalls abgesprochen: „Una giovene greca a paro a paro / coi nobili poeti iva cantando, / ed avea un suo stil soave e raro.“ [Ein griechisch Mäg­ delein sah vorbei ich schleichen/ Und Hand in Hand mit edlen Dichtern singen, / Mit einem Griffel zwar und sondergleichen.]66 Bevor also Petrarcas Ich im Stil des dulce malum singt, war dieses bereits an eine Stimme gebunden, die Stimme Sapphos, die als erste einen süßen Stil und im Ton des dulce malum gesungen hat. Nicht nur der süße Gesang und der Lorbeer, auch der bittersüße Eros war in

64 Catull: Carmina. Gedichte. Lateinisch / Deutsch. Übers. und hrsg. von Niklas Holzberg, Düsseldorf 2009 (Sammlung Tusculum), 51, 3–5. Vgl. Julia Haig Gaisser: Catullus and his Re­ naissance Readers, Oxford 1993, S. 18  ff. 65 Sappho: Gedichte. Griechisch-deutsch. Hrsg. und übers. von Andreas Bagordo, Düssel­ dorf 2009 (Sammlung Tusculum), Fr. 31 Voigt, 1–9; (Herv. C. W., Herv. des Originals nicht über­ nommen). 66 Petrarca: Trionfi, Rime estravaganti, Codice degli abbozzi. Hrsg. von Vinicio Pacca/Laura Paolino, Mailand 1996, IV, 25–27. Die Übersetzung folgt: Francesco Petrarca: Das lyrische Werk. Canzoniere, Triumphe. Verstreute Verse. Italienisch / Deutsch. Übers. von Karl Förster und Hans Grote, Zürich 2002, S. 575.

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der Dichtung Sapphos bereits aufgetaucht: „Eros wiederum quält mich, der Glie­ derlösende, bittersüßes [glukuprikon] unbezwingbares Getier“67. Die Referenz auf Sappho bemerkt immerhin schon Hugo Friedrich, ohne sie jedoch ernst zu nehmen: „Die Formel [des dulce malum, C. W.] geht (was für Petrarca natürlich keine Bedeutung hat) auf Sappho zurück“68. Es bleibt offen, warum Sappho für Pertrarca keine Bedeutung hat, ob z.  B. die Einschränkung der Sappho-Referenz aus der Annahme resultiert, dass Petrarca Sappho nicht gelesen haben konnte, insofern Sappho als kanonisierte Autorin der Antike zwar bekannt war, die feh­ lende Textüberlieferung dies jedoch verhindert haben könnte. Oder passt Sappho nicht zur Grundthese Friedrichs, die Tradition der italienischen Dichtung in der platonischen Philosophie zu verwurzeln? Vor dem Hintergrund dieser Folie kann man sehen, welche Verschiebungen durch das Gedicht aus dem Canzoniere vorgenommen werden. Bei Sappho ist die Liebesbeziehung ein Dreieck: Der Sprecher / die Sprecherin adressiert eine weitere Figur, die einem Mann gegenübersitzt und dabei süß spricht und lächelt. Von dieser beobachteten Liebesszene (der Blicke und der Stimme) aus werden die Affekte der Sprecherin reflektiert und in das Bild vom Zerbrechen der Zunge als Bild für die Ohnmacht eigener Rede gefasst. Dieses poetologische Moment findet sich auch im Canzoniere: Veggio senz’ occhi e non ho lingua e grido; E bramo di perir e cheggio aita; Et ho in odio me stesso et amo altrui. Pascomi di dolor, piangendo rido; (Rvf 134, 9–12) Ich seh ohn Augen, ohne Zung ich flehe, Muß Untergang und Hilfe gleich ersehnen; Ich hasse mich, andrem in Lieb ergeben, Zehre von Schmerz und lächle unter Tränen,

Auch hier bewirkt die Liebe den Ausfall der Sinne, aber jetzt hat die Rede unter Schmerz und Lachen sie kompensiert. Das Moment des dulce malum, das Sapphos Liebesdiskurs kennenzeichnet, ist zum Substitut für die Klage über

67 Sappho: Gedichte. Griechisch/Deutsch. Hrsg. und übers. von Andreas Bagordo, Düsseldorf 2009 (Sammlung Tusculum), S. 220 (fr. 130). 68 Friedrich: Epochen der italienischen Lyrik, S. 217 (Herv. im Orig.). Vgl. auch einen weiteren Hinweis auf Sappho und Catull, S. 163.

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die zerbrochene Zunge geworden. Und auch die Liebesbeziehung erfährt eine Umschrift. Während sich die Szene bei Petrarca unmittelbar zwischen einem Ich und Laura abspielt, wird bei Sappho die Liebesszene zwischen einer Frau und ihrem Gegenüber aus der Distanz der Sprecherin erfasst. Die Kommentatoren haben das Gedicht als „Eifersuchtsgedicht“ bezeichnet.69 Man könnte es auch als ein Beispiel für die Struktur des désir mimétique verstehen: Durch eine méditation interne kann sich die Sprecherin an den Ort des Mannes, der angelächelt wird, imaginieren. Joan DeJean hat demgegenüber allerdings deutlich gemacht, dass die Intimität der Gemeinschaft zwischen den Frauen, die Sapphos Dichtung kennzeichnet, einem solchen mimetischen Begehren widerspricht.70 Umgekehrt lässt sich Sapphos Gedicht auch als „desire that refuses triangulation“71 inter­ pretieren. Dann nämlich, wenn man die männliche Figur als eine imaginäre ver­ steht, als figure of speech, die nicht wirklich anwesend ist. Erst die wörtliche und romantische Lektüre macht daraus ein Dreieck des Begehrens: durch die Verbuchstäb­lichung der dargestellten Szene und durch das Einbringen eines Erwartungshorizonts, das die Geschlechter auf eindeutige Rollen festlegt.72 Das Gedicht schildert also nur als Nachbildung einer realen Liebesbegebenheit eine Eifersuchtsszene, rhetorisch wird es zu einer „allegory of reading“73: einem Akt, der die Zeichen des Begehrens liest, die im Kreis der Mädchen, thiasos, zirkulieren.74 Petrarca hat die dreigliedrige Begehrensstruktur in eine Zweierbeziehung – die Liebe eines Ich zu seiner Dame – übersetzt. Zunächst könnte man meinen, er habe sein Ich den Platz des Mannes einnehmen lassen, der bei Sappho stumm ist und diese stumme Figur sprechend gemacht. Aber die Darstellung der Affekte des Ich bei Petrarca hat doch zuviel von der Sprecherrolle bei Sappho, sodass es plausibler ist, dass die Nachahmung auf der Ebene des discours und des Stils,

69 Vgl. Andreas Bagordo: Einleitung zu: Sappho: Gedichte. Griechisch / Deutsch. Hrsg. und übers. von ders., Düsseldorf 2009 (Sammlung Tusculum), S. 7–44, S. 98. 70 Joan DeJean: Fictions of Sappho, 1546–1937, Chicago, London 1989, S. 51: „the man is evoked in order to demonstrate his superfluousness: the erotic experience concerns the two women alone, united by binds that are purely personal, with none of the sociocultural function associa­ ted with the triangular desire.“ 71 DeJean: Fictions of Sappho, S. 324. 72 DeJean: Fictions of Sappho, S. 323. 73 DeJean: Fictions of Sappho, S. 324. 74 Vgl. Bagordo: Einleitung zu Sappho: Gedichte, S. 11  f. Vgl. Holt Parker: Sappho’s Public World. In: Women Poets in Ancient Greece and Rome, hrsg. von Ellen Greene, Oklahoma 2005, S. 3–24.

Stimme 

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des dulce malum, geschieht.75 Dieses zitierend anverwandelnde Verfahren wird durch einen Parallelismus der Perspektive unterstrichen: Der Blick auf die süße Rede Lauras („come dolce parla e dolce ride“) zitiert den Blick der Sprecherin bei Sappho („wenn du süß redest […] wenn du liebreizend zulächelst“). Petrarca hat sowohl die Perspektive aus dem Fragment Sapphos als auch ihren süßen Stil imitiert und damit letztlich auch den dolce stil novo auf seinen Bezug zum Bit­ ter-Süßen Sapphos befragt.76 Die an der Oberfläche des Textes inszenierte süße Stimme Lauras ruft dabei noch eine ganz andere Art der Begründung auf: die Beziehung zu anderen Texten und d.  h. zu anderen Stimmen. Die Stimme Lauras als geborgte und zitierte Stimme wird im Canzoniere zum Körper der Dichtung selbst. Durch Umwandlung ihrer Stimme in den Text wird das Ich zu sich, aber damit auch zu sich als Klang, Stimme, Ton geführt. Selbst­ erkenntnis des Sprechers und süße Stimme Lauras hängen miteinander zusam­ men. Sollte Beatrice Dante zum Paradies und zum Schrei­ben anleiten, so ist Lauras Führerschaft auf das Subjekt bezogen, dient ihre Stimme der Erkenntnis des Ich: La frale vita, ch’ ancor meco alberga, Fu de’ begli occhi vostri aperto dono E de la voce angelica soave. Da lor conosco l’esser ov’ io sono; (Rvf 63, 5–8) Das schwache Leben, das noch in mir bleibet, War eurer schönen Augen offne Gabe Und eurer Engelsstimme, voll von Güte. Durch sie erkenn ich, was ich bin und habe;

Die als transzendent behauptete Stimme, „la voce angelica soave“, die von ­Petrarca in Fragment 63 inszeniert wird, führt den Sprecher nicht über sich hinaus, sondern auf sich selbst zurück: „Da lor l’esser conosco ov’io sono“ [Durch sie erkenn ich, was ich bin und habe]. Wie Beatrice in der Vita nuova wird offen­

75 Vgl. Sappho: Gedichte, Fr. 130, S. 220. Ovid nimmt dies auf und von ihm geht es in die Tradi­ tion ein. Vgl. Ovid: Amores, II, 9 (b), 26: „usque adeo dulce puella malum est.“ [Ein solch süßes Übel ist das Mädchen.] 76 Vgl. Sappho: Gedichte, Fr. 130, S. 220. Der Stil des Bittersüßen ist Thema in Rvf 205,1: „Dolci ire, dolci sdegni et dolci paci“ [Süß Zorn und Unmut, süß ein friedlich Neigen]. Außerdem gilt immer wieder als Referenz: „Sí dolce è del mio amaro la radice!“ [Rvf 229, 14; So süß erweist die Wurzel sich des Herben.]

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 Lauras Rede

sichtlich auch Laura die Macht zugestanden, im Ich zu wirken.77 Hierbei dient ihre Macht allerdings einzig einem Subjekt, das sich durch die Stimme selbst erkennt. Wie im Garten von Mailand unter dem Feigenbaum Augustinus die Stimme eines Kindes vernimmt, die ihn dazu führt, die Hl. Schrift aufzuschlagen,78 so führt hier umgekehrt die Stimme Lauras das Ich auf sein irdisches Leben, die frale vita, zurück. Die behauptete süße Ehre, die dem Ich widerfährt, ist somit nicht die Folge einer Wendung (conversio) zu Gott, sondern einer Wendung zum Blick der Herrin. Das Gedicht setzt mit der Wendung des Blicks ein und ruft damit bereits im ersten Vers das Grußmotiv auf, das in Vers 4 explizit wird: „onde, benignamente / [s]alutando, teneste in vita il core“ [Rvf 63, 3–4; und mit holden Grüßen / Hieltet ihr sanft mein Herz zurück im Leben]. Die Haltung der donna ist die Haltung der pietà, wie sie im Eingangssonett „Voi ch’ ascoltate in rime sparse il suono / Di quei sospiri“ [Rvf 1, 1–2; Die ihr, wie sie durch meine Reime gehen / Den Seuf­ zern lauscht] erhofft wird: „spero trovar pietà“ [Rvf 1, 8; Mitleid […] zugestehen]. Den Gruß kennzeichnen indes sowohl der Blick der begli occhi als auch Lauras Stimme. Wenn es diese süße Engelsstimme hört, kann das Ich sich selbst zuwen­ den. Weil sie engelhaft ist, vermittelt die Stimme einerseits den Weg in die Tran­ szendenz, sie bindet andererseits jedoch den Sprecher an sein irdisches Leben zurück: „teneste in vita il core“ [Rvf 63, 4; Hieltet ihr sanft mein Herz zurück im Leben]. Der ins Überirdische erhobene, engelhafte Gesang wird zum Grund nicht des neuen Lebens, sondern des alten, der frale vita, aber gerade diese Rückwen­ dung bringt dem Sprecher seinen süßen Ruhm ein: „Ch’ogni cosa da voi m’è dolce onore“ [Rvf 63, 14; Denn süßer Ruhm ist’s, was ihr möget geben]. Es ist daher nur allzu konsequent, wenn die überirdische Verfasstheit der Stimme der Dame darüber hinaus nicht nur eine conversio ad se bewirkt, sondern auch die Trans­ formation des Ich, wie sich in einem weiteren Sonett des Canzoniere zeigt, in dem die Verwandlung des Sprechers thematisiert wird. Im Sonett 213 stellt Petrarca Laura dar, wie sie singend am Ich vorüberschreitet, „cantar“ [singen] reimt auf „andar“ [gehen], gehen und sprechen fallen zusammen, beides ist himmlisch („celeste“). Dabei sind es die Worte, ein „dir pien d’intelletti dolci et alti“ [Rvf 213, 12; Worte, drin Süße sich und Hoheit einen], die zur Verwandlung des Ich führen:

77 Zur Teilhabe des Ich an der überirdischen Schönheit Lauras vgl. Karin Westerwelle: Spiri­ tualität und Bildlichkeit der Laura-Erscheinung in Petrarcas Kanzone (CXXVI): ‚Chiare, fresche e dolci acque‘. In: Mundus in imagine. Bildersprache und Lebenswelten im Mittelalter. Festgabe für Klaus Schreiner. Hrsg. von Andrea Löther u.  a. München 1996, S. 285–302. 78 Vgl. Aurelius Augustinus, Confessiones / Bekenntnisse. Lateinisch / Deutsch. Übers., hrsg. und kommentiert von Kurt Flasch, Stuttgart 2009, VIII, 12.

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E ’l cantar che ne l’anima si sente, L’ andar celeste […] Co ’l dir pien d’intelletti dolci et alti, Co i sospiri soave mente rotti: Da questi magi transformato fui. (Rvf 213, 6–7; 12–14) Ein Sang, der in der Seele nachtönt leise; Ein Engelgang; […] Worte, drin Süße sich und Hoheit einen, Und Seufzer dann, die holdgebrochen schwellen – Die Zauberer verwandelten mein Leben.

Die angebetete Dame ist deshalb begehrenswert, weil sie über so süße Worte verfügt, dass das Ich durch diese verwandelt wird. Ihre süße Rede, „dolci et alti“ (V. 12), fällt dabei mit dem Ton des Gedichts, den süßen Seufzern, „i sospiri soave“ (V. 13), zusammen. Die ,zweite Rede‘ wird als poetische Voraussetzung erzählt: Eine Erscheinung und ein Sagen von sublimer Erhabenheit bewirkt, dass nicht nur der Sprecher, sondern das Sonett verwandelt wird. Die Inszenierung von Lauras Sprechen bringt also eine zweite Stimme ins Spiel, die einerseits im Unterschied zur hinfälligen irdischen „lingua mortal“ [Rvf 5, 14; Menschenwort [Rvf 5, 13]] göttlich überhöht ist, aber andererseits gerade deswegen das Subjekt und die Sprache in die irdischen Bedingungen der frale vita verstrickt. Denn die engelsgleiche Stimme Lauras führt nicht über die lingua mortal hinaus, das Gegenteil ist der Fall: Sie zieht den Sprecher umso mehr in diese hinein und ‚ver­ wickelt‘ dieses buchstäblich in seine eigenen sprachlichen Bedingungen. Was mit der im Canzoniere wiederholt gebrauchten Metapher des Netzes, dem opra d’aragna und den Haarknoten aufgerufen wird, ist die Verwicklung des Ich in die Stimme Lauras und damit zugleich in den Text selbst. Der als überirdisch konno­ tierte Gesang dient dazu, die süße Stimme in die Dichtung buchstäblich zu inkor­ porieren. Aber der Ort dieser Inkorporation kann immer nur die Dichtung sein, die als lingua mortal des Ich seine Bedingungen thematisiert und durch die Insze­ nierung der Stimme sein Verfahren poetologisch reflektiert. Daher muss Laura nicht nur singen, sie muss engelhaft und süß singen. Der Sprecher ist gleichzeitig ein Hörer: Er gibt sich dem Lauschen ihrer Worte hin, er wird selbst zu demjeni­ gen, der seine eigene Dichtung hört. Diese Situation wird besonders deutlich in den sogenannten pianto-Sonet­ ten. Der Gesang Lauras nimmt sowohl den Ton des Bittersüßen der Liedersamm­ lung an und als er auch sein Thema aufgreift, wenn Petrarca auf die Klage der Herrin verweist:

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 Lauras Rede

L’atto d’ogni gentil pietate adorno E ’l dolce amaro lamentar ch’i’ udiva (Rvf 157, 5–6) Ihr Tun, geschmückt mit jeder Huld und Hehre, Und ihre Klagen, bitter-süß und leise

Selbst schon im poetischen Ton des dulce malum verfasst, geht die bittersüße Klage Lauras dem Sprechen des Ich voraus und liegt ihr doch zugrunde. Dabei ist sie bereits zitierte Rede, denn sie zitiert die Klage Sapphos, die den gleichen Tonfall in den Liebesdiskurs eingeführt hat. Wird das Ich in die Haltung des Hörers gebracht, dann hört es mit der Stimme Lauras immer auch die anderen in dieser Stimme hörbaren Töne: Né sí pietose e sí dolci parole S’ udiron mai, né lagrime sí belle Di sí belli occhi uscir mai vide il sole. (Rvf 158, 12–14) Daß nie gelauscht so frommen, wonnereichen Worten die Welt, noch Tränen je gesehen So schön die Sonn aus schönen Augen schleichen.

Außer den begli occhi werden vor allem auch die „pietose e sí dolci parole“ zu Momenten im Text, an denen erkennbar wird, mit welchen Mitteln Petrarca den lautlichen Körper des Canzoniere erzeugt. Laura verfügt also nicht nur über ein „angelico riso“ [z.  B. Rvf 292, 6; Lächeln voll Unschuld und voll Engelsfrieden], der an den santo riso von Dantes Beatrice erinnert. Sie zitiert mit ihren „dolci parole“ (V. 12) den Tonfall des Canzoniere, der selbst den Tonfall des Liebesdis­ kurses aus den Intertexten wiederholt.

2.2 Sirenen Verweist die Stimme auf den poetischen Akt, dann zitiert sie damit die Sprache der Liebe von Sappho. Diese Bezugnahme geht wiederum mit Referenzen auf die Sirene einher, deren Stimme in der Literatur immer wieder als etwas Bedroh­liches dargestellt worden ist und daher gleichzeitig begehrt und abgewehrt worden ist.79 Als ,andere‘ Stimme singt sie immer auch von etwas anderem als von sich

79 Vgl. Maurice Blanchot: Le chant des sirènes. In: ders.: Le livre à venir, Paris 1959, S. 9–37.

Stimme 

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selbst. Wie Odysseus aus der Odyssee lässt sich das Subjekt des Canzoniere von der verführerischen Stimme der Sirene verlocken.80 Das Herz begehrt nach dieser Stimme wie Odysseus, der sich im Unterschied zu seinen Seemännern nicht die Ohren mit Wachs verstopft hatte, um den verlockenden Gesang der Sirenen hören zu können.81 Petrarcas Sonett 167 ist dem Klang der Stimme gewidmet und endet nicht zufällig mit „sirena“ als letztem Wort: Quando Amor i belli occhi a terra inchina E i vaghi spirti in un sospiro accoglie Co le sue mani, e po’ in voce gli scioglie Chiara, soave, angelica, divina; Sento fa del mio cor dolce rapina, Et sí dentro cangiar penseri e voglie, C’i’dico – Or fien di me l’ultime spoglie Se ’l ciel sí honesta morte mi destina. Ma ’l suon che di dolcezza i sensi lega Co ’l gran desir d’udendo esser beata, l’anima al dipartir presta, raffrena. Cosí mi vivo, e cosí avolge e spiega Lo stame de la vita che m’ è data, Questa sola fra noi del ciel sirena. (Rvf 167, 1–14) Wenn Amor ihr gebeut, den Blick zu senken, In einen Seufzer sammelt mit den Händen Der Sehnsucht Hauch, als Wort sie zu entsenden, Klar, lieblich, englisch, göttlich, kaum zu denken, Fühl ich mein Herz in Lust sich von mir lenken Und Wünsche drin sich und Gedanken wenden; Dann sprech ich: Möcht es so doch mit mir enden, Will mir so hehren Tod der Himmel schenken! Der Klang doch, der so süß die Sinne bindet, Zügelt den Geist, bereit schon zu entschweben, Durch große Lust nach solcher Laute Schöne.

80 Petrarca hat sich als Odysseus inszeniert. Vgl. Fam. I, 1. Vgl. hierzu Stierle: Francesco ­Petrarca, S. 41  ff. 81 Homer: Odyssee. Griechisch / Deutsch. Übers. und hrsg. von Roland Hampe, Stuttgart 1979, 12, 160  ff.

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 Lauras Rede

So leb ich, und so breitet denn und windet Des Lebens Faden auf, der mir gegeben, Diese des Himmels einzige Sirene.

Die Stimme der Sirene ist mit Adjektiven ausgeschmückt, die die Stimme Lauras kennzeichnen: „chiara“, „soave“, „angelica“, „divina“ und es ist auch nur eine Sirene, die im Canzoniere singt, nicht zwei wie in der Odyssee. Die Herkunft der Sirenenstimme wird topisch auf Amor bezogen, der ihren Seufzer, „un sospiro“, in seinen Händen sammelt wie in einem Gefäß, um ihn von dort aus zu versenden. Auch hier richtet Petrarca das Sonett darauf aus, dessen eigenes Fabrikations­ geheimnis als Wirkung der sirenenhaften Stimme zu inszenieren. Klang („suon“) und Sprechen („dire“) sind die verwendeten Worte, die den Sprechakt benennen, das Hören („udire“) gibt die Rezeptionsform vor. Was erzählt wird, ist die Liebe zu dieser Stimme: der „gran desir“, der stärker ist als der Tod des Ich und dazu führt, dass sich der Sprecher auf die „dolce rapina“ [süßer Raub] seines Herzens einlässt.82 Das Sonett unterscheidet sich damit nicht vom restlichen Canzoniere, der immer wieder dieses Narrativ bemüht. Nur markiert hier die Sirenenstimme die Grenze zwischen dem Akt des Erzählens und dem, was das Sonett selbst ist: süßer Klang.83 Maurice Blanchot hatte den Grund für den ambivalenten Status der Sirene in unserer Kultur im Übergang von Ode zu Episode gesehen: „ode devenue épisode.“84 Das Liebesnarrativ muss, um als solches zu funktionieren, seine ‚Odenhaftigkeit‘ überschreiben, aber gleichzeitig bricht diese an einigen Stellen hervor, um daran zu erinnern, dass Dichtung doch nichts anderes sein kann als dieser Klang. Unterhalb der Liebestopik  – Amors Pfeile, dem Getroffen-Werden des Ich oder der Liebeswunde  – verbirgt sich also ein engelhafter Sirenengesang. Um ein liebendes Ich darstellen zu können, das sich in seinem Liebesobjekt selbst

82 Vgl. Joachim Küpper: Schiffsreise und Seelenflug. Zur Refunktionalisierung christlicher Bilderwelten im Canzoniere (Mit einem Post-Scriptum zur Singularität des Lyrikers Petrarca sowie zur epistemologischen Differenz von Literarhistorie und Diskursarchäologie). In: Ders.: Petrarca. Das Schweigen der Veritas und die Worte des Dichters, Berlin, New York 2002, S. 89– 114, S. 109. 83 Vgl. Helmut Pfeiffer: Stimmgabel, Stimme, Phantasma. Marginalien zum Sirenenkapitel des Ulysses. In: Ereignis und Exegese. Musikalische Interpretation, Interpretation der Musik. Festschrift für Hermann Danuser zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Camilla Bork u.  a., Schliengen 2011, S. 191–202. Vgl. auch Bettine Menke: Prosopopoiia. Stimme und Text bei Brentano, Hoff­ mann, Kleist und Kafka, München 2000, S. 611. 84 Blanchot: Le chant des sirènes, S. 12.

Stimme 

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erkennt, kann diese Stimme nur verleugnet werden. Sie wird als eigenes Spiegel­ bild behauptet oder ist Anlass zur Flucht: E l’ angelico canto e le parole, Co ’l dolce spirto ond’ io non posso aitarme, Son l’aura inanzi a cui mia vita fugge. (Rvf 133, 12–14, Herv. C. W.) Der englische Gesang, der Rede Wonne. Nebst süßem Hauch, wovor kein Ding mich schützet, Sie sind die Luft, vor der mein Leben flüchtet.

Die durch die Paronomasie von „l’aura“ erzeugte Doppeldeutigkeit – Lufthauch und Geliebte – zeigt den Sprecher als immer zugleich auf der Flucht vor dieser Stimme und affiziert durch sie und damit eine nicht auflösbare Ambivalenz gegenüber dem engelhaften Gesang und den anderen Worten, die als sospiro soave stets auch die eigenen Worte sind. Lauras angelico canto erzeugt somit eine paradoxe Struktur: Das Netz der Spinne, opra d’aragna, die Verwicklung des Sub­ jekts in die Schrift, verursacht gleichzeitig eine Verwicklung in die Stimme, die ­angeliche parole: Cosí caddi a la rete, e qui m’ han còlto Gli atti vaghi e l’ angeliche parole E ’l piacer e ’l desire e la speranza. (Rvf 181, 12–14) So fiel ich in das Netz, umstrickt von Wonne, Von süßen Weisen, wie von Engelszungen, Von Wohlgefallen, Wunsch und frohem Hoffen.

Die Inszenierung der anderen Stimme ermöglicht eine Reflexion über die Bedin­ gungen des poetischen Textes: Die Ambivalenz des Ich, das sich mal lustvoll der Verführung durch den Gesang hingibt, mal dieser entflieht, wird eingeholt durch die Wiederholung des Sprechakts, immer wieder nur diesen paradoxen Zustand benennen bzw. besingen zu können. Der Sprecher zielt darauf, selbst diesen Sire­ nengesang zu singen, der gleichzeitig die Ursache seines Leidens ist. Aus diesem Paradox heraus erklärt sich der Wunsch danach, wie Laura sprechen zu können – „E, se come ella parla e come luce / Ridir potessi“ [Rvf 283, 12–13; Und könnt ich, wie sie spricht, wie glanzgezieret / Sie leuchtet, wiedersagen]. Der Canzoniere ist eben nichts anderes als dieser Wunsch des Wieder-Sagens („ridir“) von süßen Worten, ist Artikulation der Wiederholung der Stimme Lauras, die dabei nie voll­ ständig die eigene, die Stimme des Ich sein kann. Auch im Sonett 286 wird der Wunsch Lauras Rede und ihre süßen Seufzer wiedergeben zu können, formuliert:

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 Lauras Rede

Se quell’ aura soave de’ sospiri Ch’ i’ odo di colei che qui fu mia Donna, or è in cielo […] Ritrar potessi; […] Per la dolcezza che del suo dir prendo, Ch’ avria vertú di far piangere un sasso. (Rvf 286, 1–3; 5; 13–14) Könnt ich die leisen Seufzer wiedergeben Der Herrin, die nun weilt in Himmelshöhen, […] O, wecken müßt es […]; Von ihrer Rede Süßigkeit entzündet, Die einem Felsen wohl entlockte Zähren. (Rvf 286, 1–2; 5; 13–14)

Schon mit dem ersten Vers ist durch die Einschreibung des Namens  – „quel [L]’aura“ – der Gegenstand des Dichtens benannt, bevor er im dritten Vers auf­ taucht als „mia / Donna“. Aber die poetische Sehnsucht ist nicht nur auf diesen Namen, sondern darüber hinaus auch auf Lauras Gesang und dessen Wiederhol­ barkeit gerichtet: „Se […] / [r]itrar potessi“ (Rvf 286, 1; 5). Die Wiederholung zielt auf die Macht der Dichtung, die von der Macht der süßen Rede Lauras ausgeht. Lauras sirenische Stimme zitiert damit den sprachlichen Vorgang, der dem Gedicht selbst zugrunde liegt: etwas Unbelebtes oder einen Namen zum Leben zu erwecken, somit als prosopon poiein einem Unbelebten ein Gesicht oder eine Maske zu verleihen. Mit Laura verfügt Petrarca über die poetische Macht der „Ver­ lebendigung der schriftlichen toten Texte in der Stimme“85. Paul De Man hatte dies als Kennzeichen der Autobiographie angesehen,86 als die auch der Canzoniere in Hinblick auf eine authentische Liebesgeschichte gelesen worden ist. Lauras Gesang ist die Voraussetzung für die Erweckung in / der Sprache, aber es zeugt von der Macht der Sprache, dass sie selbst schon das Ergebnis dieser Figur ist: eine Stimme, der mit den schönen Augen und dem sprechenden Mund

85 Bettine Menke: Prosopopoiia. Stimme und Text bei Brentano, Hoffmann, Kleist und Kafka, München 2000, S. 11  f. Prosopopoiia als Figur der Stimme ist Menke zufolge das Gegenmodell zur Allegorie als Figur der Schriftlichkeit. 86 Vgl. Paul de Man: Autobiography as De-facement. In: Modern Language Notes 94/5 (1979), S. 919–930, S. 926; Michael Riffaterre: Prosopopeia. In: Yale French Studies 69 (1985), S. 107–123.



Doppelter Ruhm 

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ein Gesicht verliehen worden ist und die einen Namen bekommen hat. Durch ihre Stimme ist der Name Laura so erinnerbar wie ein Gesicht. Die süßen Worte und der engelsgleiche Gesang sind diejenigen poetischen Figurationen, die die Rezeption des Canzoniere als Autobiographie und als Liebesgeschichte möglich gemacht haben.

3 Doppelter Ruhm Petrarca bildet mit der Grußszene jenen Moment nach, den die Stilnovisten in ihren Gedichten wiederholt dargestellt haben und den Dante in der Vita nuova ausgeführt hatte: Das Vorüberschreiten einer donna gentile, die sittsam grüßt, worauf das Ich, von diesem Gruß berührt, zu dichten beginnt. Selbst in der Nega­ tion  – jener berühmten Grußverweigerung Beatrices  – ist die Wirkung dieses Grußes noch festgehalten. Hugo Friedrich hat die Grußszene als „Ursituation“87 der italienischen Liebesdichtung identifiziert: Gruß und Heilswirkung werden im salute zusammengeführt. Die zentrale Bedeutung der Grußszene lag Fried­ rich zufolge in der Inszenierung eines metaphysischen Ursprungs der Dichtung und in der Wirkung auf den Sprecher: „höchste Erhöhung der Herrin und Voll­ endung des Liebenden durch inneres Haben der Entrückten.“88 Das Wirken (opera) ­Beatrices wäre damit auch bei Dante schon nur auf die lyrische Subjek­ tivität bezogen, die Funktion der Figurenrede ausgespart. Friedrich folgt hiermit entlang der Narration der Szene, wie sie von Dante vorgegeben ist: Eine Dame schreitet vorüber, grüßt und führt damit den Gegrüßten zum Dichten. Was damit jedoch noch nicht gesehen wurde, ist, dass hier eine Szene inszeniert wird, die in einer Sprachhandlung gründet: Der Gruß besteht in einer Rede, die auch als nichtzitierte Rede ein Sprechen inszeniert, das eine zweite Stimme, die Stimme der Herrin, in den Text einführt. Die Naturalisierung der Figuren verdeckt, dass die Grußszene – zugleich Umwendung der Herrin und ihrer Rede – immer auch ein rhetorischer Akt ist und somit die Grußszene nicht nur ein zentrales Motiv ist, sondern der Ort der Figuration von Dichtung schlechthin. Mit Beatrices Gruß, der den Grußszenen im Canzoniere vorausgeht, hat Dante in der Vita nuova die in der Grußszene implizierte Figürlichkeit zum ersten Mal kenntlich gemacht.89 Der Text inszeniert mit dem Gruß die Wendung zugleich als

87 Friedrich: Epochen der italienischen Lyrik, S. 114. 88 Friedrich: Epochen der italienischen Lyrik, S. 115. 89 C. W.: Die Grußszene und die Stimme in Dantes Vita nuova. In: Deutsches Dante-Jahrbuch 91 (2016), S. 141–154.

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 Lauras Rede

Wechsel der Perspektive: Der Sprecher wendet sich zu seiner Dame um, die ihn adressiert und dadurch nun selbst, aus ihrer Perspektive, auf ihn zurückblickt. Die grüßende Herrin vollzieht eine Umwendung der Blickrichtung, die damit zugleich auch einen Perspektivwechsel des Textes möglich macht. Diese kurze Bewegung, die vom Text nicht als solche thematisiert wird, sondern in der Figur des Grußes ihre Figürlichkeit, das Wenden nämlich als Trope (griech. ‚Wendeʻ, ‚Wendungʻ), verdeckt, konstituiert diejenige Dichtung, die den Gruß in den Mittel­ punkt gerückt hat. Die Verbindung von salute und salvare / salvezza – durch die die Beziehung von Gruß und Heilswerdung letztlich auch der selva oscura (selva / salve) des Eingangsgesangs im Inferno hergestellt wurde – ist eine Figur, die ihre Grammatik (und eben nicht nur ihre Etymologie) ins Spiel bringt. Der saluto lässt sich etymologisch als Quelle des Heils und der Glückseligkeit verstehen, aber als Inszenierung einer Apostrophe ist er eine rhetorische Figur. Gruß, Singen und Sagen kommen auch dann noch in der Rede des Liebesobjekts zusammen, wenn die Grußszene als Zitat aufgenommen wird.

3.1 Gruß/Apostrophe In der Grußszene wird der Akt des Benennens, der die Gedichte des Canzoniere auszeichnet, invertiert: Spricht darin der Sprecher die Dame an, benennt sie, wendet sich ihr zu, so wird mit dem Gruß dieser von der Dame adressiert. Das chiamar als der Akt der Benennung durch den Sprecher wird damit umgekehrt: Die verehrte Dame wendet sich mit ihren süßen Worten – dolci parole (Rvf 158, 12)  – an den Dichter, der fortan von Liebe dichten wird. Die Fiktion vom Gruß bestand ja darin, dass die Dame den Dichter ins Leben ruft. Der Gruß, der im Canzoniere in einer Vielzahl von Gedichten zitiert wird, verhandelt aber auch die Macht der Anrufung, durch die die Stimme noch einmal auf dem Spiel steht. Dante bestimmt die Grußszene als einen Moment, in dem sein Ich zum ersten Mal die Worte Beatrices vernimmt: „che le sue parole si mossero per venire alli miei orecchi“ [Vn. 1, 12]. Denn auf das Wenden des Blicks der Dame folgt die Wendung der Stimme: „e passando per una via, volse gli occhi verso quella parte ov’io era molto pauroso, e per la sua ineffabile cortesia, la quale è oggi meritata nel grande secolo, mi salutòe virtuosamente tanto, che mi parve allora vedere tutti li termini della beatitudine.“ [Vn. 1, 12–13; Und als sie auf einer Straße vor­ überging, wandte sie die Augen nach der Stelle, wo ich, ganz ängstlich, stand, und in ihrer unaussprechlichen Huld, die jetzt im Reich der Ewigkeit belohnt wird, grüßte sie mich mit solcher Tugend, daß ich also den Inbegriff aller Selig­ keit zu schauen meinte.] Nicht nur der Gruß, sondern auch „ineffabile cortesia“ und „mirabile donna“ sind die typischen Topoi der Liebesdichtung der Stilnovis­



Doppelter Ruhm 

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ten. Der „saluto“ impliziert dabei ein Sprechen Beatrices, das zwar verschwiegen wird, aber dennoch auf eine weitere Ebene des Textes hin öffnet, nämlich auf den Diskurs der Herrin, die Wirkung ihres Mundes: „il saluto di questa donna, lo quale era delle opera­zioni della sua bocca“ [Vn. 10, 31; den Gruß dieser Frau, der zu den Wirkungen ihres Mundes gehörte]. Rainer Warning bemerkt, dass die donna gentile bei Guido Cavalcanti keine eigene Stimme hat. In dem Grußsonett „Chi è questa che vèn“ verfügen aus­ schließlich der Sprecher, der von der vorüberschreitenden Dame affiziert wird, und die Umstehenden, die die Szene kommentieren, über einen eigenen Rede­ part.90 Die Grußszene hingegen beschränkt sich auf die Darstellung der Wendung des Blicks: O Deo, che sembra quando li occhi gira!91

Der Gruß ist reduziert auf die Bewegung der Augen, in der das Ankommen und das Wenden zusammengeführt sind. Dante hat diesen Moment aufgenommen, aber der Herrin zusätzlich eine Stimme verliehen. Ob bei diesem Gruß Sprache im Mittelpunkt steht, mag fraglich bleiben, aber die Tatsache, dass auch die Wirkun­ gen des Mundes und Beatrices parole als ihr Grüßen in den Blick gerückt werden, kann nicht übersehen werden. Damit erschliesst sich eine Dimension des Grußes, die man, denkt man den Gruß als etwas, das von den Augen ausgeht, übersieht. Der Gruß muss auf seine Bedeutung für die Rede hin erst noch befragt und davon ausgehend, der Gruß als Zeichen der Erfüllung – „nelle sue salute abitava la mia beatitudine“ [Vn. 5, 7; ihrem Gruße meine Glückseligkeit innewohnte] – im Hin­ blick auf Petrarca neu bestimmt werden. Die Bedeutung dieser Szene war bereits vor ihrem Explizit-Werden als Hori­ zont des Textes angekündigt worden: „quando alli miei occhi apparve prima la gloriosa donna della mia mente, la quale fu chiamata da molti Beatrice, li quali non sapeano che si chiamare.“ [Vn. 1, 2; als meinen Augen zum ersten Mal die glorreiche Herrin meines Geistes erschien, welche von vielen, die sie nicht anders zu nennen wußten, Beatrice genannt wurde.] Mit dieser Rahmung rückt B ­ eatrices Erscheinung, nicht aber die Möglichkeit ihres Sprechens in den Blick. Auch der Akt des Nennens ist, im Unterschied zu Petrarcas Laura, eher eine Verlegenheit, 90 Vgl. Rainer Warning: Imitatio und Intertextualität. Zur Geschichte lyrischer Dekonstruk­tion der Amortheologie: Dante, Petrarca, Baudelaire. In: Interpretation. Das Paradigma der europäi­ schen Renaissance-Literatur. Festschrift für Alfred Noyer-Weidner zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Klaus W. Hempfer/Gerhard Regn, Wiesbaden 1983, S. 288–317, S. 297. 91 Guido Cavalcanti: Rime. Con le rime di Iacopo Cavalcanti. Hrsg. von Domenico de Ro­ berts, Turin 1986 (Nuova raccolta di classici italiani annotati 10), IV, 5.

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 Lauras Rede

mangels eines besseren Namens wurde sie Beatrice genannt: „la quale fu chia­ mata da molti Beatrice, li quali non sapeano che si chiamare.“ [Vn. 1, 2; welche von vielen, die sie nicht anders zu nennen wußten, Beatrice genannt wurde]. Die Grußszene selbst erzeugt jedoch Beatrices Namen oder zumindest wird dieser der Szene wie eine Inschrift eingeschrieben: „tanto, che mi parve allora vedere tutti li termini della beatitudine.“ [Vn. 1, 12, Herv. C. W.; daß ich also den Inbegriff aller Seligkeit zu schauen meinte] Mit der Glückseligkeit des Subjekts ist auch der Name der Dame ins Spiel gekommen, beatitudine, Beatrice, und als Arbeit an den Signifikanten wird die Rhetorizität der Grußszene unterstrichen, was durch das Sprechen Beatrices noch deutlicher wird. Im Grußsonett „Negli occhi porta la mia donna Amore“ wird die Grußszene als Rede, parlar, der Herrin explizit inszeniert: Ogne dolcezza, ogne pensero umile nasce nel core a chi parlar la sente, ond’è laudato chi prima la vide. (Vn. 12, 3, 9–11, Herv. C. W.) Jede Milde, jedweder demütige Gedanke keimt im Herzen dessen, der sie sprechen hört, weswegen ausgezeichnet wird, wer sie zuvor gesehen hat.

Wer auch immer das Sprechen, „parlare“, der Herrin hört, wird von diesem zu dolcezza und humiltas geführt. Die Rezeptionshaltung ist vom Sonett als Hören vorgegeben und was gehört werden soll, sind die Worte der Herrin, ihr „dolcis­ simo parlare“ [Vn. 12, 8; wonnigsüßes Reden], das über die Macht verfügt, Süßes zu erzeugen. Natürlich kann man die Worte der Herrin in der Vita nuova auch auf die Amorlehre beziehen. Dieser zufolge diktiert Amor dem Ich die Worte der Dich­ tung, wie es auch in der Vita nuova und später im Canzoniere behauptet wird: „le parole che Amore m’avea imposte a dire“ [Vn. 6, 1; die Worte […], die Amor mir zu sagen befohlen] und „Più volte Amor m’avea già detto: Scrivi, / Scrivi quel che vedesti in lettre d’ oro“ [Rvf 93, 1–2; Amor sprach oft zu mir: Schreib eigenhän­ dig, / Was du gesehn, schreib es in goldnen Zeichen]. Im parlare der Geliebten würde sich somit das Ich als „Sprachrohr selbstidentischer Rede der göttlichen Herrin“92 inszenieren: Aus dem Mund der Herrin spricht dann Amor und insofern das Ich dieses Sprechen lobt, verschwindet es selbst hinter dieser Rede. Kann man aber sagen, dass die diktierten Worte mit den Worten des Ich, die nicht die eigenen, sondern die Worte der Herrin sind, zur Deckung kommen?

92 Warning: Imitatio und Intertextualität, S. 303.



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Im Erzählteil zur Grußszene hat die Stimme des Textes den Blick des Lesers auf die Stimme im Text gelenkt: „la prima volta che le sue parole si mossero per venire alli miei orecchi“ [Vn. 1, 13, Herv. C. W.; das erste Mal [war], daß ihre Worte sich bewegten, um an mein Ohr zu dringen]. Zwar wird der Blick durch Beatrice zum Ohr geleitet, um von dort die Affekte des Ich hervorzurufen, die in der Süßig­ keit des salute liegen: „tanta dolcezza“ [Vn. 1, 13; solche Wonne]. Der salute ist jedoch auch ein Werk des Mundes der Frauenfigur, nicht nur der Augen. Die Affi­ zierung des Sprechers erfolgt aus einer präzisen Anordnung heraus, in der Sehen und Hören, Worte und Zustände einander gegenseitig bedingen. Allem voran geht die Wendung des Blicks („volse gli occhi“), die mit dem Hören der Stimme zusammenfällt. In der Vita nuova erweitert Dante den Gruß der Herrin, dolcissimo salutare, zum parlare und führt damit unseren Blick von den Augen auf den Mund. Dabei bleibt jedoch unausgesprochen, was Beatrice sagt, ihre parole werden nicht zitiert. Die Vita nuova weist also deutliche Leerstellen auf, wenn zwar gesagt wird, dass Beatrice gesprochen hat, der Inhalt jedoch nicht wiederge­ geben wird. Anscheinend kommt es weniger auf den Inhalt der Rede Beatrices als auf den Akt selbst an: durch Beatrices Gruß adressiert Dante den Sprecher und verändert damit die Blickrichtung. Wie Jonathan Culler mit Quintilian zeigt, ist die Apostrophe die Figur dieser Wendung, die von der Bedeutung der Szene weg unseren Blick auf ihre sprachliche Struktur lenkt.93 Dante selbst hat die im Gruß verborgene Rhetorizität auf der Erzählebene reflektiert: „Dico anche di lui [Beatrice] che ridea, e anche che parlava; le quali cose paiono essere proprie dell’uomo, e spezialmente essere risibile; e però appare ch’io ponga lui essere uomo.“ [Vn. 16, 2; Ich behaupte auch von ihm, daß er lachte, und ferner, daß er sprach; beides Dinge, die dem Menschen eigentüm­ lich scheinen, und vorzüglich die Fähigkeit zu lachen; und daher zeigt sich, daß ich unterstelle, er sei ein menschliches Wesen.] Lachen und Sprechen geben einer fiktiven Figur ein Gesicht, sodass es scheint, als ob sie aus Fleisch und Blut wäre. Das ist nichts anderes als eine Umschreibung des sprachlichen Effekts der Pro­ sopopoiia als Fiktion einer Adressierung, insofern die Prosopopoiia „Trope des Apostrophs“94 ist. Die Gegenwärtigkeit der Herrin beruht auf der Wirkung der Sprache, die die Fiktion einer Adressierung ermöglicht, wie sie Dante auch schon bei Ovid vorgefunden hat: „Per Ovidio parla Amore, sì come se fosse persona umana“ [Vn. 16, 9; Bei Ovid spricht die Liebe, so als ob sie ein menschliches Wesen wäre]. Die Autorität Ovids sichert ab, was Dante poetisch ausgestaltet hat.

93 Vgl. Culler: The Pursuit of Signs, S. 135–154. 94 Paul de Man: Hypogramm und Inschrift. In: Die paradoxe Metapher. Hrsg. von Anselm Haver­kamp, Frankfurt a. M. 1998, S. 375–413, S. 402.

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Nichts anderes ist die Grußszene als das Anthropomorphisieren von Sprache, die Übersetzung von figurativen Gesten in die Repräsentation menschlicher Natur.95 Der Gruß ist somit nicht nur in doppelter Weise als Heilsversprechen und Gruß lesbar, sondern auch in einem rhetorischen Sinn als eine Szene, in der durch Apo­ strophe und Stimme die Sprache ein Gesicht bekommt. Einerseits verrät uns die Vita nuova nicht, welche Beatrices Worte sind. Andererseits lässt sich die Vita auch als Nachschrift eben dieser Worte verstehen: „verrò a quelle parole le quali sono scritte nella mia memoria“ [Vn. 1, 11, Herv C. W.; ich werde […] zu jenen Worten gelangen, die […] verzeichnet stehen]. Sind es Beatrices Worte – le sue parole –, die sie im Gruß an Dante gerichtet hat und an die sich das erzählende Ich jetzt wieder erinnert? Auch hier sind die Bezüge von „quelle parole“ und „le sue parole“ keinesfalls zwingend, werden aber durch die Grußszene möglich gemacht. Auf die Frage, welche Worte von dem Ich erinnert werden, gibt der Text keine eindeutige Antwort. Sieht es zu Beginn der Vita nuova so aus, als wäre die Nachschrift der „parole“ die Nachschrift von Worten, die in der Erinnerung des erzählenden Ichs fixiert sind und jetzt von diesem erinnert werden, so wird mit der Grußszene durch mindestens eine zweite Ebene der Rede die Sicherheit des Anfangs aufgehoben. Die Grußszene, von der nachträglich behauptet wird, dass sie der Nieder­ schrift vorausgegangen ist und sie begründet, stülpt Beatrices parole die Worte des Textes über. Auch diese „Worte“ werden im Text genannt: „le parole le quali è mio intendimento d’asemplare in questo libello“ [Vn. 1, 1, Herv. C. W.; diejeni­ gen Worte […], welche ich in diesem Büchlein nachzuzeichnen gedenke]. Nahezu unbemerkbar ist durch die Ambiguität der parole eine Differenz der Sprecher ent­ standen, mit der der Text als Verfahren und in gewisser Weise auch als Thema operiert. Der Gruß impliziert damit mehr als ein Heilsversprechen. Er beinhal­ tet die Einführung einer anderen Stimme, die grüßt und verführt und dadurch über ihre eigene Wirkungsweise Auskunft gibt. Auch wenn sie als transzendentes Sprechen begründet wird, ist sie doch, in dem Moment, in dem sie zum Prinzip des Textes geworden ist, dessen sprachlichen Gesetzen unterworfen. Die Ambi­ guität zwischen der Stimme im Text und der Stimme des Textes ist der Grußszene eingeschrieben, die folglich nicht nur eine „Urszene“ ist, weil sie die Wirkung auf den Sprecher zeigt, sondern auch insofern sie die Möglichkeiten des Textes und seines Sagens befragt.

95 Am Beispiel Baudelaires lässt sich dieser Vorgang noch einmal verfolgen. Vgl. Paul de Man: Anthropomorphism and Trope in the Lyric. In: Ders.: The Rhetoric of Romanticism, New York 1984, S. 239–262.



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Im sogenannten Grußsonett des Canzoniere hat Petrarca die Grußszene von Dante und Beatrice nachgebildet, hat er die Differenz von Stimme im Text und Stimme des Textes mit dem Gruß noch einmal aufgerufen. Nach der Erscheinung der donna war diese redend weitergelaufen: […] et ella oltra, parlando, Passò, che la parola i’ non soffersi (Rvf 111, 9–10, Herv. C. W.) […] und sie schritt weiter auf dem Wege Und sprach, daß ich ihr Wort nicht konnt ertragen

Wie Beatrice in der Vita nuova schreitet Laura an dem Ich vorüber. Auch hier wird dabei das Sprechen der donna gentile inszeniert, wenn ihr Blick genauso wie ihre Worte genannt werden, wodurch ein Spielraum zwischen Gehen und Reden, zwi­ schen „parlare“ und „passare“, entsteht.96 Das Versprechen der heilbringenden Wirkung des Grußes wird jetzt allerdings zu einer paradoxen Figur: die „parole“ sind für den Sprecher nur schwer zu tragen. Neben dolcezza und gentilezza, ist soffrire die durch den Gruß der Herrin ausgelöste Wirkung.97 Bereits eingangs konstituiert das Sonett eine Beziehung zwischen Dame und Ich, insofern das aufgerufene Bild das Herz des Sprechers im Gesicht der Dame ist: „La donna che ’l mio cor nel viso porta“ [Rvf 111, 1; Die Herrin, die mein Herz trägt in den Blicken]. Die Grußszene ist damit nichts anderes als dieses Bild, das die Dame in ihrem Gesicht trägt. Petrarca bemüht den Topos der provenzalischen Liebesdichtung, demzufolge die Augen der Herrin Ort narzisstischer Selbst­ bespiegelung sind.98 Von dieser Metapher auf der Ebene des Blicks  – ich sehe im Gesicht der anderen mein Herz  – kann man jedoch die Stimme unterschei­ den. Denn auch hier divergieren die Stimme im Text (Lauras Apostrophe) und die Stimme des Textes (das Ich, das im Gesicht seiner Herrin seine Liebe erkennt). Denn was Laura spricht, wissen wir nicht, wir sehen nur in ihrem Gesicht die Selbstbespiegelung des Ich. Darum sind die Worte Lauras auch so unerträglich: Weil sie zeichentheoretisch nicht das Gleiche sind wie das, was der Sprecher in ihrem Antlitz sieht. Der Blick des Ich, das im Gesicht seiner Herrin sein eigenes Begehren erkennt, kann von dem Wort der Herrin nicht zurückgespiegelt werden.

96 Vgl. Warning: Imitatio und Intertextualität, S. 310. 97 Warning hat die Szene auf die lyrische Subjektivität bezogen: Lauras Rede diene dem Sub­ jekt, die Adressierung durch das parlar ziele auf den Sprecher. Vgl. Warning: Imitatio und In­ tertextualität, S. 310. 98 Vgl. Kap. II, 1.2.

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 Lauras Rede

Der Akt der Adressierung, Lauras „parola“, setzt zudem die Zeitlichkeit außer Kraft. Die Narration des Sprechers über die Vergänglichkeit ist in der Apostrophe aufgehoben und in eine andere Zeitstruktur übertragen worden, die Jonathan Culler „discursive time“99 nennt: Anstelle von linearer Zeit gilt in der Apostro­ phe die Zeit der Rede oder des Schreibens. Die Fiktion der Adressierungen wird verdoppelt: Die Invokation der Dame  – „[l]a donna“  – tritt in Spannung zum diskursiven Ereignis der Vokation des Ich, durch das nun umgekehrt dieses zum Objekt der Anrufung, „quel saluto“, wird. Die Dame wird dabei zum Bild dieser Stimme, zur Prosopopoiia als Animierung einer Stimme und als ein SprechendMachen von Leblosem.100 Die Grußszene inszeniert die Verführung, in der das Subjekt gefangen ist, wobei diese keine reale, sondern eine Verführung durch Sprache ist, die ein weibliches Gesicht bekommt. Die Engführung von Sprechen und Gehen ist somit keinesfalls Zufall. Petrarca übersetzt die Grußszene in eine Handlung, die als Handlung durch Sprache zu einer Sprachhandlung wird: Der Gruß ist Sprechakt der Adressierung, der das Subjekt des Textes überhaupt erst zum Subjekt macht und dieses zugleich der Macht der Herrin, ihrer „voce ange­ lica soave“ [Rvf 63, 7; Engelsstimme, voll von Güte], unterwirft. Die Struktur des Gedichts gründet in der zeitlichen Differenz der Ebenen, dem „parlando“ (der Herrin) und dem nachträglichen Durcharbeiten, dem „saluto ripensando“ (des Ich): Or mi ritrovo pien di sí diversi Piaceri, in quel saluto ripensando, Che duol non sento né senti’ ma’ poi. (Rvf 111, 12–14) Nun fühl ich ein so mannigfach Behagen, Wenn solchen Gruß ich wiederum erwäge, Daß keinen Schmerz ich fühl und nie mehr fühlte.

Die Grenzen der Selbstbespiegelung zeigen sich in dem Moment, in dem die Herrin zu sprechen und sich mit dieser Rede gegenüber ihrer medialen Rolle, auf die sie festgelegt war, zu verselbstständigen beginnt. Schien auf den ersten Blick das parlar der Herrin den identifikatorischen Akt zu bestätigen, zeigt sich, dass erinnertes und erinnerndes Sprechen nicht zur Deckung kommen. Die Bedeutung der anderen, zweiten Stimme manifestiert sich auch dann, wenn sie verweigert wird. Im Sonett „Tornami a mente“ [Rvf 336; Sie kehrt zum Herzen] wird noch­

99 Culler: The Pursuit of Signs, S. 150. 100 Vgl. Culler: The Pursuit of Signs, S. 153.



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mals an das Grußmotiv erinnert, wenn die Umwendung der Herrin zum Sprecher vom ersten Vers an präsent ist. Das Erinnerungsbild, als das Laura, umgeben von Strahlen, im Blick des Ich erscheint, ist der Auslöser für die Bitte des Sprechers, nicht nur Laura zu sehen („la vidi“), sondern auch ihre süße Rede („sua dolce favella“) hören zu können: Qual io la vidi in su l’ età fiorita, Tutta accesa de’ raggi di sua stella. […] – Ell’ è ben dessa; anchor è in vita, – E ’n don le cheggio sua dolce favella. (Rvf 336, 3–4; 7–8) Leuchtend, wie ich sie sah in Blütentagen, Von Strahlen, die aus ihrem Sterne rinnen. […] ‚Sie ist es selbst! sie lebt!‘ muß sagen Und flehn, die süße Rede zu beginnen.

Mit dem Bild des leuchtenden Strahlenkranzes um Laura zitiert Petrarca Dantes Beatrice und ruft damit gleichzeitig ihre „dolce favella“ auf. Petrarca nimmt Bea­ trices Sprechen auf, das sie „con angelica voce, in sua favella“ [Inf. II, 57; mit engelhafter / Stimme, auf ihre Weise [Inf. II, 56–57]] geäußert hatte.101 Lauras Rede wird dabei durch das Adjektiv dolce erweitert, sodass auch hier die Tonlage des Liebesdiskurses aufgerufen wird und eine Art Zweistimmigkeit des Gesangs entsteht. In dem Moment, in dem Laura spricht, sie also nicht nur grüßt und singt, sondern auch einen eigenen Redepart, favella, bekommt, wird eine zweite Stimme eingespielt, die sich wie die Stimme des Sprechers anhört, aber trotzdem nicht deckungsgleich mit ihr ist. Lauras Rede wird zum entscheidenden Kriterium für ihre Lebendigkeit. Denn nur wenn sie spricht, kann sie auch als lebend behauptet werden. Das Todes­ datum  – „mille trecento quarant’ otto, / Il dí sesto d’ aprile, in l’ ora prima“ [Rvf 336, 12–13; Tausend dreihundert acht und vierzig, wehe! / Am sechsten Tag Aprils, in erster Stunden] – korrespondiert formal mit der Begegnung von Laura und dem Sprecher als dem Beginn der Verwicklung des Herzens in das Laby­ rinth von Lauras dolci parole (Rvf 211, 10): „Mille trecento ventisette, a punto / Su l’ ora prima il dí sesto d’ aprile, / Nel laberinto intrai“ [Rvf 211, 12–14; Dreizehn hundert sieben und zwanzig eben, / Am sechsten Tag Aprils in erster Stunden, / Trat ich ins Labyrinth]. Zwischen diesen beiden Daten inszeniert Petrarca Lauras

101 Vgl. Kap. II, 1.3.

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Stimme, als wäre ohne sie die Dichtung nicht möglich. Dieser Gruß aus dem Jen­ seits kündet von der Dichtung als Schrift, die Totes lebendig erscheinen lässt, obwohl sie nichts anderes als Dichtung von Geistern ist. Die Nüchternheit des Todesdatums, die das strahlende Bild Lauras in „su l’ età fiorita“ [Rvf 336, 3; in Blütentagen] konterkariert, ist die Konsequenz dieser metapoetischen Reflexion des Sonetts über seine eigenen Möglichkeiten, die durch den Gruß zustande gekommen war.

3.2 sua dolce favella Was aber wissen wir vom Inhalt der süßen Rede, der dolce favella? Kennen wir den Text, den Laura spricht? Nach den Beobachtungen zur Stimme und ihrer Inszenierung soll im Folgenden der Inhalt der Rede Lauras untersucht werden. Denn Teile der Rede des Canzoniere werden Laura in den Mund gelegt, die somit neben ihrer Adressierung auch als Sprecherin des poetischen Textes verhandelt wird. Auch dadurch öffnet der Text auf eine zweite Ebene der Rede, wenn eine weitere (weibliche) Sprecherinstanz auftritt, die genau das macht, was das Ich tut: singen und sprechen. Die Konstruktion zielt zum einen auf die Differenz zu einer anderen Stimme, zum anderen auf die Differenz zu ihrem Sagen, das der Sprecher gleichzeitig herbeisehnt und abwehrt. Von der stummen Rede in den Grußszenen der Vorläufer hebt sich eine Laura ab, die zum Ich des Canzoniere spricht. Insbesondere im zweiten Teil, in morte di madonna Laura, tritt Laura sowohl als singender Engel als auch als sprechende Figur auf. Ihr eigener Text, dolce favella, den der Sprecher so vehement eingefordert hat, ist demnach nicht immer eine nichtzitierte Rede geblieben. In direkter Rede kündet Laura von ihrem Tod und ihrer Ewigkeit. Ihr Spre­ chen setzt mit einer Frage ein, die den Sprecher als Geliebten adressiert und an seine Erinnerung appelliert: – Non ti sovèn di quella ultima sera, – Dice ella, – ch’ i’ lasciai li occhi tuoi molli, E sforzata dal tempo me n’ andai? I’ non te ’l potei dir allor né volli, Or te ’l dico per cosa esperta e vera: Non sperar di vedermi in terra mai. (Rvf 250, 9–14) ‚Gedenkst du noch der letzten Abendstunde‘, Spricht sie, ‚als ich dein Auge ließ in Zähren, Und, von der Zeit gedrängt, von dir geschieden?



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Da konnt ich nicht, noch mocht ich dich belehren; Jetzt sag ich dir, als wahr und sichre Kunde: Nicht hoffe, je zu sehen mich hienieden!‘

Lauras ‚Text‘ ist erinnernde Rede, wenn sie an die gemeinsame Zeit appelliert. Gleichzeitig haben ihre Worte das Sagen selbst zum Gegenstand: „I’ non te ’l potei dir allor né volli“ [Rvf 250, 12; Da konnt ich nicht, noch mocht ich dich beleh­ ren]. Nicht nur der Sprecher bewegt sich in der Zeit, wenn er zwischen Einst und Jetzt unterscheidet, auch Laura selbst verfügt über die Macht, die Vergangenheit in den Blick zu nehmen. Laura tritt als eine Führerin auf, die aus der Totenwelt in die Gegenwart zurückgekommen ist, um jetzt, mit dieser zeitlichen Verzöge­ rung und Verspätung, ihr Sprechen oder Nichtsprechen in der Vergangenheit zu begründen. Ihr Auftritt ist umso mehr engelhafte Erscheinung – „Con quella dolce angelica sua vista / Madonna“ [Rvf 250, 2–3; Die Herrin durch ihr englisches Erscheinen [Rvf 250, 2]] – und ihr Sprechen wird zum Kommentar der längst ver­ gangenen, nunmehr ausschließlich erinnerbaren Grußszene. War das Sprechen in der Grußszene von Laura nicht gewollt oder von ihr nicht gekonnt, so ist ihre direkte Rede nun ein Wahr-Sprechen: „Or te ’l dico per cosa esperta e vera“ [Rvf 250, 13; Jetzt sag ich dir, als wahr und sichre Kunde]. Damit wird die Überirdischkeit Lauras unterstrichen, allerdings ist sie nicht erschienen, um dem Ich von den jenseitigen Dingen zu künden, sondern im Gegenteil. Sie ist erschienen, um die Hoffnungslosigkeit der Erfüllung der Liebe auf Erden und den Abschied auf ewig vorauszusagen: „Non sperar di vedermi in terra mai.“ [Rvf 250, 14; Nicht hoffe, je zu sehen mich hienieden!] Petrarca hat mit diesem Sonett die „Liebe […] auf den letzten Blick“102 vorweggenommen, die Baudelaire sein Ich in dem berühmten, die Moderne datierenden Sonett „A une passante“ sprechen lassen wird: „Ne te verrai-je plus que dans l’éternité?“103 Hier ist es allerdings die Rede Lauras, die die Figur des Abschieds einbringt, die dem Abschied ein Gesicht gibt und die Frage, die das Ich Baudelaires aufgreifen wird, bereits vorwegge­ nommen hat. Was wird jedoch mit dieser Figur des Abschieds verabschiedet? Die Liebe, das Irdische oder die Stimme Lauras? In der Tat hatte Laura Trennung und Abschied bereits im Sonett 123 vorweg­ genommen, als sie wie Beatrice mit einem „dolce riso“ [Rvf 123, 1; süßem Lächeln

102 Walter Benjamin: Über einige Motive bei Baudelaire. In: Ders.: Gesammelte Schriften. Hrsg. von Rolf Tiedemann/Hermann Schweppenhäuser, Bd. 1, 2, Frankfurt a. M. 1974, S. 605– 653, S. 623. 103 Charles Baudelaire: Œuvres complètes. Hrsg. von Claude Pichois, Bd. 1, Paris 1975, XCIII: „A une passante“, 11.

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[Rvf 123, 2]] dem Ich „come in paradiso“ [Rvf 123, 5; wie des Himmelsreichs] erschienen war und gefragt hat: Chi m’ allontana il mio fedele amico? (Rvf 123, 14) Wer will von meinem treuen Freund mich trennen?

Das Beatrice-Zitat setzt sich in ihrer ganzen Erscheinung fort: Laura ist tugend­ haft, von „angelica vista“ [Rvf 123, 9; Englischer Blick], ihre Haltung ist demüti­ ger „atto umile“ [Rvf 123, 9; demütige Gebärden]. Ihr schöner Blick ist nicht pro­ vozierend, sondern auf den Boden gerichtet. Ihr Sprechen erfolgt in Form einer ­Katachrese der schweigenden Rede: „E tacendo dicea“ [Rvf 123, 13; Und sprach], als hätte sie hier noch keine Sprache, die aus dem Schweigen ausbrechen könnte. Dennoch ist Lauras Sprecherrolle ganz vertrauliche Anrede, wenn sie das Gegen­ über als „il mio fedele amico“ (Rvf 123, 14) apostrophiert, als würde zwischen ihr und dem Ich eine gegenseitige Freundschaft bestehen. Auf ein solches Band der Freundschaft lässt später auch eine Formulierung schließen wie „co le parole / Intellette da noi soli ambedui.“ [Rvf 341, 10–11, Herv. C. W.; Und deinen Worten – freundlichen Geschenken, / Uns beiden nur verständlich] Zwischen beiden Spre­ chern scheint sich ein Einverständnis einzustellen, wie es durch das „nostro ben“ [Rvf 341, 13; uns zu beglücken] gekennzeichnet wird. Durch die umgekehrte Perspektive, Lauras Blick auf das Ich, bringt der Canzoniere die Möglichkeit eines beiderseitigen Glücks ins Spiel. Ist Laura aus der Perspektive des Ich himmlisch entrückt, so scheint aus der Perspektive Lauras die Möglichkeit einer gemeinsamen Liebe auf. Die Apostrophe adressiert das Ich, das nun seinerseits zum Objekt der Liebe wird: „Amico, or t’ am’ io et or t’ onoro“ [Rvf 362, 7; ‚Mein Freund, jetzt muß ich lieben dich und loben […]‘]. Es ist Lauras Liebe, die hier aus ihrem Mund verkündet und durch die die Perspek­ tive des Textes umgekehrt wird: Jetzt schenkt Laura dem Ich Liebe (amore) und Anerkennung (onore). Die Stimme bekommt nicht nur ein Gesicht, in dem das Herz des Liebenden erscheint, sondern ihr wird auch die Möglichkeit von Liebe zu sprechen gegeben. Durch diesen Wechsel der Perspektive vollzieht sich eine Umkehrung des Liebesdiskurses. Mit der auf Unerfüllbarkeit gründenden Liebe geht eine Rede über die Liebe einher, die Erfüllung verspricht, wenn Laura das Ich nicht nur bei der Hand nimmt, sondern auch das Wort ergreift: Per man mi prese e disse – In questa spera Sarai ancor meco, se ’l desir non erra: I’ son colei che ti die’ tanta guerra, E compiei mia giornata inanzi sera.



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Mio ben non cape in intelletto umano: Te solo aspetto e, quel che tanto amasti E là giuso è rimaso, il mio bel velo. – (Rvf 302, 5–11) Sie gab die Hand und sprach: ‚In diesem Kreise Wirst du, irrt nicht mein Wunsch, mir einst verbunden; Ich bin’s, durch die du solchen Kampf gefunden, Und die vorm Abend schloß des Tages Reise. Kein menschlicher Verstand begreift mein Glücke; Dein harr ich nur und, das du liebtest lange, Des schönen Kleids, das drunten aufgehoben.‘

Die ersehnten Worte Lauras werden in das Begehren Lauras („desir“) und ihr Glück („mi ben“) verwandelt. Dabei spielt nicht nur der Inhalt ihrer Rede, sondern auch ihr Stil eine entscheidende Rolle. Wenn ihre Rede als „detti sí pietosi e casti“ [Rvf 302, 13; so mild und keuscher Worte] ausgewiesen wird, dann ist auch das Gesagte Petrarcas eigenem Stil, den „pietose rime“ [Rvf 120, 1; Das mitleidvolle Lied], äußerst ähnlich. Im spiegelbildlichen Stil Petrarcas äußert Laura ihr Begehren, womit durch die Rede eine Subjektposition der aktiv Lieben­ den angedeutet wird, die sie in der Geschichte der Liebenden selbst nicht einneh­ men kann: „Sarai ancor meco, se ’l desir non erra“ [Rvf 302, 6; Wirst du, irrt nicht mein Wunsch, mir einst verbunden].

3.3 Mit ihren Worten Mit Lauras Worten und der Umkehr der Perspektive inszeniert der Canzoniere die bittersüße Klage des Ich, aber auch die Möglichkeit des Trosts. In einer Serie von Gedichten tritt Laura post mortem (Rvf 279, 342, 359) als Trostspenderin auf. Wie Beatrice, die Dante als Führerin erschienen war, so kommt Laura aus dem Jenseits und spricht zu dem weinenden Ich. In Sonett 279 wird das Ich schreibend gezeigt, Laura sprechend: „Là ’v’ io seggia d’ amor pensoso e scriva“ [Rvf 279, 5; Sitz ich und schreib, in Liebe hingegeben]. Petrarca markiert die dargestellte Handlung in doppelter Weise poetologisch als Schrift und als Stimme. Indem seine eigenen Bedingungen durch das inszenierte Rückerinnern und die Anspielungen auf das Schrei­ben benannt werden, reflektiert das Gedicht den Vorgang des Dichtens als einen nachträglichen, immer schon zeitlich versetzten poetischen Akt. Laura tritt darin als Verkünderin einer anderen, ewigen Zeit auf, die dem Ich, das der irdi­ schen Zeitlichkeit ausgesetzt ist, in Aussicht gestellt wird:

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– Deh perché inanzi ’l tempo di consume? – Mi dice con pietate: – a che pur versi De gli occhi tristi un doloroso fiume? Di me non pianger tu; ch’ e’ miei dí fêrsi, Morendo, eterni; e ne l’ interno lume, Quando mostrai di chiuder, gli occhi apersi. (Rvf 279, 9–14) ‚Warum ach! vor der Zeit dich so verbluten?‘ Spricht sie voll Mitleids. ‚Warum nur vergießen Aus trüben Augen schmerzensvolle Fluten? Nicht klag um mich; ich starb, um zu genießen Ein ewig Dasein, und in ewgen Gluten Erschloß mein Aug ich, da ich’s schien zu schließen.‘

Der Ausruf „Deh“ erzeugt eine Hinwendung des Sprechers zur Rede Lauras und ihrer Aufforderung, nicht um sie zu trauern: „Di me non pianger“ (V. 12). Dabei wird die Liebesgeschichte noch ein zweites Mal, jetzt aus der Perspektive von Laura, erzählt. Im Sonett 342 wird an diese Perspektive angeschlossen, wenn wiederum Laura aus dem Jenseits kommt, um das Ich zu trösten: Con quella man che tanto desïai M’ asciuga li occhi, e co ’l suo dir m’ apporta Dolcezza ch’ uom mortal non sentí mai. – Che val – dice – a saver chi si sconforta? Non pianger piú; non m’ hai tu pianto assai? Ch’ or fostú vivo com’ io non son morta! (Rvf 342, 9–14) Dann trocknet mit der Hand sie, mild entschlossen, Die Augen mir und bringt mit frommen Grüßen Freude, wie sie kein Sterblicher genossen. ‚Was hilft‘, spricht sie, ‚Mutlosem alles Wissen? Nicht wein! hast du nicht Tränen gnug vergossen? Wärst lebend du, wie ich dem Tod entrissen!‘

Der Trost entspringt ihren Worten („suo dir“), die auch hier als direkte Rede inszeniert werden: „Non pianger più“. Das Sonett zitiert die Consolatio philosophiae, wo die Philosophie in Gestalt einer Frau, als mulier, erscheint, die wie Laura dem weinenden Ich die Tränen von den Wangen wischt und eine Trostrede



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hält. „Tum illa propius accedens in extrema lectuli mei parte consedit meumque intuens vultum luctu gravem atque in humum maerore deiectum his versibus de nostrae mentis perturbatione conquesta est.“ [Da trat sie näher an mich heran, setzte sich auf das Ende meines Bettes, blickte auf mein kummerschwe­ res, auf die Erde geneigtes Antlitz und klagte in folgenden Versen über die Ver­ wirrung meines Geistes]104 Petrarca nimmt aber nicht nur die Motive, sondern auch die Redehaltungen auf, denn wie die Dame Philosophie wird Laura zur einer sprechenden Figur. Der Raum und die Zeit dienen überhaupt nur als Hin­ tergrund für die Rede Lauras in den Terzetten, die eine süße Wirkung auf das Ich haben: e col suo dir m’ apporta Dolcezza (Rvf 342, 10–11) und bringt mit frommen Grüßen Freude

Wie Beatrice, die Dante mahnt, nicht mehr zu weinen, als Vergil ihn verlassen hat („non pianger anco, non piangere ancora“, [Purg. XXX, 56; sollst du nicht schon / weinen. Weine jetzt noch nicht“ (Purg. XXX, 55–56)]105, so tut dies auch Laura. Die Opposition von Leben und Tod wird mit den beiden Sprechern aufgerufen, aber als überkreuzt ausgewiesen: Laura in morte ist nicht mehr einfaches Spiegelbild, sondern ein Gegenüber des Ich in vivo aus dem Jenseits, dem durch ihre Worte ein jenseitiges Leben in Aussicht gestellt wird. In Laura kann sich das Ich also nicht als sich selbst spiegeln, in seiner frale vita, sondern immer nur in seinem Streben nach Ewigkeit.106 Durch die in den Terzetten geschilderten Handlungen und Worte der Laura wird der Blick vom Ich hin zu Laura und ihrem Sprechen gelenkt. Es sind folglich auch nicht die Worte des Ich, sondern ihre Worte, die das Sonett beenden. Die in der ersten Strophe erwähnte bittere, tiefe Wunde des Herzens des Ich, „la sua piaga aspra e profonda“, wird durch die Worte Lauras eingeholt und damit die bittere Wunde in süße Worte umgewandelt. Das Gedicht

104 Boethius: Trost der Philosophie. Consolatio philosophiae. Lateinisch / Deutsch. Hrsg. und übers. von Olof Gigon, München, Zürich 1990 (Sammlung Tusculum), I, 1p, 47–50. 105 Vgl. Kap. III, 2.3. 106 Barbara Ventarola liest diese Szene als Ankündigung erotischer Erfüllung, durch die die Trosterscheinung Boethius zwar aufgerufen, aber zum „Phantasma des begehrlichen Ichs“ ab­ gewandelt wird. Barbara Ventarola: Kairos und Seelenheil. Textspiele der Entzeitlichung in Francesco Petrarcas ‚Canzoniere‘, Stuttgart 2008 (Text und Kontext 28), S. 262.

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verdeckt durch diese Fokussierung auf die diskursive Transformation allerdings die Differenz, die zwischen den beiden Sprechern besteht und dieser Wandlung zugrunde liegt.

3.4 Spiegelungen: tua salute e mia Inszeniert wird Lauras direkte Rede noch einmal in der Kanzone 359, in der Laura zum wiederholten Mal am Bettrand des Sprechers erscheint. Mit dem Lorbeer, lauro, den Laura dem Ich verspricht, wird mit dem Ruhm des Dichters und dem poetischen Lorbeer die ganze Laura-Poetik nochmals aufgerufen. Auch wenn also hier ihr Name nicht fällt, wird dieser durch die Homophonie eingebracht. Ihre Rede wird eigens qualifiziert als „suo dolce ragionare“ [Rvf 359, 4; eignem süßen Flüstern], in der Wissen und Ästhetik zusammenkommen. Auch scheint das Trostmotiv durch, wenn Laura dem Ich mit ihrer Hand die tränenerfüllten Augen trocknet. Der Dialog ist die längste Rede zwischen Laura und dem Spre­ cher. Sie beginnt damit, dass Laura einen Palm- und Lorbeerzweig aus ihrem Busen hervorzieht und damit die Dichterkrönung zitiert: Un ramoscel di palma Et un di lauro trae de sul suo bel senso, Et dice – Dal sereno Ciel empireo e di quelle sante parti Mi mossi, e vengo sol per consolarti. – (Rvf 359, 7–11) Und aus des Busens Hülle Zieht sie von Palm und Lorbeer zween der Zweige, Und spricht: ‚Herab ich steige Vom Empireum und den heilgen Höhen Zu dir, nur um mit Trost dir beizustehen,‘

Die Trostgeste steht gegen die Affirmation der Tränen, die der Sprecher rekla­ miert und als Tränen um sich selbst ausweist. „Rispondo – Io non piango altro che me stesso […]“ [Rvf 359, 23; Drauf ich: ‚Nur mir, sonst niemand gilt mein Weinen […]].107 Der Abstand zwischen Laura und dem Subjekt wird auch dadurch vergrößert, dass sie rückblickend in seiner Rede zum Ausnahmewesen („anime rare“) und als erhaben („alta“) schon zu Lebzeiten sublimiert wird. Wie Augus­ tinus im Secretum Francesco wird Laura das Ich ermahnen, sein Liebesbegeh­

107 Vgl. vinken: Tränen zum Leben, Tränen zum Tode, S. 20.



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ren nicht nach den irdischen Dingen („cose mortali“) auszurichten. Das Streben nach den cose mortali führt nicht zum ersehnten dauerhaften Ruhm. Das Irdi­ sche zerfällt zu Staub, wie auch die Seiten der Manuskripte Petrarcas von der Zeit zersetzt werden. Das von Laura mitgeführte Versprechen kündigt sich im doppelten Zeichen des Ruhms an: „Un ramoscel di palma / Et un di lauro trae del suo bel seno“ [Rvf 359, 7–8; Und aus des Busens Hülle / Zieht sie von Palm und Lorbeer zween der Zweige]. Palmzweig und Lorbeerzweig verweisen auf die zwei Seiten der Macht, auf irdischen Sieg (victoria) und göttlichen Triumph (triumpho): Palma è vittoria; et io, giovene ancora, Vinsi il mondo e me stessa: il lauro segna Trïunfo, ond’ io son degna (Rvf 359, 49–51) Die Palm ist Sieg; des Lebens Eitelkeiten Und mich besiegt ich jung. Im Lorbeer grünet Triumph, den ich verdienet –

Dieses Doppelzeichen ist Laura selbst: Lauro / Laura. Es ist also der doppelte Ruhm, der zu dem Ich spricht, wenn von Laura ihrer beider salute in Aussicht gestellt werden: Salvando inseme tua salute e mia. – (Rvf 359, 66) Wahrend dein Heil zugleich dir mit dem meinen.

Die Figur des zweifachen Ruhms, irdisch und himmlisch, vergänglich und ewig, wird im beiderseitigen Heilsversprechen noch einmal verdoppelt, sodass es zu einer gegenseitigen Reflexion kommt: Nicht nur das Ich spiegelt sich in Laura, auch Laura spiegelt sich im Ich, wenn sie nicht nur das Heil des Ich, sondern ihr beiderseitiges Heil, „tua salute e mia“, erklärt. Strukturell ist damit die Blickrich­ tung umkehrbar: Der Blick des Ich auf Laura wird durch Laura erwidert. Durch diese Umkehrung der Perspektive der Sprecher kann man auch den Text umge­ kehrt lesen: Die Laurafigur ist dann nicht ein Objekt für das Ich, das sich in ihm spiegelt und durch dieses Spiegelbild sich selbst, sondern Laura spiegelt sich im Ich, sodass dieses nun umgekehrt zum Ort der Selbsterfindung für Laura werden kann. Nicht alle Zeichen sind also auf den Sprecher und damit auf sich selbst gerichtet. Die diskursive Kraft des Canzoniere geht von der Einheit der Rede des Sub­ jekts aus, aber diese Rede wird durch eine den Zyklus durchquerende Stimme

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permanent unterlaufen. Das führt logischerweise zu Irritationen in der Konzep­ tion von Identität. Wie Beatrice oder Caterina hat sich Laura innerhalb einer Struktur verselbstständigt, die ihr eine zentrale Rolle zugeschrieben, aber diese nicht auf die poetische Figuration von Gesang, Stimme und Rede bezogen hatte. Mit den süßen Worten kann sie das Ich in Stein verwandeln und Petrarca durch die weibliche Figur noch einmal die rhetorische Kraft der poetischen Sprache inszenieren: e poi sospira Dolcemente, e s’ adira Con parole che i sassi romper pònno: E, dopo questo, si parte ella e ’l sonno. (Rvf 359, 68–71) und klaget Und seufzet leis und saget Manch zürnend Wort, um Felsen zu bewegen; Drauf geht sie weg, mit ihr des Traumes Segen.

Dieses Bild nimmt Petrarca in seiner letzten Kanzone, „Vergine bella“, auf, wenn mit der Klage des Sprechers die Verwandlung durch Medusa in Stein erfolgt: Medusa e l’ error mio m’ han fatto un sasso D’ umor vano stillante (Rvf 366, 111–112) Zum Stein schuf mich Medusa und mein Wähnen, Daß eitle Flut ihn tränke.

In der letzten Kanzone des Gedichtzyklus adressiert der Sprecher im Unterschied zu allen anderen Gedichten nicht mehr Laura, sondern die himmlische Jungfrau. Die Opposition von irdischer und himmlischer Sphäre, die durch die Rede Lauras durchkreuzt worden war, wird damit auf eine andere Instanz verschoben, die in der Transzendenz Gottes abgesichert wird. Anders als Laura, die sich durch ihre zwei Seiten ausgezeichnet hatte, bemüht Petrarca mit der Marienkanzone eine eindeutige Figur. Diese Veränderung war der Grund dafür gewesen, den Sonder­ status der Kanzone herauszustellen und sie als „Epilog“ des gesamten Zyklus aufzufassen.108 Auffällig ist auch die Form des Gedichts. Petrarca konstituiert sie formal durch eine immer wieder neue Anrufung und damit als einen lyrischen

108 König: Das letzte Sonett des Canzoniere, S. 250.



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„Grenzfall“109. Die Kanzone besteht aus Variationen ein und derselben Figur: einer Apostrophe Mariens. Der Platz des himmlischen, engelhaften Wesens wird jetzt von Maria eingenommen, Laura hingegen selbst zerfällt zu Staub: „Vergine, tale è terra e posto ha in doglia / Lo mio cor“ [Rvf 366, 92–93; O Jungfrau, sie ist Staub und füllt mit Schmerzen / Mein Herz].110 Die poetische Funktion der Stimme Lauras zwischen Stimme und Schrift wird gegen die Apostrophe der Transzendenz ausgetauscht: Vergine bella O Jungfrau schön Vergine saggia O weise Jungfrau Vergine pura O reine Jungfrau Vergine benedetta O Jungfrau benedeiet Vergine santa O heilge Jungfrau Vergine glorïosa O Jungfrau, hochgelobte! Vergine sola al mondo, senza essempio O einzge Jungfrau, einig ohn Exempel Vergine dolce e pia O Jungfrau, süße, reine! Vergine chiara e stabile in eterno O lichte Jungfrau du, unwandelbare! Vergine sacra et alma“ O Jungfrau, hochbeglücket! donna del ciel Du Himmelskönigin Vergine d’ alti sensi O Jungfrau reicher Gaben! Vergine, in cui ho tutta mia speranza“ O Jungfrau du, drauf ich mein Hoffen baue Vergine umana e nemica d’ orgoglio O milde Jungfrau, Feindin stolzer Triebe Vergine unica e sola O Jungfrau, unbesieget! (Rvf 366, 1; 14, 27; 35; 40; 48; 53; 61; 66, 87; 98, 100; 105; 118; 133)

Mit der Adressierung der Transzendenz stellt Petrarca die seine Dichtung kons­ tituierende Stimme der weiblichen Figur, die weder in der Medialität des Erzäh­ lens noch im auktorialen Diskurs aufgehoben worden war oder werden konnte, in Frage. Denn durch die Dissoziation von Maria und Laura wird die Möglichkeit eines Sprechens im Namen des anderen und damit die Möglichkeit der paradoxen Verdoppelung der Autorschaft in die schriftgewordene weibliche Stimme aufge­ geben. Von der letzten Kanzone aus kann man dadurch rückblickend erkennen, was von Anfang an im Canzoniere problematisch war: das Auftauchen nämlich einer Stimme, die nicht die eigene ist und die durch die Figur der Selbstüberstei­ gerung in ihrer Differenz überschrieben werden sollte. Der zugleich himmlischen und irdischen Laura wird mit der Apostrophe Mariens ein Platz zugewiesen, wie

109 Käte Hamburger: Die Logik der Dichtung, Stuttgart 1968, S. 214. 110 Vgl. Joachim Küpper: Palinodie und Polysemie in der Mariencanzone (Mit einigen Gedanken zu den Bedingungen der Unterschiede von antiker und abendländischer Kunst). In: Ders.: Pet­ rarca. Das Schweigen der Veritas und die Worte des Dichters, Berlin, New York 2002, S. 162–201.

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er irdischer nicht sein könnte: „tale è terra“ [Rvf 366, 92; sie ist Staub]. Gegenüber der ewigen, göttlichen Liebe bleibt die Liebe zu Laura irdisch und vergänglich: Ché se poca mortal terra caduca Amar con sí mirabil fede soglio, Che devrò far di te, cosa gentile? (Rvf 366, 121–123) Da ich so wunderbar getreuen Sinnes Ein Häuflein nichtgen Erdenstaubes liebe, Was, hehres Wesen, gegen dich beginnen?

Durch diese Rückschreibung der Laura-Liebe auf eine pure irdische Liebe wird die Figur der Laura von ihrem doppelten Status zwischen dem Irdischen und Göttlichen getrennt, abgeschnitten von einer Stimme, für den der Canzoniere einen Ort gefunden und den sie figuriert hatte mit dem engelhaften Gesang aus einem Mund voller Perlen und Rosen und süßen Worten: „La bella bocca ange­ lica, di perle / Piena e di rose e di dolci parole“ [Rvf 200, 10–11; Den engelhaften Mund, in dem beisammen / Mit Perl und Rosen süße Worte liegen]. Petrarca trennt damit die beiden Sphären, die auf Laura projiziert wurden, in zwei Instanzen, eine göttliche, himmlische (Maria) und eine irdische, erdge­ bundene (Laura) und bereitet damit der Behauptung der nur einen poetischen Stimme (des Sprechers) den Weg. Die Marienkanzone dient der Inszenierung der poetischen Macht einer Stimme, die jetzt das Ich differenzlos erfüllt. Die Apo­ strophe der Transzendenz bringt also nicht die transzendente Macht der Dich­ tung hervor, sondern im Gegenteil: Sie stellt aus, dass die Voraussetzung für die diskursive Erneuerung durch Petrarca in der Legitimation eines Sprechens besteht, das darauf zielt, sich als das eine darzustellen. In der Marienkanzone hat Petrarca die Fragilität des Sprechens im anderen Namen aufgegeben. Damit wird Petrarca zum fondateur de discursivité, dem Wegbereiter eines „neuzeit­ lichen Selbstverständnisses“111, und verdeckt, was diesem Gründungsmoment zugrunde liegt: eine zweifache Rede oder Stimme, durch die ein doppeltes Heils­ versprechen, tua salute e mia prinzipiell möglich war. In der Marienkanzone hat Petrarca Laura aus ihrer doppelten Position zwi­ schen Stimme und Schrift herausgestrichen, indem er ihr eine ganz und gar irdische Rolle zuschreibt. Die letzte Kanzone nimmt das Paradox auf, das Auer­ bach auch schon für die Commedia formuliert hatte, als er vom Zerbrechen des

111 Vgl. Kap. IV, 1.



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Rahmens sprach112: Erst die absolute Hinwendung zum Göttlichen bringt die irdi­ sche Verfassung des Subjekts hervor. In dem Moment, in dem der Sprecher die himmlische Jungfrau adressiert, wird das Spiel mit dem poetischen Lorbeer Ernst. Mit dieser Kanzone zeigt sich, dass Petrarca das rhetorische Potential, das dem Liebesdiskurs durch die Doppelfigur zugrunde liegt, verspielt. Das Verhältnis von Dichtung und Theologie ist damit kein raffiniertes Verfahren der Überkreuzun­ gen und Spiegelungen mehr, sondern Theologie im Mantel der Dichtung. Damit erfüllt sich, was Boccaccio für Dante behauptet hatte: Allegoria teologica und allegoria poetica fallen in ein und derselben Stimme deckungsgleich zusammen.113 Ohnehin hatte die ruhmvolle Positionierung Dantes nicht zuletzt B ­ occaccios „eccellente maestro, messer Francesco Petrarca“114 gegolten und seine zukünf­ tige Rolle angebahnt. Diese Einstimmigkeit vollzieht Petrarca vollends in seiner ‚letzten‘ Kanzone, wenn er die Marienanbetung zum Gegenstand der Dichtung macht. Petrarca hat damit letztlich die Möglichkeit der süßen Rede Lauras, die als komplexe Spiegelung in den Canzoniere eingeschrieben war, aufgegeben. In dem Moment, in dem das Ich sich nicht mehr in seiner Liebe zu Laura spiegelt, sondern sich ganz und gar in der Hinwendung zu Maria mit dem Göttlichen ver­ bindet, wird Laura, und damit das Ich selbst, zur Inkarnation des rein Irdischen und mit der Inszenierung des letzten Atemzugs des Sprechers  – „’l mïo spirto ultimo“ (Rvf 366, 137) – im Gegenzug der Körper der Dichtung zum ewig wahren. Petrarcas Kanzone „Vergine bella“ stellt damit einen Endpunkt für die Sprache der Liebe dar. Sie markiert das Verschwinden dessen, was das Trecento hindurch die Dichtung konstituiert hatte: die Differenz einer Stimme, die sich am Schnittpunkt zwischen dem Irdischem und dem Himmlischem abgezeich­ net hatte. Die Funktion des Canzoniere für den Liebesdiskurs liegt somit darin, einer Stimme Raum gegeben zu haben, die allerdings in dem ‚letzten‘ Gedicht des Zyklus nicht mehr erklingt. Die Zweistimmigkeit des Textes wird zugunsten eines Subjekts, das sich selbst als doppelt imaginieren kann, als unsterblich und sterblich zugleich, aufgegeben. Die Differenz der Stimmen, die Petrarca mit der Figur der Laura wieder und wieder durchgespielt hatte, verschwindet und berei­ tet den Platz für die Krönung zum Dichter ohne Laura. Das Neue, das Petrarca schaffen wollte, besteht nicht nur im Dialog mit der antiken Literatur,115 sondern auch in der Auseinandersetzung mit Stimmen, die er aus dem vorausgegangenen

112 Vgl. Kap. I, 3. 113 Vgl. Kap. I, 2. 114 Giovanni Boccaccio: Tutte le opere. Hrsg. von Vittore Branca. Bd. 6: Esposizioni sopra la Comedia di Dante. Hrsg. von Giorgio Padoan, Mailand 1965 (I classici Mondadori), S. 36. 115 Vgl. Regn: „Allegorice pro laurea corona“, S. 131.

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Liebesdiskurs aufgenommen hat. Damit schließt er an das Problem des Rahmens christlicher Typologie an, der in dem Moment zerbrochen war, in dem sich die ästhetischen Differenzen nicht mehr in die Schemata des theologischen Diskur­ ses integrieren lassen konnten und etabliert vor diesem Hintergrund ein neues, neuzeitliches poetisches Sprechen. Aus dieser Perspektive lässt sich die Konstitu­ ierung der Macht des Subjekts des Canzoniere als das Resultat der Verdrängung eines dem Text eingeschriebenen Gesangs, einer Stimme, einer Rede lesen, die den Liebesdiskurs im Trecento konstituiert hatte. Für den Liebesdiskurs erweist sich die Dichtung Petrarcas damit als der ver­ borgene Fluchtpunkt für eine Rede, in der das Objekt des Begehrens nicht spricht: „l’autre (l’objet aimé) […] ne parle pas“116. Die Stimme des Liebesobjekts, die sich gegenüber der Erzählstimme verselbstständigt und als Differenz die Texte des Tre­ cento bestimmt hatte, wird in die Erinnerung verschoben und der poetische Text zum Nachzeichnen ihres Verschwindens: „La voix de l’être aimé, je ne la connais jamais que morte, remémorée, rappelée à l’intérieur de ma tête, bien au-delà de l’oreille; voix ténue et cependant monumentale, puisqu’elle est de ces objets qui n’ont d’existence qu’une fois disparus.“117 In welcher Art und Weise jedoch trotz dieses abschließenden Befunds jene andere Stimme, die den weiblichen Figuren zugeordnet worden war, hörbar bleibt, müsste erst noch gefragt werden. Festge­ halten werden kann jedoch: Den Ruhm der Dichtung erschreibt Petrarca durch das Verdrängen einer Stimme, deren konstitutive Funktion für den Liebesdiskurs in dieser Studie an drei zentralen Beispielen aufgezeigt worden ist.

116 Barthes: Fragments d’un discours amoureux, S. 7 (Herv. im Orig.). 117 Barthes: Fragments d’un discours amoureux, S. 131.

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Register Amordiktat 5, 44, 113, 134 Amorlehre 47, 58, 62, 186 Anagramm  100, 159, 160, 163–165 Analphabetismus 127, 128, 129, 130–133 passio animae 67 Anrufung 82, 87, 88, 166, 184, 190, 200 Apostrophe 57, 59, 80–82, 84, 146, 147, 184, 187, 189, 190, 194, 201 Arachne ( cf. opra d’aragna) 158 arcana Dei 21, 124 auctor 5, 6, 46, 118 auctorias 5, 19, 36, 38, 42, 46, 62, 63, 82, 94, 112, 114, 117, 118, 134 Aufschreibesystem 61, 62, 164 Autobiographie 182, 183 Befehlsmacht 56, 57 Begehren (Dreieck des) 173, 174 begli occhi 154, 170, 175, 176, 178 Beichtkind 13, 108, 120, 134, 139 Beichtvater 5, 13, 97, 98–100, 103, 107, 108, 111, 113, 114, 116–142, 145, 147 Bernard de Ventadorn 53 bitter (Bitterkeit) 72, 90, 158, 197 bittersüß 156, 157, 172, 173, 175, 177, 178, 195 bocca – angelica 8, 9 – virginea 8, 113, 117 Braut (Christi) 62–65, 67 Bühne des Sprechens (cf. scène) 96, 97, 106, 118, 147 Canticum canticorum 65, 72, 134, 134–141 Codice di Virgilio 156 confession mystique 108 confusione (Verwirrung) 50, 55, 162 conversio 25, 157, 176 Corone, tre 14 corps manquant 101 corpus (Christi, mysticum) 83, 102, 139, 151 cortesia 10, 77, 184

Daphne 25, 163 Diktat 60–62, 113–117, 126, 127, 144 Diotima 3, 7, 50, 51, 55, 61, 107 disparition fondatrice 118 dittator 47, 48, 59, 60 divina providentia 37 dolce parola 3, 7, 169, 189 dolcezza 10, 11, 164, 179, 182, 186, 187, 189, 196, 197 dolce stil novo 46, 52, 56, 58, 154, 168, 175 donna ancelica 95 donna gentile / donne gentili 7, 8, 46, 57, 183, 185, 189 dulce malum 150, 156, 172, 173, 175 écriture féminine 5, 46 Ekstase 8, 98, 115, 116, 124–127, 138, 144 Engel (engelhaft) 8, 9, 11, 26, 56, 57, 63, 73, 84, 109, 111, 112, 135, 137, 140, 141, 142, 151, 155, 169, 170, 175, 176, 178, 180, 181, 183, 190–193, 201, 202 Erlösung 18–20, 26, 43, 86, 87 Eros 50, 51, 172, 173 fable mystique 97, 103, 146 Familienszene 82 favella 56, 57, 191, 192 femmina balba  71 fideli d’amore 1 figura (Christi) 29, 31, 55, 60, 64, 142, fin’amors 7, 8, 46, 59 fondateur de discoursivité 149, 202 fôret de symboles 19 fortuna 29, 37 frale vita 77, 85, 86, 175, 177, 197 gaber 7 gabbo 7, 74 Gloria  25, 27, 28, 29, 34, 8892, 162, 167 Gesicht 11, 48–50, 59, 134, 137, 138, 140–144, 182, 183, 187–190, 193 Geständnis (-praxis) 108, 121, 122, 123, 124 Gottesliebe 130, 161 Grußszene 10, 183–190, 192, 193

222 

 Register

Herz 11, 53, 54, 67, 74, 77, 90, 124, 126, 130, 140, 153, 154, 155, 164, 166, 171, 172, 176, 179, 180, 186, 189, 190, 191, 194, 197, 201 Heiligenvita 13, 95–100, 103, 104, 107, 108, 109, 111, 112, 119, 123, 131, 133, 147 Heiliger Geist 130 Heilsökonomie 108 Heilsversprechen 110, 188, 199 hors scène 96, 97, 103, 106 humile 56, 61, 111, 127 hypomnêmata 157 Idolum / eídolon 154 Imitabilität 13, 25, 95 Imperium 36–38, 64, 85 jouissance 11, 95, 96, 139 Jungfrau, jungfräulich 9, 63, 108, 113, 116–118, 121, 126, 127, 129, 131, 134, 135, 147, 200, 201, 203 Katharina von Alexandrien 104–106, 143, 144 Kirchenväter 15, 16, 20, 26 Körper, zwei 12, 23, 64, 83–86, 165 Krone/ Krönung 37, 84, 87 Krypta (mystische) 118, 119, 137, 146 Latinität 159 libro della mia memoria 75 Liebe, höfische 1, 45, 57, 61, 62 Liebesdiskurs 1, 2, 5, 7, 8, 11, 12, 57, 72, 83, 147–151, 172, 173, 178, 191, 194, 203, 204 Liebeslehre 47, 51, 53, 59, 170, 171 lingua mortal 163, 165 Lippen 48, 50, 61, 80, 124 Logos 51 Lorbeer / lauro / l’aura 25, 26, 29, 87, 92, 152, 153, 155, 159–163, 165, 172, 198, 199 Love story 156 magistra uirtutum 128, 131, 133 Maria (Jungfrau) 114, 137, 201, 202, 203 Minerva 158

Minnedame 1, 8, 10, 47, 149, 152, 154, 159, 160, 163, 166, 167, 169, 174, 176, 183–186, 189, 190 muliercula 106, 132 Mund 5–11, 13, 42, 49–52, 55, 57, 58, 66, 67, 77, 79, 82, 99, 103, 104, 106, 113, 126, 134, 137, 139, 144, 145, 161–163, 167, 170, 171, 182, 185–187, 192, 194, 202 musaranea 158 Muse 9, 10, 99 Mutter 25, 27, 29, 49, 61, 62, 72, 80, 82, 88, 92, 120, 135, 141 Muttersprache 127 mystérie  5f., 96, 132 Mystische Szene 96, 97, 115 Mystikerin 95–98, 101–103, 106, 111, 116, 118, 120, 122, 130 139, 146, 147 Nachschrift 61, 72, 114, 116, 118, 122, 138, 188 Nachtigall 12 Neues Testament 33, 66 objet du désir 43 Odysseus 4, 9, 74, 179 Offenbarung 41, 43, 116, 121, 126, 135, 141, 144 officium poetae 34, 39 Ohnmacht 4, 74, 78, 86, 173 Ohr 9, 10, 19, 159, 179, 187 Ordnung, göttliche 31, 41, 45, 86, 115 opra d’aragna 157, 177, 181 palma 37, 198, 199 Paradies 19, 44, 48, 50, 54 parlar(e) 11, 23, 46, 47, 55, 61, 70, 71, 82, 90, 117, 165, 186, 187, 189, 190 parola femminile 3 parresia (Wahrheitsrede) 108 passio Christi 30, 150 patria 28 Platonismus 29, 50, 52, 173 poema sacro 41, 42, 87 poeta laureatus 27, 156 Predigerin 105 prosopon poiein / Prosopopoiia  142, 182, 187, 190

Register 

Provenzalen, provenzalisch 46, 59, 149, 169, 170, 189 puella 133, 175 pur amour 95 Rahmen, zerbrochener 31, 33 réécriture 6, 74 rhétorique sacrée 105, 106 rime sparse 160, 168, 170, 176 riscrittura (cf. réécriture) 72 Rom 27, 28, 37, 38, 85, 86, 91, 156 Ruhm 25, 27, 28, 29, 34, 39, 43, 45, 56, 57, 64, 79, 83, 87, 90, 92, 93, 152, 153, 155, 156, 158, 160, 163, 176, 183, 198, 199 sacer 97 Säkularisierung 12, 17, 24, 32 saluto (Gruß) 1, 10, 11, 95, 184, 185, 187, 190 salute 76, 109, 110, 183–185, 187, 190, 199 Sappho 6, 7 Schleier 18, 63, 65, 66, 67, 68, 73 Schreibakt 9, 47, 54, 65, 89, 92, 131 Schreibszene 61, 113 Schreiber 8, 47, 54, 59, 61, 113, 115, 116, 126, 144 scène (cf. Bühne) 3, 96, 97, 101, 106, 147 Schriftsinn (sensus)  15, 16, 18–20, 22, 23, 27, 28, 29, 32, 34, 36, 63, 70, 71, 77, 111, 135, 153 – historicus / literalis 16, 18, 19, 29 – allegoricus/ mysticus  15, 16, 18, 32, 36 – spiritualis  15, 16, 27, 34, 153 – moralis  22, 26, 32, 71, 111 Scriptorium 113 Sekretär 113, 114, 127 Selbstermächtigung 12, 44, 94 Selbstverlust 150 Selbsterkenntnis 146 selva oscura 19, 90, 184 sermo humilis 133, 137 sexu fragiliori 107 Sibylle (von Cumae) 91–93, 99, 100 Sirene 4, 9–11, 70, 71, 99, 154, 178, 179, 180 Sirenengesang 9, 180

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soave 1, 50, 56, 72, 169, 172, 175, 177, 179–182, 190 Sphinx 69, 99 Spiegelung 2, 49, 50, 53, 72, 96, 145, 146, 152, 189, 190, 198, 203 sponsa (cf. Braut) 62, 63, 64, 81, 119, 135–137, 140, 141, 142 Stilnovisten 77, 168, 183 Stoa 156 Theologie 15, 17, 19, 20, 23–25, 27, 28, 33, 34–36, 38, 39, 43, 47, 59, 68, 83, 85, 88, 95, 98, 203 – ästhetische 15, 17, 19, 59 – politische 15, 28, 36, 83, 85 Teresa von Avila 103, 111, 124, 128, 139 translatio (imperii et studii) 27, 28 Triumphwagen 63, 168 Troja 28, 90 Typologie 18, 20, 29, 30, 32, 33–36, 38, 60, 63, 204 uerba dulcia 100, 138 uirgo sacra 114, 127, 134 unio mystica 145 Urszene 6, 9, 188 Verdopplung 42, 165, 201 Verhüllung 67–69, 147, 208 Verkündung 36, 63, 66, 79, 91, 99, 103, 114, 137, 194, 195 Verwandlung 18, 25, 71, 152, 176, 200 Vision 41, 63, 92, 97, 99, 100, 123, 138, 140–143 voce  1, 8, 56, 78, 87, 89, 97, 139, 154, 163, 164, 169, 175, 179, 190, 191 – femminile 8 – humana 169 – angelica 56, 97, 154, 169, 175, 179, 180, 190, 191 Volkssprache / volgare (uulgare) 19, 25, 63, 92, 94, 127–129, 130, 133, 145, 148, 165 Wunder 8, 99, 105, 107, 111, 113, 114, 115, 118, 119, 121, 126–131, 133, 138–140, 147

Die vorliegende Untersuchung ist meine überarbeitete Habilitationsschrift, die unter dem Titel „Himmlische Stimme, irdische Schrift. Beatrice, Laura und Cate­ rina da Siena“ im Sommersemester 2014 von der Ludwig-Maximilians-Universität München angenommen worden ist. Für ihre Gutachten bedanke ich mich bei Prof. Dr. Barbara Vinken, Prof. Dr. Helmut Pfeiffer, Prof. Dr. Martin von Koppen­ fels, Prof. Dr. Barbara Kuhn und Prof. Dr. Florian Mehltretter. Die Arbeit hat mir meine Stelle als Assistentin am Institut für Romanische Philologie der LudwigMaximilians-Universität München, ein Habilitationsstipendium im Rahmen der Bayerischen Gleichstellungsförderung sowie die Bayerische Akademie der Wis­ senschaften ermöglicht.

Ich danke all denjenigen, die mich bei dieser Arbeit unterstützt haben, vor allem Stefan, Paul und Ella.

München, August 2016